Verluste und Trauer würdigen – Impulse für die pflegerische Praxis [1 ed.] 9783666405235, 9783525405239

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Verluste und Trauer würdigen – Impulse für die pflegerische Praxis [1 ed.]
 9783666405235, 9783525405239

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Katharina Rizza

Verluste und Trauer würdigen Impulse für die pflegerische Praxis

EDITION

 Leidfaden

Hrsg. von Monika Müller, Petra Rechenberg-Winter, Katharina Kautzsch, Michael Clausing Die Buchreihe Edition Leidfaden – Begleiten bei Krisen, Leid, Trauer ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen für Tätige in der Begleitung, Beratung und Therapie von Menschen in Krisen, Leid und Trauer.

Katharina Rizza

Verluste und Trauer würdigen – Impulse für die pflegerische Praxis

Mit einem Vorwort von Monika Müller

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 4 Abbildungen und 1 Tabelle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Ulrike Adam/photocase.de Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-2856 ISBN 978-3-666-40523-5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12 1 Zum Grundverständnis von Pflege 1.1 Grundaufgaben der professionellen Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14 1.2 Gesundheit fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15 1.2.1 Was ist Gesundheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2.2 Wie kann Gesundheit gefördert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.2.3 Welche Pflegetheorie begründet die Aufgabe der Gesundheitsförderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Leiden lindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20 1.3.1 Der personzentrierte Ansatz in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.3.2 Der leiborientierte Ansatz in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.3.3 Bindungsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.4 Kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30 1.4.1 Man kann nicht nicht kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.4.2 Verschiedene Gesprächsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.4.3 Das Kurzgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.5 Begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  36 1.5.1 Begegnungen zwischen zwei Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.5.2 Begegnungen sind Resonanzerfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.5.3 Grundhaltungen für Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.5.4 Ebenen der Begegnung – das Vier-Ohren-Modell . . . . . . . . . . . 42 2 Was ist Trauer? 2.1 Trauer ist die Reaktion auf ein Verlusterlebnis . . . . . . . . . . . . . .  45 2.2 Trauer schmerzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49 2.3 Trauer ist ein Heilungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  52

6   Inhalt

2.4 Trauer ist ein Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  54 2.5 Trauer ist keine Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  56 3 Trauer in der pflegerischen Praxis 3.1 Trauer wahrnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  59 3.1.1 Trauer wahrnehmen als Chaos der Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.1.2 Trauer wahrnehmen in den verschiedenen Typologien . . . . . . . 61 3.1.3 Trauer wahrnehmen durch Körperveränderungen . . . . . . . . . . 63 3.1.4 Trauer wahrnehmen durch Schmerzausdruck . . . . . . . . . . . . . . 64 3.2 Trauer begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  66 3.3 Trauer auslösen und zur Sprache bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  68 3.4 Trauer bezeugen und würdigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71 3.4.1 Trauer ist so verschieden wie die Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.4.2 Keine Trauer ist weniger schlimm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.5 Die Seele schützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  76 3.6 Den Anpassungsprozess unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  79 3.7 Trösten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80 3.7.1 Der Trauer gemeinsam Raum geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.7.2 Trösten über Literatur und Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.7.3 Trösten durch »Erwärmen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.7.4 Trösten durch Hüten und Bergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.7.5 Trösten über den Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.7.6 Trost in der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.8 Trauer bei Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  87 3.8.1 Was Angehörige brauchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.8.2 Den Tod begreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.8.3 Nachgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.9 Trauer bei älteren Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  91 3.10 Trauer und Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  93 4 Besondere Situationen 4.1 Trauer und Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  95 4.2 Trauer und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  97 4.3 Trauer und Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  99 4.4 Trauer und Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  103

Inhalt   7

4.5 Erschwerte Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  105 4.5.1 Risikofaktoren für erschwerte Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.5.2 Erschwerte Trauer erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.5.3 Was Pflegepersonen tun können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.6 Trauer und Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  108 5 Wie kann ich mich auf Trauersituationen vorbereiten? 5.1 Denkwissen und Erfahrungswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  111 5.2 Mit meinen eigenen Gefühlen zurechtkommen . . . . . . . . . . . . . .  112

Schlussworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  116 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  118

Die schwersten Wege Die schwersten Wege werden alleine gegangen, die Enttäuschung, der Verlust, das Opfer, sind einsam. Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet und sich keiner Bitte versagt steht uns nicht bei und sieht zu ob wir es vermögen. Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken, ohne uns zu erreichen sind wie die Äste der Bäume im Winter. Alle Vögel schweigen. Man hört nur den eigenen Schritt und den Schritt den der Fuß noch nicht gegangen ist aber gehen wird. Stehen bleiben und sich Umdrehn hilft nicht. Es muß gegangen sein. Nimm eine Kerze in die Hand wie in den Katakomben, das kleine Licht atmet kaum. Und doch, wenn du lange gegangen bist, bleibt das Wunder nicht aus, weil das Wunder immer geschieht und weil wir ohne die Gnade nicht leben können: die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags, du bläst sie lächelnd aus

wenn du in die Sonne trittst und unter den blühenden Gärten die Stadt vor dir liegt und in deinem Hause dir der Tisch weiß gedeckt ist. Und die verlierbaren Lebenden und die unverlierbaren Toten dir das Brot brechen und den Wein reichen – und du ihre Stimmen wieder hörst ganz nahe bei deinem Herzen. Hilde Domin

Vorwort

»Die Menschen, die ihre letzte Lebenszeit bei uns verbringen, leiden an ihrer vielschichtigen Trauer. Wir sind doch da, um Symptome zu lindern, Schmerzen einzustellen. Wie sollen wir aber denn mit dieser immensen Trauer umgehen? Wie können wir diese Verlustschmerzen lindern? Wie ihnen die Trauer nehmen?« – So klagte eine Krankenpflegerin in einer Palliative-­ Care-Fortbildung. Mit dem Zeitpunkt, an dem schwer kranke Menschen zum ersten Mal tief in ihrem Innern begriffen haben, dass ihr Leben und ihre Lebendigkeit akut bedroht sind und die kurativen Behandlungsmöglichkeiten ihre Grenze erreicht haben, beginnt ein heftiger und schmerzlicher Trauerprozess. Unabhängig davon, ob er mitgeteilt werden kann und will oder nicht, unabhängig davon, ob es zwischenzeitlich wieder berechtigte oder auch unberechtigte Hoffnung auf Wiederherstellung oder Heilung gibt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in vielen Menschen in der Unaushaltbarkeit der schmerzlichen eigenen Trauer und des mitfühlenden Trauererlebens anderer nur der eine Wunsch aufkommt: der Trauer auszuweichen, sie »wegzumachen« (wegmachen zu lassen). Dieses das Leben so beschwerende Trauern glauben Menschen nicht aushalten zu können. Dabei wäre dies der einzige Weg, das Phänomen der Trauer nicht nur als tiefe Krise, sondern auch als Chance wahrnehmen zu lernen. Gerade Pflegekräfte erleben durch ihren nahen Kontakt zu Kranken und Angehörigen viel von diesem Leid. Aufgrund ihrer wesentlichen pflegerischen Aufgaben und mangelnden Zeitkon-

Vorwort   11

tingents werden sie keine Trauerbegleitung im tradierten Sinn anbieten und durchführen. Und doch haben sie eine ganz entscheidende Aufgabe für die Trauer der Schwerkranken und deren Zugehörigen. Pflegende begleiten einen sehr intensiven Zeitraum vom Versterben bis zur Abholung vom Bestatter bzw. bis zum Verlegen des Leichnams in die Prosektur. Da ist: • die Begegnung mit dem Schmerz der Patient*innen und Zugehörigen vor, während oder nach dem Versterben; • die Übermittlung von Anzeichen des nahenden Sterbens; • die Beantwortung von Angehörigenfragen nach dem Zeitpunkt des Versterbens, nach Möglichkeiten und Sinn ihrer Anwesenheit; • die Gestaltung der (räumlichen) Verabschiedung; • das Halten und Sichern der Würde bei der Versorgung des Leichnams. Die Aufgaben der Pflegenden in der Begleitung und dem Umgang mit Trauernden betreffen einen nur sehr kurzen, aber sehr sensiblen Zeitraum, der Auswirkung auf die weitere Verlustbearbeitung hat. Indem sie der Trauer begegnen, nämlich die Trauer erlauben und nicht vor ihr zurückschrecken, ebnen sie Patient*innen und Hinterbliebenen den Weg in das Trauern. Es geht ja nicht darum, Trauer zu lindern oder sie gar wegzumachen, sondern darum, sie zuzulassen, ihr das Recht des Vorhandenseins zuzusprechen und sie fließen zu lassen. Ich bin sehr dankbar, dass sich Katharina Rizza mit ihrem Buch dieser Begegnung mit der Trauer durch Pflegekräfte gewidmet hat, und wünsche allen Leser*innen Bestätigung ihres Wissens und neue Erkenntnisse. Monika Müller

Einführung

Der Patient auf einer hämatologisch-onkologischen Station liegt in sich gekehrt und stumm im Bett. Seine Prognose ist schlecht und er ist noch jung. Auf die Pflegefachpersonen reagiert er nicht. Auf sie wirkt er abweisend und unfreundlich. Zu keinem aus dem Team hat er einen näheren Kontakt. Alle meiden ihn und gehen nur noch in sein Zimmer, um das Nötigste zu verrichten. Im Team ist kein Verständnis für sein Verhalten.

Dieser Mensch trauert. Und seine Trauer wird vom Team nicht als solche wahrgenommen. Er trauert um sein Leben, das in wenigen Wochen oder Monaten beendet sein wird. Im Team ist dieses Phänomen nicht bekannt. Der Patient durchlebt seine Trauer sehr einsam. In der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenschwester wird das Thema »Trauer« kaum berührt. Medizinisches und pflegerisches »Fachwissen« scheinen wichtiger als der Umgang mit Menschen und ihren Verlustgefühlen. Auch Themen, die der Persönlichkeitsbildung und Wertorientierung dienen könnten, wie etwa Ethik, werden meist auf der rein kognitiven Ebene behandelt. Das ist bedauerlich. Denn im Gesundheitssystem  – und besonders im hospizlich-palliativen Kontext – haben wir es immer auch mit trauernden Menschen zu tun. Wir betreuen und behandeln Menschen, die um ihre Gesundheit oder ihr zu Ende gehendes Leben trauern. Wir begegnen Menschen, die um ihre kranken oder sterbenden Lieben trauern. Und doch scheint

Einführung   13

Trauer in unserem ökonomisch durchgestylten Gesundheits­ system wenig Platz zu haben. Pflegerisches Handeln orientiert sich an der Befindlichkeit und den Bedürfnissen eines Menschen. Das setzt voraus, dass Befinden und Anliegen wahrgenommen und anerkannt werden. Trauer wird selten beachtet. Daher widmet sich dieses Buch dem Thema »Trauer und Pflege« unter der Fragestellung: Wie können professionell Pflegende in ihrem beruflichen Alltag trauernde Menschen wahrnehmen und ihnen begegnen? Hinführend werden zunächst Kernaufgaben der Pflege entfaltet und Grundgedanken zu Trauer aufgezeigt. Das dritte Kapitel orientiert sich an der pflegerischen Praxis und behandelt Schritte zur Begegnung der Trauer in der pflegerischen Praxis. Hier wird konkret nachgefragt, was Pflegefachpersonen tun können, um Trauer zu begegnen, und wie sie diese Begegnung gestalten können. Es wird sich herausstellen, dass diese Tätigkeiten intrinsisch sind, also zum Wesen pflegerischer Tätigkeit gehören und immer schon impliziert sind. Das vierte Kapitel behandelt verschiedene und fast alltägliche Pflegephänomene und beleuchtet diese aus der Perspektive der Trauer. Das fünfte Kapitel geht schließlich der Frage nach, inwiefern es möglich ist, sich auf Trauersituationen vorzubereiten. Der Fokus liegt auf Trauerbegegnungen bei schwer kranken und sterbenden Patient*innen im stationären Akutbereich, auf onkologischen und geriatrischen Stationen, in spezialisierten Hospiz- und Palliativeinrichtungen sowie der allgemeinen Palliativversorgung im ambulanten und stationären Langzeitbereich. Das Buch ist entstanden aus einem Lehrgang »Trauer erwärmen« bei Monika Müller und Thorsten Adelt. Diesen beiden gilt mein besonderer Dank.

1  Zum Grundverständnis von Pflege

1.1  Grundaufgaben der professionellen Pflege

Der pflegende Beruf ist hochkomplex und äußerst differenziert. Florence Nightingale nannte den Pflegeberuf eine Kunst. Der US-amerikanische Berufsverband (American Nurse Association) definiert Pflege als »das Erkennen und die Behandlung menschlicher Reaktionen auf gesundheitliche Probleme«. Menschen reagieren unterschiedlich auf Krankheiten. Professionelle Pflege unterstützt sie bei ihrer Gesunderhaltung oder ihrem Gesundwerden. Das erfordert individuelles Anwenden von fundiertem Fachwissen sowie die Bereitschaft zu und Kompetenz für Beziehungsarbeit. Im Fokus steht der Mensch, nicht die Krankheit. Der International Council of Nurses (ICN; https://www.icn.ch), dem auch die deutschsprachigen Berufsverbände angehören, nennt vier grundlegende Aufgaben des professionellen Pflege­ berufs: • Gesundheit fördern, • Krankheit verhüten, • Gesundheit wiederherstellen sowie • Leiden lindern. Was bedeuten diese Grundgedanken, wie können wir die Aufgaben verstehen? Nach außen hin sichtbar erscheinen im Wesent­ lichen folgende Aufgaben: In Krankenhäusern sind Pflegefachpersonen diejenigen, welche die ärztlichen Anordnungen

Gesundheit fördern   15

befolgen und Medikamente austeilen, Infusionen anhängen, Untersuchungen organisieren und das große Zusammenspiel der verschiedenen therapeutischen Berufe koordinieren. Sie unterstützen, wo nötig, bei den »Aktivitäten des täglichen Lebens« (ATL) und anderen gesundheitlichen Bedürfnissen von Menschen, sie beraten, schulen oder geben Auskunft zu Fragen der Gesunderhaltung und Krankheitsverhütung. Ähnlich, aber anders gewichtet, sind die Tätigkeiten im ambulanten und stationären Langzeitbereich. All diesen Tätigkeiten liegt eine ständige Beziehungsarbeit zugrunde, geprägt von einer fürsorgenden Haltung mit hohem ethischem Anspruch. Damit ist das Wesen des pflegerischen Berufs allerdings keineswegs ausreichend beschrieben. Wir kommen ihm ein Stück näher, wenn wir die Begriffe »Gesundheit« und »Leidlinderung« genauer betrachten.

1.2  Gesundheit fördern 1.2.1  Was ist Gesundheit?

Gesundheit ist ein Menschenrecht. So lautet die Grundaussage der Ottawa-Charta von 1986 (https://www.euro.who.int/ottawa). Das Anliegen der UNO und ihr Auftrag an die Staaten: Lebensumstände und Entwicklungsbedingungen der Völker und Menschen sollen so verbessert werden, dass allen Menschen Gesundheit möglich sein kann. Die WHO definiert Gesundheit als »Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit« (https://www.who.int). Diese Definition fußt auf dem sozialwissenschaftlichen Modell für Gesundheit und ist politisch motiviert. Gesundheit ist Befinden. In der Pflege orientiert sich Gesundheit vor allem am Wohlbefinden des Menschen und einer aus-

16    Zum Grundverständnis von Pflege

reichenden und zufriedenstellenden Bedürfnisbefriedigung in den Alltagsaktivitäten. Für die professionelle Pflege hat sich dafür im deutschsprachigen Raum das ursprünglich von Juchli kommende und von Krohwinkel weiterentwickelte Modell der »Aktivitäten des täglichen Lebens« als praxistauglich erwiesen. Anhand der zwölf bzw. 13 Grundaktivitäten des Menschen können Probleme mit seiner Gesundheit analysiert und es kann entsprechend darauf eingewirkt werden. Jeder Patient ist Experte seiner eigenen Gesundheit.

Gesundheit ist ein Prozess. Zeit unseres Lebens finden wir uns in einem Spannungsfeld zwischen Selbstständigkeit und Hilfsbedürftigkeit. Gesundheit wird ständig ausbalanciert zwischen den individuell gegebenen Möglichkeiten und eingrenzenden Beschränkungen des Lebens. Leid und Ungleichgewicht (Heterostase) sind existenzielle Gegebenheiten, die zum Menschsein gehören. Gesundheit ist also kein Zustand, sondern dynamisches Geschehen. Sie kann beeinflusst werden. Gesundheit ist eine Haltung. Der Medizinsoziologe Antonovsky sagt: »We are all terminal cases. And we all are, so long as there is a breath of life in us, in some measure healthy« (Antonovsky, 1988, zit. nach Lorenz, 2016, S. 24). Wir sind alle endliche und begrenzte Wesen. Aber solange wir atmen, sind wir zu einem gewissen Grad immer auch gesund. Auf Antonovsky geht das Salutogenese-Modell zurück, das besagt, dass der Mensch wesentlich selbst zu seiner Gesundheit beiträgt. Eine zentrale Aufgabe des Menschen sei die Auseinandersetzung mit Einflüssen seines Umfelds, und solange sich der Mensch als fähig empfindet, diese Herausforderungen anzunehmen, und gewillt ist, sie zu bestehen bzw. daran zu wachsen, weil er einen Sinn darin sieht oder der Herausforderung eine Bedeutung geben kann, solange wird er sich gesund fühlen. Dieses Empfinden

Gesundheit fördern   17

nannte Antonovsky Kohärenzgefühl. Es resultiert aus den Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Kohärenzgefühl resultiert aus den Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Verstehbarkeit bezeichnet das Gefühl, zu verstehen, was in dieser (meiner) Welt geschieht; Handhabbarkeit bedeutet, dass ich das, was ich verstanden habe, umsetzen und gestalten kann; Sinnhaftigkeit meint, einen Sinn in meinem aktuell möglichen Leben zu erkennen.

Gesundheit ist ein hochkomplexes Geschehen. In Antonovskys Salutogenese-Modell spielen personale und psychische Ressourcen neben körperlichen und konstitutionellen Gegebenheiten eine große Rolle. Ressourcen können intern oder extern sein. Externe Ressourcen sind ein tragfähiges soziales Netz, ein sicherer Arbeitsplatz und finanzielle Absicherung, sinnstiftende Hobbys, gesunde Ernährung und Lebensführung. Als interne Ressourcen gelten positives Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, hohe Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenzen, innere Ausgeglichenheit und Integrität, optimistisch-bejahende Sicht des Lebens, soziale Fähigkeiten wie Vertrauen und Offenheit. 1.2.2  Wie kann Gesundheit gefördert werden?

Die psychosoziale und emotionale Verfasstheit eines Menschen spielt im pflegerischen Alltag eine wichtige Rolle. Der Patient ist nicht passiver Empfänger von Pflege, sondern aktiver Mitgestalter und »Experte seiner Gesundheit«. Professionelle Pflege betrachtet den Menschen als körperliches, psychisches, soziales und spirituelles Wesen. In der Palliative Care werden diese vier Ebenen bei der Schmerz- und Symptomlinderung sowie Förderung der Lebensqualität stets mitbedacht. Wünsche, Bedürfnisse, Belastungen und Probleme interagieren über die verschiedenen

18    Zum Grundverständnis von Pflege

Ebenen und beeinflussen sich gegenseitig. Emotionsprozesse beeinflussen den körperlichen Zustand und umgekehrt. Grundlage pflegerischen Handelns bilden die Pflegediagnosen. Diese beurteilen auf klinischer Basis aktuelle und potenzielle Gesundheitsprobleme. Der Fokus liegt dabei, im Unterschied zu medizinischen Diagnosen, nicht auf Krankheitssymptomen, sondern sie beschreiben umfassend die Patientenreaktionen auf aktuelle und potenzielle Gesundheitsstörungen. Sie sind daher ergänzend zu medizinischen Diagnosen zu verstehen und dienen der Erarbeitung von Pflegezielen, Pflegeplanung, Pflegemaßnahmen und deren Evaluation. Pflegediagnosen unterstützen die ganzheitliche Behandlung und schließen Lücken medizinischer Diagnosen. Beispielsweise bleiben medizinische Diagnosen so lange bestehen, bis der Patient oder die Patientin »gesund« ist. Pflegediagnosen sind prozesshaft angelegt. Sie ändern sich im Laufe der Behandlung. Die Pflegewissenschaftlerin Bartholomeyczik (2006) bezeichnet Pflegen als »die Kompetenzen wiederherstellen bzw. fördern, die die autonome Bewältigung des Alltags ermöglichen«, und betont, dass Gesundheitsförderung »in allen Phasen von Gesundheit und Krankheit möglich und nötig« ist. Generell tragen meist mehrere Faktoren zur Stärkung von Gesundheit bei. Brieskorn-Zinke (2004, S. 99 ff.) nennt fünf Ebenen, an denen Pflegeberufe ansetzen können: 1) auf der Körperebene beim Vermitteln von Körpergefühl, Selbstwahrnehmung und Selbstaufmerksamkeit, 2) auf der psychisch-emotionalen Ebene durch »konstruktive Unterstützung« bei kritischen Lebensereignissen, wie sie etwa durch Krankheit hervorgerufen werden, 3) auf kognitiver Ebene durch Wissensvermittlung, 4) auf der Ebene der Fertigkeiten durch Anleitung und Schulung und 5) auf psychosozialer Ebene, wo die Beziehungsgestaltung eine wesentliche Rolle spielt. Zentrales Anliegen der Gesundheitsförderung sei die Stärkung des Selbstwertgefühls.

Gesundheit fördern   19

Es ist leicht ersichtlich, dass diese Faktoren dem salutogenetischen Modell Antonovskys nahestehen. Verstehbarkeit (auf körperlicher, emotionaler und kognitiver Ebene), Handlungs­ fähigkeit (durch Erwerb von Fertigkeiten und durch Beziehungsgestaltung) und Sinnhaftigkeit (durch Stärkung der Selbstwahrnehmung und -aufmerksamkeit) sind Komponenten, die das Kohärenzgefühl nähren und Gesundheit fördern. Wir werden unten sehen, wie eine gelungene Trauerbegegnung auf verschiedenen Ebenen ansetzt und gesundheitsfördernd wirken kann. Dazu braucht es Wissen zum Wesen der Trauer, Verständnis für den individuellen Verlauf der Trauer und Sinn für den stattfindenden Reifungsprozess. Trauer ist nach dem oben ausgeführten Pflegeverständnis kein Krankheitssymptom, sondern eine natürliche Reaktion auf ein gesundheitliches Problem. Ein abgeschnittener oder verhinderter Trauerprozess dient nicht der Gesundheit, sondern hemmt den natürlichen Prozess des inneren Wachstums, der mit der Trauer einhergeht. Trauer muss nicht »gelindert« oder »weggemacht« werden, sondern ist als Heilungsprozess zu verstehen. 1.2.3 Welche Pflegetheorie begründet die Aufgabe der Gesundheitsförderung?

Hinter jeder Theorie steht eine Philosophie. Der Pflegeberuf hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend professionalisiert und wissenschaftlich weiterentwickelt. Gepflegt wurde schon immer. Früher waren es vor allem religiöse Gemeinschaften, die sich der außerfamiliären Pflege widmeten. Die erste Professionalisierung erfuhr der Pflegeberuf durch Florence Nightin­gale in den Jahren des Krimkriegs (1853–1856), aus deren Erfahrung ein erstes Lehrbuch für das Unterrichten der Krankenpflege entstand: »Notes on Nursing«. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich im deutschsprachigen Raum ein Paradigmenwechsel in der Pflege vollzogen. Forschungen aus der Salutogenese

20    Zum Grundverständnis von Pflege

trugen zu einem anderen Pflegeverständnis bei, genauso wie Ansätze aus der humanistischen Psychologie und Erkenntnisse der aufkommenden Sozialwissenschaften (Neumann-Ponesch, 2014, S. 100 ff.). Die Vielseitigkeit und Komplexität professioneller Pflegetätigkeit spiegeln sich in der Vielzahl der Modelle und Theorien. Grundsätzlich findet ein Shift statt von objektivem Krankheitsverständnis hin zu subjektivem Empfinden. Interaktion und Kommunikation werden als inhärente Pflegetätigkeit aufgefasst und durchwirken ganz selbstverständlich Pflegetheorien und -modelle. Hildegard Peplau unterstreicht den psychologischen Anteil pflegerischer Aufgabe in ihrer Theorie der psycho­ dynamischen Krankenpflege. Martha Rogers wiederum lässt die Systemtheorie in ihr Pflegemodell einfließen und betont den psychosozialen Faktor durch das Ineinanderfließen und Zusammenwirken von Mensch und Umwelt. Rosemary Rizzo Parse entwickelt Rogers’ Theorie weiter in ihrem Werk »The Human Becoming« (1992) und hebt das menschliche Werden besonders hervor: Der Mensch sei in ständigem Austausch mit seiner Umwelt und erfahre darin Wachsen und Werden. Dieser fortwährende Wachstumsprozess diene der Verbesserung oder Erhaltung seiner Gesundheit, wobei auch die (transzendentale) Sinngebung ein Element ist. Wachsen und Werden geschieht selten ohne Leid und Leiden. Womit wir bei der vierten Grundaufgabe professionell pflegerischer Tätigkeit angelangt sind.

1.3  Leiden lindern

Leidlinderung ist eine der vier Grundaufgaben in der professionellen Pflege. Von seiner religiösen geschichtlichen Wurzel her und für die Begründerin des professionellen Pflegeberufs,

Leiden lindern   21

Florence Nightingale, war Leidlinderung zentrales Moment und eigentlicher Pflegeauftrag. Pflege war nie nur auf den Körper beschränkt, sondern hat sich immer auch auf die seelische Not der Kranken gerichtet. Leiden ist die »Innenseite der Krankheit«, ihre »seelische Tiefendimension« (Staudacher, 2013). Eine Krankheit betrifft nicht allein den Körper, sondern den ganzen Menschen. Sie verletzt seine Integrität und Unversehrtheit. Die größtenteils naturwissenschaftliche Sichtweise des heutigen Gesundheitswesens berücksichtigt den Leidensaspekt einer Erkrankung kaum. Dabei kann Leiden den Menschen stärker belasten als die Krankheit (Cassell, 1982). Jede schwerere Erkrankung ist mit vielerlei Verlusterfahrungen verbunden, die Leiden verursachen können: Verlust eines eigenständigen Lebens, Verlust des Wohlbefindens, des Sicherheitsgefühls und der Geborgenheit – das, was »Heimat« bedeutete –, Verlust von Sinngefühl und sozialen Kontakten. Einsamkeit und Verlassenheit verstärken das Leiden ebenso wie die unbeantwortbare Frage nach dem Warum. Leiden geht einher mit tiefer Traurigkeit, Kummer, Angst, Verzweiflung und anderen starken Gefühlen. Eine Leidlinderung kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Wie oben beschrieben sind dies: die körperliche, die psychisch-­ emotionale, die kognitive und psychosoziale Ebene sowie die Ebene der Schulung und Anleitung (nach Brieskorn-Zinke, 2004; s. Kapitel 1.2.2). Im Folgenden werden nun verschiedene pflegerische Ansätze schrittweise erläutert und vertieft – wohl wissend, dass die Wirkung der verschiedenen Ebenen ineinander übergehen und sich gegenseitig durchdringen. Wir beginnen mit dem personzentrierten Ansatz, der darauf angelegt ist, die Person in ihrer Integrität und Selbstwirksamkeit zu stärken, also auf psychisch-emotionaler wie auch auf psychosozialer Ebene angesiedelt ist. Darauf folgt der nach innen wirkende leiborientierte Ansatz, der sowohl körperliche als auch

22    Zum Grundverständnis von Pflege

psychisch-emotionale Elemente einbezieht. Die beiden bedeutenden Themen Kommunikation und Beziehungsgeschehen bedienen hauptsächlich die psychisch-emotionale und psychosoziale Ebene und werden ebenso in zwei separaten Kapiteln abgehandelt. Vorausgeschickt werden Reflexionen, die dem kognitiven Ansatz gerecht zu werden versuchen. Sie gehen der Frage nach, wie wir Leid denken können. Leiden auszuhalten – das eigene wie auch das Leid der anderen – ist eine große Herausforderung. Es rührt an die eigene Verwundbarkeit. Der Sinn des Lebens wird infrage gestellt, und Pflegepersonen werden mit der Unbeantwortbarkeit der Frage nach dem Leid konfrontiert. Daher ist ein reflektierter Umgang mit Leid und Leiden für Pflegepersonen wesentlich. Es geht dabei nicht darum, Leid zu verstehen, sondern ihm zu begegnen und Leid als eine Seite des Lebens akzeptieren zu lernen. In einer effizienz- und leistungsorientierten Welt stellt dies freilich eine besondere Herausforderung dar – für Patient*innen wie für Pflegepersonen. Trotz vieler Möglichkeiten der Leidlinderung mittels pflegerischer Interventionen, medizinischer oder therapeutischer Behandlung und Begleitung wird es immer Leiden geben. Insbesondere wird das Sterben leidvoll und bitter erfahren. Das Leid abzuschaffen hieße den Menschen abschaffen (Bozzaro, 2015). Da, wo Leid nicht vermeidbar ist, gilt es, Leiden anzunehmen und sich bewusst darauf einzulassen, die Erkenntnis menschlicher Verletzlichkeit und Endlichkeit zuzulassen und die Brüchigkeit und Unvollkommenheit des Lebens auszuhalten. Selbstverständlich verbietet es sich, leidenden Menschen diesen »Vorschlag« zu machen! Es geht hier ausschließlich um die eigene Haltung derer, die das Leid anderer mittragen. Nicht selten werden Pflegepersonen nach dem Warum von Leid und Leiden gefragt. »Warum muss ich so viel leiden?« In diesen konkreten Situationen kann es darauf keine Antwort

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geben: Begründungen oder gar philosophische Erklärungen anzubieten, käme einer Verhöhnung leidender Patient*innen gleich. Hilfreich sind die Ansätze einer personzentrierten Pflege, psycho-emotionaler Resonanz und eines Bindungsangebots (s. Kapitel  1.3.1–1.3.3). Auf die Frage »Warum muss ich so viel leiden?« kann es keine Antwort geben. Leid ist eine Seite des Lebens.

Die Frage ist ja: Kann aus Schmerz und Leid neues Leben wachsen? Diese Vermutung legt Tatjana Schnell (2018) nahe und entwirft Zugänge auf dem Boden der existenziellen Psychotherapie. Sie ermutigt dazu, ein konstruktives Leidensverständnis zu beherzigen. Michael Harrer und Hansjörg Ebell (2021) bestätigen diesen Ansatz und berichten aus ihrer langjährigen Praxis in der Begleitung von Krebspatient*innen durchaus von stattfindendem Wertewandel, Perspektivwechsel und neuer Prioritätensetzung im Leben ihrer Klient*innen. »Es geht nicht darum, das Leiden zu beseitigen, sondern dem Leiden einen sicheren Platz zu geben.« (Balfour Mount, zit. nach Müller u. Pfister, 2012, S. 18)

Die wesentliche Aufgabe professioneller Pflege ist es, im Leiden präsent zu sein und zu bleiben. Einfach nur präsent zu sein angesichts des Leidens ist eine grundlegende, jedoch zutiefst komplexe Tätigkeit. Folgend werden drei Aspekte ausgeführt, welche die Kunst des Präsentseins differenzierter beleuchten: der personzentrierte Ansatz, die leiborientierte Pflege und das Bindungsangebot.

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1.3.1  Der personzentrierte Ansatz in der Pflege »Eine Person zu sein bedeutet, in einer Welt zu leben, in der Bedeutungen miteinander geteilt werden.« (Tom Kitwood, 2019, S. 155)

Aus dem oben Dargestellten wurde bereits deutlich, dass pflegerische Praxis immer personzentriert stattfindet. Professionelle Pflege geht auf das subjektive Empfinden des Menschen ein. Der Mensch wird in seinem Personsein, seinen Bedürfnissen und seinem Willen, seinem Charakter und seiner Besonderheit geachtet und gewürdigt. Sehr eindringlich betont der Sozialpsychologe Tom Kitwood (1937–1989) die Personzentrierung in der pflegerischen Tätigkeit. Kitwood arbeitete mit demenziell erkrankten Menschen und entwickelte seinen Ansatz mit dem Ziel, das Personsein bei Krankheit zu erhalten und zu stärken. Aus seiner Beobachtung des zunehmenden Verlusts der Personstärke durch »maligne Sozialpsychologie« konzipierte er eine Beziehungsgestaltung, die den wichtigsten psychischen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz erfüllend und befriedigend begegnet. Diese grundsätzlichen seelischen Bedürfnisse sind nach Kitwood: Trost, Bindung, Einbeziehung in menschliche Gemeinschaft, (sinnvolle) Beschäftigung und Identitätserhaltung oder -stärkung. Sie vereinen sich in dem einen zentralen Bedürfnis nach Liebe (Kitwood, 2019). Der Erhalt und die Stärkung von Integrität, Kontinuität und Stabilität des Selbstgefühls sowie die Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung sind deren wesentliche Elemente. Maligne Sozialpsychologie bezeichnet jede Form, in der die Eigenständigkeit und Persönlichkeit eines Menschen sowie seine Entwicklungspotenziale missachtet werden.

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Die schwedische Pflegewissenschaftlerin Astrid Norberg dehnt diesen Ansatz auf weitere Patientengruppen aus. Nicht nur Demenzkranke, auch andere Menschen mit schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen fühlen sich von sich selbst entfremdet, verlieren Zugang zu den Quellen ihrer Weisheit und Kraft und sind trostbedürftig (Norberg, Bergsten u. Lundman, 2001; Langegard u. Ahlberg, 2009). Trost ist immer wichtig, wenn Menschen leiden und trauern. Auch für Sterbende ist der personzentrierte Ansatz wohltuend (Tornøe, Danbolt, Kvigne u. Sørlie, 2014). Eine empathische und wertschätzende Begegnung, die Trost, Einbeziehung, persönliche Bindung impliziert, kann das Selbstwertgefühl kranker Menschen stärken, integritätsstiftend wirken und zur Gesundheit beitragen. Ein Patientenbeispiel mag das verdeutlichen: Eine alte Dame liegt verzagt im Bett in einem Pflegeheim. Sie scheint sehr traurig und einsam. Pflegefachpersonen kommen und gehen. Von manchen lässt sie sich aufmuntern, und ein heiteres Lächeln ist wenigstens für kurze Zeit zu sehen. Anderen gegenüber bleibt sie unberührt und teilnahmslos. Offenbar fühlt sie sich von einigen Pflegenden gut an- und wahrgenommen und von anderen weniger. Doch wenn Pfleger Z. das Zimmer betritt, strahlt sie über das ganze Gesicht und wird lebendig. Die Trauer scheint wie weggeblasen. Er flirtet mit ihr, und sie fühlt sich wieder als attraktive Frau, die das Interesse eines jungen Mannes wecken kann.

Pfleger Z. spürte wohl intuitiv das Bedürfnis der alten Dame nach Bewunderung und schenkte sie ihr. Wird unser Bedürfnis wahrgenommen und gewürdigt, fühlen wir uns lebendig, verbunden und wirklich.

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1.3.2  Der leiborientierte Ansatz in der Pflege

Professionelle Pflege gilt zu Recht als körperbetonter und berührungsintensiver Beruf. Pflegepersonen verbringen in der Regel, im Unterschied zu anderen Gesundheitsberufen, die meiste Zeit am Krankenbett bei dem Patienten oder der Patientin: Zur Unterstützung der Körperpflege, zur Vitalzeichenkontrolle, beim Mobilisieren, Lagern oder Bewegen, bei der Anreichung von Nahrung und auch bei der Ausscheidung von Körperflüssigkeiten hilft die Pflege, wenn dies vom Erkrankten nicht mehr allein verrichtet werden kann. Diese Tätigkeiten werden selbstverständlich nicht an einem Menschen ausgeübt, sondern immer mit ihm – sozusagen im Dialog (Bienstein u. Fröhlich, 2021). Der Dialog besteht nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf leiblicher Ebene, als »leibliche Kommunikation«. Zeiten von Schmerz, Trauer und Leid können Menschen sprachlos machen. Sie vermögen ihre Empfindungen nicht mehr in Worte zu fassen. Umso wichtiger werden dann der Leib und das Verstehen seiner Signale. Was wir unter leiblicher Kommunikation verstehen können, möchte ich in Schritten aufzeigen. Zunächst etwas zum Unterschied von Körper und Leib. Körper und Leib

»Leib« ist ein Begriff, der gemeinhin als antiquiert aufgefasst wird. Wir sind es gewohnt, von unserem »Körper« zu sprechen. Doch Körper und Leib bedeuten nicht dasselbe. Körper kann als Organsystem betrachtet werden. Es gibt scheinbar objektiv messbare und sichtbare Parameter, die etwas über meinen Gesundheitszustand aussagen. Diese Betrachtungsweise ist naturwissenschaftlich geprägt und geht zurück auf das dualistische Menschenbild, das von René Descartes im 17. Jahrhundert postuliert wurde. Descartes teilte die Welt in materielle, sichtbare, und immaterielle, unsichtbare Substanzen auf, »res cogi-

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tans« und »res extensa«, denkende und körperliche (wörtlich: ausgedehnte) Substanz. Nach der Vorstellung von Descartes und der dualistisch geprägten Philosophie gehört der (menschliche) Körper zur »res extensa« und ist damit als Gegenstand wahrnehmbar. Dieses dualistische Menschenbild hat uns im medizinischen Bereich einerseits viele Erkenntnisse über den Körper und Möglichkeiten zur Heilung von Krankheiten gebracht. Andererseits leiden heute viele Patient*innen darunter, in der medizinischen Behandlung zu wenig als Person gesehen zu werden. Die Zweiteilung des Menschen – der wahrnehmbare Körper und ein Geist, der »irgendwo darüberschwebt« (Baer, 2012, S. 25 f.) – brachte ein naturwissenschaftlich geprägtes Menschbild hervor, das einer Maschine gleicht: Alles ist reparierbar, wenn man an den richtigen Schrauben dreht. Der Körper selbst ist unbeseelt. Auch die Pflege bedient sich – zumindest sprachlich – dieses Menschenbildes: Alles wird »gemanagt« – Schmerz, Symptome, Qualität. Leibliche Kommunikation

Der Begriff »Leib« stammt vermutlich aus dem indogermanischen »lib« und bedeutet »Leben« bzw. »lebendig«. Die Leiblichkeit ist präreflexiv: Bevor wir denken und unsere Welt reflektieren, nehmen wir unseren Leib wahr. Wir unterscheiden nicht zwischen Körper und Geist, wir sagen nicht: »Mein Körper empfindet Hunger«, sondern: »Ich habe Hunger«. Mit dem Leib spüren wir, nehmen Gefühle wahr und erleben die Welt. Ohne Leib würden wir nicht existieren. »Leiblichkeit ist nicht alles, aber ohne Leiblichkeit ist nichts« (Baer, 2012, S. 24). Der Leib als Träger von Gefühlen und innerpsychischen Prozessen ist bedeutsam für die pflegerische Tätigkeit, wie die Soziologin und Pflegewissenschaftlerin Uzarewicz betont: »Aus dem Grund, dass es die Pflege mit dem Lebendigen zu tun hat, kann der Gegenstand der Pflege von Menschen – anders als in Medizin

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und Psychologie – nur der Leib sein« (2005, S. 1). Der Leib ist »Kommunikationsorgan«. Schmerz, Angst, Wohlgefühl drücken sich im Leib aus. An der Gestik, Mimik, an Muskel- und Hauttonus, an Stimme, Haltung und Gang eines Menschen schätzen geschulte Pflegefachpersonen den aktuellen Gesundheitszustand und das subjektive Befinden von Patient*innen ein. Nicht der Körper, sondern das leibliche Sein eines Menschen ist Ziel pflegerischen Handelns. Eine rein körperlich orientierte Pflege läuft Gefahr, dass Trauer oder existenzielle Krisen unbesehen bleiben. Frau K. hatte einen schweren Schlaganfall und dabei ihre Sprache verloren und eine Halbseitenlähmung erlitten. Von einem Augenblick auf den anderen ist sie zur Passivität gezwungen. Sie, die viele Kinder aufgezogen und die letzten Jahre mit ihrem Mann in steter Emsigkeit und großer Zufriedenheit verbracht hat, kann ihren Körper nicht mehr selbstständig bewegen und ist bei allen Aktivitäten auf Unterstützung angewiesen. Sie liegt starr im Bett. Der ganze Körper ist bis zum Äußersten angespannt. Die Medikamente zur Muskelentspannung helfen kaum. Die geschulten Pflegerinnen verstehen, dass diese Anspannung auf die Angst und den psychischen Schmerz zurückzuführen ist, und versuchen mit verschiedenen wohltuenden komplementären pflegerischen Interventionen zur Entspannung beizutragen – mit mäßigem Erfolg. Bis einmal eine Pflegerin während der Pflege ein Gespräch mit Frau K. aufnahm und dabei einer anwesenden Schülerin erklärte, was die Patientin alles geleistet hat in ihrem Leben und dass sie eine fürsorgende Mutter gewesen sei. Da kullerten die Tränen, die Patientin weinte bitterlich. In der Folge ließ die körperliche Anspannung nach. Der Leib ist Resonanzkörper für Empfindungen und Gefühle des Inneren. Über den Leib geschieht Kommunikation.

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1.3.3 Bindungsangebot

In Zeiten hoher Belastung brauchen Menschen vermehrt Empathie und Zuwendung. Das Bindungsbedürfnis wird aktiviert. Dieses Bedürfnis nach Bindung ist uns angeboren, wie der Kinderpsychologe Bowlby (1907–1990) in seinen Forschungen herausfand. Besonders in Krisenzeiten kommt das Bindungsbedürfnis stark hervor, wenn wir uns unsicher, schutzlos oder bedroht fühlen. Wir sehnen uns nach Menschen, die uns Sicherheit geben können und uns schützen. Das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit kommt, so Bowlby, sogar noch vor dem Bedürfnis nach körperlicher Befriedigung. Es ist ein soziales und psychologisches Grundbedürfnis des Menschen. Dieses Bindungsbedürfnis anzuerkennen und ihm zu begegnen, trägt wesentlich zur Leidlinderung bei. In der Praxis erleben wir das Bindungsbedürfnis von Menschen freilich sehr unterschiedlich. Manche Menschen sind dankbar und offen für entgegengebrachte Nähe, andere eher zurückhaltend bis abwehrend und wieder andere ambivalent in ihrem Verhalten. Dieses unterschiedliche Betragen ist zurückzuführen auf die Bindungsmuster, die in der Kindheit angeeignet wurden. Je nachdem, ob die elementaren Bindungsbedürfnisse des Menschen erfüllt oder weniger befriedigt wurden, bilden sich sichere, ambivalente oder unsichere Bindungsmuster aus. Diese treten in Krisen­situationen dann in ihrer jeweiligen charakteristischen Weise in Erscheinung (Bowlby, 1975). Es gibt keine größere Krise, als dem eigenen Tod ins Auge sehen zu müssen. Ein Bindungsangebot kann Sicherheit und Geborgenheit vermitteln und die Angst vor dem Tod mildern. Sensible Zuwendung und mitfühlende Bestätigung emotionaler Erlebnisse setzen im Organismus das Hormon Oxytocin frei. Oxytocin ist auch als Bindungshormon oder Mutter-Kind-­ Hormon bekannt. Es zählt zu den Glückshormonen und erhöht unser Wohlbefinden. Eine empathische Begegnung kann also

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neurophysiologische Prozesse in Gang bringen, die zu einem besseren Befinden der Patientin oder des Patienten führen.

1.4 Kommunizieren

Pflege ist ein höchst interaktiver und kommunikativer Beruf. Es gibt spezielle Settings, in denen Kommunikation im pflegerischen Beruf vorgesehen ist, wie etwa bei der Anamnese, bei kollegialem oder koordinierendem Informationsaustausch, in Schulungen oder Beratungen. Abgesehen davon bieten sich im pflegerischen Alltag mit Patient*innen noch weitere unzählige Möglichkeiten der Interaktion und handlungsbegleitender Gespräche. Es ist bekannt, wie bedeutsam die kommunikative Fähigkeit der Pflegenden für das Wohlbefinden von Patient*innen ist. Die Behandlung und Betreuung von Menschen, die mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert sind, brauchen eine besonders gut geschulte Kommunikationsfähigkeit. In der Palliative Care wird Kommunikation eine wesentliche Bedeutung zugemessen. Schwerkranke, trauernde und sterbende Menschen sind äußerst sensibel und empfänglich. Im Folgenden sollen daher einige wesentliche Aspekte zur Kommunikation erörtert werden. 1.4.1  Man kann nicht nicht kommunizieren

Der Sozialpsychologe Paul Watzlawick verdeutlichte die Wirkung der nonverbalen Kommunikation. Er entwickelte ein Kommunikationsmodell, in welchem er die Unmöglichkeit beschreibt, nicht zu kommunizieren: »Man kann nicht nicht kommunizieren« (Watzlawick, Beavin u. Jackson, 1969). Alles an uns hat Mitteilungscharakter: unser Körper, unsere Haltung und Handlung, das gesprochene und das verschwiegene Wort, die Stimmlage, Mimik und Gestik (paraverbale Merkmale) sowie

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die Wortwahl. Auch die Nichtbeachtung sagt etwas aus. Kommunikation hat neben dem Informationsgehalt auch immer einen Beziehungsaspekt. Dieser drängt sich oftmals in den Vordergrund, wird wichtiger als der Inhaltsaspekt. Gefühle und Erwartungen prägen Beziehung und Kommunikations­modus. Körperhaltungen, Mimik und Gestik verdeutlichen die Beziehung der beiden Gesprächspartner oft klarer als der Sprechinhalt. Was bei Kommunikation ankommt: • verbale Signale: 6 Prozent, • nonverbale Signale: 56 Prozent, • paraverbale Signale: 38 Prozent.

1.4.2  Verschiedene Gesprächsanlässe

Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist da. Für viele Patient*innen sind Pflegepersonen über den Tag die einzigen Menschen, mit denen sie in Kontakt treten. Es gibt Gespräche, die dazu dienen, Normalität aufrechtzuerhalten, sich als Teil der menschlichen Gemeinschaft wahrnehmen und spüren zu können. Es gibt Gespräche, die ein »Mandat«, einen Auftrag beinhalten. Dieser kann offen ausgesprochen sein: »Was würden Sie raten?« oder auch verdeckt als dargelegtes Problem oder erzähltes Ereignis, das belastet oder beschäftigt. In diesen Fällen sind gelenkte oder professionelle Gespräche sinnvoll. Pflegende sind hier als Fachpersonen angefragt und aufgefordert, entweder direkt zu antworten, wenn es ihren Kompetenzbereich betrifft, oder eine therapeutische Fachperson einzubeziehen. Drittens gibt es Gespräche, die durch innerpsychische Spannungen der Patient*innen veranlasst sind. In der Auseinandersetzung mit einer bedrohlichen Krankheit oder dem bevorstehenden Tod werden fundamentale Gefühlsreaktionen ausgelöst, Ungewissheiten quälen, Gedanken kreisen unkontrolliert, jede kleinste Wahrnehmung einer Veränderung verursacht Unruhe,

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das Zeitempfinden verändert sich qualitativ und quantitativ. Das Selbstbild ist gestört, die Integrität verloren, Identitätszweifel kommen auf (Fässler-Weibel u. Geiger, 2009, S. 82 ff.). In dieser Auseinandersetzung äußern Patient*innen manchmal unstrukturierte und unkontrollierte Gedanken, die derartige inner­psychische Spannung widerspiegeln. Sie brauchen Menschen, die ihnen helfen, ihre Gedanken zu strukturieren und zu ordnen. Pflegepersonen haben in der Regel keine therapeutische Ausbildung. Ihre Aufgabe ist zu erkennen, wo eine Fachperson einbezogen werden sollte. Andererseits wird für diese Reaktionen nicht immer und gleich therapeutisch ausgebildetes Gesundheitspersonal benötigt. Viele Zweifel, Fragen, Emotionen und beunruhigende Gedanken lassen sich auch im sogenannten Kurzgespräch gut begleiten. Im Sprechen und Sich-selbst-Zuhören können Gefühle geordnet und strukturiert werden.

1.4.3  Das Kurzgespräch

Im Unterschied zu geplanten Gesprächen finden Kurzgespräche meist ohne Verabredung und »zufällig« statt. Sie sind nicht auf Folgegespräche ausgelegt, haben jedoch eine klare Zielorientierung. Kurzgespräche finden auf Augenhöhe zweier gleichwertiger Gesprächspartner statt. Nicht fachliches Wissen, sondern solidarischer Austausch charakterisieren sie. Dies bedeutet allerdings nicht, dass derartige Gespräche unwesentlich, oberflächlich und distanziert erfolgen. Kurzgespräche bringen das Thema schnell auf den Punkt, wollen zum Denken, zu einem inneren Dialog anregen. In krisenhaften Situationen, wie sie Erkrankungen hervorrufen, dienen sie meist der Orientierung und Wegfindung vor dem Hintergrund einer unübersichtlich gewordenen (Gefühls-)Welt. Ziel der Kurzgespräche »sollte immer sein, die Person zu stärken und in die Selbsthelferhaltung zu bringen«

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(Lohse, 2006, S. 42). Es geht beim Kurz­gespräch um die innere Wirklichkeit des Patienten, die in ihrer Komplexität von außen nicht umfassend eingesehen werden kann und muss. Damit Kurzgespräche hilfreich sein können, sind bestimmte Grundhaltungen beim zu Rate gezogenen Gesprächspartner nötig. Es ist eine grundsätzlich »mäeutische« Gesprächshaltung erforderlich, die davon ausgeht, dass Erkenntnis in der Person selbst entstehen wird und nicht von außen kommen kann. Jeder Mensch trägt die erforderliche und notwendende Weisheit in sich und kann selbst zu einer »lösenden« Ordnung und Orientierung finden. Im Gespräch wird die Lebenswirklichkeit des anderen vor oder über die eigene gestellt (Lohse, 2020). Mäeutische Gesprächshaltung: Durch Fragen wird zum Selbstdenken angeregt. Dadurch werden Erkenntnisse befördert, die bereits in der Person vorhanden sind.

Lohse führt Wege an (»Weg« ist der deutsche Begriff für »Methode«), wie Kurzgespräche gelingen können. Wichtig ist, dass wir an das eigentliche Thema des Ratsuchenden andocken. Wollen wir an das Thema des Sprechers anknüpfen, müssen wir die Mitteilung verstehen und differenzieren, was genau der Sprecher von uns will. Vom Eisbergmodell wissen wir, dass Aussagen meist eine unbewusste Tiefendimension haben, die nicht sogleich herauszuhören ist. Manchmal gibt die fehlende Übereinstimmung zwischen Gesagtem und der Körpersprache Hinweise auf eine verborgene Botschaft. Etwa wenn Mimik, Gestik oder Stimmlage dem Inhalt der Aussage widersprechen. Durch vorsichtiges Nachfragen kann das Gemeinte herausgefunden werden und es ergibt sich ein tiefergehendes Gespräch. Auch gilt es, zu schnelle (und meist vorurteilsbehaftete) Bewertungen oder Erkenntnisse zu prüfen. Nicht immer wird das Gleiche gemeint, und so ist es hilfreich, nachzufragen und sich an das Gemeinte heranzutasten.

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Nicht immer können das Anliegen und das Problem der ratsuchenden Person restlos verstanden werden. Manchmal sind Informationsfragen hilfreich, allerdings nur solange, wie sie dem Verständnis dienen und nicht der Befriedigung der eigenen Neugier. Gespräche können allerdings auch ohne umfassende Einsicht gelingen. Fragen sollten möglichst offen gestellt werden. Warum-Fragen sind selten hilfreich, weil sie nach einer Begründung fragen und das Gespräch dann auf der kognitiven Ebene verbleibt. Hilfreiche Kommunikation gelingt durch Impulse, die den Ratsuchenden ermöglichen, in sich zu gehen und eine Selbsterkundung zu wagen. Pausen sind wichtige Elemente eines Gesprächs. Sie erlauben dem Ratsuchenden, zu entspannen und sich neu zu entdecken. Keinesfalls darf die Ratsuchende zu etwas gedrängt werden. Die Gespräche sind in einer absichtslosen Haltung zu führen. Darin stecken die Chancen. Es ist ein Eingehen auf die Befindlichkeit der Patientin oder des Patienten. Ratsuchende drücken ihr tieferes Anliegen oft durch ein Symbolbild aus. Dieses fällt meist gleich zu Beginn des Gesprächs, häufig im ersten Satz. Wie erwähnt, kann und muss die Komplexität des Problems nicht verstanden werden. Symbolbilder können aufgegriffen werden und in die Tiefe führen. Im Folgenden wird mit diesem Wort »gespielt«. Ein Patient bemerkt: »Ich habe das Gefühl, in einem tiefen Loch zu sitzen und rutsche immer tiefer hinein. Über mir spielt sich das Leben ab, und ich stecke fest.« Die Nachfrage der Pflegerin: »Oh je, Sie Armer! Was können wir denn tun, dass Sie wieder aus dem Loch herauskommen?« Darauf der Patient: »Ja, es ist wie in diesen Filmen, wo sich ein Mensch an irgendetwas festkrallt und trotzdem immer tiefer rutscht, unausweichlich in die Tiefe rutscht.« – »Sie brauchen jetzt ein Seil oder eine Leiter oder rettende Hand, die Sie nach oben zieht. Stimmt das?« – »Ja, ich

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glaube nicht, dass die Chemo mir dabei helfen wird herauszukommen.« – »Was könnte Ihnen denn sonst helfen, aus dem Loch herauszukommen?« – »Mmh. Ich wünschte, ich könnte zu meiner Familie. Die gibt mir Kraft«.

Über das Bild vom Loch kommt der Patient auf seine aktuelle Situation einer Chemotherapie zu sprechen. Symbolbilder können Brücken sein und das innere Gefühlschaos begrifflich ordnen und artikulieren. Das Gefühl, »in einem Loch zu sitzen«, musste bei dieser Gelegenheit nicht ergründet werden. Bemerkenswert ist, dass die Pflegefachperson im Bild bleibt, das beängstigende Bild vom »Loch« dabei allerdings weder schmälert noch verstärkt oder problematisiert, sondern den Blick auf Möglichkeiten lenkt und damit die Ressourcen des Patienten aktiviert. Das ist eine Möglichkeit, damit umzugehen. Probleme und belastende Gefühle sollen gewürdigt, jedoch nicht verstärkt werden.

Kurzgespräche können helfen, aus einem Gedankenkarussell herauszufinden. Oft werden Wünsche oder Bedürfnisse negativ formuliert: »Ich werde keine weiteren Untersuchungen über mich ergehen lassen. Ich werde keine Therapie mehr machen.« Eine Verstärkung der negativen Form ist wenig hilfreich für die ratsuchende Person, während eine positive Umformulierung öffnend wirken kann. »Sie möchten Ihre Zeit anders nutzen?« kann zu einem Gespräch über Ziele und Pläne führen, die der Patient (noch) hat. Kräfte können so mobilisiert werden. Das Lösungsverhalten orientiert sich nicht am Problem. Hilfreich ist, den Blick zu weiten, den Rahmen zu vergrößern und dadurch die Problemfixierung aufzuheben. So eine Sichtweise lässt neue Lösungsansätze finden.

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Hinter geäußerten »negativen« Wünschen verbergen sich häufig Unsicherheiten und Ängste, die ausgesprochen werden möchten.

Für Pflegefachpersonen ist es auch bedeutsam, dass sie sich ihrer Rolle bewusst bleiben. Durch verschiedene pflegerische Tätigkeiten entsteht eine besondere körperliche Nähe. Grenzen des Intimen werden verschoben oder aufgelöst. Umso wichtiger scheint mir der Schutz der seelischen Integrität und die Enthaltung, persönliche Enthüllungen zu entlocken, die unter normalen Umständen nicht offenbart werden würden. Eine Aufgabe professionell Pflegender ist es, Patient*innen zu schützen.

1.5 Begegnen

Begegnungen finden immer in einem bedeutungsgefüllten und emotionsgeladenen Rahmen statt. Verlusterlebnisse können mitunter heftige Gefühlsausbrüche hervorrufen, die wiederum bestürzend und einschüchternd empfunden werden. Dies zeigt folgendes Beispiel aus dem pflegerischen Alltag: Ein Leukämiepatient wird wegen einer Infektionserkrankung aufgenommen. Er ist dem Team bekannt, da er schon einige Male zu Chemotherapie und Bluttransfusion stationär war. Zeitweise ging es ihm sehr schlecht, dann erholte er sich wieder. Er gilt als liebenswürdig und aufgeschlossen und wird von allen gemocht. – Ein Pfleger kommt zur Vitalzeichenkontrolle ins Zimmer. Doch anstelle des sonst so freundlich gestimmten Menschen trifft er auf einen zornigen Patienten, der ihn anfährt und mit Schuldvorwürfen überhäuft. Der Pfleger verstummt und zieht sich nach getaner Arbeit schnell zurück.

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Die Infektion war der schlechten Immunabwehr geschuldet und kann für Chemopatient*innen zur Lebensbedrohung werden. Der Pfleger kannte den sympathischen Patienten und war auf diese schroffe Anrede nicht vorbereitet. Wohlweislich ging er zunächst nicht darauf ein, sondern suchte später das Gespräch mit ihm. Er vermutete intuitiv, dass sich hinter der Wut und den Schuldvorwürfen des Patienten die Angst vor dem Tod und die Trauer um sein bald zu Ende gehendes Leben verbargen. Trauererleben wird oft von heftigen Gefühlen begleitet. Trauer­begegnung ist manchmal nicht mehr als ein Aushalten dieser Gefühle.

Das Chaos und die Wucht der (Trauer-)Gefühle können Angst machen. Im Berufsalltag professioneller Pflege herrscht oft große Anspannung, nervöse Hektik und rastlose Betriebsamkeit. Pflegende sind dabei vielfach so in Anspruch genommen, dass wenig Ressourcen zu bleiben scheinen, um Gefühlen die nötige Resonanz zu geben oder adäquat damit umzugehen. Im Folgenden werden keine »Patentrezepte« für eine gelingende Begegnung beschrieben, sondern Grundhaltungen und Grundlegendes zur Begegnung, die bei der Reflexion helfen mögen: • Begegnung geschieht zwischen zwei Menschen. Dieser trivial klingende Satz besagt in unserem Kontext, dass wir Patient*innen als Personen begegnen, auf gleicher Augenhöhe. • Begegnung geschieht, wo wir uns anrühren lassen. Sich anrühren lassen bedeutet verletzbar werden und sich öffnen für Neues. • Begegnung geschieht, wo ich Empathie, Wertschätzung und Echtheit einbringe. Was bedeutet das im hospizlich-palliativen Kontext?

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1.5.1  Begegnungen zwischen zwei Menschen »Dialogisches Leben ist nicht eins, in dem man viel mit Menschen zu tun hat, sondern eins, in dem man mit den Menschen, mit denen man zu tun hat, wirklich zu tun hat.« (Martin Buber, 1984, S. 167)

Alles Leben ist Begegnung. Aus der Quantenphysik wissen wir, dass alles Materielle, die ganze Welt, in einer ständigen gegenseitigen Wechselwirkung steht. Ohne Wechselwirkung gäbe es keine Materie. Ähnlich mag es sich bei Menschen verhalten. Was wäre der Mensch ohne Beziehungen zu anderen Menschen? Martin Buber hat dieses Prinzip der gegenseitigen Wechselwirkung zur Grundlage seiner Philosophie gemacht. Das Ich kann nicht für sich allein bestehen, es steht immer in Beziehung zu einem anderen Menschen oder seiner Umwelt. In zwei »Grundworten« beschreibt Buber den dialogischen Ich-Begriff. Diese zwei Grundworte heißen Ich-Du und Ich-Es. Erst in diesem Zwischenraum von Ich und Du oder Ich und Es gewinnt die Welt für den Menschen Bestand. Auch die Seele ist für Buber nichts objektiv Bestehendes, sondern ein dynamisches Geschehen (Waldl, 2002). Erkenntnisse der Neurobiologie bestätigen die philosophischen Erkenntnisse Bubers heute: Das Ich konstituiert sich im Laufe seines Lebens und erneuert sich ständig in diversen offenen Systemen, die aufeinander bezogen sind und Eindrücke aus der Umwelt verarbeiten (Damasio, 2011). So gewinnt Bubers Philosophie naturwissenschaftliche Unterstützung. Buber sagt: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung« (1984). Begegnung geschieht als wechselseitiger Austausch in einem »Zwischenraum«, und Leben vollzieht sich da, wo ich mit etwas oder jemandem in Resonanz trete.

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Eine langjährige Bewohnerin eines Pflegeheims litt an einer Alzheimer-Erkrankung. Ihre kognitiven Fähigkeiten nahmen rapide ab. Eine Pflegefachperson verrichtete die Morgentoilette bei ihr. Sie arbeitete in Teilzeit und war längere Zeit nicht mehr im Dienst gewesen. Aufgrund der Erkrankung erkannte die Bewohnerin die Pflegerin nicht mehr. Sie scheute und zog sich innerlich zurück. Dann kam die Pflegeschülerin hinzu, welche die Bewohnerin in den letzten Wochen gepflegt hatte. Sie wurde sofort erkannt und erwiderte ihre Begrüßung mit einem freundlichen Lächeln. Hier geschah Resonanz – Widerhall.

1.5.2  Begegnungen sind Resonanzerfahrungen

Resonanz bezeichnet den Modus gelingender Weltbeziehung. Für den Soziologen Hartmut Rosa sind Resonanzerfahrungen der Gegenbegriff zur Entfremdung. Damit Resonanz geschehen kann, muss ich mich öffnen für Neues, mich anrühren oder anrufen lassen. Resonanz geschieht da, wo ich Gefühlsregungen in mir wahrnehme. Emotionen bewegen mich (E-Motion bedeutet wörtlich »Herausbewegung«). Des Weiteren haben Resonanzerfahrungen einen Wandlungs- oder Transformationscharakter: Ich bleibe nicht dieselbe, ich gehe verändert aus der Begegnung hervor. Charakteristisch für Resonanzerfahrungen ist auch deren Unverfügbarkeit. Resonanzerfahrungen können nicht hergestellt, »gemanagt« oder gemacht werden. Das Gelingen einer Resonanzerfahrung liegt außerhalb unserer Machbarkeit (Rosa, 2020). Resonanzerfahrungen sind das Gegenteil von beherrschten oder kontrollierten Situationen. Eine Sache, die wir beherrschen, spricht nicht mehr zu uns. Zu ihr haben wir nur mehr eine tote Beziehung. Situationen mit Resonanzerfahrungen tragen immer ein Überraschungsmoment in sich. Das bedeutet in der Umkehrung, dass wir uns in diesen Situationen verwundbar machen, dass wir verletzt werden können. Der Philosoph

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Emmanuel Levinas sagt: »Die Empfänglichkeit für den Anderen setzt aber eine Verwundbarkeit voraus. Die schmerzende Wunde ist eine primordiale Öffnung zum Anderen« (Levinas, 1983; Hervorh. K. R.). Resonanz kann darin bestehen, dass ich kräftig irritiert werde oder abwehrende Emotionen in mir wahrnehme. Es braucht daher eine gewisse Grundhaltung, damit ich mit anderen Menschen in eine lebendige Resonanzbeziehung treten kann. Das ist immer wieder eine beachtliche Leistung, wie folgendes Beispiel zeigt. Eine Pflegefachperson erzählte in der Supervision, wie sie die ersten Nachtdienste allein auf einer onkologisch-hämatologischen Station leistete. Sie hatte damals noch wenig Erfahrung und fürchtete sich vor etwaigen Vorkommnissen, denen sie nicht gewachsen sein könnte. Beim ersten »Durchlauf« versuchte ein Patient, sie ins Gespräch zu ziehen. Er habe keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Ersticken, erzählte er. Die Pflegefachperson wiegelte ab und erklärte ihm, dass seine Angst unbegründet sei. Daraufhin verließ sie das Zimmer. – Nun schäme sie sich für die vertane Chance zu einem echten Gespräch, erzählte die Pflegerin. »Der Patient wollte offensichtlich über seinen nahen Tod sprechen und ich hatte Angst vor diesem Thema, weshalb ich ihn abwimmelte. Ich war selbst viel zu angespannt, um mich diesen Ängsten öffnen zu können.« In den darauffolgenden Nachtdiensten sei er freundlich, aber sehr kurz angebunden gewesen.

Schwerkranke und sterbende Patient*innen sind äußerst sensibel und spüren sehr genau, mit wem sie ihre Ängste, das Leid und den Schmerz teilen können und ob ein Resonanzboden vorhanden ist. Wo jemand offen für ein Thema ist und ein tiefergehendes Gespräch möglich scheint, öffnen auch sie sich. Professionell Pflegende im hospizlich-palliativen Kontext werden bei ihrer Tätigkeit laufend an Sterben, Tod und ihre eigene Endlich-

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keit erinnert. Das erfordert von ihnen eine hohe innere Bereitschaft, die eigene Ohnmacht und Verletzlichkeit zuzulassen. 1.5.3  Grundhaltungen für Begegnungen

Der Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers prägte drei Grundhaltungen für gelingende Begegnung: Empathie, Echtheit und Wertschätzung. Empathie bedeutet einfühlendes Verständnis entgegenzubringen, zu versuchen, die Wirklichkeit so zu sehen, wie mein Gegenüber sie sieht. Nicht nur auf die gesagten Worte zu hören, sondern auf das dahinter verborgene Fühlen, Denken, Bewerten, auf Ziele und Wünsche zu achten. Wir sollten uns bewusst sein, dass unser Gegenüber im hospizlich-palliativen Kontext uns immer ein Stück Weg voraus ist. Wir können uns nur annähern. Die zweite Grundhaltung, Authentizität oder Echtheit, besagt, dass wir uns in der Begegnung nicht hinter unserem beruflichen Rollenbild verstecken sollen. Menschen suchen menschliche Begegnung. Das Leiden eines anderen Menschen rührt an eigene existenzielle Ängste. Ich darf angesichts der Schwere der Erkrankung und des nahen Todes meine Hilflosigkeit zulassen und auch zum Ausdruck bringen. Ein ehrliches, echtes Verhalten ist meistens hilfreicher als eine distanzierte Haltung. Ein besorgter Ehemann geht äußerst aggressiv auf eine Krankenpflegeschülerin los und beschuldigt sie, seine Ehefrau zu wenig zu beachten und ungenügend zu pflegen. Es handelt sich um eine Patientin, bei der erst kürzlich ein Pankreaskarzinom diagnostiziert wurde. Sie hat starke Schmerzen und leidet unter dem äußerst raschen Verlauf ihrer Erkrankung. Sie weiß, dass sie nur noch wenige Wochen zu leben hat. Die Schülerin steht dem wütenden Ehegatten hilflos gegenüber und weiß ihm nichts zu antworten. Sie schaut ihn nur sehr betroffen an. Plötzlich verändert sich der Gesichtsausdruck des Mannes und er beginnt zu weinen.

42    Zum Grundverständnis von Pflege

Pflegefachpersonen sind oft mit der Unbeantwortbarkeit der Frage nach Leid und Tod konfrontiert. Diese gilt es auszuhalten. Der Versuch zu erklären oder in Banalitäten auszuweichen, ist nicht hilfreich. Wir sollten uns davor hüten, unsere Hilflosigkeit mit Plattitüden kaschieren zu wollen. Ein »Es tut mir leid. So ist es!« ist allemal besser als der Versuch, jemanden zu trösten und dabei der Trauer des Gegenübers auszuweichen. Die Betroffenheit der Krankenpflegeschülerin, so der Ehegatte im anschließenden Gespräch, habe ihn zur Empfindung der eigenen Betroffenheit und Ohnmacht geführt. Das schwerste Gefühl, das es auszuhalten gilt, ist die Ohnmacht.

Als dritte Grundhaltung nennt Rogers die bedingungslose Wertschätzung. Wir sollten uns der Leistung von Patient*innen bewusst sein. Sowohl im Alter als auch bei Krebserkrankungen leiden Menschen, und Leiden ist Leistung, wie Carlo Leget schildert: »[…] dass Leiden nicht ein passives Aushalten ist, sondern ein komplexes Zusammenspiel von aktivem, empfänglichem, akzeptiertem und nicht aufgebendem Handeln« (2021, S. 139). Auch wenn diese Definition von Leistung der Vorstellung unserer derzeitig hochökonomisierten und produktionsorientierten Gesellschaft entgegengesetzt scheint. 1.5.4  Ebenen der Begegnung – das Vier-Ohren-Modell

Sprache ist Brücke zwischen Menschen. Sie dient der Interaktion und Kommunikation. Jeder Mensch hat eine eigene Sprach- und Kommunikationsgeschichte. Manche drücken ihre Sorgen oder Probleme auf direktem Weg aus. Andere suchen einen indirekten Weg. Tatsächlich gibt es im Laufe des Tages viele versteckte Botschaften von Patient*innen an Pflegefachpersonen. Nicht selten verbergen sich in nur einem Satz verschiedene Nachrichten,

Begegnen   43

wobei die Hauptintention nicht leicht herauszuhören ist, wie dieses Beispiel zeigen möchte: Eine Pflegefachperson berichtet von einem Gespräch mit einem Patienten in der ambulanten Pflege. Der Patient war in großer Sorge um seine Frau, die, ebenfalls hochbetagt, noch recht rüstig war und ihren schwer kranken Gatten voraussichtlich überleben würde. Der fürsorgende Gatte hatte sich stets um alles gekümmert, das Finanzielle, Versicherungen usw. Da das Ehepaar kinderlos war, vertraute der Patient sich bei einem Haus­besuch der Pflegefachperson an und drückte seinen Kummer und seine Sorge um die Frau aus. Die tüchtige und energische Pflegerin wusste sofort die richtigen Kontaktdaten, an die sich das Ehepaar wenden solle und könne. Sie zog eine Broschüre aus der Tasche und erläuterte die einzelnen Eintragungen.

Diese Informationen waren zweifelsohne hilfreich. Die Pflegefachfrau spürte bei den folgenden Hausbesuchen allerdings eine Distanziertheit, die sie sich nicht erklären konnte. Offensichtlich lag hinter der Aussage des Patienten eine andere Intention. Er hätte sich vielleicht gewünscht, dass die Pflegeperson ihn vor allem in seiner Sorge um die Ehegattin ernst nimmt. Das Bedürfnis, emotionale Erlebnisse ins Gespräch zu bringen, sollte besonders achtsam wahrgenommen werden.

Der Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun (1981) entwickelte das Vier-Ohren-Modell. Es besagt, dass eine Aussage immer auf vier verschiedenen Ebenen gesagt und verstanden werden kann: als Sachinformation, Appell, Selbstoffen­barung sowie auf der Beziehungsebene. Unter Umständen sind wir zu sehr auf die Sach- oder Appell-Ebene fokussiert, wo Selbst­ offenbarung und Beziehungsebene vorrangig wären. Trauer

44    Zum Grundverständnis von Pflege

verbirgt sich oft hinter solchen scheinbar sachlichen Anfragen. In der Supervision wurde der Pflegefachfrau deutlich, dass der Gatte möglicherweise weniger Sachinformationen (Inhalts­ebene) gebraucht hätte als vielmehr ein vertrautes Gespräch, in dem er seinen Kummer und seine Trauer zum Ausdruck bringen konnte. Anstelle des Appellohrs (»Können Sie mir da weiterhelfen?!«) wäre vermutlich eine Begegnung auf der Selbstoffenbarungs­ ebene (»Ich habe Kummer und trauere um meine Frau, die ich bald verlassen muss«) oder der Beziehungsebene (»Ich mag Sie und Sie verstehen mich sicher richtig, wenn ich Ihnen meinen Kummer mitteile«) stimmiger gewesen. Nicht immer »treffen« wir die richtige Ebene auf Anhieb. Es muss ausprobiert und sensibel nachgefragt werden.

2  Was ist Trauer?

2.1  Trauer ist die Reaktion auf ein Verlusterlebnis

In der pflegerischen Tätigkeit begegnen wir Trauer sehr oft. Menschen trauern um verloren gegangene Gesundheit und Wohl­ befinden, die damit entzogene Selbstständigkeit und Angewiesenheit auf Hilfe, sie trauern um Zukunftspläne, auf die sie infolge der Krankheit verzichten müssen, oder auch um unklare und nicht planbare Zukunft, sie trauern um ihr »altes« Leben, das sie wegen einer gesundheitlichen Einschränkung aufgeben müssen. Es können kleinere Verletzungen sein oder auch unumkehrbare Abschiede, die Trauer auslösen. Ein Schüler war auf Klassenfahrt in den Bergen und hatte bei seiner ersten Abfahrt auf der Skipiste einen Unfall. Neben der Sorge, ob das Knie nach der Operation so gut heilen würde, dass er im Sommer wieder Fußball spielen könne, trauerte er um die Tage auf der Skihütte mit seinen Freunden in der Klasse, auf die er sich schon so gefreut hatte. Eine alte Dame führte bis ins hohe Alter ihren Haushalt selbst und war stolz auf ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit und freute sich über die dadurch empfundene Freiheit. Bei einem kleinen Schwindelanfall stürzte sie und brach sich den Oberschenkelhals. Nach dem Krankenhausaufenthalt war sie so hinfällig, dass sie nicht mehr in ihre Wohnung konnte.

46    Was ist Trauer?

Das Sterben kann als ständige Abfolge von Abschieden beschrieben werden. Chronische Organerkrankungen haben meist einen schleichenden Verlauf, und das Abschiednehmen von gewohnten Lebensvollzügen und lieb gewonnener Tätigkeit verläuft schleichend, aber stetig. Abschiede von körperlichen Fähigkeiten und persönlichem Handlungsspielraum gehen parallel und werden als sehr schmerzlich erfahren. Die zunehmende Atemnot bei COPD oder Herzinsuffizienz verringert den Mobilitätsradius, und Erkrankte müssen sich auf kleinere Strecken begrenzen, ihre Geschwindigkeit reduzieren. Ähnlich verhält es sich bei neuro­ logischen Erkrankungen, die eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands zeigen. Andere Erkrankungen brechen plötzlich und unerwartet herein, wie beispielsweise ein Schlaganfall, und begrenzen und beengen das Leben. Getrauert wird um die Vergangenheit; das gelebte Leben mit all seinen Empfindungen, Plänen und Vorstellungen wird endgültig genommen werden. Getrauert wird um die nicht mehr lebbare Zukunft, um die Gegenwart und um das, was nicht mehr möglich ist. Bei Krebserkrankungen beginnt Trauer bereits mit dem Zeitpunkt der Diagnosestellung. Die Normalität des bisherigen Lebens löst sich mit einem Schlag auf und die Brüchigkeit des Lebens tritt hervor. Die Bedrohung verschlingt das Sicherheitsgefühl und Grundvertrauen in das Leben. Ich werde mir meiner Endlichkeit erbarmungslos bewusst. »Der Tod hat ein Auge auf mich geworfen« (Turgenjew). Nach dem ersten Schock setzt die Trauer ein. Trauer um die nicht mehr lebbare Zukunft und Verwirklichung von Plänen. Trauer um die lieb gewonnene und vertraute Gegenwart, die nun durch Untersuchungen, Therapien und Krankenhausaufenthalte geprägt sein wird. Alles, was mir sinnstiftend war und ist, scheint nun verloren zu gehen. Die Trauer darum umschließt mein ganzes Denken und Fühlen. Zwar führen die meisten Krebserkrankungen durch die fantastischen Errungenschaften der Medizin inzwischen nicht mehr

Trauer ist die Reaktion auf ein Verlusterlebnis   47

unmittelbar zum Tod. Viele Formen sind heilbar und Krebs ist zu einer chronischen Erkrankung geworden. Dennoch wird man durch die Diagnosestellung aus der »Unsterblichkeitsillusion hinauskatapultiert« und der Tod wird »auf eine ängstigende Weise anschaulich« (Müller, Brathuhn u. Schnegg, 2014, S. 47 f.). Das Lebensfeld wird enger, das Feld der Trauer eröffnet sich meinen Schritten, und es geht unabänderlich dem Tod entgegen. Menschen, denen ihre Endlichkeit so oder anders bewusst geworden ist, sind immer auch trauernde Menschen. Trauer beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem zum ersten Mal und existenziell begriffen wird, dass das eigene Leben bedroht ist. Üblicherweise sprechen wir von Trauer, wenn wir einen geliebten Menschen verloren haben. Müller, Brathuhn und Schnegg verdeutlichen, dass Trauererleben schon viel früher beginnt und nicht allein bei An- und Zugehörigen, sondern auch bei Kranken und Sterbenden zu finden ist. In den drei Trauerfeldern (Abbildung 1) veranschaulichen sie die verschiedenen Trauerwege. Die drei Trauerfelder stellen grafisch einen Schmetterling mit zwei Flügeln dar. Ihr Mittel-Punkt bezeichnet den Tod. Der Weg geht von links nach rechts. Im ersten Feld finden sich Angehörige und Sterbende. Sterbende leben in einer immer begrenzter werdenden Welt. Auch Angehörigen wird die gemeinsame Welt mit dem Sterbenden immer kleiner und enger. Sie befinden sich außerdem als Fürsorgende und Sichkümmernde in einer für sie bis dato fremden Welt und auf dem unausweichlichen Weg hin zum Tod. Während sich das erste Feld verengt, weitet sich das dritte Feld nach dem Tod wieder. Dieses beschreibt das Leben nach dem Tod: Hinterbliebenen eröffnet sich (wenn auch mühsam) noch einmal die Fülle des Lebens. Das zweite Feld bezeichnet den Zeitpunkt des Todes. Wir alle wissen theoretisch um Krankheit, Sterben und Tod. Im Normalfall, wenn das Leben es gut mit uns und unseren Lieben meint, schenken wir dieser Tatsache kaum Gedanken. Und

48    Was ist Trauer?

Abbildung 1: Die drei Felder der Trauer (nach Müller, Brathuhn u. Schnegg, 2014, S. 47)

das ist gut so. Doch im Laufe unseres Lebens werden wir unweigerlich mit gesundheitlichen Einschränkungen und mit dem Tod konfrontiert. Wenn diese Gewissheiten uns selbst (existenziell) betreffen, wandelt sich das Denkwissen in Erfahrungswissen. Der Tod wird geschmeckt. Sterben und Tod treten in die »Erlebenswelt« des Menschen ein. Er oder sie erfährt auf existenzielle Weise von der Brüchigkeit, dem Unfassbaren, Undurchschaubaren und dem Unbegreiflichen des Lebens. Der Mensch erfährt die eigene Sterblichkeit und damit seine Schutzlosigkeit und Ohnmacht, sein Ausgeliefertsein nicht mehr aus einer distanziert-rationalen Perspektive, sondern im Sinne eines »existenziellen Verstehens« (Brathuhn u. Adelt, 2015, S. 42). Sterben heißt eintreten in die Phase des »Nicht-mehr«. Der Horizont der Lebensmöglichkeiten schließt sich. Das Gewesene ist nicht wiederholbar, end-gültig. Es heißt Abschied nehmen, unwiderrufliche Trennungen vornehmen. Die bisherige Lebensrückschau hatte den Charakter des Vorläufigen, nun stellt sie sich mit einem unwiderruflichen Ernst. »Alle Perspektiven lie-

Trauer schmerzt   49

gen unter der Wolke des Nie-mehr oder Nie-wieder« (Müller et al., 2014, S. 51). Bei einer Befragung erzählte eine siebzigjährige Patientin mit Lungentumor, Trauer habe sie nie empfunden. Sie sei den Weg der Tumortherapie stets mit großer Zuversicht gegangen, immer in dem Vertrauen, dass ihr nur so viel zugemutet werde, wie sie tragen könne. Doch dann – nach einigem Zögern – erzählte sie von einer Begebenheit, die sie mit Trauer in Kontakt gebracht habe: Sie war mit dem Rad unterwegs zu ihrer Freundin. Während der Fahrt spürte sie, wie ihr plötzlich alle Kraft schwand. Sie fand eine Bank, um sich auszuruhen. Da brach das Bewusstsein über sie herein, dass sie durch den Tumor und die Therapien so viel an Kraft eingebüßt hatte, dass sie nicht einmal mehr – und wohl auch nie wieder – diese kurze Strecke mit dem Rad fahren könne, um ihre Freundin zu besuchen. »Das war der Augenblick, dass ich Trauer empfand.«

2.2  Trauer schmerzt

Laut Krankenpflegegesetz sind Aufgaben der Pflege zur Schmerzlinderung: Erfassung des Bedarfs an Schmerzbehandlung, Informationsweitergabe, Ausführung ärztlicher Anordnung zur Einleitung oder Anpassung einer Schmerztherapie sowie Sicherstellung einer zeit- und fachgerechten Anwendung von Schmerzmitteln und Evaluation der Therapie (§ 14 u. 15 GuKG Ö). Skalen und Messinstrumente dienen der Erfassung und Dokumentation des Schmerzverlaufs. Professionelle Pflege kann wesentlich zur Schmerzlinderung beitragen, wenn sie Schmerz erkennt. Pflegefachpersonen sind darin geschult, indirekte Schmerzzeichen wahrzunehmen. In der Mimik und Gestik, bei Verhaltensänderungen oder Lautäußerungen, wenn Blässe, Schweiß,

50    Was ist Trauer?

gesteigerter Muskeltonus oder Schonhaltungen auftreten, bei Schlafstörungen oder erhöhten Vitalzeichen wird die Aufmerksamkeit auf möglichen Schmerz gelenkt. Durch standardisierte und regelmäßig durchgeführte Schmerzassessments wird Schmerz bei Patient*innen außerdem routinemäßig erfasst. Schmerz kann viele Ursachen haben. Die Schmerzanamnese versucht, Lokalisation, Stärke, Qualität, Dauer des Schmerzes usw. herauszufinden, damit die bestmögliche Schmerzbehandlung erfolgen kann. Diese Schmerzanamnesen sind auf körperliche Symptome angelegt. Nicht immer drückt sich Schmerz körperlich aus, und häufig sind Ursache für Schmerz nicht körperliche Beschwerden, sondern psychische, soziale oder spirituelle Belastungen oder Nöte. Werden die Daten des Schmerzassessments nicht durch eine Verstehenskultur ergänzt, laufen sie Gefahr, bloße Informationssammlung zu sein. Eine Verstehenskultur fragt nach dem Bedeutungsgehalt eines Symptoms für den oder die Betroffene und bleibt nicht bei einer kausalen Erklärung stehen. Objektive Daten können nicht die geschulte Beobachtung und das Gespräch ersetzen. Schmerz ist immer das, was der Patient oder die Patientin empfindet. Eine junge Frau liegt schmerzverzerrt im Bett. Sie hatte eine große gynäkologische Operation. Schmerztherapeutisch wurde alles ausgeschöpft, doch sämtliches medizinisches Können trug kaum zur Linderung bei. Schließlich vertraut sie sich einer Krankenpflegeschülerin an und offenbart ihr: Sie hätte so gern Kinder gehabt … Schmerz kann psychischen, sozialen, körperlichen oder spirituellen Ursprungs sein.

Wenn Patient*innen über Schmerzen klagen, sollten die sozialen, seelischen und spirituellen Dimensionen von Schmerz immer

Trauer schmerzt   51

mitbedacht werden. Lässt sich der Schmerz nicht lindern, so zeigt die Praxis, liegt die Ursache nicht immer in unzureichender Schmerztherapie, sondern in seelischem Leiden. Seelisches Leid wiederum intensiviert körperliche Schmerzen. Die Offenbarung des seelischen Schmerzes der Patientin ermöglichte die Hinzuziehung einer Psychoonkologin. Die verschiedenen Dimensionen von Schmerz, die körperliche, seelische, soziale und spirituelle Dimension, sind so ineinander verwoben, dass sie als Ganzes betrachtet und begleitet werden müssen. Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Hospiz- und Palliativbewegung, bezeichnete diesen Schmerz als »Total Pain« (Saunders, 2006). Schmerz durchdringt die ganze Persönlichkeit des Menschen. Am Ende ihres Lebens, so die Beobachtung der Ärztin, Sozialarbeiterin und Krankenschwester Saunders, empfinden alle Menschen diesen tiefgehenden Schmerz, der ihre ganze Existenz in Mitleidenschaft zieht. Total Pain besagt: Der Mensch leidet als gesamter und nicht in seinen Teilen.

Grundsätzlich gilt, dass Schmerz dem Menschen als Warn­system mit Schutzfunktion dient, also der Wahrung von Unversehrtheit. Auch sozialer und seelischer Schmerz wirkt sich neuronal aus und ist mit körperlichem Schmerz gleichzusetzen. Auf psychischer Ebene kann Schmerz bei unerträglichen Krisen oder Belastungen auftreten, bei Ängsten, Trauer oder Bedrohung der Integrität. Sozialer Schmerz kann durch Einsamkeit, Gefühl der Verlassenheit oder (krankheitsbedingten) Statusverlust verursacht sein. Spiritueller Schmerz äußert sich in Fragen nach dem Sinn, dem Verlust des Geborgenheitsgefühls oder Ähnlichem. Nach dem Arzt und Trauerforscher William Worden ist stark empfundener seelischer Trauerschmerz eine »offensichtlich notwendige Begleiterscheinung des seelischen Anpassungsprozes-

52    Was ist Trauer?

ses an einen Verlust« (Müller, 2018). Die größte Bedrohung, die jemals erfahren werden kann, ist die des Todes, der Auslöschung der eigenen Existenz. Es gibt keine größere existenzielle Krise, als dem eigenen Tod ins Angesicht zu schauen. »Der Mensch verliert sich selbst« (Müller et al., 2014, S. 49). Angesichts des Todes, wenn der Mensch »zum ersten Mal tief in seinem Innern begriffen hat«, dass er sterben wird, »beginnt ein heftiger und schmerzlicher Trauerprozess« (S. 49 f.).

2.3  Trauer ist ein Heilungsprozess

Verschiedene Trauermodelle beschreiben das Trauern als Wachstums- und Heilungsprozess. Verena Kasts Modell ist stark an das Phasenmodell der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross angelehnt. Sie nennt vier Phasen des Trauerns: das Nicht-wahrhaben-Wollen, das Aufbrechen der Emotionen, das Suchen und Sichtrennen und die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs. Trauern muss als etwas Wesentliches und Normales gesehen werden. Wir sollten unsere Angst vor Trauer überwinden. Das tun wir, wenn wir »abschiedlich« leben, also akzeptieren lernen, dass unser Leben von Abschieden geprägt ist. Dies beinhaltet die Einsicht, dass wir zerbrechliche Wesen sind, aber auch stark genug, Trauer durchzustehen und aus Grenzsituationen erstarkt hervorzugehen (Kast, 1992). William Worden bezeichnet Trauern als »Anpassungsprozess« und innere Arbeit. Trauernde Personen nehmen eine aktive Haltung ein. In der Trauer stellen sich dem Menschen vier Traueraufgaben: 1) die Realität des Verlustes akzeptieren, 2) Schmerz oder emotionale Aspekte des Verlustes erfahren, 3) Anpassung an eine Umwelt, in welcher der oder die Verlorene fehlt, 4) die emotionale Energie abziehen und in eine andere Beziehung investieren. Bezogen auf schwer kranke und

Trauer ist ein Heilungsprozess   53

sterbende Menschen beinhalten die Aufgaben drei und vier die Anpassung an die Welt mit dem Verlust von Gesundheit, Selbstständigkeit, Funktionsfähigkeit sowie Energie, in Gegenwart und Zukunft zu investieren (Worden, 2018). Sowohl bei Kasts als auch Wordens Modell versteht sich, dass Phasen nicht linear und chronologisch ablaufen, sondern die Darstellung lediglich einem besseren Verständnis verschiedener psychischer Zustände dienen soll. Diese Phasen sind durch starke Ambivalenzen geprägt, die sich nach außen hin durch schnell wechselnde Stimmungen oder Themenwechsel zeigen und ganz normal sind in einer Zeit des Chaos der Gefühle. Es gibt keinen Weg an der Trauer vorbei. Linderung geschieht durch das Hindurchgehen durch die Trauer.

In einem weiteren Modell klingt das Prinzip der Salutogenese an. Wie in Kapitel 1.2.1 beschrieben, befindet sich der Mensch Zeit seines Lebens in Austausch und Auseinandersetzung mit der Umwelt. Menschliches Sein ist immer zugleich menschliches Werden. In der Trauer geschieht Selbstwerdung. Nach Sylvia Brathuhn und Thorsten Adelt (2015) durchschreiten Menschen in der Trauer vier »Werdeschritte«. Der erste Schritt ist geprägt durch das Wahrnehmen und Neu-sehen-Lernen. Der Blick geht zurück auf das, was verloren wurde, und schaut in die angstmachende Leere der Gegenwart und Zukunft. In diesem Werdeschritt gehe es darum, die äußere Realität, den Verlust, mit der inneren, gefühlten Wirklichkeit in Beziehung zu setzen. Integrationsarbeit und Selbstannahme werden auch in den folgenden Werdeschritten geleistet, wo es um Erkennen und Verstehen, um Annehmen und Anerkennen der veränderten Lebenssituation und schließlich um Gestalten und Leben geht (Brathuhn u. Adelt, 2015). Der Mensch ist immer im Wandel begriffen. Selbst noch im Sterben ist er auf dem Weg zu sich selbst und kann Selbstwer-

54    Was ist Trauer?

dung geschehen, können erlittener Schmerz und Leid in das Leben integriert werden, sodass eine »Umwandlung des Lebens«, eine »Lebensreifung und Befreiung« geschehen und sich neue Lebenswerte eröffnen (Müller u. Schnegg, 2016, S. 120 f.).

2.4  Trauer ist ein Weg

Weg ist ein Bildwort für das Leben des Menschen und für seinen seelischen Entwicklungsprozess. Wir kennen das Bild vom Weg aus Märchen oder aus dem Heldenepos, wo Menschen aufbrechen, sich auf den Weg machen, um die Welt zu erfahren (im doppelten Wortsinn), und dabei zu sich finden. Ähnlich verhält es sich beim Trauern. Der Trauerweg führt in ein unbekanntes Land. Alte Sicherungen fallen weg. Wir wissen nicht, welche Erfahrungen wir machen und wie wir uns selbst erleben werden. Wie bei allen existenziellen Erfahrungen unseres Lebens können wir den Weg nicht voraussehen und haben keine Kontrolle.

Abbildung 2: Trauerkreislauf (Müller, 2018)

Trauer ist ein Weg   55

Das Bild vom Weg kann für Trauernde sehr tröstlich sein. In der Trauer empfinden viele Menschen Ausweglosigkeit und meinen, sich im Kreis zu drehen, nicht vom Fleck zu kommen, eingesperrt zu sein. Der Weg vermittelt das Bild einer fortschreitenden Dynamik in der seelischen Auseinandersetzung mit Verlusten. Es ist das Bild für einen Wandlungsprozess, wie Abbildung 2 zeigt. Der Weg geht nicht im Kreis herum, sondern führt aus dem Kreis heraus in eine neue Wirklichkeit. Der Verlust kann zunächst Schock auslösen oder Verwirrung, er kann zur Verleugnung führen und zur Auflehnung gegen den Schmerz. Im Laufe des Trauerwegs ändert sich die Einstellung, sie kann in die Verzweiflung führen, in die Todesangst oder Depression. Nach einer Phase der Apathie und des Rückzugs, der Gleichgültigkeit und des Verlusts von Interesse finden Trauernde wieder einen Weg zur Wiederherstellung ihrer Integrität und des Selbstwerts. Die körperlichen Symptome lassen nach, und der neuen Gegenwart wird mit dem integrierten Trauerschmerz begegnet. Dieses Wegbild liegt auch dem hoffnungsstiftenden Gedicht Hilde Domins zugrunde, das dem Buch vorangestellt ist. Der erste Teil des Gedichts beschreibt den einsamen und schmerz­ lichen Weg der Trauer. Er scheint in den Tod zu führen. Im zweiten Teil öffnet sich der Blick, können die Farben und Formen des Lebens schrittweise wieder erahnt und schließlich sinnlich erfahren werden. Am Ende erstrahlt ein neuer Tag, das Leben blüht wieder auf, Gemeinschaft wird erlebbar und wir finden wieder zu uns selbst. Bei der Diagnosestellung oder wenn die Bedrohung des unabwendbaren nahen Todes existenziell begriffen wird, kann der Schmerz so groß sein, dass Menschen in die Erstarrung fallen. Die innere Erstarrung macht unbeweglich. Es ist wichtig, dass Menschen in Bewegung kommen und nicht in der Erstarrung stecken bleiben. Manche Menschen brauchen einen Anstoß,

56    Was ist Trauer?

um aus dieser inneren Bewegungslosigkeit herauszufinden. Der Prozess des Trauerns muss in Gang kommen.

2.5  Trauer ist keine Krankheit

Trauer ist keine Krankheit, sondern eine normale Verlustreaktion, die jedem Menschen angeboren ist. Heftige Trauerreaktionen können sogar Monate andauern. Daher sollten pathologisierende Deutungen nicht übereilt vorgenommen werden. Auch sind beruhigende oder stimmungsaufhellende Medikamente bei einem normalen Trauerverlauf weder notwendig noch hilfreich, da sie den psychischen Prozess eher blockieren (Roller, 2015, S. 357). Antidepressiva haben die Eigenschaft, dass sie Gefühle dämpfen und daher für einen Trauerprozess eher hinderlich sind. Im Gegenteil: Worden bezeichnet den stark empfundenen Trauerschmerz, wie er bei seelischen Anpassungsprozessen häufig mit auftritt, als notwendige Begleiterscheinung (Worden, 2018). Im folgenden Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, was professionelle Pflegepersonen beitragen können, damit der heilende und gesundheitsförderliche Trauerprozess stattfinden kann.

3  Trauer in der pflegerischen Praxis

Die Grundaufgaben und -haltungen pflegerischer Tätigkeit wurden oben ausgeführt. In diesem Kapitel wird nun anhand konkreter Themen und praktischer Beispiele aufgezeigt, wie professionell Pflegende Trauerbegleitung konkret leisten können. Dazu bedarf es einer Vorbemerkung. Der Pflegeberuf wird bei den Sozialwissenschaften eingeordnet, und in einem gewissen Sinn hat seine Ausübung therapeutischen Charakter. Wie oben gezeigt, liegt der therapeutische Ansatz der Pflege nicht im geplanten, strukturierten Gespräch wie etwa bei der Psychotherapie (außer natürlich bei Anamnesegesprächen, Schulungen und Beratungen). Gespräche ergeben sich meist beiläufig während pflegerischer Tätigkeit. In der Pflege sprechen wir daher weniger von Trauerbegleitung, sondern von Trauerbegegnung. Unter Trauerbegegnung können alle Situationen verstanden werden, in denen wir Trauer antreffen. Zur Einführung und Verdeutlichung zunächst ein Beispiel aus der Praxis. Seit zwei Wochen liegt Herr B. in einem Pflegeheim. Bis zu seinem Schlaganfall war er ein sehr aktiver Gärtner und Hobby-­ Angler. Seine ausgeprägte Halbseitenlähmung fesselt ihn nun an den Rollstuhl. Ohne Hilfe kann er sich nicht fortbewegen, nicht einmal im Bett die Lage verändern. Nach dem Krankenhaus­ aufenthalt auf der neurologischen Akut- und dann Rehastation wurde er in den Langzeitbereich verlegt. Eine weitere Verbesserung seiner Mobilität steht nicht in Aussicht. Die ersten Tage liegt er apathisch im Bett und lässt alles passiv mit sich geschehen.

58    Trauer in der pflegerischen Praxis

Jeden Morgen wird ihm der Blutdruck gemessen. Die Pflegerin legt die Manschette um seinen Oberarm, und er schaut sie skeptisch an und bemerkt mit zynischem Ton: »Das ist eh egal, oder?! Es nützt doch alles nichts.« Sie kann spontan mit seiner Resignation mitempfinden und erwidert: »Sie denken, dass diese Maßnahme sinnlos ist, nicht wahr? Aber wir wollen nicht, dass Sie noch einen Schlaganfall bekommen, und wir werden alles tun, damit Sie Ihre Tage hier bei uns so gut und so erfüllt wie möglich erleben können.« Dabei schaut sie ihm ruhig und tief in die Augen.

In diesem kurzen Augenblick begegnete die Pflegefachperson der Trauer des Patienten und wich ihr nicht aus. Offensichtlich hat diese Begegnung – und vermutlich weitere Begegnungen ähnlicher Art – dem Patienten geholfen und es ist etwas in ihm in Fluss gekommen. Denn nach und nach löste er sich aus seiner Erstarrung. Er begann, bei der Mobilisation, Körperpflege und Nahrungsaufnahme aktiv mitzuwirken und zeigte Interesse an seiner neuen Umgebung. Trauerbegegnungen sind gelungen, wenn sie Trauer erlauben und ins Fließen bringen.

Trauerbegegnungen können therapeutischen Effekt haben. Es bedarf nicht zwingend ausführlicher Gespräche. Kurze Augenblicke können den Trauerprozess anstoßen, den oder die Trauernde in Bewegung bringen. Wie wir Trauerbegegnungen gestalten und entwickeln können, soll Thema dieses Kapitels sein. Zunächst muss Trauer in ihren vielfältigen Ausdrucksweisen wahrgenommen werden. Wie wir eine Begegnung mit trauernden Patient*innen hilfreich gestalten und was wir tun können, um den Heilungsprozess zu fördern, thematisiert der darauffolgenden Abschnitt.

Trauer wahrnehmen   59

Die Begleitung von trauernden Angehörigen ist ein großes und wichtiges Thema und kann in diesem Rahmen nicht erschöpfend dargestellt werden. Da dieses Buch schwerpunktmäßig Trauer bei schwer kranken und sterbenden Menschen im pflegerischen Alltag behandelt, wird auch die Angehörigenbegleitung auf das Zeitfenster kurz vor und nach dem Versterben eines Menschen begrenzt. Vertiefende Literatur zur Trauerbegleitung von An- und Zugehörigen lässt sich in Buchhandlungen und im Internet finden.

3.1  Trauer wahrnehmen Der Patient auf einer hämatologisch-onkologischen Station liegt in sich gekehrt und stumm im Bett. Seine Prognose ist schlecht und er ist noch jung. Auf die Pflegepersonen reagiert er nicht. Auf sie wirkt er abweisend und unfreundlich. Zu keinem aus dem Team hat er einen näheren Kontakt. Alle meiden ihn und gehen nur noch in sein Zimmer, um das Nötigste zu verrichten. Im Team ist kein Verständnis für sein Verhalten.

Leider kommt es häufig vor, dass Trauer im pflegerischen Alltag nicht als solche erkannt wird. Das zurückgezogene oder abweisende Verhalten wird stattdessen als »unkooperativ« beurteilt. Das hat die Folge, dass Patient*innen unter Umständen ihre Trauer sehr einsam durchleben. Bei diesem Beispiel wäre ein vorsichtiges Nachfragen möglicherweise hilfreich. Nicht immer können Menschen von sich aus über ihre Trauer sprechen. »Wie geht es Ihnen? Ich spüre so viel bedrückende Trauer bei Ihnen. Wie kommen Sie mit Ihrer Trauer klar?«

Trauerreaktionen sind individuell sehr unterschiedlich. Jeder Mensch reagiert anders auf Verlust. Grundsätzlich kann Trauer

60    Trauer in der pflegerischen Praxis

auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen werden. Auf der Gefühlsebene zeigen sich Traurigkeit, Angst, Niedergeschlagenheit, Schock, Wut, Weinen, Klagen und Weiteres. Körper­ liche Symptome sind zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen, Appetit­ losigkeit, Herzklopfen, Schlafstörungen, Müdigkeit. Im sozialen Bereich sind Rückzug oder auch Hyperaktivität wahrnehmbar. Auf spiritueller Ebene Hadern, Zweifel, Trostlosigkeit. Meist sind Trauerreaktionen sehr vielschichtig und im pflegerischen Alltag nicht leicht zu erkennen. Deswegen soll hier in vier Schritten noch näher auf Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Trauer eingegangen werden. 3.1.1  Trauer wahrnehmen als Chaos der Gefühle

Trauer wird begleitet von einem Chaos der Gefühle. Neben den gemeinhin anerkannten und sozial akzeptierten Gefühlen zeigen sich häufig auch beklemmende Ohnmacht oder heftige Wut, bissiger Zynismus oder schuldbeladene Selbstvorwürfe. Eine Unterscheidung zwischen mehr und weniger adäquaten Gefühlen ist nicht hilfreich. Je nach Biografie und Äußerungsmöglichkeit werden die verschiedenen Gefühle sichtbar und keines ist passender oder besser als das andere (Müller et al., 2014, S. 52). Auch in der Heftigkeit gibt es große Unterschiede, sowohl im Ausdruck als auch in der Art des »Befalls«, wie Müller, Brathuhn und Schnegg (2014, S. 57) beschreiben: »Wildeste Gefühle springen wie aus dem Nichts auf und verschwinden wieder – sie hinterlassen eine grundlegende Verunsicherung und die Angst vor neuer Überwältigung durch Gefühle von Scham, Schuld, Wut, Ohnmacht, Idealisierung.« In einem Chaos der Gefühle erleben wir uns oft überfordert und orientierungslos. Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens Strategien entwickelt, um mit Verlusterlebnissen umzugehen: weinen, schreien, jammern, verstummen, verdrängen, nach innen gehen, nach außen gehen, sich bewegen, Kontakte

Trauer wahrnehmen   61

suchen usw. Es ist wichtig, diese verschiedenen Trauerstrategien zu respektieren und sie nicht zu werten. Vorsicht ist vor allem geboten, wenn eine Strategie sich vom eigenen Umgang mit Verlusten komplett unterscheidet. Strategien können nicht übertragen werden. Jede Strategie hat ihre Chancen und Risiken. Aufgabe des Pflegepersonals sollte immer sein, das jeweilige gesundheitsfördernde Potenzial zu entdecken und zu fördern. Gefühle sind stets anzuerkennen und nicht zu bewerten.

3.1.2  Trauer wahrnehmen in den verschiedenen Typologien

Je nach Typ fallen manche Menschen bei Verlust in die Erstarrung, neigen zum Rationalismus und wieder andere zum Aktionismus. Alle drei Typen haben auf unterschiedliche Weise zum Ziel, die Seele vor zu großem Leid zu schützen und gleichzeitig Verlusterlebnisse zu bearbeiten. Sowohl die Chancen als auch Behinderungen liegen jeweils auf der Hand. Bei der Erstarrung werden Gefühle ausgeblendet und der oder die Betroffene macht sich »unberührbar« für sich selbst und andere, igelt sich ein und verschließt sich nach innen und außen. Nicht selten wird in diesen Fällen im Pflegebericht ein »abweisendes Verhalten« dokumentiert oder mangelnde »Compliance« attestiert. Hier ist es wichtig zu wissen, dass die Erstarrung eine Form darstellen kann, wie Menschen versuchen, Trauer zu bearbeiten. Abschottung kann – für eine gewisse Zeit – notwendig und berechtigt sein, um die Seele vor zu viel Leid oder unerträglichem Schmerz zu schützen. Dann ist es wichtig, Verständnis zu zeigen, und keinesfalls darf die Schutzfunktion aufgebrochen werden. Der Weg der Öffnung geht über die Würdigung des schutzbedürftigen Anteils (Müller et al., 2014, S. 231). Andere Menschen neigen zum Rationalisieren und suchen nach Erklärungen, die ihnen Sicherheit und Struktur geben

62    Trauer in der pflegerischen Praxis

können in ihrem erlebten Chaos. Sie versuchen, zu ordnen und der Trauer auf diese Weise eine Form zu geben. Dieser Umgang kann zu einem Perspektivwechsel verhelfen, der förderlich ist für die geforderte Anpassungsleistung. Andererseits kann er auch zu »irrationalen Hilfskonstrukten« führen, die wenig mit der Realität zu tun haben und eine Gesundheitsförderung mehr behindern als unterstützen. Wie so oft im Leben geht es um ein gutes Maß zwischen zwei Extremen. So auch im dritten Typ, dem Aktionismus. Manche Personen neigen dazu, ihre innere Unruhe durch Bewegung und Aktivitäten zu meistern. Jemand, der eher einem anderen Typ zugeneigt ist, kann diese Form der Verarbeitung als befremdlich empfinden. Auch hier ist es wichtig, dass wir die Menschen in ihrer Strategie belassen und stützen. Das ist die Form, die ihnen im Moment eine Hilfe ist. Diese Strategie sollte gewürdigt werden. Im Krankenhaus kann sich Aktionismus ausdrücken durch unermüdliches Auf-und-ab-Gehen der Gänge auf der Station oder auch durch unentwegtes Pläneschmieden, ausdauerndes Ordnung-schaffen-Wollen oder hartnäckiges Festhalten an Selbstständigkeit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, wie folgendes Beispiel zeigen möchte. Eine Patientin fiel durch ihr rastloses und hektisch wirkendes Wesen auf. Außerdem wurde wahrgenommen, dass sie sich ständig überforderte und partout keine Hilfe annehmen wollte beim Toilettengang, bei der Körperpflege, dem Essen-Herrichten usw. Das Team sorgte sich um sie, da sie in einem sehr schlechten Allgemeinzustand war und aufgrund ihrer Grunderkrankung ein hohes Sturzrisiko hatte. Energisch wies sie alle Hilfe ab, und die jeweils herbeieilende Pflegefachperson konnte lediglich versuchen, sie aus einem Abstand heraus zu begleiten und zu stützen, falls es nötig wurde. Bei dieser Patientin wurde erst kürzlich eine infauste Prognose diagnostiziert.

Trauer wahrnehmen   63

Bei diesem Beispiel hatten die Pflegefachpersonen das Empfinden, dass die Patientin ihrer schlechten Prognose »davonzulaufen« versuchte. Offensichtlich hatte sie Mühe, sich mit der lebensbedrohlichen Diagnose auf eine hilfreiche Weise auseinanderzusetzen. Da dieser Zustand über mehrere Tage andauerte und ihr Zustand sich verschlechterte, wurde eine Psychoonkologin hinzugezogen. Bewegung kann hilfreich sein und einen inneren Dialog und Trauerprozess in Gang bringen. Stellt sich allerdings der Eindruck ein, dass die Bewegung nicht hin zu einer Verlustbearbeitung, sondern davon wegführt, kann eine therapeutische Intervention hilfreich sein. Aufgabe der Pflege ist hier – wie auch bei den beiden anderen Typen –, dieses Phänomen der Flucht vor der Trauer wahrzunehmen, zu dokumentieren und an therapeutisch ausgebildete Teamkolleg*innen aus der Psychotherapie oder Sozialen Arbeit weiterzugeben. Alle drei Arten oder Typen der Trauerbearbeitung, die Erstarrung, das Rationalisieren und der Aktionismus, tragen Chancen in sich, können den Trauerprozess aber auch behindern. Es geht darum, dem Menschen in seine eigene Antwort hineinzuhelfen. Wichtig ist hier wiederum, den eigenen Typ zu kennen und zu reflektieren, um einer möglichen Gefahr des Überstülpens vorzubeugen. Eine kleine Gehübung mag dabei helfen, sich in der eigenen Typologie kennenzulernen. Versuchen Sie einmal, sich in Trauer einzufühlen, und probieren Sie alle drei Haltungen aus: die Erstarrung, das Rationalisieren, den Aktionismus. Bei welcher Art fühlen Sie sich am wohlsten/unwohlsten? Wir tun uns oft schwer, Menschen in ihrer individuellen Bearbeitungsform zu belassen, vor allem, wenn uns diese sehr fremd ist. 3.1.3  Trauer wahrnehmen durch Körperveränderungen

Im Körper (oder genauer: Leib, s. Kapitel 1.3.2) kann sich Trauer ebenfalls auf verschiedene Art äußern: durch Steifigkeit der Glied­

64    Trauer in der pflegerischen Praxis

maßen, hohen Muskeltonus oder aber durch Schlaffheit und niedrigen Muskeltonus. Einzelne Körperteile können schmerzhaft sein, andere empfindungslos. Wie Grützner treffend feststellt: »Wo der Verstand nicht fassen kann, was im Verlust geschieht, wird der Körper zum Ausdrucksort des schmerzvollen Geschehens, lange bevor der Mensch Worte finden kann für das, was er durchlebt« (Grützner, 2018, S. 19). Verlusterfahrungen können Stress auslösen und folgend können auch zentrale essenzielle Körperorgane beeinflusst werden und Atmung oder Pulsfrequenz sich ändern. Viele Trauernde erleben Appetitverlust und Verdauungsstörungen. Manche leiden unter Schlaf­losigkeit in der Nacht und entsprechender Müdigkeit während des Tages (Roller, 2015, S. 356 ff.). Aufgabe der professionellen Pflege ist es, diese Phänomene oder Symptome als Trauerausdruck achtsam wahrzunehmen, zu kommunizieren und, wo möglich, zu lindern. Im Leib manifestieren sich Erfahrungen und Erlebnisse und werden für das geschulte Auge sichtbar.

3.1.4  Trauer wahrnehmen durch Schmerzausdruck

Trauer kann sich durch Schmerzen ausdrücken: Trauer schmerzt (Müller u. Schnegg, 2016, S. 13). Aus der Palliative Care kennen wir die vier Dimensionen von Schmerz und ihre gegenseitige Beeinflussung und Wirkung (s. Kapitel 2.2). Schmerzen können verursacht werden durch tatsächliche oder drohende Gewebeschädigungen. Dies beschreibt körperliche Schmerzen. Ängste, Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht und Ähnliches beschreiben Schmerzen auf der psychischen Ebene. Sozialer Schmerz kann hervorgerufen werden durch Einsamkeit, Statusverlust, Familienstreitigkeiten; spiritueller Schmerz bei Sinnverlust, Zweifel, Hader mit dem Schicksal oder weil das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit verloren ist, das bisher durch das Leben getragen hat. Schmerz ist immer ein multidimensionales

Trauer wahrnehmen   65

Geschehen, das heißt, die Dimensionen interagieren untereinander (Feichtner, 2018). Schmerz darf nicht auf ein Körperteil oder -organ begrenzt werden. Schmerzen sollten immer ganzheitlich angesehen werden, als zu der Person gehörend. Solange ich Menschen auf ihre Symptome wie zum Beispiel Schmerz reduziere, nehme ich sie nicht als Person wahr und werde dem ganzheitlichen Anspruch der Pflege nicht gerecht. Standardisierte Schmerzassessment-­ Instrumente helfen hier nicht weiter. Es gilt zu verstehen, was sich hinter dem Schmerz verbirgt und was dieser Schmerz für die Patientin oder den Bewohner bedeutet. Wir nennen das die hermeneutische Kompetenz (Hermeneutik ist die Kunst des rechten Verstehens). Es ist eine der Schlüsselkompetenzen des Pflege­berufs (Schrems, 2008). Oft hilft die einfache Bitte: »Erzählen Sie mir von Ihrem Schmerz!«, um ein umfassenderes Verständnis für den Menschen zu bekommen. Eine ältere Patientin wird auf Station aufgenommen. Sie ist dem Arzt bekannt und es wird überlegt, welche Therapie sinnvollerweise zur Anwendung kommen soll. Die Patientin hat schon einen langen Leidensweg hinter sich und ihre Kräfte scheinen erschöpft. Sie liegt im Bett, allein in einem Zimmer. Was wird nun geschehen? Wohin soll es gehen? Wird sie nochmals eine Chemotherapie erhalten oder schaut sie auf die letzten Tage ihres Lebens? – Von diesen Ängsten und Fragen weiß das Pflegeteam nichts. Sie nehmen nur wahr, dass die Patientin »ständig auf der Klingel steht«. Sie wird schmerztherapeutisch gut versorgt. Erst als die Information über den Zustand der Patientin bekannt wird, ahnt man, dass ihr Schmerz seelisch bedingt sein könnte. Möglicherweise trauert die Patientin um ihr Leben angesichts des nahen Todes. Angesichts des Todes setzt ein schmerzlicher Trauerprozess ein.

66    Trauer in der pflegerischen Praxis

3.2  Trauer begegnen

Menschen drücken ihre Trauer auf sehr verschiedene Art aus. Sich anderen gegenüber als Trauernde zu zeigen, ist in unserem Kulturkreis immer noch schambesetzt und in manchen Kreisen als gesellschaftlich unangemessen diskreditiert. Mitunter verbergen Menschen ihre Trauer hinter abweichenden Aussagen. Es ist wichtig, Trauer hinter diesen Sätzen zu entdecken. Einige sollen hier exemplarisch angeführt sein. • »Ich bin mir selbst fremd geworden.« – So klagt die brustampu­ tierte Patientin. Mit ihrer Brust hat sie nicht nur ein Körperteil verloren, sondern auch ihr intaktes Körpergefühl. Sie könne ihrem Körper nicht mehr trauen. Dieses Empfinden haben viel Tumorpatient*innen. Mit dem Verlust des gesunden Körpergefühls und der damit einhergehenden Selbstentfremdung leiden sie auch unter Minderung ihres Selbstwertgefühls und trauern ihrer Unversehrtheit nach. • »Meine Hoffnungslosigkeit macht mich seelisch fertig.« – Patient*innen erleben sich in ihrer Krankheit oft als »hinein­ geworfen«. Je weniger sie über Krankheitsverlauf, Therapiemöglichkeiten usw. wissen, umso mehr steigern sie sich in Ängste und negative Vorstellungen hinein und leiden unter dem Verlust der Planbarkeit und Voraussehbarkeit ihres Lebens. • »Ich bin in ein tiefes Loch gefallen.« – Dem Tod ins Auge zu schauen und sich mit der plötzlich wahrgenommenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, kostet viel Anstrengung. Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Lebens ist verloren gegangen und jeder Tag muss immer wieder neu gegen den Kummer angegangen werden. • »Ich fühle mich so gekränkt.« – Krankheit ist eine Kränkung, unter der das Selbstbewusstsein leidet. Das Schicksal entmachtet und beschneidet die Selbstwirksamkeit, die bisher durch das Leben getragen hat.

Trauer begegnen   67

• »Ich fühle mich stigmatisiert.« – Leider ist Sterben und Tod in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert, und Menschen scheuen sich, Schwerkranken oder Sterbenden zu begegnen. Das führt zur Trauer darüber, dass sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. • »Ich möchte so gern noch einmal …« – Es ist rührend, wie sich das interprofessionelle Team und ein großer Helferkreis um die letzten Wünsche von Sterbenden bemüht. Viele Wünsche können noch erfüllt werden und Patient*innen beglücken. Hinter diesen Aussagen steckt aber immer auch die Trauer. Wir sollten nicht gleich in einen Aktionismus verfallen, sondern der Trauer begegnen. • »Ich fühle mich so nackt.« – Sich nackt fühlen kann symbolisch für empfundene Verletzlichkeit und Sehnsucht nach Geborgenheit stehen. In einer Welt, in der die Autonomie des Menschen als oberstes Gut angesehen wird, tun sich Menschen umso schwerer mit dem Verlust derselben und der Akzeptanz der eigenen Vulnerabilität. • »Ich schäme mich so.« – Auch wenn dieser Satz nicht oft ausgesprochen wird: Menschen schämen sich für ihre Bedürftigkeit, ihre Inkontinenz, Hilflosigkeit und trauern um ihre verlorene Selbstachtung. Sicher fallen geneigten Lesern und Leserinnen noch weitere Beispiele aus der eigenen Praxis ein. Hier sei nochmals auf das Eisbergmodell (Kapitel 1.4.3) verwiesen.

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3.3  Trauer auslösen und zur Sprache bringen »Ein helfender Trauerweg ist in der Regel kein Wegmachen von einem unangenehmen Gefühl.« (Müller u. Schnegg, 2016, S. 23)

In der klinischen Praxis sind wir gewohnt, Schmerzen und Symptome zu lindern durch »Wegmachen« der belastenden und bedrückenden Beschwerden. In der Trauerbegegnung kann es gerade angemessen sein, das schmerzende Gefühl der Trauer herbeizuführen, es auszulösen. William Worden betont in seinem Trauermodell (Kapitel 2.3), wie wichtig es ist, den Schmerz zuzulassen und sich auf ihn einzulassen, ihn zu durchleben. Andernfalls könne der Heilungsprozess nicht stattfinden. Vermeiden oder Unterdrücken von Trauerschmerz, Flucht in die Empfindungslosigkeit, Idealisieren oder Leugnen von Trauergefühlen sind Formen, die dem Heilungs- und Wachstumsprozess nicht förderlich sind (Worden, 2018, S. 50 f.). Anstelle von Verhindern oder Abwenden der Trauer sollte die Natürlichkeit der Trauer zur Sprache gebracht und der Zugang zur Trauerreaktion ermöglicht und eröffnet werden. Da, wo Trauer in Worte gefasst und ihr Raum geboten wird, kann sie in Bewegung kommen. Manchmal ist es angebracht, Trauer direkt anzusprechen, wie folgendes Beispiel aus der Praxis zeigt. Ein fünfzigjähriger Patient, Unternehmer und sichtlich gewohnt, Befehle zu erteilen und Aufgaben zu delegieren, ist mit seinem Tagesablauf auf Station unzufrieden und beginnt, fürchterlich zu schimpfen. Alles sei sehr schlecht organisiert und daher kein Wunder, dass man in diesem »Laden« nicht gesund werden könne. Er übt auch persönliche Kritik an Pflegepersonen. So geht das einige Tage, und das Team versucht, ihn zu meiden, wo es kann. Bis eines Nachts Schwester L. Zugang zu ihm findet. Bei einem Rundgang

Trauer auslösen und zur Sprache bringen   69

kommen sie miteinander ins Gespräch, Schwester L. hört zu, wie Herr K. über sein Leben berichtet, wie er die Firma aufgebaut hat, über seine Familie, seine Kinder und seine Frau. Da sagt Schwester L.: »Das macht Sie bestimmt sehr traurig, dass Sie das alles nun lassen müssen, oder?« Der Patient leidet an einer unheilbaren hämatologischen Erkrankung mit sehr schlechter Prognose und voraussichtlich baldigem Tod. Da beginnt er zu weinen. – In den folgenden Tagen ist er wie ausgewechselt, freundlich und ent­gegenkommend dem Pflegepersonal gegenüber.

Die Pflegeperson hat die Trauer des Patienten direkt angesprochen und so eine Tür geöffnet zu einem Raum der Trauer. Der Patient konnte sich Trauer eingestehen, musste nicht mehr gegen sie ankämpfen. Schmerz und Leid werden da gelindert, wo sie sich mitteilen dürfen. Nicht alle Menschen sind damit vertraut, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Besonders, wenn es sich um belastende Gefühle handelt. Trauer kann sprachlos machen. In dem Gefühlschaos, das Trauer oft begleitet, muss zuerst noch sprachlicher Ausdruck gefunden werden. Um diese »Wortlosigkeit« (Brathuhn, 2004) zu überwinden, brauchen Menschen gelegentlich Hilfe von außen. Im Reden und Sprechen werden Gefühle klarer und ihre belastende Symptomatik gelindert (Znoj, 2016, S. 157 f.). Sprache schafft Ordnung. Auf dem Weg der »Sprachfindung« begibt sich der Mensch auf Selbsterkundung. Hilfe besteht nicht darin, dass wir eine Lösung kennen und anbieten, sondern dass wir dem Gegenüber in seiner Suchbewegung und Bedeutungsfindung helfen und – soweit möglich – die verborgene Erlebniswelt hinter den Worten wahrnehmen und als »Wortangebot« formulieren. Hier geschieht Ent-wicklung. Das Wirrwarr von Gefühlen und Empfindungen wird geordnet und findet über die Sprache seinen Weg in ein neues, gewandeltes Selbstbild.

70    Trauer in der pflegerischen Praxis

Nicht das Angebot von »Lösungen« ist hilfreich, sondern das Zuhören.

Nicht dass ich als Gesprächspartnerin das innere Geschehen meines Gegenübers inhaltlich »verstehen« muss, ist dabei wichtig. Im Gegenteil wirkt ein analytisches Herangehen hier eher hinderlich. Das Wort »verstehen« kann nämlich auch im Sinne von »im Wege stehen, versperren, verwehren« aufgefasst werden. Hinter einem Verstehenwollen, dem Versuch, etwas zu kategorisieren, verbirgt sich oft der Wunsch, sich zu distanzieren. Eine analytische Annäherung kann verletzend wirken und schmälert die Leidenserfahrung des Menschen. Die Figur Momo in dem berühmten Roman von Michael Ende (1973) macht die hilfreiche Art und Weise des Zuhörens plastisch. »Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanke kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt

Trauer bezeugen und würdige   71

und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!« (Ende, 1973/2021, S. 15).

3.4  Trauer bezeugen und würdigen »Es braucht ein Gegenüber, das die Erlebenswirklichkeit der leidenden Person anerkennt und sie in ihrer Betroffenheit bestätigt. Dieses Gegenüber können wir als ›Zeugen‹ bezeichnen.« (Staudacher, 2017, S. 22)

Unsere persönliche Weltanschauung steht immer in Beziehung zu und in Auseinandersetzung mit anderen Menschen und deren Auffassung. Identität ist kein innerpsychisches Konstrukt des Individuums. Identität ist eine soziale Größe. Sie braucht den Spiegel der Anderen. Wie bereits oben ausgeführt: Mit einem Trauernden den Raum der Trauer zu betreten und sein Leid anzuerkennen, bedeutet nicht Vertiefung und Verstärkung des Leids (Müller et al., 2014, S. 105). Bedingungslose Akzeptanz hilft den Menschen, ihre Masken abzulegen.

Menschen leiden darunter, ihre Verlustgefühle nicht mitteilen zu können, und fühlen sich dadurch isoliert und abgeschieden. Das wiederum kann das plagende Gefühl der Zerrissenheit, »das

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zerbrochene Ich« (Znoj, 2016, S. 38) verstärken. Besonders in Krisensituationen brauchen wir daher Menschen, mit denen wir uns verbunden fühlen. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit hilft uns zu einem emotionalen Wohlbefinden zurück und stabilisiert unser Selbst. Aus der Bindungsforschung wissen wir: »Unser Gehirn als Wahrnehmungs- und Handlungsorgan ist auf bestätigende Signale angewiesen. Nur so kann es sich entwickeln, nur so können wir uns dank flexibler Strukturen auch immer wieder an neue Situationen anpassen« (Znoj, 2016, S. 79). Die frühkindlichen Bindungserfahrungen werden besonders in belastenden Situationen aktiviert. Das Gefühl des Ausgeliefertseins, wie es etwa am Lebensende oder bei bedrohlichen Erkrankungen erlebt wird, erweckt das frühkindliche Bindungsverhalten und verstärkt den Bindungswunsch. Unsere große Sorge als Pflegende und Begleitende ist immer wieder, dass wir meinen, etwas von der Last abnehmen zu müssen. Wir vertrauen dem Beziehungsgeschehen zu wenig und meinen, etwas tun zu müssen. Alles, was unterstützend und hilfreich ist, besteht darin, wirklich da zu sein und zuzuhören. Schlichte und ehrliche Sätze, welche die eigene Betroffenheit zum Ausdruck bringen, sind von unschätzbarem Wert. Sie spiegeln wider, dass die Gefühle der anderen Person berechtigt sind und sie in ihrem Empfinden »normal« ist. Doch was ist normal bei Trauer? 3.4.1  Trauer ist so verschieden wie die Menschen

Trauern ist ein höchst individueller Prozess. Jeder trauert anders. So gibt es beispielsweise kulturelle Unterschiede im Trauerausdruck. Während Menschen der mitteleuropäischen Region eher zurückhaltend sind, wirken heftiges Weinen und lautes Klagen in Mittelmeerländern ganz normal. Egal, welchen Ausdruck die Trauer findet, ob emotionale Kontrolle oder heftige Affekt­

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äußerungen, der innerlich empfundene Schmerz kann dennoch von gleicher Intensität sein. Im Allgemeinen wird angenommen, dass Frauen und Männer verschieden trauern. Männer drücken ihre Trauer selten direkt aus, während Frauen durchaus Kontakt und Gespräch suchen. Diese unterschiedlichen Trauerstile sind möglicherweise auch der Sozialisation geschuldet. Einfluss auf die Trauer haben auch die Umstände der Erkrankung. Kommt eine todbringende Erkrankung unerwartet und bricht »aus heiterem Himmel« in das Leben herein, mag sie schwerer zu bearbeiten sein und Trauer und Schock können tiefer sitzen als bei Menschen mit lang andauernden, fortgeschrittenen Erkrankungen oder alten Menschen mit einer gewissen Lebenssattheit. Manche Patient*innen sind noch mit weiteren Belastungen konfrontiert, wie Familienkonflikte oder finanzielle Probleme, die ihre Trauer beeinflussen können. Jeder Mensch hat seine eigene Trauerbiografie. Welche Verluste er im Laufe seines Lebens erlitten hat, wie in der Familie mit Trauer umgegangen wurde und welche Ressourcen zur Verfügung gestanden haben, nimmt Einfluss auf gegenwärtige Verluste. In der Trauer kann es geschehen, dass vergangene Verlustereignisse reaktiviert werden und die schmerzlichen Gefühle der damaligen Zeit wieder aufbrechen. Alte Trauer bricht wieder hervor, wie diese Geschichte zeigt: Eine 86-jährige Dame im stationären Hospiz klingelt und bittet um Hilfestellung beim Trinken. Sie hat einen festen Glauben, fürsorgliche Kinder und zahlreiche Enkelkinder. Inzwischen ist sie sehr schwach, aber geistig noch ganz fit. Der Pfleger spürt ihr Gesprächsbedürfnis und setzt sich ans Bett. Sie erzählt von ihrem Mann. Er verstarb nach kurzer schwerer Krankheit. Sie erwartete gerade ihr zweites Kind. Das Sprechen über ihren Mann und sei-

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nen plötzlichen Tod bringt sie immer wieder zum Weinen. Das Ereignis liegt mehr als vierzig Jahre zurück. Trauer hört nie auf. Sie verändert ihren Charakter.

3.4.2  Keine Trauer ist weniger schlimm

Manche Menschen scheinen in ihrem Leben besonders bittere Verluste erlitten zu haben. Bei diesen fällt es zumeist nicht schwer, Trauer zu würdigen. Andere, scheinbar trivialere Verluste fallen im Vergleich mit derartigen schnell unter die Kategorie »nicht so schlimm« und Patient*innen werden abgestempelt. Scheinbar gibt es Abstufungen entgegengebrachter Anerkennung von Trauer, wie folgendes Beispiel zeigen mag: Bei der Dienstübergabe berichtet die Pflegefachperson von einer Neuaufnahme. Diese Patientin hat es besonders schwer getroffen im Leben. Zuerst sei ihr Kind bei einem Fahrradunfall verstorben und im selben Jahr der Ehemann bei einem Arbeitsunfall. Nun wurde bei ihr ein Ovarialkarzinom festgestellt. Sie hat keine Familie mehr und ist auf Hilfe von Freunden und Bekannten angewiesen. Trotzdem wirkt sie nach außen hin gefasst und freundlich. Im selben Zimmer liegt eine ältere Patientin, die auf einen Heimplatz wartet. Sie ist sehr unselbstständig, klagt viel und fordert ständig Zuwendung ein. »Die sollte sich ein Beispiel nehmen an ihrer neuen Zimmerkollegin«, so der Tenor im Team.

Die ältere Patientin trauert über den Verlust ihrer Selbstständigkeit. Sie muss ihre Wohnung aufgeben und wird damit auch die sozialen Kontakte aus der Nachbarschaft verlieren und ihr gesamtes früheres Leben. Doch diese Trauer scheint weniger »wert« zu sein als die der jungen sympathischen Neupatientin. Grundsätzlich sollten Trauerverläufe und -äußerungen nicht gewertet werden. Es geht nicht darum, was wir als Begleitper-

Trauer bezeugen und würdige   75

sonen empfinden, es geht um das Schmerzempfinden der Trauernden. Schmerz ist, was der Betroffene über den Schmerz mitteilt, nicht was andere befinden. Das gilt für den körperlichen wie für psychischen Schmerz. Nicht jede Trauer wird ausreichend gewürdigt. Der Trauer­ experte Kenneth Doka beschreibt in seinem Konzept der nicht anerkannten Trauer (disenfranchised grief), wie gewisse Trauer­ arten oder -anlässe gesellschaftlich nicht anerkannt werden. Er nennt sie »entrechtete Trauer«. Als Beispiel nennt er unter anderem den Verlust eines gleichgeschlechtlichen Partners in einer Gesellschaft, in der dieser Lebensentwurf nicht akzeptiert wird. Verluste und deren Trauerreaktionen haben einen sozialen Aspekt, sie sind gesellschaftlichen Verhaltensregeln unterworfen (Doka, 2014). Jede Trauer hat ihre Würde. Trauer sollte weder moralisch noch sonst wie bewertet werden.

Je weniger Trauerwürdigung ein Mensch erfährt, umso weniger gesteht er sie sich zu und umso mühsamer kommt der Trauerprozess in Bewegung, umso mehr verstärken sich die Angst und das Gefühl, sozial ausgeschlossen zu sein. Auch Angehörige leiden bisweilen unter nicht anerkannter Trauer. Angehörige von Schwerkranken oder Sterbenden sind Kümmernde und »Kummernde«. Doch nicht ihre Trauer steht im Mittelpunkt pflegerischer Aufmerksamkeit, sondern die Trauer und Pflege des Patienten oder der Patientin. Dass Angehörige neben der vielen Fürsorge, die sie ihrem Familienmitglied zukommen lassen, selbst Trauernde sind, scheint oft weniger wichtig. Und Hinterbliebenen, die das lange Leiden ihres Angehörigen mitgetragen haben, wird bisweilen unterstellt, sie müssten sich durch dessen Tod nun entlastet fühlen und ihre Trauer

76    Trauer in der pflegerischen Praxis

müsse nun ein Ende haben. Anstelle mitfühlender Beileidsbekundungen und echter Anteilnahme bekommen sie Sätze zu hören wie: »Er ist nun erlöst« oder »Sie hat es endlich geschafft«. Tatsächlich werden sie durch derartig unüberlegte Sätze vor den Kopf gestoßen und haben das Empfinden, dass ihre Trauer nicht anerkannt wird.

3.5  Die Seele schützen

Der Trauerweg ist ein komplexer, vielschichtiger und niemals geradliniger Prozess mit abwechselnder Begegnung und Vermeidung von positiven und belastenden Gefühlen und Gedanken. Was war, soll nicht vergehen, möchte behalten werden. Für das, was kommen wird, gibt es noch keine tragenden Vorstellungen. So befindet sich der Trauernde in einem »Zwischenland«: »Er ist ein Zwischenwesen in einem unbekannten Land« (Müller et al., 2014, S. 27). Wie bereits bei Wordens Modell dargelegt (Kapitel 2.3), stehen im Trauerprozess mehrere Aufgaben an: Anpassung an die neue Gegenwart und Schmerz zulassen, den Verlust akzeptieren und die Gegenwart mit dem Verlust neu gestalten lernen. Professionelle Pflegepersonen können viel zu einem gelingenden Trauer- und Heilungsprozess beitragen, indem sie dieses Pendeln zwischen den zwei Aufgabenseiten differenziert wahrnehmen und unterstützen. Stroebe und Schut haben die zwei gegensätzlich aufeinander bezogenen Pole »Verlustorientierung« und »Wiederherstellungsorientierung« genannt. In ihrem Trauer­ modell, dem Dualen Prozessmodell, wird verdeutlicht, dass ein gesunder Trauerprozess immer beide Orientierungen braucht und der Trauernde zwischen diesen beiden Polen »oszilliert«, also pendelt oder schwebt (Abbildung 3; Stroebe u. Schut, 1999; Stroebe, 2002).

Die Seele schützen   77

Alltagserfahrungen Wiederherstellungsorientiert

Verlust-orientiert

Sich den Veränderungen im Leben stellen

Trauerarbeit Wellen von Schmerz

Neue Dinge unternehmen

Transformieren der Bindung zum Verstorbenen

Ablenken von der Trauer Leugnung, Vermeidung des Schmerzes

Veränderungen im Leben vermeiden, verdrängen

Neue Rollen, neue Identitäten, neue Beziehungen aufnehmen

Oszillieren

Abbildung 3: Das Duale Prozessmodell nach Stroebe und Schut (1999)

Wie in Kapitel 3.3 beschrieben, können Pflegefachpersonen den Trauerprozess unterstützen, insbesondere durch das Auslösen von Trauer. Damit ist nicht das brutale Eröffnen von Trauergefühlen gemeint, sondern das behutsame Hinterfragen von Äußerungen, Schmerzen und Symptomen. Auslösen ist nötig, damit der Trauerprozess in Gang kommt, der Weg durch Schmerz, Verzweiflung, Wut, Auflehnung, Resignation usw. hindurchgeht. Grundsätzlich gilt, dass in den Trauerprozess nicht eingegriffen werden soll. Manchmal kann es dennoch angezeigt sein, den einen oder anderen Impuls zu setzen, damit sich Betroffene nicht überfordern. Die Begegnung mit belastenden Gefühlen und Gedanken braucht Dosierung. Es braucht auch »Auszeiten«, um wieder in Balance zu kommen. Da, wo die Seele überfordert ist, schützt sie sich meist selbst durch Vermeidung belastender Themen. Manchmal brauchen Patient*innen dabei Hilfe von anderen. Ereignisse wie folgendes sind im pflegerischen Alltag nicht selten:

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Frau G. hat einen weit fortgeschrittenen Hirntumor und eine begrenzte Lebenserwartung. Sie war Lehrerin und stand kurz vor ihrer Pensionierung. Bevor der Tumor diagnostiziert wurde, hatte sie Pläne für ihren neuen Lebensabschnitt geschmiedet und wollte sich zudem um ihre fünf Enkel verschiedenen Alters kümmern. Nun wurde sie als Gast aufgenommen. Frau G. war von tiefer Trauer erfüllt und weinte sehr viel. Die fürsorglichen Pflegepersonen blieben bei ihr, so gut und so lang sie konnten, doch sie schien untröstlich in ihrer Trauer. Sie begannen, Frau G. abzulenken, auf die Gegenwart hinzulenken, ihren Alltag besonders schön zu gestalten. Allmählich gewann sie dadurch Kraft und konnte an ihre Ressourcen anknüpfen. Sie fand langsam heraus aus dem »tiefen Loch der Trauer«, wie sie es später selbst bezeichnete, und fand einen gelösteren Umgang mit dem Schmerz, ohne ihn zu verneinen.

Auch wenn ein Eingreifen in den Trauerprozess grundsätzlich vermieden werden sollte: Hier war es angezeigt, die Patientin bei der Wiederherstellungsorientierung zu unterstützen und durch Ablenkung den Weg zu stärkenden Ressourcen zu eröffnen und daran anzuknüpfen.

Den Anpassungsprozess unterstützen   79

3.6  Den Anpassungsprozess unterstützen

Der Trauerweg erfordert schwere seelische Arbeit und kann bis zur Erschöpfung führen. Eine schlechte Prognose, eine weit fortgeschrittene oder lebensbedrohliche Erkrankung gehen mit immensen psychosozialen Belastungen einher. Innere und äußere Bedrohung stören das emotionale Gleichgewicht und rufen zum Teil heftige Gefühlsstürme hervor. Die Körperinte­ grität ist bedroht und verlangt ein Umlernen und Sichzurechtfinden mit einem verletzten, beeinträchtigten oder angeschlagenen Körper. Das Selbstkonzept ist angegriffen durch Autonomieund Kontrollverlust. Soziale Rollen geraten ins Wanken. Gleichzeitig bedrücken Ängste vor dem Tod oder einem schweren und symptombelastenden Krankheitsverlauf sowie die Sorge um die Familie. Zudem müssen sich Patient*innen an eine neue Umgebung gewöhnen, neue Beziehungen aufbauen, eine neue Sprache lernen (wie etwa die Sprache des Krankenhauses) und neue Verhaltensregeln, sich an eine fremde und meist starre Tagesstruktur gewöhnen und Bedürfnisse zurückstecken. Kranke und zudem schwache Patient*innen mit Palliativbedarf sind auf Hilfe von außen angewiesen, um diese Arbeit »leisten« zu können. Schritt für Schritt geschieht die Gewöhnung, die Neustrukturierung, das Herausschälen neuer Ziele, neuer Ordnung, eines neuen Sinns, für den es sich zu leben lohnt. Wie bereits ausgeführt (s. Kapitel 1), tragen professionelle Pflegepersonen viel zum Gelingen dieser Aufgaben bei, durch Beziehungsarbeit und Personstärkung sowie durch alltägliche pflegerische Tätigkeit und Befriedigung existenzieller Bedürfnisse, körperlicher, seelischer und sozialer Art. Durch Bewegen und Vermitteln von Körpergefühl, Essen und Förderung von Sinnlichkeit, Pflegen eines gesunden Rhythmus und Wohlbefindens können Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit und damit letztlich Gesundheit gefördert werden (Brieskorn-Zinke, 2004, 2007).

80    Trauer in der pflegerischen Praxis

3.7 Trösten O sprecht nur Trost mir ein! Ihr tröstet mich mitnichten; Ich muß in meiner Pein Auf jeden Trost verzichten, Das sei mein Trost allein: Untröstlich will ich sein. (Friedrich Rückert, Kindertodtenlieder, 1834)

Einleitend sei folgende Geschichte wiedergegeben als Beispiel, wie gut gemeinte Ratschläge oder Aufmunterungsversuche eben nicht trösten, sondern verletzend wirken können. Die Häsin Die Häsin lag sehr krank. Der Hase war viel auswärts, um den Alltag sicherzustellen, und die sieben Kinder waren sich im Wesentlichen selbst überlassen. Da kam der Igel zu Besuch, brachte frische Kleeblätter mit und sagte: »Kommt Zeit, kommt Rat!« Gut gemeint, aber als er gegangen war, überlegte die Kranke: Wann kommt die Zeit und welcher Rat wird es sein? Tags darauf sah die Eule herein und meinte: »Gut Ding braucht Weile!« Sprach’s und verabschiedete sich. Die Häsin dachte: Ich kann mir aber keine Weile leisten. Als die Feldmaus durchs Fenster guckte, fiepte sie: »Kopf hoch, Frau Nachbarin. So trägt eben jeder sein Päckchen!« Das ist schon kein Päckchen mehr, dachte die Kranke, und was soll das schon heißen, Kopf hoch? Ich habe ja gar keine Kraft mehr. »Lassen Sie nur, es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht!«, flüsterte das Reh an der Nestkante. Auch das war gut gemeint, aber die Häsin grübelte bitter: Was wissen die schon. Solchen Humor kann ich einfach nicht vertragen. Ich weiß nicht ein noch aus.

Trösten   81

Die alte Katze sah auch kurz herein und erkundigte sich nach dem Befinden. »Es wird schon werden!«, schnurrte sie und meinte es ja auch ehrlich. Doch die Kranke verzweifelte fast: Wer ist denn schon »es«, und was soll werden? Ich habe den Eindruck, dass überhaupt nichts wird. Als dann der Maulwurf seine Hemmungen überwand und durchs Fenster rief: »Keine Sorge! Ende gut, alles gut!«, empfand die Häsin nur noch Bitterkeit. Denn in der Küche tobten die Jungen und nichts war fertig. Dazu noch die Angst. Witzig sollte es klingen, als die Elster vom hohen Baum aus rief: »Kommen wir über den Hund, kommen wir über den Schwanz. Geduld, Geduld, Geduld!« Können die alle sich denn gar nicht vorstellen, wie es mir zumute ist?, dachte die Kranke. Müssen die denn alle solchen gut gemeinten Unsinn reden? Das sind doch Sätze, die alles und nichts sagen. Schließlich kam das Rebhuhn zu Besuch, erzählte von draußen in einem Wortschwall ohne Ende und empfahl sich zum Schluss mit den Worten: »Wir werden sehen!« Was werden wir denn sehen?, zweifelte die Häsin, und wer ist »wir«? Während sie noch voller Enttäuschung nachdachte und merkte, dass all der gut gemeinte Trost im Grunde keiner war, kamen die Ameisen herein, grüßten kurz, stellten Feldblumen auf den Tisch, machten die Küche sauber, versorgten die jungen Hasen, waren bei alledem sehr leise und verabschiedeten sich ohne jeden Aufwand. Da trat Ruhe ein, und vor allem: Die Hoffnung wuchs. (Unbekannte Autorenschaft)

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3.7.1  Der Trauer gemeinsam Raum geben »Lange saßen sie dort und hatten es schwer. Aber sie hatten es gemeinsam schwer und das war ein Trost. […] Leicht war es trotzdem nicht.« (Astrid Lindgren, Ronja Räubertochter)

Trauer, Schmerz und Leid haben appellativen Charakter. Sie fordern uns zum Handeln auf. Schmerz und Leid wollen gelindert oder beseitigt werden. Ziel der Trauerbegegnung, so haben wir gelernt (Kapitel 2 und 3), ist nicht, Schmerz »wegzumachen«, sondern auszulösen. Belastende Trauergefühle zu verhindern oder abzuschirmen, ist dem Trauer- und Heilungsprozess nicht förderlich. Im Gegenteil kann dies eher zu einer Trauerstörung oder erschwerten Trauer führen. Was heißt dann also trösten? Ein Blick auf die sprachgeschichtliche Entwicklung kann uns zu einem besseren Verständnis verhelfen. Im Lateinischen heißt trösten »consolare« und setzt sich zusammen aus den Wörtern »con« (zu deutsch: mit) und »solare«, das wiederum aus »solo« (zu deutsch: einsam) hergeleitet ist. Consolare kann verstanden werden als »mit den Einsamen sein«. Eine gedankliche Verbindung schenkt uns hier das aus dem Althochdeutschen stammende Wort »Trost«, das aus dem indogermanischen Wortstamm »treu« hergeleitet werden kann. Es bedeutet Festigkeit, auch seelischer Halt, Zuversicht und Ermutigung im Leid. Möglicherweise gibt es auch eine Verbindung zum englischen Wort »trust« (zu deutsch: Vertrauen). Alle diese Herleitungen führen zu der Annahme, dass Trösten ein Standhalten mit dem Trauernden, also eine Form der Beziehung meint. In der Bibel kennen wir die sogenannten Klagepsalmen. Sie könnten an dieser Stelle auch Trostpsalmen genannt werden, denn sie enden immer hoffnungsvoll und zuversichtlich mit

Trösten   83

einem Vertrauensbekenntnis oder einer Rettungsgewissheit. Voraus wird allerdings die Not geklagt. Und am Beginn steht eine Anrufung. Der Psalmist spricht seine Klagen nicht in einen leeren Raum hinein, sondern spricht sie auf ein göttliches Du hin. Durch das Aussprechen und Klagen hindurch gelangt der Beter oder die Beterin zu einem inneren Frieden, zu Trost. Interessanterweise bedeutet das biblische Wort für »Trost« so viel wie »Raum geben«. In den Psalmen wird dem Leid und dem Schmerz der Trauer Raum gegeben. Der Schmerz wird dadurch nicht beseitigt. Doch hinzu kommt der Trost. Eine Patientin hatte einen plötzlichen Rückfall und lag schwach und deprimiert im Bett, als die Nachtschwester ihre erste Runde machte. Es war keine Zeit für ein längeres Verweilen. Doch später ergab es sich, dass die Patientin ein frisches Bettlaken brauchte. Während die Nachtschwester sich am Bett zu schaffen machte, schüttete die Patientin ihren ganzen Kummer aus. Die Schwester war betroffen und konnte nicht viel dazu sagen. Trotzdem bedankte sich die Patientin bei ihr. Auf die Frage, wofür, war die schlichte Antwort: »Sie haben mir zugehört.« Wo Gefühle zum Ausdruck gebracht werden, kann sich ein wohltuender Resonanzraum eröffnen.

Dem Leid Raum geben und es würdigen hat der Patientin offensichtlich Trost gespendet. Und auch dies ist eine merkwürdige Wortschöpfung. Trost wird gespendet. Scheinbar liegt das Trösten außerhalb des Kreises von Machbarkeit. Es unterliegt (wie die Resonanz) der Unverfügbarkeit. Doch kann man sich disponieren. Die schwedische Pflegeforscherin Norberg und ihr Team fanden beispielsweise heraus, dass die Bereitschaft, zu trösten und getröstet zu werden, da sein muss. Grundvoraussetzungen sind also die Beziehung und der Austausch, gegenseitiger Res-

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pekt und Offenheit sowie Vertrauen. So können Licht, Freude, Schönheit, Leben geteilt werden und Perspektiven sich öffnen. Trost entspringt dem Gefühl, mit anderen (oder einem göttlichen Wesen) in Verbindung zu sein (Norberg, Bergsten u. Lundman, 2001). Ähnlich formuliert es Kitwood, der sagt, Trost sei Lindern von Schmerz, das Zärtlichkeit und Nähe sowie dem Gefühl von Sicherheit entspringt, »das aus dem nahe Beieinandersein erwächst« (2019, S. 146). 3.7.2  Trösten über Literatur und Dichtung

Die Verbundenheit mit anderen Menschen, der Weg aus der empfundenen Einsamkeit in der Trauer, kann auch über den Weg der Literatur gehen. »Da ist der Trost entdeckt, in den geschriebenen Zeilen«, schreibt Christa Wolf (zit. nach Waller, 2006, S. 14). Besonders in der Dichtkunst gibt es viele Beispiele, wo Schmerz und Leid ins Wort finden und sich eine tröstende Kraft entfalten kann. In den dichterischen Beschreibungen von Ängsten, Rebellion, Verzweiflung und Beklemmungen kann ich meine eigenen Empfindungen »nach Hause« bringen. Auf diversen Internetseiten verschiedener Trauerplattformen und Hospizvereine finden sich zahlreiche literarische Beispiele. 3.7.3  Trösten durch »Erwärmen«

Nicht selten erinnern sich Patient*innen am Ende ihres Lebens an schöne Erlebnisse: ein Familienausflug, eine herrliche Wanderung, eine vollbrachte Leistung oder andere Situationen. Sie erzählen gern davon und es tut ihnen gut, wenn jemand interessiert zuhört. Beglückende Erfahrungen können helfen, Stress abzubauen, und wirken sich positiv auf den Trauerprozess aus. Eine Patientin sitzt am Tisch und schaut trübsinnig in den Raum, als eine Pflegeperson zur Vitalwertemessung ins Zimmer kommt. Sie kommen kurz ins Gespräch über ein Foto, das auf dem Nacht-

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tisch steht, und die Patientin beginnt zu erzählen. Die aufmerksame Pflegeperson fragt nach, lässt sich das Erlebnis genau beschreiben. Sie frage nach den Farben, den Gerüchen, empfundener Wärme usw. Die Patientin wird erzählend immer lebendiger und zum Schluss wirkt sie glücklich und freudig.

Solche oder ähnliche Begebenheiten gibt es immer wieder im Pflegealltag. Im Erzählen werden die mit dem Ereignis verbundenen Gefühle erlebbar. Die Vergangenheit wird wieder wirklich. Diese Gespräche entfalten ihre Wirkung schon bei einer Dauer von nur 5 Minuten und sind daher auch bei knapper Zeitressource möglich. In der Trauerbegleitung wird dieser Weg als »Erwärmen« bezeichnet (Schnegg, 2014). Freude und andere positive Gefühle stellen eine wichtige Ressource im Trauerprozess dar. Wie Stroebe und Schut (1999) in ihrem Dualen Prozessmodell beschreiben, findet der Trauerprozess zwischen zwei verschiedenen Positionen statt: Auf der einen Seite ist die Trauerarbeit, die dazu dient, den Verlust zu verarbeiten, auf der anderen Seite das Vermeiden und Überwinden belastender Gefühle zum Stressabbau und für eine Regeneration. 3.7.4  Trösten durch Hüten und Bergen

Ein ähnlicher Ansatz stammt aus der Logotherapie. In der Trauer schauen Betroffene auf das, was sie verloren haben. Frankl zieht für einen Perspektivwechsel zwei Bilder aus der landwirtschaftlichen Kultur heran und sagt: »Für gewöhnlich sieht der Mensch nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit; was er übersieht, sind die vollen Scheunen der Vergangenheit. Im Vergangensein ist nämlich nichts unwiederbringlich verloren, vielmehr alles unverlierbar geborgen« (Frankl, 1994, S. 56). Noch einleuchtender wird dieses Bild, wenn wir uns mit dem jüdischen Zeitverständnis befassen. Danach liegt die Vergangenheit nicht hinter uns, sondern vor uns. Alles, was wir je erlebt haben, liegt vor

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uns ausgebreitet. Am Lebensende, so mutet das Bild an, ist es unsere Aufgabe, das Erlebte in der Scheune zu hüten und sich daran zu erfreuen. »Alles, was ich an Schönem erlebt habe über die Jahre … das alles kann mir keiner nehmen. Das lebt in mir drinnen«, so eine Patientin.

3.7.5  Trösten über den Leib

Wie oben beschrieben (Kapitel 1.3), ist die leibliche Kommunikation von unschätzbarem Wert in der Pflege, besonders im geriatrischen und hospizlich-palliativen Kontext. Professionell Pflegende kennen viele Möglichkeiten, über die Haut, etwa durch Wickel, Auflagen, Kompressen und Einreibungen, wohltuend auf den Menschen einzuwirken und damit dessen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Hier wirken nicht nur die Mittel, die Wärme, das Aromaöl, die Substanz, sondern auch die aufmerksame Gegenwart und liebevolle Zuwendung der Pflegeperson bei der Anwendung. Trauer, Schmerz und Leid können einsam machen. Umso heilvoller können hier körperliche Anwendungen wirken. Körperliches Berühren spricht auch den außersprachlichen und den seelischen Bereich an. 3.7.6  Trost in der Religion »Ich freue mich darauf, nach dem Tod meinen Mann wiederzusehen«, bemerkte eine Patientin.

Nach dem christlichen Glauben endet das Leben nicht mit dem Tod. Tod wird als Übergang gesehen zu einem ewigen Leben mit Gott. Menschen, die im Glauben verankert sind, ziehen aus diesem Gedanken Trost. Verschiedene Vorstellungen vom Jenseits können Angst vor dem Tod lindern oder auch verstärken. Es kann nicht schaden, wohltuende Aussagen zu verstärken, bei

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angstmachenden Vorstellungen ist es angezeigt, die Seelsorge zu rufen. Möglicherweise können drohende Gottesbilder durch diese »Fachleute« gewandelt werden.

3.8  Trauer bei Angehörigen 3.8.1  Was Angehörige brauchen

In der Palliative Care gehören An- und Zugehörige selbstverständlich mit zur Betreuung, getragen von dem Wissen, dass das Wohlbefinden von Patient*innen mit dem Wohlergehen der Familie eng verknüpft und verflochten ist. Der Patient, die Patientin lebt ja in einem sozialen Kontext und in einem familiären System. Erkrankt ein Mensch, hat das Auswirkungen auf das gesamte System. Die Familie interagiert miteinander und alle Mitglieder beeinflussen sich wechselseitig. Daher ist es wichtig, An- und Zugehörige mit in den Blick zu nehmen und offene Trauerbegegnungen zu ermöglichen. Unbewältigte Trauer kann sich nachteilig auf die Personen und die gesamte Familienstruktur auswirken. Neben der Trauer sind Angehörige auch diejenigen, die sich am meisten um ihr Familienmitglied kümmern. Sie haben Fragen zum Gesundheitszustand, zum Verlauf der Krankheit, zu Formalien, die erledigt werden müssen, wenn der Patient, die Bewohnerin verstorben ist. Hier helfen Auskunft und Informationen über regionale Vorgehensweisen und Unterstützungsangebote. Auf vielen Stationen gibt es dazu schon Infoblätter oder Broschüren. Das Kommunikationsverhalten der Familien kann stark variieren. Während in sogenannten »offenen« Familien­ strukturen über Trauer gesprochen wird, Gespräche zugelassen oder Informationen gesucht werden, kann es angezeigt sein, auf sogenannte »geschlossene« Familien, die wenig Kommunikationsbedürfnis zeigen, proaktiv zuzugehen.

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Familienmitglieder trauern in unterschiedlichem Tempo und zeigen meist unterschiedliche Gefühlsreaktionen. Diese Ungleichzeitigkeit und Verschiedenartigkeit des Trauerausdrucks kann innerfamiliär zu Irritationen bis hin zur Ablehnung führen. Professionell Pflegende wissen um den individuellen Trauerprozess und können hier gegebenenfalls positiv einwirken und für gegenseitiges Verständnis werben. Ein Ehegatte ging nach dem Tod seiner Mutter hinters Haus zum Holzhacken. Seine Frau beobachtete ihn vom Wohnzimmer aus und war erschüttert über diese »Gefühllosigkeit«, wie sie sagte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass der Ehegatte erstens seine Trauer körperlich zu »bearbeiten« suchte. Und zweitens, so berichtete er, habe er sich beim Holzhacken seiner verstorbenen Mutter am nächsten gefühlt. Es war so, dass Mutter und Sohn bis vor wenigen Monaten das Holz immer gemeinsam besorgten. Trauer ist ungleichzeitig und verschiedenartig.

Keine Trauer ist weniger richtig oder falsch. Diesbezügliche Erwartungen, ob ausgesprochen oder unterschwellig vorhanden, können von professionellen Pflegepersonen entkräftet und geklärt werden. 3.8.2  Den Tod begreifen

Was bereits zum Trauerauslösen (Kapitel 3.3) bei sterbenden und schwerkranken Menschen beschrieben wurde, trifft auch auf Angehörige zu. Auch bei ihnen ist es wichtig, Trauer auszulösen. Viele Menschen stehen dem Tod scheu gegenüber und wagen nicht, ihn anzuschauen. Auch wenn der Tod erwartet und nach leidvollem Sterbeprozess vielleicht sogar ersehnt wird, fällt es schwer, den Tod zu begreifen. Der Tod muss bewusst gemacht werden, damit Trauer ausgelöst wird. So ist es bei-

Trauer bei Angehörigen   89

spielsweise wichtig, dass Pflegende sich klar ausdrücken und nicht Umschreibungen verwenden wie: Er ist nun »hinübergegangen«, »entschlafen« oder Ähnliches. Es braucht eine klare Sprache, und die Worte »tot« oder »gestorben« sollten verwendet werden. Eine klar ausgesprochene Beileidsbekundung kann Angehörigen helfen, den Tod zu realisieren, Trauer auszulösen und den Trauergang in Bewegung zu setzen. Es ist hilfreich, Angehörigen Zeit mit dem Verstorbenen zu geben, wie folgendes Beispiel zeigt. Ein Patient verstarb in der Nacht. Die Angehörigen wurden zu Hause verständigt und kamen. Die Ehefrau wollte ihren Mann zuerst nicht sehen. Sie hatte die ganze Woche tagsüber an seinem Bett gesessen und wollte ihn »lebendig« in Erinnerung behalten. Der Krankenpfleger ermutigte sie, ins Zimmer zu gehen und Abschied zu nehmen. Er begleitete sie dabei. Zunächst stand sie zögerlich und auf Abstand bedacht im Zimmer. Äußerlich zeigte sie keine Reaktion, doch waren ihr die inneren Kämpfe anzusehen. Der Pfleger stand am Bett und bat sie heran. Schließlich trat sie näher und fasste ihren toten Mann an. Als sie so bei ihm stand, konnte sie endlich weinen. Der Pfleger stellte einen Stuhl für sie ans Bett und ließ ihr Zeit, den Tod zu »begreifen«.

Der Tod konnte von der Ehefrau erst realisiert werden, als sie ihren Mann anfasste und spürte, dass er kalt war. Die Anwesenheit am Totenbett hilft Angehörigen, den Tod zu begreifen. In vielen Pflegeheimen ist es Brauch, dass Angehörige ihren Verstorbenen gemeinsam mit der Pflegefachperson versorgen. Nach der Totenschau des Arztes wird der Bewohner oder die Bewohnerin zum letzten Mal gewaschen und angekleidet. Erst danach kommt das Bestattungsinstitut. Auch das Abschiednehmen kann hilfreich sein für den Trauer­ prozess. Hier helfen Rituale wie etwa ein Kreuzzeichen auf die

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Stirn der Verstorbenen zu zeichnen und sie somit zu segnen und gesegnet »auf den Weg zu schicken«. Manche Angehörige wollen genau wissen, wie jemand verstorben ist, ob sie oder er Schmerzen gehabt hat, leiden musste oder friedlich versterben konnte. Ihnen ist es wichtig, vor allem wenn sie selbst nicht zur Todesstunde dabei sein konnten, sich die letzten Stunden vorstellen zu können. In manchen Krankenhäusern werden die Toten sehr rasch aus dem Zimmer genommen und in ein Aufbahrungszimmer gebracht. Meistens begleitet die Krankenhausseelsorge Angehörige dann zum Toten. Trotzdem suchen Angehörige oft den Kontakt zu dem ihnen vertrauten Pflegeteam. Ein noch junger Patient hatte eine Embolie und verstarb trotz sofort eingeleiteter Notfallmaßnahmen daran. Die Ehefrau wurde telefonisch verständigt. Sie war erschüttert, da ihr Mann nur zu einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus kam und überhaupt nicht mit dem Tod gerechnet wurde. Begleitet von einer Freundin kam sie zwei Tage später zum Pflegestützpunkt und stand an der Tür. Sie wollte wissen, wie »das passieren konnte« und wie der Verlauf war. Zufälligerweise war die Pflegefachfrau gerade im Dienst, die beim Notfall anwesend war. Sie setzten sich in eine stille Ecke und die Pflegerin gab Auskunft.

Das Bedürfnis der Ehefrau, sich die letzten Stunden vorstellen zu können, half ihr, den Tod zu realisieren. Die Pflegerin hatte bei diesem Gespräch außerdem Gelegenheit, auf Trauerangebote des Hospizes hinzuweisen. Gerade bei plötzlichem und unerwartetem Versterben können diese hilfreich sein. 3.8.3 Nachgespräche

Es gibt inzwischen vielerlei Angebote wie Trauercafés, Trauergruppen, Trauerbegleitung von Hospizgemeinschaften, Angebote von Kirchengemeinden oder Bestattungsinstituten und

Trauer bei älteren Menschen   91

auch Trauerforen im Internet, bei denen Hinterbliebene unterstützt werden können. Eine Liste oder Broschüre mit den ortsüblichen Angeboten zum Weitergeben kann hier nützlich sein. In der spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung ist es außerdem üblich, zu einem einmaligen Nachgespräch einzuladen oder für die Angehörigen in regelmäßigen Abständen eine Gedenkfeier anzubieten. Diese wird meistens sehr liebevoll gestaltet und von den Angehörigen dankbar angenommen.

3.9  Trauer bei älteren Menschen

Menschen werden heute zunehmend hochaltrig. Mit steigendem Alter nehmen die Verluste von Freunden und Familienmitgliedern zu. Eine zu starke Häufung von Todesfällen im nahen Bekannten- und Freundeskreis kann die Betroffenen überfordern. Dazu kommen andere Verluste wie der Auszug aus dem Haus oder der Wohnung, die zunehmende Schwäche und Unverlässlichkeit des Körpers. Kommen zu viele Verlusterlebnisse in zu kurzer Zeit zusammen, kann die Trauerreaktion beeinträchtigt sein (vgl. Worden, 2018, S. 229). Der Tod wird immer mehr zu einem konkreten Sachverhalt in naher Zukunft, mit dem sich ältere Menschen beschäftigen. Es wird vermutet, dass mit der Wahrnehmung der begrenzten Lebenszeit und im Ringen mit der Angst vor dem Tod auch eine Umdeutung des Todes stattfindet. Die eigene Lebensgeschichte wird im Rückblick in einen Sinnzusammenhang gestellt. Das Selbstwirksamkeitserleben, das in der Gegenwart abnimmt, wird vermehrt im Lebensrückblick gesucht. Die Bindung an die Welt vermindert sich. So meint der Altersforscher Andreas Kruse, dass im hohen Alter und vor dem Tod ein seelisch-geistiger Entwicklungsprozess im Menschen abläuft, der »durch die Grenzsituation der schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung

92    Trauer in der pflegerischen Praxis

angestoßen wird« (Kruse, 2013, S. 116). Und weiter: »Der Tod kann […] eine ganz neue Qualität im Erleben des Menschen gewinnen« (S. 116). Pflegefachpersonen – und auch andere – sollten daher nicht nur belastende Symptome und Einbußen beim Sterben sehen, sondern auch dieses Erleben, sonst »bleibt uns möglicherweise eine bedeutsame Qualität des Todes verborgen«. Kruse plädiert für eine Gesamtsicht zweier Ordnungen: die »Ordnung des Lebens« und die »Ordnung des Todes«, denen wir zeit unseres Lebens anheimgestellt sind. Beide Ordnungen sind immer präsent und miteinander verschränkt. Mal ist die eine, mal die andere im Vordergrund. Die Trauer und der Verlust wechseln sich ab mit Hoffnung und Erleben von Neuem. Prinzipiell bezeugen Menschen eine grundlegende Offenheit gegenüber Entwicklungsmöglichkeiten. Diese sei »bis in das höchste Alter« gegeben und fördere das Erleben »ganz neuer personaler Qualitäten«, was sich positiv auf die Akzeptanz des Todes auswirke (Kruse, 2012, S. 117). Ein zweiter Argumentationsstrang Kruses befasst sich mit der Theorie der Gerotranszendenz. Im Alter wächst die Neigung, das eigene Leben in einem umfassenderen Sinnzusammenhang zu sehen. Dieser kann religiös gefüllt sein oder auch ganz offen ein Vertrauen in das Leben zum Ausdruck bringen. Als transzendente Einstellung ist auch die Generativität zu sehen, also der Gedanke, dass erworbenes Wissen und errungene Werte in künftigen Generationen weiterleben werden. Die Akzeptanz des Todes erfolgt außerdem, so das dritte Argument, in der Integritätsarbeit, die im hohen Alter geleistet wird. Diese Erkenntnis geht zurück auf Erik Erikson, nach dessen Theorie der Mensch acht Entwicklungsstufen durchläuft. Im hohen Alter hat die Ich-Integrität Vorrang. Der alte Mensch blickt auf sein Leben zurück in dem Wunsch, dessen Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Herausforderungen als zu ihm gehörig anzu-

Trauer und Demenz   93

erkennen und gutzuheißen. Je besser das gelingt, umso leichter kann die eigene Endlichkeit akzeptiert werden.

3.10  Trauer und Demenz

Viele alte Menschen erkranken an einer Demenz. Medizinisch betrachtet ist Demenz das langsame Sterben von Nervenzellen im Gehirn. Damit gehen diverse kognitive Verluste einher: eigenständiges Denken, Erkennen und Wiedererkennen von Lokalitäten und Personen, Entscheidungsfähigkeit, logisches und abstraktes Denken, gedankliche Flexibilität. Demenz ist ein Verlusterleben. Verluste prägen den weiteren Krankheitsverlauf: Verlust körperlicher und psychischer Gesundheit, Verlust der Selbstständigkeit und Autonomie, Verlust des Partners, Verluste im sozialen Netzwerk. Der soziale Tod kommt vor dem biologischen Tod. Der Eintritt in ein Pflegeheim bedeutet Verlust des Zuhauses und der Dinge, mit denen Erinnerungen verbunden werden. Das heißt Verlust von Heimat. Für viele demenziell erkrankte Menschen bedeutet das auch Verlust der Sicherheit, da sie sich in der neuen Umgebung nicht orientieren können, und Verlust der Hoffnung: Vom Pflegeheim gibt es selten einen Weg zurück. Mit der Demenz verliert der Mensch schrittweise seine Identität. Demenziell Erkrankte sind mit Worten und kognitiven Erkenntnissen nicht mehr erreichbar. Umso ausgeprägter ist das Gefühlsleben, über das Zugang zu ihrem Erleben und ihrer Wirklichkeit gefunden werden kann. Grundsätzlich hilfreich ist die oben beschriebene personzentrierte Pflege nach Kitwood (Kapitel 1.3.1). Alles, was das Personsein stärkt, kann hilfreich sein für den Trauerprozess bei Menschen mit Demenz. Das biografische Wissen birgt dabei unschätzbaren Wert. Viele alte Menschen sind kirchlich oder religiös sozialisiert und haben einen intuitiven Zugang zu Ritualen.

94    Trauer in der pflegerischen Praxis

Aber auch traumatische Erfahrungen können in der Demenz aufbrechen und sich mit der gegenwärtigen Wirklichkeit vermischen. Ängste und Trauer brechen hervor, die für Außenstehende nicht nachvollziehbar sind. Trauer kann sich durch aggressives Verhalten ausdrücken, durch Weinen, Klammern, Untröstlichkeit. Oft bleiben die Auslöser verborgen.

4  Besondere Situationen

Im Folgenden werden besondere Situationen und Konstella­ tionen beschrieben, die für Trauerbegegnungen in der pflegerischen Praxis wichtig sind.

4.1  Trauer und Scham

Der Verlust der Selbstständigkeit ist mit Scham behaftet, wie folgende Geschichte zeigt. Ein 85-jähriger Bewohner eines Pflegeheims war mit Rollator noch einigermaßen mobil. Er schaffte es bisher immer allein, sich zu pflegen und auf die Toilette zu gehen, auch wenn es mühsam war. Er war ein stolzer Mann, kam als junger Mann auf Einladung einer deutschen Firma aus Südeuropa nach Deutschland und ist dort geblieben. Aufgrund seiner Herkunft und möglicherweise auch aufgrund der Erniedrigungen, die er als Gastarbeiter erfahren musste, hatte er ein bemerkenswertes Stolz- und Würdeempfinden. Dann passierte eines Tages das Unvermeidliche: Aufgrund von Durchfall schaffte er es nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette und besudelte sich. Er schämte sich furchtbar dafür und brachte unter Tränen den Satz hervor: »Ich kann nicht mehr gehen.«

Eng verwoben mit Verlusterfahrungen ist die Scham. Krankheit kränkt. Der Mensch schämt sich, wenn sein gegenwärtiges

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Selbst von dem Selbstbild abweicht, das er von sich hat und nach außen trägt. Die eigene Wirkungslosigkeit, Abhängigkeit und Verletzlichkeit rufen Scham hervor. Mit der Scham verbunden ist die Angst vor Erniedrigung, Entwürdigung und sozialem Ausschluss. Daraus resultiert ein Wertlosigkeitsgefühl, wie Katharina Gröning treffend formuliert: »Wer sich schämt, verachtet sich und ist sich selbst fremd geworden« (2018, S. 80). Trauer, dieses unkontrollierbare Verlustgefühl, dem weder durch Kopf­ arbeit, Medikamente oder sonst wie beizukommen ist, verstärkt das Gefühl des Kontrollverlusts. Trauernde Menschen sind höchst verletzliche Menschen und daher anfällig für Schamgefühle. Nicht anerkannte Trauer wirkt beschämend. Professionelle Pflege kann durch ihre tagtäglichen Interaktionen viel dazu beitragen, dass alte, kranke und schwache Menschen sich nicht schämen müssen. Sie können durch personzentrierte Pflege das verletzte Seelenkleid schützen und Trauernden in einer Haltung von Anerkennung und Respekt begegnen (s. Kapitel 1). Stephan Marks (2011) geht davon aus, dass Schamgefühle ausgelöst werden, wenn ein oder mehrere menschliche Grundbedürfnisse verletzt werden: Anerkennung, geschützter Raum, Zugehörigkeit, Werteverletzung. Scham hat ihre Bedeutung im sozialen Status. So erstaunt es nicht, dass Patient*innen sich häufig vor den Teammitgliedern aussprechen können, die ihnen auf Augenhöhe begegnen: der Schülerin, dem Praktikanten, der Reinemachefrau. Ein Patient auf der urologischen Abteilung bei der Entlassung: »Sie haben eine wunderbare Putzfrau auf der Station. Sie spricht zwar kaum deutsch und zum Putzen ist sie in meinem Zimmer auch nicht viel gekommen, aber wir haben uns immer gut unterhalten. Sie hat immer genau gespürt, wie es mir ging, und wenn ich schlecht dran war, hat sie sich Zeit genommen.«

Trauer und Schuld   97

Menschen leiden darunter, ihre Verlustgefühle nicht mitteilen zu können, und fühlen sich dann isoliert und abgeschieden. Als soziale Wesen sind wir auf bestätigende Signale angewiesen. Scham ist ein Impuls zur Selbstverbergung. Der etymologische Ursprung des Wortes ist nicht ganz geklärt. Möglicherweise stammt es aus dem indogermanischen »kâm« bzw. »kêm« und bedeutet: verbergen, verhüllen, verdecken. Jeder Mensch hat seine eigenen Gründe für Scham. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese aufzudecken oder zu bewerten. Es geht vielmehr darum, diese Haltung der Abwehr zu würdigen, so Schnegg, und der trauernden Person zu verstehen zu geben, »dass sie die Scham zugunsten einer Ermutigung zum Leben durchbrechen kann« (Müller, Brathuhn u. Schnegg, 2019, S. 185).

4.2  Trauer und Schuld

Im Prozess der Trauer treten nicht selten Schuldgefühle auf. In der palliativen Situation, bei der Lebensrückschau können sie auf Betroffene sehr bedrängend wirken. Für Außenstehende sind Schuldgefühle von Patient*innen nicht immer nachvollziehbar und der Wunsch und das Bemühen, sie aufzulösen, sehr häufig. In der Literatur wird zudem beharrlich unterschieden zwischen »echter« Schuld und sogenannten »eingebildeten« Schuldgefühlen. Das Ersuchen, die Personen von angeblich »unechten Schuldgefühlen« zu entlasten, ist daher nachvollziehbar. Doch bei Schuldvorwürfen oder Schuldgefühlen geht es für professionelle Pflegepersonen nicht darum, die Wahrheit herauszufinden und darüber zu entscheiden, sondern der empfundenen Wirklichkeit von Patient*innen zu begegnen. Schuld kann ein Symptom von Trauer sein und durchaus sinnvolle Bedeutungen haben. Ein konstruktiver Umgang mit Schuld- und Schuldgefühlen wurde von Chris Paul entwickelt

98   Besondere Situationen

(Paul, 2016; Brinkmann, Möllers u. Paul, 2021). Zunächst ist es wichtig, die Gründe für Schuldvorwürfe anzuerkennen. Nach Paul, Brinkmann und Möllers können Schuldvorwürfe einer kognitiven Umbewertung einer Situation dienen, zum Beispiel, wenn der Betroffene sein Versagen und seine Ohnmacht seelisch nicht aushalten kann. Es mag ihm dann erträglicher erscheinen, sich als Mittäter zu sehen. Dieser Schuldvorwurf richtet sich gegen die eigene Person. Ein Beispiel aus der Praxis mag das verdeutlichen. Eine Patientin in der ambulanten Pflege wirkte seit einiger Zeit zermürbt und unruhig. An einem Tag ergab es sich, dass die Pflegerin während der Grundpflege mit ihr ins Gespräch kam. Es stellte sich heraus, dass sie sich gegenüber ihren Kindern schuldig fühlte. Sie war zeit ihres Lebens kränklich gewesen, das Geld reichte nicht, sie ging am Abend arbeiten, um die Haushaltskasse aufzubessern. Für die Kinder blieb wenig Zeit. Sie gab sich die Schuld, dass die ersten beiden Kinder unverheiratet und die Jüngste zweimal geschieden war. »Ich habe ihnen zu wenig Nestwärme gegeben«, lautete ihr strenges Selbsturteil. Von ihrer eigenen Schwester hörte sie damals den Vorwurf, eine »Rabenmutter« zu sein. Sie plagte sich mit Schuldvorwürfen gegen sich selbst.

Die Pflegefachperson ging wohlweislich nicht auf die Schuldvorwürfe der Patientin ein, sondern lenkte die Aufmerksamkeit auf deren Leistung und die Liebe, die sie ihren Kindern dadurch erwiesen hat. Damit brachte sie ihr Respekt und Achtung entgegen, und die Patientin musste ihre Unsicherheit und Zweifel nicht länger kaschieren. Ihre gegen sich selbst gerichteten Schuldvorwürfe konnte sie allmählich abstreifen. Bei einem späteren Gespräch drückte sie ihre Trauer darüber aus, sich bald von ihren Kindern »für immer verabschieden zu müssen«. Ein weiterer Grund für Schuldvorwürfe entspringt der Lebensrückschau, die bei schwerer Erkrankung oder am Lebensende

Trauer und Hoffnung   99

einsetzt. Schuldvorwürfe können dazu dienen, biografische Ereignisse in einen sinnvollen und verstehbaren Zusammenhang zu setzen. In obigem Beispiel scheint es der Pflegerin gelungen zu sein, einen anderen Sinnzusammenhang zu entdecken, der den Schuldvorwurf entkräftete. Ein dritter Anstoß für Schuldvorwürfe entspringt dem in der Schwäche und Verletzlichkeit aktivierten Bindungsbedürfnis. Betroffene drücken durch Schuldvorwürfe möglicherweise ihre Einsamkeit und das Bedürfnis nach mehr Nähe und Kontakt aus. Auch gegen sich selbst gerichtete Schuldvorwürfe können als Bindungssehnsucht verstanden werden. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen Schuldvorwürfen gegen sich selbst und gegen andere: das Team, Angehörige, eine andere Personengruppe. Schuldvorwürfe können auch ihre Zielobjekte ändern. Das nennt Paul (2016) »vagabundierende Schuld«. Zuerst werden Schuld und Verantwortung auf andere Menschen geschoben, bis sie allmählich auf die eigene Person übertragen werden. Schuldvorwürfe sollten zugelassen werden. Bagatellisieren, Relativieren oder Ausreden führen eher dazu, sie zu verstärken. Hilfreich sind Hinhören, Nachfragen und der Versuch, das darunterliegende Bedürfnis herauszuhören. Im Umgang ist wichtig, dass eigene Werturteile, Bewertungen, eigenes Schuldempfinden nicht mit einfließen. Wo Schuldvorwürfe in einem außergewöhnlichen Maß zermürben und Kraft rauben, mag eine therapeutische Intervention angezeigt sein.

4.3  Trauer und Hoffnung

Hoffnung ist eine existenzielle Ressource und fördert Bewältigungsfähigkeit, Anpassungsverhalten und Lebenszufriedenheit. Der größte Vorbehalt, Trauer auszulösen und damit den

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Weg der Trauer zu eröffnen, liegt wohl in der Furcht begründet, Menschen würde damit Hoffnung genommen. Hoffnung ist eine dynamische Lebenskraft und ein wirksamer Faktor im Umgang mit Verlust, Leiden und Unsicherheit. Hoffnung erleichtert den Prozess der Krankheitsverarbeitung und stärkt das Immunsystem. Sie hilft, körperliche und seelische Belastungen besser zu tragen, und ist auch im Endstadium einer Erkrankung und am Lebensende eine wertvolle Kraft und Ressource (Rizza, 2016). Eine Pflegeschülerin kommt von einem Patienten zurück zum Stationszimmer. Sie erzählt von der Begegnung mit dem Patienten, die sie aufgewühlt habe und bei der sie nicht wusste, wie sie hätte »richtig« reagieren sollen. Der besagte Patient leidet an einem fortgeschrittenen Pankreaskarzinom und seine Lebenszeit ist sehr begrenzt. Als die Schülerin hereinkam, verwickelte er sie in ein Gespräch und erzählte ihr von seinen Zukunftsplänen. Die Pflegeschülerin freute sich mit ihm, obwohl sie wusste, dass die Realisierung des Plans nicht möglich sein würde. »Was hätte ich denn sagen sollen?«

Was hätte die Pflegeschülerin sagen sollen? Sie hat sich die Hoffnungsbilder erzählen lassen, ohne sie zu vergrößern oder zu minimieren, und hat damit wohl intuitiv hilfreich gehandelt. Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben. Er verfällt in Resignation und depressive Verstimmung oder Demoralisation. Davor fürchten sich Tätige im Gesundheitswesen verständ­licherweise. Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross beschreibt in ihren »Interviews mit Sterbenden« (1971/2014), dass Hoffnung fast immer vorhanden ist, bis zum Tod. Manche Patient*innen hegen konkrete Hoffnungsziele, bei anderen wird Hoffnung genährt durch ein Grundvertrauen in das Leben oder darin, »dass alles einen Sinn haben muss«. Wieder anderen bedeutet Hoffnung »eine flüchtige, aber notwendige Periode des Ableugnens«.

Trauer und Hoffnung   101

Hoffnung ist immer fragil, zerbrechlich und gefährdet. Im Laufe des Lebens nehmen Menschen viele enttäuschte Hoffnungen hin und finden doch wieder neue Hoffnungsziele. Es braucht Ziele, damit der Prozess des Hoffens in Bewegung kommt und bleibt. Auch schwerkranke und sterbende Menschen spüren sehr wohl, aus welcher Hoffnung sie Kraft schöpfen können, welche sie trägt. Hoffnungsziele ändern sich auch in der Krankheit und im Sterben. Mit dem Fortschreiten der Krankheit, der Desillusionierung setzt eine neue Zielorientierung ein. Die Hoffnung, wieder gesund zu werden, weicht der Hoffnung, nicht leiden zu müssen, die Hoffnung auf Lebensqualität in den letzten Wochen wird schließlich abgelöst von der Hoffnung auf ein symptomfreies Sterben. Immer ist Hoffnung da. Trauer auslösen bedeutet nicht, Hoffnung nehmen. Im Gegenteil setzt Trauer die personstärkende und integritätsfördernde Hoffnungskraft frei. Die Psychologie berichtet von hoffnungsfördernden Interventionen durch Imaginationsübungen und Hypnosetherapie. Als sich die Pflegeschülerin bei obigem Beispiel mit dem Patienten gefreut hat, wurden in ihm mög­ licherweise positive Energien freigesetzt, und für einen Augenblick konnte er träumen. Später berichtet selbiger Patient: »Ich weiß, dass ich nicht mehr nach Kroatien fahren kann, das Meer, unser Haus, meine Schulfreunde sehen kann. Ich sehe ja selbst, wie dünn meine Beine inzwischen geworden sind. Die tragen mich keine 10 Meter weit. Trotzdem möchte ich mich daran festhalten. Die Bilder geben mir so viel Kraft. Da spüre ich Leben.«

Hoffnung ist immer dort zu finden, wo Patient*innen eine fürsorgliche Zuwendung erfahren, denn Hoffnung ist ein Resonanz­ phänomen. Das mag folgende Geschichte verdeutlichen (vgl. Hadinger, 2014):

102   Besondere Situationen

Der junge Maler Klimt wurde beauftragt, ein Porträt von Baronin Sonja Knips anzufertigen. Sie war zu jener Zeit kränklich und schwach. Das Bild war für die Ahnengalerie gedacht, da mit einem baldigen Versterben der Baronin gerechnet wurde. Klimt nahm den Auftrag an und brauchte fast ein Jahr für dieses Porträt. Er malte Sonja Knips in einem blühenden Garten, angekleidet mit einem zartfarbenen Tüllkleid. Er malte sie nicht in ihrer gegenwärtigen depressiven Haltung, sondern als junge, interessierte und wache Frau. Das fertig erstellte Porträt wurde in das Speisezimmer der Familie gehängt, wo die Baronin täglich Gelegenheit hatte, sich selbst »durch die Brille« bzw. den Blick Klimts zu sehen. Zehn Jahre später entstand eine Fotografie von ihr, und erstaunlicherweise zeigt es die Frau, die auch auf dem Porträt zu sehen ist: eine aufmerksame, kluge und ausdrucksstarke Frau.

Eigenartigerweise wird Hoffnung immer da bedeutsam, wo wir mit der Brüchigkeit des Lebens in Berührung kommen. Welche Hoffnung gibt es an der Grenze des Lebens und angesichts eines sehr nahen Todes? Manche Menschen glauben an ein Weiterleben nach dem Tod und schöpfen daraus Hoffnung. Andere schöpfen Kraft aus der Vorstellung der Intergenerativität – gelebte Werte werden durch nachkommende Generationen weitergetragen und weiterentwickelt. Wieder andere vertrauen auf einen Sinn und das Gute, das sie im Leben gewirkt haben, und dass dieses weitergeht. Daran erinnert die für das Sterben früher oft verwendete sanfte Umschreibung, jemand habe »das Zeitliche gesegnet«. Hoffnung verfängt sich nicht in einer illusorischen Rebellion gegen die Wirklichkeit. Sie weigert sich aber auch, das Schicksal resignativ hinzunehmen. Hoffnung scheint immer wieder Wege zu eröffnen, die vorher nicht gesehen werden können – auch oder gerade im Trauerprozess. Hoffnung wächst uns zu. Von innen her scheint es ein Transzendieren zu geben, einen Durch-

Trauer und Sinn   103

bruch in eine andere Wirklichkeit, die wir jetzt nicht sehen können. Auch davon zeugen viele begangene Trauerwege.

4.4  Trauer und Sinn

Wie in jeder Lebenskrise blitzt auch angesichts einer schweren, unheilbaren Erkrankung und im Hinblick auf den Tod die Sinnfrage auf. Welchen Sinn hat die Krankheit? Warum jetzt? Warum ich? Hat mein Leben einen Sinn gehabt? Fragen, welche Patient*innen beschäftigen. Dazu gesellen sich häufig Ängste und Zweifel: Angst vor dem Sterben, vor Schmerzen, vor dem Alleinseinmüssen, Angst vor dem Tod. Ebenso kann die Verzweiflung plagen, die Bitternis hinsichtlich ungelebten Lebens und Versäumnissen, die Aussichtslosigkeit auf eine Wende und die Endgültigkeit der Lebenszeit. Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden, Versäumnisse können nicht (immer) nachgeholt werden. Wohl aber kann eine (neue) Bedeutungs- und Sinngebung angestrebt werden. Sinn kann entdeckt und dem Leben verliehen werden zum Beispiel durch eine Einstellungsänderung, wie folgendes Beispiel zeigen möchte. Eine gebrechliche geriatrische Patientin sinnierte bei der Abendtoilette über das schwere Leben, das sie als elternloses Mädchen kurz nach dem Krieg gehabt hat. Wie sie sich hat »durch-beißen« müssen. Manches Mal habe sie sich »wehren« müssen, deutete sie an. Und auch ihr Charakter war geprägt von der Härte und Strenge des Lebens. Sie litt unter ihrer zunehmenden Schwäche und wiederholte immer wieder: »Jetzt habe ich halt keine Zähne mehr.« (Sie hatte tatsächlich alle Zähne verloren.) Offensichtlich fiel es ihr schwer, den Panzer, der sie zeit ihres Lebens geschützt hatte, abzulegen und die Zuwendung und Unterstützungsange-

104   Besondere Situationen

bote der professionellen Pflege anzunehmen. Sie betrauerte ihren Autonomie- und Kontrollverlust. Dass sie darüber so offen sprechen konnte, lässt vermuten, dass sie spürte, wie in ihr allmählich eine Umwandlung stattfindet. – Einige Zeit später erzählte sie die gleiche Geschichte und fügte hinzu: »So war es halt früher.« Offenkundig konnte sie das Gewesene inzwischen »sein lassen«.

Der Psychologe und Sterbeforscher Joachim Wittkowski verdeutlicht, wie am Lebensende eine Sinneswandlung stattfinden kann. Mit dem Sterblichkeitsbewusstsein beginnt ein kognitiver Umstrukturierungsprozess und die Suche nach Sinnhaftigkeit im Leben (dem gelebten und noch zu lebenden). Die Sinnvermittlung verändert sowohl die Bindung an die Welt als auch das Selbstwertgefühl des Betroffenen, bis es zu einer Akzeptanz des Todes kommen kann (s. Abbildung 4). Akzeptanz des Todes

Selbstwertgefühl

Sinnhaftigkeit Sinnvermittlung

veränderte Bindung an das Leben bzw. an die Welt

kognitiver Umstrukturierungsprozess

Sterblichkeitsbewusstsein bzw. Wunsch nach Unsterblichkeit

Abbildung 4: Darstellung der integrativen Theorie der Einstellungen zum Tod im höheren und hohen Lebensalter von Wittkowski (2020, S. 67)

Der Trauerweg ist ein Sinnenweg, ein Weg auf der Suche nach Sinn. Das veranschaulicht die Pädagogin und Trauerbegleite-

Erschwerte Trauer   105

rin Sylvia Brathuhn mit den Werdeschritten (Brathuhn u. Adelt, 2015). Trauern heißt Wachsen und Werden und ist geprägt von verschiedenen Erkenntnisschritten: Angesichts eines Verlusts sind Betroffene gezwungen, sowohl sich selbst als auch die Außenwelt neu in den Blick zu nehmen. Die Wahrnehmung des Selbst geschieht schrittweise von der rein abstrakten und kognitiven Bewusstwerdung hin zu einem existenziellen Erkennen: »Das bin ja ich, dem das widerfährt.« Mit diesem Gewahrwerden kann sich der oder die Betroffene neu sehen lernen, und damit öffnen sich neue Sinnzugänge zum Leben. »Wissen Sie«, sagt die Patientin, »es war nicht immer leicht. Und ich hätte mir mein Leben auch anders vorstellen können … ich wäre so gern Lehrerin geworden. Aber wenn ich jetzt so zurückschaue, bin ich dankbar für das, was alles geworden ist.«

Für die Patientin hat alles einen Sinn gehabt oder hat sich zu einem Sinngefüge eingefunden. Sie konnte das Zeitliche segnen. Das lateinische Wort für Segnen heißt »benedicere« und wörtlich übersetzt bedeutet es: etwas gutheißen.

4.5  Erschwerte Trauer

Erschwerte Trauer ist die Abweichung von der natürlich zu erwartenden Reaktion auf einen Verlust. Dies kann in der Intensität der Ausdrucksform und/oder der Dauer vorkommen. Die Klassifizierungen unterscheiden sich in der Literatur. Es ist nicht Aufgabe von Pflegefachpersonen, erschwerte Trauer zu begleiten, wohl aber ist es Aufgabe, diese zu identifizieren und gegebenenfalls professionelle Hilfe hinzuzuziehen. Daher soll im Folgenden auf Risikofaktoren und Anzeichen erschwerter Trauer hingewiesen werden.

106   Besondere Situationen

4.5.1  Risikofaktoren für erschwerte Trauer

Besonderer Achtsamkeit bedürfen Trauernde, die in kurzer Zeit viele Verluste hinnehmen mussten, die das Sterben als besonders dramatisch oder traumatisch erlebten, ein sehr schwaches Selbstwertgefühl haben, die über keine tragfähigen Beziehungen verfügen, körperlich oder psychisch krank sind, keinerlei weltanschauliche Ausrichtung haben oder ehemalige »Schattenkinder« sind (Menschen, die in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt wurden, weil ein Geschwisterkind besonderer Fürsorge bedurfte) (Müller, 2018). Sozial aberkannte Trauer kann ein Risikofaktor für erschwerte Trauer sein. Der Mensch, der sich von seiner Umgebung nicht akzeptiert fühlt, dessen Trauer nicht gewürdigt wird, steht in Gefahr, in seiner Trauer zu versteinern. Auch Menschen, die ein rigides Selbstbild oder Rollenkonzept pflegen, fallen in die Risikogruppe für erschwerte Trauer. Die Verletzlichkeit und die Widerstandskraft (Resilienz) haben direkten Einfluss auf die Trauerbearbeitung bzw. verstärken oder mindern die Verlust­reaktion. 4.5.2  Erschwerte Trauer erkennen

Trauerreaktionen sind kulturell definiert. Während in einigen Kulturen anhaltendes heftiges und lautes Weinen als angebracht erscheint, wird dies in anderen Kulturen als wenig passend empfunden. Als extreme Trauerreaktion wird diejenige bezeichnet, die weit über die in der Kultur üblich zu erwartende Reaktion hinausgeht. Auch die fehlende Trauerreaktion auf einen Verlust (Erstarrung) kann auf erschwerte Trauer hinweisen sowie die fehlende Bewegung oder Entwicklung im Trauerprozess. Folgende Faktoren werden von der »Arbeitsgruppe Erschwerte Trauer« des Bundesverbandes Trauerbegleitung aufgezählt: • Körperliche Symptome: Sucht, Schlafstörungen, Essstörungen, Muskelschwäche, Kopfschmerzen, Verspannungen, körperliche Schmerzen, Empfindungslosigkeit, Zittern, Frieren,

Erschwerte Trauer   107

allgemeine Erschöpfung, reduzierter Immunstatus, Beklemmung, Herzschmerz. • Spirituelle Anzeichen können sein: Sinn-, Werte- und Glaubensverlust, Bedeutungsverlust von Bewährtem. • Psychisch-emotionale Symptome: Unruhe, Traurigkeit, Schuldgedanken, Überforderung, Fassungslosigkeit, Erleichterung, Wut, Aggression, Einsamkeit, Erschöpfung, Ängste, Hoffnungslosigkeit, tiefer Seelenschmerz. Bei traumatischer Trauer Übererregtheit, Intrusionen, Gefühle von Überflutung, Dissoziationen. Traumatische Trauer sollte von professionellen therapeutischen Trauerbegleiter*innen behandelt werden. • Ausdrucksweisen: Ich fühle mich wie amputiert, ich fühle mich innerlich wie mit einer großen offenen und schmerzenden Wunde. • Verhaltensweisen: Menschen mit erschwerter Trauer zeigen unterschiedliche Reaktionen in ihrem sozialen Verhalten. Manche ziehen sich sozial zurück, während andere nicht allein sein können. Die einen fallen in Apathie, während andere hyperaktiv werden. • Auch kognitive Symptome sind erkennbar: Identitätsverlust, Akzeptanzprobleme, Einbuße von und Mangel an Konzentration, Schuldzuschreibung an sich selbst und andere, Verbitterung, Vermeidungsverhalten (Müller, 2018). 4.5.3  Was Pflegepersonen tun können

Ein tragfähiges soziales Netz ist eine wichtige Ressource im erschwerten Trauerprozess. Eine stabile Partnerschaft, ein zueinander haltender Familienverband und zuverlässige Freunde können stützen. Alle Arten von Verbundenheit. Hier sei nochmals auf auf die gesundheitsfördernde und vor allem leidlindernde Tätigkeit im pflegerischen Beruf hingewiesen (Kapitel 1). Leidet der oder die Betroffene anhaltend unter ihren Trauergefühlen und ist erkennbar, dass der Trauerprozess nicht »normal« ver-

108   Besondere Situationen

läuft, sollte eine professionelle Begleitung (durch ausgebildete Trauerbegleiter*innen oder Psycholog*innen) herange­zogen werden. Zeigen sich psychische Symptome wie anhaltender intensiver psychischer Schmerz, Hoffnungslosigkeit, Todessehnsucht sowie anhaltende somatische Störungen wie Schlafstörungen, Intrusionen, sollte eine psychiatrische Behandlung hinzugezogen werden (Znoj, 2016).

4.6  Trauer und Suizidalität

Verlusterlebnisse, die mit starken Einschränkungen einhergehen, führen unweigerlich zu einem Selbstwertverlust. Das selbstbestimmte Leben erfährt Grenzen, Lebensqualität leidet. Manche Patient*innen, die auf Hilfe und Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens angewiesen sind, erleben sich als Person entwertet und als Belastung für andere. Es kann vorkommen, dass sich suizidale Gedanken einnisten, besonders in der Wucht des ersten Schocks, wie folgendes Beispiel zeigt: Ein fünfzigjähriger Patient wurde neu aufgenommen auf der onkologischen Station. Am Vormittag hatte er das Aufklärungsgespräch mit der behandelnden Stationsärztin. Seine Diagnose: Lungentumor in fortgeschrittenem Stadium. Es wurde ihm ein sofortiger Beginn der Therapie empfohlen. – Die Nachtschwester machte nach der Übergabe ihre erste Runde. Sie fand den Patienten am Tisch sitzend. Er wirkte verzweifelt. Die beiden kamen ins Gespräch, in dessen Verlauf der Patient seine Wut immer kraftvoller zum Ausdruck brachte und schließlich eröffnete, eine »Reise in die Schweiz« antreten zu wollen.

Die Reise in die Schweiz, das war klar, hätte assistierten Suizid zum Ziel. Der Patient konnte sich in diesem Augenblick ein Wei-

Trauer und Suizidalität   109

terleben nicht ausmalen. Zu furchteinflößend war die Vorstellung einer Krebsbehandlung, wie sie ihm bevorstand. Die Wirklichkeit konnte er nicht akzeptieren. Sein Leben brach entzwei. Überflutet von den Gefühlen der Trauer, der Wut, des Schocks und der Verzweiflung, sah der Patient in diesem Augenblick einen Ausweg nur durch Freitod. In solchen Situationen sollte der Betroffene nicht alleingelassen werden mit seinen Gefühlen, sondern Gelegenheit haben, seine Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. Diese Verzweiflung als Zuhörerin auszuhalten, ist schwer. Die Pflegefachperson war bestürzt und schreckte vor der Heftigkeit der Gefühle zurück, blieb dennoch bei ihm, setzte sich und hörte zu. Sätze wie »Ich fühle mich wertlos«, »Ich schäme mich«, »Ich habe so eine starke Wut auf diesen Tumor« brachen folgend aus ihm heraus und verdeutlichten seine Verwirrung und abgrundtiefe Trauer.

Verzweiflung als Ausdruck der Trauer kann Gedanken an Suizid nähren. Freitod wird möglicherweise als Konflikt- oder Pro­ blemlösung in Erwägung gezogen, um der Unausweichlichkeit des Schicksals zu entkommen, die überwältigenden Gefühle nicht mehr aushalten, den schweren Weg einer Krebstherapie nicht gehen zu müssen. Gleichzeitig kann freilich auch der Lebenswille aufflammen, der Wunsch, sein Leben »normal« und so wie bisher weiterzuführen, Zukunftspläne weiter umzusetzen. Eine chronische Erkrankung, verbunden mit körperlicher Beeinträchtigung, der Angst vor Würdeverlust und sozialer Isolation, kann schnell zu einem Demoralisationssyndrom führen. Dies ist geprägt von Hoffnungslosigkeit, Bedeutungsverlust und Existenzängsten. Nicht selten wird dabei der Wunsch nach baldigem Sterben zum Ausdruck gebracht. Begünstigende Faktoren sind weiterhin das Gefühl der Hoffnungslosigkeit oder der Verlust des Lebenssinns, das Gefühl der Hilflosigkeit, des Ver-

110   Besondere Situationen

sagens und eine fehlende Hoffnung auf Besserung, eine mangelnde Copingstrategie und der Zeitfaktor. Hält dieser emotionale Zustand für zwei oder mehr Wochen an, festigt sich das Syndrom (Feichtner, 2014; Kissane, Clarke u. Street, 2001). Von der Demoralisation abzugrenzen ist zum einen die Trauer, zum anderen die Depression. In der Trauer werden Phasen der Hoffnungslosigkeit und der Schwermut durchlaufen. Bei der Depression dagegen handelt es sich meist um eine generalisierte Hoffnungslosigkeit über eine längere Zeit. Betroffene können überhaupt keine Freude empfinden. Im Vergleich zu Menschen in der Trauer können von Depression Betroffene sich an nichts erfreuen und haben jeglichen Humor verloren. Außerdem leiden sie unter Konzentrationsschwäche und unrealistischer Einschätzung der Gegenwart. Beides Symptome, die bei Trauer nicht vorliegen. Im Vergleich zur Demoralisation ist Depression mit Antidepressiva gut behandelbar. Die S3-Leitlinie Palliativmedizin (AWMF, o. J.) führt folgende Unterscheidung zwischen Depression und Trauerreaktion an (Tabelle 1). Tabelle 1: Depression versus Trauerreaktion (AWMF, o. J., S. 159) Depression

Trauerreaktion

Gefühl des Ausgestoßenseins oder Alleinseins

Gefühl, mit anderen in Verbindung zu stehen

Gefühl der Unveränderlichkeit

Gefühl, es geht wieder vorbei

beständiges Gedankenkreisen, Hoffnungslosigkeit

kann Erinnerungen genießen

starke Selbstabwertung

Erhalt des Selbstwertgefühls

konstant

wellenförmig

keine Hoffnung, kein Interesse an der Zukunft

schaut vorwärts

nur wenig Freude an Aktivitäten

bewahrt das Vermögen, sich zu freuen

Suizidalität

Lebenswunsch

5 Wie kann ich mich auf Trauersituationen vorbereiten?

Trauer zu begegnen, ob im privaten oder beruflichen Alltag, wird immer eine Herausforderung sein. Unweigerlich werde ich an eigene Verlustsituationen erinnert und mit eigenen (Trauer-) Gefühlen konfrontiert. Belastende Gefühle haben zudem einen appellativen Charakter, der zum Handeln aufruft und mich unumgänglich mit meiner Ohnmacht und Hilflosigkeit konfrontiert. In der Fachliteratur der Sterbeforschung (Thanato­ logie) wird eine »Todeskompetenz« für Helfer und Helferinnen propagiert. Abgesehen davon, dass dieser Begriff ein Unwort ist, da der Tod dasjenige Ereignis ist, das uns jegliche Kompetenz aus der Hand nimmt, verleitet er auch zu einem objektiven oder versachlichten Umgang mit höchst individuellen und subjektiv geprägten Situationen. In den folgenden Abschnitten werden einige Aspekte aufgezeigt, die einer ethischen Reflexion bei der Begegnung mit trauernden kranken und sterbenden Menschen dienen mögen.

5.1  Denkwissen und Erfahrungswissen

Das Wissen um Trauerprozesse und Trauermodelle ist zweifelsohne eine wichtige fachliche Kompetenz im pflegerischen Beruf. Doch Denkwissen ist nicht Erfahrungswissen. Wir alle wissen theoretisch um Krankheit, Sterben und Tod. Im Normalfall, wenn das Leben es gut mit uns und unseren Lieben meint, schenken wir dieser Tatsache kaum Aufmerksam-

112    Wie kann ich mich auf Trauersituationen vorbereiten?

keit. Und das ist gut so. Doch im Laufe unseres Lebens werden wir unweigerlich mit gesundheitlichen Einschränkungen und mit dem Tod konfrontiert. Wenn diese Gewissheiten uns selbst (existenziell) betreffen, wandelt sich das Denkwissen in Erfahrungswissen, wie es Fridolin Stier so treffend bezeichnete: »[…] mein Denkwissen platzt zur Wirklichkeit auf. Aus der Wahrheit, die ich eingeübt und mir vertraut gemacht habe, fährt es plötzlich heraus, wie ein Blitz in die Krone durch den Stamm bis in die Wurzeln des Baums […]. Dann ›schmecke‹ ich ihn [den Tod]. Die Wahrheit wissen ist das eine, sie zu schmecken bekommen das andere« (Stier, 1981, S. 112). Der Tod wird geschmeckt. Sterben und Tod treten in die Erlebenswelt des Menschen ein. Er oder sie erfährt auf existenzielle Weise von der Brüchigkeit, dem Unfassbaren, Undurchschaubaren und dem Unbegreiflichen des Lebens. Der Mensch erfährt die eigene Sterblichkeit und damit seine Schutzlosigkeit und Ohnmacht, sein Ausgeliefertsein nicht mehr aus einer distanziert-rationalen Perspektive, sondern im Sinne eines »existenziellen Verstehens« (Brathuhn u. Adelt, 2015, S. 42).

5.2  Mit meinen eigenen Gefühlen zurechtkommen

In der Begegnung mit Trauernden geht es weniger darum, professionell kompetent aufzutreten, sich souverän zu geben als »Bescheidwisserin«. Das Bescheidwissen wird durch die existenzielle Erfahrung Sterbender untergraben. Alles (professionelle) Wissen erscheint brüchig angesichts des Todes. Die Grenzen des Möglichen wurden durch Forschung und Weiterentwicklung der Medizin und besonders der Palliative Care dankenswerterweise erweitert. Dennoch: Trotz aller Bemühungen wird es immer Situationen geben, in denen wir immer wieder neu mit unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit konfrontiert sind und

Mit meinen eigenen Gefühlen zurechtkommen   113

werden. Diese erinnern uns daran, dass wir endliche und verletzliche, auch unvollkommene Wesen sind. Es braucht Mut und Wahrhaftigkeit, sich der Ohnmacht und Hilflosigkeit und den offenen Fragen zu stellen und diese zu akzeptieren. Nicht erst in der heutigen sehr komplexen pflegerischen Tätigkeit, sondern auch schon vor vierzig Jahren wurde die Unfähigkeit, auf Gefühle einzugehen, beklagt: »Die meisten Pflegekräfte gehen nicht auf die Gefühle ein, die in den Äußerungen der Patienten enthalten sind. Sie sprechen nur äußere Umstände an. Nur wenige waren fähig, in deutlich einfühlend-verstehender Weise auf die Patienten-Äußerungen einzugehen« (Tausch, 1981, S. 180). Aktives Zuhören ist weit mehr als eine Methode. Es bedeutet, sich der eigenen und der Gefühle des Gegenübers bewusst zu werden. Bei sterbenden Patient*innen ist das eine echte Herausforderung. Denn diese Gefühle heißen: Angst vor dem Sterben, Auseinandersetzung mit der Sinnfrage, Umgang mit Schuld und Mut zur Wahrheit. Heilende Fürsorge hat zur Bedingung, dass wir uns berühren und ansprechen lassen von der Not und dem Leid anderer (Byung-Chul, 2020, S. 42). Der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul diagnostiziert eine zunehmende Einsamkeit und Isolation in unserer ökonomisierten Leistungsgesellschaft, in der sich Narzissmus und Egoismus verschärfen. »Für Leid wirkt die Einsamkeit, die fehlende Erfahrung der Nähe, wie ein Verstärker« (2020, S. 42). Der Umgang mit dem Leid ist nie leicht, nicht der mit dem eigenen und vielleicht noch schwerer der Umgang mit dem Leiden anderer. Der Wunsch, Leiden »abzustellen«, scheint ein menschlicher Reflex, der dem Wunsch nach Wohlbefinden und Unversehrtheit entspringt. Beruflicher Auftrag pflegerischer Tätigkeit ist nicht das Abschaffen von Leid, sondern die Leidlinderung. Denn wir wissen allzu gut, dass Leid nicht aus der

114    Wie kann ich mich auf Trauersituationen vorbereiten?

Welt geschafft werden kann. Ein Weg, dem Leid zu begegnen. ist, dem betroffenen Menschen Ansehen und Würde zu verleihen und das Leiden zur Sprache zu bringen. Das Bedürfnis, Leid »beredt« werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit, formulierte Adorno in »Negative Dialektik« (1966/1996, S. 29). Wir müssen das Leid der Trauer zur Sprache bringen, es in Worte und Bilder kleiden. Das Erzählen kann Linderung verschaffen. Für den zuhörenden Menschen bedeutet das, sich selbst seiner Verletzlichkeit bewusst zu sein. Die Sensibilität gegenüber dem Anderen setzt eine »Ausgesetztheit« voraus, sagt Emmanuel Levinas. Erst, wo ich bereit bin, mich dem Anderen »auszusetzen«, mich von seinen Empfindungen berühren zu lassen, nehme ich ihn als Menschen wahr. Häufig sind uns die »Objektivierungen« gar nicht bewusst. Unsere Angst schirmt uns ab, unser Helfenwollen, unser Besserwissen, unsere professionelle Distanziertheit, unser Ego. Der Andere als Objekt schmerzt nicht (Levinas, 1983). Wir laufen Gefahr, unsere Lebendigkeit zu verlieren, wenn wir uns nicht mehr berühren lassen. Wir können der Trauer und den Ängsten von Patient*innen nur so weit begegnen, wie wir uns unserer eigenen Ängste und Trauer bewusst sind: der Angst vor der eigenen Hilflosigkeit angesichts fremden Leidens. Todesängste sind normal. Wie stehen wir eigentlich selbst zum Tod? Vielleicht kann es hilfreich sein, sich dieser oder ähnlichen Fragen von Zeit zu Zeit zu stellen. • Denken Sie oft über den Tod nach? • Ist es Ihnen unangenehm, über »Sterben und Tod« nachzudenken? • Was verbinden Sie mit dem Tod? • Was verbinden Sie mit Sterben? • Wie stellen Sie sich Ihren eigenen Tod vor? • Wie möchten Sie sterben?

Mit meinen eigenen Gefühlen zurechtkommen   115

• • • • • • • • • • • • • •

Wie möchten Sie keinesfalls sterben? Möchten Sie im Kreis Ihrer Familie aufgebahrt werden? Reden Sie mit Freunden, Bekannten, Familie über den Tod? Finden Sie es wichtig, über Sterben und Tod zu reden? Finden Sie es unnötig, über Sterben und Tod zu reden? Wie würden Sie den Tod bezeichnen: Ist der Tod Gegen­spieler oder Ergänzung zum Leben? Möchten Sie unsterblich sein? Haben Sie Angst vor Ihrem eigenen Tod? Haben Sie Angst vor dem Tod Ihres Partners oder Ihrer Partnerin? Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Welche Empfindungen haben Sie bei einem Spaziergang über den Friedhof? Haben Sie Angst vor Toten? Haben Sie Angst vor dem Tod? Stört der Tod Sie bei Ihrer Arbeit?

Schlussworte

Ausgehend von den Grundaufgaben des Pflegeberufs habe ich zu zeigen versucht, wie wichtig eine professionelle Trauerbegegnung in der praktischen Pflege ist. Pflegerische Tätigkeit erfordert ein hohes Maß verschiedener Kompetenzen. Das Wissen über Trauermodelle, um den Trauerprozess und deren individuelle Ausprägungen bildet die Voraussetzung für eine fachkundige Gestaltung von Trauerbegegnung. Diese wurde in kleinen Schritten aufgeschlüsselt und differenziert dargestellt. Pflegerische Tätigkeit erfordert weiterhin eine hohe personale Kompetenz. Eine persönliche Reflexion und Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens, mit der eigenen Sterblichkeit beginnt ab dem ersten Tag der Pflegeausbildung. Auch eigene Erfahrungen mit Gesundheit, Krankheit und Sterben fließen in die Arbeit mit ein. Der Pflegeberuf ist gekennzeichnet durch Begegnungen mit kranken und sterbenden Menschen. Das zieht notgedrungen eine ständige Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen, Werten und Einstellungen zu Leben und Tod nach sich. Soziale Kompetenz ist gefordert bei der Gestaltung von Begegnungen. Eine nahe Beziehung ergibt sich unweigerlich durch die Tätigkeiten, die gesellschaftlich akzeptierte Körpergrenzen überschreiten müssen, um Menschen bei den Aktivitäten täglichen Lebens zu unterstützen. Die gesunde Distanz kann durch Reflexion, Supervision und im kollegialen Austausch erfahren werden. Professionelle Pflegepersonen müssen sich weiterhin mit sozial akzeptierten Werten auseinanderset-

Schlussworte   117

zen, die ihren Berufsalltag immer weniger widerspiegeln. Sie erleben den verletzlichen, trauernden Menschen, hilfsbedürftig und schwach. Propagiert wird (etwa bei der Sterbehilfedebatte) der autonome, ichstarke und unabhängige Mensch. Dieses Bild wird befeuert von einer Gesellschaft, die Leistung und Schaffen als obersten Wert deklariert. Ich hoffe, dem einen oder der anderen Pflegekolleg*in in verständlicher Weise die Bedeutung ihrer Arbeit in der Begegnung mit Patient*innen geschildert zu haben. Die Zeilen wurden verfasst mit tiefer Ehrfurcht und größtem Respekt vor ihrem herausfordernden Dienst an kranken, sterbenden und trauernden Menschen. Vielleicht vermögen meine Reflexionen einen kleinen Beitrag zu ihrer wertvollen Arbeit beizutragen und die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit ihrer Arbeit wertschätzend sichtbar zu machen. Abschließen möchte ich mit sieben Merksätzen für Trauerbegegnung in der Pflege: • Gehen Sie davon aus, dass kurze Trauerbegegnungen sehr viel bewirken können. • Denken Sie daran, dass Sie als Pflegeperson tätig sind, und bleiben Sie in Ihrer Rolle. • Stimmen Sie sich auf die aktuellen und individuellen Bedürfnisse Trauernder ein. • Bleiben Sie offen für ungewöhnliche Trauerreaktionen. • Legen Sie alle Bemühungen des Helfenwollens ab und bleiben Sie in der Begegnung. • Achten Sie auf Signale, welche eine therapeutische oder seelsorgliche Begleitung notwendig erscheinen lassen. • Achten Sie auf sich und sprechen Sie offen im Team miteinander.

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