Verwaltungshaftungsrecht: Schadensersatzhaftung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungsträgern und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts [1 ed.] 9783428494514, 9783428094516

In Zeiten knapper Haushaltsmittel wird die Frage der Verwaltungshaftung, also die Frage, inwieweit juristische Personen

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Verwaltungshaftungsrecht: Schadensersatzhaftung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungsträgern und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts [1 ed.]
 9783428494514, 9783428094516

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ULRICH STELKENS

Verwaltungshaftungsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 764

Verwaltungshaftungsrecht Schadensersatzhaftung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungsträgern und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts

Von Ulrich Stelkens

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stelkens, Ulrich: Verwaltungshaftungsrecht : Schadensersatzhaftung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungsträgern und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts / von Ulrich Stelkens. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 764) Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 1997/98 ISBN 3-428-09451-4

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09451-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort In Zeiten knapper Haushaltsmittel wird die Frage der Verwaltungshaftung, also die Frage, inwieweit juristische Personen des öffentlichen Rechts im Verhältnis zueinander für das Fehlverhalten ihrer Bediensteten schadensersatzpflichtig werden können, immer häufiger vor die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit und mittlerweile auch vor das Bundesverfassungsgericht (2 BvG 2/95) gebracht. Diese Entwicklung gab den Anlaß zu einer vertieften Untersuchung der dogmatischen Grundlagen des Verwaltungshaftungsrechts, hinsichtlich derer bislang Unsicherheiten bestehen - gerade weil unterschiedliche Rechtsgrundlagen und damit unterschiedliche Rechtswege für anwendbar gehalten wurden. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, mit der vorliegenden Arbeit einen - vor allem auch praktisch verwertbaren - Beitrag zur Lösung der hierdurch entstehenden Probleme zu leisten. Die Arbeit ist von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes im Wintersemester 1997/98 als Dissertation angenommen worden und befindet sich auf dem Stand vom Februar 1998. Dagegen steht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem oben erwähnten, von Nordrhein-Westfalen angestrengten Bund-Länder-Streitverfahren zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG (siehe hierzu S. 233 ff., 315 f.) noch aus und konnte dementsprechend nicht (mehr) berücksichtigt werden. Zu danken habe ich an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. Dr. Klaus Grupp, der mich bei der Erstellung der Arbeit in vielfaltiger Weise unterstützt und dessen Kritik der Untersuchung sehr gut getan hat. Zu danken habe ich aber auch Herrn Univ.-Prof. Dr. Rudolf Wendt für die Erstellung des Zweitgutachtens und zahlreiche wertvolle Hinweise. Mein Dank gilt schließlich dem Bundesministerium des Innern und den Freunden der Universität des Saarlandes e. V. für die finanzielle Förderung der Veröffentlichung der Arbeit. Saarbrücken, April 1998

Ulrich Stelkens

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

Erstes Kapitel Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben A. Grundzüge des verwaltungsorganisationsrechtlichen Vermögensrechts I. Der Grundsatz der Zweckbindung des Verwaltungsvermögens

31 32 32

Π. Zulässigkeit und Ausgestaltung von Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgem 41 1. Ausgestaltung der vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichenden Finanzierungszuständigkeiten 41 2. Ermittlung der einschlägigen Rechtssätze

53

B. Rückabwicklung unter Verstoß gegen die Lastenverteilungsvorschriften erbrachter Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern 61 I. Rückerstattungsansprüche in Zwei-Personen-Verhältnissen

61

Π. Rückerstattungsansprüche in Drei-Personen-Verhältnissen

64

ΠΙ. Rückerstattungsansprüche in Vier-Personen-Verhältnissen

76

Zweites Kapitel Fallgruppendarstellung A. Fiskalschäden

84 85

I. Fiskalschädigungen im allgemeinen Verkehr

86

Π. Fiskalschädigungen innerhalb bereits bestehender öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse

87

DI. Fiskalschädigungen innerhalb bereits bestehender privatrechtlicher Rechtsverhältnisse

91

B. Verwaltungsträgerschäden

93

8

nsverzeichnis I. Schädigungen bei Amtshilfe und amtshilfeähnlicher Zusammenarbeit

93

Π. Schädigungen in gestuften Verfahren

98

ΙΠ. Schädigungen durch Aufsichtsmaßnahmen

101

IV. Schädigungen durch Schuldnerverzug

104

V. Schädigungen in Treuhand- und treuhandähnlichen Verhältnissen

106

VI. Schädigung durch Begründung von Haftungsverpflichtungen gegenüber Dritten 108 VE. Schädigungen bei Abgabenerhebung im Fremdinteresse

112

Vm. Schädigungen durch fehlerhafte Verwendung fremder Mittel

114

IX. Schädigungen bei Kooperationsverwaltung

117

X. Schädigungen durch legislatives Unrecht

120

Drittes Kapitel Entwicklung der Rechtsprechung und der rechtlichen Rahmenbedingungen von 1871 bis 1945 A. Rechtliche Rahmenbedingungen von 1871 bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches I. Positives Recht und Rechtsprechung

122

124 125

Π. Rechtsgrund und Rechtsnatur der Staatshaftung nach Savigny, Gierke und Mayer 130 1. Das Problem der Deliktsfahigkeit juristischer Personen nach Savigny und Gierke

131

2. Staatshaftung als Problem des Rechtsstaates nach Otto Mayer

134

B. Rechtliche Rahmenbedingungen ab 1900 bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung

136

I. Die Entstehungsgeschichte der § 31, § 89 BGB und des Art. 77 EGBGB... 137 Π. Weitere Entwicklung des positiven Rechts und der Rechtsprechung C. Rechtliche Rahmenbedingungen in der Weimarer Republik

140 147

I. Weitere Entwicklung der Rechtsprechung zu echten Haftungsfällen

147

Π. Erstattungspraxis in unechten Haftungsfallen

155

D. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Zeit des Nationalsozialismus I. Haftung des schädigenden Hoheitsträgers

158 158

nsverzeichnis

9

Π. Persönliche Haftung des Amtswalters aufgrund des Deutschen Beamtengesetzes

164

Viertes Kapitel Entwicklung der Rechtsprechung und der rechtlichen Rahmenbedingungen von 1945 bis zur Gegenwart

169

A. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

170

I. Haftung nach allgemeinem Staatshaftungsrecht

170

1. Die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH: Die „Verzahnungstheorie"

171

2. Entstehungsgeschichte des Art. 34 GG

186

Π. Haftung wegen Verletzung öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse

190

1. Rechtsprechung zum allgemeinen Verwaltungsrecht

191

2. Besondere Entwicklung im Sozialrecht

197

ΠΙ. Haftung nach den beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften B. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach der Finanzreform 1969 I. Entstehungsgeschichte des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

201 211 213

Π. Die Vorbereitungen zu einem Verwaltungshaftungsgesetz nach Art.- 104a Abs. 5 Satz 2 GG 216 ΠΙ. Die Vorbereitungen zur Staatshaftungsreform

223

IV. Die Rechtsprechung des BVerwG zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG: Die ,JtCernbereichstheorie" 226 V. Das durch das Urteil „Zivilschutz" ausgelöste Bund-Länder-Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 233 C. Ermittlung des besonderen Haftungsregimes in unechten Haftungsfallen

235

I. Rechtsprechung zum allgemeinen Verwaltungsrecht

236

Π. Besondere Entwicklung im Sozialrecht

245

Fünftes Kapitel Echte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern

250

A. Schadenslastenverteilung in echten Haftungsfallen unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG 251

10

nsverzeichnis I. Gnindkonstellationen

251

1. Schadenslastenverteilung bei Fiskalschäden: Grundmodell für Verwaltungsträgerschäden 252 2. Schadenslastenverteilung bei gemeinsamer Erfüllung jeweils eigener Aufgaben

255

3. Schadenslastenverteilung für Mindereinnahmen bei Auseinanderfallen von Steuerverwaltungs- und Steuerertragszuständigkeit 257 4. Schadenslastenverteilung für durch fehlerhafte Rechtsaufsichtsmaßnahmen, Verwaltungsvorschriften und Weisungen des Bundes verursachte Länderausgaben 258 Π. Schadenslastenverteilung bei Wahrnehmung fremder Aufgaben

262

1. Schadenslastenverteilung bei Amtshilfe

262

2. Schadenslastenverteilung beim inneren Notstand

266

3. Schadenslastenverteilung bei vom Grundgesetz nicht vorgesehener Wahrnehmung fremder Aufgaben

267

B. Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsfällen. 269 I. Rechtsfolge des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsßillen 270 Π. Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsfällen 277 C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG L Tatbestandsmerkmal „Verwaltung" 1. Für die Begriffsbestimmung maßgebliche Kriterien

283 283 284

2. „Verwaltung" und Inanspruchnahme von Gesetzgebungskompetenzen ...286 3. „Verwaltung" und Inanspruchnahme von Rechtsprechungskompetenzen 289 4. „Verwaltung" und Inanspruchnahme von Regierungskompetenzen

291

5. „Verwaltung" und Inanspruchnahme von Kompetenzen militärischer Verteidigung

295

6. „Verwaltung" und erwerbswirtschaftliche Betätigung

297

Π. Tatbestandsmerkmal „Ordnungsmäßigkeit"

298

1. „Ordnungsmäßigkeit" als „Ordnungsmäßigkeit" i. S. d. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG 299 2. Ordnungswidrigkeit bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schädigung

300

nsverzeichnis

11

3. Ordnungswidrigkeit als Rechts- und/oder Zweckwidrigkeit

302

4. Ordnungswidrigkeit als Lenkungsversagen

307

5. Exkurs: Der Rechtsweg zur Durchsetzung der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

Sechstes Kapitel Unechte Haftungsfalle zwischen Bund und Ländern A Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 und 3 GG und des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG I. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2GG

315

317

318 318

1. Schadenslastenverteilung fur Ausgaben, die beim Vollzug verfassungswidriger Gesetze entstehen, unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG 319 2. Schadenslastenverteilung für fehlerhafte Mittelverwendung unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

322

3. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

325

Π. Schadenslasten Verteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 3GG

329

ΙΠ. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG

330

B. Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG und des Art. 104a Abs. 4 GG I. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 4 GG

334 335

1. Rechtstechnische Umsetzung des Art. 104a Abs. 4 GG

335

2. Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung

338

3. Risiko fehlerhafter Mittelverwendung

341

Π. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG. 345 1. Rechtstechnische Umsetzung des Art. 91a GG

345

2. Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung

348

3. Risiko fehlerhafter Mittel Verwendung

349

C. Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei fehlerhafter Mittelverwendung anläßlich der Wahrnehmung von Fremdaufgaben 354

12

nsverzeichnis Siebtes Kapitel Haftungsfalle bei Beteiligung anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Bund und Ländern

356

A. Haflungskonstellationen auf der Ebene des Bundes oder der Ebene eines Landes

356

I. Echte Haftungsfälle

357

1. Schadenslastenverteilung nach geschriebenem Recht

357

2. Begründung von Schadensersatzansprüchen im Wege der Rechtsfortbildung?

363

Π. Unechte Haftungsfälle

366

B. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis bei Beteiligung bundes- oder landesunmittelbarer juristischer Personen des öffentlichen Rechts 372 I. Echte Haftungstalle

372

1. Haftung des Bundes für bundesunmittelbare und Haftung der Länder für landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts

373

2. Haftung des Bundes gegenüber landesunmittelbaren und Haftung der Länder gegenüber bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts

376

3. Besonderheiten bei der Wahrnehmung von Fremdaufgaben

378

Π. Unechte Haftungsfälle 1. Schadenslasten Verteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 und 3 GG und des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG 2. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 4GG

380 381 383

3. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG C. Haftung zwischen Bundesländern

385 386

I. Geltung des Art. 104a GG zwischen den Bundesländern

386

Π. Schadenslastenverteilung zwischen den Bundesländern

389

D. Besonderheiten bei Beteiligung von Sozialversicherungsträgern und der Bundesanstalt für Arbeit 391 I. Finanz verfassungsrechtliche Vorgaben

392

Π. Haftung zwischen Sozialversicherungsträgern

397

1. Echte Haftungsfälle: § 28r SGB IV

398

nsverzeichnis 2. Unechte Haftungsfälle: § 91 SGB X

13 400

ΙΠ. Haftung zwischen Sozialversicherungsträgern und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts 404

Achtes Kapitel Haftung zwischen Hoheitsträgern nach den allgemeinen staatshaftungsund privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen 407 A. Übertragbarkeit der Grundgedanken der auf den Schutz Privater zugeschnittenen Schadensersatzansprüche auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern 408 I. Übertragbarkeit der Grundgedanken des privatrechtlichen Schadensersatzrechts 409 1. Grundanliegen des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts

409

2. Übertragbarkeit auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgem

412

Π. Übertragbarkeit der Grundgedanken des allgemeinen Staatshaftungsrechts

416

1. Staatshaftung als Gebot des Vermögensschutzes

418

2. Staatshaftung als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit

419

3. Staatshaftung als Rechtsschutzinstrument

420

4. Staatshaftimg zum Schutz des Beamten und der „Schlagkraft" der Verwaltung

421

B. Anwendbarkeit der auf den Schutz Privater zugeschnittenen Schadensersatzansprüche im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern im einzelnen 424 I. Schadensersatzansprüche bei hoheitlichem Unrecht 1. Art. 34 Satz 1 GG

424 425

2. Rechtsgrundsätze zum aufopferungs- und enteignungsgleichen Eingriff und ihre spezialgesetzlichen Konkretisierungen in § 1 Abs. 1 StHGDDR und den polizeirechtlichen Entschädigungsansprüchen 432 3. Schadensersatzansprüche bei Verletzung öffentlich-rechtlicher Verträge

436

4. Schadensersatzansprüche bei Verletzung nichtvertraglicher verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse

443

Π. Schadensersatzansprüche bei privatrechtlichem Unrecht

446

14

nsverzeichnis ΠΙ. Schadensersatz- und Ausgleichsansprüche, die sowohl bei hoheitlichem wie privatrechtlichem Unrecht gelten 451 1. Gefährdungshaflungstatbestände

451

2. Ausgleich zwischen mehreren gegenüber einem Dritten zum Schadensersatz verpflichteten Hoheitsträgern 454

Neuntes Kapitel Persönliche Haftung des Amtswalters A. Haftung nach Deliktsrecht I. Haftung nach § 839 BGB

462 462 463

1. Beamtenbegriff des § 839 BGB

464

2. Juristische Personen des öffentlichen Rechts als „Dritte" i. S. d. § 839 BGB

470

3. Drittschützende Amtspflichten gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts

484

4. Bedeutung von Freistellungsverpflichtungen des Dienstherrn/Arbeitgebers

493

5. Sonstige Tatbestandsmerkmale des § 839 BGB - Gesamtwürdigung

499

Π. Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB)

501

1. Anwendbarkeit der §§ 823 ff. BGB gegenüber „dritten" Hoheitsträgern (Außenverhältnis) 502 2. Anwendbarkeit der §§ 823 ff. BGB gegenüber „zweiten" Hoheitsträgern (Innenverhältnis) 504 B. Haftung aus dem Dienstverhältnis

506

I. Haftung der Beamten

507

1. Ersatzberechtigter „Dienstherr"

507

2. Ersatzfahiger Schaden

513

Π. Haftung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes

523

1. Unmittelbare vertragliche Haftung

524

2. Mittelbare vertragliche Haftung (Drittschadensliquidation)

528

ΠΙ. Haftung der sonstigen Amtswalter

Zusammenfassung der Ergebnisse

530

534

Inhaltsverzeichnis

15

Literaturverzeichnis

546

Sachregister.

562

Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen - mit Ausnahme der unten aufgeführten - entsprechen den amtlichen Gesetzesabkürzungen bzw. denen in: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache (4. Aufl. 1993).

AK-GG

Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Begr.

Begründer

BK

Kommentar zum Bonner Grundgesetz

BMT-G-n

Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe

Bundesautobahn VermG

Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs vom 2. März 1951 (BGBl I S. 877)

ders.

derselbe

dies.

dieselbe

DöH

Der öffentliche Haushalt

GAgrG

Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3. September 1969 (BGBl IS. 1055)

GKÖD

Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht

GK-SGB

Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch

GRW

Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969 (BGBl I S. 1861)

GULB

Gesetz über die Errichtung allgemeiner unterer Landesbehörden in Schleswig-Holstein vom 25. Februar 1971 (GVOB1 S. 64)

HBFG

Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Ausbau und Neubau von Hochschulen" (Hochschulbau-

Abkürzungsverzeichnis förderungsgesetz) (BGBIIS. 1556)

17 vom 1. September 1969

HdbDtStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts

MTArb

Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder

MünchKomm

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

RGRK

Das Bürgerliche Gesetzbuch unter Besonderer Berücksichtigung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs

RV

Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (B. G. B.Nr. 16, S. 63).

StR

Staatsrecht

1. OLG

Erstes Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. April 1955 (BGBl I S. 193)

4. ÜLG

Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955 (BGBIIS. 189).

VDR

Verband Deutscher Rentenversicherungsträger

VerwR

Verwaltungsrecht

2 Stelkens

„ M a c h t ein Verwaltungsträger gegenüber einem anderen Verwaltungsträger Ausgleichsansprüche geltend, weil dieser statt jenem leistungspflichtig ist, indes jener statt diesem geleistet hat, so begegnet ihm nicht selten Argwohn: Die Verwaltung beschäftigt sich vorwiegend mit sich selbst! [...]. Dem Praktiker in Verwaltung und Gerichtsbarkeit helfen dergleichen Würdigungen und Vorbehalte wenig. Er muß damit fertig werden, daß unser Recht zahlreiche Ausgleichsansprüche kennt."

Eberhard Eichenhof er 1

Einleitung a) Wäre die Bundesrepublik Deutschland monolithisch aufgebaut - wäre der Staat also eine einzige juristische Person, dessen Amtswalter alle staatlichen Aufgaben wahrnehmen könnten, und somit gerade keine Bundesrepublik - so wäre die Frage, was geschieht, wenn ein Amtswalter durch Fehlverhalten einen Schaden verursacht, bei unterstellter Geltung des Bundesrechts und unter Nichtberücksichtigung von Aufopferungs- und Enteignungstatbeständen, vertraglichen und vertragsähnlichen Ansprüchen klar - wenn auch kompliziert - geregelt: Wäre der Schaden durch ein hoheitliches Handeln des Amtswalters verursacht worden und träte er bei einem Privatmann auf, so haftete der „Bund" (als einzige in Betracht kommende) Anstellungskörperschaft nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG. Der Amtswalter haftete gegenüber dem Bürger nicht2. Der „Bund" könnte aber für den ihm aufgrund der Inanspruchnahme durch den Bürger entstehenden mittelbaren Schaden (Haftpflichtschaden) nach § 78 Abs. 1 BBG bei einem Beamten bzw. nach dem Institut der positiven Forderungsverletzung des Arbeitsvertrages bei einem Arbeitnehmer Rückgriff nehmen. In beiden Fällen wäre der Regreß jedoch nach Art. 34 Satz 2 GG nur möglich, wenn der Schaden durch Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit verursacht worden wäre3. Entstünde demgegenüber einem Privaten ein Schaden durch fehlerhaftes privatrechtliches oder fiskalisches Handeln eines Amtswalters des „Bundes", so wäre Art. 34 Satz 1 GG nicht einschlägig. Aus § 89 Abs. 1 BGB wird aber geschlossen, daß, soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts auf privatrechtlicher Grundlage tätig sind, diese wie eine juristische Person des Privatrechts haften 1

Eichenhofer, Ausgleichsansprüche der Sozialleistungsträger, DVB1 1991, S. 77. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (11. Aufl. 1997), § 25 Rn. 7. 3 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz (7. Aufl., Stand 1996), Art. 34 Rn. 292 (Bearbeitung 1987). 2

2*

20

Einleitung

sollen. Somit fände einerseits neben der Haftung aus §31, §89 i. V. m. §§ 823 ff. BGB im Fiskalbereich auch § 831 BGB zu Lasten des „Bundes" Anwendung, wenn kein „verfassungsmäßig berufener Vertreter", sondern ein sonstiger Amtswalter gehandelt hätte. Andererseits käme wegen dieser partiellen Gleichstellung des „Bundes" mit Privatpersonen im Privatrechtsbereich eine Haftung nach § 31, § 89 bzw. § 831 BGB nicht i. V. m. § 839 BGB, sondern nur i. V. m. § 823 und § 826 BGB in Betracht4. Bei fiskalischem Handeln wäre darüber hinaus gegenüber dem geschädigten Privatmann auch eine persönliche Haftung des schädigenden Amtswalters möglich. Allerdings wäre insofern nach ganz herrschender Meinung danach zu unterscheiden, ob ein Beamter im beamtenrechtlichen Sinn oder ein Arbeitnehmer gehandelt hätte5: Hätte ein Beamter gehandelt, so wäre unmittelbar § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB einschlägig. Diese Vorschrift unterscheidet anders als Art. 34 Satz 1 GG - nicht zwischen hoheitlicher und privatrechtlicher Tätigkeit6. Eine persönliche Haftung des Beamten wäre jedoch bei nicht vorsätzlichem Handeln nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen anderweitiger Ersatzmöglichkeit ausgeschlossen, wenn der „Bund" nach §31, §89 i. V. m. §§ 823 ff. BGB oder nach §831 BGB haftete 7. Wären die Voraussetzungen einer Haftung des „Bundes" dagegen nicht erfüllt, haftete der Beamte zumindest im Außenverhältnis persönlich auch für leichteste Fahrlässigkeit. Entstünde durch fehlerhaftes privatrechtliches Handeln eines Arbeitnehmers des „Bundes" bei einem Privaten ein Schaden, so haftete der Arbeitnehmer gegenüber dem Geschädigten nach den §§ 823 ff. BGB8. Eine Haftung des „Bundes" nach § 31, § 89 i. V. m. §§ 823 ff. BGB oder nach § 831 BGB könnte nur daneben treten, die Haftung des Arbeitnehmers im Außenverhältnis aber nicht ausschließen, da es insofern an einer § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB vergleichbaren Subsidiaritätsklausel fehlte 9. Im Innenverhältnis käme zumindest bei nur leicht fahrlässigem Verhalten des Arbeitnehmers ein Freistellungsanspruch nach den allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung in Betracht. Ein solcher Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wäre begründet, wenn der Arbeitnehmer durch (leicht) fahr4

Bender, Staatshaftungsrecht (2. Aufl. 1974, zit. im folgenden: Staatshaftungsrecht2), Rn. 403; Hadding, in: Soergel (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einftihrungsgesetz und Nebengesetzen - Band 1: Allgemeiner Teil (12. Aufl. 1987, zit. im folgenden: Soergel-Bearb.), § 89 Rn. 4; Reuter, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - Band 1 - Allgemeiner Teil (3. Aufl. 1993, zit. im folgenden: MünchKomm-£ear6.), § 89 Rn. 26. 5 Siehe hierzu: 9. Kap. A 1 1 c und d (S. 467 ff.). 6 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 34 Rn. 89. 7 Maurer, Allg. VerwR, § 25 Rn. 59. 8 Maurer, Allg. VerwR, § 25 Rn. 60. 9 Maurer, Allg. VerwR, § 25 Rn. 62.

Einleitung

lässiges Verhalten einen Dritten geschädigt hätte und von diesem in Anspruch genommen worden wäre, da der Arbeitgeber dieses Schadensrisiko tragen muß10 Dies könnte jedenfalls bei den Arbeitnehmern, deren Haftung im Innenverhältnis (tarif-) vertraglich deijenigen der Beamten angenähert ist 11 , immer dann zu einem Freistellungsanspruch fuhren, wenn durch leichte oder mittlere Fahrlässigkeit eine betrieblich veranlaßte Handlung zu einem Drittschaden geführt hätte12. Würde durch Fehlverhalten eines Amtswalters der Schaden nicht einem Privatmann, sondern unmittelbar dem „Bund" zugefügt, wäre die Rechtslage wesentlich einfacher: In diesem Fall haftete ein Beamter im beamtenrechtlichen Sinn bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit unmittelbar aus § 78 Abs. 1 BBG. Bei leichter Fahrlässigkeit haftete er nicht. § 78 Abs. 1 BBG schlösse als Spezialvorschrift alle anderen Anspruchsgrundlagen aus13. Ein Arbeitnehmer haftete dem „Bund" gegenüber aus positiver Forderungsverletzung des Dienstvertrages, wobei sich der Haftungsmaßstab nach den allgemeinen Grundsätzen der Haftung im Arbeitsverhältnis oder besonderen (tarif-)vertraglichen Regelungen bestimmte. Bei unterstelltem „monolithischen" Staatsaufbau könnte also deutlich zwischen der Innenhaftung des Amtswalters gegenüber dem „Bund" (für Eigenschäden und mittelbare Schäden des „Bundes") und der Außenhaftung des „Bundes" (und ggf. auch des Amtswalters selbst) gegenüber Privaten unterschieden werden. Die Abgrenzung wäre eindeutig, Zweifelsfalle dürfte es nicht geben. So läge ein Eigenschaden auch dann vor, wenn der Schaden bei einem anderen Zweig der Verwaltung aufträte als dem, bei dem der fehlerhaft handelnde Bedienstete tätig wäre. Auch in diesen Fällen würde sich eine Haftung des Amtswalters ausschließlich nach dem Innenverhältnis richten. Dies zeigt das 10

Schnauder, Die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit, JuS 1995, S. 596 m. w. N. 11 So bestimmen § 14 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und § IIa des Manteltarifvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder und § 9a des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G), daß für die Schadenshaftung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden. 12 So Scheuring/Steingen/Banse/Thivessen, Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder (MTArb) - Ausgabe Bund (Stand September 1997), § IIa Rn. 7b. Ob ein solcher Freistellungsanspruch auch für Beamte besteht, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden, siehe hierzu: 9. Kap. A I 4 a (S. 493 ff.). 13 Fürst/Finger/Mühl/Niedemiaier, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, in: Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht - Band 1 (Stand Januar 1998), zit. im folgenden: GKÖDI), Κ § 78 BBG Rn. 14.

22

Einleitung Beispiel Nr. 1 (nach BVerwG, Buchholz, Nr. 14 zu § 78 BBG): Ende der sechziger Jahre, also unter Geltung des Postverwaltungsgesetzes (PVwG) vom 24. Juli 195314, verursachte ein Beamter der Bundespost bei einer Dienstfahrt grob fahrlässig einen Unfall mit einem Fahrzeug der Bundeswehr. Für den an dem Bundeswehrauto entstandenen Schaden nahm der Bund den Beamten nach § 78 Abs. 1 Satz 1 BBG in Anspruch. Das BVerwG billigte dies: Das beschädigte Fahrzeug der Bundeswehr sei Eigentum des Bundes gewesen (Art. 87b GG), der Postbeamte nach § 23 Abs. 1 Satz 1 PVwG unmittelbarer Bundesbeamter (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 BBG). Der Beamte habe also durch sein Verhalten seinem Dienstherrn (und nicht einem Dritten) einen Schaden zugefügt.

Nach Ansicht des BVerwG stand dem nicht entgegen, daß nach damaliger Rechtslage die Deutsche Bundespost ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes war (§ 3 Abs. 1 und 2 PVwG) und nach § 4 Abs. 1 PVwG im Rechtsverkehr unter ihrem Namen handeln, klagen und verklagt werden konnte. Denn diese Regelungen ließen die Vorschrift des § 23 PVwG unberührt, was sich vor allem daraus ergab, daß die Deutsche Bundespost als solche - unbeschadet der Regelung der § 3 und § 4 PVwG - keine juristische Person des öffentlichen Rechts war und erst recht keine (eigene) Dienstherrnfähigkeit besessen hatte. Eigentümer des (Sonder-) Vermögens der Deutschen Bundespost war der Bund und dieser war ebenfalls Eigentümer des Bundeswehrvermögens. b) Verläßt man das Modell des „monolithischen" Staatsaufbaus und betrachtet man den bestehenden Staats- und Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik Deutschland, so wird leicht erkennbar, daß eine weitere Fallgruppe zwischen die Fallgruppe der Innenhaftung des Amtswalters gegenüber seinem Dienstherrn/Arbeitgeber und die Fallgruppe der Außenhaftung des Dienstherrn/Arbeitgebers bzw. des Amtswalters selbst für dessen Fehlverhalten gegenüber Privaten tritt: Durch das Fehlverhalten des Amtswalters eines Verwaltungsträgers kann nicht nur ein Privatmann oder die Anstellungskörperschaft selbst, sondern auch ein anderer Verwaltungsträger mit eigener Rechtspersönlichkeit geschädigt werden. Ob und nach welchen Vorschriften in diesen Fällen Schadensersatz zu gewähren ist, war bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen sowohl der ordentlichen Gerichtsbarkeit wie der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit: Teilweise wurde die Anwendbarkeit des allgemeinen Staatshaftungsrechts 15 oder des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs16 untersucht, teilweise eine Anwendung der 14

BGBIIS. 676. So z. B. BGHZ 116, S. 312 ff. (S. 314 ff.) - „Rentenablehnung", siehe hierzu: 8. Kap. Β I 1 f (S. 431); OLG Celle, Urteil vom 26. März 1996 - 16 U 197/94 - „Gorleben" 16 So ζ. B. BVerwGE 100, S. 56 ff. (S. 61 f.) - „Kindergeld", siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff.); VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff. (S. 795 f.),Anstaltspflege", siehe hierzu: 4. Kap. C I d (S. 240 ff.). 15

Einleitung

Grundsätze über die Haftung bei Verletzung vertraglicher 17 oder gesetzlicher18 verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse für möglich gehalten; teilweise wurden auch spezialgesetzliche Schadensersatzansprüche wie Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG 19 , § 28r SGB IV 2 0 für einschlägig erachtet. Schließlich wurde auch angenommen, daß allein eine persönliche Haftung des fehlerhaft handelnden Amtswalters in Betracht komme21. Eine einheitliche Rechtsprechung hat sich also bisher nicht entwickelt. Die wenigen einschlägigen Monographien haben ebenfalls nur Teilaspekte der Haftungsfrage behandelt22. Gerade deshalb lohnt sich aber eine genauere Untersuchung der Frage, inwieweit juristische Personen des öffentlichen Rechts im Verhältnis zueinander Schadensersatzansprüche geltend machen können. Um die insoweit bestehenden Probleme von der „normalen" Staatshaftung im Verhältnis zwischen Staat und Bürger einerseits und der „normalen" Amtswalterhaftung im Verhältnis zwischen dem fehlerhaft handelnden Amtswalter und seinem Dienstherrn/ Arbeitgeber andererseits abzugrenzen, ist vor allem in Zusammenhang mit der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verschiedentlich der Begriff der „Verwaltungshaftung" geprägt worden23. Dieser Begriff soll hier übernommen werden; er ist zwar wenig aussagekräftig, jedoch ist keine treffendere Bezeichnung erkennbar. Um das Verwaltungshaftungsrecht zu ermitteln, soll in den ersten zwei Kapiteln zunächst herausgearbeitet werden, in welchen Fallkonstellationen sich die Frage nach Schadensersatz zwischen Verwaltungsträgern überhaupt 17 So z.B. BVerwGE 81, S. 312 ff. (S. 317 f.) - „Haltepunkt", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194 f.). 18 So ζ. B. BVerwGE 98, S. 18 ff. (S. 30 f.) - „Bundesdruckerei", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 d (S. 195 f.). 19 So z.B. BVerwGE 96, S. 45 ff. - „BAföG", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 20 So z.B. BSG, Die Sozialversicherung 1997, S. 185 ff. - „Einzugsstelle IV", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 2 c (S. 199 f.). 21 So ζ. Β. BVerwG, NJW 1995, S. 978 - „Wohngeld", siehe hierzu: 4. Kap. A m h (S. 210 f.); VGH Mannheim, ZBR 1974, S. 337 ff. (S. 338) - „Geldanlage", siehe hierzu: 4. Kap. A m f (S. 207). 22 Erichsen , Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung (1961); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder (1970); Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung (1973); Pappermann, Ansprüche des Staates bei fehlerhafter Erledigung übertragener Aufgaben durch Kommunalkörperschaften? (1971). 23 So ζ. B. Rudisile, Die Haftung für ordnungsmäßige Verwaltung zwischen Bund und Ländern, DÖV 1985, S. 910 Fußn. 1; F. Kirchhof, Die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 1994, S. 105; Selmer, Anmerkung zu BVerwG, Urt. vom 18. Mai 1994 - 11 A 1/92, JuS 1995, S. 747; ders., Anmerkung zu BVerwG, Urt. vom 16. Januar 1997 - 4 A 12/94, JuS 1997, S. 949.

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stellen kann und inwieweit bei seiner Lösung zwingende Vorgaben des Verwaltungsorganisations- und des Verfassungsrechts zu berücksichtigen sind. Das Dritte und Vierte Kapitel sollen anschließend dazu dienen, die hierzu ergangene Rechtsprechung zu analysieren. Im Fünften bis Achten Kapitel wird dann näher untersucht, inwieweit und aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Verwaltungsträger selbst zum Schadensersatz verpflichtet sein kann, dessen Amtswalter fehlerhaft gehandelt hat; den Schwerpunkt der Untersuchung wird hier die Frage der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bilden und die Frage, inwieweit die allgemeinen staatshafiungsrechtlichen Schadensersatzansprüche, insbesondere § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung finden können. Abschließend ist im Neunten Kapitel zu klären, inwieweit der fehlerhaft handelnde Amtswalter persönlich vom geschädigten Verwaltungsträger in Anspruch genommen werden kann. c) Ist damit der Rahmen der Untersuchung gesteckt, muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß drei Aspekte des Verwaltungshaftungsrechts - trotz ihrer teilweise immensen praktischen Bedeutung - von vornherein nicht behandelt werden sollen24: Dies betrifft zunächst die Frage, welche Auswirkungen das Europäische Gemeinschaftsrecht auf das deutsche Verwaltungshaftungsrecht hat und inwiefern es ein Verwaltungshaftungsrecht zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Bundesrepublik Deutschland oder der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen Mitgliedstaaten gibt und geben kann oder inwieweit die Europäischen Gemeinschaften gegenüber ihren Mitgliedstaaten und den ihnen jeweils zugehörigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach Art. 215 EGV, Art. 188 EAGV, Art. 34 Abs. 1 Satz 3 und Art. 40 EGKSV zum Schadensersatz verpflichtet sein können. Es ist notwendig, erst die national-rechtlichen Grundlagen zu klären, bevor man sich die weitere Frage stellen kann, inwieweit etwaige europarechtliche Vorgaben oder Folgewirkungen in ein so erarbeitetes Haftungsregime integriert werden können25. Aus ähnlichen Gründen müssen diejenigen Fälle von der Untersu24

Soweit es auf Fragen der juristischen Methodenlehre ankommt, soll hier allein das von Larenz begründete und von Canaris fortgeführte Lehrbuch „Methodenlehre der Rechtswissenschaft" (3. Aufl. 1995) herangezogen werden. Hierfür hat weniger der Aspekt der „Richtigkeit" der dort vertretenen Ansichten den Ausschlag gegeben als der Umstand, daß dieses Werk einerseits in der Praxis am weitesten verbreitet ist und daß man andererseits bei rechtswissenschaftlichen Untersuchungen spezieller Themen nicht jedesmal Fragen der Methodenlehre, also Fragen der Grundlagen des juristischen Arbeitens überhaupt, neu diskutieren kann. 25 Ansätze hierzu bei Carl, Europäische Integration und bundesstaatlicher Finanzausgleich, NVwZ 1994, S. 948 f.; Heuer, in: Heuer (Begr.), Kommentar zum Haushaltsrecht (Stand Dezember 1997), Art. 104a GG Rn. 13; Hölscheidu Zwangsgelder gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nichtbeachtung von Urteilen des

Einleitung chung ausgenommen werden, in denen auf der Seite des Schädigers oder des Geschädigten Beliehene 26 , öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften 27, gemischtwirtschaftliche Unternehmen 28 und privatrechtsförmige Verwal29 tungsträger (etwa die Deutsche Bahn A G , die Nachfolgeunternehmen des ehemaligen Sondervermögens Deutsche Bundespost30 oder die vielerorts als Kapitalgesellschaft organisierten kommunalen Stadtwerke und Verkehrsbetriebe 31) beteiligt sind. Hier wären neben den erst noch zu erarbeitenden Grundlagen des Verwaltungshaftungsrechts eine Vielzahl oftmals sehr komplexer und detaillierter Fragen des Rechts der Beleihung und des Staatskirchenrechts, des Verwaltungsprivat- und des Verwaltungsgesellschaftsrechts zu Europäischen Gerichtshofs, BayVBl 1997, S. 463; Köpf er, Haftungsrisiko von Bediensteten beim fehlerhaften nationalen Vollzug von EU-kofinanzierten Förderungen, DVB1 1995, S. 449; Littwin, Die innerstaatliche Verteilung der Finanzierungslasten aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union, DVB1 1997, S. 155 ff; Magiern, Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, in: Wendt/Höfling/Karpen/Oldiges (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern Festschrift fur Karl Heinrich Friauf (1996), S. 13 ff.; Möge le, Fehlerhafte Ausgaben im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik, NJW 1987, S. 1118 ff. 26 Siehe zu solchen Fällen z. B.: RGZ 134, S. 311 ff. - „Notarhaftung Γ , siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151 f.); RGZ 144, S. 119 ff; BGH, NJW 1967, S. 930 f.; BGHZ 87, S. 253 ff. - „Zivildienstleistender Γ, siehe hierzu: 4. Kap. A m g (S. 208); BGH, NVwZ 1990, S. 1103 f.; BVerwG, DÖV 1995, S. 382 - „Zivildienstleistender ΠΙ", siehe hierzu: 4. Kap. A ΠΙ g (S. 208 ff); OLG Zweibrücken, VersR 1975, S. 842 ff. Vgl. zur Haftung von Beliehenen gegenüber dem Staat auch: BGH, NJW 1998, S. 298 ff; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen (1992), S. 163 ff; vgl. zur Haftung des Zivildienstleistenden und des Bundes gegenüber den (teilweise) privatrechtlich organisierten Beschäftigungsstellen: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208 ff.) und 9. Kap. Β ΠΙ c (S. 531 f.) m. w. N. 27 Siehe zu solchen Fällen ζ. Β.: OLG Düsseldorf, NJW 1969, S. 1350 ff ; BGHZ 34, S. 20 ff. 28 Siehe zu einem solchen Fall ζ. B.: BGHZ 134, S. 68 ff. 29 Vgl. aber zur Haftung der ehemaligen Bundesbahnbeamten, welche nach Art. 143a Abs. 1 Satz 3 GG bei der Deutsche Bahn AG beschäftigt sind, gegenüber diesem Unternehmen: § 1 Nr. 25 der Verordnung über die Zuständigkeit der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft für Entscheidungen in Angelegenheiten der zugewiesenen Beamten des Bundeseisenbahnvermögens (DBAGZustV) vom 1. Januar 1994 (BGBl I S. 53. Siehe hierzu auch: Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, Bundesbeamtengesetz (Stand September 1997), § 78 Rn. 30,46a. 30 Vgl. aber zur Haftung der ehemaligen Bundespostbeamten, welche nach Art. 143b Abs. 3 GG bei der Deutsche Post AG, der Deutsche Postbank AG oder der Deutsche Telekom AG beschäftigt sind, gegenüber diesen Unternehmen: § 7 Abs. 2 des Gesetzes zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost (PostPersRG), verkündet als Art. 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz - PTNeuOG) vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2325). Siehe hierzu auch: Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, BBG, § 78 Rn. 30, 46a. 31 Vgl. hierzu etwa: LG Hannover, DVB1 1970, S. 520 ff ; OLG Celle, Nds Rpfl 1971, S. 64 ff.

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berücksichtigen. Diese Sonderfälle zu behandeln, erscheint daher gleichermaßen erst dann als sinnvoll, wenn über die Grundfragen des Verwaltungshaftungsrechts zwischen „normalen" Verwaltungsträgern Einigkeit besteht andernfalls droht die Gefahr der Entwicklung mehr oder weniger fiktiver geschlossener Systeme, die für die Praxis letztlich unbrauchbar sind. Nicht behandelt werden soll schließlich auch die Frage, inwieweit juristische Personen des öffentlichen Rechts aufgrund solcher Vorschriften in Anspruch genommen werden können, nach deren Wortlaut zumindest sowohl Privatpersonen wie juristische Personen des öffentlichen Rechts passivlegitimiert, jedoch ausschließlich juristische Personen des öffentlichen Rechts aktivlegitimiert sein können, wie dies etwa bei den steuerlichen Haftungstatbeständen (vgl. ζ. B. § 10b Abs. 4 Satz 2 EStG, § 42 EStG) oder bestimmten sozialrechtlichen Schadensersatzpflichten (vgl. z.B. §321 SGBIII, § 28 e Abs. 2 und 3 SGB IV) der Fall ist. Auch diese Konstellationen in die Untersuchung mit einzubeziehen, würde bedeuteten, genauer den Regelungsinhalt und das Regelungsanliegen dieser speziellen Vorschriften untersuchen zu müssen, was den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde32. d) Schließlich ist der Gegenstand der Untersuchung auf solche Fälle zu beschränken, in denen der Schaden eines Verwaltungsträgers auf das Fehlverhalten des Amtswalters eines anderen Verwaltungsträgers zurückzuführen ist. Somit soll weder geprüft werden, ob juristischen Personen des öffentlichen Rechts wie Privatpersonen bei rechtmäßigem Handeln eines anderen Verwaltungsträgers Ansprüche aus Aufopferung, Enteignung oder Plangewährleistung zustehen können, noch ob sie bei fehlerhaften oder auch rechtmäßigen Maßnahmen ihrer eigenen Amtswalter u. U. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag 33 oder nach den Grundsätzen des Abwälzungsanspruchs34 gegenüber einem anderen Verwaltungsträger geltend machen können. Allerdings läßt sich an dieser Stelle noch nicht sagen, wann genau ein möglicherweise zu einer Verwaltungshaftung führendes Fehlverhalten eines Amtswalters vorliegt, da gerade die Haftungsnonnen, deren Anwendbarkeit und Reichweite im Verhältnis zwischen Verwaltungsträgern untersucht werden soll, das zur Haftung führende Fehlverhalten in unterschiedlicher Weise umschreiben. Darüber hinaus kann ebensowenig schon gesagt werden, wann ein zum Schadensersatz verpflichtendes Fehlverhalten gerade gegenüber dem geschädigten Verwaltungsträger vorliegt, weil sich auch dies teilweise eben 32

Vgl. aber zur Inanspruchnahme einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund eines steuerrechtlichen Haftungstatbestandes FG München, EFG 1997, S. 322. 33 Siehe zur Zulässigkeit der Geschäftsführung ohne Auftrag im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern: Schoch, Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, Jura 1994, S. 242 ff. 34 Siehe hierzu aber: 1. Kap. Β Π d (S. 70 ff.) und ΠΙ e (S.82 f.).

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nach den Haftungsnormen richtet, deren Anwendbarkeit erst noch untersucht werden soll. Trotzdem erlaubt dieses Merkmal, schon jetzt zwei verwandte Konstellationen aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungshaftungsrechts auszunehmen: Dies betrifft zunächst solche Fälle, in denen ein Verwaltungsträger die (finanziellen) Folgen des Fehlverhaltens eines Amtswalters eines anderen Verwaltungsträgers nur deshalb tragen muß, weil er im Wege der Rechtsnachfolge oder einer Zuständigkeitsübertragung an die Stelle des Dienstherrn/Arbeitgebers des Amtswalters tritt. Einschlägig sind hier allein die Vorschriften, welche die Rechtsnachfolge oder Zuständigkeitsübertragung regeln. Mit haftungsrechtlichen Fragen hat dies nichts zu tun: Beispiel Nr. 2 (nach RGZ 137, S. 133ff. [„Arbeitsamtseingliederung"]): Aufgrund des Arbeitsnachweisgesetzes vom 22. Juli 1922 (ANG) 35 und der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 16. Februar 1924 (ErwlFürsVo) 36 war das Arbeitsamt (Arbeitsnachweisamt) W errichtet worden. Träger dieses Arbeitsamtes waren drei bayerische Bezirke. Durch das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 192737 wurde die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung errichtet, in die am 1. Oktober 1928 gem. § 221 AVAVG auch das Arbeitsamt W eingegliedert wurde. Bis dahin hatte das Arbeitsamt W gem. § 222 AVAVG die Aufgaben durchgeführt, die nach diesem Gesetz den Gliedern der Reichsanstalt oblagen. Mit der Eingliederung waren auch nach § 244 Abs. 1 AVAVG die vereinnahmten Beitragsmittel abzuführen. Die Angestellten A und Κ des Arbeitsamts W hatten jedoch im Jahre 1926 von den ihnen amtlich anvertrauten, aus Beitragsmitteln stammenden Geldern insgesamt etwa 42.000,- RM unterschlagen. Die Reichsanstalt war der Ansicht, daß die Bezirke ihr die unterschlagenen Gelder ersetzen müßten, da sie erst durch ungenügende Beaufsichtigung der Angestellten die Unterschlagung ermöglicht hätten.

Das RG erklärte sich für unzuständig, soweit die Klage direkt auf § 244 AVAVG gestützt war. Insofern jedenfalls läge keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit i. S. d. § 13 GVG vor. Ein Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV wurde mit der Begründung abgelehnt, daß vor Inkrafttreten des AVAVG den Mitarbeitern des Arbeitsamts W keine Amtspflichten gegenüber der Reichsanstalt oblegen hätten, die zum Zeitpunkt der Schädigung im Jahre 1926 noch gar nicht errichtet war. Es ginge um eine Frage der Zuständigkeitsverlagerung. Welche Vermögenswerte aus Anlaß einer Zuständigkeitsübertragung übertragen werden sollten, richte sich nach öffentlichem Recht38. In solchen Fällen ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß zu den übertragenen Vermögenswerten auch Ansprüche aus § 78 BBG und den entsprechenden Vorschriften gegen die Amtswalter des ursprünglich 35 36 37 38

RGBl IS. 657. RGBl I S. 127. RGBl IS. 187. RGZ 137, S. 133 ff. (S. 137 ff.).

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zuständigen Verwaltungsträgers gehören39. Aber auch dann liegt nur ein Problem der Rechtsnachfolge und keines des Verwaltungshaftungsrechts vor: Zum Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung war der nunmehr geschädigte Verwaltungsträger von ihr noch gar nicht betroffen, seine Interessen waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu berücksichtigen. Ein Fehlverhalten gerade ihm gegenüber lag damals nicht vor. Kein Fehlverhalten gerade gegenüber einem anderen Verwaltungsträger und damit kein Problem des Verwaltungshaftungsrechts ist schließlich auch dann gegeben, wenn ein Verwaltungsträger einen anderen Verwaltungsträger aus Schadensersatzansprüchen in Anspruch nimmt, die von einem verletzten Dritten auf ihn übergegangen sind. In diesen Fällen steht nämlich nicht ein Fehlverhalten eines Verwaltungsträgers gegenüber einem anderen Verwaltungsträger in Frage, sondern ein Fehlverhalten des in Anspruch genommenen Verwaltungsträgers gegenüber einer Privatperson. Die hieraus erwachsenden Schadensersatzansprüche werden nur aus rechtstechnischen Gründen auf den anderen Verwaltungsträger übergeleitet. Eine solche Situation entsteht ζ. B., wenn ein Verwaltungsträger durch Verletzung seiner Arbeitgeberpflichten einen Sozialversicherungsträger dadurch schädigt, daß eine Leistungspflicht ausgelöst wird: Beispiel Nr. 3 (BGH, VersR 1968,305ff. [„Kabeltrommel"] 40): R war als Bauhelfer bei der Baufirma F angestellt und bei der Berufsgenossenschaft Β unfallversichert. F führte vor der Postreform laufend Hilfs- und Nebenarbeiten bei Kabelverlegungen für die Bundespost aus. Nach dem zugrundeliegenden Vertrag stellte F für die übernommenen Arbeiten Arbeiter zur Verfügung, die unter Zusammenarbeit mit Fachkräften der Bundespost nach deren fachlichen Weisungen arbeiteten, jedoch wurde kein Leiharbeitsverhältnis begründet. Am 13. November 1961 war R einem Fernmeldebautrupp zugeteilt, der unter Leitung des Bautruppführers Τ der Bundespost Fernmeldekabel verlegte. Τ erteilte R den Auftrag, eine bewickelte Kabeltrommel von etwa 2 t Gewicht vom Bauhof des Fernmeldezeugamtes mit einem zweiachsigen Tieflader zu holen. Der Tieflader hatte für diese Arbeiten die in den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) vorgesehene Seilwinde. Aufgrund einer Anweisung des T, die eine Amtspflichtverletzung darstellte, benutzte R diese jedoch nicht, sondern versuchte, die Kabeltrommel von Hand auf den Anhänger zu rollen. Dabei wurde er von der abrollenden Trommel niedergedrückt und schwer verletzt. Die Berufsgenossenschaft erbrachte für R erhebliche Versicherungsleistungen und verlangte die ihr hierdurch entstandenen Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung von der Bundespost erstattet, da die Beachtung der UVV auch eine Amtspflicht sei, welche die Berufsgenossenschaft schützen solle.

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Vgl. zu einem solchen Übergang: RGZ 151, S. 401 ff. (S. 404) - „Sparkasse Γ , siehe hierzu: 3. Kap. D I c (S. 161) und Π c (S. 166). Ein solcher Anspruchsübergang war dagegen nicht vorgesehen im Fall der Entscheidung BSGE 18, S. 293 ff. 40 Siehe hierzu: 9. Kap. A13 a (S. 485).

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Da die Bundespost nicht Mitglied der Berufsgenossenschaft war, kam ein Rückgriff nach §§ 903 ff. RVO a. F. 41 (entspricht § 110 ff. SGB VII) nicht in Betracht42. Ein eigener Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG 43 stand der Berufsgenossenschaft entgegen ihrem Vortrag schon deshalb nicht zu, weil die Beachtung der UVV keine Amtspflicht gegenüber der Berufsgenossenschaft, sondern nur gegenüber den von ihr betroffenen Arbeitnehmern darstellt 44. Der Bautruppführer hatte demnach nur gegenüber R eine Amtspflichtverletzung begangen. Somit stand R gegen die Bundespost ein Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG zu 45 . Dieser Anspruch war nach § 1542 a. F. RVO (jetzt § 116 SGB X) auf die Berufs genossenschaft übergeleitet worden, so daß sie aus abgeleitetem Recht die Bundespost in Anspruch nehmen konnte. Mit der Rechtslage im Beispiel Nr. 3 vergleichbar sind die in den § 102 ff. SGB X geregelten Erstattungsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern: Wie §107 Abs. 1 SGB X zeigt, stellen diese Ansprüche ebenfalls in gewisser Weise Ansprüche aus „übergeleiteten" Rechten des Sozialleistungsempfängers dar. Es geht bei den §§ 102 ff. SGB X um Fälle, in denen ein Leistungsträger Leistungen erbringt, für die er letztlich nicht zuständig ist. Anstatt daß nun die Ansprüche des Sozialleistungsempfängers gegen den eigentlich zuständigen Sozialleistungsträger auf den leistenden Sozialleistungsträger übergeleitet werden, begründen die § 102 ff. SGB X ein eigenständiges Erstattungssystem46. Mit der Haftung eines Verwaltungsträgers gegenüber anderen Verwaltungsträgern für ein Fehlverhalten seiner Amtswalter hat dieses Erstat41

In der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl IS. 779). BGH, VersR 1968, S. 305 ff (S. 306) unter Bezugnahme auf BGH, VersR 1964, S. 189 ff. 43 Art. 34 Satz 1 GG kam in Betracht, weil der BGH die Fernmeldetätigkeiten der Bundespost zur hoheitlichen Verwaltung rechnete. 44 BGH, VersR 1968, S. 305 ff (S. 306). 45 Der BGH sah dies allerdings damals anders: Wegen der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB sei ein Amtshaftungsanspruch ausgeschlossen, da ein Anspruch gegen die Berufsgenossenschaft bestand. Somit konnte der Klage nur stattgegeben werden, wenn der Berufsgenossenschaft ein Anspruch aus eigenem Recht gegen die Bundespost aus Amtspflichtverletzung wegen Nichtbeachtung der U W zustand, was der BGH verneinte, da - wie bereits angesprochen - die U W nicht dem Schutz der Unfallversicherung dienten. Nach heutiger Rechtsprechung des BGH wird aber die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr zu Lasten der Unfallversicherung angewendet, da diese - was § 116 SGB X zeigt - nicht die Aufgabe hat, endgültig auch Schäden aufzufangen, die ihren Grund in der unerlaubten Handlung eines Dritten haben (Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht [4. Aufl. 1991], § 7 1 b ee, S. 67 f. m. w. N). 46 Vgl. Eichenhofer, Dogmatik und Systematik öffentlich-rechtlicher Erstattungsansprüche und privatrechtlicher Regreßansprüche der Sozialleistungsträger, SGb 1989, S. 180; ders., Ausgleichsansprüche der Sozialleistungsträger, DVB1 1991, S. 80 ff 42

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tungssystem nicht zu tun 4 7 . Die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X sollen hier demnach ebenfalls nicht behandelt werden.

47 Α. A. anscheinend Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner/ Dengler/Konrad/Langer//Leisner/Lepsius/MöHe (Hrsg. ), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit? (1997), S. 275.

Erstes Kapitel

Verwaltungsorganisationsrechtlìche Vorgaben Bund, Länder, Gemeinden und alle übrigen juristische Personen des öffentlichen Rechts (im folgenden auch ungenau Hoheitsträger genannt) sind wie natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts rechtsfähig. Dies begründet die Fähigkeit, Zuordnungssubjekt bestimmter Vermögenswerte oder vermögenswerter Rechte zu sein. Als Vennögensträger ist jeder rechtsfähigen Person grundsätzlich das Risiko des Untergangs und der Verschlechterung dieser Rechte zugewiesen - casum sentit dominus. Schadensersatzansprüche verlagern entgegen diesem Grundsatz das Risiko des Untergangs und der Verschlechterung der Vermögenswerten Rechte vom Vermögensinhaber auf denjenigen, der den Schaden verursacht hat. Als Ausnahme von einem allgemein geltenden Prinzip bedürfen sie einer besonderen Rechtfertigung und können daher nicht ohne Berücksichtigung der rechtlichen Beziehungen begründet werden, in denen Schädiger und Geschädigter vor dem Schadensereignis standen1. Hieraus läßt sich ableiten, wer für das sich in der Schädigung verwirklichte Risiko die Verantwortung trägt und hierfür einstehen muß. Im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und den übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist insoweit das Verwaltungsorganisationsrecht beachten; dessen Aufgabe ist es u. a., das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Hoheitsträgern zu regeln2. Schadensersatzansprüche zwischen Hoheitsträgern können demnach nur zugelassen werden, wenn das Verwaltungsorganisationsrecht nicht entgegensteht. Daher ist es notwendig, die diesbezüglich relevanten verwaltungsorganisationsrechtlichen Vorgaben zu klären: Es muß zunächst untersucht werden, ob das Verwaltungorganisationsrecht Regeln gerade über die mit der Frage nach Schadensersatzansprüchen angesprochenen vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Hoheitsträgern enthält (A). Da besonders häufig die Frage nach Schadensersatzansprüchen in den Fällen gestellt wird, in denen die Schädigung darin gesehen wird, daß

1 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, (2. Aufl. 1996), Rn. 1 f.; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts - Π. Band: Besonderer Teil, 2. Halbband (13. Aufl. 1994, zit. im folgenden: Schuldrecht Π/2), § 75 12 a, S. 351. 2 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht Π (4. Aufl. 1976, zit. im folgenden: VerwR Π), §71 IV b 2, S. 12.

zu

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Mittel nicht zweckentsprechend oder unwirtschaftlich ausgegeben worden sind, die einem Hoheitsträger von einem anderen Hoheitsträger zweckgebunden zur Verfügung gestellt worden sind, bedürfen die hier zu berücksichtigenden verwaltungsorganisatorischen Vorgaben besonderer Untersuchung (B).

Λ. Grundzüge des verwaltungsorganisationsrechtlichen Vermögensrechts Als verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht sollen die Regeln bezeichnet werden, welche die vermögensrechtlichen, insbesondere die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und den übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ordnen. Zunächst muß untersucht werden, in welchem Verhältnis das Vermögen verschiedener Hoheitsträger bei Fehlen ausdrücklicher Vorschriften untereinander steht (I), bevor geklärt werden kann, aus welchen Rechtssätzen sich von diesen Grundsätzen abweichende Aussagen über die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen einzelnen Hoheitsträgern ergeben können und welcher Art diese Beziehungen im einzelnen sein können (II). I. Der Grundsatz der Zweckbindung des Verwaltungsvermögens a) Hoheitsträger dürfen nur im Rahmen ihrer Wahrnehmungsbefugnisse und Kompetenzen handeln, die ihnen durch Verfassung oder Gesetz zugewiesen sind; sie sind keine Grundrechtsträger 3. Ihnen steht damit auch keine Privatautonomie zu - auch nicht, wenn sie nicht von öffentlich-rechtlichen, sondern privatrechtlichen Handlungsformen Gebrauch machen. Hierdurch dürfen die Zuständigkeitsordnung und das Haushaltsrecht nicht umgangen werden4. Jede Zuweisung einer Zuständigkeit enthält damit eine Ermächtigung und eine Beschränkung: Die Ermächtigung, eine bestimmte Funktion zu erfüllen, und die Beschränkung auf eben diese Funktion5. Hoheitsträger dürfen deshalb ihr 3

Siehe zu diesem Problemkreis nur: Bleckmann, Staatsrecht Π - Die Grundrechte (4. Aufl. 1997), § 9 Rn. 26 ff., der mit überzeugenden Argumenten der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. insbes. die Sasbach-Entscheidung BVerfGE 61, S. 82 ff. [S. 100 ff.] m. w. N.) folgt. 4 Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (10. Aufl. 1995, zit. im folgenden: Allg. VerwR), § 2 Rn. 75 ff; Maurer, Allg. VerwR, § 3 Rn. 9; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1(10. Aufl. 1994, zit. im folgenden: VerwR I), § 23 Rn. 15. 5 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts - Erster Band: Allgemeiner Teil (10. Aufl. 1973, zit. im folgenden: VerwR I) § 23 c, S. 450.

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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Vermögen nicht zu jedem beliebigen Zweck einsetzen - sondern nur fur Zwecke, für die der betreffende Hoheitsträger selbst die Wahrnehmungszuständigkeit hat6. Dies bedeutet umgekehrt, daß jede fehlerhafte Verwendung der Mittel eines Hoheitsträgers als Schädigung dieses Hoheitsträgers anzusehen ist: Da nach dem Haushaltsgrundsatz der Sicherung stetiger Aufgabenerfüllung Hoheitsträger Ausgaben im Haushaltsplan nur für diejenigen Aufgaben veranschlagen dürfen, für die sie Wahrnehmungszuständigkeit besitzen7, sind umgekehrt Ausgaben, die entgegen dieser Wahrnehmungszuständigkeit getätigt werden, regelmäßig in deren Haushaltsplan nicht vorgesehen. Wenn aber bestimmte Titel in einen Haushaltsplan aufgenommen werden, sollen hiermit spezifische Ziele finanziell ermöglicht werden. Da nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, bedeutet diese Entscheidung auch immer eine Entscheidung darüber, welche Ziele nicht gefordert werden sollen. Eine fehlerhafte Mittelverwendung führt deshalb dazu, daß für die eigentlich als forderungswürdig erachteten Ziele keine oder nicht mehr ausreichende Mittel zur Verfügung stehen8. Hierin liegt die Schädigung. Eine solche als Schädigung anzusehende fehlerhafte Mittelverwendung kann darin bestehen, daß die Mittel für Zwecke verwendet werden, die nicht ihrer Zweckbestimmung entsprechen, oder, daß (unter Beachtung der Zweckbindung der bereitgestellten Mittel) gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung verstoßen wird 9, also Mittel ausgegeben werden, die bei angemessener Sorgfalt auch hätten eingespart werden können10. b) Wenn gesagt wurde, daß jeder Hoheitsträger nur dann die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben finanzieren darf, wenn er hierfür zuständig ist, so bedeutet dies nicht, daß es hierzu in jedem Fall einer ausdrücklichen Finanzierungsermächtigung bedürfte. Eine ausdrückliche Zuweisung von Finanzie6 Wegen dieser vom Privatvermögen verschiedenen Funktion des Vennögens juristischer Personen des öffentlichen Rechts schützt Art. 14 GG nach der Sasbach-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 61, S. 82 ff. [S. 108 f.]) nicht das Privateigentum schlechthin, sondern das Eigentum Privater. Auch die Bildung von Vermögen der öffentlichen Hand unterliegt einer solchen Zweckbeschränkung: Der Vermögenserwerb muß erforderlich sein, um öffentliche Aufgaben zu erfüllen (Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht [2. Aufl. 1986, zit. im folgenden: Allg. VerwR], § 15 Rn. 34). 7 Grupp, Haushaltsrecht, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht - Band Π: Kommunal-, Haushalts-, Abgaben-, Ordnungs-, Sozialrecht (1992, zit. im folgenden: Bes. VerwR Π), Kap. 6/1 Rn. 34. 8 Vgl. Grupp, in: Achterberg/Püttner, Bes. VerwR Π, Kap. 6/1, Rn. 91; Heuer, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 34 BHO, Rn. 1. 9 Vgl. § 7 Abs. 1 BHO/LHO und § 6 Abs. 1 HGrG. 10 Siehe hierzu, vor allem zum Verfassungsrang des Grundsatzes: Grupp, in: Achterberg/Püttner, Bes. VerwR Π, Kap. 6/1 Rn. 26 ff.; Kisker, Staatshaushalt, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts - Band IV: Finanzverfassung, Bundesstaatliche Ordnung (1990; zit. im folgenden: HdbStR IV), § 89 Rn. 111 f.

3 Stelkens

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

rungszuständigkeiten ist grundsätzlich nicht erforderlich, um einen Hoheitsträger zu ermächtigen, die Kosten zu tragen, die unmittelbar bei ihm anfallen, die ihm unmittelbar selbst dadurch entstehen, daß er ihm zugewiesene Aufgaben wahrnimmt. Die Befugnis, sein Vermögen jedenfalls zu diesen Zwecken einzusetzen, ergibt sich aus der Annahme, daß, wenn einem Hoheitsträger eine bestimmte Wahrnehmungszuständigkeit zugewiesen ist, hierin implizit die Verpflichtung (und die Ermächtigung) enthalten ist, die sich daraus ergebenden Kosten zu tragen11. Einen Hoheitsträger zum Schadensersatz zu verpflichten bedeutet also, ihm die Zuständigkeit zur Schadensbeseitigung (nicht zur Schädigung) zuzuweisen. Umgekehrt heißt dies, daß die Begründung einer Schadensersatzpflicht zu Lasten eines Hoheitsträgers eine Erweiterung des Kreises seiner Zuständigkeiten bedeutet, nämlich eben um eine Zuständigkeit zur Schadensbeseitigung. Wird Naturalrestitution geschuldet, wird dem schädigenden Hoheitsträger letztlich eine Verwaltungszuständigkeit zugewiesen, die ihn zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes ermächtigt. Kann nur Geldersatz verlangt werden, wird dem schädigenden Hoheitsträger (nur) eine Finanzierungszuständigkeit zugewiesen. Besteht demgegenüber keine zur Schadensersatzleistung ermächtigende Zuständigkeit, darf der schädigende Hoheitsträger keinen Schadensersatz leisten: Der Staat darf keine Geschenke machen12. c) Die beschränkende Funktion der Zuständigkeitsordnung entfaltet sich nicht nur gegenüber dem Bürger, sondern auch zwischen den einzelnen Hoheitsträgern. Eine Behörde darf weder die Zuständigkeit einer anderen Behörde an sich ziehen noch ihre Zuständigkeit auf eine andere Behörde übertragen 13. Dies schließt natürlich nicht aus, daß zwischen verschiedenen Hoheitsträgern besondere öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsbeziehungen bestehen. Diese müssen aber mit den Wahrnehmungszuständigkeiten beider Hoheitsträger vereinbar sein. Unter diesem Blickwinkel sind auch Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern zu sehen: Da Hoheitsträger ohne besondere Ermächtigung nach dem oben Gesagten nur solche Ausgabenfinanzieren dürfen, die ihnen bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben unmittelbar selbst entstehen, ist die Finanzierung der Aufgaben eines anderen Hoheitsträgers nur zulässig, wenn einerseits der leistende Hoheitsträger eine entsprechende Finanzierungszuständigkeit hat und andererseits der empfangende Hoheitsträger berechtigt ist, sich die Erfüllung ihm obliegender Auf-

11 Vgl. F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgaben und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen? - Gutachten D zum 61. Deutschen Juristentag Karlsruhe 1996 (1996), S. D26f. 12 Woljf/Bachof/Stober, VerwR I, § 30 Rn. 9. 13 Forsthoff, VerwR I, § 23 c, S. 451.

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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gaben vom leistenden Hoheitsträger finanzieren zu lassen. Dieser Grundsatz soll als Konnexitätsprinzip i. e. S. bezeichnet werden14. Er besagt, daß die Ausgabelast den Verwaltungszuständigkeiten und sonstigen unmittelbar kostenverursachenden Zuständigkeiten folgt, wenn nichts anderes geregelt ist 15 . So verstanden ist das Konnexitätsprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Verwaltungsorganisationsrechts anerkannt16 und in einigen wichtigen Fällen auch spezialgesetzlich festgeschrieben: So ordnen ζ. B. § 30 Abs. 1 SGBIV und § 370 Abs. 1 Satz 2 SGB III für das Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträgern untereinander und zu sonstigen Hoheitsträgern in Umschreibung des Konnexitätsprinzips i. e. S. an, daß Sozialversicherungsträger ihre Mittel nur für die ihnen gesetzlich vorgeschriebenen oder gestatteten Aufgaben verwenden dürfen Art. 104a Abs. 1 GG schließt die Finanzierung von Bundesaufgaben durch die Länder und von Landesaufgaben durch den Bund grundsätzlich aus; Bund und Länder tragen hiernach gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Mit Aufgaben i. S. d. Art. 104a Abs. 1 GG sind die unmittelbar kostenverursachenden Funktionen, also die (gesetzesakzessorischen und gesetzesfreien) Verwaltungsaufgaben und der Vorgang der Gesetzgebung und Rechtsprechung als solcher gemeint17. Damit stattet Art. 104a Abs. 1 GG das Konnexitätsprinzip i. e. S. im Verhältnis zwischen Bund und Ländern mit Verfassungsrang aus18. Die Vorschrift formuliert ein Gebot, die 14

Im Gegensatz hierzu steht das Konnexitätsprinzip i. w. S., auf das später eingegangen wird (siehe hierzu: 1. Kap. A I d [S. 36 f.]). F. Kirchhof bezeichnet das Konnexitätsprinzip i. e. S. als Prinzip der Ausgabenlastverteilung nach der Vollzugskausalität (Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 15). 15 Dies bedeutet, daß jedenfalls bei Fehlen anderweitiger Vorschriften das Konnexitätsprinzip i. e. S. tatsächlich eine „natürliche" Regel der Lastenverteilung ist. Die Frage, ob es gerecht ist, nichts anderes zu regeln und es beim Konnexitätsprinzip i. e. S. zu belassen, ist hiervon zu trennen (anders F. Kirchhof, Empfehlen sich Maßnahmen, S. D. 59 f.). 16 So bezeichnet das BVerfG (BVerfGE 26, S. 339 ff. [S. 390]) das Konnexitätsprinzip als allgemeinen Verfassungsgrundsatz. Siehe auch in bezug auf das BundLänder-Verhältnis vor der Finanzreform 1969: G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 111 f.; Viaion, Haushaltsrecht (2. Aufl. 1959), Art. 106 GG Anm. 19. 17 Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar Band 3: Art. 70 bis Art. 146 (3. Aufl. 1996), Art. 104a Rn. 4; Franz Klein, Grundlagen des staatlichen Finanzrechts (Finanzverfassungsrecht), in: Franz Klein (Hrsg.), öffentliches Finanzrecht (2. Aufl. 1993), I Rn. 12; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland - Band Π: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung (1980, zit. im folgenden: StR Π), § 47 Π 2, S. 1138; Vogel/ P. Kirchhof in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz/Bonner Kommentar (Stand Januar 1998, zit. im folgenden: BK-Bearb\ Art. 104a (Bearbeitung 1971) Rn. 54 ff. Siehe auch: Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland (1997), S. 67 ff. 18 F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D. 15. *

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Ausgaben im Bereich der eigenen Wahrnehmungszuständigkeiten zu tragen, und ein Verbot, Aufgaben der jeweiligen „Gegenseite" zu finanzieren 19. Dieser Grundsatz gilt unmittelbar auch gegenüber bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf der einen und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf der anderen Seite: Das Grundgesetz verteilt Aufgaben und Finanzierungszuständigkeiten nur zwischen Bund und Ländern; es geht von einer Zweistufigkeit des Staatsaufbaus aus. Die Kommunen, wie alle anderen landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, werden daher als Teile der Länder, bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts als Teile des Bundes betrachtet20. Eine Ausnahme bilden insoweit nur die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger: Aus Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ergibt sich, daß siefinanzverfassungsrechtlich ähnlich wie bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts zu behandeln sind - was an anderer Stelle genauer darzulegen ist 21 . d) Wird das Konnexitätsprinzip i. e. S. streng durchgehalten, bedeutet dies, daß ein Hoheitsträger auch die Kosten tragen muß, die ihm unmittelbar dadurch entstehen, daß er bestimmte Aufgaben im (alleinigen) Interesse oder nach Weisung eines anderen Hoheitsträgers erfüllen muß. Das Konnexitätsprinzip i. e. S. weist somit etwa bei Auftragsverwaltung die Ausgaben, die dem beauftragten Hoheitsträger entstehen, diesem und nicht dem beauftragenden Hoheitsträger zu. Da hier aber der Träger der ausführenden Verwaltung und der Hoheitsträger auseinanderfallen, der die „eigentliche" (politische) Verantwortung für die ausführende Verwaltung trägt, wird diese Folge des Konnexitätsprinzips i. e. S. oftmals als unbillig empfunden. Daher ist versucht worden, es durch ein Konnexitätsprinzip i. w. S. zu ergänzen, das die Lasten zwischen dem aufgabenwahrnehmenden und dem weisungsberechtigten Hoheitsträger „gerechter" verteilen soll. Insofern wird verlangt, daß jeder Hoheitsträger die Ausgaben tragen müsse, die er (bei sich oder bei anderen Hoheitsträgern) veranlaßt. So soll etwa der weisungsberechtigte Hoheitsträger, ohne daß ihm diesbezüglich ausdrücklich die Ausgabenlast zugewiesen werden müßte, entgegen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. verpflichtet sein, die dem aufgabenwahrnehmenden Hoheitsträger entstehenden Kosten zu übernehmen22. In der Rechtsprechung und Verfassungswirklichkeit ist ein solches 19

Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz (1996), Art. 104a Rn. 12. Siehe nur: Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I. Rn. 75 ff; Schoch/ Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben (1995), S. 136 ff. 21 Siehe hierzu: 7. Kap. D I (S. 392 ff.). 22 In der Literatur zum Konnexitätsprinzip wird allerdings nicht zwischen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. und dem Konnexitätsprinzip i. w. S. unterschieden, sondern mit Hilfe des „Aufgabenbegriffs" argumentiert, was dazu führt, daß unterschiedliche 20

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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Konnexitätsprinzip i. w. S. jedoch niemals als verfassungsrechtlich verbindlich anerkannt worden. Es sind vielmehr etwa bei Auftragsverwaltung - aber auch bei Organleihe oder ähnlichen Verwaltungsorganisationsformen - die unterschiedlichsten Finanzierungssysteme vorgesehen23: Diese reichen von einer vollständigen Kostentragungspflicht des aufgabenwahrnehmenden Hoheitsträgers, die (teilweise oder auch gar nicht) durch allgemeine Finanzzuweisungen ausgeglichen wird, bis zu einer Aufteilung der Kosten nach Quoten oder Art der Ausgaben oder - wie etwa bei Auftragsverwaltung im Bund-Länder-Verhältnis (Art. 104a Abs. 2 GG) - auch einer vollständigen Kostentragungspflicht des weisungsberechtigten Hoheitsträgers. e) Gerade weil das Konnexitätsprinzip i. w. S. nur eine rechtspolitische Forderung ist und bisher nicht als verfassungsrechtlich verbindlich anerkannt wurde, die bloße Veranlassung von Ausgaben diese also nicht automatisch dem Veranlasser zuweist, läßt sich auf der Grundlage des bisher Gesagten bereits jetzt feststellen, daß die Gewährung eines Schadensersatzanspruches zwischen Hoheitsträgern die Anordnung einer Zuständigkeitsverlagerung bedeutet: Schadensersatzansprüche sollen einen Vermögensverlust ausgleichen. Schadensbeseitigung zielt damit konkret auf Veränderung des Ist-Bestandes des Vermögens des Geschädigten ab. Hierzu ist grundsätzlich allein der Vermögensinhaber wahrnehmungsbefugt. Dies ist zwar nirgendwo ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber aus dem oben geschilderten Grundsatz der Zweckbindung des Verwaltungsvermögens: Wenn das Vermögen eines Hoheitsträgers ausschließlich der Finanzierung der Aufgaben gerade dieses Hoheitsträgers dient, muß es auch Aufgabe dieses Hoheitsträgers sein, sein Vermögen so

Folgerungen aus dem Konnexitätsprinzip gezogen werden und letztlich oft nur das politisch Gewünschte unter Bezugnahme auf das Konnexitätsprinzip umschrieben wird (so Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform piss. jur. 1974], S. 45; siehe auch: Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis [1968], S. 21 f.; F. Kirchhof, Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 15). Ein Beispiel hierfür bildet die Umschreibung des Konnexitätsprinzips bei Schoch/Wieland (Finanzierungsverantwortung, S. 38 ff.) und die Diskussion zu der Frage, ob das Konnexitätsprinzip außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 104a Abs. 1 GG zwingend ist, ob es letztlich also verfassungsrechtlichen Charakter hat und somit anders lautenden einfachgesetzlichen (oder auch landesverfassungsrechtlichen) Regelungen ζ. B. im Verhältnis zwischen Land und Gemeinde entgegensteht. In diese Richtung: Schajfarzik, Die Finanzierungsverantwortung des Staates für die Pflichtaufgaben der Kommunen, KStZ 1996, S. 166; Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts (1991), Rn. 22 f.; Waechter, Kommunalrecht (3. Aufl. 1997), Rn. 230. Gegen eine zwingende Geltung des Konnexitätsprinzips außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 104a Abs. 1 GG: von Arnim, Finanzzuständigkeit, in: Isensee/ P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 31 f.; Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 77 ff.; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe (1992), S. 286 ff. 23 Siehe hierzu auch: 7. Kap. A 1 1 e (S. 361 ft:).

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1. Kap. : Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

zu verwalten, daß die Finanzierung ihm obliegender Wahrnehmungszuständigkeiten gewährleistet ist: Er hat damit darüber zu entscheiden, ob und wann beschädigte Vermögensgegenstände zu ersetzen, neue Einnahmequellen zu erschließen und Einsparungsmöglichkeiten bei nicht unbedingt notwendigen Ausgaben zu suchen sind. Nach dem Konnexitätsprinzip i. e. S. hat er damit auch grundsätzlich die unmittelbar durch die Vermögensverwaltung entstehenden Ausgaben zu tragen - etwa die Kosten einer Reparatur. Verpflichtet ein Schadensersatzanspruch nun zum Schadensersatz in Geld, wird hiermit entgegen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. die Ausgabelast bezüglich der durch die Schädigung entstandenen Kosten vom Geschädigten auf den Schädiger verlagert. Verpflichtet ein Schadensersatzanspruch einen anderen Hoheitsträger sogar zur Naturalrestitution, bedeutet dies letztlich, dem zum Schadensersatz verpflichteten Hoheitsträger teilweise die „Vermögensverwaltungszuständigkeit" des geschädigten Hoheitsträgers zu übertragen (etwa wenn er verpflichtet würde, ein Gebäude zu errichten, das allein der Aufgabenerfüllung des Geschädigten dienen soll, was er ohne Schadensersatzpflicht nicht dürfte) und ihm damit - entsprechend dem Konnexitätsprinzip i. e. S. - auch die hiermit verbundene Ausgabenlast zuzuweisen. f) Aus dem Grundsatz der Zweckbindung des Verwaltungsvermögens lassen sich aber noch weitere Folgerungen ziehen, die gerade auch bezüglich der Frage nach Schadensersatzansprüchen zwischen Hoheitsträgern von Bedeutung sind. Dieser Grundsatz läßt nämlich einen Umkehrschluß zu: Es besteht nicht nur die Pflicht eines Hoheitsträgers, seine Mittel nur zur Erfüllung ihm zugewiesener Aufgaben zu verwenden. Das Verwaltungsorganisationsrecht muß umgekehrt auch sicherstellen, daß jeder Hoheitsträger jederzeit über so viele Mittel verfügt, daß er seine ihm zugewiesenen Aufgaben auch tatsächlich erfüllen kann, er also leistungsfähig ist und bleibt24. Mit der Möglichkeit, einem bestimmten Hoheitsträger bestimmte Aufgaben zur Erledigung zu übertragen, korrespondiert also die Pflicht, diesem Hoheitsträger die Einnahmen zuzuweisen, die er zur Erfüllung dieser Aufgaben benötigt, ihn also mit einer angemessenen Finanzausstattung zu versehen. Um dies zu gewährleisten, muß das Verwaltungsorganisationsrecht auch Instrumentarien bereithalten, die sicherstellen, daß - unabhängig von ihrer Ursache - Vermögensverluste eines Hoheitsträgers nicht zur Folge haben, daß er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Dem wird regelmäßig schon dadurch Rechnung getragen, daß fast alle Hoheitsträger die Befugnis haben, innerhalb eines gewissen Rahmens sowohl den Umfang der von ihnen tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben zu 24

Bieback, Die Garantiehaftung des Bundes für die Sozialversicherung, VSSR 1993, S. 23; Erichsen/Scherzberg, Verfassungsrechtliche Determinanten staatlicher Hochschulpolitik, NVwZ 1990, S. 15 ff.; F. Kirchhof Schuldübergang und Haftung bei der Privatisierung der Postunternehmen, NVwZ 1994, S. 1042 f m. w. N.; ders., Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 91.

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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bestimmen als auch die Art und Weise ihrer Erledigung. Daneben tritt oft auch ein gewisser Einfluß auf die Höhe der ihnen zustehenden Einnahmen. Deshalb können Vermögensverluste eines bestimmten Hoheitsträgers meist durch Einsparen freiwilliger Leistungen oder durch Erhöhung ihm zustehender Abgaben aufgefangen werden. Ist der betreffende Hoheitsträger wie Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger und Rundfunkanstalten an ein Finanzausgleichssystem angeschlossen, kann ein bestimmter Vermögensverlust auch gleichsam „sozialisiert" werden: Eine besondere finanzielle Belastung eines Hoheitsträgers wirkt sich hier mittelbar auch auf andere Hoheitsträger aus, da sie in die Berechnung des Finanzausgleichs mit einfließt - so daß sie dort auch versickern kann. Gewährleisten diese regulären Instrumentarien ausnahmsweise einmal nicht, daß dem belasteten Hoheitsträger Mittel im ausreichenden Umfang zur Verfügung stehen, werden durch das (nicht nur für Anstalten geltende) allgemeine Institut der Anstaltslast andere Hoheitsträger zur Hilfe und Unterstützung in die Pflicht genommen, indem bestehende Finanzierungszuständigkeiten zwischen dem in Not geratenen Hoheitsträger und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts intensiviert werden: Adressat der Anstaltslast kann dementsprechend entweder der jeweils „nächsthöhere" Hoheitsträger sein oder auch die „Solidargemeinschaft" durch einen Finanzausgleich verbundener Hoheitsträger: Anerkannt wurde dieser Grundsatz u. a. vom BVerfG in seinem Urteil vom 27. Mai 199225 zur Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlandes. Wenn ein Glied der bundesstaatlichen Gemeinschaft - sei es der Bund, sei es ein Land - in eine Haushaltsnotlage gerät, die seine Fähigkeit zur Erfüllung ihm verfassungsrechtlich zugewiesener Aufgaben in Frage stellt und aus der es sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann, erwächst aus der bundesstaatlichen Solidargemeinschaft und dem bündischen Prinzip des Einstehenmüssens füreinander die Pflicht, den in Not geratenen Teil durch abgestimmte finanzielle Maßnahmen wieder in die Lage zu versetzen, seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen 26. Der Grundgedanke dieses Urteils läßt sich auch auf Fälle der extremen Haushaltsnotlage bei Hoheitsträgern ohne Staatsqualität übertragen. Vergleichbares wird ζ. B. in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Sozialversicherungsträgern und zwischen Sozialversicherungsträgern untereinander angenommen27, und mit ähnlicher Argumentation läßt sich auch die Verpflichtung eines Landes begründen, eine Gemeinde, die in eine Haushaltsnotlage geraten ist, wieder in den Stand zu versetzen, ihre Aufgaben zu erfüllen (vgl. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG). Nichts anderes gilt grundsätzlich auch gegenüber denjenigen juristischen Personen 25 26 27

BVerfGE 86, S. 148 ff. BVerfGE 86, S. 148 ff (S. 264 f.). Bieback,, VSSR 1993, S. 17 f.

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

des öffentlichen Rechts, die regulär keinen Anspruch auf Finanzzuweisungen anderer Hoheitsträger haben, wie die öffentlich-rechtlichen Berufsveibände und Genossenschaften, die sich grundsätzlich allein aus Beiträgen ihrer Mitglieder finanzieren, und solche Anstalten wie die Bundesbank, die Sparkassen und die öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten, deren Einnahmen regelmäßig allein aus den bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung anfallenden Gewinnen stammen. Auch solchen juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird man in einer akuten Haushaltsnotlage, aus der sie sich selbst nicht befreien können, einen Anspruch auf außerordentliche Finanzzuweisungen des Bundes bzw. des Landes, dem sie zugehören, zubilligen müssen28. Dem entspricht, daß sich das Institut der Anstaltslast letztlich aus dem Sparkassenrecht entwickelt hat29. g) Gerade das Institut der Anstaltslast zeigt, daß im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern - wirtschaftlich gesehen - der Grundsatz „casum sentit dominus" nur eingeschränkt, nur auf einer primären Ebene gilt: Anders als Privatpersonen, die das Risiko des Untergangs und der Verschlechterung ihrer Vermögenswerten Rechte allein tragen, wenn gesetzlich nichts anderes (etwa in Form von Schadensersatzansprüchen) bestimmt ist, besteht für einen Hoheitsträger immer die Möglichkeit, die durch eine Schädigung verursachten Kosten - wenn sie nicht auf andere Weise ersetzt werden - teilweise auf andere Hoheitsträger und damit auf die Allgemeinheit der Abgabenzahler abzuwälzen, soweit anders die Erfüllung seiner Aufgaben nicht sichergestellt werden kann. Dies hat umgekehrt zur Folge, daß Schadensersatzansprüchen zwischen Hoheitsträgern eine regelrechte Schadensausgleichsfünktion nur eingeschränkt, ebenfalls nur auf einer primären Ebene zukommt: Auch ein zum Schadensersatz verpflichteter Hoheitsträger kann die ihm hierdurch entstehenden Kosten teilweise auf andere Hoheitsträger abwälzen. Die Trennung der Vermögensmassen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts untereinander ist also trotz grundsätzlicher Geltung des Konnexitätsprinzips i. e. S. weit weniger streng als zwischen Privatpersonen untereinander oder zwischen Privatpersonen einerseits und Hoheitsträgern andererseits30. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß sich aus dem Institut der Anstaltslast keine Garantie des Fortbestands und der Erhaltung einer konkreten juristischen Person des öffentlichen Rechts ergibt 31 - der Staat kann lei28

Zur Zulässigkeit solcher außerordentlichen Finanzzuweisungen siehe: 1. Kap. A Π 2 e (S. 57 f.). 29 Siehe hierzu Oebhecke, Die Anstaltslast - Rechtspflicht oder politische Maxime?, DVB1 1981, S. 960 ff. 30 So schon Strickrodt, Zur Amtshaftung zwischen Staat und Gemeinden, RVB1 1935, S. 990 f. 31 So wird das Institut der Anstaltslast anscheinend von Oebbecke verstanden (DVB1 1981, S. 964 f.).

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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stungsunfahige Verwaltungsträger grundsätzlich auflösen oder eine Entlastung dadurch bewirken, daß der betreffende Verwaltungsträger von bestimmten ihm zugewiesenen Aufgaben entbunden wird. So hat das BVerfG in seinem bereits erwähnten Urteil zum Bundesfinanzausgleich auch auf die Möglichkeit der Länderneugliederung nach Art. 29 GG hingewiesen32, um die Haushaltsnotlage eines Landes zu beseitigen. Ähnliche Instrumentarien sind auch bei notleidenden Sozialversicherungsträgern vorgesehen33, und allgemein anerkannt ist auch die Befugnis eines Landes, seine Kommunen neu zu gliedern, wenn sich herausstellt, daß einzelne Gemeinden oder Gemeindeverbände nicht mehr leistungsfähig sind34. II. Zulässigkeit und Ausgestaltung von Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern Aus dem Konnexitätsprinzip i. e. S. folgt nur, daß Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern (konstruktiv) die Ausnahme und nicht die Regel sind und sie sich daher auf eine besondere Rechtsgrundlage zurückfuhren lassen müssen. Das Konnexitätsprinzip i. e. S. sagt dagegen nichts zu der Frage, wann eine solche Rechtsgrundlage besteht. Insofern wurde gesagt, daß Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern nur zulässig sind, wenn einerseits der leistende Hoheitsträger eine entsprechende Finanzierungszuständigkeit besitzt und andererseits der empfangende Hoheitsträger zur Entgegennahme der Zahlung des leistenden Hoheitsträgers ermächtigt ist. Damit ist aber noch offen, welchen Vorschriften solche Ermächtigungen zu entnehmen sind. Insofern müssen erst die verschiedenen Arten von Finanzierungszuständigkeiten und ihre technische Umsetzung dargestellt werden. Anschließend ist zu untersuchen, aus welchen Rechtssätzen sich solche Finanzierungszuständigkeiten ergeben können. 1. Ausgestaltung der vom Konnexitätsprinzip /. e. S. abweichenden Finanzierungszuständigkeiten

a) Finanzierungszuständigkeiten können zunächst hinsichtlich ihrer Verpflichtungswirkung unterschiedlich ausgestaltet sein: So bestehen einerseits Finanzierungszuständigkeiten, die den leistenden Hoheitsträger lediglich ermächtigen, dem empfangenden Hoheitsträger bestimmte Mittel zur Verfugung 32

BVerfGE 86, S. 148 ff. (S. 264 f.). Bieback, VSSR 1993, S. 35. 34 Siehe nur Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland (3. Aufl. 1996), § 7 Π 1 a bb, S. 64 f. 33

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

zu stellen. Solche Zuständigkeiten sollen hier als Finanzierungsbefugnisse bezeichnet werden. Dem stehen Finanzierungszuständigkeiten gegenüber, die einen Hoheitsträger zu bestimmten Zahlungen an einen anderen Hoheitsträger verpflichten 35. Solche Finanzierungspflichten begründen anerkanntermaßen auch einen (gerichtlich durchsetzbaren) Anspruch des begünstigten Hoheitsträgers. Er kann also von dem zur Finanzierung verpflichteten Hoheitsträger unmittelbar Zahlung verlangen36. Hinsichtlich der Zweckbindung der von einer vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichenden Finanzierungszuständigkeiten kann zwischen solchen unterschieden werden, die zu allgemeinen, und solchen, die zu zweckgebundenden Finanzzuweisungen ermächtigen. Wird zu allgemeinen Finanzzuweisungen ermächtigt, ist der Verwendungszweck der geleisteten Mittel nicht definiert. Sie gehen in den Haushalt des empfangenden Hoheitsträgers auf, ohne daß dem leistenden Hoheitsträger Rechenschaft über die konkrete Verwendung der Mittel abgelegt werden müßte - der empfangende Hoheitsträger entscheidet allein darüber, für welche seiner Aufgaben er diese Mittel ausgeben will. Nicht anders als bei strenger Geltung des Konnexitätsprinzips i. e. S. bleiben also Aufgabenzuständigkeit und Ausgabenzuständigkeit in einer Hand37. Zu allgemeinen Finanzzuweisungen ermächtigen zunächst alle Finanzausgleichsysteme des Bundes- und des Landesrechts. Maßgeblich ist hier der Finanzbedarf der einzelnen an ihm beteiligten Hoheitsträger schlechthin, ohne Rücksicht darauf, wie der Finanzbedarf entstanden ist. Zu allgemeinen Finanzzuweisungen ermächtigen aber auch alle diejenigen Zuständigkeiten, welche die Leistung bestimmter Mittel an einen konkreten Anlaß knüpfen, ohne daß die spätere Verwendung der erhaltenen Mittel einen Bezug zu diesem Anlaß haben muß: Dies sind vor allem Vorschriften des Sonderlastenausgleichs zwischen Hoheitsträgern. Hierzu wären etwa Art. 106 Abs. 8 GG zu zählen sowie die Kostenerstattungsansprüche, die durch besonderes Tätigwerden eines Hoheitsträgers für einen anderen Hoheitsträger ausgelöst werden, wie die Kostenerstattungsansprüche bei Amtshilfe nach § 8 VwVfG, § 7 SGB X, § 115 AO und den entsprechenden Vorschriften der Länder. Auch Schadensersatzansprüche zwischen Hoheitsträgern könnten als Sonderlastenausgleich begriffen werden, soweit nur Geldausgleich und keine Naturalrestitution geschuldet wird: Sie würden an einen konkreten Anlaß (Schädigung) eine Ausgleichspflicht knüpfen, ohne daß der zum Schadensersatz verpflichtete Hoheitsträger Einfluß auf die spätere Verwendung der geleisteten Mittel durch den geschädigten Hoheitsträger hätte.

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Vgl. von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 10. Entsprechendes gilt auch dann, wenn sich eine Finanzierungsbefugnis zu einer Finanzierungspflicht verdichtet - ζ. B. nach den Grundsätzen über die Anstaltslast, siehe hierzu: 1. Kap. A I f (S. 38 ff.). 37 Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff.). 36

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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b) Anders ist es, wenn eine Finanzierungszuständigkeit allein zu zweckgebundenen Zahlungen ermächtigt. Solche Fälle sind im Bund-Länder-Verhältnis in Art. 91a Abs. 4 GG, Art. 104a Abs. 2 bis 4 GG und Art. 120 Satz 1 bis 3 GG38 geregelt, für das Verhältnis zwischen Sozialleistungsträgern ist ζ. B. auf § 91 und § 93 SGB X hinzuweisen. Ähnliches findet sich auch im Verhältnis zwischen Land und Kommune. Bei solchen aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten müssen die geleisteten Mittel für ganz bestimmte Zwecke, zur Erfüllung ganz konkreter Aufgaben des empfangenden Hoheitsträgers verwendet werden. Die durch die Erfüllung einer Aufgabe unmittelbar entstehenden Ausgaben werden von dem Hoheitsträger, der nach dem Konnexitätsprinzip i. e. S. kostenpflichtig wäre, auf den zur Finanzierung ermächtigten Hoheitsträger verlagert. Dies führt dazu, daß der empfangende Hoheitsträger (mittelverwaltende Stelle) letztlich nicht eigene, sondern Mittel des leistenden Hoheitsträgers (Ausgabenträger) verwaltet: Aufgabenzuständigkeit und Ausgabezuständigkeit fallen also auseinander. Mit solchen Finanzierungszuständigkeiten sind untrennbar die Einnahmezuständigkeiten für solche Einnahmen verknüpft, die sich materiell als Rückerstattung oder „Kehrseite" der in Ausführung der aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeit getätigten Ausgaben oder als Ersatz für Schädigungen solcher Vermögensgegenstände darstellen, deren Kosten der Ausgabenträger aufgrund der aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeit tragen muß. Erhält die mittelbewirtschaftende Stelle solche Einnahmen, muß sie diese an den Ausgabenträger abführen (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KatSG; § 19 Abs. 2 II. WoBauG, § 56 Abs. 2 BAFöG, § 6 Abs. 2 BundesautobahnVermG, § 5 Abs. 2 OEG, § 21 Abs. 1 Satz 2 1. ÜLG 39 , § 11 Abs. 3 GRW40, § 11 Abs. 3 GAgrG 41). Dieser Satz ist so selbstverständlich, daß er im Regelfall nicht ausdrücklich angeordnet oder problematisiert wird. Er gilt auch im Bund-LänderVerhältnis: Art. 104a Abs. 1 GG steht einer Abführungspflicht der Länder für solche Einnahmen nicht entgegen.

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Zu Art. 91b Satz 2 GG siehe: 5. Kap. A12 b (S. 256 f.). Erstes Gesetz zur Oberleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz) i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. April 1955 (BGBl I S. 193), zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 20. Dezember 1991 (BGBl IS. 2317). 40 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969 (BGBl I S. 1861), zuletzt geändert durch das Steueränderungsgesetz 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I S. 1322). 41 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Juli 1988 (BGBl I S. 1055), zuletzt geändert durch das Zweite Änderungsgesetz vom 11. November 1993 (BGBl I S. 1865). 39

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

c) Die Anordnung aufgabenbezogener Mittelzuweisungen wirft gegenüber der Anordnung allgemeiner Mittelzuweisungen besondere Probleme auf: Zunächst ist den aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten regelmäßig im Umkehrschluß zu entnehmen, daß Ausgaben, die nicht den angegebenen Aufgaben dienen, nicht auf den zur Finanzierung ermächtigten Hoheitsträger verlagert werden sollen, sondern daß insofern subsidiär das Konnexitätsprinzip i. e. S. gilt. Daher muß genau geklärt werden, welche Reichweite die Zweckbindung hat, was also genau die „Aufgabe" ist, die finanziert werden soll, und was genau als in Erfüllung dieser Aufgabe entstehende „Ausgabe" vom Ausgabenträger zu tragen ist. Dies kann nur durch Auslegung der Normen ermittelt werden, welche die zweckgebundene Finanzierung gestatten. Bedeutung kommt dem vor allem in den Fällen zu, in denen sich der Ausgabenträger durch eine zweckverfehlende oder unwirtschaftliche Mittelverwendung der mittelbewirtschaftenden Stelle geschädigt sieht, weil dann zu fragen ist, wem die Normen, welche die zweckgebundene Finanzierung gestatten, die Ausgabelast für zweckverfehlendes oder unwirtschaftliches Verhalten zuweisen: Diese Schadenslast kann entweder entsprechend dem Konnexitätsprinzip i. e. S. der mittelbewirtschaftenden Stelle oder in weiter Auslegung der die zweckgebundene Fremdfinanzierung gestattenden Vorschrift auch dem Ausgabenträger zugewiesen sein. In solchen Fällen läßt sich also ohne Rückgriff auf die zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle geltenden Lastenverteilungsregeln nicht klären, ob der Ausgabenträger durch Fehlverhalten von Bediensteten der mittelbewirtschaftenden Stelle wirklich geschädigt werden kann, da eine Schädigung des Ausgabenträgers nur möglich ist, wenn die Normen, die den Ausgabenträger zur Finanzierung von Aufgaben der mittelbewirtschaftenden Stelle ermächtigen, dem Ausgabenträger auch das Risiko fehlerhafter Mittelverwendungen zuweisen. Diese Konstellationen sollen deshalb als unechte Haftungsfälle bezeichnet werden, zur Unterscheidung von den - im zweiten Kapitel näher darzustellenden - echten Haftungsfällen, in denen die Frage, wessen Vermögen durch das schädigende Ereignis geschädigt wird, auch ohne Rückgriff auf die zwischen den beteiligten Hoheitsträgern geltenden Lastenverteilungsvorschriften geklärt werden kann. Dies soll anhand der ausdrücklichen Regelung des § 91 Abs. 1 GB X verdeutlicht werden, der in Satz 1 für die Kostenerstattung beim vertraglichen sozialrechtlichen Auftrag i. S. d. §§ 88 ff. SGB X 4 2 und beim gesetzlichen so42 Beim vertraglichen sozialrechtlichen Auftrag wird der beauftragte Sozialleistungsträger vertraglich ermächtigt, Aufgaben des auftraggebenden Sozialleistungsträgers in dessen Namen wahrzunehmen (Hauck, Sozialgesetzbuch - SGB X 3 [Stand Dezember 1996], Κ § 89 Rn. 5; von Maydell, in: von Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - GK-SGB X 3 [1984], § 89 Rn. 13 ff; Verband Deutscher Ren-

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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zialrechtlichen Auftrag im Sinne des § 93 SGB X 4 3 anordnet, daß der Auftraggeber dem Beauftragten zwar grundsätzlich alle durch den Auftrag entstehenden Aufwendungen zu erstatten hat, jedoch in § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X eine Erstattungspflicht insoweit ausschließt, als Sozialleistungen zu Unrecht erbracht worden sind und den Beauftragten hierfür ein Verschulden trifft. Damit ist eindeutig geregelt, daß das Risiko schuldlos zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen dem Auftraggeber, das Risiko schuldhaft zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen dagegen dem Beauftragten obliegt. Beispiel Nr. 4 (nach BSG, Breithaupt 1986, Nr. 63 [„Badekur"] 44): Ein hessisches Versorgungsamt gewährte dem Schwerkriegsbeschädigten W, der Pflichtmitglied der AOK war, eine vierwöchige Badekur bis zum 20. Dezember 1985 (§ 11 Abs. 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 BVG). Aus dieser stationären Behandlung wurde W als arbeitsfähig unter Verordnung einer angemessenen Zeit der Schonung (Arbeitsruhe) bis einschließlich 2. Januar 1986 entlassen. Der Arbeitgeber des W bezahlte während der Schonungszeit nur die W tariflich zustehende vermögenswirksame Leistung in Höhe von 39,- DM monatlich. Dementsprechend hatte W Anspruch auf Versorgungskrankengeld nach § 16a BVG, welches nach § 18c Abs. 1 Satz 3 BVG von den Krankenkassen für das Versorgungsamt ausgezahlt wurde (gesetzlicher sozialrechtlicher Auftrag nach § 93 SGB X). Hierbei wurde fahrlässigerweise übersehen, daß das nach § 16a Abs. 1 BVG korrekt berechnete Versorgungskrankengeld nach § 16f Abs. 1 BVG nicht nur im Dezember, sondern auch für den ersten und zweiten Januar um jeweils 1,73 DM (dies war der 30. Teil der vom Arbeitgeber weitergezahlten vermögenswirksamen Leistung) zu kürzen war. Der Erstattungsforderung der AOK nach § 93 i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Höhe von 720,46 DM widersprach das Versorgungsamt daher zum Teil. Daraufhin verklagte die AOK das Land Hessen auf Erstattung der restlichen 3,46 DM. Das BSG wies die Klage ab,

tenversicherungsträger [Hrsg.], Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung - Sozialgesetzbuch: Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren [Stand Juni 1997, zit. im folgenden: VDR-SGB X], § 89 SGB X Rn. 3. Durch den vertraglichen sozialrechtlichen Auftrag wird deshalb zwischen den beteiligten Behörden ein Mandatsverhältnis begründet: Horn, Das organisationsrechtliche Mandat, NVwZ 1986, S. 809; von Maydell, in: von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, Vor §§ 88 - 89 Rn. 32 ff. 43 Beim gesetzlichen sozialrechtlichen Auftrag i. S. d. § 93 SGB X handelt der Beauftragte im Gegensatz zum vertraglichen sozialrechtlichen Auftrag nach den §§ 88 ff SGB X nicht im fremden, sondern im eigenen Namen. Gesetzliche sozialrechtliche Auftragsverwaltung ist ζ. B. die Tätigkeit der Krankenkassen nach 28h Abs. 1 SGB IV als Einzugsstelle des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zugunsten der Renten- und Pflegeversicherung sowie der Bundesanstalt für Arbeit (Hoffmann, Der gesetzliche Auftrag im Sozialrecht, VerwArch 79 [1988], S. 327 ff), die Leistungserbringung der Krankenkassen für die Versorgungsämter nach § 18c Abs. 1 Satz 3 BVG, und die der Allgemeinen Ortskrankenkassen für die See-Krankenkasse nach § 165 Abs. 4 SGB V: Terwey, Das Recht der Aufiragsverhältnisse nach den §§ 88 bis 93 SGB X, DRV 1983, S. 529. Vgl. auch die weiteren (teilweise veralteten) Beispiele bei von Maydell, in: von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 93 Rn. 3 ff 44 Siehe hierzu: 4. Kap. C Π b (S. 247).

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1. Kap. : Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben da nach § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X wegen fahrlässigen Handelns der Bediensteten ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nicht bestand4

Weil das Land zur Verweigerung der Erstattung berechtigt war, konnte es also durch das Fehlverhalten der Bediensteten der AOK gar nicht geschädigt werden. Die Frage nach Schadensersatz im Verhältnis zwischen Land und AOK stellt sich nicht. d) Fehlt eine ausdrückliche Regelung der Schadenslastenverteilung, muß sie durch Auslegung der Vorschrift ermittelt werden, welche die zweckgebundene Finanzierung ermöglicht. Dies setzt voraus, daß zunächst ermittelt wird, welche konkreten Aufgaben durch eine bestimmte Finanzzuweisung überhaupt finanziert werden sollen. Bei Geld- und Sachleistungsgesetzen ist dies weitgehend unproblematisch: Dort ist grundsätzlich genau dem Grund und der Höhe nach bestimmt, wann und an wen welche Leistungen zu erbringen sind46. Fehlerhaft ist daher eine Leistung, die unter Berufung auf ein bestimmtes Gesetz erbracht wird, ohne daß dessen Voraussetzungen vorliegen. Dagegen wird man eine zweckentsprechende Maßnahme noch annehmen müssen, wenn die mittelverwaltende Stelle die ihr zur Verfügung gestellten Mittel für die vorgesehenen Maßnahmen und Leistungen verwenden, die hiermit verfolgten Fernziele aber nicht erreicht werden. So liegt ζ. B. dann keine Zweckverfehlung vor, wenn Wohngeld an einen Berechtigten ausgezahlt wird, dieser aber die ausgezahlte Summe nicht für die Mietzahlungen verwendet, sondern für andere Zwecke ausgibt. Liegt kein Leistungsgesetz vor, kann die Frage nach der Reichweite einer Zweckbindung und damit die Abgrenzung zwischen beachtlicher Zweckbindung und unbeachtlichen Fernzielen aber durchaus Schwierigkeiten aufwerfen: Beispiel Nr. 5 (nach BVerwG, RiA 1995, S. 240ff. [„Personalratsmitglied"]): Aufgaben des Katastrophenschutzes werden nach § 2 Satz 1 KatSG von den Ländern und Gemeinden im Auftrag des Bundes durchgeführt (Art. 87b Abs. 2 GG). Nach Art. 104a Abs. 2 GG i. V. m. § 14 Abs. 1 KatSG trägt der Bund die Ausgaben, die den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden durch die Aufgabe des Katastrophenschutzes entstehen. Das Land Nordrhein-Westfalen hatte von der Ermächtigung des § 5 Abs. 3 KatSG Gebrauch gemacht und eine Katastrophenschutzwerkstatt in G errichtet. Dort war der Kraftfahrzeughandwerker J als Arbeitnehmer des Landes beschäftigt. Seine 45

Der Originalfall spielte 1979/80, so daß die §§ 88 ff. SGB X noch nicht anwendbar waren. Maßgeblich war daher die § 91 SGB X insoweit entsprechende Vorschrift des § 20 Satz 2 BVG i. d. F. vom 22. Juni 1976 (BGBl I S. 1633) - siehe hierzu: 4. Kap. C Π a (S. 245 f.). 46 Griffel, Die Haftung der Länder für Fehlbeträge an Bundesmitteln DöH 1957, S. 244; Sturm, Die Haftung der Länder (Gemeinden, Gemeindeverbände) bei fehlerhafter Verwendung von Haushaltsmitteln des Bundes im Gesetzesvollzug, DÖV 1966, S. 258. Siehe auch. Bauer/Zirbes, Zur interkörperschaftlichen Haftung und Erstattung im Bundesstaat, JuS 1997, S. 513.

Die

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

47

Lohnkosten wurden vom Land auf Rechnung des Bundes geleistet. 1984 wurde er in den Bezirkspersonalrat beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf gewählt und für die Zeit vom 15. Oktober 1984 bis zum Ende der Wahlperiode 1991 von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt. Das Land zahlte weiterhin die Bezüge des J auf Rechnung des Bundes. Mit Wirkung vom 9. Juli 1990 wurde J an das Staatshochbauamt des Landes versetzt. Der Bund verlangte vom Land nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG Schadensersatz für die Lohnkosten, die innerhalb des Zeitraums entstanden waren, in dem J tatsächlich nicht (unmittelbar) im Rahmen der Auftragsverwaltung des Bundes tätig war.

Bevor hier die Frage nach Schadensersatzansprüchen sinnvoll gestellt werden konnte, war zunächst zu klären, ob die Weiterzahlung der Bezüge des J aus den Mitteln des Bundes überhaupt eine zweckverfehlende Mittelverwendung darstellte. Wenn sie der Zweckbindung der Bundesmittel entsprochen hätte, hätte gar kein - möglicherweise zum Schadensersatz verpflichtendes Fehlverhalten der verantwortlichen Landesbediensteten vorgelegen. Das BVerwG hielt die Lohnkosten des J für erstattungsfähige Ausgaben i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG i. V. m. § 14 Abs. 1 Halbsatz 1 KatSG: Das Verbot der Erstattung von Verwaltungsausgaben nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG i. V. m. § 14 Abs. 1 Halbsatz 2 KatSG bezöge sich nur auf die Verwaltungsausgaben, die dem Land durch die Durchführung von Katastrophenschutzaufgaben bei den allgemeinen Behörden entstünden. Ausgenommen von diesem Verbot seien die Personal- und sächlichen Kosten, die sich aus der Einrichtung besonderer Katastrophenschutzorganisationen ergäben47. Damit war noch nicht geklärt, ob auch die in von 1984 bis 1990 entstandenen Lohnkosten vom Bund zu tragende Ausgaben waren, weil J hier wegen seiner Tätigkeit als Personalrat von seinen Dienstaufgaben befreit war. Der Bund war hier davon ausgegangen, daß er nur solche bei den Katastrophenschutzwerkstätten entstehenden Personalkosten übernehmen müsse, die tatsächlich dem Katastrophenschutz zugute kämen. Nach Ansicht des BVerwG war die tatsächliche Arbeit des J in der Katastrophenschutzwerkstatt dagegen nicht Teil der Zweckbindung, sondern lediglich unbeachtliches Fernziel: J sei trotz seiner Freistellung weiterhin Beschäftigter der Katastrophenschutzwerkstatt geblieben. Die hier entstehenden Ausgaben müsse der Bund übernehmen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich dem Katastrophenschutz zugute kämen oder nicht. Somit lag keine zweckverfehlende, sondern eine den Vorgaben des Art. 104a Abs. 2 GG entsprechende Mittelverwendung vor. Schadensersatzansprüche zu Lasten des Landes wegen Fehlverwendungen kamen daher von vornherein nicht in Betracht. e) Ist durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften festgestellt worden, daß eine fehlerhafte Mittelverwendung vorliegt, muß - ebenfalls im Wege der Auslegung - untersucht werden, ob die einschlägigen Lastenverteilungsregeln 47

BVerwG, RiA 1995, S. 241 ff. m. w. N.

48

1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

auch die hierdurch entstehenden Ausgaben auf den Ausgabenträger verlagern oder ob insoweit die mittelverwaltende Stelle kostenpflichtig ist. Denkbar sind insoweit regelmäßig mindestens zwei Extrempositionen: Einerseits ist möglich, daß ausschließlich zweckentsprechend verwendete Mittel vom Ausgabenträger zu erstatten sind 48 . So sieht ζ. B. Erichsen die Schadenslastenverteilung bei der Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG: Beispiel Nr. 6 (nach Erichsen 49): In Durchführung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG wurde in Aachen auch das sog. Zentralklinikum, ein Neubau für die Medizinische Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen errichtet. Aufgrund nachlässiger Bauaufsicht der Landesbediensteten stiegen die Baukosten im Laufe der Verwirklichung des Vorhabens im Vergleich zu den ursprünglich im Rahmenplan veranschlagten Kosten erheblich. Der Bund wollte diese zusätzlichen Kosten nicht tragen und seine Leistungen nach Art. 91a Abs. 4 Satz 1 GG i. V. m. § 12 Abs. 1 HBFG entsprechend vermindern. Erichsen nimmt an, daß der Bund nach § 12 Abs. 1 HBFG nur verpflichtet sei, die Baukosten zu tragen, die den Planvorgaben entsprächen. Soweit die Länder bei der Durchführung der Rahmenplanung zweckverfehlende oder überschreitende Ausgaben vornähmen, entstände keine anteilige Erstattungspflicht 50. Als andere Extremposition läßt sich vorstellen, die einschlägige Lastenverteilungsvorschrift in der Weise auszulegen, daß der Ausgabenträger alle Ausgaben tragen muß, die durch Wahrnehmung der Aufgabe veranlaßt werden und damit auch alle zweckverfehlenden Ausgaben, solange sie noch einen wie auch immer gearteten Bezug zu der Aufgabe aufweisen, die durch den Ausgabenträger finanziert werden soll: Beispiel Nr. 7 (nach OVG Lüneburg, ZjF 1991, S. 276ff. [„Heranziehung II"] In Niedersachsen ist nach § 2 Nds. AGBSHG das Land überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Seine Zuständigkeit richtet sich nach § 100 BSHG, jedoch werden nach § 96 Abs. 2 Satz 2 BSHG i. V. m. 4 Abs. 2 Nds. AGBSHG und § 1 der Heranziehungsverordnung AG BSHG52 die Landkreise und kreisfreien Städte Niedersachsens als örtliche Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung dieser Aufgabe herangezogen.

48

So legen z.B. Bauer/Zirbes (JuS 1997, 513) die Finanzierungszuständigkeit nach § 45 Abs. 1 BKGG a. F. aus, siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff.). 49 Erichsen, Zur Haftung, S. 1. 50 Erichsen, Zur Haftung, S. 54 ff. - siehe hierzu: 6. Kap. Β Π (S. 345 ff.) und 7. Kap. Β Π 3 (S. 385). 51 Siehe hierzu: 4. Kap. C Π c (S. 248 f.). Ein ähnlicher Fall war auch Gegenstand der Entscheidungen OVG Koblenz, ZBR 1988, S. 394 ff., und VG Hannover, ZfF 1991, S. 13 ff. - „ H e r a n z i e h u n g I " Siehe auch BVerwG, Buchholz, Nr. 1 zu § 96 BSHG und Effertz, Erstattungs- und Ausgleichsansprüche von Hoheitsträgern untereinander - dargestellt für den Bereich der Sozialhilfe - , RiA 1978, S. 121 ff. 52 Verordnung über die Heranziehung örtlicher Träger der Sozialhilfe und kreisangehöriger Gemeinden zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz vom 14. April 1994 (GVB1 S. 205).

51

):

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

49

Der Kreis Κ gewährte als örtlicher Träger der Sozialhilfe in Erfüllung dieser Aufgaben auch Leistungen an A, obwohl dieser hierauf keinen Anspruch hatte, was der zuständige Sachbearbeiter fahrlässigerweise übersehen hatte. Hinsichtlich der Kostenlastverteilung bestimmte das Nds. BSHG53 in seiner damaligen Fassung in § 4 Abs. 2 Satz 2 nur, daß die Verwaltungskosten des herangezogenen örtlichen Sozialhilfeträgers im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs vom überörtlichen Sozialhilfeträger abzugelten seien. Hieraus Schloß das OVG Lüneburg, daß das Land sämtliche übrigen Kosten der Heranziehung tragen müsse und daß diese Kostentragungspflicht auch dann gelte, wenn Sozialleistungen zu Unrecht erbracht worden seien. Manchmal wird jedoch auch keine der genannten Extrempositionen den Besonderheiten einer bestimmten Finanzierungszuständigkeit gerecht werden: Beispiel Nr. 8 (nach OVG Münster, OVGE 16, S. 60ff. [„Wohnungsbauförderung" F): Vor Inkrafttreten des nordrhein-westfölischen Wohnungsbauförderungsgesetzes vom 2. April 195755 erfolgte die Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen ohne gesetzliche Grundlage allein durch Bereitstellung entsprechender Mittel im Haushaltsplan des Landes. Die Vergabe der Fördermittel war in Verwaltungsvorschriften des Wiederaufbauministers geregelt. Zuständig für die Bewilligung der Wohnungsbauförderung für einzelne Vorhaben waren hiernach die Kreise (Auftragsangelegenheit 56). Sie mußten die in den Richtlinien konkretisierten Voraussetzungen berücksichtigen und ihre Einhaltung gegebenenfalls überprüfen. War der Kreis der Ansicht, daß ein bestimmtes Vorhaben diesen Voraussetzungen entsprach, meldete er es beim Wiederaufbauminister an, der dann - nach vorheriger Prüfung - für dieses konkrete Vorhaben die Gelder bewilligte und an den Kreis weiterleitete, der sie seinerseits an den Antragsteller auszahlte. Auf dieser Grundlage war auch 1950/51 durch den Landkreis M mit Landesmitteln das Bauvorhaben G gefördert worden. Als sich nach Prüfung durch den Landesrechungshof herausstellte, daß dieses Bauvorhaben nicht den Vorgaben der Richtlinien entsprach, die Wohnungsbauförderung also nach den Richtlinien gar nicht hätte bewilligt werden dürfen, forderte das Land vom Kreis die ihm zur Förderung des Bauvorhabens G überwiesenen Mittel zurück. Hier waren die Gelder für die Wohnungsbauforderung ausgegeben worden, und zwar auch für das konkrete Vorhaben, das der Minister im Verhältnis zum Kreis selbst bewilligt hatte. Problematisch war, daß die Förderung dieses Vorhabens nach den Richtlinien weder vom Kreis noch vom Minister hätte bewilligt werden dürfen. Das OVG Münster legte die sich aus dem Haushaltstitel i. V. m. den Vergaberichtlinien ergebende Lastenverteilung zwischen Land und Gemeinde so aus, daß für die Frage, ob die Gemeinden einen Erstattungsanspruch gegenüber den Land haben, allein die Genehmigung durch

53 54 55 56

Vom 12. November 1987 (GVB1 S. 206). Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 194 f.) und C I a (S. 236 f.). GVS. 80. OVG Münster, OVGE 16, S. 60 ff. (S. 69 f.).

4 Stelkens

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

den Minister maßgeblich sei. Sei die Förderung eines bestimmten Projekts durch den Minister genehmigt worden, hätten die Gemeinden auch dann einen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn das Projekt nicht den Vergaberichtlinien entsprochen habe. Andererseits hätten die Gemeinden keinen Kostenerstattungsanspruch, wenn das konkret geförderte Vorhaben nicht vom Minister genehmigt worden sei, selbst wenn es nach den Vergaberichtlinien förderungswürdig gewesen wäre. Ganz anders entschied dagegen das OVG Koblenz im mit dem Beispiel Nr. 8 eng verwandten Fall des Beispiels Nr. 9 (nach OVG Koblenz, NVwZ 1988, S. 448ff. [„Gelenkbus"]): § 17 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen FAG vom 28. Oktober 197757 hatte das Land für zweckgebundene Finanzzuweisungen an die Kommunen u. a. Mittel bereitzustellen für Förderungsmaßnahmen im öffentlichen Personennahverkehr. Nach § 17 Abs. 3 FAG hatten die zuständigen Minister Richtlinien über die Voraussetzungen und das Verfahren der Bewilligung zweckgebundener Finanzzuweisungen zu erlassen. Hieraufhatte der Minister für Wirtschaft und Verkehr am 22. Februar 1972 in einen Runderlaß gestützt, nach dem u. a. die Anschaffung von Gelenkbussen gefördert werden sollte. Mit Schreiben vom 29. Juli 1981 beantragte die rheinland-pfälzische Gemeinde G die Bewilligung einer zweckgebundenen Finanzzuweisung für die Anschaffung von zwei Gelenkomnibussen. Dabei gab sie an, die Anschaffung dieser Busse sei filr die Schaffung besserer Übergangsmöglichkeiten und zusätzlicher Fahrgastplätze vorgesehen. Drei alte Omnibusse würden dafür ausgesondert. Tatsächlich hatte die Gemeinde die neuen Busse bereits am 5. Dezember 1980 bestellt, am 1. Juni 1981 erhalten und in Betrieb genommen und am 12. Juni 1981 bezahlt. Dennoch wurde der Gemeinde durch Bescheid vom 16. November 1982 die Finanzzuweisung bewilligt. Der Bewilligungsbescheid wurde jedoch am 29. Juni 1986 nach § 48 Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen VwVfG zurückgenommen und die geleisteten Mittel wurde zurückgefordert. Der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig gewesen: Nach den Vergaberichtlinien sei es nicht zulässig gewesen, ein Vorhaben zufördern, das vor Antragstellung bereits abgeschlossen gewesen sei. Das OVG Koblenz gab dem Land Recht: Nach § 17 Abs. 3 FAG seien nur solche Vorhaben förderungsfähig, die den Vergaberichtlinien entsprächen. Die Förderung nicht den Richtlinien entsprechender Vorhaben sei demnach rechtswidrig - die Rücknahme entsprechender Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 2 VwVfG ohne weiteres zulässig. Auf Vertrauensschutz könne sich die Gemeinde wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung nicht berufen 58. Sie sei daher zur Rückerstattung der geleisteten Mittel nach § 48 Abs. 5 bis 8 VwVfG a. F. verpflichtet. Indem das OVG Koblenz der Kommune versagte, 57

Landesgesetz über den Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz (Finanzausgleichsgesetz - FAG - ) vom 28. Oktober 1977, (GVB1 S. 353). 58 Dies entspricht der h. M (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz [5. Aufl. 1998], § 48 Rn. 44, 142 - siehe hierzu: 7. Kap. Α Π d [S. 368 ff]) und dem Umstand, daß sich Hoheitsträger gegenüber dem allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch nicht auf Vertrauensschutz bzw. den Wegfall der Bereicherung berufen kann (siehe hierzu: 1. Kap. Β I b [S. 63 f.]).

Nach

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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sich auf Vertrauensschutz zu berufen, wies es das Risiko zweckverfehlender Mittelverwendung allein der Kommune zu, was sich insbesondere dann gezeigt hätte, wenn die Aufhebung des Bewilligungsbescheides wegen zweckverfehlender Mittelverwendung erfolgt wäre. Maßgeblicher Unterschied zum Beispiel Nr. 8 ist wohl, daß die Mittelzuweisung durch das Land in einem Fall den übertragenen Wirkungskreis der Kommune betraf, sie sich also der Mittelverwaltung nicht entziehen konnte, während im Beispiel Nr. 9 die Finanzhilfe freiwillig in Anspruch genommen wurde59. Gerade diese Beispiele zeigen, daß es bei der Ermittlung der geltenden Schadenslastenverteilung genau auf den Einzelfall und die dort geltenden Vorschriften ankommt - allgemeingültige Aussagen verbieten sich. f) Ist man durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften zu dem Ergebnis gekommen, daß das Risiko fehlerhafter Mittelverwendungen (ganz oder teilweise) der mittelbewirtschaftenden Stelle zugewiesen ist, tritt als Folgeproblem die Frage auf, wie die Einhaltung der Zweckbindung kontrolliert werden kann sowie ob und gegebenenfalls wie geleistete Mittel, die nicht zweckentsprechend oder unwirtschaftlich verwendet wurden, zurückerstattet werden müssen60. Diese Probleme werden nicht dadurch vereinfacht, daß dem Ausgabenträger drei - sogleich darzustellende - Methoden zur Verfügung stehen, die Verwaltung seiner Mittel durch die mittelverwaltende Stelle technisch umzusetzen, wobei er anerkanntermaßen nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zwischen diesen Methoden frei wählen kann61. Welche Methode gewählt wird, muß nicht zwingend durch Gesetz entschieden werden, kann sich daher auch aus Verwaltungsvorschriften oder Einzelweisungen ergeben62; die Wahl eines der nachstehend beschriebenen Fremdmittelbewirtschaftungsverfahren hat deshalb aber auch keine Rückwirkungen auf die gesetzlich angeordnete Lastenverteilung63: Die Reichweite der Zweckbindung der Finanzzuweisungen muß unabhängig von der technischen Durchführung definiert werden, ihre Einhaltung in allen Fällen gleichermaßen gewährleistet sein. g) Zunächst kann der mittelbewirtschaftenden Stelle gestattet werden, den Haushalt des Ausgabenträgers unmittelbar zu bewirtschaften (unmittelbare Fremdmittelbewirtschaftung): Hier handelt die mittelbewirtschaftende Stelle auf Rechnung des Ausgabenträgers. Der Ausgabenträger stellt die Mittel in seinen Haushaltsplan ein, die mittelbewirtschaftende Stelle bucht die Ausga59

Siehe hierzu: 7. Kap. Α Π b (S. 367 f.) und d (S. 368 ff.). Siehe hierzu: 1. Kap. B (S. 61 ff). 61 Vgl. BVerfGE 9, S. 305 ff (S. 317 f.). 62 Ob dies auch für die Methode der pauschalen Abgeltung gilt (siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 i [S. 53 f.]) soll hier dahingestellt bleiben. 63 VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff (S. 795) - „Anstaltspflege", siehe hierzu: 4. Kap. C I d (S. 240 ff). 60

4*

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

ben unmittelbar zu Lasten des Ausgabenträgers, wobei die Mittel den Haushalt der mittelbewirtschaftenden Stelle nicht durchlaufen 64. Als Beispiel soll die Bewirtschaftung von Bundesmitteln durch die Länder dienen, wie sie etwa in Art. 104a Abs. 2 GG vorgesehen ist: § 57 HGrG und § 79 Abs. 1 BHO gehen davon aus, daß auch Stellen außerhalb der Bundesverwaltung den Bundeshaushalt immittelbar bewirtschaften können. Soweit ein Handeln der Länder unmittelbar für Rechnung des Bundes angeordnet wird, wird dies technisch durch Kassenauszahlungsanordnungen (§ 70 BHO) des Beauftragten für den Haushalt der Landesbehörde (§ 9 BHO) unmittelbar an die Bundeskasse (§ 79 Abs. 1 BHO) ermöglicht. Die Bundeskasse zahlt dann direkt an den in der Auszahlungsanordnung bezeichneten Empfanger. Die Mittel bleiben bis zur Auszahlung an den Empfänger Bundesmittel65. Handelt eine Stelle also „auf Rechnung" des Ausgabenträgers, so bedeutet dies, daß die mittelbewirtschaftende Stelle berechtigt ist, unmittelbar Zahlungsanordnungen zu Lasten der Kasse des Ausgabenträgers zu erlassen66. h) Als zweites Fremdmittelbewirtschaftungsverfahren kommt das Verfahren der mittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung oder Erstattungsverfahren in Betracht: Hier erbringt die mittelverwaltende Stelle zunächst aus eigenen Mitteln Vorleistungen, welche im nachhinein vom Ausgabenträger erstattet werden. Die Leistungen des Ausgabenträgers durchlaufen hier also den Haushalt der mittelbewirtschaftenden Stelle. Technisch kann dieses Verfahren wieder durch Kassenanordnungen der mittelbewirtschaftenden Stelle zu Lasten des Ausgabenträgers erfolgen, nur daß hier die Kasse des Ausgabenträgers nicht an einen Dritten, sondern an die mittelbewirtschaftende Stelle leistet. Ist diese Art des Erstattungsverfahrens vorgesehen, unterscheidet sich das Verfahren der mittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung kaum von dem Verfahren der unmittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung. Möglich und üblich ist aber auch, daß zwischen Vorleistung und Erstattung ein regelrechtes Abrechnungsverfahren zwischen der mittelbewirtschaftenden Stelle und dem Ausgabenträger eingeschaltet ist. Dann muß die mittelbewirtschaftende Stelle ihre Ansprüche beim Ausgabenträger anmelden, der sie seinerseits auf ihre Berechtigung hin überprüft 67. Die Entscheidung des Ausgabenträgers, daß eine Erstattung zu erfolgen hat, wurde von den Gerichten bisher - ohne daß dies problematisiert wor64 Vgl. Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 61 f.; Luther, Die Lastenverteilung, S. 31; Sta™, DÖV 1966, S. 262. 65 Vgl. hierzu Bendel, Kassen- und Rechnungswesen, in: Klein, öffentliches Finanzrecht, IV Rn. 11, 92 ff; Piduch, Bundeshaushaltsrecht (2. Aufl., Stand Januar 1996), §79 BHO Rn. 2. 66 Siehe hierzu auch Siefen, Die Haftung des Versorgungsbeamten für nach dem 1. 4. 1951 zu Unrecht gewährte Versorgungsleistungen (Überhebungen), DöH 1955, 5. 241. 67 Luther, Die Lastenverteilung, S. 31 f.

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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den wäre - wohl wegen fehlender Außenwirkung nicht als Verwaltungsakt, sondern als bloßes Internum gewertet, das nicht bestandskräftig werden kann68. i) Aufgabenbezogene Finanzierungszuständigkeiten sollen weiterhin auch durch pauschale Abgeltungen umgesetzt werden können: Hiernach ist zu ermitteln, welche Kosten in welcher Höhe voraussichtlich entstehen werden, und dementsprechend eine Pauschale festzusetzen. Mit Auszahlung der Pauschale gelten alle Aufwendungen der mittelverwaltenden Stelle als abgegolten; Rückforderungsansprüche des Ausgabenträgers sind auch bei nicht aufgabenbezogener Verwendung der Mittel ausgeschlossen. Eine nur pauschale Abgeltung ist ζ. B. im Bund-Länder-Verhältnis bezüglich des Großteils der Kriegsfolgelasten angeordnet worden (vgl. Art. 120 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG i. V. m. § 21a 1. ÜLG) und wird für das Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträgern ζ. B. in § 91 Abs. 4 SGB X ausdrücklich zugelassen. Ist die Möglichkeit einer pauschalen Abgeltung gesetzlich nicht vorgesehen, ist ihre Wahl jedoch nicht unproblematisch: Sie verwischt den Unterschied zwischen zweckgebundenen und allgemeinen Finanzzuweisungen. Sie überträgt auch das Risiko, daß mehr Mittel benötigt werden als angenommen, auf die mittelverwaltende Stelle, obwohl es nach der gesetzlichen (oder verfassungsrechtlichen) Lastenverteilungsvorschrift eher naheläge, dem Ausgabenträger dieses Risiko aufzubürden. Weil diese Art der Umsetzung aufgabenbezogener Finanzierungszuständigkeiten systemfremd und damit rechtlich zweifelhaft ist, soll sie in den folgenden Untersuchungen nicht weiter berücksichtigt werden. 2. Ermittlung der einschlägigen Rechtssätze a) Regeln, welche die Verteilung der Ausgabelasten entgegen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. regeln, können sich nur aus den speziell zwischen den beteiligten Hoheitsträgern geltenden Vorschriften ergeben. Insofern stellt Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG klar, daß sich solche Regeln für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nur aus dem Grundgesetz selbst ergeben können. Sie lassen sich damit abschließend aufzählen: Gemeint sind hier insbesondere Art. 91a Abs. 4, Art. 91b Satz 2, Art. 104a Abs. 2 bis 4, Art. 106 Abs. 8, Art. 106a, Art. 107 und Art. 120 Abs. 1 GG. Zu den Ausnahmen i. S. d. Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG wird man auch die Vorschriften zählen können, die Bund und Länder bei Auseinanderfallen von Steuerertrags68

BVerwGE 36, S. 108 ff. - „G 131", siehe hierzu: 4. Kap. C I c (S. 238 ff); VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff - „Anstaltspflege", siehe hierzu: 4. Kap. C I d (S. 240 ff); OVG Lüneburg, ZfF 1991, S. 276 ff - „Heranziehung Π", siehe hierzu: 4. Kap. C Π c (S. 248 f.); OVG Münster, OVGE 16, S. 60 ff. - „Wohnungsbauförderung", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 194) und C I a (S. 236 f.).

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1. Kap. : Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

und Steuerverwaltungszuständigkeit verpflichten, den für den anderen Teil erhobenen Steuerertrag an diesen abzuführen: Art. 106 Abs. 1 bis 7 und Art. 120 Abs. 2 GG 69 Inwieweit auch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu Vermögensverschiebungen zwischen Bund und Ländern ermächtigt, wird eingehend untersucht werden müssen70. b) Inwieweit vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichende Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und zwischen zwei verschiedenen bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts untereinander bestehen, richtet sich ausschließlich nach einfachem Bundesrecht71. Im Regelfall wird sich dies dem Gesetz nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG entnehmen lassen72. Verfassungsrechtliche Vorgaben bestehen insoweit nicht. Die Finanzverfassung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann demnach völlig unterschiedlich ausgestaltet sein: Möglich ist sowohl eine (nahezu) vollständige Finanzierung durch den Bund wie eine reine Eigenfinanzierung des Hoheitsträgers durch ihm zugewiesene eigene Einnahmen73. Denkbar wäre auch eine Finanzierung von Bundesaufgaben durch eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts: Das Konnexitätsprinzip i. e. S. ist auf Bundesebene nicht zwingend - es gibt keine dem Art. 104a Abs. 1 GG entsprechende, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und bundesumnittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts ordnende Vorschrift. c) Für die Verteilung der Ausgabelasten zwischen Land und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und zwischen zwei verschiedenen landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts eines Landes untereinander ist dagegen grundsätzlich Landesrecht maßgeblich 74 . Ergänzend kann wegen Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 GG aber auch Bundesrecht zu beachten sein: In Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz „Einrichtung der Behörden" darf der Bund entweder bereits bestehenden, durch Landesrecht errichteten landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts - ζ. B. den Gemeinden - Aufgaben zuweisen und diesbe69

In diese Richtung auch: F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 35 ff. Siehe hierzu: 5. und 6. Kap (S. 250 ff). 71 Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 86 Rn. 103 (Bearbeitung 1989). 72 Eine umfangreiche, jedoch teilweise veraltete Aufzählung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der einschlägigen Gesetze findet sich bei: Becker, Öffentliche Verwaltung (1989), § 17 4.2.1, S. 311 ff. 73 Rudolf Verwaltungsorganisation, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 53 Rn. 13, 18, 22. 74 Siehe hierzu nur: Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 77; Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung, S. 87 ff; Stern, StR Π, § 47 Π 4 b, S. 1146. 70

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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züglich auch die Zuständigkeitsverteilung zwischen Land und dem betreffenden Hoheitsträger regeln75 oder neue juristische Personen des öffentlichen Rechts im Landesbereich schaffen bzw. den Ländern die Errichtung bestimmter juristischer Personen des öffentlichen Rechts vorschreiben, deren Finanzverfassung regeln und sie mit dem Vollzug von Bundesgesetzen betrauen76. Ordnet der Bund auf diese Weise die Errichtung landesunmittelbarer juristischer Personen des öffentlichen Rechts an, ist aber den Ländern regelmäßig ein gewisser Ausgestaltungsspielraum belassen: Der Bund darf die Einrichtung und das Verfahren solcher „Behörden" nur insoweit regeln, als dies für den Vollzug von Bundesgesetzen notwendig ist. Daher kann für die Bestimmung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Land und landesunmittelbarer juristischer Person des öffentlichen Rechts sowohl Bundesrecht wie Landesrecht maßgeblich sein. Ansonsten ist der Landesgesetzgeber in der Ausgestaltung der Finanzverfassung landesunmittelbarer juristischer Personen des öffentlichen Rechts und ihrer Zuständigkeiten grundsätzlich frei; teilweise müssen aber auch unabhängig von den Gesetzen nach Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 GG bundesrechtliche Vorgaben beachtet werden - ζ. B. bezüglich der Kommunen Art. 28 Abs. 2 GG, bezüglich der Universitäten §§ 58 ff. HRG. Die in Art. 104a GG festgeschriebenen Prinzipien gelten für das Verhältnis zwischen Land und landesunmittelbarer juristischer Person des öffentlichen Rechts jedoch weder unmittelbar noch entsprechend - auch nicht gegenüber den Kommunen. Ebenso ist das Konnexitätsprinzip i. w. S.77 im LandGemeinde-Verhältnis nicht zwingend. Jedenfalls hat sich bisher in der Rechtsprechimg und der Verfassungswirklichkeit die gegenteilige Ansicht nicht durchsetzen können78. Inwiefern zwischen Land und Kommunen vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichende Finanzierungszuständigkeiten bestehen, läßt sich daher größtenteils den Landesverfassungen 79 und den Gesetzen über den kommunalen Finanzausgleich der einzelnen Länder entnehmen.

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Siehe hierzu: BVerfGE 22, S. 180 ff. (S. 209 f.); BVerfGE 77, S. 288 ff (S. 298 ff); Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 77 (Bearbeitung 1983); Art. 85 Rn. 66 (Bearbeitung 1987); Meis, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden (1989), S. 42 ff 76 Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 84 Rn. 26 (Bearbeitung 1985) m. w. N. Vgl. auch BVerfGE 15, S. 235 ff. zu den IHK. 77 Siehe hierzu: 1. Kap. A I d (S. 36 f.). 78 Siehe hierzu: von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 31 f.; Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 77 ff ; Pappermann, Ansprüche des Staates, S. 36 f.; Schaffarzik, KStZ 1996, S. 164 ff ; Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung, S. 160 f.; Trapp, Das Veranlassungsprinzip, S. 182ff; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 282 ff; Wa echter, Kommunalrecht, Rn. 229 ff, jeweils m. w. N. 79 Baden-Württemberg. Art. 71 Abs. 3; Bayern. Art. 83 Abs. 2 Verf; Brandenburg. Art. 97 Abs. 3; Hessen. Art. 137 Abs. 4 und 5; Mecklenburg-Vorpommern: Art. 72

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

d) Wie bereits an anderer Stelle erwähnt80, sieht das Grundgesetz unmittelbare Vermögensverschiebungen zwischen Bund und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht vor, auch nicht zwischen Land und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und zwischen bundes- und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Solche „vertikal grenzüberschreitenden" Leistungen sind damit wegen Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme bildet insofern nur Art. 106 Abs. 8 GG, der in einem sehr speziellen Fall unmittelbare Zahlungen des Bundes an bestimmte Kommunen ermöglicht. Weiter ist der bereits genannte Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG zu erwähnen: Hiernach trägt der Bund die Lasten der Zuschüsse der Sozialversicherung allein, was einerseits eine Befugnis des Bundes begründet, auch landesunmittelbare Sozialversicherungsträger finanziell zu unterstützen, andererseits länderinterne Finanzausgleichsmaßnahmen ausschließt81. Greifen diese Ausnahmen nicht ein, ist bei Beteiligung landesunmittelbarer juristischer Personen des öffentlichen Rechts an Aufgaben, deren Kosten zweckgebunden (teilweise) vom Bund finanziert werden, hinsichtlich der Zulässigkeit von Vermögensverschiebungen rechtlich zwischen Bund-LänderVerhältnis und dem Verhältnis zwischen Land und landesunmittelbarer juristischer Person des öffentlichen Rechts zu unterscheiden. Dies betrifft insbesondere die Frage der Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wenn durch Landes- oder Bundesgesetz die Kommunen mit der Vollziehung solcher Aufgaben beauftragt werden, deren Ausgaben der Bund aufgrund der aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten der Art. 104a Abs. 2 und 3 oder Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG (anteilig) zu tragen hat82. Die Lastenverteilungsvorschriften des Grundgesetzes berechtigen den Bund nur zu Leistungen an die Länder; landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts können wegen der im Grundgesetz angelegten Zweistufigkeit des Staatsaufbaus83 aus diesen Vorschriften keine Ansprüche gegen den Bund herleiten. Sie können den Bund weder auf Zahlung an sich noch auf Zahlung an das Land in Anspruch nehmen84, sondern Ansprüche nur gegen Abs. 3; Niedersachsen: Art. 57 Abs. 4 Verf; Nordrhein-Westfalen: Art. 78 Abs. 3; Rheinland-Pfalz. Art. 49 Abs. 5; Saarland: Art. 120 Abs. 2; Sachsen: Art. 85 Abs. 1 und 2; Sachsen-Anhalt Art. 87 Abs. 3; Schleswig Holstein: Art. 49 Abs. 2; Thüringen: Art. 93 Abs. 1. 80 Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff). 81 Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 29 ff. Siehe hierzu näher: 7. Kap. D I (S. 392 ff). 82 Siehe hierzu: 1. Kap. Β ΠΙ (S. 76 ff). 83 Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff). 84 A. A. VGH München, BayVBl 1970, S. 67 ff. - siehe hierzu: 5. Kap. A l l a (S. 254 Fußn. 16).

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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das Landrichten, da für die Finanzausstattung der landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur Landesrecht maßgeblich ist 85 . Landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts können aber reflexartig durch die Zweckbindung der Bundesmittel begünstigt werden: Werden ζ. B. in einem Land bestimmte Bundesauftragsangelegenheiten nicht vom Land selbst, sondern (als Auftragsangelegenheit oder als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung) von den Kommunen wahrgenommen, so muß das Land die nach Art. 104a Abs. 2 GG geleisteten Bundesmittel an die Kommunen entsprechend ihren Aufwendungen weiterleiten. Entgegenstehende Regelungen würden gegen die in Art. 104a Abs. 2 GG normierte Zweckbindung der gezahlten Bundesmittel und deshalb gegen Bundesrecht verstoßen und wären nach Art. 31 GG nichtig. Den Ländern ist somit bundesrechtlich untersagt, Bundesmittel, welche die Erfüllung von Aufgaben finanzieren sollen, die nach Maßgabe des Bundes- oder Landesrechts von landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts wahrgenommen werden, nicht oder nicht zweckgebunden, etwa nur im Wege des allgemeinen Finanzausgleichs weiterzugeben86. Dies bedeutet einerseits, daß das Landesrecht gewährleisten muß, daß den betroffenen landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts mindestens die Aufwendungen erstattet werden, die der Bund den Ländern erstattet87. Andererseits sind Leistungen der Länder gegenüber landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch dann möglich, wenn im Bund-Länder-Verhältnis nach Art. 104a Abs. 1 GG keine oder etwa nach Art. 104a Abs. 2 und 3 GG oder Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG - wegen Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG88 - keine vollständige Erstattung der bei der Durchführung eines Gesetzes entstehenden Ausgaben vorgesehen ist. e) Die bisher genannten verwaltungsorganisationsrechtlichen Bestimmungen ordnen regelmäßig allein das Verhältnis zwischen Bund und Land bzw. bundes- oder landesunmittelbarer juristischer Person des öffentlichen Rechts und ihrem jeweiligen Träger. Nicht immer bestehen Vorschriften, welche die 85

Diese Frage ist nicht mit der Frage zu verwechseln, ob die Normen der Finanzverfassung der Länder, die bei einer gesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Kommunen, einen Lastenausgleich durch das Land vorsehen, auch dann anwendbar sind, wenn diese Aufgabenübertragung nicht durch Landes-, sondern durch Bundesgesetz vorgenommen wird (siehe hierzu: Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung, S. 161 ff.). Sollten diese Normen den Fall der Aufgabenübertragung durch Bundesgesetz nicht erfassen, heißt dies nicht, daß nicht trotzdem Landesrecht für die Lastenverteilung zwischen Land und Kommune maßgeblich wäre. 86 So Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, Rn. 28; a. A. Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 290. 87 In diese Richtung auch: Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 14; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 75. 88 Siehe hierzu näher: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff).

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Rechtsbeziehungen zwischen den genannten Hoheitsträgern auf einer Ebene regeln. Eine wichtige Ausnahme bilden insofern die §§ 86 ff. SGB X über die Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger untereinander. Es gibt jedoch keine allgemeingültigen Verwaltungsorganisationsgesetze, die das Verhältnis zwischen den Ländern 89, den Gemeinden innerhalb eines Landes und innerhalb verschiedener Länder, den verschiedenen Handwerkskammern etc. näher konkretisieren. Um in diesen Fällen ermitteln zu können, ob entgegen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. die Finanzierung fremder Aufgaben zulässig ist, müssen nach dem oben Gesagten90 die für beide Hoheitsträger geltenden Regelungen herangezogen werden: Zunächst ist zu fragen, ob der leistende Hoheitsträger berechtigt ist, an den empfangenden Hoheitsträger zu leisten. Fehlt diesbezüglich eine ausdrückliche Zuweisung der Finanzierungszuständigkeit, wird man eine Befugnis zur Finanzierung fremder Aufgaben bei solchen juristischen Personen des öffentlichen Rechts verneinen müssen, deren Wahrnehmungszuständigkeiten enumerativ aufzählbar sind - wie bei den berufsständischen Vereinigungen und Sozialversicherungsträgern. Anders ist es beim Bund und den Ländern: Ihnen steht es grundsätzlich frei, die Aufgabenerfüllung der ihnen jeweils zugeordneten Hoheitsträger auch ohne besondere Ermächtigung zu finanzieren. So ist es möglich, daß sich der Umstand, daß eine Gemeinde Zuwendungen durch ein Land erhält, allein aus dem Haushaltsplan des Landes entnehmen läßt91. Die Befugnis, auch ohne ausdrückliche Ermächtigung andere juristische Personen des öffentlichen Rechts finanziell zu unterstützen, wird man auch den Kommunen zusprechen können, solange sie mit der Finanzierung der Aufgabenerfüllung fremder Hoheitsträger eine eigene Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen. Weil Bund, Länder und Kommunen grundsätzlich unbegrenzte Finanzierungszuständigkeiten gegenüber ihnen zugehörigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts besitzen, sind sie auch vornehmlich Adressaten der Anstaltslast, wenn ihnen „untergeordnete" juristische Personen des öffentlichen Rechts in eine Haushaltsnotlage geraten92. Steht fest, daß der leistende Hoheitsträger die Aufgabenerfüllung durch einen anderen Hoheitsträger finanzieren darf, ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob das für den empfangenden Hoheitsträger geltende Recht diesem gestattet, Finanzierungsleistungen durch den leistenden Hoheitsträger entgegenzunehmen. Von einer solchen Annahmeberechtigung ist immer dann 89

Siehe hierzu näher: 7. Kap. C (S. 386 ff.). Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff.). 91 Schmidt-Jortzig/Makswit, Rn. 37. Zu solchen Fällen vgl. OVG Münster, OVGE 16, S. 16 ff. - „Wohnungsbauförderung", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 194) und C I a (S. 236 f.); OVG Koblenz, NVwZ 1988, S. 448 ff. - „Gelenkbus". 92 Siehe hierzu: 1. Kap. A I f (S. 38 ff.). 90

A. Verwaltungsorganisationsrechtliches Vermögensrecht

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auszugehen, wenn keine entgegenstehenden Rechtsvorschriften bestehen. Es existiert kein Art. 104a Abs. 1 GG entsprechender allgemeiner Rechtsgrundsatz, nach dem juristische Personen des öffentlichen Rechts Finanzzuweisungen anderer Hoheitsträger grundsätzlich nicht annehmen dürften.

f) Die Aufzählung der oben genannten Vorschriften zeigt, daß die Finanzbeziehungen zwischen Hoheitsträgern allein dem öffentlichen Recht unterstellt sind93 - unabhängig davon, ob die betroffenen Hoheitsträger nach außen hin öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich handeln94. Das Privatrecht regelt das zwischen Hoheitsträgern geltende Vermögensrecht grundsätzlich nicht. Das Verwaltungsorganisationsrecht als Teil des öffentlichen Rechts geht vielmehr als speziellerer Normenkomplex den privatrechtlichen Vorschriften vor. Aus dem Privatrecht lassen sich deshalb Finanzierungszuständigkeiten zwischen Hoheitsträgern nur herleiten, wenn das Verwaltungsorganisationsrecht selbst auf das Privatrecht verweist oder wenn privatrechtliche Rechtssätze analog oder als allgemeine Rechtsgrundsätze zur Lückenfullung und Ergänzung des zwischen Hoheitsträgern geltenden öffentlich-rechtlichen Vermögensrechts herangezogen werden können95. Daß der Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts gegenüber dem Privatrecht grundsätzlich anerkannt ist, zeigt sich ζ. B. daran, daß (zumindest in der Literatur) davon ausgegangen wird, im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern ließen sich ohne weiteres keine Ersatzansprüche aus dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag herleiten, da dies die zwischen den beteiligten Hoheitsträgern geltenden Zuständigkeits- und Lastenverteilungsvorschriften unterlaufen könnte96. Auch gilt Art 104a GG nach allgemeiner Ansicht nicht nur für das öffentlich-rechtliche Tätigwerden von Bund und Ländern, sondern auch, wenn zwischen ihnen Privatrechtsbeziehungen aufgebaut werden97, so 93 So ausdrücklich zuletzt Lassar (Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht [19211, S. 47 ff.), Otto Mayer (Deutsches Verwaltungsrecht - Zweiter Band [3. Aufl. 1924, zit. im folgenden: VerwR Π 3 ], § 60, S. 380) und Strickrodt (RVB1 1935, S. 989 ff). Die Zuordnung des zwischen Hoheitsträgern geltenden Vermögensrechts zum öffentlichen Recht wird aber stillschweigend den heutigen Darstellungen zum Finanzverfassungrecht und Lastenverteilungsrecht als selbstverständlich zugrunde gelegt. 94 Die Sachlage ähnelt insofern den Beziehungen zwischen einem Beamten und seinem Dienstherrn, die auch dann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind, wenn der Beamte im Verhältnis zum Bürger privatrechtlich handelt. 95 Siehe hierzu: Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 2 Rn. 67; Forsthoff, VerwR I, § 9, S. 168 ff; Maurer, Allg. VerwR, § 3 Rn. 28 ff; Merk, Deutsches Verwaltungsrecht - Erster Band (1962), S. 352 ff; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 22 Rn. 46 ff. 96 Siehe hierzu nur: Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 29 Rn. 10 ff; Schoch, Jura 1994, S. 242 ff m. w. N. auch zur Rechtsprechung. 97 Vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform (1984), S. 255 Fußn. 299; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen (2. Aufl. 1985), S. 169; Stern, StR Π, §47 Π. 2,

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1. Kap. : Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

daß die beschränkten Finanzierungszuständigkeiten des Bundes gegenüber den Ländern ζ. B. nicht durch die Vergabe privatrechtlicher Darlehen unterlaufen werden können98. g) Finanzierungszuständigkeiten zwischen Hoheitsträgern lassen sich zudem grundsätzlich auch nicht aus solchen Normen herleiten, die zwar dem öffentlichen Recht zugehören, aber primär das Außenverhältnis zwischen Staat und Bürger regeln sollen. Das Verwaltungsorganisationsrecht als das die Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Trägern öffentlicher Verwaltung regelnde „Innenrecht" ist insofern spezieller. Der hieraus folgende Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts auch gegenüber den das Staat-BürgerVerhältnis regelnden Normen wurde ζ. B. bei der Diskussion zur Grundrechtsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen deutlich: Hier zeigte sich, daß die Übertragung nicht verwaltungsorganisationsrechtlicher Normen auf das Recht der Verwaltungsorganisation geeignet wäre, Zuständigkeitsnormen zu verwischen und letztlich auszuhöhlen, was dem gleichsam als Fortsetzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zu sehenden rechtsstaatlichen Erfordernis klarer Kompetenzzuordnung innerhalb der Verwaltung widerspräche 99. Aber auch sonst ist ein Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts gegenüber dem „allgemeinen Verwaltungsrecht" anerkannt: so ζ. B. bei der Frage, ob es zulässig ist, Hoheitsträgei polizeirechtlich in Anspruch zu nehmen 100 , oder der Frage, inwieweit Hoheitsträger steuerpflichtig sind 101 . Aus diesem Vorrang folgt, daß öffentlich-rechtliche Normen, die auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger zugeschnitten sind, nur dann auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern Anwendung finden können, wenn sie auch gerade dieses Verhältnis mitregeln sollen.

S. 1138. Dies entspricht auch dem Fernsehurteil des BVerfG, nach dem auch bei Wahl privatrechtlicher Handlungs- und Organisationsformen die Art. 83 ff. GG zu beachten sind (BVerfGE 12, S. 205 ff. [S. 246 f.]). 98 Praktisch wurde dies ζ. B. bei BVerwG, BayVBl 1987, S. 23 ff. - „Tilgungsraten", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194). 99 Vgl. Forsthoff, VerwR I, § 23 2 a, S. 433 f.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts - Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung (1977; zit: HdbStR I), § 24 Rn. 79; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland - Band I: Grundlagen und Grundbegriffe des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung (2. Aufl. 1984; zit. im folgenden: StR I), § 20 IV 4 d, S. 824. 100 Siehe hierzu: Denniger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts (2. Aufl. 1996), E Rn. 79 ff; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr (9. Aufl. 1986), § 15 3 b, S. 240 ff. 101 Siehe hierzu: Vogel, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 87 Rn. 37.

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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Β. Rückabwicklung unter Verstoß gegen die Lastenverteilungsvorschriften erbrachter Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern Es ist bereits gesagt worden, daß vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichende Finanzierungszuständigkeiten, welche einen Hoheitsträger zur Finanzierung von Aufgaben eines anderen Hoheitsträgers verpflichten, auch einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch des begünstigten Hoheitsträgers begründen102. Der umgekehrte Fall, daß ein Hoheitsträger die Aufgabenerfüllung eines anderen Hoheitsträgers finanziert, obwohl er hierzu nicht berechtigt ist, bedarf dagegen eingehenderer Untersuchung: Hier ist fraglich, inwieweit der Leistungsempfanger verpflichtet ist, die erhaltene Leistung zurückzuerstatten. Besondere Schwierigkeiten entstehen dann, wenn der Ausgabenträger aufgrund einer vermeintlich einschlägigen Finanzierungszuständigkeit eine Aufwendung erstattet, die er nicht erstatten darf, die mittelbewirtschaftende Stelle die erhaltene Summe jedoch bereits an einen Dritten weitergeleitet hat, was insbesondere bei unechten Haftungsfällen eine Rolle spielt103. Deshalb soll hier zwischen der Rückerstattung in Zwei-Personen-Verhältnissen (I) und der Rückerstattung in Drei- und Mehr-Personen-Verhältnissen unterschieden werden (II und III). I. Rückerstattungsansprüche in Zwei-Personen-Verhältnissen a) Die Vorschriften, welche die finanziellen Beziehungen zwischen Hoheitsträgern regeln, beschränken sich regelmäßig darauf, Finanzierungszuständigkeiten anzuordnen, während meistens nicht der Fall geregelt ist, daß ein Hoheitsträger entgegen dem Konnexitätsprinzip i. e. S. die Aufgaben eines anderen Hoheitsträgers finanziert, obwohl dies nicht zugelassen ist. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, daß Rückforderungsansprüche des leistenden Hoheitsträgers gänzlich ausgeschlossen sind: Sie können sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden jedoch im Regelfall von vornherein aus, da der leistende Hoheitsträger aufgrund der Zweckbindung seines Verwaltungsvermögens mit der Leistung nur eine eigene Aufgabe erfüllen will, es also an dem notwendigen Fremdgeschäftsführungswillen fehlt 104 . In Betracht kommt jedoch eine Rückforderung aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Er102

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 a (S. 41). Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsfällen, siehe: 1. Kap. Α Π 1 c(S. 44). 104 Schock, Jura 1994, S. 247 ff. 103

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

stattungsanspruchs. Dessen Regelungsanliegen hat das BVerwG in seinem diesbezüglich grundlegenden Urteil vom 12. März 1985 wie folgt umschrieben: „Leistungen ohne Rechtsgrund und sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen müssen rückgängig gemacht werden. Dieser Rechtsgedanke, der sich unmittelbar aus der Forderung nach wiederherstellender Gerechtigkeit ergibt, hat im bürgerlichen Recht seine Ausprägung in den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung gefunden; im öffentlichen Recht hat er sich auf verschiedenen Rechtsgebieten in einer Vielzahl von Vorschriften niedergeschlagen, in denen für das jeweilige Rechtsgebiet die Rückgewähr des rechtsgrundlos Erlangten geregelt ist. Aber auch dort, wo es [...] an einer ausdrücklich gesetzlichen Regelung fehlt, müssen rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden. Hierzu dient der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der seit langem anerkannt ist, so daß in Rechtsprechung und Schrifttum bereits von einem Gewohnheitsrecht gesprochen wird." 105

Daß diese Grundsätze auch auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern passen, also auch im Verwaltungsorganisationsrecht gelten, ist anerkannt106: Wenn das Verwaltungsorganisationsrecht Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern nur zuläßt, soweit dies den Vorschriften über die Lastenverteilung entspricht, muß es auch Instrumentarien bereithalten, solche Vermögensverschiebungen wieder rückgängig zu machen, die entgegen der angeordneten Lastenverteilung erfolgten 107. Deshalb kann Achterberg insoweit nicht gefolgt werden, als er in bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis der Ansicht ist, daß von der Verfassungsordnung ein Rückforderungsanspruch bei Verstoß gegen die finanzverfassungsrechtlichen Finanzierungszuständigkeiten des Bundes nicht vorgesehen sei und auch nicht aus ihr abgeleitet werden könne108. Die Regeln über die Lastenverteilung bilden also nicht nur eine Ermächtigung zu einer Vermögensverschiebung zwischen Hoheitsträgern, sondern auch einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen des durch eine Vermögensverschiebung Erlangten. Deshalb besteht zwischen Hoheitsträgern ein Erstattungsanspruch wegen rechtsgrundloser Leistung immer dann, wenn sich nach einer Vermögensverschiebung herausstellt, daß die Voraussetzungen einer

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BVerwGE 71, S. 85 ff. (S. 87 f.). Siehe nur: Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 513; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 53 2 b, S. 337 f.; Schock, Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, Jura 1994, S. 85. 107 Vgl. Weber, Der Erstattungsanspruch (1970), S. 36 ff., der diese Erwägung auch im Staat-Bürger-Verhältnis für zutreffend hält. Gegen eine solche Rechtfertigung des Erstattungsanspruchs: Wallerath, Das System der öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüche, DÖV 1972, S. 221. 108 Achterberg, Die interkörperschaftliche Haftung im Bundesstaat am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, DVB1 1970, S. 131. In diese Richtung auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 116. Vgl. auch Pappemiann, Ansprüche des Staates, S. 33 Fußn. 155. 106

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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vermeintlich einschlägigen Finanzierungszuständigkeit tatsächlich nicht vorgelegen haben. Der Empfanger kann dem Leistenden nicht entgegenhalten, daß die Rückerstattung der erlangten Vermögenswerte gegen die Zweckbindung seines Verwaltungsvermögens verstoße. Er kann ihm auch bei Geltung des mittelbaren Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens 109 nicht entgegenhalten, daß es der Ausgabenträger in der Hand habe, vor der Erstattung die jeweilige Ausgabe auf ihre sachliche Berechtigung hin zu überprüfen, und das Verwaltungsrisiko auf ihn übergehe, wenn er diese Möglichkeit nicht ausnutze110. Einen solchen ungeschriebenen Grundsatz der Verwaltungsrisikoverteilung gibt es nicht 111 . Er würde auch gegen den Grundsatz verstoßen, daß die Wahl eines bestimmten Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens keine Rückwirkungen auf Umfang und Reichweite einer Finanzierungszuständigkeit hat 112 . b) Liegen die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs vor, gelten nicht die §§ 818 ff. BGB entsprechend, sondern eigenständige öffentlich-rechtliche Rechtsgrundsätze. Das Erlangte ist - ohne Verzinsung 113 - zurückzugewähren. Hoheitsträger können sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung bzw. Vertrauensschutz berufen. In dem oben erwähnten Grundsatzurteil des BVerwG heißt es dazu: ,,Die öffentliche Hand ist dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtet. Ihr Interesse muß darauf gerichtet sein, eine ohne Rechtsgrund eingetretene Vermögensverschiebung zu beseitigen und den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gilt für sie auch dann, wenn sie selbst etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat. Deshalb - und nicht etwa nur, weil ein Wegfall der Bereicherung aus tatsächlichen Gründen selten nachweisbar sein wird - ist ihr grundsätzlich untersagt, sich auf eine Entreicherung zu berufen." 114

Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das Erstattungsverhältnis allein zwischen Hoheitsträgern besteht115. Jedenfalls in solchen Erstattungsfällen kann auch nicht der Rechtsgedanke des § 814 BGB angewendet werden: Schon aus der Zweckbindung des Verwaltungsvermögens folgt die Notwendigkeit einer Rückerstattung; andernfalls könnten Finanzierungsverbote unterlaufen werden, indem man vollendete Tatsachen schafft. In Zwei-Personen-

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Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 h (S. 52). So aber Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 67. Ähnlich auch Keller, Zum Einfluß des Bundes bei der Finanzierung von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, DÖV 1977, S. 847 ff. 111 Kummer, Die Haftung der Länder, S. 230. 112 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 f (S. 51). 113 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 55 4 b, S. 351 \Schoch, Jura 1994, S. 88. 114 BVerwGE 71, S. 85 ff (S. 89). 115 BVerwGE 36, S. 108 ff. (S. 113 f.) - „G 131". 110

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Verhältnissen wird man daher bei Verstoß gegen die Lastenverteilungsvorschriften grundsätzlich von der Möglichkeit einer Rückforderung aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ausgehen können.

II. Rückerstattungsansprüche in Drei-Personen-Verhältnissen a) Die Rückabwicklung von Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern, die unter Verstoß gegen zweckgebundene Finanzierungszuständigkeiten erbracht werden, kann besondere Probleme in unechten Haftungsfällen 1 1 6 aufwerfen, insbesondere dann, wenn die mittelbewirtschaftende Stelle auf Rechnung des Ausgabenträgers an einen Dritten eine Leistung erbringt, der Ausgabenträger also unmittelbar an den Dritten zahlt, ohne daß die mittelbewirtschaftende Stelle, welche die Zahlung veranlaßt hat, an dem Zahlungsvorgang selbst beteiligt ist 1 1 7 : Beispiel Nr. 10 (nach BVerwGE 12, S. 253 ff [„Soforthilfe II"J m): Vorläufer des LAG war das Soforthilfegesetz (SHG)119, das nur für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet galt (§ 84 SHG). Es sah die Erhebung einer Soforthilfeabgabe vor (§§ 1 ff. SHG), deren Erträge einem Soforthilfefonds zuzuführen waren (§48 Abs. 1 SHG). Der Soforthilfefonds stellte einen außeretatmäßigen Fonds des Bundes dar. Hieraus durften ausschließlich Leistungen der Soforthilfe nach § 32 SHG gewährt werden (§ 48 Abs. 2 SHG). Durchgeführt wurde die Soforthilfe von den Ländern bzw. Kommunen. Die Soforthilfeleistungen wurden unmittelbar auf Rechnung des Soforthilfefonds erbracht. Ungetreue Angestellte des Soforthilfeamts der Freien und Hansestadt Hamburg unterschlugen Ende der 40er Jahre Gelder des Soforthilfefonds. Der Bund verlangte von der Freien und Hansestadt Hamburg daher, daß sie für den so entstandenen Schaden des Soforthilfefonds aufkomme. Beispiel Nr. 11 (nach BVerwGE 104, S. 29 ff. [„Hinterlegung"]™): Die Straßenverwaltung Rheinland-Pfalz stellte durch Planfeststellungsbeschluß den Ausbau der Bundesstraße 54 in Diez fest. Zur Verwirklichung des Vorhabens wurde ein Grundstück in der Gemarkung Diez enteignet, das mit einer Grundschuld belastet war, die weit über den Wert des Grundstückes hinaus ging. Als - nach Art. 104a Abs. 2 GG i. V. m. § 6 Abs. 3 BundesautobahnVermG vom Bund zu tragende - Enteignungsentschädigung wurden 94.220 DM festgesetzt. Da Ungewißheit darüber bestand, ob die Enteignungsentschädigimg dem Grundstückseigentümer

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Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsfällen, siehe: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44). 117 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 g (S. 51). 118 Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff.). Ein ähnlicher Fall war Gegenstand des Urteils „Soforthilfe I" (BGHZ 26, S. 232 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A 1 1 e (S. 175 ff.). 119 Gesetz zur Milderung dringender sozialer Notstände vom 8. August 1949 (WiGBl S. 205). 120 Siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 229 ff.).

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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oder dem Grundschuldinhaber zustand, wurde die Hinterlegung des Entschädigungsbetrages beim Amtsgericht Diez bestimmt. Das entsprechende Antragsformular hatte ein Verwaltungsangestellter des Straßenbauamts unter Mithilfe des Geschäftsstellenbeamten des Amtsgerichtes im Gerichtsgebäude ausgefüllt und später vervollständigt; der Geschäftsstellenbeamte hatte als Empfangsberechtigte lediglich den Namen des Grundstückseigentümers - versehen mit dem Zusatz ,,a.)" eingetragen. Bei der Vervollständigung des Antrags unterblieb jedoch die Bezeichnung des Grundschuldinhabers. Nach Hinterlegung des Betrages begehrte der Grundstückseigentümer Zahlung an sich. Bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts wurde die Unvollständigkeit des Antrages übersehen und der Betrag ausgezahlt. Später verlangte der tatsächlich auszahlungsberechtigte Grundschuldgläubiger seinerseits Zahlung. Da das Land den Betrag vom Grundstückseigentümer nicht zurückerhalten konnte, zahlte es auf Rechnung des Bundes die Entschädigungssumme ein weiteres Mal an den Grundstückseigentümer. Der Bund verlangt insoweit vom Land Schadensersatz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG.

Unterstellt man hier, daß § 48 Abs. 2 SHG bzw. Art. 104a Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 3 BundesautobahnVermG das Risiko von Fehlzahlungen allein dem Land zuweisen121, stellte sich das Schadensersatzbegehren des Bundes der Sache nach als gegen das Land gerichtetes Rückerstattungsbegehren dar. Es ist jedoch fraglich, ob ein Erstattungsverhältnis zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle besteht. Denkbar wäre auch, daß der Ausgabenträger die Erstattung nur unmittelbar von dem Dritten verlangen kann. Insofern sind die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs näher zu untersuchen. Diese werden meist wie folgt umschrieben122: 1. Vorliegen einer unmittelbaren Vermögensverschiebung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses; 2. fehlender Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung. Das Merkmal der unmittelbaren Vermögensverschiebung wird so verstanden, daß der Entreicherung auf der einen Seite eine Bereicherung auf der anderen Seite entsprechen müsse. Ihm soll gerade in Mehr-Personen-Verhältnissen Bedeutung zukommen, wobei gefordert wird, daß in mehrseitigen Verhältnissen ein und derselbe Vorgang auf der einen Seite den Gewinn und auf der anderen Seite den Verlust unmittelbar zur Entstehung bringen müsse123. Dies ist gerade bei Handeln eines Hoheitsträgers auf Rechnung eines anderen Hoheitsträgers so verstanden worden, daß der Zahlungsvorgang entscheidend 121

Siehe zur Schadenslasten Verteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 GG und des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG: 6. Kap. A I 2 und 3 (S. 322 ff.) sowie m (S. 330 fi.) . 122 Erichsen, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 29 Rn. 22 ff.; Maurer, Allg. VerwR, § 28 Rn. 23 ff ; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 55, S. 344 ff ; Schock, Jura 1994, S. 86 f. 123 Maurer, Allg. VerwR, § 28 Rn. 23; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 55 3, S. 349; Schock, Jura 1994, S. 86. 5 Stelkens

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1. Kap. : Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

sei, um Gläubiger und Schuldner des Erstattungsanspruchs zu bestimmen: Eine Erstattung sei nur im Verhältnis zwischen Ausgabenträger und Drittem möglich, eine Rückforderung des Geleisteten von der mittelbewirtschaftenden Stelle sei ausgeschlossen124. In den Beispielen Nr. 10 und Nr. 11 wäre damit auf der Grundlage des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs eine Rückerstattung nur im Verhältnis zwischen dem Bund und den ungetreuen Bediensteten bzw. dem Grundstückseigentümer möglich gewesen. Begründet wird dieses Ergebnis damit, daß die mittelbewirtschaftende Stelle bei zweckverfehlender Mittelverwendung nicht bereichert sei bzw. nichts erlangt habe125. Daß dies den zwingenden Vorgaben des Verwaltungsorganisationsrechts und den Interessen des (möglicherweise auch gutgläubigen) Dritten gerecht wird, ist allerdings nicht selbstverständlich. Das Kriterium der „unmittelbaren Vermögensverschiebung" und seine Heranziehung zur Bestimmung von Gläubiger und Schuldner des Erstattungsanspruchs geht nämlich offensichtlich auf die Rechtsprechung des RG zu § 812 BGB zurück, in der mit dem Topos der „unmittelbaren Vermögensverschiebung" das Tatbestandsmerkmal des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB „auf dessen Kosten" präzisiert werden sollte126. Von der früher herrschenden Lehre der Einheitskondiktion, welche die in § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ausdrücklich erwähnte Leistungskondiktion und die Bereicherung „in sonstiger Weise" für nicht wesensmäßig verschieden hielt, wurde dieses Kriterium zur Lösung des Bereicherungsausgleichs in Mehr-Personen-Verhältnissen ausgebaut, wobei sein genauer Inhalt stets umstritten blieb 127 . Jedenfalls wurde nicht durchgehend der Zahlungsvorgang als entscheidend angesehen, sondern es wurde auch die Formel der „unmittelbaren Vermögensverschiebung durch mittelbare Leistung" geprägt, nach der sich Gläubiger und Schuldner des Bereicherungsanspruchs nach den Kausalverhältnissen bestimmen, die den Zahlungsvorgängen zugrunde liegen128. 124 So z. B. G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 127; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 117 f.; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 82 f. 125 Ejfertz, RiA 1978, S. 123; G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 127; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 83; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz Art. 104a Rn. 63; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 275; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 303 f; ders., Die Rechtsstellung der Kommunen im übertragenen Wirkungskreis, DVB1 1993, S. 195; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 158. 126 Lorenz, Verbindungslinien zwischen öffentlichrechtlichem Erstattungsanspruch und zivilrechtlichem Bereicherungsausgleich, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens - Festschrift für Peter Lerche (1993), S. 939 ff; ders., in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - Zweites Buch: Recht der Schuldverhältnisse §§ 812 - 822 (13. Bearbeitung 1994, zit. im folgenden: Staudinger-Ztetfrò.), Vorbem zu §§ 812 ff., Rn. 82. 127 Medicus, Bürgerliches Recht (17. Aufl. 1996), Rn. 663. 128 Siehe hierzu: Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse (15. Aufl. 1958), §221 m,S. 879 ff.

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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b) Im Zivilrecht ist die Lehre von der Einheitskondiktion von Rechtsprechung und herrschender Lehre schon lange aufgegeben worden 129. Es hat sich die sog. „Trennungslehre" durchgesetzt, nach der im Bereicherungsrecht zwischen dem Fall der Leistungskondiktion und dem Fall der Nichtleistungskondiktion unterschieden werden muß und das Merkmal „auf dessen Kosten" sich nur auf den Fall der Nichtleistungskondiktion bezieht130. Nur bei der Nichtleistungskondiktion kann daher nach heute im Zivilrecht herrschender Lehre wenn überhaupt noch - das Kriterium der unmittelbaren Vermögensverschiebung von Bedeutung sein131. Bezüglich der Leistungskondiktion wird dagegen zur Bestimmung von Gläubiger und Schuldner des Bereicherungsanspruchs allein auf die zwischen den Beteiligten bestehenden Kausalverhältnisse abgestellt. Unter Leistung wird hierbei nicht der tatsächliche Zahlungsvorgang verstanden, sondern eine „bewußte, zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens", wobei mit „Bewußtheit" gemeint ist, daß die Vermögensmehrung dem „Vermögensverlierer" in irgendeiner Weise zurechenbar sein, und mit „Zweckgerichtetheit", daß sich die Vermögensmehrung auf ein Kausalverhältnis beziehen muß132. Der so definierte Leistungsbegriff wird im Zivilrecht als „Kurzformel" für drei von Canaris herausgearbeitete und allgemein anerkannte Wertungen begriffen, die beim Bereicherungsausgleich in Mehr-Personen-Verhältnissen berücksichtigt werden müssen133. Hiernach ist für die Entscheidung, wem gegenüber wem im Zivilrecht ein Bereicherungsanspruch zuzusprechen ist, maßgeblich, daß 1. den Partnern des fehlerhaften Kausalverhältnisses ihre Einwendungen und Einreden gegenüber dem anderen Teil erhalten bleiben; 2. die Parteien vor Einwendungen aus dem Verhältnis ihres Partners zu Dritten bewahrt bleiben; 3. jede Partei das und nur das Insolvenzrisiko hinsichtlich ihres Partners in dem fehlerhaften Kausalverhältnis trägt 134. Aus diesen Wertungen ableitbar ist ein gewisser Vorrang der Leistungskondiktion gegenüber der Nichtleistungskondiktion: Wenn sich aus den Bezie129

Zu neueren Bestrebungen, die Einheitslehre wieder aufleben zu lassen: Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 665. 130 Siehe nur: Larenz/Canaris, Schuldrecht Π/2, § 67 Π, S. 131 ff. 131 Vgl. Lieb in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - Band 5: Schuldrecht Besonderer Teil ΠΙ (3. Aufl. 1997, zit. im folgenden: MünchKommBearb.), § 812 Rn. 16 ff. Mißverständlich hier: Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 55 3, S. 350. 132 Siehe nur: Larenz/Canaris, Schuldrecht Π/2, § 67 Π 1 d, S. 132 ff. m. w. N. 133 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 686 ff. 134 Siehe zum ganzen: Larenz/Canaris, Schuldrecht Π/2, §70, S. 197 ff, insbes. § 70 VI 1, S. 247. 5*

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

hungen zwischen den Beteiligten nichts anderes ergibt, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß derjenige, dem etwas geleistet wurde, weder vom Leistenden noch von einem anderen aufgrund der Nichtleistungskondiktion in Anspruch genommen werden kann. Dementsprechend gilt jedenfalls als Faustformel: Wer etwas durch Leistung erhalten hat, braucht darüber grundsätzlich nur mit der Leistungskondiktion abzurechnen, also grundsätzlich nur mit demjenigen, der ihm das „etwas" geleistet hat 135 . Dies bedeutet in den klassischen Anweisungsfallen, in denen A auf Weisung des Β seine Schuld gegenüber Β dadurch tilgt, daß er nach § 362 Abs. 2 i. V. m § 185 Abs. 1 BGB an C zahlt und dadurch Β nach § 267 Abs. 1 BGB von dessen Verbindlichkeit gegenüber C befreit, daß A nur von Β und Β nur von C kondizieren kann. Durch die Zahlung des A an C wird eine Leistung des A an Β und eine weitere Leistung des Β an C bewirkt. Ausgeschlossen ist eine Direktkondiktion zwischen A und C im Wege der Nichtleistungskondiktion. Der Fall wird also im Ergebnis nicht anders entschieden als der Fall der sog. „Leistungskette", in dem A zuerst an Β und Β dann an C zahlt. c) Auch beim allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wird mittlerweile deutlich zwischen Leistungs- und Nichtleistungskondiktion unterschieden136 - auch vom BVerwG in der oben wiedergegebenen Passage seines Grundsatzurteils vom 12. März 1985137. Es wäre daher nicht von vornherein ausgeschlossen, die zivilrechtliche „Trennungslehre" und den ihr zugrunde liegenden Leistungsbegriff auch auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu übertragen. Bei Verstoß gegen aufgabenbezogene Finanzierungszuständigkeiten wäre dann zu unterscheiden zwischen dem Verhältnis zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle einerseits sowie mittelbewirtschaftender Stelle und Drittem andererseits. Es lägen zwei Leistungen im Rechtssinne vor, die bei Geltung des Verfahrens der unmittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung durch eine Zahlung bewirkt würden: Der Ausgabenträger will in Wahrnehmung seiner Finanzierungszuständigkeit bewußt und gewollt das Vermögen der mittelbewirtschaftenden Stelle vermehren 138, die mittelbe135

Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 730. Staudinger-Lorenz, § 812 Rn. 75 ff.; Lorenz, in: FS-Lerche, S. 931 ff; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 53 1, S. 333 ff ; Schock, Jura 1994, S. 86; Wallerath, DÖV 1972, S. 222 f.; Wolff/Bachof VerwR I, § 44 I b 6, S. 340 f. 137 BVerwGE 71, S. 85 ff (S. 87 f.), siehe hierzu: 1. Kap. Β I a (S. 61 f.). 138 Auch bei Handeln der mittelbewirtschaftenden Stelle auf Rechnung des Ausgabenträgers handelt dieser „bewußt", wie der zivilrechtliche Leistungsbegriff es fordert: Der Ausgabenträger entscheidet zwar nicht selbst über die Vornahme oder Nicht-Vornahme einer Zahlung. Hierum geht es aber bei dem „Bewußtseinserfordernis" des Leistungsbegriffs nicht. Durch dieses Merkmal soll umschrieben werden, daß eine Leistung nur vorliegt, wenn demjenigen, aus dessen Vermögen eine Zahlung erbracht wird, die Zahlung zurechenbar ist. Die Zahlungen des Ausgabenträgers bei unmittelbarer Fremdmittelbewirtschaftung sind diesem aber ohne weiteres zurechenbar, da er der 136

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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wirtschaftende Stelle will ihren Verpflichtungen gegenüber dem Dritten nachkommen. Es liegt ein klassischer Fall der oben beschriebenen Anweisungssituation vor. Um eine Übertragung der zivilrechtlichen Trennungslehre auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu rechtfertigen, reicht aber nicht aus, daß dies rechtstechnisch möglich ist. Wesentlich bedeutsamer ist, daß die ersten beiden von Canaris herausgearbeiteten Wertungen ohne weiteres auch auf das öffentliche Recht und insbesondere auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern passen. Auch hier ist es geboten, die Rückabwicklung von Leistungen primär zwischen den Beteiligten des fehlerhaften Kausalverhältnisses stattfinden zu lassen und Dritte nicht Ansprüchen auszusetzen, gegen die sie sich wenn überhaupt - nur unter Geltendmachung von Einwendungen und Einreden aus einem anderen Kausalverhältnis zur Wehr setzen können. Bezogen auf den Fall des Verstoßes gegen zweckgebundene Finanzierungszuständigkeiten ergibt sich dies schon aus der Überlegung, daß die Wahl eines bestimmten Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens keine Rückwirkungen auf die durch eine zweckgebundene Finanzierungszuständigkeit angeordnete Lastenverteilung hat 139 . Stellte man hinsichtlich des Rückforderungsanspruchs auf den tatsächlichen Zahlungsvorgang ab, wäre aber gerade dies möglich: Während bei mittelbarer Fremdmittelbewirtschaftung ein „Zahlungsverhältnis" zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle vorläge und daher in diesem Verhältnis eine Rückabwicklung stattfinden müßte, bestände bei Leistung auf Rechnung des Ausgabenträgers nur ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Dritten - das Risiko der Zahlungsfähigkeit des Dritten wäre also bei mittelbarer Fremdmittelbewirtschaftung der mittelbewirtschaftenden Stelle, bei unmittelbarer Fremdmittelbewirtschaftung dem Ausgabenträger zugewiesen. Entscheidend ist jedoch, daß die Verwaltungsverfahrensgesetze offensichtlich selbst von einer Rückerstattung „über das Dreieck" ausgehen. § 49a VwVfG, § 50 SGB X und die entsprechenden Vorschriften der Länder setzen voraus, daß ein Bürger Leistungen, die ihm zu Unrecht von einem Hoheitsträger erbracht worden sind, dem Träger der Behörde erstatten muß, die zuständig für den Erlaß (und die Aufhebung) des der Leistung zugrundeliegenden Verwaltungsaktes ist 140 . Dies sind innerhalb des Anwendungsbereichs aufga-

mittelbewirtschaftenden Stelle ein Handeln auf seine Rechnung ermöglicht hat. Es liegt eine mit Zahlungen im Lastschriftverfahren vergleichbare Situation vor, bei der das Vorliegen einer Leistung im Zivilrecht völlig unproblematisch bejaht wird, auch wenn die einzelne Zahlung vom Leistungsempfänger und nicht vom Leistenden selbst veranlaßt worden war (BGHZ 69, S. 186 ff. [S. 189]). 139 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 f (S. 51). 140 Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49a Rn. 33.

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

benbezogener Finanzierungszuständigkeiten die mittelbewirtschaftenden Stellen, denen auch die Aufgabe zugewiesen ist, solche Erstattungsansprüche geltend zu machen (vgl. insb. § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X, § 49a Abs. 1 Satz 2 VwVfG). In diesen Fällen ist teilweise ausdrücklich vorgesehen, daß Rückerstattungen des Bürgers an den Ausgabenträger abzuführen sind (§ 56 Abs. 2 BAföG, § 11 Abs. 3 GRW/GArG), was dem Grundsatz entspricht, daß eine Ausgabenzuständigkeit immer mit der Ertragszuständigkeit für solche Einnahmen korrespondiert, die sich materiell als Rückerstattung bereits getätigter Ausgaben darstellen 141. Diese speziellen Vorschriften würden - auch im Hinblick auf die Zuständigkeitsordnung - umgangen, wenn man einen Direktanspruch des Ausgabenträgers gegenüber dem Leistungsempfänger zulassen würde 142. Ein „Durchgriff' könnte auch nur auf den allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch gestützt werden, da die genannten spezialgesetzlichen Ansprüche das Verhältnis zwischen dem Dritten und dem Ausgabenträger nicht erfassen, der gegenüber dem Dritten gar nicht in Erscheinung getreten ist. Eine Trennung der Leistungsverhältnisse zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle sowie zwischen mittelbewirtschaftender Stelle und Drittem würde damit vor allem auch dem Schutz des Dritten dienen: Er bräuchte nur mit der mittelbewirtschaftenden Stelle abzurechnen, zu der er in unmittelbare Beziehungen getreten ist. Er müßte keinen Rückforderungsanspruch des Ausgabenträgers befürchten, dem er die Bestandskraft eines der Leistung zugrunde liegenden Verwaltungsakts der mittelbewirtschaftenden Stelle oder die Rechtskraft eines gegen die mittelbewirtschaftende Stelle ergangenen Urteils nicht ohne weiteres entgegenhalten könnte. Schließlich ergibt sich die Übertragbarkeit der beiden ersten von Canaris genannten Wertungen auf das öffentliche Recht auch aus folgender Überlegung: Wenn man allein auf den Zahlungsvorgang abstellt, wäre beim bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht der Dritte, sondern die Bank, bei welcher der Dritte sein Konto unterhält, bereichert. Was die Bank aber mit den hier aufgeworfenen Fragen der Rechtmäßigkeit von Vermögensverschiebungen zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle zu tun haben soll, ist nicht ersichtlich - sie ist letztlich nur Zahlstelle für ihren Kunden. Gerade diese Bankfalle waren auch Anlaß für die Entwicklung der Trennungslehre im Zivilrecht. d) Gegen die Übertragbarkeit der Trennungslehre und des ihr zugrunde liegenden Leistungsbegriffs auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch könnte allenfalls sprechen, daß sich die dritte ihr nach Canaris 141

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 b (S. 43 f.). Ähnlich auch BGHZ 73, S. 1 ff. (S. 3 f.) in bezug auf die Zuständigkeit zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch den ,Auftragnehmer" bei Auftragsverwaltung: Wollte man die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen dem Bund übertragen, „so bedeutete dies im Ergebnis das Herausbrechen eines Teils der übertragenen Aufgaben zugunsten einer unmittelbaren Bundeszuständigkeit." 142

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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zugrunde liegende Weitung nicht auf das öffentliche Recht übertragen läßt, nach der jede Partei das - und nur das - Insolvenzrisiko desjenigen tragen soll, den sie sich selbst als Partner eines Kausalverhältnisses ausgesucht hat: Bei Erstattungsansprüchen gegenüber Hoheitsträgern greift sie nicht, da bei Hoheitsträgern ein Insolvenzrisiko entweder mangels Insolvenzfahigkeit nicht besteht (vgl. § 12 InsO) oder bei Insolvenzfähigkeit tatsächlich minimal ist. Bei Erstattungsansprüchen eines Hoheitsträgers gegenüber einem Bürger greift diese Wertung nicht, da sie ihre Rechtfertigung darin findet, daß sich Privatpersonen im Regelfall ihre Vertragspartner nach Liquiditätsgesichtspunkten aussuchen können. Dieses Kriterium setzt Privatautnomie zwingend voraus, die Hoheitsträgern nicht zukommt: Sie können sich im Regelfall ihre „Leistungspartner" nicht nach Liquiditätsgesichtspunkten aussuchen. Aus der Nichtübertragbarkeit dieser Wertung läßt sich aber andererseits auch nicht auf die Nichtübertragbarkeit der „Trennungslehre" insgesamt schließen: Hieraus folgt jedenfalls nicht, daß es zwingend geboten wäre, allein auf den tatsächlichen Zahlungsvorgang abzustellen, um Gläubiger und Schuldner des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu bestimmen. Hieraus folgt nur, daß - anders als im Zivilrecht - in Einzelfallen ein Ausgleich zwischen Hoheitsträgern auch außerhalb direkter Leistungsbeziehungen geboten sein kann und die Regelungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gegebenenfalls durch andere Ausgleichsansprüche ergänzt werden müssen. Gerade hierin ist ζ. B. die Rechtfertigung des sogenannten Abwälzungsanspruchs zu sehen: Für diese heute in § 105 SGB X ausdrücklich geregelte Anspruchssituation ist kennzeichnend, daß ein (unzuständiger) Hoheitsträger zu Unrecht an einen Bürger eine Leistung erbringt, die der Bürger ihrer Art nach von einem anderen (zuständigen) Hoheitsträger hätte verlangen können. Das BSG 143 hatte es in einem Grundsatzurteil vom 30. Januar 1962 für möglich gehalten, einen unmittelbaren Ausgleich zwischen zuständigem und unzuständigem Hoheitsträger herbeizuführen, wenn hieran ein „öffentliches Interesse" bestehe. Hierbei hob es hervor, daß es „streng genommen" möglich sei, den Ausgleich zwischen den beiden Rechtsträgern dadurch herbeizuführen, daß der Bürger die Leistung demjenigen, der sie zu Unrecht bewirkt habe, zu erstatten habe und sie von demjenigen verlange, der leisten müsse. Ein unmittelbarer Ausgleichsanspruch würde diesen umständlichen Weg vermeiden144. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß es dem Bürger nicht möglich sein soll, zweimal eine der Sache nach gleiche Leistung zu empfangen, auf die er nur einmal einen Anspruch hat 145 : Der „umständliche" Weg könnte dazu führen, daß der Bürger dem unzuständigen Hoheitsträger die bereits erhaltene 143 144 145

BSGE 16, S. 151 ff. BSGE 16, S. 151 ff. (S. 156). So auch Wallerath, DÖV 1972, S. 225 f.

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Leistung wegen Illiquidität oder aufgrund von Vertrauensschutz nicht zurückerstatten muß, er eine der Sache nach gleiche Leistung jedoch vom zuständigen Hoheitsträger noch einmal verlangen kann. Der Abwälzungsanspruch setzt damit allerdings zwingend voraus, daß gegenüber dem Bürger die Leistung des zuständigen Hoheitsträgers durch die Leistung des unzuständigen Hoheitsträgers als erbracht anzusehen ist. Gerade dies wird heute in § 107 SGBX angeordnet. Der Abwälzungsanspruch stellt damit der Sache nach einen Anspruchsübergang dar: Der Anspruch gegen den zuständigen Hoheitsträger geht vom Bürger auf den vorleistenden unzuständigen Hoheitsträger über 146. Der Abwälzungsanspruch ist damit gerade kein Unterfall des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs 147, sondern eine Abweichung hiervon: Er ermöglicht keine Rückabwicklung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen, sondern tauscht gleichsam den Rechtsgrund für die gegenüber dem Bürger erbrachte Leistung aus - tatsächlich kommt hier also eine Rückforderung „über das Dreieck" gar nicht mehr in Betracht, da die Leistung an den Bürger nicht rechtsgrundlos ist. Die Existenz des Abwälzungsanspruchs ist damit kein Argument gegen, sondern eher ein Argument für die Übertragung der zivilrechtlichen Trennungslehre und den ihr zugrunde liegenden Leistungsbegriff auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch: Der Abwälzungsanspruch setzt letztlich eine entsprechende Ausgestaltung des Erstattungsanspruchs voraus und ergänzt ihn einem Fall, in dem er allein nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Eine Übertragung der Trennungslehre auf den Erstattungsanspruch würde also nur bedeuten, fehlerhafte öffentlich-rechtliche Vermögensverschiebungen grundsätzlich innerhalb der bestehenden Leistungsverhältnisse abzuwickeln, stände aber anderen Anspruchskonstruktionen nicht entgegen, die dort, wo es gerechtfertigt erscheint, auf andere Weise einen Ausgleich herbeiführen. Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch wäre dann als Auffangnorm anzusehen - was andererseits bedeutet, daß Abweichungen hiervon besonders begründet werden müssen und nicht mehr ohne weiteres als „Unterfall" des allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs verstanden werden könnten. Gerade dies würde aber die Begründung solcher abweichender Erscheinungen - wie den Abwälzungsanspruch - transparenter machen148. 146

So deutlich: Eichenkofen SGb 1989, S. 180. Wallerath hält ein solches Verständnis des Abwälzungsanspruchs für nicht vertretbar, da es die gesetzliche Zuordnung von Ansprüchen aus verschiedenen Rechtsgründen negiere (DOV 1972, S. 225). Dies ist jedoch allenfalls ein Argument dafür, den Abwälzungsanspruch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht anzuerkennen. 147 So schon Lassar, Der Erstattungsanspruch, S. 105 f. 148 Daß Transparenz notwendig ist, zeigt gerade die Grundsatzentscheidung des BSG zum Abwälzungsanspruch (BSGE 16, S. 151 ff): Das BSG geht gar nicht auf die Frage ein, daß ein Abwälzungsanspruch nur geboten ist, wenn der Anspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Hoheitsträger ausgeschlossen ist.

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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e) Letztlich gibt es somit keine Argumente gegen, sondern nur Argumente für die Übertragung der zivilrechtlichen Trennungslehre und den ihr zugrunde liegenden LeistungsbegrifF auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Diese Erkenntnisse sind damit als allgemeine Rechtsgrundsätze anzusehen. Überhaupt ist anerkannt, daß sich in bezug auf die Anspruchsvoraussetzungen der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch nicht vom zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch des § 812 BGB unterscheidet149. Wenn man dies aber annimmt, besteht kein Grund, hinsichtlich der Bestimmung von Gläubiger und Schuldner des Erstattungsanspruchs auf der alten, im Zivilrecht längst aufgegeben „Einheitstheorie" mit ihrem dort schon längst für Mehr-Personen-Verhältnisse als unbrauchbar erkannten und nicht interessengerechten „Unmittelbarkeitskriterium" zu beharren, zumal diesem „Unmittelbarkeitskriterium" - wie schon seine Herkunft zeigt - auch nichts spezifisch „öffentlich-rechtliches" anhaftet. Daß in Literatur und Rechtsprechung eine solche Übertragung der zivilrechtlichen Grundsätze auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bisher noch nicht (ausdrücklich) vorgenommen worden ist, liegt wohl nur daran, daß im öffentlichen Recht Bereicherungsfälle im Dreiecksverhältnis nicht besonders häufig vorkommen und deshalb - im Gegensatz zum Zivilrecht - nicht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stehen150. Richtigerweise müssen die Anspruchsvoraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs also wie folgt beschrieben werden: 1. Jemand erlangt im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses etwas durch Leistung eines anderen oder auf Kosten eines anderen in sonstiger Weise; 2. fehlender Rechtsgrund gerade gegenüber dem anderen für die Leistung oder die Bereicherung in „sonstiger Weise". Dies bedeutet, daß bei Leistung der mittelbewirtschaftenden Stelle an einen Dritten auf Rechnung des Ausgabenträgers unter Verstoß gegen eine aufgabenbezogene Finanzierungszuständigkeit eine Rückerstattung wie bei einer „Leistungskette" bei mittelbarer Fremdmittelbewirtschaftung nur zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle sowie zwischen mittelbewirtschaftender Stelle und Drittem möglich ist. Ob eine Rückforderung statt149

Rn. 21.

Erichsen, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 29 Rn. 22; Maurer, Allg. VerwR, § 28

150 Die Anwendung der zum Zivilrecht entwickelten Grundsätze entspricht jedoch der Praxis einiger Instanzgerichte, die sich teilweise nur noch formal zu dem Kriterium der unmittelbaren Vermögensverschiebung bekennen, tatsächlich aber die für das Zivilrecht entwickelten neueren Kriterien, wie den Leistungsbegriff, anwenden. So ζ. B. VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 583 ff. (S. 588) - siehe hierzu: Staudinger -Lorenz, § 812 Rn. 82; Lorenz, in: FS-Lerche, S. 940 ff.

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

findet, richtet sich hierbei allein nach dem zwischen den jeweiligen Parteien bestehenden Kausalverhältnis: Zwischen Ausgabenträger und mittelbewirtschaftender Stelle ist ausschließlich die zwischen ihnen bestehende Verteilung der Ausgabenlasten maßgeblich; zwischen mittelbewirtschaftender Stelle und Drittem bestimmt sich das Kausalverhältnis nach dem der Leistung zugrunde liegenden Gesetz, Vertrag, Verwaltungsakt oder Gerichtsurteil 151. f) Dies bedeutet fur das Beispiel Nr. J0 ]5 2: Unterstellt man, dem Bund wäre es nach § 48 Abs. 2 SHG verwehrt gewesen, auch die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen zu übernehmen, hätte sich ein Rückerstattungsanspruch gegen das Land aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergeben: Der Soforthilfefonds hätte an die Freie und Hansestadt Hamburg eine Leistung erbracht, zu der er nach § 48 Abs. 2 SHG nicht berechtigt war und die deshalb rechtsgrundlos war. Daß das Land an dem Zahlungsvorgang selbst nicht beteiligt war, ist unerheblich. Die Bereicherung des Landes ist darin zu sehen, daß der Bund auch die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen übernommen hat, obwohl diese Kosten nach § 48 Abs. 2 SHG i. V. m. dem Konnexitätsprinzip i. e. S. dem Land zugewiesen waren. Eine Bereicherung kann nicht nur vorliegen, wenn das eigene positive Vermögen durch Leistung eines anderen vermehrt, sondern auch, wenn das eigene Negativ· Vermögen durch Leistung eines anderen vermindert wird. Das Land hätte also dem Bund aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs die veruntreuten Mittel zurückerstatten müssen, hätte sich aber seinerseits bei seinen Bediensteten schadlos halten können. Geht man allerdings davon aus, daß § 48 Abs. 2 SHG den Bund auch verpflichtete, den Ländern zweckverfehlende Aufwendungen zu erstatten, wäre ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zwischen Bund und Land ausgeschlossen gewesen, da die Leistung an das Land nicht rechtsgrundlos erfolgt wäre. Dies würde aber nicht bedeuten, daß das Land sich am Schaden des Bundes bereichern könnte, wenn es die veruntreuten Gelder von seinen Bediensteten zurückerstattet erhält: Mit einer aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeit korrespondiert die Ertragszuständigkeit für diejenigen Einnahmen, die sich als „Kehrseite" dieser Finanzierungszuständigkeit darstellen153. Der Bund hätte also aufgrund seiner Ertragszuständigkeit gegen das Land einen Anspruch auf Auskehrung des von den Bediensteten Erlangten. Ausgeschlossen wäre dagegen ein unmittelbarer Durchgriff des Bundes auf die untreuen Landesbediensteten aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, da zwischen Bund und Bediensteten keine Leistungsbeziehungen bestanden und die Nicht151

So wohl auch Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 513. Siehe S. 64; Fall des Urteils „Soforthilfe Π" (BVerwGE 12, S. 253 ff., siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b [S. 192 ff.]). 1 Siehe hierzu: . Kap. (S. f.). 152

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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leistungskondiktion aufgrund des Vorrangs der Leistungskondiktion ausgeschlossen ist. Eine andere, erst im Neunten Kapitel zu untersuchende Frage ist, ob der Bund unmittelbar gegenüber diesen Bediensteten Schadensersatzansprüche geltend machen könnte. g) Entsprechendes gilt für das Beispiel Nr. II 154: Geht man davon aus, daß zu den vom Bund zu tragenden „Ausgaben" bzw. „Zweckausgaben" i. S. d. Art. 104a Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 3 Satz 1 BundesautobahnVermG nicht die Kosten von Enteignungsentschädigungen gehören, die an einen Nichtberechtigten geleistet werden, so besteht wegen rechtsgrundloser Leistung des Bundes an das Land ein Rückforderungsanspruch aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Ohne Bedeutung ist insoweit, daß die Fehlzahlung nicht nur von Bediensteten der Straßenverwaltungsbehörde, sondern auch von den Geschäftsstellenbeamten des hier als Hinterlegungsstelle beteiligten Amtsgerichts verursacht worden war: Beide Behörden handelten hier für das Land 155 . Sollte das Land die zu Unrecht ausgezahlte Enteignungsentschädigung vom Grundstückseigentümer zurückerlangen, gehörte dies aber nicht zu den nach § 6 Abs. 2 BundesautobahnVermG an den Bund abzuführenden „Einnahmen, die sich in Zusammenhang mit der Straßenbaulast ergeben", da dem Bund mangels Verpflichtung, die Kosten zu Unrecht ausbezahlter Enteignungsentschädigungen zu übernehmen, auch nicht die entsprechende „Kehrseitenertragszuständigkeit" zusteht. Nimmt man dagegen an, daß die Zahlung einer Enteignungsentschädigung an einen Nichtberechtigten sich zwar als zweckverfehlende, aber doch noch als Ausgabe darstellt, die sich aus einem „Handeln der Länder im Auftrag des Bundes ergibt" (Art. 104a Abs. 2 GG) bzw. eine „Zweckausgabe" i. S. d. § 6 Abs. 3 Satz 1 BundesautobahnVermG darstellt, so ist dem Bund das Risiko von Fehlzahlungen zugewiesen. Läßt man hier Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG einmal außer Betracht, wären Erstattungsansprüche des Bundes gegenüber dem Land aufgrund des allgemeinen öffentlichen Erstattungsanspruchs ausgeschlossen, da der Bund mit Rechtsgrund an das Land geleistet hätte. Nach § 6 Abs. 2 BundesautobahnVermG stände ihm aber der „Ertrag" etwaiger Schadensersatzleistungen der für die Schädigung verantwortlichen Bediensteten, sowie etwaige Rückzahlungen des Grundstückeigentümers zu. Unmittelbare Ansprüche des Bundes gegenüber dem Grundstückseigentümer bestünden nicht, ein „Durchgriff' wäre ausgeschlossen.

154

Siehe S. 64; Fall des Urteils „Hinterlegung" (BVerwGE 104, S. 29 ff., siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c [S. 229 ff.]). 155 Vgl. Beispiel Nr. 1 (siehe S. 22; nach BVerwG, Buchholz, Nr. 14 zu § 78 BBG).

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

ΠΙ. Rückerstattungsansprüche in Vier-Personen-Verhältnissen a) Die Übertragung der im Zivilrecht entwickelten „Trennungslehre" und des ihr zugrunde liegenden Leistungsbegriffs ermöglicht auch, in Vier-Personen-Verhältnissen und in Verhältnissen, in denen noch mehr Personen beteiligt sind, rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen auf eine Weise rückabzuwickeln, die den verwaltungsorganisatorischen Vorgaben gerecht wird. Praktisch von Bedeutung ist dies vor allem, wenn die Gemeinden am Vollzug von Bundesgesetzen oder von Bundesauftragsangelegenheiten, deren Kosten nach Art. 104a Abs. 2 und 3 GG oder Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG der Bund tragen muß, beteiligt sind und auf Gemeindeebene die Bundesmittel fehlerhaft verwendet werden. Stellte man hier für die Bestimmung von Gläubiger und Schuldner des allgemeinen öffentlichen Erstattungsanspruchs auf den Zahlungsvorgang ab, käme man zu sehr zufälligen Ergebnissen, da in diesen Fällen vier Kombinationen der oben beschriebenen Fremdmittelbewirtschaftungsformen 156 denkbar sind: 1. Im Bund-Länder-Verhältnis gilt das Erstattungsverfahren, im LandGemeinde-Verhältnis ebenfalls - zunächst leistet die Kommune vor, die ihre Aufwendungen vom Land erstattet erhält, das seinerseits seine Aufwendungen vom Bund erstattet erhält; 2. im Bund-Länder-Verhältnis gilt das Erstattungsverfahren, im LandGemeinde-Verhältnis das Verfahren der unmittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung 157 - die Kommune bewirtschaftet unmittelbar den Landeshaushalt, das Land erhält seine Aufwendungen vom Bund erstattet; 3. im Bund-Länder-Verhältnis gilt das Verfahren der unmittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung, im Land-Gemeinde-Verhältnis das Erstattungsverfahren - die Kommunen leisten vor, melden ihre Erstattungsforderungen beim Land an, das diese seinerseits direkt auf Rechnung des Bundes erfüllt; 4. sowohl im Bund-Länder-Verhältnis wie im Land-Gemeinde-Verhältnis gilt das Verfahren der unmittelbaren Fremdmittelbewirtschaftung - die Kommunen bewirtschaften direkt den Haushalt des Bundes. Die Länder sind technisch an der Mittelbewirtschaftung nicht beteiligt158. Dies zeigt deutlich, daß streng zwischen den Leistungsbeziehungen im Bund-Länder-Verhältnis, den Leistungsbeziehungen im Verhältnis zwischen Land und Gemeinde und den Leistungsbeziehungen zwischen Gemeinde und 156 157

S. 295. 158

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 f bis h (S. 51 ff.)· Dies ist häufiger als die 1. Variante: Vietmeier, Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 290.

Die staatlichen Aufgaben,

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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Drittem getrennt werden muß: Erbringt die Gemeinde eine Leistung an einen Dritten, so werden bei Geltung der 4. Variante durch eine Zahlung drei Leistungen im Rechtssinne erbracht, nicht anders als im Fall der „Zahlungskette" der 1. Variante: Beispiel Nr. 12 (nach BVerwGE 96, S. 45ff. [„BAföG"J i5 9): Nach § 56 Abs. 1 BAföG tragen die Ausgaben, die bei der Ausführung des BAföG entstehen, der Bund zu 65 von Hundert und die Länder zu 35 von Hundert. Umgesetzt wird diese Vorschrift im Bund-Länder-Verhältnis im Wege des Erstattungsverfahrens 160. In Baden-Württemberg obliegt den Kreisen der Vollzug des BAföG als Pflichtaufgabe nach Weisung (§ 2 Abs. 1 Satz 3 AGBAföG), stellt also eine eigene Aufgabe der Kreise dar (§ 2 Abs. 4 LKrO). Diese bewirtschaften den Landeshaushalt unmittelbar. Die Ausbildungsförderung wird somit in Baden-Württemberg vom Land auf Kassenanordnung der Kreisverwaltung unmittelbar an den Empfanger gezahlt, während das Land seinerseits 65% dieser Summe vom Bund erstattet bekommt161. Bei dem baden-württembergischen Landratsamt L war bis Anfang 1982 A als Leiterin des Amtes für Ausbildungsförderung tätig. A unterschlug zwischen Januar 1973 und Februar 1982 Förderungsmittel in Höhe von insgesamt 310.212,- DM, indem sie in insgesamt 61 Fällen auf von ihr gefertigte, fiktive Anträge Überweisungen an sich selbst veranlaßte. Nur durch Zufall wurden diese Manipulationen entdeckt. Beispiel Nr. 13 (nach BVerwG, NVwZ 1995, S. 991ff [„Zivilschutz"] [6 2): Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KatSG richten sich die Zuständigkeiten fur die Durchführung des Katastrophenschutzes nach den Ausführungsgesetzen der Länder. Nach § 2 Abs. 1 des Katastrophenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen 163 war u. a. auch die Stadt S zur Katastrophenschutzbehörde bestimmt worden. Nach § 14 KatSG sind die bei Katastrophenschutzbehörden anfallenden Zweckausgaben auf Rechnung des Bundes zu leisten. Beim Amt für Feuer- und Zivilschutz von S war der Beamte Β tätig, zu dessen Aufgaben es u. a. gehörte, Gelder des Bundes unmittelbar bei diesem für Zivilschutzübungen anzufordern, die entsprechenden Geldbeträge in Empfang zu nehmen und sodann an die jeweiligen Berechtigten weiterzuleiten. Β forderte von Mai 1987 bis Mai 1988 Mittel in Höhe von insgesamt 122.200 DM an, die er jedoch für sich behielt. Beispiel Nr. 14 (nach BVerwGE 100, S. 56ff [„Kindergeld"] m): An Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes wurde vor Inkrafttreten des Jah159 160

D.

Siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). Heuer, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 57 HGrG Rn. 1, Fallgruppe

161 Vgl. Vietnieier, Die staatlichen Aufgaben, S. 295. Daß das Land und nicht der Kreis die Kosten des Landesanteils an der Ausbildungsförderung trägt, ergibt sich nur aus der entsprechenden Veranschlagung der entsprechenden Mittel im Haushaltsplan des Landes (vgl. Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, Rn. 37), siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 e (S. 57). 162 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I V (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 163 Vom 20. Dezember 1977 (GV S. 492, berichtigt 1978 S. 4), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 1982 (GV NW S. 799). 164 Siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff.).

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben ressteuergesetzes 1996165 nach § 45 BKGG i. d. F. der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994166 das Kindergeld nicht durch die Bundesanstalt für Arbeit, sondern vom jeweiligen Dienstherrn/Arbeitgeber gezahlt. Die hierfür von der gesamten Landesverwaltung benötigten Mittel stellte der Bund den Ländern nach Art. 104a Abs. 3 GG i. V. m. § 45 Abs. 1 lit. a Satz 2 BKGG zur Verfügung. Zahlte eine Gemeinde Kindergeld an ihre Bediensteten, konnte sie diese Summe vom Land erstattet verlangen. Hier lag also eine doppelte mittelbare Fremdmittelbewirtschaftung vor. Bedienstete einer niedersächsischen Gemeinde hatten nun die im Jahr 1983 eingefügte Vorschrift des § 10 Abs. 2 BKGG über die stufenweise Kürzung des Kindergeldes für das zweite Kind und weitere Kinder bei der Überschreitung bestimmter Einkommensgrenzen nicht angewendet und dadurch ihren Bediensteten ein zu hohes Kindergeld gezahlt. Beispiel Nr. 15 (nach BVerwG, NJW 1995, S. 978 [„ Wohngeld"] 161): Die Kosten der Durchführung des Wohngeldgesetzes (WoGG) tragen nach § 34 Abs. 1 WoGG der Bund und das Land je zur Hälfte. Vorgesehen ist das Erstattungsverfahren (mittelbare Fremdmittelbewirtschaftung): Der Bund erstattet den Ländern jeweils nach Ablauf eines Monats die Hälfte des von ihnen gezahlten Wohngeldes. In Niedersachsen ist die Durchführung des Wohngeldgesetzes Pflichtaufgabe nach Weisung der Gemeinden. Sie zahlen das Wohngeld unmittelbar auf Rechnung des Landes aus (unmittelbare Fremdmittelbewirtschaftung). Der Gemeindebeamte Β der niedersächsischen Gemeinde G hatte grob fahrlässig das Wohngeld der Antragstellerin A falsch berechnet und eine entsprechende Auszahlungsanordnung gegenüber der Landeskasse ausstellen lassen.

b) Das BVerwG hatte in den Urteilen „BAföG" 1 6 8 und „Zivilschutz" 1 6 9 nur darüber zu entscheiden, inwieweit das Land die vom Bund geleisteten Gelder zurückerstatten muß. Gegenstand des Urteils „Kindergeld" 1 7 0 war die Frage, ob das Land gegenüber der Gemeinde einen Ausgleichsanspruch hat, wenn die Gefahr einer Inanspruchnahme durch den Bund besteht. Im Fall der Entscheidung „Wohngeld" 1 7 1 war der fehlerhaft handelnde Bedienstete von der Gemeinde nach der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschrift des § 86 Abs. 1 NBG in Anspruch genommen worden. Zunächst ist in allen diesen Fällen für das Bund-Länder-Verhältnis zu klären, ob die einschlägigen Finanzierungszuständigkeiten des Bundes (hier Art. 104a Abs. 2 und 3 GG) den Bund auch gegenüber den Ländern ermächtigen, die Kosten zweckverfehlen-

165

Vom 11. Oktober 1995 (BGBl IS. 1250). BGBl I S. 168, ber. BGBl 1994 I S. 701. 167 Siehe hierzu: 4. Kap. A m h (S. 210 f.). 168 BVerwGE 96, S. 45 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 fi.) und C I e (S. 242). 169 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff) und C I e (S. 242). 170 BVerwGE 100, S. 56 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff). 171 BVerwG, NJW 1995, S. 978 - siehe hierzu: 4. Kap. A m h (S. 210 f.). 166

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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der Mittelverwendungen zu tragen. Verneint man dies, wäre einerseits das betroffene Land verpflichtet, dem Bund die zu Unrecht geleisteten Mittel zu erstatten, andererseits wären „Auskehrungsansprüche" des Bundes gegenüber dem Land ausgeschlossen, wenn das Land seine hierdurch entstehenden Aufwendungen von anderer Seite erstattet erhält - die „Kehrseitenertragszuständigkeit" geht nicht weiter als die zweckgebundene Finanzierungszuständigkeit, deren Kehrseite sie darstellt. Im Land-Gemeinde-Verhältnis müßte die Kommune dagegen nur dann die vom Land geleistete Summe erstatten, wenn die Lastenverteilungsvorschrift, die das Verhältnis zwischen Land und Kommune regelt, die Schadenslast der Kommune zuwiese. Dies ist nicht zwingend: Wenn im Bund-Länder-Verhältnis die Schadenslast dem Land zugewiesen ist, präjudiziell dies nicht, das im Land-Gemeinde-Verhältnis die Schadenslast der Kommune zugewiesen werden muß. Unabhängig hiervon wäre schließlich die Frage zu untersuchen, wie sich das Verhältnis zwischen der Kommune und ihren ungetreuen Angestellten bzw. dem Dritten darstellt, der die zweckverfehlende Leistung von der Kommune letztlich empfangen hat. Ob die Kommune dasjenige, was sie von ihrem Angestellten bzw. dem Dritten erhält, an das Land abführen muß, hängt auch hier davon ab, ob sie selbst oder das Land die Schadenslast trägt. Nur im letzteren Fall besteht eine „Kehrseitenertragszuständigkeit" des Landes. c) Anders stellt sich das Rechtsverhältnis im Bund-Länder-Verhältnis und im Land-Gemeinde-Verhältnis dar, wenn man davon ausgeht, daß im BundLänder-Verhältnis nach Art. 104a Abs. 2 und 3 GG dem Bund die Schadenslast zugewiesen ist: Dann wäre eine Rückforderung fehlerhafter Mittelverwendungen im Bund-Länder-Verhältnis ausgeschlossen. Die Länder müßten allerdings die Einnahmen an den Bund abführen, die sich als Kehrseite der Finanzierungszuständigkeiten des Bundes darstellen172. Insofern werden auch die Einnahmen der Kommunen im Bund-Länder-Verhältnis wie Einnahmen der Länder behandelt173, weshalb der Bund auch - entsprechend dem Prinzip der Zweistufigkeit des Staatsaufbaus - die Abfuhrung solcher Einnahmen nicht unmittelbar von den Kommunen, sondern nur von den Ländern verlangen kann und die Kommunen umgekehrt nur berechtigt sind, diese Einnahmen an die Länder, nicht auch unmittelbar an den Bund abzuführen. Trägt der Bund die Lasten zweckverfehlender Mittelverwendungen, wäre auch ausgeschlossen, daß die zwischen Land und Gemeinde geltende landesrechtliche Lastenverteilung der Gemeinde (vollständig) die Schadenslast für fehlerhafte Ausgaben zuweist: Die Länder wären wegen der Zweckbindung der Bundesmittel verpflichtet, mindestens auch diese Erstattungszahlungen an die Kommunen

172 173

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 b (S. 43 f.). Zu den Ausnahmen: Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung, S. 79 ff.

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

weiterzuleiten174. Den Ländern wäre es damit bundesrechtlich verwehrt, sich dadurch zu bereichern, daß sie im Verhältnis zwischen Land und Gemeinden eine „strengere" Schadenslastenverteilung anordnen als diejenige, die zu ihren Lasten dem Bund gegenüber gelten würde. Die bundesrechtlichen Vorgaben für die landesrechtliche Schadenslastenverteilung gingen aber auch nicht weiter als durch die Zweckbindung der BundesmiXitl geboten: Dies hätte Bedeutung in den Fällen, in denen der Bund nicht vollständig, sondern nur anteilig die bei der Durchführung einer Aufgabe entstehenden zweckverfehlenden Ausgaben tragen müßte. Genauso wenig wie der Bundesgesetzgeber hier bestimmen könnte, ob der Landesanteil intern vom Land, von den Kommunen oder von einer sonstigen landesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts zu tragen ist, könnte er anordnen, ob und in welcher Weise bezüglich der Bewirtschaftung des Landesanteils im Verhältnis zwischen Land und Kommune die Schadenslast verteilt ist. In einem mit dem Beispiel Nr. 15 vergleichbaren Fall wäre es daher möglich, daß bezüglich des Landesanteils das Land gegenüber der Gemeinde einen Rückforderungsanspruch aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in voller Höhe hat, obwohl bezüglich des Bundesanteils das Land selbst gegenüber dem Bund und damit auch die Kommune gegenüber dem Land nicht zur Rückerstattung verpflichtet wäre. d) Besondere Rückabwicklungsprobleme bestehen gerade auch im BundLänder-Gemeinde-Verhältnis schließlich dann, wenn die mittelbewirtschaftende Stelle nicht nur Mittel des Ausgabenträgers fehlerhaft verwendet, sondern aufgrund der fehlerhaften Verwendung eigene Aufwendungen erspart: Beispiel Nr. 16 (nach BVerwGE 36, S. 108ff. [,,G 131 "J 175): Ν wurde am 8. Juli 1948 zum Bürgermeister der hessischen Stadt Η berufen, nachdem er bis zum 12. Januar 1948 bei Behörden der Sowjetzone tätig geworden war, zeitweise auch als Bürgermeister der Stadt Thale im Harz. Am 1. Mai 1953 wurde er wegen Dienstuntahigkeit in den Ruhestand versetzt und erhielt seitdem von der Stadt Η Versorgungsbezüge. hi der Erwägung, daß Ν sein schon am 8. Mai 1945 innegehabtes Amt bei der Stadt Thale im Zuge der Ereignisse nach dem Zusammenbruch verloren hatte, versuchte die Stadt, eine Beteiligung des Bundes an den Versorgungslasten gemäß § 42 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 fallenden Personen (G 131)176 zu erreichen, und stellte Ende 1957 einen entsprechenden Antrag. Daraufhin erhielt Η aus Bundesmitteln für die Zeit vom 1. Mai 1953 bis zum 31. Dezember 1960 Auszahlungen im Gesamtbetrag von 66.349,80 DM. Später stellte sich heraus, daß die Voraussetzungen einer Beteiligung des Bundes nach § 42 Abs. 1 G 131 nicht vorgelegen hatten.

174 175 176

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 d (S. 56 f.). Siehe hierzu: 4. Kap. C I c (S. 238 ff.). Vom 11. Mai 1951 (BGBl I S. 307).

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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Beispiel Nr. 17 (nach VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff. [„Anstaltspflege Der bayerische Bezirk Oberfranken (Gemeindeverband) gewährte in den Jahren 1964 bis 1984 Leistungen für die Anstaltspflege des behinderten Kindes der Kriegsbeschädigten M Die Aufwendungen hierfür betrugen in diesem Zeitraum 217.741,81 DM. Die zuständigen Bezirksbediensteten waren der Auffassung, daß es sich um Leistungen der Kriegsopferfürsorge handele, deren Kosten nach § 1 Nr. 8 i. V. m. § 21 1. ÜLG zu 80% vom Bund zu tragen wären. Der Bezirk meldete dementsprechend die erbrachten Leistungen zur Erstattung bei der Regierung von Oberfranken an. Die Regierung stellte nach rechnerischer Überprüfung der angemeldeten Beträge eine Auszahlungsanordnung an die Bundeskasse Nürnberg aus, die dann die vom Bezirk verauslagte Summe zu 80 % erstattete. Nach Überprüfung durch den Bundesrechnungshof stellte sich heraus, daß es sich in Wirklichkeit um Leistungen der Sozialhilfe gehandelt hatte, deren Kosten der Bezirk selbst hätte tragen müssen.

In diesen Fällen liegt sowohl im Bund-Länder-Verhältnis wie im LandGemeinde-Verhältnis eine zweckverfehlende Mittelverwendung vor: Die Verwendung von Mitteln, die der Versorgung ganz bestimmter Beamter dienen sollen, für die Bezahlung anderer Beamter {Beispiel Nr. 16) oder die Verwendung von Mitteln, die Kriegsfolgelasten decken sollen, zu Zwecken der Sozialhilfe CBeispiel Nr. 17) stellt ebenso eine Zweckverfehlung dar wie die Verwendung derselben Mittel für ganz andere Zwecke. Gegenüber dem Bürger erscheint jedoch eine Rückerstattung als ausgeschlossen, da ihm die Leistungen im Ergebnis zu Recht zugeflossen sind, wenn auch u. U. auf falscher Rechtsgrundlage - der Bürger kann sie jedenfalls nicht noch einmal von der Kommune verlangen. Gerade dies bewirkt, daß die Kommune eigene Aufwendungen erspart. Dies führt nicht zu Wertungswidersprüchen, wenn im BundLänder-Verhältnis die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen dem Land und im Land-Gemeinde-Verhältnis die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen der Kommune zugewiesen sind. Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn entweder im Bund-Länder-Verhältnis oder im Land-Gemeinde-Verhältnis der Ausgabenträger auch die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen übernehmen muß - die Kommune also aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht erstattungspflichtig wäre. Hier könnte die Gefahr einer ungerechtfertigten Bereicherung der Kommune auf Kosten des Bundes oder Landes gesehen werden. Man könnte deshalb versucht sein, die Schadenslastenverteilung bezogen auf den konkreten Fall anders zu verstehen, hier also letztlich anzunehmen, daß der Bund bzw. das Land solche zweckverfehlenden Mittelverwendungen, die zu Einsparungen auf kommunaler Ebene fuhren, doch nicht tragen muß. Eine solche Ergebniskorrektur wäre jedoch vorschnell: Das Ausgleichssystem des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs wird gegebenenfalls durch andere Ausgleichsansprüche ergänzt - mit der Entscheidung, daß ein Rückforderungsanspruch 1

S i e h e hierzu: 4. Kap. C I

6 Stelkens

(S. 24 ff.).

"] ίΊ Ί):

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1. Kap.: Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ausgeschlossen ist, steht also noch nicht fest, daß ein Ausgleich zwischen den betroffenen Hoheitsträgern nicht stattfindet. Somit wäre zunächst zu fragen, ob nicht eine Ergebniskorrektur durch andere Ausgleichsansprüche möglich ist. e) Bei genauerem Hinsehen liegt hier auch tatsächlich die Konstellation des Abwälzungsanspruchs 178 vor, allerdings mit der Besonderheit, daß gegenüber dem empfangsberechtigten Bürger nicht zwei verschiedene Hoheitsträger in Erscheinung getreten sind, sondern nur die mittelbewirtschaftende Stelle. Es ist jedoch nicht erkennbar, daß diese Besonderheit Auswirkungen auf die dem Abwälzungsanspruch zugrunde liegende Billigkeitsidee hat. Auch in den Beispielen Nr. 16 und Nr. 17 hat zunächst ein unzuständiger Hoheitsträger (hier der Ausgabenträger) bestimmte Kosten übernommen, die an sich der zuständige Hoheitsträger (hier die mittelbewirtschaftende Stelle) hätte übernehmen müssen. Der an sich leistungsberechtigte Bürger kann zudem die Leistung, die er (für ihn kaum erkennbar) zu Unrecht „aus dem falschen Topf 4 erhalten hat, nicht noch einmal „aus dem richtigen Topf 4 verlangen - sein Anspruch ist vollständig erfüllt worden. Wegen der vergleichbaren Interessenlage wäre es deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen, auch in einer solchen Fallkonstellation einen Abwälzungsanspruch zu konstruieren: Es ist nicht erkennbar, daß die Institute des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs und des Abwälzungsanspruchs abschließend sind und der Entwicklung neuer Ausgleichsansprüche zwischen Hoheitsträgern entgegenstehen, wenn für einen solchen neuen Ausgleichsanspruch ebenso gute Gründe vorliegen wie diejenigen, die zur Anerkennung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs und des Abwälzungsanspruchs führten 179. Würde man eine solche Erweiterung des Abwälzungsanspruchs anerkennen, wäre aber jedenfalls auch hier zwischen Bundes- und Landesebene zu unterscheiden: Das Land könnte einen Abwälzungsanspruch gegenüber der Kommune geltend machen, der Bund hätte gegenüber dem Land einen Anspruch auf Auskehrung bezüglich des Teils des hierdurch Erlangten, der letztlich die Kehrseite seiner Finanzierungszuständigkeit darstellte. Ob tatsächlich in den Beispielen Nr. 16 und Nr. 17 eine solche Erweiterung des Abwälzungsanspruchs möglich gewesen wäre, wäre näher zu untersuchen - im Beispiel Nr. 77 könnten ζ. B. Bedenken aufgrund der Subsidiarität der Sozialhilfe bestehen180. Dies kann aber nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein: Um Fragen des Scha-

178

Siehe hierzu: 1. Kap. Β Π d (S. 70 ff.). In diese Richtung auch: VGH München, BayVBl 1971, S. 67 ff. (S. 70). Α. Α., jedoch ohne Begründung: Asam, Haftung der Länder gegenüber dem Bimd im Rahmen der Auftragsverwaltung, BayVBl 1966, S. 229 f., und Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 66 (Bearbeitung 1977). 180 Siehe hierzu: BVerwGE 36, S. 279 ff. (S. 281 f.); BVerwGE 60, S. 236 ff. 179

Β. Rückerstattungsansprüche zwischen Hoheitsträgern

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densausgleichs zwischen Hoheitsträgern bei Fehlverhalten ihrer Amtswalter, also um Probleme des Verwaltungshaftungsrechts, handelt es sich nicht mehr.

Zweites Kapitel

Fallgruppendarstellung Nachdem die verwaltungsorganisationsrechtlichen Grundlagen geklärt sind, sollen hierauf aufbauend die Fallkonstellationen herausgearbeitet werden, in denen echte Haftungsfalle 1 und damit echte Schadensersatzprobleme zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts überhaupt auftreten können. An einer solchen „Bestandsaufnahme" fehlt es, sieht man von einer knappen Darstellung Achterbergs aus dem Jahre 1970 ab2. Sie soll dazu dienen, die praktische Relevanz des Verwaltungshaftungsrechts zu umreißen, welche sich nicht unbedingt in der Anzahl der einschlägigen Gerichtsentscheidungen widerspiegelt - die betroffenen Stellen neigten bisher (vernünftigerweise) dazu, solche Fragen gütlich im Verhandlungswege und damit an der Juristischen Öffentlichkeit" vorbei zu regeln. In Zeiten knapper Haushaltsmittel ist indes auch hier ein Trend zur gerichtlichen Auseinandersetzung auszumachen3. Die Fallgruppendarstellung dieses Kapitels kann jedoch nicht abschließend alle möglichen Schadenskonstellationen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts darstellen. Sie soll lediglich verdeutlichen, welche Fallkonstellationen bei der Erarbeitung eines Verwaltungshaftungsrechts berücksichtigt werden müssen. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts (Schädiger) kann einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts (Geschädigter) in verschiedener Weise einen Schaden zufügen. Dies kann zunächst in der Weise geschehen, daß das Vermögen des Geschädigten durch das fehlerhafte Verhalten des Amtswalters unmittelbar vermindert wird: Dies ist insbesondere bei Sachbeschädigungen, aber auch bei Veruntreuungen von Geld- und Sachmitteln eines Hoheitsträgers durch Amtswalter eines anderen Hoheitsträgers gegeben. Dies soll im folgenden als direkte Schädigung bezeichnet werden. Daneben besteht die Möglichkeit nur indirekter Schädigungen: Eine solche Schädigung liegt vor, wenn das fehlerhafte Verhalten des Amtswalters selbst noch keinen Vermögensabfluß beim Geschädigten bewirkt, ihm jedoch entweder aufgrund die1 Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsföllen siehe: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44). 2 Achterberg, DVB1 1970, S. 125 ff. 3 Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 512; F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 105.

Α. Fiskalschäden

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ses Fehlverhaltens Einnahmen entgehen oder er hierdurch zu kostenwirksamen Maßnahmen gezwungen oder veranlaßt wird. Letzteres ist insbesondere gegeben, wenn aufgrund verbindlicher, aber rechtswidriger Weisungen einer Aufsichtsbehörde die beaufsichtigte Behörde bestimmte Maßnahmen ergreifen muß, die beim Träger der beaufsichtigten Behörde zusätzliche Kosten verursachen, etwa in Form von Prozeßkosten oder Haftungsverpflichtungen. Im folgenden soll jedoch unabhängig von der Art der Schädigung zwischen zwei großen Fallgruppen unterschieden werden: Zunächst soll auf Fälle eingegangen werden, in denen ohne weiteres vorstellbar wäre, daß bei vergleichbarer Sachlage auch ein Privater durch das in Frage stehende Fehlverhalten des Amtswalters hätte geschädigt werden können. Das Vermögen des geschädigten Hoheitsträgers wird hier von außen in einer Weise getroffen, die nichts oder nur indirekt etwas mit ihrer eigentlichen Aufgabenerfüllung zu tun hat. Dementsprechend soll diese Fallgruppe etwas ungenau, aber plakativ, als die Fallgruppe der ,Fiskalschädigungen" bezeichnet werden (A) 4. Dem stehen die Fälle gegenüber, in denen durch das Fehlverhalten des Amtswalters ein Schaden nur bei einem anderen Hoheitsträger auftreten konnte. Diese Fallgruppe soll plakativ als Fallgruppe der „ Verwaltungsträgerschäden" bezeichnet werden5 (B).

A. Fiskalschäden Fiskalschäden sind nur möglich, wenn die beteiligten Hoheitsträger sich außerhalb organisatorischer Verflechtungen befinden, also selbständig nebeneinanderstehen und im Verhältnis zueinander eigenverantwortlich ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen. Sie sind unabhängig davon möglich, ob der Schädiger gegenüber dem Geschädigten öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich tätig wird. Umfaßt werden also sowohl die Fälle, in denen der schädigende Hoheitsträger wie ein Privatmann auftritt, als auch die Fälle, in denen er aufgrund von Vorschriften tätig wird, die an sich auf das Staat-Bürger-Verhältnis zugeschnitten sind. Daß ein Fiskalschaden vorliegt, hängt auch nicht davon ab, ob besondere privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen bestanden haben, bevor es zu der Schädigung kam. Da aber einige der in Betracht kommenden Schadensersatzansprüche zwischen diesen Fällen differenzieren, soll dennoch unterschieden werden zwischen Fiskalschädigungen in4 Bender (Staatshaftungsrecht [3. Aufl. 1981, zit. im folgenden: Staatshaftungsrecht3], Rn. 266) bezeichnet diese Fallgruppe als Schädigung von „Hoheitsträgern als Vermögensträger". 5 Bender (Staatshaftungsrecht 3, Rn. 270) bezeichnet diese Fallgruppe als Schädigung von „Hoheitsträgern als Inhaber öffentlich-rechtlicher Aufgaben und Befugnisse".

2. Kap.: Fallgruppendarstellung

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nerhalb bereits bestehender öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse, Fiskalschäden innerhalb bereits bestehender privatrechtlicher Rechtsverhältnisse und Fiskalschädigungen im allgemeinen Verkehr, bei denen vor Eintritt des schädigenden Ereignisses keinerlei besondere Rechtsbeziehungen bestanden haben. L Fiskalschädigungen im allgemeinen Verkehr a) Eine Fiskalschädigung im allgemeinen Verkehr liegt vor, wenn erst durch die Schädigung selbst eine besondere rechtliche Beziehung zwischen schädigendem und geschädigtem Hoheitsträger begründet wird, vorher zwischen den beteiligten Hoheitsträgern also keinerlei besonderer rechtlicher Kontakt bestand. Hier sind direkte und indirekte Schädigungen denkbar. Diese Konstellation ist zunächst gegeben, wenn sich das Fehlverhalten des Amtswalters nicht anders darstellt als das Fehlverhalten eines beliebigen Privatmanns in einer vergleichbaren Situation und dabei ein Hoheitsträger ebenfalls nicht anders als ein Privatmann in einer vergleichbaren Situation geschädigt wird. Dies ist auch möglich, wenn der Schädiger öffentlich-rechtlich tätig wird: Beispiel Nr. 18 (nach BVerwG, Buchholz, Nr. 18 zu § 78 BBG)6: Ein Beamter der Deutschen Bundespost verursachte 1964 während seines Dienstes als Telegrammund Eilzusteller mit einem Postauto einen Zusammenstoß mit einer Straßenbahn, die einem als Eigenbetrieb geführten städtischen Nahverkehrsunternehmen gehörte. Die Straßenbahn wurde beschädigt7.

Aus der Sicht des Nahverkehrsunternehmens war es reiner Zufall, daß der Telegrammzusteller hier „öffentlich-rechtlich" unterwegs war, da vor der Postreform nach ständiger Rechtsprechung das Postbenutzungsverhältnis öffentlich-rechtlich ausgestaltet war und deshalb auch die hiermit verbundenen Dienstfahrten als öffentlich-rechtlich qualifiziert wurden. Hätte sich der Sachverhalt nach der Postreform ereignet, wäre nur eine privatrechtliche Autofahrt des Telegrammzustellers in Betracht gekommen8. An der tatsächlichen Fallkonstellation hätte sich hierdurch aber nichts geändert. b) Ein Fiskalschaden kann auch entstehen, wenn eine staatliche (hoheitliche) Aufgabe selbst einfach schlecht erfüllt wird und hierbei zufällig ein anderer Hoheitsträger und nicht ein Privatmann geschädigt wird - was ebenso 6

Ein ähnlicher Fall lag vor bei RGZ 109, S. 209 ff. und BGHZ 61, S. 351 ff. Das BVerwG hatte nur darüber zu entscheiden, ob eine Inanspruchnahme des Beamten nach § 78 Abs. 1 BBG für den Schaden in Betracht kam, der an dem Dienstfahrzeug der Bundespost entstanden war. Die Frage, wer für den Straßenbahnschaden haftet, war nicht Gegenstand der Entscheidung. 8 Siehe hierzu: Maurer, Allg. VerwR, § 3 Rn. 27. 7

Α. Fiskalschäden

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möglich gewesen wäre. Dies können Rechtsetzungsaufgaben sein - wenn ζ. B. eine juristische Person des öffentlichen Rechts durch legislatives Unrecht wie ein Privatmann als Vermögensinhaber getroffen wird - oder auch Verwaltungsaufgaben: Beispiel Nr. 19 (nach BGH, VersR 1960, S. 750 ff [„Meldebescheinigung "f)\ Am 6. März 1950 reichten die aus Polen stammenden, in Berlin lebenden Eheleute S beim Bayerischen Landesentschädigungsamt (LEA) je einen Antrag auf Entschädigung nach dem Bayerischen Entschädigungsgesetz (BayEG) vom 12. August 194910 ein. Voraussetzung für eine Entschädigung nach dem BayEG war, daß der Betroffene am 1. Januar 1947 rechtmäßig seinen Wohnsitz im Gebiete Bayerns hatte. Die S legten deshalb ihren Anträgen entsprechende Meldebescheinigungen des Einwohnermeldeamts der bayerischen Gemeinde R bei, obwohl sie tatsächlich niemals in R gelebt hatten. Diese Meldebescheinigungen waren vom Gemeindebeamten W ausgestellt worden, den die S bestochen hatten. Es handelte sich hierbei um ganz gewöhnliche Meldebescheinigungen, wie sie auch im Privatrechtsverkehr Anwendung fanden. Aufgrund dieser Meldebescheinigungen setzte das LEA durch Feststellungsbescheid eine Haftentschädigung für die Eheleute fest und zahlte an sie 5636,55 DM aus. Das LEA widerrief jedoch später die den S erteilten Feststellungsbescheide im Hinblick auf die Falschbeurkundung des W. Der Freistaat Bayern verlangte von der Gemeinde R Ersatz der 5636,55 DM, die von den S nicht zurückzuerlangen waren.

Für die Zuordnung dieses Falles zu den Fiskalschäden ist entscheidend, daß W gar nicht zu wissen brauchte, wem die Bescheinigung vorgelegt werden sollte, es sich also nicht um ein Papier handelte, das nur anderen Hoheitsträgern vorzulegen ist 11 . Π. Fiskalschädigungen innerhalb bereits bestehender öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse a) Bestehen zwischen den beteiligten Hoheitsträgern schon vor der Schädigung spezifische öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen, die ihrer Art nach auch im Verhältnis zwischen Staat und Bürger auftreten, können gleichermaßen Fiskalschäden entstehen. Dies können zunächst direkte Schädigungen sein, nämlich dann, wenn rechtswidrigerweise aufgrund der allgemeinen auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger zugeschnittenen Normen Vermögen eines Hoheitsträgers beschlagnahmt oder enteignet wird: Beispiel Nr. 20 (nach OGHZ 4, S. 255 ff. [„PKW-Beschlagnahme"] 12): Zur Besatzungszeit war die in der britischen Zone belegene Stadt S Eigentümerin eines Pkw, 9 10 11 12

Siehe hierzu: 9. Kap. A12 d (S. 476). GVB1S. 95. Zu einem solchen Fall: OLG Düsseldorf, NJW 1969, S. 1350 ff. Siehe hierzu: 4. Kap. A 11 a (S. 171 ).

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung der von städtischen Bediensteten zu Dienstfahrten benutzt wurde. Gelegentlich einer solchen Dienstfahrt beschlagnahmte der Polizeichef der Regierungspolizei in A am 5. August 1947 rechtswidrigerweise den Wagen fur die Landespolizei. Diese war zur Besatzungszeit aus der allgemeinen Landesverwaltung ausgegliedert und bildete eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der Wagen erlitt in der Folgezeit einen Totalschaden. Die Stadt verlangte von der „Polizeikörperschaft" Schadensersatz13.

b) Häufiger werden aber indirekte Schädigungen sein. Dies ist ζ. B. gegeben, wenn ein Hoheitsträger rechtswidrigerweise als Störer polizeirechtlich in Anspruch genommen wird: Beispiel Nr. 21 (nach RGZ 53, S. 126ff. [„Flußbett"] 14): Der ostpreußischen Gemeinde G wurde von der staatlichen Ortspolizeibehörde durch Verfügung vom 1. Oktober 1891 aufgrund § 7 Abs. 2 des preußischen Gesetzes über die Nutzung der Privatflüsse vom 18. Februar 184315 die Auflage gemacht, das Flußbett der Drewenz an einer bestimmten Stelle innerhalb des städtischen Gebiets so aufzuräumen, daß dem freien Ablauf des Wassers keinerlei Hindernis im Wege stehe. Da die Gemeinde dem nicht nachkam, veranlaßte die Ortspolizeibehörde selbst die Durchführung der Arbeiten und zog die hierdurch entstehenden Kosten in Höhe von 3.632,76 M von der Gemeinde ein. Im Verwaltungsstreitverfahren gegen den preußischen Staat erwirkte die Gemeinde ein Urteil, durch das die Verfügung der Polizeibehörde aufgehoben wurde, weil die Drewenz ein öffentlicher Fluß und darum die Ortspolizeibehörde zum Erlaß der Verfügung nicht zuständig gewesen sei. Daraufhin begehrte die Gemeinde vom preußischen Fiskus Schadensersatz in Höhe der eingezogenen Summe nebst Verzugszinsen seit dem 1. Januar 1894. Selbst wenn man der Ansicht ist, daß die Polizei- und Ordnungsbehörden nicht berechtigt sind, andere Hoheitsträger zu Gefahrenabwehrmaßnahmen zu verpflichten 16 , stellt sich hier die Schadenssituation nicht anders dar, als wenn eine Privatperson (aus anderen Gründen) rechtswidrig in Anspruch genommen worden wäre. Nicht anders ist es, wenn ein Hoheitsträger rechtswidrigerweise als Nichtstörer zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr verpflichtet wird: Beispiel Nr. 22 (nach BGHZ 98, S. 244ff. [„Blindgänger"f): In Niedersachsen werden die Aufgaben der Ordnungsbehörden von den Gemeinden als Pflichtaufgabe nach Weisung durchgeführt. Die Stadt L suchte in Wahrnehmung dieser Aufgabe im August 1981 nach einem im Erdreich unter der L-Straße vermuteten Blindgänger.

13 Im Originalfall hätte der Wagen an sich noch herausgegeben werden können. Der OGH sah sich aber zu einem entsprechenden Leistungsurteil aus Zuständigkeitsgründen nicht in der Lage, sprach aber vollen Schadensersatz nach dem Grundsatz , J)ulde und liquidiere" zu. 14 Siehe hierzu: 3. Kap. A I b (S. 127). 15 GSS. 41. 10 Siehe hierzu: Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 79 ff: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 15 3 b, S. 240 if. 17 Siehe hierzu: 4. Kap. A1 1 h (S. 182 f.).

A.Fiskalschäden

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Sie nahm dazu auch rechtswidrigerweise 18 die Bundespost als Nichtstörerin nach § 8 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - NdsSOG - vom 31. März 197819 in Anspruch und ordnete die vorübergehende Entfernung einer von der Bundespost aufgrund ihres Wegerechts nach § 1 Telegraphenwegegesetz20 unterirdisch verlegten Kabeltrasse an, was Kosten in Höhe von etwa 140.000,- DM verursachte. Die Bundespost verlangte Entschädigung von der Stadt nach §40, §41 Satz 1 NdSOG.

c) Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen Hoheitsträgern, deren Verletzung zu Fiskalschäden führen kann, sind auch dann gegeben, wenn ein Hoheitsträger - wie eine Privatperson - eine Genehmigung braucht, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können, und ihm diese rechtswidrigerweise nicht erteilt wird: Beispiel Nr. 23 (nach OLG Celle, Urteil vom 26. März 1996 - 16 U 197/94 [„Gorleben"])·. Nach § 23 Nr. 2 Atomgesetz ist das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig für die Errichtung von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfalle. Insofern wird das Atomgesetz in Bundeseigenverwaltung ausgeführt. In Ausübung dieser Kompetenz veranlaßte das Bundesamt seit den 80er bis Anfang der 90er Jahre Probebohrungen im Salzstock Gorleben und baute dort auch Schächte aus (sog. Abteufen), um die Eignung dieses Salzstocks als Endlager für radioaktive Abfalle zu erkunden. Die Arbeiten waren nicht auf Grundlage einer Planfeststellung nach § 9a Atomgesetz begonnen worden, welche nach Art. 87c GG i. V. m. § 24 Atomgesetz in Bundesauftragsverwaltung vorzunehmen gewesen wäre, sondern beruhten allein auf einem vom Land Niedersachsen genehmigten Rahmenbetriebsplan nach dem BBergG, das nach Art. 83 GG in Landeseigenverwaltung durchgeführt wird. Das BVerwG hatte am 9. März 1990 entschieden, daß eine Planfeststellung nach § 9a Atomgesetz tatsächlich nicht erforderlich gewesen sei, da es noch nicht um die Errichtung eines Endlagers gehe, sondern um die Erkundung der Eignung des Salzstocks hierfür 21. Dennoch hatte das Land Niedersachsen im Hinblick auf weitere Widersprüche von Anliegern gegen die bergrechtliche Betriebsplangenehmigung von Oktober 1990 bis Februar 1990 einen Baustopp verfügt, was zu einem Schaden des Bundes in Höhe von 10,15 Millionen DM führte. Diese Summe verlangte der Bund vom Land Niedersachsen mit der Begründung ersetzt, daß das Land die aufschiebende Wirkung der Widersprüche durch Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit hätte ausschließen müssen, da die Widersprüche offensichtlich unzulässig gewesen wären. Die

18

Im Originalfall ließ der BGH dies dahingestellt. GVB1S.279. 20 Telegraphenwegegesetz vom 18. Dezember 1899 (RGBl I S. 705). Gemäß § 1 Satz 1 des Telegraphenwegegesetzes in der Fassung des Art. 8 PTNeuOG war zunächst - nach Oberführung der Deutschen Bundespost TELEKOM in eine Aktiengesellschaft nach § 1 Abs. 1 PostUmwG (verkündet als Art. 3 PTNeuOG) - die Deutsche TELEKOM AG wegeberechtigt gewesen. Inzwischen ist das TWG durch § 100 Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120) vollständig aufgehoben und durch die §§ 50 ff TKG ersetzt worden. 21 BVerwGE 85, S. 54 ff. 19

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung WiderspruchsfÜhrer hätten durch die Arbeiten unter Tage nicht in ihren Rechten verletzt werden können.

Wohl am ehesten in diese Fallgruppe einzuordnen dürfte auch der Fall der Schädigung einer Kommune durch die Treuhandanstalt bei zuordnungswidriger Übertragung von Kommunalvermögen sein (vgl. Art. 22 Einigungsvertrag, § 10 VZOG)22. d) Zur Gruppe der Fiskalschäden innerhalb bereits bestehender öffentlichrechtlicher Rechtsverhältnisse sind schließlich auch die Fälle zu zählen, in denen ein Hoheitsträger wie eine Privatperson an einem Rechtsstreit teilnimmt und er durch eine richterliche Fehlentscheidung geschädigt wird. Hier könnte sich zumindest theoretisch die Frage stellen, ob fur Fehlurteile der Landesgerichte das Land, für Fehlurteile der Bundesgerichte der Bund haften muß. Jedenfalls was die spruchrichterliche Tätigkeit der Gerichte betrifft, erscheint dies jedoch als ausgeschlossen: Das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB, das die Rechtskraft von Gerichtsurteilen sichern soll23, steht einer solchen Haftung sogar Privatpersonen gegenüber entgegen. Denkbar ist jedoch auch eine „richterliche" Fiskalschädigung in den Fällen, in denen das Spruchrichterprivileg nicht gilt: Beispiel Nr. 24 (nach RGZ 135, S. 110ff. [„Armenrecht"] 24): Gastwirt G, dem die Gaststättenerlaubnis vom Landrat des preußischen Landkreises L entzogen worden war, wollte deswegen Amtshaftungsansprüche gegen den Kreis geltend machen. Hierfür beantragte er Armenrecht (Prozeßkostenhilfe). Das LG Breslau gab nach Anhörung des Kreises dem Antrag statt, obwohl sich aufdrängte, daß nach damaliger Rechtslage die Rechtsverfolgung wegen fehlender Passivlegitimation des Kreises aussichtslos war. Durch Urteil des LG Breslau vom 8. Februar 1928 wurde dementsprechend die Klage des G abgewiesen. Der Landkreis nahm daraufhin den preußischen Staat wegen Amtspflichtverletzung der Richter des LG Breslau auf Ersatz seiner vom mittellosen G nicht beitreibbaren Rechtsverteidigungskosten in Anspruch.

Fiskalschädigungen durch fehlerhafte Entscheidungen der Gerichte können aber vor allem auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auftreten, ζ. B. wenn ein Hoheitsträger als Gesellschafter einer GmbH oder AG im Handelsregisterverfahren oder als Eigentümer bei Grundbuchsachen betroffen ist: Beispiel Nr. 25 (nach RGZ 138, S. 114ff. [„Gelöschte Hypothek"]): Für den preußischen Landkreis L war auf den Grundbesitz des Landwirts Β eine Darlehenshypothek von 8000 Goldmark brieflos eingetragen. Β verkaufte einen Teil seines 22

Hierzu ausführlich Pauly/Danker, Erlösauskehr und Schadensersatzansprüche bei zuordnungswidrigen Übertragungen von Kommunalvermögen durch die Treuhandanstalt, LKV 1997, S. 41 ff. 23 Bender, Staatshaftungsrecht 2, Rn. 630 ff.; Maurer, Allg. VerwR, § 25 Rn. 49 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 7 4 a, S. 83 f. Siehe hierzu: . Kap. (S. 4 ) .

Α. Fiskalschäden

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Grundbesitzes an den Maurermeister S und gab ihm Auflassung. Da S die Übertragung des Grundstückes auf ein neues Grundbuchblatt erbeten hatte, wurde er im März 1928 auf dem neuen Blatt als Eigentümer eingetragen. Hierbei unterblieb aufgrund eines Versehens des Grundbuchrichters die Mitübertragung der auf dem Grundstück lastenden Hypothek. Erst im Januar 1929 wurde dies durch einen Beamten des Landkreises bemerkt. Daraufhin wurde am 4. März 1929 die Hypothek erneut eingetragen, trat hierbei aber hinter eine Sicherungshypothek von 25.000 RM, die im Dezember 1928 für einen Gläubiger des S eingetragen worden war, der bezüglich der Löschung der Hypothek gutgläubig gewesen war. Später gelangte das Grundstück zur Zwangsversteigerung. Die Hypothek des Landkreises fiel aus. Er verlangte daher nach § 839 BGB i. V. m. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV Schadensersatz vom preußischen Staat.

e) Zu Fiskalschäden innerhalb öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen kann es schließlich auch bei der Durchführung von Aufgaben der Daseinsvorsorge kommen, wenn diese mittels öffentlich-rechtlicher Handlungsformen erfüllt werden: Beispiel Nr. 26: Die Stadt S betreibt die Wasserversorgung in Form eines Eigenbetriebs. Das Benutzungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Eines Tages geraten durch Verschulden von Angestellten der Stadtwerke pflanzenschädigende Giftstoffe in das Trinkwasser. Mit diesem Wasser werden auch die Weinberge eines staatlichen Weinguts bewässert. Die Weinstöcke gehen ein. Das hierdurch geschädigte Land verlangt daher von der Stadt Schadensersatz.

Im Staat-Bürger-Verhältnis käme in solchen Fällen nach der Rechtsprechung neben Ansprüchen aus Amtshaftung u. a. auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses in Betracht25, so daß naheliegt, gleiches auch zwischen Hoheitsträgern anzunehmen. ΙΠ. Fiskalschädigungen innerhalb bereits bestehender privatrechtlicher Rechtsverhältnisse a) Den Fiskalschäden sind schließlich auch diejenigen Schäden zuzurechnen, die sich innerhalb vertraglicher privatrechtlicher Rechtsverhältnisse zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ereignen, was voraussetzt, daß die Verwendung der privatrechtlichen Handlungsform auch zwischen Hoheitsträgern überhaupt zulässig ist. Möglich ist dies nach herrschender Auffassung nur, wenn der Gegenstand dieses Vertrages grundsätzlich auch Gegenstand eines Vertrages zwischen Privatpersonen sein könnte und beide Hoheitsträger innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs handeln. Durch Abschluß privatrechtlicher Verträge darf m. a. W. nicht die Zuständigkeits25

Siehe hierzu Maurer, Allg. VerwR, § 28 Rn. 2; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, §43 1 d, S. 291 ff

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Ordnung ausgehöhlt werden26. So ist ein Handeln auch zwischen Hoheitsträgern in Privatrechtsform möglich und letztlich auch gesetzlich vorgeschrieben, wenn ein Hoheitsträger wie ein Privatmann am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, insbesondere wenn es um die Bedarfsdeckung bzw. um die reine Verwaltung vorhandenen Vermögens geht (sog. fiskalische Hilfsgeschäfte) oder wenn ein Hoheitsträger wie eine Privatperson erwerbswirtschaftlich tätig wird 27 . Die Frage nach Schadensersatz kann sich dann bei Leistungsstörungen stellen: Beispiel Nr. 27: Die auf 1.500 Metern Höhe gelegene Gemeinde A verkauft der auf nur 500 Metern Höhe gelegenen Gemeinde Β einen gebrauchten Schneepflug, da sie sich selbst wegen häufiger Schneefölle ein leistungsfähigeres Modell anschaffen will. Hierbei verschweigt der Bürgermeister der Gemeinde A, daß der Motor einen Getriebeschaden hat. Dies zeigt sich beim ersten Schneefall in der Gemeinde B. Diese muß sich daher von der Gemeinde C einen Schneepflug mieten. Den Mietzins verlangt sie als Schadensersatz nach § 463 Satz 2 BGB von der Gemeinde A ersetzt.

b) Zu privatrechtlichen Verträgen zwischen Hoheitsträgern kann es darüber hinaus auch kommen, wenn der Verwaltung weder ein Handeln in Privatrechtsform noch ein Handeln in Formen des öffentlichen Rechts vorgeschrieben ist, da die Verwaltung dann zwischen den beiden Handlungsformen wählen kann. Eine solche Wahlfreiheit besteht heute praktisch nur noch bei der Durchführung von Aufgaben der Daseinsvorsorge und im Subventionswesen28. Damit besteht die Möglichkeit privatrechtlicher Verträge zwischen Hoheitsträgern jedenfalls in den Fällen, in denen ein Vertragspartner gewisse Leistungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge in Privatrechtsform erbringt, die ein anderer Hoheitsträger zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, so daß er insofern ein fiskalisches Hilfsgeschäft tätigt. Hier wäre natürlich ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ein Hoheitsträger gegenüber seinem Vertragspartner Schadensersatzansprüche nach zivilrechtlichem Leistungsstörungsrecht geltend macht: Beispiel Nr. 28: Im Beispiel Nr. 26 handeln die als Eigenbetrieb geführten Stadtwerke nicht in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen, sondern schließen privatrechtliche Verträge mit den Wassernutzern ab, so auch mit dem Land bezüglich des staatlichen Weingutes. Das Land verlangt von der Stadt nunmehr Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung des Wasserlieferungsvertrages.

Privatrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen Hoheitsträgern sind schließlich auch dann möglich, wenn ein Hoheitsträger in einem Bereich, in dem er seine Aufgaben auch in Privatrechtsform erfüllen kann, zusammen mit anderen Hoheitsträgern und u. U. Privatpersonen eine Gesellschaft des Privatrechts 26

Siehe hierzu: 1. Kap. A I a (S. 32). Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 2 Rn. 28, 34, 46; Maurer, Allg. VerwR, § 3 Rn. 7 f. 28 Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 2 Rn. 33; Maurer, Allg. VerwR, § 3 Rn. 9. 27

Β. Verwaltungsträgerschäden

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gründet. Durch den Gesellschaftsvertrag werden privatrechtliche Schuldverhältnisse auch zwischen den einzelnen Gesellschaftern geschaffen - hier können ebenfalls Leistungsstörungen auftreten und damit auch Schadensersatzansprüche relevant werden29.

B. Verwaltungsträgerschäden Zu den Verwaltungsträgerschäden gehören die Fälle, in denen ein bestimmter Schaden allein bei dem geschädigten Hoheitsträger, nicht aber bei einem Privaten entstehen konnte. Die hier betroffenen Sachverhaltskonstellationen sind sehr vielfaltig, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß es grundsätzlich keinen numerus clausus der Verwaltungsorganisations- und Lastenverteilungsformen gibt, sondern dem Gesetzgeber insoweit - zumindest außerhalb des Bund-Länder-Verhältnisses - ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Trotz dieser Vielfalt lassen sich jedoch die Fälle der Verwaltungsträgerschäden weitgehend zehn Fallgruppen zuordnen, die allerdings oftmals ineinander übergehen. I. Schädigungen bei Amtshilfe und amtshilfeähnlicher Zusammenarbeit a) Nach zahlreichen Vorschriften werden Behörden eines Hoheitsträgers in ein Verfahren einbezogen, das an sich der Behörde eines anderen Hoheitsträgers obliegt, in deren Hand auch der wesentliche und entscheidende Teil des Verfahrens verbleibt. Die Einbindung kann mehr oder weniger ausgeprägt sein. Am wenigsten ausgeprägt ist diese Einbindung im Rahmen der Amtshilfe: Nach § 4 Abs. 1 VwVfG, § 3 SGB X, § 111 AO und den entsprechenden Verwaltungsverfahrensvorschriften der Länder leistet jede Behörde anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe. Amtshilfe liegt nach diesen insoweit übereinstimmenden Vorschriften nicht vor, wenn Behörden innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten und wenn die Hilfeleistungen in Handlungen bestehen, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgaben obliegen. Amtshilfe bedeutet damit die Vornahme einer ergänzenden Unterstützungshandlung zu einem „fremden" Haupt- oder Grundverfahren und hat insofern „altruistischen" Charakter 30. Gegenstand der Amtshilfe können unterschiedliche Real- oder sonstige Handlungen sein, zu denen die ersuchte Be-

29

Siehe hierzu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (3. Aufl. 1997), §20 DI, S. 578 ff. 30 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rn. 6.

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

hörde nach dem für sie maßgeblichen Recht belugt und in der Lage ist 3 1 . Gehören ersuchte und ersuchende Behörde verschiedenen Rechtsträgern an, können durch Fehler der ersuchten Behörde dem Träger der ersuchenden Behörde Schäden zugefügt werden: Beispiel Nr. 29 (in Anlehnung an BVerwG, NVwZ 1986, S. 467 ff): Eine nordrheinwestfölische AOK erbat von der Industrie- und Handelskammer ihres Bezirks Auskünfte über mehrere Firmen zu den Fragen, seit wann diese Firmen der IHK angehören, wie für jede dieser Firmen die Beitragsverteilung zwischen der IHK und der Handwerkskammer geregelt ist und ob nach der Einschätzung der IHK die genannten Betriebe als Industrieunternehmen oder als Handwerksbetriebe anzusehen seien. Die IHK kam diesen Ersuchen trotz wiederholter Anfragen nicht nach, obwohl sie zur Ablehnung der Amtshilfe nach § 5 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht berechtigt war. Deshalb mußte die AOK die erforderlichen Untersuchungen selbst vornehmen, was u. a. erhöhte Kosten erforderte, welche die AOK nunmehr von der IHK ersetzt verlangt32. Vergleichbare Haftungsprobleme können entstehen, wenn die ersuchende Behörde aufgrund einer falschen Auskunft der ersuchten Behörde einem Dritten gegenüber Maßnahmen erläßt oder unterläßt und hierdurch besondere Kosten - ζ. B. die Kosten eines verlorenen Prozesses - entstehen. b) Die Frage der Haftung für falsche Auskunft stellt sich auch in den Fällen, in denen aufgrund besonderer Vorschriften Mitteilungs- und Informationspflichten zu beachten sind: Beispiel Nr. 30 (nach RG, Das Recht 1909, Nr. 1886 [„ Verwandtenbegünstigung"] 3'): Nach Art. 70 der Reichsverfassung von 1871 stand der Ertrag der Einkommensteuer den Bundesstaaten zu. Bürgermeister Β einer Landbürgermeisterei der Preußischen Rheinprovinzen hatte es nun unterlassen, eine längere Zeit bei ihm wohnhaft gewesene, steuerpflichtige Verwandte in die Personenstands- und Staatssteuerliste aufzunehmen, wozu die Gemeinden nach § 23 und § 24 des preußischen Einkommensteuergesetzes34 verpflichtet waren. Die Preußische Finanzverwaltung hatte deshalb für mehrere Jahre die Einkommensteuer der Verwandten nicht festgesetzt. Die Steueransprüche waren inzwischen verjährt. Der preußische Staat verlangte Schadensersatz. Beispiel Nr. 31 (nach BGH, NVwZ 1987, S. 531 ff. [„Vergleichsmitteilung"]): war Beamter der nordrhein-westfalischen Gemeinde G. Seine frühere Frau F trat 1976 als Angestellte in den Dienst des Landes Hessen. Das Kindergeld für ihr gemeinsames Kind C, das bei F lebte, wurde F ausbezahlt. F erhielt auch für C den erhöhten Ortszuschlag als Teil ihrer Angestelltenvergütung. Die Gemeinde G zahlte ihrerseits von 1976 bis 1981 an Κ ebenfalls den kinderbezogenen Teil des Ortszu-

31

Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rn. 26. Im Originalfall ging es um die Frage, ob die AOK die Vornahme der Amtshilfe selbst gerichtlich erzwingen kann. 33 Siehe hierzu: 3. Kap. Β Π d (S. 144 f.). 34 I. d. F. der Bekanntmachung vom 19. Juni 1906 (GS S. 259). 32

Κ

Β. Verwaltungsträgerschäden

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schlags, da die Bediensteten des Landes Hessen es versäumt hatten, eine in einer Verwaltungsvorschrift vorgesehene Vergleichsmitteilung an die Gemeinde zu senden. Dieser Betrag war von Κ nicht zurückzuerlangen. Die Gemeinde verlangte vom Land Hessen Schadensersatz. Beispiel Nr. 32 (nach BGHZ 116, S. 312ff [„Rentenablehnung"f 5): Weil Frau Κ einen Rentenantrag gestellt hatte, wurde sie nach § 189 SGB V Mitglied der AOK. Der Rentenantrag wurde von der Landesversicherungsanstalt abgelehnt, ohne daß dies der AOK nach § 201 Abs. 4 Nr. 3 SGB V mitgeteilt wurde. In der Folgezeit erbrachte die AOK daher noch Leistungen in Höhe von 16.533,95 DM, ohne hierzu verpflichtet zu sein. Da diese Leistungen von Κ nicht zurückerlangt werden konnten, verlangte die AOK von der LVA Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung.

c) Mit der Amtshilfe verwandt sind auch solche Verwaltungsaufgaben, deren Ausübung nur dazu dient, die Entscheidung eines anderen Hoheitsträgers vorzubereiten, und die daher - wie die Amtshilfe - „altruistischen" Charakter haben. Gegenstand solcher Vorbereitungsmaßnahmen kann ζ. B. in der Leistungsverwaltung - vor allem im Sozialrecht - die Entgegennahme, Vorabprüfung und Weiterleitung von Anträgen sein. So bestimmt ζ. B. § 16 SGB I, daß Anträge auf Sozialleistungen zwar grundsätzlich beim zuständigen Leistungsträger zu stellen sind, jedoch auch von allen anderen Leistungsträgern und von allen Gemeinden entgegengenommen werden müssen. Werden die Anträge bei einem unzuständigen Leistungsträger oder den Gemeinden gestellt, so ist der Antrag unverzüglich an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Darüber noch hinaus geht die Aufgabe der Versicherungsämter nach § 92 ff. SGB IV und der Gemeinden, denen durch Landesrechtsverordnung einzelne Aufgaben der Versicherungsämter übertragen wurden (vgl. § 93 Abs» 1 Satz 2 SGB IV). Diese haben nach § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ζ. B. auf Verlangen des Versicherungsträgers den Sachverhalt aufzuklären, Beweismittel beizufügen, sich, soweit erforderlich, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern und Unterlagen unverzüglich an den Versicherungsträger weiterzuleiten. Daß dem Versicherungsträger bei Schlechterfüllung solcher Aufgaben Schäden entstehen können, zeigt das Beispiel Nr. 33 (nach RGZ 154, S. 201 ff [„Freibad"] 36): Im Frühjahr 1929 hatte der Vorsitzende eines preußischen Arbeitsamtes der Landgemeinde G aufgrund des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) 37 gewisse Aufgaben des Unterstützungsverfahrens übertragen, nämlich die Entgegennahme und Vorprüfung von Unterstützungsanträgen (§172 Abs. 2 Satz 1 AVAVG) und die Auszahlung der bewilligten Arbeitslosenunterstützung (§ 175 Abs. 2 AVAVG). Gemeindevorsteher von G war damals W. Er war zugleich Vorsitzender des örtlichen Verkehrsvereins. Der Verein beschloß die Anlage eines Freibades und führte sie im Laufe des Sommers 1929 durch. Den hierfür beschäftigten Bauarbei35 36 37

Siehe hierzu: 8. Kap. Β 11 f (S. 431). Siehe hierzu: 3. Kap. D I d (S. 162 ff.). Vom 16. Juli 1927 (RGBl IS. 187).

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung tern wurde von W nahegelegt, bei der Gemeinde einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung zu stellen. Diese Anträge wurden von W befürwortet, so daß das Arbeitsamt den Arbeitern Arbeitslosenunterstützung bewilligte. Der Verein legte den Arbeitern aus seinen Mitteln den zum tarifmäßigen Lohn fehlenden Betrag zu. Der Reichsanstalt für Arbeit entstand so ein Schaden in Höhe von insgesamt 3.498,99 RM.

Im Regelfall sind die Fälle aber weniger kraß: Beispiel Nr. 34 (nach BGHZ 26, S. 232ff. [„Zweifachwitwe"]™): Eine nordrheinwestfalische LVA bat am 14. März 1950 das Versicherungsamt des Landkreises L, von einer Witwe einen formularmäßigen Antrag auf Zahlung von Waisenrente der Invalidenversicherung aufzunehmen. Die Witwe war zweimal verheiratet gewesen. Ansprüche auf Grund einer Invalidenversicherung bestanden nur aus der Sozialversicherung ihres zweiten Mannes. Der Angestellte des Versicherungsamtes nahm den Antrag entgegen, und führte dabei versehentlich auch die zwei Kinder aus erster Ehe als eheliche Kinder des zweiten Mannes auf In der Spalte Beglaubigungen" bestätigte der Angestellte die Angaben mit Siegel und Unterschrift sowie dem Zusatz „Familienbuch". Die LVA zahlte im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben vorübergehend eine Waisenrente auch für diese Kinder, die sie nun weder von den vermögenslosen Kindern noch von der Mutter zurückerhalten konnte. Sie verlangte daher vom Landkreis unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung ihren Schaden ersetzt. d) In einigen Fällen sind in einem Verwaltungsverfahren auch Stellungnahmen von Behörden eines anderen Hoheitsträgers einzuholen. Soweit diese Stellungnahmen keine Bindungswirkung gegenüber der federführenden Behörde entfalten, stellen sie eine Art formalisierte Amtshilfe dar. Hier kann der Träger der federführenden Behörde geschädigt werden, wenn sie im Vertrauen auf eine solche Stellungnahme eine falsche Entscheidung trifft: Beispiel Nr. 35 (nach BGH, NVwZ 1991, S. 707ff. [„Gerberei"]): Die Firma Τ beabsichtigte in den Jahren 1977/78, in der hessischen Stadt F eine Wohnanlage mit Einfamilienhäusern zu errichten. Das zu bebauende Areal lag in der Nähe des pelzverarbeitenden Gewerbebetriebes der Firma M, von dem unvermeidliche Emissionen wie Gerüche, chemische Dämpfe und Maschinenlärm ausgingen. Nach § 68 der damals geltenden Hessischen Bauordnung (HBO) vom 6. Juli 195739 war vor der Entscheidung über die Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung durch den Kreis W als zuständige Baubehörde (Pflichtaufgabe nach Weisung) auch das staatliche Gewerbeaufsichtsamt als Behörde zu hören, deren Zuständigkeit nach § 52 BImSchG i. V. m. § 2 der Hessischen BImSchGZustVO40 berührt wurde. Das Gewerbeaufsichtsamt führte eine Ortsbesichtigung durch und teilte dem Kreis anschließend mit, daß im Bereich der Baugrundstücke keine Belästigungen feststellbar seien, die von der Gerberei herrühren könnten. Daher stimmte es dem Bauvor38

Siehe hierzu: 4. Kap. A I 1 d (S. 174 ff.) und die Entscheidung der Vorinstanz: OLG Düsseldorf, NJW 1956, S. 1112 ff. 39 GVB1S. 101. 40 Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 24. Oktober 1974 (GVB1 S. 485).

Β. Verwaltungsträgerschäden

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haben zu. Aufgrund dieser Stellungnahme erteilte der Kreis eine Baugenehmigung. Hiergegen klagte die Gerberei. Das VG gab der Klage statt und hob die Baugenehmigung wegen erheblicher Emissionen der Gerberei auf. Die Τ nahm daraufhin den Kreis wegen Amtspflichtsverletzung auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihr dadurch entstanden sei, daß sie im Vertrauen auf die Baugenehmigung nutzlose Aufwendungen zur Verwirklichung des Bauvorhabens erbracht habe. Das LG gab dieser Klage statt. Der Kreis verlangte nunmehr vom Land Hessen Ersatz dieses Haftpflichtschadens und der bisher entstandenen Prozeßkosten, da das Gewerbeaufsichtsamt eine auch der Baugenehmigungsbehörde gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt habe, indem es das Bauvorhaben gebilligt und den Kreis auf diese Weise zur Erteilung der rechtswidrigen Baugenehmigung veranlaßt habe. e) Ebenfalls mit der Amtshilfe verwandt ist schließlich auch die sog. „Vollzugs·" oder „Vollstreckungshilfe", die aufgrund von Spezialvorschriften zur Vollstreckung eines Verwaltungsaktes geleistet wird, den die Behörde eines anderen Rechtsträgers erlassen hat. Hierbei handelt es sich nicht mehr um Amtshilfe i. S. d. §§ 4 ff. VwVfG und der entsprechenden Vorschriften, da die Tätigkeit der Vollstreckungsbehörde über eine bloße Hilfstätigkeit hinausgeht und ihr die Vornahme der Handlungen, um die sie ersucht wird, regelmäßig als eigene Aufgaben obliegt 41 . So bestimmen die Polizeigesetze der Länder, daß die „uniformierte" Polizei anderen Behörden auf Ersuchen Vollzugshilfe leisten muß, wenn letztere nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügen oder ihre Maßnahmen nicht selbst durchsetzen können 42 . Auch dabei kann es zu Schädigungen bei „Schlechterfüllung" kommen: Beispiel Nr. 36 (nach BGH, DVBl 1974, S. 592ff. [„Nibrenwachs"]): Der Mitgliedsbetrieb F der Berufsgenossenschafl Β stellte Kondensatoren unter Verwendung des sog. Nibrenwachses her. Dies kann bei unvorsichtigem Umgang Hauterkrankungen hervorrufen. Die Berufsgenossenschaft gab deshalb der insoweit unzuverlässigen F auf, die Verarbeitung von Nibrenwachs einzustellen, und ersuchte im Februar 1965 das Gewerbeaufsichtsamt des Landes Nordrhein-Westfalen, ihre Anordnung zu vollstrecken. Sie selbst hätte nur Ordnungsstrafen verhängen, aber keinen unmittelbaren Zwang anwenden dürfen. Obwohl das Gewerbeaufsichtsamt hierzu gesetzlich verpflichtet war, folgte es diesem Ersuchen nicht. In der Folgezeit erlitten 41 Arbeiter Hauterkrankungen, die auf den unvorsichtigen Umgang mit Nibrenwachs zurückzuführen waren. Der Berufsgenossenschaft entstanden erhebliche Kosten, die sie unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung vom Land ersetzt verlangte. Soweit sich eine Vollstreckungshilfe zwischen verschiedenen Hoheitsträgern ausnahmsweise auch auf die Einziehung von Geldbeträgen erstreckt, kann es zu Schädigungen durch nachlässige Einziehung oder durch Unterschlagungen der eingezogenen Gelder kommen: 41

Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rn. 42. Siehe hierzu: Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 170 ff.; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 10, S. 144 ff. 42

7 Stelkens

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung Beispiel Nr. 37 (nach RGZ 134, S. 178 ff. [„Steuerunterschlagung"]): Nach preußischem Recht hatten die Gemeinden Vollziehungsbeamte anzustellen, die kein Gehalt sondern lediglich Gebühren für die Ausführung von Vollziehungsaufträgen von den Gemeinden erhielten. Die Finanzämter waren ermächtigt, im Einzelfall die Beitreibung von Steuern diesen Vollziehungsbeamten zu übertragen. Der von der Landgemeinde G als Vollziehungsbeamter angestellte Arbeiter W war auf diese Weise beauftragt worden, Staatssteuern einzuziehen. W unterschlug hiervon den Betrag von 551,71 RM. Der preußische Staat verlangte von G Schadensersatz.

Heute ist eine solche „Geldleistungsvollstreckungshilfe" ζ. B. vorgesehen, wenn die Landesrundfunkanstalten nach Maßgabe der Landesrundfunkgesetze von der Ermächtigung des § 7 Abs. 3 Satz 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags43 Gebrauch gemacht und mit der Einziehung der Rundfunkgebühren eine andere Stelle beauftragt haben44 oder soweit die Gemeinden nach § 113 Abs. 3 Satz 1 HandwO die Beiträge der selbständigen Handwerker und der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe für die Handwerkskammern einziehen und beitreiben. II. Schädigungen in gestuften Verfahren a) Als gestufte Verfahren sollen hier solche Verfahren bezeichnet werden, in denen eine Behörde (gebundene Behörde) bei Erlaß eines Verwaltungsakts an die Vorentscheidung einer anderen Behörde (bindende Behörde) gebunden ist. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, ob die Vorentscheidung selbst einen Verwaltungsakt darstellt oder nur den Charakter einer internen Mitwirkungshandlung hat45. Sind die Träger der bindenden und der gebundenen Behörde nicht identisch, stellt sich die Frage nach Schadensersatz dann, wenn der Bindungswirkung entfaltende Rechtsakt tatsächlich nicht mit der geltenden Rechtslage übereinstimmt und deshalb der gebundene Hoheitsträger entgegen der materiellen Rechtslage Leistungen erbringen muß oder bestimmte Einnahmen nicht erzielen kann. Eine solche Situation besteht ζ. B. im Verfahren zur Festsetzung der Realsteuern i. S. d. § 2 AO (Grundsteuer und Gewerbesteuer), deren Aufkommen nach Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden zusteht und auch von diesen nach § 1 GrStG, § 1 GewStG erhoben wird. Die Besteuerungsgrundlagen werden jedoch regelmäßig von den Finanz43

Art. 4 des Staatsvertrags über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991, zuletzt geändert durch den Ersten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Erster Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 3. Februar bis 31. März 1994. 44 Eine solche Konstellation lag ζ. B. der Entscheidung BVerwGE 29, S. 214 ff. zugrunde. 45 Siehe zum Begriff des gestuften Verwaltungsverfahrens: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 91 ff.

Β. Verwaltungsträgerschäden

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ämtern nach § 184 Abs. 1 und 2 AO durch Steuermeßbescheid festgesetzt. Den Gemeinden verbleibt nur noch die Aufgabe, auf die so ermittelten Steuermeßbeträge ihre Hebesätze anzuwenden46; sie sind an die Steuermeßbescheide als Grundlagenbescheide i. S. d. § 171 Abs. 10 AO gebunden. Fehlerhafte Steuermeßbescheide können daher zu Steuerausfallen bei den Gemeinden führen: Beispiel Nr. 38 (nach OLG Saarbrücken, VersR 1994, S. 1191ff. [„Kurmittelhaus"]): Die Kurmittelhaus-GmbH (K) betrieb in der bayerischen Gemeinde Bad Füssing ein Kurmittelhaus, in dem Kuranwendungen, Speisen und Getränke verabreicht wurden. Ihr Firmensitz befand sich in Saarbrücken. Zuständig für die Festsetzung der Gewerbesteuermeßbescheide der Κ war demnach gemäß § 22 Abs. 1 i. V. m. § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO das Finanzamt Saarbrücken. Durch Bescheid vom 8. November 1989 wurde der Gewerbesteuermeßbetrag der Κ für die Veranlagungszeiträume 1983 bis 1987 festgesetzt. Κ wurde hierbei als selbständiger gewerbesteuerpflichtiger Gewerbebetrieb behandelt, wie es der Rechtsprechung des BFH entsprach. Aufgrund des Einspruchs der Κ gegen diesen Bescheid wurden die Gewerbesteuermeßbeträge 1983 bis 1987 jedoch auf Null festgesetzt mit der Begründung, daß die Κ mit einer Klinikum GmbH eine Einheit bilde, sie daher wie die Klinikum GmbH als Krankenhaus i. S. d. § 67 Abs. 2 AO anzusehen und somit gemäß § 3 Nr. 20 GewStG von der Gewerbesteuer befreit sei. 1990 wurden die Gewerbesteuermeßbescheide aufgrund einer ministeriellen Anweisung für die Jahre 1985 bis 1987 erneut geändert und die Κ wieder als gewerbesteuerpflichtiges Unternehmen behandelt. Für die Jahre 1983 bis 1984 war dies nicht mehr möglich, da inzwischen Festsetzungsveijährung eingetreten war. Die Gemeinde verlangte nun vom Saarland den eingetretenen Steuerausfall für die Jahre 1983 und 1984 in Höhe von 516.894,- DM ersetzt. b) In die Fallgruppe der Schädigung bei gestuften Verwaltungsverfahren läßt sich auch das praktisch bedeutsame Problem des rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB einordnen. Hiernach wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach §31, §33 bis §35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Verweigert die Gemeinde ihr Einvernehmen, so ist die Baugenehmigungsbehörde nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG daran gebunden und muß die Genehmigung versagen, auch wenn die Verweigerung des Einvernehmens rechtswidrig ist 47 . Dem Träger der Bauaufsichtsbehörde kann in diesem Fall ein Prozeßkostenschaden entstehen: Beispiel Nr. 39 (nach Bender 48 und Pappermann 49): In den meisten Bundesländern sind die Landkreise untere Bauaufsichtsbehörden und somit für die Erteilung von

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Tipke/Lang, Steuerrecht (15. Aufl. 1996), § 12 Rn. 195, 290. Maurer, Allg. VerwR, § 9 Rn. 30 m. w. N. Bender, Staatshaftungsrecht 3, Rn. 271. Pappermann, Folgeprobleme der MitwirkungsVerwaltung, DVB1 1975, S. 640.

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Baugenehmigungen zuständig. Bauherr Β beantragt nun beim Kreis Κ eine Baugenehmigung, für deren Erteilung das Einvernehmen einer kreisangehörigen Gemeinde nach § 36 BauGB erforderlich ist. Die Gemeinde verweigert das Einvernehmen rechtswidrigerweise. Daraufhin lehnt die Bauaufsichtsbehörde pflichtgemäß die Baugenehmigung wegen fehlenden Einvernehmens ab. Auch der Widerspruch des Β ist erfolglos, da sich nach der Rechtsprechung des BVerwG sich auch die Widerspruchsbehörde nicht über das fehlende Einvernehmen hinwegsetzen darf 40. Daraufhin erhebt Β Klage beim VG auf Erteilung der Baugenehmigung. Da das VG an die rechtswidrige Versagung des Einvernehmens der Gemeinde nicht gebunden ist, kann es den materiell-rechtswidrigen Versagungsbescheid aufheben und die Behörde verpflichten, die Genehmigung zu erteilen. Hat die Klage Erfolg, muß der Kreis als Beklagter die Verfahrenskosten auch dann tragen, wenn er nur wegen fehlenden Einvernehmens der Gemeinde die Baugenehmigung abgelehnt hat. Diese Kosten könnte der Kreis von der Gemeinde ersetzt verlangen. Bisher war die einzige Möglichkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde, einem solchen Prozeß auszuweichen, eine Maßnahme der Kommunalaufsichtsbehörden einzuleiten und auf diesem Wege das Einvernehmen der Gemeinde zu ersetzen52. Durch das Bau und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) wurde jedoch dem Landesgesetzgeber ermöglicht, die Rechtsstellung der Bauaufsichtsbehörden gegenüber den Gemeinden zu verbessern: An § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB wurde ein Satz 3 angehängt, nach dem die nach Landesrecht zuständige Behörde ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen kann. Hierdurch kann sich - je nachdem welche Behörde das Landesrecht bestimmt - die praktische Bedeutung der Fallkonstellation des Beispiels Nr. 39 erheblich mindern. c) Vergleichbar mit diesen Fällen sind schließlich auch Konstellationen, in denen die Entscheidung der bindenden Behörde nicht Voraussetzung für eine Leistung der gebundenen Behörde ist, sondern dafür, daß eine bestimmte Leistung nicht erbracht werden muß - die Entscheidung wirkt wie eine auflösende Bedingung. Auch dabei besteht die Möglichkeit von Schädigungen: Beispiel Nr. 40 (in Anlehnung an BGH, IM, Nr. 34 zu § 839 [Cb] BGB [„Bedingtes Krankengeld"] ): Im August 1970 reichte M bei der zuständigen LVA einen Antrag auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente ein. Im November 1970 erkrankte L. Er erhielt daher Krankengeld nach § 182 RVO 54 , welches die AOK auszahlte. Der Anspruch auf Krankengeld endete nach § 183 Abs. 3 RVO mit dem 50

BVerwG, NVwZ 1986, S. 566 ff. Amtshaftungsansprüchen sieht sich der Kreis in dieser Situation nicht ausgesetzt, da bei rechtswidriger Versagung des gemeindlichen Einvernehmens gemäß § 36 BauGB nach der Rechtsprechung des BGH allein die Gemeinde nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG passivlegitimiert ist (BGHZ 65, S. 182 ff.). 52 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 98 f. 53 Siehe hierzu: 4. Kap. A 11 g (S. 180 f.). 54 I. d. F. des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I S. 913). 51

Β. Verwaltungsträgerschäden

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Tage, von dem an (gegebenenfalls rückwirkend) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wurde. Hatte die Krankenversicherung über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld bezahlt, ging der Anspruch auf Rente zwar bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf sie über. Wenn das geleistete Krankengeld aber die Rente überstieg, konnte die Krankenversicherung den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückverlangen. Im Mai 1971 stellte sich auf Nachfrage heraus, daß der zuständige Bedienstete der LVA den Antrag verlegt und deshalb nicht bearbeitet hatte. Schließlich wurde die Rente im November 1971 mit Wirkung zum August 1970 bewilligt. Da das Krankengeld die Höhe der bewilligten Rente überstieg, verlangte die AOK, die bei rechtzeitiger Bearbeitung des Antrags nicht hätte leisten müssen, von der LVA Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Höhe des ihr von der LVA nicht erstatteten Betrages Diese Konstellation ist heute in § 103 und § 107 SGB X geregelt 56 - Regelungen, die in solchen Fällen ausdrücklich einen Schadensersatzanspruch begründen würden, bestehen aber nicht.

I I I . Schädigungen durch Aufsichtsmaßnahmen a) Durch Aufsichtsmaßnahmen kann der beaufsichtigte Hoheitsträger Schäden zunächst dann erleiden, wenn er dazu angehalten wird, eine rechtswidrige oder auch nur eine rechtlich nicht gebotene finanzwirksame Maßnahme zu erlassen: Beispiel Nr. 41 (nach RGZ 118, S. 94ff. [„Arbeitslosenzusammenrottung "] 51): Vor Inkrafltreten des AVAVG war die Erwerbslosenfürsorge Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Dementsprechend war aufgrund § 2 ErwlFürsVO 58 auch die preußische Gemeinde G verpflichtet, ein Fürsorgeamt für Erwerbslose einzurichten. Deren Kosten trugen bis zur Neufassung der ErwlFürsVO 192459 nach § 4 Abs. 1 ErwlFürsVO zu 6/12 das Reich, zu 4/12 das Land (hier Preußen) und zu 2/12 die Gemeinde. Am Nachmittag des 11. Oktober 1923 wies der Regierungspräsident in Düsseldorf die Gemeinde G schriftlich an, als eine von der ErwlFürsVO gebotene Maßnahme, im Hinblick auf eine Brotpreiserhöhung je 50 Milliarden Reichsmark in Form von Gutscheinen, die von den örtlichen Geschäftsleuten in Zahlung zu nehmen seien, an die beim örtlichen Arbeitsamt in Unterstützung stehenden Erwerbslosen auszugeben. 55

Im Originalfall war die Klage gegen eine Gemeinde gerichtet, die nach §§ 36 ff. RVO (vgl. § 16 SGB I) den Antrag für die LVA entgegengenommen aber versehentlich nicht weitergeleitet hatte. 56 Siehe hierzu Eichenhofer, SGb 1989, S. 181. 57 Siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 150 ff.) und Beispiel Nr. 65 (siehe S. 115). 58 Verordnung über die Erwerbsloseniursorge i. d. F. vom 1. November 1921 (RGBl IS. 1337). 59 Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge i. d. F. vom 16. Februar 1924 (RGBl IS. 127).

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Zu dieser Anweisung war der Regierungspräsident durch Druck einer „Zusammenrottung von Arbeitslosen" veranlaßt worden, was die zuständigen Bediensteten der Gemeinde nicht wußten. Sie teilten daher am Abend des 11. und am Vormittag des 12. Oktober 1923 im Vertrauen auf die Richtigkeit des Befehls die Gutscheine in Höhe von je 10 Milliarden RM an die Erwerbslosen aus. Im Laufe des 12. Oktober verbot dann der Regierungspräsident telegraphisch weitere Zahlungen. Die Gemeinde mußte trotzdem die von ihr in Verkehr gegebenen Gutscheine einlösen. Die dafür aufgewandten Beträge wurden ihr als nicht von der ErwlFürsVO gedeckt vom Reich nicht erstattet. Die Gemeinde verlangte vom Staat Preußen unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung die ihnen durch die fehlerhafte Weisung entstandenen Mehrkosten ersetzt. Beispiel Nr. 42: Nach § 56 BAföG werden die Kosten, die bei der Ausführung dieses Gesetzes entstehen, zu 65 % vom Bund, zu 35 % vom Land getragen. Das BAföG wird dementsprechend nach Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG als Bundesauftragsangelegenheit vollzogen. Eine das BAföG konkretisierende Verwaltungsvorschrift des Bundes zieht den Kreis der Anspruchsberechtigten rechtsfehlerhaft zu weit. Nachdem dies ein Land festgestellt hat, verlangt es vom Bund seinen auf diese Fälle entfallenden Länderanteil ersetzt60.

b) Eine Schädigung ist aber auch dann möglich, wenn durch Aufsichtsmaßnahme der beaufsichtigte Hoheitsträger daran gehindert wird, Abgaben, deren Ertrag ganz oder teilweise ihm zusteht, vollständig zu erheben: Beispiel Nr. 43: Der BFH entscheidet, daß eine bisher praktizierte Methode der Abschreibung von Firmen-Pkw nicht den Vorgaben des EStG entspricht, da sie eine zu hohe Abnutzung unterstellt und damit in den ersten Jahren zu einer ungerechtfertigten Minderung der Einkünfte führt. Aus wirtschaftspolitischen Gründen und um „Härten" zu vermeiden, ordnet der Bundesfinanzminister in einer Verwaltungsvorschrift nach Art. 108 Abs. 7 GG rechtswidrigerweise an, daß die vom BFH verworfene Methode noch fünf Jahre weiter verwendet werden dürfe 61. Die Landesfinanzverwaltung ist unmittelbar an die Verwaltungsvorschriften gebunden und muß sie auch dann umsetzen, wenn sie erkanntermaßen rechtswidrig sind62. Ein Land verlangt deshalb vom Bund Schadensersatz mit der Begründung, daß sein Gemeinschaftssteueranteil nach Art. 106 Abs. 3 GG höher ausgefallen wäre, wenn seine Finanzbehörden bei der Steuerfestsetzung die vom BFH gebilligte, weniger „wirtschaftsfreundliche" Abschreibungsmethode der Steuerfestsetzung hätten zugrunde legen dürfen.

c) Schäden, welche durch fehlerhafte Aufsichtsmaßnahmen entstehen, werden jedoch im Regelfall durch Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen verursachte Aufwendungen sein, nämlich dann, wenn aufgrund einer Auf-

60 Hinsichtlich des Bundesanteils käme eine Schädigung des Landes nur in Betracht, wenn der Bund nach § 56 BAföG Kosten, die durch Fehlzahlungen entstehen, nicht übernehmen müßte, siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44 ff.) und Β m (S. 76 ff.). 61 Zur Rechtswidrigkeit solcher Verwaltungsvorschriften: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 22. 62 Tipke/Lang,, Steuerrecht, § 5 Rn. 25.

Β. Verwaltungsträgerschäden

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sichtsmaßnahme eine rechtswidrige Maßnahme erlassen wird, die von einem Dritten mit Erfolg gerichtlich angegriffen wird: Beispiel Nr. 44: Nach einer mißliebigen Entscheidung des BFH bezüglich der Einkommenssteuer erläßt der Bundesfinanzminister einen Nichtanwendungserlaß63. Die Finanzämter berücksichtigten deshalb diese Entscheidung bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht. Die Finanzgerichte gaben den entsprechenden Klagen gegen die so entstandenen Einkommensteuerbescheide jedoch unter Berufung auf das BFH-Urteil ohne weiteres statt. Die Länder müssen demnach als Träger der unterlegenen Finanzämter nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten der Verfahren tragen. Ihren so entstandenen Prozeßkostenschaden verlangen sie vom Bund erstattet. Beispiel Nr. 45 (nach BGH, IM, Nr. 2 zu §839 [FmJ BGB [„Ruhegehaltsfestsetzung"] 64): W war Oberinspektor gewesen, bevor er während des Dritten Reichs zum Bürgermeister des Amtes A als Zeitbeamter gewählt wurde. Erst nach dem Zusammenbruch lief seine Wahlzeit ab. Nach Maßgabe einer vom Minister des Landes Nordrhein-Westfalen erlassenen Verwaltungsvorschrift setzte A das Ruhegehalt nach den Amtsbezügen des W fest, die er als Oberinspektor bezogen hatte. Nach der Rechtsprechung des OVG Münster widersprach jedoch die maßgebliche Bestimmung dieser Verwaltungsvorschrift dem Beamtenrecht, was der Kommunalaufsichtsbehörde hätte bekannt sein müssen. W klagte deshalb auf Festsetzung seiner Ruhegehaltsbezüge nach Maßgabe der Bezüge, die er als Amtsbürgermeister erhalten hatte. Das VG gab der Klage statt. Die Kosten dieses Rechtsstreits verlangte das Amt vom Land Nordrhein-Westfalen unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung ersetzt. Dieser Fall zeigt zugleich deutlich, daß auch außerhalb eines auf einen Einzelfall bezogenen Aufsichtsverfahrens Wechselwirkungen zwischen der beaufsichtigten Behörde und der Aufsichtsbehörde bestehen. So wird die beaufsichtigte Behörde die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften - selbst wenn sie hieran nicht wie im Beispiel Nr. 43 unmittelbar gebunden ist - der Aufsichtsbehörde beachten und umsetzen, damit es gar nicht erst zu einem Aufsichtsverfahren kommt. d) Schließlich kann der beaufsichtigte Hoheitsträger auch dadurch einen Schaden erleiden, daß eine von ihr beabsichtigte Maßnahme, die einem Genehmigungsvorbehalt unterliegt, von der Aufsichtsbehörde genehmigt wird, obwohl die Genehmigung hätte verweigert werden müssen: Beispiel Nr. 46 (nach Cromme 65): Der brandenburgische Abwasserverband A, ein von den Gemeinden des Landkreises L gegründeter Zweckverband, beabsichtigte die Errichtung eines Abwasserwerkes. Das geplante Vorhaben war von vornherein völlig überdimensioniert. Für seine Durchführung mußten Kredite in erheblichem 63

Vgl. hierzu Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 27. Siehe hierzu: 4. Kap. A1 1 b (S. 171 f.). 65 Cromme, Staatshaftung der Kommunalaufsichts- und Fachaufsichtsbehörden gegenüber Gemeinden, DVB1 1996, S. 1232. Ein ähnlicher Fall war Gegenstand der Entscheidung LG Potsdam, LKV 1998, S. 79 f. - siehe hierzu: 4. Kap. A 11 f (S. 179 f.). 64

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Umfang aufgenommen werden. Nach § 18 GKG 66 i. V. m. § 85 Abs. 2 GO war deshalb eine Gesamtgenehmigung der Kreditaufnahme des hier nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 GKG als Aufsichtsbehörde zuständigen Landrats notwendig (Aufgabe des Landrats als untere staatliche Verwaltungsbehörde: § 69 Abs. 1 LKrO). Die Genehmigimg wurde erteilt, obwohl sie nach § 85 Abs. 2 Satz 3 GO hätte versagt werden müssen, da die Kreditverpflichtungen nicht mit der dauernden Leistungsfähigkeit des Verbandes vereinbar waren. Insgesamt entstand dem Abwasserverband in der Folgezeit wegen der Fehlinvestition ein Schaden in Millionenhöhe. Diesen Schaden verlangt er vom Landkreis aufgrund § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes der DDR vom 12. Mai 196967 ersetzt. Gerade in einem solchen Fall wird sich aber die Frage stellen, wie eine Schadensersatzverpflichtung des Trägers der Aufsichtsbehörde mit der Eigenverantwortlichkeit der beaufsichtigten Behörde zu vereinbaren ist.

IV. Schädigungen durch Schuldnerverzug Soweit ein Hoheitsträger gegenüber einem anderen Hoheitsträger zu bestimmten Finanzzuweisungen verpflichtet ist, begründen die dem zugrundeliegenden Lastenverteilungsvorschriften einen Zahlungsanspruch des begünstigten Hoheitsträgers gegenüber dem verpflichteten Hoheitsträger 68. Zahlt der verpflichtete Hoheitsträger zu spät, können dem begünstigten Hoheitsträger u. a. Zinsverluste entstehen: Beispiel Nr. 47 (nach BVerwG, BayVBl 1987, S. 23ff. [„Tilgungsraten"f 9): Nach Art. 104a Abs. 4 GG i. V. m. § 18 Abs. 1 Π. WoBauG beteiligt sich der Bund an der Finanzierung des von den Ländern geförderten sozialen Wohnungsbaus - dies aber nur in Form von Darlehen, die nach Maßgabe des § 19 Abs. 3 Satz 2 Π. WohnbauG zu verzinsen und zu tilgen sind. Nach § 19 Abs. 3 Satz 4 Π. WoBauG sind insofern jedoch abweichende Vereinbarungen möglich, soweit hierdurch nicht die Verpflichtung des Landes zur vollständigen Tilgung der ausgeliehenen Bundesmittel nach § 19 Abs. 3 Satz 3 Π. WoBauG berührt wird. Eine solche Verwaltungsvereinbarung war auch mit dem Land Hessen geschlossen worden. Hiernach waren auch außerplanmäßige Tilgungen von Baudarlehen im Verhältnis zwischen Bauherrn und Land in die Berechnung der vom Land gegenüber dem Bund zu erbringenden Tilgungs- und Zinssumme einzubeziehen. Mehrere Jahre lang behandelte das Land außerplanmäßige Tilgungen jedoch zu Unrecht als 66

Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg i. d. F. d. Art. 2 des Artikelgesetzes über kommunalrechtliche Vorschriften im Land Brandenburg vom 19. Dezember 1991 (GVB11 S. 682). 67 Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik (GBl IS. 34). Dieses Gesetz gilt nach den Maßgaben des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i. V. m. Anlage Π, Kapitel ΙΠ, Sachgebiet B, Abschnitt ΠΙ Nr. 1 des Einigungsvertrages in Brandenburg als Landesrecht fort. Siehe hierzu: 4. Kap. A I 1 j (S. 184 ff.). 68 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 a (S. 41 ). 69 Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194).

Β. Verwaltungsträgerschäden

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vorzeitig zurückgezahlte Beträge öffentlicher Baudarlehen, die nach § 70 Abs. 6 Π. WoBauG i. V. m. der Verwaltungsvereinbarung nicht in die Berechnung der vom Land zu erbringenden Tilgungs- und Zinssumme mit einzubeziehen waren. Nachdem dies bemerkt worden war, forderte der Bund eine Neuberechnung der vom Land abzuführenden Beträge. Hierbei stellte sich heraus, daß das Land in den vergangenen Jahren insgesamt 7.996.826,69 DM zu wenig an den Bund abgeführt hatte. Das Land zahlte daraufhin auch diesen Betrag an den Bund. Durch seine verspätete Abführung war dem Bund jedoch insgesamt ein Zinsverlust i. H. v. 3.590.583,87 DM entstanden. Diesen Schaden forderte er vom Land unter dem Gesichtspunkt des Verzuges, der positiven Vertragsverletzung und aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ersetzt70. Beispiel Nr. 48 (nach BVerwGE 81, S. 312ff. [„Haltepunkt"f x): Die rheinlandpfälzische Stadt S hatte 1974 ein Schulzentrum erheblich erweitert. Um den innerstädtischen Verkehr nicht durch weitere Schulbusse zu beeinträchtigen, hatte sie die Bundesbahn gebeten, an der vorhandenen Balmstrecke einen Haltepunkt einzurichten und diesen mit Schülerzügen zu bedienen. Dafür übernahm sie, wie dies in § 5 Bundesbahngesetz72 vorgesehen war, durch Vertrag i. S. d. § 54 Satz 1 VwVfG die Kosten der Errichtung des Haltepunktes sowie die Kosten für dessen Vorhaltung und den Betrieb der zum Schulverkehr bestimmten Züge. Seit 1980 weigerte sich die Stadt jedoch die Betriebskostenpauschale zu zahlen, mit der Begründung, der Vertrag sei wegen Verstoßes gegen Art. 104a Abs. 1 GG unwirksam, was im Ergebnis nicht zutraf 73. Die Bundesbahn verklagte deshalb die Stadt auf Zahlung der ausstehenden Beträge und machte darüber hinaus auch Schadensersatz wegen Zinsverlustes nach § 62 Satz 2 VwVfG i. V. m. § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 2 BGB geltend. Beispiel Nr. 49 (nach BVerwGE 98, S. 18ff [„Bundesdruckerei "] 14): Nach § 3 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über Personalausweise75 obliegt die Ausführung des PAuswG den Städten und Gemeinden. Das PAuswG selbst geht implizit davon aus, daß die Personalausweisbehörden die fälschungssicheren Personalausweise nicht selbst herstellen, sondern von der Bundesdruckerei beziehen, und daß ihre Träger verpflichtet sind, der Bundesdruckerei die durch die Herstellung des Personalausweises entstehenden Kosten zu ersetzen. Bis 1987 wurde insofern ein Stückpreis von 9,70 DM geltend gemacht. Hierdurch wurden die Träger der Personalausweisbehörden letztlich nicht belastet, da sie nach § 2 Abs. 4 Satz 1 PAuswG für die Ausstellung eines Personalausweises eine Gebühr von 10 DM erhoben, deren Ertrag bei ihnen verblieb. 1988 wurden die Personalausweisbehörden von der Bundesdruckerei darüber unterrichtet, daß eine Erhöhung des Stückpreises auf 11,90 DM unvermeidlich sei. Die niedersächsische Stadt S widersprach dem: Ihr entständen hierdurch erhöhte Kosten, die sie nicht auf den Bürger abwälzen könne, da der Gebührensatz nach § 2

70 71 72 73 74 75

Der Sachverhalt ist gegenüber dem Originalfall erheblich vereinfacht. Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194 f.). Vom 13. Dezember 1951 (BGBl I S. 955). Siehe hierzu: 7. Kap. Β I 3 b (S. 379 f.). Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 d (S. 195 f.). Vom 30. November 1987 (GVB1 S. 211 ).

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Abs. 4 Satz 1 PAuswG nicht entsprechend angehoben worden sei76. Seit 28. Februar 1989 bezahlte sie dementsprechend nur noch den alten Stückpreis von 9,70 DM und nahm in ihre Bestellscheine den Zusatz auf, daß sie den Auftrag an die Bundesdruckerei zu einem Stückpreis von 9,70 erteile. Mit Schreiben vom Januar 1990 setzte daraufhin die Bundesdruckerei der Stadt eine Frist für die ihrer Ansicht nach rückständigen Zahlungen bis zum 15. Februar 1990. Nachdem die Stadt hierauf nicht reagierte, erhob der Bund Klage auf Zahlung des ausstehenden Betrages. Das BVerwG gab der Klage statt, da das PAuswG ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen der Bundesdruckerei und der Stadt begründe, aus der sich ein Vergütungsanspruch der Bundesdruckerei für die Herstellung der Personalausweise herleite. Daraufhin machte die Bundesdruckerei nach § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 2 BGB analog Schadensersatz wegen Zinsverlustes geltend, da das Leistungsstörungsrecht des BGB bei gesetzlichen öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen entsprechend gelte77. Die Fälle zeigen deutlich, daß es bei der Frage nach Schadensersatz wegen Zinsverlustes letztlich darum geht, wem das Risiko zuzuweisen ist, daß sich nicht sofort, sondern erst in einem gerichtlichen Verfahren klären läßt, ob bestimmte Finanzierungsverpflichtungen zwischen Hoheitsträgern bestehen. V. Schädigungen in Treuhand- und treuhandähnlichen Verhältnissen a) Soweit Bedienstete eines Hoheitsträgers Vermögen anderer Hoheitsträger treuhänderisch verwalten, ist eine Schädigung des anderen Hoheitsträgers möglich, wenn sich die Vermögensverwaltung später als verlustbringend herausstellt: Beispiel Nr. 50 (nach VGH Mannheim, ZBR 1974, S. 332ff. [„Geldanlage"] Nach § 8 Abs. 1 der Amtsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - AmtsO vom 10. März 195379 war die Verwaltung der Kassengeschäfte der amtsangehörigen Gemeinde Aufgabe des Amtes. Der Amtskämmerer A, ein Beamter des Amtes, hatte als allgemeiner Vertreter des Amtsdirektors auch die Pflicht, die Barbestände der amtsangehörigen Gemeinden anzulegen, die für den Barverkehr nicht benötigt wurden. A legte die Barbestände der amtsangehörigen Stadt Marl in Höhe von 1,5 Millionen DM bei einer Handelskredit-AG mit Sitz in Berlin an, ohne sich über deren Kreditwürdigkeit zu erkundigen. Die Handelskredit-AG ging in Konkurs, die Stadt Marl fiel mit ihren Forderungen weitgehend aus. Den entstandenen Schaden verlangte sie von A ersetzt.80 76

Inzwischen ist durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise und des Paßgesetzes vom 30. Juli 1996 (BGBl I S. 1182) der Gebührensatz auf 15,- DM angehoben worden. 77 Im Originalfall hatte der Bund sowohl die Hauptforderung wie die Verzugszinsen mit einer Klage verfolgt. 78 Siehe hierzu: 4. Kap. Affi f(S. 207). 79 GVNWS. 218. 80 Der Sachverhalt ist gegenüber dem Originalfall erheblich vereinfacht.

1

*):

Β. Verwaltungsträgerschäden

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Beispiel Nr. 51 (nach RGZ 151, 5. 401ff. [„Sparkasse I"f\): Die Kreissparkasse E war vor Inkrafttreten der Preußischen Sparkassenverordnung (SparKVO) vom 20. Juli 193282 eine unselbständige Anstalt des preußischen Kreises E. Nach ihrer Satzung war Vorsitzender ihres Vorstandes der Landrat, damals ein Staatsorgan, das dem Kreis zur Erledigung seiner Selbstverwaltungsaufgaben „ausgeliehen" wurde. Diese Stellung bekleidete im Sommer 1929 L. Die Sparkasse gewährte Ende Juni 1929 unter Verstoß gegen ihre Satzung einem Verein auf Drängen des L einen auf zwei Monate berechneten Zwischenkredit von 16.000,- RM, der Ende August 1929 und dann auf Intervention des L noch mehrmals kurzfristig verlängert wurde, bis im August 1930 das Konkursverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde. Die Sparkasse hat auf ihre Forderung nichts erhalten und an Kapital und Zinsen einen Ausfall von 18.495,65 RM erlitten. Diesen Schaden verlangte der Kreis von L persönlich ersetzt. Die Sachverhaltskonstellation des Beispiels Nr. 51 scheint praktisch besonders bedeutsam zu sein: Zur Schädigung kommunaler Sparkassen durch Amtswalter ihres Gewährträgers sind noch drei weitere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen 83. b) Mit dieser Konstellation vergleichbar sind die Fälle, in denen der Bedienstete eines Hoheitsträgers vermögenswirksame Entscheidungen zu Lasten eines anderen Hoheitsträgers treffen kann. Diese müssen als solche nicht immer unmittelbar erkennbar sein: Beispiel Nr. 52 (nach BVerwGE 24, S. 225 ff. [„ Vergütungsgruppe"] u): Der Freistaat Bayern mußte dem Staatsangestellten S 1331,10 DM nachzahlen, der bei dem Ausgleichsamt des Landkreises L beschäftigt war. S war vom Landrat rechtswidrigerweise trotz seiner Einstufung in die Vergütungsgruppe VII TO.A mit Aufgaben befaßt worden, die nach einem erstrittenen Arbeitsgerichtsurteil seine Entlohnung nach Vergütungsgruppe VI b TO.A geboten. Diesen Schaden verlangte das Land vom Landrat nach Art. 85 Abs. 1 BayBG ersetzt und setzte diesen Anspruch durch Verwaltungsakt fest. Der Landrat erhob gegen diesen Bescheid Klage. Die Beispiele Nr. 50 bis Nr. 52 zeigen auch, daß die Frage der Haftung für fehlerhafte vermögenswirksame Entscheidungen des Beamten eines Hoheitsträgers zu Lasten eines anderen Hoheitsträgers bisher weitgehend nur unter

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Siehe hierzu: 3. Kap. D I c (S. 161) und Π c (S. 166). Preußische Verordnung über Sparkassen sowie über die kommunalen Giroverbände und kommunalen Kreditinstitute (GS S. 241). 83 RGZ 171, S. 385 ff. - „Sparkasse Π", siehe hierzu: 3. Kap. D Π d (S. 167 f.); BGH, ZBR 1956, S. 327 ff. - „Sparkasse ΠΙ", siehe hierzu: 4. Kap. A m b (S. 203 f.); BVerwG, ZBR 1968, S. 184 ff. - „Sparkasse IV", siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ e (S. 206 f.). Die Sparkassen waren in diesen Fällen rechtlich verselbständigte Anstalten der Kommunen, die für die Schädigung verantwortlichen Beamten waren Kommunalbeamte. 84 Siehe hierzu: 4. Kap. A m d (S. 204 f.); Vorinstanz: VGH München, BayVBl 1963, S. 25 f. Zur weiteren Entwicklung desselben Sachverhaltes: VGH München, BayVBl 1969, S. 35. 82

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

dem Blickwinkel der persönlichen Haftung des Beamten, nicht auch unter dem Blickwinkel der Haftung seines Dienstherrn Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war.

V L Schädigung durch Begründung von Haftungsverpflichtungen gegenüber Dritten a) Die Frage nach Schadensersatzansprüchen zwischen Hoheitsträgern stellt sich auch, wenn das Fehlverhalten des Amtswalters eines Hoheitsträgers einem anderen Hoheitsträger zugerechnet wird und er deshalb an einen Dritten Schadensersatz leisten muß. Hier ist nicht ausgeschlossen, daß der so geschädigte Hoheitsträger seinerseits von dem Dienstherrn/Arbeitgeber des pflichtwidrig handelnden Amtswalters Ersatz für diesen Haftpflichtschaden verlangen kann. Soweit das Fehlverhalten des Amtswalters als privatrechtlich zu qualifizieren ist, ist eine solche Situation möglich, wenn der Amtswalter als Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB), Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) oder verfassungsmäßig berufener Vertreter (§31 i. V. m. § 89 Abs. 1 BGB) des geschädigten Hoheitsträgers tätig ist: Beispiel Nr. 53 (nach BVerwG, NJW 1976, S. 1468ff. [„Seehafen Emden"f 5): Durch eine Verwaltungsvereinbarung vom 18. Dezember 195286 wurde die Wasserund Schiffahrtsdirektion Aurich (eine Bundesbehörde) ermächtigt, die Aufgaben der Hafenverwaltung des Seehafens Emden (eine Landesaufgabe)87 im Namen des Landes vorzunehmen. Das Land verpflichtete sich, die Zweckausgaben zu übernehmen und die beim Bund anfallenden Verwaltungskosten durch einen jährlich zu vereinbarenden Verwaltungskostenbeitrag (§5 und § 6 der Verwaltungsvereinbarung) zu erstatten. In den 70er Jahren ereignete sich im Emdener Hafen ein Schiffsunfall. Ursache war eine von Bediensteten der Wasser- und Schiffahrtsdirektion zu verantwortende Verkehrssicherungsverletzung, welche nach Ansicht des BVerwG nicht dem Bund, sondern nach § 31, § 89 Abs. 1 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB dem Land Niedersachsen zuzurechnen war, das im Außenverhältnis für die Hafenverwaltung zuständig blieb. Die Eigentümerin des beschädigten Schiffes Schloß im Rechtsstreit mit dem Land 85

Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 232). Verwaltungsvereinbarung über die Wahrnehmung von Landesaufgaben im Küstengebiet innerhalb des Landes Niedersachsen, Niedersächsisches Ministerialblatt 1953/Nr. 2, S. 27. 87 Die Seeschiffahrtsverwaltung gehört grundsätzlich gem. Art. 83 GG zur Verwaltungszuständigkeit der Küstenländer. Gemäß Art. 89 Abs. 2 Satz 2 GG können dem Bund aber spezialgesetzlich Aufgaben aus diesem Gebiet zugewiesen werden, was durch das Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (SAG - i. d. F. der Bekanntmachung vom 30. Juni 1977 [BGBl I S. 1314]) geschehen ist. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurde durch den Bund die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen errichtet. Beim Land Niedersachsen verblieben jedoch u. a. die Aufgaben der Hafenverwaltung des Seehafens Emden. 86

Β. Verwaltungsträgerschäden

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Niedersachsen einen Vergleich, nach welchem das Land an sie 155.000,- DM zahlen sollte. Diese Summe verlangte das Land nun vom Bund zurück. Beispiel Nr. 54 (nach Obermayer**): Nach § 5 Eisenbahnkreuzungsgesetz können das Unternehmen, das die Baulast des Schienenweges der kreuzenden Eisenbahn trägt, und der Träger der Baulast der kreuzenden Straße Vereinbarungen über die Durchfìihrung von Baumaßnahmen bei Eisenbahnkreuzungen treffen. Hierbei handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge i. S. d. § 54 VwVfG. Vor der Bahnreform hatte die Bundesbahn eine entsprechende Vereinbarung mit der Gemeinde G als Träger der Straßenbaulast einer Gemeindestraße getroffen, über die ein neuer Schienenweg mit beschranktem Bahnübergang geführt werden sollte. Hiernach verpflichtete sich die Bundesbahn gegen eine angemessene Vergütung auch die erforderlichen Straßenbauarbeiten durchzuführen. Dies erfolgte so nachlässig, daß eine Reihe von Verkehrsteilnehmern zu Schaden kamen. Sie machten gegenüber der Gemeinde als Verkehrssicherungspflichtige Körperschaft nach § 31, § 89 Abs. 1 i. V. m. § 823 ff. BGB mit Erfolg Schadensersatzansprüche geltend. Die Gemeinde verlangte daraufhin ihrerseits Schadensersatz von der Bundesbahn nach § 62 Satz 2 VwVfG i. V. m. den Grundsätzen über die positive Vertragsverletzung. b) Das Regreßproblem stellt sich grundsätzlich nicht anders, wenn der Dritte deshalb Schadensersatz von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG verlangen kann, weil dieser das Handeln des Amtswalters eines anderen Hoheitsträgers zugerechnet wird. Aufgrund der wechselhaften Rechtsprechung der Zivilgerichte ist hier jedoch oft kaum verläßlich die Vorfrage klärbar, ob eine solche Zurechnung stattfindet oder nicht. Denkbar ist dies allein in den Fällen, in denen Anstellungs- und Funktionskörperschaft auseinanderfallen, wenn der Amtswalter also (zumindest im Außenverhältnis) nicht Aufgaben des eigenen Dienstherrn/Arbeitgebers, sondern solche eines anderen Hoheitsträgers wahrgenommen hat. Die Rechtsprechung hat jedoch nicht in allen diesen Fällen eine Verlagerung der Haftung für Amtspflichtverletzungen von der Anstellungs- auf die Funktionskörperschaft angenommen. Vielmehr ist der BGH nach der von ihm vertretenen „Anvertrauenstheorie" 89 wohl im Prinzip der Ansicht, daß grundsätzlich immer nur die Anstellungskörperschaft hafte 90 .

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Obermayer, Leistungsstörungen beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, BayVBl 1977, S. 554. 89 Siehe hierzu: Rüfner, Das Recht der öffentlich-rechtlichen Schadensersatz- und Entschädigungsleistungen, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 48 Rn. 9 ff. 90 Siehe hierzu: Glaser, in: Soergel (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch - Band 4: Schuldrecht ΠΙ (11. Aufl. 1985, zit, im folgenden: Soergel-Bearb.\ § 839 Rn. 150 ff.; Kreft, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs - Band Π, 6. Teil: §§ 832 - 853 (12. Aufl. 1989, zit. im folgenden: RGRK-ßear6.), § 839 Rn. 51 ff; MünchKomm-Papier, § 839 Rn. 354 ff; K. Schäfer, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - Zweites Buch: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 833 - 853 (12. Aufl. 1986, zit. im folgenden: Staudinger-ßearfc.), § 839 Rn. 193 ff; Thomas, in:

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Jedoch ist die Rechtsprechung nicht einheitlich und wird durch zahlreiche selbst geschaffene, aber auch gesetzliche Ausnahmen durchbrochen 91. Liegt eine solche Ausnahme vor, kann sich dann aber auch die Frage des Regresses zwischen dem Hoheitsträger, der gegenüber dem geschädigten Dritten haftet, und dem Hoheitsträger stellen, zu dem der für die Amtspflichtverletzung verantwortliche Bedienstete in einem Dienstverhältnis steht: Beispiel Nr. 55 (in Anlehnung an RGZ 100, S. 188 ff.): Der Landrat des preußischen Landkreises Merseburg - damals ein Staatsbeamter - beschnitt im Sommer 1916 wiederholt die dienstfreie Mittagszeit des Kreisbeamten A, um ihn zur Erledigung angeblich dringender Selbstverwaltungsangelegenheiten des Kreises heranzuziehen, wobei er auf den angegriffenen Gesundheitszustand des A keine Rücksicht nahm. Dadurch war A gezwungen, den Weg von und nach der Wohnung in großer Eile zurückzulegen, so daß er sich bei dem Aufenthalt im kalten Geschäftszimmer eine Lungenentzündung zuzog, die schließlich zur Dienstunfähigkeit führte. Am 31. September 1917 wurde A daher vom Landkreis wegen körperlicher Dienstunfähigkeit unter Bewilligung der gesetzlichen Pension in den Ruhestand versetzt. A nahm den Kreis wegen des Verhaltens des Landrats aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 des preußischen Beamtenhaftungsgesetzes vom 1. August 190992 in Anspruch. Das RG hielt einen solchen Anspruch grundsätzlich für möglich. Unterstellt man, der Klage des A wäre schließlich stattgegeben worden, hätte sich die Frage gestellt, ob der Kreis im Innenverhältnis zum Staat Preußen seinerseits Ersatz des durch die Haftungsverpflichtung begründeten Schadens hätte verlangen können. Beispiel Nr. 56 (nach Grüneberg 95): Am 25. Oktober 1983 haben die Träger der Unfallversicherung und die Träger der Krankenversicherung nach den §§ 88 ff SGB X 9 4 erne Verwaltungsvereinbarung über die generelle Beauftragung der Krankenversicherungsträger zur Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes bei Arbeitsunfällen (heute §§ 45 ff. SGB VII) abgeschlossen (sog. VV Generalauftrag

Palandt (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch (56. Aufl. 1997, zit. im folgenden: PalandtBearb.\ § 839 Rn. 18 ff. 91 Siehe etwa zur Haftung des Landes (oder des Kreises) für Amtspflichtverletzungen, die der Landrat und sonstige Kreisbedienstete in Ausübung der Aufgaben des Landrats als untere staatliche Verwaltungsbehörde begehen: BGHZ 99, S. 326 ff. (S. 330 f.); Hirschberger, Organleihe: Begriff und Rechtmäßigkeit (1989), S. 197 f.; RGRK-Kreft, § 839 Rn. 56, 59 f.; MünchKomm-Pa/7/er, § 839 Rn. 361; Staudinger-£. Schäfer, § 839 Rn. 189, 198; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 314 f., jeweils m. w. N. Vgl. hierzu auch die von der Rechtsprechung des BGH abweichenden Regelungen (zur Zulässigkeit solcher abweichenden Bestimmungen: BK-Dagtoglou, Art. 34 Rn. 243 m. w. N. [Bearbeitung 1970]): Baden-Württemberg: § 53 Abs. 2, § 56 Abs. 2 LKrO; Bayern: § 37 Abs. 5 i. V. m. § 35 Abs. 3 LKrO (hierzu BGH, VersR 1962, S. 262 ff. [S. 263]); Rheinland-Pfalz: § 46 Abs. 6 LKO; Schleswig-Holstein: § 6 des Gesetzes über die Errichtung allgemeiner unterer Landesbehörden. 92 GS S. 691. Siehe hierzu: 3. Kap. Β Π b (S. 140 ff). 93 Grüneberg, Die Haftung für Amtspflicht Verletzungen gegenüber Dritten bei der Zusammenarbeit von Leistungsträgern gemäß §§ 88 ff. SGB X, NVwZ 1990, S. 622. 94 Zum vertraglichen sozialrechtlichen Auftrag siehe bereits: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44 Fußn.42).

Β. Verwaltungsträgerschäden

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Verletztengeld). Nach § 4 der Vereinbarung entscheidet die Krankenkasse über die Berechnung und Zahlung des Verletztengeldes. Nach § 5 wird die von der Krankenkasse vorgenommene Berechnung des Verletztengeldes einschließlich der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und der Grundlagen für die Zahlung im Verhältnis zur Krankenkasse als bindend angesehen. Nach § 7 ergehen Verwaltungsakte, welche die Krankenkasse zur Ausführung des Auftrages erläßt, im Namen des Unfallversicherers, der auch im Streitverfahren legitimiert sein soll. Weigert sich nun ein Mitarbeiter der Krankenkasse in Ausführung des Auftrags einem bei einem Arbeitsunfall verletzten Arbeitnehmer trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen, und entsteht hierdurch dem Arbeitnehmer ein Schaden, so steht dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG zu. Nach herrschender Meinung in der sozialrechtlichen Literatur folgt aus § 89 Abs. 2 SGB X, daß sich dieser Anspruch gegen den Unfallversicherungsträger als Auftraggeber richtet95. Der Unfallversicherungsträger könnte aber u. U. einen Rückgriff gegenüber der Krankenkasse erwägen. c) Die Regreßfrage stellt sich grundsätzlich nicht anders, wenn gegenüber dem geschädigten Dritten beide Hoheitsträger für dasselbe Fehlverhalten haftpflichtig werden können. Solche Regreßprobleme dürften immer auftreten, wenn bei gemeinsamer Benutzung von Sachmitteln durch zwei oder mehrere Hoheitsträger ein Hoheitsträger nach außen hin für jede Verkehrssicherungsverletzung haften muß: Beispiel Nr. 57 (nach BGHZ 85, S. 121ff. [„Gehwegplatte"] 96): Die Bundespost ließ 1976 auf Grundlage des Telegraphenwegegesetzes97 Fernmeldekabel entlang einer Gemeindestraße der Gemeinde G verlegen. Nach Abschluß der Arbeiten mußten die vorübergehend entfernten Gehwegplatten neu verlegt werden. Dies erfolgte unsachgemäß, so daß die Passantin Ρ stürzte und sich schwer verletzte - eine Gehwegplatte hatte plötzlich nachgegeben. Die Gemeinde wurde wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht von Ρ nach § 823 BGB in Anspruch genommen; sie zahlte Schadensersatz in Höhe von 12.650,- DM. Diesen Betrag verlangte sie von der Bundespost zurück, die ihrerseits nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG gegenüber Ρ zum Schadensersatz verpflichtet gewesen wäre. d) Nicht als Schadensersatzproblem, sondern als Frage des Gesamtschuldausgleichs nach § 840 Abs. 1 i. V. m. § 426 Abs. 1 BGB ist bisher jedoch der Fall angesehen worden, daß zwei Hoheitsträger aufgrund zwei verschiedener Amtspflichtverletzungen nebeneinander für denselben Schaden verantwortlich sind:

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So mit ausführlicher Begründung Grüneberg, NVwZ 1990, S. 622 ff. m. w. N. Siehe hierzu: 4. Kap. A I 1 i (S. 183 f.); ein vergleichbarer Fall war bereits Gegenstand der Entscheidung BGHZ 36, S. 217 ff. 97 Siehe hierzu: 2. Kap. Α Π b ( S. 89 Fußn. 20). 96

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2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Beispiel Nr. 58 (nach BGHZ 9, S. 65ff. [„Fuhrunternehmer"] 9*): Das Straßenverkehrsamt einer Stadt hatte durch grob widerrechtliche InanspruchnahmeverfUgung einen Lastwagen des Fuhrunternehmers A beschlagnahmt und ihn dem Fuhrunternehmer Β zur Verfügung gestellt. Die Beschwerde (Widerspruch) des A wurde von der zuständigen Landesbehörde zurückgewiesen. Später stellte sich die Inanspruchnahmeverfügung als nichtig heraus, Β mußte den Lastwagen zurückgeben. Hierdurch erlitt Β einen Schaden, den er von der Stadt nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG ersetzt verlangte. Nachdem sich die Berechtigung dieses Schadensersatzbegehrens herausgestellt hatte, Schloß die Stadt mit Β einen Vergleich und zahlte ihm einen Betrag von 2800,- DM. Die Hälfte dieses Betrages verlangte die Stadt nunmehr nach § 840 Abs. 1 i. V. m. § 426 Abs. 1 BGB vom Land erstattet, da auch die Landesbediensteten eine Amtspflichtverletzung gegenüber Β begangen hätten, indem sie der Beschwerde des A nicht stattgaben. Vergleicht man diese Konstellation mit den Fällen der Beispiele Nr. 55 bis Nr. 57, zeigt sich aber deutlich ihre enge Verwandtschaft zu „echten" Schadensersatzproblemen zwischen Hoheitsträgern, so daß auch die Frage des Innenregresses zwischen mehreren nach außen zum Schadensersatz verpflichteten juristischen Personen des öffentlichen Rechts ein Problem des Verwaltungshaftungsrechts sein muß".

V I L Schädigungen bei Abgabenerhebung im Fremdinteresse Sofern Abgabenertrags- und Abgabenverwaltungszuständigkeit auseinanderfallen, kann sich nachlässige Mittelverwaltung hier direkt auf die Höhe des abzuführenden Abgabenertrags auswirken. Eine solche Gefahr besteht ζ. B., wenn nach Art. 108 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 108 Abs. 3 Satz 1 GG die Landesfinanzbehörden Steuern verwalten, deren Ertrag ganz oder zum Teil dem Bund zusteht: Beispiel Nr. 59 (nach Schulze 100): Bei der Berechnung des Anteils des Bundes an der Einkommensteuer nach Art. 106 Abs. 3 GG fallt einem Sachbearbeiter des Bundes auf, daß in einem bestimmten Einzelfall ein höherer Steuerbetrag eingekommen wäre, wenn die zuständige Landesbehörde bei der Festsetzung sorgfaltiger verfahren wäre, die Zwangsbeitreibung besser gehandhabt hätte und die Steuerforderung nicht so rasch niedergeschlagen hätte. Der Bund verlangt deshalb vom Land Schadensersatz.

98 Siehe hierzu: 8. Kap. Β ΠΙ 2 b (S. 455 ff.); Sachverhalt nach Pagendarm, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 19. Februar 1953 - Et ZR 31/51 - , LM, Nr. 17 zu § 13 GVG. Ein vergleichbarer Fall lag der Entscheidung BGHZ 110, S. 114 ff. zugrunde. 99 Siehe hierzu: 8. Kap. Β ΙΠ 2 (S. 454 ff). 100 Schulze, Haftung für eine ordnungsmäßige Verwaltung und Ersatzleistungspflichten zwischen Bund und Ländern, DÖV 1972, S. 413.

Β. Verwaltungsträgerschäden

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Denkbar wäre auch, daß dem Bund ein Schaden dadurch entsteht, daß die Länder entgegen § 5 Abs. 1 des Vierten Überleitungsgesetzes 101, nach dem die Finanzämter die bei ihnen eingegangenen, nach Art. 106 GG dem Bund zustehenden Einnahmen täglich an die Bundeshauptkasse abführen müssen, Gelder zurückhalten oder daß eingegangene Einnahmen von Landesbediensteten veruntreut werden. Daß dies zu einer praktisch bedeutsamen Haftung im Bund-Länder-Verhältnis fuhren könnte, zeigen einige Entscheidungen, in denen es um die vergleichbare Konstellation der Haftung der Einzugsstellen für ordnungsgemäßen Einzug der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ging: Beispiel Nr. 60 (nach RGZ 120, S. 162 ff. [„Einzugsstelle Γ] 102): Nach § 404 Abs. 2 RVO konnten den gemeindlichen Ortsbehörden die Geschäfte einer gemeinsamen Zahlstelle für die Beiträge zur Krankenversicherung übertragen werden. Auch dem Ortsvorstand A der Gemeinde Η war die Aufgabe einer solchen Zahlstelle übertragen worden. Der bei der Zahlstelle beschäftigte Sohn des A hatte jedoch dort eingezahlte Kassenbeiträge veruntreut. Eine der Krankenkassen nahm daraufhin die Gemeinde auf Schadensersatz in Anspruch. Beispiel Nr. 61 (nach RGZ 144, S. 15 ff. [„Einzugsstelle II"] m): Nach §§ 145 ff. AVAVG waren die gesetzlichen Krankenkassen Einzugsstellen für die Beiträge der Reichsanstalt für Arbeit; bei ihnen waren die Beiträge als Zuschläge zum Krankenkassenbeitrag zu entrichten und sie hatten den rechtzeitigen und vollständigen Eingang der Beiträge zu überwachen. Die Reichsanstalt mußte die ordnungsgemäße Einziehung und Abführung der Beträge überprüfen. Wie sich bei einer solchen Überprüfung 1932 herausstellte, hatte eine Betriebskrankenkasse in den Jahren 1928 und 1929 die Arbeitslosenversicherungs-Beiträge nicht vom gesamten Arbeitsentgelt berechnet, sondern Akkord-Verdienste, Überstunden und sonstige außerordentliche Einnahmen der Arbeitnehmer außer acht gelassen. Infolgedessen waren der Reichsanstalt Ausfälle an Beiträgen entstanden, die von den Beitragspflichtigen wegen Verjährung nicht nachgefordert werden konnten. Die Reichsanstalt verlangte Schadensersatz. Beispiel Nr. 62 (nach BSGE 26, S. 129ff. [„Einzugsstelle III"] 104): Ende der 50er Jahre war über das Vermögen der schleswig-holsteinischen Firma W das Vergleichsverfahren eröffnet worden. Die nicht gezahlten Beitragsschulden zur Arbeiterrentenversicherung betrugen 3.000,- DM. Die für die Einziehung zuständige Ersatzkrankenkasse E hatte es aufgrund eines Rechtsirrtums versäumt, rechtzeitig Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, und dadurch die Nichteinziehbarkeit der Beiträge verschuldet. Die betroffene LVA nahm daraufhin die Ersatzkrankenkasse auf Schadensersatz in Anspruch.

101

Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen Bund und Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955 (BGBl IS. 189). 102 Siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151). Ein ähnlicher Fall lag auch der Entscheidung RGZ 156, S. 221 ff. (,,Freiwilligenversicherung") zugrunde. 103 Siehe hierzu: 3. Kap. D I b (S. 160 f.). 104 Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 2 b (S. 198). 8 Stelkens

114

2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Beispiel Nr. 63 (nach BSG, Die Sozialversicherung 1997, S. 185 ff. [„Einzugsstelle IV"] 105): Von Juli 1989 bis März 1990 wurden einer AOK als Einzugsstelle (§ 28h SGB IV) der Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) von mehreren tausend Arbeitgebern überwiesen. Die AOK leitete den Gesamtsozialversicherungsbeitrag anteilig u. a. an die BVA weiter, wobei zwischen Eingang und Weiterleitung der Beiträge vier Arbeitstage vergingen, obwohl nach § 28k Abs. 1 Satz 1 SGB IV die gezahlten Beiträge arbeitstäglich weiterzuleiten gewesen wären. Durch die verzögerte Weiterleitung erlitt die BVA einen Zinsschaden in Höhe von 29.415,74 DM, den sie von der AOK ersetzt verlangte.

Im Gegensatz zu den bisher behandelten Fällen ist die Frage der Schadenshaftung der Einzugsstellen gegenüber den Trägern der Renten- und Pflegeversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit heute spezialgesetzlich in § 28r Abs. 1 und 2 SGB IV geregelt106. VIII. Schädigungen durch fehlerhafte Verwendung fremder Mittel a) Als Hauptproblem des Verwaltungshaftungsrechts wird durchgehend der Fall der fehlerhaften Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen bei Auseinanderfallen von Aufgaben und Ausgabenzuständigkeit gesehen107. Es ist jedoch bereits darauf hingewiesen worden, daß sich diese unechten Haftungsfälle wesentlich von den echten Haftungsfällen unterscheiden, da hier erst unter Rückgriff auf die zwischen mittelbewirtschaftender Stelle und Ausgabenträger geltenden Lastenverteilungsregeln geklärt werden kann, wer durch die fehlerhafte Mittelverwendung geschädigt wird 108 , und sich außerdem zu Unrecht erfolgte Vermögensverschiebungen durchgehend schon aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs rückabwickeln lassen, ohne daß es eines Rückgriffs auf Schadensersatzansprüche bedürfte 109. Wirkliche Schadensersatzprobleme können sich hier nur stellen, wenn derjenige, dem die Ausgabenlast für fehlerhafte Mittelverwendungen zugewiesen ist, diese Lastenverteilung unter Berufung auf Schadensersatzansprüche korrigieren will. Hier kann etwa zu fragen sein, ob die mittelbewirt105

Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 2 c (S. 199 f.). Zur Entwicklung der Haftung der Einzugsstellen gegenüber den anderen Sozialversicherungsträgern siehe: 3. Kap. C I e (S. 153 f.) und D I b (S. 160 ff.) sowie 4. Kap. AÜ2(S. 197 ff). 107 Vgl. nur Achterberg, DVB1 1970, S. 125; von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 23; AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 29; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 42; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz (8. Aufl. 1995), Art. 104a Rn. 2%,Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 66; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 60; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 169. 108 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c bis e (S. 44 ff.). 109 Siehe hierzu: 1. Kap. Β Π und m (S. 64 ff.) 106

Β. Verwaltungsträgerschäden

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schaftende Stelle einem - aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs an sich begründeten - Rückforderungsbegehren des Ausgabenträgers einen Schadensersatzanspruch entgegenhalten kann, wenn die fehlerhafte Mittelverwendung durch ein Fehlverhalten des Ausgabenträgers verursacht worden ist: Beispiel Nr. 64 (nach RGZ 118, S. 94ff. [„Arbeitslosenzusammenrottung"] no): Im Beispiel Nr. 41 verlangte die Gemeinde vom Preußischem Staat unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung u. a. den Schaden ersetzt, der ihr dadurch entstanden war, daß sie auf Anweisung der preußischen Kommunalaufsicht Aufwendungen der Erwerbslosenfürsorge getätigt hatte, der Preußische Staat die Erstattung seines von ihm nach § 4 Abs. 1 ErwlFürsVO zu übernehmenden Anteils jedoch hinterher mit der Begründung verweigerte, daß die Ausgaben nicht von der ErwlFürsVO gedeckt gewesen seien. Das RG gab der Klage statt. Im Ergebnis nicht anders wurde es gesehen im Beispiel Nr. 65 (nach RGZ 65, S. 113ff. [„Stempelaufbewahrung"] m)\ Nach § 97 Abs. 1 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes i. d. F. der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900112 erfolgte die Auszahlung der aufgrund dieses Gesetzes zu leistenden Entschädigungen auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes vorschußweise durch die Postverwaltung. Ein Angestellter der Berufsgenossenschaft B, der Schreiber Br., fertigte nun widerrechtlich verschiedene solcher ,Anweisungen" unter Benutzung von Anweisungsformularen und Fälschung der Unterschriften des Vorstandes an. Diese Formulare hatte er zudem mit Stempeln und Siegeln der Berufsgenossenschaft versehen. Auf diese Weise erreichte Br., daß die Reichspost ihm „Entschädigungen" i. Η. v. 4361,40 M leistete. Die Post konnte für diese Zahlungen nach § 98 Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz von der Berufsgenossenschaft keinen Ersatz erlangen, da sie nur vermeintlich „auf Anweisung des Vorstandes" geleistet hatte. Das Risiko gefälschter Anweisungen wies das Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz also der Reichspost zu. Diese machte deshalb Schadensersatzansprüche gegen die Berufsgenossenschaft mit der Begründung geltend, daß die Berufsgenossenschaft die Formulare, Stempel und Siegel nicht ordnungsgemäß verschlossen gehalten und hierdurch die Betrügereien ermöglicht hatte. b) Die Frage der Korrektur der Lastenverteilungsvorschriften durch Schadensersatzansprüche kann sich auch im umgekehrten Fall stellen, wenn dem Ausgabenträger die Schadenlast zugewiesen ist und er einem - nach den einschlägigen Lastenverteilungsregeln begründeten - Erstattungsbegehren der mittelbewirtschaftenden Stelle einen Schadensersatzanspruch entgegenhalten will. Hier ist aber zu berücksichtigen, daß die Frage, wer die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen trägt, an sich schon aufgrund der einschlägigen Lastenverteilungsregeln abschließend festgelegt ist.

110 111 112

8*

Siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 150). Siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.). RGBl I S. 573.

116

2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Beispiel Nr. 66 (nach BVerwG, BayVBl 1980, S. 473ff. [„Kraftfahrzeugbundesamt"] m): Eine dem heutigen § 8 Abs. 7 FVG entsprechende Regel fand sich bereits in §6 FVG a. F. 114 . Durch Verwaltungsabkommen vom 19. Juli/5. August 1954 zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein wurde dementsprechend die örtliche Bauverwaltung der Bauabteilung der OFD des Landes übertragen. In diesem Abkommen wurden Haftungsfragen nicht geregelt. Nach langjährigen Verhandlungen kam es am 10/28. August 1968 zu einer die Haftung betreffenden „Nachtragsvereinbarung", in der es heißt: „Für Schäden, die dem Bund aus fehlerhaftem Verhalten von Landesbediensteten entstehen, leistet das Land in dem Umfang Ersatz, wie es seinerseits bei entsprechenden Schäden im eigenen Aufgabenbereich nach den maßgeblichen Vorschriften und Anwendungsgrundsätzen Ersatz erlangt." In Ausführung dieses Abkommens wurde in den 60er Jahren ein Neubau für das Kraftfahrzeugbundesamt in Flensburg errichtet. Hierbei erteilten Landesbedienstete einen den Sielleitungsbau betreffenden Zusatzauftrag zu um 20.675,63 DM überhöhten Kosten. Der Bund, der diese überhöhten Kosten unmittelbar auf Anforderung des Landesbeamten an den Unternehmer gezahlt hatte, nahm deshalb das Land aus Vertrag und aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auf Schadensersatz in Anspruch. Das BVerwG wies die Klage ab 115 . Als einschlägige Lastenverteilungsregel zog das BVerwG jedoch ausschließlich die vertraglichen Regelungen heran. Es entnahm ihnen, daß allein dem Bund das Risiko unwirtschaftlicher Mittelverwendungen zugewiesen sei. Diese besondere vertragliche Schadenslastenverteilung dürfe nicht unter Heranziehung allgemeiner Schadensersatzansprüche unterlaufen werden. c) Dies zeigt, daß die durch Finanzierungszuständigkeiten angeordnete Schadenslastenverteilung (wenn überhaupt) nur durch solche Schadensersatzansprüche korrigiert werden kann, die den Lastenverteilungsvorschriften gegenüber vor- oder höherrangig sind. Deutlich wird dies auch im Beispiel Nr. 67 (nach Cremer 116): Bei einem Sturm stürzten zahlreiche Bäume auf eine Autobahn, die ursprünglich eine Reichsautobahn war und daher nach Art. 90 Abs. 1 GG im Eigentum des Bundes stand. Etliche Stämme fielen auf die Fahrbahn. Die Autobahnmeisterei des zuständigen Landesamtes für Straßenwesen schickte einen Trupp ihrer Arbeiter aus, um die Hindernisse zu beseitigen. Dieser lud die umgeknickten Stämme auf einen Tieflader. Da dessen Rungen nicht ordnungsgemäß befestigt worden waren, lösten sie sich, als der Lkw anfuhr, und die Stämme rollten auf die Fahrbahn zurück und drückten eine Leitplanke ein. Das Land beauftragte

113

Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 231). Finanzverwaltungsgesetz (FVG) vom 6. September 1950 (BGBl I S. 448). 115 Kleinsimon (Haftung für Schäden bei der Erledigung von Bauaufgaben des Bundes durch Baubehörden der Länder, DB 1954, S. 881) und Sturm (Die Haftung der Länder bei der Erledigung von Bauaufgaben des Bundes, DÖV 1966, S. 81 ff ) nehmen in diesen Fällen eine Haftung der Länder aus einer Verletzung der Verwaltungsvereinbarung nach zivilrechtlichen Grundsätzen (insb. § 278 BGB) an. 116 Cremer, Der praktische Fall - Öffentliches Recht: Neue Folgen eines Sturmschadens, JuS 1996, S. 333 f. 114

Β. Verwaltungsträgerschäden

117

einen Bauunternehmer mit der Reparatur. Der Werklohn wurde unmittelbar auf Rechnung des Bundes geleistet117. Cremer geht davon aus, daß die für die erforderliche Reparatur entstandenen Ausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG i. V. m. § 6 Abs. 3 Satz 1 des BundesautobahnVermG dem Bund zugewiesen seien118. Der Bund verlangt jedoch vom Land nach § 7 Abs. 1 StVG Schadensersatz.

Cremer hält § 7 Abs. 1 StVG für anwendbar119. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist dies bedenklich: Wenn tatsächlich die Instandsetzungskosten durch Verfassungsrecht (Art. 104a Abs. 2 GG) vom Bund zu tragende Ausgaben sind, ist nur schwer zu begründen, daß einfaches Gesetzesrecht diese verfassungsrechtliche Schadenslastenverteilung korrigieren kann. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß nicht das Vorliegen einer Sachbeschädigung der entscheidende Punkt des Falles ist, sondern der Umstand, daß ein Land in Ausführung einer ihm zugewiesenen Auftragsangelegenheit auf Rechnung des Bundes Mittel aufgewendet hat, die bei sorgfältiger Aufgabendurchführung auch hätten eingespart werden können: Es handelt sich damit letztlich um einen Verstoß gegen den Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung. Wer die hierdurch entstehenden Kosten zu tragen hat, ist aber allein eine Frage des Art. 104a GG - wie gerade auch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verdeutlicht. IX. Schädigungen bei Kooperationsverwaltung a) Erfüllen mehrere Hoheitsträger ihnen obliegende Aufgaben gemeinsam oder in gemeinsamen Einrichtungen, werfen die Fälle besondere Probleme auf, in denen ein Bediensteter eines Hoheitsträgers Sachmittel eines anderen Hoheitsträgers beschädigt. Dies haben vor allem Fälle aus dem Bereich der Hochschul- und Schulverwaltung gezeigt: Beispiel Nr. 68 (nach OLG Karlsruhe, NJW 1974, S. 1824ff. [„Wandbeschriftung"] 120): Nach § 59 Abs. 2 des Hochschulgesetzes für Baden-Württemberg i. d. F. vom 27. Juli 1973 (HSchG)121 bildete die Studentenschaft eine Gliedkörperschaft der Universität und war somit rechtsfähig. Sie hatte das Recht und die Pflicht, ihre Angelegenheiten durch ihre von den immatrikulierten Studenten gewählten Organe selbst zu verwalten (§ 60 Abs. 1 HSchG). Das Land Baden-Württemberg hatte einer seiner Universitäten und damit auch der Studentenschaft Räume mit Inventar zur 117

Vgl. Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 53. Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 64. 119 Cremer, JuS 1996, S. 335 f. 120 Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 e (S. 196 f.). Vgl. zu einem ähnlich gelagerten unechten Haftungsfall: VGH München, BayVGHE n. F. 42, S. 115 ff. und BVerwGE 101, S. 51 ff. 121 GBl S. 246, 376. 118

118

2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellt, die jedoch in seinem Eigentum verblieben. Anfang der 70er Jahre rief der AStA, das „Exekutivorgan" der Studentenschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 HSchG), zu einer Vollversammlung in einem Hörsaal der Universität auf, um einen „aktiven Proteststreik" gegen Maßnahmen der Landesregierung zu beschließen. Bei dieser Vollversammlung wurden von Studenten zwei Hörsäle mit Texten beschriftet. Das Land verlangte deshalb von der Studentenschaft Schadensersatz: Die Mitglieder des AStA hätten eine Garantenpflicht verletzt. Indem sie zu einer Vollversammlung aufgerufen hätten, hätten sie die bereits vorhandenen Emotionen und HaßgefÜhle weiter aufgereizt. Es sei zu erwarten gewesen, daß die Lage sich fortwährend verschärfe und es zu einer ständigen Eskalierung der Aktionsmittel komme. Außerdem sei damit zu rechnen gewesen, daß die Studenten Wandbeschriftungen als adäquates Mittel bei der politischen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ansähen. Der AStA hätte daher die Wandbeschriftungen durch Bereitstellung einer genügenden Anzahl von Saalordnern verhindern müssen. Zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kam es auch sehr häufig bei Beschädigung von Schulgebäuden kommunaler Schulträger durch Lehrer: Beispiel Nr. 69 (nach BGHZ 60, S. 371 ff [„Schulträger I"] m): An einem Sonnabend im November 1967 wollte der am M-Gymnasium in München beschäftigte Oberstudienrat R (ein Landesbeamter) in einem Waschbecken des Keramikraums der Schule halbfertig gebrannte Keramiken wässern. Deshalb verstopfte er bei geöffnetem Wasserhahn mit einen Lappen den Ablauf des Beckens, in dem die Keramiken lagen. R vergaß vor dem Verlassen des Raumes, den Wasserhahn wieder zu schließen. Das Wasser flöß über und richtete, bevor es am folgenden Morgen entdeckt wurde, an Linoleumfußböden verschiedener Räume Schäden an, deren Beseitigung 2.594,23 DM erforderte. Die Stadt München als Schulträger und Sachkostenträger verlangte dementsprechend Schadensersatz vom Freistaat Bayern unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung. Der BGH wies die Klage ab. In Baden-Württemberg nahm in einer ähnlichen Situation die Stadt den Lehrer unmittelbar nach § 96 Abs. 1 LBG (entspricht § 78 Abs. 1 BBG) in Anspruch. Der VGH Mannheim 1 2 3 und ihm folgend das BVerwG 1 2 4 gaben der Klage des Lehrers hiergegen statt, da die Stadt nicht Dienstherr des Lehrers sei. Deshalb wird heute in der Praxis so verfahren, daß das Land im Wege der Drittschadensliquidation den Schaden des Schulträgers geltend macht 125 . Das

122

Siehe hierzu: 4. Kap. A m f (S. 207). VGH Mannheim, ZBR 85, S. 115 ff. - „Schulträger Π", siehe hierzu: 4. Kap. A mf(S. 207 f.). 124 BVerwG, NVwZ 1985, S. 904 if. 125 Vgl. hierzu im einzelnen: Kaster, Rechtsfragen der Haftung für den Verlust von Schlüsseln zu Schließanlagen öffentlicher Gebäude durch Bedienstete, NWVB1 1994, S. 122 ff.; Wörz, Haftungsfragen bei Beschädigung von Eigentum des kommunalen Schulträgers durch Lehrer an öffentlichen Schulen, ZBR 1987, S. 237 ff. In diese Richtung auch OVG Lüneburg, ZBR 1987, S. 21 f. - „Schulträger ΠΓ, siehe hierzu: 4. Kap. AIHf(S. 208). 123

Β. Verwaltungsträgerschäden

119

OLG K ö l n 1 2 6 hält dagegen einen Ausgleichsanspruch des kommunalen Schulträgers gegenüber dem Land für möglich, der sich aus „Schulgemeinschaftsverhältnis" ergeben soll. b) M i t solchen Fällen vergleichbar ist die Situation, daß ein Hoheitsträger einem anderen Hoheitsträger Bedienstete zur Verfügung stellt und der Bedienstete Sachmittel des Hoheitsträgers, dessen Aufgaben er nunmehr wahrnimmt, beschädigt: Beispiel Nr. 70 (in Anlehnung an RG, DR 1941, S. 1294 ff} 11): Am 11. Juni 1937 nachmittags befand sich der sechssitzige Personenkraftwagen des Kreisfeuerwehrverbandes K, einer - nach damaligem Recht - selbständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts, auf der Fahrt von W nach D. Der Wagen wurde von Ο gesteuert, einem Angestellten der Stadt W, der dem Kreisfeuerwehrverband - wie stets im Bedarfsfalle - im Wege der Amtshilfe für diese Fahrt zur Verfügung gestellt wurde. Aufgrund eines Versehens des Ο stieß der Kreisfeuerwehrverbandskraftwagen mit dem Fuhrwerk des A zusammen. Der Kreisfeuerwehrverband verlangte nun von der Stadt W und Ο persönlich Schadensersatz für den Schaden am Kreisfeuerwehrverbandskraftwagen 128. Wäre Ο ein Bediensteter des Kreisfeuerwehrverbandes gewesen, hätte sich in diesem Fall allein die Frage der Haftung des Ο wegen Verletzung seines Arbeitsvertrages gestellt. Eine solche Innenhaftung kann jedoch der geschädigte, vom Dienstherr/Arbeitgeber des Bediensteten verschiedene Hoheitsträger nicht ohne weiteres geltend machen: Beispiel Nr. 71 (in Anlehnung an BGHZ 87, S. 253 ff [„Zivildienstleistender Die Bundesrepublik Deutschland wies den als Kriegsdienstverweigerer anerkannten L dem städtischen Krankenhaus der Gemeinde G als einer Beschäftigungsstelle für Zivildienstleistende nach § 4 ZDG zu. Am 2. November 1979 beschädigte L einen dem Krankenhaus gehörenden Krankenwagen fahrlässig. Die Gemeinde nahm daraufhin den Bund wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch. Ein Amtshaftungsanspruch kam hier in Betracht, weil der BGH in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, daß Zivildienstleistende immer hoheitlich handeln würden, da das öffentlichrechtliche Zivildienstverhältnis jeder Tätigkeit des Zivildienstleistenden, der er im Rahmen seines Dienstes nachgeht, ein öffentlich-rechtliches Gepräge gebe130.

126

OLG Köln, DVB1 1990, S. 311 ff. - „Schulträger IV", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 e (S. 197) und m f (S. 208). 127 Ein ähnlicher Fall lag der Entscheidung RGZ 168, S. 361 ff. zugrunde. 128 Im Originalfall ging es um die Schadensersatzansprüche des A gegen den Kreisfeuerwehrverband. 129 Siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208). 130 BGHZ 118, S. 304 ff. (S. 307 ff). Ebenso: Kr eft, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 16. Mai 1983 - m ZR 78/82 - , LM, Nr. 55 zu § 839 (Cb) BGB; Nümann, Amtshaftung gegenüber Beliehenen, DVB1 1984, S. 320 ff; Papier, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 16. Mai 1983 - ΠΙ ZR 78/82 - , JZ 83, S. 766 f.

Γ] 119):

120

2. Kap.: Fallgruppendarstellung

Der BGH wies die Klage in einem ähnlichen Fall ab, weil die Beschäftigungsstelle nicht „Dritter" i. S. d. Art. 34 Satz 1 GG sei 131 . Das OVG Münster 132 wandte daraufhin in einem vergleichbaren Fall die Innenhaftungsvorschrift des § 34 Abs. 1 ZDG unmittelbar zugunsten der Beschäftigungsstelle an. Das BVerwG 1 3 3 hielt demgegenüber nur den Bund für ermächtigt, den Schaden der Beschäftigungsstelle nach § 34 Abs. 1 ZDG beim Zivildienstleistenden zu liquidieren.

X. Schädigungen durch legislatives Unrecht Verwaltungsträgerschäden können schließlich auch durch legislatives Unrecht bewirkt werden, nämlich dann, wenn sich eine mit höherrangigem Recht nicht vereinbare Norm nur an Hoheitsträger richtet, wie dies bei allen Normen des Verwaltungsorganisationsrechts der Fall ist: Beispiel Nr. 72 (nach BGHZ 24, S. 302 ff. [„Pauschbetrag"]™): Das Reichsgesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941135 führte für die Sozialrentner den Krankenversicherungsschutz ein und übertrug nach § 4 Abs. 2 die Durchführung der Versicherung in erster Linie den Allgemeinen Ortskrankenkassen. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes hatten die Träger der Rentenversicherung „zur Deckung der Ausgaben44 den Ortskrankenkassen „einen vom Reichsarbeitsminister festzusetzenden Pauschbetrag" zu zahlen. Der Pauschbetrag wurde für jede Rente in der Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 4. November 1941 auf den monatlichen Betrag von 3,30 RM festgesetzt. Dieser Betrag wurde Anfang der fünfziger Jahre durch den Bundesarbeitsminister mit Zustimmung des Bundesrates mehrmals erhöht, zuletzt durch die Verordnung vom 27. August 1953137 auf monatlich 5,85 DM. Eine AOK behauptete nun, infolge der dem Bundesarbeitsminister als Verschulden zur Last zu legenden Festsetzung zu niedriger Pauschbeträge sei ihr bei der Durchführung der Krankenversicherung der Rentner in der Zeit bis zum 31. Dezember 1952 ein in die Hunderttausende gehendes Defizit entstanden.

131

BGHZ 87, S. 253 fT. - „Zivildienstleistender I", siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208); Geschädigter war hier das Deutsche Rote Kreuz e. V. gewesen. Der BGH wandte jedoch dieselben Grundsätze an, die er bezüglich der Frage der Amtshaftung zwischen Hoheitsträgern anwendet. 132 OVG Münster, NVwZ 1968, S. 775 ff. - „ Z i v i l d i e n s t l e i s t e n d e r Π44, siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208). 133 BVerwG, DÖV 1995, S. 382 ff. - „Zivildienstleistender ΠΙ44, siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208 ff). 134 Siehe hierzu: 4. Kap. A 11 c (S. 172 ff.). 135 RGBl I S. 443. 136 RGBl IS. 689. 137 BGBIIS. 1082.

Β. Verwaltungsträgerschäden

121

Unterstellt man hier, daß die Verordnung des Arbeitsministers gegen § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung verstoßen hat, ist aber von vornherein fraglich, ob es eines Rückgriffs auf ein wie auch immer geartetes Schadensersatzrecht zwischen Hoheitsträgern überhaupt bedurfte, um Ausgleichsansprüche zu bejahen: Es hätte näher gelegen, unmittelbar aus Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG eine Ausgleichspflicht des Bundes in Form einer Garantiehaftung für die Defizite der Sozialversicherungsträger herzuleiten 138, als die Existenz von Ausgleichsansprüchen von einem Verschulden des zuständigen Ministers abhängig zu machen.

138

Siehe hierzu Bieback, VSSR 1993, S. 1 ff.

Drittes Kapitel

Entwicklung der Rechtsprechung und der rechtlichen Rahmenbedingungen von 1871 bis 1945 Im Ersten Kapitel wurde bereits deutlich gemacht, daß allein das im Verwaltungsorganisationsrecht geregelte Vermögensrecht für die Frage maßgeblich ist, ob und in welchem Umfang Schadensersatzansprüche zwischen Hoheitsträgern bestehen, da solche Ansprüche zwischen Hoheitsträgern letztlich vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichende Finanzierungszuständigkeiten begründen, die zu einem Sonderlastenausgleich zwischen den beteiligten Hoheitsträgern aus Anlaß einer Schädigung verpflichten 1. Aus dem allgemeinen Staatshaftungsrecht und dem Privatrecht können demnach nur dann Schadensersatzansprüche zwischen Hoheitsträgern hergeleitet werden, wenn entweder das Verwaltungsorganisationsrecht auf diese Vorschriften verweist oder sie über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus - gerade auch Vermögensbeziehungen zwischen Hoheitsträgern begründen sollen2. Es wurde darüber hinaus erkennbar, daß die Frage nach Schadensausgleich in den unechten Haftungsfällen, also bei fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen, weitgehend eigenen Regeln folgt und zunächst eher ein Problem der Auslegung der Vorschriften ist, die solche Finanzzuweisungen ermöglichen, sowie ein Problem der Umsetzung der hierdurch angeordneten Lastenverteilung durch Aufwendungsersatz- und Rückforderungsansprüche 3. Die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte berücksichtigte indes weitgehend diese verwaltungsorganisationsrechtlichen Vorgaben nicht. Auch die Besonderheiten der unechten Haftungsfälle wurden übersehen. Die Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern wurde damit stillschweigend dem allgemeinen staatshaftungs- und privatrechtlichen Schadensersatzrecht unterstellt. Dem lag wohl die Erwägung zugrunde, daß, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist, eine Haftung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts möglich und geboten sei, sofern in vergleichbaren Fällen eine Haftung gegenüber dem Publikum in Betracht käme. Dies ist nur auf der Grundlage der Annahme möglich, 1 2 3

Siehe hierzu: 1. Kap. A I b (S. 33) und Π 1 a (S. 41 f.). Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 fund g (S. 59 f.). Siehe hierzu: 1. Kap. A 1 1 c bis e (S. 34 ff.) und Β Π bis m (S. 64 ff.).

3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

123

daß das Vermögen von Hoheitsträgern gegenüber anderen Hoheitsträgern auf dieselbe Weise geschützt werden müsse wie Privatvermögen - eine Annahme, die wegen der nur eingeschränkten Geltung des Grundsatzes „casum sentit dominus" im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern jedenfalls nicht selbstverständlich ist4. Während diese Haltung der ordentlichen Gerichte bis heute im Kern unverändert blieb, haben sich die hierfür maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen seit 1871 wiederholt geändert, insbesondere durch Neufassung der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften und der maßgeblichen Vorschriften des allgemeinen Staatshaftungsrechts und die immer häufiger werdende Anordnung verwaltungsorganisationsrechtlicher Spezialtatbestände - wie die erst durch das Finanzreformgesetz vom 18. Mai 19695 eingefügte Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, welche die Haftung zwischen Bund und Ländern regeln soll. Hinzu kommen seit den 60er Jahren erste Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, in denen die Besonderheiten der unechten Haftungsfalle erkannt wurden. Nach der heutigen Rechtsprechung stehen deshalb letztlich drei „Haftungsstränge" nebeneinander, aus denen sich Schadensersatzansprüche zwischen Hoheitsträgern ergeben können: Einerseits die Haftung aufgrund des allgemeinen Privat- und Staatshaftungsrechts, andererseits die Haftung aufgrund besonderer Schadensersatzverpflichtungen des Verwaltungsorganisationsrechts und schließlich die besonderen Regeln über die Haftung bei unechten Haftungsfallen. Gleichsam ergänzend hierzu haben sowohl die ordentlichen Gerichte wie die Verwaltungsgerichte erwogen, ob eine persönliche Haftung des verantwortlichen Amtswalters in Betracht kommt, wenn eine Haftung des schädigenden Hoheitsträgers selbst ausgeschlossen ist. Gegenstand dieses und des folgenden Kapitels soll es sein, diese Rechtsentwicklung im einzelnen nachzuzeichnen: Gerade im Staatshaftungs-, Verwaltungsorganisations-, und Beamtenrecht läßt sich vieles letztlich nur historisch erklären, so daß für die Auslegung heute geltender Normen regelmäßig auch auf ihre Entstehungsgeschichte zurückgegriffen werden muß. Da die Rechtsprechung zur Lösung der Haftungsfrage viele verschiedene Anspruchsgrundlagen herangezogen hat, ermöglicht eine solche zusammenhängende Darstellung auch, auf Widersprüche in ihrem Gesamtsystem hinzuweisen, sowohl richtungsweisende wie vereinzelt gebliebene Gerichtsentscheidungen aufzuzeigen und zu untersuchen, inwieweit einzelne von der herrschenden Meinung alsrichtungsweisenderachtete Entscheidungen die im Ersten Kapitel dargestellten verwaltungsorganisationsrechtlichen Vorgaben beachtet haben. Hier

4 5

Siehe hierzu: 1. Kap. A I g (S. 40 f.). 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BGBl IS. 359).

124

3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

soll zunächst der Zeitraum von 1871 bis 1945 behandelt werden: Vor allem die Entwicklung des Beamten- und Staatshaftungsrechts hat in diesem Zeitraum drei wesentliche Zäsuren erfahren. Die wohl wichtigste Zäsur bildet das Inkrafttreten des BGB, das für die Staats- und Beamtenhaftung zum ersten Mal reichsweit Vorgaben machte und hierbei Differenzierungen vornahm, die zwar nicht unbedingt in der Natur der Sache lagen, welche aber bis heute fortwirken (A und B). Einen weiteren Einschnitt bildet das Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung, die mit ihrem Art. 131 die Staatshaftung für hoheitliches Unrecht zum ersten Mal auf eine verfassungsrechtliche Grundlage stellte und unter deren Geltung sich die Frage der Haftung der Länder für fehlerhafte Verwendung von Reichsmitteln wohl zum ersten Mal im größeren Umfang stellte (C). Schließlich ergaben sich wichtige Änderungen auch während der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere infolge der Neuordnung des Beamtenrechts (D).

A. Rechtliche Rahmenbedingungen von 1871 bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches Da nach der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte die Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern auch ganz entscheidend vom BGB geprägt wird, ist es wichtig, einen Blick auf den Rechtszustand zu werfen, der vor Inkrafttreten des BGB im Deutschen Reich bestand, da dessen Verfasser von diesem Rechtszustand beeinflußt waren, ihn konservieren, abändern oder klarstellen wollten. Hier soll zunächst auf das positive Recht der damaligen Zeit eingegangen und versucht werden zu klären, wie sich in der damaligen praktischen Rechtsanwendung das Problem der Haftung zwischen Hoheitsträgern bzw. der Staatshaftung allgemein darstellte (I). Dann ist zu untersuchen, in welchen Kontext die Rechtslehre des 19. Jahrhunderts das Problem der Staatshaftung stellte, da auch die Lehre die Verfasser des BGB beeinflußte. Hierbei soll sich die Untersuchung aber auf eine kurze Darstellung der Theorien Friedrich Carl von Savignys und Otto von Gierkes zum „Wesen" und zur „Handlungsfähigkeit" der juristischen Person sowie den Überlegungen Otto Mayers zum Rechtsgrund einer Staatshaftung beschränken. Gerade diese Theorien scheinen nämlich die spätere Entwicklung des Staatshaftungsrechts maßgeblich beeinflußt zu haben (II).

Α. Rechtsentwicklung von 1871 bis 1900

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I. Positives Recht und Rechtsprechung a) Das - soweit ersichtlich - erste Urteil des RG zur Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern ist das Urteil „Flußbett"6 Es erging am 4. Dezember 1902 und bezog sich auf einen Sachverhalt, der sich vor Inkrafttreten des BGB ereignet hatte. Eine ostpreußische Gemeinde nahm den preußischen Staat wegen eines Fehlverhaltens staatlicher Polizeibeamter in Anspruch. Das RG konnte schon aus Gründen seiner nach § 13 GVG beschränkten Zuständigkeit nicht auf die Frage der Haftung nach öffentlich-rechtlichem Verwaltungsorganisationsrecht eingehen, sondern war in seiner Prüfung auf das Zivilrecht beschränkt. Dies hielt es für seine Entscheidung auch für maßgeblich: Nach der damals jedenfalls in der Rechtsprechung herrschenden Überzeugung war das Vermögensrecht schlechthin dem Zivilrecht zuzuordnen7. Das RG zog dementsprechend als einschlägiges Partikularrecht das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 heran. Dies bestimmte im Zehnten Titel des Zweiten Teils „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates", welcher kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch in den 1866 neu erworbenen Landesteilen Preußens 8, jedoch (zunächst) nicht in den Preußischen Rheinprovinzen9, galt und die erste zusammenfassende Regelung der Staatsdienerverhältnisse enthielt10: § 88 Wer ein Amt übernimmt, muß auf pflichtgemäße Führung desselben die genaueste Aufmerksamkeit wenden. § 89 Jedes dabei begangene Versehen, welches bei gehöriger Aufmerksamkeit, und nach den Kenntnissen, die bei der Verwaltung des Amtes erfordert werden, hätte werden vermieden können und sollen, muß er vertreten. § 90 Vorgesetzte, welche durch vorschriftsmäßige Aufmerksamkeit die Amtsvergehungen ihrer Untergebenen hätten hindern können, sind für den aus Vernachläßigung dessen entstehenden Schaden, sowohl dem Staate, als einzelnen Privatpersonen, welche darunter leiden, verhaftet. 6

RGZ 53, S. 126 ff. (Beispiel Nr. 21 - siehe S. 88). Siehe hierzu ausführlich: Lassar, Der Erstattungsanspruch, S. 1 ff.; Merk, VerwR I, S. 66 m. w. N. 8 § 1 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung betreffend die allgemeine Regelung der Staatsdienerverhältnisse in den neu erworbenen Landestheilen vom 23. September 1867 (GS S. 1619). 9 Diese Vorschriften wurden in der Rheinprovinz nie förmlich bekannt gemacht. Das RG ging daher zunächst davon aus, daß sie dort nicht galten (RGZ 43, S. 383 ff. [S. 385]). Erst 1919 entschied das RG, daß diese Vorschriften auch in den Rheinprovinzen gälten, da in einem Einheitsstaate die Staatsdienerverhältnisse nur einheitlich geregelt sein könnten (RGZ 95, S. 344 fT. [S. 346]). 10 Stern, StRl, § 11 IV2, S. 365. 7

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

§ 91 Doch findet in beiden Fällen (§ 89, 90) die Vertretung nur alsdann statt, wenn kein anderes gesetzmäßiges Mittel, wodurch den nachteiligen Folgen eines solchen Versehens abgeholfen werden könnte, mehr übrig ist.

Diese Vorschriften regelten damit nur eine persönliche Haftung des Beamten, nicht die des preußischen Staates. Die Rechtsprechung zum ALR ging daher davon aus, daß nur der amtspflichtwidrig handelnde Beamte persönlich als Privatperson - nicht aber der Staat - für etwaige Schadensfolgen privatrechtlich einzustehen habe. Dem entsprach auch die Rechtsprechung zum gemeinen Recht11 und zu den meisten übrigen Partikularrechten. Die Haftung des Beamten richtete sich nach dem allgemeinen Deliktsrecht12, soweit nicht ebenfalls dem Privatrecht zuzuordnende Sonderdeliktstatbestände wie §§ 88 ff. ALR II 10 oder § 1507 des Sächsischen BGB von 186513 eingriffen. Diese Vorschriften waren darüber hinaus auch für die Haftung des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn maßgeblich, was teilweise schon in den einschlägigen Vorschriften selbst verdeutlicht wurde (vgl. § 90 ALR II 10). Teilweise wurden die allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften (wie z. B. Art. 1382 Code Civil 14 ) aber auch ohne weiteres auf das Verhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten erstreckt 15. Die heutige Unterscheidung zwischen beamtenrechtlicher Außenhaftung nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und beamtenrechtlicher Innenhaftung nach Beamtenrecht war demnach vor Inkrafttreten des BGB nicht bekannt. b) Da von der Rechtsprechung eine Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen seiner Beamten ohne entsprechende gesetzliche Regelung weitgehend nicht anerkannt wurde, mußte bei Anwendung des Zivilrechts eine Staatshaftung auch bei Schädigung einer anderen juristischen Person des öf11

Für das gemeine Recht: RGZ 11, S. 206 ff. (S. 209 ff.); RGZ 32, S. 144 ff. Kirbach, Die Haftung des Beamten nach BGB. § 839 (1907), S. 6. 13 Die Vorschrift lautete: „Von dem Staate oder von Gemeinden angestellte Verwaltungsbeamte haften für den Schaden, welchen sie bei der Behandlung der ihnen obliegenden Geschäfte absichtlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursachen, ausgenommen, wenn der Beschädigte unterlassen hat, die gesetzlichen Mittel zu gebrauchen, durch welche er die Schadenszufügung hätte abwenden können." 14 Die Vorschrift lautete: „Tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer. / Jede Handlung eines Menschen, von welcher Art sie auch sei, verpflichtet, wenn sie einem Anderen Schaden verursacht, Denjenigen, durch dessen Verschulden dies geschah, zur Entschädigung". 15 Hierbei blieb jedoch unklar, ob diese Innenhaftung nur nach Maßgabe der allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften erfolgte, an sich aber öffentlich-rechtlich zu qualifizieren war, oder ob die Innenhaftung insgesamt dem Privatrecht zuzuordnen war. Vgl. Hösch, Die Schadensersatzhaftung der Beamten gegenüber dem Staate (1913), S. 16; Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches - Erster Band (1. Aufl. 1876), § 41 Π, S. 440; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts (4. Aufl. 1895), § 149, S. 459. 12

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fentlichen Rechts ausgeschlossen sein. Das RG wies dementsprechend in dem Urteil „Flußbett"16 mangels besonderer Staatshaftungsvorschrift die Klage der Gemeinde gegen den Staat ab. Eine persönliche Haftung des Staatsbeamten nach §§ 88 ff. ALR II 10 wäre nach der Begründung dieses Urteils aber durchaus in Betracht gekommen. Dies war auch konsequent: Wenn die §§ 88 ff. ALR II 10 schon nicht zwischen der Haftung des Beamten gegenüber dem „Publikum" und der Haftung gegenüber dem Dienstherrn unterschieden, so bestand auch kein Grund, von einem besonderen Haftungsregime gegenüber anderen Hoheitsträgern auszugehen. Anders hätte sich die Frage der Haftung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur in den Bundesstaaten stellen können, in denen eine Haftung des Staates für das Fehlverhalten seiner Amtswalter positiv-rechtlich anerkannt war und auch (im Zivilrechtsweg) durchgesetzt werden konnte. Dies war zunächst im Königreich Sachsen der Fall: Hier wurde eine originäre Staatshaftung aus öffentlich-rechtlichen Grundsätzen hergeleitet und galt dort letztlich als Gewohnheitsrecht17. Zudem hielt man in den Reichsgebieten, in denen der Code Civil als Partikularrecht fortgalt (Preußische Rheinprovinzen, Großherzogtum Baden, bayerische Rheinpfalz gemeinsam mit den Landesteilen rechts des Rheins, Großherzogtum Hessen) eine Staatshaftung nach Privatrecht für möglich18. Hier ging man einerseits davon aus, daß der Beamte persönlich nach der allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsnorm des Art. 1382 Code Civil haftete. Daneben konnte nach Art. 1384 Abs. 3 Code Civil 19 eine zusätzliche Haftung des Staates als „commettant" treten20. Entscheidungen zu der Frage, ob sich aus diesen partikularrechtlichen Staatshaftungsgrundsätzen auch eine Staatshaftung gegenüber anderen Hoheitsträgern herleiten ließ, sind jedoch nie ergangen; eine Antwort auf die Frage, ob in diesen Bundesstaaten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Staatshaftung stattfinden konnte, wäre demnach reine Spekulation.

16

RGZ 53, S. 126 ff. (S. 127) unter Verweis auf RGZ 11, S. 206 (S. 209). Vgl. insbesondere OLG Dresden, Annalen des kgl. Sächs. Ober-Landes-Gerichts, Bd. 6, S. 533 (S. 537 ff.), und Bd. 21, S. 414 ff. (S. 417); Delius, Die Beamtenhaftpflichtgesetze des Reiches und der Länder (4. Aufl. 1929), S. 59. 18 Diesen Weg sind französische Rechtsprechung und Lehre nie gegangen: Ve del/Delvolvé , Droit administratif- Tome 1 (12. Aufl. 1992), S. 552. 19 Die Vorschrift lautete: „On est responsable [...] du dommage [...] qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre [...]. Les maîtres et les commettants, du dommage causé par leur domestiques et préposés dans les fonctions auxquelles ils les ont employes. [...] / Hausherren und die, welche jemandem ein Geschäft übertragen haben, sind für den durch ihr Hausgesinde und durch die von ihnen Beauftragten in denselben anvertrauten Geschäften verursachten Schaden verantwortlich [...]." 20 RGZ 5, S. 48 ff.; RGZ 38, S. 371 ff. Mißverständlich hierzu: BK-Dagtoglou, Art. 34 Rn. 14. 17

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

c) Zuverlässige Aussagen sind diesbezüglich auch schon deshalb nicht möglich, weil sich bereits unter Geltung der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 187121 die verwaltungsorganisationsrechtliche Dimension der Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern abzeichnete - und zwar in Bereichen, in denen die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur bestimmter vermögensrechtlicher Beziehungen zwischen Hoheitsträgern jedenfalls von der Verwaltungsrechtswissenschaft nicht bezweifelt wurde: Konkret betraf dies die finanziellen Beziehungen zwischen dem Reich und den Bundesstaaten. Insofern war in der Reichsverfassung (RV) zunächst eine ausdrückliche Haftungsvorschrift enthalten, die in einem speziellen Fall die Haftung der Bundesstaaten für durch fehlerhafte Verwaltung entstehende Abgabenausfalle regelte: Nach Art. 38 Abs. 1 RV stand der Ertrag der Zölle dem Reich zu. Die Zölle wurden jedoch nicht vom Reich, sondern von den Bundesstaaten erhoben, die den Ertrag an das Reich abfuhren mußten. Sie durften aber von dem abzuführenden Betrag nach Maßgabe des Art. 38 Abs. 2 Nr. 3 RV die ihnen entstandenen Erhebungs- und Verwaltungskosten abziehen. Der Umfang dieser Abzugsberechtigung war näher in Art. 16 des Zollvereinsvertrages vom 8. Juli 186722 umschrieben, der nach Art. 40 RV fortgalt 23. Teil dieser völkerrechtlichen - nach Errichtung des Reichs bundesstaatlichen - Lastenverteilungsregel war auch folgende Bestimmung (Art. 16 Abs. 2) 24 : Die Vereinsstaaten machen sich verbindlich, für die Diensttreue der bei der Zollverwaltung von ihnen angestellten Beamten und Diener und für die Sicherheit der Kassenlokale und Geldtransporte in der Art zu haften, daß Ausfälle, welche an den Zolleinnahmen durch Dienstuntreue der Angestellten erfolgen, oder aus der Entwendung bereits eingezahlter Gelder entstehen, von derjenigen Regierung, welche den Beamten angestellt hat, oder welche die entwendeten Bestände erhoben hatte, ganz allein zu vertreten sind und bei der Revenüetheilung dem betreffenden Staat zur Last fallen.

Unter Geltung der Reichsverfassung war die Vorschrift so zu lesen, daß sie die Abzugsberechtigung des zolleinnehmenden Staates nach Art. 38 Abs. 2 21

B. G. B. Nr. 16, S. 63. Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen, die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins betreffend vom 8. Juli 1867 (BGBl S. 105). 23 Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches (1910), Art. 40, S. 522. Auf den genauen Inhalt der komplizierten Verweisungsvorschrift des Art. 40 RV braucht hier nicht eingegangen werden: Vgl. von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich (2. Aufl. 1897), Art. 40 Anm. Π. 24 Siehe hierzu Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 29; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 21 ff. 22

. Rechtsentwicklung von 1871 bis 19

RV einschränkte25. Die Vorschrift ist - soweit ersichtlich - nie praktisch geworden26. Sie zeigt jedoch, daß in der Gesetzgebung schon sehr früh ein Zusammenhang zwischen den Regeln über die Lastenverteilung (und damit dem Verwaltungsorganisationsrecht) und der Frage der Haftung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gesehen wurde. d) Zudem gab es auch Bereiche, in denen die Bundesstaaten bei Erfüllung eigener Aufgaben auf Rechnung des Reiches handeln konnten - so daß auch schon unter der Verfassung von 1871 unechte Haftungsfälle möglich waren. Dies betraf vor allem die Verwaltung des stehenden Heeres (mit Ausnahme des bayerischen Kontingents)27: Die Verwaltungskompetenz war den Bundesstaaten zugewiesen (Art. 63 RV), die bei ihrer Ausübung aber an sehr enge Vorgaben des Reichs gebunden waren und insofern auch unter Aufsicht des Reichs standen (Art. 4 Nr. 14 RV). Auch die Kosten des Heerwesens wurden vom Reich getragen, das die erforderlichen Ausgaben in seinem Haushaltsplan festsetzte und auf dessen Rechnung die Staaten die Heeresverwaltung vollzogen (Art. 62 Abs. 3 und Art. 67 RV). Hieraus Schloß man, daß die Staaten auch an die Vorgaben der Haushaltsgesetze gebunden gewesen seien28, dies um so mehr, als sich mit der Zeit die Ansicht durchsetzte, daß die Staaten die Geschäfte der Militärverwaltung nicht im eigenen, sondern im Namen des Reiches vorzunehmen hätten29. Damit mußte sich auch die Frage der in diesem Bereich geltenden Verteilung der Schadenslasten zwischen Reich und Bundesstaaten stellen. Ausdrückliche Stellungnahmen zu dieser Frage fehlen jedoch in der zeitgenössischen Literatur 30. Dies könnte daran liegen, daß insoweit als selbstverständlich von einer Kostentragungspflicht des Reichs ausgegangen wurde. Hierfür spricht, daß die Kosten des Heerwesens, obwohl von der Reichskasse getragen, indirekt wieder auf die Einzelstaaten aufgrund des Matrikularbeitragssystems des Art. 70 Satz 2 RV umgelegt wurden, nach dem die Ausgaben des Reiches zwar grundsätzlich aus dessen eigenen Einnahmen (Zölle, Verbrauchssteuern etc.) zu decken waren, soweit diese aber nicht ausreichten, die Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung zu Beiträgen 25 Vgl. zur Bedeutung des Art. 16 des Zollvereinsvertrages nach Inkrafttreten der Reichsverfassimg: Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches - Vierter Band (5. Aufl. 1914), S. 503 ff. 26 Zu möglichen Gründen hierfür: Kummer, Die Frage der Haftung, S. 24. 27 Zu den sonstigen aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten des Reichs gegenüber den Ländern siehe: Müller-Volbehr, Fonds- und Investitionshilfekompetenz des Bundes (1975), S. 9 ff. 28 Thoma, Das Staatsrecht des Reiches, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts - Erster Band (1930, zit. im folgenden HdbDtStR I), § 7 m f, S. 73. 29 Siehe hierzu nur: Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches IV, S. 337 ff. 30 Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 29 f.

9 Stelkens

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

herangezogen wurden31. Gerade hierin sah Laband die Verwirklichung des Grundsatzes des Art. 58 RV, nach dem „die Kosten und die Lasten des gesamten Kriegswesens des Reiches von allen Bundesstaaten gleichmäßig" zu tragen waren32. Diesem Gleichbehandlungsgrundsatz hätte es entsprochen, auch die Kosten von Fehlzahlungen nicht dem einzelnen konkret betroffenen Staat aufzuerlegen, sondern durch Belastung des Reichshaushalts der Gesamtheit aller Staaten. Art. 58 RV wäre dann so auszulegen gewesen, daß alle durch das Heerwesen veranlaßten Kosten, auch solche fehlerhafter Verwaltung, allen Einzelstaaten gemeinsam zugewiesen waren - daß der Grundsatz „casum sentit dominus" im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern nur eingeschränkt gilt, wäre dann deutlich erkennbar geworden. Eine solche Auslegung des Art. 58 RV wäre auch sachgerecht gewesen, da aufgrund der sehr weitgehenden Zentralisierung der Militärverwaltung einerseits kaum vorstellbar war, daß die Bundesstaaten die ihnen zur Verfugung gestellten Reichsmittel fehlerhaft verwendet hätten, ohne daß auch die zuständigen Stellen des Reichs hierfür hätten verantwortlich gemacht werden können33. Andererseits ließ sich unproblematisch eine persönliche Haftung des für die fehlerhafte Mittelverwendung verantwortlichen Landesbeamten aus dem allgemeinen Deliktsrecht bzw. den einschlägigen Sonderdeliktstatbeständen auch gegenüber dem Reich herleiten34. IL Rechtsgrund und Rechtsnatur der Staatshaftung nach Savigny, Gierke und Mayer Friedrich Carl von Savigny und Otto von Gierke betrachteten das Problem der Staatshaftung nicht isoliert, sondern als einen Aspekt der Lehre von der juristischen Person, die nicht nur für die juristischen Personen des Privatrechts, sondern auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts Geltung beanspruchte. Juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts wurden nicht als wesensmäßig voneinander verschieden angesehen, jedenfalls 31 Siehe hierzu: Wendt, Finanzhoheit und Finanzausgleich, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 8. 32 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches IV, S. 56; ähnlich auch Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Art. 58, S. 576. Inwieweit die Spezialvorschrift des Art. 62 Abs. 2 RV eine besondere Matrikularbeitragspflicht der Länder für das Heerwesen begründete, war in der Literatur sehr umstritten (vgl. von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde, Art. 62 Anm. ΠΙ). Praktisch war der Streit jedoch in der Weise entschieden, daß seit 1874 Beiträge nach Art. 62 Abs. 3 RV von den Ländern nicht mehr gefordert wurden (Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 62, S. 595), so daß für die Finanzierung des Heeres allein Art. 70 RV galt. 33 So auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 32. 34 Siehe hierzu: 3. Kap. A I b (S. 126 ff.).

Α. Rechtsentwicklung von 1871 bis 1900

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nicht insofern, als sie Träger von Vermögensrechten und -pflichten waren35. Deshalb wurde auch die Frage der Haftung juristischer Personen für das Handeln ihrer Organe unabhängig davon gestellt, ob es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine solche des Privatrechts handelte, und unabhängig davon, ob das schädigende Organverhalten als hoheitlich oder privatrechtlich zu qualifizieren war. Diesen „ganzheitlichen" Ansätzen standen die Überlegungen Otto Mayers gegenüber, der das Problem der Staatshaftung für hoheitliches Unrecht primär als Problem des Rechtsstaats und damit als spezifisch öffentlich-rechtliches Problem ansah und auch die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Vermögensrechts anerkannte. 1. Das Problem der Deliktsfähigkeit juristischer Personen nach Savigny und Gierke a) Nach der von Savigny entwickelten „Fiktionstheorie" beruhte die Rechtsfähigkeit gewisser Verbände auf positiv-rechtlicher Zuweisung und war dem Staat nicht zwingend vorgegeben36. Die juristische Persönlichkeit stellte hiernach eine bloße „Fiktion" dar, der eine Handlungsfähigkeit nicht zukommen konnte. Dies begründete einen gewissen Widerspruch zur Rechtsfähigkeit der juristischen Person, da Rechte im Regelfall nur durch Handlungen erworben werden können. Um diesen Widerspruch aufzulösen, zog Savigny das Institut der Vertretung heran37. Die Organe einer juristischen Person wurden als deren Vertreter angesehen, deren Handeln somit nur dann der juristischen Person zugerechnet werden konnte, wenn es von einer Vertretungsmacht gedeckt war. Vollmachtloses Handeln führte - entsprechend der Regel des heutigen § 179 BGB - grundsätzlich nur zur Haftung des Vertreters. Hieraus folgerte Savigny, daß eine Schadensersatzhaftung juristischer Personen für Vertragsverletzungen möglich sei, da das Recht innerhalb von Vertragsverhältnissen generell den Vertreter für den Vertretenen haften lasse. Eine Haftung im „außerkontraktlichen" Bereich hielt er dagegen für ausgeschlossen, da Delikte ihrer Organe juristischen Personen nicht mit Hilfe der Vertretungsregeln zugerechnet werden könnten38. Juristische Personen waren also schlechthin deliktsunfähig. 35

Vgl. Flume (Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts - Erster Band - Zweiter Teil: Die juristische Person [1983, zit. im folgenden: AT 1/2), § 1 I, S. 4 ff.] zum Untersuchungsgegenstand Friedrich Carl von Savignys. Nicht anders ging auch Otto von Gierke vor (Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunfähigkeit des Staates [1977], S. 62). 36 Zur Lehre Savignys, vgl. Flume , AT I /2, § 1 I 4, S. 13 ff; Κ Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 Π 4, S. 198 und § 10 12 b, S. 259 f. 37 Savigny, System des heutigen römischen Rechts - Zweyter Band (1840, Neudruck 1981), § 90, S. 281 ff. 38 Savigny, System Π, § 95, S. 317 ff. 9*

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Die Lehre Savignys vermochte zu erklären, warum die Rechtsprechung eine Haftung des Staates für das Fehlverhalten seiner Beamten grundsätzlich ausSchloß. Die Beamten wurden als Vertreter des Staates angesehen, der amtspflichtwidrig handelnde Beamte als vollmachtloser Vertreter, der deshalb fur deliktisches Handeln allein persönlich haften mußte. Lediglich innerhalb von Vertragsverhältnissen wäre eine Haftung des Staates für das Fehlverhalten seiner Vertreter in Betracht gekommen. Diese Übertragung der für alle juristischen Personen geltenden „Vertretertheorie" Savignys auf die Frage der Staatshaftung wird allgemein als „Mandatstheorie" bezeichnet. Daß diese Konstruktion von der Staatsrechtslehre noch besonders begründet wurde 39, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ihr zugrunde liegende „Vertretertheorie" auf alle juristischen Personen Anwendung finden sollte, die Lehre von der Deliktsunfähigkeit des Staates also nichts Besonderes war, sondern nur ein Teilaspekt der Lehre von der Deliktsunfahigkeit der juristischen Per„,40

son . b) Dem stand die von Gierke auf der Grundlage seiner „Theorie der realen Verbandspersönlichkeit" entwickelte „Organtheorie" gegenüber. Hiernach wurde der juristischen Person das Handeln ihrer Organe unmittelbar als eigenes Handeln zugerechnet. Die Konstruktion eines Vertretungsverhältnisses war somit nicht erforderlich. Dies hatte insbesondere auch zur Folge, daß die juristische Person selbst durch ihre Organe als handlungs- und deliktsfähig angesehen wurde41. Da diese unmittelbare Zurechnung aus dem Wesen der Verbände als reale Lebenseinheiten geschlossen wurde, blieb der Gegenstand der Zurechnung, insbesondere die Frage, ob privatrechtliches oder hoheitliches Handeln zugerechnet werden sollte, bedeutungslos42: „Fragen wir nun aber weiter nach dem körperschaftlichen Verschulden im gemeinheitlichen Aktionsgebiet, so werden wir im Prinzip einer Verbandsperson, welche durch rechtswidrige Ausübung oder Nichtausübung socialer Funktionen einer anderen Person Schaden zugefügt hat, die gleiche Ersatzverbindlichkeit auferlegen müssen, wie sie ihr aus einer rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung des Individualverkehrs erwachsen würde. Wir werden namentlich auch dem Staat, den Gemeinden und allen anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften eine privatrechtliche Ersatzverbindlichkeit für den Schaden aufzubürden haben, den ihre Organe innerhalb ihrer Wirkungssphäre durch schuldhafte Verwendung oder Nichtverwendung öffentlicher Machünittel anrichten. Denn hierbei handelt es sich keineswegs, wie neuerdings oft behauptet wird, um eine eigenartige ,Haftung nach öf39

Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunfähigkeit, S. 78 if. Siehe zu dem untrennbaren Zusammenhang zwischen der auf das Staatshandeln bezogenen Mandatstheorie und der „Fiktionstheorie" Savignys: Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunföhigkeit, S. 93 tY. 41 Gierke , Die Genossenschaftstheorie und die Deutsche Rechtsprechung (1887), S. 788 f.; hierzu Κ Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I 2 b, S. 259 f. 42 Vgl. Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunfähigkeit, S. 92. 40

. Rechtsentwicklung von 1871 bis 19 fentlichem Recht'. Vielmehr ergibt sich diese Haftung aus den im Zweifel auch auf die Gemeinwesen anwendbaren Grundsätzen des Privatrechts. Sie tritt ja eben wegen der rechtswidrigen Verletzung von Privatinteressen und nur insoweit ein, als durch eine zwar dem öffentlichen Recht widersprechende Handlung oder Unterlassung eine Privatrechtssphäre geschädigt ist." 43

Dieses Ergebnis stützte Gierke noch mit der Überlegung, daß die persönliche Haftung des Beamten unstreitig dem Privatrecht unterstellt werde und die persönliche Beamtenhaftung wie die Staatshaftung auf demselben rechtlichen Fundament beruhten. Folgte man dem, war offensichtlich, daß das Problem der Haftung juristischer Personen des Privatrechts mit dem Problem der Haftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts vollständig identisch war und somit bezüglich der Haftung zwischen den einzelnen Handlungsformen der Verwaltung weder differenziert werden sollte noch durfte. Diese Theorie begründete letztlich, daß die Rechtsprechung Art. 1384 Code Civil auch auf den Staat erstreckte. Die so begründete Staatshaftung konnte ihrer Rechtsnatur nach nur eine privatrechtliche sein. c) Die Praxis der Gerichte folgte also im Ergebnis weder der „Vertretertheorie" Savignys noch der „Organtheorie" Gierkes, sondern wendete die sich hieraus ergebenden Konstruktionen nur in Teilbereichen an, was mit dem diesen Theorien zugrunde liegenden ganzheitlichen, auf alle juristischen Personen bezogenen Fundament an sich unvereinbar war. Konnte sich somit keine dieser Theorien in der Praxis vollständig durchsetzen, so haben sie doch als Denkmodelle die spätere Entwicklung, vor allem auch das BGB geprägt. Diesen Denkmodellen konnte darüber hinaus auch gerade ftir die Frage der Haftung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts Bedeutung zukommen. Da Savigny wie Gierke das Staatshaftungsproblem dem privatrechtlichen Vermögensrecht zuordneten, konnte auch das Problem der Haftung zwischen Hoheitsträgern für sie kein Sonderproblem darstellen: Es wäre nach den von ihnen entwickelten privatrechtlichen Grundsätzen zu lösen gewesen. Der Schwerpunkt der Argumentation lag bei beiden Autoren auf der Frage, wie eine juristische Person haftet. Die Frage, wem gegenüber gehaftet wird, spielte dagegen für Savigny und Gierke keine Rolle, da die Vorfrage, warum eine juristische Person haften oder nicht haften muß, von beiden Autoren nicht begründet wurde. Für Savigny war die Deliktsunfahigkeit juristischer Personen selbstverständlich44, für Gierke dagegen die Deliktsfahigkeit 45.

43

Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 794 f. Flume, AT 1/2, § 1 14, S. 15. 45 Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 784: „Die Verbindlichkeit der juristischen Personen zum Schadensersatz bedarf, sobald die schädigende unerlaubte Handlung als ihre anerkannt wird, keiner weiteren Begründung." 44

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

2. Staatshaftung als Problem des Rechtsstaates nach Otto Mayer a) Otto Mayer unterschied schon in der 1895/96 erschienenen ersten Auflage seines „Deutschen Verwaltungsrechts" streng zwischen der Haftung des Staates für hoheitliches und für privatrechtliches Handeln. Die Haftung des Staates für privatrechtliches Handeln seiner Amtswalter bestimme sich nach Zivilrecht. Sofern das Zivilrecht - wie z. B. Art. 1384 Code Civil - den Auftraggeber für das Fehlverhalten seiner Beauftragten haften lasse, sei dies auch auf den Staat anzuwenden. Voraussetzung hierfür sei, daß der Staat schon vorher zum Geschädigten in einem privatrechtlichen Verhältnis gestanden habe, wie dies bei der fiskalischen Verwaltung regelmäßig der Fall sei. Rechtsgrund für die Geltung der privatrechtlichen Haftungsgrundsätze bei privatrechtlichem Handeln des Staates war, „daß es der guten Ordnung entspricht und als selbstverständlich gewollt gelten muß, daß das von Natur Gleichartige auch gleich geordnet werde. Deshalb ist es gar nicht nötig, daß das Civilgesetz etwa ausdrücklich ausspreche, es wolle auch auf den Staat zur Anwendung kommen; [...]; es versteht sich von selbst, daß das Civilgesetz, der Civilrechtssatz den Staat trifft, sobald dieser tatsächlich Erscheinungen aufweist, für welche seine Bestimmungen gegeben sind."46

b) Von dieser Haftung des Staates im Privatrechtsbereich unterschied Mayer deutlich die Staatshaftung für hoheitliches Handeln, die er als öfifentlichrechtliche Entschädigung bezeichnete47. Mit der Qualifizierung der Staatshaftung im hoheitlichen Bereich als öffentliches Recht löste Mayer die vor allem von Gierke propagierte Verknüpfung zwischen der Staatshaftung einerseits und der (privatrechtlichen) persönlichen Beamtenhaftung andererseits48. Worum es bei der öffentlich-rechtlichen Entschädigung geht, beschrieb Mayer wie folgt: „Der Vermögensnachteil soll dem Einzelnen hier ersetzt werden, der ihm verursacht worden ist. Das beruht nicht auf den Regeln der civilrechtlichen Haftung für rechtswidrige Schädigung; denn es findet ebenso statt, wenn von einem Delikt der Vertreter und Diener des Staates keine Rede sein kann, ja, wenn der Nachteil in unanfechtbarer Rechtmäßigkeit zugefügt worden ist [...]. Der Grundgedanke, auf welchem diese Entschädigung beruht, ist ein völlig selbständiger, ganz und gar dem Gedankenkreise des öffentlichen Rechts angehöriger: der Vermögensnachteil wird ausgeglichen, wegen der Ungerechtigkeit, daß er dem Betroffenen zugefügt wurde." 49

46

Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht - Erster Band (1. Aufl. 1895, zit. im folgenden: VerwR I 1 ), § 11 Π, S. 138. 47 Mayer, VerwR I 1 , § 17 ffl, S. 242. 48 Mayer, VerwR I 1 , § 17 m, S. 240 ff. 49 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht - Zweiter Band (1. Aufl. 1896, zit. im folgenden: VerwR Π 1 ), § 53 I, S. 345 f.

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Mayer ging im folgenden davon aus, daß staatliche Eingriffe gerechterweise nur erfolgen könnten, wenn sie die Untertanen gleichmäßig belasteten. Erfolgten sie ungleichmäßig, müsse der Betroffene ein besonderes Opfer tragen, daß ihn auszeichne vor den anderen, denen nicht eine entsprechende Last zugewiesen werde. Solche ungleichmäßigen Belastungen könnten insbesondere auch durch rechtswidriges Handeln herbeigeführt werden50. Mayer unterschied jedoch nicht zwischen rechtmäßig und rechtswidrig verursachten Sonderopfern. Vielmehr hielt er in beiden Fällen dieselben Rechtsgrundsätze für maßgeblich: ,.Dieselbe Idee der Gerechtigkeit, welche die Staatstätigkeit bestimmt, besondere Opfer möglichst nicht aufzuerlegen, fordert alsdann, wenn es einmal doch geschehen ist, den nachträglichen Ausgleich durch eine Vergütung, welche dem Betroffenen dafür gewährt wird. Indem der Staat eine Vergütung leistet, [...] vollzieht er die Aufhebung der Ungerechtigkeit: er nimmt das Geld dazu aus der gemeinen Kasse, die er in seiner Finanzgewalt in den auf Ausgleich gerichteten Formen der Belastung der Unterthanen jeder Zeit wieder füllt; er verteilt auf solche Art den Schaden auf alle seine Leistungspflichtigen. Die Entschädigung ist also hier die Form, um eine ungleiche Belastung in eine gleiche zu verwandeln" 51

Mayer beschrieb damit einen besonderen Rechtsgrund gerade für die Staatshaftung. Ihm ging es weniger um die Gierke beschäftigende Frage, wie für hoheitliches Unrecht gehaftet wird, sondern er versuchte zu begründen, warum auch in diesen Fällen gehaftet werden müsse, und zog hierfür rechtsstaatliche Erwägungen heran. c) Da sich die Erwägungen Mayers ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Staat und Untertan bezogen, nicht aber auch auf das Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, ist anzunehmen, daß Mayer das Institut der öffentlich-rechtlichen Entschädigung zwischen Hoheitsträgern nicht für anwendbar gehalten hätte. Darauf deutet auch hin, daß er die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Hoheitsträgern grundsätzlich als öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse eigener Art verstand: „Der Selbstverwaltungskörper findet neben sich andere Selbstverwaltungskörper mit ebensolchen Aufgaben und dazu den Staat selbst, insofern er nicht bloß obrigkeitlich über ihn gebietet, sondern als gleichartiger Mitarbeiter in Geschäften der öffentlichen Verwaltung hinzutritt. Die Beziehungen dieser juristischen Personen untereinander haben eine ganz eigenartige Rechtsnatur. Die Rechtsinstitute des Civilrechts erhalten ihre Gestalt durch das maßgebende Grundverhältnis der Gleichheit der beteiligten Rechtssubjekte, die des Verwaltungsrechts ordentlicherweise durch das Grund Verhältnis der Ungleichheit. Hier nun erscheint öffentliches Recht zwischen Gleichen. [...1

50 51

Mayer, VerwR Π 1 , § 54, Π, S. 358 ff. Mayer, VerwR Π 1 , § 53 I, S. 347.

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Die Übereinstimmung des Grundverhältnisses giebt den Rechtsinstituten dieses Gebietes des Verwaltungsrechts eine große Verwandtschaft mit denen des Civilrechts. Dasselbe ist aber eng begrenzt. Das Nebeneinander der verschiedenen öffentlichen Verwaltungen erzeugt besondere Rechtsverhältnisse zwischen ihren Trägern nur zum Zwecke des Ausgleichs der zu tragenden Lasten in Ersatzansprüchen und Verträgen." 52

Im folgenden behandelte Mayer verschiedene Fragen des Erstattungsrechts zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, allerdings ohne auf die Frage einer Haftung zwischen Hoheitsträgern für rechtswidrige Schädigungen einzugehen. Die oben zitierte Passage deutet allerdings daraufhin, daß er die Grundsätze des privaten Haftungsrechts - nicht aber des Staatshaftungsrechts - auch auf das Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts übertragen hätte. Unabhängig davon entwickelte Mayer aber Grundzüge eines spezifischen verwaltungsorganisationsrechtlichen Vermögensrechts und machte deutlich, daß nicht nur zwischen privat- und öffentlichrechtlichem Vermögensrecht zu unterscheiden ist, sondern auch zwischen dem für das Staat-Bürger-Verhältnis geltenden Vermögensrecht und dem Vermögensrecht, das die Rechtsverhältnisse zwischen Hoheitsträgern regelt53. Diese Erkenntnis wird heute als so selbstverständlich angesehen, daß sie stillschweigend allen Darstellungen zum Verwaltungsorganisationsrecht zugrunde gelegt wird 54 .

B. Rechtliche Rahmenbedingungen ab 1900 bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung Erst das BGB führte den auch heute noch bekannten und im vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Dualismus zwischen Außen- und Innenhaftung des Beamten ein, indem es die Außenhaftung des Beamten in § 839 BGB regelte, bezüglich der beamtenrechtlichen Innenhaftung aber mit Art. 80 EGBGB auf die Landesgesetzgebung verwies. Zudem wurde durch das BGB zum ersten Mal positiv-rechtlich die Frage der Haftung des Staates im Privatrechtsbereich von der Frage der Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen in Ausübung öffentlicher Gewalt getrennt. Hier soll zunächst kurz auf die Entstehungsgeschichte der hierfür maßgeblichen §31, §89 BGB, Art. 77 EGBGB und ihr Verhältnis zu den oben dargestellten Theorien Savignys, Gierkes und Mayers eingegangen werden (I). Dann ist auf die Umsetzung dieser Vorschriften in der praktischen Rechtsanwendung einzugehen (II). 52

Mayer,, VerwR Π 1 , § 60 Π, S. 426. Zur Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen Vermögensrechts in der Literatur der damaligen Zeit: Lassar, Der Erstattungsanspruch, S. 5 ff 54 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 fund g (S. 59 f.). 53

. Rechtsentwicklung von 1

bis 19

I. Die Entstehungsgeschichte der § 31, § 89 BGB und des Art. 77 EGBGB a) Die Verfasser des BGB folgten im Prinzip den Auffassungen Savignys wie Gierkes und gingen davon aus, daß juristische Personen des Privatrechts und juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht wesensmäßig voneinander verschieden seien und daß sich somit auch ihre deliktische Haftung nach einheitlichen Grundsätzen richten müsse, unabhängig davon, ob die das Unrecht hervorrufende Handlung als privatrechtlich oder als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren war. Insgesamt ging man auch noch davon aus, daß das Vermögensrecht schlechthin dem Privatrecht zuzuordnen sei55. Besonders deutlich wurde dies im Ersten Entwurf, in dem versucht wurde, einen allgemeinen Teil des Körperschaftsrechts zu schreiben, der auch das Vermögensrecht juristischer Personen des öffentlichen Rechts regeln sollte - jedenfalls was den Privatrechtsverkehr anging. Dies wird in den Vorbemerkungen der Motive zu den §§ 42 ff. des Entwurfs ersichtlich: „Diese Vorschriften gelten für die öffentlichrechtlichen wie für die privaten Körperschaften. Die ersteren von der Regelung auszunehnien, fehlt es, abgesehen von der Schwierigkeit ihrer begrifflichen Abgrenzung, an ausreichenden Gründen. Den Landesgesetzen bleibt die in Ansehung derselben erforderliche Gestaltungsfreiheit gewahrt. [...] Soweit die Vorschriften zwingender Natur sind, kann deren Angemessenheit [...] auch für die öffentlichrechtlichen Körperschaften nicht in Zweifel gezogen werden." 56

Zu diesen allgemeinen, für alle juristischen Personen zwingend geltenden Regeln gehörte auch der § 31 BGB entsprechende § 46 des Entwurfs: „Die Körperschaft haftet für den Ersatz des Schadens, welchen ihr Vorstand oder ein Mitglied desselben durch eine in Ausübung seiner Vertretungsmacht begangene widerrechtliche, zum Schadensersatze verpflichtende Handlung einem Dritten zugefügt hat."

Da der Entwurf in § 224 Abs. 2 bereits entsprechend § 278 BGB allgemein auch die Haftung des Schuldners - auch juristischer Personen - für seine Erfüllungsgehilfen innerhalb von Vertragsverhältnissen regelte, sollte § 46 vor allem für das Deliktsrecht bedeutsam sein57. Die Kommission billigte somit das Ergebnis der „Organtheorie" Gierkes58, folgte allerdings seiner Konzeption der Haftung juristischer Personen nicht vollständig. Für hoheitliches 55

Merk, VerwR I, S. 66. Motive, S. 82, zit. nach Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich - I. Band - Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil (1899, zit. im folgenden: Mugdan I), S. 397. 57 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 IV 3, S. 285 ff. 58 Hierbei machte sich die Kommission jedoch die Theorie der „realen Verbandspersönlichkeit" nicht zu eigen (vgl. Flume, AT 1/2, § 11 I, S. 377). 56

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Handeln sollte das BGB keine Verbandshaftung einfuhren. Dies ließ sich zwar § 46 des Entwurfs nicht entnehmen, sollte sich aber aus Art. 56 des Entwurfs der Ersten Kommission zum EGBGB ergeben. Diese Vorschrift lautete: Unberührt bleiben die Vorschriften der Landesgesetze über die Haftung des Staates, der Gemeinden und anderer Kommunalverbände (Provinzial-, Kreis-, Amtsverbände) für den von ihren Beamten zugefügten Schaden, unbeschadet der Vorschriften der §§ 46, 63 des BGB.

In den Motiven heißt es dazu: „Aus §§ 46, 63 des BGB. folgt, daß der Staat und die Gemeinden kraft reichsrechtlicher Norm für den Schaden haften, welchen Staats- bz. Gemeindebeamte durch eine in Ausübung ihrer Vertretungsmacht begangene widerrechtliche, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten gegenüber zugefügt haben. Diese Haftpflicht bezieht sich jedoch nur auf solche Handlungen, welche ein Beamter in Ausübung der ihm in privatrechtlichen Verhältnissen zustehenden Vertretungsmacht begeht. Die Frage, ob und inwieweit der Staat und die Gemeinden für den Schaden einzustehen haben, welchen ein Beamter als Träger öffentlicher Machtbefugnisse den der Amtsgewalt Unterworfenen oder Dritten zufügt, wird durch das BGB. nicht entschieden. Läßt die Verpflichtung, für einen solchen Schaden einzustehen, sich auch als eine privatrechtliche bezeichnen, so steht doch die Frage, ob eine solche Verpflichtung anzuerkennen sei, mit dem öff. Recht der Einzelstaaten in so engem Zusammenhange [...], daß die Regelung der Materie der Landesgesetzgebung anheimgegeben werden muß."59

In dieser Begründung wird besonders deutlich, daß es von der Natur der Sache her nicht als geboten erschien, die Haftung des Staates bei Ausübung öffentlicher Gewalt anders als die Haftung im Privatrechtsbereich zu regeln. Dies verdeutlichen auch die Motive zu § 46: „Gemäß der gegenwärtigen Vorschrift soll die Körperschaft verantwortlich sein auch für unerlaubte Handlungen, welche der Vorstand bz. ein Mitglied desselben in Ausübung seiner Vertretungsmacht begeht. Die Vorschrift beruht auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. So zweifellos die Körperschaft an sich als willenloses Wesen nicht fähig sein kann, eine unerlaubte Handlung zu begehen, so zeigt doch die neuere Rechtsentwicklung die entschiedene Neigung, eine privatrechtliche Haftung der Körperschaft für die unerlaubten Handlungen ihrer Vertreter eintreten zu lassen. Die Neigung begründet sich auf einem schwer von der Hand zu weisenden Verkehrsbedürfnisse. [...] Zur Begründung dieser Haftbarmachung hat man mit Recht darauf verwiesen, daß, wenn die Körperschaft durch die Vertretung die Möglichkeit gewinne, im Rechtsverkehre handelnd aufzutreten, ihr auch angesonnen werden müsse, die Nachtheile zu tragen, welche die künstlich gewährte Vertretung mit sich bringe, ohne daß sie in der Lage sei, Dritte auf den häufig unergiebigen Weg der Belangung des Vertreters zu verweisen. Ist dieser Gesichtspunkt richtig, so muß er allgemein zur Geltung gelangen; die Körperschaft ist für alle widerrechtlichen, zum Schadensersatz verpflichtenden Handlungen des Vertreters

59

Motive, S. 185, zit. nach Mugdan I, S. 39 f.

Β. Rechtsentwicklung von 1900 bis 1918

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verantwortlich zu machen, sofern nur dieselben in Ausübung der Vertretungsmacht begangen sind. Die Vorschrift hat [...] für private wie öffentlichrechtliche Körperschaften Geltung. Es liegt kein Grund vor, die Vertreter des Staates und der Gemeinden, soweit sie in Ausübung privatrechtlicher Vertretungsmacht handeln, anderen Grundsätzen zu unterstellen, als die Vertreter sonstiger Körperschaften. Die öffentlichrechtliche Frage, ob und inwieweit der Staat bz. eine Gemeinde denjenigen Schaden zu ersetzen habe, welchen ein Beamter bei Ausübung einer ihm anvertrauten öff. Gewalt Dritten zufügt, bleibt unberührt und beantwortet sich nach den Landesgesetzen."60 b) Das Grundkonzept des Ersten Entwurfs bezüglich der Haftung juristischer Personen allgemein und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im besonderen wurde auch in den folgenden Beratungen zum BGB beibehalten. Es wurde nicht um die Frage der Haftung des Fiskus im Privatrechtsbereich nach § 46 des Ersten Entwurfs bzw. § 31 i. V. m § 89 Abs. 1 BGB gestritten 61 , sondern allein diskutiert, ob nicht eine generelle Staatshaftungsvorschrift in das BGB aufgenommen werden solle. Diese Frage wurde schließlich nach mehreren Versuchen, eine umfassende Staatshaftung zu statuieren, endgültig durch Art. 77 EGBGB als zu eng mit dem öffentlichen Recht verwoben an die Landesgesetzgeber verwiesen 62. Maßgeblich hierfür waren ausschließlich die eher technischen Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Reiches - nicht grundsätzliche Erwägungen über eine wesensmäßige Verschiedenheit der Haftung des Staates für fiskalisches und hoheitliches Unrecht. Dementsprechend wurde von der Rechtslehre § 31 BGB später als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips verstanden, von dem der Vorbehalt nach Art. 77 EGBGB nur eine (wichtige) Ausnahme mache. So schrieb Dernburg über das Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander: „Hiernach ist [...] von praktischer Bedeutung die Frage, wann der Staat oder eine öffentlichrechtliche Korporation als Träger von Hoheitsrechten, und wann er als Subjekt privater Rechtsbeziehungen handelt. Bei der Beantwortung ist davon auszugehen, daß gemäß §§31 und 89 des B.G.B, die Haftung des Staates und der öffentlichrechtlichen Korporationen die Regel, gemäß Art. 77 des Einf. Ges. die Entlastung desselben wegen der in Ausübung öffentlicher Gewalt vorgenommenen Schädigungen eine dem Landesrecht vorbehaltene Ausnahme ist. Derartige Ausnahmen können nur Platz greifen, wenn ihre Voraussetzungen zweifellos vorhanden sind. In dieser Hinsicht gilt die sonst außer Kurs gesetzte gemeinrechtliche Regel: ,in dubio contra fiscum" 60

Motive, S. 102 f., zit. nach Mugdan I, S. 409. Siehe Protokolle, S. 1212 (Mugdan I, S. 671). Dies lag schon deshalb nahe, weil bereits schon früher das RG eine Haftung des Fiskus für fiskalisches Handeln für geboten gehalten hatte: RGZ 8, S. 236 f.; RGZ 19, S. 348 ff.; RGZ 39, S. 183 ff. 62 Vgl. die umfassenden Nachweise bei BVerfGE 61, S. 149 ff. (S. 179 ff.). 63 Dernburg, Die allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts des Deutschen Reichs und Preußens (3. Aufl. 1906), § 70, S. 207. 61

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Da somit der von Mayer herausgearbeitete besondere Rechtsgrund der Staatshaftung zunächst nicht rezipiert wurde, bestand nach Inkrafttreten des BGB kein Anlaß, gerade die Frage der Haftung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Sonderproblem der Verbandshaftung zu betrachten. IL Weitere Entwicklung des positiven Rechts und der Rechtsprechung a) Die Bundesstaaten machten nur teilweise von der Möglichkeit des Art. 77 EGBGB in ihren Ausfuhrungsgesetzen zum BGB oder in Spezialnormen Gebrauch - und dies auch in sehr unterschiedlicher Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten64. In einigen Gebieten galten die Normkomplexe des 19. Jahrhunderts fort, die schon vor Inkrafttreten des BGB eine Staatshaftung angeordnet hatten. So wurde im Königreich Sachsen weiterhin eine öffentlichrechtliche Staatshaftung aus Gewohnheitsrecht hergeleitet65. Für die Preußischen Rheinprovinzen ordnete Art. 89 Ziff. 2 des preußischen Ausführungsgesetzes zum BGB 66 die Weitergeltung des Art. 1384 Abs. 3 Code Civil an, soweit hiernach der Staat als „commettant" für seine Beamten einstehen mußte67. Das RG beurteilte dies gleichsam als gesetzliche Umdeutung einer ehemals privatrechtlichen Vorschrift in eine nunmehr öffentlich-rechtliche Staatshaftungsvorschrift 68. In den Rheinprovinzen galt also - wie schon immer im Königreich Sachsen - nunmehr eine originäre öffentlich-rechtliche, von der persönlichen Beamtenhaftung gelöste Staatshaftung. b) Dies war anders in den Bundesstaaten, die in Ausführung des Art. 77 EGBGB neue Vorschriften erließen. Wie es der Wortlaut des Art. 77 EGBGB nahelegte, knüpften diese Bestimmungen eng an die persönliche Haftung des Beamten an. Es wurde eine Zurechnungsnorm für fremdes Unrecht geschaffen, keine mit § 31 und § 89 Abs. 1 BGB vergleichbare Haftung des Staates für „eigenes Unrecht" begründet. Damit entsprach die Haftungskonstruktion eher der „Mandatstheorie" als der „Organtheorie". Hiermit wurde endgültig die Haftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts für hoheitliches Unrecht von der Haftung juristischer Personen im Privatrechtsverkehr abgekop64

Siehe zu den alten Staatshaftungsvorschriften: Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 4, S. 47 ff; Kröner, Die Beamten-Haftpflicht im Reich und in den Bundesstaaten (1911), S. 24 ff Keine allgemeine Staatshaftungsvorschrift gab es bis 1919 in Bremen, Hamburg, Lippe, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen, Schaumburg-Lippe und Schwarzburg-Rudolf Stadt. 65 RGZ 55, S. 365 ff 66 Vom 20. September 1899 (GS S. 177). 67 Siehe hierzu Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 80 ff. 68 RGZ 54, S. 19ff. (S. 21 f.).

Β. Rechtsentwicklung von 1900 bis 1918

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pelt und ein Bezug zum Beamtenrecht hergestellt, der sich später immer mehr verselbständigte, so daß die Frage der Staatshaftung zeitweise als rein beamtenrechtliches Problem verstanden wurde69. Der rechtspolitische Grund für diese Abkopplung war, daß aus fiskalischen Gründen die in § 839 BGB normierten Beamtenprivilegien auch dem Staat zugute kommen sollten. So wurde teilweise eine bloß subsidiäre Haftung des Staates angeordnet, die eintrat, wenn die Vollstreckung in das Vermögen des nach § 839 BGB haftpflichtig gewordenen Beamten erfolglos blieb70. In anderen Bundesstaaten richtete sich die Staatshaftung jedoch schon nach dem auch heute noch geltenden umgekehrten Modell der mittelbaren Staatshaftung, nach dem der Staat gegenüber dem Geschädigten die Haftung des Beamten übernimmt, ihm jedoch der Regreß gegen den Beamten möglich bleibt71. Im Wege einer gesetzlich angeordneten befreienden Schuldübernahme wird in diesem Modell letztlich nur die Passivlegitimation des Anspruchs aus § 839 BGB verschoben72. Durch das Gesetz über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt vom 1. August 190973 wurde die Staatshaftung nach diesem Modell in allen Provinzen Preußens eingeführt. Das Reich führte diese Form der Staatshaftung durch das Gesetz über die Haftung des Reichs für seine Beamten vom 22. Mai 191074 ein, wobei es die Haftung fiir alle Reichsbeamten i. S. d. § 1 des Reichsbeamtengesetzes und alle Personen des Soldatenstandes übernahm75. Zuvor hatte sich eine Haftung des Reiches nur nach Maßgabe der unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen ergeben76. Zur Begründung der gewählten Haftungskonstruktion - eine originäre Staatshaftung stand wohl aus den genannten fiskalischen Gründen nicht zur Debatte - wurde in der Gesetzesbegründung zum Reichsbeamtenhaftungsgesetz ausgeführt: „Der Entwurf sieht ferner eine unmittelbare, nicht eine bloß subsidiäre Haftung des Reichs vor; dem geschädigten Dritten soll ein Ersatzanspruch nur gegenüber dem 69

Vgl. Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunföhigkeit, S. 95 f. So ζ. B. in Elsaß-Lothringen, Hessen, Reuß ältere Linie, Sachsen-Weimar und Schwarzburg-Sondershausen. 71 So in Anhalt, Bayern, Baden, Braunschweig, Lübeck, Oldenburg, Reuß jüngere Linie, Sachsen-Coburg-Gotha, Waldeck und Württemberg. 72 Bender, Staatshaftungsrecht 2, Rn. 389; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 5, S. 10 f. 73 GS S. 691. Erweitert auch auf Lehrer durch das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes vom 1. August 1909 vom 14. Mai 1914 (GS S. 117). 74 RGBl S. 798. 75 Das Reich haftete nur nicht für die Soldaten des königlich bayerischen Kontingents. 76 Delius, Beamtenhaflpflichtgesetze, S. 31 ; Kroner, Beamten-Haftpflicht, S. 3. 70

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Reiche zustehen, wogegen diesem der Rückgriff gegen den schuldigen Beamten gewährt wird. Diese Regelung [...] empfiehlt sich schon aus dem Gesichtspunkt der Beschleunigung und Vereinfachung. Sie liegt sowohl im Interesse des Geschädigten als in demjenigen des Beamten. Dem ersteren steht gegen den Reichsfiskus ein stets zahlungskräftiger Schuldner gegenüber und es bleibt ihm erspart, einen in vielen Fällen nicht zur Befriedigung führenden Rechtsstreit gegen den Beamten zu unternehmen sowie den Nachweis, daß die Zwangsvollstreckung in das Vermögen desselben erfolglos sein würde, zu erbringen. [...] Anderseits bleibt der Beamte, wenn der Geschädigte ausschließlich an den Reichsfiskus verwiesen wird, vor der Verfolgung mit grundlosen Klagen bewahrt. Die Klagen gegen das Reich werden vielleicht bei unmittelbarer Haftung etwas zahlreicher sein, als wenn der Geschädigte sich zunächst an den Beamten zu halten hätte; dafür gewinnen aber die Reichsbehörden den Vorteil, den Betrieb der Streitsache von Anfang an in der Hand zu halten." 77 Wenn hier gesagt wurde, daß die Staatshaftung auch dem Schutz des Beamten dienen solle, so bezog sich dies ausschließlich auf die Frage, ob eine subsidiäre oder eine ausschließliche Haftung des Staates angeordnet werden sollte. Das Reichsbeamtenhaftungsgesetz sollte - ebensowenig wie die Staatshaftungsgesetze der Länder - eine Schutzvorschrift zugunsten des Beamten darstellen 78. Das RG sah dies in einer Entscheidung vom 27. Mai 1919 nicht anders: „Im besonderen trifft auch nicht zu, daß das Staatshaftungsgesetz im Interesse der Beamten ergangen sei. Sein Grund und sein Zweck war vielmehr die Rücksicht auf den Geschädigten: der Staat selbst sollte bei Amtspflichtverletzungen in Ausübung staatlicher Hoheitsrechte für seine Beamten haften, und es sollte dem Geschädigten ein stets zahlungsfähiger Schuldner gegenübergestellt werden."79 Diese Schutzrichtung des Reichsbeamtenhaftungsgesetzes wurde auch ausdrücklich in der Einzelbegründung zur Rückgriffsvorschrift des § 2 hervorgehoben: „Dadurch, daß bezüglich der Ersatzpflicht gegenüber dem geschädigten Dritten das Reich an die Stelle des Beamten tritt, soll die Verantwortlichkeit des Beamten für Verletzungen seiner Amtspflicht weder beseitigt noch ihrem Umfange nach eingeschränkt werden. Der Rückgriff [...] ist daher in allen Fällen zulässig, in denen das Reich aufgrund des § 1 haftpflichtig wird. [...] Wollte man das Rückgriffsrecht des Reichs allgemein auf die Fälle beschränken, in denen der Beamte seine Amtspflicht vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit verletzt hat, so würde damit der Grundsatz des geltenden Reichsrechts, daß jeder Beamte für die Verletzung der ihm gegenüber Dritten obliegenden Amtspflichten unbedingt einzustehen hat, aufgegeben

77 78

S. 321. 79

Verhandlungen des Reichstags, Bd. 255, Aktenstück Nr. 1343, S. 8230. So deutlich: Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 26; Forsthoff, VerwR I, § 17, RGZ 96, S. 143 ff. (S. 148).

. Rechtsentwicklung von 1

bis 19

werden. Daß dies nicht ohne ungünstigen Einfluß auf das Verantwortlichkeitsgefühl der Beamten bleiben könnte, bedarf keiner Begründung."80

c) Eine mit § 2 des Reichsbeamtenhaftungsgesetzes vergleichbare Regreßvorschrift kannten alle Länder, die in Ausführung des Art. 77 EGBGB eine Staatshaftung anordneten, wobei der Regreß grundsätzlich auch bei leichter Fahrlässigkeit möglich war. Diese Vorschriften begründeten vielfach erstmalig besondere beamtenrechtliche Innenhaftungsansprüche, die aber nur den Sonderfall der mittelbaren Schädigung des Dienstherrn durch eine diesen zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung erfaßten. Art. 80 Abs. 1 EGBG verwies die Frage der Innenhaftung des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn aber auch im übrigen an den Landesgesetzgeber81. Soweit das Beamtenrecht durch die Länder nicht neu geregelt wurde, galt daher diesbezüglich nicht das BGB. Vielmehr wurden die alten partikularrechtlichen zivilrechtlichen Haftungsnormen - wie ζ. B. die §§ 88 ff. ALR II 10 - insoweit als weitergeltend angesehen, als sie die Haftung des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn betrafen 82. Fehlte es überhaupt an einer beamtenrechtlichen Regelung - wie in den Preußischen Rheinprovinzen 83 - , neigte das RG indes dazu, die Vorschriften des BGB über den privatrechtlichen Dienstvertrag analog heranzuziehen84. Für die Reichsbeamten wurde keine einheitliche Regelung geschaffen 85. Das Reichsbeamtengesetz86 verwies vielmehr in § 19 auf die partikularrechtlichen Vorschriften, die am Wohnort des Beamten galten. d) Da das Gesetz nunmehr zwischen Außenhaftung des Beamten gegenüber dem Publikum und seiner Innenhaftung gegenüber seinem Dienstherrn unterschied, war es notwendig zu klären, nach welchen Normen sich die Haftung richtete, wenn nicht der Dienstherr selbst, sondern ein anderer Hoheitsträger 80

Verhandlungen des Reichstags, Bd. 255, Aktenstück Nr. 1343, S. 8231 f. Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 129 f.; Hanke, Die Haftung der nichtrichterlichen Reichsbeamten gegenüber dem Reiche wegen Verletzung ihrer Amtspflicht (1913), S. 1. 82 Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 3, S. 130; Hanke, Die Haftung der nichtrichterlichen Reichsbeamten, S. 13 ff. 83 Ab 1919 wandte das RG jedoch die §§ 88 ff. ALR Π 10 auch in den Preußischen Rheinprovinzen an. Siehe hierzu 3. Kap A I a (S. 125 Fußn. 9). 84 RGZ 63, S. 430 ff; siehe auch Delius, Beamtenhaftpflichtgesetze, S. 129 f. Für die Anwendung der deliktsrechtlichen Vorschriften: Hanke, Die Haftung der nichtrichterlichen Reichsbeamten, S. 26 ff.; Hösch, Die Schadenshaftung der Beamten gegenüber dem Staate, S. 13 f. 85 Brand, Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten (3. Aufl. 1929), § 13 RBG Anm. 5; Hanke, Die Haftung der nichtrichterlichen Reichsbeamten, S. 2 f., S. 11 f. 86 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 (RGBl S. 61). 81

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

geschädigt wurde. Dieser Frage kam jedoch eine nur geringe praktische Bedeutung zu, soweit und solange die besonderen staatshaftungsrechtlichen Normen des Reichs und der Bundesstaaten nicht eingriffen: In beiden Fällen wäre nur eine persönliche Haftung des Beamten in Betracht gekommen. Wohl deshalb wurde die neue Unterscheidung zwischen Außen- und Innenhaftung des Beamten zunächst von Teilen der staatsrechtlichen Literatur übersehen 87. Mit der dennoch gebotenen Abgrenzung zwischen Außen- und Innenhaftung des Beamten bei der Schädigung eines Hoheitsträgers hatte sich das RG zum ersten Mal in dem Urteil „Verwandtenbegünstigung" 88 vom 7. Mai 1909 auseinanderzusetzen. Es ging um Versäumnisse eines Bürgermeisters in den preußischen Rheinprovinzen, die zu Steuerausfallen beim Staat Preußen führten. Beklagter war der Bürgermeister persönlich. Das preußische Beamtenhaftungsgesetz war noch nicht in Kraft. Fraglich war also allein, ob der Beklagte nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB oder nach den analog heranzuziehenden Vorschriften über den privatrechtlichen Dienstvertrag persönlich haftete. Das RG entschied sich für die Geltung des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB: „Es ist rechtlich zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Haftbarkeit des Beklagten für den Schaden, der durch ihm seit 1900 zur Last fallenden schuldhaften Unterlassungen dem Kläger verursacht ist, mit der Erwägung verneint, daß der Kläger nicht als Dritter im Sinne des § 839 BGB anzusehen sei. Ein Dienstverhältnis zwischen dem Beklagten als Gemeindebeamten und dem Kläger bestand nicht. Allerdings waren dem Beklagten durch §§21, 23 EStG, die hierin vorgesehenen Funktionen im Interesse des Fiskus als Amtspflichten auferlegt. Daraus folgt aber nicht, daß er insoweit als Staatsbeamter anzusehen war; vielmehr waren diese Obliegenheiten an seine Eigenschaft als Gemeindevorstand geknüpft, wie dies auch beispielsweise bei der Verwaltung der Ortspolizei nach Maßgabe des Gesetzes vom 11. März 1850 vorkommen kann. Daher ist eine Haftung des Beklagten aus einem Dienstverhältnis dem Kläger gegenüber ausgeschlossen. Die Verletzung seiner Pflichten zum Nachteile des Fiskus begründete jedoch eine Schadenersatzpflicht des Beklagten nach § 839 Abs. 1 BGB. Dieser bestimmt eine solche Haftung, wenn es sich um die Verletzung einer Amtspflicht handelt, die nach dem Inhalte der maßgebenden Dienstvorschriften dem Beamten nicht nur gegenüber dem Gemeinwesen, in dessen Dienst er steht, sondern auch gegenüber dem geschädigten Dritten obliegt. Mag unter Dritten vorzugsweise an Privatpersonen gedacht sein, so schließt doch weder der allgemeine Wortlaut noch der Grund und Zweck der Vorschrift ihre Anwendbarkeit auf den Fiskus bei der Eigenart des Falles aus. Dritter im Sinne des 87

Einige Autoren gingen davon aus, daß § 839 BGB sowohl eine Haftung des Beamten gegenüber Privaten als auch dem Diensthemi gegenüber begründen würde: Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches (1901), §59, S. 647; Brand, Das Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 (1. Aufl. 1902), Anm. 4; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht mit Einschluß der allgemeinen Staatslehre (1902), § 105 Π 1, S. 541; Meyer/Anschiitz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes ((6. Aufl. 1905), §149, S. 524. Anders jedoch Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches - Erster Band (5. Aufl. 1911), §48 Π, S. 475 f. 88 RG, Das Recht 1909, Nr. 1886. (Beispiel Nr. 30 - siehe S. 94).

Β. Rechtsentwicklung von 1900 bis 1918

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§ 839 Abs. 1 BGB sind alle diejenigen, deren Interessen nach der besonderen eigenen Natur der dem Beamten obliegenden Amtspflicht durch deren Nichterfüllung berührt werden." 89

Das RG ließ hier anscheinend das bloße Vermögensinteresse des preußischen Staates ausreichen, um die Drittbezogenheit der Amtspflicht des Bürgermeisters zu bejahen. Da ohnehin nur eine persönliche Haftung des Beamten in Betracht kam, bestand für das RG auch keine Veranlassung, seine Entscheidung näher zu begründen. Anders wäre es gewesen, wenn nicht der Beamte selbst, sondern die Gemeinde nach § 89 Ziff. 2 des preußischen AGBGB i. V. m. Art. 1384 Abs. 3 Code Civil vom preußischen Staat in Anspruch genommen worden wäre: In diesem Fall hätte sich deutlich die Frage gestellt, ob eine Haftung der Gemeinde nach Art. 1384 Abs. 3 Code Civil mit den staatsorganisationsrechtlichen und finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben des Kommunalrechts vereinbar und eine solche Streitigkeit überhaupt durch die ordentliche Gerichtsbarkeit zu entscheiden gewesen wäre. Es wären also Fragen aufgeworfen worden, die es nach Otto Mayer rechtfertigten, die Beziehungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts als besondere öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen anzusehen, die grundsätzlich nicht den Rechtsvorschriften folgten, die zwischen dem Staat und seinen Bürgern galten90. Diese Probleme mußte das RG in der Entscheidung von 1909 jedoch nicht berücksichtigen: Das Modell der originären Staatshaftung erlaubte ohne weiteres, zwischen der Frage der persönlichen Beamtenhaftung und der Frage der Haftung des Staates zu unterscheiden. Dies wurde anders, nachdem das preußische und das Reichsbeamtenhaftungsgesetz das Modell der mittelbaren Staatshaftung eingeführt hatten. Das Zusammenspiel von Anspruchs- und Haftungsüberleitungsnorm machte es schwierig, zwischen persönlicher Beamtenhaftung und Staatshaftung zu differenzieren. Mit der Entscheidung, daß nach § 839 BGB der Beamte persönlich haftet, schien auch die Entscheidung getroffen zu sein, daß die Anstellungskörperschaft diese Haftung übernimmt. Man stellte nie die Frage, ob es vielleicht im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern bei der persönlichen Beamtenhaftung nach § 839 BGB bleibt, eine Verschiebung der Passivlegitimation also nicht stattfindet. Vielmehr wurde teilweise unter Berufung auf das Urteil „Verwandtenbegünstigung" die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 839 BGB auch zugunsten anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht mehr problematisiert - und hieraus auch auf die Anwendbarkeit der Haftungsüberleitungsvorschriften zugunsten von Hoheitsträgern geschlossen. Dies war allerdings nicht der einzige Weg, den die Rechtsprechung einschlug, um nach zivilrechtlichen Grundsätzen eine Haftung zwischen Hoheitsträgern anzuordnen. 89 90

RG, Das Recht 1909, Nr. 1886. Siehe hierzu: 3. Kap. Α Π 2 c (S. 135).

10 Stelkcns

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

e) In diesem Zusammenhang ist vielmehr auch das Urteil „Stempelaufbewahrung"91 vom 24. Januar 1907 zu nennen, in dem es um die Haftung einer Berufsgenossenschaft gegenüber der Reichspost für die nachlässige Aufbewahrung ihrer Stempel und Formulare ging, was die Fälschung von Anweisungen der Berufsgenossenschaften und damit Betrügereien zu Lasten der Post ermöglichte. Das RG ging hier nicht auf Amtshaftungsansprüche ein, die nur eine persönliche Haftung des Amtswalters hätten begründen können - der Betrug hatte 1902 stattgefunden. Es leitete vielmehr eine Schadensersatzverpflichtung der Berufsgenossenschaft aus einer analogen Anwendung der § 276, 31, 89, 278 BGB her. Es ging davon aus, „daß auch öffentlich-rechtliche Verhältnisse Rechte und Verbindlichkeiten erzeugen, die unter analoger Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen sind, und deren Verletzung zum Ersätze des dadurch dem anderen Teile zugefügten Schadens nach eben diesen Vorschriften verpflichtet. Zu dieser Auffassung wird man schon durch die Erwägung gedrängt, daß, wenn die analoge Anwendung des bürgerlichen Rechts ausgeschlossen wäre, dann der Rechtsweg überhaupt unzulässig sein müßte. Der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch die Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht entsteht, ist aber regelmäßig im ordentlichen Rechtswege zu verfolgen und nach den Vorscliriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Soweit sich aus dem Gesetze nichts anderes ergibt, sind auf das Rechtsverhältnis der Parteien die Vorscliriften des Bürgerlichen Gesetzbuches analog anzuwenden; nach ihnen ist das Maß der Sorgfalt zu beurteilen, das die Parteien in ihren Beziehungen zueinander, insbesondere im Geldanweisungsverkehr, zu betätigen haben. Besteht eine Pflicht des Beklagten dem Kläger gegenüber, für eine Aufbewahrung der Formulare, Siegel, Stempel etc. in der Weise zu sorgen, daß damit kein Mißbrauch getrieben werden kann, der zu einer Schädigung des Klägers führen würde, so muß daher auch ihre Verletzung die Beklagte zum Ersätze des dadurch dem Kläger entstandenen Schadens nach Maßgabe der analog anzuwendenden Vorschriften des §§ 276, 31, 89, 278 B.G.B, verpflichten." 92

Dieses Urteil war in verschiedener Hinsicht angreifbar. Zunächst bestand die Gefahr, den Ausschluß der Staatshaftung durch Art. 77 EGBGB zu umgehen, in dem man bei Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten ohne weiteres § 276, § 31, § 89 und § 278 BGB analog heranzog. Im übrigen lag dem Urteil ersichtlich die Vorstellung zugrunde, daß auch das zwischen Hoheitsträgern geltende Vermögensrecht dem Privatrecht zuzuordnen sei - eine Vorstellung, die durch die Verwaltungsrechtswissenschaft bereits überwunden war. Das Urteil ist aber für die spätere Rechtsentwicklung kennzeichnend: Wenn eine Haftung des schädigenden Hoheitsträgers nach Amtshaftungsgrundsätzen nicht in Betracht kam, wurde öfter versucht, dieses Ergebnis durch die Heranziehung der Grundsätze über die Schadensersatzhaflung bei Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse zu umgehen. Begründet wurde dies 91 92

RGZ 65, S. 113 ff. (Beispiel Nr. 65 - siehe S. 115). RGZ 65, S. 113 ff. (S. 116 f.).

C. Rechtsentwicklung von 1918 bis 1933

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wie hier regelmäßig allein mit der Erwägung, daß andernfalls der geschädigte Hoheitsträger gegenüber dem schädigenden Hoheitsträger schutzlos sei.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen in der Weimarer Republik Zur Zeit der Weimarer Republik hatte sich das RG häufiger mit der Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu befassen. Obwohl dies aufgrund der Entstehungsgeschichte des Art. 131 WRV nicht unbedingt nahe lag, problematisierte es dies jedoch nicht weiter. Es hielt bei echten Haftungsfällen eine Haftung des schädigenden Hoheitsträgers immer dann fur möglich, wenn die verletzte Amtspflicht auch Vermögensinteressen des geschädigten Hoheitsträgers berührte (I). Rechtsprechung zu unechten Haftungsfällen fehlt allerdings obwohl aufgabenbezogenen Finanzzuweisungen im Verhältnis zwischen Reich und Ländern zunehmende Bedeutung zukam (II). I. Weitere Entwicklung der Rechtsprechung zu echten Haftungsfällen a) Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 ordnete in Art. 131 an: ( 1 ) Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. (2) Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.

Diese Vorschrift befand sich im zweiten Hauptteil der Verfassung „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" im Zweiten Abschnitt „Das Gemeinschaftsleben", direkt in Anschluß an die Regelungen über die Rechte der Beamten. Ein entsprechender Artikel war nicht in dem Verfassungsentwurf des 8. Ausschusses (Verfassungsausschusses) der Nationalversammlung enthalten93, den die Nationalversammlung ihrer Zweiten Lesung über die Reichsverfassung zugrundelegte94. Daß Art. 131 WRV in die Reichsverfassung aufgenommen wurde, ging vielmehr auf einen gemeinsamen Antrag der Abg. Burlage (Zentrum), Gröber (Zentrum) und Katzenstein (SPD) vom 17. 93

Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, Aktenstück Nr. 391, S. 2 ff. 94 Zu den Entwürfen der Reichsverfassung: Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, in: Isensee/P. Kirchhof,\ HdbStR I, § 3 Rn. 15. 10*

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Juli 1919 zurück 95. Die Nationalversammlung nahm diesen Antrag in ihrer 59. Sitzung vom selben Tage an96. Der Antrag wurde im Zusammenhang mit den Grundrechten der Beamten behandelt. Einige Redner verstanden die Staatshaftungsvorschrift auch als rein beamtenrechtliche Vorschrift, obwohl hierfür nach der bisherigen Entwicklung des Staatshaftungsrechts kein Anlaß bestand97. Von den übrigen Rednern, vor allem von denjenigen, die den Antrag unterstützten, wurde die Frage der Staatshaftung jedoch nicht als - technische - beamtenrechtliche Frage, sondern als Problem rechtsstaatlicher Gewährleistungen gesehen98. Sie standen damit in derselben Linie wie Otto Mayer. Dadurch wurde auch deutlich, daß es nicht um ein Problem des privatrechtlichen Vermögensrechts ging. Differenzen bezüglich des Antrags gab es insgesamt nur insoweit, als die Aufnahme der Vorschrift in die Grundrechte als (rechtsstaatlich) nicht geboten und die Bestimmung als zu unklar bzw. als nicht weit genug gehend empfunden wurde. Über die Schutzrichtung bestand demgegenüber Einigkeit: Alle Redner gingen davon aus, daß die Staatshaftungsvorschrift nicht dem Schutz des Beamten, sondern dem des Geschädigten dienen solle. Die Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern wurde nicht angeschnitten. b) In der Rechtslehre wurde wegen des Hinweises auf die „zuständige Gesetzgebung" Art. 131 WRV zunächst als bloßes Programm angesehen; ihm wurde die aktuelle Geltung und damit auch die derogatorische Kraft gegenüber den einschlägigen älteren Rechtsnormen abgesprochen99. Das RG trat dem entgegen und behandelte Art. 131 WRV als unmittelbar geltendes Recht. Es begründete dies durch Urteil vom 29. April 1921 wie folgt: „Wäre dagegen Art. 131 Abs. 1 nur eine Richtlinie für eine spätere Landesgesetzgebung, so bliebe zweifelhaft, ob das Reich [...] überhaupt die rechtliche Möglich95

Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 337, Aktenstück Nr. 590, S. 353. Dieser Antrag ging seinerseits auf einen Antrag von SPD-Abgeordneten vom 30. Juli 1919 (Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 337, Aktenstück Nr. 419 Nr. 8, S. 276.) und einen Antrag der Abg. Burlage und Gröber vom 10. Juli 1919 (Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 337, Aktenstück Nr. 541, S. 329) zurück. 96 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, S. 1642 (D). 97 So ζ. B. vom Vertreter des Reichsministeriums Dr. Preuß: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, S. 1632 (B). 98 In diese Richtung gehen vor allem die Ausführungen der Abg. Cohn und Burlage: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, S. 1635 (C) ff. und S. 1637 (D) ff. 99 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (14. Aufl. 1933, zit. im folgenden: WRV), Art. 131 Anm. 1; BK-Dagtoglou, Art. 34 Rn. 22.

C. Rechtsentwicklung von 1918 bis 1933

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keit hat, eine solche Landesgesetzgebung in Gang und zur Vollendung zu bringen. Es bliebe also etwa dem einzelnen Lande überlassen, ob und wann es die Richtlinien der Staatsverantwortlichkeit für sein Gebiet verwirklichen wollte. Um dem vorzubeugen, schafft und verwirklicht die Reichsverfassung selbst die Staatsverantwortlichkeit als ein sofortiges Grundrecht aller Deutschen für das ganze Reichsgebiet."100

Gerade aus dem Umstand, daß Art. 131 WRV ein Grundrecht aller Deutschen war, wurde also auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschrift geschlossen. Hieraus läßt sich entnehmen, daß das RG - wie die Mitglieder der Nationalversammlung - Art. 131 WRV als ein Grundrecht zum Schutz des durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt Geschädigten ansah. Dem stand eine weit verbreitete Auffassung in der Staatsrechtsliteratur gegenüber, welche die Vorschrift für ein den schädigenden Beamten schützendes Grundrecht hielt. So wurde Art. 131 WRV regelmäßig unter dem Oberbegriff „Rechte und Pflichten der Beamten" im Zusammenhang mit den Art. 128 ff. WRV gesehen101. Hatschek bezeichnete Art. 131 WRV deutlich als „drittes besonderes Grundrecht der Beamten"102. Diese Ansicht widersprach aber den Intentionen der Nationalversammlung und fand auch im Wortlaut der Vorschrift und ihrem systematischen Zusammenhang keine Stütze. Der Regreß war nach den Staatshaftungsgesetzen des Reichs und der Länder auch bei leichtester Fahrlässigkeit möglich. Eine Begünstigung des Beamten selbst ergab sich aus Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV nur insofern, als er nicht selbst im Verhältnis zu Dritten in einen Prozeß verwickelt werden konnte und einer Urteilsvollstreckung durch Dritte nicht ausgesetzt war 103 . Diese die Beamten in nur geringem Maße begünstigende Reflexwirkung vermochte nicht zu rechtfertigen, Art. 131 WRV ausschließlich als Grundrecht zum Schutz der Beamten anzusehen. Art. 131 WRV stellte demnach ein echtes staatsbürgerliches Grundrecht des Geschädigten dar 104 . So verstanden war Art. 131 WRV 100

RGZ 102, S. 166 ff. (S. 171). So ζ. B. Brand, Rechte und Pflichten der Beamten, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung - Zweiter Band: Art. 128-131 (1930, zit. im folgenden: Grundrechte Π), S. 210 ff.; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (1932), Vorbemerkungen zu Art. 118 - 142, S. 469; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichs Verfassung (3. Aufl. 1928), Vorbemerkung zu Art. 119 - 134. 102 Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht - Erster Band (1922), S. 191. 103 Daniels, Pflichten und Rechte der Beamten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts - Zweiter Band (1932, zit. im folgenden: HdbDtStR Π), § 64, S. 46. 104 So Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht I (1924), § 66 Π 6, S. 475; Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der Deutschen Reichsverfassung im allgemeinen, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung - Erster Band (1929, zit. im folgenden: Grundrechte I), S. 27. 101

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

(natürlich) kein „klassisches" Freiheitsrecht im Sinne eines Abwehrrechts, sondern ein Leistungsgrundrecht, das als notwendiger Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit angesehen wurde 105. In diesem Zusammenhang wurde auch betont, daß sich der Verfassungsgeber nicht dazu durchgerungen hatte, eine Rechtsweggarantie, eine Garantie des primären Rechtsschutzes in die Verfassung mit aufzunehmen 106. Art. 131 WRV wurde daher in gewisser Weise auch als Verfahrensgrundrecht angesehen107. c) Da die mittelbare Staatshaftung ein Grundrecht des Geschädigten darstellte, liegt es aus heutiger Sicht nahe zu fragen, ob sich auf dieses Grundrecht auch juristische Personen des öffentlichen Rechts berufen konnten. Die Weimarer Reichsverfassung enthielt keine dem Art. 19 Abs. 3 GG entsprechende Norm. Jedoch gab es einige Grundrechte, die schon ihrem Wortlaut nach juristische Personen begünstigten (Art. 124 Abs. 2 Satz 1, Art. 127, Art. 137 Abs. 2 bis 5, Art. 138 Abs. 2 WRV). Von diesen Grundrechten abgesehen, war in der Staatsrechtsliteratur die Geltung der Grundrechte für juristische Personen überhaupt umstritten 108, ohne daß dies näher problematisiert worden wäre 109. Das RG ist stillschweigend von der Geltung einiger Grundrechte auch zugunsten juristischer Personen ausgegangen, ohne sich explizit einer der in der Literatur vertretenen Theorien anzuschließen. Es scheint ähnlich wie Gebhard verfahren zu sein, der eine Geltung der Grundrechte zugunsten juristischer Personen für möglich hielt, soweit sie nicht ihrem Wesen nach nur für natürliche Personen in Betracht kämen110. So wandte das RG ohne dies weiter zu problematisieren die Eigentumsgarantie des Art. 153 WRV zugunsten juristischer Personen an 111 , wobei - soweit ersichtlich - nie die Frage entschieden wurde, ob sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts hierauf berufen könnten. d) Das Problem der Anwendbarkeit gerade des Art. 131 WRV zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts stellte sich zum ersten Mal in

105 106 107

S. 325.

Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte I, S. 27 f. Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte I, S. 7. So deutlich: W. Jellinek, Verwaltungsrecht (3. Aufl. 1931, Nachdruck 1948),

108 Siehe hierzu: Dietmair, Die juristische Grundrechtsperson des Art. 19 Abs. 3 GG im Licht der geschichtlichen Entwicklung (1988), S. 100 ff; W. W. Schmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen (1966), S. 20 f. 109 Zu den mutmaßlichen Gründen für diese Zurückhaltung: Stem, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland - Band ΠΙ, 1. Halbband ( 1988, zit. im folgenden: StR m/1), §71 Π 5, S. 1092 f. 110 Gebhard, Handkommentar, Vorbemerkung zum Zweiten Hauptteil, Anm. 6, S. 444. 111 RGZ 136, S. 113 ff. (S. 124); RGZ 145, S. 369 ff. (S. 373).

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dem Urteil „Arbeitslosenzusammenrottung" 112 vom 23. Juli 1927. Es ging um die Haftung des Staates für eine rechtswidrige Aufsichtsmaßnahme gegenüber einer Gemeinde. Das RG unterstellte stillschweigend die Geltung des Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV zugunsten der Gemeinde, ohne auf das Urteil „Verwandtenbegünstigung"113 von 1909 Bezug zu nehmen: „Sonach stellt sich das Schreiben [...] als eine Maßnahme der staatlichen Kommunalaufsicht auf dem Gebiet der Erwerbslosenfürsorge dar. Es ist nicht ersichtlich, warum es grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, daß es eine schuldhafte Amtspflichtverletzung [...] den Gemeinden gegenüber enthalte. Die Beaufsichtigung der Selbstverwaltungskörper durch staatliche Behörden soll sicherstellen, daß die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten den Vorschriften der Gesetze gemäß durchgeführt wird und stets im geordneten Gange bleibt [...]. Trotz dieses Zweckes der Kommunalaufsicht haben die mit ihr betrauten Beamten bei ihrer Ausübung auch auf die Belange der Gemeinden die gebührende Rücksicht zu nehmen und sie vor Schädigungen zu bewahren. Sie verletzen, wenn sie es nicht tun, die ihnen den Gemeinden gegenüber obliegende Amtspflicht." 114

Das RG schloß damit - ähnlich wie in dem Urteil „Verwandtenbegünstigung" 115 - von einem gewissen Vermögensinteresse des geschädigten Hoheitsträgers an einer ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung durch einen anderen Hoheitsträger auf eine ihr gegenüber obliegende Amtspflicht, ohne auch nur zu erwägen, die Haftungsüberleitung nach Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV oder den Amtshaftungsanspruch überhaupt gegenüber Hoheitsträgern auszuschließen. Ähnlich verfuhr das RG in dem Urteil „Einzugsstelle I " 1 1 6 vom 10. Februar 1928. Das RG hielt damit anscheinend den Amtshaftungsanspruch immer dann für ein geeignetes Instrument des Haftungsausgleichs zwischen Hoheitsträgern, wenn bei der Wahrnehmung einer Amtspflicht das Vermögensinteresse eines anderen Hoheitsträgers zu berücksichtigen war 117 . Besonders deutlich wurde dies in dem Urteil „Notarhaftung I " 1 1 8 vom 14. Februar 1931, in dem es um ein Fehlverhalten eines Notars gegenüber der Stadt Berlin ging. Zwar war in diesem Fall die Überleitung der Haftung auf den Staat durch § 1 Abs. 3 des preußischen Beamtenhaftungsgesetzes von 1910 ausgeschlossen; die Ausführungen des RG zur Anwendbarkeit des § 839 Abs. 1 1,2

RGZ 118, S. 94 ff. (Beispiel Nr. 41 und Nr. 64 - siehe S. 101, 115). RG, Das Recht 1909, Nr. 1886 - hierzu 3. Kap. Β Π d (S. 144 f.). 1,4 RGZ 118, S. 94 ff. (S. 99). 115 RG, Das Recht 1909, Nr. 1886 - hierzu 3. Kap. Β Π d (S. 144 f.). 116 RGZ 120, S. 162 ff. (Beispiel Nr. 60 - siehe S. 113). 117 RGZ 120, S. 162 ff. (S. 164). Die Rechtsprechung des RG wird ebenso verstanden von: König, Zur Frage der Amtshaftung in der Ausgleichsverwaltung, DÖV 1957, S. 113; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 52; Siefen, DöH 1955, S. 242 f.; ders., Zur Frage der Haftung der Versorgungsbeamten wegen zu Unrecht gewährter Versorgungsleistungen, KOV 1956, S. 19. 118 RGZ 134, S. 311 ff. 113

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BGB zugunsten der Stadt sind aber so allgemein gehalten, daß man davon ausgehen muß, daß dieselben Grundsätze ohne weiteres auch dann angewendet worden wären, wenn Art. 131 WRV einschlägig gewesen wäre: „Unzutreffend ist schon der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß die Verletzung der dem Staatsbeamten im Verhältnis zum Staat obliegenden Dienstpflicht nur disziplinarisch geahndet werden könne. Schädigt durch pflichtwidrige Handlung ein Staatsbeamter den Staat oder ein Kommunalbeamter die öffentlich-rechtliche Körperschaft, der er dient, unmittelbar, so kann freilich § 839 BGB. für seine Haftung nicht in Betracht kommen. Denn in solchem Falle ist der Staat, die Gemeinde oder der Gemeindeverband im Verhältnis zum Beamten nicht Dritter, sondern öffentlichrechtlicher Dienstherr. Da das Dienstverhältnis der Beamten öffentlichrechtlicher Natur ist, läßt sich dessen Schadenersatzpflicht in solchem Fall auch nicht auf andere Vorschriften des bürgerlichen Rechts stützen. Daraus folgt aber keineswegs, daß der Beamte nicht für den Vermögensschaden aufzukommen braucht, den er bei Ausübung seines Amtes dem Reich, dem Staat oder dem sonstigen öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen, dem er dient, zufügt; seine Haftung bestimmt sich vielmehr insoweit nach dem einschlägigen Beamtenrecht [...]. Der preußische unmittelbare und mittelbare Staatsbeamte hat insofern nach der durch Art. 80 Abs. 1 EG. z. BGB. aufrecht erhaltenen Vorschrift des § 89 ALR. Π 10 dem öffentlichen Dienstherrn gegenüber jedes bei seiner Amtsführung begangene Versehen zu vertreten [...]. Im vorliegenden Falle handelt es sich nun nicht darum, daß der Beklagte als Notar durch eine Amtspflichtverletzung den Staat geschädigt hat, dem er untersteht; er hat vielmehr ein Gemeinwesen geschädigt, dem er nicht dienstlich unterstellt war. Daß ein solches Gemeinwesen nicht Dritter sein könne, ist in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung RGZ. Bd. 78 S. 243 nicht gesagt worden. [...] Zu Unrecht folgert das Landgericht aus diesen Ausführungen [der Entscheidung], daß Dritter immer nur das Publikum sein könne. Weder der Wortlaut der Ausführungen noch ihr Zusammenhang rechtfertigt diese Annahme. Dritte im Sinne des § 839 sind nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht nur die bei dem Amtsgeschäft unmittelbar Beteiligten, sondern alle Personen, deren Interessen nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts durch dieses berührt werden und in deren Rechtskreis dadurch eingegriffen wird. Solche Personen können auch der Staat oder sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts sein, wenn und soweit nämlich der Beamte nach den maßgeblichen Gesetzes- und Dienstvorschriften das Vermögensinteresse eines anderen Gemeinwesens zu wahren hat, dem er nicht untersteht."1 9 e) Warum das RG auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts gestattete, sich auch auf Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV zu berufen, wurde nicht begründet und damit auch nicht das Verhältnis zwischen den Amtshaftungsansprüchen und dem Verwaltungsorganisationsrecht geklärt. Diese Rechtsprechung konnte jedoch nur auf der Überlegung beruhen, daß die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Hoheitsträgern im Prinzip genauso zu behandeln wären wie die Vermögensbeziehungen zwischen Privaten und zwischen Staat und Bürger. Es wurde auch nicht zwischen Fiskal- oder Verwal-

119

RGZ 134, S. 311ff. (S. 320 ft).

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tungsträgerschäden oder sonstigen Fallgruppen unterschieden120. Damit blieb das RG in gewisser Weise der von der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft schon längst überwundenen Vorstellung verhaftet, daß alles Vermögensrecht dem Zivilrecht zuzuordnen sei. Diese Rechtsprechung begründete zudem eine rein „schuldrechtliche" Sicht des Haftungsproblems, wie sie bis heute fortwirkt: Schadensersatzpflichten zwischen Hoheitsträgern werden nicht als Problem der Finanzierungszuständigkeit und der Lastenverteilung gesehen, sondern aus privatrechtlichen Regeln und solchen des allgemeinen Staatshaftungsrechts hergeleitet. Die Auswirkungen dieses Verständnisses zeigten sich besonders deutlich im Sozialrecht: Nach §§ 145 ff. AVAVG waren die Krankenkassen verpflichtet, die Beiträge für die Reichsanstalt für Arbeit anzunehmen, den Beitragseingang zu überwachen, Meldungen der Arbeitgeber entgegenzunehmen, zu überprüfen und die Beiträge an die Reichsanstalt abzuführen. Vor allem Kreil vertrat hierzu die Ansicht, daß die Krankenkassen für Fehler bei der Einziehung gegenüber der Reichsanstalt nach § 839 BGB i. V. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV haften müßten. Er berief sich hierbei auf das Urteil „Einzugsstelle I" 1 2 1 und betonte, daß sich die Haftung zwischen Hoheitsträgern ausschließlich nach Zivilrecht richte: „Ist das Verhältnis zwischen den Krankenkassen (Einzugsstellen) und der Reichsanstalt auch ein öffentlich-rechtliches, so kommen für die Frage ihrer Haftung doch ausschließlich nur die Vorschriften des bürgerlichen Rechts in Betracht. Denn nach diesen bestimmt sich die Schadensersatzpflicht auch bei Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht." 122

Neben einer Haftung der Krankenkassen wegen Amtspflichtverletzung hielt Kreil des weiteren Ansprüche aus Verletzung eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses nach § 276 und § 278 BGB für möglich, wobei er auf das Urteil „Stempelaufbewahrung" 123 verwies 124. Diesen Ansatz übernahm ein Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 19. April 1932: Er ordnete aus seiner Sicht klarstellend an, daß die Krankenkassen der Reichsanstalt für Arbeit nach den 120 Vgl. auch RGZ 134, S. 178 ff. (Beispiel Nr. 37- siehe S.98)- „Steuerunterschlagung" ; RGZ 135, S. 110 ff. (Beispiel Nr. 24 - siehe S. 90) - ,Armenrecht", siehe hierzu: 9. Kap. A I 3 a (S. 485); RGZ 137, S. 133 ff. (Beispiel Nr. 2 - siehe S. 27) ,Arbeitsamtseingliederung"; RGZ 138, S. 114 ff. (Beispiel Nr. 25 - siehe S. 90) „Gelöschte Hypothek"; RGZ 156, S. 220 ff. (S. 227 ff.) - „Frei willigenver Sicherung". 121 RGZ 120, S. 162 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151). 122 Kreil, Die rechtliche Stellung der Krankenkassen als Einzugsstellen für die Beiträge der Arbeitslosenversicherung, Die Arbeiter-Versorgung 1931, S. 451. 123 RGZ 65, S. 113 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.). 124 Kreil, Die Arbeiter-Versorgung 1931, S. 451 ff.; ders.. Die Haftung der Krankenkassen als Einzugsstellen gegenüber dem Träger der Arbeitslosenversicherung, Die Deutsche Landkrankenkasse 1932, Sp. 365 ff.

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Vorschriften des BGB, insbesondere nach § 278 BGB, zum Schadensersatz verpflichtet seien, wenn die Entrichtung der Beiträge für die Reichsanstalt aufgrund schuldhaften Verhaltens des Krankenkassenangestellten unterblieben sei; diese Vorschriften wären nach der neueren Rechtsprechung des RG auch auf Schuldverhältnisse öffentlich-rechtlicher Art anzuwenden125. f) Jedenfalls im Bereich der Steuerverwaltung stand der Reichsgesetzgeber jedoch den sich aus der Rechtsprechung des RG ergebenden Konsequenzen ablehnend gegenüber: Durch Kapitel IV Art. 1 Ziff. 8 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930126 wurde ein § 10a in die Reichsabgabenordnung eingefügt, welcher nach der Neubekanntmachung der RAO in neuer Paragraphenfolge vom 22. Mai 1931127 zu § 23 RAO wurde und der bei Auseinanderfallen von steuerverwaltender und steuerertragsberechtigter juristischer Person des öffentlichen Rechts schon die bloße Möglichkeit einer sich aus anderen Vorschriften ergebenden Haftung des steuerverwaltenden Hoheitsträgers gegenüber dem ertragsberechtigen Hoheitsträger für Steuermindereinnahmen ausschließen sollte128. Der ertragsberechtigte Hoheitsträger sollte einen Haftungsanspruch - unabhängig von seiner Grundlage - nur dann geltend machen dürfen, wenn eine Mindereinnahme auf einer strafbewehrten Amts- oder Dienstpflichtverletzung beruhte. Anlaß für diese Haftungseinschränkung soll gewesen sein, daß ein Land dem Reich mit einer Klage bezüglich einer Gewerbesteuerfestsetzung gedroht und sich hierbei auf das Urteil „Verwandtenbegünstigung"129 berufen hatte130. Nach der Rechtsprechung dieses Urteils und des Urteils „Einzugsstelle I" 1 3 1 hätte diese Klage auch wohl Aussicht auf Erfolg gehabt132. Ging man aber hiervon aus, so hätte sich auch die Frage der Vereinbarkeit des Haftungsausschlusses nach § 10a/23 RAO mit dem Grundrecht des Art. 131 WRV stellen müssen, zumal zwar Gesetze, die hinsichtlich einzelner Beamtenkategorien oder zuungunsten von Ausländern die Staats-

125

Az.: IIa 1734/32, Die Deutsche Landkrankenkasse 1932, Sp. 313. RGBl IS. 517. 127 RGBl IS. 161. 128 E. Becker, Die Bedeutung der Notverordnung zur Sicherung der Wirtschaft und Finanzen für die Reichsabgabenordnung - Inkrafttreten der Vorscliriften, die die AO. ändern oder ergänzen, Steuer und Wirtschaft 1931 I, Sp. 63; Kummer, Haftung der Länder, S. 31 ff.; Schulze, DÖV 1972, S. 410. 129 RG, Das Recht 1909, Nr. 1886 - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π d (S. 144 f.). 130 Kosin , Beamtenhäftung bei fehlerhafter Veranlagung, DtStZ (A) 1960, S. 106; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung (16. Aufl. 1996, Stand November 1997), § 32 AO Rn. 1. 131 RGZ 120, S. 162 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151). 132 Α. A. Kummer, Die Haftung der Länder, S. 33. 126

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haftung ausschlossen, für zulässig gehalten wurden 133, in diesen Fällen jedoch nicht auch die persönliche Haftung des Beamten (nahezu vollständig) ausgeschlossen worden war 134 . Die Vereinbarkeit des § 10a/23 RAO mit Art. 131 WRV ist jedoch nie bezweifelt worden. II. Erstattungspraxis in unechten Haftungsfällen a) Zur Zeit der Weimarer Republik bestand keine die Finanzbeziehungen zwischen Reich und Ländern ordnende Verfassungsvorschrift, die auch nur annähernd mit Art. 104a GG vergleichbar gewesen wäre. In der Literatur nahm man deshalb an, daß das Reich zur Finanzierung reichswichtiger Aufgaben und damit zur Einflußnahme auf ihre Durchführung dann zuständig sei, wenn sie entweder von den Ländern oder einzelnen Ländern nicht erfüllt werden könnten oder sie von den Ländern oder einzelnen Ländern nicht erfüllt würden. Es wurde damit eine selbständige Fondszuständigkeit des Reichs anerkannt, die nicht an den Erlaß eines förmlichen Gesetzes gebunden wurde: Die Aufnahme bestimmter Titel in den Haushaltsplan wurde als ausreichend angesehen, eine Einflußnahme der Reichsverwaltung gegenüber den Landesbehörden bezüglich der finanzierten Landesaufgaben durch Richtlinien und Bedingungen gebilligt135. Aufgrund dessen mußte sich aber vermehrt die Frage der Lastenverteilung für Fehlverwendungen im Verhältnis zwischen Reich und Ländern stellen. In der Literatur wurde dieses Problem jedoch nicht behandelt. Auch das RG hatte trotz seiner sehr großzügigen Rechtsprechung zur Staatshaftung zwischen Hoheitsträgern niemals einen Fall zu entscheiden, in dem es um Schadensersatz des Reiches für zweckverfehlende Verwendung von Reichsmitteln durch die Länder oder ähnliche Streitigkeiten zwischen sonstigen Hoheitsträgern ging 136 . Gerade dies läßt aber darauf schließen, daß nach damaliger Auffassung die Kosten fehlerhafter Mittelverwendung auch dann von den Ländern zu tragen waren, wenn die Erfüllung der Aufgabe, bei der die fehlerhafte Mittelverwendung aufgetreten war, grundsätzlich durch Zuweisungen des Reiches finanziert wurde. Zwar ist kein Fall bekannt gewor133

Vgl. Anschütz, WRV, Art. 131 Anni. 14. Eine vergleichbare Vorschrift stellt nur das „Richterprivileg" des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB dar, das sich aber aus der ganz spezifischen Problematik der Haftung für rechtsprechende Tätigkeit erklärt und rechtfertigt. Siehe hierzu: 2. Kap. Α Π d (S. 90). 135 Siehe zum ganzen: Lassar, Gegenwärtiger Stand der Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern, in: Anschütz/Thoma, HdbDtStR I, § 28, S. 316 ff.; MüllerVolbehr, Fonds- und Investitionshilfekompetenz, S. 11 ff. 136 Für den umgekehrten Fall, daß eine mittelbewirtschaftende Stelle Aufwendungsersatz vom Ausgabenträger verlangt, hatte das RG in einem Urteil vom 13. Juli 1931 (RGZ 133, S. 244 ff.) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig gehalten. 134

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

den, in dem das Reich nachträglich von einem Land die Rückerstattung fehlerhaft verwendeter Reichsmittel verlangt hätte. Jedoch hielt sich das Reich anscheinend für berechtigt, bei Geltung des mittelbaren Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens den Ländern die Erstattung fehlerhafter Aufwendungen zu verweigern. Dies zeigt zunächst das bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Urteil „Arbeitslosenzusammenrottung" 137: Eine Gemeinde machte Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Kommunalaufsichtsmaßnahme geltend. Ihr Schaden bestand gerade darin, daß sich u. a. das Reich weigerte, nach der ErwlFürsVO Kosten zu übernehmen, die durch eine Fürsorgemaßnahme verursacht worden waren, von der die Gemeinde aufgrund der fehlerhaften Kommunalaufsichtsmaßnahme zwar annahm, sie sei von der ErwlFürsVO gedeckt, die es aber tatsächlich nicht war. Nach der Erstattungspraxis des Reichs schienen also nur die Kosten materiell rechtmäßiger Maßnahmen erstattungsfähig zu sein. Wäre es anders gewesen, wäre nicht die Gemeinde, sondern das Reich durch die fehlerhafte Kommunalaufsichtsmaßnahme geschädigt worden. Die Annahme, daß zur Zeit der Weimarer Republik die Länder die Schadenslast für eine fehlerhafte Verwendung aufgabenbezogener Finanzzuweisungen des Reichs trugen, wird zudem durch einige Entscheidungen des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich zu Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern auf dem Gebiete des Finanzwesens nahegelegt: Aufgrund von Art. 19 WRV hatte der StGH öfter über die Frage zu entscheiden, inwieweit aus bestimmten Gesetzen und Verwaltungsvereinbarungen Ansprüche der Länder gegen das Reich auf Zahlung bestimmter Finanzzuschüsse herzuleiten waren 138. Er erkannte hierbei an, daß das Reich Zuschußzahlungen von der Einhaltung von Bedingungen und Auflagen abhängig machen könne139. Er neigte weiterhin dazu, gesetzlich oder vertraglich angeordnete Zweckbindungen der vom Reich zur Verfügung gestellten Mittel eher restriktiv zu verstehen, im Zweifel also eine Zuschußpflicht des Reiches zu verneinen: So sah er es in einem Urteil vom 3. Dezember 1927 grundsätzlich als unhaltbar an, daß die Höhe der Reichsausgaben vom Willen der Länder abhängen könne. Dies sei jedenfalls so ungewöhnlich, daß es ausdrücklich angeordnet werden müsse140. Dieses Argument hätte aber auch rechtfertigen können, den Ländern 137

RGZ 118, S. 94 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 150 f.). Zur Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zum Finanzwesen siehe nur die umfangreichen Nachweise bei: Vetter, Die Bundesstaatlichkeit in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs der Weimarer Republik (1979), S. 112 ff. 139 StGH, Lammers/Simons IV, S. 102 ff. (Vergleich über den Streit zwischen Thüringen und dem Reich wegen Weitergewährung der Polizeikostenzuschüsse). Siehe hierzu auch das umfangreiche Material bei Koellreutter, Der Konflikt Reich-Thüringen in der Frage der Polizeikostenzuschüsse, AöR n. F. 59 (1931), S. 68 ff. 140 StGH, Lammers/Simons I, S. 141 ff. (S. 143). 138

C. Rechtsentwicklung von 1918 bis 1933

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und nicht dem Reich die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendung auch bei grundsätzlich vom Reichfinanzierter Aufgabenerfüllung zuzuweisen. Insofern läßt sich auch erklären, warum die Frage der Haftung der Länder für eine fehlerhafte Verwendung von Reichsmitteln in der Literatur nicht behandelt wurde: Es ist naheliegend anzunehmen, daß die strenge Zweckbindung der Reichszuschüsse als so selbstverständlich angesehen wurde, daß niemand die Kostentragungspflicht der Länder für Fehlverwendungen in Zweifel zog und sie deshalb nicht erwähnenswert war 141 . b) Daß den Ländern das Risiko fehlerhafter Verwendung aufgabenbezogener Finanzzuweisungen zugewiesen war, läßt sich schließlich auch § 32 und § 33 der Reichshaushaltsordnung vom 31. März 1922142 entnehmen, insbesondere nach deren Änderung durch das Gesetz zur Änderung der Reichshaushaltsordnung vom 8. März 1930143. Diese Vorschriften ordneten eine persönliche Haftung der Reichsbediensteten und der Bediensteten sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts für fehlerhafte Bewirtschaftung von Reichsmitteln an - aber gerade nicht im Fall zweckverfehlender Mittelverwendungen, sondern beschränkt auf den praktisch nicht sehr bedeutsamen Fall der Haushaltsüberschreitung 144. Soweit sich § 32 und § 33 RHO an Reichsbeamte richteten, stellten sie eine hier nicht weiter interessierende spezialgesetzliche Regelung der Haftung des Bediensteten gegenüber seinem Dienstherrn/Arbeitgeber dar, die sich ohnedies - wie eine Haftung für zweckverfehlende Mittelverwendung - schon aus den allgemeinen Vorschriften ergeben hätte. § 32 und § 33 RHO ordneten aber auch eine Haftung von Bediensteten anderer Hoheitsträger gegenüber dem Reich an. Insofern ist jedoch auf dem ersten Blick nicht nachvollziehbar, warum keine Haftung gegenüber dem Reich für den praktisch wesentlich bedeutsameren Fall der zweckverfehlenden Mittelverwendung angeordnet wurde: Anders als in der Militärverwaltung vor 1900145 ließen sich aus den beamtenrechtlichen Innenhaftungsansprüchen nicht mehr ohne weiteres auch Ansprüche zugunsten des Reichs herleiten. Der nur sehr beschränkte Anwendungsbereich des § 32 und des § 33 RHO läßt sich aber erklären, wenn man davon ausgeht, daß den Ländern die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen zugewiesen waren: Das Reich konnte dann hierdurch nicht geschädigt werden, ein Rückgriffsanspruch des Reichs gegenüber dem verantwortlichen Bediensteten war nicht notwendig. Andererseits deckte die Anordnung der persönlichen Haftung nach § 32 und § 33 RHO 141

Grundsätzlich anders: Kummer, Die Haftung der Länder, S. 34 ff. RGBl IS. 17. 143 RGBl IS. 31. 144 Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 103; Siefen, DöH 1955, S. 242 f.; ders., KOV 1956, S. 19; Viaion, Haushaltsrecht, § 32 RHO Anm. 2 f., § 33 RHO Anm. 35. 145 Siehe hierzu: 3. Kap. A I d (S. 129 f.). 142

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

eine Lücke im Schutz des Reiches ab - bei bloßer Haushaltsüberschreitung wäre eine Rückerstattungspflicht der Länder wegen Einhaltung der Zweckbindung der Reichsmittel nicht in Betracht gekommen.

D. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Zeit des Nationalsozialismus In den Jahren zwischen 1933 bis 1945 sind einige wichtige, die spätere Rechtsentwicklung zur Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern prägende Entscheidungen sowohl der Gerichte wie auch des „Gesetzgebers" gefallen. Zunächst ist bemerkenswert, daß zwar Art. 131 WRV allgemein als fortgeltend angesehen, jedoch nicht mehr als Grundrecht ausgelegt und dennoch weiterhin nur eingeschränkt auch zugunsten von Hoheitsträgern angewendet wurde (I). Mit § 23 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) vom 26. Januar 1937146 wurde zudem zum ersten Mal für das gesamte Reich eine einheitliche beamtenrechtliche Innenhaftungsvorschrift geschaffen (II). L Haftung des schädigenden Hoheitsträgers a) Die Staatshaftung nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV galt nach allgemeiner Ansicht auch nach der Machtübernahme durch die „Bewegung" fort. Der Grund hierfür blieb unklar. Ob dies daran lag, daß selbst der Nationalsozialismus diese Vorschrift nicht abzubauen wagte147, mag dahingestellt bleiben. Das RG begründete die Fortgeltung des Art. 131 WRV in einem Urteil vom 17. Februar 1937148 kurz damit, daß er in seinem Grundgedanken nationalsozialistischem Rechtsdenken entspräche, was die Tatsache beweise, daß er allgemein als fortgeltend angesehen werde. Eindeutig war jedoch, daß diese Vorschrift nicht als Grundrecht fortgelten konnte: Die nationalsozialistische Ideologie sah den „Bewegungsstaat" nicht als eine Fortentwicklung des „bürgerlich-liberalen Rechtsstaats" der Weimarer Republik, sondern als dessen Umkehrung. Nach Ansicht der damaligen Staatsrechtslehre war der Weimarer Staat durch einen bewußten Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft gekennzeichnet; nunmehr sollten aber Volk und Staat als Einheit begriffen werden 149. Daraus wurde gefolgert, daß dem einzelnen als Glied der Volksgenossenschaft keine subjektiv-öffentlichen 146

RGBl IS. 39. So Stern, StR I, § 11 V 4, S. 386. 148 RGZ 160, S. 193 ff. (S. 196). 149 Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches (2. Aufl. 1939), § 14 b, S. 163 ff. 147

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Rechte und damit vor allem auch keine Grundrechte gegenüber dem Staat zustehen könnten. Vielmehr wurde jedem Volksgenossen nur eine volksgenossenschaftliche „Rechtsstellung, eine Gliedstellung im Staat zugesprochen, die eine Bündelung von „Rechten" und Pflichten beinhaltete, welche dem einzelnen nicht um seiner selbst willen gewährt oder auferlegt wurden, sondern dem Wohl des Volkes insgesamt dienen sollten150. Die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre war somit aufgehoben, da die volksgenossenschaftliche „Rechtsstellung sich auf alle Lebensbereiche erstreckte 151. Konnte Art. 131 WRV deshalb nicht als Grundrecht verstanden werden, mußte das Phänomen der Staatshaftung in die Idee der volksgenossenschaftlichen „Rechtsstellung integriert werden. Dies gelang, indem man die Schädigung des einzelnen als eine Schädigung des Ganzen begriff: „Alle staatlichen Maßnahmen dienen wesentlich und entscheidend dem Schutz und dem Aufbau des Volkes. Dieses ,Volk' kann nicht von seinen Gliedern gelöst werden. Deshalb schützen die staatlichen Maßnahmen im Volk zugleich den einzelnen Volksgenossen; die Schädigung des einzelnen Volksgenossen, die aus behördlichen Irrtümern, Fehlern und Mißgriffen erwächst, führt zugleich eine Schädigung des Volksganzen herbei. Der Volksgenosse ist eben kein bloßes Objekt, sondern er ist ein lebendiges, unmittelbar verbundenes Glied der Gemeinschaft, die selbst nur erhalten werden kann, wenn die gliedhafte Stellung des Volksgenossen geachtet, geschützt und gefördert wird." 152

Aufgrund dieser Argumentation wäre es möglich gewesen, den Staatshaftungsanspruch des § 839 BGB i. V. m. Art. 131 WRV auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts zu erstrecken, da sich der einzelne Volksgenosse seinem Wesen nach nicht von staatlichen Organisationseinheiten zu unterscheiden schien. Jede Position und Organisation der Volksgenossen stellte sich vielmehr als der Ausdruck einer Gliedstellung im Volk dar 153 . Wenn Volk und Staat eins sind, können auch die staatlichen Untergliederungen mit eigener Rechtspersönlichkeit nicht vom Volk verschieden sein. Es gab auch zumindest in der Theorie keine Trennung mehr zwischen Zivil- und öffentlichem Recht154 und damit auch keine Trennung zwischen privatrechtlichem Vermö150

Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, § 34 b, S. 365 f.; Maunz, Verwaltung (1937), § 5 4, S. 51 f.; Scheuner, Die Rechtsstellung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht, (1937), § 5 DI 1, S. 89 ff. 151 Kröger, Einführung in die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1993), § 1, S. 6. 152 Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, § 39 c, S. 420. Ähnlich auch Dannbeck, Die Amtshaftung, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht, § 15 I 5, S. 300; Maunz, Verwaltung, § 19 1, S. 262; Pfeifer, Verwaltungsrecht - Allgemeiner Teil (1942), § 28IV, S. 330 f. 153 Besonders deutlich: Maunz, Verwaltung, § 5 4 c, S. 52. 154 Stolleis, Die Rechtsordnung des NS-Staates, JuS 1982, S. 647.

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

gensrecht und öffentlich-rechtlichem Lastenverteilungs- und Verwaltungsorganisationsrecht. Die Argumentation, nach der bei Schädigung des einzelnen Volksgenossen auch das Ganze geschädigt wird, hätte sich daher ohne weiteres auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern übertragen lassen, weil jede juristische Person des öffentlichen Rechts eine ganz bestimmte Funktion und damit auch eine gewisse „Gliedstellung" im Staat hat. b) Obwohl damit dogmatisch der Weg für die vom RG in der Weimarer Zeit vertretene These der unbeschränkten Anwendung des Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV zwischen Hoheitsträgern geebnet war, schwenkte ausgerechnet jetzt die Rechtsprechung des RG teilweise um. Zunächst ist hier das Urteil „Einzugsstelle II" 1 5 5 vom 20. Februar 1934 zu nennen, das sich erneut mit der Frage der Haftung der Krankenkassen nach § 278 BGB analog für fehlerhafte Einziehung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu befassen hatte. Das RG Schloß für diese, letztlich auf den Erlaß des Reichsarbeitsministers von 1932 gestützte Klage den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten aus: ,3ereits dargelegt ist, daß das Rechtsverhältnis zwischen den Krankenkassen und der Reichsanstalt in Beziehung auf die Einziehung und Abführung der Beiträge dem ordentlichen Rechtsweg jedenfalls solange entzogen ist, als die Einziehung möglich ist. Der Umstand, daß die Einziehung der Beiträge unmöglich geworden ist, ergibt, daß das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen der Krankenkasse und der Reichsanstalt noch nicht abgewickelt ist. Ein solches öffentlich-rechtliches Verhältnis verwandelt sich aber nach den gegenwärtigen, auch zur Zeit des Erlasses des Reichsgesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung herrschenden Rechtsanschauungen und Rechtsübeizeugungen nicht in ein bürgerlich-rechtliches Verhältnis, das auf Schadensersatz gerichtet wäre und über das nunmehr die ordentlichen Gerichte zu entscheiden hätten, sondern es bleibt in jeder Hinsicht ein öffentlich-rechtliches Streitverhältnis, für welches der ordentliche Rechtsweg nicht zulässig ist." 156

Damit distanzierte sich das RG deutlich von der Auffassung Kreils, auf den es auch namentlich einging, und auch vom Urteil „Stempelaufbewahrung" 157, auch wenn es sich bemühte, eine Kontinuität herzustellen, indem es auf die unterschiedliche Fallkonstellation hinwies158. Es hob allerdings hervor, daß es über Ansprüche nach Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV nicht zu befinden habe, da sie nicht erhoben worden wären 159, und trat damit dem Urteil „Einzugsstelle I " 1 6 0 nicht entgegen. Folge dieser Entscheidung war, daß § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Einziehung der Beiträge zur Reichsanstalt für Arbeits155 156 157 158 159 160

RGZ 144, S. 15 ff. (Beispiel Nr. 61 - siehe S. 113). RGZ 144, S. 15ff. (S. 21). RGZ 65, S. 113 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.). RGZ 144, S. 15 ff. (S. 21 f.). RGZ 144, S. 15 ff. (S. 17). RGZ 120, S. 162 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151).

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Vermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 9. Februar 1938161 nunmehr ausdrücklich eine (öffentlich-rechtliche) Haftung der Krankenkassen gegenüber der Reichsanstalt für Arbeit für die schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten als Einzugsstellen anordnete: Verletzt eine Einzugsstelle schuldhaft eine der Verpflichtungen, die ihr hinsichtlich der Beiträge zur Reichsanstalt nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (§§ 145, 158, 150 und 165) und den hierzu erlassenen Ausführungsvorschriften obliegen, so ist sie der Reichsanstalt schadensersatzpflichtig; die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Haftung für Vertragsverletzungen finden entsprechende Anwendung. Das gilt insbesondere, wenn eine Einzugsstelle die Beiträge schuldhaft verspätet einzieht.

§ 6 Abs. 2 der Verordnung erklärte in Streitfällen die nach dem AVAVG zuständigen Versicherungsämter (Beschlußausschüsse) für zuständig. Durch Beschluß des Reichsversicherungsamts vom 27. Juni 1941162 wurde zudem festgestellt, daß die durch § 6 der genannten Verordnung angeordneten Grundsätze auch in den Fällen Geltung hätten, die von der Vorschrift nicht unmittelbar erfaßt seien. Begründet wurde dies auch hier nur mit der Billigkeit des Ergebnisses. Diese Entwicklung zeigt einerseits eine Loslösung der Frage der Haftung zwischen Hoheitsträgern vom zivilrechtlichen Vermögensrecht zumindest im Sozialrecht. Deutlich blieb aber auch hier die „zivilrechtliche Verwurzelung" der nunmehr als öffentlich-rechtlich verstandenen Haftung. c) Erste Einschränkungen bei der Anwendung des Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV machte das Urteil „Sparkasse I " 1 6 3 vom 14. Juli 1936, in dem es ohne nähere Begründung davon ausging, daß die früheren preußischen Vorschriften über die beamtenrechtliche Innenhaftung (§ 88, § 89 ALR II 10 i. V. m. Art. 80 Abs. 1 EGBGB) auch auf das Verhältnis zwischen Landrat - damals ein Staatsbeamter - und Kreis Anwendung fanden. Dies war aufgrund des weit gefaßten Wortlauts dieser Vorschriften, die ja ursprünglich sowohl die Außenwie die Innenhaftung des Beamten regelten 164, auch ohne weiteres möglich. Damit wurden jedoch zum ersten Mal nicht die allgemeinen Staatshaftungsvorschriften, sondern die beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften zur Lösung eines Haftungsfalls zwischen Hoheitsträgern herangezogen, der geschädigte Hoheitsträger also wie der Dienstherr des schädigenden Bediensteten behandelt. Dadurch wurde auch klargestellt, daß eine Haftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV hier nicht in Betracht gekommen

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RGBl IS. 182. Reichsarbeitsblatt Π (Amtliche Nachrichten für die Arbeitsversicherung) 1941, S. 355 f. 163 RGZ 151, S. 401 ff. (Beispiel Nr. 51 - siehe S. 107) - siehe hierzu auch: 3. Kap. D Π c (S. 166). 4 Siehe hierzu: 3. Kap. A I (S. 12 f.). 162

11 Stelkens

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

wäre. Unklar war allerdings, in welchem Verhältnis dieses Urteil zu der früheren Rechtsprechung des RG stand, ob die Anwendung der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften hier nur auf den Besonderheiten des Organleiheverhältnisses zwischen Staat und Kreis beruhte oder ob sonstige Gründe hierfür maßgeblich waren. d) In dem nächsten einschlägigen Urteil „Freibad" 165 vom 12. März 1937 wurde schließlich zunächst die Rechtsprechung des Urteils „Einzugsstelle I I " 1 6 6 gefestigt. Es ging um die Frage der Haftung einer Gemeinde für Fehlverhalten ihres Bürgermeisters bei der Ausführung bestimmter ihm im Interesse der Reichsanstalt für Arbeit aufgrund des AVAVG übertragener Aufgaben. Die klagende Reichsanstalt hielt hier eine Haftung der Gemeinde nach § 278 BGB analog für möglich. Das RG ließ dies offen, da insofern der ordentliche Rechtsweg nicht gegeben sei: „Aus einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis können sich grundsätzlich nur öffentlich-rechtliche Beziehungen der Beteiligten entwickeln, und für öffentlich-rechtliche Ansprüche steht der ordentliche Rechtsweg nur insoweit offen, als er vom Gesetzgeber gewährt wird [...]. Daß für Schadensersatzansprüche der jetzt streitigen Art, die nicht bürgerlich-rechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur sind, der Rechtsweg zulässig sein solle, dafür bietet das Gesetz über Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung keinen Anhalt. [...] Ob bei einer solchen Auffassung die Klägerin etwa keine rechtliche Möglichkeit hätte, ihren Schadensersatzanspruch gegen den Willen der Beklagten durchzusetzen, ist gleichgültig."167

Hiermit wurde endgültig von der Argumentation des Urteils „Stempelaufbewahrung" 168 Abschied genommen. Zudem schränkte das RG auch die Anwendbarkeit des Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV zwischen Hoheitsträgern deutlich ein, indem es ein bloßes Vermögensinteresse eines Hoheitsträgers an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung von Aufgaben eines anderen Hoheitsträgers nicht mehr ausreichen ließ, um daraus eine Drittbezogenheit der Amtspflicht herzuleiten: „Die Klage ist in zweiter Reihe auf § 839 BGB und Art. 131 WRV gestützt. Für solche Ansprüche ist der Rechtsweg gegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage insoweit als sachlich unbegründet abgewiesen, weil der Gemeindevorsteher der Beklagten nicht Amtspflichten verletzt habe, die ihm der Klägerin gegenüber oblagen; vielmehr hätten nur Pflichten im inneren Verhältnis des leitenden Beamten einer Behörde gegenüber einer anderen in Frage gestanden. Dem ist im Ergebnis beizutreten. Da der Gemeindevorsteher das Organ der Beklagten ist, durch das sie allein handeln kann, kann das Verhalten des Gemeindevorstehers nicht anders behandelt

165 166 167 168

RGZ 154, S. 201 ff. (Beispiel Nr. 33 - siehe S. 95). RGZ 144, S. 15 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. D I b (S. 160 f.). RGZ 154, S. 201 ff. (S. 207 f.). RGZ 65, S. 113 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.).

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werden, als das Verhalten der Beklagten selbst. In der Tat kann keine besondere Amtspflicht anerkannt werden, die dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten der Klägerin gegenüber oblegen hätte, die Pflichten des Beklagten gegen die Klägerin ordnungsgemäß zu erfüllen". 169 Ohne daß dies gesagt wurde, wurde damit deutlich mit den vorhergehenden Urteilen, insbesondere den Urteilen „Arbeitslosenzusammenrottung" 170 und „Einzugsstelle I " 1 7 1 gebrochen. Ganz schien das RG jedoch auf eine Haftung zwischen Hoheitsträgern aufgrund des § 839 BGB i. V. m. Art. 131 Satz 1 WRV nicht verzichten zu wollen: „Aber aus einem anderen Gesichtspunkt könnte der Tatbestand des § 839 BGB gegeben sein. Jeder Beamte hat die Amtspflicht, sein Amt sachlich und im Einklang mit den Forderungen von Treu und Glauben und guter Sitte auszuführen. Verstößt er hiergegen, so mißbraucht er sein Amt. Die Pflicht, sich jeden solchen Mißbrauchs zu enthalten, liegt ihm gegenüber jedem Dritten ob, der durch den Mißbrauch geschädigt werden könnte. Amtsmißbrauch aber wäre es gewesen, wenn der Gemeindevorsteher der Beklagten in der Absicht, dem von ihm selbst vertretenen Verkehrsverein einen diesem nicht zustehenden Vermögensvorteil zuzuschieben, die ihm vom Arbeitsamt zur Auszahlung als Arbeitslosenunterstützung zur Verfügung gestellten Beträge ausgezahlt hätte, obwohl er wußte, daß die Empfänger in Wahrheit nicht zum Empfang berechtigt waren. Für einen hierdurch entstandenen Schaden könnte die Klägerin die verklagte Gemeinde auf Grund des Art. 131 WRV i. V. m. § 839 BGB im ordentlichen Rechtsweg in Anspruch nehmen."172 Damit stellte das RG die Möglichkeit einer Haftung zwischen Hoheitsträgern in Extremfällen sicher. Eine dogmatische Begründung hierfür wurde jedoch nicht geliefert. e) Die sehr restriktive Haltung des RG in dem Urteil „Freibad" 173 könnte jedoch auf einen Aufsatz von Strickrodt 174 zurückzuführen sein, der 1935 — soweit ersichtlich - zum ersten Mal die Frage der Haftung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts am Beispiel der Haftung zwischen Staat und Gemeinde näher behandelt hat und in dessen Tendenz das Urteil liegt. Strickrodt unterschied zunächst deutlich zwischen den „unechten" Haftungsfällen fehlerhafter Verwendung fremder Mittel und sonstigen „echten" Haftungskonstellationen: ,Jn vielen Fällen handelt es sich bei derartigen [Schadens-JErsatzansprüchen [zwischen Staat und Gemeinde] nicht um die unmittelbare Gefährdung von noch oder bereits bestehenden Vermögensrechten, sondern um Rückforderungen aus nicht 169 170 171 172 173 174

1

RGZ 154, S. 201 ff. (S. 208). RGZ 118, S. 94 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 150 f.). RGZ 120, S. 162 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 151). RGZ 154, S. 201 ff. (S. 208). RGZ 154, S. 201 - siehe hierzu: 3. Kap. D I d (S. 162 ff.). Strickrodt, RVB1 1935, S. 989 ff.

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

oder schlecht erfülltem Auftrag. Hierher gehört der nicht seltene Fall, daß der Staat den Gemeinden Gelder zur Erfüllung gewisser vom Staat allein oder doch mitübernommener Aufgaben, ζ. B. auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge, der Arbeitslosenversorgung und des Schulwesens, gegeben hatte. Hat nun die Gemeinde infolge der Veruntreuungen eines ihrer Beamten derartige Gelder nicht restlos dem bestimmten Zweck zugeführt, so kann der Staat Rückerstattung des nicht bestimmungsgemäß verwandten Betrages einfach aus der mit dem Auftrag und der Zuschußbewilligung verbundenen Zweckbindung heraus verlangen. Der Erstattungsanspruch des Staates aus dem nicht erfüllten Geschäft trifft hier nur zufällig mit der Pflichtwidrigkeit des Beamten zusammen."175

Strickrodt wies damit in unechten Haftungsfällen die durch fehlerhafte Mittelverwendungen entstehenden Ausgaben ausnahmslos der mittelbewirtschaftenden Stelle zu, ließ diese also im Ergebnis sehr streng haften - wie es wohl der Praxis entsprochen hatte176. In echten Haftungsfällen hielt er dagegen nicht ohne weiteres eine Haftung des schädigenden Hoheitsträgers für möglich. Hier prüfte Strickrodt zunächst die Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs. Diesen hielt er zwar dem Wortlaut nach für anwendbar, fragte dann aber, ob diese Vorschrift auch geeignet sei, einen Schadensausgleich zwischen Hoheitsträgern herbeizuführen, was er grundsätzlich aufgrund der Besonderheiten des zwischen Hoheitsträgern geltenden Vermögensrechts ablehnte177. Er skizzierte dann ein zwischen Staat und Gemeinde geltendes Verwaltungshaftungsrecht, daß den besonderen zwischen ihnen geltenden Vermögensrechtsbeziehungen gerecht werden sollte. Eine solche Konstruktion hielt er für zulässig, da aus dem Schweigen des Gesetzgebers nicht geschlossen werden könne, daß ein Schadensausgleich zwischen Hoheitsträgern grundsätzlich ausgeschlossen sei178. Insgesamt läßt sich der Aufsatz Strickrodts als Fortführung der Überlegungen Otto Mayers zu einem zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts geltenden besonderen Vermögensrecht verstehen die teilweise nationalsozialistisch geprägte Terminologie dieses Aufsatzes steht dem nicht entgegen; sie wirkt eher wie aufgesetzt und paßt kaum zu den Aussagen des Textes. IL Personliche Haftung des Amtswalters aufgrund des Deutschen Beamtengesetzes a) Das Deutsche Beamtengesetz enthielt zum ersten Mal eine Vorschrift, die deutlich die Innenhaftung des Beamten und teilweise auch jedes anderen 175 176 177 178

Strickrodt, RVB1 1935, S. 989 f. Siehe hierzu: 3. Kap. C Π a (S. 155 ff.). Strickrodt, RVB1 1935, S. 990 f. Strickrodt, RVB1 1935, S. 992 f.

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Amtswalters, der hoheitliche Aufgaben wahrnahm, festschrieb und nach 1945 Vorbild für § 78 BBG und die entsprechenden (landesrechtlichen) Regelungen geworden ist. § 23 DBG lautete: (1) Verletzt ein Beamter schuldhaft seine Amtspflicht, so hat er dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen; haben mehrere Beamte gemeinschaftlich den Schaden verursacht, so haften sie als Gesamtschuldner. (2) Hat der Dienstherr einem anderen Schadensersatz geleistet, weil ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt seine Amtspflicht verletzt hat, so hat der Beamte dem Dienstherrn den Schaden nur insoweit zu ersetzen, als ihm Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zur Last M t . (3) Leistet der Beamte dem Dienstherrn Ersatz, und hat dieser einen Ersatzanspruch gegen einen Dritten, so geht der Ersatzanspruch auf den Beamten über. (4) Abs. 2 und 3 gelten auch, wenn eine Person, die nicht Beamter im Sinne dieses Gesetzes ist, in Ausübung der ihr anvertrauten öffentlichen Gewalt ihre Amtspflicht verletzt hat.

Bedeutsam ist hier zunächst der Regreßausschluß des Abs. 2 in Fällen einer nur leicht fahrlässigen Amtspflichtverletzung bei mittelbarer Schädigung des Dienstherrn, welcher durch § 23 Abs. 4 DBG auch auf alle nichtbeamteten Amtswalter eines Hoheitsträgers erstreckt wurde. Dies führte zum ersten Mal dazu, daß die Staatshaftung nach Art. 131 WRV eindeutig auch dem handelnden Amtswalter zugute kam. Die Beschränkung des Regresses sollte aber nur indirekt dem Schutz des Amtswalters dienen. Eigentliches Ziel war wohl gewesen, „die Furcht vor Rückgriffen bei der Beamtenschaft zu verringern und sie dadurch arbeitsfreudiger, entschlußkräftiger und weniger ängstlich zu machen", so daß es im Ergebnis eher um staatliche Interessen ging 179 . Trotzdem wurde seit Inkrafttreten des DBG vor allem in der Rechtsprechung verstärkt ein beamtenschützender Charakter des Art. 131 WRV postuliert 180, was auch heute noch fortwirkt. b) Bedeutsam ist aber auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Innenhaftungsvorschriften, indem § 23 diesbezüglich nicht nur den Dienstherrn, zu dem der Bedienstete in einem unmittelbaren Dienstverhältnis stand, sondern auch den Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hatte, als aktivlegitimiert ansah. Dies hatte insbesondere Bedeutung für das Reich, dem dadurch jeder Gemeinde-, Kreis- und Landesbeamte unmittelbar persönlich haftpflichtig werden konnte, soweit er Reichsaufgaben wahrnahm 181. Viel

179 Brand, Das Deutsche Beamtengesetz - DBG - (4. Aufl. 1942), § 23 Anm. A 2 b 4, S. 240. 180 Vgl. RGZ 163, S. 88 f. (S. 89) und RGZ 166, S. 1 ff. (S. 7) im Gegensatz zu RGZ 96, S. 143 ff. (S. 148). 181 Heyland, Deutsches Beamtenrecht - Eine systematische Darstellung (1938), § 65, S. 286.

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

spricht dafür, daß die Haftungserweiterung auch nur zugunsten des Reiches gedacht war, nicht aber etwa die Haftung eines Reichsbeamten gegenüber einem Land oder einer Gemeinde begründen sollte182. Das DBG erklärte in § 2 Abs. 1 alle Beamten entweder zu unmittelbaren oder zu mittelbaren Reichsbeamten. Nach § 2 Abs. 3 DBG war unmittelbarer Reichsbeamter der Beamte, der nur das Reich zum Dienstherrn hatte; mittelbarer Reichsbeamter war derjenige, der einen anderen unmittelbaren Dienstherrn hatte. Mittelbare Reichsbeamte waren demnach alle Beamten der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände usw. Das mittelbare Dienstverhältnis zum Reich wurde anders als heute183 auch als echtes Dienstverhältnis angesehen. Dies zeigte schon § 1 Abs. 1 DBG, nach dem jeder deutsche Beamte zum Führer und zum Reich in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) stand. Diesem Dienst- und Treueverhältnis zum Führer und zum Reich wurde zudem grundsätzlich Vorrang vor dem unmittelbaren Dienstverhältnis eingeräumt 184. Unter dieser Voraussetzung konnte man aus der Wortwahl in § 23 Abs. 1 DBG Dienstherr, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat" und nicht ζ. B. Körperschaft, deren Aufgaben er wahrgenommen hat" schließen, daß, soweit ein mittelbarer Reichsbeamter gehandelt hatte, mit „Dienstherr" gemeint war entweder der unmittelbare Dienstherr (Land, Gemeinde) oder das Reich, zu dem der Beamte ja auch in einem (mittelbaren) Dienstverhältnis stand. Ausgeschlossen wäre dann ζ. B. die Haftung eines unmittelbaren Reichsbeamten gegenüber einer Gemeinde gewesen, da die Gemeinde insoweit nicht Dienstherr, auch nicht mittelbarer Dienstherr dieses Reichsbeamten gewesen wäre. c) In der Literatur zu § 23 Abs. 1 DBG ist dies jedoch in Anlehnung an das Urteil „Sparkasse I " 1 8 5 nicht vertreten worden. Vielmehr wurde trotz des zu § 88 und § 89 ALR II 10 verschiedenen Wortlauts des § 23 Abs. 1 DBG angenommen, daß „Dienstherr" i. S. dieser Vorschrift jeder Hoheitsträger sei, dessen Aufgaben der Beamte wahrgenommen hat 186 . Dies wurde aber auch zu-

Die amtliche Begründung zu § 23 DBG geht hierauf jedoch nicht ein (RAnz. Nr. 22 vom 28. Januar 1937, abgedruckt bei Nadler/Wittland/Ruppert, Deutsches Beamtengesetz Teil I: Abschnitte I bis VI [1938], § 23 DBG). 183 Fürst/Finger/Mühl/Niedermaier, GKÖDI, Κ § 2 Rn. 111. 184 Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, § 42 c 1, S. 447. Demgegenüber wurde die Existenz von mittelbaren Landesbeamten, also von Beamten, die eine dem Land eingegliederte und von ihm beaufsichtigte Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zum unmittelbaren Dienstherrn hatten, nicht mehr anerkannt (Heyland, Deutsches Beamtenrecht, § 8 I 2, S. 31; Joeris, Haftung der Gemeindebeamten nach dem DBG., Deutsche Gemeindebeamtenzeitung 1937, S. 272). 185 RGZ 151, S. 401 ff. - siehe hierzu bereits: 3. Kap. D I c (S. 161). 186 Brand, DBG, § 23 Anm. A 2 a I, S. 233 f.; Joeris , Deutsche Gemeindebeamtenzeitung 1937, S. 272.

. Rechtsentwicklung von 19

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gleich als eingrenzendes Merkmal angesehen: Nicht von § 23 Abs. 1 DBG sollten die Fälle erfaßt werden, in denen ein Beamter bei Wahrnehmung von Aufgaben seines Dienstherrn auch die vermögensrechtlichen Interessen eines anderen Hoheitsträgers berücksichtigen mußte187. Hierfür sollten allein die Vorschriften über die Außenhaftung maßgebend sein188. Man ging also von einem besonderen haftungsrechtlichen Dienstherrnbegriff aus, ohne den Innenhaftungstatbestand des § 23 Abs. 1 DBG zugunsten jedes beliebigen Hoheitsträgers auszuweiten. Entscheidend sei das Bestehen besonderer rechtlicher Beziehungen zwischen dem (haftungsrechtlichen) Dienstherrn und dem Beamten unabhängig von der schadensstiftenden Amtspflichtverletzung 189. d) In seinem Urteil „Sparkasse I I " 1 9 0 vom 13. September 1943, das wieder einen Sachverhalt betraf, bezüglich dessen noch § 88 und § 89 ALR II 10 anzuwenden waren, das sich seiner Begründung nach jedoch auch auf § 23 DBG erstrecken sollte, zeigte das RG indessen ein ganz anderes Verständnis des Anwendungsbereichs der Innenhaftungsvorschriften. Es ging um die Haftung eines Gemeindebeamten, der als Sparkassenbeamter zu einer Sparkasse abgeordnet worden war, deren Gewählträger die Gemeinde war. In diesem Fall wäre nach der oben dargestellten weiten Auslegung ohne weiteres eine Aktivlegitimation der Sparkasse unmittelbar aus § 23 Abs. 1 DBG in Betracht gekommen. Das RG behauptete jedoch zunächst - ohne weitere Begründung - , daß nur der Gewährveiband als unmittelbarer Dienstherr berechtigt sei, einen Anspruch aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Sparkassenbeamten (also dem Gemeindebeamten) zu erheben. Es fuhr dann fort: „Dieser Anspruch geht im Fall einer Schädigung der Sparkasse durch schuldhaft dienstpflichtwidriges Verhalten des Sparkassenbeamten unmittelbar auf Schadloshaltung der Sparkasse. In entsprechender Anwendung des im bürgerlichen Recht anerkannten Rechtsgedankens, daß, wenn jemand ein eigenes Interesse an der Schadloshaltung eines dritten Geschädigten hat oder er dessen Interessen wahrzunehmen hat, ihm das Recht zusteht, von dem Schädiger den Ersatz des Schadens an den Dritten zu verlangen, ist dieses Recht des Gewährsverbandes auf Leistung des Schadensersatzanspruches durch den Sparkassenbeamten an die Sparkasse anzunehmen. Denn der Gewährverband, der darauf halten muß, daß die der Sparkasse zur Verfügung gestellten Beamten und Angestellten ihre dienstlichen Obliegenheiten bei ihr ordnungsgemäß verrichten, und dem um so mehr daran gelegen ist, die Sparkasse vor Schädigungen durch sie in Wahrnehmung ihres Dienstes bewahrt zu sehen, als er [...] ihren Gläubigern imbeschränkt haftet, soweit sie aus dem Sparkassenvermögen keine Befriedigung erlangen können, besitzt ein solches Interesse an der Schadloshaltung der Sparkasse im Fall ihrer Schädigung durch die Beamten und Angestellten bei Ausübung ihres Dienstes. Das gilt insbesondere auch in einem 187 188 189 190

Nadler/Wittland/Ruppert, Nadler/Wittland/Ruppert, Nadler/Wittland/Ruppert, RGZ 171, S. 385 ff.

DBG I, § 23 Anm. 33. DBG I, § 23 Anm. 35. DBG I, § 23 Anm. 32.

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3. Kap.: Rechtsentwicklung von 1871 bis 1945

Falle der vorliegenden Art, wo der Gewährverband der Sparkasse aufgrund des Art. 131 WeimVerf. in Verbindung mit § 839 BGB. wegen schuldhafter Verletzung von Amtspflichten hoheitlicher Art durch den Sparkassenbeamten für den ihr daraus erwachsenden Schaden haften würde." 191

Diese Argumentation des RG ist sehr unklar 192 . Achtet man nur auf den letzten Satz des zitierten Absatzes, so scheint das RG von einer Außenhaftung des Gewährträgers gegenüber der Sparkasse auszugehen, die Frage der persönlichen Haftung des Bediensteten sich also nur als einfaches Regreßproblem zu stellen, das bei Anwendbarkeit des DBG nach § 23 Abs. 2 DBG zu lösen gewesen wäre. Jedoch war Gegenstand des Urteils die persönliche Haftung des Sparkassenbeamten gegenüber der Sparkasse und das RG ging von der prinzipiellen Anwendbarkeit der Innenhaftungsvorschrifiten aus, indem es die Drittschadensliquidation zuließ und die Sparkasse zur Geltendmachung des an sich der Gemeinde zustehenden Innenhaftungsanspruchs für ermächtigt erachtete. Wegen seiner nicht zu übersehenden dogmatischen Widersprüchlichkeiten läßt sich das Urteil kaum in die übrige Rechtsentwicklung einordnen. Ob das RG wieder von einer nahezu unbeschränkten Anwendbarkeit des Art. 131 WRV zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts ausging und das Urteil insofern eine erneute Kehrtwendung zu dieser Frage darstellte, ist deshalb sehr fraglich. Es ist jedenfalls in der Folgezeit insoweit ohne Auswirkungen geblieben. Jedoch hatte dieses Urteil Folgewirkungen dergestalt, daß seitdem die Drittschadensliquidation im Rahmen der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschrifiten für möglich gehalten wird.

191 192

RGZ 171, S. 385 ff. (S. 387 f.). Vgl. hierzu auch Jeddeloh, Zur Frage der Haftung, S. 79 Fußn. 14.

Viertes Kapitel

Entwicklung der Rechtsprechung und der rechtlichen Rahmenbedingungen von 1945 bis zur Gegenwart Auch nach 1945 mußten zunächst allein die ordentlichen Gerichte die Frage entscheiden, inwieweit Hoheitsträger untereinander haften. Deren Rechtsprechung, die später auch von den Verwaltungsgerichten übernommen wurde, knüpfte an die vom RG aufgestellten Grundsätze zur Haftung zwischen Hoheitsträgern nach Amtshaftungsgrundsätzen und den Grundsätzen über die Haftung im verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis sowie zur Haftung der Amtswalter nach Beamtenrecht an und entwickelte sie weiter, ohne sie im Kern zu verändern. Problematisch hieran war vor allem, daß erstmals auch unechte Haftungsfälle 1 ohne weiteres dem für echte Haftungsfalle entwickelten Haftungsrecht unterstellt wurden (A). Der erst durch das Finanzreformgesetz vom 18. Mai 19692 in das Grundgesetz eingefugte Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG stellte das Problem der Schadensersatzhaftung zwischen Bund und Ländern jedoch auf eine völlig neue Grundlage: Hierbei handelt es sich um eine Vorschrift, die gleichermaßen echte wie unechte Haftungsfälle regeln will. Gerade diese Janusköpfigkeit hat Schwierigkeiten bei ihrer Auslegung bewirkt - sowohl im Gesetzgebungsverfahren selbst wie in der späteren Rechtsprechung (B). Diese Schwierigkeiten entstanden vor allem deshalb, weil seit den 60er Jahren von den Verwaltungsgerichten vennehrt die Besonderheiten der unechten Haftungsfalle erkannt worden waren und sie die Frage stellten, wann bei fehlerhafter Mittelverwendung durch die mittelbewirtschaftende Stelle dieser Aufwendungsersatzansprüche und wann dem Ausgabenträger Rückforderungsansprüche aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zustehen. Besonders im Sozialrecht wurde diese Entwicklung durch die Anordnung ausdrücklicher Schadenslastenverteilungsregeln gefördert. Im Bund-Länder-Verhältnis stellte sich jedoch die Frage der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG (C). 1 Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsfallen siehe: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44). 2 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BGBl I S. 359).

170

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

A. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts Nach 1945 wurde die Rechtsprechung des RG zur Haftung zwischen Hoheitsträgern in drei Richtungen weiterentwickelt. Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden zunächst die allgemeinen auf das Staat-Bürger-Verhältnis zugeschnitten Staatshaftungsansprüche, nach 1949 insbesondere auch Art. 34 Satz 1 GG angewendet (I). War hiernach eine Haftung ausgeschlossen, haben sowohl die ordentlichen wie die Verwaltungsgerichte erwogen, ob sich eine Haftung des schädigenden Hoheitsträgers aus den Grundsätzen über die Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse ergeben könnte. Hier ist die Entwicklung im Sozialrecht anders verlaufen als im allgemeinen Verwaltungsrecht (II). Gleichsam ergänzend hierzu wurde vermehrt die Frage gestellt, ob bei Nichthaflung des schädigenden Hoheitsträgers der fehlerhaft handelnde Amtswalter persönlich in Anspruch genommen werden könne, allerdings nur im Zusammenhang mit den Regeln über die beamtenrechtliche Innenhaftung, welche nach dem Krieg nahezu wortgleich dem § 23 DBG nachgebildet worden waren. Bei der Frage, inwieweit auch ein anderer „Dienstherr" als der Dienstherr im beamtenrechtlichen Sinn aus diesem Anspruch aktivlegitimiert sein kann, verfolgt die Rechtsprechung bis heute keine einheitliche Linie (III). L Haftung nach allgemeinem Staatshaftungsrecht Der BGH hält wie das RG eine Haftung zwischen Hoheitsträgern aufgrund des Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich für möglich. Wie das RG im Urteil „Freibad"3 läßt er aber nicht mehr jedes Vermögensinteresse an der ordnungsgemäßen Erfüllung einer Amtspflicht ausreichen, um deren Drittbezogenheit gegenüber einem anderen Hoheitsträger zu bejahen. Hier soll zunächst auf die im ganzen nicht geradlinige Entwicklung der Rechtsprechung des BGH eingegangen werden. Da in der Literatur dieser Rechtsprechung vor allem deshalb zugestimmt wurde, weil Art. 34 Satz 1 GG seiner systematischen Stellung nach kein Grundrecht und kein grundrechtsgleiches Recht sei, so daß die restriktive Rechtsprechung des BVerfG zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts diesbezüglich nicht zur Anwendung kommen könne4, soll anschließend näher auf die Entstehungsgeschichte des Art. 34 GG eingegangen werden. 3

RGZ 154, S. 201 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. D I d (S. 162 ff.). So vor allem Bender, Staatshaftungsrecht 2, Rn. 540 f. Ähnlich auch Adam, Amtshaftung im Verhältnis zwischen Staat und Gemeinden, RiA 1961, S. 361 = Gibt es Amtspflichten im Sinne des § 839 BGB zwischen Staat und Gemeinde?, Der Landkreis 1960, S. 456; Bettermann, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 27. Mai 1957 - m ZR 4

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

171

1. Die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH: Die „ Verzahnungstheorie a) Nach 1945 hatte sich zum ersten Mal der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone im Urteil „Pkw-Beschlagnahme"5 vom 22. September 1950 mit der Frage zu befassen, inwieweit Amtshaftungsansprüche auch zwischen Hoheitsträgern möglich sind. Es ging um eine rechtswidrige polizeiliche Beschlagnahme eines einer Gemeinde gehörenden Kraftwagens. Der OGH führte zur Frage der Aktivlegitimation auch im Hinblick auf Art. 34 Satz 1 GG aus: „Auch soweit es sich um Verwaltungsvermögen einer öffentlichen Körperschaft handelt, sind bürgerlich-rechtliche Beziehungen nicht ausgeschlossen, für die der ordentliche Rechtsweg offensteht. Neben den Fällen des Erwerbs oder der Veräußerung von Gegenständen des Verwaltungsvermögens gehört hierzu auch die Abwehr privatrechtlich unzulässiger Eingriffe, die Geltendmachung von Schadenersatzforderungen aus unerlaubten Handlungen oder die Verfolgung von Eigentumsansprüchen gegen Besitzer, die sich auf einen privatrechtlichen Titel zu stützen suchen. In allen diesen Fällen wird die öffentlich-rechtliche Körperschaft nicht als Verwaltungsbehörde, sondern als Vermögensinhaber, als Fiskus tätig. Sie kann daher Ansprüche aus Amtspflichtverletzungen wegen einer Beeinträchtigung ihres Verwaltungsvermögens (§ 839 BGB., Art. 131 RVerf., Art. 34 GrG.) in gleicher Weise und unter den gleichen Voraussetzungen im ordentlichen Rechtsweg verfolgen, wie eine Privatperson."6 Der OGH war demnach der Ansicht, daß jedenfalls dann, wenn ein Hoheitsträger wie eine Privatperson betroffen sei, Amtshaftungsansprüche möglich sein müßten. Warum dies so sein müsse, wurde jedoch nicht begründet; offensichtlich liegt dem die Überlegung zugrunde, daß das Vermögen eines Hoheitsträgers gegenüber einem anderen Hoheitsträger genauso schützenswert ist wie Privatvermögen. b) Im Urteil „Ruhegehaltsfestsetzung" 7 vom 7. Mai 1956 äußerte der BGH umgekehrt Zweifel daran, ob die Vorschrift auch bei Verwaltungsträgerschäden eingreifen könne. Es ging um die Frage der Haftung des Landes für fehlerhafte Kommunalaufsicht: „Das LG prüft das Verhalten des beklagten Landes unter verschiedenen Blickrichtungen daraufhin, ob das Land die ihm einem Dritten - hier dem Amte - gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat. Einer solchen Sachprüfung bedürfte es dann nicht, wenn § 839 BGB die Fälle überhaupt nicht umfaßt, in denen ein hoheitlicher handelnder Beamter einer Behörde durch seine schuldhaft rechtswidrige Handlun-

7/56, JZ 1958, S. 164; Geldhauser, Keine Haftung zwischen Sozialversicherungsträgern bei „gleichsinnigem" Zusammenwirken, Die Sozialversicherung 1993, S. 253 = BayVBl 1995, S. 714; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 34 Rn. 186. 5 OGHZ 4, S. 255 ff. (Beispiel Nr 20 - siehe S. 87). 6 OGHZ 4, S. 255 ff. (S. 259). 7 BGH, LM, Nr. 2 zu § 839 (Fm) BGB (Beispiel Nr 45 - siehe S. 103).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

gen verursachte, daß eine andere Behörde ebenfalls hoheitlich tätig wird und dabei Schaden erleidet. In der Tat sprechen gewichtige Gründe dafür, daß § 839 BGB in Verb, mit Art. 34 GrundG nicht zum Ziele hat, einen Schadensausgleich zwischen mehreren hoheitlich tätig werdenden Körperschaften herbeizuführen. Insoweit handelt es sich in erster Linie um einen Ausgleich zwischen Stellen, für die nach außen der Grundsatz der Einheit der Staatsverwaltung gilt, während bei § 839 BGB in Verb, mit Art. 34 GrundG gerade auf die Gewaltunterworfenheit des geschädigten Dritten abzustellen ist. Jedoch braucht dieser grundsätzlichen Rechtsfrage hier nicht näher nachgegangen zu werden, weil es auf jedem Fall an einem Verschulden der Bediensteten des Landes fehlt." 8

Was der BGH mit der Formel des „Grundsatzes der Einheit der Staatsverwaltung" meinte und inwiefern dieser Grundsatz für die Frage der Geltung des Amtshaftungsanspruchs zwischen Hoheitsträgern von Bedeutung war, blieb damit freilich unklar; der Zusammenhang deutet jedoch darauf hin, daß hiermit letztlich der Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts gegenüber den allgemeinen, das Staat-Bürger-Verhältnis regelnden Normen gemeint war. c) In diese Richtung gehen jedenfalls die Ausführungen des nächsten einschlägigen Urteils „Pauschbetrag"9 vom 27. Mai 1957. Es betraf letztlich die Frage, inwieweit der Bund verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß den Sozialversicherungsträgern die Kosten erstattet werden, die ihnen durch versicherungsfremde Leistungen entstehen. Konkret ging es darum, daß dem Bundesarbeitsminister vorgeworfen wurde, in einer Rechtsverordnung zu niedrige Pauschbeträge zur Abgeltung solcher Leistungen festgesetzt und dadurch die betroffenen Sozialversicherungsträger geschädigt zu haben. Der BGH erkannte hier, daß die von ihm auch so bezeichneten „Innenrechtsbeziehungen" zwischen Hoheitsträgern besonderer Art seien und sich von den zwischen Staat und Bürger geltenden „Außenrechtsbeziehungen" unterschieden - wenn nicht eine Körperschaft dem Staat oder einer anderen Körperschaft gegenüberstehe, also Ansprüche als selbständiger Rechtsträger gegen andere Rechtsträger verfolge 10. Wann von Innen- und wann von Außenrechtsbeziehungen zwischen Staat und den Trägern mittelbarer Staatsverwaltung auszugehen sei, blieb damit offen. Sieht man dieses Urteil in Zusammenhang mit den vorangegangenen Urteilen, spricht jedoch einiges dafür, daß mit „Ansprüchen" solche des Privatrechts gemeint waren, ein „Gegenüberstehen" zweier Hoheitsträger im Außenverhältnis also nur im Bereich fiskalischer Verwaltung anzunehmen war 11. Der BGH ging anschließend davon aus, daß Amtshaftungsansprüche 8

BGH, LM, Nr. 2 zu § 839 (Fm) BGB. BGHZ 24, S. 303 ff. (Beispiel Nr. 72 - siehe S. 120). 10 BGHZ 24, S. 303 ff. (S. 305 f.). 11 Bettermanns Kritik an der Entscheidung erscheint insofern als unberechtigt: Es ist möglich, zwischen Innen- und Außenrechtsbeziehungen zwischen Hoheitsträgern zu unterscheiden. Bettermann selbst sieht fiskalische Beziehungen als Außenrechtsbeziehungen an und ordnet alles andere den Innenrechtsbeziehungen zu (JZ 1958, S. 163). 9

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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zwischen Hoheitsträgern innerhalb der „Innenrechtsbeziehungen" nicht in Betracht kämen: „Im gegenwärtigen Fall besteht der von der Klägerin behauptete Eingriff, der in einer sich finanziell katastrophal auswirkenden niedrigen Bemessung der Pauschbeträge liegen soll, nicht darin, daß in ein substantielles Stück ihres Vermögens eingegriffen wird, sondern darin, daß ihr und anderen Ortskrankenkassen eine ihre Kräfte übersteigende und das Vermögen aufzehrende Last nicht abgenommen wird. Es geht also um die Zuteilung und einen Ausgleich von Lasten, die mit der Zuweisung einer öffentlichen Aufgabe entstanden sind, innerhalb von Gliedern des Staatsganzen. Macht der Staat von der ihm zukommenden Funktion, den Ausgleich zu regeln, Gebrauch, so sorgt er gewissermaßen für das eigene Ich, indem er einem seiner Glieder das ihm nach seiner Meinung Tunliche und Gebotene zukommen läßt. Nicht aber nimmt er dabei eine Amtspflicht gegenüber einem Dritten wahr. So kann auch die Regelung des Finanzausgleichs im Bunde oder innerhalb eines Staates des Bundes wesensmäßig nicht als Erfüllung von Amtspflichten aufgefaßt werden, die der Staatsspitze gegenüber den inkorporierten Teilen der Gesamtorganisation Bund und Staat oblägen und deren Verletzung - was zu unabsehbaren Folgen führte einen seiner Ansicht nach zurückgesetzten Teil des Ganzen zu einem Amtshaftungsanspruch gegen das Staatsganze berechtigen könnte."12 Der BGH Schloß hieraus, daß dem Bundesarbeitsminister bei der Festsetzung der Pauschbeträge keine Amtspflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern oblegen hätten. Er ging dann noch kurz auf die Frage ein, ob eine Haftung des Bundes gegenüber den Sozialversicherungsträgern nach den Anspruchsinstituten des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs 13 möglich sei: , Auch ein Sonderopfer, das die Klägerin zu einer Entschädigung nach Enteignungsoder Aufopferungsgrundsätzen berechtigen könnte, liegt nicht vor; es handelt sich auch insoweit allein darum, daß unter den in den Staat eingegliederten Körperschaften die Mittel, mit deren Hilfe öffentliche Aufgaben bewältigt werden sollen, nicht so verteilt werden, wie es Angehörige eines Kreises dieser Körperschaften unter Berufung auf das Gesetz fordern. Darin liegt kein Sonderopfer, das die Staatsgewalt einem ihr gegenüberstehenden Einzelnen abverlangt. Die Klage stellt sich demnach [...], was die bisher behandelten Klagegründe anlangt, als der Versuch dar, unter Anführung von vor die ordentlichen Gerichte gehörenden Klagegründen den ordentlichen Rechtsweg für Fragen des Lasten- und Finanzausgleichs zu eröffnen. Zu der Prüfung und Entscheidung dieser Fragen sind die ordentlichen Gerichte indessen nicht berufen." 14 Damit räumte der BGH eindeutig dem Lastenverteilungsrecht und damit dem Verwaltungsorganisationsrecht gegenüber solchen Schadensersatzansprü12

BGHZ 24, S. 303 ff. (S. 306). Auf die Entwicklung dieser Anspruchsinstitute durch die Rechtsprechung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Siehe hierzu im einzelnen: Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 22, S. 173 ff; Rüfner, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 49 Rn. 7 ff, 55 ff. 14 BGHZ 24, S. 302 ff (S. 307 f.). 13

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

chen den Vorrang ein, welche auf das Staat-Bürger-Verhältnis zugeschnitten sind. d) Der BGH hat diesen Ansatz in seinen späteren Urteilen jedoch nicht weiter verfolgt. Grundlegend für seine bis heute geltende ständige Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des Art. 34 Satz 1 GG zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts war vielmehr das Urteil „Zweifachwitwe" 1 5 vom 9. Januar 1958. Hier ging es um die Frage, ob ein Landkreis haftet, wenn seinem Versicherungsamt bei der Prüfung von Rentenanträgen ein Fehler unterläuft und hierdurch ein Rentenversicherungsträger geschädigt wird. Der BGH führte hierzu zunächst allgemein aus: „Die Frage, ob die verletzte Amtspflicht der Klägerin als einer ,Dritten' gegenüber besteht, bestimmt sich in erster Linie nach dem Zweck, dem die Amtspflicht dient. Dient die Amtspflicht dem Schutz der Öffentlichkeit, allgemein der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder dem Interesse des Gemeinwesens an einer ordnungsgemäßen Amtsführung der Beamten überhaupt, dann handelt es sich insoweit nicht um eine einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht. Die Dritten obliegenden Amtspflichten sind also insbesondere zu unterscheiden von Dienstpflichten, die innerhalb des Gemeinwesens im Verhältnis zu gleichgeordneten, nebengeordneten, übergeordneten oder untergeordneten Behörden zur Aufrechterhaltung einer geordneten, wohl funktionierenden Verwaltung erlassen und zu beachten sind (vgl. RGZ 78, 241; 118, 325/327; 134, 321; 1.35, 110/113; 139, 153; 140, 423/427; 169, 312/314; BGHZ 15, 306; 20, 53/55). Natürlich können andere Körperschaften des öffentlichen Rechts, kann selbst die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, u. U. ,Dritte' i. S. des § 839 BGB sein. In diesem Falle muß aber der Beamte, soweit er bei der Erledigung eines Dienstgeschäftes tätig wird, in der Weise der Körperschaft gegenüberstehen', die charakteristisch für das Verhältnis zwischen ihm und dem Bürger ist, der sich auf die Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden Amtspflicht des Beamten beruft. Die allgemeine aus dem Beamtenverhältnis fließende Dienstpflicht des Beamten, die Belange des Dienstherrn wahrzunehmen, ist keine ihm der Anstellungskörperschaft als einem ,Dritten' gegenüber obliegende Amtspflicht." 16 Kernsatz der Entscheidung ist damit, daß „natürlich" juristische Personen des öffentlichen Rechts „Dritte" i. S. d. § 839 BGB sein können. Daß Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich auch zu einer Haftung zwischen Hoheitsträgern führen kann, wurde damit als nicht mehr begründungsbedürftig dargestellt - und ist in der Literatur seither auch nicht bezweifelt worden 17 . Der Schwerpunkt wurde damit auf die Frage gelegt, inwieweit Amtspflichten zwischen Hoheitsträgern als drittbezogene Amtspflichten verstanden werden können. Die ge-

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BGHZ 26, S. 232 ff. (Beispiel Nr. 34 - siehe S. 96). BGHZ 26, S. 232 ff. (S. 234). 17 Siehe nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 6 3 d, S. 56: „Nach anfänglichen Zögern ist inzwischen allgemein anerkannt, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts ,Dritte' im Sinne des Amtshaftungsrechts sein können [...].". 16

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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schädigte L V A hatte insofern angenommen, daß der Beamte des Versicherungsamts die Amtspflicht gehabt habe, sie vor Vermögensschäden zu bewahren, die durch unrichtig aufgenommene Rentenanträge verursacht werden. Der BGH lehnte diese Konstruktion jedoch ab. Allein gegenüber dem Versicherten habe eine Amtspflicht bestanden, auf eine Niederschrift richtiger Anträge hinzuwirken: „Daß die Tätigkeit des den Antrag entgegennehmenden Beamten auch im Interesse des Versicherungsträgers liegt - die Bearbeitung der Anträge wird erheblich erleichtert, ein Teil der dazu nötigen Vorarbeiten wird im Versicherungsamt geleistet - genügt nicht, um die Klägerin als ,Dritte' i. S. des § 839 BGB erscheinen zu lassen. Insoweit handelt der Beamte ganz ebenso, als wenn er Beamter des Versicherungsträgers wäre, in Wahrnehmung des allgemeinen öffentlichen Interesses an einer geordneten, wohl funktionierenden Verwaltung; seine Amtspflicht dient insoweit dem Interesse des Gemeinwesens an einer ordnungsgemäßen Amtsführung imfrüher dargelegten Sinne."18 Anders als zur Weimarer Zeit reicht somit ein bloßes Vermögensinteresse eines Hoheitsträgers an der ordnungsgemäßen Erfüllung der Amtspflichten der Amtswalter anderer Hoheitsträger nicht mehr aus, um diese Amtspflichten als drittschützend zu qualifizieren 19 . Hierfür sollen ganz andere Kriterien maßgeblich sein: „Das Gesetz hat also Versicherungsämter und Versicherungsträger zu einer gemeinsamen Aufgabe, bei deren Erfüllung sie gleichsinnig und nicht etwa je in Vertretung widerstreitender Interessen zusammenwirken müssen, eng miteinander verbunden, also eine Verzahnung von Behörden verschiedener Rechtsträger derart hergestellt, daß ihre Beziehungen untereinander dem Außenstehenden - dem Bürger und insbesondere dem Versicherten - als ein Internum erscheinen. Damit verliert der Umstand, daß der Beamte, der hier seine Amtspflicht verletzt hat, nicht Beamter der Klägerin, sondern Beamter der Beklagten war, für die hier zu entscheidende Frage vollends jede Bedeutung. Ihm oblag die korrekte und gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflicht bei der Entgegennahme des Rentenantrages zwar dem Versicherten als ,Dritten' gegenüber, im übrigen aber, auch soweit die Klägerin daran ein Interesse hat, im allgemeinen öffentlichen Interesse."20 Der BGH legte damit für die Frage, ob drittschützende Amtspflichten zwischen Hoheitsträgern bestehen, letztlich dieselben Maßstäbe an, wie er sie für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger entwickelt hatte. e) Wenige Monate später, am 5. Mai 1958, erging das Urteil „Soforthilfe I " 2 1 , das die spätere Rechtsentwicklung entscheidend prägte. Es behandelte

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S. 64).

BGHZ, 26, S. 232 ff. (S. 235). Siehe hierzu: 3. Kap. C I d (S. 150 ff). BGHZ 26, S. 232 ff. (S. 236). BGHZ 27, 210 ff. (der Sachverhalt ähnelte dem des Beispiels Nr. 10 - siehe

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

die Frage, ob die Länder bzw. Kommunen nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG für die fehlerhafte Bewirtschaftung von Bundesmitteln bei Durchführung der Soforthilfe und des Lastenausgleichs haften - dieses Problem war praktisch von erheblicher Bedeutung: Wegen der unübersichtlichen Rechtslage und der Arbeitsüberlastung in den Lastenausgleichs- und Versorgungsämtern der Länder und Kommunen waren in zahlreichen Fällen zu Unrecht Lastenausgleichsleistungen und Versorgungsrenten auf Rechnung des Bundes gewährt worden22; die Zahl der Übererhebungen wurde auf 10% der Gesamtfalle 23, die Auswirkungen als unübersehbar geschätzt24. Weil es hier um einen unechten Haftungsfall, also um fehlerhafte Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen ging, hätte eigentlich die Frage gestellt werden müssen, ob die durch Fehlverwendungen verursachten Ausgaben bei Durchführung des Lastenausgleichs nach Art. 120 GG dem Bund oder den Ländern zugewiesen waren, ob also der Bund durch die Fehlverwendung überhaupt geschädigt werden konnte oder ob ihm die Länder ohnehin bei fehlerhafter Mittelverwendung zur Rückerstattung aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verpflichtet waren25. Der BGH ging hierauf jedoch gar nicht ein, sondern unterstellte stillschweigend eine Schädigung des Bundes. Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß sowohl das Bundesausgleichsamt wie das Bundesversorgungsamt anscheinend selbst davon ausgingen, daß der Bund keine Rückerstattung aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen könne. So wurde in verschiedenen Rundschreiben des Bundesausgleichsamts angeordnet, daß bei Überzahlung zu prüfen und aktenkundig zu machen sei, inwieweit den verantwortlichen Bediensteten ein Verschulden treffe 26, um sich auf diese Weise die Möglichkeit offen zu halten, Amtshaftungsansprüche gegen die Anstellungskörperschaft durchzusetzen27. Auch in den durch diese Rundschreiben ausgelösten Stellungnahmen in der Literatur 28 ging man ohne weiteres von einer Schädigung des Bundes aus - ohne daß man grundsätzlich den Bund nach Art. 120 GG für verpflichtet hielt, den Ländern auch die Aufwendungen für fehlerhafte 22

Vgl. hierzu auch Kummer, Die Haftung der Länder, S. 45 ff. König, DÖV 1957, S. 112. 24 Sturm, DÖV 1966, S. 256. 25 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c bis e (S. 44 ff.) sowie Β Π und ΠΙ (S. 64 ff.). 26 Nachweise bei: Münz, Das Verschulden des mitwirkenden Beamten oder Angestellten in Fällen überbezahlter Unterhaltshilfe, ZLA 1956, S. 131 f. 27 Herder, Fragen zur Haftung bei Amtspflichtverletzungen gegenüber dem Ausgleichsfonds, RLA 1957, S. 355. 28 So insbesondere: Siefen, DöH 1955, S. 241 f.; ders., KoV 1956, S. 18. Dem folgend: Fricke, Regreßpflicht der Beamten bei fehlerhaftem Verwaltungsakt?, RiA 1959, S. 53; G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 125 ff.; Prechtel, Wann haftet der Versorgungsbeamte wegen zu Unrecht gewährter Versorgungsleistungen?, KOV 1957, S. 229. 23

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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Mittelverwendungen zu erstatten. Vielmehr maß man dem gewählten Fremdmittelbewirtschaftungsverfahren entscheidende Bedeutung zu: Man nahm an, daß der Bund bei Anwendung des mittelbaren Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens 29 sich auf den Standpunkt hätte stellen können, daß er nach Art. 120 GG nur solche Aufwendungen zu erstatten habe, die zu Recht gewährt worden seien. Handelten die Länder dagegen auf Rechnung des Bundes30, werde dieser durch Fehlzahlungen unmittelbar geschädigt, die Länder aber nicht bereichert, so daß eine Rückabwicklung nur durch Schadensersatzansprüche möglich sei. Hierbei wurde verkannt, daß die Anordnung eines bestimmten Fremdmittelbewirtschaftungsverfahrens in den Überleitungsgesetzen keine Rückwirkung auf die durch Art. 120 GG angeordnete Lastenverteilung haben konnte31. Dennoch blieb dieser Ansatz in der Literatur und späteren Rechtsprechung zu unechten Haftungsfällen in der Folgezeit nahezu unwidersprochen. Unter diesen Bedingungen mußte sich die Frage stellen, ob die Länder als mittelbewirtschaftende Stellen gegenüber dem Bund als Ausgabenträger nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG haften. Dies wurde in der Literatur zunächst unterschiedlich beantwortet: Teilweise ging man davon aus, daß Art. 34 Satz 1 GG zugunsten des Bundes anwendbar sei - wobei man sich ausdrücklich auf die Rechtsprechung des RG berief, das zur Weimarer Zeit jede Amtspflicht, die auch dem Vermögensinteresse eines anderen Hoheitsträgers zu dienen bestimmt war, als eine diesen Hoheitsträger schützende Amtspflicht ansah32. Andere hielten dagegen Art. 34 Satz 1 GG zugunsten des Bundes bzw. des Lastenausgleichsfonds nicht für anwendbar und nur eine persönliche Haftung des Bediensteten für möglich33. Der BGH machte im Urteil „Soforthilfe I" 3 4 deutlich, daß er die Grundsätze des Urteils „Zweifachwitwe" 35, also seine dort entwickelte „Verzahnungstheorie" anwenden wolle. Hiernach sei entscheidend, ob der Bedienstete bei der Erledigung seiner Dienstgeschäfte dem Bund in der Weise „gegenübergestanden" habe, wie dies charakteristisch sei für das Ver29

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 h (S. 52). Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 g (S. 51 f.). 31 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 f (S. 51). So auch Griffel, DöH 1957, S. 244. 32 So Fricke, RiA 1959, S. 53; Herder, RLA 1957, S. 353 ff.; Κ. H Schaefer, Zur Frage der Amtshaftung in der Ausgleichsverwaltung, DÖV 1957, S. 394 ff; Siefen, DöH 1955, S. 244; ders., KoV 1956, S. 41 f.; Zschake, Zum „Regreß" in der Ausgleichsverwaltung, ZLA 1957, S. 147. 33 Fritz, Zur Amtshaftung im Lastenausgleich, IFLA 1958, S. 223 ff.; Griffel, DöH 1957, S. 246; König, DÖV 1957, S. 113; Kandel, Keine Ersatzpflicht gegenüber dem Soforthilfefonds, Die Selbstverwaltung 1951, S. 297 ff.; Steffen, Amtshaftung in Lastenausgleichssachen, Die Selbstverwaltung 1954, S. 27. 34 BGHZ 27, 210 ff 35 BGHZ 26, S. 232 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A 11 d (S. 174 ff). 30

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

hältnis zwischen dem Bund und dem Bürger, der sich auf die Verletzung einer ihm - dem Bürger - gegenüber bestehenden Amtspflicht des Beamten berufe. Ein solches Gegenüberstehen wurde verneint: „Sowohl das Gesetz (SHG und LAG) als auch die tatsächliche Verwaltungsübung haben also die Gemeinden, Länder und den Bund zu einer gemeinsamen Aufgabe, bei deren Erfüllung sie gleichsinnig und nicht etwa je in Vertretung widerstreitender Interessen zusammenwirken müssen, derart eng miteinander verbunden, also eine Verzahnung von Behörden verschiedener Rechtsträger derart hergestellt, daß ihre Beziehungen untereinander insoweit als „Internum" erscheinen (vgl. das genannte Urteil des Senats in BGHZ 26, 232; ferner BGHZ 24, 302, 306). Die Gemeinden waren und sind nicht nur [...] im Rahmen der Durchführung des Soforthilfegesetzes (und des Lastenausgleichsgesetzes) den Soforthilfe- oder Ausgleichsbehörden zur ,Amtshilfe' verpflichtet (§ 58 SHG), sondern sie waren (und sind) selbst an der Durchführung dieser aus den genannten Gesetzen sich ergebenden Aufgaben beteiligt; ihre Mitwirkung vollzog und vollzieht sich im Bereich des Lastenausgleichs so, daß die Gemeinden insoweit als Teil einer einheitlichen Verwaltungsorganisation erscheinen. [...] Bei einer solchen Art der Mitwirkung der Gemeinde verliert der Umstand, daß der Angestellte K , der hier seine Amtspflichten verletzt hat, nicht im Dienst der Klägerin, sondern in dem der beklagten Stadtgemeinde stand, für die hier zu entscheidende Frage jede Bedeutung. Soweit K. innerhalb der Verwaltung der Beklagten Aufgaben zur Durchführung des Soforthilfegesetzes wahrnahm, handelte er zugleich in Wahrnehmung einer Aufgabe, die in derselben Weise der Klägerin oblag. Die Klägerin stand dem Angestellten K. deshalb nicht als „Dritte" im Sinne des § 839 BGB gegenüber f...]." 36 Der BGH subsumierte damit letztlich unter die erst im Januar desselben Jahres aufgestellten Grundsätze der Verzahnungstheorie wie unter ein Gesetz; hierbei wurden sie gewissermaßen verdreht: Der BGH prüfte nicht, ob man nach den für das Staat-Bürger-Verhältnis maßgeblichen Kriterien das Vorliegen einer drittbezogenen Amtspflicht des Beamten annehmen könne, sondern untersuchte, ob einem an dem Streit nicht beteiligten Bürger in einer bestimmten Situation die streitenden Hoheitsträger als Einheit oder als „Vielheit" erscheinen. Warum die Sicht des Bürgers entscheidend sein solle, begründete der BGH nicht. Er verwies insofern auf die vorangegangenen Urteile, die einen solchen Grundsatz aber nicht aufgestellt hatten. Der BGH sah sich hiermit jedoch in der Tradition des RG: „Dieses Ergebnis steht mit der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht in Widerspruch. Soweit das Reichsgericht Amtspflichten eines Beamten im Sinne des § 839 BGB auch gegenüber dem Staat oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften bejaht hat, handelte es sich um die Verletzung von - meist gesetzlich normierten - besonderen Pflichten, die erkennbar gerade dem Schutz dieser Körperschaften dienten oder dem Beamten gerade zum Zwecke der Wahrnehmung der Interessen dieser anderen Körperschaften auferlegt waren [...]. Diese Entscheidungen

36

BGHZ 27, S. 210 ff. (S. 213 f.).

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entsprechen also dem auch vom erkennenden Senat stets angewandten - auch hier zugrunde gelegten - Grundsatz, daß sich die Frage, ob die verletzte Amtspflicht einem Dritten gegenüber besteht, nach dem Zweck bestimmt, dem die Amtspflicht dienen soll. Sollte das Reichsgericht (RGZ 154, 201, 208) mit der Bemerkung, die Pflicht eines Beamten, sich jedes' Amtsmißbrauchs zu enthalten, liege ihm gegenüber jedem' Dritten ob, der durch Mißbrauch geschädigt werden ,könnte', auch einen Fall der hier entschiedenen Art im Auge gehabt haben, so könnte dem aus den oben dargelegten Gründen nicht beigetreten werden."37

f) Tatsächlich war der Bruch der Rechtsprechung des BGH mit der Rechtsprechung des RG jedoch wesentlich tiefer: Hatte das RG eine Haftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 131 Abs. 1 Satz 1 WRV jedenfalls zur Weimarer Zeit unproblematisch auch bei Verwaltungsträgerschäden jeder Art für möglich gehalten, ist dies bei Anwendung der Verzahnungstheorie nur noch in Ausnahmefällen denkbar. Dies zeigte die spätere Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, der sich mittlerweile auch das BSG38 und das BVerwG 39 angeschlossen haben: Zwar hob der BGH im Urteil „Umsiedlung"40 vom 31. März 1960 noch ausdrücklich hervor, daß „Gegenüberstehen" nicht bedeute, daß sich die geschädigte Körperschaft wie ein Bürger betätigen müsse41. Dieser Vorbehalt ist jedoch nur in zwei Sonderfällen bedeutsam geworden42. Auch für die in der Literatur weit verbreitete Annahme, daß aufgrund der Verzahnungstheorie eine Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen bei Verletzung von Selbstverwaltungsrechten in Betracht komme43, gibt die Rechtsprechung des BGH keine Anhaltspunkte44 - sieht man von einem obiter dictum in einem Urteil vom 24. April 196145 ab, in dem es darum ging, inwieweit den Bediensteten

37

BGHZ 27, S. 210 ff. (S. 214). BSGE 18, S. 293 ff. (S. 296); BSGE 26, S. 129 ff. (S. 135) - „Einzugsstelle m", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 2 b (S. 198 f.). 39 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. - „Zivilschutz", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 40 BGHZ 32, S. 145 ff. (S. 146). 41 BGHZ 32, S. 145 ff. (S. 146). 42 OLG Düsseldorf, NJW 1969, S. 1350 ff.; BGHZ 85, S. 121 ff. - „Gehwegplatte", siehe hierzu: 4. Kap. A 1 1 i (S. 183 f.). 43 So wird die Verzahnungstheorie verstanden von: Bender, Staatshaftungsrecht 2, Rn. 544; Gromme, DVB1 1996, S. 1231; von Einem, Amtshaftungsansprüche zwischen Hoheitsträgern, BayVBl 1994, S. 486 = Amtshaftung zwischen Sozialversicherungsträgern, Die Sozialversicherung 1993, S. 1; Gern, Deutsches Kommunalrecht (2. Aufl. 1997), Rn. 827; Maurer, Allg. VerwR, § 25 Rn. 54; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 6 3 d, S. 56 f.; MünchKomm-Pap/er, § 839 Rn. 270; Pauly/Danker LKV 1997, S. 45; Rüfner, in: Erichsen, Allg. VerwR, §48 Rn. 21; Palandt-Thomas, § 839 Rn. 108; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 230g. 44 Vgl. BGH, NVwZ 1987, S. 531 f. (S. 532) - „Vergleichsmitteilung" (Beispiel Nr. 31 - siehe S. 94). 45 BGHZ 35, S. 44 ff. (S. 50). 38

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

der Aufsichtsbehörde Amtspflichten gegenüber dem am Aufsichtsverhältnis nicht beteiligten Bürger obliegen. Ganz im Gegenteil hat etwa das LG Potsdam in einem mit dem Beispiel Nr. 4646 vergleichbaren Fall angenommen, daß eine Amtshaftung für fehlerhafte Rechtsaufsichtsmaßnahmen gegenüber einer Gemeinde gerade nicht in Betracht komme, da im Bereich der Rechtsaufsicht Interessenübereinstimmung gegeben sei, weil sowohl die Gemeinde wie die Rechtsaufsicht das Interesse rechtmäßigen Verwaltungshandelns verfolgten 47. So wie die Verzahnungstheorie heute angewendet wird, ist von einer „Verzahnung" damit immer schon dann auszugehen, wenn zwei Hoheitsträger auch nur punktuell bei der Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe zusammenwirken - unabhängig davon, ob Selbstverwaltungsrechte betroffen sind oder nicht. In einigen Fällen wurde dies noch mit der ursprünglichen, meistens jedoch eher mit der „verdrehten" Version der Verzahnungstheorie begründet, wobei die „verdrehte" Version vor allem auch den einschlägigen Entscheidungen der Instanzgerichte zugrunde liegt48. Nur bei Fiskalschäden gaben die ordentlichen Gerichte auf § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG gestützten Klagen juristischer Personen des öffentlichen Rechts regelmäßig statt49. g) Drei einschlägige Urteile des BGH unterscheiden sich jedoch von seiner ständigen Rechtsprechung maßgeblich in der Begründung. Zunächst ist hier auf das Urteil „Bedingtes Krankengeld"50 vom 26. Mai 1975 hinzuweisen. Reduziert man dessen Sachverhalt auf das für die Begründung wesentliche, lag eine Konstellation vor, die heute in § 103 SGB X geregelt ist: Ein Versicherter hatte Anspruch auf von der Krankenkasse zu zahlendes Krankengeld bis zu dem Tag, an dem ihm eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der LVA bewilligt wurde. Erfolgte die Bewilligung rückwirkend und hatte die Kranken46

Siehe S. 103. LG Potsdam, LKV 1998, S. 79 f. (S. 80). 48 Eher die „ursprüngliche" Version der Verzahnungstheorie wird angewendet von: BGHZ 32, S. 145 ff (S. 146 ff) - „Umsiedlung"; BGH, DVB1 1974, S. 592 f. (S. 593) - „Nibrenwachs". Eher die „verdrehte" Version der Verzahnungstheorie wird angewendet von: BGHZ 60, S. 371 ff. (S. 373) - „Schulträger I", siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ f (S. 207); BGHZ 87, S. 253 ff (S. 257 ff.) - „Zivildienstleistender I", siehe hierzu: 4. Kap. A m g (S. 208); BGHZ 116, S. 312 ff. (S. 316 f.) - „Rentenablehnung", siehe hierzu: 8. Kap. Β 11 f (S. 431); BGH, NVwZ 1987, S. 531 f. - „Vergleichsmitteilung"; BGH, NVwZ 1991, S. 707 ff (S. 708) - „Gerberei"; OLG Karlsruhe, NJW 1974, 5. 1824 ff. (S. 1825) - „Wandbeschriftung", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 e (S. 196 f.); BayOblG, VerwRspr. 26 (1975) Nr. 182, S. 827 ff; OLG Saarbrücken, VersR 1994, S. 1191 ff. (S. 1193 f.)-„Kurmittelhaus" 49 BGH, VersR 1960, S. 750 ff. - „Meldebescheinigung", siehe hierzu: 9. Kap. A I 2 d (S. 476); BGH, NJW 1967, S. 930; OLG Zweibrücken, VersR 1975, S. 842 ff (hier ging es um die Haftung von Beliehenen); OLG Celle, Urteil vom 26. März 1996 16 U 197/94 - „Gorleben". Siehe aber auch: BGHZ 98, S. 244 ff. - „Blindgänger", siehe hierzu: 4. Kap. A 11 h (S. 182 f.). 50 BGH, LM, Nr. 34 zu § 839 (Cb) BGB (Beispiel Nr. 40 - siehe S. 100). 47

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kasse über den Bewilligungszeitpunkt hinaus Krankengeld bezahlt, ging der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über (vgl. § 103 Abs. 1 SGB X). Überstieg das Krankengeld aber die Rente, konnte die Krankenkasse den überschießenden Betrag weder vom Versicherten noch vom Rentenversicherungsträger zurückverlangen (vgl. § 103 Abs. 2 SGB X). Eine verzögerliche Bearbeitung des Rentenantrages durch den Rentenversicherungsträger konnte sich deshalb nachteilig für die Krankenkasse auswirken. Eine auf diese Weise geschädigte Krankenkasse machte deshalb Amtshaftungsansprüche geltend. Der BGH ging zunächst von seiner Verzahnungstheorie aus; diese paßte allerdings nicht richtig, da sich die beteiligten Sozialversicherungsträger hier weder gegenüberstanden noch zusammenwirkten. Wohl deshalb wendete der BGH die Verzahnungstheorie der Sache nach nicht an. Er leitete vielmehr aus dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Rechtsnormen ab, daß das Risiko verzögerlicher Bearbeitung des Rentenantrags allein dem Krankenversicherungsträger zugewiesen sei. Dabei hob er deutlich hervor, daß die Sozialgesetze, ähnlich wie heute § 103 Abs. 2 SGB X, keinen Ausgleich für Belastungen vorsahen, die nicht schon durch den Rentenübergang ausgeglichen würden, und daß der Krankenversicherungsträger auch nicht Beteiligter im Rentenfeststellungsverfahren sei. Dann fuhr er fort: „Diese in sich geschlossene gesetzliche Regelung spricht gegen das Bestehen einer Amtspflicht der am Rentenfeststellungsverfahren beteiligten Amtsträger [...] gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Interesse an der Vermeidung nicht erstattungsfähiger Krankengeldzahlungen wahrzunehmen. Vielmehr bestätigt die dargestellte Rechtslage die Auffassung des BerGer., daß das Gesetz Kasse und Rentenversicherungsträger zur gleichsinnigen Erfüllung der gemeinschaftlichen Aufgabe verbunden hat, an den Sozialversicherten Leistungen - Krankengeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente - zu erbringen, wenn er nicht mehr erwerbsfähig ist. Nach der gesetzlichen Regelung tritt der Träger der Rentenversicherung dabei nicht in einen Interessengegensatz zum Träger der Krankenversicherung, weil der Umfang der von ihm - gegebenenfalls kraft Anspruchsübergangs an die Kasse zu erbringenden Leistung, auch der Zeit nach, nicht davon abhängt, in welcher Höhe und wie lange der Träger der Krankenversicherung Krankengeld geleistet hat."51

Die sehr gewollt wirkende Anwendung von Formulierungen der Verzahnungstheorie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der BGH letztlich nicht deren Maßstäbe angewendet, sondern einen Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts anerkannt hat, dessen Risikoverteilungen und Lastenverteilungsregeln nicht durch die Anwendung auf dieses Verhältnis nicht zugeschnittener Staatshaftungsansprüche unterlaufen werden dürfen.

51

BGH, LM, Nr. 34 zu § 839 (Cb) BGB, Bl. 2 (Rückseite).

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h) Der Vorrang des Verwaltungsorganisationsrechts wurde vom BGH auch im Urteil „Blindgänger" 52 vom 18. September 1986 anerkannt, in dem es um eine Fiskalschädigung ging. Die Bundespost war von einer Stadt, der die Aufgaben der Ortspolizeihörde als Auftragsangelegenheit zugewiesen waren, rechtswidrigerweise als Nichtstörer zur Verlegung von Fernmeldekabeln in Anspruch genommen worden. Sie machte einen Entschädigungsanspruch nach niedersächsischem Polizeirecht geltend, der - wie die in allen anderen Polizeigesetzen entsprechend geregelten Entschädigungsansprüche - eine spezialgesetzliche Ausformung des Aufopferungsgrundsatzes darstellte53 und (analog) auch bei rechtswidriger Inanspruchnahme des Nichtstörers anzuwenden war 54. Der BGH hielt jedoch eine Entschädigung der Bundespost für ausgeschlossen : Da die Bundespost zur Verlegung von Fernmeldekabeln herangezogen worden war, ging er davon aus, daß das Telegraphenwegesetz vom 18. Dezember 189955 zu berücksichtigen sei; dieses weise in § 3 Abs. 3 der Bundespost die Kosten zu, die durch die Verlegung und Beseitigung von Fernmeldekabeln entstünden, welche durch Straßenunterhaltungsarbeiten veranlaßt würden. Dies gelte auch dann, wenn die Beseitigung der Kabel auf rechtswidrige Inanspruchnahme der Bundespost als Nichtstörer zurückzuführen sei56. Gleichsam zur Absicherung seines Ergebnisses wies der BGH auch auf die verfassungsrechtliche Lastenverteilungsregel des Art. 104a Abs. 1 GG hin. Er stellte fest, daß Art. 104a Abs. 1 GG es auch Kreisen und Gemeinden verbiete, als Teile der Länder Bundesaufgaben zu finanzieren. Zur Frage, ob die Verlegung der Kabel eine Bundesaufgabe darstelle, führte der BGH aus: ,3ei der Prüfung der Frage, welche Aufgabe i. S. der allgemeinen Lastenverteilungsregel vorliegt, ist von der Verwaltungsverantwortung auszugehen und nicht zu untersuchen, wer die Entscheidung, die letztlich die Kosten hat anfallen lassen, getroffen oder die Ausgaben „veranlaßt" hat [...]. Eine Aufgabe des Bundes, deren Kostenlast nicht auf die Länder oder Gemeinden abgewälzt werden darf, ist dann gegeben, wenn die ausschließliche Verwaltungskompetenz für die unmittelbar kostenverursachende Maßnahme beim Bund liegt. Die Verwaltungskompetenz für die Verlegung von Fernmeldeleitungen liegt beim Bund; denn die Bundespost wird in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Ver52

BGHZ 98, S. 244 ff. (Beispiel Nr. 22 - siehe S. 88). Gegen ein solches Verständnis der polizeirechtlichen Entschädigungsansprüche: Treffer, Staatshaftung im Polizeirecht (1993), S. 81. 54 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 33 3, S. 664; a. A. Rachor , Ausgleichs- und Ersatzansprüche des Bürgers, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, L Rn. 20. 55 RGBl IS. 705. Vgl. zur heute geltenden Rechtslage §§ 50 ff. TKG. 56 Hier sind die Entscheidungsgründe allerdings nicht ganz eindeutig. Dieser Schluß ergibt sich nur daraus, daß der BGH die Frage, ob die Inanspruchnahme der Bundespost rechtswidrig oder rechtmäßig war, dahingestellt sein ließ und dennoch auf den einer Entschädigimg entgegenstehenden § 3 Abs. 3 des Telegraphenwegegesetzes verwies (BGHZ 98, S. 244 ff. [S. 246]). 53

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waltungsunterbau geführt (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Klägerin kann daher aus Art. 104a GG nichts dafür herleiten, daß die beklagte Stadt die Kosten der Verlegung des Kabels tragen müsse."57

Konnte aber die Bundespost nach Art. 104a Abs. 1 GG nicht verlangen, daß die Stadt die Kosten trägt, bedeutet dies umgekehrt, daß die Stadt der Bundespost nach Art. 104a Abs. 1 GG auch gar keine Entschädigung zahlen durfte, da die Lastenverteilungsregeln des Art. 104a GG zwingend sind58. Bei näherem Hinsehen könnte man also aus dem Urteil schließen, daß der BGH zumindest im Bund-Länder-Verhältnis den finanzverfassungsrechtlichen Lastenverteilungsregelungen gegenüber den einfachgesetzlichen Entschädigungsansprüchen den Vorrang einräumt, da die Finanzverfassung auch die Verteilung des Verwaltungsrisikos abschließend regelt. Auf Amtshaftungsansprüche ging der BGH nicht ein. i) Vor diesem Hintergrund ist schließlich noch das Urteil „Gehwegplatte"59 vom 7. Oktober 1982 zu erwähnen, das sich ebenfalls mit Haftungsproblemen im Anwendungsbereich des Telegraphenwegegesetzes zu befassen hatte. Die Bundespost hatte hier nach Arbeiten an Fernmeldeleitungen entlang einer Gemeindestraße Gehwegplatten unsachgemäß verlegt, ein Passant war gestürzt und hatte die Gemeinde erfolgreich wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch genommen. Die Gemeinde machte ihrerseits den Schadensersatzanspruch des § 2 Abs. 3 Satz 2 des Telegraphenwegegesetzes geltend, nach dem die Bundespost verpflichtet war, dem Wegeunterhaltsverpflichteten den Schaden zu ersetzen, der auf Arbeiten an der Fernmeldelinie zurückzuführen war. Insofern hielt der BGH den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für ausgeschlossen60. Er nahm aber an, daß der Bundespost gegenüber einer wegeunterhaltspflichtigen Gemeinde die Amtspflicht obläge, sie vor Schäden zu bewahren, die sich aus ihren Arbeiten ergeben könnten. Sie hafte demnach nach § 839 BGB Art. 34 Satz 1 GG gegenüber der Gemeinde: „Das Wegerecht nach § 1 Abs. 1 TWG dient der Deutschen Bundespost zur Einrichtung ihrer Telegrafenlinien und damit einer ihr gestellten Aufgabe, an deren Erfüllung sich die Klägerin nicht aktiv zu beteiligen hat. Sie ist vielmehr als Wegeunterhaltungspflichtige nur zur Duldung der Telegrafenlinie und der damit zusammenhängenden Arbeiten verpflichtet. Beide Parteien sind somit nicht zur gleichsinnigen Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe verbunden. Im Gegenteil ergeben sich aus ihrer Stellung zueinander eher widerstreitende Interessen f...]." 61

57 58 59 60 61

BGHZ 98, S. 244 ff. (S. 254 f.). Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff.) und Π 2 d (S.56 ff.). BGHZ 85, S. 122 ff. (Beispiel Nr. 57 - siehe S. 111 ). BGHZ 85, S. 122 ff (S. 123). BGHZ 85, S. 122 ff. (S. 126 f.).

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Hätte der BGH Amtshaftungsansprüche aufgrund der Verzahnungstheorie abgelehnt, hätte er sich in einen gewissen Widerspruch zum Schadensersatzanspruch des § 2 Abs. 3 Satz 2 des Telegraphenwegegesetzes gesetzt, der offensichtlich von gegenläufigen Interessen zwischen dem Wegeunterhaltungspflichtigen und der Bundespost ausging. Insofern kann man auch in diesem Urteil eine gewisse Bestätigung des Vorrangs des Verwaltungsorganisationsrechts durch den BGH sehen. Andererseits wird nicht ganz deutlich, worin der BGH das Besondere sah, das diesen Fall von den übrigen Fällen unterschied, in denen er Amtshaftungsansprüche für Verwaltungsträgerschäden aufgrund der Verzahnungstheorie ablehnte. Ähnlich wie im Urteil „Bedingtes Krankengeld"62 hätte er auch annehmen können, daß das Telegraphenwegegesetz Wegeunterhaltspflichtige und Bundespost zu der gemeinsamen Aufgabe „Verlegung von Fernmeldelinien" zusammenfasse und deshalb Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen wären. j) Abschließend soll noch kurz auf das in den neuen Bundesländern geltende Staatshaftungsrecht eingegangen werden: Dort gilt (bzw. galt) nach den Maßgaben des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i. V. m. Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet B, Abschnitt III Nr. 1 des Einigungsvertrages als Landesrecht das Staatshaftungsgesetz der DDR vom 12. Mai 196963 fort 64. Die Haftungsgrundnorm des § 1 Abs. 1 StHG-DDR lautet nach den Maßgaben des Einigungsvertrages: Für Schäden, die einer natürlichen oder einer juristischen Person hinsichtlich ihres Vermögens oder ihrer Rechte durch Mitarbeiter oder Beauftragte staatlicher oder kommunaler Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden, haftet das jeweilige staatliche oder kommunale Organ.

Diese Norm begründet somit eine allgemeine unmittelbare, verschuldensunabhängige Staatshaftung für jede Schädigung aufgrund rechtswidriger „staatlicher" (= hoheitlicher65) Tätigkeit66 der unmittelbaren und mittelbaren 62

BGH, LM, Nr. 34 zu § 839 (Cb) BGB - siehe hierzu: 4. Kap. A11 g (S. 180 f.). Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik (GBl I S. 34). Zur Geschichte des Staatshaftungsrechts in der DDR: Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht, §64, S. 378 ff; A. Schäfer/Bonk, Staatshaftungsgesetz (1981), Einführung Rn. 25. 64 In Berlin ist das StHG-DDR durch das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. September 1995 (GVB1 S. 607) mittlerweile aufgehoben worden. Zu den Gesetzesänderungen in den übrigen neuen Bundesländern siehe Herbst/Lühmann, Die Anwendung des Staatshaftungsgesetzes in den neuen Ländern, LKV 1998, S. 51 ff. 65 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 64 4 d, S. 397 f.; Rüfner, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 50 Rn.41. 66 Maurer, Allg. VerwR, § 28 Rn. 39; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 64 4, S. 394.; Rüfner, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 50 Rn. 43. 63

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Landesverwaltung (nicht der Bundesverwaltung67). Da § 1 Abs. 1 StHG-DDR allen natürlichen und juristischen Personen die Aktivlegitimation zuspricht, geht die Literatur davon aus, daß aus § 1 Abs. 1 StHG-DDR grundsätzlich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts aktivlegitimiert sein könnten. Cromme schränkt dies jedoch unter Heranziehung der Verzahnungstheorie ein 68 , meistens wird jedoch die Frage der Geltung der Verzahnungstheorie im Rahmen des § 1 Abs. 1 StHG-DDR nicht behandelt69 Rechtsprechung fehlt, die Rechtslage ist unklar. Anders jedoch in Sachsen-Anhalt: Dort regelt das durch das Gesetz zur Änderung des Staatshaftungsgesetzes vom 24. August 199270 in „Gesetz zur Regelung von Entschädigungsansprüchen im Lande Sachsen-Anhalt"71 umbenannte StHG-DDR nunmehr nur noch die Entschädigung bei enteignungsgleichem Eingriff 72. Die Haftungsgrundnorm des § 1 Abs. 1 lautet dort: Für den Vermögensnachteil, der einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts durch einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in ihr Eigentum von Mitarbeitern oder Beauftragten eines Trägers öffentlicher Gewalt rechtswidrig zugefügt wird, hat der jeweilige Hoheitsträger nach diesem Gesetz eine angemessene Entschädigung zu leisten, sofern nicht besondere Rechtsvorschriften für den Schadensausgleich bestehen.

Hierdurch sind juristische Personen des öffentlichen Rechts zum ersten Mal ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich einer Staatshaftungsvorschrift ausgenommen worden. Eine Begründung für diesen Ausschluß findet sich im Gesetzesentwurf nicht73. Der Ausschluß der Aktivlegitimation juristischer Personen des öffentlichen Rechts dürfte aber mit der engen Verknüpfung zwischen dem Rechtsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs und der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zusammenhängen, auf den sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht berufen können74. Denkbar ist aber auch, daß die auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger zugeschnittenen Staatshaftungsvorschriften als generell nicht auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern pas-

67 Maurer, Allg. VerwR, § 28 Rn. 42; Rüfner, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 50 Rn. 47. 68 Cromme, DVB1 1996, S. 1231. 69 Büchner-Uhder, Staatshaftungsgesetz als Landesrecht der neuen Bundesländer, NJ 1991, S. 153; F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 106; Lühmann, Die Regelung der Amtshaftung in den fünf neuen Bundesländern, LKV 1991, S. 360; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 65 6, S. 403; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 275. 70 GVB1S. 655. 71 I. d. F. der Bekanntmachung vom 16. November 1993 (GVB1 S. 720). 72 Schlotter, Das Gesetz zur Änderung des Staatshaftungsgesetzes in Sachsen-Anhalt, LKV 1993, S. 250. 73 LT-Drucks. 1/1502 vom 25. Mai 1992. 74 BVerfGE 61, S. 82 ff. (S. 100 ff.).

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send angesehen wurden. Ein ausdrücklicher Ausschluß der Aktivlegitimation juristischer Personen des öffentlichen Rechts war dann auch sinnvoll, da die Rechtsprechung die „Verzahnungstheorie" auf den enteignungsgleichen Eingriff und insbesondere auf § 1 Abs. 1 StHG-DDR eben noch nicht erstreckt hat und diese Theorie auch nur bei Verwaltungsträgerschäden zu einem Haftungsausschluß geführt hätte. 2. Entstehungsgeschichte des Art. 34 GG a) Soweit die vor 1948 verkündeten Landesverfassungen mit Art. 131 WRV vergleichbare Vorschriften enthielten, befanden sie sich entweder im Abschnitt über die Verwaltung oder bei den besonderen Rechten der Beamten75. Wohl deshalb befand sich auch die Staatshaftungsvorschrift des Herrenchiemseer Entwurfs nicht im Grundrechtsteil, sondern im Abschnitt über „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung" als letzte Vorschrift (Art. 120 HChE). Dies war in gewisser Weise konsequent, da die Vorschrift nur auf Bundesbedienstete beschränkt war. Andererseits wurde der Vorschrift im darstellenden Teil des Berichts über den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee76 (Ziff. 9 zum 10. Kapitel) grundrechtsartiger Charakter zugesprochen und gerade damit auch die Einbeziehung der Vorschrift in den Entwurf begründet77. Weil der Rückgriff in Anlehnung an § 23 Abs. 2 DBG nur bei grobem Verschulden möglich sein sollte, erhielt Art. 120 HChE - anders als Art. 131 WRV - auch verstärkt beamtenschützenden Charakter. b) Da Art. 120 HChE im Abschnitt über die Bundesverwaltung stand, war für dessen Beratung im Parlamentarischen Rat zunächst der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung zuständig. In der 6. Sitzung dieses Ausschusses vom 30. September 1948 wurde die Staatshaftungsvorschrift in Zusammenhang mit den beamtenrechtlichen Vorschriften diskutiert. Abg. Reuter vertrat die An-

75 Art. 108 der Verfassung des Landes Baden vom 18./22. Mai 1947 (RegBl S. 129); Art. 97 der Verfassung des Freistaats Bayern vom 2. Dezember 1946 (GVB1 S. 333); Art. 136 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVB1 S. 229); Art. 128 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 (VOB1 S. 209); Art. 120 der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 (ABl S. 1077); Art. 97 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 24./28./30. November 1946 (RegBl S. 277); Art. 78 der Verfassung für Württemberg-Hohenzollern vom 18./20./31. Mai 1947 (RegBl S. 1). 76 Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen - Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 25. August 1948. 77 Quelle: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949 - Band 2 - Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (bearb. von Bücher, 1981), Dok. Nr. 14, S. 595.

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sieht, daß im Hinblick auf die Signalwirkung in der Ostzone Art. 120 HChE auf alle Träger öffentlicher Gewalt ausgeweitet werden sollte. Abg. Dr. Hoch präzisierte diesen Gedanken, indem er hervorhob, daß die Staatshaftung kein Problem des Beamtenrechts sei, sondern ein dem Schutz des Bürgers vor der Allmacht des Staates dienendes Rechtsstaatsgebot78. Der Ausschuß beschloß deshalb, die Vorschrift den Grundrechten zuzuordnen, wobei man sich darüber einig war, daß die Außenhaftung des Staates von der rein beamtenrechtlichen Rückgriffshaftung des Beamten zu trennen sei. So sagte Abg. Dr. Hoch in der 8. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses vom 6. Oktober 1948: „Man mag einwenden, es sei dies [die Haftung des Staates] noch ein Stück Beamtenrecht, aber man muß doch zugeben, daß die Erfahrungen aus der Nazizeit es absolut notwendig erscheinen lassen, dieses Recht als ein Grundrecht zu betrachten, nicht mehr als ein Stück Beamtenrecht. [...] Es genügt, die ausschließliche Verantwortlichkeit des Dienstherrn festzulegen. Weil wir dieses ausschließlich' vorschreiben, muß man, um klarzustellen, daß im Innenverhältnis der Rückgriff möglich ist, dies an dieser Stelle ebenfalls sagen. Nun hat man zum Schutz des Beamten, aber auch deshalb, weil man glaubt, daß es mit Rücksicht auf ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Staatsgewalt erforderlich ist, die Beschränkung des Rückgriffs auf grobes Verschulden vorgesehen. Ich könnte mir denken, daß man in dem Grundrecht selbst [...] sagt, der Rückgriff wird nicht ausgeschlossen und nicht festlegt, bei welchem Maß von Verschulden der Rückgriff zulässig wäre. Man könnte die ganze beamtenrechtliche Seite nicht reichsrechtlich regeln, sondern ausschließlich es dem Lande überlassen, ob es nur bei grobem Verschulden oder auch bei geringerem Verschulden den Rückgriff gegen den Beamten zulassen will." 7 9

Wohl auf Drängen der Beamtenverbände80 setzte sich dann jedoch durch, schon im Grundgesetz nach dem Vorbild des § 23 Abs. 2 und 4 DBG den Rückgriff auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken. c) Weil der Zuständigkeitsausschuß die Amtshaftungsvorschrift den Grundrechten zuordnen wollte, mußte sich hiermit auch der Grundsatzausschuß befassen. Er behandelte das Problem der Staatshaftung zunächst in seiner 26. Sitzung vom 30. November 1948, wobei die Staatshaftung auch als Problem des Rechtsstaats und nicht als beamtenrechtliches Problem gesehen wurde; die Gewährleistung eines staatlichen Ersatzleistungssystems wurde jedoch nicht

78 Quelle: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949 - Band 3 - Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung (bearb. von Werner, 1986), Dok. Nr. 6, S. 294. 79 Quelle: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat - Band 3, Dok. Nr. 9, S. 326 f. 80 In diese Richtung geht eine entsprechende Äußerung des Abg. Dr. Hoch in der 12. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses vom 14. Oktober 1948 (Quelle: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv [Hrsg.], Der Parlamentarische Rat - Band 3, Dok. Nr. 14, S. 488).

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als „grundrechtswürdig" empfunden. Der Ausschußvorsitzende Dr. von Mangoldt sagte diesbezüglich unwidersprochen: „Ich darf noch einmal an den Art. 1 erinnern, der der große Obersatz ist, unter dem die Rechte dieser zwanzig Artikel stehen. Hier handelt es sich nur um Menschenund Freiheitsrechte, und unter die Menschen und Freiheitsrechte fällt zweifellos die Garantie des Berufsbeamtentums nicht. [...] Noch weniger paßt die Amtshaftung des Staates hinein. Wenn man gesagt hat, daß damit dem Einzelnen ein Schutz seiner Vermögensrechte gewährt werde, so muß ich darauf hinweisen, daß gerade die Nationen, die besonders freiheitlich gesinnt gewesen sind und die seit Jahrhunderten die Freiheitsrechte haben, die Amtshaftung des Staates nicht kennen. Weder die Engländer noch die Amerikaner kennen sie. [...] Man kann daher nicht sagen, daß zu den Menschen- und Freiheitsrechten, die wir hier für unser Volk und unsere Zeit niedergelegt haben, diese Amtshaftung irgendwie gehört [...]. Der Zuständigkeitsausschuß hat die Dinge einfach abgeschoben, weil er zu bequem war, sich zu überlegen, wo sie wirklich hingehören. Der Ball muß zurückgeworfen werden."81 Daher beschloß der Grundsatzausschuß in seiner 28. Sitzung vom 3. Dezember 1948, die Vorschrift nicht dem Grundrechtsteil zuzuordnen, sondern einen bloßen Verweis auf Art. 131 WRV in die Übergangs- und Schlußbestimmungen aufzunehmen 82. Abg. Dr. von Mangoldt begründete dies in der 18. Sitzung des Hauptausschusses vom 4. Dezember 1948 wie folgt: „Wir standen vor einer etwas schwierigen Frage, als wir diesen Antrag des Zuständigkeitsausschusses zugeschoben bekamen. Es wurde uns zugedacht, diese Vorschrift [Art. 131 WRV] als Artikel 15a aufzunehmen. [...] Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat sich gesagt, daß man den Grundsatz, der in diesem Artikel verkörpert ist, zweifellos nicht unter die Menschen- und Freiheitsrechte rechnen kann; denn gerade im angelsächsischen Recht wird dieser Grundsatz nicht anerkannt. Wir sind nun der Ansicht, daß, nachdem der Zuständigkeitsausschuß in den Kapiteln, die er bearbeitet hat, keinen Platz für den Artikel hat finden können, wir ihm nur helfen können, wenn wir die Vorschrift nicht einfach zurückschieben. Deshalb haben wir freundlicherweise den Vorschlag gemacht, diesen Artikel an einer Stelle einzuschalten, die bisher noch nicht der Untersuchung durch den Zuständigkeitsausschuß unterlegen hat. Dies ging nur in dieser Form." 83 Der Allgemeine Redaktionsausschuß empfahl in seinem Vorschlag vom 16. Dezember 1948, die Staatshaftungsvorschrift in den Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen" aufzunehmen, der dem heutigen Abschnitt „Der Bund und die Länder" entsprach; er gehöre nicht zu den Übergangs- und Schlußbestimmungen. Der Hauptausschuß akzeptierte diese systematische Einordnung. Später 81

Quelle: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949; Akten und Protokolle; Band 5/Π Ausschuß für Grundsatzfragen (bearb. von Pikart und Werner; 1993), Dok. Nr. 33, S. 721. 82 Matz, in: von Doemming/Filsslein/Matz, Die Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n. F. 1 (1951), S. 328. 83 Quelle: Parlamentarischer Rat - Verhandlungen des Hauptausschusses - Bonn 1948/49, S. 220.

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wurde von verschiedenen Seiten eine Streichung beantragt, was jedoch abgelehnt wurde. Die Vorschrift wurde schließlich als Art. 34 GG im Plenum an84

genommen . d) Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 34 GG ist demnach nicht selbstverständlich, daß, wie der BGH meint, juristische Personen des öffentlichen Rechts „natürlich" Dritte i. S. d. Art. 34 Satz 1 GG sein können85: Die Staatshaftungsvorschrift war während der gesamten Beratungen als rechtsstaatlich gebotener, grundrechtsartiger Bürgerschutz vor staatlicher Willkür angesehen worden86. Sie wurde allein deshalb nicht in die Grundrechte aufgenommen, weil dem Grundsatzausschuß die Garantie der Staatshaftung hierfür nicht als bedeutsam genug erschien. Art. 34 GG in den Abschnitt „Der Bund und die Länder" zu stellen, war eine bloße Verlegenheitslösung. Aus ihr läßt sich nicht schließen, daß der Parlamentarische Rat bewußt die Rechtsprechung des RG zur Anwendbarkeit des Art. 131 WRV zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts billigte und nur um deren Weitergeltung zu ermöglichen, die Vorschrift nicht in den Grundrechtsteil aufnahm. Die Frage der Geltung des Art. 34 Satz 1 GG zwischen Hoheitsträgern ist während des gesamten Verfahrens auch nicht angesprochen worden. e) Daß Art. 34 GG keine verwaltungsorganisationsrechtliche Regelung darstellen sollte, wird zudem dadurch nahegelegt, daß das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung einen speziellen auf das Bund-Länder-Verhältnis bezogenen Haftungstatbestand für die Steuerverwaltung enthielt. Art. 108 Abs. 4 GG lautete in seiner ursprünglichen Fassung87: Soweit die Steuern dem Bunde zufließen, werden die Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes tätig. Die Länder haften mit ihren Einkünften für die ordnungsmäßige Verwaltung dieser Steuern; der Bundesfinanzminister kann die ordnungsmäßige Verwaltung durch Bundesbevollmächtigte überwachen, welche gegenüber den Mittel- und Unterbehörden ein Weisungsrecht haben.

Diese Haftungsvorschrift war Folge der widerstreitenden Auffassungen über die Zuständigkeitsverteilung für die Steuerverwaltung im Parlamentarischen Rat und den Forderungen der Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen. Während im Parlamentarischen Rat eher eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung angestrebt wurde, befürworteten die Militärgouverneure 84

Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz (1953), Art. 34 Anm. 1, S. 214 f.; Matz, in: von Doemming/Fiissiein/Matz, JöR n. F. 1 (1951), S. 329 f. 85 BGHZ 26, S. 232 ff (S. 234) - „Zweifachwitwe", siehe hierzu: 4. Kap. A I 1 d (S. 174 ff). 86 So auch A. Schäfer/Bonk, Staatshaftungsgesetz, Einführung Rn. 233. 87 Diese Sondervorschrift wurde durch das 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 18. Mai 1969 (BGBl I, S. 359) aufgehoben und durch den allgemeineren Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ersetzt.

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einen föderalistischen Aufbau der Steuerverwaltung. Da dies am Ende den Ausschlag gab, sollten durch verstärkte Eingriffsrechte in die Landesfinanzverwaltung, aber auch gerade durch Art. 108 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 a. F. GG die Interessen des Bundes an einer ordnungsmäßigen Steuerverwaltung durch die Länder gesichert werden88. Art. 108 Abs. 4 Satz 2, Halbsatz 1 a. F. GG ist jedoch nie praktisch geworden89, so daß über Art und Umfang der Haftung nach dieser Vorschrift auch kaum Äußerungen in der Literatur vorhanden sind. Man ging jedoch davon aus, daß § 23 RAO 90 , soweit er auch eine Haftung der Länder ausschloß, als aufgehoben anzusehen war 91. Es wurde aber nie geklärt, was unter „ordnungsmäßiger Verwaltung" eigentlich zu verstehen war 92. Insofern geben auch die Gesetzesmaterialien keine Auskunft - der Wortlaut der Norm ist nicht diskutiert worden; die Existenz der Vorschrift zeigt aber, daß an die Möglichkeit einer Haftung der Länder nach Art. 34 Satz 1 GG gar nicht gedacht worden war, obwohl nach der Rechtsprechung des RG in der Weimarer Zeit nichts gegen die Annahme einer Amtshaftung gegenüber dem ertragszuständigen Hoheitsträger bei fehlerhafter Steuerverwaltung gesprochen hätte93. Π. Haftung wegen Verletzung öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse Da der BGH aufgrund seiner Verzahnungstheorie den Amtshaftungsanspruch zwischen Hoheitsträgern bei Verwaltungsträgerschäden weitgehend ausgeschlossen hat, wurde verschiedentlich versucht, eine Haftung zwischen Hoheitsträgern nach den Grundsätzen über die Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse zu begründen. Auch solche Überlegungen standen in der Tradition der Rechtsprechung des RG, wie das Urteil „Stempelaufbewahrung" 94 und die Entwicklung zur Frage der Haftung der Beitragseinzugsstellen 88

Zur Entstehungsgeschichte des Art. 108 GG ausführlich: Füsslein, in: von Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 n. F. (1951), S. 790 ff.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 109 f.; Kummer, Haftung der Länder, S. 40ff; BK-Vogel/Wachenhausen, Art. 108 Rn. 1 ff. (Bearbeitung 1971). 89 Erichsen, Zur Haftung, S. 28; Schulze, DÖV 1972, S. 411. 90 Siehe hierzu: 3. Kap. C I f (S. 154 f.). 91 Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung I (9. Aufl. 1963), § 23 Anm. 2 a

(6).

92

Vgl. nur die knappen Ausführungen bei Becker/Riewald/Koch, RAO I, § 23 Anm. 2 a (4); G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 56; Franz Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz (1. Aufl. 1967), Art. 108 Rn. 14; Viaion, Haushaltsrecht, Art. 108 GG Anm. 17. Siehe auch die Zusammenstellung der verschiedenen Auffassungen bei Kummer, Die Haftung der Länder, S. 107 ff 93 Siehe hierzu: 3. Kap. C I e (S. 152 ff). 94 RGZ 65, S. 113 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.).

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gegenüber den ertragszuständigen Sozialversicherungsträgern gezeigt hat95. Während im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts die Gerichte solchen Ansätzen weitgehend ablehnend gegenüber standen, setzte sich im Sozialrecht bei vergleichbarer Sachlage die Tendenz einer strengen Haftung zwischen Sozialversicherungsträgern fort, welche aber eher vom Gesetzgeber vorangetrieben wurde. 1. Rechtsprechung zum allgemeinen Verwaltungsrecht a) Aus dem Urteil „Soforthilfe I" 9 6 wurde allgemein geschlossen, daß der BGH in allen Fällen fehlerhafter Verwaltung von Bundesmitteln durch die Länder einen Anspruch des Bundes nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG ausschließen würde 97. Dies wurde teilweise als unbillig angesehen. Der Ansatz des BGH, den Fall der fehlerhaften Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen wie echte Haftungsfälle zu behandeln, wurde jedoch nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr bemühte man sich, aus einer Analogie zu Art. 108 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 GG i. V. m. dem allgemeinen Prinzip der Bundestreue98 oder der Organisationsverfassung der Bundesauftragsverwaltung99 eine Haftung herzuleiten. Es wurde auch untersucht, ob die §§ 670 ff. BGB entsprechend heranzuziehen seien100. Im Ergebnis handelte es sich bei diesen Überlegungen um den Versuch, in bestimmten Konstellationen zwischen Hoheitsträgern eine Haftung wegen Verletzung öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse zu begründen - wenn dies auch nicht immer so deutlich gesagt wurde 101. Motiv hierfür war wohl, daß man davon ausging, daß dort, wo Pflichten bestehen, Pflichtverletzungen durch Schadensersatzansprüche sanktionierbar sein müßten. Κ. H. Schaefer formulierte dies, bezogen auf den Fall der Schädigung des Staates durch die Kommunen, am deutlichsten:

95

Siehe hierzu: 3. Kap. C I e (S. 153 f.) und D I b (S. 160 ff.). BGHZ 27, S. 210 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A I e (S. 175). 97 Achterberg,, DVB1 1970, S. 129; G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 52 f.; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 54 ff.; Sturm, DÖV 1966, S. 260. 98 Kölbe, Wer haftet dem Bund bei fehlerhaften Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder?, DÖV 1959, S. 811 ff.; H. Schäfer, Die Bundesauftragsverwaltung, DÖV 1960, S. 649. 99 Godschalk, Zur Frage der Amtspflichtverletzung i. S. des § 839 BGB, RiA 1959, S. 233; Griffel, DöH 1957, S. 245 ff. und wohl auch Κ Η. Schaefer, Betrachtungen zur Amtshaftung aus der Sicht des Ausgleichsfonds, IFLA 1958, S. 226. 100 G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 89 ff; L. Schmidt, Haftung der Länder im Rahmen der Auftragsverwaltung?, DÖV 1959, S. 806 f.; Sturm, DÖV 1966, S. 259. 101 Anders nur: Godschalk, RiA 1959, S. 233 unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des RG. 96

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„Jeder Staatsbürger und jede Körperschaft genießt bei Vermögensschäden den Schutz der Rechtsordnung, die den Schadensverursacher zum Ausgleich zwingt. Ausgerechnet für den Staat als Vermögensträger, der doch das Steueraufkommen der Gesamtheit der Staatsbürger sorgsam zu verwalten hat, sollte es aber nur vom Aufbau der Verwaltung abhängen, ob ihm überhaupt Schadensersatz zu leisten ist oder nicht? Es kann doch wohl in einem Rechtsstaat nicht so sein, daß jeder Staatsbürger und jede Körperschaft geschützt ist, aber etwa der Bundesfiskus, der Landesfiskus oder der Ausgleichsfonds als Bundessondervermögen im Verhältnis zu den Kommunen nicht. Ich sehe kein Rechtsgut der Kommunen, das es zu schützen gälte, wenn deren Beamte oder Angestellte vorsätzlich oder grob fahrlässig rechtswidrige Bescheide erlassen oder gar durch strafbare Handlung den Fonds schädigen. Eine Haftung auszuschließen käme, überspitzt ausgedrückt, geradezu einer Einladung zur Schädigung gleich."102

b) Das BVerwG lehnte es jedoch in seinem Urteil „Soforthilfe II" 1 0 3 vom 25. Mai 1961 ab, auf diese Weise eine Schadensersatzverpflichtung der Länder gegenüber dem Bund fiir fehlerhafte Verwaltung von Bundesmitteln herzuleiten - wobei es ebenfalls als selbstverständlich davon ausging, daß der Bund hierdurch geschädigt werde. Welche Schadenslastenverteilung Art. 120 GG anordnet, wurde also auch hier nicht untersucht: „Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf Grundsätze, die im bürgerlich-rechtlichen Auftragsverhältnis entwickelt worden sind. [...] Die Auftragsverwaltung, die im Bereich des Lastenausgleichs zwischen Bund und Ländern besteht, läßt sich in den entscheidenden Merkmalen mit dem bürgerlich-rechtlichen Auftragsverhältnis nicht vergleichen. Die hier in Rede stehenden Zuständigkeiten der Länder beruhen nicht auf einem Auftrag des Bundes im bürgerlich-rechtlichen Sinne. Ihnen liegt kein Vertrag zugrunde, durch den sich der eine Teil dem anderen zur Besorgung übertragener Geschäfte verpflichtet hat. Auch kann keine Rede davon sein, daß die Länder »fremde Geschäfte' besorgen. Die Länder haben ihre Zuständigkeit vielmehr als selbständige Glieder des Bundesstaates. Das zwischen Bund und Ländern insoweit bestehende Zuordnungsverhältnis ist eigener Art. Es entzieht sich einer Beurteilung nach Grundsätzen, die im bürgerlichen Recht entwickelt worden sind. Es ist auch nicht angängig, aus [...] Art 108 Abs. 4 GG [...] Grundsätze herzuleiten, die die Entscheidung des vorliegenden Sachverhalts im Sinne des Klageanspruchs tragen können. Nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG haften die Länder mit ihren Einkünften für eine ordnungsgemäße Verwaltung der Steuern, die dem Bunde über die Finanzbehörden zufließen. Die Vorschrift hat in der besonderen Ordnung unserer Finanzverfassung ihre Grundlage. Sie läßt eine extensive Auslegung, insbesondere eine entsprechende Heranziehung für die Verhältnisse im Lastenausgleichsrecht nicht zu [...]. Der geltend gemachte Anspruch läßt sich auch nicht aus dem Grundsatz der Bundestreue ableiten. Der Begriff der Bundestreue hat allerdings nicht nur einen politischen, sondern auch einen rechtlichen Inhalt. Aber die sich aus ihm ergebenden Rechtspflichten betreffen das Zusammenspiel zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten und sollen, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juli

102 103

K. H. Schaefer, IFLA 1958, S. 226. BVerwGE 12, S. 253 ff. (Beispiel Nr. 10 - siehe S. 64).

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1958 (BVerfGE 6, 122 ff. [140]) zutreffend hervorgehoben hat, die aufeinander angewiesenen Teile des Bundesstaates, Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander binden. Es handelt sich vornehmlich um Verpflichtungen zur Bundestreue zwischen den Landesregierungen und der Regierung des Bundes und, materiell-rechtlich gesehen, um die Verpflichtung zum bundesfreundlichen Verhalten im Bereich der Regierungsfunktionen. Das Prinzip der Bundestreue gilt für die politische Zuordnung von Bund und Ländern und für die Staatsleitungen in ihrer Eigenschaft als Träger dieser Politik. Es bietet aber keine Handhabe, um für den vorliegenden Sachverhalt, der die technische Abwicklung eines bestimmten Verwaltungsbereichs betrifft, eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund zu begründen."104 Das BVerwG machte auch deutlich, warum es einer Haftung der Länder gegenüber dem Bund im Rahmen der Auftragsverwaltung ablehnend gegenüberstand: „Wenn man der entgegengesetzten Erwägung folgt, würde im übrigen die Klägerin bei einer Durchführung der Bundesgesetze durch die Länder besser stehen, als führte sie selbst die Bundesgesetze durch. Die Beklagte hat sich bemüht, die veruntreuten Summen von den schuldigen Angestellten hereinzuholen und hat diese Beträge an den Bund abgeführt. Mehr würde die Klägerin, wenn sie selbst ihre Gesetze durchführte, auch nicht erreichen können. Der Grundsatz der Bundestreue, wie ihn die Klägerin versteht, kann nicht dazu führen, daß die Klägerin von den Ländern Ersatz eines Schadens fordern kann, mit dem sie selbst rechnen müßte, falls ihr selbst die Durchführung des Gesetzes obläge."105 Die dem Zivilrecht entlehnte Überlegung, daß dort, wo Rechtspflichten gegenüber einem anderen bestehen, auch für die Verletzung dieser Pflicht gehaftet werden müsse, war also nach Ansicht des BVerwG nicht ohne weiteres auf das Verhältnis zwischen Hoheitsträgern übertragbar. Auf die im Vergleich zu der Interessenverteilung zwischen Privatpersonen unterschiedliche Interessenverteilung zwischen Hoheitsträgern hatte ein Jahr zuvor auch schon das Urteil „Währungsausgleich" 106 des L V G Schleswig vom 14. Januar 1960 aufmerksam gemacht. Es lehnte eine Haftung der Gemeinden für Fehler bei der Durchführung des Lastenausgleichs u. a. mit der Begründung ab, daß nach den geltenden beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften die Beamten auch bei unmittelbarer Schädigung ihres Dienstherrn im öffentlich-rechtlichen Bereich nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit hafteten. Hätten somit Bundesbeamte gehandelt, wäre ein Schadensersatzanspruch des Bundes bei leichter Fahrlässigkeit nicht in Betracht gekommen. „In Anbetracht dieser Sachlage wäre es mit dem allgemeinen Treueverhältnis zwischen Bund und Ländern nicht vereinbar, wollte man dem Bund im Bereich der 104

BVerwGE 12, S. 253 ff (S. 254 f.). BVerwGE 12, S. 253 ff (S. 255 f.). 106 LVG Schleswig, DÖV 1960, S. 464 ff. - siehe hierzu auch: 4. Kap. A m c (S. 204). 105

13 Stelkens

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Auftragsverwaltung, in der die Länder und Kommunen seine Gesetze ausführen [...], einen Anspruch auf Schadensersatz bei jeder Fahrlässigkeit eines Landes- oder wie hier - Kommunalbediensteten zuerkennen. Die allgemeinen Grundsätze des öff. Rechts führen hier daher nicht zu einer Bejahung, sondern einer Verneinimg des erhobenen Schadensersatzanspruches."107

Das OVG Münster übertrug diese Erwägungen des Urteils „Währungsausgleich" in seinem Urteil „Wohnungsbauforderung" 108 vom 31. August 1960 auch auf den Fall der kommunalrechtlichen Auftragsverwaltung im LandGemeinde-Verhältnis. Es lehnte dementsprechend eine Haftung der Gemeinde ab. c) Anders entschied jedoch das BVerwG, wenn es um die Frage von Schadensersatzpflichten bei Verletzung von Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund, Ländern oder Gemeinden ging. Für praktisch bedeutsam wurde dies vor allem bei Schädigungen des Bundes durch die Landesvermögens- und Bauabteilungen der Oberfinanzdirektionen erachtet, soweit diesen durch Verwaltungsvereinbarung nach § 8 Abs. 7 FVG Bauaufgaben des Bundes übertragen worden waren. In der Literatur geht man insoweit davon aus, daß bei Verletzung solcher Vereinbarungen entsprechend den zivilrechtlichen Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung gehaftet werde 109. Das BVerwG hielt dies in den Urteilen „Seehafen Emden"110 vom 13. Februar 1976, „Kraftfahrzeugbundesamt"111 vom 27. März 1980 und „Tilgungsraten" 112 vom 18. April 1986 ebenfalls grundsätzlich für möglich, schloß aber eine Haftung in den genannten Fällen dennoch aus, da die Verwaltungsvereinbarungen selbst entgegenstehende Regelungen enthalten hatten bzw. das BVerwG entsprechende Schadensersatzpflichten für verjährt erachtete. Einen vertraglichen Schadensersatzanspruch zwischen Hoheitsträgern ausdrücklich bejaht hat indes das BVerwG im Urteil „Haltepunkt"113 vom 15. März 1989. Hier hatte eine Gemeinde vor der Bahnreform bestimmte Zahlungen verweigert, obwohl sie sich hierzu durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. d. § 54 VwVfG gegenüber der Bundesbahn verpflichtet hatte. Das BVerwG gab der Zahlungsklage der Bundesbahn daraufhin auch insoweit statt, als sie Zinsverluste als Verzugsschadensersatz geltend machte: 107

LVG Schleswig, DÖV 1960, S. 464 ff. (S. 466). OVG Münster, OVGE 16, S. 60 ff. S. 71 (Beispiel Nr. 8 - siehe S. 49) - siehe hierzu auch: 4. Kap. C I a (S. 236 f.). 109 Lodde, Rechtsfragen der Organleihe im Bund-Länder-Verhältnis unter besonderer Berücksichtigung der Bundesbauverwaltung (1990), S. 63 ff.; Kleinsimon, DB 1954, S. 881; ähnlich auch Sturm, DÖV 1966, S. 81 ff. 110 BVerwG, NJW 1976, S. 1468 f. (Beispiel Nr. 53 - siehe S. 108). 111 BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (Beispiel Nr. 66- siehe S. 116). 112 BVerwG, BayVBl 1987, S. 23 ff. (Beispiel Nr. 47- siehe S. 104). 1,3 BVerwGE 81, S. 312 ff. (Beispiel Nr. 48 - siehe S. 105). 108

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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„Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Zinsanspruch der Klägerin auf die Prozeßzinsen [...] begrenzt. Die Klägerin hat in entsprechender Anwendung des § 288 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Ersatz ihres Verzugsschadens. Die Beteiligten haben auf der Ebene der Gleichordnung eine Vereinbarung über gegenseitige Leistungen und über eine bestimmte Fälligkeit der Leistungen der Beklagten geschlossen. Daß der Verzugsschaden mit einem Zinssatz von 7,5 v. H. nicht überschritten ist, ist angesichts der gerichtsbekannten laufenden Inanspruchnahme von Anleihen und Bankkrediten seitens der Klägerin [...] offenkundig. Das Berufungsgericht beruft sich für seine Auffassung, Verzugszinsen könnten nicht verlangt werden, weil es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. [...] Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf gesetzliche Leistungspflichten oder solche vertragliche Verpflichtungen, die nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. [...] Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich hier. Eine entsprechende Anwendung des § 288 Abs. 2 BGB, für die § 62 Satz 2 VwVfG die Rechtsgrundlage gibt, ist hier deshalb gerechtfertigt, weil die vereinbarten Leistungen [...] in einem rechtlichen und wirtschaftlichen Austauschverhältnis standen, und weil der Vertrag von Seiten der Klägerin gerade auch [...] Ausdruck und Folge des der Deutschen Bundesbahn auferlegten Grundsatzes ist, ihren Betrieb ,wie ein Wirtschaftsunternehmen ... nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen ... decken' (§ 28 Abs. 1 BBahnG)".114

d) Auf das Urteil „Haltepunkt" bezog sich das BVerwG im Urteil „Bundesdruckerei" 115, um dem Bund einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens gegenüber einer Gemeinde zuzusprechen, die nach Ansicht des BVerwG ihren Leistungspflichten aus einem zwischen ihr und der Bundesdruckerei bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis nicht nachgekommen war: „Die Klägerin kann den geltend gemachten Zinsanspruch analog § 286 Abs. 1 BGB als Schadensersatz wegen Verzuges fordern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen Verzugszinsen unbeschadet des Grundsatzes, daß Zinsen für die Nichterfüllung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage verlangt werden können [...], dann beansprucht werden, wenn die Geldleistung eine vertragliche Hauptleistungspflicht darstellt, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistungspflicht des anderen Vertragspartners steht, und der Gläubiger seinen Betrieb nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen hat, daß die Erträge die Aufwendungen decken [Verweis auf das Urteil »Haltepunkt']. Entsprechendes muß auch dann gelten, wenn sich der Vergütungsanspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis herleitet, auf das die Vorschriften über gegenseitige Verträge entsprechend anwendbar sind." 116

114 BVerwGE 81, S. 312 ff (S. 317 f.). Nach bürgerlichem Recht ergibt sich allerdings nicht aus § 288 Abs. 2 BGB, sondern aus § 286 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens. § 288 Abs. 2 BGB stellt nur klar, daß der Anspruch auf Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB keine weitergehenden Schadensersatzansprüche nach § 286 Abs. 1 BGB ausschließt. 115 BVerwGE 98, S. 18 ff (Beispiel Nr. 49 - siehe S. 105). 116 BVerwGE 98, S. 18 ff (S. 30 f.).

13'

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Während das BVerwG im Urteil „Haltepunkt"117 noch besonders auf § 62 Satz 2 VwVfG als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von Verzugsschäden hinweist, scheint es eine solche gesetzliche Grundlage im Urteil „Bundesdruckerei" also nicht mehr für erforderlich zu halten, sondern zieht das Urteil „Haltepunkt" gewissermaßen selbst als Rechtsgrundlage heran. Bedenken gegen diese Entscheidung bestehen jedoch vor allem insofern, als das BVerwG die Annahme, daß überhaupt ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Bundesdruckerei und Gemeinde vorliegt, das sich mangels anderweitiger Regelungen weitgehend nach dem Schuldrecht des BGB richte, nicht näher begründet, sondern nur behauptet118. Damit schließt das BVerwG aus dem Umstand, daß es einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens für geboten hält, da der Gläubiger seinen Betrieb nach wirtschaftlichen Grundsätzen zu führen habe, auf das Bestehen eines entsprechenden Schadensersatzanspruches, indem es das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner als gesetzliches Schuldverhältnis bezeichnet. Angesichts der grundsätzlich abschließenden Regelung des Art. 104a GG bezüglich der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund auf der einen und den Ländern und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf der anderen Seite erscheint dieses Vorgehen als sehr bedenklich - und steht auch deutlich in der Tradition der bereits zur Zeit des Urteils „Stempelaufbewahrung" 119 überholten Ansicht, daß sich die Vermögensbeziehungen zwischen Hoheitsträgern nach zivilrechtlichen Grundsätzen richten. e) Insofern ist auch nicht verwunderlich, daß es vor allem die Zivilgerichte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes für möglich hielten, gesetzliche Schuldverhältnisse zwischen Hoheitsträgern zu konstruieren und hieraus Schadensersatzansprüche abzuleiten. Dies wurde ζ. B. vom OLG Karlsruhe in der Entscheidung „Wandbeschriftung" 120 vom 10. April 1974 angenommen, in der es um die Beschädigung von Räumlichkeiten ging, die vom Land einer Universität zur Verfügung gestellt worden waren. Ohne nähere Begründung wurde hier auf die Grundsätze über die Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse zurückgegriffen, indem das Gericht § 548 und § 823 Abs. 1 BGB analog anwandte: „Die den Universitäten vom klagenden Lande überlassenen Räume mit Inventar dienen der Erfüllung der in § 9 HSchG aufgezählten Verpflichtungen. Damit ist ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis entstanden, das den Universitäten auch die Pflicht auferlegt, die ihnen anvertrauten Gegenstände nur dem Widmungszweck

117

BVerwGE 81, S. 312 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194 f.). So auch Trute, Gesetzliche Schuldverhältnisse als Grundlage der Kostenerstattung im Bundesstaat, JuS 1996, S. 885 f. 119 RGZ 65, S. 113 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. Β Π e (S. 146 f.). 120 OLG Karlsruhe, NJW 1974, S. 1824 ff. {Beispiel Nr. 68 - siehe S. 117). 118

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entsprechend zu verwenden und pfleglich zu behandeln. Dieses öffentlich-rechtliche Verhältnis ist in seinen wesentlichen Elementen dem bürgerlich-rechtlichen Mietvertrag ähnlich."121

Das OLG Karlsruhe hielt sich zur Entscheidung für die so begründete Schadensersatzhaftung auch für zuständig. Anders das OLG Köln: Es hielt im Urteil „Schulträger I V " 1 2 2 zum vergleichbaren Fall der Schädigung von Schuleigentum durch einen Lehrer für möglich, einen sich aus dem Gemeinschaftsverhältnis zwischen Land und kommunalem Schulträger ergebenden Ausgleichsanspruch zu konstruieren, worüber aber die Verwaltungsgerichte zu entscheiden hätten. Entsprechende Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sind aber nie ergangen. 2. Besondere Entwicklung im Sozialrecht a) Auch unter der Geltung des Grundgesetzes nahm die Frage der Haftung der Krankenkassen als Einzugsstellen für die Beiträge der Renten- und Arbeitslosenversicherungen eine gesonderte Entwicklung123. Ursache hierfür war nicht die Rechtsprechung, sondern die Gesetzgebung. In einem ersten Schritt wurden 1957 im Zuge der Neuordnung des Rentenrechts124 zugunsten der Rentenversicherungen mit § 1436 Abs. 1 RVO und § 158 Abs. 1 AVG Regelungen geschaffen, die mit § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Einziehung der Beiträge zur Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1938125 nahezu wortlautidentisch waren. Die Notwendigkeit einer so strengen Haftung der Einzugsstellen wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter begründet: Die Bundesregierung führte in der Entwurfsbegründung zu § 1433 bis § 1438 RVO nur allgemein aus, daß eine Regelung der Beziehungen der Träger der Rentenversicherung zu den Trägern der Krankenversicherung als den Stellen, die den Beitrag zur Rentenversicherung einziehen, notwendig sei und daß im wesentlichen den Regelungen der Verordnung von 1938 gefolgt werde 126. Durch Gesetz vom 27. Juli 1957127 wurde 121

OLG Karlsruhe, NJW 1974, S. 1824 ff. (S. 1825). OLG Köln, DVB1 1990, S. 311 ff (S. 312 f.). In diese Richtung schon BGHZ 87, S. 253 ff (S. 259) - „Schulträger I", siehe hierzu: 4. Kap. A m f (S. 207). 123 Siehe zur vorherigen Entwicklung: 3. Kap. C I e (S. 153 f.) und D I b (S. 160 ff). 124 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S. 45) und Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (Angestelltenrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - AnVNG) vom 23. Februar 1957(BGBIIS. 88). 125 Siehe hierzu: 3. Kap. D I b (S. 160 ff). 126 BT-Drucks. 2/2437, S. 87. 122

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auch zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit eine gleichlautende Vorschrift in § 160 Abs. 4 AVAVG (später § 181 AFG) eingefügt. Begründet wurde dies allein damit, daß eine solche Haftung in gleicher Weise notwendig sei wie im Rentenversicherungsrecht 128. Der Wortlaut dieser Regelungen ließ - wie schon § 6 Abs. 1 der Verordnung von 1938 - deutlich die zivilrechtlichen Wurzeln der Haftung der Einzugsstellen erkennen: Verletzt eine Einzugsstelle schuldhaft eine der Verpflichtungen, die ihr hinsichtlich des Einzugs der Beiträge der Rentenversicherung für Arbeiter [bzw. der Rentenverricherung für Angestellte bzw. zur Arbeitslosenversicherung] obliegen, so ist sie dem zuständigen Träger der Rentenversicherung [bzw. der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bzw. der Bundesanstalt] schadensersatzpflichtig. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Haftung für Vertragsverletzungen finden entsprechende Anwendung. Das gilt insbesondere, wenn die Einzugsstelle die Beiträge verspätet einzieht.

b) Das BSG qualifizierte diese Vorschriften im Urteil „Einzugsstelle III" 1 2 9 vom 28. Februar 1967 als öffentlich-rechtliche Ansprüche, über die nach § 51 SGG die Sozialgerichte zu entscheiden hätten130. In der Literatur war man der Ansicht, daß sie nur etwas regelten, was ohnehin Rechtens wäre, wozu man sich auf die einschlägigen Entscheidungen des RG und des Reichsversicherungsamtes berief 431. Dies stand im deutlichen Gegensatz zu der oben dargestellten Entwicklung im allgemeinen Verwaltungsrecht, nach der eine Haftung für Verwaltungsträgerschäden, insbesondere bei Auftragsverwaltung, nach den Grundsätzen der Haftung für Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse weitgehend abgelehnt wurde. Korbe verstand deshalb die Vorschriften als systemfremde, nicht im Wege einer Analogie auf andere sozialrechtliche Auftragsverhältnisse erstreckbare Ausnahmevorschriften 132. Sie entsprachen wohl auch keinem praktischen Bedürfnis: Trotz ihres strengen Haftungsmaßstabs -jede Fahrlässigkeit sollte die Haftung auslösen133 - sind kaum Gerichtsentscheidungen zur Frage der Haftung der Einzugsstellen ergangen134.

127

Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung vom 27. Juli 1957 (BGBl I S. 1069). 128 BT-Drucks 2/3441, Nr. 3. 129 BSGE 26, S. 129 ff (Beispiel Nr. 62 - siehe S. 113). 130 BSGE 26, S. 129 ff (S. 132 ff). 131 Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung - Synoptischer Kommentar Band Π (1963), Nr. 159 Anm. 1; Rösner, Haftungsprobleme bei Betriebskrankenkassen, BKK 1964, S. 594. 132 Korbe, Haftungsfragen bei Auftragsgeschäften der gesetzlichen Krankenkassen, BKK 1968, S. 659 f. 133 LSG Baden-Württemberg, WzS 1976, S. 151. 134 Vgl. Krauskopf,\ Schadensersatzanspruch bei schuldhaft verspätetem Beitragseinzug, WzS 1976, S. 135.

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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c) Obwohl man hieraus schließen kann, daß den Haftungsvorschriften in der Praxis kaum Bedeutung zukam, wurden sie anläßlich der Einordnung der Vorschriften über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das SGB I V 1 3 5 nicht aufgehoben, sondern gingen in der ähnlich formulierten Vorschrift des § 28r SGB IV auf, ohne daß die Notwendigkeit einer solchen Vorschrift näher begründet worden wäre. Die Vorschrift lautete in ihrer ursprünglichen Fassung: (1) Verletzt die Einzugsstelle schuldhaft eine ihr nach diesem Abschnitt auferlegte Pflicht, ist sie dem Träger der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit schadensersatzpflichtig. Die Schadensersatzpflicht wegen entgangener Zinsen beschränkt sich auf den sich aus Absatz 2 ergebenden Umfang. (2) Werden Beiträge, Zinsen auf Beiträge oder Säumniszuschläge schuldhaft nicht rechtzeitig weitergeleitet, hat die Einzugsstelle Zinsen in Höhe von zwei vom Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu zahlen.

Einen Hinweis auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, wie er in den älteren Haftungsvorschriften enthalten war, hielt die Gesetzesbegründung für entbehrlich, da die Haftung die Institution treffe 136 - wobei nicht ganz ersichtlich ist, was hiermit gemeint war. Das BSG hatte sich - soweit erkennbar mit dieser Vorschrift zum ersten Mal in dem Urteil „Einzugsstelle IV" 1 3 7 vom 7. November 1996 auseinanderzusetzen138: Gegenstand der Entscheidung war die Frage, inwieweit eine Krankenkasse gegenüber einem Rentenversicherungsträger für Zinsverluste einstehen muß, die bei verspäteter Weiterleitung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge entstehen. Das BSG ging davon aus, daß in einem solchen Fall ein Verstoß gegen § 28k Abs. 1 Satz 1 SGB IV vorläge, nach dem die eingehenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge arbeitstäglich weiterzuleiten seien. Es nahm an, daß eine aibeitstägliche Weiterleitung für die AOK auch ohne weiteres möglich gewesen sei. Hinsichtlich des Haftungsmaßstabs führte das BSG aus: , JDie Beklagte [die Rechtsvorgängerin der AOK] kann sich nicht darauf berufen, die AOK habe nicht schuldhaft gehandelt, weil sie nur für die Sorgfalt einzustehen habe, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflege. Eine Begrenzung des Haftungsmaßstabs auf diesen Sorgfaltsmaßstab ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die 135

Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 20. Dezember 1988 (BGBl IS. 2330). 136 BT-Drucks. 11/2221, S. 31. 137 BSG, Die Sozialversicherung 1997, S. 185 ff. (Beispiel Nr. 63 - siehe S. 114). 138 Vgl. aber auch BSGE 73, S. 106 ff., wo es aber nicht direkt um Schadensersatzansprüche ging, sondern um die Frage, ob die Krankenkassen verpflichtet sind, den mit den Gesamtversicherungsbeiträgen erwirtschafteten Gewinn anteilig an die anderen Sozialversicherungsträger herauszugeben.

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Beklagte bzw. die AOK hat entsprechend § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Vorsatz und jede Fahrlässigkeit zu vertreten. Die Tatbestände, in denen das Gesetz den Haftungsmaßstab auf die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beschränkt - unentgeltliche Verwahrung (§ 690 BGB), Gesellschafter untereinander (§ 708 BGB), Ehegatten (§ 1359 BGB), Eltern gegenüber Kindern (§ 1664 BGB) und Vorerben gegenüber Nacherben (§2131 BGB) - , sind abschließend geregelt und mit dem Verhältnis der Einzugsstelle zum Rentenversicherungsträger nicht vergleichbar. Letzteres ist ein Treuhandverhältnis, das ähnlich einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung ausgestaltet ist [,..]." 139

Diese Bestimmung des Haftungsmaßstabs entspricht einhelliger Auffassung140: Schon in der Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung des § 28r Abs. 1 Satz 1 SGB IV war „schuldhaftes" Handeln mit Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichgesetzt worden 141. Ganz deutlich zeigt die Argumentation des BSG auch die zivilrechtliche Verwurzelung der (außerordentlich strengen) Haftung der Einzugsstellen gegenüber den anderen Sozialversicherungsträgern. § 28r SGB IV scheint außerdem im Gegensatz zu seinen Vorgängervorschriften von den hierdurch begünstigten Sozialversicherungsträgern „angenommen" worden zu sein. Gerade in den letzten Jahren sind hierzu eine Reihe von Entscheidungen der Instanzgerichte ergangen142. d) 1994 wurden zudem auch die Träger der Pflegeversicherung in den Kreis der Aktivlegitimierten mit einbezogen143. Durch Art. 1 Nr. 6 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs vom 30. Juni 1995144 wurde schließlich § 28r SGB IV als Folgeänderung der Übertragung der Arbeitgeberprüfung auf die Träger der Rentenversicherungen erstreckt und außerdem insgesamt neugefaßt: Zunächst wurde ein neuer Absatz 3 angefügt, dessen Satz 1 nunmehr auch eine Haftung der Rentenversicherungsträger gegenüber den Kranken- und Pflegekassen und der Bundesanstalt für Arbeit für fehlerhaft durchgeführte Prüfungen nach § 28p SGB IV begründet: 139

BSG, Die Sozialversicherung 1997, S. 185 ff. (S. 186). Gleitze, in: Gleitze/Krause/von Maydell/Merten, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (GK-SGB IV) - (2. Aufl. 1992), § 28r Rn. 2; Hauch, in: Hauck, Sozialgesetzbuch - SGB IV (Stand Januar 1998), § 28r Rn. 5; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.), Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung - Sozialgesetzbuch: Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (Stand Juni 1997, zit. im folgenden: VDR-SGB IV), § 28r Rn. 3. 141 BT-Drucks. 11/2221, S. 30 f. 142 LSG Berlin, Die Sozialversicherung 1996, S. 330 ff., sowie Urteil vom 1. Juni 1996 - L 9 Kr 83/93 - und Urteil vom 20. März 1996 - L 15 Kr 58/93 - ; LSG Niedersachsen, CR 1996, S. 357 ff; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Februar 1993 - L 16 Kr 189/91 -. 143 Art. 3 Nr. 12 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - Pfleg VG) vom 26 Mai 1994 (BGBl 11014). 144 BGBl I S. 890. 140

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Verletzt ein Organ oder ein Bediensteter des Trägers der Rentenversicherung schuldhaft eine diesem nach § 28p auferlegte Pflicht, haftet der Träger der Rentenversicherung der Krankenkasse, der Pflegeversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit fur einen diesen zugefugten Schaden.

Anders als die Vorgängervorschriften begründet § 28r Abs. 3 Satz 1 SGB IV auch nicht dem Anschein nach eine Haftung des Rentenversicherungsträgers für „eigenes" schuldhaftes Verhalten, sondern eine Haftung für Fremdverschulden. An diese Formulierung wurde auch § 28r Abs. 1 Satz 1 SGB IV angepaßt. Die Vorschrift lautet nunmehr: Verletzt ein Organ oder ein Bediensteter der Einzugsstelle schuldhaft eine diesem nach diesem Abschnitt auferlegte Pflicht, haftet die Einzugsstelle dem Träger der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit für einen diesen zugefügten Schaden.

Begründet wurde diese Neufassung des § 28r Abs. 1 Satz 1 SGB IV nur mit einer notwendigen „redaktionellen Anpassung"145. Warum § 28r Abs. 3 Satz 1 SGB IV anders als § 28r Abs. 3 Satz 1 SGB IV a. F. formuliert wurde, so daß eine „redaktionelle Anpassung" überhaupt notwendig wurde, wurde dagegen nicht begründet. Dem lag wohl die Überlegung zugrunde, daß juristische Personen als solche nicht schuldhaft handeln können. Zur Neufassung des § 28r SGB IV liegen noch keine Entscheidungen vor. III. Haftung nach den beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften a) Da nach der Rechtsprechung des BGH und des BVerwG eine Haftung zwischen Hoheitsträgern bei Verwaltungsträgerschäden und fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen weitgehend ausgeschlossen war, wurde vor allem vor der Finanzreform 1969 vermehrt die Frage gestellt, ob eine persönliche Haftung des Amtswalters gegenüber dem geschädigten Hoheitsträger aufgrund der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften in Betracht käme146.

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BT-Drucks. 13/1205, S. 7. Die Haftung des Beamten im Wege der Drittschadensliquidation bejahten: Asam, BayVBl 1966, S. 229 ff.; G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 117 ff.; ders., Haftung für Fehlbeträge an Bundesmitteln?, Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger 1961, Nr. 21 S. 7.; Jäger, Haften die Bediensteten der Versorgungsverwaltung für Schäden, die sie schuldhaft ihren Dienstherren in Ausübung öffentlicher Gewalt zugefügt haben?, KoV 1965, S. 225 f. Jede persönliche Haftung des Amtswalters wurde dagegen ausgeschlossen von: Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 109 ff.; Sahliger, Haften die Bediensteten der Versorgungsverwaltung für Schäden, die sie schuldhaft ihren Dienstherren in Ausübung öffentlicher Gewalt zugefügt haben?, KoV 1965, S. 187 ff. 146

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Diese Vorschriften über die Haftung des Beamten, Soldaten und Zivildienstleistenden gegenüber ihrem Dienstherrn lauten seit dem 9. Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 11 Juni 1992147 gleich. Kernstück der Neuregelung war, die beamtenrechtliche Innenhaftung bei leichter Fahrlässigkeit generell auszuschließen148. Kraft Verweisung auf die beamtenrechtlichen Vorschriften gilt gleiches nach § 46 und § 71 DRiG auch für Richter 149. In Anlehnung an § 23 Abs. 1 DBG statuieren nunmehr alle unmittelbar oder kraft Verweisung geltenden Innenhaftungsvorschriften in ihrem jeweiligen Satz 1 des ersten Absatzes: Verletzt ein Beamter [Soldat/Zivildienstleistender] vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten, so hat er dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Es wird somit - im Gegensatz zu § 23 DBG und den älteren beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder - nicht mehr zwischen der reinen Innenhaftung bei unmittelbarer Schädigung des Dienstherrn und der Regreßhaftung differenziert 150. Unabhängig von diesen neueren Entwicklungen, die im wesentlichen nur den Haftungsmaßstab betreffen, stellte sich jedoch schon früher die Frage, welche Hoheitsträger aus dem Innenhaftungsanspruch aktivlegitimiert waren. Damals wie heute - Ausnahmen bildeten nur § 24 Abs. 1 SG und § 34 Abs. 1 ZDG i. d. F. bis zum Inkrafttreten des 9. Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften, die allein eine Haftung gegenüber dem Bund anordneten - wurde in den einschlägigen Vorschriften als aktivlegitimiert der Dienstherr bezeichnet, dessen Aufgaben der Amtswalter wahrgenommen hat. Die Rechtsprechung hat noch keine klare Linie gefunden, diesen haftungsrechtlichen Dienstherrnbegriff zu bestimmen. Die Arbeitsgerichte hatten bisher über diese Frage erstaunlicherweise noch nicht zu entscheiden, obwohl die § 14 BAT/BAT-O, § IIa MTArb/MTArb-O, § 9a BMT-G/BMT-G-0 bezüglich der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes des Bundes, der Länder und der Kommunen auf die beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften verweisen und diese tarifvertraglichen Regelungen wegen § 51 BHO/LHO von diesen Arbeitgebern auch allen Verträ-

147

BGBl I S. 1030. Vgl. zu den Motiven der Neuregelung: Schnupp, Neuerungen im Haftungsrecht der Beamten - Inanspruchnahme und Rückgriff nicht mehr bei einfacher Fahrlässigkeit, Die Personalvertretung 1994, S. 67 ff; Simianer, Vermögensrechtliche Haftung des Beamten dem Dienstherrn gegenüber, ZBR 1993, S. 33. 149 Insoweit ist allerdings § 839 Abs. 2 BGB auf das Innenverhältnis des Richters zu seinem Dienstherrn entsprechend anzuwenden: Fürst/Finger/Mühl/Niedermaier, GKÖDI, Τ § 46 Rn. 20. 150 Schnupp, Die Personalvertretung 1994, S. 71. 148

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gen mit Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern zugrunde gelegt werden, so daß sie insofern faktisch allgemeinverbindlich sind 151 . b) Der BGH hatte sich mit der Frage, welche Hoheitsträger „Dienstherren" i. S. d. der § 23 DBG nachgebildeten Vorschriften sein können, zum ersten Mal im Urteil „Sparkasse III" vom 25. Juni 1956 152 auseinanderzusetzen: Eine Sparkasse machte Schadensersatzansprüche gegen Beamte ihres Gewährträgers geltend, welche entweder kraft Gesetzes oder durch Berufung Mitglieder des Verwaltungsrats der Sparkasse waren. Der BGH hielt eine Haftung der Beamten unmittelbar gegenüber der Sparkasse aufgrund der § 78 Abs. 1 Satz 1 BBG entsprechenden landesrechtlichen Vorschrift für möglich und berief sich dazu ausdrücklich auf das Urteil „Sparkasse I " 1 5 3 des RG zu § 88 und § 89 ALR I I 10 und die beamtenrechtliche Literatur, die dessen Grundsätze auch auf § 23 Abs. 1 DBG erstreckt hatte: „Die Revision zweifelt die von den Vorinstanzen bejahte Sachbefugnis (Aktivlegitimation) der Klägerin an, gegen die Beklagten als Mitglieder des Verwaltungsrats gem. Art. 53 des Württ.-Bad. Beamtengesetzes vom 19. November 1946 (Reg. Bl. Wttbg.-Bad. 1946, 24) - WB BG - Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Jedoch zu Unrecht. [...] Dabei kann es offenbleiben, ob unmittelbare beamtenrechtliche Beziehungen zwischen der Klägerin und den genannten Beklagten bestanden. Denn selbst wenn man annehmen wollte, daß derartige unmittelbare beamtenrechtliche Beziehungen nicht zu der Klägerin, sondern lediglich zu dem Gewährverband, hier der Stadt S. bestanden, würde doch die Klägerin im Sinne des § 35 Abs. 1 WB BG als ,Dienstherr' anzusehen sein. Die Gesetzesbestimmung stellt nicht entscheidend auf die allgemeinen beamtenrechtlichen Beziehungen zwischen Beamten und Dienstherren ab, sondern sie sieht die haftungsbegründende Rechtsbeziehung darin, daß der Beamte Aufgaben eines bestimmten Dienstherren wahrgenommen und dieser dadurch Schaden erlitten hat. Es kann mithin als Dienstherr 4 im Sinne der angezogenen Bestimmung auch ein anderer als die Anstellungskörperschaft des Beamten in Betracht kommen. [...] Hier jedenfalls sind die Beklagten aufgrund ihres Beamtenverhältnisses - sei es unmittelbar, sei es zufolge einer besonderen Wahl - zu der Klägerin in ein öffentlich-rechtliches Verhältnis getreten, das es ihnen zur Pflicht machte, Aufgaben der Klägerin im Verwaltungsrat wahrzunehmen. Damit ist die Dienstherreneigenschaft im Sinne des § 35 Abs. 1 WB BG gegeben."154 c) Auf das Urteil „Sparkasse I I " 1 5 5 , das in einem ähnlichen Fall eine Haftung des Beamten nur gegenüber dem Dienstherrn im beamtenrechtlichen

151

Baumgärtel/Fieberg, Recht der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst, in: Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht - Band IV (Stand August 1997, zit. im folgenden: GKÖDIV), Τ vor § 1 Rn. 1. 152 BGH, ZBR 1956, S. 327 ff. 153 RGZ 151, S. 401 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. D Π c (S. 166). 154 BGH, ZBR 1956, S. 327 ff. (S. 328). 155 RGZ 171, S. 385 ff. - siehe hierzu: 3. Kap. D Π d (S. 167 f.).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Sinn für möglich, jedoch die Grundsätze der Drittschadensliquidation zugunsten der Sparkasse für anwendbar gehalten hatte, ging der BGH nicht ein. Anders das LVG Schleswig im bereits erwähnten Urteil „Währungsausgleich"156: Es ging um die Frage der Haftung einer Stadt gegenüber dem Lastenausgleichsfonds für fehlerhafte Mittelverwendung bei Durchführung des Währungsausgleichs. Das LVG Schleswig lehnte eine solche Haftung mangels Rechtsgrundlage ab, wobei es stillschweigend die Schadenslast zweckverfehlender Mittelverwendungen dem Ausgleichsfonds zuwies. Dieses Ergebnis sicherte es mit der Überlegung ab, daß der Ausgleichsfonds durch die persönliche Haftung des Beamten ausreichend geschützt sei: „Daß die Landes- und Gemeindebediensteten bei vorsätzlicher bzw. grobfahrlässiger Verletzung ihrer Dienstpflichten in Lastenausgleichssachen nach den [...] landesbeamtenrechtlichen Vorschriften schadensersatzpflichtig sind, kann nicht zweifelhaft sein. [...] Die Länder und Kommunalkörperschaften, denen als Dienstherr der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch zusteht, werden nach den Grundsätzen über die Geltendmachung eines Drittschadens, die das Reichsgericht in RGZ 171, 385 auch für den Bereich des Beamtenhaftungsrechts für anwendbar erklärt hat, den Schaden des Ausgleichsfonds geltend machen können und dazu aufgrund des [Bundes-]Treueverhältnisses im Rahmen der Auftragsverwaltung des Lastenausgleichs auch verpflichtet sein."157

Dabei unterstellte das LVG Schleswig, daß dem Ausgleichsfonds ein Anspruch auf Auskehrung der von dem Beamten eibrachten Schadensersatzleistung zustand. Ein solcher Anspruch könnte sich hier nur aus der „Kehrseitenertragszuständigkeit" des Ausgleichsfonds ergeben haben158. d) Dem Urteil „Sparkasse III" 1 5 9 des BGH folgend, zog der VGH München in einem Urteil vom 5. Oktober 1962160 die bayerische Innenhaftungsvorschrift heran, um eine Haftung des („kommunalisierten") Landrats gegenüber dem bayerischen Staat für fehlerhafte Erfüllung staatlicher Aufgaben zu begründen. Mit dem Begriff „Dienstherr" in der Haftungsnorm sei der „Dienstherr" im Sinne der Funktionstheorie gemeint. Auf Revision des Landrats hob indes das BVerwG diese Entscheidung durch das Urteil „Vergütungsgruppe" 161 vom 24. Juni 1966 auf: Der Schadensersatzanspruch habe jedenfalls nicht durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden dürfen. „Zweifelhaft kann bereits sein, ob in der vorliegenden Sache dem beklagten Land überhaupt die rechtliche Qualifikation eines Dienstherrn wenigstens im Sinne des

156 157 158 159 160 161

LVG Schleswig, DÖV 1960, S. 464 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 193). LVG Schleswig, DÖV 1960, S. 464 ff. (S. 466). Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 b (S. 43 f.). BGH, ZBR 1956, S. 327 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A ΠΙ b (S. 203 f.). VGH München, BayVBl 1963, S. 25 ff. BVerwGE 24, S. 225 ff. (Beispiel Nr. 52 - siehe S. 107).

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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Art. 37 Abs. 1 BayBG zukommt [...], ob also für den dort normierten Schadensersatzanspruch Dienstherreneigenschaft im Sinne der Funktionstheorie ohne weitere Voraussetzungen ausreichend sein soll oder nicht vielmehr nur ein zusätzliches, der Abgrenzung dienendes Merkmal darstellt. Doch kann das offenbleiben. Denn Art. 37 BayBG 1946 ist eine materiellrechtliche Schadensersatzvorschrift; nichts spricht dafür, daß Schadensersatzansprüche, die sich auf diese Vorschriften stützen lassen, schon allein deshalb als subordinationsrechtlicher Natur anerkannt sind. Wenn in ihrem Bereich die Anerkennung subordinationsrechtlicher Beziehungen überhaupt möglich ist, so setzt das mehr voraus als die Beteiligung eines öffentlichrechtlichen Dienstherrn, der hier sogar [...] nur im Sinne der Funktionstheorie als Dienstherr gelten könnte. Zwar brauchte vielleicht nicht gerade zwingend die Beteiligung eines Dienstherrn im Sinne der Anstellungstheorie gefordert zu werden; ihm könnte ζ. B. der Dienstherr gleichstehen, zu dem der Beamte abgeordnet wäre; vgl. insoweit das in § 17 Abs. 2 BRRG verankerte, zwar abgeleitete, aber doch umfassende Pflichten- und Treueverhältnis. Von einem solchen umfassenden Pflichtenund Treueverhältnis [...] kann aber in der vorliegenden Sache nicht die Rede sein."162 Das BVerwG hielt die Interessen des Staates trotzdem für ausreichend gesichert: „Dem staatlichen Interesse, staatliche Aufgaben durch den Landkreis durchführen lassen zu können, ist durch das insoweit gesetzlich verankerte subordinationsrechtliche Weisungsverhältnis Genüge getan. Einem in diesem Zusammenhang dann noch in Betracht kommenden staatlichen Interesse, den Landrat (auch unter dem Gesichtspunkt des Druckmittels) im Falle der Dienstpflichtverletzung zum Schadenersatz heranzuziehen, ist durch die Möglichkeit von Klage und Vollstreckung in durchaus effektiver Weise Rechnung getragen."163 Daß das BVerwG sich nur mit der Frage beschäftigte, wie der Innenhaftungsanspruch geltend zu machen sei, vermochte nicht zu verbergen, daß es einer unmittelbaren Schadensersatzpflicht des Landrats gegenüber dem Dienstherrn überhaupt ablehnend gegenüberstand: „Dem Dienstherrn, der seinen Beamten zu alimentieren hat, ihm Fürsorge und Betreuung schuldet, kann man auch rechtspolitisch viel eher die Befugnis zuerkennen, Schadensersatzansprüche aus Dienstpflichtverletzung durch Verwaltungsakt geltend zu machen; denn die bezeichneten Pflichten des Dienstherren setzen der Durchsetzung eigener Geldforderungen Grenzen, die zu beachten dem Dienstherren einmal rechtlich obliegt und deren Berücksichtigung zugleich Gebot seines eigenen Interesses ist." 164 Wegen dieser Überlegungen ist nicht ganz verständlich, warum das BVerwG der Klage des Landrats nur wegen fehlender Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsaktes stattgab. Die offengelassene Möglichkeit einer verwal-

162 163 164

BVerwGE 24, S. 225 ff. (S. 231). BVerwGE 24, S. 225 ff. (S. 234). BVerwGE 24, S. 225 ff (S. 233).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

tungsgerichtlichen Schadensersatzklage gewährleistet nicht, daß, bevor der Beamte in Anspruch genommen wird, gerade sein Dienstherr die notwendigen fürsorgerechtlichen Erwägungen anstellt. Diese Aufgabe wird vielmehr auf das Gericht übertragen, das über die Leistungsklage des geschädigten Hoheitsträgers entscheiden soll. e) Den von ihm im Urteil „Vergütungsgruppe" 165 eingeschlagenen „Mittelweg" hat das BVerwG später auch nicht mehr verfolgt. So sprach ein anderer Senat des BVerwG durch das Urteil „Sparkasse I V ' 1 6 6 vom 25. Januar 1968, in dem wieder über die Haftung eines Bürgermeisters gegenüber der gemeindlichen Sparkasse zu entscheiden war, der Sparkasse unmittelbar den Haftungsanspruch zu, wobei er ausdrücklich auf die Entscheidung „Sparkasse III" 1 6 7 des BGH zum selben Thema Bezug nahm. Der Gesetzgeber habe mit dem Begriff „Dienstherr, dessen Aufgabe er wahrgenommen hat" den Kreis der anspruchsberechtigten Dienstherren ersichtlich über den Anstellungsdienstherrn hinaus jedenfalls auch auf sonstige öffentlich-rechtliche Dienstherren erweitert, deren Aufgaben ein Beamter kraft seines Hauptamtes wahrzunehmen habe. Zum Verhältnis dieses Urteils zu dem Urteil „Vergütungsgruppe" wurde ausgeführt: „Ob über solche Beziehungen dienstrechtlicher Art hinaus noch ein besonderes dem Beamtenverhältnis vergleichbares Pflichten- und Treueverhältnis zu fordern ist, zu welcher Ansicht der VI. Senat dès Bundesverwaltungsgerichts zu neigen scheint [...], bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls ergaben sich hier solche dem beamtenrechtlichen Pflicht- und Treueverhältnis vergleichbare Beziehungen zwischen dem Beklagten und der Sparkasse daraus, daß dem Beklagten in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsrats der Sparkasse die Aufsicht über deren Finanzgebarung und damit die Sorge für ihren Bestand und ordungsgemäßen Betrieb sowie auch über deren Gelder anvertraut war, die die Sparkassenkunden ihrerseits der Sparkasse anvertraut hatten."168

Ob tatsächlich auch nach den Grundsätzen des Urteils „Vergütungsgruppe" die Sparkasse als anspruchsberechtigt anzusehen gewesen wäre, ist allerdings zweifelhaft. Dort war nämlich nicht auf die Vermögensinteressen des geschädigten Hoheitsträgers, sondern allein auf die beamtenrechtlichen Beziehungen zwischen dem Beamten und seinem „Anstellungsdienstherrn" abgestellt worden. Jedoch blieb in der Folgezeit das Grundanliegen des Urteils „Vergütungsgruppe", den Beamten zu schützen, nicht ohne Einfluß: Das Urteil „Sparkasse I V war - soweit ersichtlich - das letzte Urteil, in dem das BVerwG auch einen Dienstherrn im Sinne der Funktionstheorie bezüglich des

165 166 167 168

BVerwGE 24, S. 225 ff. (S. 233) - siehe hierzu: 4. Kap. A m d (S. 204 f.). BVerwG, ZBR 1968, S. 184 ff. BGH, ZBR 1956, S. 327 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A m b (S. 203 f.). BVerwG, ZBR 1968, S. 184 ff. (S. 185).

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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beamtenrechtlichen Innenhaftungsanspruchs als aktivlegitimiert ansah. Seitdem wurde durchgehend dem „Funktionsdienstherrn" ein unmittelbarer Durchgriff auf den Beamten verwehrt, jedoch dem Dienstherrn im beamtenrechtlichen Sinn die Befugnis zur Liquidation von Schäden anderer Hoheitsträger zugesprochen. f) Vorreiter dieser Entwicklung war wohl der VGH Mannheim mit dem Urteil „Geldanlage"169 vom 4. April 1973, dessen Gegenstand die Haftung des Beamten eines Amtes war, dessen Aufgabe es u. a. war, anderweitig nicht benötigte Gelder amtsangehöriger Gemeinden gewinnbringend anzulegen. Weil das von diesem Beamten ausgewählte Kreditinstitut in Konkurs ging, wurde er vom betreffenden Amt auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der VGH Mannheim gab dieser Klage statt, obwohl nicht das Amt, sondern die betroffene Gemeinde einen Schaden erlitten hatte. Begründet wurde die Anwendbarkeit der Grundsätze der Drittschadensliquidation mit der Erwägung, daß nicht angenommen werden könne, daß das Gesetz den Beamten von seiner Haftung freistellen wolle, wenn die Folgen seiner Dienstpflichtverletzung ausnahmsweise einen anderen Dienstherrn treffen als den, dessen Aufgaben er wahrgenommen habe170. In dem Urteil „Schulträger II" 1 7 1 vom 8. Mai 1984 wurde diese Rechtsprechung bestätigt. Hier lehnte es der VGH Mannheim ab, einen Lehrer (Landesbeamten) für die Verletzung von Schuleigentum unmittelbar gegenüber einem kommunalen Schulträger aus der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschrift haften zu lassen, da die Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht aus dem Gesamtzusammenhang der durch das Beamtenverhältnis geschaffenen Rechte und Pflichten gelöst werden könne. Damit trat der VGH Mannheim einem obiter dictum des BGH in seinem Urteil „Schulträger I " 1 7 2 vom 7. Mai 1973 entgegen, nach dem eine solche Haftung in Betracht gekommen wäre, da Lehrer an staatlichen Schulen bei Gebrauch von Lehrmitteln und bei ihrem Einsatz zum Zwecke des Unterrichts Aufgaben der Stadt wahrnähmen, die als Trägerin des Sachaufwandes die Lehrmittel, Unterrichtsräume, Gebäude usw. zum Gebrauch im Rahmen des Schulbetriebs zur Verfügung zu stellen habe173. Da der BGH im Urteil „Schulträger I" auch einen Amtshaftungsanspruch des kommunalen Schulträgers gegenüber dem Land als Anststellungskörperschaft verneint hatte, stellte der VGH Mannheim noch fest, daß die von ihm vertretene Ansicht den kommunalen Schulträger nicht schutzlos lasse, da die Möglichkeit einer Dritt169

VGH Mannheim, ZBR 1974, S. 337 ff (Beispiel Nr. 50 - siehe S. 106). VGH Mannheim, ZBR 1974, S. 337 ff. (S. 338). So auch OVG Koblenz, ZBR 1988, S. 394-ff. 171 VGH Mannheim, ZBR 1985, S. 115 ff. 172 BGHZ 60, S. 371 ff. (Beispiel Nr. 69 - siehe S. 118). 173 BGHZ 60, S. 371 ff. (S. 375 f.). 170

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Schadensliquidation des Landes zugunsten der Stadt bestünde174. Der Ansicht des VGH Mannheim folgte später auch das OVG Lüneburg in dem Urteil „Schulträger III" 1 7 5 vom 26. März 1986, obwohl es hier schwerpunktmäßig ähnlich wie das BVerwG im Urteil „Vergütungsgruppe" 176 auf die fehlende Befugnis der Kommune abstellte, einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Lehrer durch Verwaltungsakt festzusetzen. Demgegenüber hielt es das OLG Köln im Urteil „Schulträger I V 1 7 7 vom 14. Dezember 1989 für möglich, den Beamten, wenn er sich einer unerlaubten Handlung nach § 823 BGB schadensersatzpflichtig gemacht hat, nach § 823 BGB haften zu lassen, wobei der Haftungsmaßstab den Beamtengesetzen entsprechend auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken sei, wenn der Beamte - wie in den Schulfällen - in den „Betrieb des Geschädigten eingegliedert" sei 178 . g) Eine sehr einschränkende Auslegung des Dienstherrnbegriffs im Sinne der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften vertrat auch das BVerwG im Urteil „Zivildienstleistender III" 1 7 9 vom 13. Oktober 1994. Es ging um die Frage, ob eine Haftung eines Zivildienstleistenden aus § 34 Satz 1 ZDG unmittelbar gegenüber seiner Beschäftigungsstelle (§ 3 f. ZDG) in Betracht komme. Diesem Urteil war das Urteil „Zivildienstleistender I" des BGH vom 16. Mai 1983180 vorausgegangen, das einen Amtshaftungsanspruch einer Beschäftigungsstelle gegen den Bund wegen Amtspflichtverletzungen eines bei ihr beschäftigten Zivildienstleistenden abgelehnt hatte181. Problematisch war damals, daß in § 34 Abs. 1 ZDG a. F. nur eine Haftung des Zivildienstleistenden gegenüber dem Bund vorgesehen war, eine Schadensersatzpflicht zugunsten der Beschäftigungsstelle dem Wortlaut nach also nicht in Betracht kam 182 . Das OVG Münster hatte aber im Urteil „Zivildienstleistender II" vom

174

Die Revision des Schulträgers wies das BVerwG (NVwZ 1985, S. 904) zurück, indem es für die Frage, wann ein Hoheitsträger als Dienstherr im Sinne der Funktionstheorie anzusehen sei, das nicht revisible Landesrecht für maßgeblich hielt. Zu den übrigen vom VGH Mannheim angesprochenen Fragen nahm das BVerwG mangels Entscheidungserheblichkeit keine Stellung. 175 OVG Lüneburg, ZBR 1987, S. 21 f. 176 BVerwGE 24, S. 225 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A m d (S. 204 f.). 177 OLG Köln, DVB1 1990, S. 311 ff. 178 Siehe zu einem ähnlichen Ansatz in bezug auf § 34 ZDG a. F.: OVG Münster, NVwZ 1986, S. 775 ff. (S. 776) - „Zivildienstleistender Π", siehe hierzu: 4. Kap. Α ΠΙ g (S. 208). 179 BVerwG, DÖV 1995, S. 382 f. Der Sachverhalt ähnelte dem des Beispiels Nr. 71 (siehe S. 119). 180 BGHZ 87, S. 253 ff. 181 Im Ergebnis, aber nicht in der Begründung zustimmend: Niimann, DVB1 1984, S. 320. 182 Papier, JZ 83, S. 766 f.

Α. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts

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4. März 1986183 die Vorschrift des § 34 Abs. 1 ZDG auch zugunsten einer geschädigten Beschäftigungsstelle analog angewandt, da eine Regelungslücke bezüglich der bei einer anerkannten Beschäftigungsstelle beschäftigten Zivildienstleistenden bestanden habe184. Das BVerwG trat dem - wie zuvor schon der VGH Mannheim in derselben Rechtssache185 - entgegen: Es war der Ansicht, daß als ersatzberechtigter Dienstherr ausschließlich der Bund in Betracht komme - auch nach der Neufassung des § 34 ZDG durch Art. 6 Nr. 1 des 9. Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften, durch den der Wortlaut der Vorschrift an § 78 Abs. 1 BBG angepaßt wurde. „Vielmehr gebietet Art. 3 Abs. 1 GG zum einen, Zivildienstleistende untereinander haftungsrechtlich gleichzubehandeln und zwar ungeachtet dessen, ob sie ihren Dienst bei einer Zivildienstgruppe (Dienststelle) oder einer anerkannten Beschäftigungsstelle (§ 3 ZDG) leisten. Darüber hinaus verlangt Art. 3 Abs. 1 GG ihre Gleichbehandlung mit den wehrpflichtigen Soldaten. Denn die Wehrpflicht wird gemäß Art. 12a Abs. 2 GG i. V. m. § 3 Abs. 1 WPflG durch den Wehrdienst oder den Zivildienst erfüllt. Auch nach § 24 SG ist aber der Bund alleiniger Anspruchsinhaber von Schadensersatzansprüchen gegenüber Soldaten. Nur durch die Anspruchskonzentration auf den Bund wird sichergestellt, daß Zivildienstleistende und Wehrpflichtige in gleicher Weise und unter Berücksichtigung der besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn zum Schadensersatz herangezogen werden. Eine solche nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Gleichstellung wäre dann nicht mehr gewährleistet, wenn der Zivildienstleistende der privaten Beschäftigungsstelle gegenüber zum Ersatz des von ihm verursachten Schadens verpflichtet wäre. Dieser steht ein Anspruch gegen den Zivildienstleistenden auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens nicht zu. Alleiniger Anspruchsberechtigter ist der Bund, nicht die Beschäftigungsstelle".186

Obwohl das BVerwG dies nicht ausdrücklich sagt, liegt diesem Urteil ersichtlich die Überlegung zugrunde, daß der Bund den Schaden der Beschäftigungsstelle im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen könne und den „Erlös" an die Beschäftigungsstelle abzuführen habe. Motiv für diese Anspruchskonzentration ist auch hier sicherzustellen, daß bei der Entscheidung über die Geltendmachung der Schadensersatzverpflichtung allein deijenige Hoheitsträger entscheidet, zu dem der Bedienstete in einem Anstellungsverhältnis steht. Nur diesem Hoheitsträger wird zugetraut, Fürsorgeerwägungen bei ihrer Entscheidung mit zu berücksichtigen. Gerade in bezug auf das Zivildienstverhältnis mag dies auch sachgemäß sein, da nicht auszuschließen ist, daß die teilweise rein privatrechtlichen Beschäftigungsstellen bei der Frage, ob und wie ein Schadensersatzanspruch geltend zu machen ist, dem eigenen Interesse an einer Schadloshaltung gegenüber dem Interesse des Zivildienstlei183 184 185 186

OVG Münster, NVwZ 1986, S. 775 ff. So auch Kreft, LM, Nr. 55 zu § 839 (Cb) BGB; Nümann, DVB1 1984, S. 323. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, S. 366 ff. BVerwG, DÖV 1995, S. 382 f. (S. 383).

14 Stelkens

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Stenden an der Berücksichtigung von Fürsorgeerwägungen regelmäßig den Vorrang einräumen werden. h) In seinem Beschluß „Wohngeld" 1 8 7 vom 8. Dezember 1994, dessen Gegenstand die Haftung eines Kommunalbeamten gegenüber dem Land für fehlerhaft bewilligtes Wohngeld war, nahm das BVerwG schließlich ausdrücklich auf die Erwägungen des Urteils „Zivildienstleistender I I I " 1 8 8 Bezug und erstreckte seine Bedeutung somit über das Zivildienstrecht hinaus auf das allgemeine Beamtenrecht: „Der in der Auftragsverwaltung tätige Kommunalbeamte [...] nimmt Aufgaben seines eigenen Dienstherrn wahr, denn die Ausführung von Landesgesetzen ist im Rahmen der Auftragsverwaltung der Anstellungskörperschaft und nicht dem einzelnen Beamten übertragen [...]. Verletzt der Kommunalbeamte bei Ausführung von Auftragsangelegenheiten des Landes schuldhaft seine Dienstpflichten, so hat er, wie sich aus dem Wortlaut des § 86 I NdsBG ergibt, ,dem Dienstherrn ' den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Durch diese Anspruchskonzentration auf den Dienstherrn, dessen Aufgaben der Beamte wahrgenommen hat, wird sichergestellt, daß er wegen Verletzung seiner Dienstpflichten nur diesem gegenüber haftet, zu dem er ,in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis)' steht (§ 2 I BRRG). Dies hat der Sertat in seinem Urteil vom 13. Oktober 1994 [...] in bezug auf das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis eines Zivildienstleistenden zum Bund ausgesprochen; für das Beamtenverhältnis gilt soweit nichts anderes. Dieser Anspruchskonzentration auf den Dienstherrn entspricht es folgerichtig, daß haftungsrechtlich für den handelnden Beamten kein Unterschied besteht, ob er bei Erfüllung seiner Dienstpflichten gegenüber der Anstellungskörperschaft im konkreten Fall eigene Aufgaben der Gemeinde oder eine der Gemeinde übertragene Aufgabe übernimmt. Die finanzielle Verantwortung des Beamten für die Folgen einer [...] Dienstpflichtverletzung gegenüber seinem Dienstherrn kann nicht deshalb entfallen, weil diese Folgen im Rahmen des gegliederten Staats- und Verwaltungsaufbaus einen anderen Dienstherrn treffen als den, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat. Daher kann der Dienstherr (die Gemeinde) den dem Land entstandenen Schaden, soweit er nicht selbst dafür ersatzpflichtig ist und deshalb einen eigenen Schaden hat, dem Beamten gegenüber im Rahmen des § 86 I NdsBG geltend machen - Drittschadensliquidation - [...]. Soweit der ersatzberechtigte Dienstherr Ersatz dieses Drittschadens erlangt, hat er den Betrag dem Land, als dem eigentlich Geschädigten, zur Verfügung zu stellen."189 Damit erkannte das BVerwG einerseits an, daß soweit ein Hoheitsträger zu zweckgebundenen Finanzzuweisungen gegenüber einem anderen Hoheitsträger ermächtigt ist, dem Ausgabenträger die Ertragszuständigkeit und damit eine Auskehrungspflicht der mittelbewirtschaftenden Stelle für diejenigen Einnahmen zusteht, die sich letztlich als „Kehrseite" dieser Finanzzuweisun-

187 188 189

BVerwG, NJW 1995, S. 978 (Beispiel Nr. 15 - siehe S. 78). BVerwG, DÖV 1995, S. 382 f. - siehe hierzu: 4. Kap. A m g (S. 208 ff.). BVerwG, NJW 1995, S. 978.

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

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gen darstellen190. Andererseits ging es damit davon aus, daß im vorliegenden Fall ein Erstattungsanspruch zwischen Land und Gemeinde nicht bestand, die Schadenslast also dem Land zugewiesen war: Die Kehrseitenertragszuständigkeit reicht nicht weiter als die zweckgebundene Finanzierungszuständigkeit, deren Kehrseite sie ist 191 . Die Gründe für diese Bestimmung der Schadenslastenverteilung im Land-Gemeinde-Verhältnis sind im Urteil „Kindergeld" 192 zu suchen, auf das noch genauer einzugehen sein wird.

B. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach der Finanzreform 1969 Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern war vor der Finanzreform 1969 nur lückenhaft geregelt und warf eine Reihe von Zweifelsfragen auf. Die Finanzreform 1969 sollte hier für klare Verhältnisse sorgen, indem in Art. 91a, Art. 91b, Art. 104a und Art. 120 GG die Finanzierungszuständigkeiten des Bundes gegenüber den Ländern abschließend geregelt wurden (vgl. Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG) 193 . Auch die Frage der Haftung im BundLänder-Verhältnis wurde mit der Frage der Lastenverteilung verknüpft, was schon die systematische Stellung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG deutlich macht. Aus dem Wortlaut der Vorschrift läßt sich jedoch kaum entnehmen, welcher Umfang, welche Reichweite und welcher Anwendungsbereich ihr zukommt. Zudem wurde die Haftungsvorschrift im Gesetzgebungsverfahren kaum diskutiert und im wesentlichen unverändert aus dem Entwurf des die Finanzreform 1969 vorbereitenden Gutachtens der Kommission für die Finanzreform 194 übernommen, welches verkürzt regelmäßig nach dem Vorsitzenden der Kommission als „Troeger-Gutachten" bezeichnet wird. Die Gesetzesmaterialien zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sind daher ähnlich dünn wie der Wortlaut der Vorschrift selbst195 (I). Mehr Hinweise für die Interpretation der Vorschrift bieten die Materialien zu zwei im Ergebnis gescheiterten Gesetzesvorhaben der siebziger Jahre, de190

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 b (S. 43 f.). Siehe hierzu: 1. Kap. B m b (S. 78 f.). 192 BVerwGE 100, S. 56 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. C I f(S. 243 ff.). 193 Siehe hierzu: 1. Kap. A I c (S. 34 ff.). 194 Kommission für die Finanzreform: Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (veröffentlicht bei 1966 im Verlag W. Kohlhammer/Deutscher Gemeindeverlag, Stuttgart). 195 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Haftungsvorschrift insbes. Erichsen, Zur Haftung, S. 19 ff.; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 2 ff.; Schulze, DÖV 1972, S. 472 f. 191

1*

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

ren Gegenstand auch die finanzverfassungsrechtliche Haftungsvorschrift war: 1973 wurde zunächst im Bundesfinanzministerium ein detaillierter Referentenentwurf für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG erstellt. Dieser Entwurf formuliert damit so etwas wie eine offizielle Interpretation des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG und ist insofern auch heute noch interessant (II). Die finanzverfassungsrechtliche Haftungsvorschrift war darüber hinaus auch Gegenstand der Beratungen zur Staatshaftungsreform 196, die im Erlaß des schließlich vom BVerfG 197 für verfassungswidrig erklärten Staatshaftungsgesetzes vom 26. Juni 1981198 endete. Auch die hier von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vertretenen Ansichten könnten für die Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG von Bedeutung sein (III). Die Rechtsprechung hatte sich dagegen bisher eher selten mit dieser Vorschrift zu befassen, jedoch ist insofern eine steigende Tendenz zu verzeichnen. In Fortführung der Rechtsprechung des Urteils „Soforthilfe II" 1 9 9 stellte das BVerwG zunächst in der Entscheidung „Seehafen Emden"200 fest, daß die Vorschrift konstitutiven Charakter habe, nicht etwas festschreibe, was dem Grundgesetz ohnehin zu entnehmen gewesen sei, und daher nicht auf Fälle Anwendung finden könnte, die sich schon vor ihrem Inkrafttreten ereignet hätten. Erst im Urteil „BAföG" 201 vom 18. Mai 1994 zog das BVerwG zur Lösung eines Haftungsfalles im Bund-Länder-Verhältnis Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG heran. Denselben Grundsätzen ist das BVerwG auch in den zwei Entscheidungen „Zivilschutz"202 und „Personalratsmitglied" 203 vom 2. Februar 1995, dem Urteil „Kindergeld" 204 vom 30. November 1995 und allerdings mit Abweichungen hinsichtlich des Haftungsmaßstabs - auch in dem Urteil „Hinterlegung" 205 vom 16. Januar 1997 gefolgt, so daß man inzwischen von einer gefestigten Rechtsprechung zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 196

Siehe zum Gang der Staatshaftungsreform: Bender, Staatshaftungsrecht 3, Rn. 115 ff; Soergel-G/oser, Einl StHG Rn. 1 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 377 ff.; A. Schäfer/Bonk t Staatshaftungsgesetz, Einführung Rn. 26 ff. 197 BVerfGE 61, S. 149 ff. 198 BGBIIS. 553. 199 BVerwGE 12, S. 253 ff.- siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff.). 200 BVerwG, NJW 1976, S. 1468 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 232). 201 BVerwGE 96, S. 45 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 202 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 203 BVerwG, RiA 1995, S. 240 ff - siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 d (S. 46 ff). 204 BVerwGE 100, S. 56 ff - siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff). 205 BVerwGE 104, S. 29 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 229 ff).

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

213

Halbsatz 2 GG ausgehen kann (IV). Das „Erstreiten" des Urteils „Zivilschutz" durch die Bundesregierung und das hierauf gestützte Zahlungsverlangen des Bundes, sowie das „Ergehen" dieses Urteils hält das Land NordrheinWestfalen allerdings für eine Verletzung seiner Rechte i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und hat deshalb einen Bund-Länder-Streit vor dem BVerfG angestrengt. Hierauf soll ebenfalls kurz eingegangen werden (V). L Entstehungsgeschichte des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG a) Die Troeger-Kommission führte in ihrem Gutachten im Hinblick auf die Haftungsregelung des Art. 104a Abs. 4 ihres Entwurfs, welcher dem geltenden Art. 104a Abs. 5 GG entspricht, aus: „Die Fassung des Art. 104a Abs. 4 (Entwurf) schafft auch Klarheit über die lang umstrittene Frage der Haftung. Künftig sollen zu den Verwaltungsausgaben auch die Kosten der fehlerhaften Verwaltung, ζ. B. Haftungsverpflichtungen, Kassenfehlbeträge u. dgl. gehören. Das gilt auch dann, wenn ein Land für den Bund tätig wird. Diese Haftung folgt aus der Verantwortung des Verwaltungsträgers für die ordnungsmäßige Verwaltung der ihm zugewiesenen Aufgaben; sie ergibt sich auch daraus, daß allein die Behörde, in deren Aufgabenbereich die Verwaltungsmängel aufgetreten sind, die rechtliche Möglichkeit hat, ihre Bediensteten zur Verantwortung zu ziehen und für Schäden haftbar zu machen. Im übrigen wird damit die in Art. 108 Abs. 4 Satz 2 1. Halbsatz GG getroffene Regelung für die Steuerverwaltung gegenstandslos."206

Bei genauerem Hinsehen ist diese Äußerung widersprüchlich: Geht man von der Aussage aus, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG klarstellt, daß zu den Verwaltungsausgaben - auf die sich nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG die von Art. 104a Abs. 1 GG abweichenden Finanzierungszuständigkeiten des Bundes nicht erstrecken 207 - auch die Kosten fehlerhafter Verwaltung gehören, käme der Vorschrift allein im Bereich der unechten Haftungsfalle Bedeutung zu: Als Schadenslastenverteilungsvorschrift würde sie etwa im Bereich des Art. 104a Abs. 2 GG die Kosten fehlerhafter Verwaltung den Ländern zuweisen, die insofern keine Erstattung vom Bund verlangen könnten - zu Unrecht erbrachte Finanzzuweisungen des Bundes müßten zurückerstattet werden, wobei allerdings nicht klar wäre, ob sich diese Rückerstattungspflicht aus der Haftungsvorschrift selbst oder dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergäbe208. Eine solche Regelung allein würde aber noch keine Haftung für Steuermindereinnahmen begründen, die nach Ansicht der Troeger-Kommission durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 206 207 208

Troeger-Gutachten, Teil C 14, Tz. 215. Siehe hierzu näher: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). Siehe hierzu: 6. Kap. A I 3 (S. 325 ff.).

214

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Halbsatz 2 GG mitgeregelt werden sollte - wie der zuletzt zitierte Satz zeigt. Steuermindereinahmen stellen wie sonstige Vermögensverluste keine Ausgaben dar, können also auch keine Verwaltungsausgaben sein, denen die Troeger-Kommission die Haftungsverpflichtungen zuordnen wollte. Auch wenn man unterstellt, daß Steuermindereinnahmen wie Ausgaben behandelt werden sollten, würde sich hieraus auch noch nicht eine unmittelbare Finanzierungszuständigkeit der Länder gegenüber dem Bund zum Ausgleich von Steuermindereinnahmen herleiten lassen, weil damit noch nicht geklärt wäre, wessen „Verwaltungsausgaben" dies wären: solche des Bundes oder solche der Länder. Hier zeigt sich deutlich, daß schon die Troeger-Kommission die Besonderheiten der Fälle fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen gegenüber den echten Haftungsfällen nicht erkannt hat, was auf die Urteile „Soforthilfe I " 2 0 9 und „Soforthilfe II" 2 1 0 zurückzufuhren sein dürfte. Deshalb ordnet Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für zwei sehr verschiedene Sachverhaltskonstellationen nur eine Rechtsfolge an: die Haftung. Die Rechtsfolgenanordnung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG muß daher so ausgelegt werden, daß sie sowohl echten wie unechten Haftungsfällen gerecht wird. b) Der Unterschied zwischen echten und unechten Haftungsfallen wurde auch von der Bundesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf des Finanzreformgesetzes nicht gesehen. Hier heißt es im „Allgemeinen Teil": „Im Zusammenhang [mit der Verteilung der Verwaltungsausgaben] soll die Frage der Haftung geregelt werden. Die Verantwortung des Verwaltungsträgers muß auch das Verwaltungsrisiko, d. h. die Finanzverantwortung für unrechtmäßige Zahlungen, die auf Mängel der Verwaltung zurückzuführen sind, umfassen. Die Zuordnung der Kosten einer fehlerhaften Verwaltung zu den Verwaltungsausgaben folgt einmal aus der Verantwortung des Verwaltungsträgers für die ordnungsmäßige Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben, zum anderen daraus, daß allein die Behörde, in deren Verantwortungsbereich die Mängel aufgetreten sind, die rechtliche Möglichkeit hat, ihre Bediensteten zur Verantwortung zu ziehen und für Schäden haftbar zu machen."211

Deutlich ist hier nur, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vor allem im Bereich fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen Bedeutung zukommen soll. Näheres ist auch der Einzelbegründung der Bundesregierung zur Haftungsvorschrift nicht zu entnehmen. Sie enthält letztlich nur eine Paraphrasierung ihres Wortlauts: „Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern hat der Verwaltungsträger nach Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz für die ordnungsgemäße Verwaltung zu haften. Er muß so-

209 210 211

BGHZ 27, S. 210 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A 11 e (S. 175 ff.). BVerwGE 12, S. 253 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff.). BT-Drucks. V/2861, S. 30, Tz. 123.

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhälis nach 1969

215

mit für Mängel seiner Verwaltung einstehen und hat die durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln entstehenden Mehrkosten zu tragen. Das Nähere soll durch Bundesgesetz geregelt werden. Durch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates zu den nach Satz 1 erster und zweiter Halbsatz ergehenden Gesetzen wird die Mitwirkung der Länder bei der Lösung der Fragen gewahrt." 212 Allerdings macht diese Begründung deutlich, welcher Haftungsumfang für angemessen gehalten wurde: Beabsichtigt war, dem Schuldner den vollständigen Ersatz der durch die Schadenszufügung entstandenen Mehrkosten aufzuerlegen. c) Der Bundesrat lehnte die Aufnahme der Haftungsvorschrift zunächst in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf mit der Begründung ab, daß hierfür kein Bedürfnis bestände, weil „die Beziehungen zwischen Bund und Ländern unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bundestreue stehen. Falls ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem Bundesgesetz obliegende Pflicht verletzt, richtet sich die Inanspruchnahme nach den allgemeinen Vorschriften des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen Bund und Ländern." 213 d) In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates trat die Bundesregierung diesem Standpunkt entgegen. Sie macht auch deutlich, daß es sich bei der Einfügung der Haftungsvorschrift um eine Reaktion auf die oben dargestellte Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des Art. 34 Satz 1 GG im Bund-Länder-Verhältnis handelt - wobei wieder allein auf den Fall fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen abgestellt wird: „Die Bundesregierung hält an der [...] Haftungsbestimmung fest, um dem Grundsatz Geltung zu verschaffen, daß der Verwaltungsträger für die ordnungsgemäße Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben verantwortlich ist. Der Grundsatz ist ohne eine solche Normierung nicht gewahrt, da insofern eine Rechtslücke besteht. Das zeigt sich ζ. B. dann, wenn die Länder im Auftrag des Bundes tätig werden und dabei unrechtmäßige Zahlungen erfolgen. In diesen Fällen kann niemand die Bediensteten des Landes für fehlerhaftes Verhalten in Regreß nehmen. Der Schaden tritt beim Bund ein, der die Zweckausgaben zu tragen hat. Der Bund ist aber nicht in der Lage, den verantwortlichen Bediensteten haftbar zu machen, da dieser in keinem Dienstverhältnis zu ihm steht. Das Land kann keinen Schadensersatz geltend machen, weil ihm kein Schaden entstanden ist. Die Geltendmachung eines Drittschadens ist von der Rechtsprechung bisher nur in wenigen eng begrenzten privatrechtlichen Fallgruppen zugelassen, im übrigen aber für unzulässig erklärt worden (u. a. BGHZ 40, 91 [100 ff.]). Die Schadensersatzansprüche der einzelnen Länder sind folglich nur durchsetzbar, wenn die Länder ihrerseits dem Bund regreßpflichtig sind und deswegen einen eigenen Schaden haben.

212 2,3

BT-Drucks. V/2861, S. 52, Tz. 303 f. BT-Drucks. V/2861, S. 86, Ziff. 4 b.

216

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Für den Bereich der Lastenausgleichsverwaltung hat die Rechtsprechung eine Haftung der Verwaltungsträger für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gegenüber dem Bund bisher abgelehnt [...]. Nach ihrer Begründung kommt diesen Entscheidungen über den Bereich der Lastenausgleichsverwaltung hinaus Bedeutung zu." 214

Daß diese Begründung auf die angeblich fehlende Möglichkeit der Anwendbarkeit der Grundsätze der Drittschadensliquidation auf die Fälle der beamtenrechtlichen Innenhaftung abstellte, war allerdings etwas fragwürdig, da es bereits Urteile 215 gab, die gerade auf diese Möglichkeit hingewiesen hatten 216 und auch noch kein Gericht die Drittschadensliquidation in solchen Fällen für unzulässig erklärt hatte. Trotzdem wurde die Haftungsnorm daraufhin ohne weitere Diskussion im Gesetzgebungsverfahren angenommen. Dies ist in gewisser Weise erstaunlich, wenn man die vorhergegangenen schwierigen und jahrelangen Verhandlungen und Rechtsstreitigkeiten der Länder mit dem Bund über das Haftungsproblem bedenkt217. Jedoch ist es wohl Spekulation, wenn angenommen wird, daß die Länder die Norm nur deshalb ohne weitere Aussprache akzeptiert hätten, weil sie davon ausgegangen wären, daß die Haftungsfrage ohne den Erlaß des in Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG vorgesehen Ausführungsgesetzes noch nicht geklärt sei218. Diese Annahme ist natürlich plausibel. Es ist aber auch möglich, daß die Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren nur deshalb an dieser Vorschrift vorbeigingen, weil die grundlegende Frage der Verteilung des Steueraufkommens alles Interesse auf sich zog219.

IL Die Vorbereitungen zu einem Verwaltungshaftungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG a) Der Referentenentwurf des Finanzministeriums zu einem „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine 214

BT-Drucks. V/2861, S. 94, Ziff. 4 c. So RGZ 171, S. 385 ff. - „Sparkasse Π", siehe hierzu: 3. Kap. D Π d (S. 167 f.); LVG Schleswig, DÖV 1960, S. 464 ff. - „Währungsausgleich", siehe hierzu: 4. Kap. A m c (S. 204). 216 So auch Schulze, DÖV 1972, S. 413. 217 So gab es jahrelange Verhandlungen bezüglich der Haftung der Länder bei fehlerhafter Ausführung der Bundesbauaufgaben: Vgl. BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. - „Kraftfahrzeugbundesamt", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 231X Sturm, DÖV 1966, S. 78 f. 218 So aber Erichsen, Zur Haftung, S. 26. 219 So Saipa, Der Ausgleich überbezahlter Subventionen im Verhältnis von Bund und Land, DVB1 1974, S. 189; Schulze, DÖV 1972, S. 413. 215

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

217

ordnungsmäßige Verwaltung" 220 lautete in der Fassung vom 5. Juni 1973 in seinen wesentlichen Teilen: §1

Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung. Der Bund sowie die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts einerseits und die Länder sowie die landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und die Gemeinden und Gemeindeverbände andererseits sind einander bei der Ausführung von Verwaltungsaufgaben zur ordnungsmäßigen Verwaltung verpflichtet.

§2

Verpflichtung zum Ersatz. (1) Verletzt eine der in § 1 bezeichneten juristischen Personen in grober Weise die Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung, so hat sie der anderen den daraus entstehenden Vermögensschaden zu ersetzen. (2) Die Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung ist verletzt, wenn eine der in § 1 bezeichneten juristischen Personen bei der Ausführung von Verwaltungsaufgaben 1. gegen Rechtsvorschriften, Verwaltungsvorschriften, Weisungen, öffentlichrechtliche Vereinbarungen oder Bewilligungsbescheide verstößt oder 2. sonst Sorgfaltspflichten verletzt, die ihr gegenüber einer anderen in § 1 bezeichneten juristischen Person obliegen. (3) Vermögensschäden, die den Betrag von 5.000,- DM nicht übersteigen, werden nicht ersetzt.

§3

Mitverursachung. Hat die geschädigte juristische Person den Schaden mitverursacht, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden im Verantwortungsbereich der einen oder anderen juristischen Person verursacht worden ist.

§4

Mehrere Ersatzverpflichtete. (1 ) Trifft die Ersatzpflicht mehrere der in § 1 genannten juristischen Personen, so haften diese bis zu der Höhe, in der sich die Ersatzansprüche decken, als Gesamtschuldner. Das gleiche gilt, wenn neben einer juristischen Person ein Dritter der anderen juristischen Person für den Schaden verantwortlich ist. (2) Im Verhältnis der Schädiger zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend im Verantwortungsbereich des einen oder des anderen Teils verursacht worden ist.

§5

Ersatzansprüche gegen Dritte. (1) Ist die zur ordnungsmäßigen Verwaltung verpflichtete Person wegen eines Schadens nicht oder nur zum Teil ersatzpflichtig, ist ihr jedoch ein Dritter, der nicht zu ihren Bediensteten gehört, für den Schaden verantwortlich, so ist sie berechtigt und verpflichtet, den Schaden der anderen juristischen Person als eigenen Schaden geltend zu machen und das Erlangte der anderen juristischen Person herauszugeben. Das gilt auch im Fall des § 2 Abs. 3. (2) Ist im Fall des Abs. 1 ein Bediensteter für den Schaden verantwortlich, so ist die zur ordnungsmäßigen Verwaltung verpflichtete juristische Person berechtigt, 220

I B 1 - FV 1160-20/73.

218

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute den Schaden der anderen juristischen Person als eigenen Schaden gegen den Bediensteten geltend zu machen. Wemi sie den Schaden geltend macht, hat sie das von dem Bediensteten als Ersatz für den Schaden Erlangte der geschädigten juristischen Person herauszugeben. Die Vorschriften über die Haftung öffentlicher Bediensteter gegenüber ihrem Dienstherrn bleiben unberührt.

§6

Ersatz in Geld, Verzinsung. (1) Der Schaden ist in Geld zu ersetzen, es sei denn, daß unverzüglich der Zustand hergestellt wird, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist der Schaden in Geld zu ersetzen, so ist die Geldschuld vom Zeitpunkt der Entstehung des Schadens an mit zwei vom Hundert über dem für Kassenkredite des Bundes geltenden Zinssatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen.

b) Der Begründung des Entwurfs ist zu entnehmen, welche Reichweite die Entwurfsverfasser Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zusprachen. Sie gingen zunächst davon aus, daß jeder Fall der Verwaltung von Bundesmitteln durch die Länder erfaßt wird, Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG also nicht nur im Rahmen des Art. 104a GG und bei der Steuerverwaltung, sondern auch im Bereich der Art. 91a Abs. 4, Art. 91b Satz 2 und Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG eingreifen sollte 221 . Damit war der Anwendungsbereich der Vorschrift aber noch nicht abschließend bestimmt: , Außer dem im Vordergrund stehenden Komplex der fehlerhaften Verwaltung von Haushaltsmitteln erfaßt das Gesetz auch sonstige Verwaltungstätigkeiten, bei denen einem Verwaltungsträger durch fehlerhaftes Verhalten eines anderen Verwaltungsträgers ein Schaden zugefügt werden kann."222 „Der Begriff der Verwaltungsaufgabe im Sinne dieses Gesetzes ist weit auszulegen. Er umfaßt jede sich auf öffentlich-rechtlicher Grundlage vollziehende Tätigkeit der Verwaltung, und zwar auch dann, wenn sie sich nicht in öffentlich-rechtlichen Formen, sondern in privatrechtlichen Formen, ζ. B. bei der Ausführung von Bauaufgaben im Rahmen des Art. 90 Abs. 2 GG, vollzieht (Verträge mit Bauunternehmen, Architekten und ähnliches). Die Haftungsregelung gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen sich das Verhältnis der juristischen Personen des öffentlichen Rechts untereinander nach dem Privatrecht bestimmt. Hier gelten nur die zivilrechtlichen Vorschriften. Ebensowenig sind die Bestimmungen des Gesetzesentwurfs anwendbar, wenn sich öffentlich-rechtliche Verwaltungsträger nicht als selbständige gleichgeordnete Partner gegenüberstehen, sondern der eine Teil gegenüber dem anderen nur die gleiche Stellung wie ein beliebiger Bürger hat. Hier gelten die allgemeinen Regeln, die auch für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat maßgebend sind." 223 Nach Ansicht der Entwurfsverfasser begründete Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG also eine Haftung für jede Art von Verwaltungsträgerschäden, nicht aber für Fiskalschäden. Besonders hervorgehoben wurde, daß die Regelungen des Entwurfs auch dann gelten sollten, wenn in Abweichung von den 221 222 223

Entwurfsbegründung, S. 2 f. Entwurfsbegründung, S. 5 f. Entwurfsbegründung, S. 8 f.

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhälis nach 1969

219

Art. 83 ff. GG durch ein (einfaches) Gesetz oder eine Verwaltungsvereinbarung die Wahrnehmung von Bundesaufgaben auf Landesbehörden oder die Wahrnehmung von Landesaufgaben auf Bundesbehörden übertragen worden ist. Hier wurde ausdrücklich auf die Bundesbauverwaltung verwiesen. Zudem wurde eine Haftung auch in Amtshilfefallen für möglich gehalten224. Damit behandelte der Entwurf insgesamt echte Haftungsfalle in der gleichen Weise wie die Fälle fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen. Konstruktiv setzt dies jedoch voraus, daß Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 2 bis 4 und Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG an sich dem Bund alle durch die entsprechende Aufgabenwahrnehmung veranlaßten Ausgaben, also auch die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen zuweisen225, diese Schadenslastenverteilung jedoch durch den Schadensersatzanspruch nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG korrigiert werden kann 226 . Voraussetzung für diese Konstruktion ist, daß man entgegen der Begründung der Troeger-Kommission 227 die Kosten von Fehlverwendungen nicht den Verwaltungsausgaben zurechnet - in diesem Fall müßten die Länder diese Kosten nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG ohnehin tragen 228, so daß für einen eigentlichen Schadensersatzanspruch kein Raum bliebe. c) Was sich die Entwurfsverfasser unter einem Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung vorstellten, wurde in § 2 Abs. 2 des Entwurfs umschrieben. In der Begründung heißt es dazu: „Bei den unter Ziffer 1 aufgeführten Pflichtverletzungen handelt es sich um Abweichungen von in irgendeiner Form vorgeschriebenem Verhalten. Hier ist die Nichtordnungsmäßigkeit der Verwaltung durch die Verletzung der »Vorschrift' eindeutig gegeben, vorausgesetzt allerdings, daß die jeweilige »Vorschrift' rechtsgültig ist. Eine abweichende, noch vertretbare Auslegung einer der aufgeführten Vorschriften oder Weisungen dürfte allerdings nicht als Verstoß anzusehen sein. [...] Eine abschließende kasuistische Aufzählung von Pflichtverletzungen ist wegen der Vielfalt der möglichen Spielformen ausgeschlossen. Mit der Ziffer 2 sollen deswegen alle diejenigen Fälle erfaßt werden, die von Ziffer 1 nicht oder nur unvollständig gedeckt werden. Wie die Sorgfaltspflicht konkret zu verstehen ist, hängt von der jeweiligen Aufgabenstellung und den Umständen ab. Als allgemeine Richtschnur kann angesehen werden, daß Nachteile für andere juristische Personen zu vermeiden und Möglichkeiten von Vorteilen wahrzunehmen sind. Unzweckmäßige und unwirtschaftliche Maßnahmen sind zu unterlassen. In diesem Sinne können

224

Entwurfsbegründung, S. 9. Mit Ausnahme der echten Verwaltungsausgaben für Personal- und Sachmittel: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG. 226 Siehe hierzu: 2. Kap. B VÏÏI (S. 114 ff.). 227 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a (S. 213 ff.). 228 Siehe hierzu näher: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). 225

220

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

auch fehlerhafte Weisungen eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung sein."229

d) Bedeutsam ist auch, daß die Entwurfsverfasser davon ausgingen, der Gesetzgebungsauftrag des Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG ermächtige zur Regelung der Haftung für Schadensfalle, in denen auf mindestens einer Seite nicht der Bund oder ein Land selbst, sondern eine bundes- oder landesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts beteiligt ist: „Die Vorschriften des Grundgesetzes, die die Aufgaben und Verwaltungszuständigkeiten und die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern regeln, schließen die auf Seiten des Bundes und der Länder bestehenden juristischen Personen ein. Da die Haftungsregelung in Art. 104a Abs. 5 GG ein Ausfluß aus dieser Regelung ist, kann sie nicht anders als diese beurteilt werden. Die dem Gesetz zugrundeliegende Auslegung des Art. 104a Abs. 5 GG wird durch eine weitere Überlegung bestätigt. Der Bundesgesetzgeber kann sowohl auf Bundesseite wie auch auf Länderseite selbständige juristische Personen mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben betrauen. Das geschieht auf der Grundlage des Art. 86 und 84 Abs. 1 und 85 Abs. 1 GG. Diesem System der Verwaltungszuständigkeiten nach dem Grundgesetz würde eine Auslegung nicht gerecht, die die Kompetenz zur Regelung der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung und daran anschließende Haftungsfragen auf einen engeren Bereich beschränken würde als die Regelungskompetenz für Verwaltungszuständigkeiten."230

Nicht geregelt werden sollte jedoch eine Haftung zwischen Bund und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder zwischen Ländern und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Dies sollte durch die Formulierung in § 1 „einerseits .... andererseits" verdeutlicht werden. Für eine weitergehende Regelung fehle es an einer Gesetzgebungskompetenz231. Nach Ansicht der Entwurfsverfasser war es aber möglich, eine unmittelbare „Durchgriffshaftung" zwischen den bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und den Ländern sowie zwischen den landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und dem Bund sowie zwischen den landes- und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu statuieren. Dies wurde knapp damit begründet, daß es wenig sachgerecht wäre, den Bund oder die Länder für Tätigkeitsbereiche haftbar zu machen, für die ihnen entscheidende Einflußmöglichkeiten fehlten, und sie dann auf Regreßansprüche an diejenige juristische Person des öffentlichen Rechts zu verweisen, in deren Verantwortungsbereich der Schaden aufgetreten sei232.

229 230 231 232

Entwurfsbegründung, Entwurfsbegründung, Entwurfsbegründung, Entwurfsbegründung,

S. 12 ff. S. 4 f. S. 8. S. 7.

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

221

e) Hinsichtlich des Haftungsumfangs sollte § 6 des Entwurfs vollständigen Schadensersatz in Geld gewähren: „Während im Zivilrecht der Schadensersatz durch Naturalrestitution im Vordergrund steht, ist nach § 6 Abs. 1 der Schaden in erster Linie in Geld zu ersetzen. Diese Regelung soll dem Umstand Rechnung tragen, daß die Mehrzahl der Haftungsfölle bei der Verwaltung von Haushaltsmitteln einer anderen juristischen Person entsteht. Die Naturalrestitution ist jedoch nicht ausgeschlossen. Sie soll aber nur zulässig sein, wenn sie ,unverzüglich', d. h. ohne schuldhaftes Zögern geleistet wird. Es soll verhindert werden, daß die geschädigte juristische Person unangemessen lange auf die Entscheidung warten muß, ob der Schaden in Geld oder durch Wiederherstellung des früheren Zustands ersetzt wird. Die geschädigte juristische Person hat keinen Anspruch auf die Naturalrestitution, vielmehr stehen beide Möglichkeiten dem Schuldner ggfs. zur Wahl." 233 Daß vollständiger Schadensersatz geschuldet wurde, war anscheinend für die Entwurfsverfasser so selbstverständlich, daß dies nicht extra begründet werden mußte. f) Hinsichtlich des Haftungsmaßstabs traten die Entwurfsverfasser für eine verschuldensunabhängige Haftung ein. Es müsse in grober Weise die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung verletzt worden sein. Schon § 5 Abs. 2 des Entwurfs machte deutlich, daß dies nicht immer schon dann angenommen werden sollte, wenn der fehlerhaft handelnde Amtswalter vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Würde man dies annehmen, wäre der Vorschrift des § 5 Abs. 2 nur im Falle des § 2 Abs. 3 Bedeutung zugekommen, wovon die Entwurfsverfasser ersichtlich nicht ausgingen. Dies macht auch die Entwurfsbegründung deutlich: „Der Anspruch ist also unabhängig vom Verschulden der Bediensteten der verwalteten juristischen Person. Die Loslösung des Schadensersatzanspruchs von subjektiven Voraussetzungen in der Person des jeweils mit der Verwaltungsaufgabe betrauten Bediensteten wurde u. a. wegen des Wortlautes des Art. 104a Abs. 5 GG vorgesehen. [...] Dem Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts untereinander bei der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben würde eine Regelung nicht gerecht, nach der jede Verletzung der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung einen Schadensersatzanspruch auslösen würde. Ein Bedürfnis für eine Schadensausgleichsverpflichtung zwischen Bund und Ländern kann billigerweise nur anerkannt werden, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt, die wegen ihrer Schwere über das hinausgeht, was im Rahmen eines normalen Fehlelrisikos, das jeder Verwaltungstätigkeit innewohnt, hingenommen werden kann. [...] Bei der Einschätzung der Schwere der Pflichtverletzung wird von den Anforderungen auszugehen sein, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten in den jeweiligen Verwaltungszweigen üblicherweise an die Verwaltung zu stellen sind. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß in der Verwaltung die verschiedenen Arten der Verwaltungsgeschäfte, die in den Verwaltungszweigen verschiedene Häufigkeit der 233

Entwurfsbegründung, S. 20.

222

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Verwaltungsfölle und der jeweils zu ihrer Erledigung zur Verfügung stehende Zeitraum sehr unterschiedliche Möglichkeiten exakter und fehlerfreier Ausführung mit sich bringen, die Fehleranfölligkeit also sehr ungleich ist." 234

Der Entwurf abstrahierte somit von dem Fehlverhalten des handelnden Amtswalters und begründete eher eine Haftung für Organisationsmängel. Dies entspräche in etwa dem, was das geltende Recht bezüglich der Haftung juristischer Personen für das Fehlverhalten ihrer Bediensteten im außervertraglichen Bereich in § 31 i. V. m. §§ 823 ff. und § 831 BGB anordnet, jedoch mit der weiteren, dem Zivilrecht unbekannten Beschränkung der Haftung auf grobe Organisationsmängel. g) Trotz dieses restriktiven Haftungsmaßstabs ist der Gesetzentwurf auf erheblichen Widerstand seitens der Länder gestoßen. Die Länder befürworteten die Begründung einer Verschuldenshaftung, wovon sie sich einen stärkeren Schutz ihrer Interessen versprachen 235. Dies ist kaum nachvollziehbar, da die Haftung nach dem Entwurf auf grobe Organisationsmängel beschränkt war. Weiterer Streitpunkt war, ob auch die bundes- oder landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts in die Haftung mit einbezogen werden sollten236. Die kommunalen Spitzenverbände sollen zudem darauf hingewiesen haben, daß durch ein Haftungsgesetz nicht die Einheit der Verwaltungsorganisation gefordert, sondern das Trennende und Gegensätzliche betont werde. Die Möglichkeit von Regreßansprüchen begünstige keinesfalls ein vertrauensvolles Miteinander der verschiedenen Verwaltungsträger, sondern würde die Gefahr des Mißtrauens und dadurch bedingte erhebliche Reibungsverluste im Verwaltungsablauf heraufbeschwören 237. Der Widerstand der Länder und Kommunen gegen den Entwurf läßt sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, daß ohne ein Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG eine Haftung unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht in Betracht kommt, was die Länder in den späteren Gerichtsverfahren auch immer wieder vertreten hatten, worauf noch zurückzukommen sein wird 238 . Wegen des Widerstandes der Länder wurden die Beratungen zum Verwaltungshaftungsgesetz seit 1973 nicht mehr fortge-

234

Entwurfsbegründung, S. 10 ff. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aus finanzverfassungsrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht (1982), S. 44. 236 Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, S. 45. 237 Eingabe der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände an den Bundesminister der Finanzen vom 4. Oktober 1973 (Az: 0/0108-11), zit. nach: Pappermann, DVB1 1975, S. 641. 3 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I V a (S. 226 f.). 235

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

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führt 239 und von der Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens wurde abgesehen. Dies fiel dem Bund um so leichter, als er die Auffassung vertrat, daß sich aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch ohne Ausführungsgesetz Haftungsansprüche ergeben könnten240. HL Die Vorbereitungen zur Staatshaftungsreform a) Anläßlich der Staatshaftungsreform stellte sich schon von Anfang an die Frage des Regresses für Haftpflichtschäden im allgemeinen und im BundLänder-Verhältnis im besonderen, da alle Reformvorschläge die Verschuldenshaftung des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG weitgehend durch eine reine Unrechtshaftung oder jedenfalls durch eine der reinen Unrechtshaftung angenäherte Haftung ersetzen wollten. Dementsprechend wurde vermehrt die Gefahr gesehen, daß ein Hoheitsträger im Außenverhältnis zum Bürger für eine Rechtsverletzung einstehen müsse, die ihm intern nicht zuzurechnen sei. § 10 und § 11 StHG enthielten daher Regelungen, die in diesen Fällen einen Regreß des in Anspruch genommenen Hoheitsträgers gegenüber dem eigentlich verantwortlichen Hoheitsträger regelten, also letztlich eine Lastenverteilung für Haftpflichtschäden anordneten: § 10 (1) Haben mehrere Träger die Pflichtverletzung zu verantworten, so ist jeder für den gesamten Schaden verantwortlich. Sie haften dem Geschädigten als Gesamtschuldner. (2) Ist neben dem Träger ein Dritter ersatzpflichtig, so wird Absatz 1 entsprechend angewandt. (3) Im Verhältnis der Ersatzpflichtigen zueinander richtet sich ihre Verpflichtung nach den Umständen, insbesondere nach der Schwere der jeweiligen Pflichtverstöße und dem Mäße der Verursachung des Schadens. § 11 Soweit die von einem Träger zu verantwortende Pflichtverletzung auf dem rechtswidrigen Verhalten eines anderen Trägers beruht, kann der in Anspruch genommene Träger gegen den anderen Rückgriff nehmen, wenn nicht gesetzlich etwas anderes geregelt ist; das gilt insbesondere für Maßnahmen der vollziehenden Gewalt, deren Rechtswidrigkeit ganz oder teilweise auf Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung sowie auf der Weisung oder auf der sonstigen notwendigen Mitwirkung einer anderen Behörde oder Stelle beruht. § 10 Abs. 3 wird entsprechend angewandt.

§ 10 Abs. 1 StHG sollte den Fall regeln, daß im Außenverhältnis zwei Hoheitsträger haften, während § 11 StHG nur den Fall erfassen sollte, daß im

239

Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, S. 44 Fußn. 1. 240 Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, S. 45.

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Außenverhältnis nur ein Hoheitsträger haftet 241 , obwohl dies aus dem Wortlaut der Vorschriften nicht deutlich hervorging. Entsprechende Regelungen hatten indes schon § 11 und § 12 des Kommissionsentwurfs zu einem Staatshaftungsgesetz von 1973 242 , § 11 und § 12 des gemeinsamen Referentenentwurfs des Bundesministers für Justiz und des Bundesministers des Innern von 1976 bezüglich eines Staatshaftungsgesetzes 243 und § 10 und § 11 des Regierungsentwurfs zu einem Staatshaftungsgesetz von 1978 244 enthalten. Die Bundesregierung begründete sie damit, daß es unbillig wäre, wenn der in Anspruch genommene Rechtsträger seine Haftung nicht auf den Hoheitsträger abwälzen könnte, bei dem Anlaß und Ursache des haftungsauslösenden pflichtwidrigen Verhaltens lägen 245 . Für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern erforderte dies aber nach Ansicht der Bundesregierung eine Änderung des Art. 104a GG. Nach Art. 1 Nr. 4 ihres Entwurfes zur Änderung des Grundgesetzes 246 sollte Art. 104a folgender Absatz 6 angefügt werden: Soweit die Länder Dritten für eine Pflichtverletzung nach Artikel 34 haften, die auf einem rechtswidrigen Verhalten des Bundes beruht, können sie gegen den Bund Rückgriff nehmen. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. b) Begründet wurde die angestrebte Einfügung des Abs. 6 mit Billigkeitserwägungen: „Führen die Länder durch ihre Behörden, die Gemeinden und andere kommunale Rechtsträger Bundesgesetze in Auftragsverwaltung durch und kommen sie dabei bindenden, aber rechtswidrigen allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder Weisungen des Bundes nach, wäre es unbillig, die Haftungslasten den landesrechtlichen Rechtsträgern aufzubürden, da die den Schaden verursachenden Stellen verpflichtet sind, die Weisungen des Bundes auszuführen. Der zweite bedeutsame Anwendungsbereich liegt beim Vollzug von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheiten durch die Länder einschließlich der Gemeinden und der Gemeindeverbände und der sonstigen landesrechtlichen Rechtsträger. Auch hier kann die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns auf rechtswidrigen allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder Weisungen des Bundes beruhen. Diese Pflichtigkeit gebietet es, die Schadenslasten auf den Bund als Veranlasser abzuwälzen. Entsprechend ist die Spannungslage zwischen Ländern und Gemeinden einerseits und dem Bund andererseits aufzulösen, wenn Pflichtverletzungen im Sinne des neuen Artikels 34 des Grundgesetzes auf

241

Bonk, in: A. Schäfer/Bonk, StHG, § 11 Rn. 9; Soergel-Glaser, § 11 StHG Rn. 1. Mit Begründung abgedruckt in: Bundesminister der Justiz/Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Reform des Staatshaftungsrechts - Kommissionsbericht (1973). 243 Mit Begründung abgedruckt in: Bundesminister der Justiz/Bundesministerium des Innern, Reform des Staatshaftungsrechts - Referentenentwürfe (1976). 244 BT-Drucks. 8/2079. 245 BT-Drucks. 8/2079, S. 51. 246 BT-Drucks. 8/2080. 242

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

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verfassungswidrige Bundesgesetze oder rechtswidrige Rechtsverordnungen des Bundes zurückzuführen sind." 247

Art. 104a Abs. 6 GG sollte demnach zunächst einen Regreß bei fehlerhafter Gesetzgebung des Bundes ermöglichen. Insofern bestanden keine Konkurrenzprobleme zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, der allenfalls eine Haftung für fehlerhafte Verwaltung hätte begründen können. Darüber hinaus sollte Art. 104a Abs. 6 GG aber auch bei fehlerhaften Weisungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes eingreifen. Der oben dargestellte Entwurf zu einem Verwaltungshaftungsgesetz von 1973 war indes davon ausgegangen, daß auch in diesen Fällen Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG einschlägig sei248. Die Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Art. 104a GG ging dagegen wohl davon aus, daß eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG hier überhaupt nicht möglich wäre: „ E i n e gerechte Lastenverteilung nach dem Verursacherprinzip ist ohne die Ergänzung des Artikels 104a Abs. 6 des Grundgesetzes nicht durchführbar, weil Absatz 5 dieser Verfassungsnorm vorschreibt, daß die Länder die bei ihren Verwaltungsbehörden entstehenden Verwaltungsausgaben selbst zu tragen haben. Verwaltungsausgaben sind auch die Aufwendungen für Geldersatz oder Folgenbeseitigung wegen pflichtwidrigen Verhaltens von Länderbehörden oder Stellen im Kommunalbereich, die auf einem rechtswidrigen Verhalten des Bundes beruhen. Die Finanzverfassungsregelung wird daher um eine Erstattungsnorm ergänzt, die das Rückgriffsrecht der landesrechtlichen Rechtsträger gegen den Bund für ihre Aufwendungen aus einer Inanspruchnahme aus der Haftung nach Art. 34 GG zuläßt."249

Die Bundesregierung war also der Ansicht, daß aufgrund des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG kein Ersatz von Verwaltungsausgaben verlangt werden könne. Dies würde bedeuten, daß das Verwaltungskostenerstattungsverbot des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG der Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorgeht und sich deshalb aus der Haftungsvorschrift ζ. B. keine Ansprüche der Länder auf Ersatz durch fehlerhafte Weisungen des Bundes entstehender Haftungsverpflichtungen und Prozeßkosten herleiten ließe. Diese Ansicht ist später auch in der Literatur vertreten worden 250; sie ist nur tragfahig, wenn man davon ausgeht, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ausschließlich in unechten Haftungsfällen als Schadenslastenverteilungsvorschrifit Anwendung findet 251.

247 248 249 250 251

BT-Drucks. 8/2080, S. 9. Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π c (S. 219). BT-Drucks. 8/2080, S. 9. Siehe hierzu: 5. Kap. Β I b (S. 271 ff.). Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a (S. 213 ff.) und Π b (S. 218 f.).

15 Stelkens

226

4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute IV· Die Rechtsprechung des BVerwG zu Art· 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG: Die „Kernbereichstheorie"

a) Das BVerwG hatte bisher nur Fälle zu entscheiden, in denen es um die Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei fehlerhafter Verwendung aufgabenbezogener Finanzzuweisungen ging. Das Urteil „BAfÖG" 2 5 2 vom 18. Mai 1994 betraf die Veruntreuung von Bundesmitteln durch eine Äre/sbedienstete beim Vollzug eines Geldleistungsgesetzes i. S. d. Art. 104a Abs. 3 GG. Das BVerwG hielt die Klage des Bundes gegen das Land aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für begründet. Es wendete sich mit ausführlicher Begründung gegen eine in der Literatur weit verbreitete Meinung, nach der die Haftungsregelung ohne ein entsprechendes Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nicht anwendbar 253 und wegen ihres sehr auslegungsbedürftigen Wortlauts ohne konkretisierendes Gesetz auch zu unbestimmt sei 254 . Das BVerwG hielt es aber andererseits auch für notwendig, die vom Verfassungsgeber ausdrücklich angestrebte Wahrung der Rechte der Bundesländer zu beachten. Dies verbiete es, „durch richterliche Interpretation ohne Mitwirkung der Länder bereits all das mit unmittelbarer Wirksamkeit zu versehen, was nach Abs. 5 Satz 2 nur als Näheres mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen könne. Die Materialien lassen nämlich erkennen, daß neben dem Interesse des Verfassungsgesetzgebers, den lang andauernden Rechtsstreit zwischen Bund und Ländern im Grundsatz ,ab sofort' zu lösen, auch der Wille bestand, in einem für einen föderalen Staat sensiblen Bereich der Finanzverfassung die Rechte der Länder zu schützen. Dem ist durch eine differenzierende Auslegung Rechnung zu tragen: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 enthält - ausgestattet mit gegenwärtiger Wirksamkeit - die Anordnung eines Haftungskernbereichs von Verfassungs wegen, darüber hinaus jedoch für einen denkbaren weiteren Haftungskreis eine Programmaussage für den Ausführungsgesetzgeber. Daraus folgt, daß die Vorschrift nur für solche Haftungsfälle eine taugliche Anspruchsgrundlage ergibt, die nach ihren Merkmalen einem Kernbereich von Haftung zuzuordnen sind, nicht jedoch für jene, für die dies nicht zutrifft, die vielmehr in einem weiter gezogenen Haftungskreis angesiedelt sind. Auch für den danach zentralen Begriff des Haftungskerns in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG sind die Konturen mit Hilfe der anerkannten Methoden der Verfassungsinterpretation bestimmbar. Sie umschreiben einen Haftungsbereich, der einerseits nicht so verengt sein darf, daß von Haftung im Grunde nicht mehr gesprochen werden kann,

252 BVerwGE 96, S. 45 ff. (Beispiel Nr. 12 - siehe S. 77) - siehe hierzu auch 4. Kap. C I e (S. 242). 253 Carl, NVwZ 1994, S. 949; Erichsen, Zur Haftung, S. 33, S. 58; Hirschherger, Organleihe, S. 205; Littwin, DVB1 1997, S. 156 f.; Saipa, DVB1 1974, S. 189 ff; Schulze, DÖV 1972, S. 414; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 300 f. 254 Erichsen, Zur Haftung, S. 10 ff., S. 58; F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 106 ff.

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

227

dessen Grenzen andererseits jedoch nicht so weit sind, daß einem Ausfuhrungsgesetz im wesentlichen nur noch die Bestimmung des Verfahrens obläge."255 Diese Ausführungen sind nur verständlich, wenn man unterstellt, daß ohne die Haftungsvorschrift der Bund die Kosten fehlerhafter Fremdmittelbewirtschaftung durch die Länder tragen muß - wovon letztlich auch das Urteil „Soforthilfe I I " 2 5 6 ausgegangen war und dem folgend auch die Literaturstimmen, die Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ohne ein Ausführungsgesetz keine unmittelbar anspruchsbegründende Wirkung zusprachen. Das BVerwG hielt somit einerseits den Bund grundsätzlich für verpflichtet, zumindest im Anwendungsbereich der Art. 104a Abs. 2 und 3 GG den Ländern als zu erstattende „Ausgaben" auch solche Ausgaben zu ersetzen, die durch Fehlverwendungen, auch durch Veruntreuungen entstanden sind, hielt es aber andererseits für möglich, diese Schadenslastenverteilung durch einen Anspruch nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu korrigieren. Dieselbe Konstruktion hatte schon dem Entwurf zu einem Verwaltungshaftungsgesetz zugrunde gelegen 257 . b) Die Haftung des Landes für das Fehlverhalten der Kreisbediensteten begründete das BVerwG wie folgt: „Die Leiterin des Amtes für Ausbildungsförderung beim Landratsamt war [...] Verwaltungsangestellte des Kreises und nahm bei ihrer Tätigkeit dem Landkreis zugewiesene Pflichtaufgaben nach Weisung wahr. Auch wenn dies bei einer rechtswidrigen Schädigung eines Dritten im Amtshaftungsprozeß die Haftung des Landkreises - nicht also des beklagten Landes - zur Folge gehabt hätte [...], so gehört in den Fällen der vorliegenden Art die Passivlegitimation des Landes doch zum Kernbereich des Art. 104a Abs. 5 GG. Dafür ist nicht entscheidend, daß das Grundgesetz nur Bundes- und Landesverwaltung kennt und die Zuständigkeiten der Gemeinden und Landkreise dem Verfassungsbereich der Länder zuordnet (BVerfGE 39, 96/109). Die Ausführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist nämlich und jedenfalls dies rechtfertigt die Einbeziehung in den unmittelbar wirkenden engeren Kreis der Haftung -[...] Gegenstand der Bundesauftragsverwaltung der Länder, die dabei den weitreichenden Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes nach Art. 85 Abs. 2 bis 4 GG unterworfen sind. Für die Haftung macht es dann keinen Unterschied, ob das Land [...] den ihm obliegenden Vollzug des Bundesausbildungsförderungsgesetzes durch ,eigene' Behörden oder - wie hier - als Pflichtaufgabe nach Weisung durch die Landkreise wahrnehmen läßt: Durch diese organisatorische Entscheidung kann es sich der Haftung nicht entziehen."258

255 256 257 258

15*

BVerwGE 96, S. 45 ff. BVerwGE 12, S. 253 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff.). Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 56).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Im Urteil „Zivilschutz" 259 vom 2. Februar 1995, in dem es um die Veruntreuung von Bundesmitteln durch einen Kommunalbediensteten bei der Durchführung von Katastrophenschutzaufgaben ging, erstreckte das BVerwG die Haftung der Länder gegenüber dem Bund für das Fehlverhalten von Kommunalbediensteten bei Bundesauftragsverwaltung auch auf den Fall, daß ihre Zuständigkeit durch Bundesgesetz begründet wird: „Auch wenn die rechtswidrige Schädigung eines Dritten im Amtshaftungsprozeß nur die Haftung der Stadt - nicht des bekl. Landes - begründen könnte, gehört die Passivlegitimation des Landes im Rahmen dieser Bundesauftragsverwaltung als besondere Form der Landesverwaltung zum Kernbereich des Art. 104a V GG [...]. Das gilt auch dann, wenn die Zuständigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände im Einklang mit der Verfassung - nicht auf Landesrecht, sondern auf Bundesrecht beruht. Wegen der besonders starken Berührung des Interessenbereichs der Länder hat Art. 87b Π 1 GG für Gesetze das Zustimmungserfordernis des Bundesrates vorgesehen. Art. 87b Π GG trägt damit dem Umstand Rechnung, daß der Gesetzesvollzug der Verwaltungsmaterie ganz oder doch zumindest teilweise - abweichend von der Regel des Art. 83 GG - einer Zuständigkeit zugeführt wird, die die Verwaltung der Länder weitgehenden Aufsichts- und Weisungsrechten [...], aber auch deren Verantwortlichkeit für die Gemeinden und Kreise unterwirft. [...] Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung Teil einer einheitlichen Verwaltungsorganisation [...]. Die Argumentation des Bekl., daß ihm aufgrund des Art. 28 Π GG Eingriffe in die Personal- und Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht möglich seien und er die Fehlerquelle nicht beherrschen könne, führt im Rahmen dieser Bundesauftragsverwaltung zu keinem anderen Ergebnis." 260

Beide Entscheidungen des BVerwG ließen somit offen, ob auch in Fällen, in denen keine Bundesauftragsangelegenheit vorliegt, eine Haftung des Landes für das Fehlverhalten von Kommunalbediensteten in Betracht kommt, da es ausdrücklich nicht als entscheidend ansah, daß das Grundgesetz die Verwaltungstätigkeit der Kommunen generell den Ländern zuordnet. Es ließ damit auch offen, ob bei Schädigungen des Bundes außerhalb der Bundesauftragsverwaltung eine „Durchgriffshaftung" unmittelbar auf die Gemeinden in Betracht käme oder ob u. U. auch gar nicht gehaftet würde; ebenfalls bleibt ungeklärt, ob sich bei der Schädigung einer Gemeinde durch den Bund diese unmittelbar selbst auf Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG berufen kann, das Land den Schaden der Gemeinde geltend machen kann oder der Bund überhaupt nicht haftet. c) Zum Haftungsmaßstab führte der 11. Senat des BVerwG im Urteil „BAföG" aus:

259

BVerwG NVwZ 1995, S. 991 ff. (Beispiel Nr. 13 - siehe S. 77) - siehe hierzu auch 4. Kap. C I e (S. 242). 260 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 992).

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

229

„Hinsichtlich der für ein Haftungssystem grundlegenden Frage, ob nur für ein Verschulden oder darüber hinaus verschuldensunabhängig gehaftet werden soll, spricht der Gesetzeswortlaut des Art. 104a Abs. 5 GG dafür, daß der Verfassungsgeber im Rahmen des Ausführungsgesetzes die Möglichkeit einer verschuldensunabhängigen Lösung der Haftungsproblematik eröffnen wollte. Ob dies auch auf die Festlegung der Konturen des Haftungskerns ausstrahlt, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls gehört ein Einstehenmüssen für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit - ohne die Einräumung einer Exkulpierungsmöglichkeit für den Verwaltungsträger - zu einem eng gezogenen Haftungskreis. Eine noch weitergehende Einschränkung des Kernbereichs im Hinblick auf Verschuldenserfordernisse würde den Art. 104a Abs. 5 GG als unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlage praktisch nahezu bedeutungslos machen und scheidet deshalb aus. Daß die unmittelbare Haftung zumindest für die gesteigerten Verschuldensgrade der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes gilt, steht auch in Einklang mit dem in der Begründung des Regierungsentwurfs [zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 2 6 1 ] angesprochenen Gesichtspunkt, daß der Verwaltungsträger - nach den auf der Grundlage von Art. 34 Satz 2 GG erlassenen Haftungsregeln für das öffentliche Dienst- und Arbeitsrecht (vgl. ζ. B. § 46 Abs. 1 BRRG, § 14 BAT) - insoweit seine »Bediensteten' zur Verantwortung ... ziehen und für Schäden haftbar ... machen kann [...]. Demgegenüber bedarf - weil hier strafrechtlich ein vorsätzliches Verhalten festgestellt und außer Streit ist - keiner Festlegung, ob die schon ohne Ausführungsgesetz bestehende Haftung auch solche schwerwiegenden Pflichtverletzungen umfaßt, die nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden sind." 262 Ähnlich verstand der 2. Senat des BVerwG den Haftungsmaßstab des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Urteil „Zivilschutz" 2 6 3 . Beide Urteile gehen wohl auch davon aus, daß selbst das Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG keinen weniger strengen Haftungsmaßstab anordnen darf. Gerade im Hinblick auf den vom Referentenentwurf vorgeschlagenen Haftungsmaßstab des groben Organisationsmangels 264 ist jedoch fragwürdig, wenn das BVerwG sagt, daß eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit aller Amtswalter das Mindestmaß dessen sein müsse, was Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG mit sofortiger Wirkung anzuordnen habe, solle die Vorschrift nicht praktisch bedeutungslos sein. Wohl deshalb ist dem auch der 4. Senat des BVerwG im Urteil „Hinterlegung" 2 6 5 vom 16. Januar 1997 nicht vollständig gefolgt. Das Urteil betraf die Haftung eines Landes für fehlerhafte Auszahlung einer Enteignungsentschädigung an einen Nichtberechtigten in Durchführung des Baus einer Bundesfernstraße. Der 4. Senat ging wie der 11. und 2. Senat davon aus, daß dem Gesetzgeber in Ausführung seines Gesetzgebungsauftrags nach Art. 104a Abs. 5 261 262 263 264 265

Siehe hierzu: 4. Kap. Β I b (S. 214). BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 57 f.). BVerwG NVwZ 1995, S. 991 f., S. 993. Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π f (S. 221 f.). BVerwGE 104, S. 29 ff (Beispiel Nr 11 - siehe S. 64).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Satz 2 GG verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden: Denkbar sei sowohl die Statuierung einer Verschuldenshaftung als die Anknüpfung an eine objektive Pflichtwidrigkeit oder auch die Begründung völlig neuer Haftungsformen, welche spezifisch auf das bundesstaatliche Verhältnis zugeschnitten seien. Zum unmittelbar anwendbaren „Haftungskern" des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gehöre jedoch eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit nicht: „Mit der Einbeziehung der groben Fahrlässigkeit in den ,Haftungskern ' des Art. 104a Abs. 5 GG würde der Weg zu einem auf dem Gedanken der Handlungshaftung beruhenden Haftungsmodell in zu weitgehender Weise beschritten. Damit würde die Rspr. gleichsam als ,Ersatzgesetzgeber' fungieren und die dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegende Aufgabe der näheren Ausgestaltung der Haftung übernehmen. Dies gilt bereits für die Frage, ob überhaupt fahrlässiges Verhalten in ein Haftungsmodell einbezogen werden soll oder ob nicht beispielsweise wie dies seinerzeit erörtert wurde - eine Anknüpfung an das Gebot der Bundestreue zu eigenständigen Haftungsregeln führen könnte (vgl. BT-Drucks. V 2861, S. 86 und die Gegenäußerung der BReg. ebenda S. 94). [...] Die Erstreckung des ,Haftungskerns ' des Art. 104a Abs. 5 GG auf die Fälle der groben Fahrlässigkeit ist auch im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit der von der Haftungsregelung betroffenen Interessen nicht erforderlich. Art. 104a Abs. 5 GG regelt die Haftung für ordnungsmäßige Verwaltung allein im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Schäden, die einem der staatlichen Hoheitsgewalt unterworfenen Bürger durch nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstehen, zugleich eine Verletzung von Rechtspositionen darstellen und deshalb das Bedürfnis nach einem weitergehenden Schutz auslösen, werden von der Vorschrift nicht erfaßt, sondern sind Gegenstand des Staatshaftungsrechts. Im föderalen Verhältnis zwischen Bund und Ländern obliegt es nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG dem einverständlichen Zusammenwirken der Beteiligten, detaillierte Regelungen zu treffen, ohne daß die besondere Schutzbedürftigkeit eines der beteiligten Verfassungssubjekte von vornherein dafür sprechen würde, über ein enges Verständnis der unmittelbar anwendbaren Haftungsnorm in Satz 1 der Vorschrift hinauszugehen."266 Damit löste der 4. Senat die Frage der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch von der Frage der Regreßmöglichkeit gegenüber dem für die Schädigung verantwortlichen Bediensteten. Dennoch muß auch nach Auffassung des 4. Senats nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für vorsätzliches Handeln aller Amtswalter gehaftet werden: „Vorsätzliches schädigendes Verhalten wird in aller Regel unabhängig davon, welches Haftungsmodell der Gesetzgeber in Ausführung des ihm obliegenden Gesetzgebungsauftrags wählen mag, im bundesstaatlichen Gefüge zu einem Ausgleich entstandener Schäden führen. Dies erfordert der Begriff der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung. Derartige Fälle sind nach allgemeiner Rechtsüberzeugung als haftungsbegründend anzuordnen. Sie erfüllen ohne weiteres sowohl den Tatbestand schuldhaften Handelns als auch einer groben objektiven Pflichtverletzung und wären gleichermaßen auch im Rahmen eines gesetzlich ausgestalteten Haftungs266

BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 34 f.).

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

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modells jenseits der traditionellen Handlungshaftung erheblich. Es gibt keinen Anhalt dafür, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber hiervon in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG abweichen wollte "* 6 7

Bei dieser Argumentation wird allerdings verkannt, daß eine Haftung für Vorsatz nur insoweit einer „allgemeinen Rechtsüberzeugung" entspricht, soweit es um die persönliche Haftung einer natürlichen Person für eigenes Verschulden geht. Hinsichtlich der Haftung für Fremdverschulden besteht ein solcher Grundsatz im geltenden Recht jedenfalls nicht durchgehend, was die Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsherrn nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zeigt und auch durch § 278 Satz 2 BGB verdeutlicht wird, der den vertraglichen Ausschluß der Haftung des Schuldners für seine Erfüllungsgehilfen auch dann zuläßt, wenn diese vorsätzlich handeln. d) Bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches der Haftungsvorschrift ging das BVerwG im Urteil „BAföG" zunächst davon aus, daß durch die gebotene Interpretation der Norm dahin, daß sie nur in einem Kernbereich eine unmittelbare Haftung begründe, nahe gelegt wird, „diese Haftung in Anlehnung an Art. 34 Satz 1 GG auf Pflichtverletzungen zu beschränken, die ein Verwaltungsbediensteter in ,Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes' begeht"2*8

Sieht man diesen Satz isoliert, könnte man daraus schließen, daß das BVerwG damit immer dann eine Haftung nach der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift ausschließen wollte, wenn der handelnde Amtswalter (nach außen) privatrechtlich gehandelt hat. Der Kontext, in dem sich diese Äußerung befindet, spricht aber gegen diese Überlegung: Das BVerwG prüft anschließend, ob die fehlerhaft handelnde Bedienstete in Ausübung ihres Amtes oder bei Gelegenheit der Amtsausübung den Schaden verursacht hatte. Es geht dem BVerwG also um diese Abgrenzungsfrage, nicht um die Unterscheidung zwischen zivil- und öffentlich-rechtlicher Handlungsform - hierzu gab der Sachverhalt auch keine Veranlassung. e) Schon im Urteil „Kraftfahrzeugbundesamt" 269 vom 27. März 1980 hatte das BVerwG indes bezüglich der Frage der Haftung der Länder bei fehlerhafter Durchführung von auf Grundlage des § 8 Abs. 7 FVG übernommenen Bauaufgaben des Bundes verneint. Der zu entscheidende Sachverhalt wurde seiner Ansicht nach gar nicht vom Regelungsbereich der Vorschrift umfaßt: „Art. 104a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG begründet für das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern nicht ganz allgemein eine ,Haftung' für ordnungsmäßi267

BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 33 f.). BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 56 f.). 269 BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (Beispiel Nr. 66 - siehe S. 116) - siehe hierzu bereits: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194). 268

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

ge Verwaltung. So etwas anzunehmen widerspräche der - untergeordneten - Stellung dieser Vorschrift im Abschnitt ,Das Finanzwesen' (Art. 104a ff. GG) und dem dort die ,Ausgabenverteilung' und »Finanzhilfen' behandelnden Art. 104a GG. Außerdem macht die Anknüpfung des zweiten Halbsatzes mit einem ,und' deutlich, daß es sich um nicht mehr als eine Ergänzung des vorangehenden ersten Halbsatzes handelt [...]. Diese Anknüpfung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG an die vorangehenden Absätze bedeutet, daß der Anwendungsbereich des fünften Absatzes nicht über den der vorangehenden Absätze hinausreicht. Deren Anwendungsbereich erschöpft sich jedoch (insoweit) in einer gleichsam kostenrechtlichen Ergänzung des grundgesetzlichen Systems der Länder- und der Bundesverwaltung (Art. 83 ff. GG). Für die Bestandteile dieses Systems - für die landeseigene Verwaltung, für die Landesverwaltung im Auftrag des Bundes und für die bundeseigene Verwaltung - ordnet Art. 104a GG die ,Ausgabenverteilung' an. Wird die Verwaltung (zulässigerweise) in einer davon abweichenden Art geführt, so greift die von Art. 104a GG vorgesehene ,Ausgabenverteilung' nicht ein. Das ist nur sinnvoll. Denn es fehlt an einem vernünftigen Grund, weshalb das Verfassungsrecht, wenn und soweit es schon eine Verwaltungsführung ,sui generis' erlaubt, durch zwingende Regelungen wie die des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 (,Kostenerstattungsverbot' [...]) verfassungsrechtlich zu einer Ausgabenverteilung zwingen sollte, die der besonderen Art der Verwaltungsführung nicht angepaßt ist und sich ihr auch nicht anpassen läßt. Daraus folgt, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG für die Haftung bei einer vertraglichen Übertragung von Bauaufgaben des Bundes auf Landesbehörden [...] nichts hergibt. Diese Übertragung ist eine zulässige, im Grundgesetz selbst jedoch nicht vorgesehene Modifikation der bundeseigenen Verwaltung. Für sie setzt der Art. 104a GG keine bestimmte ,Ausgabenverteilung' fest." 2 Dieser Ansatz hätte auch eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Fall des Urteils „Seehafen Emden" 2 7 1 ausgeschlossen, da hier vertraglich in Abweichung von den Art. 83 ff. GG die Wahrnehmung von Landesaufgaben auf eine Bundesbehörde übertragen worden war. Wie bereits erwähnt, hatte das BVerwG hier jedoch schon den zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift verneint. f) Zur Frage, in welcher Höhe Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG einen Ersatzanspruch gewährt, nahm das BVerwG im Urteil „BAföG" wie folgt Stellung: „Mit der Verwendung des Begriffs Haftung in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG hat der Grundgesetzgeber die Übernahme der Mehrkosten bezweckt, die dem Haftungsberechtigten durch die nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstehen. Das ergibt sich aus der Begründung zum Regierungsentwurf des Finanzreformgesetzes (BT-Drucks. V/2861 S. 52 Ziff. 303). Jedenfalls für den zuvor bestimmten ,engen' Haftungskernbereich, aus dem das Einstehenmüssen des Beklagten dem Grunde nach folgt, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die für eine Einschränkung des

270

BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff (S. 475). BVerwG, NJW 1976, S. 1468 ff. (Beispiel Nr. 53 - siehe S. 108) - siehe hierzu bereits: 4. Kap. Α Π 1 c(S. 194). 271

Β. Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach 1969

233

Haftungsumfangs vom vollen Ersatz der Mehrkosten auf einen wertmäßig darunterliegenden Ausgleich oder auf das im Regreßwege Erlangte angeführt werden könnten. Daß die veruntreuten Förderungsbeträge für die Klägerin wegen § 56 Abs. 1 BAföG zu 65 v. H. Mehrkosten an Zweckausgaben bedeuten, ist nicht zu bezweifeln und im übrigen außer Streit." 272 Nicht anders entschied das BVerwG im Urteil „Zivilschutz": „Der Anspruch der Kl. ist auch der Höhe nach in vollem Umfang begründet. Der Gesetzgeber bezweckt mit der Verwendung des Begriffs Haftung in Art. 104a V 1 Halbs. 2 GG die Übernahme der Mehrkosten, die dem Haftungsberechtigten durch die nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstehen. Es ist eindeutig, daß die veruntreuten Selbstbewirtschaftungsmittel für die Kl. gem. § 14 I KatSG zu Mehrausgaben führten. Jedenfalls für den bestimmten ,engen' Haftungsbereich, aus dem das Einstehenmüssen des Bekl. dem Grunde nach folgt, ist der Haftungsumfang nicht vom vollen Ersatz der Mehrkosten auf einen wertmäßig darunter liegenden Ausgleich oder auf das im Regreßwege Erlangte beschränkt. Ob und inwieweit im Rahmen eines künftigen Ausführungsgesetzes die Haftungsvoraussetzungen und der Haftungsumfang auch abweichend von den zum Kernbereich gehörenden Grundsätzen bestimmt werden können, bedarf hier [...] keiner Erörterung." 273 Das BVerwG gewährt also - wie es § 6 Abs. 1 des Referentenentwurfs getan hätte - dem Geschädigten vollständigen Schadensersatz, der in den zu entscheidenden Fällen nur in Geld geleistet werden konnte. Ob in geeigneten Fällen auch Naturalrestitution geschuldet wird, ist somit noch offen. Eine Pflicht zur Verzinsung der Geldschuld ab Entstehen des Schadens lehnte das BVerwG ab 2 7 4 . V. Das durch das Urteil „Zivilschutz" ausgelöste Bund-LänderStreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht a) Bisher ist das BVerwG seit dem Urteil „Soforthilfe I I " 2 7 5 davon ausgegangen, daß es sich bei Streitigkeiten über Schadensersatzansprüche im BundLänder-Verhältnis nicht um verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i. V. m. § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG, sondern um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 Abs. 1 VwGO handele, über die nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO das BVerwG erst- und letztinstanzlich zu entscheiden habe 276 . Für Schadensersatzansprüche 272

BVerwGE 96, S. 45 ff (S. 58 f.). BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 992 f.). 274 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 59). 275 BVerwGE 12, S. 253 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff). 276 Ebenso Birk, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare) - Band 2: Art. 38 - 146 (2. Aufl. 1989, zit. im folgenden: AK-GG2-Bearb.\ Art. 104a Rn. 32; Kölble, DÖV 1959, S. 813; Kummer, Die 273

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG wurde dies schon in den Urteilen „Seehafen Emden"277, „Kraftfahrzeugbundesamt" 278 und „Tilgungsraten" 279 angenommen, jedoch erstmalig im Urteil „BAföG" näher begründet280: Hiernach mache der Umstand, daß die Beklagte die von ihr behauptete Rechtsfolge aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG herleite, den Streit nicht zu einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit; das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien behalte seinen durch § 56 Abs. 1 BAföG geprägten ausbildungsförderungsrechtlichen Charakter. Mit ähnlicher Begründung bejahte das BVerwG den Verwaltungsrechtsweg auch im Urteil „Personalratsmitglied" 281, indem es auch hier maßgeblich auf die Prägung des Streites durch das Personalvertretungsrecht und sein Verhältnis zu § 14 Abs. 1 Satz 1 KatSG abstellte. Nicht anders entschied das BVerwG im Urteil „Hinterlegung" 282, wo es hervorhob, daß lediglich über die Berechtigung von Sekundäransprüchen zum Ausgleich auf der Ebene des einfachen Rechts gestritten werde, und der Bund mit seinem Schadensersatzbegehren gegenüber dem Land nicht als Verfassungsorgan auftrete, sondern als Beteiligter in einem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis. b) Demgegenüber gingen die Länder bisher in jedem der genannten Verfahren davon aus, daß das BVerfG nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i. V. m. § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG für Streitigkeiten aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zuständig sei283. Deshalb sieht sich das Land Nordrhein-Westfalen durch die Entscheidung des BVerwG im Urteil „Zivilschutz"284 und das hierauf begründete Zahlungsverlangen der Bundesregierung in seinen kompetenziellen Rechten i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG verletzt und hat deshalb gegen diese Maßnahmen durch Antrag vom 30. Juli 1995 einen Bund-Länder-Streit vor dem BVerfG angestrengt285 mit der Begründung, daß die Entscheidung, ob Haftung der Länder, S. 199 ff.; Rudisile, DÖV 1985, S. 910 Fußn. 4; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 69; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 178. 277 BVerwG, NJW 1976, S. 1468 - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 232). 278 BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (S. 474) - siehe hierzu: 4. Kap. A Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 231). 279 BVerwG, BayVBl 1987, S. 23 ff. (S. 24) - siehe hierzu: 4. Kap. A Π 1 c (S. 194). 280 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 48) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 281 BVerwG, RiA 1995, S. 240 ff. - siehe hierzu : 1. Kap. Α Π 1 d (S. 46 ff.). 282 BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 31) - siehe hierzu: 4. Kap. Β I V c (S. 229 ff.). 283 So auch G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 136 ff.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 108; Saipa, DVB1 1974, S. 190; L. Schmidt, DÖV 1959, S. 803. 284 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 285 Az. 2 BvG 2/95.

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsföllen

235

Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG überhaupt unmittelbar Anwendung finden könne, eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art sei, die nicht vom BVerwG als Vorfrage hätte mitentschieden werden dürfen. Der Antrag differenziert insoweit zwischen der (verfassungsrechtlichen) Streitigkeit über den Bestand, die Reichweite und Geltung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG und den (verwaltungsrechtlichen) Streitigkeiten über die Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Einzelfall. Durch die gleichwohl erfolgte Entscheidung des BVerwG im Urteil „Zivilschutz" auch über die Frage der unmittelbaren Geltung der Hafitungsvorschrift sieht sich das Land daher in seinem Recht aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG auf Entscheidung durch das BVerfG verletzt. Dieses Recht sieht es seinerseits als „Recht" i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG an. Da es Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht für unmittelbar anwendbar hält 286 , sieht es sich darüber hinaus auch in seinen Rechten aus der Finanzverfassung verletzt. Inwieweit der Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen Aussicht auf Erfolg hat, ist naturgemäß völlig offen. Mit einer Entscheidung des BVerfG, mit deren Vorbereitung erst im Juli 1997 begonnen wurde, wird jedenfalls nicht vor 1998 zu rechnen sein. Jedoch macht die Anhängigkeit dieses Bund-Länder-Streitverfahrens deutlich, daß mit der „Kernbereichstheorie" des BVerwG noch nicht das letzte Wort zur Frage der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis gesprochen sein muß.

C. Ermittlung des besonderen Haftungsregimes in unechten Haftungsfällen Seit den 60er Jahren gibt es vereinzelt Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, welche die Besonderheiten unechter Haftungsfälle erkannt hatten und diese Fälle eher als Problem der Auslegung der einschlägigen Lastenverteilungsvorschriften und ihrer Umsetzung durch Aufwendungsersatzansprüche der mittelbewirtschaftenden Stelle bzw. von Rückforderungsansprüchen des Ausgabenträgers aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ansahen, wobei insoweit nach 1969 auch die Frage des Verhältnisses dieses Ansatzes zu der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu klären war. Auch hier unterscheidet sich zudem die Rechtsentwicklung im allgemeinen Verwaltungsrecht (I) maßgeblich von der Rechtsentwicklung im Sozialrecht (II).

286

Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π g (S. 222).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

I. Rechtsprechung zum allgemeinen Verwaltungsrecht a) Soweit ersichtlich, sah zum ersten Mal das OVG Münster im Urteil „Wohnungsbauförderung" 287 vom 31. August 1960 die Frage der Haftung für fehlerhafte Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen hauptsächlich als Problem der Auslegung der einschlägigen Lastenverteilungsvorschriften. Es ging um eine von einem Kreis im übertragenen Wirkungskreis vorgenommene, nicht den Landesrichtlinien entsprechende Bewilligung von Fördermitteln, die ohne gesetzliche Grundlage allein aufgrund ihrer Bereitstellung im Landeshaushaltsplan vergeben wurden. Das OVG Münster hielt hier eine Rückforderung fehlerhaft verwendeter Landesmittel aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs grundsätzlich für möglich, ging jedoch davon aus, daß im zu entscheidenden Fall die Leistung nicht rechtsgrundlos gewesen sei: „Nach diesen Grundsätzen [des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs] müßte allerdings der Kläger [der Kreis] den Betrag von 17 160,- DM erstatten, wenn er ihn nicht zur Förderung des Wohnungsbaus G. verwandt hätte. Denn nach den vom Wiederaufbauminister erlassenen Bestimmungen wurden die Mittel für die Förderung des Wohnungsbaus den Stadt- und Landkreisen nicht pauschal zugewiesen, sondern das Land bewilligte für jedes einzelne Bauvorhaben die erforderlichen Beträge. Der Kreis könnte also noch nicht einmal einwenden, er habe die überwiesenen Mittel für andere Bauvorhaben verwendet, und er wäre erst recht zur Erstattung des Betrages verpflichtet, wenn er den Betrag von 17 160,- DM überhaupt nicht für die Wohnungsbauförderung verwendet hätte. Aber das beklagte Land hat nicht die Behauptung aufgestellt, die hier in Streit befangenen Gelder seien anders als zur Förderung des Wohnungsbaues G. verwendet worden. Es bemängelt nur, daß diese Gelder nicht hätten bewilligt werden dürfen, weil G. persönlich nicht die Voraussetzungen für die Bauförderung erfülle [...]. Auch wenn man dem Land darin zustimmen wollte, daß der Wohnungsbau G. bestimmungswidrig gefördert worden sei, so kann doch nicht gesagt werden, daß der Kreis die Mittel ohne Rechtsgrund erhalten habe oder daß dieser Rechtsgrund nach Erhalt der Mittel weggefallen sei; denn sie sind für das vom Lande bezeichnete Bauvorhaben verwendet worden." 288

Bedeutsam ist hier auch, daß das OVG Münster gar nicht erwog, dem Land unmittelbare Rückerstattungsansprüche gegenüber dem Empfänger der Wohnungsbauförderung zuzusprechen: Es ging als selbstverständlich davon aus, daß Rückerstattungen nur innerhalb der jeweiligen Kausalbeziehungen möglich seien.

287 OVG Münster, OVGE 16, S. 60 ff. (Beispiel Nr 8 - siehe S. 49) - siehe hierzu bereits: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 194). 288 OVG Münster, OVGE 16, S. 60 ff. (S. 67).

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsföllen

237

b) Sturm 289 vertrat 1966 eine ähnliche Ansicht in bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis vor der Finanzreform: Nach den damals geltenden Lastenverteilungsregeln sei allein den Ländern das Verwaltungsrisiko fehlerhafter Mittelverwendungen zugewiesen. Der Bund sei aufgrund seiner aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten gegenüber den Ländern verpflichtet, solche Kosten zu tragen, die durch zweckentsprechenden Mitteleinsatz entstünden. Damit sah Sturm das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ähnlich streng wie Strickrodt 1935 das Verhältnis zwischen Staat und Gemeinde gesehen hatte290. Anders als Strickrodt, der noch unmittelbar aus dem Auftragsverhältnis einen Rückforderungsanspruch des Ausgabenträgers hergeleitet hatte291, zog Sturm jedoch wie das OVG Münster als Grundlage für einen Rückforderungsanspruch des Bundes den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch heran. Er unterschied hierbei nicht zwischen den Fällen, in denen die Länder unmittelbar den Bundeshaushalt bewirtschafteten, und den Fällen, in denen zwischen Bund und Ländern das Erstattungsverfahren angewendet wurde, ging allerdings auch nicht auf die genaue Konstruktion der Erstattungsbeziehungen ein. Von der Literatur wurde der Ansatz Sturms nicht übernommen, was vordergründig durchgehend mit der „fehlenden Bereicherung" der Länder bei fehlerhafter Mittelverwendung begründet wurde 292. Es steht jedoch zu vermuten, daß für die Ablehnung dieses Ansatzes entscheidend war, daß Sturm ausschließlich den Ländern das Verwaltungsrisiko fiir fehlerhafte Mittelverwendungen zuwies. Dies wurde weitgehend für unerträglich gehalten, da dies letztlich zu einer „prämienfreien Schadensversicherung"293 zugunsten des Bundes fuhren würde und der Bund hiernach besser stände, als wenn er die Mittel durch eigene Behörden verwalten würde 294, zumal dann, wenn er die zweckverfehlende Mittelverwendung durch eigene Weisungen und Verwaltungsvorschriften veranlaßt habe295. Insofern hätte es aber eher nahegelegen, die von Sturm ermittelte Schadenslastenverteilung direkt anzugreifen als die Haftungskonstruktion als solche. Diese Bedenken waren darüber hinaus schon damals weniger zwingend, als es auf den ersten Blick den Anschein hat 296 : Zunächst setzt der Vergleich der Verwaltung von Bundesmitteln durch Landesbehörden mit der Verwaltung von Bundesmitteln durch Bundesbehör289

Sturm, DÖV 1966, S. 260 ff. Siehe hierzu: 3. Kap. D I e (S. 163 f.). 291 So auch Griffel, DöH 1957, S. 244. 292 Siehe hierzu: 1. Kap. Β Π a (S. 64 ff.). 293 So Kandel, Die Selbstverwaltung 1951, S. 298. 294 Dies war die wohl entscheidende Überlegung bei BVerwGE 12, S. 253 ff. (S. 255 f.) - „Soforthilfe Π", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff.). Ähnlich auch: Godschalk, RiA 1959, S. 233; L. Schmidt, DÖV 1959, S. 807. 295 R. Groß, Zur Auslegung des Art. 106 Abs. 4 Nr. 1 GG, DÖV 1967, S. 163. 296 Siehe hierzu auch Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 286. 290

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

den voraus, daß dem Bund überhaupt ein Wahlrecht zwischen beiden Verwaltungsformen zukommt. Ein solches Wahlrecht besteht aber nur im Fall der Art. 87b Abs. 2, Art. 87d Abs. 2, Art. 87e Abs. 1 Satz 2, Art. 89 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie des Art. 120a Abs. 1 GG - sonst ist eine Verfassungsänderung notwendig. In beiden Fällen ist die Wahrung der Länderinteressen jedoch durch die Beteiligung des Bundesrates gesichert. Darüber hinaus muß es nicht unbedingt „ungerecht" sein, wenn die Länder die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen in diesem Bereich tragen müssen: Die Zuweisung bestimmter Ausgabenlasten ist für sich gesehen noch nicht unbedingt nachteilig, sofern sie bei der Verteilung der Einnahmen zwischen Bund und Ländern berücksichtigt wird (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 GG) 297 . c) Trotz der nahezu einhelligen Ablehnung des Ansatzes von Sturm in der Literatur wendeten jedoch in der Folgezeit einige Urteile die ihm zugrunde liegende Haftungskonstruktion in unechten Haftungsfällen an - so das BVerwG im Urteil „G 131" 298 vom 17. September 1970, das sich auf einen Sachverhalt bezog, auf den noch das alte Finanzverfassungsrecht anzuwenden war: Hier waren einer Gemeinde vom Land auf Rechnung des Bundes Versorgungsleistungen erstattet worden, deren Kosten die Gemeinde an sich hätte allein tragen müssen. Der Bund hatte seine aus diesem Sachverhalt erwachsenden Ansprüche an das Land abgetreten. Das BVerwG hielt die auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gestützte Klage des Landes zumindest aus abgetretenem Recht für begründet: „ p i e Geltung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im Verhältnis zwischen Bund und Gemeinde] ergibt sich nicht nur aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, sondern insonderheit auch aus dem Grundsatz des § 36 der Reichshaushaltsordnung - RHO - , daß Besoldungen und andere Dienstbezüge nur nach Maßgabe der darüber bestimmenden Gesetze und nur, wenn der Haushaltsplan die Mittel zur Verfügung stellt, bewilligt werden dürfen. Dieser Grundsatz ist durch die Vorschrift des § 51 [BHO] übernommen worden, die bestimmt, daß Personalausgaben, die nicht auf Gesetz oder Tarifvertrag beruhen, nur geleistet werden dürfen, wenn dafür Ausgabemittel besonders zur Verfügung gestellt werden. Die Verteilung der Zahlungspflichten unter die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Geltungsbereich des Gesetzes zu Art. 131 GG zur Versorgung der von diesem Gesetz erfaßten Personen ist im Gesetz abschließend geregelt, so daß Zahlungen, die entgegen dieser Regelung erfolgen, gegen den [...] Grundsatz [des § 51 BHO] verstoßen. Dies hat zur Folge, daß die Ordnung der Haushalte durch Rückgängigmachung der unzulässigen Zahlung wieder herzustellen ist. Die Ausgleichszahlungen nach § 42 Abs. 1 Satz 1 G 131 sind nur zu leisten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Dem Bund ist es haushaltsrechtlich verboten, oline Vorliegen der gesetzlichen

297

Vgl. von Arnim, in: Isensee/ Ρ. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 8 ff.; F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 13; Luther, Die Lasten Verteilung, S. 14 ff. 298 BVerwGE 36, S. 108 ff. (Beispiel Nr. 16- siehe S. 80).

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsen

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Voraussetzungen Ausgleichszahlungen nach § 42 Abs. 1 G 131 zu leisten. Deshalb hat jedenfalls hier der Kläger gegen die Beklagte den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der gesetzwidrig geleisteten Zahlungen. Angesichts der dargelegten Erwägungen ist es ohne Bedeutung, daß das Gesetz zu Art. 131 GG keine ausdrückliche Erstattungsregelung für solche rechtsgrundlosen Leistungen enthält."299

Dieses Urteil ist in zweierlei Hinsicht nicht unbedenklich. Ungeklärt blieb zunächst, in welchem Verhältnis es zu dem Urteil „Soforthilfe II" 3 0 0 stand. Entscheidender Unterschied war wohl nach Ansicht des BVerwG, daß die Kommune hier aufgrund der Fehlleistung des Bundes eigene Aufwendungen erspart hatte. Wegen dieser „abwälzungsähnlichen" Situation bestehen hier tatsächlich auch Besonderheiten. Diese wirken sich jedoch nicht auf die Frage aus, inwieweit dem Bund ein Rückforderungsanspruch aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs wegen zweckverfehlender Mittelverwendung zusteht301. Besonders bedenklich an dieser Entscheidung war jedoch, daß das BVerwG von der Zulässigkeit eines Durchgriffs des Bundes auf die Kommune ausging, indem es der Klage des Landes aus abgetretenem Recht stattgab. Dies wurde nicht weiter begründet. Damit Schloß das BVerwG von vornherein die Möglichkeit aus, daß im Verhältnis zwischen Land und Kommune u. U. das Land verpflichtet war, die Versorgungslasten des betreffenden Beamten zu tragen. Diese Möglichkeit mochte zugegebenermaßen fern liegen, dennoch hätte sich das BVerwG hierüber nicht hinwegsetzen dürfen: Es handelte sich um eine Frage des Landesrechts, über die das BVerwG nicht zu entscheiden hat - es ist jedenfalls keine bundesrechtliche Bestimmung erkennbar, welche die Versorgungslasten der Beamten zwingend ihrem jeweiligen Dienstherrn zuweist und damit etwaige Finanzierungszuständigkeiten anderer Hoheitsträger ausschließt. Auch wenn das BVerwG daher der Ansicht war, daß der Bund die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen nach dem G 131 nicht tragen mußte, hätte es die Revision als unbegründet zurückweisen müssen: Hinsichtlich der Klage des Landes aus abgetretenem Recht war die Revision unbegründet, da sich ein Rückforderungsanspruch des Bundes allein gegen das Land selbst hätte richten können, hinsichtlich der Klage des Landes aus eigenem Recht war sie unbegründet, da sich die Frage der Schadenslastenverteilung zwischen Land und Kommune allein nach dem insoweit nicht revisiblen Landesrecht richtet302.

299

BVerwGE 36, S. 108 ff. (S. 110 f.). BVerwGE 12, S. 253 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 if.). 301 Siehe hierzu: 1. Kap. Β ΠΙ d und e (S. 80 ff.). 302 Vgl. BVerwG, NVwZ 1991, S. 574 ff. (S. 575); BVerwGE 55, S. 337 ff. (S. 340 f.). 300

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

d) Nach der Finanzreform stellte sich die Frage, ob bei fehlerhafter Verwendung von Bundesmitteln durch die Länder der Bund neben einem Anspruch aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch einen Rückforderungsanspruch aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs geltend machen könne. Soweit ersichtlich, war es zuerst der VGH München, der sich mit dem Verhältnis beider Regelungen zueinander im Urteil „Anstaltspflege" 303 vom 26. Januar 1993 auseinandersetzen mußte. Es ging um die Erstattung vermeintlicher Kosten der Kriegsopferversorgung, die einem höheren Gemeindeverband (bayerischer Bezirk) vom Land auf Rechnung des Bundes erstattet worden waren, obwohl es sich materiell um (vom Gemeindeverband zu zahlende) Sozialhilfe handelte. Es ging also letztlich um die Fallkonstellation, die schon dem Urteil „G 131" zugrunde gelegen hatte. Der VGH München hielt hier den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch neben dem Haftungsanspruch aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für anwendbar: „Es geht hier nicht darum, daß durch fehlerhafte Verwaltungstätigkeit irreversibel Aufwendungen im Rahmen der Kriegsopferversorgung verursacht wurden, die nunmehr vom Bund zu tragen wären. Der Streit ergibt sich vielmehr daraus, daß der Bekl. [der Bezirk] die Kl. [den Bund] mit Erstattungsforderungen belastet hat, obgleich eine Erstattungspflicht von vornherein nicht bestand, weil materiell nicht Leistungen der Kriegsopferfürsorge, sondern solche der Sozialhilfe erbracht worden waren. Damit geht es aber nicht, wie bei Art. 104a V 1 GG, um die Verantwortung des Bekl. für die ordnungsmäßige Erfüllung ihm zugewiesener Verwaltungsaufgaben, sondern um die hiervon wesentlich verschiedene Abwicklung des Erstattungsverfahrens zwischen dem Bekl. und der Kl. In dieser Abwicklung des Erstattungsverfahrens liegt der eigentliche sachliche Kern des Rechtsstreits. Die hierin liegenden Risiken, insbesondere die hier einschlägige Anmeldung einer nicht erstattungspflichtigen Zweckausgabe, sind aber im Gegensatz zu den Fällen der Haftung nach Art. 104a V 1 GG von vornherein durch die Kl. beherrschbar: Es ist eine Frage der Verwaltungsökonomie der Kl., ob Erstattungsleistungen zunächst ohne Klärung der sachlichen Berechtigung auf bloße Anmeldung hin erbracht werden und die sachliche Berechtigung einer späteren (Rechnungs-)prüfung vorbehalten bleibt, oder ob diese sachliche Klärung schon vor der Erstattungsleistung erfolgt. Beim [...] Erstattungsverfahren fallen also im übertragenen Sinne Finanzierungs- und Verwaltungskompetenz gerade nicht auseinander. [...] Für eine , Sperrwirkung ' des Art. 104a V 1 Halbs. 2 GG ist daher kein Raum."304

Diese Ansicht ist letztlich nur unter der Prämisse stichhaltig, daß der Bund die Erstattung von Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen verweigern kann, er also nicht verpflichtet ist, den Ländern zweckverfehlende Ausgaben zu erstatten. Anders als das BVerwG im Urteil „G 131" stellte der VGH München auch nicht entscheidend darauf ab, daß die Kommune eigene Aufwendungen

303 304

VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff. (Beispiel Nr. 17- siehe S. 81 ). VGH München, NVwZ 1993, S. 794 ff. (S. 795 f.).

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsföllen

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erspart, sondern darauf, daß der Bund rechtsgrundlos geleistet hatte. Damit wies der VGH München die Schadenslast zweckverfehlender Mittelverwendungen ausschließlich den Ländern zu - während das BVerwG in seinem Urteil „BAföG" 3 0 5 später von dem entgegengesetzten Standpunkt ausging. Beide Ansätze sind aber miteinander unvereinbar: Würde man in jedem Fall zweckwidriger Verwendung von Bundesmitteln durch die Länder auch den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zulassen, wäre eine Begrenzung der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auf einen Kernbereich, wie sie das BVerwG für notwendig hält, nicht möglich, sondern könnte mit Hilfe des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs unterlaufen werden 306 . Unabhängig davon wirft das Urteil „Anstaltspflege" aber noch weitere Bedenken auf. Der VGH München hielt wie das BVerwG im Urteil „ G 131" 3 0 7 einen unmittelbaren Durchgriff des Bundes auf die Kommune für möglich. Während das BVerwG die Zulässigkeit eines unmittelbaren Durchgrififs auf die Gemeinde nicht weiter begründet hatte, hat der VGH München dieses Problem durchaus gesehen, versuchte jedoch einen Durchgriff auf die Kommune unter Berufung auf die Selbstverwaltungsgarantie zu rechtfertigen: „Der Bekl. ist für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch passivlegitimiert. Zweifel daran [...] ergeben sich - obwohl der Bekl. rein tatsächlich Empfänger der fraglichen Erstattungsleistungen war - aus dem System des Art. 104a GG. Danach ist die verfassungsrechtlich vorgesehene Ausgabenkompetenz des Bundes etwa im Fall der Kriegsopferfürsorge [...] eine Frage des Bund-Länder-Verhältnisses. In der staatsrechtlichen Kommentarliteratur ist daraus für die Fälle der Haftung nach Art. 104a V 1 GG zum Teil geschlossen worden, daß bei (pflichtwidrigem) Handeln einer kommunalen Körperschaft das Land für diese hafte [...]. Es kann an dieser Stelle offenbleiben, ob diese Auffassung auch im Falle eines öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs zum Tragen kommt [...]. Der Bekl. ist jedenfalls deshalb passivlegitimiert, weil eine etwaige Passivlegitimation des Landes der verfassungsrechtlichen Lage nicht gerecht würde. Der Bekl. führt die Aufgaben der Kriegsopferfürsorge und der Sozialhilfe im eigenen Wirkungskreis durch [...]. Er hat damit nach Art. 28 Π 2 GG das Recht der Selbstverwaltung [...] auch in der bundesstaatlichen Ordnung. Seine Verwaltungstätigkeit ist zwar unter dem Blickwinkel des Bund-Länder-Verhältnisses materiell Länderverwaltung, jedoch kraft Entscheidung des Landesgesetzgebers nicht in der Form unmittelbarer Staatsverwaltung, sondern in der Form kommunaler Selbstverwaltung. Eine angenommene Passivlegitimation des Landes würde damit weder die [...] Verwaltungsorganisationskompetenz der Länder noch die - daraus abgeleitete - Selbstverwaltungshoheit des Bekl. [...] hinreichend beachten."308

305 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 50) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV a (S. 226 f.) und C I e (S. 242). 306 Vgl. BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 94. 307 BVerwGE 36, S. 108 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. C I c (S. 238 ff.). 308 VGH München, NVwZ 1993, S. 794 f.

16 Stelkens

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Diese Begründung der Gebotenheit eines „Durchgriffs" vermag indes nicht zu überzeugen: Die Selbstverwaltungsgarantie erfordert nicht, daß die Gemeinde bei zweckverfehlender Verwendung von Bundesmitteln ausnahmsweise in unmittelbare finanzrechtliche Beziehungen zum Bund tritt, was sonst nur im Fall des Art. 106 Abs. 8 GG möglich ist 309 . Hierfür ist kein Grund ersichtlich, zumal generell die Konzeption der Zweistufigkeit des Staatsaufbaus mit der Folge, daß den Ländern hinsichtlich der angemessenen Finanzausstattung ihrer Kommunen letztlich eine Garantenstellung zuwächst310, nicht gegen die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG verstößt. Art. 28 Abs. 2 GG nimmt zudem in der Normenhierarchie keinen höheren Rang ein als die Vorschriften der Finanzverfassung 311. Auch die Verwaltungsorganisationskompetenz der Länder wird bei einer Rückforderung „über das Dreieck" nicht mißachtet. Das Gegenteil ist der Fall: Nur so können die speziellen Regelungen der landesrechtlichen Lastenverteilungsvorschriften Berücksichtigung finden. Dies hätte sich deutlich gezeigt, wenn im Land-Gemeinde-Verhältnis dem Land die Lasten der Sozialhilfe zugewiesen gewesen wären. e) Das BVerwG hatte die Anwendbarkeit des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in unechten Haftungsfällen erst wieder in den Urteilen „BAföG" 312 und „Zivilschutz"313 zu untersuchen. Es lehnte dies mit dem bekannten Argument ab, daß einer Entreicherung des Bundes keine Bereicherung des Landes gegenüberstehe. Daß dies nicht zutrifft, ist bereits eingehend dargelegt worden 314. Im Ergebnis war die Ablehnung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs durch das BVerwG jedoch konsequent: Da es davon ausging, daß der Bund den Ländern aufgrund der Art. 104a Abs. 2 und 3 GG grundsätzlich auch fehlerhafte Mittelverwendungen erstatten müsse315, kam eine Rückforderung aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs schon deshalb nicht in Betracht, weil der Bund an die Länder eben nicht rechtsgrundlos geleistet hatte. Der Erstattungsanspruch war also nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Länder

309

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 d (S. 56 f.). So Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung, S. 87. 311 Indem der VGH München entscheidend auf die Selbst Verwaltungsgarantie abstellt, behandelt er zudem die Länder gegenüber dem Bund schlechter, die - insofern bundesfreundlicher - die Kriegsopferfürsorge als kommunale Auftragsangelegenheit oder gar in Eigenverwaltung durchführen lassen. Für eine solche Ungleichbehandlung zwischen den Ländern besteht aber im Bund-Länder-Verhältnis kein Grund. 312 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 50) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.). 313 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 992) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 242 ff.). 314 Siehe hierzu: 1. Kap. Β Π (S. 64 ff.). 315 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I V a (S. 226 f.). 310

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsfällen

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nicht bereichert gewesen wären, sondern weil die Länder mit Rechtsgrund bereichert waren. f) I m Urteil „Kindergeld" 3 1 6 vom 30. November 1995 ging das BVerwG darüber hinaus jedoch von einer vollständigen Verdrängung des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Bund-Länder-Verhältnis aus und erstreckte dies zudem auch auf das Land-Gemeinde-Verhältnis. Es ging um die Frage, inwieweit bei Bundesauftragsverwaltung (nach § 45 BKGG a. F. i. V. m. Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG) die Gemeinde gegenüber dem Land bei fehlerhafter Mittelverwendung haftet. Das OVG Lüneburg hatte in diesem Fall den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Verhältnis zwischen Land und Gemeinde herangezogen und hiernach die Gemeinde für verpflichtet gehalten, Fehlausgaben zu erstatten 317 . Auf Revision der Gemeinde hob das BVerwG dieses Urteil auf. Es bestätigte zunächst seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG jedenfalls in einem Haftungskernbereich und Schloß auch nicht aus, daß im Verhältnis zwischen Bund und Land i m vorliegenden Fall ein solcher Haftungsanspruch in Betracht käme. Jedoch hielt es einen Rückgriff des Landes auf die Gemeinde nicht für möglich - auch nicht auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs: „Für den hier der Sache nach geltend gemachten Rückgriff eines gegenüber dem Bund nach Art. 104a Abs. 5 GG haftenden Landes gegen eine Gemeinde bietet der auf andere Fallkonstellationen zugeschnittene öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch keine taugliche Grundlage. Seine Anwendimg würde sich zudem als Systemwechsel innerhalb eines Haftungskomplexes darstellen und insbesondere Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Maß des Verschuldens der Bediensteten der Klägerin [der Gemeinde] führen, weil der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch - entsprechend seiner Anlehnung an das zivilrechtliche Bereicherungsrecht - verschuldensunabhängig ist. Im Prinzip nicht anders als der zivilrechtliche Bereicherungsanspruch, der insbesondere der Rückabwicklung vertragsloser Leistungsbeziehungen dienen soll, hängt das Vorliegen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs vor allem davon ab, ob und inwieweit für die zugeflossene Vermögenswerte Leistung ein Rechtsgrund vorhanden ist. Bei auf gesetzlicher Grundlage beruhenden pauschalen Mittelbereitstellungen, die, wie dies hier der Fall ist, zum Zeitpunkt ihrer Bereitstellung noch nicht konkret einem Letztberechtigten zuzuordnen sind, ist eine sachgerechte Beurteilung des Rechtsgrunds (hier: des ,Benötigtwerdens' i. S. d. § 45 BKGG) jedenfalls daim unmöglich oder zumindest von Zufälligkeiten beherrscht, wenn - abgesehen von dem Umfang der geschuldeten Gesamtleistung - über die Rechtmäßigkeit der Mittelbereitstellung als solcher kein Zweifel herrschen kann. Dem entspricht es, daß das Bundesverwaltungsgericht in seinem vorgenannten Urteil vom 18. Mai 1994 eine Bereicherung des Landes und damit einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des Bundes ohne weitere 316 317

16*

BVerwGE 100, S. 56 ff. (Beispiel Nr. 14 - siehe S. 77). OVG Lüneburg, Urteil vom 22. September 1993 - 4 L 3929/92 - .

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

Begründung verneint hat (BVerwGE 96, S. 45 ff. [S. 50]). [...] im Ergebnis darf es keinen Unterschied machen, ob vom Bund bereitgestellte Zweckmittel - wie in dem damals entschiedenen Fall - auf der Ebene des Verwaltungsträgers veruntreut oder unter Verstoß gegen einzelne Leistungsvoraussetzungen zu Unrecht an vermeintlich Berechtigte ausgezahlt werden. Eine Regelung von Regreßansprüchen zwischen den dem Bund verpflichtenden Ländern und Gemeinden wegen Fehlverhaltens in Auftragsangelegenheiten muß mithin auf spezialgesetzlicher Grundlage erfolgen. Ob diese nur vom Land geschaffen werden kann oder auch Gegenstand des noch ausstehenden bundesrechtlichen Ausführunesgesetzes gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG sein könnte, kann offenbleiben.'

Diese Ausführungen sind teilweise mißverständlich: Wenn der Bund den Ländern nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 lit. a Satz 2 BKGG pauschal Mittel zur Zahlung des Kindergeldes an Landes- und Gemeindebedienstete bereitstellt, sagt dies noch nichts darüber aus, für welche Zwecke sich die Gemeinden aus diesen den Ländern zur Verfügung gestellten Mitteln „bedienen" dürfen. Dies bedeutet entgegen der Ansicht des BVerwG auch nicht, daß die Klärung der Frage, ob bestimmte Leistungen gegenüber den Gemeinden mit Rechtsgrund erbracht wurden, unmöglich oder auch nur von Zufälligkeiten bestimmt wäre. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine sowohl im voraus wie im nachhinein eindeutig klärbare Rechtsfrage, deren Beantwortung allerdings voraussetzt, daß man sich zunächst Klarheit über die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verschafft. Nicht erkennbar ist, welche Rolle in diesem Zusammenhang die vom BVerwG aufgeworfene Frage spielen soll, ob die Mittelbereitstellung als solche rechtmäßig ist. Hierauf kommt es nicht an, sondern nur auf die Frage, ob die konkrete Mittel Verwendung durch die mittelbewirtschaftende Stelle rechtmäßig war 319 . Unabhängig davon fügt sich das Ergebnis der Entscheidung - der Ausschluß eines Rückforderungsanspruches im Land-Gemeinde-Verhältnis - jedoch nahtlos in die Rechtsprechung der Urteile „BAföG" 320 , „Zivilschutz"321 und auch „Wohngeld"322 ein 323 : Wie bereits mehrmals hervorgehoben, gingen die Urteile „BAföG" und „Zivilschutz" davon aus, daß der Bund nach Art. 104a Abs. 2 und 3 GG auch die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen übernehmen müsse, im Bund-Länder-Verhältnis eine Rückforderung aufgrund

318

BVerwGE 100, S. 56 ff. (S. 61 f.). So auch Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 513. 320 BVerwGE 96, S. 45 ff - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 321 BVerwG NVwZ 1995, 991 ff - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 322 BVerwG NJW 1995, S. 978 - siehe hierzu: 4. Kap. A m h (S. 210 f.). 323 A. A. Bauer/Zirbes , JuS 1997, S. 515 f. 319

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsföllen

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des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs also ausgeschlossen sei. Dies führt dazu, daß die Länder bundesrechtlich verpflichtet sind, auch diese Mittel an die Kommunen weiterzuleiten, da nur dies ihrer Zweckbindung entspricht. Im Land-Gemeinde-Verhältnis mußte somit zwingend die Schadenslast dem Land als Ausgabenträger zugewiesen sein324. Deshalb lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im Land-Gemeinde-Verhältnis nicht vor. Dies erklärt auch, warum das BVerwG im Urteil „Wohngeld" davon ausging, daß die Kommune bei fehlerhafter Verwaltung von Bundesmitteln keinen eigenen Schaden erleidet, jedoch zu einer Drittschadensliquidation gegenüber dem fehlerhaft handelnden Amtswalter berechtigt ist: Wenn im Land-GemeindeVerhältnis das Land die Schadenslast tragen muß, steht ihm der Ertrag für diejenigen Einnahmen zu, die sich als Kehrseite dieser Schadenslast darstellen. Dies zeigt deutlich, welche weitreichenden Auswirkungen die der „Kernbereichstheorie" des BVerwG zugrunde liegende Konstruktion hat, Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht selbst als eine etwa mit § 91 Abs. 1 Satz 3 SGBX vergleichbare Schadenslastenzuweisungsvorschrift zu begreifen 325, sondern zunächst von einer Kostentragungspflicht des Bundes auszugehen, diese Kostentragungspflicht aber durch eine Schadensersatzpflicht nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu korrigieren: Sie zwingt den Ländern dieselbe (eher umständliche) Haftungskonstruktion auch im Land-GemeindeVerhältnis auf. IL Besondere Entwicklung im Sozialrecht a) Die Besonderheiten unechter Haftungsfalle wurden auch im Sozialrecht erkannt - wie gerade die bereits mehrfach erwähnte Vorschrift des § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X zeigt. Ihren Ursprung nahm diese Entwicklung in der Neufassung des § 20 BVG durch Art. 1 Nr. 16 des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts 326. Diese Vorschrift regelte die Erstattung der Kosten, die den Krankenkassen durch die Wahrnehmung ihnen gesetzlich zugewiesener Aufgaben der Kriegsopferversorgung (vgl. § 18c BVG) entstanden waren. Nach der Neufassung regelte die Vorschrift in Satz 3 (später Satz 2) auch das Problem der Erstattung solcher Kosten, die durch zu Unrecht erbrachte Leistungen entstehen. Die Vorschrift lautete: Kostenersatz ist auch zu leisten, wenn die Leistungen [nach den Vorschriften dieses Gesetzes] ohne Verschulden der Krankenkasse zu Unrecht erbracht worden sind. 324 325 326

Siehe hierzu: 1. Kap. Β m c (S. 79 ff.). Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 45). Vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S. 750).

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

§ 20 Satz 3 BVG war jedoch nicht als Sanktion für fehlerhaftes Verhalten der Krankenkassen gedacht, sondern sollte umgekehrt ihrem Schutz dienen. In der Gesetzesbegründung ging man davon aus, daß nach der alten Regelung die Krankenkassen mit dem vollen Risiko fehlerhafter Bearbeitung der Versorgungsangelegenheiten belastet gewesen wären 327: Nur zweckentsprechende Mittelverwendungen hätten einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber den Versorgungsämtern begründet - dies entsprach der strengen Auslegung der zu zweckgebundenen Finanzzuweisungen ermächtigenden Vorschriften von Strickrodt und Sturm 328. § 20 Satz 3 BVG sollte also nicht eine Haftung begründen, sondern eine zu weitgehende Haftung ausschließen. Durch Rundschreiben vom 7. August 1967 teilte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung daher auch mit, daß zur Beschränkung des Kostenrisikos der Krankenkassen Verschulden i. S. d. § 20 Satz 3 BVG nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sei. Dies wurde ausdrücklich mit dem die Krankenkassen begünstigenden Charakter der Vorschrift begründet: „§ 20 Satz 3 BVG in der Fassung des 3. NOG sollte das Kostenrisiko der Krankenkassen bei der Durchführung der Heil- und Krankenbehandlung beschränken. Diese Wirkung bliebe aus, wenn den Krankenkassen für Aufwendungen, die leicht fahrlässig zu Unrecht gemacht worden sind, kein Kostenersatz nach § 20 BVG zu leisten wäre. Die Krankenkassen wären dann nur von dem Risiko für durch höhere Gewalt oder durch Zufall entstandene Fehler befreit. Fehler dieser Art dürften jedoch höchst selten vorkommen. Die mit der Anfügung des Satzes 3 verbundene Absicht tritt daher erst dann ein, wenn den Krankenkassen für leicht fahrlässig verursachte Fehler Kostenersatz geleistet wird." 329

Diese Auslegung wurde in der Literatur gebilligt330. Korbe begründete dies zusätzlich mit der Erwägung, daß andernfalls die eigentlichen Kostenträger bei Gewährung der Leistungen nach der RVO oder dem BVG durch die gesetzlichen Krankenkassen besser stehen würden, als wenn sie selbst die Leistungen durch eigene Bedienstete erbrächten. Daher sah Korbe § 20 Satz 3 BVG als allgemeines Prinzip an, das in allen Fällen sozialrechtlicher Auftragsverwaltung eine Kostenerstattung auch für nur leicht fahrlässig zu Unrecht erbrachte Leistungen anordnete331. b) Entgegen der im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Auffassung hat das BSG allerdings § 20 Satz 2 BVG (früher Satz 3) wohl nicht als eine die Krankenkassen letztlich begünstigende, sondern eher als eine sie belastende Vorschrift verstanden. Es ging damit nicht wie die Gesetzesbegründung 327 328 329 330 331

BT-Drucks. V/1216, S. 4. Siehe hierzu: 4. Kap. C I b (S. 237 f.). Az.: V/2 - 5207. 41 - 1891/67, BVB1 1967, S. 108. Wilke/Wunderlich, Bundesversorgungsgesetz (5. Aufl. 1980), § 20 Anm. 2. Korbe, BKK 1968, Sp. 665 f.

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsfällen

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davon aus, daß ohne eine entsprechende Vorschrift den Krankenkassen die vollständige Schadenslast zugewiesen sei, sondern hielt § 20 Satz 2 BVG für notwendig, um umgekehrt der Krankenkasse als mittelbewirtschaftender Stelle die Schadenslast zuzuweisen. Es hatte sich - soweit ersichtlich - nur zweimal mit der Vorschrift zu befassen: In einem ersten Urteil vom 7. Dezember 1983 ließ es die Frage des Haftungsmaßstabs ausdrücklich offen, hob aber hei vor, daß § 20 Satz 2 BVG das Verschulden nicht auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit eingrenze332. Von einer Schutzfunktion des § 20 Satz 2 BVG zugunsten der Krankenkassen war nicht die Rede. Im Urteil „Badekur" 333 vom 25. Juni 1985 ging das BSG schließlich auf eine mögliche Haftungseinschränkung gar nicht mehr ein, sondern stellte allein auf das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung ab. Dieses gegenüber den Gesetzesmaterialien „umgekehrte" Verständnis des § 20 Satz 2 BVG als eine die Versorgungsämter schützende Vorschrift ist wohl darauf zurückzuführen, daß am 1. Juli 1983, also schon vor diesen Entscheidungen, die Regelungen des Dritten Kapitels des SGB X über die „Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten" in Kraft getreten waren. Hierdurch war auch § 20 Satz 2 BVG aufgehoben worden 334 , worauf in den beiden Urteilen auch hingewiesen wurde. An seine Stelle trat die allgemeine Vorschrift des § 91 SGB X, die vollständig nur für vertragliche sozialrechtliche Aufträge gilt, auf deren Absätze 1 und 3 aber § 93 SGB X auch für gesetzliche sozialrechtliche Aufträge verweist, zu denen allgemeiner Ansicht nach die Tätigkeit der Krankenkassen nach § 18c BVG ebenfalls gehört 335. § 91 Abs. 1 SGB X lautet: Erbringt ein Beauftragter Sozialleistungen für einen Auftraggeber, ist dieser zur Erstattung verpflichtet. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten. Eine Erstattungspflicht besteht nicht, soweit Sozialleistungen zu Unrecht erbracht worden sind und den Beauftragten hierfür ein Verschulden trifft.

Diese § 20 Satz 2 BVG entsprechende ausdrückliche Schadenslastenzuweisung an den Beauftragten in § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X war im Gesetzgebungsverfahren nun nicht als eine den Beauftragten, sondern als eine den Auftraggeber begünstigende Vorschrift verstanden worden. Dies zeigt die Stellungnahme der Bundesregierung: „ E i n e Erstattungspflicht besteht nach Absatz 1 Satz 3 jedoch nicht, wenn die Sozialleistung, für die Erstattung begehrt wird, zu Unrecht erbracht worden ist und

332

BSG, Urteil vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 49/82 BSG, Breithaupt 1986, Nr. 63 (Beispiel Nr. 4 - siehe S. 45). 334 Art. 2 § 9 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 (BGBl I S. 1450). Siehe hierzu auch BT-Drucks. 9/95, S. 31. 335 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 45 Fußn. 43). 333

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4. Kap.: Rechtsentwicklung von 1945 bis heute

den Beauftragten hierfür die Verantwortlichkeit trifft. In diesen Fällen ist eine Belastung des Auftraggebers nicht gerechtfertigt." 336

Von einer gebotenen Verlagerung des Verwaltungsrisikos vom Beauftragten auf den Auftraggeber ist hier nicht mehr die Rede. Dementsprechend wird in der Kommentarliteratur davon ausgegangen, daß § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X auch bei leichter Fahrlässigkeit einen Kostenersatz ausschließt337. Von Maydell begründet diesen Unterschied zu der zu § 20 BVG allgemein vertretenen Auffassung knapp damit, daß Ziel der Regelung sei, den Auftraggeber von unberechtigten Verpflichtungen infolge von Fehlern des Beauftragten freizuhalten und dieses Bedürfnis auch dann bestehe, wenn diese Fehler leicht fahrlässig verursacht worden wären 338. Hierbei wird auch allgemein davon ausgegangen, daß „Verschulden" des Beauftragten tatsächlich Verschulden des für die Erbringung der Sozialleistung verantwortlichen Bediensteten oder Organmitglieds des Beauftragten meint. Eine Angleichung des § 91 SGB X an § 28r SGB IV n. F. 3 3 9 hat insofern allerdings (noch nicht) stattgefunden. c) Auch später wurde von der Rechtsprechung § 91 SGB X nicht als eine den Beauftragten begünstigende haftungsausschließende, sondern als eine ihn belastende haftungsbegründende Norm verstanden. Dies zeigte sich, als es um die Frage ging, ob § 91 SGB X auch das Verhältnis zwischen den Trägern der Sozialhilfe und den von ihnen nach § 96 BSHG herangezogenen Hoheitsträgern erfaßt. Im Urteil „Heranziehung I " 3 4 0 vom 12. Oktober 1990 hat das VG Hannover § 91 SGBX hier nicht für unmittelbar anwendbar gehalten und lehnte es ab, den von ihm ausdrücklich als letztlich haftungsrechtliche Norm bezeichneten §91 Abs. 1 Satz 3 SGBX als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens anzuwenden. Dem folgte das OVG Lüneburg im Urteil „Heranziehung II" 3 4 1 vom 29. Mai 1991. Es ging davon aus, daß nach dem niedersächsischen Ausführungsgesetz zum BSHG der heranziehende Sozialhilfeträger auch alle solchen Kosten erstatten müsse, die dem herangezogenen Hoheitsträgern durch zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen entstanden seien. § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X sei nicht unmittelbar anwendbar. Das Interesse des heranziehenden Trägers an einer Haftung des herangezogenen Hoheitsträgers sei auch nicht schutzwürdig: „Der überörtliche Träger könnte nämlich auch dann, wenn er die Aufgaben selbst erledigte und die eigenen Bediensteten fehlerhaft handelten, nicht bei einer anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft Regreß nehmen. Die Überlegung des Beklagten, 336 337 338 339 340 341

BT-Drucks. 9/95, S. 19 zu § 92. Hauck, SGB X 3, Κ § 91 Rn. 8; VDR-SGB X, § 91 Rn. 8. Von Maydell, in: von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 91 Rn. 22. Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 2 d (S. 200 f.). VG Hannover, ZfF 1991, S. 13 ff. (S. 15). OVG Lüneburg, ZfF 1991, S. 276 ff (Beispiel Nr. 7 - siehe S. 48).

C. Besonderheiten bei unechten Haftungsföllen

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die örtlichen Träger würden nur dann darauf achten, daß ihre Bediensteten rechtmäßig handelten, wenn sie verpflichtet seien, einen entstehenden Schaden zu ersetzen, überzeugt nicht. Auch ohne eine solche Sanktion gilt der Grundsatz, daß jede Behörde ein Interesse daran hat, daß ihre Bediensteten die ihr obliegenden Aufgaben möglichst fehlerfrei verrichten, das heißt rechtmäßig handeln."342

Das BVerwG billigte dieses Urteil 343 . Der niedersächsische Gesetzgeber hielt dagegen eine Haftung des herangezogenen Hoheitsträgers für geboten: Durch Gesetz vom 25. November 1992344 wurde in das Nds. BSHG ein neuer § 5a eingefügt, nach dessen Abs. 4 nunmehr die herangezogenen Hoheitsträger keinen Ersatz gegen den überörtlichen Träger der Sozialhilfe haben, soweit sie Sozialhilfe zu Unrecht erbracht oder Ansprüche gegen Dritte nicht geltend gemacht haben, wenn dies auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung beruht 345. d) Unabhängig davon zeigt jedoch gerade die Entwicklung der Rechtsprechung zu unechten Haftungsfällen im Sozialrecht, daß die Gerichte heute die zu zweckgebundenen Finanzzuweisungen ermächtigenden Vorschriften eher weit auslegen, also grundsätzlich annehmen, daß der Ausgabenträger nicht nur zweckentsprechende, sondern auch zweckverfehlende Mittelverwendungen erstatten muß, soweit sie durch die Aufgabenwahrnehmung veranlaßt werden. Auffallend ist, daß dies auf ähnliche Weise begründet wird wie die Weigerung, eine Haftung der mittelverwaltenden Stelle gegenüber dem Ausgabenträger aus den Grundsätzen über die Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse herzuleiten. Die dem Ansatz von Strickrodt, Sturm und der Schaffung des § 20 Satz 2 bzw. 3 BVG zugrundeliegende Erwägung, daß bei Fehlen besonderer Regelungen allein die zweckentsprechend ausgegebenen Mittel vom eigentlichen Kostenträger zu erstatten sind, hat sich damit in der Rechtspraxis nicht durchgesetzt. Vielleicht ist hierauf die Rechtsprechung des BVerwG zur Schadenslastenverteilung im Bund-Länder-Verhältnis zurückzuführen, die ebenfalls auf einer weiten Auslegung der zu zweckgebundenen Finanzzuweisungen ermächtigenden grundgesetzlichen Lastenverteilungsvorschriften beruht 346.

342

OVG Lüneburg, ZfF 1991, S. 276 ff. (S. 277). BVerwG, Buchholz, Nr. 1 zu § 96 BSHG. 344 Art. I Nr. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (GVB1 S. 316). 345 Ähnlich auch § 4 Abs. 3 des sachsen-anhaltinischen AG-BSHG. 346 Siehe hierzu: 4. Kap. C I e und f (S. 242 ff.). 343

Fünftes Kapitel

Echte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern Das Dritte und das Vierte Kapitel haben gezeigt, daß heute auch die Rechtsprechung jedenfalls grundsätzlich davon ausgeht, daß das besondere zwischen Hoheitsträgern geltende verwaltungsorganisationsrechtliche Vermögensrecht vorrangig gegenüber den allgemeinen das Verhältnis zwischen Privaten und zwischen Staat und Bürger regelnden vermögensrechtlichen Vorschriften ist. Wegen dieses bereits im Ersten Kapitel näher dargestellten Vorranges1 muß nunmehr untersucht werden, ob sich aus dem Verwaltungsorganisationsrecht entweder Schadensersatzverpflichtungen oder auch Schadensersatzveibote herleiten lassen, bevor gefragt werden kann, ob das so ermittelte Haftungsregime durch privatrechtliche oder dem allgemeinen Staatshaftungsrecht entnommene Schadensersatzansprüche ergänzt oder konkretisiert wird und ob in den Fällen, in denen der schädigende Hoheitsträger selbst nicht haftet, eine persönliche Haftung des für die Schädigung verantwortlichen Amtswalters in Betracht kommt. In diesem und den zwei folgenden Kapiteln soll demnach versucht werden, das geltende verwaltungsorganisationsrechtliche Haftungsrecht zu ermitteln. Zunächst soll sich die Untersuchung auf die Frage der verwaltungsorganisationsrechtlichen Haftung zwischen Bund und Ländern beschränken, da diese Frage bisher am meisten diskutiert wurde und durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch eine besonders deutliche Verknüpfung des Haftungsproblems mit dem Lastenverteilungsrecht hergestellt wird. Der Einfachheit halber soll zunächst auch nur auf solche Fallkonstellationen eingegangen werden, in denen nur der Bund und die Länder selbst und nicht auch bundes- oder landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts beteiligt sind. Gegenstand dieses Kapitels sollen die echten Haftungsfälle sein, also die Schädigungen im Bund-Länder-Verhältnis, die nicht auf fehlerhafte Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen zurückzuführen sind2. Hier ist zunächst zu klären, wer nach den finanzverfassungsrechtlichen Regelungen die Kosten solcher Schädigungen tragen müßte, wenn die besondere Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2

1

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 fund g (S. 59 ff.). Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsfällen siehe: 1. Kap. Α Π 1 c(S. 44). 2

. astere

e Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

251

GG nicht existierte (A). Vor diesem Hintergrund soll dann gefragt werden, ob und inwieweit Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei echten Haftungsfällen eigene Bedeutung zukommt (B), bevor seine Tatbestandsmerkmale genauer behandelt werden (C).

A. Schadenslastenverteilung in echten Haftungsfällen unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG Auch wenn man Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht berücksichtigt, lassen sich der grundgesetzlichen Finanzverfassung Aussagen darüber entnehmen, wie bei einer Schädigung des Bundes durch ein Land und bei Schädigung eines Landes durch den Bund die hierdurch verursachten Ausgaben zwischen Schädiger und Geschädigtem verteilt sind3. Da die finanzverfassungsrechtlichen Sondervorschriften der Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 2 bis 4, Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG zu zweckgebundenen Finanzzuweisungen ermächtigen, sie also im wesentlichen nur bezüglich der Schadenslastenverteilung bei unechten Haftungsfällen Bedeutung besitzen, wird es hier hauptsächlich um die Schadenslastenverteilung nach dem Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG gehen. Es wird also die Frage im Vordergrund stehen, wer nach diesem Prinzip die Kosten einer Schädigung zu tragen hat: der Schädiger oder der Geschädigte. Hier sind zunächst die Fälle zu untersuchen, in denen auch bei Zusammenwirken von Bund und Ländern im Prinzip klar ist, wer Träger welcher Aufgaben ist und wer deshalb deren Kosten tragen muß (I). Besondere Probleme werden dagegen in Konstellationen aufgeworfen, in denen eine Landesbehörde oder eine Bundesbehörde eine Aufgabe wahrnimmt, die nach den Art. 83 ff. GG „eigentlich" eine Aufgabe der jeweils anderen Seite ist. Hier muß zunächst die allgemeine Lastenverteilung geklärt werden, bevor genauer die Schadenslastenverteilung ermittelt werden kann (II). I. Grundkonstellationen Die Grundlagen der Schadenslastenverteilung nach dem in Art. 104a Abs. 1 GG normierten Konnexitätsprinzip i. e. S. lassen sich am deutlichsten am Beispiel der Fiskalschäden erläutern. Die hier gewonnenen Ergebnisse gelten aber auch bei allen denjenigen Verwaltungsträgerschäden, die in die-

3

Vgl. die ähnlichen Überlegungen bei Littwin, DVB1 1997, S. 155 ff., zur Kostentragungspflicht für EU-Anlastungen.

252

5. Kap.: Echte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern

sem oder dem folgenden Unterabschnitt dieses Kapitels nicht gesondert erwähnt werden. Die Schadenslastenverteilung bei Fiskalschäden bildet damit das Grundmodell für die Schadenslastenverteilung bei echten Haftungsfällen zwischen Bund und Ländern. 1. Schadenslastenverteilung bei Fiskalschäden: Grundmodell für Verwaltungsträgerschäden a) Die Möglichkeit von Fiskalschädigungen besteht ohne weiteres auch im Bund-Länder-Verhältnis (Beispiel Nr 224 und Nr. 235). Sieht man von Art. 34 Satz 1 und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ab, deren Anwendbarkeit zunächst dahingestellt bleiben soll, enthält das Grundgesetz keine Vorschrift, die sich ausdrücklich mit der Frage befassen könnte, wer bei Fiskalschädigungen die Lasten einer Schädigung tragen muß. Deshalb ist ausschließlich Art. 104a Abs. 1 GG maßgebend, der nach seinem zweiten Halbsatz immer eingreift, wenn eine besondere Vorschrift über die Lastenverteilung fehlt. Hiernach müssen die durch eine Schädigung verursachten Kosten dann vom Schädiger getragen werden, wenn sie „Ausgaben" darstellen, die sich aus der Wahrnehmung seiner „Aufgaben" ergeben. Insofern ist zwischen direkten und indirekten Schädigungen zu unterscheiden: Liegt eine direkte Schädigung vor, wird also das Vermögen des Geschädigten durch das fehlerhafte Verhalten des Amtswalters des Schädigers unmittelbar vermindert (Beispiel Nr. 23\ kann die Schädigung selbst nicht als „Ausgabe" angesehen werden, da für den Begriff der „Ausgabe" entscheidend der Geldausgang an Dritte ist6. Ausgaben i. S. d. Art. 104a Abs. 1 GG entstehen daher im Falle einer direkten Schädigung nicht unmittelbar mit der Schädigung, sondern allenfalls dann, wenn der Schaden beseitigt wird und hierdurch Ausgaben verursacht werden. Da Schadensbeseitigung auf eine Veränderung des Ist-Zustands des Vermögens des Geschädigten abzielt, ist sie aber grundsätzlich Aufgabe des Geschädigten7, so daß er nach Art. 104a Abs. 1 GG auch die hierdurch entstehenden Kosten tragen muß, sofern nicht eine Schadensersatzverpflichtung ausnahmsweise dem Schädiger die Aufgabe der Schadensbeseitigung und damit - wegen Art. 104a Abs. 1 GG - auch die hiermit verbundenen Ausgaben zuweist. Bestehen solche Schadensersatzverpflichtungen nicht, ist der Schädiger dagegen nicht nur nicht verpflichtet, dem Geschädigten direkt zugefügte Schäden zu ersetzen, 4 Siehe S. 88; Fall des Urteils Blindgänger" (BGHZ 98, S. 244 ff., siehe hierzu: 4. Kap. I A 1 h [S. 182]). 5 Siehe S. 89; Fall des Urteils „Gorleben" (OLG Celle, Urteil vom 26. März 1996 Az. 16 U 197/94 -). 6 Siehe hierzu: Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 7 f. Siehe hierzu: . Kap. (S. f.).

. astere

e Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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wegen Art. 104a Abs. 1 GG darf er es auch nicht8. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß die aufgrund einer Schadensbeseitigung entstehenden Ausgaben sich noch als Ausgaben darstellen, die sich aus der Aufgabenwahrnehmung des Schädigers ergeben, anläßlich derer der Schaden eingetreten ist. Art. 104a Abs. 1 GG stellt darauf ab, wem die unmittelbar kostenverursachende Funktion zugewiesen ist9. Diese Funktion ist hier aber die Schadensbeseitigung und nicht die Aufgabenwahrnehmung, anläßlich derer der Schaden entstanden ist. Entschiede man anders, würde man letztlich auf die Veranlassung der Ausgaben abstellen. Dies bedeutete aber einen Rückgriff auf Argumente des Konnexitätsprinzips i. w. S.10, was aufgrund der in Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG ausdrücklich angeordneten ausschließlichen Geltung des Konnexitätsprinzips i. e. S. ausgeschlossen ist 11 . b) Im Ergebnis ändert sich hieran nichts, wenn keine direkte, sondern eine indirekte Schädigung vorliegt, wenn also das fehlerhafte Verhalten des handelnden Amtswalters selbst noch keinen Vermögensabfluß beim Geschädigten bewirkt, dieser jedoch hierdurch (unnötigerweise) zu bestimmten Maßnahmen gezwungen oder veranlaßt wird, die ihrerseits Kosten verursachen (Beispiel Nr. 22n). Hier liegt die Schädigung darin, daß der Geschädigte unnötigerweise eine ausgabenverursachende Maßnahme vornehmen muß. Ausgabe und Schädigung fallen also zusammen - anders als bei der direkten Schädigung. Fällt die kostenverursachende Maßnahme in den Kompetenzbereich des Ge8

So auch A. Schäfer, in: A. Schäfer/Bonk,, Staatshaftungsgesetz, § 11 Rn. 13. Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 4; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 56. Siehe hierzu auch: 1. Kap. A I b und c (S. 33 ff.). 10 Siehe hierzu: l.Kap. A I d (S. 36 f.) und BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 34. 11 Siehe nur: Schoch/Wieland, FinanzierungsVerantwortung, S. 130 f. Würde man den Empfehlungen F. Kirchhofs zu einer Neufassung des Art. 104a Abs. 1 Satz 1 GG folgen, nach denen Bund und Länder die Ausgaben für die Aufgaben tragen sollen, die sie durch Gesetz oder in anderer Weise begründen oder erweitern (Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 98), ergäbe sich dagegen aus Art. 104a Abs. 1 GG eine Schadensersatzpflicht bei jeder Schadensverursachung, ohne daß es auf ein Verschulden o. ä. ankäme: F. Kirchhof will mit diesem Vorschlag ein strenges Verursacherprinzip einführen (Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 24 f.). Damit müßten auch die Kosten der Aufgabe einer Schadensbeseitigung im Verhältnis zwischen Bund und Länder von deren Verursacher, also dem Schädiger getragen werden. F. Kirchhof selbst sieht dies jedoch wohl nicht so, da er an anderer Stelle hervorhebt, daß Schadensersatzansprüche zwischen Bund und Ländern systemfremd wären (Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 33 f.). Siehe hierzu auch Trapp, Das Veranlassungsprinzip, S. 242 f., der das geschilderte Problem bei Einführung eines Veranlassungsprinzips dadurch umgehen will, daß nur das rechtmäßige Veranlassen einer Maßnahme eine Kostentragungspflicht des Veranlassers auslösen soll. 12 Siehe S. 88; Fall des Urteils Blindgänger" (BGHZ 98, S. 244 ff., siehe hierzu: 4. Kap. I A l h [ S . 182 f.]). 9

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5. Kap.: Echte Haftungse zwischen Bund und Ländern

schädigten, ergibt sich die Schadenslastenverteilung unproblematisch aus den allgemeinen Grundsätzen, die auch vom BGH im Urteil „Blindgänger" 13 anerkannt wurden: Nicht die Veranlassung der Maßnahme ist entscheidend, sondern die Wahrnehmung der unmittelbar kostenverursachenden Funktion. Die Schadenslast liegt also auch hier beim Geschädigten. Schwieriger ist die Schadenslastenverteilung zu bestimmen, wenn der Geschädigte durch fehlerhaftes Verhalten des Schädigers zu einer kostenverursachenden Maßnahme veranlaßt wird, für die er nicht zuständig ist: Aus dem in Art. 104a Abs. 1 GG normierten Konnexitätsprinzip i. e. S. läßt sich nicht unmittelbar entnehmen, wer die Kosten kompetenzwidrigen Verhaltens tragen muß. Birk nimmt an, daß die hierdurch entstehenden Kosten nach Art. 104a Abs. 1 GG nicht vom eigentlichen Aufgabenträger, sondern von demjenigen zu tragen sind, der sich die Kompetenz angemaßt hat, da der eigentliche Aufgabenträger keine Aufgaben „wahrgenommen" und er deshalb auf die Aufgabenausführung keinen Einfluß habe14. Dem wird zuzustimmen sein, weil ansonsten jede Kompetenzüberschreitung zur Folge hätte, daß sich ein Eingriff in die Zuständigkeit des eigentlichen Aufgabenträgers auch noch zu einem Eingriff in dessen eigenverantwortliche Haushaltswirtschaft „verlängern" würde. Nichts anderes kann gelten, wenn es einen eigentlichen Aufgabenträger gar nicht gibt, die angemaßte Kompetenz in der Rechtsordnung überhaupt nicht vorgesehen ist: Hier ist von vornherein nicht erkennbar, wer sonst Ausgabenträger sein soll, als derjenige, der rechtswidrigerweise eine Kompetenz in Anspruch nimmt. In beiden Fällen wird man entsprechend dem allgemeinen Konnexitätsprinzip i. e. S. auch nicht denjenigen für kostenpflichtig halten können, der die Kompentenzanmaßung veranlaßt hat, sondern denjenigen, der die angemaßte Kompetenz letztlich ausübt, da erst dies unmittelbar Kosten verursacht15. Somit muß der Geschädigte nach Art. 104a Abs. 1 GG auch dann die Kosten zuständigkeitswidrigen Verhaltens tragen, wenn er hierzu durch den Schädiger veranlaßt wurde 16, es sei denn es bestehen - etwa in Form von Schadensersatzansprüchen - entgegenstehende Vorschriften. 13

BGHZ 98, S. 244 ff. (S. 254 f.) - siehe hierzu: 4. Kap. A11 h (S. 182 f.). AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 9. Dem folgend: Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 16. 15 Siehe hierzu: 1. Kap. A I c und e (S. 34 ff.). 16 Dies bedeutet jedoch kein Verbot eines Ausgleichs nach anderen Lastenverteilungsvorschriften. Dies wurde z. B. im Fall des VGH München, BayVBl 1971, S. 67 ff. deutlich: Hier war eine Gemeinde durch die Kommunalaufsichtsbehörde verpflichtet worden, eine Maßnahme zu ergreifen, für die nicht sie, sondern das Land zuständig war, deren Kosten aber nach Art. 104a Abs. 2 GG vom Bund zu tragen waren. In diesem Fall hatte das Land einen Anspruch auf Kostenübernahme gegenüber dem Bund unmittelbar aus Art. 104a Abs. 2 GG, da für die Lastenverteilung im Bund-Länder-Verhältnis keine Rolle spielt, wer auf Landesebene für eine bestimmte Maßnahme zuständig ist. Das Land war aufgrund der Zweckbindung der Bundesmittel auch bun14

. astere

e Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

255

c) Art. 104a Abs. 1 GG selbst statuiert damit keine Abweichung von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz „casum sentit dominus"17. Im Bund-LänderVerhältnis kommt deshalb sowohl bei direkten wie bei indirekten Fiskalschädigungen eine Schadensersatzpflicht nur in Betracht, wenn das Grundgesetz selbst eine entsprechende Finanzierungszuständigkeit vorsieht. Dasselbe gilt grundsätzlich auch bei Verwaltungsträgerschäden, wie ζ. B. bei der Verletzung von Mitteilungspflichten zwischen Bundes- und Landesbehörden18. Kommt es zu fehlerhaften Mitteilungen und entsteht hierdurch dem Mitteilungsempfänger ein Schaden, so muß dieser die hieraus ergebenden Ausgaben selbst tragen. Der Mitteilende hat diese Ausgaben zwar verursacht, jedoch hat er nicht die unmittelbar kostenverursachende Funktion wahrgenommen, die zu einem Schaden und damit auch zu einer Kostentragungspflicht nach Art. 104a Abs. 1 GG führte. Die Schadenslastenverteilung bei Verwaltungsträgerschäden muß aber bezüglich einiger Fallkonstellationen noch näher präzisiert werden. 2. Schadenslastenverteilung bei gemeinsamer Erfüllung jeweils eigener Aufgaben a) Bund und Länder können in bestimmten Fällen - etwa bei Zuständigkeitsüberschneidungen - gleichermaßen für die Vornahme einer bestimmten Maßnahme zuständig sein, die aber zwingend oder sinnvollerweise nur einmal durchzuführen ist 19 . Wenn der Bund diese Maßnahme allein durchführte, würde er also letztlich nicht nur eine eigene, sondern auch die Aufgabe eines Landes wahrnehmen; wenn ein Land diese Aufgabe allein erfüllte, würde es auch eine Bundesaufgabe erfüllen. Schließen sich Bund und Länder zur Wahrnehmung dieser Aufgabe zusammen, nehmen sie daher jeweils eigene Aufgaben wahr, so daß die hierbei entstehenden Ausgaben nach Art. 104a Abs. 1 GG ihnen beiden nach Maßgabe der jeweiligen Aufgabenzuständigkeit anteilig zugewiesen sind20, soweit im Grundgesetz - wie in Art. 91b Satz 2 GG21 - nichts desrechtlich verpflichtet, die Erstattung an die Kommune weiterzuleiten (siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 2 d [S. 56 f.]). Um den Schaden der Kommune abzugleichen, bedurfte es damit keines unmittelbaren Anspruchs der Kommune gegenüber dem Bund (a. A. VGH München, a.a.O.). 17 So auch BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 52) - „BAföG", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 240). Nicht eindeutig insoweit: Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 61. 18 Siehe hierzu: 2. Kap. Β I b (S. 94 f.). 19 Emen solchen Fall regelt etwa § 12 FStrG oder das Eisenbahnkreuzungsgesetz (siehe hierzu: BVerfGE 26, S. 338 ff. [S. 386 ff.]; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 63). 20 BVerwGE 81, S. 312 ff. - „Haltepunkt", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194 f.); Bleckmann, Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht (1993), Rn. 1429; Fi-

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

anderes bestimmt ist. Dies betrifft etwa die Steuerverwaltung, bei der Art. 108 Abs. 3 GG ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden ermöglicht. Von dieser Möglichkeit wurde bezüglich der Oberfinanzdirektionen Gebrauch gemacht, in denen Bundes- und Landesbeamten nebeneinander arbeiten, wenn auch in verschiedenen Abteilungen (vgl. § 8 Abs. 2 FVG). Die Kosten der Oberfinanzdirektionen werden nach § 11 Abs. 1 FVG vom Bund getragen, soweit sie auf die Bundesabteilungen und auf die Bundeskasse entfallen. Die übrigen sachlichen Kosten trägt das Land (§11 Abs. 3 FVG). Der Präsident der Oberfinanzdirektion ist schließlich grundsätzlich gleichzeitig Bundes- und Landesbeamter (§ 9 Abs. 2 Satz 1 FVG), dessen Bezüge vom Bund und vom Land je zur Hälfte getragen werden. Um die Schadenslastenverteilung bei Schädigungen innerhalb solcher Kooperationsverwaltungsverhältnisse zu bestimmen, müssen sowohl Art. 104a Abs. 1 GG wie die einschlägige einfachgesetzliche Konkretisierung dieser Vorschrift in bezug auf die gemeinsam durchgeführte Aufgabe berücksichtigt werden. Dies soll am Beispiel von Schadensfällen bei Beteiligung der Oberfinanzdirektionen dargestellt werden: Keine Besonderheiten gegenüber der Schadenslastenverteilung bei Fiskalschäden bestehen, wenn Bedienstete der OFD den Bund oder das Land schädigen, ohne daß die OFD selbst hiervon betroffen ist. Hier gilt die allgemeine Regel des Art. 104a Abs. 1 GG: Die Kosten der Schädigung sind vom geschädigten Bund bzw. Land zu tragen. Wird die OFD insgesamt von „außen" durch Bedienstete des Bundes22 oder des Landes geschädigt23, müssen die Kosten der Schädigung nach § 11 FVG vom Bund getragen werden, soweit die Bundesabteilung, vom Land, soweit die Landesabteilung betroffen ist. Denkbar wären darüber hinaus auch Schädigungen „innerhalb" der OFD: Bundesbedienstete beschädigen Einrichtungen der Landesabteilung und umgekehrt. Hier bliebe es ebenfalls bei der Regel des § 11 FVG, der Art. 104a Abs. 1 konkretisiert: Die Kosten wären vom geschädigten Bund bzw. Land zu tragen. b) Grundsätzlich nichts anderes gilt, wenn bei Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91b GG gemeinsame Einrichtungen geschaffen werden: Die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung ermöglicht etwa (wie

scher-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 104a Rn. 5a; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 8; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz (4. Aufl. 1997), Art. 104a Rn. 3; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 15. 21 Siehe hierzu: 5. Kap. A12 b (S. 256 f.). 22 Denkbar wäre etwa, daß ein Bundeswehrhubschrauber auf das Dach der OFD stürzt. 23 Etwa wenn durch Verschulden der Landesvollzugspolizei das Gebäude der OFD abbrennt.

Α. Lastenverteilung ohne Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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auch die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG24) die Gründung gemeinsamer Planungsgremien25. Bei der Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung kann darüber hinaus auch eine Durchführungskompetenz des Bundes begründet werden26. In der Praxis erfolgt in beiden Fällen die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe nicht durch zweckgebundene Finanzzuweisungen an die Länder - unechte Haftungsfälle können hier also nicht auftreten - , sondern durch anteilige Finanzierung bestimmter, u. U. auch rechtlich selbständiger Einrichtungen27. Für die Lastenverteilung und damit auch die Schadenslastenverteilung zwischen Bund und Ländern ist insoweit allein die Verwaltungsvereinbarung nach Art. 91b Satz 2 GG maßgeblich, in der Bund und Länder den Finanzierungsanteil des Bundes und der Länder bezüglich der gemeinsamen Einrichtung frei vereinbaren können28. Wird die gemeinsame Einrichtung geschädigt, tragen daher nach Maßgabe dieser Verwaltungsvereinbarung Bund und Länder den Schaden gemeinsam, schädigt die gemeinsame Einrichtung den Bund oder ein Land, trägt der Geschädigte dagegen nach Art. 104a Abs. 1 GG den Schaden alleine. 3. Schadenslastenverteilung für Mindereinnahmen bei Auseinanderfallen von Steuerverwaltungs- und Steuerertragszuständigkeit Fallen Steuerverwaltungs- und Steuerertragszuständigkeit auseinander, so können hierdurch dem Steuergläubiger Schädigungen durch Mindereinnahmen entstehen. Im Bund-Länder-Verhältnis kommt hier sowohl eine Schädigung des Bundes durch nachlässige Verwaltung der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 3 GG) durch die Länder (Beispiel Nr. 59 29), eine Schädigung

24

Siehe hierzu: 6. Kap. Β Π 1 a (S. 345 f.). Die Planverwirklichung und deren Kosten werden von Art. 91b GG nicht berührt. Die Durchführung der Bildungsplanung richtet sich nach Art. 30, Art. 83 ff. GG, ist somit Angelegenheit der Länder (Blümel, Verwaltungszuständigkeit, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 101 Rn. 131), deren Kosten sie dementsprechend nach Art. 104a Abs. 1 GG allein zu tragen haben (Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 47; Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 91b Rn. 26 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 91b Rn. 41 (Bearbeitung 1980). 26 Siehe hierzu: Blümel, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 101 Rn. 132 ff. 27 Vgl. Art. 6 der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91b GG (Rahmenvereinbarung Forschungsförderung) vom 28. November 1975 (BAnz. Nr. 240, S. 4.). Siehe hierzu: Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar DI, Art. 91b Rn. 27. 28 F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 34 ff.; Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 45, 52 f.; Mager, in: von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar m, Art. 91b Rn. 24 ff. 29 Fall nach Schulze DÖV 1972, S. 413. 25

17 Stelkens

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

der Länder durch nachlässige Verwaltung der Biersteuer 30 durch den Bund (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 5, Art. 108 Abs. 1 GG)31 und schließlich eine Schädigung der Länder durch rechtswidrige Weisungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes nach Art. 108 Abs. 3 und 7 GG in Betracht, die dazu fuhren, daß Steuertatbestände, deren Ertrag den Ländern (zum Teil) zusteht, nicht ausgeschöpft werden können (Beispiel Nr. 43n). Da es hier nicht um die Verteilung von Ausgaben, sondern um die Verteilung von Einnahmen geht, ist Art. 104a GG nicht einschlägig. Wer die Kosten von Mindereinnahmen zu tragen hat, bestimmt sich vielmehr - sieht man von der Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ab - allein nach den Vorschriften über die Verteilung der Steuereinnahmen33. Diese regeln jedoch nur die Verteilung der tatsächlich erzielten, nicht der erzielbaren Einnahmen, da sie die zu verteilenden Steuereinnahmen als „Aufkommen" bezeichnen (vgl. Art. 106 Abs. 3 GG)34. Das Risiko von Mindereinnahmen trägt somit nach Art. 106 GG der Steuergläubiger, soweit nicht eine „andere Bestimmung" i. S. d. Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG eine entsprechende Finanzierungszuständigkeit des Trägers der steuerverwaltenden Behörde begründet, wie sie etwa nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 a. F. GG „zugunsten" der Länder gegenüber dem Bund bestand35. 4. Schadenslastenverteilung für durch fehlerhafte Rechtsaufsichtsmaßnahmen, Verwaltungsvorschriften und Weisungen des Bundes verursachte Länderausgaben a) Die Diskussion zu § 10 und § 11 StHG36 hat gezeigt, daß die Länder durch fehlerhafte Aufsichtsmaßnahmen, Einzelweisungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes nach Art. 84 Abs. 2 bis 5, Art. 85 Abs. 2 bis 4, Art. 108 Abs. 3 und 7 GG sowie nach Art. 120a Abs. 1 GG indirekt geschädigt werden können. Neben dem bereits behandelten Fall solcher fehlerhafter Weisungen, die in der Steuerverwaltung zu Mindereinnahmen bei den Ländern fuhren 37, sind hier echte Haftungsfalle vor allem dann möglich, wenn der 30 Vgl. Biersteuergesetz 1993 i. d. F. des Verbrauchssteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2150). 31 Siehe hierzu: Kummer, Die Haftung der Länder, S. 97 f. 32 Siehe S. 102. 33 In diese Richtung auch Luther, Die Lastenverteilung, S. 134. 34 Anders ζ. B. die Regelung über die Verteilung der Zolleinnahmen unter der Reichsverfassung von 1871 - siehe hierzu: 3. Kap. A I c (S. 128 f.). 35 Siehe hierzu: 4. Kap. A12 e (S. 189 f.). 36 Siehe hierzu: 4. Kap. B m (S. 223 ff.). 37 Siehe hierzu: 5. Kap. A I 3 (S. 257 f.).

Α. Lastenverteilung ohne Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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Bund die Länder anweist, entweder mehr ihrer eigenen Mittel aufzuwenden als notwendig (Beispiel Nr. 42n) oder sich gegenüber Dritten rechtswidrig zu verhalten, mit der Folge, daß dem Land vermeidbare Prozeßkosten oder Haftungsverpflichtungen entstehen39 (Beispiel Nr. 44A0). Insofern ist unbestritten, daß die Länder als Geschädigte die durch fehlerhafte Weisungen entstehenden Kosten selbst tragen müssen: So bestimmt bei landeseigenem Vollzug von Bundesgesetzen nach Art. 83 f. GG im Regelfall allein Art. 104a Abs. 1 GG die Lastenverteilung41. Es gelten daher die allgemeinen Regeln: Kostentragungspflichtig ist deijenige, der die unmittelbar kostenverursachende Funktion wahrgenommen hat, unabhängig davon, ob diese Funktion zu Recht wahrgenommen wurde. Bei nicht vom Bund finanzierter Landeseigenverwaltung sind daher auch die auf fehlerhafte Weisungen des Bundes zurückzuführenden Kosten allein von den Ländern zu tragen. b) Auch wenn durch fehlerhafte Maßnahmen des Bundes die Länder bei anteiliger Finanzierungspflicht des Bundes im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 3 GG oder des Art. 120 Satz 1 bis 3 GG gezwungen werden, ihre eigenen Mittel fehlerhaft auszugeben und sich hierdurch das Ausgabevolumen des Landes gegenüber dem Ausgabevolumen erhöht, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bestanden hätte, werden die unmittelbar kostenverursachenden Funktionen vom Land wahrgenommen, so daß es nach Art. 104a Abs. 1 GG auch die hierdurch entstehenden Kosten tragen muß. Das gesetzlich angeordnete Verhältnis zwischen Bundesanteil und Landesanteil wird also nicht durch eine fehlerhafte Weisung des Bundes zugunsten des Landes verschoben. Dies bedeutet etwa für das Beispiel Nr. 4242 : Durch die fehlerhafte Verwaltungsvorschrift des Bundes erhöht sich nicht dessen Finanzierungsanteil nach § 56 BAföG i. V. m. Art. 104a Abs. 3 GG von 65% auf ζ. B. 75%. Vielmehr müssen die Länder mindestens weiterhin 35% des aufgrund der Verwaltungsvorschrift erhöhten Ausgabevolumens tragen. Fraglich kann allenfalls sein, ob das Land darüber hinaus auch verpflichtet ist, den Bundesanteil der durch die Verwaltungsvorschrift verursachten zweckverfehlenden Ausgaben zu übernehmen: Dies ist allerdings keine echte Haftungsfrage mehr, son38

Siehe S. 102. Soweit eine Maßnahme des Bundes die Länder zu fehlerhafter Verwendung zweckgebundener Finanzzuweisungen des Bundes veranlaßt, liegt ein unechter Haftungsfall vor (vgl. Beispiel Nr. 64 - siehe S. 115). Siehe hierzu: 6. Kap. A (S. 318 ff.). 40 Siehe S. 103. 41 Ausnahmen gelten nur dann, wenn entweder ein Fall des Art. 104a Abs. 3 Satz 1 GG, nicht aber des Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG vorliegt oder im Rahmen des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG, sofern nicht Art. 120a GG eingreift: Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG läßt den Kriegsfolgebereich unberührt (Κ. H. Schaefer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 120 Rn. 7). 42 Siehe S. 102. 39

17*

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

dem ein Problem der Schadenslastenverteilung in unechten Haftungsfallen, das erst im nächsten Kapitel behandelt werden soll. c) Soweit den Ländern aufgrund fehlerhafter Maßnahmen des Bundes im Bereich der Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 2 bis 4 und des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen entstehen, könnte man allerdings dem Wortlaut dieser Lastenverteilungsvorschriften auch eine Verpflichtung des Bundes zur (anteiligen) Kostenübernahme entnehmen: Aufwendungen für Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen könnten „Ausgaben" i. S. d. Art. 91a Abs. 4 oder Art. 104a Abs. 2 und 3 GG, „Aufwendungen" i. S. d. Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG oder Gegenstand von „Finanzhilfen" i. S. d. Art. 104a Abs. 4 GG sein. Diese aufgabenbezogenen Finanzierungszuständigkeiten des Bundes erstrecken sich jedoch nicht auf die sog. Verwaltungsausgaben, sondern sind nach allgemeiner Ansicht auf die sog. Zweckausgaben begrenzt, was Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG zu entnehmen ist, nach dem Bund und Länder die bei ihren jeweiligen Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben allein zu tragen haben und welcher nach ganz herrschender Meinung auch die Finanzierungszuständigkeiten des Bundes nach Art. 91a Abs. 4 GG43 und Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG 44 begrenzt. Unter Zweckausgaben werden diejenigen Ausgaben verstanden, die unmittelbar der Förderung des jeweiligen Sachanliegens dienen sollen. Mit Verwaltungsausgaben sind die Ausgaben gemeint, die für den Betrieb und die Erhaltung des Verwaltungsapparates (Personalkosten und Sachkosten) erforderlich sind45. Diesen gängigen Definitionen der Begriffe Zweck- und Verwaltungsausgaben lassen sich die durch Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen entstehenden Ausgaben allerdings nicht ohne weiteres zuordnen: Weder fördern sie unmittelbar den Zweck der Gemeinschaftsaufgaben, der Bundesauftragsverwaltung, der Geldleistungsgesetze und der Investitionshilfen,

43

Von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 22; Blümel, ebenda., § 101 Rn. 153; Erichsen, Zur Haftung, S. 44 f.; Fischer-Menshausen, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 39; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 28; Mager, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 91a Rn. 52; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 91a Rn. 62 (Bearbeitung 1980); a. A. Stern, StR Π, § 47 Π 3 a, S. 1139; zweifelnd BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 155. 44 Κ Η. Schaefer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΠΙ, Art. 120 Rn. 23; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 120 Rn. 8. Siehe hierzu: 6. Kap. A m (S. 330 ff.). 45 Zur Abgrenzung zwischen Zweck- und Verwaltungsausgaben: von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 20; Fischer-Menshausen, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 40; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 27; ders., in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I. Rn. 20; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 62 ff ; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 154.

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noch sind sie für den Betrieb und die Unterhaltung des Verwaltungsapparates erforderlich 46. Da durch die Lastenverteilungsvorschriften des Grundgesetzes jedoch alle Ausgaben erfaßt werden sollen47, muß entweder der Begriff der Verwaltungsausgabe oder der Begriff der Zweckausgabe weiter gefaßt werden. Weil es in Regel-Ausnahme-Verhältnissen stets geboten ist, den Ausnahmetatbestand gegenständlich zu begrenzen, während der Regeltatbestand nicht abschließend beschreibbar sein muß, und die durch Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 2 bis 4 oder Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG begründeten Finanzierungszuständigkeiten des Bundes Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG darstellen, während Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG dieses Prinzip konkretisiert, sind alle Ausgaben, die nicht eindeutig den Zweckausgaben zugeordnet werden können, als von den Ländern zu tragende Verwaltungsausgaben zu behandeln48. Entsprechend weit wurde der Begriff der „Verwaltungsausgabe" auch von der Troeger-Kommission und im Gesetzgebungsverfahren sowohl anläßlich der Finanzreform 1969 wie der Staatshaftungsreform verstanden49. Demnach ergibt sich im Bereich des Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 2 bis 4 oder des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG die Pflicht der Länder, die durch Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen entstehenden Ausgaben zu tragen, unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG.

46 BVerwG, NJW 1976, S. 1468 f. - „Seehafen Emden", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 231); VG Schleswig, Die Gemeinde SH 1990, S. 321 ff. siehe hierzu: 7. Kap. A 1 1 d (S. 360 f.). 47 Siehe nur Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 17. 48 Entsprechend weit wird der Begriff der Verwaltungsausgabe auch von Siekmann (in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 10) und wohl auch von Stern (StR Π, § 47 Π 3 a, S. 1139) verstanden. So auch: OVG Schleswig, Die Gemeinde SH, S. 300 ff. (S. 301) „Schornstein" - allerdings bezogen auf das Land-Gemeinde-Verhältnis (siehe hierzu: 7. Kap. A I 1 d [S. 360 f.]); ebenso OVG Münster in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 9. Juni 1978 - XI A 319/77 - zum Begriff der Verwaltungsausgabe im nordrhein-westfalischen Finanzausgleichsgesetz (S. 13 der Urteilsausfertigung). 49 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a und b (S. 213 ff.) sowie m b (S. 224 f.). Auch in der Literatur werden durch Prozeßkosten oder Haftungsverbindlichkeiten verursachten Ausgaben oft als Verwaltungskosten i. w. S. oder als Verwaltungslasten bezeichnet, ohne daß allerdings klar wird, ob sie tatsächlich als Verwaltungsausgaben angesehen oder nur als solche behandelt werden: vgl. von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof.\ HdbStR IV, § 103 Rn. 23; Faber, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Band 2: Art. 21 - 146 (l.Aufl. 1984, zit. im folgenden: AK-GG1Bearb.\ Art. 104a Rn. 8; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 41; Luther, Die Lastenverteilung, S. 135; Littwin, DVB1 1997, S. 156; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 279; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 159.

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

II. Schadenslastenverteilung bei Wahrnehmung fremder Aufgaben Nehmen Bundes- oder Landesbehörden Aufgaben wahr, die „eigentlich" der jeweils anderen Seite obliegen, ist durchgehend umstritten, ob die hierbei entstehenden Kosten vom Träger der aufgabenwahrnehmenden Behörde oder vom eigentlichen Aufgabenträger zu tragen sind, was natürlich auch für die Frage der Schadenslastenverteilung von Bedeutung ist. Konkret geht es um die Frage der Lastenverteilung bei Amtshilfe, den Fällen des inneren Notstandes (Art. 35 Abs. 2 und 3, Art. 87a Abs. 4, Art. 91 GG) und bei der allein auf einem einfachen Gesetz oder einer Verwaltungsvereinbarung beruhender Wahrnehmung von Landesaufgaben durch Bundesbehörden bzw. von Bundesaufgaben durch Landesbehörden, wie sie etwa in § 8 Abs. 7 FVG für die Bundesbauverwaltung vorgesehen ist. 1. Schadenslastenverteilung

bei Amtshilfe

a) Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Der Begriff der Amtshilfe ist hier identisch mit dem der Verwaltungsverfahrensgesetze, nach denen Amtshilfe nur vorliegt, wenn die begehrte Maßnahme in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgaben obliegen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 SGB X, § 111 Abs. 2 Nr. 2 AO) 50 Wie sich die Lastenverteilung bei Amtshilfe darstellt, ist in Art. 35 Abs. 1 GG nicht geregelt, so daß Art. 104a Abs. 1 GG zur Anwendung kommt. Ein Teil der Literatur geht insofern davon aus, daß Art. 35 Abs. 1 GG eine echte Kompetenzzuweisung zugunsten der ersuchten Behörde darstelle. Die ersuchte Behörde nehme eigene Aufgaben wahr, deren Kosten sie nach Art. 104a Abs. 1 GG vollständig allein tragen müsse; eine Kostenerstattung für Amtshilfemaßnahmen sei im BundLänder-Verhältnis ausgeschlossen51. Gegen diese Ansicht spricht jedoch der enge Zusammenhang zwischen den Lastenverteilungsvorschriften des Grundgesetzes und den Art. 83 ff. GG einerseits und den Vorschriften über die Verteilung der Einnahmen andererseits. Diese Vorschriften sind aufeinander abgestimmt: Die Regeln über die Einnahmeverteilung sollen sicherstellen, daß Bund und Ländern die Mittel zur Verfügung stehen, die sie benötigen, um ihre Ausgaben zu decken, die dadurch entstehen, daß sie ihnen zugewiesene Aufgaben wahrnehmen. Der Anteil der Länder an den Gesamteinnahmen des Bundesstaates soll mit ihren, der Anteil des Bundes mit seinen Ausgaben 50

Zur Abgrenzung der Amtshilfe von verwandten Fällen siehe: 2. Kap. Β I (S. 93 ff.). 51 So AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 9; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 16.

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übereinstimmen52. Dieses der Finanzverfassung des Grundgesetzes zugrunde liegende Kongruenzprinzip kann aber nur dann eingehalten werden, wenn sich die Lastenverteilung allein nach der regulären Aufgabenverteilung richtet, wie sie die Art. 83 ff. GG vorschreiben. Die Kongruenz zwischen Aufgaben-, Lasten- und Einnahmeverteilung würde gestört, wenn die verfassungsrechtlich angeordnete Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern und damit die Lastenverteilung aufgrund bloßer Zweckmäßigkeitsüberlegungen generell oder im Einzelfall verschoben werden könnte. Nimmt man aber an, daß die Hilfeleistung der ersuchten Behörde eine ihr zugewiesene eigene Aufgabe darstellt, ermöglicht man genau dies: Die Lastenverteilung nach Art. 104a Abs. 1 GG könnte von der bloßen Zweckmäßigkeitsüberlegung abhängen, ob innerhalb eines bestimmten Verfahrens Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG angefordert werden soll oder nicht. b) Art. 104a Abs. 1 GG ist deshalb bei Amtshilfe im Bund-Länder-Verhältnis so anzuwenden, als hätte nicht die ersuchte, sondern die ersuchende Behörde die Aufgabe wahrgenommen: Die ersuchte Behörde ist finanzverfassungsrechtlich wie eine eigene Behörde des Trägers der ersuchenden Behörde zu behandeln, soweit sie Amtshilfe ausübt. Der Wortlaut des Art. 104a Abs. 1 GG steht dem nicht entgegen, wenn man den Begriff „wahrgenommene Aufgabe" nicht auf die konkrete, von der ersuchten Behörde vorgenommene Verfahrenshandlung bezieht, sondern auf die Durchführung des Hauptverfahrens, die allein der ersuchenden Behörde obliegt53. Damit ist es im Bund-LänderVerhältnis dem Träger der ersuchten Behörde verboten, die durch die Amtshilfe verursachten Ausgaben zu übernehmen. Der Träger der ersuchenden Behörde ist unmittelbar aus Art. 104a Abs. 1 GG verpflichtet, dem Träger der ersuchten Behörde die Mehrkosten zu ersetzen, die durch die Amtshilfemaßnahme entstehen. Das Verbot der Verwaltungsausgabenerstattung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG gilt nicht54, Art. 104a Abs. 1 GG geht insoweit Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vor. Die Sachlage ist nicht anders, als wenn der Träger der ersuchten Behörde eine ihm obliegende Aufgabe 52 Von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 8; F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 12 f.; Stern, StR Π, § 47 m 3., S. 1150. 53 In diese Richtung auch BVerwGE 102, S. 119 ff., S. 124 zu einer vergleichbaren Konstellation. 54 So auch Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 39; F. Kirchhof Finanztranfers aus Separathaushalten im Bundesstaat - Sozialversicherung, Rundfunk, European Recovery Program, in: Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz - Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag (1990), S. 457 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 60. In diese Richtung auch: von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 22; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 60; a. A. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 8 Rn. 5. Unklar insoweit BVerwGE 102, S. 119 ff., S. 124 f. zu einer vergleichbaren Konstellation.

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

durch einen privaten Dritten vornehmen ließe. Ein solches Verständnis der Lastenverteilung bei Amtshilfe entspricht weitgehend auch der Staatspraxis: So ordnete schon Art. 1 Abs. 1 Satz 2 FAnpG55 an, daß eine Erstattung von Verwaltungskosten bei Amtshilfe vom Verbot der Verwaltungskostenerstattung unberührt bleibe. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB X, § 115 Abs. 1 Satz 2 AO sind die Auslagen der ersuchten Behörde (ein Teil der bei Durchführung der Amtshilfe entstehenden Verwaltungsausgaben) grundsätzlich von der ersuchenden Behörde zu erstatten. c) Auch bezüglich der Schadenslastenverteilung ist die ersuchte Behörde finanzverfassungsrechtlich wie eine Behörde des Trägers der ersuchenden Behörde zu behandeln: Die Kosten direkter und indirekter Schäden, die durch Fehlverhalten der Bediensteten der ersuchten Behörde dem Träger der ersuchenden Behörde zugefügt werden, sind daher allein vom Träger der ersuchenden Behörde zu tragen. Problematischer ist dagegen die Frage, ob der Träger der ersuchenden Behörde darüber hinaus auch die Kosten der Beseitigung von Schäden tragen muß, die der Träger der ersuchten Behörde durch Fehler seiner eigenen Amtswalter oder denen der ersuchenden Behörde erleidet. Hier ist zwischen direkten und indirekten Schäden zu unterscheiden: Indirekte Schädigungen, die dadurch entstehen, daß die ersuchte Behörde eine (kostenverursachende) rechtswidrige oder unnötige Maßnahmen trifft, hat der Träger der ersuchenden Behörde dann zu übernehmen, wenn diese Maßnahme sich noch als Durchführung der Amtshilfe darstellt. Dies dürfte bei allen Schäden, welche durch unnötig teuere Amtshilfemaßnahmen oder durch vermeidbare Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen entstehen, der Fall sein56 So ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, § 6 Abs. 2 Satz 2 SGB X, §114 Abs. 2 Satz 2 AO und den entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze, daß der Bürger Rechtsmittel gegen einen im Amtshilfeverfahren durchgeführten Eingriff in seine Rechte unmittelbar gegenüber der ersuchten Behörde einlegen muß, wenn ein solches Rechtsmittel nicht ohnehin durch § 44a VwGO ausgeschlossen ist 57 . Wird aber um die Rechtmäßigkeit einer Amtshilfemaßnahme gestritten, so gehört diese Tätigkeit 55

Gesetz zur Anpassung verschiedener Vorschriften über die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern an die Neuregelung der Finanzverfassung (Finanzanpassungsgesetz - FAnpG - ) vom 30. August 1971 (BGBl I S. 1426). 56 Bonk (in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 8 Rn. 11), Engelmatm (in: SchroederPrintzen [Hrsg.], SGB X [3. Aufl. 1996], § 7 Rn. 5) und Kopp (VwVfG [6. Aufl. 1996], § 8 Rn. 4) halten allerdings die Erstattung unwirtschaftlicher und unnötiger Aufwendungen für ausgeschlossen - ohne allerdings auf die Besonderheiten im Bund-LänderVerhältnis einzugehen. Ein Grund für die Belastung des Trägers der ersuchten Behörde mit solchen Aufwendungen ist allerdings nicht ersichtlich. Warum soll es dem Träger der ersuchenden Behörde gestattet sein, sein Verwaltungsrisiko auf den Träger der ersuchten Behörde abzuwälzen? 57 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 7 Rn. 9.

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noch zur Durchführung der Amtshilfe selbst, so daß die hierdurch entstehenden Prozeßkosten - als Verwaltungsausgaben58 - im Bund-Länder-Verhältnis aufgrund des Art. 104a Abs. 1 GG vollständig vom Träger der ersuchenden Behörde zu übernehmen sind. Aus demselben Grund ist auch eine Erstattungspflicht für solche Haftpflichtschäden gegeben, die dem Träger der ersuchten Behörde entstehen, weil er sich wegen fehlerhafter Durchführung der Amtshilfemaßnahme im Verhältnis zum Bürger schadensersatzpflichtig gemacht hat. Auch diese Ausgaben stellen durch die Amtshilfe verursachte Verwaltungsausgaben dar 59. Durch ein Amtshilfeersuchen kann der Träger der ersuchenden Behörde nicht das mit seiner Aufgabenwahrnehmung verbundene Verwaltungsrisiko auf den Träger der ersuchten Behörde übertragen 60. Keine Kostenübernahmepflicht des Trägers der ersuchten Behörde besteht aber, wenn das zu einem indirekten Schaden führende fehlerhafte Verhalten des Amtswalters nicht in einem inneren und äußeren Zusammenhang mit der Amtshilfe steht und somit nur „bei Gelegenheit" der Amtshilfemaßnahme aufgetreten ist 61 . d) Bei direkten Schädigungen, die dem Träger der ersuchten Behörde von seinen eigenen Bediensteten oder von Bediensteten des Trägers der ersuchten Behörde in Durchführung der Amtshilfemaßnahme zugefügt werden, folgt dagegen unmittelbar aus Art. 104a Abs. 1 GG keine Erstattungspflicht des Trägers der ersuchenden Behörde: Wenn ζ. B. auf einer mit der Amtshilfe zusammenhängenden Dienstfahrt ein Dienstwagen beschädigt wird, der dem Träger der ersuchten Behörde gehört, entstehen nämlich Ausgaben i. S. d. Art. 104a Abs. 1 GG erst durch die Schadensbeseitigung - hier die Reparatur des Dienstwagens - , die sich nicht mehr als Durchführung der Amtshilfe darstellt; sie ist nur notwendig im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgaben, die dem Träger der ersuchten Behörde selbst obliegen. Wenn man in diesem Fall eine Kostentragungspflicht des Trägers der ersuchenden Behörde annähme, würde man nicht mehr auf die unmittelbar kostenverursachende Funktion, sondern auf die Veranlassung einer Maßnahme abstellen, was bei Art. 104a Abs. 1 GG gerade nicht zulässig ist.

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Siehe hierzu: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). Siehe hierzu: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). 60 Art. 34 Satz 1 GG steht der Verlagerung solcher Haftpflichtkosten nicht entgegen. Die Vorschrift regelt nur das Außenverhältnis zum Bürger, nicht die interne Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern: vgl. BVerwG, NJW 1976, S. 1468 ff. (S. 1469 f.) - „Seehafen Emden", siehe hierzu: 4. Kap, Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 232); Griffel, DöH 1957, S. 245; Randel , Die Selbstverwaltung 1951, S. 298. 61 Dieses Abgrenzungsproblem tritt regelmäßig auf, wenn jemand für das Fehlverhalten eines anderen einstehen muß. Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 6 1 c, S. 24. 59

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

2. Schadenslastenverteilung

beim inneren Notstand

a) Beim von Art. 35 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG geregelten „kleinen" inneren Notstand geht man davon aus, daß die durch eine Naturkatastrophe oder eine innere Unruhe hervorgerufenen Probleme an sich noch durch das betroffene Land bewältigt werden können, wobei Art. 35 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 GG die Wiederherstellung normaler Zustände u. a. durch Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf Anforderung des betroffenen Landes ermöglichen. Wer die Kosten eines solchen Einsatzes trägt, ist allerdings umstritten: Ein Teil der Literatur geht davon aus, daß der Bund mit dem Einsatz des Bundesgrenzschutzes im „kleinen" inneren Notstand eigene Aufgaben aufgrund einer ihn ermächtigenden Kompetenzzuweisung wahrnehme, so daß die Ersatzkosten vollständig vom Bund zu tragen seien62. § 11 Abs. 4 Satz 3 BGSG bestimmt jedoch das Gegenteil: Er weist den Ländern die Mehrkosten zu, die durch Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 GG und Art. 91 Abs. 1 GG entstehen. Eine Kostentragungspflicht des Bundes widerspräche auch dem Kongruenzprinzip, da das Grundgesetz davon ausgeht, daß die Bewältigung von Notständen i. S. d. Art. 35 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG an sich noch durch die Landespolizei bewältigbar ist, die Länder also grundsätzlich verpflichtet sind, ausreichende „Einsatztruppen" vorzuhalten. Bei Anwendung des Art. 104a Abs. 1 GG ist damit allein auf die Landesaufgabe der Gefahrenabwehr abzustellen, so daß das Land - wie im Fall der Amtshilfe - die gesamten unmittelbar durch den Einsatz des Bundesgrenzschutzes entstehenden Kosten tragen muß63. Als nach § 11 Abs. 4 Satz 3 BGSG zu ersetzende Mehrkosten sind von den Ländern somit auch die aus dem Einsatz folgenden indirekten Schädigungen, nicht aber direkte Schädigungen des Bundes zu übernehmen. Dem entsprechen auch die §§ 51 ff. BGSG, die einen polizeirechtlichen Entschädigungsanspruch zu Lasten des Bundes dann nicht begründen, wenn es sich um eine Maßnahme nach Art. 35 Abs. 2 oder Art. 91 Abs. 1 GG handelt, da insofern nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BGSG Landesrecht maßgeblich ist, das allenfalls eine Entschädigungspflicht des Landes begründen kann. b) Beim von Art. 35 Abs. 3, Art. 87a Abs. 4 und Art. 91 Abs. 2 GG angesprochenen „großen" inneren Notstand sind die von einer Naturkatastrophe oder inneren Unruhe verursachten Probleme den Landesbehörden „über den Kopf gewachsen"; sie sind nicht mehr in der Lage, die Gefahren des Notstandes selbst zu beseitigen - auch nicht mit Unterstützung des Bundes nach Art. 35 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG. Hier wird durch Art. 35 Abs. 3, Art. 87a 62

AK-GG 2-Birk, Art. 104a Rn. 9. Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 39; Hernekamp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 91 Rn. 25. 63

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Abs. 4 und Art. 91 Abs. 2 GG eine eigenständige, von einem Ersuchen des betroffenen Landes unabhängige „Bundeshilfskompetenz" begründet. Bundesgrenzschutz und Streitkräfte handeln in diesem Fall auf Weisung der Bundesregierung - anders als in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 GG. Es liegt damit eine Aufgabe vor, die ihrem Umfang und objektiven Gewicht nach von vornherein nicht vom einzelnen Land bewältigt werden kann und deshalb eine echte Aufgabe des Bundes ist. Demnach sind die Kosten, die bei solchen Einsätzen entstehen, nach Art. 104a Abs. 1 GG allein vom Bund zu tragen64. Hinsichtlich der Kosten, die durch Schädigung des Bundes- oder Landesvermögens bei solchen Einsätzen entstehen, gelten demnach die bezüglich der Fiskalschäden entwickelten allgemeinen Grundsätze: Sie sind vom geschädigten Bund oder Land zu tragen65. 3. Schadenslastenverteilung bei vom Grundgesetz nicht vorgesehener Wahrnehmung fremder Aufgaben Literatur und Rechtsprechung gehen weitgehend davon aus, daß im engen Rahmen aufgrund von einfachen Gesetzen oder Verwaltungsvereinbarungen entgegen den Kompetenzverteilungsregeln des Grundgesetzes Bundesbehörden ermächtigt werden können, Landesaufgaben wahrzunehmen, und Landesbehörden ermächtigt werden können, Bundesaufgaben wahrzunehmen, soweit hierdurch nicht die Verwaltungsverantwortung insgesamt entgegen den Art. 83 ff. GG verlagert wird 66 . Solche Fälle liegen etwa in den Beispielen Nr. 53 67 und Nr. vor. Unterstellt man, daß diese Organisationsformen ver-

64 BK-VogeUP. Kirchhof Art. 104a Rn. 61. § 11 Abs. 4 Satz 3 BGSG ist daher insofern nicht mit Art. 104a Abs. 1 GG vereinbar, als er auch in den Fällen des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 BGSG) eine Kostenerstattungspflicht der betroffenen Länder vorsieht. 65 Teilweise wird im Fall des Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG angenommen, daß das Land mit der Bekämpfung der Gefahr an sich noch eine Landesaufgabe wahrnehme, so daß wie bei Art. 35 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG eine von den Ländern zu finanzierenden Landesaufgabe vorläge (Hernekamp, in: von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar ΙΠ, Art. 91 Rn. 34; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 61). Jedoch verbietet wohl der enge systematische Zusammenhang der verschiedenen Alternativen des Art. 91 Abs. 2 GG eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Kostenlast. Dementsprechend sieht auch § 11 Abs. 4 Satz 3 BGSG keine Kostenerstattung in den Fällen des Art. 91 Abs. 2 GG vor (vgl. § 7 und § 11 Abs. 3 Nr. 3 BGSG). 66 Siehe hierzu: BVerfGE 63, S. 1 ff. (S 39 ff.); Blümel, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 101 Rn. 120 ff.; Hirschberger, Organleihe, S. 96 ff; Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 26; Lodde, Rechtsfragen der Organleihe, S. 135 ff. Vgl. auch BVerwGE 102, S. 119 ff., S. 124. 67 BVerwG, NJW 1976, S. 1468 ff. - „Seehafen Emden", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c(S. 194) und Β IV e (S. 232).

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

fassungsrechtlich zulässig sind69, ist jedenfalls fraglich, welche Regeln für die Lastenverteilung maßgeblich sind: Art. 1 Abs. 2 FAnpG bestimmt insofern, daß sich jedenfalls dann, wenn die Wahrnehmung fremder Aufgaben auf einer Verwaltungsvereinbarung beruht, die Verwaltungskostenerstattung nach dieser Vereinbarung richtet. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren damit begründet, daß der Bund bzw. das Land hier Aufgaben wahrnimmt, die an sich dem anderen Teil obliegen, und daß ohne die Möglichkeit der Vereinbarung einer Verwaltungskostenerstattung derartige unter rationellen Gesichtspunkten wünschenswerte Regelungen kaum erreichbar wären70. Auch das BVerwG hält in solchen Fällen Art. 104a GG für nicht einschlägig, sondern stellt allein auf die der Wahrnehmung der fremden Aufgabe zugrunde liegenden Gesetze oder Verwaltungsvereinbarungen ab71. Zutreffend ist insoweit, daß das Verbot der Erstattung der Verwaltungskosten nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG nicht gilt 72 - allerdings nicht, weil Art. 104a GG von vornherein auf solche Verwaltungsformen keine Anwendung fände, sondern weil die Wahrnehmung fremder Aufgaben auf einfachrechtlicher Grundlage Art. 104a Abs. 1 GG nicht berührt. Durch die Zulassung von Fremdverwaltung kann zwar eine Verschiebung der tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung, nicht aber eine Verschiebung der Finanzverantwortung erreicht werden. Wie bei den Amtshilfefällen sind also alle die der aufgabenwahrnehmenden Behörde entstehenden Ausgaben vom eigentlichen Aufgabenträger zu übernehmen73, als Folge des Kongruenzprinzips ist sie finanzverfassungsrechtlich wie seine eigenen Behörden zu behandeln: Das Gleichgewicht zwischen Aufgaben-, Lasten- und Einnahmeverteilung würde gestört, wenn durch einfachgesetzliche Begründung von Verwaltungsformen, die im Grundgesetz nicht vorgesehen sind, mittelbar auch auf die Lastenverteilung Einfluß genommen werden könnte. Ist die Lastenverteilung in solchen Fällen somit identisch mit der Lastenverteilung in Amtshilfefällen, gilt dies auch für die Frage, wer diesbezüglich die Schadenslast zu tragen hat: Jedenfalls bei echten Haftungsfällen sind Schädigungen, die dem eigentlichen Aufgabenträ68 BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff - ,jCraftfahrzeugbundesamt", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194) und Β IV e (S. 231). 69 Krit. etwa Broß, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΠΙ, Art. 83 Rn. 15 ff. 70 BT-Drucks. VI/1771, S. 13 und 15. 71 BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (S. 475) - ,,Kraftfahrzeugbundesamt", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV e (S. 231). In diese Richtung auch: von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 22; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 104a Rn. 66. 72 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 60; a. A. BK-Vogel/P. Kirchhof AH. 104a Rn. 155. 73 In diese Richtung auch Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 39; Hirschberger, Organleihe, S. 209.

Β. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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ger durch Amtswalter des Trägers der aufgabenwahrnehmenden Behörde zugefugt werden, von diesem zu tragen. Mehrkosten durch indirekte Schädigungen, die dem Träger der aufgabenwahrnehmenden Behörde durch seine eigenen Amtswalter oder solche des eigentlichen Aufgabenträgers zugefugt werden, sind ebenfalls als Verwaltungsausgaben vollständig vom eigentlichen Aufgabenträger zu übernehmen. Keine Ersatzverpflichtung besteht aber für direkte Schäden, die der Träger der aufgabenwahrnehmenden Behörde bei der Wahrnehmung der übertragenen Aufgabe erleidet, da hier erst durch die Schadensbeseitigung Ausgaben entstehen, die mit der Wahrnehmung der fremden Aufgabe unmittelbar nichts zu tun haben. Im Sechsten Kapitel wird näher darauf einzugehen sein, wie sich die Schadenslastenverteilung in unechten Haftungsfallen - ζ. B. bei Veruntreuungen - darstellt74.

B. Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsfallen In diesem Abschnitt soll versucht werden zu klären, inwieweit die oben für echte Haftungsfalle zwischen Bund und Ländern ermittelte Schadenslastenverteilung durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG modifiziert wird. Dies wird dadurch erschwert, daß bei Auslegung dieser Norm durchgängig nicht zwischen echten und unechten Haftungsfällen unterschieden wird und darüber hinaus nahezu alles umstritten ist 75 . Vor allem ist vorgebracht worden, daß eine unmittelbare Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vor Erlaß eines Ausführungsgesetzes nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nicht in Betracht käme, da sie die Länder zu einseitig belaste76, und daß der Wortlaut der Vorschrift Haftungsumfang und Haftungsmaßstab völlig offen lasse, insofern zu unbestimmt und in der Praxis nicht anwendungstauglich sei77. Hierauf stellt vor allem auch die Antragsbegründung des Landes Nordrhein-Westfalen im anhängigen, letztlich gegen das Urteil „Zivilschutz"78 gerichteten BundLänder-Streit vor dem BVerfG ab79. Beide Behauptungen setzen jedoch voraus, daß zunächst zumindest versucht worden ist, bei unterstellter Anwend74

Siehe hierzu: 6. Kap. C (S. 354 f.). Vgl. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1532; zu den verschiedenen Meinungen vgl. insbesondere Cremer, JuS 1996, S. 336 ff., und Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 514 f. 76 Erichsen, Zur Haftung, S. 52; Saipa, DVB1 1974, S. 189 f.; Schulze, DÖV 1972, S. 413 ff. 77 Erichsen, Zur Haftung, S. 10 ff.; F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 106 f. 78 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 7 Siehe hiezu: . Kap. (S. 4). 75

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

barkeit der Vorschrift ihre Konturen im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung ihrer Systematik, ihrer Entstehungsgeschichte und auch ihres Sinns und Zwecks zu bestimmen. Einerseits nimmt die Auslegungsfähigkeit und Auslegungsbedürftigkeit einer Norm ihr im Regelfall nicht die erforderliche Bestimmtheit80, andererseits kann die Frage der Beeinträchtigung von Länderinteressen nicht beurteilt werden, bevor geklärt ist, ob überhaupt die Gefahr der Beeinträchtigung von Länderinteressen besteht. Hier soll zunächst untersucht werden, welche Rechtsfolge Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei echten Haftungsfällen zukommen könnte (I). Dann ist zu klären, in welchen echten Haftungsfallen die Vorschrift überhaupt zur Anwendung kommen kann (II). Insofern ist nur unumstritten, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG jedenfalls eine Haftung für Steuermindereinnahmen begründen soll81. I. Rechtsfolge des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsfällen a) Diejenigen Autoren, welche die Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG wegen Unbestimmtheit für nicht unmittelbar anwendbar halten, haben regelmäßig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Begriff der Haftung im juristischen Sprachgebrauch alles andere als eindeutig sei. Klargestellt werde dadurch nur, daß jemand für etwas einstehen müsse, wobei sich jedoch aus dem Begriff Haftung selbst nicht entnehmen lasse, welcher Art dieses Einstehen sei, wie also gehaftet werde82. Jedoch bestimmt sich die Bedeutung eines Begriffs regelmäßig nicht allein aus sich heraus, sondern auch aus dem Zusammenhang, in dem er steht. Da Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG Teil der Vorschrift ist, die sich mit der Lastenverteilung im Bund-LänderVerhältnis befaßt, läßt sich aus der systematischen Stellung der Norm herleiten, daß es sich auch hier um eine Lastenverteilungsvorschrift handelt83. Dies

80

So in diesem Zusammenhang auch: BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 54) - ,3AföG", siehe hierzu: 4. Kap. Β I V (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 81 Die Aufhebung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. durch das Finanzreformgesetz wurde im Gesetzgebungsverfahren damit begründet, daß diese Vorschrift neben der allgemeinen Haftungsvorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gegenstandslos sei: Troeger-Gutachten, Teil C I 4, Tz. 215, siehe hierzu: 4. Kap. B l a (S. 213 ff.). Vgl. auch: Erichsen, Zur Haftung, S. 27 f.; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 42, Art. 108 Rn. 14; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 89; Luther, Die Lastenverteilung, S. 134. 82 So vor allem Erichsen, Zur Haftung, S. 11 ff. m. w. N. zu den unterschiedlichen Haftungsbegriffen im Zivilrecht. Siehe auch: Schulze, DÖV 1972, S. 410; F. Kirchhof, NVwZ 1994, S. 106. 83 So deutlich auch: Luther, Die Lasten Verteilung, S. 134; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 61.

Β. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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wird besonders dadurch verdeutlicht, daß nur eine „Haftung im Verhältnis zueinander" angeordnet wird, also nur die Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern, nicht aber zu Dritten geregelt werden sollen84. Da Lastenverteilungsvorschriften nur Finanzierungs- und keine Verwaltungszuständigkeiten begründen, kann „Haftung" nur „finanzielles Einstehenmüssen", keine Verpflichtung zur Naturalrestitution bedeuten85, zumal eine Verpflichtung von Bund und Ländern, bestehende Schadensquellen abzustellen (nicht bereits entstandene Schäden zu beseitigen), schon aus allgemeinen Grundsätzen (wie dem Prinzip der Bundestreue und der allgemeinen Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG) herleitbar ist und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden kann, etwa im Wege der Aufsicht nach Art. 84 Abs. 4, Art. 85 Abs. 4 GG oder im Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG86. Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG kann darüber hinaus gefolgert werden, daß diese Finanzierungspflicht nicht den Charakter einer Sanktion haben soll, die ohne Rücksicht auf die der anderen Seite entstehenden Mehrkosten eintreten soll: Nur ein solcher Verstoß gegen die Pflicht ordnungsmäßiger Verwaltung sollte eine Finanzierungspflicht im Bund-Länder-Verhältnis begründen, aufgrund dessen einem Land durch den Bund oder dem Bund durch ein Land ein Schaden zugefugt worden ist. Für echte Haftungsfälle bedeutet dies, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eine Finanzierungszuständigkeit des Schädigers zum Schadensausgleich begründet, unabhängig davon, ob es sich um direkte oder indirekte Schädigungen handelt. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG stellt damit bei echten Haftungsfällen eine Ausnahme vom Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG dar, welche die Pflicht, bestimmte Kosten zu tragen, nicht an die Wahrnehmung der unmittelbar kostenverursachenden Funktionen knüpft, sondern an ihre Veranlassung. Es handelt sich hierbei um eine Art Sonderlastenausgleich, der auch vom Geschädigten (gerichtlich) durchgesetzt werden kann87. b) Die Reichweite dieses Sonderlastenausgleichs ist jedoch nicht eindeutig. Insbesondere ist unklar, ob aufgrund der Haftungsvorschrift auch Verwal84

Mehr läßt sich der Rechtsfolgenanordnung „im Verhältnis zueinander" nicht entnehmen. Die Überlegung Erichsens, daß man diesen Worten auch entnehmen könne, daß eine Haftung nur innerhalb selbständiger Verantwortungsbereiche möglich sei (Zur Haftung, S. 16), ist nicht recht nachvollziehbar. 85 Cremer, JuS 1996, S. 337 f.; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 195; Rudisile, DÖV 1985, S. 916; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 163. 86 Dies übersieht Storr (in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 288), wenn er annimmt, daß sich aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch ein Anspruch auf Naturalrestitution - ζ. B. auf Rücknahme oder Widerruf eines Verwaltungsakts - ergeben müsse, um den Geschädigten wirkungsvoll zu schützen. 87 Siehe hieizu: 1. Kap. Α Π 1 a (S. 41 f.).

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

tungsausgaben ersetzt werden können. Der Wortlaut legt dies nahe. Dennoch war man während der Staatshaftungsreform davon ausgegangen, daß das Verbot der Verwaltungsausgabenerstattung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG der Finanzierungszuständigkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorgehe88. Auch gewisse Ausführungen des BVerwG im Urteil „Kraftfahrzeugbundesamt" gehen in diese Richtung: Es hob hervor, daß es sich bei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG um nicht mehr als um eine Ergänzung des ersten Halbsatzes handele89, verstand also die Haftungsvorschrift als bloße Konkretisierung des Verwaltungskostenerstattungsverbots. Wie bereits erwähnt, ist jedoch schon vom Wortlaut her diese Reduzierung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu einer bloßen Klarstellung des Begriffs Verwaltungsausgaben nicht zwingend: Die Verknüpfung der beiden Regelungen durch „und" kann auch bedeuten, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eine eigene, zusätzliche Regelung trifft 90 . Die Annahme eines Vorranges des Verwaltungskostenerstattungsverbots widerspricht zudem dem Willen des Gesetzgebers: Zwar deutet tatsächlich die Begründung der Troeger-Kommission auf eine solche Auslegung hin. Es wurde aber schon gezeigt, daß der entsprechende Passus in der Gesetzesbegründung in sich widersprüchlich ist und daß die Troeger-Kommission den Unterschied zwischen echten und unechten Haftungsfällen nicht berücksichtigt hatte91: Durch eine Bestimmung, welche die durch fehlerhafte Verwaltung entstehenden Kosten den Verwaltungsausgaben zuordnet, jedoch hinsichtlich der Ausgabelast bezüglich dieser Verwaltungskosten keine vom Konnexitätsprinzip i. e. S. abweichende Bestimmung trifft, kann etwa keine Haftung für Steuermindereinnahmen begründet werden92, die aber durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ebenfalls angeordnet werden sollte. Geht man indes davon aus, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eine Haftung für Steuermindereinnahmen begründet, schafft man damit auch die Voraussetzung für eine Erstattung von Verwaltungsausgaben: Der durch die Haftungsvorschrift ermöglichte Sonderlastenausgleich ist nicht zweckgebunden, kann also vom Geschädigten für alle diejenigen Zwecke verwendet werden, für die er die Wahrnehmungskompetenz besitzt - also auch zur Deckung von Verwaltungsausgaben. Dies ist in sonstigen echten Haftungsfällen nicht anders: Anlaß für einen Schadensausgleich mag eine auf ein Fehlverhalten des Schädigers zurückzuführende Erhöhung von Verwaltungsausgaben oder Zweckausgaben des Geschädigten sein - wofür der Geschädigte

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Siehe hierzu: 4. Kap. B m b (S. 224 f.). BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (S. 475) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV e (S. 231). 90 Erichsen , Zur Haftung, S. 14 f. 91 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a (S. 213ff. ). 92 Siehe hierzu: 5. Kap. A I 3 (S. 257 f.). 89

. e t s l e

des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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die Ausgleichsleistung verwendet, ist jedoch allein seine Sache; er ist dem Schädiger insofern keine Rechenschaft schuldig93. Somit ist davon auszugehen, daß nicht der erste Halbsatz des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG dem zweiten Halbsatz vorgeht, sondern daß der zweite Halbsatz - als lex specialis gegenüber dem ersten Halbsatz - auch den Ersatz von Verwaltungsausgaben ermöglicht94. c) Welche Schäden im einzelnen ersatzfähig sind, bedarf aber noch weiterer Konkretisierung: Wenn nicht jeder Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung eine Finanzierungspflicht begründen soll, sondern nur deijenige, durch den der „anderen Seite" Vermögensverluste oder Mehrkosten entstehen, setzt dies einen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Pflicht zu ordnungsmäßiger Verwaltung und den Mehrkosten bzw. Vermögensverlusten voraus. Um diesen Zusammenhang zu bestimmen, wird man auf die fur das zivilrechtliche Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze zur haftungsbegründenden und hafiungsausfüllenden Kausalität zurückgreifen können. Insbesondere könnten hier der Adäquanztheorie, der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang, der Schutzzwecklehre, den Grundsätzen der überholenden Kausalität und denen des rechtmäßigen Alternatiwerhaltens Bedeutung zukommen95. Sie können insofern als allgemeine Rechtsgrundsätze verstanden werden96. Dies soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden: In der Praxis wird sich weniger die Frage stellen, ob ein bestimmter Schaden, für das nachweislich ein bestimmtes Verhalten im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich ist, tatsächlich auch rechtlich dem Schädiger zuzurechnen ist. Problematisch wird eher sein zu bestimmen, ob überhaupt eine Kausalität zwischen einem bestimmten Verstoß gegen die Pflicht ordnungsmäßiger Verwaltung und einem Schaden besteht. Jedenfalls im gerichtlichen Verfahren hilft jedoch § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO weiter: Diese Vorschrift räumt dem Gericht eine Schätzungsbefügnis ein, wenn zwischen den Beteiligten eines Prozesses streitig ist, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich dieser Schaden beläuft. Anerkanntermaßen gilt diese Schätzungsbefugnis auch für die Frage der Kausalität zwischen pflichtwidrigem Handeln und Schaden, obwohl das Entstehen eines Schadens an sich noch zum 93

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 a (S. 41 f.). In diese Richtung auch: BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 52) - ,3AföG", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242); F. Kirchhof, NVwZ 1994, S. 108; Luther, Die Lastenverteilung, S. 136; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 62 Fußn. 193. 95 Ob und inwieweit die genannten Kriterien auch bei der haftungsbegründenden und nicht nur bei der hafiungsausfüllenden Kausalität eine Rolle spielen, ist im einzelnen umstritten. Siehe hierzu nur: Lange, Schadensersatz (2. Aufl. 1990), § 3 und § 4, 5. 74 ff. 96 So auch: Rudisile, DÖV 1985, S. 916; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 172. 94

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

grundsätzlich vom Geschädigten zu beweisenden - haftungsbegründenden Verhalten gehört97. Wenn man mit dem BVerwG davon ausgeht, daß Streitigkeiten um Schadensersatzverpflichtungen auf Grundlage des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verwaltungsrechtliche Streitigkeiten sind98, so ergibt sich die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auch im Verwaltungsprozeß aus § 173 VwGO99. Hält man solche Streitigkeiten für verfassungsrechtliche Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG 100 , ist die analoge Anwendung des § 287 ZPO ebenfalls nicht ausgeschlossen. Insofern ist allgemein anerkannt, daß bei Lückenhaftigkeit des BVerfGG auf die Vorschriften des allgemeinen Prozeßrechts zurückgegriffen werden kann 101 . d) Steht fest, daß bestimmte Schäden in zurechenbarer Weise durch ordnungswidrige Verwaltung verursacht wurden, ist der genaue Haftungsumfang zu bestimmen. Dieser dürfte auf den Ersatz der sog. unmittelbaren Schäden (Objektschäden) zu begrenzen sein. Zu erstatten wären dann nur die Ausgaben und Vermögensverluste, die durch die Schädigung (Vermögensminderung) oder die Schadensbeseitigung (Reparaturkosten) unmittelbar selbst entstanden sind (vgl. § 249 BGB). Der Ersatz der sog. mittelbaren Schäden oder Vermögensfolgeschäden, wie ζ. B. der Ersatz des entgangenen Gewinns (vgl. § 252 BGB) und insbesondere von Zinsverlusten, wäre dann ausgeschlossen. Ohne eine solche Begrenzung könnten sich einmal aufgetretene Haftungsfälle gleichsam in die Zukunft verlängern - dies erscheint nicht als wünschenswert, da die Finanzierungspflicht des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in vieler Hinsicht atypisch für die Lastenverteilungsregeln des Grundgesetzes ist, vor allem weil sie Finanzierungszuständigkeiten der Länder gegenüber dem Bund begründet; sie „stört" das reguläre Lastenverteilungssystem102. Systematisch steht eine einschränkende Auslegung mit der Struktur der übrigen Lastenverteilungsvorschriften in Einklang: So knüpft Art. 104a Abs. 1 GG an die unmittelbar kostenverursachenden Funktionen an 103 ; Art. 104a Abs. 2 und 3 GG beschränken die Finanzierungszuständigkeiten des Bundes auf die Zweckausgaben, also auf die Ausgaben, die im Gegensatz zu den Verwaltungsausgaben unmittelbar durch die Wahrnehmung der Bundesauftragsangelegenheiten oder den Vollzug von Geldleistungsgesetzen veranlaßt werden 104. Problematisch an der hier vorgeschlagenen Begrenzung der Einstandspflicht 97

Vgl. ζ. B. BGHZ 53, S. 48 ff. (S. 53); BGHZ 93, 351, 355. Siehe hierzu: 4. Kap. Β V a (S. 233 f.). 99 BVerwG, BayVBl 1988, S. 26 f. (S. 27). 100 Siehe hierzu: 4. Kap. Β V b (S. 234) und 5. Kap. C Π 5 (S. 315 f.). 101 BVerfGE 1, 108 (110 f.). 102 So auch F. Kirchhof,\ Empfehlen sich Maßnahmen, S. D 33 f. 103 Siehe hierzu: 5. Kap. A I 1 a (S. 258 f.). 104 Siehe hierzu: 5. Kap. A 14 c (S. 260 IT.). 98

Β. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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auf unmittelbare Schadensfolgen ist allerdings, daß die Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schäden alles andere als trennscharf ist. Zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schäden wird aber ζ. B. auch im Zivilrecht unterschieden; diese Unterscheidung liegt etwa § 249 und § 253 BGB oder § 52 und § 53 W G zugrunde, ohne daß sich die Abgrenzung bisher als völlig unmöglich und damit die Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schäden als völlig unpraktikabel erwiesen hätte105. Der hier vorgeschlagenen Begrenzung des Hafltungsumfangs auf unmittelbare Schäden scheint auch das BVerwG zuzuneigen: Im Urteil „BAföG" 106 hat es dem Bund die geltend gemachten Zinsen nicht zugesprochen, da es keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts zur Zahlung von Verzugszinsen gebe. Es zog nicht in Erwägung, daß sich ein Anspruch auf die Zinsen in der geltend gemachten Höhe auch unter dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinns unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG selbst ergeben könnte. Ebenso stillschweigend wurde der Ersatz mittelbarer Schäden aufgrund von Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Urteil „Tilgungsraten" 107 abgelehnt: Das BVerwG untersuchte hier nur, ob sich ein Anspruch des Bundes auf Ersatz seines durch die verspätete Zahlung des Landes verursachten Zinsverlustes aus § 286 Abs. 1 BGB analog ergeben könnte, und ging auf Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gar nicht ein, auf den sich jedoch der Bund ausdrücklich berufen hatte. Weiter kann der Haftungsumfang dagegen nicht eingeschränkt werden: Da Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG keine Einschränkung im Sinne einer Quote oder einer summenmäßigen Begrenzung oder auch nur einer Beschränkung auf die Kosten einer Schadensbeseitigung zu entnehmen ist, läßt dies nur den Schluß zu, daß alle durch eine Schädigung hervorgerufenen unmittelbaren Vermögensminderungen abzugleichen sind. Es besteht kein Raum für eine einschränkende Auslegung dahingehend, daß nur eine angemessene Entschädigung, ein Billigkeitsausgleich geschuldet oder nur eine Pflicht des Schädigers begründet wird, Ersatzansprüche gegen seine Amtswalter geltend zu machen und das Erlangte an den Geschädigten abzuführen 108. Auch eine generelle Begrenzung des Haftungsumfangs auf bestimmte Höchstbeträge ist ausgeschlossen109, da sie der Vorschrift selbst nicht zu entnehmen ist. Dies zeigt 105 Siehe hierzu auch: Esser/Schmidt, Schuldrecht - Band I: Allgemeiner Teil Teilband 2 (7. Aufl. 1993), § 34 I 2., S. 244; Lange, Schadensersatz, § 2 ΠΙ, S. 61 ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 835, 850. 106 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 59) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 107 BVerwG, BayVBl 1987, S. 23 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 c (S. 194). 108 Dies halten F. Kirchhof (NVwZ 1994, S. 106) und Schulze (DÖV 1972, S. 410) für möglich. 109 So auch: BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 176.

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

auch ein Vergleich mit den übrigen Lastenverteilungsregeln des Grundgesetzes: Keine Finanzierungspflicht enthält eine Begrenzung auf bestimmte Höchstbeträge; sind sie auf einen bestimmten Anteil beschränkt, ist dies ausdrücklich festgeschrieben 110. Auch ein Vorbehalt der Finanzierbarkeit ist den anderen Finanzierungspflichten des Grundgesetzes unbekannt, so daß eine Ausnahme bezüglich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG jedenfalls nicht nahe liegt. e) Fraglich ist auch, ob die Finanzierungspflicht des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG durch ein Mitverschulden des Geschädigten entsprechend § 254 BGB ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann. Entsprechendes sah § 3 des Referentenentwurfes zu einem Verwaltungshaftungsgesetz vor 111 . In der Entwurfsbegründung wurde hervorgehoben, daß es sich bei der Vorschrift um einen allgemeinen Rechtsgedanken handele112. Auch das BVerwG hielt im Urteil „Zivilschutz"113, der Literatur folgend 114, eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB für zulässig und geboten. Dagegen spricht jedoch die Rechtsnatur des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als Lastenverteilungsvorschrift: Wenn die Lastenverteilungsregeln des Grundgesetzes Finanzierungspflichten in Abweichung von Art. 104a Abs. 1 GG begründen, knüpfen sie durchgehend allein an den Leistungsverpflichteteten, nicht an den Finanzierungsempfänger an. Bei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist dies nicht anders: Es ist nicht ersichtlich, warum allein hier ein Verhalten des Finanzierungsempfängers den Umfang und die Reichweite einer Finanzierungszuständigkeit beeinflussen können sollte115.

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Vgl. z. B. Art. 91a Abs. 4 Satz 1 GG: Der Bund trägt die Hälfte der Ausgaben. Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π a (S. 216 f.). 112 Entwurfsbegründung, S. 14. 113 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 993) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 114 Rudisile, DÖV 1985, S. 916; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 167 und 173; ähnlich auch Kummer, Die Haftung der Länder, S. 188. 115 Im übrigen ergibt sich die Nichtanwendbarkeit des Rechtsgedankens des § 254 BGB schon daraus, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nur eine Haftung für Lenkungsversagen auf Regierungs- und Parlamentsebene begründet (siehe hierzu: 5. Kap. C Π 4 [S. 307 ff.]), das BVerwG im Urteil „Zivilschutz" (NVwZ 1995, S. 991 ff. [S. 993], siehe hierzu: 4. Kap. Β IV [S. 228 ff.] und C I e [S. 242]) jedoch einem Mitverschulden schon bei vorsätzlichem Handeln des schädigenden Amtswalters des Geschädigtem bei der Abwägungsentscheidung nach § 254 BGB jede Bedeutung absprach. 111

Β. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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II. Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in echten Haftungsfällen a) Der Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG wurde vom BVerwG, vom Referentenentwurf zum Verwaltungshaftungsgesetz und auch in der Literatur aus den verschiedensten Gründen unterschiedlich weit gezogen. Insbesondere bei echten Haftungsfällen ist nur die Haftung für Steuermindereinnahmen unbestritten116. Dementsprechend wird teilweise davon ausgegangen, daß eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nur in Betracht käme, wenn es letztlich um Vermögensverwaltung ginge. Dann wäre der Anwendungsbereich der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift schon dem Wortlaut nach auf die unechten Haftungsfälle und die Fälle nachlässiger Steuerverwaltung beschränkt. Um dies zu begründen, hat Rudisile auf den Umstand hingewiesen, daß sich das Begriffspaar „ordnungsmäßige Verwaltung" häufig in zivilrechtlichen Vorschriften 117 zur Umschreibung einer Pflicht zur korrekten Verwaltung fremden Vermögens findet118. Daher sei der Begriff „Verwaltung" des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im zivilrechtlichen Sinne zu verstehen, „Verwaltung" bedeute also im wesentlichen Vermögensverwaltung 119. Rudisile ist insofern zuzugeben, daß tatsächlich nicht auszuschließen ist, daß die Haftungsvorschrift des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. GG bewußt in Anlehnung an die zivilrechtlichen Vorschriften formuliert worden war, weil die Tätigkeit des steuerverwaltenden Hoheitsträgers gegenüber dem ertragszuständigen Hoheitsträger letztlich nichts anderes als Vermögensverwaltung darstellt. Dies läßt sich jedoch nicht klären, da Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. nie (schriftlich) begründet worden ist 120 . Jedenfalls ist ausgeschlossen, daß der Begriff „Verwaltung" auch in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG so verstanden und die Vorschrift in Anlehnung an das Zivilrecht ausgelegt werden sollte: Für die Fassung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG haben ersichtlich nicht die zivilrechtlichen Vorschriften zum Vorbild gedient. Die Vorschrift wurde vielmehr in Anlehnung an Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. GG formuliert. Eine Auslegung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. GG in Anlehnung an den zivilrechtlichen Ver-

116

Siehe hierzu: 5. Kap. Einl. zu B (S. 270 Fußn. 81). Siehe ζ. B. § 745 Abs. 1, § 1365 Abs. 2, § 1426, § 1435 Satz 1, § 1451, § 1472 Abs. 3, § 1649 Abs. 2 Satz 1, § 2038 Abs. 1 Satz 2, § 2120 Satz 1, § 2206 Abs. 1 Satz 1 BGB; § 21 Abs. 3 WEG. 118 Rudisile, DÖV 1985, S. 911. 119 So zum Begriff der Verwaltung im zivilrechtlichen Sinne auch Forsthojf, VerwR I, § 1, S. 2. 120 Siehe hierzu: 4. Kap. A 12 e (S. 189 f.). 117

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

waltungsbegriff ist aber nach dessen Inkrafttreten nie vertreten worden 121, so daß nicht angenommen werden kann, daß die möglicherweise „ursprüngliche" (jedenfalls in Vergessenheit geratene) Bedeutung des Begriffs „Verwaltung" in Art 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. GG auf die neue Vorschrift übertragen worden sei. In den Gesetzesmaterialien werden zudem die Fälle fehlerhafter „Vermögensverwaltung" zwar besonders hervorgehoben, dies aber immer lediglich beispielsweise. Der Entstehungsgeschichte ist nicht zu entnehmen, daß eine Haftung nur für fehlerhafte Fremdmittelverwaltung im Sinne von „Vermögensverwaltung" begründet werden sollte122. Eine solche einschränkende Auslegung des Begriffs „Verwaltung" wird schließlich auch nicht vom Wortlaut des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gestützt. Wenn im Zivilrecht von ordnungsmäßiger Verwaltung gesprochen wird, wird regelmäßig erkennbar auf das konkrete Vermögen Bezug genommen, das verwaltet wird 123 . Eine solche Bezugnahme fehlt in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG; es wird - anders als bei Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F., der von Verwaltung „dieser Steuern" sprach - nur von Verwaltung schlechthin gesprochen. „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist somit nicht wie im Zivilrecht als „Vermögensverwaltung" zu verstehen, sondern als „öffentliche Verwaltung" Dies entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz, daß der Begriff „Verwaltung" im öffentlichen Recht eine andere Bedeutung hat als im Zivilrecht 124. Entstehungsgeschichte und Wortlaut legen demnach die Annahme nahe, daß auch außerhalb der Fälle fehlerhafter Fremdmittelbewirtschaftung eine Haftung durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG begründet wird 125 : So ging auch der Referentenentwurf zu einem Verwaltungshafitungsgesetz davon aus, daß bei allen Verwaltungsträgerschäden eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in Betracht käme126. b) Daraus folgt ζ. B. die Möglichkeit einer Haftung des Bundes gegenüber den Ländern für fehlerhafte Rechtsaufsicht, fehlerhafte Weisungen und fehlerhafte Verwaltungsvorschriften, soweit sie auf einem Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung beruhen127. Dies ist so auch vom BVerfG in 121

Nachweise bei Kummer, Die Haftung der Länder, S. 103 ff.; siehe auch: 5. Kap. C Π 4 b (S. 309 ff.). 122 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I (S. 213 ff.). 123 Vgl. ζ Β § 745 Abs. 1 BGB: Verwaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes; § 1365 Abs. 2 BGB: Verwaltung des eigenen Vermögens des Ehegatten; § 1426 BGB: Verwaltung des Gesamtgutes; § 2206 BGB: Verwaltung des Nachlasses etc. 124 So auch Rudisile, DÖV 1985, S. 911. 125 Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1534; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 171. 126 Entwurfsbegründung, S. 5 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). 127 So auch Luther (Die Lastenverteilung, S. 135 f.) und der Referentenentwurf zu einem Verwaltungshafungsgesetz (Entwurfsbegründung, S. 14 - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π c (S. 219).

Β. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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einem obiter dictum zu seinem Urteil vom 22. Mai 1990128 zu den Grenzen der Weisungsbefugnis des Bundes bei Bundesauftragsverwaltung gesehen worden. Dort heißt es: „Daß das Land eine Weisung, deren Inhalt es für rechtswidrig hält, ausführen muß und für den nach außen wirkenden Weisungsvollzug insoweit einzustehen hat, als es selbst als Beklagter gerichtlich in Anspruch zu nehmen ist, ist nur Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz, begründet darüber hinaus aber keine eigene Verantwortung des Landes für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung: Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür liegt beim zuständigen Bundesminister; die Pflicht, diefinanziellen Lasten hieraus letztendlich zu tragen, trifft den Bund (Art. 104a Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 GG)". 129

Der Verweis auf Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG kann sich in diesem Zusammenhang nur auf die Haftungsregelung des 2. Halbsatzes, nicht auf das Verwaltungskostenerstattungsverbot beziehen, was wohl bedeutet, daß das BVerfG hier von einer (unmittelbaren) Geltung der Haftungsvorschrift vor allem auch zu Lasten des Bundes bei fehlerhaften Weisungen ausgeht130. Daher ist es unzutreffend, wenn behauptet wird, daß die Haftungsregelung im wesentlichen nur eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund statuiere131. Je nachdem, wie streng der Begriff „Ordnungsmäßigkeit" gesehen wird, ist auch eine sehr strenge Haftung des Bundes gegenüber den Ländern denkbar. c) Der Referentenentwurf zu einem Verwaltungshaftungsgesetz ging darüber hinaus davon aus, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch bei fehlerhaft durchgeführter Amtshilfe und bei fehlerhafter „vereinbarter Auftragsverwaltung" eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis anordne132. Die Haftungsvorschrift würde demnach uneingeschränkt auch in echten Haftungsfällen bei Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG)' 33 , „kleinem" innerem Notstand (Art. 35 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG) 134 und bei in Grundgesetz nicht vorgesehener, nur auf einfachem Recht beruhender Wahrnehmung fremder Aufgaben 135 gelten. Jedoch handelt es sich bei diesen Haftungskonstellationen um 128

BVerfGE 81, S. 310 ff. BVerfGE 81, S. 310 ff. (S. 333). 130 Vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 100. 131 So aber Erichsen, Zur Haftung, S. 25; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 130. Auch Kummer übersieht diese Möglichkeit der Haftung des Bundes für fehlerhafte Steuerverwaltungsvorschriften (Die Haftung der Länder, S. 231). 132 Entwurfsbegründung, S. 8 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). Auch Achterberg (DVB1 1970, S. 126 f.), Hirschberger (Organleihe, S. 205), Pieroth (in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 13) und Schulze (DÖV 1972, S. 414) halten hier eine Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für möglich. 133 Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 1 (S. 262 ff). 134 Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 2 (S. 266 f.). Siehe hiezu: . Kap. Α Π (S. ). 129

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5. Kap.: Echte Hafngsflle zwischen Bund und Ländern

Sonderfälle: Hier fallen reguläre Zuständigkeitsverteilung und tatsächliche Aufgabenwahrnehmung auseinander. Es ist daher zu berücksichtigen, daß sich die Lastenverteilungsregeln des Grundgesetzes und damit auch die Haftungsvorschrift allein auf die „reguläre" Verwaltungskompetenzverteilung nach den Art. 83 ff. GG beziehen136 Dies zwingt zu einer differenzierenden Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, was am Beispiel der Amtshilfe erläutert werden soll: Nach Art. 104a Abs. 1 GG muß der Träger der ersuchenden Behörde gegenüber dem Träger der ersuchten Behörde alle unmittelbar durch die Amtshilfe entstehenden Mehrkosten einschließlich der Verwaltungsausgaben übernehmen137. Finanzverfassungsrechtlich wird die ersuchte Behörde demnach wie eine eigene Behörde des Trägers der ersuchenden Behörde behandelt, soweit ihr unmittelbar durch die Vornahme der Amtshilfe Ausgaben entstehen. Eine Haftung der ersuchten Behörde und ihres Trägers gegenüber dem Träger der ersuchenden Behörde fur eine ordnungsmäßige Durchführung der Amtshilfe kommt somit nicht in Betracht: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ordnet keine Haftung eigener Behörden gegenüber ihrem Träger an 138 . Ginge man davon aus, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch hier eingreifen würde, hinge im Einzelfall die Verwaltungsrisikoverteilung zwischen Bund und Ländern von der bloßen Zweckmäßigkeitserwägung ab, ob Amtshilfe in Anspruch genommen werden soll - dies wäre mit dem Kongruenzprinzip nicht zu vereinbaren 139. Andererseits ist eine Haftung des Trägers der ersuchten Behörde nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG möglich, wenn ordnungswidrigerweise die Vornahme der Amtshilfe überhaupt abgelehnt und damit gegen Art. 35 Abs. 1 GG verstoßen wird 140 . Hier bestehen (noch) gar keine Amtshilfebeziehungen zwischen dem Träger der ersuchten und dem der ersuchenden Behörde. Die ersuchte Behörde ist daher finanzverfassungsrechtlich auch nicht dem Träger der ersuchenden Behörde zuzurechnen. Schließlich ist eine Haftung des Trägers der ersuchenden Behörde gegenüber dem Träger der ersuchten Behörde nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in den Fällen möglich, in denen in Durchführung der Amtshilfe dem Träger der ersuchten Behörde Schäden entstehen, die nicht schon bereits nach Art. 104a Abs. 1 GG ersetzt werden müssen. Insofern besteht insbesondere eine Ersatzpflicht des Trägers der ersuchenden Behörde für in Durchführung der Amtshilfemaßnahmen erlittene direkte Schäden des Trägers der ersuchten Behörde, und 136

Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 1 a (S. 262 f.). Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 1 b und c (S. 263 ti). 138 In diese Richtung auch Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 72; Rudisile, DÖV 1985, S. 911 Fußn. 19. 139 Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 1 a (S. 262 f.). 140 So auch BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 172. 137

. e t s l e

des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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zwar selbst dann, wenn diese auf Fehlverhalten von Amtswaltern der ersuchten Behörde zurückzuführen sind 141 . Auch dies ist Folge des Umstands, daß die ersuchte Behörde finanzverfassungsrechtlich wie eine Behörde des Trägers der ersuchenden Behörde angesehen wird, so daß deren Fehlverhalten auch ordnungswidrige Verwaltung des Trägers der ersuchenden Behörde darstellen kann. Diese differenzierende Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist auch im Bereich der Art. 35 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 GG und bei der vom Grundgesetz nicht vorgesehenen Wahrnehmung fremder Aufgaben aufgrund einfacher Gesetze oder Verwaltungsvereinbarungen geboten. Soweit hier eine Haftung der tatsächlich aufgabenwahrnehmenden Stelle gegenüber dem eigentlichen Aufgabenträger ausgeschlossen wird, ist sie im Ergebnis auch weitgehend anerkannt142. d) Die Begründung des Referentenentwurfs zu einem Verwaltungshaftungsgesetz ging schließlich davon aus, daß bei Fiskalschäden eine Haftung nach der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift nicht in Betracht käme. Hier sollten allein die zivilrechtlichen Vorschriften bzw. die Vorschriften des allgemeinen Staatshaftungsrechts gelten. Nähere Ausführungen enthält die Entwurfsbegründung insoweit nicht 143 . Jedoch sind die Entwurfsverfasser hier offensichtlich Vogel und P. Kirchhof gefolgt, welche davon ausgehen, daß bei Fiskalschäden Bund und Ländern Amtshaftungsansprüche und Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff zustünden, so daß eine Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, welcher nur eine Lücke im bisherigen Haftungsrecht schließen sollte, nur neue, nicht gebotene Anspruchskonkurrenzen schafften, die das bereits bestehende Haftungssystem unterliefen würden und daher nicht geboten seien144. Mit derselben Argumentation kann auch die Anwendbarkeit der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift abgelehnt werden, wenn eine Haftung nach Zivilrecht in Betracht kommt 145 . Sie setzt jedoch zunächst voraus, daß tatsächlich die allgemeinen privat- und staatshaftungsrechtlichen Schadensersatzansprüche im Bund-Länder-Verhältnis gelten - was wegen Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG jedenfalls nicht selbstver141

Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π 1 d (S. 265). So etwa BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (S. 475) - JCraftfahrzeugbundesamt", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV e (S. 231); Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Rn. 42; Lodde, Rechtsfragen der Organleihe, S. 59; a. A. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 13 und Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 282 f. 143 Entwurfsbegründung, S. 8 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). 144 BK-Vogel/P. Kirchhof,\ Art. 104a Rn. 162. Ähnlich Waechter, Kommunalrecht, Rn. 230h, nach dem Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG lediglich eine Ergänzungsfunktion gegenüber dem Amtshaftungstatbestand habe. 145 So konsequent Saipa, DVB1 1974, S. 189. 142

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5. Kap.: Echte Haftungse zwischen Bund und Ländern

ständlich ist 146 . Aber selbst wenn man die Anwendbarkeit des „normalen Haftungsrechts" im Bund-Länder-Verhältnis akzeptiert, erweist sich die Auffassung von Vogel und P. Kirchhof letztlich als nicht stichhaltig: Daß eine andere oder neue (zusätzliche) Haftungsregel nicht geboten ist, hindert den Gesetzgeber zunächst nicht daran, trotzdem eine weitere Haftungsregel zu schaffen. Auch soll Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gerade den Besonderheiten im Bund-Länder-Verhältnis gerecht werden, und es ist nicht ungewöhnlich, daß innerhalb besonderer Rechtsbeziehungen besondere Haftungsvorschriften neben die allgemeinen Haftungsvorschriften treten oder diese ausschließen. Wegen des Spezialitätsverhältnisses zwischen Verwaltungsorganisationsrecht und dem allgemeinen Zivil- und Staatshaftungsrecht wäre auch die Annahme methodisch nur schwer zu begründen, daß die allgemeinen Regeln des Zivil- und Staatshaftungsrechts die spezielleren Regeln des Verwaltungsorganisationsrechts verdrängten. Deshalb müßten sich deutliche Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß die Haftungsvorschrift des Art. 104a GG weder bei privatrechtlichem Handeln noch in solchen Verhältnissen gelten soll, die dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger gleichen. Der Argumentation von Vogel und P. Kirchhof liegt insofern wohl eine Unterscheidung zwischen Außen- und Innenverhältnis zugrunde, wobei ihrer Ansicht nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG - als eine das interne Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelnde Lastenverteilungsvorschrift - nur im Innenverhältnis gilt. Dies würde in etwa der Unterscheidung zwischen beamtenrechtlicher Innenhaftung und der Außenhaftung des Staates nach den allgemeinen Staatshaftungsvorschriften entsprechen, und es spricht viel dafür, daß die Abgrenzung von Vogel und P. Kirchhof genau hier ihre Wurzel hat - zumal der BGH im Urteil „Pauschbetrag"147 ähnlich differenziert hatte. Es ist aber kein Grund dafür ersichtlich, die wegen § 839 BGB und Art. 80 EGBGB hinsichtlich der Beamtenhaftung zwingende Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis auf den Bereich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu übertragen. Auch sonst gelten die Lastenverteilungsvorschriften des Art. 104a GG unabhängig davon, ob Bund und Länder gleichsam im Innenverhältnis einen Verwaltungsverbund bilden, der gegenüber dem Bürger nach außen wie eine Einheit auftritt, oder sie sich als Vertreter widerstreitender Interessen gegenüberstehen148. Sie sind auch unabhängig davon anwendbar, ob im Einzelfall privat- oder öffentlich-rechtlich gehandelt wird 149 . 146

Im Ergebnis können sie zwischen Hoheitsträgern auch tatsächlich keine Anwendung finden - siehe hierzu: 8. Kap (S. 407 ff.). 147 BGHZ 24, S. 303 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A11 c (S. 172 ff.). 148 Vgl. BGHZ 98, S. 244 ff. (S. 254 f.) - Blindgänger", siehe hierzu: 4. Kap. A 11 h (S. 182 f.). 149 Stern, StR Π, § 47 Π 2, S. 1138. Siehe hierzu: 1. Kap. A I a (S. 32 f.) und Α Π 2 f (S. 59 f.).

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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Es müßte also zwingende Gründe dafür geben, eine Haftung entgegen dieser allgemeinen Systematik bei Fiskalschäden auszuschließen, die indes nicht erkennbar sind. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist also auch bei Fiskalschäden anwendbar150. Hiervon ging anscheinend auch das BVerwG im Urteil „Hinterlegung" 151 aus: Es prüfte nämlich, ob aufgrund des Fehlverhaltens des Geschäftsstellenbeamten des Amtsgerichts - Hinterlegungsstelle ordnungswidrige Verwaltung des Landes anzunehmen sei. Diese Prüfung macht deutlich, daß das BVerwG grundsätzlich Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Verhältnis zwischen dem Bund als hinterlegenden Schuldner und dem Amtsgericht als Hinterlegungsstelle für anwendbar hält - einem Verhältnis, das sich in nichts von einem entsprechenden Verhältnis zwischen einer beliebigen Privatperson als Hinterlegungsschuldner und der Hinterlegungsstelle unterscheidet.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG Geschriebene Tatbestandsvoraussetzung der Finanzierungspflicht des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist, daß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung verstoßen wird. Gehaftet werden kann also nur wegen Ausübung von „Verwaltung" (I). Haftungsmaßstab bildet die Frage der „Ordnungsmäßigkeit" der Ausübung der Verwaltung (II). Weitere Voraussetzung für die Haftung ist, daß „der Gegenseite" durch die ordnungswidrige Verwaltung ein Schaden entstanden ist. Wann dies vorliegt, ist jedoch bereits im zweiten Abschnitt dieses Kapitels dargestellt worden 152, so daß hierauf an dieser Stelle nicht erneut eingegangen werden muß. I. Tatbestandsmerkmal „Verwaltung" Bisher steht nur fest, daß dem Begriff „Verwaltung" in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht die Bedeutung des zivilrechtlichen Verwaltungsbegriffs und die ihm immanente Beschränkung auf Vermögensverwaltung zuzumessen ist 153 . Damit ist offen, welcher öffentlich-rechtliche Verwaltungsbegriff der Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zugrunde gelegt werden muß. In den Gesetzesmaterialien fehlt hierzu jede Aussage. Auch 150 In diese Richtung auch: Cremer, JuS 1996, S. 337 und Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 283. 151 BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 35 f.) - siehe hierzu: 4. Kap. Β I V c (S. 229 ff.). 152 Siehe hierzu 5. Kap. Β I b bis e (S. 271 ff.). 153 Siehe hierzu: 5. Kap. Β Π a (S. 277 f.).

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5. Kap.: Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

die sonstigen Artikel des Grundgesetzes, in denen das Wort „Verwaltung" und mit ihm verknüpfte Wortkombinationen verwendet werden, geben keinen Aufschluß154. Bevor hieraus geschlossen wird, daß dieses Tatbestandsmerkmal zu unbestimmt sei 155 , muß jedoch zunächst untersucht werden, ob sich nicht aus der Haftungsvorschrift selbst die maßgeblichen Kriterien für die Begriffsbestimmung herleiten lassen. 1. Für die Begriffsbestimmung

maßgebliche Kriterien

a) Aus der Rechtsnatur des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als Lastenverteilungsvorschrift läßt sich schließen, daß der Verwaltungsbegriflf in Zusammenhang mit der grundgesetzlichen Aufteilung der Verwaltungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu sehen ist: Art. 104a GG will die Ausgabenlasten zwischen Bund und Ländern verteilen; nicht dagegen sollen die Kostentragungspflichten zwischen den einzelnen Bundes- und Landesorganen geregelt werden. Daher ist es weder notwendig noch ausreichend, daß ein Verwaltungsorgan bzw. ein Organ der vollziehenden Gewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG gehandelt hat, so daß der Begriff „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht mit dem Begriff der Verwaltung im formellen Sinne 156 gleichzusetzen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein Schaden des Bundes auf die Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz durch ein Land bzw. ob der Schaden eines Landes auf die Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz durch den Bund zurückzuführen ist. Die Frage, ob eine Verwaltungskompetenz in Anspruch genommen wurde, ist auch von der Frage zu trennen, ob sich die Maßnahme, die durch Inanspruchnahme einer Verwaltungs- oder sonstigen Kompetenz verwirklicht werden soll, materiell als Verwaltungsmaßnahme darstellt. Letzteres ist ein Problem der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, die allenfalls für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Ordnungsmäßigkeit" Bedeutung haben kann. Auch die von der Literatur vorgeschlagenen Definitionen eines Begriffs der materiellen Verwaltung 157 können daher nicht zur Auslegung des Begriffs „Verwal154

Art. 12a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2; Art. 23 Abs. 5 Satz 2; Art. 35 Abs. 2 Satz 2; Art. 44 Abs. 3; Art. 50; Art. 59 Abs. 2 Satz 2; Art. 84 Abs. 1 und 2; Art. 85 Abs. 2; Art. 91 Abs. 1; Art. 95 Abs. 1; Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1; Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3; Art. 115c Abs. 3; 127; Art. 129 Abs. 1; Art. 130 Abs. 1; Art. 133; Art. 134 Abs. 2 Satz 1; Art. 135 Abs. 2; Art. 135a Abs. 1 Nr. 3; Art. 143a Abs. 3 Satz 2 GG. 155 So F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 106. 156 Dieser Begriff meint die gesamte von den Verwaltungsbehörden ausgeübte Tätigkeit ohne Rücksicht darauf, ob sie materiell verwaltender Art ist oder nicht: Wolff/ Bachof/Stober, VerwR I, § 2 Rn. 30. 157 Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 2 Rn. 2 ff.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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tung" in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG herangezogen werden: Diese Definitionen versuchen nur zu umschreiben, ob materiell eine Verwaltungsmaßnahme vorliegt, nicht aber, ob eine bestimmte Maßnahme durch Inanspruchnahme einer Verwaltungskompetenz verwirklicht worden ist. b) Um zu ermitteln, ob „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorliegt, ist somit eine Kombination von formellen und materiellen Gesichtspunkten notwendig. Zunächst muß geklärt werden, auf welche Kompetenz eine bestimmte Maßnahme des Bundes oder eines Landes formell gestützt wurde. Hier scheiden schon alle diejenigen Exzesse einzelner Amtswalter aus, die sich überhaupt nicht mehr als Ausübung einer Kompetenz darstellen, nur bei Gelegenheit der Kompetenzausübung vorgenommen wurden und damit auch nicht mehr der Bundes- oder Landesverwaltung zugerechnet werden können. Für diese wird nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht gehaftet 158. Wann genau das Handeln eines Amtswalters seinem Dienstherrn/ Arbeitgeber nicht mehr zugerechnet werden kann, soll hier jedoch nicht näher erläutert werden; die reichhaltige Rechtsprechung des BGH zu der Frage, wann ein Amtswalter nicht mehr „in Ausübung eines öffentlichen Amtes" i. S. d. Art. 34 Satz 1 GG handelt159, bietet hier ausreichendes Anschauungsmaterial. Steht aber fest, daß eine bestimmte Maßnahme in Ausübung einer Kompetenz vorgenommen wurde und deshalb dem Bund oder einem Land grundsätzlich zuzurechnen ist, bleibt zu fragen, ob die betreffende Kompetenz materiell eine Verwaltungskompetenz ist. Dies setzt voraus, daß geklärt wird, wann eine Verwaltungskompetenz im Sinne des Grundgesetzes vorliegt. Hier kann dem materiellen Verwaltungsbegriff Bedeutung zukommen: Eine Verwaltungskompetenz liegt vor, wenn eine Kompetenz zu Verwaltungsmaßnahmen ermächtigt. Dies läßt sich aus der Sicht des Grundgesetzes, das prinzipiell von einer Dreiteilung der Staatsgewalt ausgeht, am ehesten negativ im Wege der Substraktionsmethode bestimmen160. Hiernach wird die vollziehende Funktion, die „Verwaltung" jedenfalls umfaßt, als der nach Abzug von Gesetzgebung und Rechtsprechung verbleibende Bereich staatlicher Tätigkeit umschrieben161. Teilweise werden auch noch Regierung, militärische Verteidigung und (rein) erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand aus dem Verwaltungsbegriff herausgenommen162, worauf näher einzu158

So auch BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 56 f.) - ,3AföG", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV d (S. 226 ff.). 159 Siehe hierzu: Soergel -Glaser, § 839 Rn. 86; RGRK-Kreft, § 839 Rn. 77; MünchKomm-Pap/er. § 839 Rn. 186 ff.; Palandt-77iomas, § 839 Rn. 10 ff. 160 Zu den Versuchen, einen „positiven" Verwaltungsbegriff zu entwickeln, siehe B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 4 1.2, S. 59 ff. Vgl. auch die eigene Begriffsbildung Beckers, a.a.O., § 6 2, S. 96. 161 Achterberg, Allg. VerwR, § 1 Rn. 8. 162 So ζ. B. Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 1 Rn. 9.

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

gehen sein wird. Jedoch zeigt sich bereits, daß die Gleichsetzung von „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG mit „Inanspruchnahme und Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz" ausschließt, die Verwendung öffentlich-rechtlicher Handlungsformen als Wesensmerkmal von „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu begreifen 163. 2. „ Verwaltung"

und Inanspruchnahme von Gesetzgebungskompetenzen

a) Verwaltung ist nicht Gesetzgebung. Deshalb wird keine Verwaltungskompetenz in Anspruch genommen, wenn eine Gesetzgebungskompetenz in Anspruch genommen wird. Dem entspricht, daß der Referentenentwurf zu einem Verwaltungshaftungsgesetz keine Haftung für legislatives Unrecht vorsah164 und bei den Beratungen zur Staatshaftungsreform zur Begründung einer Haftung für legislatives Unrecht eine Änderung des Art. 104a GG für notwendig gehalten wurde 165. Fraglich ist somit, wann aus der Sicht des Grundgesetzes eine Gesetzgebungskompetenz in Anspruch genommen wird. Dies läßt sich bei Parlamentsgesetzen eindeutig bestimmen: Eine Gesetzgebungskompetenz wird in Anspruch genommen, wenn zum Erlaß einer Maßnahme das hierfür im Grundgesetz und in den Landesverfassungen vorgesehene Gesetzgebungsverfahren eingehalten bzw. von dessen Einhaltung ausgegangen wird, da Gesetze ausschließlich auf dem hierfür angeordneten verfassungsrechtlichen Wege zustande kommen können166. Jedoch stellt sich nicht nur der Gesetzgebungsakt als solcher als Inanspruchnahme einer Gesetzgebungskompetenz dar: Vielmehr darf jeder Teilakt im Gesetzgebungsverfahren und darüber hinaus jede Vorbereitung eines Gesetzgebungsvorhabens zumindest im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht als „Verwaltung" angesehen werden - auch wenn man mit Bernd Becker die Vorbereitung von Gesetzesvorhaben an sich zur Verwaltung im materiellen Sinne zählt 167 . Ansonsten könnte die von Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ausdrücklich angeordnete Begrenzung der Einstandspflicht auf Verwaltungsmaßnahmen unter Berufung auf den materiellen Verwaltungsbegriff umgangen werden: Da nicht für legislatives Unrecht gehaftet werden soll, darf ζ. B. nicht aus dem Umstand eine Haftung hergeleitet werden, daß die Bundesregierung nach Art. 76 GG Gesetzesentwürfe einbringt oder Referentenentwürfe erstellt, die 163 So auch Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 283; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 171. Vgl. auch BVerwGE 102, S. 199 ff., S. 126. 164 Vgl. Entwurfsbegründung, S. 8 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). 165 Siehe hierzu: 4. Kap. Β ΠΙ b (S. 224 f.). 166 Achterberg, Allg. VerwR, § 7 Rn. 11; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 16. 167 B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 12 4, S. 173 und § 30, S. 514 ff.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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sich nach ihrer Verabschiedung durch das Parlament als für die Länder schädigend auswirken. b) Problematisch ist, ob auch Ermächtigungen zur exekutivischen Rechtsetzung durch Rechtsverordnungen und (autonome) Satzungen als Gesetzgebungskompetenzen i. S. d. Grundgesetzes angesehen werden können. Rechtsverordnungen und Satzungen haben einen ambivalenten Charakter: Sie sind wie Gesetze Rechtsnormen und sind dennoch Verwaltungsmaßnahmen168. Hier gibt die Stellung des Art. 80 GG über den Erlaß bundesrechtlicher Rechtsverordnungen im VII. Abschnitt des Grundgesetzes einen wichtigen Hinweis: Das Grundgesetz ordnet die Gesetzgebung im Verordnungswege damit der Bundesgesetzgebung zu und sieht sie nicht als im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes zu regelnde Maßnahme der „Ausführung von Bundesgesetzen und der Bundesverwaltung". Die sich hieraus ergebende Vermutung, daß das Grundgesetz exekutivische Rechtsetzung nicht als Verwaltung, sondern als Gesetzgebung, wenn auch natürlich nicht als förmliche Gesetzgebung ansieht, wird durch Art. 70 Abs. 1 GG bestätigt: Mit Gesetzgebung ist hier der Erlaß von Gesetzen im materiellen, nicht nur im formellen Sinn gemeint169. Andernfalls könnte durch den Erlaß von Satzungen und Rechtsverordnungen die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern umgangen werden. Dies wird zwar von der wohl herrschenden Meinung bestritten, nach der sich die Art. 70 ff. GG nur auf förmliche Gesetze beziehen und die allenfalls eine mittelbare Bindung des Verordnungs- und Satzungsgebers an die Art. 70 ff. GG über die Verordnungs- und Satzungsermächtigung annimmt170. Sie kann sich insoweit auf eine knappe, nicht näher begründete Äußerung des BVerfG in einem Urteil vom 15. Juli 1980171 stützen, nach der die Art. 70 bis Art. 75 nur den Erlaß förmlicher Gesetze betreffen und nicht die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erfassen. Abgesehen hiervon besteht jedoch kein Grund für die sehr komplizierte Konstruktion einer bloß mittelbaren Bindung des Verordnungs- und Satzungsgebers an die Art. 70 ff. GG: Daß die das Gesetzgebungsverfahren regelnden Art. 76 ff. GG nur formelle Gesetze meinen, zwingt jedenfalls nicht dazu, diese Auslegung auch auf die Art. 70 ff. GG zu übertragen - es ist weitgehend anerkannt, daß der Gesetzesbegriff im Grundgesetz nicht einheitlich gebraucht wird und es daher immer genau auf den Zusammenhang ankommt, in dem der

168

Maurer, Allg. VerwR, § 13 Rn. 1 f. AK-GG 2-Bothe, Vor Art. 70 Rn. 2 f; Kunig, in: von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar ΙΠ, Rn. 15; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 70 Rn. 2. 170 Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 100 Rn. 2. 171 BVerfGE 55, S. 7 ff. (S. 21). 169

288

5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Begriff „Gesetz" steht172. Auch um sicherzustellen, daß durch Bundesgesetz die Landesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden kann, ist es nicht notwendig, die Art. 70 ff. GG nur auf förmliche Gesetze zu beziehen173: Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, der diesen Fall ausdrücklich vorsieht, geht als Spezialvorschrift für Rechtsverordnungen den allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG vor. Hält man die genannten Anhaltspunkte für ausreichend, um festzustellen, daß der Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen keine „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG darstellt, können auch alle Vorbereitungsmaßnahmen zum Erlaß einer Rechtsverordnung oder Satzung keine „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sein - sonst bestände auch hier eine Umgehungsgefahr. Wann eine Verordnungs- oder Satzungsermächtigung in Anspruch genommen wird, läßt sich im übrigen klar bestimmen: Die entsprechenden Vorschriften enthalten eindeutige Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung den Willen verdeutlicht, eine Verordnung oder Satzung zu erlassen. Kennzeichnend ist hier vor allem die Art und Weise der Publikation und das Gremium, das eine Maßnahme verabschiedet174. c) Fraglich ist weiterhin, ob sich auch der Erlaß von Verwaltungsvorschriften als Inanspruchnahme einer Gesetzgebungskompetenz darstellt. Teilweise wird angenommen, daß auch dies Rechtsetzung sei175. Ob dies materiellrechtlich richtig ist, kann dahingestellt bleiben: Das Grundgesetz ordnet jedenfalls den Erlaß von Verwaltungsvorschriften dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes, also dem Abschnitt des Grundgesetzes zu, der hauptsächlich der vollziehenden Gewalt gewidmet ist (Art. 84 Abs. 2, Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG). Entsprechendes ergibt sich auch aus Art. 50 GG: Hiernach wirken die Länder durch den Bundesrat u. a. bei der Verwaltung des Bundes mit; damit ist auch die Mitwirkung des Bundesrates beim Erlaß der zustimmungspflichtigen Verwaltungsvorschriften gemeint (vgl. z. B. Art. 84 Abs. 2, Art. 85 Abs. 2 GG) 176 .

172

Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 70 Rn. 2 (Bearbeitung 1982); Ossenbühl, Gesetz und Recht - Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts - Band DI: Das Handeln des Staates (1988, zit. im folgenden: HdbStR ΠΙ), § 61 Rn. 10. 173 A.A. von Mangoldt/Klein/Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz - Band 8 (3. Aufl. 1996), Art. 70 Abs. 1 Rn. 120. 174 Vgl. Ossenbühl, Satzung, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR ΠΙ, § 66 Rn. 43; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 16; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 25 Rn. 42. 175 Vgl. Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung der Verwaltung, in: Isensee /P. Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 65 Rn. 30 ff.; ders. Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 6 Rn. 41. 176 BK-Blumewitz, Art. 50 Rn. 34 (Bearbeitung 1987); Stern, StR Π, § 27 IV 3 b, S. 150.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

289

3. „ Verwaltung " und Inanspruchnahme von Rechtsprechungskompetenzen a) Auch Rechtsprechungskompetenzen sind keine Verwaltungskompetenzen. Die bei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gebotene rein formelle Abgrenzung wird dadurch erleichtert, daß Art. 92 GG die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt ausschließlich den Gerichten zuweist. Damit ist von vornherein ausgeschlossen, daß eine Behörde, die kein Gericht ist, eine Rechtsprechungskompetenz wahrnimmt. Auch wenn ein „Nicht-Gericht" materiell gesehen rechtsprechend tätig wird, übt es deshalb aus der Sicht des Grundgesetzes (rechtsfehlerhaft) Verwaltungskompetenzen aus177. Nimmt dagegen ein Gericht Rechtsprechungsaufgaben wahr, ist eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ausgeschlossen. Dieser Ausschluß erstreckt sich - ähnlich wie bei der Inanspruchnahme von Gesetzgebungskompetenzen nicht nur auf den Rechtsprechungsakt selbst, sondern auch auf alle vorbereitenden Maßnahmen. Eine Haftung aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG kann also ζ. B. nicht damit begründet werden, daß ein Beweisbeschluß, eine Zeugenvernehmung oder eine sonstige Verfahrenshandlung fehlerhaft war, auf der eine Gerichtsentscheidung beruht 178. b) Problematisch ist jedoch, daß Art. 92 GG nicht bestimmt, daß alles, was Richter tun, Rechtsprechung ist 179 . Den Gerichten können auch Verwaltungsaufgaben übertragen werden. Dann muß jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG das gerichtliche Verfahren trotzdem mit allen verfassungsrechtlichen Garantien IX. Abschnitts des Grundgesetzes ausgestattet sein180. Damit eröffnet das BVerfG dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, den landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen in Abweichung von Art. 83 und Art. 84 GG zu regeln 181 - insbesondere auf die Rechtsaufsichtsrechte des Bundes nach den

177

Als Ausnahme kommen allenfalls die Fälle der Art. 10 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2, 84 Abs. 4 Satz 1 GG in Betracht, der auch eine Ausnahme zu Art. 92 GG darstellt (Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 73 Rn. 6). 178 Ähnlich BGHZ 50, S. 14 ff. (S. 16 f.), zu § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (Spruchrichterprivileg); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 7 4 b, S. 84 f. 179 Stern, StRII, §4315, S. 900. 180 BVerfGE 21, S. 139 ff. (S. 144 f.); BVerfGE 22, S. 49 ff. (S. 78).; BVerfGE 25, S. 336 ff. (S. 346); Broß, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar m, Art. 83 Rn. 22; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 92 Rn. 60 (Bearbeitung 1971); W. Meyer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art 92 Rn. 14. 181 Im Bereich der Bundesauftrags- und Bundeseigenverwaltung sind keine Zuweisungen an die Gerichte erkennbar. Vorstellbar wäre dies allein im Bereich der Prozeßkostenhilfe, wenn der Bund in Zukunft mehr als die Hälfte der hierdurch entstehenden Zweckausgaben übernehmen würde (Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG). 1

Stelkens

290

5. Kap. : Echte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern

Art. 84 Abs. 3 bis 5 GG zu verzichten 182. In diesen Fällen handelt es sich somit nicht mehr um „Verwaltung" i. S. d. VIII. Abschnitts des Grundgesetzes. Da Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als Lastenverteilungsvorschrift an die reguläre Zuständigkeitsverteilung nach den Art. 83 ff. GG anknüpft, ändert dies jedoch nichts daran, daß es sich bei diesen Kompetenzen aus der Sicht der Finanzverfassung weiterhin um Verwaltungskompetenzen handelt: Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern darf nicht dadurch manipuliert werden, daß bestimmte Verwaltungsaufgaben durch einfaches Gesetz den Gerichten zugewiesen werden 183. Nimmt ein Gericht eine ihm zugewiesene Kompetenz nicht ordnungsmäßig wahr, ist somit eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG möglich, wenn die wahrgenommene Kompetenz eine Verwaltungskompetenz ist. Hieibei ist zunächst auf das für maßgeblich erachtete Verfahren abzustellen und nicht darauf, ob die ergangene Entscheidung materiell „Rechtsprechung" oder „Verwaltung" ist. Dann ist zu fragen, ob dieses Verfahren für Rechtsprechungsaufgaben gedacht ist dann wird eine Rechtsprechungskompetenz in Anspruch genommen - oder für Verwaltungsaufgaben. Letztere Frage muß dabei am Maßstab der verschiedenen Begriffsbestimmungen dessen untersucht werden, was im Sinne des Grundgesetzes Rechtsprechung ist. Dies wirft in der Theorie erhebliche Schwierigkeiten auf 484 . In der Praxis ist dagegen weitgehend geklärt, welche gerichtlichen Kompetenzen materiell als Rechtsprechung und welche materiell als Verwaltung anzusehen sind. So können jedenfalls alle diejenigen Aufgaben, die in den Gerichten auch ausschließlich von nichtrichterlichen Personen (wie Geschäftstellenbeamten und Rechtspflegern) wahrgenommen werden können, nur in (u. U. rechtswidriger) Inanspruchnahme einer Verwaltungskompetenz ausgeübt werden (Art. 92 Halbsatz 1 GG). Dies betrifft vor allem alle diejenigen Angelegenheiten, die das Rechtspflegergesetz in Abweichung von ZPO und FGG den Rechtspflegern zuweist, soweit sie sich nicht als bloße Vorbereitung richterlicher Entscheidungen darstellen (§ 25 RpflG). Allgemein wird daher davon ausgegangen, daß die Vollstreckungsaufgaben der Gerichte, die Justizverwaltungsmaßnahmen, die Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Register-, Vormundschafts- und Nachlaßwesens Verwaltungsaufgaben sind 185 . Demgemäß ist zumindest grundsätzlich vorstellbar,

182

Ob es zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die Landesgerichte nach Art. 84 Abs. 1 GG eines zustimmungspflichtigen Gesetzes bedarf, müßte gesondert untersucht werden. 183 Vgl. hierzu: 5. Kap. Α Π 1 a (S. 262 f.). 184 Vgl. hierzu BVerfGE 22, S. 49 ff. (S. 73 ff.); BK-Achterberg, Art. 92 Rn. 134 ff. (Bearbeitung 1981); B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 12 3, S. 170 f.; Bettermann, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 73 Rn. 30 ff.; Stern, StR Π, § 43 I 3, S. 892 ff. 185 Stern, StR Π, § 53 I 5 a, S. 901 f.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

291

daß ein Land in einem mit dem Beispiel Nr. 25 186 vergleichbaren Fall gegenüber dem Bund nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für Fehler des Grundbuchamtes einstehen muß - und auch das BVerwG im Urteil „Hinterlegung"187 hat geprüft, ob eine Schädigung des Bundes durch den für die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts handelnden Geschäftsstellenbeamten ordnungswidrige Verwaltung darstellt und damit unterstellt, daß die Tätigkeit des Amtsgerichts als Hinterlegungsstelle „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sein kann. 4. „ Verwaltung " und Inanspruchnahme von Regierungskompetenzen a) Da die Staats- und Verwaltungsrechtslehre allgemein Verwaltung nicht mit „vollziehender Gewalt" gleichsetzt, sondern sie noch zumindest von der Regierung abgrenzt188, muß auch geklärt werden, ob die ordnungswidrige Wahrnehmung von Regierungskompetenzen eine Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ausschließt oder ob sie jedenfalls in diesem Sinne auch „Verwaltung" darstellen kann. Als Regierungskompetenzen werden allgemein die sogenannten staatsleitenden Funktionen angesehen. Wohl entscheidend für das Vorliegen eines Regierungsaktes ist, daß die Maßnahme gegenständlich auf den Verfassungsrechtskreis bezogen und daß sie nur locker rechtlich eingegrenzt ist, so daß eine gubernative Gestaltungsfreiheit besteht189. Es dürfte sich hierbei typischerweise - aber nicht nur - um Maßnahmen handeln, gegen die nach § 40 Abs. 1 VwGO wegen Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben ist 190 . Regierungskompetenzen sind demnach nicht nur der Regierung im institutionellen Sinne zugewiesen, sondern auf bundesrechtlicher Ebene zwischen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundespräsident und auf landesrechtlicher Ebene zwischen Landtag und Landesregierung geteilt191. Die Abgrenzung zwischen Regierung und Verwaltung wird auch hier teilweise nach der Substraktionsmethode vorgenommen: Verwaltung soll der Teil der

186

Siehe S. 90; Fall des Urteils „Gelöschte Hypothek" (RGZ 138, S. 114 ff.). BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 35 f.) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 229 ff.). 188 Siehe nur: Achterberg,, Allg. VerwR, § 8 Rn. 1 ff.; Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 1 Rn. 9; Stern, StR Π, § 41 I 3 c, S. 738. Α. Α. B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 12 4, S. 173, der jedoch zum Begriff der materiellen Verwaltung auch eine gesonderte Politikvorbereitungsfunktion der Verwaltung zählt, die im wesentlichen dem entspricht, was die übrigen Autoren als Regierungstätigkeit ansehen. 189 Stern, StR Π, § 39 Π 2, S. 686 f., und § 40 Π 3, S. 709. 190 Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (Stand April 1996), § 40 Rn. 158 ff. 191 Stern, StR Π, § 39 12 a, S. 680. 187

19*

292

5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

vollziehenden Gewalt sein, der nicht Regierung ist 192 . Hierdurch lassen sich aber unscharfe Randzonen nicht vermeiden193. b) Dennoch wird man die Unterscheidung zwischen der Inanspruchnahme von Regierungs- und von Verwaltungskompetenzen auch bei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG durchführen müssen. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Lastenverteilungsvorschrift, der Bund und Länder eben nur für die Ordnungsmäßigkeit ihrer Verwaltung haften läßt, nicht aber schlechthin für jede Maßnahme der vollziehenden Gewalt. Daß die Begriffe der Verwaltung und der vollziehenden Gewalt nicht deckungsgleich sind, war aber schon bei Erlaß der Haftungsvorschrift bekannt. So war durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956194 das Wort „Verwaltung" in Art. 1 Abs. 3 GG in seiner ursprünglichen Gestalt durch das Wort „vollziehende Gewalt" ersetzt worden, weil man die Grundrechtsbindung der Streitkräfte sicherstellen wollte 195 . Verfassungsrechtlich ist demnach klargestellt, daß Verwaltung allein nicht den Bereich exekutiver Tätigkeit erschöpft 196. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Haftungsvorschrift läßt sich entnehmen, daß die Verfassungsgeber allein das Problem fehlerhafter Wahrnehmung von Verwaltungskompetenzen vor Augen hatten; nur solche Fälle waren auch bisher vor die Gerichte gebracht worden. Eine Ausnahme bildete insofern lediglich das Urteil „Pauschbetrag"197 - hier war die Haftung aber gerade auch wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Arbeitsministers abgelehnt worden. Entscheidend ist aber letztlich der Umstand, daß schon der Ausschluß der Haftung für legislatives Unrecht dazu geführt hat, alle auf Gesetzgebungs- und Rechtsetzungsverfahren bezogenen Regierungsakte und sonstigen gesetzesvorbereitenden Maßnahmen der Verwaltung von der Haftung freizustellen. Bei sonstigen Regierungsakten die Möglichkeit einer Haftung anzunehmen, könnte daher zu Wertungswidersprüchen führen: So ist der Abschluß einer Verwaltungsvereinbarung nach Art. 104a Abs. 4 Satz 2 GG als Regierungsakt anzusehen, da die Verwaltungsvereinbarung hier gleichsam gesetzesvertretenden Charakter hat 198 , ihr also „staatsleitende Funktion" zukommt - die Bezeichnung „Verwaltungsvereinbarung" ändert hieran nichts. Es wäre aber gerade wegen des normersetzenden Charakters dieser Verwaltungsvereinbarun192

Achterberg, Allg. VerwR, § 8 Rn. 7. Schröder, Die Bereiche der Regierung und Verwaltung, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR m,§ 67 Rn. 30. 194 BGBl IS. 111. 195 Stern, StR Π, § 42 I 5 b, S. 853. 196 Stern, StR Π, § 39 ΠΙ1, S. 694. 197 BGHZ 24, S. 303 ff. (S. 306) - siehe hierzu: 4. Kap. A 1 1 c (S. 172 ff.). 198 Von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 46. 193

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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gen nicht nachvollziehbar, warum für ihren ordnungsmäßigen Abschluß oder Nicht-Abschluß gehaftet werden soll, nicht aber für den entsprechenden Erlaß eines Gesetzes199. Erkennt man dies an, stellt sich die weitere Frage, warum eine Haftung des Bundes und der Länder im Verhältnis untereinander für fehlerhafte Rahmenplanung nach Art. 91a GG in Betracht kommen soll, da die Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 4 GG und des Art. 91a GG sich überschneiden200, die Planung hier ebenfalls wie beim Abschluß von Verwaltungsvereinbarungen nach Art. 104a Abs. 4 GG auf Regierungsebene angesiedelt ist 201 und Art. 91a GG einen vergleichbar weiten (gubernativen) Gestaltungsspielraum bei der Rahmenplanung einräumt wie Art. 104a Abs. 4 GG beim Einsatz von Finanzhilfen 202. Genauso wenig wäre es systemgerecht, wenn für die ordnungsmäßige Wahrnehmung der Kompetenzen der Bundesregierung in der Europäischen Union nach Art. 23 GG gehaftet werden müßte, nicht aber für den Abschluß von nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zustimmungspflichtigen völkerrechtlichen Verträgen. c) Für die Annahme, Regierungsakte nicht als „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG anzusehen, sprechen also gewichtige Gründe. Andererseits darf diese Ausnahme auch nicht dazu führen, daß die Haftungsvorschrift konturenlos wird, etwa dadurch, daß eine Haftung ohne weiteres unter Berufung auf das angeblich Hochpolitische einer Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Der Charakter der Haftungsvorschrift als Lastenverteilungsvorschrift verlangt vielmehr nach klar faßbaren Kriterien, die letztlich auch hier formeller Natur sein müssen. Dies spricht zunächst dafür, von einem nicht zu einer Haftung führenden Regierungsakt nur dann auszugehen, wenn ein Verfassungsorgan des Bundes oder eines Landes bei Erlaß der entsprechenden Maßnahme beteiligt ist. Zwar können auch für das Staatsganze bedeutsame Angelegenheiten den Verwaltungsbehörden zugewiesen sein203. Jedoch wird dies schon dadurch berücksichtigt, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ohnehin keine Haftung für fehlerhafte Rechtsetzung und sie vorbereitende Tätigkeit und damit auch keine Haftung für fehlerhafte Rechtsverordnungen und Satzungen begründet204. Es besteht kein Bedürfnis, weitere Fälle lokaler Politik - welche sollten das sein? - als haftungsrechtlich exemt anzusehen. Insofern ist eine klare Abgrenzung zwischen Regierung und

199

Siehe hierzu: 6. Kap. Β 1 2 b (S. 339 ff.). Blümel, in: Isensee/P. Kirchhof HdbStR IV, § 101 Rn. 136. 201 Blümel, in: Isensee/P. Kirchhof HdbStR IV, § 101 Rn. 128.; Stern, StR Π, § 40 m 4, S. 717. 202 Siehe hierzu: 6. Kap. Β Π 2 (S. 348 f.). 203 Schröder, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR m, § 67 Rn. 30; Stern, StR Π, § 39 ΙΠ 2 a, S. 695. 204 Siehe hierzu: 5. Kap. C12 b (S. 287 ff.). 200

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5. Kap.: Echte H a f t u n g s e zwischen Bund und Ländern

Verwaltung möglich. Andererseits reicht allein der Umstand, daß ein Verfassungsorgan beim Erlaß einer Maßnahme beteiligt ist, nicht aus, um die Maßnahme als Regierungsmaßnahme zu kennzeichnen, da Verfassungsorgane auch fiir einfache Vollzugsangelegenheiten zuständig sind - wie schon die Art. 83 ff. GG zeigen. Dies betrifft gerade die Regierung im organisatorischen Sinn, also die Bundesregierung und die Landesregierungen, aber nicht nur: So ist auch der Bundesrat zur Mitwirkung an der Verwaltung des Bundes bestellt (Art. 50 GG), und auch der Bundestagsverwaltung sind Verwaltungsaufgaben übertragen, wie die Festsetzung der den Parteien zustehenden staatlichen Mittel nach § 19 PartG 205. Somit muß zwischen Regierungs- und Verwaltungskompetenzen der Verfassungsorgane unterschieden werden. Auch dies muß formell geschehen: Es kann nicht danach differenziert werden, ob eine Kompetenz eines Verfassungsorgans materiell zu Regierungs-, also letztlich staatsleitenden oder bloß zu verwaltenden Zwecken in Anspruch genommen wird. Zeichnet sich Regierung durch gubernative Gestaltungsfreiheit aus, läßt sich hier zunächst eine Abgrenzung dahingehend treffen, daß jedenfalls die Kompetenzen, die der bloßen Umsetzung gesetzgeberischer Entscheidungen dienen oder bei deren Wahrnehmung sonst enge Vorgaben zu berücksichtigen sind, keine Regierungs-, sondern Verwaltungskompetenzen sind. Dies gilt letztlich für alle im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes geregelten Kompetenzen von Bundesregierung, Bundesrat und Landesbehörden. Daß auch der Erlaß von Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen der Bundesregierung im Bereich der Art. 84 und Art. 85 GG hochpolitisch sein kann - wie vor allem der Bereich des Atom- und Steuerrechts zeigt - , ändert nichts daran, daß es sich der Sache nach um die bloße Umsetzung gesetzgeberischer Entscheidungen handelt; es fehlt der schöpferische Charakter regierender Tätigkeit. Nichts anderes gilt, wenn sonst verbindliche Vorgaben ohne auf das Staatsganze bezogenen Gestaltungsspielraum umgesetzt werden, wie dies ζ. B. bei der Ausführung von Rahmenplänen nach Art. 91a GG der Fall ist. d) Demgegenüber dürften - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zu den Regierungskompetenzen gezählt werden: - alle Kompetenzen des Parlaments und der Parlamentsverwaltung, soweit sie sich aus der Verfassung ergeben und keine Gesetzgebungskompetenzen sind; - alle Kompetenzen der Bundesregierung und des Bundespräsidenten im Verhältnis zum Bundestag und zu den übrigen obersten Verfassungsorganen sowie alle Kompetenzen der Landesregierung gegenüber dem Landtag und den übrigen Landesverfassungsorganen; 205 Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn. 156; a. A. wohl Stern, StR Π, § 39ΙΠ 2 a, S. 695.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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- die Kompetenz zur Formulierung der Richtlinien der Politik auf Bundesund Landesebene; - die Außenkompetenzen von Bundes- und Landesregierungen nach Art. 23, Art. 32 und Art. 59 GG, soweit nicht bloße Verwaltungsabkommen betroffen sind, die keinen normersetzenden Charakter haben; - die Entscheidung der Bundesregierung und der Landesregierungen, von den ihnen im inneren und äußeren Notstand zugewiesenen Kompetenzen Gebrauch zu machen (Art. 35 Abs. 2 und 3, Art. 87a Abs. 3 und 4, Art. 91, Art. 115a Abs. 1 Satz 2, Art. 115f und Art. 115i GG), nicht aber die Umsetzung dieser Entscheidungen im einzelnen; - der Abschluß von verfassungs- und staatsrechtlichen Verträgen und Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern oder zwischen Ländern untereinander, soweit sie normersetzenden Charakter haben und nicht nur an die Stelle von Verwaltungsvorschriften treten 206; - die Kompetenzen staatsleitender Planung, wie sie sich aus Art. 53a Abs. 2, Art. 91a Abs. 4, Art. 91b, Art. 104a Abs. 4, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, Art. 109 Abs. 3, Art. 110 GG und entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen ergeben207. Diese Aufzählung dürfte die meisten Fälle erfassen, in denen sich die Frage der Haftung zwischen Bund und Ländern durch Inanspruchnahme von Regierungskompetenzen überhaupt stellen kann. Sie dürfte auch deutlich machen, welche Ranghöhe eine Kompetenz haben muß, um als Regierungskompetenz angesehen werden zu können. Damit scheint auch die Abgrenzung zu den Verwaltungskompetenzen mit Hilfe der Substraktionsmethode praktisch durchführbar. 5. „ Verwaltung " und Inanspruchnahme von Kompetenzen militärischer Verteidigung Auch die mit der militärischen Verteidigung zusammenhängenden Kompetenzen werden teilweise nicht zu den Verwaltungskompetenzen gezählt, sondern sollen einen eigenständigen Teilbereich der vollziehenden Gewalt

206

Siehe hierzu: Achterberg, Allg. VerwR, §21 Rn. 277 ff.; Bonk, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 69 ff; Rudolf \ Kooperation im Bundesstaat, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 105 Rn. 49 ff. 207 Siehe hierzu: Stern, StR Π, § 40 ΠΙ 3, S. 715 ff.

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5. Kap. : Echte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern

darstellen208. Aus dem bereits erwähnten Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956209, welches das Wort „Verwaltung" in Art. 1 Abs. 3 GG durch das Wort „vollziehende Gewalt" ersetzte, um die Grundrechtsbindung der Streitkräfte sicherzustellen, schließt vor allem Stern, daß die Verfassung damit auch den Verwaltungscharakter der Streitkräfte verneint. Die Stellung des Art. 87a GG im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes sei nur darauf zurückzuführen, daß man einen neuen eigenen Abschnitt über die Streitkräfte nicht begründen wollte und den Artikel deshalb in die Nachbarschaft des jedenfalls Verwaltungskompetenzen begründenden Art. 87b GG stellen wollte. Auch in bezug auf die von den Streitkräften und die von den Verwaltungsorganen wahrzunehmenden Tätigkeiten sieht Stern maßgebliche Unterschiede, die es nicht erlaubten, die Streitkräfte zur Verwaltung zu zählen 210 . Ob diese Überlegungen tatsächlich zwingend eine Unterscheidimg zwischen Verwaltungskompetenzen und Kompetenzen der militärischen Verteidigung fordern, soll hier dahingestellt bleiben211. Jedenfalls in bezug auf die finanzverfassungsrechtliche Haftungsvorschrift ist kein Grund ersichtlich, eine die Länder schädigende nicht ordnungsmäßige Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr anders zu behandeln als die nicht ordnungsmäßige Wahrnehmung von „echten" Verwaltungskompetenzen. So unterscheiden sich die Schäden, welche die Streitkräfte in Friedenszeiten den Ländern zufügen können, nicht wesentlich von den entsprechenden Möglichkeiten des Bundesgrenzschutzes. Auch in Kriegszeiten trägt der Bund bei Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in bezug auf die Streitkräfte kein unzumutbares Risiko: Aufgrund von Art. 115c Abs. 3 GG, nach dem im Verteidigungsfall das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend vom X. Abschnitt des Grundgesetzes geregelt werden kann, kann auch durch einfaches Zustimmungsgesetz die Haftungsvorschrift eingeschränkt oder aufgehoben werden. Daß die Möglichkeit einer Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht zu einer Lähmung der militärischen Kommandogewalt führt, wird darüber hinaus schon dadurch berücksichtigt, daß die mit der militärischen Verteidigung zusammenhängenden Regierungskompetenzen wie sonstige Regierungskompetenzen von vornherein nicht unter den haftungsrechtlichen Verwaltungsbegriff fallen 212. Die einfache Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr nach Art. 87a GG ist somit als Verwaltung i. S. d. finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrift anzusehen. 208

Siehe ζ. B. Ehlers, in: Erichsen, Allg. VerwR, § 1 Rn. 9; Forsthojf, VerwR I, §1,S. 14. 209 BGBIIS. 111. 210 Stern, StR Π, § 42 I 5, S. 851 ff. 211 Offen auch bei F. Kirchhof, Bundeswehr, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR ΠΙ, § 78 Rn. 5 f. 212 Siehe hierzu: 5. Kap. C 14 d (S. 294 f.).

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

6. „ Verwaltung " und erwerbswirtschaftliche

297

Betätigung

Von der wohl herrschenden Meinung wird neben den Regierungskompetenzen und den Kompetenzen der militärischen Verteidigung auch der gesamte Bereich der (rein) erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Bundes, der Länder und der Gemeinden aus dem Begriff der Verwaltung herausgenommen213. Begründet wird dies vor allem damit, daß andernfalls wegen Art. 30 GG die umfangreiche erwerbswirtschaftliche Betätigung des Bundes größtenteils als unzulässig angesehen werden müßte, vor Inkrafttreten des Grundgesetzes die Befugnis des Reichs zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung jedoch allgemein anerkannt war, so daß nicht angenommen werden könne, daß das Grundgesetz dies (stillschweigend) ändern wollte 214 . Wie vor allem Lerche und Ronellenfitsch dargelegt haben, besteht die Gefahr jedoch nicht, daß bei Anwendung des Art. 30 und des Art. 83 ff. GG die erwerbswirtschaftliche Betätigung des Bundes unzulässig wäre 215. Im übrigen sollte die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand zulässig ist, nicht mit der Frage vermengt werden, ob ein Hoheitsträger, wenn er erwerbswirtschaftlich tätig wird, für diese Tätigkeit (zu Recht oder zu Unrecht) Verwaltungs- oder sonstige Kompetenzen in Anspruch nimmt 216 Trennt man diese Fragenkomplexe voneinander, so ist nicht erkennbar, was sonst als eine Verwaltungskompetenz die Kompetenz eines Hoheitsträgers zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung sein könnte - gerade weil auch die fiskalische Verwaltung uneingeschränkt zur Verwaltung gezählt, wenn auch nur eingeschränkt dem Verwaltungsrecht unterstellt wird 217 . Insofern wurde auch bereits an anderer Stelle festgestellt, daß die Antwort auf die Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit in Ausübung einer Verwaltungskompetenz vorgenommen wird, nichts mit der Frage zu tun hat, ob ein bestimmter Hoheitsträger von öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Handlungsformen Gebrauch macht218. Daher wird man allgemein davon ausgehen können, daß auch bei (rein) erwerbswirtschaftlicher Betätigung von Bund und Ländern Verwaltungskompetenzen in Anspruch genommen werden und somit „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorliegt. In dieser Richtung liegt es, daß die Tätigkeit der früheren Sondervermögen Deutsche

213

So ζ. B. Stern, StR Π, § 41 VII 7 b, S. 831 f. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 161 ff. 215 Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 42 f. und Art. 86 Rn. 55; Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR m, § 84 Rn. 4. 216 Broß, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 83 Rn. 5. 217 Siehe hierzu nur Stern, StR Π, § 411 3 d, S. 738 ff 218 Siehe hierzu: 5. Kap. C 11 b (S. 285 f.). 214

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Bundesbahn und Deutsche Bundespost weitgehend als „Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verstanden wurde 219 - obwohl diese Sondervermögen des Bundes bereits vor der Bahn- und Postreform als wirtschaftliche Unternehmen anzusehen waren 220. Folgt man dem, ist ζ. Β nicht von vornherein ausgeschlossen, daß das Land Niedersachsen gegenüber dem Bund für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat der Volkswagenwerke nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG haften muß - vorausgesetzt, der Bund wird hierdurch geschädigt und das Verhalten des Landes war nicht „ordnungsmäßig" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG. Π. Tatbestandsmerkmal ^OrdnungsmäDigkeit" Wird durch die Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz ein Schaden verursacht, begründet dies nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nur dann eine Pflicht des Schädigers zum Schadensausgleich, wenn der Schaden auf einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung zurückzuführen ist. Haftungsmaßstab im Bund-Länder-Verhältnis ist somit die Frage der „Ordnungsmäßigkeit" der Bundes- oder Landesverwaltung. Teilweise wird gefordert, daß darüber hinaus auch ein Verschulden des handelnden Amtswalters notwendig sei. Dies wird damit begründet, daß andernfalls die Haftung „zu weit" ginge oder dem „Bund-Länder-Verhältnis nicht gerecht" würde 221. Um dies zu klären, muß jedoch zunächst herausgearbeitet werden, was „Ordnungsmäßigkeit" eigentlich bedeutet, wie weit die Haftung also ohne eine Verschuldenskomponente gehen würde. Der Blick auf den allgemeinen Sprachgebrauch hilft hier jedoch nicht viel weiter: Nach dem Deutschen Wörterbuch der Brockhaus Enzyklopädie bedeutet „ordnungsmäßig" als Synonym für „ordnungsgemäß": „Einer bestimmten Ordnung entsprechend, in der Weise, wie es von der Sache her vorgesehen ist" 222 . Die Frage der Ordnungsmäßigkeit einer Handlung kann also nicht ohne Konkretisierung der Ordnung erfolgen, die für die Handlung gilt. Daher muß untersucht werden, welche Ordnung Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG meint.

219

BK-Vogel/P. Kirchhof AA. 104a Rn. 166. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 39 f. 221 AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 8; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 28; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 71; Saipa, DVB1 1974, S. 190; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 161. 222 Brockhaus Enzyklopädie - Band 27: Deutsches Wörterbuch GLUC - REG (19. Aufl. 1995). 220

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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1. „ Ordnungsmäßigkeit" als „ Ordnungsmäßigkeit" /. S. d Art 114 Abs. 2 Satz 1 GG Da man zumindest grundsätzlich davon ausgehen kann, daß ein und derselbe Begriff innerhalb desselben Gesetzes dieselbe Bedeutung haben soll 223 , könnte man sich bei der Auslegung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG an der Auslegung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" i. S. d. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG orientieren. Nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG prüft der Bundesrechnungshof „die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung". Wie weit der Prüfungsmaßstab „Ordnungsmäßigkeit" der Haushaltsund Wirtschaftsprüfung geht, ob er sich nur auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung am Maßstab der hierfür maßgeblichen Vorschriften 224 oder ob er sich darüber hinaus auch auf die Frage der Rechtmäßigkeit des kostenverursachenden Verwaltungshandelns schlechthin erstreckt 225, ist im einzelnen umstritten. Dieser Streit ist jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung: Alle Autoren setzen bei Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls den Begriff „Ordnungsmäßigkeit" mit dem Begriff Rechtmäßigkeit gleich und beziehen zudem auch die Vereinbarkeit einer bestimmten Maßnahme mit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften ein. Würde also „Ordnungsmäßigkeit" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG dasselbe bedeuten, wie „Ordnungsmäßigkeit" i. S. d. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG, müßte (zumindest) für jeden Rechtsfehler der Verwaltung und für jeden Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften gehaftet werden. Andererseits wäre damit eine Haftung wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit ausgeschlossen - was bei unechten Haftungsfällen von Bedeutung sein könnte. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG gesondert aufgeführt. Wirtschaftliches Handeln ist kein Unterfall des ordnungsmäßigen Handelns i. S. d. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG. Schon dies spricht dagegen, die Begriffe der Ordnungsmäßigkeit in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG und Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG identisch auszulegen. Bereits vor Erlaß der finanzverfassungsrechtlichen Haf223

Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 142 f. Hiervon geht § 90 BHO aus. So auch Grupp, in: Achterberg/Püttner, Bes. VerwR Π, Kap. 6/1 Rn. 139; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 114 Rn. 46, 49 (Bearbeitung 1984); Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 20; Stern, StR Π, § 34 m 3 c, S. 434; Vogt, Staatliches Haushaltsrecht, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, m Rn. 232. 225 So Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΠΙ, Art. 114 Rn. 20; Heuer, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 64; Kisker, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 89 Rn. 110; BYL-Vogel/P. Kirchhof, Art. 114 Rn. 93 ff. (Bearbeitung 1973). 224

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

tungsvorschrifl hatte sich das Problem der Haftung für unwirtschaftliches Ausgeben fremder Mittel gestellt, und auch dieser Komplex sollte ersichtlich mitgeregelt werden. Dementsprechend ging auch der Referentenentwurf zu einem Verwaltungshafitungsgesetz davon aus, daß für unwirtschaftliches Verhalten gehaftet werden soll 226 . Der Begriff „Ordnungsmäßigkeit" zur Bezeichnung der Rechtmäßigkeit staatlicher Rechnungsführung ist außerdem kein überkommener Begriff des Haushaltsrechts, sondern wurde erst im Rahmen der Haushaltsrechtsreform durch das 20. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969227 eingeführt. Die entsprechende Änderung des Art. 114 GG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens vom Rechtsausschuß des Bundestages angeregt worden 228, als die endgültige Formulierung der Haftungsvorschrifl, die auf die Formulierung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. GG zurückzuführen ist, nach den Vorgaben der Troeger-Kommission schon feststand. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Begriff „Ordnungsmäßigkeit" in der finanzverfassungsrechtlichen Haftungsvorschrifl bewußt an die Formulierung des Prüfungsmaßstabs des Bundesrechnungshofs angelehnt wurde, um so einen Gleichlauf von Rechnungsprüfung und Haftung zu gewährleisten. Der Begriff „Ordnungsmäßigkeit" muß und kann somit in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eigenständig ausgelegt werden. 2. Ordnungswidrigkeit

bei vorsätzlicher

oder grob fahrlässiger

Schädigung

Aus den Gesetzesmaterialien zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG wird gerade vom 11. und 2. Senat des BVerwG in den Urteilen „BAföG" 229 und „Zivilschutz"230 und dem folgend auch vom 7. Senat des BVerwG im Urteil „Kindergeld" 231 geschlossen, daß die Vorschrift zumindest eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des fehlerhaft handelnden Amtswalters begründe, damit dieser von seinem Dienstherrn/Arbeitgeber zur Verantwortung gezogen werden könne232. Im Gesetzgebungsverfahren ist tatsächlich öfters hervorgehoben worden, daß es auch Ziel der Regelung sei, eine Lücke zu schließen, die bei fehlerhafter Verwaltung von Bundesmitteln durch die Län-

226

Entwurfsbegründung, S. 14 - siehe hierzu: 4. Kap. Β Π c (S. 219). BGBl I S. 357. 228 BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 114 Rn. 4. 229 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 57 f.) - siehe hierzu: 4. Kap. Β I V c (S. 228 ff.). 230 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 993) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 228 ff.). 231 BVerwGE 100, S. 50 ff. (S. 60) - siehe hierzu: 4. Kap. C I f (S. 243 ff.). 232 In diese Richtung auch: AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 31; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 72; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 67. 227

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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der aufgetreten sei: Der Bund könne einen Landesbeamten nicht zur Verantwortung ziehen, weil er zu diesem nicht in einem Dienstverhältnis stehe. Das Land könne keine Schadensersatzansprüche geltend machen, weil es keinen Schaden erlitten habe. Eine unmittelbare Haftung des Landes gegenüber dem Bund würde es dagegen dem Land ermöglichen, bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit den durch seine Haftungsverpflichtung hervorgerufenen Schaden bei seinen Bediensteten geltend zu machen233. Diese Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren bilden indes keine bindende Richtlinie für die Auslegung. Sie haben keinen Niederschlag in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG selbst gefunden 234. Die Vorschrift ordnet dem Wortlaut nach gerade keine Verschuldenshaftung an. Hieraus wird zutreffend geschlossen, daß man die Haftungsvorschrift ohne zwingenden Grund nicht mit einer Verschuldenskomponente anreichern könne235. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ordnet damit weder nur noch zumindest eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit an. Die Frage des Verschuldens des handelnden Amtswalters ist schlicht irrelevant. Ob und wie der handelnde Amtswalter persönlich für sein Fehlverhalten in Anspruch genommen werden kann, ist deshalb für die Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ohne Bedeutung236. Sollte es wirklich nicht möglich sein, den Amtswalter zur Verantwortung zu ziehen, würde dies zudem auf einfachem Gesetzesrecht beruhen - die Nichthaftung der Landesbediensteten aufgrund der beamtenrechtlichen Innenhaftungsvorschriften gegenüber dem Bund gehört sicher nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i. S. d. Art. 33 Abs. 5 GG. Verfassungsrecht kann jedoch nicht im Hinblick darauf ausgelegt werden, was das einfache Recht anordnet oder nicht anordnet. Es ist nicht seine Aufgabe, Lücken im einfachen Recht zu schließen. Wenn als Hauptproblem tatsächlich die fehlende Möglichkeit eines Regresses gegenüber dem handelnden Amtswalter gesehen wurde, hätte es im übrigen wesentlich näher gelegen, die Länder durch eine Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes zu verpflichten, die Möglichkeit der Schadenshaftung ihrer Beamten gegenüber dem Bund zu eröffnen, und eine entsprechende umgekehrte Haftungsausweitung im BBG vorzunehmen237, als durch eine Verfassungsänderung Bund und Ländern selbst einen Schadensersatzanspruch aufzubürden. Der Entstehungsgeschichte 233

Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a, b und d (S. 213 ff., 215 f.). Zur Verbindlichkeit der Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren für die Auslegung: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 149 f. 235 ÄK-GG 1-Faber, Art. 104a Rn. 8; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 187; Rudisile, DÖV 1985, S. 914 ff. - Gerade umgekehrt: Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundges e t z ^ . 104a Rn. 71. 236 So auch Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 286 f. 237 Auf die Möglichkeit der Änderung des Beamtenrechts hat schon sehr früh Kölble hingewiesen (DÖV 1959, S. 812). 234

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

ist somit kein zwingender „Mindesthaftungsmaßstab" zu entnehmen. Insofern sind einer einschränkenden Auslegung keine Grenzen gesetzt. Nicht gefolgt werden kann deshalb auch der vom 4. Senat des BVerwG im Urteil „Hinterlegung" 238 vertretenen Ansicht, daß zwar nicht für grobe Fahrlässigkeit, jedoch auf jeden Fall für Vorsatz gehaftet werden müsse, da „vorsätzliches Handeln nach allgemeiner Rechtsüberzeugung haftungsbegründend" wirke. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, existiert eine solche Rechtsüberzeugung, soweit es um die Haftung für zugerechnetes Fremdverschulden geht, gerade nicht 239 sie kann daher auch nicht für die Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verbindlich sein. 3. Ordnungswidrigkeit

als Rechts- und/oder Zweckwidrigkeit

a) Zur Bestimmung der „Ordnung", auf die Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG Bezug nimmt, ziehen vor allem Kummer, Rudisile und Storr alle bei der Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe zwingend zu beachtenden Vorgaben heran: Ordnungswidriges Handeln wäre dann jedes Handeln, das gegen Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Einzelweisungen verstößt oder ermessensfehlerhaft ist. In bezug auf die unterschiedlichen Verwaltungsagenden würden dann unterschiedliche Haftungsmaßstäbe gelten 240 . Hiervon war auch § 2 Abs. 2 des Referentenentwurfs zu einem Verwaltungshaftungsgesetz ausgegangen241, das BVerwG hält ebenfalls eine solche Auslegung für möglich242 - und auch sonst wird diese Auffassung mehr oder weniger nuanciert vertreten 243. Auffallend ist jedoch, daß sie durchgehend nicht weiter begründet wird. Es wird allenfalls die Sachgerechtigkeit oder das Unvermeidbare des jeweiligen Ergebnisses betont oder der Umstand, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eine verschuldensunabhängige Haftung begründet. Einige Autoren scheinen auch davon auszugehen, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG möglichst weitreichend ausgelegt werden müsse, damit dem Gesetzgeber ein möglichst großer Spielraum verbleibe,

238

BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 33) - siehe hierzu: 4. Kap. Β I V c (S. 229 ff.). Siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 228 ff.). 240 Kummer, S. 114 ff., S. 227 ff.; Rudisile, DÖV 1985, S. 911; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 283 ff. 241 Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π c (S. 219). 242 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 57) - „BAföG"; BVerwGE 104, S. 29 ff., (S. 33) „Hinterlegung". Hierzu jeweils: 4. Kap. Β IV c (S. 228 ff.). 243 Erichsen, Zur Haftung, S. 15; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 41; F. Kirchhof, NVwZ 1994, S. 106; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 14; Schulze, DÖV 1972, S. 410; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 67; Stern, StR Π, § 47 Π 3 a, S. 1139. 239

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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das Nähere auszugestalten244. In diese Richtung ist wohl auch die „Kernbereichstheorie" des BVerwG zu verstehen245. b) Im Ergebnis sind diese (meist nur angedeuteten) Argumente jedoch nicht stichhaltig: Daß eine verschuldensunabhängige Haftung vorliegt, bedeutet nur, daß das Verschulden unerheblich ist, erlaubt aber keinen Rückschluß darauf, wann verschuldensunabhängig gehaftet werden soll. Es besteht auch kein allgemeiner Grundsatz, nach dem der Gesetzgeber zwischen vielen verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten wählen können muß, wenn ihm die Ausgestaltung des „Näheren" von Verfassungs wegen übertragen worden ist. Wie die Worte „das Nähere" in verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsaufträgen zu interpretieren sind, läßt sich nur daraus entnehmen, was die Verfassung selbst bereits über die Materie bestimmt und was sie zur näheren Regelung offen gelassen hat. Weder müssen die Worte stets eng noch stets weit interpretiert werden 246. So ist bezüglich des Verwaltungskostenerstattungsverbots anerkannt, daß das Gesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nur der Klärung von Zweifelsfragen bei der Abgrenzung von Verwaltungs- und Zweckausgaben dienen darf. Dem Gesetzgeber wird hier kein weiter Spielraum belassen247. Es ist nicht erkennbar, warum dies bei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG anders sein sollte. Aus Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG läßt sich also nichts für eine möglichst weite Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG herleiten 248. Auch vom Wortlaut her ist die Auslegung, daß mit „Ordnung" alle bei der Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz zu beachtenden Vorgaben gemeint wäre, nicht zwingend: Welche Ordnung gemeint ist, läßt sich dem Wort „Ordnung" selbst nicht entnehmen. c) Die Auffassung von Kummer, Rudisile und Storr hätte zudem weitreichende Auswirkungen auf die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, die vom Verfassungsgeber nicht intendiert waren. Sie übersieht, daß die Lastenverteilungsvorschriften des Grundgesetzes zwingend sind: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG begründet nicht nur ein Recht des Geschädigten, Schadensersatz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu fordern, sondern auch eine Pflicht, diesen Anspruch durchzusetzen. Diese Pflicht ergibt sich zudem aus § 34 Abs. 1 BHO/LHO, nach dem die 244 So anscheinend: Erichsen, Zur Haftung, S. 30 ff; F. Kirchhof, NVwZ 1994, S. 108; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rn. 67 ff; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 175. 245 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I V a (S. 226 f.) und c (S. 228 ff.). 246 BVerfGE 15, S. 126 ff. (S. 138) zu Art. 134 Abs. 4 GG. 247 Von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 20; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar DI, Art. 104a Rn. 40. BK-Fogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 156. 248 Erichsen, Zur Haftung, S. 30 ff.

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Verwaltung alle Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben hat. Diese Vorschrift ist Ausfluß des Wirtschaftlichkeitsprinzips 249 und somit ebenfalls verfassungsrechtlich festgeschrieben 250. Nach allgemeiner Ansicht verpflichtet § 34 BHO/LHO die Verwaltung nicht nur, alle Einnahmequellen auszuschöpfen, sondern auch laufend alle Möglichkeiten der Einnahmeveibesserung zu prüfen und diese im Rahmen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit geltend zu machen. Entstehen Ansprüche nicht unmittelbar durch Rechtsvorschriften, sind unverzüglich die notwendigen Voraussetzungen für ihr Entstehen durch geeignete Maßnahmen zu schaffen 251. Besteht lediglich die Möglichkeit eines Anspruchs, muß die Verwaltung der Sache nachgehen, also u. U. auch Untersuchungen anstellen. Ausnahmen sind nur möglich unter den engen Voraussetzungen der § 58 und § 59 BHO/LHO. Da § 34 BHO/LHO sich auf Einnahmen jeder Art bezieht, gleich aus welchem Rechtsgrund sie der Verwaltung zustehen, gilt er auch für Einnahmen aus Ansprüchen nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG. Möglichkeiten, von der Einziehung solcher Ansprüche abzusehen, werden durch die § 58 und § 59 BHO/LHO nicht eröffnet. Folgt man daher der Ansicht von Kummer, Rudisile und Storr, würde dies nach § 34 Abs. 1 BHO/LHO eine Pflicht des potentiell Geschädigten begründen, alle Handlungen des potentiellen Schädigers, bei denen die Möglichkeit einer Schädigung nicht fern liegt, zwar nachträglich, aber genau und umfassend zu kontrollieren, um so sicherzustellen, daß etwaige Haftungsansprüche nicht übersehen werden 252. Bei Fiskalschäden und auch bei vielen Verwaltungsträgerschädigungen wirft dies oftmals keine besonderen Probleme auf, da hier der Umstand, daß eine Schädigung vorliegt, im Regelfall schnell entdeckt wird, so daß hierfür keine eigenen Kontrollverfahren eingerichtet werden müßten. Anders wäre dies aber gerade bei der Steuerverwaltung - dem Gebiet, in dem Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG einen seiner Hauptanwendungsbereiche finden sollte. Der Bund wäre letztlich verpflichtet, jeden einzelnen Verwaltungsvorgang der Landesfinanzbehörden auf seine Vereinbarkeit mit Gesetzen, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen zu überprüfen. Die Länder müßten die Biersteuerverwaltung des Bundes genau kontrollieren und darüber hinaus jede Verwaltungsvorschrift und jede Einzelweisung des Bundes, die sich auf der Einnahme- oder Ausgabeseite ihres Haushalts als nachteilig erweisen kann, auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersuchen. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG würde somit indirekt 249

Grupp, in: Achterberg/Püttner, Bes. VerwR Π, Kap. 6/1 Rn. 91; Vogt, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, m Rn. 99. 250 Grupp, in: Achterberg/Püttner, Bes. VerwR Π, Kap. 6/1 Rn. 26 ff; Kisker, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 89 Rn. 111 f. 251 Dommach, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 34 Rn. 2; Vogt, in: Klein Öffentliches Finanzrecht, m Rn. 182 ff. 252 In diese Richtung auch: BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 161.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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zu ungeschriebenen Aufsichtsverhältnissen zwischen Bund und Ländern fuhren - und damit die grundgesetzliche Aufteilung der Vollzugskompetenzen insbesondere nach den Art. 83 ff. GG unterlaufen 253. d) Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß das Grundgesetz ausdrücklich weder in der Steuerverwaltung noch sonst eine umfassende Prüfungs- und Kontrollkompetenz des Bundes gegenüber den Ländern und der Länder gegenüber dem Bund kennt. Man kann nicht davon ausgehen, daß das Grundgesetz einerseits ζ. B. den Bund verpflichtet, in jedem Fall fehlerhafter Verwaltung einen Schadensersatzanspruch gegenüber den Ländern geltend zu machen, ihm aber andererseits das hierfür notwendige Instrumentarium zur Durchsetzung dieses Anspruchs verweigert 254. Dies wäre in sich widersprüchlich, da andernfalls die Durchsetzung der zwingenden Lastenverteilungsregeln im Einzelfall davon abhinge, ob die zuständigen Stellen des Bundes zufallig etwas von einer fehlerhaften Entscheidung eines Landes in diesem oder jenem Fall erfahren 255. Damit würden auch die Länder, die dem Bund „freiwillig" von Verwaltungsfehlern in ihrem Bereich Mitteilung machen, gegenüber den Ländern schlechter gestellt, die solche Mitteilungen absichtlich oder unabsichtlich unterlassen und daher tatsächlich nicht nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in Anspruch genommen werden können. Insofern wird man die vom BVerfG zur Besteuerungsgleichheit im Zinsbesteuerungsurteil aufgestellten Grundsätze256 auch als allgemeine Rechtsgrundsätze auf die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern übertragen können: Wenn das Grundgesetz an bestimmte Voraussetzungen Finanzierungspflichten des Bundes und der Länder knüpft, muß es auch gewährleisten, daß diese Finanzierungspflichten verfahrensrechtlich vom Begünstigten tatsächlich durchgesetzt werden können; andernfalls hinge es allein von der Bereitschaft des Verpflichteten ab, ob er seiner Finanzierungspflicht nachkommt - die Kongruenz zwischen der Verteilung der Einnahmen und der Ausgaben wäre dann nicht mehr gewährleistet. Ergeben sich die hierfür notwendigen Durchsetzungsinstrumentarien nicht ausdrücklich aus anderen Vorschriften des Grundgesetzes, ist daher anzunehmen, daß sie stillschweigend in den einzelnen Vorschriften der Finanzverfassung mit enthalten sind. Nimmt man also an, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei jeder fehlerhaften Steuerfestsetzung durch die Länder zu einem Schadensersatzanspruch des Bundes führt, muß man konsequenterweise annehmen, daß sich unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG das Recht und die Pflicht des Bundes ergibt, sich jeden von den 253

Ähnlich auch: Schulze, DÖV 1972, S. 414, und Saipa, DVB1 1974, S. 190. Dies widerspräche jedenfalls der Lehre von den „implied powers". Siehe hierzu: Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1208. 255 In diese Richtung: Kummer, Die Haftung der Länder, S. 194. 256 BVerfGE 84, S. 239 ff. (S. 271 ff). 254

Stelkens

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5. Kap.: Echte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Ländern abgeschlossenen Steuervorgang vorlegen zu lassen, soweit seine finanziellen Interessen hierdurch berührt werden. Dieses Recht würde neben die Aufsichtsbefugnisse des Bundes nach Art. 108 GG treten. e) Diese sich unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ergebende Pflicht des Bundes, von den Ländern über jeden einzelnen Verwaltungsvorgang Rechenschaft zu verlangen, könnte ζ. B. die Bundesauftragsverwaltung bei der Steuerverwaltung letztlich sinnlos machen. Jede Arbeitsteilung im Bund-Länder-Verhältnis hätte oftmals gewissermaßen eine Verdoppelung der Arbeit zur Folge - insbesondere weil man sich auch nicht darauf beschränken könnte, von vornherein Haftungsansprüche nur in besonders krassen Fällen, etwa nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zu verfolgen. Diesen Weg waren in den 50er und 60er Jahren die zuständigen Bundesbehörden gegangen, als es um die Frage der Haftung der Länder und Gemeinden für fehlerhafte Durchführung des Lastenausgleiches und der Aufgaben der Versorgungsverwaltung ging 257 . Folgte man der Ansicht von Kummer, Rudisile und Storr wäre jedenfalls heute ein solches Vorgehen rechtswidrig 258: Da die zuständigen Bundesbehörden damals davon ausgingen, daß bei der Verwaltung der Kriegsfolgelasten durch die Länder bei Übererhebungen Amtshaftungsansprüche zugunsten des Bundes entstehen konnten, hätten sie jeden ihnen bekannt gewordenen Fall geltend machen müssen - auch Fälle nur leicht fahrlässig verursachter Übererhebungen. Selbst die bloße Anspruchsdurchsetzung hätte hier einen immensen Verwaltungsaufwand verursacht. Dem hätte man auch nicht aufgrund der Überlegung ausweichen können, daß die Kosten einer solchen Kontrolle und Anspruchsdurchsetzung im Regelfall außer Verhältnis zu den möglichen Einnahmen stehen und damit auch nach § 34 BHO/LHO nicht mehr geboten sind. Unabhängig davon, daß dem Wirtschaftlichkeitsprinzip kein höherer Verfassungsrang als den Regeln der Finanzverfassung zukommt, setzt eine solche Aussage voraus, daß ζ. B. das Verhältnis der Höhe der möglichen Steuereinnahmen zu den tatsächlichen Steuereinnahmen bekannt wäre. Hier sind aber nur grobe Schätzungen aufgrund der Feststellungen der Rechnungshöfe möglich. Die Rechnungshofberichte deuten jedoch nicht daraufhin, daß der Anteil rechtswidrigerweise nicht eingenommener Mittel marginal wäre. Jedenfalls in Situationen, in denen die Fehlerquote auf 10% der Gesamtfalle geschätzt wird, wie dies bei der Kriegs-

257 So Herder, RLA 1957, S. 355; K. H. Schaefer, DÖV 1957, S. 396; ders., IFLA 1958, S. 225. 258 Die Bagatellklausel des § 59 Abs. 1 Nr. 2 BHO/LHO gestattet nur die Niederschlagung solcher Ansprüche, deren Einziehungskosten außer Verhältnis zur Höhe des Anspruches stehen, also insbesondere die Niederschlagung von Kleinbeträgen. Es geht nicht uni die Niederschlagung von Ansprüchen, die durch ein Bagatellversehen entstanden sind.

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

307

folgelastenverwaltung in den Nachkriegsjahren angenommen wurde 259, dürfte eine bis ins einzelne gehende Kontrolle abgeschlossener Verwaltungsverfahren nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. f) Eine Auslegung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" im Sinne von Kummer, Rudisile und Storr führt also zu untragbaren Ergebnissen, die - um eine Formulierung des Urteils „Kraftfahrzeugbundesamt" 260 aufzugreifen - der „untergeordneten Stellung" des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Abschnitt über das Finanzwesen nicht gerecht würde 261. Somit muß davon ausgegangen werden, daß die einzuhaltende Ordnung i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht durch die jeweiligen bei der Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe zu beachtenden Vorschriften der Rechtsordnung gebildet wird. Es hätte andernfalls ohnehin nahegelegen, nicht eine Haftung für ordnungsmäßige, sondern eine Haftung für rechtmäßige Verwaltung anzuordnen, zumal der Begriff „Ordnungsmäßigkeit" kein überkommener Begriff des Verwaltungs- und Haushaltsrechts ist. Wenn die Gesetzesredaktoren hier andere Vorstellungen hatten, so sind diese jedenfalls nicht Inhalt der Regelung geworden. 4. Ordnungswidrigkeit

als Lenkungsversagen

a) Die Gesetzesmaterialien geben einen gewissen Hinweis darauf, auf welche Ordnung Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sonst Bezug nehmen könnte, wenn man nicht alle bei der Wahrnehmung einer Verwaltungskompetenz zu beachtenden Vorgaben für maßgeblich hält und anerkennt, daß Schadensersatzansprüchen zwischen Hoheitsträgern nur auf einer primären Ebene eine Schadensausgleichsfunktion zukommen kann, so daß das bloße Vermögensinteresse des Geschädigten an einem Schadensausgleich allein ihre Existenz nicht rechtfertigt 262: Sieht man von der hier unbeachtlichen Vorstellung ab, daß die Haftimgsvorschrift notwendig sei, um den fehlerhaft handelnden Amtswalter persönlich haftbar machen zu können263, wird als eigentliches Motiv aufgeführt, daß die Haftungsnorm geboten sei, um der Verantwortung des Verwaltungsträgers für die ordnungsmäßige Durchführung ihm 259

Siehe hierzu: 4. Kap. A 1 1 e (S. 175 ff.). BVerwG, BayVBl 1980, S. 473 ff. (S. 475) - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV e (S. 231). 261 Α. Α. Storr (in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 291 f.), der die sich aus einer strengen Haftung ergebenden Folgen als notwendige Ergänzung der ansonsten wirkungslosen Ingerenzrechte des Bundes sieht. 262 Siehe hierzu: 1. Kap. A I g (S. 40 f.) und auch 8. Kap. A I 2 b bis d (S. 413 ff.) und Π 1 (S. 418). 263 Siehe hierzu: 5. Kap. C Π 2 (S. 300 ff.). 260

20*

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5. Kap. : Echte Haftungsfölle zwischen Bund und Ländern

zugewiesener Aufgaben zu entsprechen264. Dies stellt einen Bezug zu den Motiven her, die maßgeblich waren, für das Bund-Länder-Verhältnis durch Art. 104a Abs. 1 GG das Konnexitätsprinzip i. e. S. verfassungsrechtlich festzuschreiben: Die parlamentarische Kontrolle der Ausgabenwirtschaft sollte gestärkt werden 265. Als eigentlicher Zweck der Haftungsvorschrift kann also angesehen werden, die politische Verantwortung für fehlerhafte Wahrnehmung von Verwaltungskompetenzen dadurch zu effektivieren, daß dem Parlament des Schädigers das Versagen der Verantwortlichen bei der Aufgabenwahrnehmung vor Augen geführt wird, indem der Haushalt des Schädigers mit den durch eine Schädigung entstehenden Kosten belastet wird, so daß auf diese Weise auch ein gewisser ökonomischer Druck zur Beseitigung der aufgetretenen Fehlerquellen entsteht. Ähnlich scheint der Sinn und Zweck der Haftungsvorschrifl auch vom BVerfG in dem bereits an anderer Stelle erwähnten obiter dictum seiner Entscheidung vom 22. Mai 1990266 zu den Grenzen der Weisungsbefugnisse des Bundes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung verstanden worden zu sein: Hier wird ganz deutlich die Frage der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Bundesministers für inhaltlich fehlerhafte Weisungen in Zusammenhang mit der Haftungsvorschrifl des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gestellt. Versteht man den Zweck der Haftungsvorschrifl so, ist es weder notwendig noch angemessen, den Schädiger für jede rechtsfehlerhafte Ausübung von Verwaltungskompetenzen haften zu lassen: Druck zur Beseitigung aufgetretener Fehlerquellen kann sinnvoll nur dort ausgeübt werden, wo Fehler überhaupt vermeidbar sind. Ordnungsmäßige Ausübung von Verwaltungskompetenzen kann demnach auch fehlerhafte Ausübung von Verwaltungskompetenzen sein, wenn der Fehler unvermeidbar ist. Maßgeblicher Bezugspunkt kann hierbei nicht sein, ob ein einzelner Amtswalter sich in einer bestimmten Situation fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich rechtsfehlerhaft verhalten hat. Auch die Frage der Vermeidbarkeit muß in Zusammenhang mit dem Zweck der Haftungsvorschrifl gesehen werden, die parlamentarische Kontrolle über die Ausübung von Verwaltungskompetenzen zu effektivieren: Gegenstand parlamentarischer Kontrolle ist aber nur das eigene Verhalten des Parlaments und das Verhalten der Regierung im institutionellen Sinn, die ihm gegenüber verantwortlich ist 267 . Es existiert keine unmittelbare Kontrolle „der Verwaltung" durch das Parlament, die nicht über die Regierung vermittelt 264

Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a und b (S. 213 ff.). Troeger-Gutachten, Teil C I L , Tz. 199. Allgemein hierzu: F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, S. D. 52. Zur Übertragung dieser Überlegung auf Art. 104a Abs. 5 GG: von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 21, 23. 266 BVerfGE 81, S. 310 ff. (S. 333) - siehe hierzu: 5. Kap. Β Π b (S. 278). 267 Stern, StR I, § 22 Π 5 e, S. 973. 265

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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würde 268. Deswegen muß an die Regierung und das Parlament selbst angeknüpft werden: Maßgeblich muß sein, ob das fehlerhafte Verhalten eines Amtswalters letztlich auf ein Lenkungsversagen der Regierung und/oder des Parlaments zurückzuführen ist. Andernfalls würde Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung effektivieren, sondern lediglich eine Pflicht für Bund und Länder begründen, auch nicht kontrollierbare Schadensquellen durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln abzusichern269. Die Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gäbe dann auch keinen besonderen Anlaß für die Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollrechte.

b) Die Ordnung, auf die sich Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bezieht, ist somit nicht die Rechtsordnung, sondern die Summe der Kriterien, deren Einhaltung durch das Parlament und die Regierung notwendig ist, um grundsätzlich zu gewährleisten, daß bei der Ausübung von Verwaltungskompetenzen nicht gegen Gesetze und sonstige die Verwaltung bindende Zweckvorgaben verstoßen wird. Ein solches Verständnis der von Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG angesprochenen Ordnung wird vor allem dem Umstand gerecht, daß Hauptmerkmal jeder Verwaltungstätigkeit ihre Bindung an allgemeine Zweckvorgaben ist 270 , so daß die hier vorgeschlagene Auslegung einen Bezug zwischen dem Tatbestandsmerkmal „Verwaltung" und dem Tatbestandsmerkmal „Ordnungsmäßigkeit" herstellt. Die genannten Kriterien sind auf Bundesebene verletzt, wenn sich entweder die Bundesregierung und/ oder der Bundesrat bei der Ausübung ihnen zugewiesener Verwaltungskompetenzen über die sie hierbei bindenden (gesetzlichen) Vorgaben hinwegsetzen271 oder wenn Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen des Möglichen nicht gewährleisten, daß die übrige Bundesverwaltung die sie bindenden gesetzlichen und sonstigen Zweckvorgaben beachtet272. Auf Landesebene gilt entsprechendes. Es ist somit nicht möglich, von einem rechts- oder zweckwidrigen Verhalten eines Amtswalters im Einzelfall auf ein zur Haftung führendes Lenkungsversagen des Parlaments und/oder der Regierung zu schließen273: Menschliches Versagen - auch vorsätzliches und grob fahrlässiges Handeln - kann selbst durch die beste Verwaltungsorganisation nicht ausgeschlossen werden 274. Hiervon ausgehend lassen sich Fallgruppen bilden, 268

Thieme, Verwaltungslehre (4. Aufl. 1984), § 88 A I Rn. 531 ff. So BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 159. 270 Vgl. B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 6 2, S. 96. 271 Ζ. B. bei Erlaß gesetzeswidriger, die Länder schädigender Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen. 272 Ζ. B. bei Anordnung einer zu nachlässigen Handhabung des Disziplinarrechts. 273 So auch VG Hannover, ZfF 1991, S. 13 ff. (S. 15) - „Heranziehung I", siehe hierzu: 4. Kap. C Π c (S. 248). 274 So auch G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 116. 269

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5. Kap. : Echte HaftungsßÜle zwischen Bund und Ländern

bei denen keine „Ordnungsmäßigkeit" im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorliegt: - Erlaß von Gesetzen und Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen, die bezüglich der Verwaltungsorganisation Anordnungen treffen, die in vorhersehbarer Weise dazu führen, daß höherrangige Zielvorgaben bei der Ausübung von Verwaltungskompetenzen nicht durchgesetzt werden können; - Nichtaufhebung von Gesetzen und Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen, bei denen sich nachträglich gezeigt hat, daß sie bezüglich der Verwaltungsorganisation Anordnungen treffen, die dazu führen, daß höherrangige Zielvorgaben bei der Ausübung von Verwaltungskompetenzen nicht durchgesetzt werden können; - vom Parlament und/oder der Regierung geduldetes Unterlassen der Einrichtung von Kontrollinstitutionen bzw. Unterlassen oder nachlässige Verwirklichung gebotener und rechtlich möglicher Kontrollen 275; - NichtSchließung erkannter Fehlerquellen, wie ζ. B. die Nichteinleitung oder Verhinderung gebotener Disziplinarmaßnahmen gegen bereits auffällig gewordene Bedienstete; - Ausstattung der Behörden in einer Weise, die vorhersehbar und dauernd einen ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug nicht gewährleistet, wie ständige personelle Unterbesetzung oder Ausstattung mit nicht ausreichenden Sachmitteln; - von der Regierung und/oder dem Parlament veranlaßte oder geduldete Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben beim Gesetzesvollzug276; - Erlaß oder Nichtaufhebung von Einzelweisungen und Verwaltungsvorschriften, die anerkanntermaßen zu rechtswidrigen Entscheidungen im Einzelfall führen 277. 275

Siehe hierzu: Thieme, Verwaltungslehre, Rn. 496. Dem wäre im Fall des Urteils ,3AföG" (BVerwGE 96, S. 45 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV [S. 226 ff.] und C I e [S. 242]) und im Fall des Urteils ,Zivilschutz" (BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. - , siehe hierzu: 4. Kap. Β IV [S. 228 ff.] und C I e [S. 242]) Bedeutung zugekommen: In beiden Fällen war in den Strafverfahren gegen die Bediensteten festgestellt worden, daß ihnen die Veruntreuung von Bundesmitteln durch ausbleibende Kontrollen sehr leicht gemacht wurde. 276 Hieran wäre etwa im Beispiel Nr. 23 (siehe S. 89; Fall des Urteils „Gorleben": OLG Celle, Urteil vom 26. März 1996 - 16 U 197/94 - ) zu denken gewesen, wenn der Baustopp aufgrund eines „ausstiegsorientierten" Vollzugs des BBergG erfolgt wäre, oder wenn z. B. zu Zwecken der Sicherung des Wirtschaftsstandorts von den Vorgaben der Steuergesetze abgewichen wird. Ein solcher Fall hätte wohl im Beispiel Nr. 43 (siehe S. 102) vorgelegen. 277 Vgl. BVerfGE 81, S. 310 ff. (S. 333).

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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Diese Fallgruppen zeigen, daß bei der hier vorgeschlagenen Auslegung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" keine Gefahr einer Aushöhlung der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes besteht: Die Fälle, in denen eine Haftung der Länder für Steuermindereinnahmen in Betracht kommt, werden durchgehend Fälle sein, in denen auch Rechtsaufsichtsmaßnahmen des Bundes möglich und geboten sind und die daher auch mit dem Instrumentarium der Rechtsaufsicht bewältigt werden können, so daß es nicht als notwendig erscheint, unmittelbar aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ungeschriebene Prüfungspflichten herzuleiten. Soweit eine Haftung des Bundes gegenüber den Ländern für fehlerhafte Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen in Betracht kommt, dürften durchweg Fälle vorliegen, in denen die Länder ohnehin beim Bund ihre Bedenken anmelden werden. Die hier vertretene Auslegung des Begriffs der „Ordnungsmäßigkeit" entspricht im wesentlichen auch dem Verständnis Franz Kleins vom Begriff der „Ordnungsmäßigkeit" in Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F.: Ordnungswidrig sei jedes Verhalten, das von den hergebrachten Grundsätzen der deutschen Verwaltungslehre abweiche und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht sicherstelle278. Auch von Mangoldt vertrat eine ähnliche Ansicht: Er ging davon aus, daß der Bund nur dann Schadensersatzansprüche nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 a. F. gegenüber den Ländern geltend machen könne, wenn er zuvor gegen das ordnungswidrige Verhalten des Landes im Wege des Bundeszwanges nach Art. 37 GG vorgegangen sei oder das BVerfG angerufen habe279 - was eine gewisse Ranghöhe der dem Land vorzuwerfenden Pflichtverletzung voraussetzt und jedenfalls ausschließt, daß die Länder für einmalige Vergehen ihrer Amtswalter einstehen müssen. c) Wenn hier davon ausgegangen wird, daß auch fehlerhafte Gesetze und Regierungsakte zu einer Haftung für ordnungswidrige Verwaltung führen können, stellt dies keinen Widerspruch zu der oben vorgeschlagenen Auslegung des Begriffs „Verwaltung" dar, nach der Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG keine Haftung für die fehlerhafte Wahrnehmung von Gesetzgebungs- und Regierungskompetenzen anordnet. Anknüpfungspunkt für die Haftung bleibt die Ausübung einer Verwaltungskompetenz durch den Bund oder ein Land. Nur wenn hierbei der anderen Seite ein Schaden zugefügt wird, stellt sich die Frage, ob die Kompetenz ordnungsmäßig ausgeübt wurde. Hierfür ist dann von Bedeutung, ob Regierung und Parlament u. U. auch durch Erlaß entsprechender Gesetze und Regierungsakte sichergestellt haben, daß die Verwaltung die für sie bindenden Vorgaben einhält, oder ob sie diese Vorgaben bei der Ausübung eigener Verwaltungskompetenzen selbst eingehalten 278 Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz (1. Aufl. 1967), Art. 108 Rn. 14. 279 Von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 108 Anm. 4, S. 576 f.

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haben. Eine allgemeine Haftung für legislatives Unrecht oder Regierungsakte wird daher auch bei der hier vertretenen Auslegung nicht begründet: Bis eine Norm vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt ist, stellt sie für die Verwaltung eine bindende Vorgabe dar. Ihre Ausführung kann also keine ordnungswidrige Verwaltung darstellen. Bis ein Regierungsakt durch ein Gericht für rechtswidrig erklärt oder aufgehoben wird, ist er ebenfalls von der Verwaltung zu beachten. Seine Umsetzung oder Vollziehung kann also keine ordnungswidrige Verwaltung darstellen. d) Bedenken gegen die hier vorgeschlagene Auslegung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" könnten vor allem aus dem Umstand hergeleitet werden, daß hiernach eine Haftung nicht die Regel sein wird, sondern eine Ausnahme, während man im Gesetzgebungsverfahren wohl eher von einer strengen Haftung ausging. Solche Bedenken wären sehr ernst zu nehmen: Der Gesetzesanwender ist zwar nicht an die näheren Normvorstellungen der an der Vorbereitung eines Gesetzes beteiligten Personen gebunden, jedoch an die Zwecke eines Gesetzes und die ihnen zugrunde liegenden Wertvorstellungen des Gesetzgebers280. Hier besteht jedoch die besondere Situation, daß im Gesetzgebungsverfahren die Folgen einer strengen Haftungsvorschrift übersehen wurden, vor allem auch die mit einer Durchsetzungspflicht erwachsenden Nachteile für den Bund. Die hier vertretene Auffassung versucht nun einerseits, die tatsächlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, vor allem eine Aushöhlung der grundgesetzlichen Vollzugszuständigkeitsverteilung zu vermeiden, andererseits dem erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers soweit wie möglich gerecht zu werden, gerade durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG die parlamentarische Kontrolle über die Verwaltung zu effektivieren. Zudem wird auch vom BVerwG und in der Literatur weitgehend anerkannt, daß die Haftungsvorschrift einschränkend ausgelegt werden muß. Gegenüber den bisher vertretenen Lösungsansätzen, etwa dahingehend, daß sie eine unmittelbare Haftung nur in einem - wie auch immer ausgestalteten „Kernbereich" 281 anordnet, daß sie nur bei „grober Rechts- und Zweckwidrigkeit" 282 , „gewichtigem Fehlverhalten" 283, „vorsätzlichem und grob fahrlässigem Fehlverhalten" 284 eingreift oder nur eine Haftung „dem Grunde nach" an-

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Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S 149 f., S. 164 f. Siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff); dem folgend: Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Rn. 43; Siekniann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 67. 282 So BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 161. 283 Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 28. 284 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 72; AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 31. 281

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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ordnet 285, hat die hier vertretene Auslegung jedoch den Vorteil, daß sie den Wortlaut der Haftungsvorschrift respektiert und ihre Anwendung nicht durch eine Reihe unbestimmter Blankettbegriffe erschwert 286. Zwar kann es - wie bei jeder Gesetzesanwendung - auch bei der hier vorgeschlagenen Auslegung Zweifelsfalle geben und die Ermittlung der Kriterien, deren Einhaltung durch Parlament und Regierung notwendig ist, um grundsätzlich eine ordnungsmäßige Verwaltung zu gewährleisten, dürfte gleichfalls auf Schwierigkeiten stoßen287. Jedoch ist es nicht notwendig, abstrakt und abschließend zu umschreiben, wann diese Kriterien erfüllt sind, solange im Einzelfall geklärt werden kann, ob ein bestimmter Fehler bei der Ausübung einer Verwaltungskompetenz auf ein Lenkungsversagen zurückzuführen ist oder nicht. Hierfür kann man aber sowohl auf die Erkenntnisse der Verwaltungslehre wie auch auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Organisationsverschulden zurückgreifen. Sieht man sich die Fallgruppen an, bei denen das Vorliegen nicht ordnungsmäßiger Verwaltung angenommen werden kann, wird zudem deutlich, daß der Haftungsvorschrift auch bei der hier vertretenen Auslegung praktische Bedeutung zukommen wird. Es ist somit entgegen der Auffassung des BVerwG nicht notwendig, bei der Frage nach der Vermeidbarkeit von Fehlern zwingend an das vorsätzliche oder grob fahrlässige Verhalten des handelnden Amtswalters anzuknüpfen 288. Jedenfalls aus der Sicht der Ministerialbürokratie des Bundes wurde eine so weitgehende Haftung der Länder und des Bundes auch gar nicht als wünschenswert angesehen: Die hier vertretene Auslegung deckt sich im Ergebnis weitgehend mit den dem Referentenentwurf zu einem Verwaltungshaftungsgesetz zugrundeliegenden Vorstellungen; er wollte letztlich nur eine Haftung für grobe Organisationsmängel begründen289. Man wird daher davon ausgehen können, daß sie den Wertvorstellungen des Gesetzgebers und den Interessen des Bundes gerecht wird. Sie vermeidet zudem auch alle diejenigen negativen Auswirkungen, die gerade von Erichsen 290, Saipa291 und Schulze292 bei unmittelbarer Geltung der Haftungsvorschrift befürchtet 285

AK-GG 2-Birk, Art. 104a Rn. 30. Ablehnend gegenüber diesen Auslegungsansätzen auch Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 281. 287 Vor allem Kummer hält eine entsprechende Vorgehensweise für unmöglich (Die Haftung der Länder, S. 111 ff.). 288 BVerwGE 96, S. 45 ff. (S. 57 ff.) - JBAfÒG"; BVerwG NVwZ 1995, S. 991 ff. (S. 993) - „Zivilschutz"; BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 33 ff.) - Hinterlegung" Siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 228 ff). 289 Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π f (S. 221 f.). 290 Erichsen, Zur Haftung, S. 52. 291 Saipa, DVB1 1974, S. 189 f. 292 Schulze, DÖV 1972, S. 413 ff. 286

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worden sind: Die Aufsichtsrechte des Bundes über die Länder werden nicht ausgeweitet, sondern nur mit einer (weiteren) Sanktion versehen. Nach der hier vertretenen Auslegung ist die Vorschrift zudem auch inhaltlich ausgewogen und berücksichtigt vor allem zugleich die finanziellen Interessen der Länder, indem sie eine Haftung des Bundes gegenüber den Ländern für fehlerhafte Einzelweisungen und Verwaltungsvorschriften begründet. Gerade diese Bundeshaftung erscheint auch als besonders gerechtfertigt, wie ζ. B. gerade das Steuerrecht zeigt: Sie kann verhindern, daß der Bund entgegen der Gesetzeslage steuerliche Wohltaten auf Kosten der Länder verteilt, was tatsächlich häufig vorkommt 293. Die Anknüpfung der Haftung an ein Lenkungsversagen des Parlaments und/oder der Regierung löst zudem das Haftungsproblem aus dem mehr technischen Kontext des Verwaltungsvollzugs im einzelnen heraus und hebt es auf die Ebene der staatsrechtlichen und letztlich politischen Beziehungen zwischen Bund und Ländern, also auf eine Ebene, in der sich Bund und Länder gleichrangig gegenüber stehen. Damit wird eine Verknüpfung zu der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Ansicht des Bundesrates hergestellt, daß es einer Haftung nicht bedürfe, da die Beziehungen zwischen Bund und Ländern unter dem Gebot der Bundestreue stünden294. Diese Äußerung ist zwar materiellrechtlich unzutreffend, da sich aus dem Prinzip der Bundestreue allein keine Zuständigkeiten - auch keine Finanzierungszuständigkeiten - herleiten lassen295. Hieraus können sich daher auch keine ungeschriebenen Schadensersatzverpflichtungen ergeben296. Die Stellungnahme des Bundesrates läßt sich aber in der Weise verstehen, daß er eine Haftung auf der durch das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens angesprochenen staatlichen Ebene akzeptiert hat und auch für notwendig ansah297. e) Stimmt man der hier vertretenen Auffassung zu, zeigt sich zudem, daß sich Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG jedenfalls bei echten Haftungsfällen im Wege der Auslegung sehr konkrete Aussagen im Hinblick auf Tatbestand und Rechtsfolge entnehmen lassen. 293

Tipke, Die Steuerrechtsordnung - Band ΙΠ: Föderative Steuerverteilung, Rechtsanwendung und Rechtsschutz, Gestalter der Steuerrechtsordnung (1993), S. 1168 f. m. w. N. 294 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I c (S. 215). Ähnlich Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1535 ff. 295 Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 98 Rn. 157. 296 BVerwGE 12, S. 253 ff. (S. 254 f.) - Achterberg, DVB1 1970, S. 128 f.; G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 64 ff; ders., Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Bundestreue, DÖV 1961, S. 404 ff.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 118 ff; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 65 ff; Pappermann, Ansprüche des Staates, S. 17 f.; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, 276. 297 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von BVerwGE 104, S. 29 ff. (S. 34 f.) „Hinterlegung", siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 229 ff.).

C. Tatbestandsmerkmale des Art. 104a Abs. 5 S. 1 HS. 2 GG

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Die vor allem von F. Kirchhof 298 erhobenen Bedenken bezüglich der Bestimmtheit der Norm greifen also im Ergebnis nicht - die Vorschrift ist anwendungstauglich. Da die Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG schon auf ein Minimum beschränkt ist, wird dem Gesetzgeber bezüglich der Ausgestaltung sowohl hinsichtlich der Haftungsbegründung wie des Haftungsumfangs nur sehr wenig Spielraum verbleiben. Einem Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG wird lediglich die Aufgabe zukommen, die Fälle des Lenkungsversagens näher zu konkretisieren und Modalitäten der Durchsetzung dieses Anspruchs zu regeln, ζ. B. indem es entsprechend Art. 84 Abs. 4 Satz 1 GG ein „Schiedsvefahren" vor dem Bundesrat einführt 299 . Dieser enge Regelungsspielraum des Gesetzgebers spricht dagegen, Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG eine Sperrwirkung gegenüber der unmittelbaren Anwendung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zuzuschreiben300. Im systematisch eng verwandten Fall des Verwaltungskostenerstattungsverbots des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG wird eine solche Sperrwirkung des Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG auch gar nicht in Erwägung gezogen301. 5. Exkurs: Der Rechtsweg zur Durchsetzung der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

Auf der Grundlage des hier vertretenen Verständnisses des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG läßt sich auch befriedigend die Frage beantworten, welcher Rechtsweg für die Durchsetzung dieser Finanzierungsverpflichtung gegeben ist, ob insoweit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i. V. m. § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG ein Bund-LänderStreit vor dem BVerfG durchzuführen ist oder eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vorliegt 302. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG bestimmt sich dies danach, ob die verfassungsrechtliche oder die einfachgesetzliche Ebene 298 F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 106 ff. In diese Richtung auch Erichsen, Zur Haftung, S. 10 ff., Saipa, DVB1 1974, S. 190, und Schulze, DÖV 1972, S. 409 f. 299 So auch Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 281. 300 Erichsen hat seine gegenteilige Ansicht gerade damit begründet, daß für den Gesetzgeber eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten offen stehe (Zur Haftung, S. 30 ff). 301 Das Finanzanpassungsgesetz vom 30. August 1971 (BGBl I S. 1426) stellt kein Ausführungsgesetz zu Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG dar, sondern regelt nur einige spezielle Fälle (Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 10). Aus der Existenz dieses Gesetzes kann also nicht geschlossen werden, daß auch zur Umsetzung der Haftungsvorschrift ein Ausführungsgesetz notwendig wäre (so aber F. Kirchhof NVwZ 1994, S. 107 f.). 302 Siehe hierzu: 4. Kap. Β V (S. 233 f.).

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. Kap. : chte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

das Rechtsverhältnis prägt, das dem Streit zugrunde liegt, wobei davon auszugehen ist, daß zwar Bund und Länder stets in einem verfassungsrechtlichen Verhältnis zueinander stehen, konkrete Ansprüche aber in einem engeren, nicht verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis wurzeln können303. Nimmt man an, daß ordnungswidrige Verwaltung i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halb satz 2 GG nur bei Lenkungsversagen des Parlaments und/oder der Regierung vorliegt, erscheint als Kern des Rechtsstreits nicht die Frage, wie ζ. B. ein bestimmtes Gesetzrichtigerweise hätte ausgelegt werden müssen, sondern - viel allgemeiner - , ob Bund und Länder ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zu ordnungsmäßiger Verwaltungsorganisation schlechthin nachgekommen sind. Damit werden Schadensersatzstreitigkeiten nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auf dieföderalistische, staatsrechtliche, u. a. auch vom Gesichtspunkt der Bundestreue304 geprägte Ebene gehoben. Solche Streitigkeiten sind deshalb verfassungsrechtliche Streitigkeiten 305, nicht anders wie die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG ausdrücklich erwähnten Meinungsverschiedenheiten über die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder oder die Ausübung der Bundesaufsicht 306. Zuständig zur Entscheidung über Streitigkeiten nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist somit allein das BVerfG. Insoweit braucht auch nicht mit der Antragsbegründung des Landes Nordrhein-Westfalen im anhängigen Bund-Länder-Streit 307 differenziert zu werden zwischen der Frage, ob es um dië unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG schlechthin oder nur um seine Anwendung in einem konkreten Einzelfall geht. Hieraus folgt, daß auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung das BVerwG in den Fällen der Urteile „BAföG" 308 , „Zivilschutz"309 und „Hinterlegung" 310 nicht zuständig war. Die Klagen des Bundes hätte das BVerwG nach § 50 Abs. 3 VwGO dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen müssen.

303 304 305

1544). 306

Siehe nur BVerfGE 41, S. 103 ff. (S. 112 f.) m. w. N. Siehe hierzu: 5. Kap. C Π 4 d (S. 312 ff.). Hiervon geht mit ähnlichen Erwägungen auch Bleckmann aus (Staatsrecht I, Rn.

Vgl. BVerfGE 81, S. 310 ff. (S. 330). Siehe hierzu: 4. Kap. Β V b (S. 234). 308 BVerwGE 96, S. 45 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 226 ff.) und C I e (S. 242). 309 BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 310 BVerwGE 104, S. 29 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV c (S. 229 ff.). 307

Sechstes Kapitel

Unechte Haftungsfalle zwischen Bund und Ländern Zeigte sich im Fünften Kapitel, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 3 GG bei echten Haftungsfällen unmittelbare Anwendung finden kann, ist nunmehr zu klären, in welchem Umfang sich die dort gefündenen Ergebnisse auch auf unechte Haftungskonstellationen 1 übertragen lassen. Insoweit soll sich die Untersuchung auch hier zunächst der Einfachheit halber auf solche Fälle beschränken, in denen nur Bund und Länder selbst und nicht auch bundes- oder landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts beteiligt sind. Zunächst soll die Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich der aufgabenbezogenen Finanzierungs/?/7/cAte/î des Bundes erläutert werden, die sich aus Art. 104a Abs. 2 und 3, Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG ergeben. Allgemeiner Ansicht nach soll die Haftungsvorschrift hier ihren Hauptanwendungsbereich finden 2 (A). Diese Finanzierungspflichten sollen der Finanzierung laufender Verwaltungsaufgaben der Länder dienen. Die Entscheidung, ob und welche Ausgaben der Länder vom Bund übernommen werden, liegt daher nicht im Ermessen des Bundes, sondern ergibt sich direkt aus der Verfassung. Der Bund kann m. a. W. dem Erstattungsbegehren des mittelbewirtschaftenden Landes nicht entgegenhalten, daß er bereits mehr Mittel für die in Frage stehende Aufgabe verbraucht hat, als im Haushaltsplan des Bundes vorgesehen (vgl. § 3 Abs. 2 BHO). Ist die verfassungsrechtliche Schadenslastenverteilung in diesen Fällen geklärt, ist anschließend die Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich der aufgabenbezogenen Finanzierungsbefugnisse des Bundes nach Art. 91a Abs. 4 und Art. 104a Abs. 4 GG zu untersuchen. Diese Finanzierungsbefugnisse unterscheiden sich von den Finanzierungspflichten nach Art. 104a Abs. 2 und 3 und Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG vor 1

Siehe zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Haftungsfällen: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 44). 2 Vgl. nur von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 23; AK-GG2Birk, Art. 104a Rn. 29; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 42; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 28; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 66; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 60; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 282; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 169.

318

6. Kap. : Unechte Haftungsfalle zwischen Bund und Ländern

allem dadurch, daß sie nicht zur Finanzierung laufender Verwaltungsaufgaben ermächtigen, sondern letztlich nur zu mehr oder weniger punktuellen Investitionsmaßnahmen der Länder. Damit steht von Verfassungs wegen nicht von vornherein fest, welche konkreten Landesmaßnahmen aus Bundesmitteln (teil-)finanziert werden können; dies hängt maßgeblich von der auf der Ebene des einfachen Rechts liegenden Zweckbindung der vom Bund bereitgestellten Mittel ab. Daher macht es hier besondere Probleme, die Reichweite und die Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in diesen Fällen zu bestimmen (B). Abschließend ist noch kurz auf die Frage einzugehen, wie sich die Schadenslastenverteilung bei unechten Haftungsfällen darstellt, wenn eine Bundes- oder Landesbehörde - etwa aufgrund einfacher Gesetze oder Verwaltungsvereinbarungen oder auch im Wege der Amtshilfe - Aufgaben der jeweils anderen Seite wahrnimmt, deren Kosten der „eigentliche" Aufgabenträger nach Art. 104a Abs. 1 GG übernehmen muß3 (C). Auf Art. 91b GG ist dagegen hier nicht erneut einzugehen: Daß aufgrund von Verwaltungsvereinbarungen nach Art. 91b Satz 2 GG aufgabenbezogene Finanzzuweisungen im Bund-Länder-Verhältnis erbracht werden, ist in der Praxis nicht bekannt, so daß sich hier auch keine unechten Haftungsfalle ergeben können4.

A. Bedeutung des Art. Ï04a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 und 3 GG und des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG Die Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich der aufgabenbezogenen Finanzierungspflichten des Bundes soll zunächst der Einfachheit halber am Beispiel des Art. 104a Abs. 2 GG erläutert werden (I). Ist diesbezüglich die Schadenslastenverteilung geklärt, ist zu fragen, ob und inwieweit Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch die von den Art. 104a Abs. 3 GG und 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG angeordnete Schadenslastenverteilung beeinflußt (II und III). L Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 GG Die Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG und seine Rechtsfolgen bei zweckverfehlender Mittelverwendung im Rahmen der Bun-

3 4

Siehe hierzu: 5. Kap. Α Π (S. 262 ff.). Siehe hierzu: 5. Kap. A12 b (S. 256 f.).

A. Finanzierungspflichten des Bundes und Haftung der Länder

319

desauftragsverwaltung kann nur geklärt werden, wenn vorher ermittelt wurde, wie sich die Schadenslastenverteilung darstellte, falls die Haftungsvorschrifl nicht existierte. Dies wurde bisher selbst von denjenigen Autoren nicht untersucht, die der Ansicht sind, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ohne Ausfuhrungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nicht unmittelbar anwendbar sei5. Hier ist zunächst auf den Extremfall einzugehen, daß ein Land Bundesmittel im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung aufgrund eines Bundesgesetzes ausgibt, das sich im nachhinein als verfassungswidrig und nichtig herausstellt. Wenn schon in diesem Fall die Schadenslast den Ländern zugewiesen ist, dürfte im Fall (bloß) fehlerhafter Mittelverwendung nämlich kaum etwas anderes gelten: Wenn Mittel in fehlerhafter Anwendung eines Gesetzes ausgegeben werden, erfolgt dies letztlich genauso ohne Rechtsgrundlage, wie wenn eine gesetzliche Grundlage für die Mittelvergabe überhaupt fehlt, weil das angewendete Gesetz verfassungswidrig und deshalb nichtig ist. 7. Schadenslastenverteilung für Ausgaben, die beim Vollzug verfassungswidriger Gesetze entstehen, unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG a) Wer im Bund-Länder-Verhältnis die Lasten von Ausgaben trägt, die in Vollziehung unwirksamer Rechtsgrundlagen getätigt werden, wird in der Literatur kaum behandelt6, war aber in bezug auf hierdurch entstehende Hafitungsverpflichtungen gegenüber Dritten in den Beratungen zur Staatshaftungsreform angesprochen worden7: Es geht letztlich um die Frage der Haftung für legislatives Unrecht im Bund-Länder-Verhältnis. Auch hier wird man von dem Grundsatz ausgehen müssen, daß demjenigen die Kosten solcher Ausgaben zugewiesen sind, der die unmittelbar kostenverursachende Funktion wahrgenommen hat, und nicht demjenigen, der die Aufgabenwahrnehmung durch Erlaß eines nichtigen Gesetzes o. ä. veranlaßt hat. Wenn also ein Land ein Bundesgesetz in Landeseigenverwaltung vollzieht, hat es die hierbei entstehenden Kosten nach Art. 104a Abs. 1 GG auch dann zu tragen, wenn sich das Gesetz später als verfassungswidrig und damit nichtig herausstellt. Im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 GG bestehen insofern jedoch Besonderheiten: Hier ist fraglich, ob die Länder auch dann einen Anspruch auf

5 Erichsen, Zur Haftung, S. 33, S. 58; Hirschberger, Organleihe, S. 205; Littwin, DVB1 1997, S. 156 f.; Saipa, DVB1 1974, S. 189 ff; Schulze, DÖV 1972, S. 414; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben, S. 300 f. 6 Siehe aber Birk, Die Rechtsfolgen verfassungswidriger ausgabenwirksamer Gesetze, BayVBl 1981, S. 673 ff; Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 283 f. Fußn. 67. 7 Siehe hierzu: 4. Kap. Β m (S. 223 ff.).

320

6. Kap.: Unechte H a f t u n g s e zwischen Bund und Ländern

Kostenübernahme gegen den Bund haben, wenn der Vollzug der Bundesauftragsverwaltung auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht. Dies läßt sich indes unproblematisch in den Fällen bejahen, in denen von Verfassungs wegen zwingend Bundesauftragsverwaltung angeordnet ist (Art. 90 Abs. 2, Art. 108 Abs. 3 GG). Hier kann ein die Auftragsverwaltung regelndes Gesetz die verfassungsrechtlich vorgegebene Verwaltungsorganisation im einzelnen nur konkretisieren. Die Nichtigkeit eines solchen Gesetzes kann deshalb keine Auswirkungen auf die durch Art. 104a Abs. 2 GG angeordnete Lastenverteilung haben. Die bei Wahrnehmung solcher Aufgaben entstehenden Zweckausgaben sind demnach vom Bund zu tragen, die Verwaltungsausgaben von den Ländern. b) In denjenigen Fällen fakultativer Bundesauftragsverwaltung, in denen von Verfassungs wegen Bundeseigenverwaltung vorgesehen ist (Art. 87d Abs. 2, Art. 89 Abs. 2 Satz 3 und 4 GG8), könnte man dagegen bei Nichtigkeit des die Bundesauftragsverwaltung anordnenden Gesetzes annehmen, daß sich die Länder letztlich eine Verwaltungskompetenz anmaßen, wenn sie dieses Gesetz trotzdem ausführen, so daß sie nach allgemeinen Grundsätzen die Kosten der vermeintlichen Bundesauftragsverwaltung vollständig zu tragen hätten9. Der Bund könnte dann bereits erstattete Zweckausgaben aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zurückfordern. Dies erscheint jedoch als wenig sachgerecht: Das betroffene Land kahn sich dem Vollzug des Gesetzes bis zur Erklärung seiner Nichtigkeit durch das BVerfG nicht entziehen, auch wenn es die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes erkannt und selbst eine Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG veranlaßt hat 10 - der Verwaltung kommt grundsätzlich keine Verwerfungs- oder Aussetzungskompetenz zu, selbst wenn sie von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist 11 . Im übrigen entspräche eine vollständige Belastung der Länder auch nicht dem Kongruenzprinzip 12: Die Regeln über die Verteilung der Einnahmezuständigkeiten setzen voraus, daß die in Frage stehenden Ausgaben entweder bei Bundeseigenverwaltung vollständig oder bei Bundesauftragsverwaltung zumindest teilweise vom Bund zu tragen sind. Es kann daher nicht angehen, daß der Bund durch Erlaß verfassungswidriger Gesetze ihm zugewiesene Ausgaben auf Kosten der Länder vermindert.

8 Ob der Übertragungsakt nach Art. 89 Abs. 2 GG in Gesetzesform ergehen muß, ist umstritten, soll hier der Einfachheit halber aber angenommen werden, zumal dies der wohl herrschenden Meinung entspricht: Vgl. Nachw. bei Hoog, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 89 Rn. 24. 9 Siehe hierzu: 5. Kap. A 1 1 b (S. 253 f.). 10 Hierauf stellt Birk entscheidend ab (BayVBl 1981, S. 678 f. ). 11 Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 28 Rn. 20 ff. 12 Siehe hierzu: . Kap. (S. f.).

Α. Finanzierungspflichten des Bundes und Haftung der Länder

321

Dem Kongruenzprinzip würde es dagegen eher entsprechen, den Bund so zu stellen, als hätte er die Aufgaben in Bundeseigenverwaltung durchgeführt, ihm deshalb nach Art. 104a Abs. 1 GG die vollständige Kostentragungslast aufzubürden und damit zu verpflichten, die Länder (rückwirkend) auch von ihren Verwaltungsausgaben freizustellen. Damit würde zumindest in finanzieller Hinsicht der Zustand hergestellt, der bestehen würde, wenn das verfassungswidrige Gesetz nie verabschiedet worden wäre. Allerdings würden dann auch nachträgliche Verschiebungen auf der Einnahmeseite notwendig: Die Verteilung der Einnahmen nach dem Grundgesetz ist nicht starr verfassungsrechtlich festgeschrieben, sondern kann in einzelnen Teilen den jeweiligen Bedürfnissen angepaßt werden: Dies betrifft insbesondere die Aufteilung der Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 1 GG), die berücksichtigen muß, daß Bund und Länder gleichermaßen Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben haben, wobei der Umfang der Ausgaben im Rahmen einer mehijährigen Finanzplanung zu ermitteln ist. Der Erlaß von Gesetzen, welche die Ausgaben der Länder erhöhen, muß demnach bei der Verteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Gesetze, die anordnen, daß bestimmte Aufgaben nicht mehr in Bundeseigen-, sondern in Bundesauftragsverwaltung wahrgenommen werden sollen: Hierdurch werden die Länder erstmals mit den in Vollzug dieser Aufgaben entstehenden Verwaltungsausgaben belastet. Stellt sich ein solches Gesetz im nachhinein als verfassungswidrig heraus, wäre es daher weder sinnvoll noch notwendig, zunächst auf der Ausgabeseite Korrekturen vorzunehmen, nur um hinterher die Einnahmeseite entsprechend anpassen zu müssen. Die Kongruenz zwischen Einnahme- und Ausgabezuständigkeit erscheint hier genauso gewahrt, wenn das Gesetz bis zur Erklärung seiner Nichtigkeit finanzverfassungsrechtlich als wirksam behandelt wird. Für diese Lösung spricht schließlich auch der Aspekt der Rechtssicherheit: Ginge man von einer Verpflichtung des Bundes aus, den Ländern die Verwaltungsausgaben zu erstatten, müßte zunächst nachträglich ermittelt werden, welche Verwaltungsausgaben in welcher Höhe bei dem (u. U. jahrelang andauernden) Vollzug des verfassungswidrigen Gesetzes überhaupt angefallen sind. Hierüber können naturgemäß Streitigkeiten entstehen. Die hiermit verbundenen Unsicherheiten würden eine vernünftige, notwendigerweise in die Zukunft gerichtete Finanzplanung von Bund und Ländern erschweren. Darüber hinaus steht aufgrund des Verwerfüngsmonopols des BVerfG letztlich erst nach Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes fest, daß ein bestimmtes Gesetz verfassungswidrig war 13. Wenn das Parlament das in Frage stehende Gesetz vor Entscheidung durch das BVerfG selbst aufhebt, wären daher die Unsicherheiten über die in der Vergangenheit eingetretenen Rechtsfolgen dieses Geset13

Birk, BayVBl 1981, S. 677.

21 Stelkens

322

6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

zes nicht behoben: Um zu klären, ob die Verwaltungsausgaben der Länder rückwirkend vom Bund zu erstatten sind, müßte vielmehr trotzdem die Verfassungsmäßigkeit des aufgehobenen Gesetzes verfassungsgerichtlich geklärt werden - was nur eingeschränkt als sinnvoll erscheint. Dies alles spricht dafür, finanzverfassungsrechtlich das Land genauso zu behandeln, als wenn das Gesetz wirksam gewesen wäre: Der Bund muß die Zweckausgaben tragen, das Land die Verwaltungsausgaben. Nachträgliche Korrekturen der Lastenverteilung und der Einnahmezuständigkeiten nach Nichtigkeitserklärung des Gesetzes finden nicht statt. c) Entsprechendes gilt auch dann, wenn in den Fällen fakultativer Bundesaufitragsverwaltung, in denen von Verfassungs wegen Landeseigenverwaltung vorgesehen ist (Art. 87b Abs. 2, Art. 87c, Art. 120a Abs. 1 GG), das eine Bundesauftragsverwaltung anordnende Gesetz verfassungswidrig ist: Bis zur Nichtigkeitserklärung des Gesetzes oder seiner Aufhebung auf andere Weise ist auch hier finanzverfassungsrechtlich von einem wirksamen Gesetz auszugehen, da sich die Länder einerseits dem Vollzug verfassungswidriger, aber nicht für nichtig erklärter Gesetze nicht entziehen können, andererseits bei der Verteilung der Umsatzsteuer die durch diese Gesetze entstehenden Ausgaben im Zweifel zugunsten des Bundes berücksichtigt wurden, so daß eine Korrektur auf der Ausgabeseite auch eine Korrektur auf der Einnahmeseite notwendig macht, und schließlich, daß die notwendig in die Zukunft gerichtete Finanzplanung zwischen Bund und Ländern unnötig erschwert würde, wenn bereits abgeschlossene Vorgänge neu aufgerollt werden müßten. Dementsprechend liegt „Verwaltung im Auftrag des Bundes" i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG auch dann vor, wenn das sie anordnende Gesetz verfassungswidrig ist solange die entsprechenden Gesetze nicht durch das BVerfG für nichtig erklärt wurden14. Finanzverfassungsrechtlich gesehen wirkt damit die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das BVerfG nur ex nunc. 2. Schadenslastenverteilung für fehlerhafte Mittelverwendung unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG a) Da auch beim Vollzug verfassungswidriger Gesetze, welche Bundesauftragsverwaltung anordnen, die hierdurch entstehenden Zweckausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG dem Bund zugewiesen sind, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß auch die Schadenslast für fehlerhafte Mittelverwendung nach Art. 104a Abs. 2 GG beim Bund liegt. Bei zweckentsprechender, aber unwirtschaftlicher Mittelverwendung15, ergibt sich dies schon aus der allge14 15

So auch Birk, BayVBl 1981, S. 678 f. Siehe zu dieser Unterscheidung: 1. Kap. A I a (S. 32 f.).

Α. Finanzierungspflichten des Bundes und Haftung der Länder

323

mein anerkannten Definition des Begriffs „Zweckausgaben", deren Finanzierung der Bund anerkanntermaßen nach Art. 104a Abs. 2 GG übernehmen muß16: Sie enthält das Merkmal der Wirtschaftlichkeit nicht; auch zweckentsprechende, aber unwirtschaftliche Ausgaben sind damit Zweckausgaben, da sie unmittelbar den Verwaltungszweck fördern 17 - und sind deshalb nach Art. 104a Abs. 2 GG vom Bund zu tragen, unabhängig davon, ob die Ursache des unwirtschaftlichen Verhaltens beim Bund oder beim Land zu suchen ist. b) Wem Art. 104a Abs. 2 GG die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen zuweist, ist demgegenüber wesentlich schwieriger zu beantworten. Insofern ist festzustellen, daß zweckverfehlende Aufwendungen als solche jedenfalls nicht unmittelbar den Verwaltungszweck fördern - dementsprechend scheinen keine vom Bund zu tragenden Zweckausgaben vorzuliegen. Sturm folgend 18 könnten demnach die Kosten zweckverfehlender Aufwendungen als Verwaltungsausgaben nach Art. 104 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG den Ländern zuzuweisen sein19, da alle Ausgaben Verwaltungsausgaben sind, die nicht zu den Zweckausgaben zählen20. Da die Lastenverteilungsvorschriften zwingend sind, wäre Folge einer solchen Schadenslastenverteilung allerdings, daß der Bund bei Bundesauftragsverwaltung zumindest im nachhinein durch Kontrolle jedes einzelnen von den Ländern bereits abgeschlossenen kostenverursachenden Verwaltungsvorgangs überprüfen müßte, ob nicht Rückerstattungsansprüche gegenüber den Ländern geltend zu machen wären. Die Länder könnten solchen Rückforderungsansprüchen nicht entgegenhalten, durch die zweckverfehlende Mittelverwendung nicht (mehr) bereichert zu sein21. Ein solcher Kontrollzwang des Bundes führte damit letztlich zu einer nicht vertretbaren Aushöhlung der Regeln über die Verteilung der Vollzugszuständigkeiten bei Bundesauftragsverwaltung. Gegen die von Sturm angenommene Schadenslastenverteilung sprechen also letztlich dieselben Argumente, die schon gegen die Gleichsetzung des Begriffs „Ordnungsmäßigkeit" in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG mit „Recht- und Zweckmäßigkeit" vorgebracht wurden22. Sie ist daher von Literatur und Rechtsprechung im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden.

16

Siehe hierzu: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). Ähnlich auch Cremer, JuS 1996, S. 334; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 228. 18 Siehe hierzu: 4. Kap. C I b ( S . 237 f.). 19 So Storr, in: Aulehner u. a., Föderalismus, S. 282 f.; ähnlich auch Asam, BayVBl. 1966, S. 229; Luther, Die Lastenverteilung, S. 135. 20 Siehe hierzu: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). 21 Siehe hierzu: 1. Kap. Β Π a (S. 64 ff.) und f (S. 74 f.). 22 Siehe hierzu: 5. Kap. C Π 3 c bis f (S. 303 ff.). 17

21

324

6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

c) Die Gefahr einer Aushöhlung der Vollzugszuständigkeitsverteilung bei zu enger Definition des Begriffes „Ausgabe" i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG erfordert damit ein neues Verständnis dieses Begriffes, der sich nicht auf den reinen Begriff der Zweckausgabe reduzieren läßt, sondern auch zweckverfehlende Ausgaben umfassen muß. Jedoch darf dieser neue Begriff nicht so weit gehen, daß das Verbot der Verwaltungskostenerstattung ausgehöhlt würde; die Folgen schlichter Falschbuchungen müssen weiterhin rückabgewickelt werden können, weil sonst die Länder dem Bund absichtlich oder unabsichtlich Ausgaben zuweisen könnten, die er ersichtlich nicht zu tragen hat. Die formelle Buchung einer bestimmten Ausgabe als vom Bund zu tragenden Ausgabe muß daher unerheblich sein23. „Ausgaben " i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG sind demnach (unter Nichtberücksichtigung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG) alle diejenigen Ausgaben, die dadurch veranlaßt werden, daß die Länder ein bestimmtes Sachanliegen gerade durch das Ausgeben bestimmter Mittel zu fördern haben. Dies sind alle diejenigen Ausgaben, die tatsächlich unmittelbar dem Sachanliegen dienen (echte Zweckausgaben), und diejenigen Ausgaben, die dadurch entstehen, daß letztlich Menschen als die „Hauptproduktionsfaktoren der Verwaltung" 24 dieses Sachanliegen umsetzen sollen und deshalb Fehler und Verstöße gegen die jeweilige Zweckbindung der Mittel unvermeidbar sind25. Nicht erfaßt vom Ausgabenbegriff des Art. 104a Abs. 2 GG sind dagegen alle bisher als Verwaltungsausgaben gekennzeichneten Ausgaben, wie die durch die Unterhaltung des Verwaltungsapparates, durch Haftungsverpflichtungen und Prozesse entstehenden Kosten26, da sie nicht unmittelbar dadurch entstehen, daß bestimmte Sachanliegen gerade durch das Ausgeben bestimmter Mittel gefördert werden sollen. Ausgenommen sind schließlich auch die durch Falschbuchungen verursachten Aufwendungen, da sie nicht durch die Förderung eines bestimmten Sachanliegens durch Bereitstellung bestimmter Mittel veranlaßt werden, sondern ihren Grund allein darin finden, daß den Ländern überhaupt Zugriff auf Bundesmittel eröffnet ist und deshalb Fehlgriffe möglich werden. d) Eine einschränkendere Auslegung des Begriffs „Ausgabe" i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG erscheint ausgeschlossen, will man nicht die Gefahr einer Aushöhlung der Vollzugszuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern heraufbeschwören: Gegen die Annahme Vogels und P. Kirchhofs, daß den Ländern ein „Vertretbarkeitsspielraum" bei ihren Entscheidungen einzuräumen sei und nur bei vertretbaren Entscheidungen vom Bund zu über23

Vgl. Griffel, DöH 1957, S. 244. B. Becker, Die öffentliche Verwaltung, § 8 5, S. 121 ff. 25 Ähnlich Carl, NVwZ 1994, S. 949 und G. Groß, Die Haftung der Länder, S. 116, unter Berufung auf BGHZ 8, S. 169 ff. (S. 179). 26 Siehe hierzu: 5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). 24

. Finanzierungsfie

des Bundes und Haftung der L ä n d e r 3 2 5

nehmende Ausgaben vorlägen, ansonsten aber die Kosten zweckverfehlender Mittelverwendungen den Ländern zuzuweisen wären27, spricht, daß eine solche Schadenslastenverteilung den Bund nicht von der Notwendigkeit entbinden würde, jeden von den Ländern abgeschlossenen kostenwirksamen Verwaltungsvorgang daraufhin zu überprüfen, ob hierbei in „vertretbarer Weise" vorgegangen wurde - unabhängig davon, daß der Begriff der „Vertretbarkeit" kaum ein tauglicher Abgrenzungsmaßstab für eine Lastenverteilung wäre, da nicht definierbar ist, wo die Grenze zwischen vertretbaren und unvertretbaren Entscheidungen verläuft. Griffel und Jeddeloh wollen darauf abstellen, ob eine bestimmte Ausgabe noch auf demjenigen Sachgebiet liegt, auf dem der Bund die Ausgaben zu tragen hat28. Es fehlt aber auch hier an Kriterien, um das jeweilige Sachgebiet einzugrenzen, auf dem eine Ausgabe liegen müßte. Es würde auch nicht weiterhelfen, auf bestimmte Schuldformen abzustellen: Der Erstattungsanmeldung eines Landes oder der Kassenanweisung eines Landesbediensteten zu Lasten der Bundeskasse ist nicht anzusehen, ob der hierfür letztlich verantwortliche Landesbedienstete korrekt gehandelt oder grob fahrlässig bzw. vorsätzlich gegen die Zweckbindung der Bundesmittel verstoßen hat. Durch eine solche Abgrenzung würde also der Bund nicht von der Notwendigkeit enthoben, abgeschlossene Verwaltungsvorgänge näher zu überprüfen 29. Vorstellbar wäre schließlich noch, zur Abgrenzung zwischen Ausgaben i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG und Verwaltungsausgaben auf ein Lenkungsversagen des Landtags und/oder der Landesregierung abzustellen. Es kann jedoch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der durch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG angeordnete Haftungsmaßstab letztlich deklaratorisch ist und nur etwas anordnet, was ohnehin gelten würde30. 3. Rechtsfolgen des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG

a) Berücksichtigt man Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei der Ermittlung der Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 2 GG, scheint bezüglich solcher fehlerhafter Aufwendungen, die auf Len27

BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 94. Griffel, DöH 1957, S. 244 Fußn. 4; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 117 ff. unter Berufung auf OVG Münster, OVGE 16, S. 61 ff. (S. 67) - „Wohnungsbauförderung", wo es allerdings um eine ganz andere Situation ging: Siehe hierzu: 4. Kap. Α Π l b (S. 194) und C I a (S. 236). 29 Dem Bund die Kosten grob fahrlässigen und vorsätzlichen Fehlverhaltens von Landesbediensteten zuzuweisen, erscheint auch nicht als unbillig, da damit dem Bund auch die „Kehrseitenertragszuständigkeit 4' für Ersatzleistungen der betreffenden Bediensteten zuwächst - siehe hierzu: 1. Kap. Β Π fund g (S. 74 ff.). 30 Vgl. BVerwG, NJW 1976, S. 1468 - „Seehafen Emden", siehe hierzu: 4. Kap. A Π1 c(S. 194) und Β IV e (S. 232). 28

326

6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

kungsversagen der Länder beruhen, eine doppelte, sich überschneidende Finanzierungszuständigkeit von Bund und Ländern zu bestehen: Einerseits müßte der Bund diese Ausgaben als „Ausgaben" i. S. d. Art. 104a Abs. 2 GG tragen, da sie dadurch veranlaßt werden, daß die Länder ein bestimmtes Sachanliegen gerade durch das Ausgeben bestimmter Mittel zu fördern haben31. Andererseits wären nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG dem Land die hierdurch entstehenden Mehrausgaben des Bundes zugewiesen. Diese Formulierung deutet schon die Lösung des Normenkonfliktes an: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG geht als Spezialvorschrift Art. 104a Abs. 2 GG vor. Im Ergebnis muß also das Land und nicht der Bund die Kosten der auf Lenkungsversagen der Länder beruhenden Fehlverwendungen tragen. b) Mit der Qualifizierung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als Spezialvorschrift gegenüber Art. 104a Abs. 2 GG ist aber noch nicht gesagt, wie diese Spezialität rechtstechnisch ausgestaltet ist. Das BVerwG ging in dem Urteil „Zivilschutz"32 davon aus, daß die Finanzierungszuständigkeit des Art. 104a Abs. 2 GG von Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG unberührt bleibe, der Bund aber aufgrund der Haftungsvorschrift eine Schadensersatzleistung vom Land verlangen könne33. Teilweise wird hier auch eine Aufrechnung für möglich gehalten34. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG würde damit die durch Art. 104a Abs. 2 GG angeordnete Schadenslastenverteilung korrigieren 35 und so unechte Haftungsfälle letztlich nicht anders als echte Haftungsfälle behandeln36. Diese Haftungskonstruktion soll hier als Aufrechnungslösung bezeichnet werden. Denkbar wäre aber auch, Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG eine eigenständige Rechtsfolge bei unechten Haftungsfällen zu entnehmen: Man könnte Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ähnlich verstehen wie § 91 Abs. 1 Satz 3 GG SGB X 3 7 - als eine Vorschrift, die von vornherein die Finanzierungszuständigkeit des Art. 104a Abs. 2 GG bezüglich solcher fehlerhafter Mittelverwendungen einschränkt, die auf einem Lenkungsversagen des Landes beruhen. Für diese Tatbestandslösung spricht der enge systematische Zusammenhang der Haftungsvorschrift mit dem Verbot der Verwaltungskostenerstattung. Genau wie aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG im Wege eines Umkehrschlusses geschlossen wird, daß sich die Finanzierungszuständigkeit des Bundes nach Art. 104a Abs. 2 GG von vorn31

Siehe hierzu: 6. Kap. A12 c (S. 324). BVerwG, NVwZ 1995, S. 991 f. - siehe hierzu: 4. Kap. Β IV (S. 228 ff.) und C I e (S. 242). 33 Siehe hierzu: 4. Kap. C I e (S. 242). 34 Cremer, JuS 1996, S. 334. 35 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I V a (S. 226 f.). 36 Siehe hierzu: 2. Kap. B Vffl (S. 114 ff.). 37 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 c (S. 45). 32

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herein auf die Finanzierung der „Zweckausgaben" begrenzt38, könnte man aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG schließen, daß der Bund nach Art. 104a Abs. 2 GG die Kosten fehlerhafter Mittelverwendungen zu tragen hat, solange sie auf ordnungsmäßiger Verwaltung der Länder beruhen. Den Ländern wäre es damit umgekehrt von vornherein verwehrt, auf Lenkungsversagen beruhende fehlerhafte Ausgaben beim Bund zur Erstattung anzumelden. Erstattete der Bund unter Verstoß gegen Art. 104a Abs. 2 i. V. m. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG den Ländern trotzdem solche Aufwendungen, wären diese rechtsgrundlos geleistet; der Bund wäre aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zur Rückforderung berechtigt. Hinsichtlich des Haftungsumfangs würde sich die Tatbestandslösung nicht von der Aufrechnungslösung unterscheiden: Wenn man mit dem BVerwG der Aufrechnungslösung folgt, muß der Bund dem Land zunächst die durch fehlerhafte Aufwendungen entstandenen Ausgaben ersetzen, hätte aber bei Lenkungsversagen des Landes einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm unmittelbar durch die fehlerhafte Mittelverwendung des Landes entstanden ist. Der Schadensersatzanspruch wäre der Höhe nach auf die Summe der fehlerhaft ausgegebenen Mittel beschränkt; entgangenen Gewinn, Zinsverluste u. ä. könnte der Bund nicht geltend machen39. Das Land könnte dem Bund seinerseits auch kein Mitverschulden entgegenhalten40 - so daß niemals ein Schadensersatzanspruch entstehen könnte, der geringer wäre als die Summe der fehlerhaft ausgegebenen Mittel. Die Lastenverteilung bezüglich der durch fehlerhafte Mittelverwendung entstehenden Ausgaben sähe im Ergebnis nicht anders aus, wenn man der Tatbestandslösung folgt: Dem Bund wäre es von vornherein verwehrt, die durch ordnungswidrige Landesverwaltung entstehenden Mehrkosten zu übernehmen. Übernimmt er solche Kosten unter Verstoß gegen Art. 104a Abs. 2 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG dennoch, wäre das betreffende Land aufgrund des allgemeinen öffentlichen Erstattungsanspruchs zur Rückerstattung verpflichtet. Die Erstattungspflicht würde sich auf das „Erlangte" beschränken: Dies wäre die Summe der fehlerhaft ausgegebenen Mittel. Entgangener Gewinn und Zinsen wären nicht zu ersetzen41; Mitverschulden des Bundes könnte nicht geltend gemacht werden. c) Bei der Entscheidung zwischen Tatbestands- und Aufrechnungslösung handelt es sich somit im Ergebnis um ein reines Konstruktionsproblem. Für die Tatbestandslösung spricht vor allem, daß sie die wesentlich einfachere Haftungskonstruktion ist, da sie überflüssige Hin- und Herzahlungen im Bund-

38 39 40 41

Siehe hierzu: Siehe hierzu: Siehe hierzu: Siehe hierzu:

5. Kap. A14 c (S. 260 ff.). 5. Kap. Β I d (S. 274 ff.). 5. Kap. Β I e (S. 276). 1. Kap. Β I b (S. 63 f. ).

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Länder-Verhältnis vermeidet und den Ländern schon von vornherein verbietet, auf ordnungswidriger Verwaltung beruhende Fehlausgaben überhaupt beim Bund zur Erstattung anzumelden. Sie präjudiziell zudem weniger als die Aufrechnungslösung Folgeentscheidungen für das Land-Gemeinde-Verhältnis bzw. für das Verhältnis zwischen dem Land und dem fehlerhaft handelnden Amtswalter - wie die Entscheidungen „Wohngeld"42 und „Kindergeld" 43 gezeigt haben. Dies wird vor allem auch der Verwaltungsorganisationshoheit der Länder gerecht. Zudem würde sich die Tatbestandslösung auch nahtlos in das für sonstige Verstöße gegen die Finanzverfassung geltende „Rückerstattungsregime" einfügen, da sich hier wie sonst die Rückerstattung von Fehlzahlung nach dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch richtete auf diese Weise könnten auch Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden. Für die Aufrechnungslösung spricht dagegen vor allem der Wortlaut des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, der nicht zwischen echten und unechten Haftungsfällen differenziert, sondern in beiden Konstellationen einheitlich die „Haftung" anordnet. Hieraus muß sich aber nicht zwingend eine einheitliche Haftung ergeben: Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß der Regelung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG kein geschlossenes Haftungskonzept für echte und unechte Haftungsfälle zugrunde lag und im Gesetzgebungsverfahren die Besonderheiten der unechten Haftungsfälle schlicht übersehen worden waren. Aus der Entstehungsgeschichte wird man daher nur schließen können, daß hinsichtlich des tatsächlichen Haftungsumfangs und des Haftungsmaßstabs echte und unechte Haftungsfälle im Ergebnis gleich behandelt werden sollten, eben weil nicht zwischen beiden Konstellationen unterschieden wurde. Verbindliche Aussagen zur Haftungskonstruktion im einzelnen lassen sich der Entstehungsgeschichte dagegen nicht entnehmen. Tatsächlich entspricht die Tatbestandslösung sogar eher als die Aufrechnungslösung den Ausführungen der Troeger-Kommission zur Haftungsvorschrift: Indem sie die Kosten fehlerhafter Verwaltung zu den Verwaltungsausgaben zählte, rechnete sie diese Kosten in unechten Haftungsfällen von vornherein den Ländern zu - hielt also einen echten Schadensersatzanspruch des Bundes gar nicht für notwendig44. Daher steht der Tatbestandslösung auch nicht entgegen, daß sich hiernach eventuelle Rückforderungsansprüche des Bundes bei ordnungswidriger Verwaltung der Länder nicht aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, sondern aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergeben würden. Im Gesetzgebungsverfahren ging man zwar davon aus, daß sich solche Ansprüche unmittelbar aus der Haf42 43 44

BVerwG NJW 1995, S. 978 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. A m h (S. 210 f.). BVerwGE 100, S. 56 ff. - siehe hierzu: 4. Kap. C I f(S. 243 ff). Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a (S. 213 ff).

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des Bundes und Haftung der L ä n d e r 3 2 9

tungsvorschrift selbst ergäben: Dies beruhte aber wieder darauf, daß nicht zwischen echten und unechten Haftungsfällen unterschieden wurde. Schließlich läßt sich auch aus Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nichts gegen die Tatbestandslösung herleiten. Es ist selbstverständlich, daß sich die Befugnis, das Nähere auszugestalten, bezüglich unechter Haftungsfalle auch auf den Rückforderungsanspruch des Bundes erstreckt: Der Bundesgesetzgeber wäre somit frei, den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch durch einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch auszuschließen, und könnte insofern auch die nähere Ausgestaltung regeln. In dieser Hinsicht wäre nur zu beachten, daß sich der tatsächliche Haftungsumfang bei unechten Haftungsfällen nicht von dem tatsächlichen Haftungsumfang bei echten Haftungsfällen unterscheiden darf. Im Ergebnis ist damit der Tatbestandslösung zu folgen und bei unechten Haftungsfällen Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als eine mit § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X vergleichbare Schadenslastenverteilungsvorschrift zu verstehen. Rückforderungsansprüche des Bundes bei fehlerhafter Mittelverwendung durch die Länder können sich demnach nur aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergeben. II. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 3 GG a) Man wird davon ausgehen können, daß bei Nichtexistenz des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG der Begriff der „Ausgabe" in Art. 104a Abs. 3 GG genauso zu verstehen wäre wie im Fall des Art. 104a Abs. 2 GG. Der Bund wäre also in Höhe seines gesetzlich festgeschriebenen Anteils verpflichtet, den Ländern die Zweckausgaben, unwirtschaftliche und zweckverfehlende Ausgaben zu erstatten, solange sie nur dadurch veranlaßt werden, daß bestimmte Sachanliegen gerade durch das Ausgeben bestimmter Mittel gefördert werden sollen45. Aber auch hier wird diese „primäre", sich allein aus Art. 104a Abs. 3 GG ergebende Schadenslastenverteilung zugunsten des Bundes verschoben, indem Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG die durch Lenkungsversagen der Länder verursachten fehlerhaften Aufwendungen wie Verwaltungsausgaben den Ländern zuweist46 - es ist unbestritten, daß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch im Bereich des Art. 104a Abs. 3 GG anwendbar ist 47 . Die Kostenaufteilungsvorschriften einiger Geldleistungsgesetze 45

Siehe hierzu: 6. Kap. A12 c (S. 324). Siehe hierzu: 6. Kap. A I 3 (S. 325 ff.). 47 Vgl. nur von Arnim, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 103 Rn. 23; Bauer/Zirbes, JuS 1997, S. 514 f.; AK-GG2-Birk, Art. 104a Rn. 29; Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar DI, Art. 104a Rn. 42; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rn. 28; Maunz, 46

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

selbst sind dagegen oftmals so formuliert, als wenn der Bund den Ländern nur zweckentsprechende Mittelverwendungen erstatten müßte: So bestimmt § 34 WoGG, daß Wohngeld, das von einem Land gezahlt worden ist, vom Bund zur Hälfte erstattet wird; nach § 4 Abs. 2 OEG trägt der Bund 40% der Ausgaben, die den Ländern durch Geldleistungen nach diesem Gesetz entstehen. Im Gegensatz dazu stehen die Kostentragungsvorschriften anderer Geldleistungsgesetze, die eher nahe legen, daß der Bund sämtliche zweckverfehlende Ausgaben übernehmen muß - auch solche, die auf Lenkungsversagen der Länder zurückzuführen sind: So spricht § 56 BAföG nur von Ausgaben, die bei der Ausführung dieses Gesetzes entstehen. In beiden Fällen dürfte jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschriften entsprechend den oben dargestellten Schadenslastenverteilungsregeln in Betracht kommen: Hierfür spricht, daß für die unterschiedlichen Formulierungen der Kostentragungsvorschriften kein Sachgrund erkennbar ist, so daß man annehmen kann, daß der Gesetzgeber jeweils nur den Normalfall der zweckentsprechenden Mittelverwendung vor Augen hatte. b) Auch der Sonderfall, daß sich im nachhinein ein Geldleistungsgesetz i. S. d. Art. 104a Abs. 3 GG als verfassungswidrig herausstellt, dürfte nicht anders als der Fall verfassungswidrigerweise angeordneter Bundesauftragsverwaltung zu entscheiden sein48; die Interessenlage ist in beiden Fällen identisch. Damit käme einer Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG finanzverfassungsrechtlich nur eine Wirkung ex nunc zu, eine Haftung des Landes nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nur in Betracht, wenn es das verfassungswidrige Gesetz aufgrund von Lenkungsversagen rechtsfehlerhaft vollzieht. Π Ι Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG a) Ob und inwieweit Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auch im Anwendungsbereich des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG Bedeutung zukommen kann, ist nicht völlig zweifelsfrei. Zunächst ist Art. 120 GG anläßlich der Finanzreform 1969 nicht geändert worden. Die Troeger-Kommission hatte dies damit begründet, daß diese Lasten ausliefen 49. Die Bundesregierung hob dementsprechend in ihrer Begründung zum Entwurf des Finanzreformgesetzes

in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 66; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 60; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 169. 48 Siehe hierzu: 6. Kap. A 1 1 (S. 319 ff.). 49 Troeger-Gutachten, Teil C I 5, Tz. 216.

A. Finanzierungspflichten des Bundes und Haftung der Länder

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hervor, daß Art. 120 GG von Art. 104a GG „unberührt" bleibe50. Diese Begründungen vermitteln den Eindruck, als ob Art. 104a GG letztlich selbständig neben Art. 120 GG treten und deshalb auch Art. 104a Abs. 5 GG hier keine Anwendung finden sollte. Welche Auswirkungen ein solches Verständnis des Verhältnisses zwischen Art. 104a GG und Art. 120 GG haben würde, soll hier am Beispiel der Kriegsoperfürsorge nach §§ 25 ff. BVG näher erläutert werden: Soweit das BVG die Kriegsopferfürsorge betrifft, handelt es sich um ein Kriegsfolgelasten regelndes Gesetz51. Nach Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG müßte der Bund damit die Kosten der Kriegsopferfürsorge vollständig übernehmen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 1. ÜLG 52 trägt der Bund jedoch nur bestimmte Aufwendungen für Kriegsbeschädigte und ihnen gleichgestellte Personen. Dies wird durch Art. 120 Abs. 1 Satz 2 GG ermöglicht, der (wie Satz 3) diejenigen einfachgesetzlichen Vorschriften verfassungsrechtlich festschreibt, welche vor dem 1. Oktober 1969 die Aufteilung der Kosten der Kriegsfolgenverwaltung in Abweichung von Art. 120 Satz 1 GG geregelt und (teilweise) den Ländern zugewiesen hatten. Eine Änderung der Lastenverteilung bezüglich dieser Kriegsfolgelastengesetze kann somit nur gleichzeitig mit einer Verfassungsänderung erfolgen 53. Geht man davon aus, daß Art. 120 GG tatsächlich von den Regelungen des Art. 104a GG unberührt bleibt, wäre deshalb wegen Art. 120 Abs. 1 Satz 2 GG zur Ermittlung der Schadenslastenverteilung allein auf diese einfachgesetzliche Vorschrift abzustellen. Es wäre nur zu klären, ob nach Sinn, Zweck und Entstehungsgeschichte gerade des § 1 Abs. 1 Nr. 8 1. ÜLG der Bund auch verpflichtet ist, fehlerhafte Aufwendungen als Aufwendungen „nach den §§ 25 bis 27 des Bundesversorgungsgesetzes" zu übernehmen, welche nach § 21 Abs. 1 Satz 1 1. ÜLG von den Ländern auf Rechnung des Bundes geleistet werden. Hiervon würde man wohl im Ergebnis ausgehen müssen - vor allem weil dies der Systematik des 1. ÜLG entspräche: So sieht § 21a 1. ÜLG bezüglich bestimmter anderer Kriegsfolgengesetze vor, daß der Bund die Aufwendungen, die den Ländern durch ihre Ausführung entstehen, durch Pauschbeträge abzugelten hat 54 . Als Grundlage für die Pauschalierung war die Gesamtheit der in der Zeit vom 1. Juli 1953 bis zum 30. Juni 1954 von

50

BT-Drucks. V/2861, S. 51, Tz. 289. Κ. H. Schaefer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 120 Rn. 12. 52 Erstes Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz) i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. April 1955 (BGBl I S. 193), zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 20. Dezember 1991 (BGBl IS. 2317). 53 Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 25 ff.; Κ. H. Schaefer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 120 Rn. 5. 54 Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 i (53 f.). 51

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

den Ländern auf dem Gebiet der Kriegsfolgenverwaltung getätigten Aufwendungen herangezogen worden - ohne daß Abzüge für fehlerhafte Mittelverwendungen erfolgt wären (§ 21a Abs. 2 und 3 1. ÜLG)55. Ging man daher bei §21a 1. ÜLG anscheinend von einer Kostenübernahmepflicht des Bundes auch für zweckverfehlende Mittelverwendungen aus, wäre nicht ersichtlich, warum im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 8 1. ÜLG etwas grundsätzlich anderes gelten sollte. Eine weite Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 8 1. ÜLG hätte zudem auch der Auffassung des Bundesversorgungsamtes entsprochen, nach der zumindest bei Handeln auf Rechnung des Bundes Rückforderungsansprüche gegenüber den Ländern bei fehlerhafter Mittelverwendung allenfalls aufgrund eines Schadensersatzanspruches möglich gewesen wären56. Im Ergebnis wäre somit der Begriff „Aufwendungen" in § 1 Abs. 1 Nr. 8 1. ÜLG wohl nicht anders zu verstehen gewesen als der Begriff „Ausgaben" in Art. 104a Abs. 3 GG, wenn man Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht berücksichtigt57. Eine Haftung des Landes für Lenkungsversagen wäre damit nicht vorgesehen, da das 1. ÜLG, auf das sich Art. 120 Abs. 1 Satz 2 GG bezieht, eine entsprechende Regelung nicht enthält. b) Dieses Ergebnis läßt es als zweifelhaft erscheinen, ob Art. 104a GG nach Absicht des Gesetzgebers tatsächlich Art. 120 GG vollständig unberührt lassen sollte. Die Kriegsfolgelastenverwaltung war vor der Finanzreform 1969 der Bereich gewesen, in dem sich das Problem der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis für fehlerhaftes Ausgeben von Bundesmitteln am häufigsten und daher am deutlichsten stellte. Auch die Grundsatzurteile des BGH 58 und des BVerwG 59 zur Haftungsfrage bezogen sich auf die Kriegsfolgelasten, worauf die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates auch hingewiesen hatte60. Es kann daher nicht angenommen werden, daß gerade dieser bisher praktisch bedeutsamste und allgemein als regelungsbedürftig angesehene Fall von Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht erfaßt werden sollte, der doch nach Auffassung der Troeger-Kommission grundsätzlich „Klarheit über die lang umstrittene Frage der Haftung" schaffen sollte61. Eine Geltung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ließe sich auch dogmatisch begründen, indem man Art. 120 GG nicht als neben

55 Siehe hierzu im einzelnen: Wodrich, Die Berechnung der Pauschbeträge in der Kriegsfolgenhilfe, DÖV 1955, S. 285 ff. 56 Siehe hierzu: 4. Kap. A 1 1 e (S. 175 ff). 57 Siehe hierzu: 6. Kap. A12 c (S. 324). 58 BGHZ 27, S. 210 ff. - „Soforthilfe I", siehe hierzu: 4. Kap. I A 1 e (S. 175). 59 BVerwGE 12, S. 253 ff - „Soforthilfe Π", siehe hierzu: 4. Kap. Α Π 1 b (S. 192 ff). 60 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I d (S. 215 f.). 61 Siehe hierzu: 4. Kap. Β I a (S. 213 ff).

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des Bundes und Haftung der L ä n d e r 3 3 3

Art. 104a GG stehend ansieht, sondern als Ausnahme i. S. d. Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG - für die deshalb auch die Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 GG gilt. In diese Richtung gehen die Ausführungen der Troeger-Kommission zum Verwaltungskostenerstattungsverbot: Hier wurden zur Berechnung der aus dem Verwaltungskostenerstattungsverbot erwachsenden Mehrbelastung der Länder die Regelungen mit einbezogen, die Verwaltungskostenerstattungen bei der Kriegsfolgenverwaltung vorsahen62. Dem folgte auch die spätere Staatspraxis: Durch Art. 2 Abs. 1 FAnpG wurden die Vorschriften aufgehoben bzw. neugefaßt, die früher eine Verwaltungskostenerstattung im Bereich der Kriegsfolgelastenverwaltung vorgesehen hatten. Dies geschah gerade im Hinblick auf das Verwaltungskostenerstattungsverbot des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GG63, dem damit auch im Anwendungsbereich des Art. 120 GG Bedeutung zugemessen wurde64. Ist man aber dieser Ansicht, ist es systematisch zwingend, auch Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in diesem Bereich anzuwenden65. Hiervon ging auch die Begründung des Referentenentwurfs zu einem Verwaltungshafitungsgesetz aus66. c) Damit unterscheidet sich die Schadenslastenverteilung bezüglich der Kriegsopferversorgung und der sonstigen Kriegsfolgelastengesetze, die nach § 21 Abs. 1 Satz 1 1. ÜLG von den Ländern auf Rechnung des Bundes ausgeführt werden, nicht von der Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich der Art. 104a Abs. 2 und 3 GG: Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG modifiziert entsprechend der Tatbestandslösung die einschlägigen Finanzierungspflichten des Bundes dahingehend, daß der Bund solche fehlerhaften Mittelverwendungen nicht übernehmen muß, die auf ordnungswidriger Verwaltung der Länder, also auf Lenkungsversagen beruhen67. Hervorzuheben ist jedoch, daß Art. 104a Abs. 5 GG die Lastenverteilung bezüglich der Kriegsfolgengesetze unberührt läßt, bei denen der Bund die Aufwendungen der Länder nach Maßgabe des § 21a 1. ÜLG nur durch Pauschbeträge erstattet hat: Mit diesen Pauschbeträgen sollten alle den Ländern in Zukunft durch diese Gesetze entstehenden Aufwendungen abgegolten sein - fehlerhafte Mittelverwendungen sollten damit ebenfalls allein sie treffen 68. Hieran sollte die Finanzreform 1969 ersichtlich nichts ändern, zumal auch diese Methode der 62

Troeger-Gutachten, Teil C I 4, Tz 212. Siehe hierzu BT-Drucks. VI/1771, S. 13 ff. 04 So auch Luther, Die Lastenverteilung, S. 131 f.; Κ. H. Schaefer, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 120 Rn. 23; Schmidt-Bleibtreu, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 120 Rn. 8. 65 Siehe nur Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 120 Rn. 4. 66 Siehe hierzu: 4. Kap. Β Π b (S. 218 f.). 67 Siehe hierzu: 6. Kap. A I 3 (S. 325 ff.). 68 Vgl. Achterberg, DVB1 1970, S. 126; Jeddeloh, Die Frage der Haftung, S. 66; Kummer, Die Haftung der Länder, S. 83; Luther, Die Lastenverteilung, S. 33 f. 63

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Erstattung der Kriegsfolgelasten gegenüber den Ländern durch Art. 120 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gebilligt und damit letztlich mit Verfassungsrang ausgestattet wurde: § 21a 1. ÜLG ist nicht als rechtlich zweifelhafte Umsetzung einer verfassungsrechtlich angeordneten aufgabenbezogenen Finanzierungspflicht anzusehen69, sondern letztlich als eine Art Sonderlastenausgleichsvorschrifl mit Verfassungsrang. Es ist aber unstreitig, da letztlich selbstverständlich, daß es eine nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zur Rückerstattung verpflichtende fehlerhafte Verwendung allgemeiner Finanzzuweisungen nicht geben kann, da diese Finanzzuweisungen eben nicht zweckgebunden sind70. Tatsächlich sind die Pauschbeträge der Länder auch schon lange aufgebraucht, so daß die Länder die in §21a Abs. 1 Satz 1 1. ÜLG genannten Aufwendungen heute allein tragen71.

B. Bedeutung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG und des Art. 104a Abs. 4 GG Im Vergleich zu den Finanzierungspflichten des Bundes nach Art. 104a Abs. 2 und 3 GG und Art. 120 Abs. 1 Satz 1 bis 3 GG besteht bei den Finanzierungsbefugnissen des Bundes'nach Art. 91a Abs. 4 GG und Art. 104a Abs. 4 GG die Besonderheit, daß dem Bund grundsätzlich freisteht, ob und vor allem wie er seine Finanzierungsbefugnisse in Anspruch nimmt72, und daß die Länder grundsätzlich weder bei den Gemeinschaftsaufgaben noch bei den Finanzhilfen verpflichtet sind, die Finanzierungsangebote des Bundes in Anspruch zu nehmen73. Auch ist es den Ländern - ebenfalls grundsätzlich - nicht verwehrt, solche Maßnahmen allein zu finanzieren, für die der Bund nach Art. 91a Abs. 4, Art. 104a Abs. 4 GG Mittel bereitgestellt hat oder bereitstellen könnte74. Es besteht daher insoweit eine doppelte Finanzierungszuständigkeit des Bundes und der Länder in Ansehung der von Art. 91a Abs. 1 GG und Art. 104a Abs. 4 GG angesprochenen Maßnahmen. Hieraus folgt insbesondere, daß es einer näheren Konkretisierung der Vorhaben bedarf, die aus Bun69

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 i (S. 53 f.). Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 a (S. 41 f.). 71 Franz Klein , in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 26. 72 Vgl. hierzu näher Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1412 ff., Rn. 1437 ff. 73 So zu den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG: Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 91a Rn. 51; Friedrich Klein, in: von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz - Band ΠΙ (2. Aufl. 1974), Art. 91a Anm. 5 b aa. Zu den Finanzhilfen: Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΠΙ, Art. 104a Rn. 24; BK-Vogel/P. Kirchhof, Art. 104a Rn. 104. 74 Vgl. Blümel, in: Isensee/P. Kirchhof, HdbStR IV, § 101 Rn. 141. 70

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

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desmitteln finanziert werden können - und daß insoweit auch nicht ohne Bedeutung ist, in welcher Höhe der Bund Mittel für Gemeinschaftsaufgaben und Investitionshilfen im jeweiligen Haushaltsjahr bereitstellt. Nur unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann auch die Schadenslastenverteilung in diesen Fällen bestimmt werden. I. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 4 GG Bevor die Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 4 GG untersucht werden kann, ist es zunächst erforderlich, sich darüber klar zu werden, wie die Finanzhilfekompetenz des Bundes nach der Rechtsprechung des BVerfG rechtstechnisch umzusetzen ist. Nur so können die Schadensrisiken herausgearbeitet werden, die bei Ermittlung der Schadenslastenverteilung zu berücksichtigen sind. 1. Rechtstechnische Umsetzung des Art. 104a Abs. 4 GG

a) Anders als zur Zeit der Weimarer Republik75 kennt das Grundgesetz keine allgemeine „Fondszuständigkeit" des Bundes. Es läßt zwar die Förderung von Landesinvestitionen durch den Bund zu, hat dies aber in Art. 104a Abs. 4 GG (und Art. 91a GG76) wesentlich mehr verrechtlicht 77, was das BVerfG in zwei Grundsatzurteilen vom 4. März 197578 und vom 10·. Februar 197679 näher konkretisiert hat: Art. 104a Abs. 4 GG begründet hiernach - in Abweichung von Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 1 - esine Befugnis des Bundes, im gesamtstaatlichen Interesse durch die Gewährung von Finanzhilfen besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden durch Teilfinanzierung 80 zufördern. Unmittelbarer Empfanger der Bezuschussung ist immer das Land, dem nach Art. 30 GG die Durchführung der Investition obliegt, und das gegebenenfalls die Mittel an den Investitionsträger weiterleitet81, der auch ein Pri-

75

Siehe hierzu: 3. Kap. C Π a (S. 155 ff.). Siehe hierzu: 6. Kap. Β Π 1 (S. 345 ff.). 77 Siehe hierzu vor allem: Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 54 ff. 78 BVerfGE 39, S. 96 ff. 79 BVerfGE 41, S. 291 ff. 80 BVerfGE 39, S. 96 ff. (S. 116); Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Rn. 52. 81 BVerfGE 41, S. 291 ff. (S. 313). 76

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

vater sein kann82. Welche Investitionen konkret gefordert werden können, ergibt sich nicht aus einem an die Länder gerichteten Zuwendungsbescheid des Bundes, sondern allein aus den einschlägigen Bundesgesetzen bzw. Verwaltungsvereinbarungen nach Art. 104a Abs. 4 Satz 2 GG83, in denen alles Wesentliche geregelt sein muß84. Dem Bund ist nicht gestattet, die Länder weitergehend zu binden, etwa durch Richtlinien oder Auflagen 85. Er kann auch nicht über die Einzelauswahl der zu fördernden Investition mitentscheiden oder die Länder durch Gesetz verpflichten, die von ihm bereitgestellten Finanzhilfen in Anspruch zu nehmen86. Er ist sogar verpflichtet, den Ländern eine Finanzhilfe zu gewähren, wenn das Vorhaben des Landes den Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG und denen des Gesetzes bzw. der Verwaltungsvereinbarung nach Art. 104a Abs. 4 Satz 2 GG entspricht87. Diese Verpflichtung ist allerdings durch die Höhe des vom Gesetz oder vom Bundeshaushaltsplan angeordneten finanziellen Rahmens beschränkt88. Unmittelbar aus Art. 104a Abs. 4 GG wird aber als ungeschriebene Verwaltungskompetenz eine „negative Prüfungskompetenz" des Bundes hergeleitet: Er kann solche Vorhaben von der Förderung ausschließen, die den in dem Gesetz oder der Verwaltungsvereinbarung festgelegten Zwecken widersprechen oder die zur Verwirklichung der Ziele nach Art. 104a Abs. 4 GG gänzlich ungeeignet sind89. Mit Vorhaben ist hier indes nicht jede einzelne konkret auch aus Bundesmitteln geförderte Investition gemeint: Die negative Prüfungskompetenz des Bundes bezieht sich nur auf den Einsatz der Bundesmittel insgesamt, ζ. B. auf das Vorhaben eines Landes, die Wohnungsbauförderung nach dem II. WoBauG nunmehr vermehrt im Gebiet einer bisher vernachlässigten Stadt zu konzentrieren oder Finanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsge82

BVerfGE 83, S. 363 ff. (S. 381); Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104a Abs. 4 GG. 83 Eine Aufzählung der z. Zt. geltenden Investitionshilfeprogramnie findet sich bei Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 59. 84 BVerfGE 39, S. 96 ff. 85 BVerfGE 39, S. 96 ff., (S. 120); a. A. noch Müller-Volbehr, Fonds- und Investitionshilfekompetenz, S. 144 ff., S. 153 ff.; Saipa, DVB1 1974, S. 188 ff. 86 Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar ΙΠ, Art. 104a Rn. 24; BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 104. 87 Finanzhilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG stellen deshalb keine Zuwendungen i. S. d. § 23 BHO dar: Heuer, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 91 BHO Rn. 6; Krämer, Die Abgrenzung des haushaltsrechtlichen Zuwendungsbegriffs und ihre Bedeutung, DÖV 1990, S. 547; a. A. Tiemann, Verfassungsrechtlich begründete interkörperschaftliche Finanzleistungen und haushaltsrechtlicher Zuwendungsbegriff, DöH 1973, S. 146 f. 88 BVerfGE 39, S. 96 ff. (S. 119). 89 BVerfGE 39, S. 96 ff. (S. 118); Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, IRn. 63.

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der L ä n d e r 3 3 7

setz (GVFG)90 primär zur Unterstützung des öffentlichen Personennahverkehrs einzusetzen (vgl. § 2 GVFG). Deshalb erfolgt die Finanzhilfebewilligung des Bundes im Ergebnis in gewisser Weise pauschal, d. h. durch Zuweisung einer Gesamtsumme an die Länder pro Haushaltsjahr (vgl. § 6 Abs. 6 GVFG, § 19 Abs. 1 II. WoBauG). Dies ist nach dem Sinn und Zweck des Art. 104a Abs. 4 GG auch geboten: Die Finanzhilfen des Bundes sind nicht im nachhinein, sondern im voraus, also vor Abschluß der Investition zu gewähren - durch eine Finanzhilfe sollen nicht die Kosten einer abgeschlossenen Ländertätigkeit nachträglich übernommen, sondern es sollen im gesamtwirtschaftlichen Interesse bestimmte Tätigkeiten der Länder ermöglicht und angeregt werden91. Hieraus folgt, daß der Bund Finanzhilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG nur in absoluten Beträgen gewähren kann, eine anteilige Finanzierung bestimmter Vorhaben also ausgeschlossen ist 92 . b) Die praktische Umsetzung der Investitionshilfekompetenz soll am Beispiel der Finanzhilfen nach dem GVFG näher erläutert werden: Nach § 1 GVFG gewährt der Bund den Ländern Finanzhilfen für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Der Umfang der den Ländern pro Jahr gewährten Finanzhilfen ergibt sich aus § 10 GVFG, wonach den Ländern 1996 ζ. B. 3000 Millionen DM zugewiesen wurden, zusätzlich zu einem bestimmten Anteil am Aufkommen der Mineralölsteuer. Diese Bundesmittel werden nach einem bestimmten Schlüssel auf die Länder verteilt (§ 6 Abs. 2 Satz 3 und 4 GVFG) und ihnen global zugewiesen (§ 6 Abs. 6 GVFG). Dieser Zuweisung liegt kein Verwaltungsakt des Bundes zugrunde93, so daß sich die Zweckbindung der Bundesmittel nicht aus einem Zuwendungsbescheid ergibt, sondern allein aus dem GVFG, wonach die Länder mit den Mitteln Vorhaben der Gemeinden finanzieren müssen, die materiell den sehr engen Voraussetzungen der §§ 2 f. GVFG entsprechen und die darüber hinaus in ein Programm nach §§ 5 ff. GVFG aufgenommen wurden, dessen finanzieller Rahmen sich seinerseits aus den nach § 10 GVFG zur Verfügung stehenden Mitteln ergibt. In welcher Höhe die einzelnen Vorhaben aus Bundesmitteln gefordert werden dürfen, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 GVFG: Hiernach sind ζ. B. in den alten Bundesländern bis zu 75% der zuwendungsfahigen Kosten förderungsfähig. Dies bedeutet aber nicht, daß der Bund 75% der tatsächlich anfallenden Kosten jedes Vorhabens übernehmen müßte, sondern nur die Höchstgrenze einer möglichen Förderung aus Bundesmitteln. In welcher Höhe Bundesmittel fur die konkrete Investitionshilfe eingesetzt werden, ist dagegen 90 Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. Januar 1988 (BGBl I S. 100). 91 BK-Vogel/P. Kirchhof,\ Art. 104a Rn. 102 f. 92 Siehe hierzu auch Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 59. 93 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 72, 135.

2

Stelkens

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

- vor Verwirklichung der Investition - in absoluten Zahlen festzusetzen, ohne daß dies dem Investitionsträger selbst zur Kenntnis gebracht werden müßte. Der Umfang der Förderung aus Bundesmitteln wächst damit nicht mit dem Anstieg der Kosten. Andernfalls wäre nicht gewährleistet, daß die Obergrenze der nach § 10 GFVG zur Verfugung gestellten Mittel und das Programm nach §§ 5 ff. GVFG eingehalten werden. Welche Investitionsmaßnahmen konkret gefordert werden, bestimmen jedoch die Länder allein. Im Verhältnis zwischen Land und Gemeinde gilt damit letztlich nichts anderes, als wenn die Gemeindeinvestition ausschließlich aus Landesmitteln gefordert würde94. Über die Förderungswürdigkeit des Vorhabens und etwaige Auflagen wird durch Zuwendungsbescheid entschieden95. c) Nach der Rechtsprechung des BVerfG lassen sich demnach deutlich zwei Phasen bei der Umsetzung der Investitionshilfekompetenz des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 GG unterscheiden: In der Auswahlphase wird entschieden, welche Vorhaben durch Finanzhilfen gefördert werden sollen. Hier melden die Länder die von ihnen für förderungswürdig erachteten Vorhaben beim Bund an. Der Bund prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Finanzhilfe vorliegen und lehnt gegebenenfalls nicht forderungsfähige Vorhaben ab. An die Auswahlphase schließt sich die Durchführungsphase an, die allein den Ländern obliegt. Diesen zwei Phasen bei der Umsetzung des Art. 104a Abs. 4 GG entsprechen auch zwei typische Schadensrisiken: Zunächst kann sich im nachhinein, im Extremfall nach Abschluß der Investition herausstellen, daß die Voraussetzungen für die Förderung einer bestimmten Maßnahme von Anfang an nicht vorgelegen haben, was im Auswahlverfahren vom Bund verkannt wurde (Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung). Daneben besteht die Möglichkeit, daß in Durchführung einer an sich förderungsfähigen Maßnahme von den Vorgaben des Art. 104a Abs. 4 GG und der sie konkretisierenden Gesetze und Verwaltungsvereinbarungen abgewichen wird, so daß sie so, wie sie tatsächlich durchgeführt wurde, nichtförderungswürdig gewesen wäre (Risiko fehlerhafter Mittelverwendung). 2. Risiko fehlerhafter

Mittelbereitstellung

a) Investitionshilfen dürfen nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG und die Voraussetzungen der Ausführungsgesetze bzw. Verwaltungsvereinbarungen nach Art. 104a Abs. 4 Satz 2 GG vorliegen. Hierbei ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG vorliegen, ob also durch die Investition eine Störung des 94 95

Siehe hierzu näher: 7. Kap. Α Π d (S. 368 IT.). P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 72.

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

339

gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt, die unterschiedliche Wirtschaftskraft im Bundesgebiet ausgeglichen oder das Wirtschaftswachstum gefördert werden kann, notwendigerweise immer eine Prognoseentscheidung, da über die rechtliche Zulässigkeit einer Finanzhilfe bereits vor Abschluß einer Investition entschieden werden muß, die genannten Folgen dagegen regelmäßig erst nach Vollendung der Investition eintreten können. Voraussetzung für eine Finanzhilfe nach Art. 104a Abs. 4 GG ist also nicht, daß die Ziele des Satzes 1 tatsächlich erreicht werden, sondern daß aufgrund einer nachvollziehbaren Prognoseentscheidung damit zu rechnen ist, daß diese Ziele erreicht werden96. Die Beurteilung der Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 4 GG muß also aus der ex-ante-Sicht erfolgen. Läßt aber Art. 104a Abs. 4 GG eine Finanzhilfe zu, wenn nur mit dem Erreichen der Ziele des Satzes 1 zu rechnen ist, weist die Vorschrift dem Bund das Risiko zu, daß sich eine an sich plausible Prognoseentscheidung im nachhinein als unzutreffend herausstellt. Sähe man dies anders, könnte der Sinn und Zweck der Finanzhilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG nicht erreicht werden: Die Länder zu motivieren, im gesamtstaatlichen Interesse bestimmte Investitionen vorzunehmen, wäre von vornherein aussichtslos, wenn das Behaltendürfen der Finanzhilfe von Umständen abhinge, welche die Länder weder selbst beeinflussen noch im einzelnen vorhersehen könnten. Das BVerfG sah dies in seinem ersten Grundsatzurteil zu Art. 104a Abs. 4 GG vom 4. März 1975 letztlich nicht anders, indem es dem Bund eine Ablehnung erbetener Finanzhilfen aufgrund seiner negativen Prüfungskompetenz (nur) dann gestattete, wenn sie „gänzlich ungeeignet sind, zur Verwirklichung der mit den Bundeszuschüssen angestrebten Ziele des Art. 104a Abs. 1 Satz GG beizutragen"97.

b) Unklar ist nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch, wer nach Art. 104a Abs. 4 GG das Risiko von Rechtsfehlern im Auswahlverfahren trägt. Diese Rechtsfehler können darin bestehen, daß Finanzhilfen für Vorhaben bereitgestellt werden, die keine „Investitionen" oder keine „besonders bedeutsamen Investitionen" i. S. d. Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG darstellen, daß die Prognoseentscheidung nach Satz 1 schon aus ex-ante-Sicht nicht nachvollziehbar ist, daß die von den Ländern angemeldeten Vorhaben nicht den Voraussetzungen der Gesetze bzw. Verwaltungsvereinbarungen nach Satz 2 entsprechen oder daß diese Gesetze bzw. Verwaltungsvereinbarungen selbst nichtig sind. Diese Risiken hat das BVerfG in einem obiter dictum98 des Grundsatzurteils von 1975 ebenfalls dem Bund zugewiesen:

96 97 98

22*

In diese Richtung auch: BK-Vogel/P. Kirchhof,\ BVerfGE 39, S. 96 ff. (S. 118). AK-GG2-Mahrenholz, Art. 114 Rn. 24.

Art. 104a Rn. 118.

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

„Zwar können die Länder über die ihnen nach Maßgabe des Bundesprogramms zugeteilten Finanzhilfen nicht frei verfügen. Mit der Zuweisung hat der Bund ihnen aber seine Finanzleistungen der Höhe und dem Verwendungszweck nach verbindlich zugesagt. Jeder weitere Einfluß auf die Verwaltung der Bundesmittel durch die Länder [...] ist dem Bund versagt. Es ist ihm nicht mehr möglich, in die Abwicklung des Bundesprogramms einzugreifen und die Mittelvergabe durch die Länder zu lenken." 99

Damit mißt das BVerfG der Entscheidung des Bundes, eine Finanzhilfe zu bewilligen, so etwas wie eine absolute Bestandskraft zu, obwohl es sich bei der Finanzhilfebewilligung des Bundes gerade nicht um einen Verwaltungsakt handelt100. Einmal gebilligte Finanzhilfen könnten vom Bund nicht mehr zurückgefordert werden, selbst wenn die Voraussetzungen einer Bewilligung nie vorgelegen hatten. Dies entspricht jedenfalls dem Interesse des Landes an einer verläßlichen Finanzplanung, was gerade der Extremfall deutlich macht, daß ζ. B. sich ein Finanzhilfegesetz wie das GVFG oder das II. WoBauG im nachhinein als verfassungswidrig herausstellt. Dennoch wäre es sehr bedenklich, der Finanzhilfebewilligung absolute Bestandskraft zuzusprechen: Man könnte es damit dem Bund ermöglichen, seine Finanzierungsbefugnisse gegenüber den Ländern faktisch auszuweiten. Den Ländern ist es regelmäßig politisch unmöglich, Finanzierungsangebote des Bundes abzulehnen, da man einen solchen Verzicht der öffentlichen Meinung vielfach kaum verständlich machen kann 101 - dies auch unabhängig davon, ob das Finanzierungsangebot rechtswidrig oder rechtmäßig ist. Wenn die Länder somit rechtswidrig erhaltene Finanzhilfen des Bundes nicht zurückerstatten müßten, bestände die ernst zu nehmende Gefahr, daß ein Land sich politisch gezwungen sieht, ein Finanzierungsangebot in Anspruch zu nehmen, selbst wenn es seine Rechtswidrigkeit erkannt hat. Eine solche Entwicklung stände im deutlichen Gegensatz zu dem Bestreben der Finanzreform, die Fondsverwaltung des Bundes zu verrechtlichen und seine hiermit verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Länder einzuschränken (Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 2 GG). Dieses Problem entsteht nicht, wenn man davon ausgeht, daß die Länder rechtswidrig erhaltene Finanzhilfen zurückerstatten müssen: Damit gibt man ihnen Argumente für die Ablehnung des „vergifteten Geschenkes" in die Hand - und auch ein Interesse daran, die Beschränkung der Finanzierungszuständigkeiten des Bundes durchzusetzen und vor Annahme eines Finanzierungsangebots des Bundes überhaupt zu prüfen, ob deren verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Voraussetzungen vorliegen. Insofern ist eine Rückerstattungspflicht der Länder bei fehlerhafter Mittelbereitstellung nicht in

99 100 101

BVerfGE 39. S. 96 ff. (S. 127). P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 72, 135. BK-Vogel/P. Kirchhof Art. 104a Rn. 104.

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

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jedem Fall grob unbillig, sondern letztlich notwendig, um die Einhaltung der engen Voraussetzungen der Finanzhilfekompetenz durchzusetzen102. Dies erscheint selbst dann als angemessen, wenn die Finanzhilfebewilligung allein deshalb rechtswidrig ist, weil die ihr zugrunde liegenden Gesetze oder Verwaltungsvereinbarungen unwirksam sind. Anders als im Anwendungsbereich der Absätze 2 und 3 des Art. 104a GG können sich die Länder der Umsetzung solcher Gesetze und Verwaltungsvereinbarungen entziehen: Es besteht keine Pflicht, Finanzhilfen des Bundes in Anspruch zu nehmen103. Deshalb kann auch nicht gesagt werden, daß der Bund dem Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung näher stünde als das betroffene Land, das schließlich selbst den entscheidenden Einfluß darauf hat, welche Investitionen nach Art. 104a Abs. 4 GG konkret gefördert werden, und damit auch derjenige ist, der dem Bund mit den fur ihn zur Ausübung seiner negativen Prüfungskompetenz erforderlichen Informationen versorgt. Indem man grundsätzlich den Ländern das Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung zuweist, wäre zudem noch nicht gesagt, daß die Länder dieses Risiko tatsächlich immer vollständig allein tragen müßten: Der Bund könnte ihnen gegenüber nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er seine negative Prüfungskompetenz nach Art. 104a Abs. 4 GG - eine Verwaltungskompetenz - nicht „ordnungsmäßig" ausübt und hierdurch die Länder Schäden erleiden, indem sie ζ. B. eine Investition getätigt haben, die sie ohne Zuschußbewilligung durch den Bund nicht getätigt hätten. Ein zur Haftung führendes Lenkungsversagen wird man aber auch hier nicht in jeder fehlerhaften Bereitstellung einer Finanzhilfe zu sehen haben, sondern - wie sonst auch - nur bei qualifiziertem Fehlverhalten von Bundestag/Bundesrat und/oder Bundesregierung 104. 3. Risiko fehlerhafter

Mittelverwendung

a) Werden bei Durchführung einer nach Art. 104a Abs. 4 GG aus Bundesmitteln geförderten Investition Fehler gemacht, die lediglich zu einer Erhöhung der Kosten der Investition führen, ohne daß die schließlich fertiggestellte Investitionsmaßnahme von den Voraussetzungen der Finanzhilfebewilligung selbst abweicht, ist die Risikozuweisung unproblematisch: Finanzhilfen werden nach Art. 104a Abs. 4 GG nur in absoluten Beträgen gewährt; ein Ansteigen einer Bundesfinanzhilfe proportional zu den Kosten einer Investition ist von vornherein ausgeschlossen105. Damit tragen allein die Länder das Risiko unwirtschaftlicher Mittelverwendungen, von Veruntreuungen und sonstigen 102 103 104 105

In diese Richtung auch: BK-Vogel/P. Kirchhof Vgl. Birk, BayVBl 1981, S. 678. Siehe hierzu: 5. Kap. C Π 4 b (S. 309 ff.). Siehe hierzu: 6. Kap. Β 11 a (S. 335 ff.).

Art. 104a Rn. 169.

342

6. Kap.: Unechte H a f t u n g s e zwischen Bund und Ländern

Mängeln bei der Durchführung der Investition, unabhängig davon, ob ein Lenkungsversagen des Landes vorliegt oder nicht. Der Bund kann also durch Kostenexplosionen bei Durchführung einer Investition nicht geschädigt werden; ein Fall des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG kann nicht eintreten. b) Hiervon sind die Fälle zu unterscheiden, in denen die tatsächlich durchgeführte Maßnahme nicht den Vorgaben entspricht, für welche die Finanzhilfe des Bundes bereitgestellt wurde. Praktisch wird dies ζ. B., wenn wegen zu hoher Kosten davon abgesehen wird, ein Vorhaben fertigzustellen, wenn gegen einzelne Vorschriften der Gesetze und Verwaltungsvereinbarungen nach Art. 104a Abs. 4 Satz 2 GG verstoßen wird oder wenn gar keine oder von vornherein nicht förderungsfähige Investitionen durchgeführt werden. Das BVerfG scheint auch hier eine Rückforderung des Bundes auszuschließen. Es fährt nach der oben zitierten Passage seines Grundsatzurteils von 1975 fort: „Die zuständigen Landesbehörden erledigen den administrativen Vollzug der Bundesförderung in eigener Verantwortung. Sie unterliegen damit der parlamentarischen Kontrolle und der Kontrolle des Rechnungshofs des Landes, während die parlamentarische Kontrolle des Bundestages und die des Bundesrechnungshofes nur bis zur Hingabe der Mittel reicht. Unbeschadet dessen gehört es in diesem Fall zu den aus der Kooperation zwischen Bund und Ländern sich ergebenden Pflichten jedes Landes, den Bund über die zweckentsprechende Verwendung der Finanzhilfen zu unterrichten. Prüfungszuständigkeiten des Bundes, die sich auf Planung, Durchführung und Auswirkungen des einzelnen Projektes beziehen, ergeben sich daraus nicht."

Indem das BVerfG eine a-posteriori-Kontrollkompetenz des Bundes ausschließt, schließt es auch implizit einen Rückforderungsanspruch des Bundes bei fehlerhafter Durchführung der Investitionshilfemaßnahme aus - Finanzierungspflichten zwischen Bund und Ländern kann es nur geben, soweit diese auch tatsächlich vom Begünstigten durchgesetzt werden können107. Hierdurch werden allerdings mehr Fragen aufgeworfen als vermieden. Zunächst läßt das BVerfG offen, was geschieht, wenn das Land über keine oder nur über zweckverfehlende Mittelverwendungen berichten kann. Hier läge ein eindeutiger Verstoß gegen Art. 104a Abs. 4 GG vor. Eine Rückerstattung der Finanzhilfe wäre damit geboten, selbst wenn man mit dem BVerfG davon ausgeht, daß der Bewilligung bestimmter Finanzhilfen zu einem bestimmten Verwendungszweck Bindungswirkung zukommt108: das Land wäre nicht schützenswert, da der Verwendungszweck nicht eingehalten wurde - es ist kein Grund dafür ersichtlich, den Ländern eine Bereicherung auf Kosten des Bundes durch Anmeldung fiktiver Vorhaben zu ermöglichen. Wenn ein Land Bundesfinanz-

106 107 108

BVerfGE 39, S. 96 ff. (S. 127). Vgl. hierzu: 5. Kap. C Π 3 d (S. 305 f.). Siehe hierzu: 6. Kap. Β 12 b (S. 339 ff.).

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

343

hilfen überhaupt nicht oder für offensichtlich nicht förderungsfähige Vorhaben verwendet, wird man daher von einer Rückerstattungspflicht ausgehen müssen. Es war wohl auch nicht Absicht des BVerfG, in diesen Extremfällen einen Rückforderungsanspruch des Bundes auszuschließen. Es hatte wohl eher die Befürchtung, daß die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch die Länder beeinträchtigt wird, wenn sie bei jeder noch so kleinen Abweichung von den Vorgaben der Finanzhilfegesetze und Verwaltungsvereinbarungen riskieren müßten, die vom Bund erhaltene Finanzhilfe ganz oder teilweise zurückerstatten zu müssen. Dies wird besonders in den Fällen deutlich, in denen sich - wie bei der Durchführung des II. WoBauG - die Durchführung der Investitionshilfemaßnahme der Sache nach nicht anders darstellt als der Vollzug eines Geldleistungsgesetzes nach Art. 104a Abs. 3 GG. Hier würde eine Rückerstattungspflicht der Länder bei jeder zweckverfehlenden Mittelverwendung bedeuten, daß der Bund seinerseits jeden einzelnen bereits abgeschlossenen Verwaltungsvorgang der Länder auf Fehler untersuchen und gegenüber dem betroffenen Land gegebenenfalls anteilige Rückerstattung der Finanzhilfe verlangen und dies auch (notfalls gerichtlich) durchsetzen müßte109. Dies wäre tatsächlich mit der eigenverantwortlichen Durchführung der Investitionsmaßnahmen durch die Länder nicht vereinbar. Insoweit kann dem Bund daher kein Kontrollrecht und damit auch kein Rückerstattungsanspruch gegenüber dem Land zustehen. Das Risiko „normaler" Fehlverwendungen muß somit dem Bund zugewiesen sein. c) Insofern ist eine Abgrenzung zwischen den Fällen „normaler" Fehlverwendungen und den Fällen notwendig, in denen das Land die ihm zur Verfügung gestellten Mittel so zweckverfehlend verwendet, daß diese Verwendung mit den Vorgaben der Finanzhilfebewilligung letztlich nichts mehr zu tun hat. Als Abgrenzungsmaßstab bietet sich hier Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG an: Die Länder haften gegenüber dem Bund, wenn die Fehlverwendung der Finanzhilfe auf Lenkungsversagen zurückzuführen ist. Lenkungsversagen des Landes wäre etwa anzunehmen, wenn die Landesregierung ζ. B. durch Erlaß entsprechender Verwaltungsvorschriften nicht sicherstellt, daß in zu erlassende Zuwendungsbescheide Nebenbestimmungen aufgenommen werden, welche die Zweckbindung der Investitionshilfe sicherstellen, und gegebenenfalls einen Widerruf des Zuwendungsbescheides nach den § 49 Abs. 3 VwVfG bzw. § 44a BHO a. F. entsprechenden Verfahrensvorschriften der Länder ermöglichen. Liegt Lenkungsversagen vor, steht also fest, daß die Länder dem Bund gegenüber nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG haften, ist aber noch nicht gesagt, wie gehaftet wird. Hier ergibt sich ein Wahlrecht des Landes aus dem Umstand, daß die Bundesmittel den Ländern nicht konkret für jedes einzelne Vorhaben, sondern letztlich pauschal für ein Maßnahmebündel 109

Vgl. hierzu: 5. Kap. C Π 3 c (S. 303 f.).

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

zugewiesen werden, daß hinsichtlich der in Art. 104a Abs. 4 GG angesprochenen Vorhaben eine doppelte Finanzierungszuständigkeit besteht und daß die Länder nicht verpflichtet sind, die Finanzhilfen des Bundes in Anspruch zu nehmen: Das Land kann zunächst dem Bund die Finanzhilfe (anteilig) zurückerstatten. Ist das Förderprogramm des Bundes, aufgrund dessen die Finanzhilfe gewährt wurde, noch nicht ausgelaufen, besteht daneben aber auch die Möglichkeit, erneut zu versuchen, die Bundesfinanzhilfe zweckentsprechend einzusetzen, indem das Land seinen Haushalt vollständig mit den Kosten des gescheiterten Vorhabens belastet und ein anderes förderungsfähiges Vorhaben aussucht und (teilweise) mit den durch diese „Umbuchung" freigewordenen Bundesmitteln fordert. Aus der Sicht des Bundes hätte das Land in diesem Fall die Finanzhilfe zweckentsprechend eingesetzt, ohne daß es auf den ersten „Fehlversuch" ankäme. Ob das Land einen zweiten Versuch des zweckentsprechenden Einsatzes der Finanzhilfe vornimmt, ist jedoch allein seine Sache, da es gegenüber dem Bund nicht zur Inanspruchnahme einer Bundesfinanzhilfe und damit zur Übernahme der Folgekosten verpflichtet ist. d) Aus der Haftung der Länder gegenüber dem Bund für den ordnungsmäßigen Einsatz der Bundesfinanzhilfen nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG folgt schließlich, daß man dem Bund neben der vom BVerfG ausdrücklich anerkannten negativen Prüfungskompetenz in der Auswahlphase auch eine weitere Verwaltungskompetenz nach Abschluß der Durchführungsphase zusprechen muß: Dem Bund muß das Recht zuerkannt werden, nach Abschluß der Investition zu überprüfen, ob die tatsächlich erbrachte Investition die Voraussetzungen einer Förderung des Art. 104a Abs. 4 GG erfüllt und ob eventuelle Abweichungen auf Lenkungsversagen des Landes beruhen. Andernfalls hinge die Durchsetzbarkeit des Rückforderungsanspruchs davon ab, ob die Länder eine auf Lenkungsversagen beruhende fehlerhafte Mittelverwendung freiwillig dem Bund melden - also letztlich von Zufälligkeiten, was nicht mit dem allen Lastenverteilungsvorschriften zugrunde liegenden Kongruenzprinzip vereinbar wäre. Mit der Kontrollkompetenz des Bundes korrespondiert zudem auch eine Informationspflicht der Länder nach Abschluß der Investition: Das Land muß dem Bund alle erforderlichen Mitteilungen machen, die ihn in den Stand setzen zu überprüfen, ob in der Durchführungsphase die Gebote der „ordnungsmäßigen Verwaltung" i. S. d. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG beachtet wurden 110. Durch diese Kontrollkompetenz des 110

Erkennt man dies an, ist eine Regelung wie die des § 9 GVFG wohl verfassungswidrig: Hiernach soll die zweckentsprechende Verwendung der Finanzhilfen durch die Länder allein durch Mitteilung der Zahl der geförderten Vorhaben, der Summe der für diese Vorhaben angefallenen zuwendungsfahigen Kosten sowie der Summe der aus den Finanzhilfen ausgezahlten Zuwendungen nachzuweisen sein. Dies schließt faktisch eine nachträgliche Überprüfung „ordnungsmäßiger" Mittelverwendung durch den Bund aus.

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

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Bundes und die hiermit korrespondierende Informationspflicht der Länder wird die eigenverantwortliche Durchführung der Investition durch die Länder nicht beeinträchtigt, so daß die hier vertretene Auffassung auch mit dem Grundanliegen des ersten Grundsatzurteils des BVerfG zu Art. 104a Abs. 4 GG vereinbar ist 111 : Die Kontrollkompetenz des Bundes ermöglicht keine fortlaufende Überwachung der Länder, sondern setzt erst ein, wenn die Maßnahme abgeschlossen ist. Sie ermöglicht auch keine Kontrolle jeder Einzelheit, sondern nur eine Kontrolle anhand des sehr groben Maßstabs der „ordnungsmäßigen Verwaltung" 112. Π. Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG Eng verwandt mit der Investitionshilfekompetenz des Bundes sind die Gemeinschafitsaufgaben nach Art. 91a GG. Auch hier wird dem Bund entgegen Art. 104a Abs. 1 Halbsatz 1 GG die Kompetenz zugewiesen, bestimmte Investitions- und Wirtschaftsforderungsmaßnahmen anteilig zufinanzieren, deren Durchführung allein den Ländern obliegt. Deshalb muß zunächst durch Darstellung der rechstechnischen Umsetzung der Gemeinschaftsaufgaben i. S. d. Art. 91a GG geklärt werden, welche Schadensrisiken zu berücksichtigen sind, bevor die Schadenslastenverteilung im Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 4 GG untersucht werden kann. 1. Rechtstechnische Umsetzung des Art. 9la GG

a) Der rechtstechnische Unterschied der Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91a GG zur Investitionshilfekompetenz des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 GG liegt vor allem darin, daß die Vergabe der Bundesmittel nicht aufgrund eines Gesetzes oder eines Verwaltungsabkommens erfolgt, sondern aufgrund eines sog. Rahmenplans, den Bund und Länder gemeinsam erstellen 113, wobei Art. 91a Abs. 3 GG impliziert, daß der Bund nach Art. 91a Abs. 4 GG nur solche Vorhaben als Gemeinschaftsaufgaben mitfinanzieren darf, die in einen ordnungsgemäß verabschiedeten Rahmenplan aufgenommen wurden 114. Diese 111

So mit ausführlicher Begründung auch: Tiemann, DöH 1973, S. 150 ff. Vgl. hierzu auch Heuer, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 91 BHO, Rn. 2 c. 113 Siehe zum folgenden vor allem: Bliimel, in: Isensee/P. Kirchhof HdbStR IV, § 103 Rn. 124 ff; Franz Klein, in: Klein, Öffentliches Finanzrecht, I Rn. 37 ff. 114 Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 91a Rn. 16; Maunz, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 91a Rn. 60. 112

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6. Kap.: Unechte Haftungsflle zwischen Bund und Ländern

Rahmenpläne sind ähnlich formuliert wie Gesetze und werden u. a. als Unterrichtung der Bundesregierung als Bundestagsdrucksachen veröffentlicht 115. Sie benennen keine konkreten Vorhaben, sondern umschreiben abstrakt-generell die förderungsfähigen Vorhaben, gehen hierbei jedoch teilweise - aber nicht immer - bis ins Detail. Welche Vorhaben überhaupt in einen Rahmenplan aufgenommen werden können, bestimmt sich rechtlich vor allem nach Art. 91a Abs. 1 GG und seiner Konkretisierung in den nach Art. 91a Abs. 2 Satz 1 GG erlassenen Ausführungsgesetzen, die auch die nähere Ausgestaltung der Planungsphase regeln (Art. 91a Abs. 3 Satz 1 GG): Dies sind das Hochschulbauförderungsgesetz 116 (HBFG), das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" 117 (GRW) und das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"118 (GAgrG). Diese Gesetze sehen bezüglich aller Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91a GG einen besonderen, von Bund und Ländern paritätisch zu besetzenden Planungsausschuß unter Federführung des jeweils zuständigen Bundesministers vor (§ 7 HFBG, § 6 GRW, § 6 GAgrG). Das Übergewicht des Bundes in den Planungsausschüssen führt aber nicht dazu, daß dem Land, auf dessen Gebiet ein Vorhaben ausgeführt werden soll, dieses Vorhaben aufgezwungen werden darf: Ein Projekt kann nur dann in den Rahmenplan aufgenommen werden, wenn das betroffene Land zustimmt (Art. 91a Abs. 3 Satz 2 GG). b) Die Durchführung des Rahmenplanes ist allein Sache der Länder. Dies wird durch § 11 Abs. 1 HBFG, § 9 Abs. 1 GRW und § 9 Abs. 1 GAgrG bestätigt. Dem Bund steht nach Art. 91a Abs. 5 GG nur ein Unterrichtungsrecht zu. Er ist jedoch verpflichtet, die im Rahmenplan vorgesehenen Vorhaben nach Art. 91a Abs. 4 GG anteilig zu finanzieren. Diese Finanzierung erfolgt aber bezogen auf ein bestimmtes Vorhaben - anders als bei der Investitionshilfekompetenz nach Art. 104a Abs. 4 GG - nicht durch Zuweisung eines absoluten Betrages an das Land, sondern zu einem festen Anteil. Wie hoch dieser Anteil ist, bestimmt sich nach Art. 91a Abs. 4 GG und den Ausführungsgesetzen, die auch das anzuwendende Fremdmittelbewirtschaftungsverfahren be-

115 So z.B. BT-Drucks. 13/4291: Fünfundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1996 bis 1999 (2000). 116 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen" vom 1. September 1969 (BGBl I S. 1556), zuletzt geändert durch das Sechste Oberleitungsgesetz vom 25. September 1990 (BGBl IS. 2106). 117 Vom 6. Oktober 1969 (BGBl I S. 1861), zuletzt geändert durch das Steueränderungsgesetz 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I S. 1322). 118 1. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Juli 1988 (BGBl I S. 1055), zuletzt geändert durch das Zweite Änderungsgesetz vom 11. November 1993 (BGBl IS. 1865).

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

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stimmen119: Hiernach erstattet der Bund jedem Land auf Grund der vorgelegten Abrechnungen seinen festgelegten Anteil an den Aufwendungen, die dem Land „nach Maßgabe" bzw. „in Durchführung des Rahmenplans" (§12 Abs. 1 HBFG, § 10 Abs. 1 GRW, § 10 Abs. 1 GAgrG) entstanden sind. Ob die Länder den Rahmenplan ausführen, steht grundsätzlich in ihrem Ermessen. Der Rahmenplan wirkt für die Länder nicht verpflichtend; er bewirkt allenfalls eine Bindung dahingehend, daß die Länder sich an die Vorgaben der Rahmenpläne halten müssen, wenn sie eine dort vorgesehene Maßnahme durchführen und dafür Bundesmittel in Anspruch nehmen120. Dies zeigt sich schon daran, daß die Durchführbarkeit eines im Rahmenplan vorgesehenen Vorhabens davon abhängig ist, daß der Landtag der Aufnahme der in den Rahmenplänen enthaltenen Mittelansätze in den Haushaltsplan des Landes zustimmt (Art. 91a Abs. 4 Satz 4 GG). Die Art der Durchführung richtet sich nach der Art der für förderungsfähig erklärten Vorhaben: Hier kann zunächst vorgesehen sein, daß die Länder bestimmte Investitionsmaßnahmen Dritter, auch der Gemeinden und Gemeindeverbände finanziell fördern sollen, wobei die Auswahl derförderungsfähigen Investitionsmaßnahmen mehr oder weniger detailliert von den Rahmenplänen vorgegeben wird. Dies ist der Regelfall bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 und 3 GG (vgl. § 3 GRW/GAgrG) 121. Die Mittelvergabe an den Investitionsträger durch das Land erfolgt dann in Form eines Zuwendungsbescheides - auch wenn es sich hierbei um eine Gemeinde handelt122. Im Regelfall wird dann ein absoluter Betrag festgesetzt, also keine anteilige Finanzierung (gegenüber dem Investitionsträger) zugesagt, obwohl auch letzteres möglich ist, vor allem dann, wenn der eigentliche Investitionsträger eine Gemeinde ist. Daneben besteht die Möglichkeit, daß in den Rahmenplänen bestimmte Investitionsmaßnahmen der Länder selbst vorgesehen sind. Dies ist der Regelfall bei der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, ist aber auch bei den anderen Gemeinschaftsaufgaben denkbar, so insbesondere bei den Küstenschutzmaßnahmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GAgrG 123 oder bei der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur durch

119

Siehe hierzu: 1. Kap. Α Π 1 f (S. 51). Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 91a Rn. 51. Vgl. auch Friedrich Klein, in: von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz ΙΠ, Art. 91a Anm. 5 b aa. 121 Vgl. ζ. B. Teil Π, Ziff. 1.1 des Fünfundzwanzigsten Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1996 bis 1999 (2000), BT- Drucks, 13/4291, S. 29. 122 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 72. 123 Vgl. ζ. B. Teil Π, Ziff. 3. 1 der Grundsätze über die Förderung von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit an den Küsten der Nord- und Ostsee sowie an den fließenden oberirdischen Gewässern im Tidegebiet gegen Sturmfluten (Küstenschutz) des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1996 bis 1999, BT-Drucks. S. 88. 120

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6. Kap.: Unechte Haftungsfalle zwischen Bund und Ländern

Ausbau der Infrastruktur nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GRW 124 . Die Länder rechnen dann unmittelbar mit dem Bund ab. c) Damit lassen sich bei der Umsetzung der Gemeinschaftsaufgaben deutlich Auswahl- und Durchfuhrungsphase voneinander trennen. Auch hier ist deshalb zwischen dem Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung in der Auswahlphase - hier der Aufstellung des Rahmenplans - und dem Risiko fehlerhafter Mittelverwendung bei Durchführung des Rahmenplans zu unterscheiden. 2. Risiko fehlerhafter

Mittelbereitstellung

Bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG ist das Risiko fehlerhafter Mittelbereitstellung das Risiko, daß in Ausführung eines unwirksamen Rahmenplans Ausgaben entstehen oder daß Ausgaben durch die Ausführung eines Vorhabens entstehen, das zu Unrecht in einen Rahmenplan aufgenommen wurde, weil die Voraussetzungen des Art. 91a GG nicht vorlagen. Hier stellt sich die Frage, ob der Bund trotzdem nach Art. 91a Abs. 4 GG die Kosten solcher Vorhaben anteilig übernehmen oder ob das Land die Kosten eines solchen Vorhabens nach Art. 104a Abs. 1 GG allein tragen muß. Dies ist letztlich mit der Frage verbunden,- ob einem Rahmenplan unabhängig von seiner Rechtswidrigkeit nach Verabschiedung Bestandskraft zuwächst125. Eine solche Bestandskraft der Rahmenplanung ergibt sich jedoch weder aus Art. 91a GG noch kann sie aus den Ausführungsgesetzen hergeleitet werden dies schon deshalb nicht, weil die Länder nach allgemeiner Ansicht nicht zur Durchführung der im Rahmenplan vorgesehenen Vorhaben verpflichtet sind. Gegen eine Bestandskraft von Rahmenplänen lassen sich schließlich auch dieselben Bedenken aufführen, die bereits dagegen sprachen, der Finanzhilfebewilligung des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 GG Bestandskraft zuzumessen126: Folge einer derartigen Bestandskraft wäre, daß der Bund auch solche Vorhaben nach Art. 91a Abs. 4 GG finanzieren müßte und dürfte, für welche die Voraussetzungen der Art. 91a Abs. 1 bis 3 GG nicht vorliegen. Dies würde eine Umgehung dieser zwingenden Vorschriften ermöglichen, die nicht mit dem Anliegen der Finanzreform vereinbar wäre, die Lastenverteilung im Bund-Länder-Verhältnis abschließend zu regeln. Demnach weist Art. 91a GG das Risiko fehlerhafter Rahmenpläne allein den Ländern zu. Dies erscheint nicht als unbillig: Auch bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG 124

Vgl. z. B. Teil Π, Ziff. 7.1 des Fünfundzwanzigsten Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1996 bis 1999 (2000), BT- Drucks, 13/4291, S. 35. 125 In diese Richtung: Keller, DÖV 1977, S. 847 f. 126 Siehe hierzu: 6. Kap. Β I 2 b (S. 339 ff.).

Β. Finanzierungsbefugnisse des Bundes und Haftung der Länder

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kann nicht gesagt werden, daß dem Bund das Risiko fehlerhafter Planung näher stünde als den Ländern; dies zeigt schon die Beteiligung der Länder bei der Rahmenplanung, das Veto-Recht des von einem Vorhaben betroffenen Landes nach Art. 91a Abs. 3 Satz 2 GG, der Vorbehalt des Art. 91a Abs. 4 Satz 4 GG, nach dem ein Rahmenplan nur ausgeführt werden kann, wenn der Landtag der Aufnahme der entsprechenden Mittel in den Haushaltsplan zustimmt, und schließlich die fehlende Verpflichtung des Landes, aufgestellte Rahmenpläne auch durchzuführen. Bei fehlerhafter Rahmenplanung ist der Bund somit nicht nach Art. 91a Abs. 4 GG zur Kostenerstattung trotzdem durchgeführter Vorhaben verpflichtet. Bereits erhaltene Mittel müssen die Länder aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zurückerstatten. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist hier nicht einschlägig. Aus ihm kann sich auch keine Haftung des Bundes ergeben, weil bei der Aufstellung von Rahmenplänen keine Verwaltungs-, sondern Regierungskompetenzen in Anspruch genommen werden 127. 3. Risiko fehlerhafter

Mittelverwendung

a) Nach wohl herrschender Ansicht in der Literatur müssen die Länder die Ausgaben allein tragen, die in Durchführung des Rahmenplans entstehen, ihm aber nicht entsprechen128. Diese Ansicht wird durch die Ausführungsgesetze zu Art. 91a GG bestätigt, obwohl die Entstehungsgeschichte hier nicht eindeutig ist 129 . Diese Ausführungsgesetze ordnen einerseits an, daß der Bund den Ländern nur solche Ausgaben erstatten muß, die „nach Maßgabe" (§12 Abs. 1 HBFG; § 10 Abs. 1 GRW) bzw. „in Durchführung" (§ 10 Abs. 1 GAgrG) des Rahmenplans entstanden sind. Darüber hinaus sehen § 11 Abs. 2 GRW/GAgrG vor, daß der Bund zugewiesene Mittel zurückfordern kann, wenn die im Rahmenplan festgelegten Bedingungen ganz oder teilweise nicht erfüllt werden. Stimmt man dem zu, könnte Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG bei Verstoß gegen Rahmenpläne keine Anwendung finden, da der Bund hierdurch gar nicht geschädigt werden könnte130. Jedoch wäre bereits die Bestimmung dessen problematisch, was sich noch als Durchführung des Rahmenplans darstellt, wie das Beispiel Nr.