Professionelle Krisenkommunikation: Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis [1. Aufl.] 978-3-658-25428-5;978-3-658-25429-2

Ein Buch zur erfolgreichen Bewältigung von Krisen. Dieses Buch über Krisenkommunikation spricht Praktiker an, die in ihr

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German Pages XII, 264 [258] Year 2019

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Professionelle Krisenkommunikation: Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis [1. Aufl.]
 978-3-658-25428-5;978-3-658-25429-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Front Matter ....Pages 1-1
Reifegrade organisationaler Resilienz (Jens Washausen, Jana Meißner)....Pages 3-16
Die Zahnräder des Integralen Risikomanagements (Jens O. Meissner, Sheron Baumann)....Pages 17-43
Die Rolle der Unternehmenskommunikation im Integralen Risikomanagement (Jana Meißner)....Pages 45-54
Der Werkzeugkasten des Krisenmanagements (Joannis Koulalis, Christof Schäfer)....Pages 55-62
Einbindung der Krisenkommunikation ins Krisenmanagement (Jörg Brückner)....Pages 63-74
Front Matter ....Pages 75-75
Kommunikation braucht Haltung (Martin Brüning)....Pages 77-83
Das Gesicht der Krise (Bettina Kappe)....Pages 85-94
Risiko „Desinformation“ (Christiane Schulz, Marten Neelsen)....Pages 95-104
Digitaler Angriff auf die Reputation (Giovanni Bruno)....Pages 105-115
Der Datenschutzverstoß als Herausforderung für die Unternehmenskommunikation (Fabian Schmieder)....Pages 117-125
Akzeptiert durch die Krise (Ekkehard Seegers)....Pages 127-133
Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar (Lutz Schildmann)....Pages 135-149
Front Matter ....Pages 151-151
Grundwissen für Krisenkommunikatoren (Jana Meißner)....Pages 153-169
Krisenkommunikation im internationalen Kontext (Alexander Fink)....Pages 171-187
Strategische Krisenprävention (Tobias Müller, Sebastian Riedel)....Pages 189-199
Der Nutzen von Medientrainings für Krisenmanagement und Kommunikation (Bernhard Messer)....Pages 201-213
Medienanwälte – wie man sie richtig einsetzt (Ralf Höcker)....Pages 215-223
Krise und Public Affairs (Ekkehard Seegers)....Pages 225-233
Die Macht der Sprache (Annika Schach)....Pages 235-247
„Ich habe es im Fernsehen gesehen!“ (Wilfried Köpke)....Pages 249-261
Back Matter ....Pages 263-264

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Jana Meißner Annika Schach Hrsg.

Professionelle Krisenkommunikation Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis

Professionelle Krisenkommunikation

Jana Meißner · Annika Schach (Hrsg.)

Professionelle Krisenkommunikation Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis

Hrsg. Jana Meißner Meissner Communications Bönen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland

Annika Schach Hochschule Hannover Hannover, Niedersachsen, Deutschland

ISBN 978-3-658-25428-5 ISBN 978-3-658-25429-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Manuela Eckstein Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Glück ist unter anderem: zu begreifen, wie alles zusammenhängt.

Warum dieses Buch? Man sollte meinen, ein Meter Fachliteratur zur Krisenkommunikation reicht. Warum also noch 1,5 Zentimeter mehr? Ist nicht schon alles gesagt? Nein! Dieses Buch schlägt die Brücke zum integralen Risikomanagement, denn Krisenkommunikation ist kein eigenes Silo. Dieser Sammelband steht bildlich gesprochen mit einem Bein im Regal für Risiko-, Notfall- und Krisenmanager und mit dem anderen Bein bei der Krisenkommunikation-Fachliteratur. Das ist aktuell noch ein ganz schöner Spagat, doch wir sind fest entschlossen, die Regale zusammenzuschieben, denn im Ernstfall arbeiten Unternehmenslenker, Krisenmanager und Kommunikatoren schließlich in einem Team. Zum anderen gibt dieses Buch ungewohnt tiefe Einblicke, wie Krisenkommunikation in der Praxis „gemacht“ wird. Den Stempel „Top Secret“ haben wir in die unterste Schublade verbannt, zusammen mit der Mystifizierung. Stattdessen geben Unternehmensinsider und Berater ihr Krisenkommunikations-Know-how an Sie weiter – sowohl in methodischer Hinsicht als auch hinsichtlich der Bearbeitung ausgewählter Risiken der heutigen Zeit. Das wird Ihnen in Ihrem Alltag enorm weiterhelfen und sicherlich manchen Impuls auslösen. Was erwartet Sie? Sofern Sie zur Gruppe der Kommunikatoren gehören, betreten Sie im ersten Kapitel dieses Buches mit großer Wahrscheinlichkeit unbekanntes Terrain. Die Autoren sind Experten auf den Gebieten Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem, Business Continuity Management und Organisationale Resilienz. Stellen Sie sich einfach vor, Sie lernen „neue Kollegen“ aus einer Abteilung kennen, von der Sie gar nicht wussten, dass sie existiert. Diese Kollegen erzählen Ihnen von ihren Aufgaben und Herausforderungen. Ihnen zuzuhören, könnte anstrengen, aber wir versprechen Ihnen, Ihre Mühe wird belohnt. Glück ist – unter anderem – zu begreifen, wie alles zusammenhängt und beim integralen Risikomanagement hängt alles zusammen. Sie werden nach diesem Kapitel also zur Gruppe der Glücklichen gehören. Was wollen Sie mehr? V

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Vorwort

Im zweiten und dritten Kapitel werden Sie sich als Kommunikatoren heimischer fühlen. Es geht um die Professionalisierung der Krisenkommunikation. Dafür betreten Unternehmenslenker, Risikomanager und Krisenmanager hier mitunter Neuland. Die Autoren dieses Kapitels sind Kommunikationsexperten. Sie geben Handlungsempfehlungen zur Bearbeitung ausgewählter Risiken der heutigen Zeit, beleuchten relevante Erkenntnisse der Krisenkommunikationsforschung und vermitteln Ihnen methodische Kompetenzen, denn keine Krise ist wie die andere! Wem möchten wir danken? So ein Buch braucht Menschen, die gute Antworten auf die Fragen unserer Zeit haben und bereit sind, diese Antworten auch auf ein weißes Blatt Papier zu bringen. Danke, liebe Autoren! So ein Buch braucht aber auch Menschen, die einem den Rücken freihalten und den Frustrationsphasen mit Sanftmut und aufmunternden Worten begegnen. Danke, liebe Familien und Freunde. Danke für eure Unterstützung, ohne die dieses Buch nie entstanden wäre! Bönen Hannover im Januar 2019

Jana Meißner Annika Schach

Empfehlungen zur Handhabung des Buches

Liebe Leserinnen und Leser, dieser Sammelband ist ganzheitlich angelegt: Ein interdisziplinäres Autorenteam hat das Thema Krisenkommunikation aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und es in das große Ganze des integralen Risikomanagements eingebettet. Auch unsere Leserzielgruppen zeichnen sich durch ihre Diversität aus: Unternehmenslenker, Risikomanager, Krisenmanager und Kommunikatoren. Im Folgenden finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, einige Empfehlungen zur Handhabung dieses Buches. Teil I: Das große Ganze – Die Management-Systeme organisationaler Resilienz • Inhalte: Teil I stellt zunächst die vier Managementdisziplinen des integralen Risikomanagements im Kontext organisationaler Resilienz vor. Sodann beschreiben die Autoren die Rolle der Unternehmenskommunikation im integralen Risikomanagement. Die einzelnen Autorenbeiträge bauen aufeinander auf. • Schlagworte: Organisationale Resilienz, Integrales Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Business Continuity Management, Internes Kontrollsystem, klassisches Risikomanagement, Rolle der Unternehmenskommunikation im integralen Risikomanagement • Autoren: Die Autoren des ersten Teils sind Experten auf den Gebieten Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem, Business Continuity Management und Organisationale Resilienz. • Zielgruppen und Ziele: – Für Kommunikatoren: Der erste Teil dient Ihnen als Grundlage und zur Verdeutlichung der großen Zusammenhänge. Wenn Sie die Kapitel dieses Teils gelesen haben, wissen Sie, wo Ihre Disziplin im System des integralen Risikomanagements „angedockt“ ist und welche Rolle Sie einnehmen beziehungsweise einnehmen könnten. Sie erhalten das systematische Verständnis und ganz viel theoretisches Basiswissen.

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Empfehlungen zur Handhabung des Buches

– Für Krisenmanager, Risikomanager und Unternehmenslenker: Die Inhalte des ersten Teils sind Ihr tägliches Geschäft. Gleichwohl werden Sie Denkanstöße bekommen, sowohl hinsichtlich des Stellenwerts und der Einbindung der Unternehmenskommunikation als auch hinsichtlich der Weiterentwicklung des Reifegrades Ihrer bestehenden Managementsysteme im Kontext organisationaler Resilienz. Teil II: Der Ursprung allen Übels – Ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken der heutigen Zeit und Impulse für ihre Bearbeitung • Inhalte: Der zweite Teil betrachtet ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken, die eine große Herausforderung für die Abteilung Unternehmenskommunikation darstellen. Die Autoren in diesem Teil geben Ihnen Handlungsempfehlungen zur Bearbeitung. Die einzelnen Autorenbeiträge können unabhängig voneinander gelesen werden. • Schlagworte: Krisenkommunikation, Reputationsrisiken, Reputation-Reality-Gap, Risiko Desinformation, Social Bots, Gesicht der Krise, Akzeptanzkommunikation, Datenpannen • Autoren: Die Autoren des zweiten Kapitels sind Kommunikationsexperten aus Praxis, Wissenschaft und Lehre. • Zielgruppen und Ziele: – Für Kommunikatoren: Der zweite Teil sensibilisiert Sie für Risiken, die Sie als Unternehmenskommunikator (mit)verantworten. Ferner bekommen Sie Impulse und Handlungsempfehlungen zur Bearbeitung der aufgezeigten Risiken. – Für Krisenmanager, Risikomanager und Unternehmenslenker: Die hier aufgezeigten Risiken sind Ihnen nicht neu, mitunter aber deren Angang vonseiten der Unternehmenskommunikation. Wir sind davon überzeugt, dass Sie dieser Abteilung in Anbetracht der erörterten Risiken einen höheren Stellenwert beimessen und Ihre Schlussfolgerungen ziehen werden. Teil III: Gewusst wie – Inhaltliche, organisatorische und methodische Handlungsempfehlungen für Krisenkommunikatoren • Inhalte: Der dritte Teil gewährt einen tiefen Einblick, wie die Disziplin Krisenkommunikation professionell „gemacht“ wird. Die Autoren vermitteln inhaltliche, organisatorische und methodische Kompetenzen und binden auch relevante Erkenntnisse der Krisenkommunikationsforschung ein. • Schlagworte: Methodenkompetenzen, Internationale Krisenkommunikation, Medientrainings, Public Affairs, Medienrecht, Sprach-Analyse, Filmmanipulationen, Krisenkommunikationsforschung • Autoren: Die Autoren des dritten Teils sind ebenfalls Kommunikationsexperten aus Praxis, Wissenschaft und Lehre.

Empfehlungen zur Handhabung des Buches

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• Zielgruppen und Ziele: – Für Kommunikatoren: Der dritte Teil ist Ihre ureigene Profession. Die inhaltlichen, organisatorischen und methodischen Handlungsempfehlungen helfen Ihnen, Ihre Kompetenzen im Bereich der Krisenkommunikation aufzubauen und zu vertiefen. – Für Krisenmanager, Risikomanager und Unternehmenslenker: Wenn Sie wissen wollen, wie Ihre Kollegen aus der Unternehmenskommunikation in der Praxis arbeiten, dann sind Sie herzlich eingeladen, auch diesen Teil zu lesen. Die Kommunikatoren werden sich freuen, auf ein kompetentes Gegenüber zu treffen, auf Sie!

Inhaltsverzeichnis

Teil I Das große Ganze – Die Management-Systeme organisationaler Resilienz 1

Reifegrade organisationaler Resilienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Jens Washausen und Jana Meißner

2

Die Zahnräder des Integralen Risikomanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Jens O. Meissner und Sheron Baumann

3

Die Rolle der Unternehmenskommunikation im Integralen Risikomanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Jana Meißner

4

Der Werkzeugkasten des Krisenmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Joannis Koulalis und Christof Schäfer

5

Einbindung der Krisenkommunikation ins Krisenmanagement. . . . . . . . . . 63 Jörg Brückner

Teil II Der Ursprung allen Übels – Ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken der heutigen Zeit und Impulse für ihre Bearbeitung 6

Kommunikation braucht Haltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Martin Brüning

7

Das Gesicht der Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Bettina Kappe

8

Risiko „Desinformation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Christiane Schulz und Marten Neelsen

9

Digitaler Angriff auf die Reputation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Giovanni Bruno

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Inhaltsverzeichnis

10 Der Datenschutzverstoß als Herausforderung für die Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Fabian Schmieder 11 Akzeptiert durch die Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Ekkehard Seegers 12 Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Lutz Schildmann Teil III Gewusst wie – Inhaltliche, organisatorische und methodische Handlungsempfehlungen für Krisenkommunikatoren 13 Grundwissen für Krisenkommunikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Jana Meißner 14 Krisenkommunikation im internationalen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Alexander Fink 15 Strategische Krisenprävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Tobias Müller und Sebastian Riedel 16 Der Nutzen von Medientrainings für Krisenmanagement und Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Bernhard Messer 17 Medienanwälte – wie man sie richtig einsetzt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Ralf Höcker 18 Krise und Public Affairs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Ekkehard Seegers 19 Die Macht der Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Annika Schach 20 „Ich habe es im Fernsehen gesehen!“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Wilfried Köpke Zusammenfassende Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Teil I Das große Ganze – Die Management-Systeme organisationaler Resilienz

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Reifegrade organisationaler Resilienz Impulse für die Weiterentwicklung von Risikound Krisenmanagement-Systemen im Zeichen unternehmerischer Zukunftssicherung Jens Washausen und Jana Meißner

Zusammenfassung

Die Geschäftswelt dreht sich immer schneller. Sie ist komplexer, dynamischer und unvorhersehbarer denn je. Heute und in Zukunft kommt es darum mehr und mehr auf die Fähigkeit der Unternehmen an, mit Risiken, Widerständen, Krisen und Unbekanntem umgehen zu können. Diese Fähigkeit bezeichnen wir als organisationale Resilienz. Sie zu entwickeln und zu erhalten, ist eine hervorragende Form der Zukunftssicherung. In Kenntnis dessen erfüllen Krisen- und Risikomanagement-Systeme in Unternehmen bereits heute unverzichtbare und vitale Aufgaben. Dieser Beitrag beschreibt die Reifegrade organisationaler Resilienz. Die Autoren betrachten dabei insbesondere die exponierte Rolle und Reifegrade des Krisenmanagements, das sicherstellt, dass betroffene Unternehmen Ereignisse und Situationen bewältigen, aus denen ihnen nachhaltiger Schaden droht. Sie benennen Unzulänglichkeiten, leiten Konsequenzen ab und geben Impulse für die systemische Weiterentwicklung in Richtung Integrales Risikomanagement und organisationaler Resilienz im engeren Sinne. Die Ausführungen helfen insbesondere Führungskräften, die mit dem Aufbau und der Entwicklung von Management-Systemen betraut sind, die zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens beitragen. Dazu benennt der Beitrag auch die Meilensteine für eine entsprechende strategische Entscheidung des Unternehmens.

J. Washausen (*)  GEOS Germany GmbH, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] J. Meißner  Meissner Communications, Bönen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_1

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J. Washausen und J. Meißner

1.1 Organisationale Resilienz im weiteren Sinne 1.1.1 Klassisches Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und Business Continuity Management Jede unternehmerische Tätigkeit geht mit Risiken einher und mitunter manifestieren sich diese auch in handfesten Krisen. Um Risiken und ihre Auswirkungen zu managen, stehen den Unternehmen verschiedene Management-Systeme zur Verfügung (s. Abb. 1.1). Dazu gehören unter anderem das klassische Risikomanagement, das Notfall- und Krisenmanagement, das Interne Kontrollsystem und auch das Business Continuity Management. Diese vier Disziplinen erlangen in der unternehmerischen Praxis bereits in der Einzelbetrachtung sehr unterschiedliche Reifegrade. Es kommt auch vor, dass Unternehmen den Fokus auf ein einzelnes Management-System legen, zum Beispiel auf das Notfall- und Krisenmanagement, dieses dafür aber sehr umfassend ausgestalten. Mitunter existieren die vier Management-Systeme völlig losgelöst voneinander, in sogenannten „Silos“.

1.1.2 Integrales Risikomanagement Sind die einzelnen Management-Systeme – das klassische Risikomanagement, das Notfallund Krisenmanagement, das Interne Kontrollsystem und das Business Continuity Management – in einem System abgebildet, spricht man vom „Integralen Risikomanagement“

Abb. 1.1  Einzelne Management-Systeme

1  Reifegrade organisationaler Resilienz

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Abb. 1.2  Integrales Risikomanagement

(s. Abb. 1.2 und Kap. 2). In Kap. 2 werden die vier Managementdisziplinen einzeln vorgestellt. Das Integrale Risikomanagement erlangt für sich genommen bereits einen deutlich höheren Reifegrad als einzelne, getrennt voneinander bestehende Management-Systeme. Dieser Ansatz zielt darauf ab, trotz notwendiger Begriffsklarheit, keine Abgrenzung im Sinne von Insellösungen zu propagieren, sondern vielmehr ein gemeinsames Verständnis für Gefahren und Risiken aufzubauen (Bédé 2009, S. 23) und eine Verzahnung in einem Gesamtkontext zu unterstreichen (Bédé 2009, S. 7). In diesem hohen Reifegrad stellen Unternehmen sicher, dass das komplette Risikoportfolio bearbeitet ist und Wechselwirkungen, Eskalationsprozesse und Schnittstellen abgestimmt sind. Der Reifegrad darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine nachhaltige Schädigung durch eingetretene Risiken und ein vollständiges Scheitern des Unternehmens weiterhin nicht ausgeschlossen sind.

1.1.3 Organisationale Resilienz im engeren Sinne Unternehmen, die ihre Resilienz im Sinne von Krisenfestigkeit, Widerstandsfähigkeit und Zukunftssicherheit über das Integrale Risikomanagement hinaus steigern wollen, sollten sich darum mit dem Konzept der organisationalen Resilienz beschäftigen. Das Konzept macht den Umgang mit Gefahren, Risiken, Krisen und Unbekanntem zur Angelegenheit des gesamten Unternehmens (vgl. Abb. 1.3). Um die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens zu sichern, setzt die organisationale Resilienz auf die Mitwirkung unverzichtbarer Kräfte, nämlich die Mitarbeiter, und bettet diese Aufgabe in eine moderne Unternehmenskultur ein.

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J. Washausen und J. Meißner

Abb. 1.3  Organisationale Resilienz im engeren Sinne

1.1.4 Das Gesamt-Konzept Im weiteren Sinne verstanden (vgl. Abb. 1.4), umfasst die „Organisationale Resilienz im weiteren Sinne“ alle benannten Reifegrade: Angefangen mit den vier ManagementSystemen klassisches Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und Business Continuity Management über das Integrale Risikomanagement hin zur organisationalen Resilienz im engeren Sinne. u

Jeder Schritt auf dem Weg zu einem resilienteren Unternehmen ist im Sinne der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung ein richtiger.

1.2 Erfahrungen mit heutigen Krisenmanagement-Systemen In den Wirtschaftsunternehmen treffen wir heute unterschiedliche Ausprägungen von Krisenmanagement-Systemen an. Krisenmanagement-Systeme sind die Gesamtheit der Organisation und dokumentierten Verfahren, die eine Aufbau- und Ablauforganisation in die Lage versetzen sollen, krisenhafte Situationen, drohende oder bereits eingetretene Krisen erfolgreich zu bewältigen. Krisenmanagement-Systeme sind nur teilweise miteinander vergleichbar. Bei näherer Betrachtung ist schnell feststellbar, ob sie eigenen Erfahrungen und Anforderungen entsprungen, also „self-made“ sind, oder ob sie die Handschriften verschiedener Krisenmanagement-Berater erkennen lassen.

1  Reifegrade organisationaler Resilienz

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Abb. 1.4  Organisationale Resilienz im weiteren Sinne

In der Mittelfristperspektive von Unternehmen ergibt sich aus verschiedenen Anlässen immer häufiger das Erfordernis, das bestehende Krisenmanagement-System unter qualitativen Gesichtspunkten zu bewerten. Auch ist der von den Verantwortlichen geäußerte Wunsch nachvollziehbar, es nicht als eigenes System fortbestehen zu lassen, sondern es in andere, zum Beispiel das Qualitätsmanagement (ISO EN 9001) oder das Business Continuity Management (ISO EN 22301), zu integrieren. Das Verlangen nach Integration in ein übergeordnetes System ist sinnvoll, da hier die Darstellung von Prozessschnittstellen erheblich vereinfacht ist und fehlerhaft abgestimmte Prozesse sowie Lücken sofort auffallen. Insbesondere in der Lebensmittelindustrie ist diese Integration weit verbreitete Praxis. Nach wie vor besteht das Manko fort, dass es keine, im Rahmen einer Norm beschriebene Grundstruktur für ein Krisenmanagement-System gibt. Gleichwohl ist es für Inhaber, Vorstände und Geschäftsführer und natürlich auch Leiter von Krisenstäben wichtig, den eigenen Status quo hinsichtlich des bereits vorhandenen Krisenmanagement-Systems festzustellen und zu bestimmen, wo zusätzlicher Handlungs- und Optimierungsbedarf besteht. Dafür haben wir in unserer Beratungspraxis den Begriff der Reifegrade für Krisenmanagement-Systeme eingeführt.

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J. Washausen und J. Meißner

1.2.1 Kriterien für die Beurteilung der Reifegrade Kriterien für die Beurteilung des Reifegrades sind: • die Vollständigkeit der durchdeklinierten Risiko-Szenarien • das erreichte Niveau der Handlungsfähigkeit der Aufbau- und Ablauforganisation (Krisenstab) • und der Grad der Integration in Nachbarbereiche des betrieblichen Risikomanagements. In der betrieblichen Praxis ist es nur allzu logisch, dass wir auch heute noch Unternehmen antreffen, in denen das Krisenmanagement nur für wenige priorisierte Szenarien implementiert ist. Sinnvollerweise beziehen sich diese Szenarien in erster Linie auf das operative Geschäft des Unternehmens (Beispiele: Produktsicherheit, Produktrückruf, Produkterpressung) oder herausragende Bedrohungen (Beispiel: Kidnapping-Szenarien für Dienstreisende und Expatriates). Die Handlungsfähigkeit der Krisenstäbe wird bestimmt durch eigene Fallerfahrungen, Trainings, Übungen und Simulationen. Als wichtige Rahmenbedingung für die Handlungsfähigkeit sollten Geschäftsführungen und Leiter von Krisenstäben großen Wert auf eine möglichst geringe Fluktuation in der Besetzung der Krisenstabsfunktionen legen. Wenig entwickelte Krisenmanagement-Systeme sind oft dadurch gekennzeichnet, dass Schnittstellen- und Eskalationsprozesse nicht oder nur ungenau abgestimmt sind. Das größte Manko besteht häufig im vollkommenen Fehlen eines in das Krisenmanagement integrierten Krisenkommunikationskonzepts. Zwingende Voraussetzung für das Erreichen des Reifegrades „Integriertes Risikomanagement-System“ ist die organische Integration der Kommunikation.

1.2.2 Reifegrade von Systemen im Überblick Reifegrad „0“: In Sachen Krisenmanagement-System „völlig unbeleckt“ Der Reifegrad „0“ heißt: Es existiert weder ein Risikomanagement noch eine Krisenmanagement-Organisation, und die Unternehmenskommunikation agiert hinsichtlich der Bearbeitung von Risiken isoliert in ihrem Silo. Das Unternehmen ist, um es umgangssprachlich zu sagen, hinsichtlich eines Krisenmanagement-Systems „völlig unbeleckt“. Der so bezeichnete Zustand stellt keine Qualität dar und ist für sich genommen ein erhebliches zusätzliches Risiko für ein Unternehmen. Auch die rechtliche Würdigung dieser Situation wird immer zur Einschätzung führen, dass hier ein tatsächliches, nachweisbares Organisationsverschulden des Vorstands oder der Geschäftsführung vorliegt. Beim Reifegrad „0“ besteht also dringender Handlungsbedarf.

1  Reifegrade organisationaler Resilienz

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Handlungsempfehlung

• Führen Sie ein Risk Assessment durch und betrachten Sie hierbei auch die Risiken der Abteilung Unternehmenskommunikation. • Erstellen Sie im Ergebnis für das Unternehmen eine Crisis Management Policy (CMP). Regeln Sie in der CMP Ziele und Mandat Ihrer Krisenmanagement-Organisation, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten und in welchen methodischen Schritten das System und die Organisation zu entwickeln sind.

Reifegrad „1“: Selektives Krisenmanagement vorhanden, aber unerfahrene und ungeübte Leute Ein Krisenmanagement-System des Reifegrades „1“ heißt, dass ein selektives Krisenmanagement vorhanden ist, häufig in Form von Krisenmanagement-Handbüchern. Gleichwohl sind die Verantwortlichen aber unerfahren und ungeübt. Der Reifegrad „1“ ist die erste Qualitätsstufe, die jedoch nur einen geringen Wert in Bezug auf eine ganzheitliche Risikovorsorge hat. Dieser Reifegrad ist dadurch gekennzeichnet, dass sich das Unternehmen bereits eine Krisenmanagement-Strategie gegeben hat, Verfahren und Methoden für die Bewältigung einzelner Szenarien definiert wurden und die Zuständigkeit einer eigenen Krisenmanagement-Organisation übertragen wurde. In diesem niedrigen Reifegrad hat die Abteilung Unternehmenskommunikation erstmals Berührung mit der Thematik Krisenmanagement, benennt Ansprechpartner, stellt relevante Verteilerlisten zur Verfügung und beschäftigt sich mit den definierten Szenarien. Das Erreichen des Reifegrades „1“ ist ein erster richtiger Schritt und kann dazu geeignet sein, erste Erfahrungen mit dem System zu sammeln und sich zu vergewissern, dass sich das Unternehmen für das passende System entschieden hat. Handlungsempfehlung

• Verbleiben Sie möglichst nur kurze Zeit im Reifegrad „1“, denn die Gefahr, dass das Unternehmen mit einem bisher nicht geregelten Risiko konfrontiert wird und ein ungeübter Krisenstab an diesem scheitert, ist nicht unerheblich. • Ergänzen Sie den unfertigen Status Ihres Krisenmanagements gegebenenfalls durch die zusätzliche Abdeckung von Risiken durch Versicherungslösungen oder die garantierte Verfügbarkeit eines zu Ihnen passenden, erfahrenen Krisenberaters.

Reifegrad „2“: Selektives Krisenmanagement mit einer in wenigen Szenarien erfahrenen Organisation Mit dem Reifegrad „2“ erreicht das Unternehmen erstmalig eine akzeptable Qualität. Hier verfügt das Unternehmen über Krisenmanagement-Verfahren für ­ausgewählte

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J. Washausen und J. Meißner

Szenarien und einen im Hinblick auf diese ausgewählten Szenarien bereits gut ausgebildeten, möglicherweise auch fallerfahrenen Krisenstab. Die Abteilung Unternehmenskommunikation hat auf Basis der ausgewählten Szenarien ebenfalls erste Verfahrensweisen der Krisenkommunikation definiert – möglicherweise in einem ersten, rudimentär ausgearbeiteten Krisenkommunikationshandbuch. Das Risiko einer nachhaltigen Schädigung des Unternehmens durch ein Krisenszenario wird durch einen gut trainierten bzw. fallerfahrenen Krisenstab entscheidend gesenkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Krisenstab auch die Fähigkeit besitzt, die im System bisher nicht geregelten Szenarien zu bewältigen, ist noch nicht hoch. Sie nimmt aber deutlich zu, wenn gut ausgebildete Krisenmanagement-Teams die psychische Stabilität entwickeln, mit dem besonderen Stress sich zuspitzender, krisenhafter Situationen klarzukommen. Handlungsempfehlung

• Verordnen Sie Ihrer Krisenmanagement-Organisation im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses gut portionierte Aufgaben zur Vervollständigung der Verfahren und Methoden für noch fehlende Szenarien. Das kann gut kombiniert werden mit den Drehbüchern für die Simulationen und Trainings in den Folgejahren. • Scheuen Sie sich nicht, Mitglieder Ihres Krisenstabs, die in der Entwicklung der persönlichen Stabilität und Handlungsfähigkeit hinter denen der Kollegen zurückbleiben, auszutauschen.

Reifegrad „3“: Weitgehend vollständiges Krisenmanagement, aber wenig echte Fallerfahrung und keine erwartbaren Fähigkeiten im Umgang mit bisher nicht bearbeiteten Risiko-Szenarien Der Reifegrad „3“ ist gekennzeichnet durch weitgehend vollständig durchgearbeitete Risiko-Szenarien, mit einem guten Detaillierungsgrad bezüglich der empfohlenen Vorgehensweise. Der hier geforderte Detaillierungsgrad ist erstrangig zu erreichen durch gute Checklisten. Sie stellen im Wesentlichen sicher, dass ein unerfahrener Krisenstab bei aller psychischen Belastung trotzdem die richtigen Fragen stellt und zu den richtigen Entscheidungen kommt. Auch die Unternehmenskommunikation hat im Reifegrad „3“ ein detailliertes Krisenkommunikationshandbuch mit relevanten Checklisten ausgearbeitet. Trotz des Erreichens dieses Reifegrades besteht nur eine geringe Kompetenz des Krisenstabs hinsichtlich nicht bearbeiteter Risiko-Szenarien und er hat wenig Erfahrung im Rahmen echter Krisenereignisse. Möglicherweise muss in diesem Reifegrad auch eine geringe Übungserfahrung hinsichtlich der ausgearbeiteten Szenarien festgestellt werden. Sie könnte daher rühren, dass es nicht gelungen ist, Kontinuität in der Besetzung der Rollen zu erreichen oder dass versäumt wurde, die Stellvertreter auszubilden. Wenig

1  Reifegrade organisationaler Resilienz

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Effekt für die Handlungsfähigkeit des Krisenteams haben erfahrungsgemäß in Eigenregie entwickelte Krisenübungen auf niedrigem Anspruchsniveau. Handlungsempfehlung

• Konzentrieren Sie sich in der Weiterentwicklung Ihres Krisenmanagement-Systems auf das Teambuilding und die Stabilisierung des Krisenstabs in Simulationen mit wechselnden Szenarien. Erhöhen Sie dabei kontinuierlich den Stressfaktor. • Legen Sie Wert auf die Teilnahme der Stellvertreter an den Ausbildungsmaßnahmen. Lassen Sie diese nicht im Hintergrund mitlaufen, sondern immer wieder auch in verantwortlicher Funktion handeln.

Reifegrad „4“: Weitgehend vollständiges Krisenmanagement, weitgehend vollständige Szenarien und eine erfahrene und handlungsfähige Organisation Im Reifegrad „4“ hat das Unternehmen bereits eine sehr weit fortgeschrittene Qualitätsstufe erreicht. Plakativ gesprochen: In diesem Reifegrad stehen Sie an der Türschwelle zum „Save Heaven“. Den Schlüssel für die Tür erhalten Sie allerdings erst in Reifegrad „5“. Mit dem Reifegrad „4“ ist eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Unternehmen in krisenhaften Situationen oder bei drohenden Unternehmenskrisen keinen nachhaltigen Schaden erleidet. Sind sich die Führungskräfte dessen bewusst, stellt allein diese Tatsache – Selbstbewusstsein gepaart mit Eloquenz – einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die weitere Entwicklung des Unternehmens dar. Unternehmen, die diesen Reifegrad erreicht haben, haben zudem erkannt, dass der Professionalisierungsgrad der Krisenkommunikation aufgrund veränderter Medien- und Kommunikationslandschaften maßgeblich über den Verlauf der Krise mitentscheidet. Der Unternehmenskommunikator sitzt hier längst nicht mehr „am Katzentisch“, sondern hat seinen festen Platz im Krisenstab, bestenfalls unmittelbar neben dem Krisenstabsleiter. Möglicherweise ist hier die Krisenkommunikationsarbeit bereits strukturell in die Krisenmanagement-Regelkreis-Methodik eingebunden, verbunden mit der Implementierung digitaler Kommunikationslösungen (siehe dazu auch den Beitrag von Jörg Brückner in Kap. 5). Gleichwohl ist der Reifegrad „4“ auch keine Garantie dafür, in bisher nicht erwarteten Szenarien oder wegen besonders widriger Umstände, nicht trotzdem erheblich geschädigt zu werden. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass auch Krisenmanagement-Systeme – wie andere Managementsysteme im Übrigen auch – im Verlauf ihrer kontinuierlichen Vervollständigung ein Masseproblem entwickeln. Die Komplexität des Systems erreicht ein Ausmaß, das möglicherweise die Handlungsfähigkeit der Organisation beeinträchtigt.

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J. Washausen und J. Meißner

Handlungsempfehlung

• Nutzen Sie die von Ihrem Krisenstab erreichte Kompetenz- und Handlungsfähigkeit dazu, den Detaillierungsgrad des Managementsystems deutlich zu verringern. Konzentrieren beziehungsweise beschränken Sie sich auf universelle und generalistische Methoden und Verfahren. • Vergewissern Sie sich, dass die erreichte Qualität der Handlungsfähigkeit des Krisenstabs in der Tat so gut ist, dass Sie auf einen großen Teil der szenariobezogenen Dokumentationen verzichten können.

Reifegrad „5“: Weitgehende Methodenkompetenz im Management krisenhafter Szenarien Mit dem Reifegrad „5“ erreichen Management-Systeme ein bereits sehr hohes Qualitätslevel. Das System ist charakterisiert durch die Kontextualisierung des Krisenmanagements als organischer Bestandteil des Integralen Risikomanagements. Das Integrale Risikomanagement verzahnt die Bausteine klassisches Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, das Interne Kontrollsystem und das Business Continuity Management miteinander (siehe dazu auch den Beitrag von Jens O. Meissner und Sheron Baumann, Kap. 2). Mit dem Integralen Risikomanagement haben Unternehmen sichergestellt, dass das komplette Risikoportfolio bearbeitet ist und Wechselwirkungen, Eskalationsprozesse und Schnittstellen abgestimmt sind. Das mittlerweile vielseitig trainierte und fallerfahrene Krisenmanagement-Team entwickelt in diesem Kontext eine hohe Methodenkompetenz und ist ein zuverlässiger Garant für erfolgreiches Krisenmanagement unter fast beliebigen Bedingungen. Mit der Einbindung der Unternehmenskommunikation ins Integrale Risikomanagement erhält die Abteilung im Übrigen erstmals eine Querschnittsfunktion. In dieser Funktion bringt sie nicht nur die von ihr verantworteten Risiken zur Bearbeitung ins System ein und ermöglicht deren Steuerung (Risikominimierung und Risikovermeidung). Aufgrund der mit dem Integralen Risikomanagement einhergehenden Transparenz identifizierter Risiken kann sie ihre Professionen nun auch im Rahmen der Bearbeitung abteilungsfremder Risiken zu einem sehr frühen Zeitpunkt einbringen (siehe dazu auch den Beitrag von Jana Meißner in Kap. 3). Um ein Beispiel zu nennen: Mit einem ausgereiften Konzept zur Akzeptanzkommunikation kann das Risiko des Scheiterns von Großprojekten deutlich minimiert, wenn nicht sogar vermieden werden (siehe dazu auch den Beitrag von Lutz Schildmann in Kap. 12). Im Reifegrad „5“ hat die Organisation eine sehr hohe Stabilität und „Relaxedheit“ bei der Abwehr von Gefährdungen und Bedrohungen entwickelt. Der Aufwand, ein solches System zu implementieren, sowie funktions- und handlungsfähig zu halten, ist allerdings nicht unerheblich. Aber der Aufwand lohnt! Er ist ein entscheidender Schritt zur Minimierung der relevanten Risiken. Das System ist im Ganzen sensibilisierter: Aufgrund des hohen Reifegrades des Integralen Risikomanagements verringern sich die zu erwartenden Schäden und die Eintrittswahrscheinlichkeiten. Erstmals wird das Thema Prävention

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abgebildet (Stichwort: Risikosteuerung) und auch die Interaktionsrisiken sind eliminiert, weil die „Reibungshitze“ zwischen den einstigen Silos klassisches Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und Business Continuity Management weitgehend beseitigt ist. Handlungsempfehlung

• Mit dem Erreichen dieses Reifegrades wird es wichtiger denn je, sich sehr konsequent um die Aufrechterhaltung dieses Niveaus zu bemühen. Dies umso mehr, weil das Integrale Risikomanagement natürlich pausenlos Veränderungen unterliegt, denn alle Änderungen und Anpassungen in der Organisation und in den betrieblichen Prozessen des Unternehmens werden hier abgebildet.

1.2.3 Bewertung und Konsequenzen Der mit dem Reifegrad „5“ erreichte Status quo wird nur allzu leicht dazu verführen, sich mit dieser Qualität zufrieden zu geben. Es bestehen jedoch zwei entscheidende Unzulänglichkeiten fort: 1. Auch das Integrale Risikomanagement, mit einer gut ausgebildeten und fallerfahrenen Organisation, liegt fast ausschließlich im Zuständigkeitsbereich weniger Führungskräfte und ausgesuchter Spezialisten. Auch in dieser Ausprägung ist das Risikomanagement noch nicht Angelegenheit des gesamten Unternehmens, denn man verzichtet auf die Mitwirkung unverzichtbarer Kräfte, nämlich auf die Mitarbeiter. Hocheffektives und hochwirksames Integrales Risikomanagement wird es nur geben, wenn Mitwirkung gewünscht und gefördert wird. 2. Im Integralen Risikomanagement sind zwar die verschiedenen Risiko-Cluster, unter anderem auch das Krisenmanagement sowie angrenzende Funktionsbereiche, ineinander integriert, organisations- und verhaltensbedingte Risiken aber nicht ausgeräumt. Die Konsequenz ist, dass auch für Unternehmen mit diesem hoch entwickelten, modernen Risikomanagement eine nachhaltige Schädigung durch eingetretene Risiken und ein vollständiges Scheitern des Unternehmens nicht ausgeschlossen sind. Welche Konsequenzen sind daraus abzuleiten? 1. Das Integrale Risikomanagement muss in all seinen Aufgaben und Prozessen eine priorisierte Aufgabe für die Führungskräfte aller Ebenen sein, schließlich gibt es keine wichtigere Aufgabe, als die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens zu sichern. 2. Die Mitwirkung aller Mitarbeiter muss gewünscht, gefördert und gefordert werden. 3. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird nur gelingen, wenn sie in eine moderne Unternehmenskultur eingebettet wird.

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1.3 Der Weg der Resilienz Die Unzulänglichkeiten eines, wenn auch sehr leistungsfähigen, Integralen Risikomanagements auszugleichen, wird nur gelingen, wenn das System in ein Resilienz-Konzept eingebettet wird. Resilienz ist der empfehlenswerte Zustand eines Unternehmens. Empfehlenswert ist er, weil das Unternehmen hier die Fähigkeit entwickelt hat, mit Risiken, Widerständen, Krisen und Unbekanntem umzugehen und daraus Nutzen zu ziehen. Das ist ein entscheidender Beitrag zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens. Im Resilienz-Konzept sind Elemente enthalten, die mit dem Risiko- und Krisenmanagement bisher nicht unmittelbar in Verbindung standen. Im Kern geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. Diese sind umso wichtiger, als wir mithilfe der Resilienz drei Aufgaben zu erfüllen haben: Aufgabe 1: Mehr Sensitivität, mehr Transparenz, mehr Ehrlichkeit Organisationen benötigen dringend eine größere Transparenz, eine tolerante Fehlerkultur und eine bedingungslose Bereitschaft aller Beschäftigten, sich entwickelnde Probleme zu erkennen und diese ehrlich zu kommunizieren. Das Resilienz-Konzept führt zu mehr Transparenz: Fehler werden nicht versteckt. Außerdem führt das Konzept zu einer ehrlicheren Organisation, in der Fehler und Zustände, die korrigiert gehören, bearbeitet werden. Aufgabe 2: Wiederherstellung von Funktionsfähigkeit und Reputation des Unternehmens Festzustellen ist, dass der Worst Case grundsätzlich möglich ist und wir scheitern könnten. Darum müssen wir die Möglichkeiten einer resilienten Organisation dafür nutzen, dass es uns gelingt, nach einem scheinbar desaströsen Ereignis die Funktionsfähigkeit und Reputation des Unternehmens wiederherzustellen. Hauptmotivation, die Resilienz anzustreben, ist vor diesem Hintergrund zu wissen, dass Unternehmen nach dem „großen Knall“ auch „wieder aufstehen“ und „weiterlaufen“ müssen und es auch können. Dafür werden alle Beschäftigten gebraucht. Aufgabe 3: Zukunftsoptimismus Resiliente Unternehmen haben gelernt, mit Unbekanntem umzugehen und auch Desastern zu widerstehen. So stellen resiliente Unternehmen die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens sicher. Dies ist das Gegenteil von Fatalismus. Die Form von Zuversicht wird sich immer einstellen, wenn es gelingt, Führungskräfte und Belegschaft hinter einer für alle erstrebenswerten Vision zu versammeln. Damit werden Energien freigesetzt, die durch konventionelle Führungsmethoden eher blockiert werden.

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1.4 Ausblick und Handlungsempfehlungen Der Übergang vom Integralen Risikomanagement in eine organisationale Resilienz im engeren Sinne ermöglicht einen weiteren Qualitätssprung bei der Minimierung der Risikopotenziale und hat schon durch die enorme Veränderung der Unternehmenskultur erhebliche Wirkung auf die Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Sicherung der Stabilität und Funktionssicherheit des Unternehmens. u

Die Resilienz ist eine hervorragende Form der Zukunftssicherung.

Jeder Schritt auf dem Weg zur Resilienz ist ein hilfreicher. Wichtig ist die unternehmerische Entscheidung, den Weg überhaupt gehen zu wollen und das gesamte Unternehmen zu beteiligen. Führungskräfte, die mit dem Aufbau und der Entwicklung von Krisen- und Integralen Risikomanagement-Systemen betraut sind, können sich an den nachfolgenden Handlungsempfehlungen orientieren: • Geben Sie sich eine konstante Systematik für die Einschätzung der Reifegrade. Hauptsache, Sie haben überhaupt Reifegrade für sich definiert. • Schätzen Sie regelmäßig und ehrlich den Reifegrad Ihres Systems ein. • Lassen Sie einen neutralen Dritten drüberschauen. Messen Sie sich an einem Benchmark. • Wenn Sie ein besonders herausragendes Ereignis haben, docken Sie die Bearbeitung beim Prozess-Owner an, das heißt bei demjenigen, der vordergründig für das Risiko-Szenario zuständig ist. Streben Sie die Universalität an, dann bekommt den Auftrag die Person, die sich unter dem Aspekt der unternehmensweiten Integrität, Akzeptanz und Teamfähigkeit am besten dafür eignet. • Vermeiden Sie auf jeden Fall die Überforderung Ihrer Organisation durch überhöhte Komplexität und Unüberschaubarkeit. • Legen Sie Fragen der Didaktik und der Lehr- und Lernziele in einem Aus- und Weiterbildungsplan fest. • Geben Sie Ihrer Krisenmanagement-Organisation die Chance, Fähigkeiten zu entwickeln, indem Sie Zeit und Budget zur Verfügung stellen. • Verzichten Sie auf kompromittierende Überprüfungsübungen. • Legen Sie besonderen Wert auf die Detailabstimmung aller Eskalationsprozesse. • Besondere Priorität haben Querschnittsthemen der Organisation, zum Beispiel die Risiko- und Krisenkommunikation. • Stellen Sie Ihr System regelmäßig infrage und testen Sie Ihre Handlungsfähigkeit. • Verzichten Sie nach einem kritischen Ereignis keinesfalls auf ein Debriefing. • Wenn Sie sich strategisch für ein Resilienz-Konzept entschieden haben, starten Sie mit einer vorbehaltlosen Einschätzung der Qualität und Handlungsfähigkeit Ihres Krisen- oder Integralen Risikomanagement-Systems.

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Literatur Bédé, Axel. 2009. Notfall- und Krisenmanagement im Unternehmen, 1. Aufl. Stuttgart: Steinbeis-Ed (Transfer-Dokumentation-Report: Vertiefungsrichtung).

© Fotostudio Menke Bonn

Ing.-Oec. Jens Washausen  ist Managing Director der GEOS Germany GmbH in Bonn. Als Teil der weltweiten Organisation GEOS Group ist das Beratungsunternehmen spezialisiert auf das Krisenund Security-Management von mittelständischen Unternehmen und Konzernen. Washausen ist gefragter Berater mit langjähriger nationaler und internationaler Krisenmanagement-Erfahrung. Eine besondere Expertise besitzt der Wirtschaftsingenieur im Design von Krisenmanagement-Prozessen und der Ausgestaltung der Aufbauund Ablauforganisation für KRITIS-Betreiber und Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Neben seiner Geschäftsführungs- und Beratertätigkeit ist er unter anderem Vorstandsmitglied im Bundesverband unabhängiger deutscher Sicherheitsberater und -Ingenieure e. V. und Jury-Vorsitzender des „Security Innovation Awards“ der Security Messe Essen. Washausen schreibt und referiert regelmäßig zu innovativen Themen des Krisenmanagements und der Unternehmenssicherheit. Jana Meißner  ist Juristin und selbstständige Beraterin, spezialisiert auf die Integration der Kommunikation in die Management-Systeme Organisationale Resilienz, Integrales Risikomanagement sowie Risiko-, Notfall- und Krisenmanagement. Gemeinsam mit ihrem interdisziplinären Team unterstützt und befähigt sie Mitarbeiter in Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen bei der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung entsprechender Konzepte, Management-Systeme und Kommunikationsstrukturen. Vor ihrer Selbstständigkeit sammelte Meißner zwölf Jahre lang Krisenmanagement- und Krisenkommunikationserfahrung als Pressesprecherin bei der Koelnmesse und der Warsteiner Gruppe, zuletzt als stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation. Sie ist heute – neben ihrer Beratertätigkeit – Autorin im Springer Gabler Verlag sowie Lehrbeauftragte der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld und Köln und der Europäischen Medien- und Business-Akademie in Düsseldorf.

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Die Zahnräder des Integralen Risikomanagements Integrations- und Spannungsfelder der Managementdisziplinen Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und Business Continuity Management Jens O. Meissner und Sheron Baumann Zusammenfassung

Aufgrund der heute bestehenden kurz- und mittelfristigen unternehmerischen Unsicherheiten und regulatorischen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass die Anforderungen an die Unternehmensführung auch im deutschsprachigen Raum steigen werden. Das heißt, dass ein durchdachtes, angemessenes Risikomanagement nicht nur in Großunternehmen ein wichtiges Führungsinstrument bleibt, sondern selbst für erfolgreiche kleine und mittlere Unternehmen unerlässlich wird. Hier gilt es, von Beginn an mögliches Synergiepotenzial mit anderen Managementsystemen wie dem Internen Kontrollsystem, dem Business Continuity Management und beschränkt auch mit dem Krisenmanagement zu nutzen und Insellösungen insbesondere aus Effizienzgründen zu vermeiden. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, die in diesen Bereichen meist nur auf minimale Personal-, Finanz- und Zeit-Ressourcen zurückgreifen können, ist das Ausnutzen solcher Synergien sehr wichtig, wenn nicht sogar existenziell notwendig. Dieser Beitrag beschreibt zuerst einzeln die vier Managementdisziplinen Notfall- und Krisenmanagement, Risikomanagement, Internes Kontrollsystem sowie Business Continuity Management, um danach aufzuzeigen, wo sich ihre Synergiepotenziale befinden, die zum Aufbau eines

J. O. Meissner (*) · S. Baumann  Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR, Hochschule Luzern – Wirtschaft, Luzern, Schweiz E-Mail: [email protected] S. Baumann E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_2

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Integralen Risikomanagements genutzt werden können. Er dient insbesondere den Kommunikatoren als Grundlage und verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen den vier Management-Disziplinen. Die Autoren regen zudem an, der Kommunikation einen bedeutenderen Stellenwert im Integralen Risikomanagement zu geben.

2.1 Einleitung Seit jeher wägen Menschen Risiken und Chancen gegeneinander ab. Mit jeder weiteren Entwicklung, Entdeckung oder Erkundung – von den Gebietserweiterungen der altertümlichen Stämme bis zur Digitalisierung moderner Geschäftsmodelle – ist die Risikoabwägung ein essenzieller Bestandteil der Überlegungen. Risiken sind aber nicht so sexy wie Chancen. Risiken sind das, wovor man gern die Augen schließt. Das, was zu managen viel Geld und Aufwand kostet. Ressourcen, die doch besser zum Erreichen strategischer Chancen investiert wären. So befindet sich das unternehmensweite Risikomanagement in der Regel in einem Konkurrenzkampf mit der Unternehmensentwicklung. Diese benötigt zwar für strategische Analysen ebenfalls Risikoinformationen, dennoch wird aber lieber strategisch und kommunikativ auf die Chancen fokussiert, als mit zu vielen Risiken schwarz zu malen. Dabei hat modernes Risikomanagement doch den Anspruch, ein strategisches Führungsinstrument zu sein, das Werte für das Unternehmen schafft (Hunziker und Meissner 2018, S. VII). So gelebt, ist ein modernes Risikomanagement ein „Business Enabler“ (Hunziker 2018, S. 26). Allerdings ist Risikomanagement auch nicht gleich Risikomanagement. Mittlerweile hat sich eine komplette Industrie herausgeschält, die sich um das Risikomanagement für verschiedenste Organisationsformen und Branchen herum entwickelt hat. Darunter fallen informatikgestützte Branchenlösungen im Rahmen eines Enterprise Ressource Management Systems, die alle Kernprozesse, die zur Führung eines Unternehmens notwendig sind, zu einem einzigen System integrieren. Auch die Entwicklung kollektiver Risikomanagement-Tools und die Verfeinerung der Managementtechniken um die Risikoverwaltung herum gehören dazu. Fraglich ist dabei immer: Wo fängt die Arbeit der Risikomanagerinnen und -manager an, wo hört sie auf und wer sollte am Prozess beteiligt werden? Beteiligte Bereiche und Abteilungen sollten nicht nur aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz ausgewählt werden. Schließlich steht das unternehmerische Risiko in der Regel nicht direkt in Relation zur „wirtschaftlichen Bedeutung“ eines Unternehmensbereichs (Hunziker 2018, S. 2). So spielen zum Beispiel auch Kommunikatoren eine entscheidende Rolle im Rahmen des Integralen Risikomanagements. Sie müssen mitdenken und mitarbeiten können. Im Kontrast zu der oft kleinen Bedeutung des Unternehmensbereichs „Unternehmenskommunikation“ muss dieser oft sehr schwerwiegenden Konsequenzen in Form von strategischen Risiken für die Reputation entgegenwirken. In der zunehmend differenzierten Wirklichkeit der heutigen Organisationen ist festzustellen, dass die gestiegene Komplexität in der Umwelt von Unternehmen und

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I­nstitutionen aller Art ebenso zu einer erhöhten Binnendifferenzierung führt (RüeggStürm und Grand 2017, S. 152 ff.). Ein solcher Komplexitätsanstieg im Innern bleibt nicht folgenlos, da sich Bearbeitungsformen ausprägen müssen, die – wenn schon nicht zu einer perfekten, so doch zumindest zu einer sinnhaften – Verarbeitung der Informations- und Entscheidungsnotwendigkeiten führen müssen. Das bedeutet ganz praktisch, dass sich in einzelnen Organisationsbereichen zwangsläufig lokale Rationalitäten ausprägen, nach denen entschieden und gehandelt wird. Dieser Trend ist unaufhaltbar, solange die Komplexität der Umwelt weiter zunimmt. Bisher ist das eine irreversible Entwicklung und es ist anzunehmen, dass dies vorerst so bleibt. Lokale Rationalitäten führen zu Silo-Lösungen, also Lösungen, die in einem Unternehmensbereich aufgebaut und betrieben werden, im anderen oder den anderen jedoch nicht. Insbesondere durch die weite Verbreitung divisionaler Unternehmensstrukturen und tendenziell zu schwach positionierter Zentralbereiche wird diese Entwicklung, die auch die Unternehmenskommunikation betreffen kann, begünstigt. Resultat ist dann ein sprichwörtliches Flickwerk an Managementlösungen, die zwischen Zentrale und Teilbereichen von Organisationen und zwischen den vielfältigsten Funktionen aufgespannt und untereinander abgegrenzt werden. Das Risikomanagement ist in besonderer Weise von dieser Fragmentierung betroffen. Nebst der eingangs erwähnten Dominanz der Chancen in strategischen Betrachtungen und der Kommunikation tun sich weitere Bruchstellen auf: • Zum ersten zum Kontinuitätsmanagement (im Folgenden auch englisch mit Business Continuity Management, kurz: BCM, bezeichnet), da dieses BCM eigene Pläne und Vorgaben zum Aufrechterhalten der Operationsfähigkeit der Organisation bereithält. • Zum zweiten zum Krisenmanagement, da dies Informationen und Methoden zur Krisenbewältigung vorhält. Die akute Bewältigung einer Krise ist ein konkreter Schritt zur Risikobewältigung, also auch hier eine Verbindungsstelle, die aber in Organisationen häufig sehr verwahrlost wird. • Und zum dritten zum Internen Kontrollsystem (IKS), da dies einen präventiven Charakter hat, der das Eintreten bestimmter Risiken vermeiden oder zumindest ihre Auswirkungen vermindern soll. Ganz wesentliche Ansätze im Risikomanagement setzen auf dem grundlegenden IKS einer Organisation auf, um einen unternehmensweiten Managementüberbau zum „Enterprise Risk Management“ zu ermöglichen (Hunziker und Meissner 2017, S. VII ff.). Dieser Zugang begünstigt aber die Controlling-Perspektive auf die Unternehmung und ignoriert die Vorteile einer Sichtweise von der Basis (eher BCM) oder von der Ereignisfallbewältigung her (eher Krisenmanagement). Nicht Nahtstellen, sondern Schnittstellen und das Managen derselben stehen also an der Tagesordnung. Und dies mit dem Ergebnis, dass Unternehmen über diese Optimierungen hinaus den übergeordneten Zweck der Managementlösung aus dem Blick verlieren: Das Anstreben eines sinnhaften Ganzen, das Anstreben eines effizienten Integralen Risikomanagements. Ziel der meisten Unternehmen ist es, beim Aufbau eines

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­ isikomanagements das Beste aller Welten zu verbinden. Dieser ganzheitlich orientierte R Ansatz wird „Integrales Risikomanagement“ genannt und versucht, die bestehenden Strukturen, Ressourcen und Prozesse miteinander nach einer Nahtstellenlogik zu verknüpfen, anstatt sich in peniblen Begriffsdefinitionen zu verlieren. Im Folgenden bleiben wir beim Begriff des Integralen Risikomanagements. Er schließt eine ganzheitliche Perspektive mit ein, fokussiert aber nicht auf die informelleren Aspekte eines ganzheitlichen Risikomanagements, wie beispielswiese die Risiko- und Sicherheitskultur. In diesem Beitrag beschreiben wir die vier Felder – Business Continuity Management, Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und das klassische Risikomanagement –, um anschließend die verschiedenen Schnitt-/Nahtstellen für ein Integrales Risikomanagement zu erläutern. Sicher braucht es eine gelingende Kommunikation für einen sinnhaften Gesamtansatz – nur: Wie konkret soll der aussehen? Und wie sollen die Entscheidungsträger in der Unternehmenskommunikation agieren bzw. welche Nahtstellen sollen sie wie berücksichtigen? Diese Frage ist die organisierende des Beitrags und wird im letzten Teil beantwortet. Losgelöst von der Frage nach der genauen Ausgestaltung eines Integralen Risikomanagementansatzes ist klar, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kommunikators beim Aufbau eine wichtige Rolle spielen. Hierzu sind im Beitrag von Jana Meißner mit dem Titel „Die Rolle der Unternehmenskommunikation im Integralen Risikomanagement“ (s. Kap. 3) wichtige Erkenntnisse zusammengefasst.

2.2 Vier Managementdisziplinen als Ausgangspunkt Die Ko-Existenz der vier Managementdisziplinen Business Continuity Management, Krisenmanagement, Internes Kontrollsystem und klassisches Risikomanagement macht es möglich, Nahtstellen zu erkennen und systematisch zu managen (s. Abb. 2.1).

2.2.1 Notfall- und Krisenmanagement (KM) Grundlagen u Ziel des Notfall- und Krisenmanagements Das Ziel des Notfall- und Krisenmanagements besteht darin, ein Unternehmen auf das Eintreten einer Krise vorzubereiten, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen und Krisenpläne zu erstellen, um das Ausmaß und die Dauer eines Ereignisses so gut wie möglich zu reduzieren. Somit steht das Notfall- und Krisenmanagement in engem Zusammenhang mit dem Business Continuity Management (s. Abschn. 2.2.4), ist ereignisfokussiert und tritt beim Eintreffen eines als Krise definierten Ereignisses sofort in Kraft (s. Abb. 2.2). Das Notfall- und Krisenmanagement spricht eine sehr breite Palette von internen und externen verschärften Notfällen an, die größtenteils intern bewältigt werden können.

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Abb. 2.1  Die vier Säulen des Integralen Risikomanagements

Abb. 2.2  Das Notfall- und Krisenmanagement

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u Definition Notfall  Notfälle umfassen eher kurzfristige Ereignisse, welche sich zu länger andauernden Krisen zuspitzen können. u Definition Krise  Eine Krise beschreibt ein meistens einmaliges Ereignis, das mit der normalen Ablauf- und Aufbauorganisation nicht mehr gelöst werden kann und von einem Krisenmanagement übernommen werden muss, weil die Existenz des Unternehmens oder die Gesundheit von Mitarbeitern gefährdet ist. Der enge Zusammenhang zwischen Notfall und Krise macht eine gemeinsame Betrachtung und im Sinne eines Integralen Risikomanagements auch deren Integration sinnvoll. Beispiel: Der Diesel- und Abgasskandal

Der sich seit 2015 immer noch ausweitende Diesel- und Abgasskandal um den Volkswagenkonzern zeigt, wie wichtig ein funktionierendes Notfall- und Krisenmanagement ist. Was als Notfall – die Aufdeckung der Umgehung von Abgasvorschriften mit Hilfe von illegalen Motorsteuerungen – begann, entwickelte sich zu einer länger andauernden Krise. Sie besteht auch nach der Beseitigung der Gründe für den Notfall weiter und stellt weiterhin ein Risiko für die Reputation bestimmter ­Autohersteller dar. Notfälle und Krisen können selbst verschuldet sein, von außen kommen oder durch Naturgefahren, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst werden. Krisen betreffen dabei meistens nicht nur den operationellen Teil des Unternehmens, sondern umfassen auch Wirtschaftskrisen, Führungskrisen, Liquiditätskrisen, Betrug, Erpressung, Missbrauch etc. Sie können ein Unternehmen in eine Schieflage bringen und müssen mithilfe eines Krisenmanagements gelöst werden (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI] 2008, S. 5). Da das Notfall- und Krisenmanagement eine Struktur für das Bewältigen von nicht beeinflussbaren Restrisiken bieten soll, mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit so gut wie möglich aufrecht zu erhalten und die kritischen Prozesse so schnell wie möglich wieder zu starten, müssen alle von solchen möglichen Ereignissen betroffenen Stellen und Funktionen im sogenannten Krisenstab zusammengefasst werden. Durch Aktivierung des Krisenstabs, der sich in einem eigens vorgesehen Raum versammelt, beginnt die Krisenbewältigung. Grundvoraussetzung für eine gelingende Krisenbewältigung sind funktionierende Kommunikations- und Informationsverbindungen. Der Stab führt kontinuierlich Lagefeststellungen und Lagebeurteilungen durch, um die nötigen Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen, die dann auf zeitgemäße Umsetzung und Effizienz überprüft werden. Die Informationen für die Lagefeststellung sind teilweise Bestandteil der Notfalldokumentation (Lagepläne, Anlagepläne, Gebäudepläne) und bestehen andererseits aus Meldungen der Mitarbeiter oder externer

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Quellen (Polizei, Medien). Das Lagebild wird kontinuierlich aktualisiert und erfasst Zeit, Ort, Schadenereignis, Maßnahmen und Reaktionsmöglichkeiten. Gleichzeitig werden die gesteckten Ziele unter Einbezug der möglichen Optionen beurteilt. Die Kontrolle prüft schließlich, ob die gefällten Entscheidungen die Mitarbeiter erreicht haben, ob diese umgesetzt wurden und welchen Stand die Maßnahmen haben (Bundesamt für Bevölkerungsschutz [BABS], Schweiz 2015, S. 31–33). Für den Aufbau eines Notfallmanagement-Prozesses ist ein systematisches Vorgehen zentral. Der Ablauf besteht im Wesentlichen aus der Initiierung des Notfallmanagements, der Konzeption, der Umsetzung des Notfallkonzepts, der Notfallbewältigung, Tests und Übungen sowie der Aufrechterhaltung und Verbesserung des Notfallmanagement-Systems (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI] 2008, S. 10). Das Notfallmanagement muss von der Führungsebene des Unternehmens initiiert, kontrolliert und gesteuert werden und diese muss sich aktiv mit dessen Notwendigkeit auseinandersetzen. Während die ganze Führungsebene dafür sorgt, dass die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden, sollte eines der Führungsmitglieder als Verantwortlicher bestimmt werden und sicherstellen, dass ein Notfallmanagement etabliert und aufgebaut wird. Der nächste Schritt eines Notfallmanagements ist die Festlegung der Ziele, des Geltungsbereichs, der Rahmenbedingungen und der Strategie. Dazu gehört die klare Definition, welche Aufgaben und Kompetenzen Teil des Notfallmanagements sind. Des Weiteren sind alle relevanten Vorschriften, Gesetze und Richtlinien zu erfassen. Grundlage der Konzeption ist eine Business-Impact-Analyse, um die kritischen Prozesse des Unternehmens zu identifizieren, eine Prioritätenliste für den Wiederanlauf dieser Prozesse zu erstellen und die Mindestanforderungen an den Notbetrieb zu klären. Mithilfe einer Risikoanalyse zur Gefährdung der Prozesse und Ressourcen kann schlussendlich eine Kontinuitätsstrategie entwickelt und die notwendigen Notfallvorsorgemaßnahmen getroffen sowie ein Notfallhandbuch erstellt werden. Diese Schritte sind Teil der Notfallbzw. Krisenvorsorge, die von der Krisenbewältigung abzugrenzen sind. Hierzu gehören auch Notfall- und Krisenkommunikationshandbücher, welche die Kommunikation nach innen und außen regeln. Alle Notfallmaßnahmen müssen regelmäßig auf ihre wesentlichen Kriterien überprüft und den betrieblichen Veränderungen angepasst werden. Tests und Übungen sollten entsprechend den vorhandenen Ressourcen und betrieblichen Bedingungen die Notfallmaßnahmen möglichst regelmäßig herausfordern. u Das Notfallhandbuch Das Notfallhandbuch ist das Kernstück des Krisenmanagements. Es enthält alle für das Krisenmanagement benötigten Dokumente, Pläne, Adressen, Informationen und Maßnahmen für den Wiederanlaufprozess und ist zusammen mit dem Notfallvorsorgekonzept zu erstellen. Zweck eines Notfallhandbuchs ist es, eine dokumentierte Vorgehensweise beziehungsweise Hilfestellung bereitzustellen, mit deren Unterstützung eine Institution den Notfall oder die Krise bewältigen kann.

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Der erste Schritt zur Notfall- bzw. Krisenbewältigung erfolgt mit der Einleitung der entsprechenden Sofortmaßnahmen für den eingetretenen Notfall, also z. B. Rettung, ­Evakuierung, Löschen von kleinen Bränden etc. Sollte sich das Ereignis zu einer Krise ausweiten, muss der Krisenstab in einem Krisenraum zusammenkommen können. Dieser muss zwingend genügend groß, jederzeit zugänglich und sicher sein. Es müssen alle nötigen technischen Geräte und Informationen vorhanden sein (Notfalldokumente, PC, Telefon, Drucker, Beamer etc.), um einen Notfallbetrieb aufrechterhalten zu können. u Aufgaben des Krisenstabs Der Krisenstab hat die Aufgabe, die Krisenteams zu koordinieren und Entscheidungen zu treffen, um den Notfall beziehungsweise die Krise zu bewältigen (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI] 2008, S. 68–70). Ein schneller Informationsfluss ist im Krisenfall sehr wichtig, und jeder Mitarbeiter sollte damit vertraut sein.

Eingliederung ins Unternehmen Ein gut funktionierendes Krisenmanagement muss bei einem ernsthaften Ereignis die Voraussetzungen schaffen, dass das BCM vor Erreichen der maximal tolerierbaren Ausfallzeit eingeleitet wird und ein Notbetrieb erreicht werden kann. Idealerweise ist ein Krisenmanagement bereits in ein bestehendes Managementsystem, wie das Risikomanagement oder das Business Continuity Management, integriert. Im Risikomanagement-Regelwerk ONR 49000 bildet das Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagement einen zentralen Teilbereich des Risikomanagements (siehe Austrian Standards 2014). Das Kontinuitätsmanagement ist dabei der Teil, der im Prozess der Risikoverminderung angewendet wird. Das Notfall- und Krisenmanagement kommt erst zur Anwendung, wenn ein Ereignis eintritt, das durch die Risikobewältigung als Teil des Risikomanagements nicht soweit reduziert werden konnte, dass für das Unternehmen keine große Gefahr mehr besteht. Dies ist insbesondere der Fall bei Risiken, die nicht selber beeinflusst werden können. In beiden Fällen benötigt das Krisenmanagement keine genauen Kenntnisse der Risiken eines Unternehmens, jedoch benötigt es Kenntnisse über die Auswirkungen, die durch das Eintreten der Risiken entstehen. Die Standardwerke für das Krisenmanagement, BSI Standard 100-4, der Leitfaden zum Schutz kritischer Infrastrukturen wie auch ONR 49002-3 schreiben keine Zugehörigkeit des Krisenmanagement-Verantwortlichen zu einer Abteilung im Unternehmen vor. Aus Effizienzgründen kann es jedoch sehr sinnvoll sein, diese Funktion direkt mit dem Business Continuity Management zu verbinden, wobei sich jedoch die involvierten Gruppen unterschiedlich zusammensetzen können. Das Notfallmanagement als Teil des Krisenmanagements ist am besten in den jeweiligen operationellen Bereichen eines Unternehmens anzusiedeln, zum Beispiel in einem Unternehmen mit einer großen Infrastruktur im Facility Management und in einem IT-Betrieb im Support.

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Gemäß dem allgemeinen Verständnis veranlasst die Geschäftsleitung den Auf-, respektive Ausbau des Krisenmanagements und gibt die Ziele vor, die erreicht werden sollen. Die Mitarbeiter sollen direkt in die Etablierung eingebunden werden, um das Risikobewusstsein im Unternehmen zu fördern. Die Qualität des Risikomanagements ist abhängig von der Akzeptanz und Motivation der Mitarbeiter. Die Ausarbeitung des Krisenmanagements soll von einem fachlichen Leiter gesteuert werden, der aus dem Unternehmen kommt und im besten Fall bereits mit vielen Prozessen und Risiken vertraut ist (Bundesministerium für Inneres [BDI] 2011, S. 12).

2.2.2 Klassisches Risikomanagement (RM) Grundlagen u Aufgaben des klassischen Risikomanagements  Das klassische Risikomanagement identifiziert im Unternehmen Risiken, bewertet diese hinsichtlich des Schadensausmaßes und der Eintrittswahrscheinlichkeit, bestimmt Maßnahmen zur Risikobewältigung und kontrolliert regelmäßig, ob letztere noch wirksam sind (s. Abb. 2.3). Beispielsweise kann eine Ertragsausfallversicherung eine effektive Maßnahme zur Absicherung des Risikos einer längeren Schließung des Betriebs aufgrund von Brandschäden sein.

Abb. 2.3  Das klassische Risikomanagement

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Das in diesem Abschnitt beschriebene „klassische“ Risikomanagement ist je nach Branche in vielen Unternehmen ein äußerst wichtiger Bestanteil des Managementsystems. Es bietet viel Synergiepotenzial mit anderen Managementsystemen wie dem IKS, BCM und beschränkt auch mit dem Notfall- und Krisenmanagement. Vor allem in der Finanzindustrie fällt dem Risikomanagement eine sehr hohe Bedeutung zu und erreicht einen hohen Reifegrad. Weil aber alle Unternehmen Risiken ausgesetzt sind und die gesetzlichen Anforderungen an die Unternehmensführung steigen, setzt sich das Risikomanagement zunehmend auch in kleinen und mittleren Unternehmen durch. Die bekanntesten und wichtigsten Risikomanagement-Standards sind der ISO 31000 und der ONR 49000 ff., wobei es daneben noch viele weitere, vor allem auch nationale Standards gibt (zum Beispiel AS/NZS 4360). u Gesetzliche Grundlagen des Risikomanagements  Die gesetzlichen Grundlagen für das Risikomanagement bilden in Deutschland das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG), das „Bilanzreformgesetz“ (BilReG) und das „Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz“ (BilMoG). Zusammen regeln sie das Erkennen von Risiken, deren Analyse und Bewertung sowie die Risikoberichterstattung (Sagmanlı und Ersen Cömert 2017, S. 11). Der Risikomanagement-Prozess ist normalerweise in ein Framework eingebettet, das vom Management gesteuert wird. Der Prozess kann, wie etwa auch der BCM-Prozess, als sogenannter Deming-Kreis mit den vier Phasen Plan, Do, Check und Act gestaltet werden (Brühwiler 2007, S. 83). Risiken sind als die Wahrscheinlichkeiten der Abweichung von Zielen definiert. Sie leiten sich von der Strategie der Unternehmung ab (Hunziker und Meissner 2017, S. 14). Daher müssen sie zuerst bekannt sein, um die Richtlinien und den Umfang des Risikomanagements zu bestimmen. Danach erhebt und dokumentiert das Risikomanagement zum Beispiel gemäß ISO 31000 alle wesentlichen, für das Unternehmen relevanten Risiken, deren mögliche Auswirkungen und die Wahrscheinlichkeiten eines Eintretens. Wo nötig, werden Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung der Risikofaktoren eingeleitet, die kontinuierlich überprüft und angepasst werden sollten. u Ziel des Risikomanagements  Das Ziel des Prozesses besteht darin, so viele Risiken wie möglich zu eliminieren oder deren Auswirkungen so weit zu reduzieren, dass Risikoeintritte keine unmittelbare Bedrohung für das Unternehmen mehr darstellen. Wie hoch dabei das Niveau der akzeptablen Risiken ist, der sogenannte Risikoappetit, ermittelt das Unternehmen grundsätzlich aufgrund seiner spezifischen Anforderungen und Bedingungen für sich selbst. Das Risikomanagement muss aufzeigen können, wo welche Restrisiken bestehen, damit sie im Fall des Eintretens vom Krisenmanagement und dem BCM erfolgreich bewältigt werden können.

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Für die Beurteilung von Risiken muss der Risikomanager bzw. die Risikomanagerin eine Fülle von Methoden einsetzen und gegebenenfalls kombinieren, wobei diese zum Beispiel Ressourcenbeschränkungen, aufbauorganisatorischen Gegebenheiten und Grenzen der Datenbeschaffung unterstehen (Brühwiler 2007, S. 89). Alle Risiken müssen jedoch ständig gemanagt werden, weil sich die Umweltbedingungen permanent verändern und dadurch neue Risiken entstehen oder sich bereits bekannte Risiken verändern und eine Anpassung der Maßnahmen erfordern. Das Risikomanagement soll sich allerdings nicht nur auf die negativen Aspekte eines Ereignisses konzentrieren, sondern soll auch die Chancen identifizieren, die sich durch eine Veränderung ergeben. Das Risikomanagement kann auf drei Ebenen betrachtet werden (Brühwiler 2007, S. 72 ff.): das strategische Risikomanagement, das operative Risikomanagement und das dispositive Risikomanagement (Leistungsprozesse). Das strategische Risikomanagement unterliegt dem Top-down-Ansatz und beschäftigt sich mit der Strategie und Führungsentscheidungen der Organisation. Das dispositive Risikomanagement dagegen verfolgt einen Bottom-up-Ansatz und konzentriert sich insbesondere auf die technischen und organisatorischen Risikodetails von Prozessen und Systemen. Das operative Risikomanagement dagegen geht einen Mittelweg und hat den Schwerpunkt im Produkt- und Projekt-Risikomanagement. Diese drei Ansätze müssen in jeder Organisation individuell angepasst und gewichtet werden, um den Bedürfnissen, Anforderungen und Zielen zu entsprechen (Brühwiler 2007, S. 29–30). Eingliederung ins Unternehmen Wie ein Risikomanagement-Framework organisiert werden soll, wird vor allem durch die Größe und Komplexität der Unternehmung, der operativen Tätigkeit, der Risikoexposition sowie eventuell vorhandener Managementsysteme bestimmt. Kleine Unternehmen sind häufig überblickbar strukturiert, haben eine flache Hierarchie und werden transparent gesteuert. In dieser Situation kann ein einfacher Risikomanagement-Prozess, der in die Führungsstruktur eingebaut ist, bereits genügen. Da die Geschäftsleitung in solchen Unternehmen alle Aspekte der betrieblichen Tätigkeit kennen, müssen keine zusätzlichen Strukturen geschaffen werden. Es kann also ausreichen, wenn sich die Geschäftsführung – gegebenenfalls unter Einbezug von hohen Linienstellen – geplant periodisch mit der Identifikation, Analyse und Bewältigung von Risiken auseinandersetzt. Bereits für mittelgroße Unternehmen ist es jedoch empfehlenswert, eine eigene Instanz zu schaffen, deren Größe und Zusammensetzung sich nach der Tätigkeit des Unternehmens richtet (Hirschi et al. 2011, S. 45). In großen und, je nach Tätigkeit, auch in mittleren Unternehmen können sehr komplexe Unternehmensstrukturen bestehen, und es existieren meist eigenständige Risikomanagement-Strukturen. So kann das Risikomanagement als Stabsstelle im Unternehmen eingegliedert sein und direkt der Unternehmensleitung unterstehen. Es kann aber auch direkt einer Organisationseinheit untergeordnet werden. Häufig ist dies die Finanzabteilung, weil viele Risiken finanziellen Ursprungs sind oder in engem Zusammenhang stehen (Meissner 2016, S. 65 ff.).

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Als weitere strukturelle Lösung bietet sich das Risikomanagement als Matrixfunktion an. Dabei befindet es sich außerhalb der ordentlichen Geschäftsstruktur und nimmt als transversale Funktion seine Aufgaben wahr. Schließlich gibt es auch die Möglichkeit, dass die Unternehmensleitung einen Risikomanagement-Ausschuss mit Mitgliedern aus verschiedenen Organisationsbereichen bildet und ihm Auftrag, Kompetenzen, Ressourcen und Befugnisse erteilt, damit er die Aufgabe wahrnehmen kann. In allen Fällen liegt die Verantwortung des Risikomanagements bei der obersten Leitung des Unternehmens. In einer Risiko-Rahmenrichtlinie mit dem Charakter eines Leitbilds beschreibt sie, welche Bedeutung es haben soll. Die Umsetzung wird von der Geschäftsleitung an das Risikomanagement delegiert. Die fachliche Umsetzung sollte durch speziell ausgebildetes Personal übernommen werden und im Bedarfsfall durch eine unabhängige Instanz geprüft werden (Brühwiler 2007, S. 165–168).

2.2.3 Internes Kontrollsystem (IKS) Grundlagen u Definition Internes Kontrollsystem (IKS)  Ein Internes Kontrollsystem (IKS) beinhaltet von der Geschäftsleitung angeordnete Vorgänge, Methoden und Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung von Richtlinien und zur Abwehr von Schäden, die intern oder sei es böswillig bzw. grob fahrlässig durch Dritte verursacht werden können. Beispielsweise sind Banken dazu verpflichtet, bei einer Kontoeröffnung von Neukunden zu prüfen, ob es sich bei der Einlage um Schwarzgeld handelt. Das interne Kontrollsystem hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, insbesondere seit die gesetzlichen Anforderungen 2007 erhöht wurden. Die Interne Revision ist eine weitverbreitete Ausprägung des IKS und stellt sicher, dass die Ordnungsmäßigkeit und Effektivität von Prozessen regelmäßig überprüft werden. Das bekannteste IKS-Standardwerk ist das COSO-Konzept, das mit dem Enterprise Risk Management Framework zudem noch die Komponente des Risikomanagements in die Kontrolle der Prozesse im Unternehmen integriert. Daneben existieren noch weitere Standards wie der CobiT, vor allem jedoch in Verbindung zur IT-Branche. Das IKS bezieht sich ursprünglich vor allem auf die Kontrolle der finanziellen Berichterstattung im Unternehmen und gewann durch die Einführung des Sarbanes-Oxley Act (SOX) in den USA im Jahre 2002 an Bedeutung. So sollte das IKS zunächst ausdrücklich die Transparenz der finanziellen Berichterstattung eines Unternehmens verbessern. Mittlerweile wird das IKS aber genauso auf alle anderen wichtigen Unternehmensprozesse ausgeweitet und soll sowohl präventiv als auch reaktiv wirken. Ein IKS muss immer auf die Tätigkeiten und Ziele eines Unternehmens zugeschnitten sein, um den bestmöglichen Nutzen zu erzielen. Im Weiteren ist es unerlässlich, die Qualität des IKS regelmäßig zu überprüfen. Dies geschieht durch eine interne Revision oder durch eine externe Prüfungsstelle.

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Obwohl der Ausgangspunkt für die Gestaltung des IKS in den meisten Ländern durch gesetzliche Grundlagen vorgegeben ist, hat jedes Unternehmen selbst für die Ausgestaltung zu sorgen und zu bestimmen, wie weit die Kontrollmaßnahmen den operationellen Betrieb abdecken sollen. Ebenfalls selbst zu bestimmen ist, ob Kontrollen durch organisatorische oder technische Maßnahmen erfolgen. Einfache Beispiele für ersteres sind das Vieraugenprinzip und die übereinstimmende Zuweisung von Auftrag, Kompetenz und Verantwortung. Beispiele für technische Maßnahmen sind passwortgeschützte Zugangsberechtigungen oder Eingangskontrollen. Die im IKS zusammengefassten Kontrollen sollen im heutigen Verständnis generell eine wirksame und effiziente Geschäftsführung unterstützen und sicherstellen, dass das Geschäftsvermögen geschützt ist. Das wird hauptsächlich dadurch erreicht, dass alle relevanten Vorschriften und Gesetze vom Unternehmen eingehalten werden und ein Verhindern interner Fehler beziehungsweise eine Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten sichergestellt wird. Vor dem Aufbau eines Kontrollsystems müssen zuerst die Risiken genau definiert und beurteilt werden (s. Abb. 2.4). Dazu muss die Geschäftsführung die Ziele des Unternehmens kennen und bestimmen, durch welche Risiken deren Erreichung gefährdet ist. Eine Systematisierung kann dabei durch die Feststellung von Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensausmaßen erfolgen. Die Entscheidung, welche Risiken bewusst eingegangen werden und welche durch spezifische Kontrollmaßnahmen reduziert werden, wird durch die unternehmenseigene Risikobereitschaft bestimmt. Das Management führt

Abb. 2.4  Internes Kontrollsystem

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im Idealfall außerdem eine umfassende Beurteilung der möglichen deliktischen und fehlerhaften Handlungen innerhalb des Unternehmens durch. Dabei kann es eine Anzahl Aspekte berücksichtigen (Pfaff und Ruud 2016, S. 55). Beispielsweise, ob es in ähnlichen Unternehmen oder der gleichen Branche häufig aufgetretene Delikte gibt und ob sie durch Gegebenheiten wie Leistungsbeurteilungsprozesse, Vergütungsprogramme, Arbeitsbelastung, innere Einstellungen, Rationalisierungen etc. begünstig werden. Das COSOERM Framework bezeichnet solche Bedingungen als „Kontrollumfeld“. Grundsätzlich sollten anspruchsvolle Tätigkeiten regelmäßig kontrolliert und durch qualifiziertes Personal ausgeführt werden. Dies ist besonders wichtig für Schlüsselpositionen, die sonst durch externe Experten besetzt werden sollten, bis das eigene Personal dafür geschult wurde (Hirschi et al. 2011, S. 41–42). Die einzelnen Steuerungs- und Kontrollaktivitäten finden sich auf allen Ebenen und Funktionsstufen eines Unternehmens und hängen stark mit dem Umfeld, der Tätigkeit, dem Risikopotenzial, der Branche und der Unternehmenskultur zusammen und sehen deshalb in jedem Unternehmen verschieden aus. Damit Kontrollen allgemein wirksam sind, müssen sie angemessen sein, kontinuierlich und nach Plan durchgeführt werden, ihren Nutzen in den Kosten berücksichtigen, umfassend und sinnvoll ausfallen und sich direkt auf die Kontrollziele beziehen. Um die Nachvollziehbarkeit von Kontrollen und Steuerungsaktivitäten zu garantieren, sollten die außerdem nachweisbar sein und entsprechend durch Vermerke oder Visa dokumentiert werden (Hirschi et al. 2011, S. 50). Festgestellte Mängel müssen sofort behoben werden, um vermutete, potenzielle oder reale Unzulänglichkeiten zu reduzieren, da diese verhindern können, dass die Unternehmensziele erreicht werden. Protokolle helfen dabei, Mängel zu dokumentieren und die zu deren Behebung verantwortlichen Stellen festzuhalten. Leitende Mitarbeiter haben die Mängel zu sammeln und je nach Schweregrad weitere Schritte einzuleiten. Eingliederung ins Unternehmen Die Unternehmensleitung ist verantwortlich, dass in der Organisation ein Risikomanagement und ein IKS, angepasst an die operative Tätigkeit, vorhanden sind. Hierzu müssen die dazu benötigten Ressourcen zur Verfügung stehen. Die weitere Umsetzung der Maßnahmen erfolgt entlang der hierarchischen Führungsebenen, abhängig von der Größe und den Eigenarten des Unternehmens. Grundlage für ein funktionierendes und unabhängiges IKS in einem Unternehmen ist die Voraussetzung, dass es nicht einer Funktion unterstellt ist, die es selbst zu kontrollieren hat, insbesondere in der Finanzbuchprüfung (PriceWaterhouseCoopers [PWC] 2007, S. 4). Das IKS soll in alle Geschäftsprozesse integriert sein und auf allen Organisationsstufen angewendet werden. Großes Synergiepotenzial bietet sich an, wenn die Verantwortung für das IKS bei einer Person liegt, die schon verantwortlich für das Risikomanagement ist. Auf jeden Fall ist ein institutionalisierter Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen diesen beiden Funktionen sehr wichtig, genauso wie eine genaue Definition der verwendeten Terminologie, verstehen doch beide Fachbereiche nicht immer das gleiche unter demselben Begriff.

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Das IKS kann als Linienstelle direkt einer Organisationseinheit unterstellt werden. Häufig ist dies die Finanzabteilung, weil die Kontrollen des IKS insbesondere den Finanzbereich eines Unternehmens betreffen. Dies bietet eine klare Zuordnung von Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen und dadurch ein geringes Risiko von Konflikten. Es gewährleistet außerdem ein überschaubares und einfaches Leitungssystem und einen lückenlosen Informationsfluss top-down und bottom-up, über alle Hierarchieebenen. Gleichzeitig können daraus lange Kommunikations- und Weisungswege resultieren und die Gefahr von Informationsfilterung und Zeitverlusten entstehen. Eine weitere, verbreitete Eingliederung des IKS in die Aufbauorganisation einer Unternehmung ist die Bildung einer direkt der Unternehmensleitung unterstellten Organisationseinheit, einem sogenannten Audit-Komitee beziehungsweise einer internen Revisionsstelle. Ihr werden als Stabsstelle direkt von der obersten Führungsstufe Auftrag, Kompetenzen, Ressourcen und Befugnisse zugeteilt. Obwohl dadurch Linieninstanzen fachlich und quantitativ entlastet werden, können im Gegenzug ausgeprägte Abhängigkeiten von der Unternehmensleitung entstehen. Das IKS kann auch in einer Matrixstruktur einerseits direkt der Unternehmensleitung unterstellt sein und gleichzeitig als Querschnittsfunktion über die anderen Unternehmensbereiche funktionieren. Dies bietet den Vorteil der Möglichkeit der mehrdimensionalen Koordination, birgt aber auch die Gefahr von Kompetenzkonflikten und zu vieler Kompromisse. Zumindest in der Schweiz können die Aufgaben eines IKS auch vom Vorstand übernommen werden, obwohl mit einer starken qualitativen und quantitativen Belastung der Vorstandsmitglieder gerechnet werden muss. Ein weiterer Nachteil dieser Lösung ist die ausgeprägte Abhängigkeit der nachgeordneten Stellen hinsichtlich des Informationsflusses.

2.2.4 Business Continuity Management (BCM) Grundlagen u Ziel des Business Continuity Managements  Bestehen in Unternehmen Risiken, welche zu Betriebsunterbrüchen führen können, die wiederum kaskadenartig weitreichende Konsequenzen haben können, ist ein Business Continuity Management, kurz BCM, notwendig. Es sorgt dafür, dass alle Voraussetzungen für eine möglichst schnelle Wiederaufnahme des Betriebs vorhanden sind. Man stelle sich beispielsweise vor, dass durch eine Überschwemmung die Produktion eines Autozulieferers unterbrochen wird. Das BCM hat dafür Ausweichstandorte vorbereitet und weitere Vorkehrungen getroffen, damit die Produktion höchstens kurz unterbrochen wird und es bei den Kunden nicht ebenfalls zu Betriebsunterbrechungen kommt. Das BCM ist grundsätzlich ein Vorsorgesystem, um die Widerstandsfähigkeit – Stichwort Resilienz – eines Unternehmens wesentlich zu erhöhen. Seit seinen Ursprüngen als

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IT Wiederanlauf- und Wiederherstellungsplanung hat es sich stark entwickelt. Es stellt heute einen formalisierten und standardisierten sozio-technischen Ansatz des Krisenund Risikomanagements dar und wird oft organisationsweit angewandt (Herbane et al. 2004, S. 438). Für ein BCM sind die Elemente der Risikoanalyse, der Planung, des Krisen- und Notfallmanagements, des Test- und Übungsprozederes sowie der Dokumentation wesentlich. u Begriff Business Continuity Management  Der Begriff Business Continuity Management bündelt die prozess- und aufbauorganisatorischen Maßnahmen, welche den Fortbestand eines Unternehmens in einer Krisen- oder Notfallsituation sicherstellen sollen. Idealerweise wird Business Continuity im heutigen Verständnis als Managementsystem in einer Organisation implementiert, wie es beispielsweise beim Customer Relationship Management, dem Gesundheitsmanagement oder dem Qualitätsmanagement der Fall ist (Baumann und Rössing 2018, S. 167). Der internationale Standard ISO 22301 macht entsprechende Vorgaben, wie ein Business Continuity Management System (BCMS) geplant, implementiert, überwacht und kontinuierlich verbessert wird. Der deutsche Standard BSI 100-4 definiert die Elemente der Notfallvorsorge und des Notfallmanagements in vergleichbarer Weise, jedoch unter Zuhilfenahme eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP), der im deutschsprachigen Raum geläufiger ist, als der im ISO Standard vorgegebene PDCA-Zyklus. Beide iterativen Modelle unterwerfen das BCM einer ständigen Aktualisierung und Überprüfung, damit sichergestellt werden kann, dass die getroffenen Maßnahmen noch wirken und alle involvierten Personen ihre Aufgaben und Verantwortungen verstehen, respektive wissen, was sie in einem BCM-Ereignis zu tun haben. Im Zentrum des Business Continuity Managements steht die sogenannte BusinessImpact-Analyse (BIA). Sie soll alle kritischen Ressourcen und Prozesse in jedem Geschäftsbereich sowie Verknüpfungen zu anderen Bereichen aufzeigen und eine Auswirkungsanalyse für den Krisenfall erstellen. Für Ereignisse, die Betriebsunterbrechungen zur Folge haben können, werden Business-Continuity-Pläne vorbereitet, die das Ziel haben, die kritischen Funktionen des Unternehmens durch gezielte Vorbereitung möglichst schnell wieder aufnehmen zu können, um existenzbedrohende Folgen abzuwenden. Seltene Ereignisse mit sehr hohem Schadenspotenzial werden aufgrund ihrer vermeintlichen Unwahrscheinlichkeit dabei häufig vernachlässigt. Leider reicht aber oft schon der einmalige Eintritt eines solchen Ereignisses aus, um die Insolvenz des Unternehmens herbeizuführen. Daher ist sehr genau abzuwägen, ob das Vernachlässigen eines solchen bestandsgefährdenden Risikos gesetzlich überhaupt zulässig ist (Baumann und Rössing 2018, S. 174). Große Beachtung bei der Erstellung der Continuity-Pläne sollte die maximal tolerierbare Ausfallzeit (MTA oder engl. RTO = recovery time objective) erhalten. Sie beschreibt, wie schnell kritische Prozesse im Unternehmen wieder funktionstüchtig sein müssen, damit ein Minimalbetrieb erreicht werden kann (s. Abb. 2.5). Die MTA

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Abb. 2.5  Business Continuity Management

ist sehr abhängig von der Tätigkeit des Unternehmens und ist zum Beispiel bei Banken oder der Energieversorgung sehr kurz, um ein Ausweiten der Krise zu verhindern. An diesem Punkt schließt das BCM an das Krisenmanagement an, respektive kann sich zeitlich überlappen und muss dementsprechend aufeinander abgestimmt werden. Grundsätzlich beschreiben Kontinuitätspläne, wie das Prozess- oder Organisationsziel unter kritischen Bedingungen zu erreichen ist, während das Krisenmanagement die Lage kontrolliert, Arbeitsteams führt und die Zielerreichung der Kontinuitätspläne überprüft ­(Rössing 2005, S. 55). Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt des BCM besteht darin, dass sich eine BCM-Kultur im Unternehmen entwickeln soll, also ein grundsätzliches, allgemein geteiltes Bewusstsein zum Schutz kritischer Prozesse und Ressourcen (Baumann und Rössing 2018, S. 186). Inhalte eines BCM-Systems

Die Inhalte eines BCM-Systems, das, wie in ISO 22301 vorgeschlagen, einem PDCA-Zyklus folgt, können beispielhaft die Folgenden sein: • Plan =  Einrichten und erstellen: Es wird eine Abgrenzung zu anderen Managementsystemen vorgenommen, und die Ziele des BCM werden ­definiert

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und kommuniziert. Nach der Sicherung des Bekenntnisses zu einem BCM erfolgt die Allokation der notwendigen Ressourcen. • Do = Implementieren und betreiben: Ein BCM-Programm-Management wird eingesetzt und Verantwortlichkeiten werden festgelegt. Gegebenenfalls müssen Prozesse eingeführt werden, die das Organisationsverständnis fördern und eine BIA ermöglichen, um im Anschluss eine geeignete BCM-Strategie festzulegen. Die danach erstellten BCM-Pläne und Anordnungen werden regelmäßig überprüft und nach Möglichkeit geübt. • Check = Überwachen und überprüfen: Die Effektivität und Effizienz des BCM sollten laufend überprüft werden. Dazu gehört das Hinterfragen der Angemessenheit der BCM-Politik, -Ziele und -Geltungsbereiche. Um gegebenenfalls Mängel beseitigen zu können, müssen Maßnahmen bestimmt und autorisiert werden. • Act = Pflegen und verbessern: Um die Effektivität und Effizient des BCM-Systems aufrechtzuerhalten und zu verbessern, werden Vorbeuge- und Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt.

Eingliederung ins Unternehmen Das Business Continuity Management ist ein wichtiger Bestandteil der Geschäftsprozesse einer Organisation und sollte – falls vorhanden – mit dem Corporate Risk Management und dem Security Management abgestimmt sein. Das BCM gehört zu den Grundlagen für eine gute Corporate Governance, die in der Verantwortung der Geschäftsleitung des Unternehmens liegt. Zu den wichtigen Verantwortlichkeiten der Geschäftsleitung gehören die Genehmigung der BCM-Strategie, der gewählten Standards und BCM-Politik, wie auch der Kontrolle der Einhaltung regulatorischer und rechtlicher Anforderungen an die betriebliche Kontinuität. BCM wird üblicherweise als Programm mit einem dazugehörigen Management in Unternehmen implementiert. Es kann nicht von einer einzelnen Abteilung, wie beispielsweise IT, ausgehen, sondern muss organisatorisch breit angelegt werden, weil es die Beteiligung verschiedener Fachbereiche erfordert (Rössing 2005, S. 389). Als praxistaugliche Lösung bietet sich die Einberufung eines BCM-Ausschusses an, dessen Eingliederung und Umfang stark von der Größe des Unternehmens abhängen. Zentral ist, dass er möglichst weit oben in der Hierarchie angesiedelt ist oder zumindest einen direkten Zugang zur Geschäftsleitung hat. Der Ausschuss benötigt eine verantwortliche Person, die die Business-Continuity-Maßnahmen umsetzt. Hierzu sollten ihr je nachdem weitere Personen aus dem Ausschuss zur Verfügung stehen, die aus möglichst allen geschäftsrelevanten Bereichen stammen.

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2.3 Spannungs- und Integrationsfelder für das Integrale Risikomanagement Nachdem nun die vier Managementdisziplinen beschrieben und die Unterschiede ersichtlich wurden, lohnt sich der Blick auf die Gemeinsamkeiten. Aspekte des Risikomanagements werden vor allem in der Business-Impact-Analyse gebraucht, und eine enge Zusammenarbeit dieser beiden Funktionen erscheint sehr sinnvoll, insbesondere, weil das BCM wie auch das Risikomanagement kontinuierliche Prozesse in einem sich ständig verändernden Umfeld sind. Das IKS ist, wie das BCM auch, wieder als Framework zu betrachten, das aus einer Serie von Prozessen besteht, die periodisch immer wieder überprüft werden müssen. Zudem basiert das IKS, wie das BCM, auf einer Kultur, die im Unternehmen verankert und fester Bestandteil dessen werden soll. Als Teil des IKS werden Bereiche des Risikomanagements verwendet und bilden dort eine direkte Schnittstelle, die unbedingt genutzt werden sollte. Weil sich das IKS mit jedem einzelnen Prozess auseinandersetzt, ist es sehr sinnvoll, über die kritischen Prozesse auch die Verknüpfung zum BCM zu suchen und die entsprechenden Synergien zu nutzen. Synergien lassen sich auf der strategischen Ebene bei Risikopolitik und -kultur, bei der Risikoanalyse und der unternehmensweiten Risikoidentifikation und -beurteilung, den Maßnahmen und der Ereignisreaktion sowie hinsichtlich der Überwachung bzw. des Monitorings des Berichtswesens ausmachen.

2.3.1 Strategische Ebene – Risikopolitik und Risikokultur Die strategische Zielsetzung in Bezug auf die Frage des unternehmensspezifischen Umgangs mit Risiken – „wie geht die Unternehmung mit Risiken um?“ – umfasst beim integrierten Risikomanagement alle vier Bereiche, weshalb in diesem Kontext die Risikopolitik umfassend erarbeitet oder ergänzt werden soll. Dadurch werden die Strategie und die Ziele aus einer Gesamtsicht definiert. Sie bilden die Basis des integrierten Risikomanagements. Aus diesem Bekenntnis der Unternehmensleitung lässt sich ableiten, wie stark und wie offen sich die Unternehmung mit dem Thema Risiko auseinandersetzt und wie das Integrale Risikomanagement gleichzeitig als Instrument für die Unternehmenssteuerung eingesetzt wird. Hier hinein spielt der Kulturaspekt, inwieweit das Risikobewusstsein der Mitarbeitenden gefördert wird und was für eine Fehlerkultur vorherrscht. Um Fehlermeldungen zu fördern und dadurch künftig Risiken vermeiden zu können, ist eine offene Fehlerkultur unumgänglich. Nur damit kann sichergestellt werden, dass ein Integrales Risikomanagement auch bottom-up gelebt wird. Ein gutes Integrales Risikomanagement zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Geschäftsleitung, der Kader sowie jeder Mitarbeiter, gemäß den Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen mit dem Thema auseinandersetzen. Dadurch bildet es gleichzeitig einen Bestandteil der internen Ausbildung und der Kommunikation.

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Um dem integralen Ansatz genug Gewicht zu verleihen, ist es wichtig, dass dieser Ansatz der Risikokultur „von oberster Stelle“ gefordert, gefördert und gelebt wird. Durch die Definition des Konzepts und der Ziele werden eine Risikokultur und ein Bewusstsein geschaffen, die es dann mit der organisatorischen Einbindung, den Rollen und der Verantwortlichkeiten zu ergänzen gilt. Nur so sind die erfolgreiche Implementierung eines Integralen Risikomanagements und die Verknüpfung von einzelnen Bereichen möglich und nur so kann eine Effizienzsteigerung erreicht werden.

2.3.2 Risikoanalyse und unternehmensweite Risikoidentifikation und -beurteilung Dokumentierte Prozessabläufe sind für die vier beschriebenen integrierbaren Felder unabdingbar. Auch hier gilt es, Synergien zu nutzen, indem immer alle Bereiche im Fokus behalten und entsprechend bearbeitet werden. Dabei hat das IKS viele Synergien bei der Risikoanalyse und greift in der Beurteilung der Prozesse auf das RM zurück. Die Risikoidentifikation und -beurteilung sollten entsprechend nicht isoliert in den einzelnen Feldern, sondern mit Blick auf ein Integrales Risikomanagement durchgeführt werden, um effizienter zu sein und Kontrolllücken zu vermeiden. Eine Abstimmung der im IKS und Risikomanagement sowie im BCM identifizierten Risiken ist notwendig. Im Sinne einer optimalen Arbeitsteilung konzentriert sich die definierte Person im Risikomanagement-Prozess auf die Identifikation aller Risiken der Organisationseinheit, ergänzt ihre Risikoliste aber mit den relevanten, im IKS-Prozess identifizierten Risiken. Des Weiteren gibt es bei der Identifikation der Unternehmensprozesse eine Schnittstelle zwischen dem Krisenmanagement und dem IKS. Das Verständnis der Unternehmensprozesse sollte deckungsgleich sein. Sinnvollerweise wird bei der Risikoanalyse im Rahmen des regelmäßigen Risikomanagement-Prozesses untersucht, ob und welche Risiken wichtige Geschäftsprozesse beeinträchtigen. Auch beim BCM liegt die Basis auf den genauen Kenntnissen aller Prozesse und Abläufe im Unternehmen und den damit verbundenen Risiken. Entsprechend lassen sich im methodischen Vorgehen und bezüglich der angewendeten Instrumente Gemeinsamkeiten entdecken, wodurch Synergiepotenzial generiert werden kann. IKS und BCM erfordern genaue Kenntnisse aller Prozesse und Abläufe im Unternehmen und den damit verbundenen Risiken. Es ergibt Sinn, wenn die Identifikation und Beurteilung in Zusammenarbeit erfolgen. Wenn das RM und seine Maßnahmenplanung die Prävention zum Ziel haben und das KM das Ziel die Bewältigung des Ereignisses, sind hier Analysen und Controlling äquivalent und daher zu verbinden. u

Es lässt sich festhalten, dass die Identifikation und Beurteilung der Risiken über alle vier Felder erfolgen sollte. Damit können die Identifikation und Beurteilung der Risiken als Basis für den Aufbau eines Integralen Risikomanagements dienen.

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2.3.3 Maßnahmen und Ereignisreaktion Auch bei den Maßnahmen lassen sich Synergiepotenziale zwischen den Feldern finden. Nach ONR 49002-3 ist das BCM explizit ein Bestandteil der Risikobewältigung und keine separate Maßnahme. Von dieser Sichtweise aus muss das BCM, genauso wie das Krisenmanagement, vollständig mit dem Risikomanagement zusammengeführt werden. Beispielsweise ist der BCM-Verantwortliche in das Krisenmanagement zu integrieren, da er große Kenntnisse über die Maßnahmen der Unternehmung hat und so eine Abstimmung zu den Krisenmanagementplänen vorgenommen werden kann. Der Ansatz des BCM ist, die Verwundbarkeiten und die Auswirkungen von Prozessausfällen in der Unternehmung zu identifizieren. Dieser Ansatz ist mit der Identifikation, Beurteilung und Berichterstattung aller möglichen Risiken sowie der Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten oder dem Eintreten von Ereignissen auszuweiten, wodurch ein Integraler Ansatz erreicht werden kann. Das RM geht hier allerdings noch einen Schritt weiter und identifiziert auch Chancen. Bereits bei der Identifikation der Risiken mit großen Auswirkungen muss das Krisenmanagement vom BCM für eine allfällige Formulierung von Vorbereitungsmaßnahmen einbezogen werden, da diese Risiken auch als Übungsszenarien aufgenommen werden müssen. Die Ereignisreaktion ist an sich eine eindeutige Aufgabe des RM. Dank der gesamtheitlichen Risiko-Identifikation werden alle Risiken mit einer Maßnahme hinterlegt. Dabei ist darauf zu achten, dass Maßnahmen aufeinander abgestimmt, weiterentwickelt oder, falls doppelspurig vorhanden, zusammengeführt werden. Durch eine einheitliche Dokumentation sind weitere Prozesse wie auch die Kontrollaktivitäten effizient durchführbar. Darüber hinaus sollen die relevanten Erkenntnisse aus der Bewältigung von Notfällen und Krisen beim RM als Feedback einfließen. Nur so können aus den Vorfällen Lehren gezogen und im Maßnahmenplan, bei der Identifikation, bei der Überwachung oder Kommunikation die entsprechenden Anpassungen und Verbesserungen vorgenommen werden. Für ein optimales Vorgehen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen also generell notwendig.

2.3.4 Überwachung, Monitoring, Berichtswesen Die Gesamtheit des Integralen Risikomanagements muss überwacht und erforderliche Anpassungen müssen vorgenommen werden. Die Überwachung wird durch periodische Führungstätigkeiten und separate Beurteilungen erreicht, wobei auch hier Synergien und bestehende Strukturen genutzt werden können. Durch Veränderungen an Prozessen kann es durchaus dazu kommen, dass ursprüngliche Kontrollen des IKS nicht mehr die erwünschte Schutzfunktion bieten und das Risiko neuerdings über Maßnahmen kontrolliert werden muss. Dies setzt eine enge Zusammenarbeit und Kommunikation mit dem Risikomanagement voraus, damit es nicht zu einer Abdeckungslücke kommt.

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Auch die Früherkennung von Notfällen und Krisen ist eine Schnittstelle zwischen RM und KM. Es bietet sich an, die Früherkennung von sich anbahnenden Krisen aus dem RM heraus zu entwickeln und zu koordinieren. Beim IKS und RM sind entsprechend der Risikobeurteilung die Verantwortungsträger und die notwendigen Kontrollen zu definieren, mit dem Ziel, anhand von ausgewählten Maßnahmen und Kontrollen betriebliche Risiken auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren. Im Bereich des Berichtwesens, der Definition von Verantwortlichkeiten sowie der Schaffung abgestimmter Richtlinien lassen sich mit mäßigem Aufwand relativ rasch Synergien nutzen. Eine autonome Überwachung in jedem einzelnen Bereich ist zu verhindern, da hier einerseits Lücken entstehen oder aber auch Dopplungen entstehen können. Ein übergreifendes oder minimal ergänzendes Controlling ergibt also insofern Sinn, als dass nicht fachspezifisches Wissen gefragt ist, um das Controlling überhaupt tätigen zu können. In diesen Fällen gilt es, im Anschluss eine Konsolidierung der Situation zu machen, welche dann wieder über alle Bereiche hinweg erfolgen soll. Insbesondere Prozessrisiken lassen sich durch eine gute Kontrollaktivität reduzieren, woraus sich weitere Synergien ergeben. Eine Abgleichung zwischen den Bereichen verhindert Kontrollredundanzen und zeigt Abdeckungslücken auf. Zudem sind beim IKS und BCM sehr genaue Kenntnisse aller Prozesse und Abläufe und der damit verbundenen Risiken vorhanden. Es gilt, den Fokus auch jeweils auf den anderen Bereich zu richten und die Gesamtheit im Blick zu halten, um Synergien erkennen zu können. Ein stufengerechtes Berichtswesen über die Qualität des Integralen Risikomanagements an die Geschäftsleitung, den Verwaltungsrat beziehungsweise an die interne und externe Revisionsstelle kann durchaus über die gleiche Stelle laufen und bietet dadurch eine Effizienzsteigerung und eine klare Rollenverteilung.

2.4 Effiziente Strukturen bei der Integration des Risikomanagements Bei der Synergieschöpfung gilt es nun, möglichst effiziente Strukturen bezüglich der Aufgaben, der Kompetenzen und Verantwortungen zu definieren sowie eine integrierte Information und Kommunikation innerhalb des Unternehmens anzustreben.

2.4.1 Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung Die Ausgestaltung der vier Felder des Integralen Risikomanagements (IRM) wird nicht nur von seiner Strategie und Zielsetzung, sondern auch von den verfügbaren Ressourcen, Rollen und Verantwortlichkeiten bestimmt. Gerade bei KMU gilt es, darauf zu achten, dass die Funktionen, die das IRM bearbeiten, bestmöglich deklariert und aus dem Blickwinkel „IRM-Schnittstellen“ heraus festgelegt werden, sodass Synergien genutzt und

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dadurch die Effizienz gesteigert werden kann. Dabei ist es wichtig, dass die Funktionen zentral geregelt sind und nicht durch dezentrale Rollen wieder zusätzliche Schnittstellen entstehen und dadurch Abläufe verkompliziert werden. Wichtig ist, dass die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung für alle Funktionen klar definiert, dokumentiert und auch kommuniziert werden. Zudem ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden für das Thema IRM geschult werden und dabei aufgezeigt wird, wie mit dem Thema Risiko und dessen Bewältigung in der Unternehmung umgegangen wird. Um die vier Felder personell bestmöglich abzudecken, gilt es, sofern es keine „Ein-Personen-Funktion“ ist, ein abteilungsübergreifendes Gremium zu bestimmen, um dem integralen Aspekt Gewicht zu verleihen. Es geht darum, die Autonomie der einzelnen Bereiche zu durchbrechen und eben abteilungsübergreifend systematisch Risiken zu behandeln. Nach ONR 49002-3 ist das BCM ein Bestandteil der Risikobewältigung und keine separate Maßnahme. Aus dieser Sichtweise muss das BCM genauso wie das Krisenmanagement komplett in das Risikomanagement integriert werden. Gemäß dieser Herleitung ist für ein optimales Vorgehen eine enge Zusammenarbeit zwischen den Feldern notwendig, um die Ausfallzeit zu reduzieren und die Schadensbegrenzung und Rückführung in den Normalzustand zu erreichen. Die Funktion kann in Personalunion ausgeführt werden oder die Verantwortlichen sollten jeweils dem Krisenstab angehören und umgekehrt. Sind unterschiedliche Funktionen, beispielsweise ein Risikomanager und ein IKS-Beauftragter, bereits vorhanden, ist sicherzustellen, dass zwischen den Funktionen ein regelmäßiger Austausch stattfindet. Damit dieser Austausch funktioniert, sollen sich die entsprechenden Funktionsträger kennen und verstehen. Als weiterer Aspekt, um bei Unsicherheiten der Verantwortungsträger einer IRM-Funktion Unterstützung zu erhalten, steht die Möglichkeit offen, einen externen Berater einzuschalten.

2.4.2 Die Rolle der Unternehmenskommunikation im IRM Die Information und Kommunikation nimmt in der heutigen Zeit einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Wer kommuniziert was, in welchem Umfang, über welchen Kanal, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Intensität und an wen? Vor allem im Hinblick auf Situationen im Risiko- oder Krisenbereich sind diese Informationsflüsse von eminenter Wichtigkeit. Entsprechend sind diese Fragen zu lösen und in einem Kommunikationskonzept festzuhalten, um dadurch Kommunikationssicherheit zu erreichen. Darin ist ebenfalls die Krisenkommunikation enthalten. Ungefragt ist die Kommunikation der zentrale Dreh- und Angelpunkt eines Integralen Risikomanagements. Im Rahmen der Implementierung eines Integralen Risikomanagements kann man die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Abteilung Unternehmenskommunikation sicher gut gebrauchen. Aber diese Betrachtung geht noch nicht

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weit genug. Spannend ist die Frage, welchen Beitrag die Unternehmenskommunikation im ganzheitlichen Risikomanagement-Prozess zu leisten imstande ist. Wie in der Einleitung beschrieben, ist die wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmensbereichs „Unternehmenskommunikation“ klein. In ihrem Geschäftsfeld haben aber Risiken ihren Ursprung, die sich auf das Gesamtunternehmen sehr negativ auswirken können. Ob „Fake News“, „negative Medienberichterstattung“ oder „ein nicht überzeugender CEO in Krisenzeiten“ – all diese Reputationsrisiken sind strategisch relevante Risiken mit Sonderstatus. Ihr Explosivpotenzial muss im Unternehmen erkannt werden. Dies kann nur dann angemessen geschehen, wenn die Kommunikationsfunktion – also beispielsweise die Leitung Unternehmenskommunikation – über Teilnahme und Mitbestimmungsrechte in den obstersten Leitungsgremien verfügt. Dieser Integration der Kommunikationsfunktion ins Integrale Risikomanagement muss gesonderte Aufmerksamkeit zuteilwerden, da sie sowohl wesentlich in der Identifikation ist als auch herausfordernd in der Umsetzung. In Bezug auf ein Integrales Risikomanagement heißt dies, dass auch hier zwingend Abläufe und Verantwortungen zwischen Nahtstellen zentral und dadurch effizienter zu gestalten sind. Es empfiehlt sich, ein handliches, übersichtliches und für die verantwortlichen Stellen verständliches Dokument zu erarbeiten, das im Alltag sowie bei außerordentlichen Ereignissen zweckdienlich angewendet werden kann.

2.5 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, existieren unterschiedlichste Grundlagen, die für ein Integrales Risikomanagement im Sinne eines „Enterprise Risk Managements“ verwendet und herangezogen werden können. Ziel sollte jeweils sein, die einzelnen Managementdisziplinen, in denen bereits an Risikomanagementfragen gearbeitet wird, zu identifizieren, ihren Beitrag herauszustellen und gegebenenfalls Dopplungen zu bereinigen beziehungsweise zu synchronisieren. Statt die eingesparten Ressourcen zu kürzen, sollte vielmehr die Effizienzsteigerung dazu dienen, die Gesamtinitiative des Risikomanagements zu stärken, um vorhersehbare Widerstände zu vermeiden oder abzubauen. Diese Synergiesuche mit anschließender Integrationsarbeit ist eine ernst zu nehmende Managementarbeit, die geleistet werden muss, um sich nicht in Teildisziplinen zu verheddern, sondern ein sinnhaftes, stimmiges Ganzes zu erzeugen. Unternehmen tun sich schwer mit dieser Integrationsarbeit, weil sie mit zahlreichen Lernbarrieren der Organisation einhergehen. Allem voran sind diese Barrieren durch Vorbehalte gegenüber dem Teilen gemeinsamen Wissens, durch mikropolitisches „Gärtchen-Denken“, durch fehlende interdisziplinäre Kompetenz und Perspektive sowie durch schlichte Unkenntnis über Entwicklungen in anderen Unternehmensteilen begründet. Als Themen sind es „Evergreens“ des Wissensmanagements, der (syste-

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mischen) Organisationsentwicklung, der Unternehmenskulturgestaltung, aber auch der Unternehmenskommunikation. Diese Lernbarrieren zu überwinden, ist kommunikative Schwerstarbeit für das General Management. Und es zählt, ähnlich wie bei der kontinuierlichen Verbesserungsarbeit, dass man das Ideal nie erreichen wird, sich aber jede Anstrengung lohnt und vermutlich doppelt auszahlt. Zur Integration der vier Managementbereiche zu einem Integralen Risikomanagement können folgende Handlungsempfehlungen gegeben werden: • Klärung der zur Verfügung stehenden Ressourcen für den Aufbau und den Betrieb eines IKM • Einplanen von Ressourcen zur Vermeidung bzw. zum Abbau von Widerständen im Unternehmen • Zusammenlegung der mit der Dokumentation und Identifikation von Unternehmensprozessen betrauten Bereichen • Identifikation der Managementbereiche, in denen bereits an Risikomanagementfragen gearbeitet wird. Als Ansatzpunkte können die Identifikation und Beurteilung von Risiken im Unternehmen sowie die Identifikation der Maßnahmen im Unternehmen, welche im Zusammenhang mit der Bewältigung von Risiken stehen, dienen. • Gemeinsame (Re-)Formulierung der Maßnahmen im Risikomanagement, BCM und Krisenmanagement durch die betroffenen Unternehmensbereiche. • Zusammenführung der Feedbackprozesse und -empfänger betreffend der Erfahrungen aus der Bewältigung von Störungen, Notfällen, Krisen u. ä. • Erarbeitung eines gemeinsamen Kommunikationskonzepts für die von Risiken und Krisen besonders betroffenen Unternehmensbereiche. Darin sollte insbesondere auch die Krisenkommunikation konzipiert sein.

Literatur Austrian Standards, Hrsg. 2014. Serie ONR 49000. Risikomanagement für Organisationen und Systeme. Fachinformation 06. Baumann, Sheron, und Rolf von Rössing. 2018. Business Continuity Management – Unverzichtbares Element eines angemessenen Risikomanagements. In Ganzheitliches Chancen- und Risikomanagement. Interdisziplinäre und praxisnahe Konzepte, Hrsg. Stefan Hunziker und Jens O. Meissner, 163–194. Wiesbaden: Springer Gabler. Brühwiler, Bruno. 2007. Risikomanagement als Führungsaufgabe. Unter Berücksichtigung der neuesten internationalen Standardisierung, 2., vollst. überarb Aufl. Bern: Haupt (Risikomanagement). Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), Schweiz, Hrsg. 2015. Leitfaden zum Schutz kritischer Infrastrukturen. https://www.babs.admin.ch/content/babs-internet/de/aufgabenbabs/ski/ leitfaden/_jcr_content/contentPar/tabs/items/downloads/tabPar/downloadlist/downloadItems/74_1460990690209.download/leitfadenski2015de.pdf. Zugegriffen: 19. Dez. 2018.

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J. O. Meissner und S. Baumann

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© Martin Weinbrenner eyelustrate

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Prof. Dr. rer. pol. Jens O. Meissner  ist Professor für organisationale Resilienz an der Hochschule Luzern und Leiter des Hochschul-Zukunftslabors CreaLab. Er forscht im Bereich organisationaler Praktiken zu Resilienz, Hochzuverlässigkeit und Antifragilität auf Schweizer und internationaler Ebene. Er ist Mitglied im Vorstand des größten Schweizer Risikomanagementverbands „Netzwerk Risikomanagement e. V.“ sowie Lehrbeauftragter für Organisation, Betriebswirtschaft und Management an den Universitäten Hannover und St. Gallen. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann und seiner Tätigkeit in der Personal- und Organisationsentwicklung eines deutschen Energieversorgers studierte Meissner Ökonomie an der privaten Universität Witten/Herdecke. Er promovierte an der Universität Basel über organisationale Kommunikation und war maßgeblich an Gründung und Aufbau des Instituts für Wirtschaftsstudien Basel beteiligt. Sheron Baumann arbeitet seit Ende 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Betriebswirtschaft und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Vor dem Studium der Volkswirtschaftslehre und einer anschließenden Ausbildung zur Lehrkraft für Wirtschaft und Recht an der Universität Bern absolvierte er bereits eine kaufmännische Ausbildung. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Forschung und sind fachlich breit gestreut. Nebst Projekten in den Themenbereichen Risikomanagement und Organisationale Resilienz befasst sich Sheron Baumann mit Fragen rund um die Zukunft der Arbeit, dem Bildungsnutzen von Hochschulweiterbildungen sowie den Profilen von Dozierenden an Fachhochschulen.

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Die Rolle der Unternehmenskommunikation im Integralen Risikomanagement Vom Wunsch zur Wirklichkeit: Kommunikatoren mit Managementfunktion Jana Meißner

Zusammenfassung

Es soll ja schon vorgekommen sein, dass Unternehmenskommunikatoren bei der morgendlichen Lektüre der Medien selbst erst erfahren haben, dass das eigene Unternehmen tief in der Krise steckt. Der negative Beitrag wird dann eiligst der Geschäftsführung vorgelegt, die sich mitunter sehr darüber aufregt, dass der Journalist die Dreistigkeit hatte, das Thema überhaupt und dann auch noch in epischer Breite aufzugreifen. Mit dem dringlichen Job, die restliche „Journaille“ im Zaum zu halten und die allgemeinen Wogen zu glätten, kehrt der Kommunikator an seinen Schreibtisch zurück. Ihm schwant, dass an der Sache was dran ist. Warum hat man ihm nicht früher Bescheid gesagt? Für jedes Smiley-Foto wird er gerufen, aber wenn es um die Wurst geht, dann herrscht Schweigen im Wald. Hätte das nicht anders laufen können? Ja! Davon, wie es hätte anders laufen können, handelt dieser Beitrag. Das Stichwort heißt: Integrales Risikomanagement. Zunächst werden grundlegende Begrifflichkeiten und Ziele geklärt, dann liegt der Fokus auf dem Nutzen des Integralen Risikomanagements für die Abteilung Unternehmenskommunikation und die mögliche Ausgestaltung ihrer Rolle. Diese spricht dem Kommunikator die lang ersehnte Managementfunktion zu. In Kenntnis der sehr unterschiedlichen Reifegrade von Risiko- und Krisenmanagement-Systemen in Unternehmen gibt die Autorin in ihrem Beitrag zudem Impulse für einen ersten Einstieg.

J. Meißner (*)  Meissner Communications, Bönen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_3

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3.1 Das Integrale Risikomanagement 3.1.1 Best Case An diesem Morgen trifft sich am Hauptsitz unseres Best-Case-Unternehmens das Team des Integralen Risikomanagements. Das Team hat einen unternehmensweiten Prozess aufgesetzt, mit dem es alle Schlüsselrisiken identifiziert, bewertet und aktiv steuert (Hunziker und Meissner 2018, S. VIII), und es weiß auch, was zu tun ist, wenn sich die Restrisiken und unvorhergesehenen Risiken trotz aller Maßnahmen in einem Schaden manifestieren. Im Rahmen des Integralen Risikomanagements hat es die Bausteine klassisches Risikomanagement, Notfall- und Krisenmanagement, das Business Continuity Management und das Interne Kontrollsystem miteinander verbunden, um ein reibungsloses Zusammenwirken der Professionen zu gewährleisten. Die Felder sind damit keine eigenständigen Sicherheitsinseln mehr, sondern im Sinne des Gesamtinteresses des Unternehmens integriert (Bédé 2009, S. 8). Das Integrale Risikomanagement ist für dieses Team eine Gemeinschaftsaufgabe und eine Gemeinschaftsfähigkeit. Hier gibt es keine einsamen Reiter. Alle Mitglieder sind Teil der Kavallerie, die einen weiten Blick für die Risiken des Unternehmens hat und sie strategisch angeht. Das Team arbeitet heute – so wie immer bei diesen regelmäßigen Treffen – jenseits der Silos und mit einem gemeinsamen Verständnis für kritische Themen, Gefahren, Risiken und Krisen und es hat auch die Chancenpotenziale im Blick. Mitglieder sind die Risikoverantwortlichen des Unternehmens, zu denen auch der Unternehmenskommunikator gehört. Schließlich verantwortet er eigene Risiken, die – sofern sie sich in einem Schaden manifestieren sollten – existenzbedrohend für das Unternehmen sein können. Außerdem bringt er auch all seine Potenziale und Fachkompetenzen ein, wenn es um Risiken geht, die ihren Ursprung in anderen Abteilungen haben. Und eine Krise managen ist ohne seine Kompetenz sowieso undenkbar. Keine Krise geht mehr unbeachtet an der Öffentlichkeit vorbei. Die Kommunikationsarchitektur ist auf den Kopf gestellt: Die Kunden haben die Macht, schließen sich zu Bewegungen zusammen und kommunizieren selbstständig. Die Deutungsschlacht ist allgegenwärtig. Ein Tweet kann einen gewaltigen Tsunami auslösen. Die Massenmedien sind ihre Gatekeeper-Rolle los, dafür haben sie jetzt eine Verstärkerfunktion. Das alles zu managen ist eine verdammt große Sache, das wissen die Teammitglieder und sie haben großen Respekt vor der Profession Unternehmenskommunikation. Dass der Kommunikator aus der Zeitung erfährt, dass das Unternehmen in der Krise steckt, ist im Integralen Risikomanagement undenkbar. Das, was die Mitglieder in den nächsten Stunden tun, wird von der Unternehmensleitung übrigens als grundlegender Beitrag zum Erfüllen der Unternehmensziele wertgeschätzt und als ganzheitliche Aufgabe verstanden. Die möglichen Auswirkungen von nicht verhinderten Schäden sind bei ihr längst ins Bewusstsein gerückt. Seit der Entscheidung der Unternehmensleitung, das Team des Integralen Risikomanagements

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zu installieren, ist das Unternehmen im Ganzen schon wesentlich sensibler: Das Team steuert die kritischen Themen, Gefahren und Risiken, und damit haben sich die zu erwartenden Schäden und Eintrittswahrscheinlichkeiten deutlich verringert. Die Entscheidung der Unternehmensleitung war auch ein wichtiges Signal für die Führungsebenen, die Information ihrer Mitarbeiter ernst zu nehmen. Mittelfristig soll das Unternehmen aber noch deutlich resilienter werden. Dann soll das Schicksal des Unternehmens nicht mehr ausschließlich im Zuständigkeitsbereich dieser wenigen Führungskräfte und ausgesuchten Spezialisten liegen, sondern Angelegenheit des gesamten Unternehmens werden (s. Kap. 1). Das Unternehmen möchte sich zu einer vertrauensbasierten Organisation der Achtsamkeit entwickeln, in der der Glaube an die positive Gestaltbarkeit kritischer Situationen tief verwurzelt ist (Meissner 2018, S. 40). Das Ziel ist gesteckt!

3.1.2 Relevante Begrifflichkeiten Der beschriebene Best Case „Integrales Risikomanagement“ setzt einige Begrifflichkeiten voraus, die Sie kennen sollten. Die folgenden Definitionen entstammen dem Beitrag von Jens O. Meissner und Sheron Baumann in Kap. 2. Dort beschreiben die Autoren die vier Managementdisziplinen des Integralen Risikomanagements einzeln und zeigen danach Synergiepotenziale auf. Der benannte Beitrag dient insbesondere den Kommunikatoren als Grundlage und verdeutlicht ihnen, wie alles zusammenhängt. • Integrales Risikomanagement: Das Integrale Risikomanagement hat eine ganzheitliche Perspektive. Es umfasst die vier Management-Systeme „Klassisches Risikomanagement“, „Notfall- und Krisenmanagement“, „Business Continuity Management“ und „Internes Kontrollsystem“, fokussiert aber in Abgrenzung zum ganzheitlichen Risikomanagement nicht auf die informelleren Aspekte, wie beispielsweise die Risiko- und Sicherheitskultur. • Klassisches Risikomanagement: Es identifiziert im Unternehmen Risiken, bewertet diese hinsichtlich des Schadensausmaßes und der Eintrittswahrscheinlichkeit, bestimmt Maßnahmen zur Risikobewältigung und kontrolliert regelmäßig, ob letztere noch wirksam sind. • Notfall- und Krisenmanagement: Das Ziel besteht darin, ein Unternehmen auf das Eintreten einer Krise vorzubereiten, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen und Krisenpläne zu erstellen, um das Ausmaß und die Dauer eines Ereignisses so gut wie möglich zu reduzieren. • Business Continuity Management (BCM): Bestehen in Unternehmen Risiken, welche zu Betriebsunterbrechungen führen können, die wiederum kaskadenartig weitreichende Konsequenzen haben können, ist ein Business Continuity Management notwendig, das dafür sorgt, dass alle Voraussetzungen für eine möglichst schnelle Wiederaufnahme des Betriebs vorhanden sind.

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• Internes Kontrollsystem: Es beinhaltet von der Geschäftsleitung angeordnete Vorgänge, Methoden und Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung von Richtlinien und zur Abwehr von Schäden, die intern oder, sei es böswillig bzw. grob fahrlässig, durch Dritte verursacht werden könnten.

3.1.3 Ein weiter Weg Was hier so leicht formuliert als „Integrales Risikomanagement“ daherkommt, ist in der Praxis das Ergebnis harter Arbeit. Mit diesem Reifegrad haben Management-Systeme ein bereits sehr hohes Qualitätslevel erreicht (s. Kap. 1 und 2). Viele Systeme erreichen diesen Reifegrad erst gar nicht. Sie scheitern unter anderem an deren Komplexität und am Aufwand (Hunziker und Meissner 2018, S. VII). Manche würden bereits das Integrale Risikomanagement, spätestens aber das ganzheitliche Risikomanagement, eine Utopie nennen. Elementarer Aspekt, um utopische Vorstellungen in weiter Ferne Wirklichkeit werden zu lassen, ist die Tragik der langen Arbeit (Wikipedia 2018). Man kann die Utopie aber auch als Antrieb zur Realisierung verstehen. So verstand Robert Jungk sie. Jungk wurde 1986 ein „Alternativer Nobelpreis“ verliehen, er gilt als Mitbegründer einer kritischen und kreativen Zukunftsforschung (Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen 2018). Ich schließe mich ihm gerne an. Das „Integrale Risikomanagement“ und seine Weiterentwicklung hin zur „Organisationalen Resilienz (i. e. S.)“ ist eine wünschenswerte Zukunft, nicht zuletzt auch für Unternehmenskommunikatoren!

3.2 Das Integrale Risikomanagement und sein Nutzen für die Unternehmenskommunikation Die Abteilung Unternehmenskommunikation hat ein enormes Eigeninteresse an der Implementierung, der aktiven Gestaltung und der nachhaltigen Weiterentwicklung eines Integralen Risikomanagements. Schließlich ist sie mit absoluter Sicherheit beteiligt, wenn kritische Themen das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Das Integrale Risikomanagement birgt die unterschiedlichsten Nutzen für Unternehmenskommunikatoren: • Ein gemeinsames Ziel: Das Ziel des Integralen Risikomanagements ist klar definiert durch die Sicherung unternehmerischer Zukunft. Davon haben alle Mitarbeiter etwas. • Zukunftsrelevante Schwerpunkte: Das Integrale Risikomanagement führt zu einem klareren Gesamtbild, im Übrigen auch zu einem gemeinsamen Verständnis für kritische Themen, Gefahren, Risiken und Krisen. Die Identifikation und Bewertung der Risiken fokussiert die dringlichen Handlungsfelder und ermöglicht ihren systematischen Angang. Die Schwerpunkte der Kommunikationsarbeit verlagern sich.

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• Mehr Sensibilität: Das Identifizieren operativer, finanzieller und strategischer Risiken ist im Integralen Risikomanagement Aufgabe des ganzen Teams, das im kontinuierlichen Prozess zunehmend sensibler wird. Diese Sensibilisierung führt zu einer deutlichen Verringerung von zu erwartenden Schäden und Eintrittswahrscheinlichkeiten. Das Team implementiert und überwacht in diesem Zusammenhang auch geeignete Prozesse und Instrumente zur Früherkennung. Ein solches Instrument ist das Issues Management, dass damit nicht mehr „im Aufgabenkanon der PR“ (Geißler 2001, S. 207), sondern im Kontext der Unternehmensführung verortet ist. • Aktion statt Reaktion: Wer früh von kritischen Situationen weiß, hat die Chance, gegenzusteuern, es gar nicht erst zur Krise kommen zu lassen und mitunter auch Chancenpotenziale herauszuarbeiten. Der Zeitvorsprung minimiert die Ohnmacht des Kommunikators, das Gefühl, „hilflos ausgeliefert“ zu sein. • Geteilte Verantwortung: Im Integralen Risikomanagement wird die unternehmerische Zukunftssicherung zur Gemeinschaftsaufgabe. Auch der Kommunikator ist nicht mehr auf sich allein gestellt: Die Risiken, die ihren originären Ursprung in der Abteilung Unternehmenskommunikation haben, werden ebenfalls zur Gemeinschaftsaufgabe. Diese geteilte Verantwortung führt zu einem Gefühl der Entlastung. • Konsistente Kommunikation: Wer das große Bild hat, statt nur einen Ausschnitt zu sehen, vermindert das Risiko, heute mit voller Überzeugung etwas zu kommunizieren, das morgen so nicht mehr haltbar ist. Die Zahl der „Tretminen“ ist deutlich reduziert. • Reibungsloseres Zusammenwirken im Ernstfall: Ein kontinuierliches Arbeiten im Integralen Risikomanagement führt zum Aufbau von mehr Nähe, zu mehr Vertrauen in und Verständnis für die Sichtweisen der Kollegen. Gepaart mit gemeinsamer Vorbereitung („Wissen, was zu tun ist, falls sich die Restrisiken und unvorhergesehenen Risiken in einem Schaden manifestieren“) und regelmäßigen Szenario-Trainings kann das Team auch im Ernstfall reibungsloser und professioneller zusammenarbeiten. Effizienz und Synergien – das Zusammenbringen wichtiger Erkenntnisse von Risikound Krisenmanagement – minimiert zudem den Mehraufwand für Analyse, Organisation und Planung (Bédé 2009, S. 7). • Entwicklung gemeinsamer Fähig- und Fertigkeiten: Das Arbeiten in interdisziplinären Teams, wie in einem solchen des Integralen Risikomanagements, fördert den Blick über den Tellerrand und führt letztendlich zum Einreißen der Silos. Die Teamfähigkeit und das Anwendungswissen von Problemlösungstechniken werden gestärkt. Das Methoden-Know-how der Risiko- und Krisenmanager ist zudem eine Bereicherung für Kommunikatoren. • Mehr Souveränität: Führungskräfte, die sich der weit fortgeschrittenen Qualität ihres Management-Systems bewusst sind, sind selbstbewusster und eloquenter. Diese Souveränität stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die weitere Entwicklung des Unternehmens dar (s. Kap. 1).

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• Wertschätzung, Anerkennung und Respekt für die Profession „Unternehmenskommunikation“: Durch stetes Tun erfahren die Teammitglieder, dass die Unternehmenskommunikation nicht nur einen sehr wertvollen, sondern auch einen unverzichtbaren Beitrag im Integralen Risikomanagement leistet. Da ist sie: die lang ersehnte Managementfunktion der Unternehmenskommunikation.

3.3 Eine neue Rolle und ihre praktische Ausgestaltung Mit der neuen Rolle der Unternehmenskommunikation im Integralen Risikomanagement gehen Verhaltenserwartungen und Aufgaben einher, die im Folgenden grob beschrieben werden:

3.3.1 Beitrag zur Risiko-Identifikation und Bewertung 

„A crisis is a risk manifested“ (Heath und O’Hair 2009, S. 15).

Die Erkenntnis formulierten Robert L. Heath und H. Dan O’Hair bereits 2009 in ihrem Beitrag „The Significance of Crisis and Risk Communication“. Sie ist auch der Ansatz des Integralen Risikomanagements. Das nicht erkannte oder schlicht ignorierte Risiko ist die Keimzelle jeder Krise (Möhrle 2016, S. 19). Dabei muss man wissen, dass unternehmerisches Handeln grundsätzlich mit Risiken einhergeht. Hartwin Möhrle verweist in diesem Zusammenhang auf die sehr treffende Redewendung aus dem angelsächsischen Sprachraum: „You can’t make an omelet without breaking an egg“ (Möhrle 2016, S. 20). Entscheidend sei allerdings die Balance von Risiken und den damit verbundenen Benefits, schreibt er an gleicher Stelle. Das heißt also: Jede Unternehmung geht Risiken ein, und diese gilt es zunächst einmal zu identifizieren. Die Abteilung Unternehmenskommunikation wird eine ganze Reihe von Risiken zur Gesamtbetrachtung beisteuern können, darunter altbekannte wie das verpatzte CEO-Interview, die negative Berichterstattung und der Shitstorm, aber auch jene, die mit der Digitalisierung, der Globalisierung, mit neuen technischen Kommunikations-Tools, der veränderten Kommunikationsarchitektur, möglicherweise fehlender Fachkompetenz der eigenen Mitarbeiter oder mit dem konkreten Handlungsfeld des Unternehmens im Zusammenhang stehen. Die Liste ist lang. Aber es lohnt, die Risiken mit dem eigenen Team – auch ganz unabhängig vom Integralen Risikomanagement – zu identifizieren und ein gemeinsames Bild zu erzeugen. Ausgewählte, aktuell relevante Risiken haben die Autoren in Teil II und Teil III näher beleuchtet, darunter die Risiken „Desinformation“ (s. Kap. 8), „Social Bot Angriff“ (s. Kap. 9), „Fehlende Akzeptanz“ (s. Kap. 11 und 12), „Framing“ (s. Kap. 19), „Filmmanipulationen“ (s. Kap. 20) und auch das Risiko „Unzureichende Krisenkommunikations-Fähigkeiten und -Fertigkeiten“ (s. Kap. 13, 14

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und 15). Die insgesamt identifizierten Risiken werden im Anschluss anhand der Kriterien „Eintrittswahrscheinlichkeit“ und „prognostiziertes Schadensausmaß“ bewertet. Im Risikomanagement-Kreislauf heißt der Schritt darum auch „Risikobewertung“.

3.3.2 Beitrag zur Risikosteuerung Im Rahmen der Risiko-Steuerung lautet die Herausforderung, Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen, die dazu führen, das identifizierte Risiko entweder ganz zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. Es empfiehlt sich, mit den Risiken zu starten, die anhand der Kriterien „Eintrittswahrscheinlichkeit“ und „prognostiziertes Schadensausmaß“ hoch eingestuft wurden. Der Prozess der Risikosteuerung ist eine gemeinschaftliche Aufgabe der Teammitglieder des Integralen Risikomanagements. Im Laufe der Zeit werden hier mit Sicherheit alle Disziplinen der Unternehmenskommunikation zum Einsatz kommen. Ihr wertvoller und unverzichtbarer Beitrag zur Sicherung unternehmerischer Zukunft wird hier ganz besonders deutlich. Das Großprojekt und die fehlende Akzeptanz

Ein Unternehmen plant ein Großprojekt. Es besteht das Risiko, dass dieses Großprojekt aufgrund fehlender Akzeptanz der Bevölkerung in der betroffenen Region scheitert, noch weit bevor es zum ersten Spatenstich kommt. Mithilfe der Akzeptanz-Kommunikation lässt sich dieses Risiko deutlich minimieren. So geschehen beim Castortransport der EnBW über den Neckar. Dieser Best-Case ist in Kap. 12 ausführlich erörtert.

3.3.3 Kommunikationsspezifische Vorbereitung auf Restrisiken und unvorhergesehene Risiken Der Prozess-Schritt „Risikosteuerung“, in dem alle Maßnahmen zur Minimierung und Vermeidung von Risiken geplant und umgesetzt werden, endet grundsätzlich mit der Erkenntnis, dass Restrisiken bestehen bleiben. Zudem wird es immer Risiken geben, die das Team nicht vorhergesehen hat. Es heißt: Wer das Restrisiko eingeht, akzeptiert den möglichen Schaden, und wer einen möglichen Schaden akzeptiert, sollte wissen, was zu tun ist, wenn der Schaden eintritt. In diesem Sinne trifft und verantwortet die Abteilung Unternehmenskommunikation risikospezifische und allgemeine Vorbereitungen. Hier sind exemplarisch das Erstellen von Krisenkommunikationshandbüchern, der Aufbau und die Bereithaltung von Kriseninfrastrukturen, die Durchführung von Medientrainings für mögliche Beteiligte, die Beteiligung an Krisenszenario-Trainings, der Erwerb methodischer und fachlicher Krisenkommunikationskompetenzen und die Implementierung digitaler Lösungen zu nennen.

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3.3.4 Professionelles Agieren im Fall einer Krise oder eines Ereignisses mit Krisenpotenzial Der Punkt ist selbstredend: Das professionelle Agieren im Fall einer Krise oder eines Ereignisses mit Krisenpotenzial kann von der Unternehmensleitung und den Kollegen des Integralen Risikomanagements erwartet werden.

3.3.5 Durchführung von Reviews nach Krisenereignissen Um aus Fehlern lernen zu können und erkannte Schwachstellen der Bearbeitung zuzuführen, bedarf es notwendigerweise eines Reviews, sowohl nach Krisenszenario-Trainings als auch nach tatsächlichen Krisenereignissen.

3.3.6 Förderung der Kommunikation innerhalb des Teams des Integralen Risikomanagements Autoren, die sich mit den Erfolgsfaktoren des Integralen und auch ganzheitlichen Risikomanagements beschäftigen, benennen stets die Kommunikation als kritischen Faktor. So auch Jens O. Meissner und Sheron Baumann in Kap. 2: „Ungefragt ist die Kommunikation der zentrale Dreh- und Angelpunkt eines Integralen Risikomanagements. Im ­Rahmen der Implementierung und Aufrechterhaltung des Systems braucht es die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Abteilung Unternehmenskommunikation.“

3.3.7 Unternehmensinterne Vermarktung des Integralen Risikomanagements und Unterstützung der Weiterentwicklung in Richtung „Organisationale Resilienz (i. e. S.)“ Bereits die Entscheidung der Unternehmensleitung zugunsten eines Integralen Risikomanagement-Systems ist ein wichtiges Signal für die Führungsebenen, die Information ihrer Mitarbeiter ernst zu nehmen. Diese erste Sensibilisierung der Mitarbeiter für kritische Themen, Gefahren, Risiken, Krisen und Sicherheitsfragen weiter zu fördern, ist ein wichtiger Schritt in Richtung „Organisationale Resilienz“. Die Abteilung Unternehmenskommunikation trägt maßgeblich dazu bei, dass die Sensibilisierung steigt. Die Entwicklung und Umsetzung entsprechender Kommunikationskonzepte gehört zum Aufgabenbereich der Unternehmenskommunikation. Ein Beispiel zielführender Kommunikationsarbeit liefert die Otto Group, die unter anderem der Fehlerkultur einen hohen Stellenwert beimisst, entsprechende Berichte veröffentlicht und den „Fehler des Qwartals“ kommuniziert (Meckel 2017).

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3.4 Impulse für einen ersten Einstieg Stellt sich die provokante Frage, was die Abteilung Unternehmenskommunikation tut, wenn kein Integrales Risikomanagement implementiert ist – vielleicht nicht einmal ein einzelnes Management-System. Nichts? Mitnichten! Die Abteilung kann in Kenntnis der Rollenbeschreibung durchaus und in ganz eigenem Interesse einen ersten, sehr rudimentären Einstieg wagen. Gespräche mit dem Risikomanager und dem Krisenmanager können – sofern diese Funktionen im Unternehmen verankert sind – der Beginn eines regelmäßigen Austauschs über die Risiken des Unternehmens sein, und mit ihrer Unterstützung sind weitere Kollegen, die für den Austausch relevant sind, schnell gefunden. Auch das Verfolgen der Weisheit, zunächst einmal „vor der eigenen Haustür zu kehren“, ist ein probater Angang. Wer sich der eigenen Risiken bewusst ist und Maßnahmen der Risikovermeidung und ­-minimierung entwickelt und umsetzt, agiert im Zeichen unternehmerischer Zukunftssicherung sehr professionell.

3.5 Handlungsempfehlungen • Eruieren Sie, ob ein Integrales Risikomanagement in Ihrem Unternehmen implementiert ist und welchen Reifegrad das System hat; • Machen Sie sich mit Ihrer Rolle im Integralen Risikomanagement vertraut; • Bringen Sie sich und all Ihre Kommunikationsdisziplinen ein; • Legen Sie die Hände nicht in den Schoß, nur weil kein Risiko- oder Krisenmanagement-System implementiert ist. Wählen Sie einen ersten Einstieg jenseits der Systeme.

Literatur Bédé, Axel. 2009. Notfall- und Krisenmanagement im Unternehmen, 1. Aufl. Stuttgart: Steinbeis-Ed. Transfer-Dokumentation-Report: Vertiefungsrichtung. Geißler, Ulrike. 2001. Frühaufklärung durch Issues Management. Der Beitrag der Public Relations. In Issues Management. Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsauf­ nahme, Hrsg. Ulrike Röttger, Organisationskommunikation, Studien zu Public Relations/ Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement, 207–215. Wiesbaden: VS Verlag. Heath, Robert L., und H. Dan O’Hair. 2009. The Significance of Crisis and Risk Communication. In Handbook of Risk and Crisis Communication, Hrsg. Robert L. Heath, 5–30. New York: Routledge. Hunziker, Stefan, und Jens O. Meissner. 2018. Vorwort. In Ganzheitliches Chancen- und Risikomanagement. Interdisziplinäre und praxisnahe Konzepte, Hrsg. Stefan Hunziker und Jens O. Meissner, VII–X. Wiesbaden: Springer Gabler.

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Meckel, Miriam. 2017. „Nur wer Fehler zulässt, kann Neues entwickeln“. In Wirtschaftswoche, Hrsg. Michael Otto. https://www.wiwo.de/unternehmen/mittelstand/michael-otto-nur-wer-fehlerzulaesst-kann-neues-entwickeln/19336104.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Meissner, Jens O. 2018. Risikomanagement und Organisationale Resilienz. Vom tieferen Sinn eines Corporate Resilience Managements. In Ganzheitliches Chancen- und Risikomanagement Interdisziplinäre und praxisnahe Konzepte, Hrsg. Stefan Hunziker und Jens O. Meissner, 29–59. Wiesbaden: Springer Gabler. Möhrle, Hartwin, Hrsg. 2016. Krisen-PR. Risiken und Krisen souverän managen: Das Handbuch der Kommunikationsprofis, 3. überarbeitete u. aktualisierte Aufl. Frankfurt a. M.: Frankfurter Allgemeine Buch. Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Hrsg. 2018. Wer war Robert Jungk und was hat er uns heute zu sagen? https://jungk-bibliothek.org/ich-will/wer-war-robert-jungk/einfuhrung/. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Wikipedia, Hrsg. 2018. Utopie. Tragik der Unrealisierbarkeit. https://de.wikipedia.org/wiki/Utopie. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

Jana Meißner  ist Juristin und selbstständige Beraterin, spezialisiert auf die Integration der Kommunikation in die Management-Systeme Organisationale Resilienz, Integrales Risikomanagement sowie Risiko-, Notfall- und Krisenmanagement. Gemeinsam mit ihrem interdisziplinären Team unterstützt und befähigt sie Mitarbeiter in Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen bei der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung entsprechender Konzepte, Management-Systeme und Kommunikationsstrukturen. Vor ihrer Selbstständigkeit sammelte Meißner zwölf Jahre lang Krisenmanagement- und Krisenkommunikationserfahrung als Pressesprecherin bei der Koelnmesse und der Warsteiner Gruppe, zuletzt als stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation. Sie ist heute – neben ihrer Beratertätigkeit – Autorin im Springer Gabler Verlag sowie Lehrbeauftragte der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld und Köln und der Europäischen Medien- und ­Business-Akademie in Düsseldorf.

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Der Werkzeugkasten des Krisenmanagements Konzernrichtlinien, Handbücher und Methodiken für eine schnelle, strukturierte und zielführende Stabsarbeit Joannis Koulalis und Christof Schäfer

Zusammenfassung

Dieser Beitrag beleuchtet die Arbeitsweise des Daimler-Krisenstabs am Standort Mannheim anhand eines realitätsnahen und praxisrelevanten Szenarios und gewährt einen Einblick in den Werkzeugkasten des Krisenmanagements. Darin unter anderem enthalten: Konzernrichtlinien, Krisenmanagementhandbücher und die Methodik „Führungsrhythmus“. Die Methodik zur strukturierten Entscheidungsfindung – auch als „Führungskreislauf“ bezeichnet – blickt auf eine lange Historie zurück, sie ist bewährt, enorm hilfreich für die Ablauforganisation und trotzdem allzu oft unbekannt. So behandelt der Beitrag nicht nur wesentliche Aspekte des Krisenmanagements, sondern ist gleichzeitig auch ein Plädoyer für den „Führungsrhythmus“.

4.1 Einleitung In Mannheim konstruierte Carl Benz 1886 das erste Automobil der Welt. Hier liegen die Wurzeln der Daimler AG. Das Mercedes-Benz Werk Mannheim ist einer der traditionsreichsten Standorte des Konzerns. Heute dreht sich hier alles um das Herzstück eines jeden Fahrzeuges – den Motor. Gefertigt werden modernste Nutzfahrzeugund Industriemotoren, hochwertige Gussteile sowie Tauschmotoren für Lkw, Pkw und Transporter. Ebenfalls am Standort Mannheim beheimatet ist die EvoBus GmbH. Sie ist

J. Koulalis (*) · C. Schäfer  Mercedes Benz und EvoBus Werk Mannheim, Daimler AG, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Schäfer E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_4

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als ­Tochterunternehmen der Daimler AG verantwortlich für die europäischen Busaktivitäten des Konzerns. Für den Standort definiert das Unternehmen – neben Innovationskraft, nachhaltiger Mobilität und Umweltschutz – das Thema Sicherheit als eine der wichtigsten Herausforderungen. Im Fokus stehen der Schutz der Mitarbeiter, der Unternehmenswerte und der Geschäftsprozesse sowie der Schutz von Wissen und Informationen, inklusive der Unternehmens-, Mitarbeiter- und Kundendaten. Um diesen Schutz gewährleisten zu können, gehören die schnelle Reaktion und Handlungsfähigkeit bei kritischen Ereignissen, ein effizientes sowie effektives Sicherheitsrisikomanagement, hohe Sicherheitsstandards, die Einhaltung der Corporate Governance und die Einhaltung von Rechtsvorschriften, Gesetzen, Regeln und Werten zu den Aufgaben der Konzernsicherheit – nicht nur am Standort Mannheim, sondern weltweit. In diesem Beitrag widmen wir uns der Arbeitsweise unseres Krisenstabs bei kritischen Ereignissen und öffnen dafür auch den Werkzeugkasten des Krisenmanagements. Darin enthalten: Konzernrichtlinien, Handbücher und Methodiken für eine schnelle, strukturierte und zielführende Stabsarbeit in kritischen Lagen.

4.2 Das fiktive Szenario: Brand in der Gießerei Nehmen wir an, es würde in der Gießerei – dem Herzstück der Motorenherstellung am Standort Mannheim – ein Brand entfachen. In der Gießerei wird Eisen bei Temperaturen von durchschnittlich 1500 Grad geschmolzen und zu Zylinderköpfen, Kurbelgehäusen und Hinterachsbrücken verarbeitet. Jeder Motor, der das Werk verlässt, hat hier seinen Ursprung. Mehrere hundert Mitarbeiter sind allein in diesem Werksbereich, auf über 60.000 m2, beschäftigt. Viele zehntausende Tonnen Nutzfahrzeug-Gussteile verlassen jährlich das Werk. Ein Brandfall in dieser Gießerei ist ein im Rahmen des Risikomanagements identifiziertes Risiko, das eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit und ein zu erwartendes hohes Schadensausmaß aufweist. Es kann im Wege der Risikosteuerung zwar minimiert, nicht aber gänzlich vermieden werden. Kurz gesagt: Der Brandfall ist ein Risiko, das sich in einem Schaden manifestieren könnte. So haben die Werksicherheit, der Leiter der Gießerei und die Mitarbeiter des Mercedes-Benz Werks Mannheim für den Fall eines Brandes Prävention betrieben. Sie sind vorbereitet und wissen, was im Rahmen des Notfall- und Krisenmanagements zu tun ist, falls das Ereignis trotz aller Risikosteuerungsmaßnahmen eintritt.

4.3 Die Einordnung: Störung, Notfall oder Krise Käme es tatsächlich zu einem Brand in der Gießerei, so würde das Ereignismanagement einen vordefinierten Prozess durchlaufen. Ein solcher Prozess beginnt bei uns grundsätzlich mit der Alarmierung der Abteilung Werksicherheit. Am Standort Mannheim arbeiten wir mit einem Alarmierungs-Tool, das per Knopfdruck eine zentrale Alarmierung

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a­ uslöst. Mit dieser Software können wir innerhalb weniger Minuten alle relevanten Stellen in Bereitschaft versetzen. Auf die Alarmierung folgt eine kurze telefonische Abstimmung mit einem vorab definierten Entscheiderkreis. Dazu gehören die Standortleitung, der Leiter Werksicherheit und der Leiter des Bereiches, den das Ereignis betrifft – in unserem fiktiven Szenario ist dies der Leiter der Gießerei. Der Begriff „Ereignis“ wird von der Sicherheitsterminologie übrigens zumeist verwendet, um eine Situation möglichst neutral zu beschreiben, deren Ausmaß und Einstufung noch nicht absehbar ist. In diesem Stadium ist in der Regel noch unklar, ob es sich um einen Fehlalarm, eine Störung, einen Notfall oder eine Krise ­handelt (Bédé 2009, S. 2). In dem gerade beschriebenen Telefonat wird nun entschieden, ob die Beteiligten das konkrete Ereignis als Störung, als Notfall oder als ein Ereignis mit Krisenpotenzial einstufen. Axel Bédé hat die Unterscheidungen in seinem Skript „Notfall- und Krisenmanagement im Unternehmen“ sehr treffend zusammengefasst: Eine Störung ist eine Abweichung vom Normalzustand oder Normalverlauf. Die Ursachen können eigenoder fremdverursacht sein. Eine Störung wird von der normalen Aufbau- und Ablauforganisation bewältigt (Bédé 2009, S. 3). Ein Notfall ist dagegen ein Zustand, der einem identifizierbaren auslösenden Ereignis folgt und unverzüglich besondere Maßnahmen erfordert, da sonst ein Schaden eintritt bzw. vergrößert wird (Bédé 2009, S. 3). Die dynamischen Prozesse eines Notfalls lassen sich aber relativ konkret prognostizieren (Bédé 2009, S. 4). So kann ein Gebäudebrand ohne weitere schädigende Wechselwirkungen für das Unternehmen und einem Schaden, der relativ schnell zu minimieren beziehungsweise zu kompensieren ist, durchaus als Notfall eingestuft werden (Bédé 2009, S. 3). Damit das Krisenmanagement – und mit ihm die Stabsarbeit – startet, bedarf es jedoch eines Ereignisses mit Krisenpotenzial. Die Krise ist ein gefährliches, dynamisches und Existenz bedrohendes Problem oder Ereignis für ein Unternehmen oder einzelne Mitarbeiter. Die Bewältigung der Krise kann nicht mit den Strukturen der Alltagsorganisation erfolgen, sondern erfordert den Einsatz besonderer Organisationsformen. Die Krise unterscheidet sich vom Notfall insbesondere durch einen hohen Anteil an Ungewissheit und Komplexität, meist verbunden mit einem zu erwartenden höheren Schaden (Bédé 2009, S. 3). Um diese Einschätzung – Störung, Notfall oder Krise – ­treffen zu können, haben wir eine Checkliste erarbeitet. Dabei schauen wir fokussiert auf die möglichen Auswirkungen des Ereignisses. Im konkreten, fiktiven Fall – Brand in der Gießerei – nehmen wir für diesen Beitrag an, es würde sich um ein Ereignis mit Krisenpotenzial handeln und das würde bedeuten: Der Krisenstab wird einberufen.

4.4 Der Beginn: Stabsarbeit im Krisenfall Wenn nun der Krisenstab zusammenkommt, ist es das Ziel des Krisenmanagements und damit die Aufgabe des Krisenstabs, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Systems unter allen Bedingungen sicherzustellen beziehungsweise wiederherzustellen

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(Sartory et al. 2016, S. 43). Das Krisenmanagement ist dabei eine besondere Form der Führung von höchster Priorität (Sartory et al. 2016, S. 30). Wir sprechen von einer temporären Sonderorganisationsstruktur. Der Krisenstab ist das Team zur Krisenbewältigung und gleichzeitig der Raum für kollaboratives Denken. Hier ist Kopfarbeit gefragt. Der Krisenstab braucht Menschen, die in der Lage sind, über den Tellerrand zu schauen und Verantwortung zu übernehmen. Der Stab definiert Rollen, die hinsichtlich der personellen Zuordnung und Redundanz von der Größe des Unternehmens abhängen. Die Besonderheit der Stabsarbeit ist, dass die Stabsmitglieder im Rahmen der Stabsarbeit gleichrangig gestellt sind. Die Hierarchien werden temporär aufgehoben – was in der Praxis allerdings nicht immer leichtfällt. Eine besondere Rolle kommt dem Leiter des Krisenstabs zu. Er moderiert durch die Lage, strukturiert und systematisiert die Ergebnisse und erzeugt ein gemeinsames Verständnis der Situation. Ihm bleibt vorbehalten, eine Entscheidung zu treffen, die von jener des Krisenstabs abweicht. Am Daimler-Standort Mannheim obliegt die Rolle des Leiters Krisenstab dem Bereichsverantwortlichen, in dessen Verantwortung das Ereignis fällt. Er wird am Standort Mannheim unterstützt durch den Krisenmanagement-­ Koordinator, der nicht nur hinsichtlich aller Werkzeuge des Krisenmanagements sattelfest ist, sondern gleichzeitig die Qualität der Werkzeuge sicherstellt. Der Krisenmanagement-Koordinator verantwortet die Aktualität der Aufbauorganisation des Krisenmanagements im Hinblick auf Prozesse, Bereiche und Personen, kümmert sich um eventuell erforderliche Nachschulungen und organisiert Szenario-Trainings. Damit hier kein Missverständnis entsteht: Die finale Entscheidung, welcher der vom Krisenstab vorbereiteten Entscheidungsalternativen gefolgt wird, obliegt dem Top-Management. Das ist in unserem Fall der Standortleiter. Man spricht auch von der Entscheidungsebene, wohingegen der Krisenstab die strategisch-taktische Ebene einnimmt und beispielsweise die Werkfeuerwehr die operative Ebene übernimmt, indem sie die erforderlichen Maßnahmen durchführt.

4.5 Der Werkzeugkasten des Krisenmanagements Nun sind in unserem konkreten Krisen-Szenario „Brandfall in der Gießerei“ die Mitglieder des Krisenstabs zusammengekommen und die Stabsarbeit beginnt. Das geht im Übrigen auch via Videotelefonie, denn ein Krisenstabsmitglied mag es mitunter nicht schnell genug oder gar nicht in den physischen Krisenstabsraum schaffen. Im Rahmen der nun anstehenden Teamarbeit sollten die Stabsmitglieder auf eine Reihe von Hilfsmitteln zurückgreifen können, die eine effektive, schnelle, strukturierte und gerichtsfeste Arbeit sicherstellen. Hier haben sich einige Hilfsmittel besonders bewährt, einige haben auch einen rechtlichen Hintergrund. Dazu gehört zum Beispiel das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, kurz KonTraG. Das Gesetz verpflichtet dazu, ein System einzuführen, mit dessen Hilfe Geschäftsrisiken transparent, kontrollierbar und steuerbar werden (Herke 2005). Folgende Rechtsformen haben das

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KonTraG zu beachten: Aktiengesellschaft, GmbH, GmbH & Co. KG, KG und OHG – sofern bei den letzteren beiden keine natürliche Person haftet. Es ist zu beachten, dass Unternehmen dann unter die Vorschriften des KonTraG fallen, wenn neben den Rechtsformvorschriften ferner zwei der drei nachstehenden Kriterien erfüllt sind: Bilanzsumme > 3,44  Mio.  EUR, Umsatz > 6,87  Mio. EUR und Mitarbeiterzahl > 50 (Herke 2005). Häufig entsteht in Erfüllung dieser gesetzlichen Vorgabe ein Notfall- und Krisenmanagement-Handbuch. Auch im Werkzeugkasten am Daimler-Standort Mannheim befinden sich Notfall- und Krisenmanagementhandbücher nebst weiteren Hilfsmitteln für das Krisenmanagement. Zu den relevantesten gehören hier sicherlich die Konzernrichtlinien der Daimler AG und auch eine bewährte, strukturgebende Methodik. Sie trägt den Namen „Führungsrhythmus“.

4.5.1 Die Konzernrichtlinien Ziel der Konzernrichtlinien zum Krisenmanagement der Daimler AG ist die Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens bei Notfällen und Krisen. Die Richtlinien regeln unter anderem die Einrichtung und den Aufbau der Krisenmanagement-Organisationen an allen relevanten Standorten, Einrichtungen und Beteiligungen der Daimler AG sowie deren Betrieb und Weiterentwicklung als Teil des „Business Continuity Managements“ (kurz „BCM“). Sie legen ferner die Grundsätze und Mindeststandards zur Gestaltung der Sicherheit an Standorten und Einrichtungen der Unternehmen des Daimler-Konzerns fest. Konkret werden beispielsweise Verantwortlichkeiten und Rollen definiert, standardisierte Krisenmanagementsysteme beschrieben oder Grundsätze des Reportings festgelegt.

4.5.2 Das Krisenmanagement-Handbuch Das Handbuch dient denen, die damit arbeiten müssen, so lautet unser Leitsatz. Hier steht die Essenz aus Vorgaben und organisatorischem Ablauf. Wir definieren die Mindestanforderung an ein Krisenmanagement-Handbuch wie folgt: Im ersten Teil enthält es Aussagen zur Aufbauorganisation und im zweiten Teil Aussagen zur Ablauforganisation. Manche Krisenmanagement-Handbücher kommen mit einer Länge von 20 Seiten aus, um die Kernaussagen zu treffen. Umfangreichere Handbücher gehen meist mehr ins Detail und ergänzen Checklisten und Schaubilder. Insbesondere die Visualisierung der Prozesse ist äußerst hilfreich. Hierfür nutzt Daimler einheitliche CorporateDesign-Vorlagen, um Irritationen zu vermeiden. Die können wir im Ernstfall nämlich überhaupt nicht gebrauchen. Am Daimler-Standort Mannheim sind im Krisenmanagement-Handbuch unter anderem die Rollen, deren Besetzung samt Dreifach-Redundanzen und die damit verbundenen Funktionen und Aufgaben in der Krisensituation festgelegt, und alle Beteiligten haben

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Zugriff auf das Handbuch – sei es in Papierform oder auf dem Laufwerk oder als mobile Version. Unklarheiten können auf diese Weise durch Nachlesen schnell geklärt werden. Im Übrigen wird die Krisenstabsarbeit ein- bis zweimal jährlich geübt – im Rahmen von Krisenszenario-Trainings. So testen wir die Praxistauglichkeit der definierten Prozesse. Auch die Räumlichkeiten und Ausstattungen für die Stabsarbeit sind im Handbuch definiert: Zwei mögliche Krisenstabsräume befinden sich auf dem Werksgelände, eine Räumlichkeit befindet sich außerhalb. Auf diese Weise ist die Stabsarbeit unabhängig vom tatsächlichen Ereignis gewährleistet. Sämtliches Equipment, das für die Stabsarbeit benötigt wird, ist sowohl digitalisiert als auch physisch redundant vorhanden. In letzterem Fall in mobilen Containern. Nicht im Krisenmanagement-Handbuch des Werkes geregelt sind einzelne S ­ zenarien – und das hat seinen Grund! Die Herausforderung im Umgang mit Krisen ist, mit Unerwartetem umgehen zu können. Essenzielles Merkmal einer Krise ist ihre Komplexität und Unvorhersehbarkeit in der Entwicklung. Könnte man für eine Krise vorab Maßnahmen definieren, so läge keine Krise, sondern ein Notfall vor. Wer Szenarien formuliert, setzt sich sogar der Gefahr aus, sich zu stark an vorab definierte Prozesse zu halten und übersieht mitunter äußerst relevante Aspekte. Richtigerweise sollte also zwischen Notfall- und Krisenmanagement-Handbüchern unterschieden werden – so, wie das am Daimler-Standort in Mannheim der Fall ist. Die Verantwortung zur Erstellung von Notfall-Handbüchern obliegt hier den einzelnen Abteilungen beziehungsweise Unternehmensbereichen. Die Notfallordner beschränken sich auf die Top 5 Szenarien, denn auch hier gilt: So lang wie nötig, so kurz wie möglich.

4.5.3 Der Führungsrhythmus Der Führungsrhythmus ist eine Methode zur strukturierten Entscheidungsfindung. Sie ist die optische Variante eines Prozessschaubildes, die statt vertikaler oder horizontaler Liniendiagramme im Kreis durch die Krise führt. Das Kreisdiagramm macht deutlich, dass mehrere Runden nötig sind, bis die Krise-gelöst-Prüfung zu einem positiven Ergebnis und letztlich zur Beendigung der Stabsarbeit führt. Unser Führungsrhythmus basiert auf einer Methodik, die als FORDEC bekannt ist. Die Buchstaben stehen für die einzelnen Schritte, die zur Entscheidungsfindung führen: Facts (Fakten) - > Options (Handlungsoptionen) - > Risks (Risiken) - > Decision (Entscheidung) - > Execution (Umsetzung) - > Check (Erfolgskontrolle). Für die Einhaltung des Führungsvorgangs nach FORDEC ist im Krisenfall der Leiter des Krisenstabes verantwortlich. Unterstützt wird er im Prozess vom Krisenmanagement-Koordinator. Den Führungsrhythmus durchlaufen wir am Standort Mannheim derzeit noch manuell, arbeiten aber an seiner D ­ igitalisierung. Der Einsatz dieser Methode hat große Vorteile. Zum einen ist sie ein Anker für alle Beteiligten: Sie visualisiert den Teammitgliedern, in welchem Prozessschritt sie sich befinden. So wird die Gefahr, dass sich der Krisenstab „verläuft“, gebannt. Zum anderen ermöglicht ein protokollierter Durchlauf des Führungsrhythmus, die Entscheidungsfindungen

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des Krisenstabs – wie es zu einer Entscheidung gekommen ist und warum welche Entscheidungsvariante verfolgt wurde – im Nachgang nachzuvollziehen. Das ist nicht nur mit Blick auf das Organisationsverschulden, sondern auch hinsichtlich der Revisions- und Gerichtsfestigkeit entscheidend.

4.6 Ausblick und Handlungsempfehlungen Auf dem Weg hin zu einem ganzheitlichen Risikomanagement, in dem das Risiko-, ­Notfall-, Krisen- und Business-Continuity-Management miteinander verzahnt sind und mit der konzernweiten Fehler- und Führungskultur im Einklang stehen, haben wir uns noch einige Meilensteine gesetzt, um unsere Kernaufgabe zu erfüllen: Sicherheit bieten, auch wenn wir wissen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt. Handlungsempfehlungen • Erkundigen Sie sich, ob Ihr Unternehmen ein Risiko-, Notfall- und Krisenmanagement installiert hat. • Klären Sie, ob ein Krisenstab definiert ist, ob Ihnen eine Rolle im Krisenstab zugeteilt ist und welche Funktion und welche Aufgaben die Rolle mit sich bringt – diese Fragestellung ist insbesondere für Kommunikatoren relevant, damit sie im Ernstfall nicht am „Katzentisch“ sitzen. • Erkundigen Sie sich, auf welche Hilfsmittel die Mitglieder des Krisenstabs zurückgreifen können. • Machen Sie sich mit den Hilfsmitteln des Krisenmanagements vertraut, insbesondere mit dem Krisenmanagement-Handbuch und dem Führungsrhythmus – sofern vorhanden. • Nehmen Sie unbedingt an Übungen in Form von Krisen-Szenario-Trainings teil. Nur so werden Sie handlungssicher!

Literatur Bédé, Axel. 2009. Notfall- und Krisenmanagement im Unternehmen, 1. Aufl. Stuttgart: Steinbeis-Ed. (Transfer-Dokumentation-Report: Vertiefungsrichtung). Herke, Martin Dieter. 2005. Risikomanagement entsprechend dem KonTraG. Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich. Hg. v. IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft. https://www.iww.de/bbp/archiv/gesetz-zur-kontrolle-und-transparenz-im-unternehmensbereich-risikomanagement-entsprechend-dem-kontrag-f24228. Zugegriffen: 6. Sept. 2018. Sartory, Beda, Patrick Senn, Bettina Zimmermann, und Sita Mazumder. 2016. Praxishandbuch Krisenmanagement. Krisenmanagement nach der 4C-Methode: Command-CommunicationCare-Compliance, 2. Aufl. St. Gallen: Midas-Management-Verlag.

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J. Koulalis und C. Schäfer Joannis Koulalis ist seit über 30 Jahren im Daimler-Konzern beschäftigt, seit 2014 als Leiter der Werksicherheit am Standort Mannheim für die Daimler AG. Zuvor verantwortete er vier Jahre lang die Werksicherheit im Mercedes-Benz Werk Kecskemét in Ungarn. Seinen Schwerpunkt setzt der Security-Manager auf den Abbau der Silos Risiko-, Notfall-, Krisen- und Business Continuity Management zugunsten eines ganzheitlichen Risikomanagements. Sein Ziel: Die Resilienz des Unternehmens stärken – heute und in Zukunft.

Christof Schäfer ist ausgebildeter Risiko-, Notfall- und Krisenmanager und seit über 30 Jahren im Daimler-Konzern beschäftigt. Er ist Krisenmanagement-Koordinator im Bereich Werksicherheit im Mercedes-Benz Werk Mannheim. Als solcher unterstützt er den Krisenstab bei der Bewältigung kritischer Ereignisse, entwickelt die entsprechenden Konzepte für das Krisenmanagement, stimmt diese mit allen Verantwortlichen ab und ist auch für deren Implementierung und Qualitätssicherung verantwortlich. Neben seiner Tätigkeit im Daimler-Konzern ist Schäfer Mitglied im Feuerwehr-Führungsstab im Rhein-Neckar-Kreis.

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Einbindung der Krisenkommunikation ins Krisenmanagement Best Practice: Erfolgreiche Krisenkommunikation als Standortvorteil Jörg Brückner

Zusammenfassung

Die Salami-Strategie hat als Leitprinzip der Krisenkommunikation ausgedient. In Zeiten von Social Media gilt: Ist die Krisenkommunikation nicht in der Lage, im Ereignisfall offen, ehrlich und schnell zu informieren, schafft sie die Krise, die sie doch eigentlich verhindern wollte, am Ende selbst. Aus Online-Empörung wird ganz schnell Offline-Protest: Das Wutbürgertum bildet für Gerüchte und gezielte Desinformationen einen mächtigen Resonanzboden. Dieser Beitrag betrachtet die Krisenkommunikation der Currenta, die mit dem Chempark eines der größten Chemieareale in Europa mit Standorten in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen betreibt. Die Akzeptanz der Nachbarschaft ist für sie ein Schlüsselfaktor im Standortwettbewerb, eine schnelle und wirkungsvolle Krisenkommunikation daher unabdingbar. Die Vorbereitung betrifft Organisation, Strategie und Methodik. Das bedeutet: Integration der Kommunikation ins Krisenmanagement, maximale Anschlussfähigkeit an kommunale Krisenbewältigungsstrukturen, Arbeit im strikten Führungsrhythmus des Krisenstabs, klare Trennung von strategischer und operativer Kommunikationsarbeit. Schnelle Skalierbarkeit der Strukturen und Unterstützung der eigenen Mannschaft durch digitale Tools runden das Bild ab.

J. Brückner (*)  Currenta GmbH & Co. OHG, Leverkusen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_5

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5.1 Szenario #Schweigepolitik Ein kurzes Szenario vorweg: Dienstagabend, 21.52 Uhr

Zwischenfall in einem Chemiewerk mit Gasaustritt. Der Betreiber schaltet die Anlage ab, Restgase werden abgefackelt. Knappe Information an die städtische Feuerwehr über die Fackeltätigkeit. Der eigentliche Zwischenfall bleibt unerwähnt. Mitternacht Wegen eines beißenden Geruchs mehren sich Anrufe besorgter Anwohner bei der Feuerwehr. Luftmesswagen sind mit Blaulicht im Stadtgebiet unterwegs. Unter dem Hashtag #Giftunfall wächst ein umfassender Thread. Der Anlagenbetreiber schweigt. 3.00 Uhr nachts Unter dem Druck von Pressenachfragen veröffentlicht das Chemieunternehmen eine spärliche Mitteilung auf seiner Homepage. Mittwochmorgen, 8.07 Uhr Sämtliche Lokalmedien berichten seit den Frühstunden über den Vorfall. Bei einer Online-Abstimmung des Lokalsenders erklären mehr als tausend Bürger, Angst vor Chemieunfällen zu haben. Der Bürgermeister kritisiert den Anlagenbetreiber auf Twitter scharf. Mittwochnachmittag, 15.22 Uhr #Giftunfall hat mehr als tausend Retweets. Unter #Schweigepolitik formiert sich ein neuer Thread. Regionale Medien greifen das Thema auf, ein Nachrichtenmagazin berichtet online. Die Bezirksregierung kündigt die Einsetzung eines Sachverständigen zur Aufklärung des Vorfalls an. Donnerstagmittag Der Werksleiter bedauert den Vorfall öffentlich, entschuldigt sich bei den Anwohnern und erklärt, dass zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung bestanden habe. Der Sachverständige wird ihm später Recht geben. Donnerstagabend Trotz Werksleiter-Entschuldigung: Nach Aufrufen in den Sozialen Medien protestieren spontan Hunderte vor dem Werkstor des Chemieunternehmens. Motto: #Vergiften #Verdummen #Verschweigen. Greenpeace fordert detailliertere Angaben zu den freigesetzten Stoffmengen. Privatfernsehen und ein ARD-Team sind vor Ort …

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Das eben geschilderte Szenario ist natürlich fiktiv. Die Mechanismen medialer und politischer Eskalation jedoch sind es nicht. Selbst ein kleiner Zwischenfall kann ganz schnell zum PR-GAU werden, wenn die Leitwerte erfolgreicher Krisenkommunikation unberücksichtigt bleiben: Offen. Ehrlich. Schnell.

5.2 Die Mechanismen medialer Eskalation Mediale Eskalation hält sich nicht an Objektivitätskriterien. Entscheidend ist nicht, ob ein Zwischenfall nach seinem tatsächlichen Auswirkungspotenzial und den Maßstäben operativer Gefahrenabwehr als Krise eingestuft werden muss. Entscheidend ist, ob die Menschen glauben oder glauben könnten, dass es sich um eine Krise handelt.

5.2.1 Offen. Ehrlich. Schnell Über Jahrzehnte war eine diesem Anspruch völlig zuwiderlaufende Philosophie prägend für die Krisenkommunikation in der Industrie. Niemals mehr preisgeben als sowieso offensichtlich ist! Vertrauensfördernd war diese Haltung natürlich nie. Aber als noch Wählscheibentelefone dominierten und die deutsche Fernsehlandschaft aus drei Programmen bestand, durfte man darauf hoffen, kleinere bis mittlere Ereignisse einfach wegschweigen zu können. Das geht schon lange nicht mehr. Die gesamte Kommunikationskultur hat sich drastisch gewandelt. „Früher“ war für den Journalisten am Werkstor die von dpa veröffentlichte Information die Recherchequelle und quasi die Lagedarstellung. Folglich musste einst vor allem dpa beobachtet und ggf. schnell korrigiert werden. Das reicht in Zeiten von Social Media längst nicht mehr. Jedes moderne Smartphone liefert gestochen scharfe 4 K-Aufnahmen, die ohne Umwege über irgendwelche Redaktionen schon Sekunden später im Internet kursieren können. Heute ist potenziell jeder Reporter, Kameramann und Kommentator.

5.2.2 Wer schweigt, verliert Damit steigt der Druck auf die Unternehmenskommunikation, schnellstmöglich selbst etwas Medientaugliches zu liefern: Wer schweigt, verliert. Denn auch die traditionellen Medien spüren den Erwartungsdruck der auf Sofortbefriedigung aller Informationsbedürfnisse getrimmten Digital-Konsumenten. Nicht zuletzt deshalb gelten Facebook, Twitter und Co. mittlerweile als zitierbare Recherchequelle. In Ermangelung verlässlicherer Alternativen bedient man sich bei Bedarf der Fotos und Videos aus dem Sozialen Netz – bisweilen tweeten und posten Spiegel, Tageschau und Co. selbst munter mit. Eine Trennung von lokalen und nationalen Ereignissen ist so auch aufgehoben.

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Wer schweigt, verliert: Das gilt auch in der Ereignis-Nachbereitung. Wenn die eigentliche Gefahr längst gebannt ist, rückt die Suche nach dem Skandal in den Vordergrund. Wer hat Schuld? Wer hat was versäumt? Wer ist seiner Aufsichtspflicht nicht richtig nachgekommen? Ist etwas vertuscht worden? Welche Konsequenzen werden daraus jetzt gezogen? In der Ära des Postfaktischen liefern die Sozialen Netzwerke am schnellsten Antworten. Ob Fakt oder Fake: Sie setzen die traditionellen Medien unter Lieferzwang und machen so doppelt Druck auf Politik, Verwaltung, Exekutivorgane und nicht zuletzt das betroffene Unternehmen selbst.

5.2.3 Medien lieben Krisen Feuer bringt naturgemäß mehr Aufmerksamkeit als Blumen. Gefahr ist evolutionsbedingt der effektivste Aufmerksamkeitstrigger. Kein Wunder also, dass Medien immer schon auf Krisen vorbereitet sind: Sie leben davon. Seit den 1960ern weiß die Medienforschung: „Je negativer ein Ereignis, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder Tod bezogen ist, desto stärker wird es von den Medien beachtet ­(Galtung und Holmboe Ruge 1965, S. 64–91).“ Krisen sind gewissermaßen das Koffein der Mediengesellschaft.

5.3 Die Erfolgsfaktoren der Krisenkommunikation Allein die Einsicht, dass in der heutigen Medienlandschaft Ereignisse mit Krisenpotenzial eine enorme Dynamik entwickeln können, reicht nicht aus, um den komplexen kommunikativen Herausforderungen mit der gebotenen Geschwindigkeit und den erforderlichen Ressourcen begegnen zu können. Was also macht eine erfolgreiche Krisenkommunikation aus?

5.3.1 Unternehmen brauchen Akzeptanz Unternehmen brauchen Akzeptanz, keine Krisen. Sie fürchten nichts so sehr wie Störungen des Normalfalls, Rechtfertigungsdruck, Vertrauensverlust. Genau deshalb müssen sie sich intensiv auf Krisen vorbereiten: organisatorisch, strategisch, methodisch. Currenta ist Manager und Betreiber des Chempark. Mehr als 70 Unternehmen, darunter Weltkonzerne wie Bayer, Lanxess und Covestro produzieren hier im großen Maßstab. Die Akzeptanz der Nachbarschaft ist für den Chempark die „Licence to Operate“. Eine schnelle und wirkungsvolle Krisenkommunikation ist daher unabdingbar – übrigens auch aus der Perspektive der dem Verursacher benachbarten Betriebe.

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5.3.2 Für Öffentlichkeitsarbeit hat der Chempark-Leiter immer den Rücken frei Im Krisenfall erwarten Nachbarn und Öffentlichkeit berechtigterweise schnell konkrete Informationen. Das ist die Sachebene. Auf der Beziehungsebene erwarten sie vor allem, mit ihren Sorgen und Befürchtungen ernst genommen zu werden. Currenta adressiert diese Erwartung schon mit der Auswahl der kommunikativen Speerspitze. Damit der Chempark-Leiter als oberster Standortvertreter den Rücken frei hat für die Öffentlichkeitsarbeit, wird der Chempark-Krisenstab von einer Doppelspitze geleitet. Diese Doppelspitze ist das Resultat aus einer Krisen-Erfahrung in den 90er Jahren. Damals fiel der Werksleiter in seiner Funktion als Krisenstabsleiter nahezu vollständig aus, weil allein er als Standortrepräsentant mit ausreichendem hierarchischem Gewicht dem gewaltigen Mediendruck begegnen konnte. Zwar sitzt auch heute der Chempark-Leiter dem Krisenstab vor. Doch die eigentliche Moderation übernimmt ein hauptamtlicher Krisenmanager. Dadurch ist die Kontinuität der Arbeit über die gesamte Krise sichergestellt und der Chempark-Leiter hat jederzeit die Möglichkeit, den Krisenstab zu verlassen.

5.3.3 Strukturelle Einbindung der Kommunikation ins Krisenmanagement Die Basis für erfolgreiche Krisenkommunikation ist die feste Einbindung der Kommunikationsstrukturen in das Krisenmanagement. Zur festen Besetzung des Krisenstabs gehören vier Fachgruppen (s. Abb. 5.1): • Fachgruppe 1, die Werkfeuerwehr, liefert als Bindeglied zur Einsatzleitung die Informationen zur Lage, Gefahrenabwehr und zum Einsatz. • Fachgruppe 2, der Werkschutz, ist zuständig für das Security Management und die Logistik. • Fachgruppe 3, die Umweltexperten, ist zuständig für die Themen Umweltgefährdung, Stoffbewertung und Behörden. • Fachgruppe 4, die Unternehmenskommunikation, kümmert sich um die Medien, die Nachbarn bzw. Öffentlichkeit sowie um die Belegschaft. Darüber hinaus kann der Krisenstab im Bedarfsfall Fachberater in den Krisenstab einberufen. Das können zum Beispiel Experten für die Themen Recht, Personal, Medizin oder Arbeitssicherheit sein. Und natürlich ist das betroffene Unternehmen aus dem Chemiepark mit einem Vertreter im Krisenstab am Tisch.

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Abb. 5.1  Krisenstab der Currenta

5.3.4 Volle Anschlussfähigkeit an die kommunale Krisenorganisation Die Krisenbewältigungsstrukturen im Chempark sind nahezu identisch mit denen im kommunalen Bereich. Vorteil: Bei einem Großschadensereignis, das mit Chempark-Kräften allein nicht mehr zu bewältigen ist, ist die Organisation vollständig kompatibel mit externen Führungsstrukturen und daher sofort handlungsfähig. Und: Die strukturelle Kongruenz sorgt für ein gemeinsames Lagebild und ist somit eine wichtige Voraussetzung für eine offene, einheitliche und widerspruchsfreie Kommunikation.

5.3.5 Krisenstab arbeitet strikt nach Regelkreis-Methodik Für die Krisenstabsarbeit ist die klare Trennung in aufeinander folgende Phasen prägend. Sie folgt einem Regelkreis aus Lagefeststellung, Lagebewertung mit all ihren Optionen und Risiko/Nutzen-Abwägungen, Maßnahmenfestlegung und anschließender Umsetzung (s. Abb. 5.2). Nach einer festgelegten Zeit kommt der Krisenstab wieder zusammen, um mit einer weiteren Lagefeststellung erneut in den dargestellten

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Abb. 5.2  Regelkreis-Methodik

­ rbeitszyklus ­einzusteigen. Diese Regelkreis-Methodik wird auch „Führungsrhythmus“ A oder „Führungskreislauf“ genannt. Grundsatzregel dabei: Während der Lagebesprechung bleiben Laptop oder Smartphone aller Teilnehmer aus. Wer die Axt schärfen will, kann halt nicht gleichzeitig Bäume fällen.

5.3.6 Trennung strategischer und operativer Kommunikationsarbeit Erst in der Arbeitsphase nimmt der Vertreter der Currenta-Unternehmenskommunikation im Krisenstab Kontakt mit seinem Chef vom Dienst (CvD) auf, der dann die operative Krisenkommunikationsarbeit im Back-Office steuert. Beide Funktionen sollten mit erfahrenen Mitarbeitern der Unternehmenskommunikation besetzt sein. Das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen der strategisch-beratenden Krisenstabsfunktion und dem Back-Office ist entscheidend, damit alle folgenden Kommunikationsmaßnahmen auf einer identischen Beurteilung der Lage fußen und dem gleichen Ziel dienen: am Telefon mit den Journalisten, an der Nachbarschafts-Hotline, bei den unterstützenden Agenturen oder ggf. beim Statement am Werkstor.

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Der CvD sorgt dafür, dass die Lage auch in den operativen Einheiten der Unternehmenskommunikation im Rhythmus des Krisenstabs aktualisiert wird. Er transportiert die Informationen aus der operativen Kommunikationsarbeit zurück an den Kollegen im Krisenstab, der diese in die nächste Lagebesprechung einbringt. So erfolgt stets ein Abgleich zwischen dem Bild des Krisenstabs und der Außenwahrnehmung.

5.3.7 Nahezu verzögerungsfreie Ereigniskommunikation Wer schnell informieren will, braucht selbst schnell Informationen zum Ereignis und zur Lage. Die Integration der Kommunikation in die Krisenbewältigungsstruktur schafft dazu die beste Voraussetzung. An den Chempark-Standorten sorgt dies für eine nahezu verzögerungsfreie Ereigniskommunikation. Krisenmanagement und Krisenkommunikation liegen in der Hand des Chempark-Betreibers Currenta. Dies passt auch zu den inhaltlichen Fragen der „ersten Stunde“: Was macht die Werkfeuerwehr und wie sollten sich die Nachbarn verhalten? Bei einem Ereignis mit möglicher Gefährdung für die Nachbarschaft geht eine Erstinformation innerhalb von Minuten an die Mitarbeiter im Chempark sowie die Öffentlichkeit und das standortnahe Umfeld: Nachbarschaftshotline, Chempark-App, Twitter und Facebook, Presse, Nachbarschaftsbüros. Sie enthält nicht viel mehr als die Ereignisnachricht selbst und Empfehlungen zum Verhalten.

5.3.8 Informationsfluss nach außen darf nicht abreißen Currenta tut alles, was möglich ist, um jede Folgemeldung mit dem betroffenen Unternehmen abzustimmen. Allerdings ist der Zeitdruck dabei immens. Der Informationsfluss nach außen darf nicht abreißen, will man den hohen Erwartungen der Stakeholder gerecht werden und das Feld nicht den Gerüchteköchen und Stimmungsmachern überlassen. Dazu hat Currrenta mit allen im Chempark vertretenen Partnern organisatorisch und vertraglich entsprechende Vorbereitungen getroffen. Mit einem im Chempark vertretenen Weltkonzern gilt beispielsweise die feste Vereinbarung, dass für jede Meldung 20 min Abstimmungszeit zur Verfügung stehen – Gefahr im Verzug ausgenommen. Innerhalb dieses Zeitfensters erfolgt die Freigabe mit einer einzigen Mail oder einem einzigen Telefonanruf. Kein lähmendes Feedback-Wirrwarr mit fünf Ansprechpartnern und widersprüchlichen Änderungswünschen. Redigieren bis der Shitstorm tobt ist keine Option. Deshalb erhält jedes betroffene Unternehmen von Anfang an Unterstützung und Betreuung durch Currentas Unternehmenskommunikation. Der Abstimmungsprozess darf die weitere Kommunikation nicht blockieren – auch wenn die Vielzahl von Unternehmen an den Chempark-Standorten

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völlig unterschiedliche Abstimmungsvoraussetzungen mit sich bringt. Sollte der Prozess zu lange dauern – beispielsweise, weil der Ereignisbetrieb zu einem US-amerikanischen Konzern gehört und wegen der Zeitverschiebung keine Kommunikationsfreigabe der Mutter erwirkt werden kann – entscheidet der Chempark-Krisenstab über Folgemeldungen oder weitere Kommunikationsmaßnahmen.

5.3.9 Pressekonferenz mit allen Beteiligten muss zu jeder Uhrzeit möglich sein Zu den weiteren Kommunikationsmaßnahmen gehört bei größeren Ereignissen auch die Pressekonferenz. Diese sollte rechtzeitig, aber auch nicht zu früh anberaumt werden. Bei der Terminierung werden nach Möglichkeit auch die Bedürfnisse der Medien berücksichtigt. Prinzipiell kann die Pressekonferenz zu jeder beliebigen Zeit umgesetzt werden – auch nachts und am Wochenende. Zum Standard gehört, alle entscheidenden Funktionsträger auf einer Pressekonferenz zusammenzubringen: Chempark-Leiter, Oberbürgermeister, Leiter der Berufsfeuerwehr, Leiter der Werkfeuerwehr, Sprecher des betroffenen Unternehmens und ggf. auch einen Arzt oder Umweltexperten. Diese müssen sich, bevor sie vor die Presse treten, über die Zuständigkeiten für die jeweiligen Themen einig sein. Entscheidend ist, dass alle Aussagen sich zur gleichen Geschichte zusammenfügen. Und natürlich wird die Pressekonferenz moderiert und hält selbst einen klar abgesteckten Rahmen mit Blick auf Inhalte, Zeit und Gesprächsführung ein.

5.3.10 Eigenes Bildangebot nimmt Leaks die mediale Durchschlagskraft Führt man sich die anfangs beschriebenen Mechanismen medialer Eskalation vor Augen, wird schnell klar, warum Currenta es zum Standard erhoben hat, den Journalisten im Anschluss an die Pressekonferenz auch die Möglichkeit zu geben, den Schadensort zu besichtigen – so nah, wie es die Einsatzkräfte erlauben. Foto- und Filmaufnahmen gehören auch dazu. Sollte dies einmal nicht möglich oder intern unerwünscht sein, sollten zumindest aktuelle Schadensbilder elektronisch angeboten werden. Nichts macht ein Ereignis für ein sensationshungriges Publikum interessanter als heimlich aufgenommene und von Mitarbeitern geleakte Bilder und Videos! Die Pressekonferenz beendet die, intern als „erste Phase“ bezeichnete Ereignis-­ Abarbeitung. Erstmals hat nun auch das betroffene Unternehmen direkten Kontakt zur Öffentlichkeit und muss sich – jetzt, da das Feuer gelöscht ist – den nachfolgenden Fragen etwa nach der Schadenshöhe, den Produktionsengpässen oder der Ursache stellen.

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5.3.11 Service für die Journalisten auch unter Druck Currenta begegnet Medienvertretern auch unter dem Druck eines Ereignisses grundsätzlich mit Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit und aktiver Unterstützung. Currenta macht damit deutlich, dass sie das Recht der Öffentlichkeit auf Information fraglos anerkennt. Ein regengeschützter Sammelpunkt am Werkstor, Strom, Kaffee und Wasser, vielleicht auch ein Regenschirm: kein überflüssiger Service, sondern Ausdruck von guter Vorbereitung und Souveränität. Genau die Eigenschaften, die es auch braucht, um die Schadenslage zu beherrschen. Und wer freundlich behandelt wird, entwickelt auch keine persönlichen Aversionen gegen den Verursacher, die sich später in der Berichterstattung wiederfinden könnten.

5.3.12 Skalierbare Organisation Krisenkommunikation ist bei einem Ereignis mit hohem medialen Eskalationspotenzial eine extrem komplexe Aufgabe. Ein Zweier-Team aus Krisenstabsvertreter und CvD reicht schnell nicht mehr aus. Social-Media-Aktivitäten müssen beobachtet und bewertet werden, Informationen mit öffentlichen Kommunikatoren wie Feuerwehr, Polizei, Umweltamt und Bezirksregierung abgeglichen, interne und externe Zielgruppen über diverse Kanäle – mobile Apps und Social Media zuerst – mit Informationen versorgt werden. Der Unfallbetrieb braucht kommunikative Unterstützung und Betreuung, unter Umständen muss ein Notfallpressezentrum eingerichtet werden, der Chempark-­ Leiter braucht Begleitung durch einen Kommunikationsprofi und gleichzeitig laufen Abstimmungsprozesse für Pressemeldungen. Permanente Dialogbereitschaft wird im Netz und an der Hotline sowieso vorausgesetzt. Deshalb ist das Krisenkommunikationssystem im Chempark skalierbar. In kürzester Zeit lässt sich die Mannschaftsstärke im rückwärtigen Bereich vervielfachen: Einschaltung zusätzlicher Pressesprecher, Mehrfachbesetzung der Nachbarschaftshotline, Hinzunahme externer Agenturen.

5.3.13 Digitale Toolbox Das alles funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil Currenta die Abwicklung der operativen Aufgaben mit einer selbst entwickelten, digitalen Toolbox massiv unterstützt. Im Fokus steht dabei mobiles Arbeiten. Die Koordination aller Beteiligten sowie die Abarbeitung der dringlichsten Aufgaben müssen heute ortsunabhängig und ohne Zeitverzug gewährleistet sein. Eine Kommunikationsorganisation, die nach der Alarmierung erst physisch zu Lagebesprechung und Aufgabenverteilung zusammenkommen muss, verliert anfangs wertvolle Zeit und ist faktisch nicht handlungsfähig. Auf den ersten Metern entscheidet sich, ob die Krisenkommunikation kommunikativ vor die Lage kommt oder die kommunikative Initiative doch anderen überlassen muss. Im Ereignisfall bleiben meist nur

5  Einbindung der Krisenkommunikation ins Krisenmanagement

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wenige Minuten, um mit der Erstinformation noch proaktiv zu kommunizieren. „Erst auf Nachfrage unserer Redaktion erklärte das Unternehmen …“ wirkt nicht vertrauensfördernd und bedeutet imagetechnisch sofort mühsame Defensivarbeit. Currenta nutzt darum unter anderem ein selbst entwickeltes Krisentool. Die mobile Arbeits-App ist komplett auf Geschwindigkeit ausgelegt: alles Wesentliche auf einen Blick, übersichtliche Checklisten mit klaren To-dos, die auch sofort als Jobs verteilt und nachgehalten werden können. Integriert in die digitale Toolbox ist auch die Eigenentwicklung „Easy Publish“ – ein vollwertiges mobiles Redaktionssystem. Speziell Erstinformationen lassen sich damit in Sekundenschnelle aus Textbausteinen zusammenklicken und direkt in alle relevanten Kanäle spielen. Entsprechende Verteiler für interne und externe Zielgruppen, lokal, regional oder bundesweit, sind hinterlegt und werden „mobile first“ bedient. Ein Notfall-Navigator auf Wiki-Basis – intuitiv nutzbar und selbstverständlich mobil verfügbar – bietet wertvolles Praxiswissen zum schnellen Nachlesen: rollenspezifische Checklisten, Dos and Don’ts im Interview, Unwörter-Listen, Tipps und Tricks und vieles mehr. Unter dem Druck eines Ereignisses muss jede Unklarheit, jeder Zweifel darüber, was jetzt von wem zu tun ist, sofort aus dem Weg geräumt werden können.

5.4 Handlungsempfehlungen Testen Sie Ihre Kommunikationsstrukturen auf Krisentauglichkeit und passen Sie konsequent alles an, was noch nicht optimal auf Hochgeschwindigkeitskommunikation mit hohem inhaltlichem Verbindlichkeitsgrad eingestellt ist: • Entwickeln Sie ein vorabgestimmtes Textbausteinpaket für Erstinformationen im Krisenfall. • Machen Sie ein Planspiel mit allen Beteiligten: Feuerwehr, Werkschutz, Umweltüberwachung, Werks-/Standortleiter, Kommunikation. • Klären Sie, ob Rollen und Aufgaben klar sind. • Prüfen Sie, ob die Arbeitsgeschwindigkeit ausreichend ist, auch unter Druck. • Testen Sie, ob die operative Abarbeitung sichergestellt ist, auch wenn das Thema eine große Dynamik entwickelt. • Eruieren Sie, ob die Strukturen auch nachts und am Wochenende funktionieren.

Literatur Galtung, Johann, und Mari Holmboe Ruge. 1965. The structure of foreign news. The presentation of the Congo, Cuba and Cyprus crisis in four norwegian newspapers. Journal of Peace Research 2 (1): 64–91.

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J. Brückner Jörg Brückner leitet die Krisenkommunikation und das Issue Management bei Currenta, dem Manager und Betreiber eines der größten Chemie-Areale in Europa. Der Chemiepark hat seine Standorte in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Brückner trat nach seinem Studium der Geschichts- und Politischen-­ Wissenschaften in Bochum zunächst als Pressesprecher der Bayer AG ins Berufsleben ein. Ab 2002 leitete er die Presse und PR bei Currenta, vormals Bayer Industry Services. 2016 übernahm Brückner dann seine heutige Leitungsposition. Sein Schwerpunkt liegt auf der steten Weiterentwicklung der Prozesse und Inhalte, verbunden mit der Implementierung digitaler Lösungen, die der zunehmenden Bedeutung der Kommunikation innerhalb des Krisenmanagements Rechnung tragen und eine schnelle, offene und ehrliche Kommunikation im Rahmen plötzlich eintretender Krisen – sei es durch einen Unfall oder technischen Defekt – unterstützen.

Teil II Der Ursprung allen Übels – Ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken der heutigen Zeit und Impulse für ihre Bearbeitung

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Kommunikation braucht Haltung Ein Plädoyer für ein Ethos der Wahrhaftigkeit Martin Brüning

Zusammenfassung

PR-Arbeit kann nachhaltig nur erfolgreich sein, wenn sie eine grundsätzlich positive Unternehmenswirklichkeit reflektiert: Sie kann die Wirklichkeit nicht dauerhaft „schönen“ und letztlich niemals besser sein als die Faktenlage selbst. Dies gilt insbesondere bei Krisen, die vor allem dann gemeistert werden, wenn ein Ethos der Wahrhaftigkeit die Grundlage der Kommunikation des Unternehmens mit seinen Stakeholdern ist. Dieser Beitrag befasst sich mit der Unternehmenskommunikation, der die Aufgabe zukommt, nicht nur die Technik und Form der Botschaften-­Übermittlung zu verantworten, sondern aktiv an der Gestaltung der Unternehmenswirklichkeit zu partizipieren. Die Basis einer erfolgreichen PR-Arbeit bilden insofern die umfassende interne Information der PR-Verantwortlichen und ihre Beteiligung an den Entscheidungen des Managements. Nicht zuletzt können jedoch Gefahren für die Reputation eines Unternehmens durch eine PR-Arbeit entstehen, die bei den Stakeholdern überzogen positive Eindrücke und Erwartungen weckt, die nicht von der Unternehmenswirklichkeit gedeckt sind. Dann droht ein Reputation-Reality Gap, dessen Aufdeckung dem Ansehen und der Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens weitreichenden Schaden zufügt.

M. Brüning (*)  Unternehmenskommunikation, REWE Group, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_6

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6.1 „Es gibt nichts Gutes außer: Man tut es“ „Es gibt nichts Gutes außer: Man tut es.“ Das bekannte Diktum Erich Kästners aus dem Jahr 1950 mag seither viele besinnliche Reden, Aufsätze und Briefe geschmückt haben, auch solche von Managern und Unternehmensvorständen. Als Grundsatz einer resilienten Unternehmens- und Krisenkommunikation dürfte es bislang kaum in Erscheinung getreten sein. Die hier zur Diskussion gestellte These indes lautet: Auf Dauer kann PR-Arbeit von Unternehmen niemals besser sein als die ihr zugrunde liegende tatsächliche Unternehmenswirklichkeit, und dies gilt besonders in Krisensituationen. Deshalb brauchen Unternehmenskommunikatoren Haltung und Mut zur Wahrhaftigkeit. Sie müssen sich in die Prozesse der Entscheidungsfindung mit ihrer spezifischen Expertise einbringen und auf diese Weise die „Taten“ des Unternehmens mitgestalten. In der deutschen PR-Branche findet diese These sicher nicht ungeteilte Zustimmung. Denn mit Leidenschaft wurde schon darüber gestritten, wie viel Wahrheit und Wahrhaftigkeit einer erfolgreichen Public-Relations-Arbeit überhaupt zugrunde liegen muss – oder: ob die Unternehmenswirklichkeit überhaupt die Grundlage der Kommunikation mit Medien und Stakeholdern zu sein habe. Legendär ist die Kontroverse um Klaus Mertens Aufsatz: „Nur wer lügen darf, kann kommunizieren“ (Merten 2006). Mertens Idee, PR-Manager hätten die „Elastizität von Wahrheit“ zu testen (Klawitter 2008), rief unter anderem den damaligen Vorsitzenden des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR), Richard Gaul, auf den Plan: „Unser Berufsethos verbietet Täuschung ausdrücklich“ (Klawitter 2008). So standen und stehen sich verschiedene Zugänge zur Aufgabe und zum Ethos der PR-Arbeit gegenüber. Grob zugespitzt könnte man Klaus Mertens einem konstruktivistischen Pol zuordnen: „PR ist ein Prozess intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung von Images in der Öffentlichkeit.“ Am gegenüberliegenden (vielleicht: kooperativen) Pol mag man Albert Oeckls Bestimmung aus dem Jahr 1964 verorten: „Öffentlichkeitsarbeit ist das bewusste, geplante und dauernde Bemühen, gegenseitig Verständnis aufzubauen und Vertrauen zu pflegen.“. Man muss keine umfangreichen semantischen Untersuchungen anstellen, um die Untiefen beider Bestimmungen aufzuspüren. Was ist das für ein dunkel raunender Plural von Wirklichkeit, den Mertens einführte? Wie viele Wirklichkeiten muss man ins Kalkül ziehen, wenn man unterstellt, dass es nicht nur eine, für alle gleiche und gleich wirksame Wirklichkeit gibt? Muss man mit Paul Watzlawick die Frage erneuern: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ Oder augenzwinkernd: Hat die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik Einzug in die Niederungen der PR-Arbeit gehalten? Man möchte sich vielleicht einen Spaß daraus machen, mit den vielen wünschenswerten Wirklichkeiten zu hantieren, sie zu dehnen, zu strecken oder zu stauchen. Allein, es bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man den Fernseher einschaltet und die Sprecherin des amtierenden US-Präsidenten der Öffentlichkeit mitteilt, das Weiße

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Haus habe keineswegs die Unwahrheit verbreitet, sondern lediglich „alternative Fakten“ dargestellt. Alternative Fakten aus einer alternativen Wirklichkeit, so ist zu vermuten. Die Welt als fliegender Teppich? Dem Leser sei die sehr interessante Lektüre von Gerd Scobel empfohlen: „Der fliegende Teppich – Eine Diagnose der Moderne“ (Scobel 2017). Andererseits mag Oeckls dauerndes Bemühen, gegenseitig Verständnis aufzubauen, heute von manchem PR-Profi belächelt werden. Vielleicht gilt dieses Bemühen, das vor über 50 Jahren postuliert wurde, als aus der Zeit gefallen: Gleicht das heutige Ringen um Deutungshoheit zwischen Unternehmen, Stakeholdern und Medien in Zeiten von Social Media und Fake News nicht vielfach eher dem Hobbesschen Krieg aller gegen alle? Nicht Vertrauen und Verständnis sind das Ziel, so scheint es mitunter, sondern rasche PR-Erfolge im „Straßenkampf“ einer superschnellen, digitalisierten Medienwelt.

6.2 Plädoyer für ein Ethos der Wahrhaftigkeit Für die tägliche Praxis der Unternehmenskommunikation sind akademische Definitionen und Auseinandersetzungen darüber möglicherweise belanglos. Die diesen Auseinandersetzungen zugrunde liegenden Einstellungen und Haltungen sollten es aber nicht sein. Denn de facto ist es um die Bestimmung von Wirklichkeit und Wahrheit doch nicht ganz so einfach bestellt, wie man meinen möchte. Was wir gemeinhin Wahrheit nennen, ist veränderbar und wandelt sich auf der Basis empirischen Fortschritts. Das berühmte Beispiel des schwarzen Schwans verdeutlicht das. Es war eine Wahrheit, dass es nur weiße Schwäne gab, bis ein schwarzer Schwan entdeckt wurde. Nicht einfacher verhält es sich mit der Wirklichkeit. Denn alles, was der Fall ist, bedarf eben der Perzeption eines Subjekts, dessen Wahrnehmung per definitionem subjektiv ist – und beinahe wie von selbst kommt durch die Pluralität der Subjekte auch die Pluralität der Wirklichkeit wieder ins Spiel. Überzeugte Konstruktivisten werden sich bestätigt fühlen. Aus Sicht einer langfristig strategisch konzipierten PR-Arbeit darf aus dieser durchaus nicht unkomplizierten Ausgangslage jedoch nicht eine Beliebigkeit im Umgang mit der Wahrheit und Wirklichkeit folgen. Wer die „Elastizität der Wahrheit“ testet, der strapaziert damit vor allem die eigene Glaubwürdigkeit und Reputation gegenüber Medien und Stakeholdern. Erforderlich scheint mehr denn je eine Grundhaltung, ein Ethos der Unternehmenskommunikation, das – nicht naiv, sondern aufrichtig – der Wahrhaftigkeit verpflichtet ist: Wahrhaftigkeit als Grundhaltung, mit der sich Unternehmenskommunikatoren auf die Suche nach der Wahrheit machen und klar auf der Basis der Unternehmenswirklichkeit planen, steuern und kommunizieren. Besonders in Krisensituationen verwandelt sich die Suche nach der Wahrheit von einer Grundhaltung der Unternehmenskommunikation zum kategorischen Imperativ: Nur wer die Wahrheit kennt – und zwar in vollem Umfang und mit all ihren möglicherweise niederschmetternden Details – kann eine angemessene Kommunikation des

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Unternehmens und seiner relevanten Manager gegenüber der Öffentlichkeit organisieren. Huguues Le Bret, der ehemalige Kommunikationschef der Societé Générale, hat detailliert beschrieben, wie eine der gefährlichsten Bankenkrisen in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte intern bearbeitet wurde. In seinem Buch „Die Woche, in der Jérome Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte. Ein Insiderbericht“ (Le Bret 2011), beschreibt er detailliert die schwere Krise, die Kerviel verursacht hatte. Die wichtigste Voraussetzung für den Vorstand und ihn, um eine Totalkatastrophe zu vermeiden, war, in kürzester Zeit die volle Wahrheit über die Sachverhalte herauszufinden. Der Gestaltungsanspruch der Unternehmenskommunikation darf jedoch nicht beim Finden der Fakten enden. Vielmehr muss es einer strategisch orientierten Unternehmenskommunikation darum gehen, die Unternehmenswirklichkeit mit zu gestalten. Dies folgt logisch aus der Prämisse, dass PR niemals besser sein kann als die Wirklichkeit, von der ihre Kommunikation handelt.

6.3 PR kann niemals besser sein als die Wirklichkeit Zwei prominente Beispiele mögen diese Zusammenhänge verdeutlichen: Der sogenannte Elch-Test der A-Klasse bei Mercedes (Diermeier 2011, S. 54 ff.) und Deepwater-­ Horizon-Katastrophe von BP (Hillenbrand 2011). Als es im August 1997 einem Motorjournalisten gelungen war, ein Fahrzeug der neuen A-Klasse in einem extremen Test zum Umkippen zu bringen, machte das Schlagzeilen. Die erste Reaktion der Unternehmenskommunikation von Mercedes war eher konventionell: „Ein Vorstand kann nicht ein Statement abgeben, nur weil irgendwo auf der Welt ein Auto umgekippt ist. Dann müssten wir zig Kommentare abgeben“ (Wilmes 2006, S. 63). Letztlich aber wurde der öffentliche Druck auf Mercedes so groß, dass es für das Unternehmen mittels PR und Marketing überhaupt keine Lösung mehr gab. Schadenfreude spielte da auf journalistischer Seite eine nicht unerhebliche Rolle. Der Wendepunkt wurde erst erreicht, als Daimler CEO Jürgen Schrempp entschied, dass alle bereits gefertigten und auch ausgelieferten Modelle der A-Klasse zurückgerufen und mit dem neuen elektronischen Stabilitätsprogramm ESP nachgerüstet werden sollten. Der Einbau des ESP sollte fortan serienmäßig stattfinden. Die Kosten dafür betrugen in den Jahren 1997 und 1998 zusammen rund 170 Mio. US$. Erst danach kam eine sehr gute PR der Mercedes-Kommunikatoren zum Zuge, die den Elch-Test in seiner öffentlichen Wirkung gleichsam vom Kopf auf die Füße stellte – und erfolgreich mit einem Augenzwinkern kommunizierte: „Mercedes – die Macher des Elch-Autos“. Ein anderes eindrückliches Beispiel für den Zusammenhang von Wirklichkeit und Wirksamkeit von PR ist die Explosion der BP-Ölplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010. Bemerkenswert vor allem: Sehr schnell war in diesem Fall in den Medien und im Unternehmen selbst von einem PR-Desaster die Rede, so als ob nicht die durch das in den Ozean austretende Erdöl verursachten Umweltschäden die Katastrophe darstellten, sondern das Kommunikationsmanagement. Im Kern aber war es nie eine PR-Krise, mit

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der BP zu kämpfen hatte, sondern tatsächlich eine Umweltkatastrophe. Tatsächlich verstieg sich der damalige BP-Chef Tony Hayward damals zu Bemerkungen wie, die eingeleitete Ölmenge sei ziemlich klein im Verhältnis zum sehr großen Ozean (Hillenbrand 2011). Und Hayward stattete den ehemaligen Chefredakteur der „Financial Times“ Andrew Gowers, den er als PR-Berater an Bord geholt hatte, mit einem Budget von 300 Mio. US$ aus, um der Öffentlichkeit ein aus BP-Sicht angemessenes Verständnis der Deepwater Horizon Explosion zu vermitteln. Geholfen hat das alles jedoch nicht. Denn keine PR kann die Wirklichkeit jemals übertrumpfen. Der Wendepunkt in diesem Fall wurde erst erreicht, als das Leck tief unten im Ozean tatsächlich gestopft werden konnte. Doch Vorstandschef Hayward verlor seinen Job und der Aktienkurs von BP hat bis heute nicht mehr den Wert von 7,35 EUR erreicht, den die Aktie vor der Katastrophe hatte.

6.4 Die Gefahr des Reputation-Reality Gaps Gefahren für die Reputation eines Unternehmens lauern allerdings nicht nur in der Krise. Auch wenn die Reputation eines Unternehmens viel positiver ist als die ihr zugrunde liegende Realität, kann dies gefährlich werden. Denn die Reputation eines Unternehmens basiert auf der Perzeption seiner Stakeholder und ist deshalb nicht gleichzusetzen mit dem tatsächlichen Verhalten des Unternehmens und der Unternehmenswirklichkeit: „When the reputation of a company is more positive than its underlying reality, this gap poses a substantial risk. Eventually, the failure of a firm to live up to its billing will be revealed, and its reputation will decline until it more closely matches the reality (…)To bridge reputation-reality gaps, a company must either improve its ability to meet expectations or reduce expectations by promising less“ (Eccles et al. 2007). Die Anforderung an PR-Verantwortliche, sich einzumischen in die strategischen Planungen und Unternehmensentscheidungen, um auf diese Weise die Grundlagen einer positiven Reputation des Unternehmens aktiv mitzugestalten, ist zweifellos leichter zu Papier gebracht, als in der Praxis des Tagesgeschäfts umzusetzen. Möglicherweise sind Verantwortliche der Unternehmenskommunikation nicht immer und überall in den Fachabteilungen und Managementkreisen gern gesehene Gäste: Wie sollte denn der Pressesprecher dem gestanden Diplom-Ingenieur schon bei der Entscheidung über zum Beispiel die Antriebssysteme der Zukunft hilfreich sein? Immerhin: bei der Folgenabschätzung von Entscheidungen hat die Unternehmenskommunikation weitreichende Expertise im Hinblick auf die Reputation des Unternehmens. Hier kann und muss ihr Mehrwert liegen, wie Unternehmenskommunikation ohnehin immer Bedenken muss, dass sie einen Mehrwert für das Unternehmen insgesamt zu generieren hat. Wenn dies nicht gelingt, verharrt die Unternehmenskommunikation in der Rolle eines Botschaften-Technikers: Was immer auch im Unternehmen entschieden wurde oder geschehen ist, die Unternehmenskommunikation darf dann bloß vorschlagen, auf welchem Weg und mit welcher Technik die Botschaft am besten zu verbreiten wäre: Pressekonferenz, Pressemitteilung, Hintergrundgespräch, Social Media Post oder Tweet oder

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irgendeine Mischung daraus. Das aber wäre nicht mehr als die Neubesetzung der Titelrolle in einem Remake des schönen deutschen Heimatfilms „Die Christel von der Post“. Insofern braucht die Kommunikation Haltung und Mut zur Wahrhaftigkeit nicht nur nach außen im Umgang mit Medien und Stakeholdern, sondern auch nach innen. Tiefe und breite Vernetzung im Unternehmen ist für PR-Verantwortliche eine Grundvoraussetzung, um in Projekte und Strategien eingebunden zu werden – ebenso wie Ehrlichkeit und Offenheit, auch im Umgang mit eigenen Fehlern und Fehleinschätzungen. Willy Brandt, gelernter Journalist, hat 1991 einem seiner Bücher den Titel gegeben: „Wir sind nicht zu Helden geboren“. Ohne Zweifel gilt diese Aussage für Politiker ebenso wie für Manager und eben auch für PR-Manager. Aber zu den persönlichen Voraussetzungen eines Jobs in der PR gehört nun einmal eine gewisse Grundausstattung mit Mut. Es gehört die Grundüberzeugung dazu, dass strategische PR-Arbeit vor allem auch die Bereitschaft einschließen muss, Vorständen und Topmanagement die Dinge aus Sicht des Kommunikations- und Reputationsmanagements zu erklären – auch wenn man a priori die Vermutung hat, dass diese Einschätzungen bei den internen Empfängern nicht auf Zustimmung stoßen.

6.5 Handlungsempfehlungen Um eine PR-Arbeit nachhaltig erfolgreich zu gestalten, • muss sich PR-Arbeit auf die Suche nach der Wahrheit im Unternehmen machen, um die tatsächliche Fakten- und Sachlage zu kennen, die die Grundlage jeder nachhaltig erfolgreichen Kommunikationsarbeit ist; • sollte das Ethos der Wahrhaftigkeit die Grundhaltung der Unternehmenskommunikation bestimmen – nicht nur in Krisensituationen; • müssen PR-Verantwortliche an der Gestaltung der Unternehmenswirklichkeit und Managemententscheidungen beteiligt werden und dürfen nicht auf die Rolle von Botschaftentechnikern reduziert werden; • muss überzogen positive PR-Arbeit vermieden werden, damit kein Reputation-Reality Gap entsteht.

Literatur Diermeier, Daniel. 2011. Reputation rules. Strategies for building your company’s most valuable asset, 1. Aufl. New York: McGraw-Hill. Eccles, Robert G., Scott C. Newquist, und Roland Schatz. 2007. Reputation and its risks. Risk management. Hg. v. Harvard Business Review. https://hbr.org/2007/02/reputation-and-its-risks. Zugegriffen: 8. Jan. 2019.

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Hillenbrand, Tom. 2011. Eine Katastrophe, diese Kommunikation. Unwort „PR-Desaster“. Hg. v. Spiegel Online. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/unwort-pr-desaster-einekatastrophe-diese-kommunikation-a-764308.html. Zugegriffen: 8. Jan. 2019. Klawitter, Nils. 2008. Lizenz zum Täuschen. Public Relations. Hg. v. Spiegel Online. http://www. spiegel.de/wirtschaft/public-relations-lizenz-zum-taeuschen-a-584750.html. Zugegriffen: 8. Jan. 2019. Le Bret, Hugues. 2011. Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte. Ein Insiderbericht. München: Kunstmann. Merten, Klaus. 2006. Nur wer lügen darf, kann kommunizieren. Pressesprecher – Magazin für Kommunikation 4 (1): 22–25. Scobel, Gert. 2017. Der fliegende Teppich. Eine Diagnose der Moderne. Originalausgabe. Frankfurt a. M.: FISCHER Taschenbuch. Wilmes, Frank. 2006. Krisen-PR. Alles eine Frage der Taktik; die besten Tricks für eine wirksame Offensive. Göttingen: BusinessVillage (Edition Praxis-Wissen). http://deposit.dnb.de/cgi-bin/ dokserv?id=2782192&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm. Zugegriffen: 8. Jan. 2019.

Martin Brüning  verantwortet seit 2009 den Zentralbereich Unternehmenskommunikation der REWE Group. Nach seinem Magisterstudium der Politischen Wissenschaft, der Philosophie und Pädagogik arbeitete er bis 1998 als Hochschulassistent am Seminar für Politische Wissenschaft an der Rheinischen-Friedrich-WilhelmUniversität Bonn und als Research Assistant am Department of Political Science der University of Wisconsin – Madison (USA). Danach arbeitet er als freiberuflicher PR-Consultant. 2005 wurde Martin Brüning für die METRO AG tätig, zuerst als Referent für Reden und Auftritte des Vorstandsvorsitzenden der METRO Group, ab 2007 als Abteilungsleiter Externe Kommunikation und Pressesprecher der METRO Group. Im Jahr 2008 wechselte er zur REWE Group als Bereichsleiter Internationale Kommunikation/Editorial Services. Martin Brüning ist verheiratet und hat ein Kind.

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Das Gesicht der Krise Der erste Eindruck hat keine zweite Chance: Erfolgsfaktoren für ein professionelles Agieren der Manager in Krisenzeiten Bettina Kappe

Zusammenfassung

Ob Carsten Spohr, Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Martin Winterkorn – sie alle sind oder waren bereits ein „Gesicht der Krise“. Auch Bürgermeister wie Adolf Sauerland oder Politiker wie Olaf Scholz gehören in diese Aufzählung. Analysiert man diese Personen und ihre Verhaltensweisen in Krisenzeiten, seien sie bewusst oder unbewusst, so werden deutliche Unterschiede sichtbar. Beobachter können ebenso gelungene wie fatale Beispiele ausmachen. Während einige Gesichter das Image von Unternehmen und – beziehungsweise oder – ihr eigenes Image nachhaltig schädigen und vielleicht sogar vernichten, schaffen es andere, Vertrauen aufzubauen und sogar gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Dieser Beitrag richtet sich an potenzielle Gesichter der Krise, Krisenmanager und Verantwortliche in der Unternehmenskommunikation. Die Autorin erläutert, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen für ein Gesicht der Krise zugunsten eines professionellen Agierens im Ernstfall entscheidend sind. Schließlich gilt es, nichts dem Zufall zu überlassen, sondern zu wissen, auf welche Erfolgsfaktoren es ankommt und gut vorbereitet zu sein.

7.1 Das professionelle Gesicht der Krise – Erfolgsfaktoren Menschen möchten mit Menschen kommunizieren und nicht mit Unternehmen. Darum braucht eine Krise ein Gesicht! Um Vertrauen aufzubauen und eventuell sogar gestärkt aus der Krise hervorzugehen, sind sechs Erfolgsfaktoren entscheidend.

B. Kappe (*)  Holzwickede, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_7

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7.1.1 Faktor 1: Autorität Das Gesicht der Krise sollte jemand sein, der eine Autorität darstellt. Robert Cialdini, ein amerikanischer Sozialpsychologe, hat in seinem Buch „Einfluss. Wie und warum Menschen sich beeinflussen lassen“ aus dem Jahr 1987 erklärt, warum Menschen für Autoritäten empfänglich sind (Cialdini 1987). Cialdini, der sich im Zuge seiner Lehrtätigkeit an der Arizona State University mehr als 20 Jahre lang mit „automatischen“ Beeinflussungsprinzipien befasst hat, fand heraus, dass grundlegende Mechanismen wirken, wenn Menschen andere Menschen überzeugen. In seinen Studien konnte er aufzeigen, dass die untersuchten Mechanismen, zu denen auch die Autorität gehört, sozusagen „automatisch“ ablaufen. Von klein auf haben wir gelernt, Autoritäten zu folgen und Titel, Statussymbole und Positionen unterstreichen dies. Aussagen von Autoritäten werden eher akzeptiert. Zeigt in der Krise der Vorstand oder der Geschäftsführer sein Gesicht, so ist jenes, was er sagt, schon einmal „richtiger“, als wenn jemand aus der zweiten Reihe „vorgeschickt“ wird. Außerdem heißt Autorität auch, Stärke zeigen und im Fall einer Krise zeugt es von Respekt, dass eine Autorität Stellung bezieht. Für potenzielle Gesichter der Krise, Krisenmanager und Krisenkommunikatoren lautet die Schussfolgerung: Entscheiden Sie, was in Anbetracht der Lage nötig ist. „Reicht es aus“, dass jemand aus der zweiten Reihe, gegebenenfalls der Pressesprecher oder ein anderer Unternehmensvertreter, in Erscheinung tritt, oder bedarf die Situation einer Autoritätsperson in Gestalt des Vorstandes oder der Geschäftsführung? Diese Entscheidung ist eine solche von oberster Priorität.

7.1.2 Faktor 2: Empathie Empathie, in Verbindung mit Schnelligkeit, ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Die Betroffenen haben ein Recht auf eine schnelle Reaktion, denn nach Bangen und Hoffen, nach tatsächlichen oder potenziellen Schäden, ist diese Reaktion das Mindeste, was sie erwarten können. Je schneller, desto besser. Aber was ist Empathie? Steven J. Stein und Howard E. Book definieren Empathie in ihrem Buch „Das EQPotenzial – Emotionale Intelligenz als Schlüssel zum Erfolg“ wie folgt:  Empathie  Empathie ist die Fähigkeit, sich der Gedanken und Gefühle anderer Menschen bewusst zu sein und sie anzuerkennen. Empathie bedeutet, sich in andere einzufühlen und zu verstehen, wie und warum sie etwas denken und fühlen. Sie bedeutet auch, die Gefühle der anderen richtig zu „lesen“. Emphatische Menschen interessieren sich aufrichtig für andere und nehmen Anteil an deren Erlebnissen. Empathie ist die Fähigkeit, das Verständnis der Perspektive des anderen in Worte zu fassen, ohne sie zu beurteilen, selbst wenn sie diese Perspektive nicht teilen oder sie sogar lächerlich finden. Empathie kann eine feindselige Stimmung in eine kooperative Stimmung verwandeln (Stein und Book 2009, S. 157).

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Was heißt das für das Verhalten in der Krise? In Krisenzeiten kommt es darauf an, die Gefühle der Betroffenen wahrzunehmen, sich in ihre Lage zu versetzen und für diese Verständnis zu zeigen. Es gibt Kampagnen, in denen die Botschaften lautet: „Sie brauchen keine Angst zu haben“, statt „Bestimmt ängstigen Sie sich“ oder noch prägnanter: „Wir wollen ihr Vertrauen zurück. Wir finden passende Lösungen. Wir machen demnächst alles besser“. In diesen Beispielen sind Gesichter der Krise ausschließlich bei sich selbst und gar nicht emphatisch. Ebenso wenig emphatisch sind Verteidigungen, das Vortäuschung von Unwissen oder Verweise auf „unglückliche Umstände“. Auch dabei geht es nur um die Unternehmen selbst und nicht um die Betroffenen. Eines der positiven Beispiele ist Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender Deutsche Lufthansa AG. Er trat unmittelbar nach dem Flugzeugabsturz des A320 in den französischen Alpen vor die Presse und drückte den Betroffenen sein Beileid aus (phoenix 2015). Bei ihm ging es ausschließlich um die Betroffenen und deren Trauer. Er hat ihre Gefühle benannt. Kurz gesagt: Spohr war bei den Leuten. Mit seinem Verhalten hat Spohr zudem eines unserer tiefsten Bedürfnisse angesprochen, nämlich verstanden zu werden. Wer das Gefühl hat, von seinem Gegenüber verstanden zu werden, trägt immer noch den Verlust, weiß aber auch, dass die eigenen Gefühle vom Gegenüber erkannt und akzeptiert werden. Später, als bekannt wurde, dass der Pilot unter psychischen Problemen litt, die dem Unternehmen Germanwings durchaus bekannt waren, wurde auch an Spohr Kritik laut. Der prägende, positive erste Eindruck aber blieb. Weniger erfolgreich zeigte sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Matthias Müller, als er in die USA reiste, um unter anderem im Rahmen der Detroiter Auto Show das Vertrauen der Kunden, Behörden, Regulierer und der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Ein Reporter des öffentlichen Radiosenders NPR stellte die Frage: „Sie sagten, dies sei ein technisches Problem, aber die amerikanische Öffentlichkeit hat das Gefühl, es sei kein technisches Problem, sondern ein ethisches Problem (…) Wie möchten Sie diese Wahrnehmung in den USA verändern?“ (Buschardt 2016). Müller antwortete: „Ehrlich gesagt, es war ein technisches Problem. (…) Wir hatten einige Ziele für unsere Techniker, und sie lösten dieses Problem und erreichten diese Ziele mit einer Softwarelösung, die nicht vereinbar war mit dem amerikanischen Gesetz. Das ist der Punkt. Und die andere Frage, die Sie erwähnten, nach dem ethischen Problem – ich kann nicht verstehen, warum Sie das sagen.“ (Buschardt 2016). Der Konzern wollte eine neue Aufzeichnung des Gesprächs initiieren. Dazu kam es nicht. Vielmehr gelangte der Sachverhalt an die Öffentlichkeit. In seinem Interview spielte Müller den Emissionsskandal herunter, und dieser schlechte Eindruck war prägend. Empathie ist also ein entscheidender Faktor – aber auch nicht uneingeschränkt: Eine Studie der Universität Passau belegt, dass zu viel Empathie bei Führungskräften auch eine Gefahr darstellen kann (König 2018). Andreas König beschreibt in seiner LinkedIn Veröffentlichung zur Studie zum Einfluss von Empathie auf das Krisenmanagement von Führungskräften vier Thesen im Kontext der Empathie, die man im Blick haben sollte:

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• These 1: Je empathischer eine Führungskraft ist, desto schneller erkennt sie mögliche Warnsignale – wird aber auch im Vorfeld der Krise welche sehen, wo noch gar keine sind. • These 2: In der Krise hilft Empathie den Führungskräften, an die relevanten Informationen zu kommen. Das führt hinsichtlich der Verarbeitung dieser Informationen gegebenenfalls zur Voreingenommenheit und falschen Schlüssen. Und es besteht die Gefahr, dass sich die Führungskräfte eher auf Zielgruppen konzentrieren, denen sie helfen wollen, dafür aber das „Big Picture“ vernachlässigen. • These 3: Je emphatischer eine Führungskraft ist, desto leichter fällt es ihr, Mitgefühl und Verständnis zu zeigen. Das ist nicht immer richtig: Stakeholder könnten dies auch als Schwäche werten und sich abwenden. • These 4: Je emphatischer eine Führungskraft ist, desto schwerer fällt es ihr, operative Schäden zu beseitigen, denn ihr Schwerpunkt liegt bei den Menschen. Fazit: Grundsätzlich ist Empathie ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Gesicht der Krise. Nur wer empathisch ist, merkt, wann Empathie angebracht ist. Auch in Reden, Statements, Anzeigen etc. sollte der Grundsatz beachtet werden. Ist das Gesicht der Krise zu empathisch, bedarf es der Regulation.

7.1.3 Faktor 3: Authentizität Der Erfolgsfaktor Nummer drei heißt Authentizität. Astrid Emmerich und Thomas Rigotti definieren Authentizität wie folgt.  Authentizität  „Authentizität bedeutet, sich gemäß seinem „wahren“ Selbst, das heißt, seinen Werten, Gedanken, Überzeugung und Bedürfnissen auszudrücken und dementsprechend zu handeln und sich nicht durch äußere Einflüsse bestimmen zu lassen.“ (Emmerich und Rigotti 2018): Laut den Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman werden vier Kriterien im Hinblick auf die Authentizität unterschieden: Bewusstsein, Ehrlichkeit, Konsequenz und Aufrichtigkeit (Kernis 2003, S. 3). In Krisensituationen sind insbesondere zwei Kriterien wichtig: Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Gemäß Kernis und Goldman wirkt eine als authentisch bezeichnete Person besonders „echt“, strahlt aus, dass sie mit allen Stärken und Schwächen zu sich selbst steht, dass sie im Einklang mit sich selbst handelt, und authentische Personen wirken selbstbewusster und einschätzbarer (Kernis 2003, S. 13). Man kann sich unschwer vorstellen, dass Manager, die ihre Texte nur ablesen, sei es vom Zettel oder vom Teleprompter, und das möglicherweise auch noch emotionslos, nicht besonders authentisch wirken. Authentisch trat dagegen CEO Akio Toyoda von Toyota auf. Im August 2009 kamen vier Menschen in den USA ums Leben, weil sich ihre Limousine nicht mehr stoppen ließ. Toyota beorderte daraufhin weltweit ­Millionen

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Autos in die Werkstätten. Vor dem US-Kongress zeigte sich die Führung reumütig: „Ich fürchte, das Tempo, in dem wir gewachsen sind, könnte zu hoch gewesen sein“. Das Management habe verlernt, auf die Kunden zu hören, es habe die Ausbildung vernachlässigt und die Entwicklung des Konzerns aus den Augen verloren. „Ich bedauere, dass dies zu den in den Rückrufen beschriebenen Sicherheitsproblemen geführt hat“, sagte Toyota. „Es tut mir sehr leid um jeden Toyota-Fahrer, der einen Unfall hatte“ (Der Tagesspiegel 2010). Menschen haben ein gutes Gespür für Situationen mit kleinsten Unstimmigkeiten. Geglaubt wird dann dem eigenen Eindruck und nicht dem gesprochenen Wort. Entscheidend ist also, dass das Gesicht der Krise weiß, wie es wirkt, und das setzt die Bereitschaft voraus, an sich arbeiten zu wollen.

7.1.4 Faktor 4: Kongruenz Auch die Kongruenz zwischen Sprache und Körpersprache muss beim Gesicht der Krise stimmen. Laut dem Hamburger Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun (Schulz von Thun 2010, S. 34 ff.) enthalten Nachrichten meistens einen verbal ausgedrückten Teil und einen non-verbalen. Idealerweise ergänzen sich diese beiden Teile. Sie können sich aber auch widersprechen, sodass zwischen kongruenten und nicht kongruenten Nachrichten unterschieden wird. Gemäß Schulz von Thun können vier Elemente eine Nachricht als kongruent oder nicht kongruent identifizieren. Diese sind allerdings nicht isoliert zu sehen, sondern immer im Zusammenspiel: • situativer Kontext, • Art der Formulierung, • Körperbewegungen (Gestik, Mimik), • Tonfall. So ist Ironie im situativen Kontext oft gebräuchlich, aber in einer Krisensituation braucht es Klarheit. Der Spiegel verglich die Unternehmenskultur von VW einmal mit dem Regime von Nordkorea, in der der damalige CEO Prof. Dr. Winterkorn den VW Konzern beherrsche (Hawranek und Kurbjuweit 2013). Diese Kultur wurde vielfach als (Mit-)Ursache für den Dieselgate gesehen. Bringt man dann als Entschuldigung für die Geschädigten an, dass es ja gute Ingenieure waren, die aus Angst und Loyalität gehandelt haben, dann kann das als inkongruent wahrgenommen werden. Bleiben wir bei den Formulierungen von VW: Ein Versehen, wie es CEO Müller gegenüber Journalisten formulierte, war der Dieselgate bestimmt nicht. Auch das Verhalten ist inkongruent im Vergleich zu den Zeitungskampagnen, bei denen man um Vertrauen warb und weiterhin wirbt. VW steht auch für ein Beispiel inkongruenter Körpersprache: Prof. Dr. Winterkorn las seine Entschuldigung in den USA von einem Teleprompter ab. Viele Journalisten und Psychologen haben sich mehr um das

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inkongruente Verhalten gekümmert als um die Entschuldigung in der Sache. Auch zu diesem Verhalten schrieb der Spiegel (Hawranek und Kurbjuweit 2013): „Reden liest er vom Papier ab, ohne Betonung, ohne Regung, ohne Freude“. Das ist für ein Gesicht der Krise nicht hilfreich. Auch als CEO Matthias Müller nach der Aufsichtsratssitzung vom 20.11.2015 vor die Presse trat und mit monotoner Stimme vorlas, dass man alles tun werde, um die Affäre aufzuklären, war eher Zweifel als Überzeugung aus dieser Rede abzuleiten. Kongruenz ist – gerade auch in Verbindung mit Autorität – ein wesentlicher Faktor in der Krisenkommunikation. Hier helfen Medien- und Präsentationstrainings. Mit solchen Trainings kann man die Reden vorab üben, professionelles Feedback geben und dem Redner noch einmal aufzeigen, wo es inkongruente Inhalte gibt. Essenziell ist die gute Vorbereitung, denn jemand, der vom Gesagten voll überzeugt ist, ist auch meist kongruent.

7.1.5 Faktor 5: Konsistenz Konsistenz ist ebenfalls ein Einflussfaktor, den Cialdini als wichtig beschreibt. In seinem Buch „Die Psychologie des Überzeugens“ formuliert er: Seit längerem ist man sich in der Psychologie darüber im Klaren, dass die meisten Menschen ein Bedürfnis haben, in ihren Worten, Überzeugungen und Taten konsistent zu sein und zu erscheinen. (…) Zum Ersten wird Konsistenz von der Gesellschaft ein hoher Wert beigemessen. Zweitens ist ein konsistentes Verhalten im Allgemeinen etwas, das sich – abgesehen vom öffentlichen Image – im Alltag gut bewährt. Und drittens bietet eine Orientierung am Konsistenzprinzip auch eine Art Schnellverfahren, das den Umgang mit Komplexität des modernen Lebens erleichtert. Indem man im Einklang mit früheren Entscheidungen handelt, entledigt man sich der Notwendigkeit, stets alle relevanten Informationen zu prüfen. Stattdessen braucht man sich nur an die einmal getroffene Entscheidung zu erinnern und mit ihr – konsequent bzw. konsistent – zu reagieren (Cialdini und Wengenroth 1999, S. 148 ff.).

Sind die Verantwortlichen in der Krise konsistent in dem, was sie sagen und tun, so erhöht dies die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen wird schneller wiederhergestellt. Ein inkonsistentes Verhalten verunsichert dagegen sowohl Konsumenten als auch Beschäftigte. Bleiben wir bei dem Dieselgate, bei dem manche Manager beteuerten, dass sie nichts gewusst hätten. Die Behörden, insbesondere jene in den USA, konnten beweisen, dass bereits in einer frühen Phase des sich anbahnenden Skandals Manager auf höchster Ebene unterrichtet waren. Stadler soll den Verkauf weiterer Autos nicht verhindert haben, obwohl er von manipulierten Dieselmotoren wusste. (­Manager Magazin 2018). Und laut Manager Magazin vom 30.09.2018 bleibt Rupert Stadler zunächst trotzdem Audi-Chef – erst im Oktober 2018 wurde die Trennung bekannt gegeben ­(Oppenheimer 2018). Auch Elon Musk und Mark Zuckerberg haben Skandale hinter sich, die die Unternehmen an den Börsen ganz schön einbrechen ließen, und beide mussten sich verantworten. Elon Musk beispielsweise wusste angeblich gar

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nicht, dass Tesla und Space X seinerzeit auf Facebook vertreten waren (n-tv 2018). Als ihn seine Anhänger im Rahmen des Datenskandals ansprachen – betroffen waren 50 Mio. Facebook-Mitglieder, deren Daten durch die britische Analyse-Firma Cambridge Analytica unlauter benutzt wurden –, ließ Elon Musk sofort und konsequent beide Facebook-Firmenseiten löschen. Mark Zuckerberg übernahm die volle Verantwortung für den Datenskandal – was jeweils sehr konsequent war. Er war gut vorbereitet und hatte diverse Seiten mit Fragen und Antworten dabei, die man für ihn vorbereitet hatte (Nelles 2018). Für die Kommunikationsabteilungen bedeutet dies viel Vorbereitung und auch klare Fakten in Kampagnen. Hier sollte Konsistenz oberstes Gebot sein, um das Vertrauen wirklich wiederzugewinnen. Dies führt zum nächsten Faktor.

7.1.6 Faktor 6: Richtiges Entschuldigen Last, not least geht es um das richtige Entschuldigen im Sinne der Psychologie. In und nach einem krisenhaften Ereignis ist es mit einem „Sorry, tut uns leid“ nicht getan. Je schlimmer das eigene Vergehen aber ist, desto schwerer kommen einem die richtigen Worte über die Lippen, sagt Fanny Jiménez in Die Welt (Jiménez 2016). Sie verweist auf eine Studie der Ohio State University, die sechs Komponenten einer Entschuldigung identifiziert hat, damit auf eine Entschuldigung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wirklich ein Verzeihen gelingen kann. Die sechs Komponenten der Entschuldigung:

1. Entschuldigung ausdrücken 2. Erklären, was genau schiefgelaufen ist 3. Uneingeschränkte Verantwortung übernehmen 4. Reue bekunden 5. Ernst gemeintes Angebot formulieren, den Schaden wieder gut zu machen 6. Um Vergebung bitten

Die Autoren konnten ermitteln, dass eine Entschuldigung dann am zielführendsten ist, wenn sie möglichst viele Komponenten enthält. Zudem wurde untersucht, welche Komponenten besonders wichtig sind. Die wichtigste ist laut dem Studienleiter Roy Lewicki die volle Übernahme der Verantwortung, gefolgt vom Erfragen und Anbieten einer möglichen Wiedergutmachung. Allein nur um Vergebung zu bitten war dagegen ineffektiv, wenn die anderen Elemente fehlten. Getestet wurde auch, ob die Geschädigten unterschiedlich bewerten, je nachdem, ob der Schaden absichtlich oder versehentlich aufgetreten war. Interessanterweise ist das unerheblich, die Absicht hat keine Auswirkungen auf die Qualitätsanforderungen einer Entschuldigung.

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Für die wichtigste Komponente einer guten Entschuldigung, die volle Übernahme der Verantwortung, gibt es gelungene und weniger gelungene Beispiele: Carsten Spohr übernahm im Zuge des Flugzeugunglücks der Germanwings Maschine sofort die volle Verantwortung, während sich bei der Loveparade die Verantwortlichen gegenseitig die Schuld zuschoben und Bürgermeister Sauerland zu lange zögerte. Auch Mark Zuckerberg übernahm für den Datenskandal die volle Verantwortung. „Es war mein Fehler und es tut mir leid. Ich habe Facebook gestartet. Ich leite es und bin verantwortlich“, sagte Zuckerberg (Fries 2018). Zuckerberg war stundenlang von den Senatoren zum Datenskandal verhört worden, der zu der bisher schwersten Krise des Unternehmens geführt hatte. Hinsichtlich der Anforderungen an eine gute Entschuldigung sind das Gesicht der Krise, die Krisenmanager und Kommunikatoren gefragt. Es gilt, an die entscheidenden Elemente der Entschuldigung zu denken, damit auf eine Entschuldigung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wirklich ein Verzeihen gelingen kann.

7.2 Entweder ein Naturtalent oder gecoacht Das potenzielle Gesicht der Krise, die Krisenmanager und Kommunikatoren sollten alle genannten Erfolgsfaktoren kennen und eruieren, welche Voraussetzungen das potenzielle Gesicht der Krise mitbringt. Nicht jeder Manager ist ein Naturtalent. Manche brauchen Unterstützung. Gute Vorarbeiten der Kommunikatoren sind unerlässlich, aber am Ende steht der Vorstand oder Geschäftsführer als das „Gesicht der Krise“ allein vor der Kamera beziehungsweise vor Menschen. Das bedeutet Stress, und im Stressmodus agieren die meisten Menschen im „Automatikprogramm“, das heißt, sie sind eher im Verteidigungs- oder Vermeidungsmodus. Damit das nicht geschieht, sind Medien­ trainings und kontinuierliche Coachings probate Mittel. Sie erzeugen künstlich Stress. Allerdings ist ohne die Bereitschaft und Einsicht der jeweiligen Manager ein „an sich arbeiten“ nicht möglich. Fehlen dann auch noch die Erfolgsfaktoren, empfiehlt sich, jemanden aus der zweiten Reihe nach vorne treten zu lassen.

7.3 Handlungsempfehlungen In Krisenzeiten sind die Verantwortlichen gefragt, schnell und angemessen zu reagieren. Für das Gesicht der Krise sind folgende Erfolgsfaktoren entscheidend: • • • • • •

Faktor 1: Autorität Faktor 2: Empathie in Verbindung mit Schnelligkeit Faktor 3: Authentizität Faktor 4: Kongruenz Faktor 5: Konsistenz Faktor 6: Richtiges Entschuldigen

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Damit die Betroffenen wieder Vertrauen fassen können, kommt es auf den richtigen Mix der Faktoren an. Es gibt einige gute Beispiele. Sie können helfen, das potenzielle Gesicht der Krise für die Erfolgsfaktoren zu sensibilisieren. Medientrainings und Coachings helfen all jenen, die kein Naturtalent sind.

Literatur Buschardt, Tom. 2016. Alles Müller – leider! Blamables Interview des VW-Chefs. Hg. v. Manager Magazin. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/blamables-radio-interview-­ des-vw-chefs-a-1071768.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Cialdini, Robert B. 1987. Einfluß. Wie u. warum sich Menschen überzeugen lassen. Landsberg am Lech: Mvg-Verlag. (Mvg-Paperbacks, 308). Cialdini, Robert B., und Matthias Wengenroth. 1999. Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen, Bd. 2, 1. Aufl. Bern: Huber. Der Tagesspiegel, Hrsg. 2010. Toyota-Chef gibt sich vor US-Kongress zerknirscht. Pannenserie. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/pannenserie-toyota-chef-gibt-sich-vor-us-kongress-zerknirscht/1690104.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Emmerich, Astrid und Thomas Rigotti. 2018. Authentizität. In Dorsch – Lexikon der Psychologie. Hg. v. Markus Antonius Wirtz, Hogrefe Verlag. https://m.portal.hogrefe.com/dorsch/authentizitaet. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Fries, Stefan. 2018. „Es war mein Fehler und es tut mir leid“. Zuckerberg vor US-Kongress. Hg. v. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/zuckerberg-vor-us-kongress-es-war-meinfehler-und-es-tut.2907.de.html?dram:article_id=415273. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Hawranek, Dietmar und Dirk Kurbjuweit. 2013. Wolfsburger Weltreich. Hg. v. Der Spiegel. http:// www.spiegel.de/spiegel/print/d-107728908.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Jiménez, Fanny. 2016. So entschuldigen Sie sich richtig. Psychologie. Hg. v. Die Welt Online. https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article154375065/So-entschuldigen-Sie-sichrichtig.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Kernis, Michael H. 2003. Toward a conceptualization of optimal self-esteem. Psychological Inquiry 14 (1), S. 1–26. https://doi.org/10.1207/s15327965pli1401_01, https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1207/s15327965PLI1401_01. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. König, Andreas. 2018. Ein hoher Grad an Empathie kann im Krisen-Management schaden – Neue Studie. Hg. v. University of Passau. https://www.linkedin.com/e/v2/pulse?e=8fx74s-jn9rh9er-p2&lipi=urn%3Ali%3Apage%3Aemail_email_feed_ecosystem_digest_01%3BLFki6b%2FvR5ahB1WAD0BrtQ%3D%3D&a=pulse_web_view_article_detail_new_url&midToken=AQE_ PnxGQd9gjg&ek=email_feed_ecosystem_digest_01&li=3&m=recommended_articles&ts=Unknown&permLink=ein-hoher-grad-empathie-kann-im-krisen-management-schaden-k%25C3%25 B6nig. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Manager Magazin. Hrsg. 2018. Der Schnitt im Leben. Untersuchungshaft. Unternehmen. https:// heft.manager-magazin.de/MM/2018/9/159029612/. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Nelles, Roland. 2018. Nach 4 Stunden ist Mark Zuckerberg drei Milliarden reicher. Facebook-Chef kommt vor US-Kongress glimpflich davon. Hg. v. Manager Magazin. http://www.manager-­ magazin.de/digitales/it/facebook-wie-mark-zuckerberg-sich-im-us-kongress-schlug-a-1202276. html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

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n-tv. Hrsg. 2018. Tesla und SpaceX löschen Facebook-Seiten. Musk reagiert auf Datenskandal. https://www.n-tv.de/wirtschaft/Tesla-und-SpaceX-loeschen-Facebook-Seiten-article20352550. html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Oppenheimer, Sebastian. 2018. Die Ära Stadler ist beendet. Aufsichtsräte beschließen die Trennung vom langjährigen Audi-Chef. Hg. v. Donaukurier. https://www.donaukurier.de/nachrichten/wirtschaft/Verhaftung-Stadler-Die-AEra-Stadler-ist-beendet;art154664,3936500. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. phoenix. 2015. Absturz Germanwings A320: Statement von Lufthansa mit Carsten Spohr am 24.03.2015. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=8-dbcgikwDY. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Schulz von Thun, Friedemann. 2010. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 48. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. (Originalausgabe). Stein, Steven J., und Howard E. Book. 2009. Das EQ-Potenzial. Emotionale Intelligenz als Schlüssel zum Erfolg, 1. Aufl. Weinheim: Wiley-VCH.

Bettina Kappe  ist selbstständige Diplom-Psychologin und Betriebswirtin (VWA). Sie berät national und international Führungskräfte und Unternehmen in Change-Prozessen zu Fragen der Kommunikation und Führung. Zu ihren Kunden zählen Mittelständler ebenso wie global agierende Konzerne. Um Veränderungen gut managen und Manager noch besser coachen zu können, qualifizierte sie sich 2003 zudem als systemischer Coach, 2007 als systemische Therapeutin (SG) und 2011 als triadische Karriereberaterin. Die Begleitung und Veränderung von Managern kann sie darum ganzheitlich angehen. Kappe versteht das Geschäft ihrer Kunden von Grund auf: 1977 startete sie in einem Einzelhandelskonzern mit einem Ausbildungsprogramm, das zwei Ausbildungen und ein BWL-Studium umfasste. Danach arbeitet sie mehrere Jahre als Abteilungsleiterin für die Personalentwicklung. Nach elf Jahren Berufstätigkeit entschied sie sich 1988 für die Selbstständigkeit als Beraterin und Trainerin und studierte nebenher Psychologie mit dem Schwerpunkt Kommunikation und Marketing.

Risiko „Desinformation“ Das klassische Krisenmanagement bedarf eines Upgrades: Das Zeitalter der Digitalisierung stellt Krisenkommunikatoren vor große Herausforderungen Christiane Schulz und Marten Neelsen

Zusammenfassung

Desinformationen sind im Zeitalter der Digitalisierung eine reale Bedrohung für deutsche Unternehmen. Unabhängige Studien und wissenschaftliche Experimente haben verdeutlicht, wie schnell sich Desinformationen im Internet verbreiten können. Sie stellen die Krisenkommunikatoren vor neue Herausforderungen. Um diese bewältigen zu können, bedarf es eines Upgrades des klassischen Krisenkommunikationsmanagements. Wer als Unternehmen seine Reputation weiterhin bestmöglich schützen will, benötigt ein integriertes Reputations- und Risikomanagement. Nicht zu handeln und darauf zu hoffen, dass das Thema einen nicht betreffen könnte, ist keine Option. Der folgende Beitrag behandelt die verschiedenen Ausprägungen von Desinformationen und skizziert anhand von ausgewählten Beispielen und Cases aus der Lebensmittelindustrie sowie der Medienlandschaft den Schaden, den sie auf Unternehmen haben können. Mit Blick auf aktuelle rasante technische Entwicklung werden zudem wichtige Handlungsempfehlungen für den sicheren Umgang mit Krisen und zum Schutz der Reputation formuliert.

C. Schulz (*) · M. Neelsen  Weber Shandwick, CMGRP Deutschland GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Neelsen E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_8

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8.1 Einleitung Im November 2017 benannte die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. in ihrer Studie „#Desinformation – Lage, Prognose und Abwehr“ Desinformation als eine „der zentralen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts für deutsche Unternehmen“ (ASW Bundesverband – Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. 2017, S. 17). Die verheerenden Auswirkungen der Desinformation sind bereits durch die US-Präsidentschaftswahl 2016 deutlich geworden: „Postfaktisch“ lautet das Schlagwort, das nun in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen die gefühlte Wahrheit über Fakten erhebt. Diese Entwicklung birgt nicht nur Gefahren für die Reputation der Politik und der Medien, sondern auch für Unternehmen. Ein Vertrauensverlust sowie ein daraus entstehender wirtschaftlicher Schaden können die Folge sein. Wer die falschen Nachrichten verbreitet, kann meist nur schwer ermittelt werden. Absender können u. a. Konkurrenten, ehemalige Mitarbeiter oder kriminelle Interessensgruppen sein, die gezielt Schaden anrichten wollen. Fake News sind nicht neu. Lügen, die absichtlich in Umlauf gebracht werden, um jemandem zu schaden, existieren fast so lang wie die Menschheit selbst. Neue Technologien oder Medien ermöglichen es jedoch, Informationen immer rasanter zu verbreiten. Sind Desinformationen erst mal im Umlauf, verbreiten sie sich sechsmal schneller als korrekte Informationen (Vosoughi et al. 2018, S. 1146). Das berichtete das Science Magazin im März 2018 in der Studie „The spread of true and false news online“, bei dem ein Datensatz von rund 126.000 Stories aus den Jahren 2006 bis 2017 untersucht wurde. Ein erschreckendes Ergebnis.

8.2 Die sieben Arten der Desinformation Nicht jede Desinformation ist eine echte Fake News. Es gibt verschiede Ausprägungen von Desinformationen, die es zu unterscheiden gilt (Wardle 2017). First Draft News, ein Projekt aus verschiedenen US-Unternehmen und Universitäten, war eine der ersten Organisationen, die hier eine Kategorisierung vorgenommen hat (Schulz und Zeidler 2018, S. 5). Desinformation – Kategorisierung

1. Satire und Parodie: Es bestehen keine bösartigen Intentionen. Frei erfundene Inhalte beruhen auf realen Personen oder Gegebenheiten, deren Darstellung deutlich überzogen und daher offen unrealistisch ist. In der Regel dient Satire jedoch nur der Unterhaltung. So löste „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen im September 2018 mit einem gefälschten und satirischen Tweet eine TV-­ Berichterstattung über das Ende der bestehenden Regierungskoalition aus. Hürtgen postete einen Tweet im Namen der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles, die das Koalitionsende versprach, wenn er im Gegenzug sein Ehrenwort zur Wahl der SPD geben würde.

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2. Falsche Verknüpfung: „Clickbaits“ schüren die Neugier und wollen User durch reißerische Überschriften und lockende Bilder auf werbeträchtige Webseiten lenken. Die verwendeten visuellen Elemente passen in der Regel nicht auf die verlinkten Inhalte. Ziel ist es meist, Website-Traffic zu generieren. TV-Movie zeigte zum Beispiel einmal vier Bilder von deutschen Fernsehmoderatoren und vermeldete „Einer dieser TV-Moderatoren muss sich wegen KREBSERKRANKUNG (sic!) zurückziehen.“ (Clickbait: Über die Grenze gehen) Damit spielte die Anzeige bewusst mit der Popularität nicht involvierter Persönlichkeiten, um Klicks zu erhalten. 3. Irreführender Inhalt: Reale Inhalte werden mit Vorsatz irreführend dargestellt, um Zusammenhänge zwischen Personen und Sachverhalten zu konstruieren und ihnen damit zu schaden. Oftmals werden Prominente mit hitzigen gesellschaftlichen Debatten in Verbindung gebracht, um diese mit einem neuen Clou zu füttern oder einen Schuldigen für ein eventuelles gesellschaftliches Versagen auszumachen. Ein Beispiel hierfür wäre die Verbindung von politischen Persönlichkeiten, wie etwa Bundesministerinnen und -minister und frei erfundenen Zitaten. Dies geschah z. B. im September 2018 und wurde von der Plattform mimikama aufgeklärt (Wannenmacher 2018). 4. Falscher Kontext: Authentische Inhalte werden durch falsche Informationen ergänzt und in inkorrektem Kontext verbreitet. Meist werden durch diese Kon­ strukte subjektive Behauptungen, Statistiken oder Thesen gestärkt. Dies geschieht zum Beispiel oft durch eine falsche Auslegung oder aus dem Kontext gerissene Informationen aus wissenschaftlichen Studien. Als Beispiel dient hier der Nutella-­Case, s. Abschn.  8.3.1. 5. Betrügerischer Inhalt: Authentische Quellen werden durch betrügerische Urheber imitiert. Ziel ist es, den User zu täuschen und dessen Daten zu erhalten, um sich an fremdem Eigentum zu bereichern. Mit Phishingmails fordern sie eilig dazu auf, alle relevanten Daten auf einer inszenierten Website einzugeben. Diese sieht der wirklichen Seite meist sehr ähnlich, aber weist weder eine sichere Verbindung auf, noch folgt sie in der Regel den Normen der deutschen Rechtschreibung. Ein Beispiel hierfür sind Phishingmails, die 2017 von Betrügern im Namen der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken verschickt worden sind. Hier wurden die Bankkunden in echt aussehenden Mails aufgefordert, ihre Zugangsdaten einzugeben und Überweisungen zu tätigen (Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR) 2017). 6. Manipulierter Inhalt: Dabei werden Fotos oder Videos durch Bearbeitungsprogramme verändert. Waren sie bisher für das geübte Auge recht einfach zu identifizieren, bekommen sie durch moderne Technologien eine völlig neue Dimension, wie z. B. in „Deepfake“-Videos, wie sie von Forschern der Universitäten Erlangen-Nürnberg, Stanford und des Max-Planck-Instituts für

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Informatik in Saarbrücken entwickelt werden. Fremde Personen ahmen vor der Kamera reale Persönlichkeiten nach und ersetzen deren Mimik im Film mittels lernender Gesichtserkennungssoftware durch die eigene. Die Montage ist von einem realen Video quasi nicht zu unterscheiden. Wenn dies nun mit prominenten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft gemacht und auf YouTube veröffentlicht wird, welcher Zuschauer denkt da sofort an eine Fälschung? 7. Erfundener Inhalt: Diese Art von Desinformation sind die wahren Fake News: Ein neuer Inhalt, der vollkommen falsch ist und kreiert wurde, um zu betrügen und zu manipulieren. Je nach Brisanz der Falschmeldung wird diese schnell in den sozialen Medien aufgegriffen und erzielt binnen kürzester Zeit einen sehr hohen Verbreitungsgrad.

8.3 Können Fake News wirklich Schaden anrichten? Ja! Der wirtschaftliche Schaden, den Desinformationen anrichten können, ist nicht zu unterschätzen – zahlreiche Unternehmen mussten das bereits schmerzlich lernen. Ein Großteil von Desinformationen fallen vermutlich eher in die Kategorie Issue. Ein Issue (engl. für Thema oder Angelegenheit) bezeichnet eine Entwicklung inner- oder außerhalb einer Organisation, die dazu geeignet ist, kritischen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit einer Organisation zu nehmen, ihre Ziele zu erreichen (Lies 2018). Handelt es sich hingegen um eine Krise, ist die Handlungsfähigkeit im Unternehmen massiv eingeschränkt. Was, wenn aus einem Issue eine ausgewachsene Krise wird?

8.3.1 Fake 1 – Kategorie Issue: Verkaufsstopp bei Nutella Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) veröffentlichte im Mai 2016 eine Studie (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – EFSA 2016), die krebserregende Stoffe in Palmöl nachwies. Diese würden bei der Herstellung entstehen. An sich kein neues Thema für die Lebensmittelindustrie. Manchen Journalisten reichte die Studie jedoch aus, um eine Brücke zu dem Brotaufstrich Nutella zu schlagen. Diese basierte alleinig auf der bekannten Tatsache, dass auch Nutella Palmöl enthält. Die Folge waren gezielte Angriffe auf die Marke mit Schlagzeilen wie „Palmöl kann Krebs erregen: Darum wirbt Nutella trotzdem für den Stoff“ oder „So gefährlich ist Nutella für deinen Körper“. Auch gab es Gerüchte, Italiens größte Supermarktkette Coop nähme das Produkt aus dem Sortiment. Plötzlich ging es kaum noch um Gesundheit oder Krebs. Man attackierte Nutella direkt. Die Marke als Verwender und Verarbeiter von

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Palmöl wurde als Exempel instrumentalisiert. Der Initiator ist dabei nicht mehr auszumachen. Die Medien schrieben voneinander ab, ohne die Fakten zu überprüfen. Welcher Schaden hier für die Reputation oder gar finanziell entstanden ist, ist uns nicht bekannt. Jedoch wissen wir, dass deutsche Verbraucher besonders im Lebensmittelbereich immer sehr sensibel auf diese Art von Themen reagieren. Letztlich zeigt dieses Beispiel, wie willkürlich die Zusammenhänge von Desinformationen sein können. Man spricht hier von „Faktenbeliebigkeit“. Nutella-Hersteller Ferrero verwies noch mal auf die eigenen Quellen zu diesem Thema. Das Unternehmen versicherte nicht nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Inhaltstoffes, sondern auch dessen faire und umweltfreundliche Gewinnung (Schulz und Zeidler 2018, S. 6). Interessant: Im selben Jahr erkannte Greenpeace Ferreros Engagement zum Umweltschutz an. „In seiner Palmöl Scorecard 2016 hat Greenpeace Ferrero als eines von zwei führenden Unternehmen überhaupt bezeichnet,“ heißt es unter www.nutella.com/de/de/nutella-palmol (Ferrero Deutschland GmbH).

8.3.2 Fake 2 – Kategorie Krise: Das „Kartenhaus“ von ProSieben Im März 2018 veröffentlichte Viceroy Research einen umfassenden Bericht über den Medienkonzern ProSieben (Viceroy Research 2018). Das Papier mit dem Titel „ProSieben – TV’s real House of Cards“ analysierte auf 37 Seiten Umsätze, Synergien, Akquise- und Marketingstrategien sowie Personalentwicklungen. Das Urteil war vernichtend. Wie ein „Kartenhaus“ sei der Medienkonzern aufgebaut, Mitarbeiter würden der Reihe nach das sprichwörtlich sinkende Schiff verlassen und vor allem: Die Aktien stünden in Wirklichkeit nur bei einem Viertel des Wertes, der öffentlich kursiert. Binnen Minuten nach der Veröffentlichung brach die Wertaktie um 8 % ein. ProSieben versuchte, schnell zu reagieren, doch der Schaden – ein Wertverlust von mehreren 100 Mio. EUR – war bereits angerichtet. Was die Anleger nicht wussten: Viceroy setzte gezielt auf einen Kursverfall des Papiers. Gründer Fraser Perring, der erst im Zuge der Untersuchungen durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen öffentlich auftrat, gab dies sogar zu. Doch auch wenn der Urheber damit gefunden zu sein scheint, vermuten Staatsanwaltschaft und Finanzdienstleitungsaufsicht noch weitere Strippenzieher hinter der Attacke und ermitteln „gegen verschiedene Einzelpersonen und Personengruppen in verschiedenen Ländern“. Verdächtigt werden Hedgefonds Manager und größere Inverstoren. Zwar hat ProSieben bereits vor den Vorfällen Gewinneinbußen verzeichnet, aber dennoch reichten wenige Seiten mit unbelegten Informationen eines unbekannten Analystenhauses aus, um dem Unternehmen in nur wenigen Augenblicken immens finanziell zu schaden.

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8.4 Einschätzung zur Entwicklung und Relevanz von Desinformation Algorithmen, künstliche Intelligenz, Personalisierung und Chat-Bots sind bereits fester Bestandteil der User-Experience und nützliche Helfer im Internet geworden. Leider werden durch die technologischen Entwicklungen auch Fake-News-Attacken immer einfacher. Ein Beispiel der Universität Münster verdeutlicht dies (Horn 2018): Beispiel

Forscher legten 30 Fake Accounts auf Twitter an und statteten diese mit echtaussehenden Personendaten und Profilbildern aus. Diese Accounts wurden anschließend von Bots übernommen, die vorprogrammiert Posts likten, Kommentare absetzten und sich selbst eine Community von Followern aufbauten. Dann begann das eigentliche Experiment: Die Bots setzten Tweets mit dem Hashtag „#songmoji“ ab und forderten Nutzer dazu auf, die Titel zu erraten, die sich hinter den Emojis versteckten. Was mit 30 Fake Accounts begann, wuchs schnell zum Trend innerhalb der Twitter-Gemeinde mit schätzungsweise 335 Mio. monatlich aktiven Nutzern weltweit. Die Bots schafften es auf Platz 35 der meistdiskutierten Themen der Social-Media-Plattform. Dieses Experiment lässt erahnen, wie leicht und effektiv es ist, Bots zu nutzen, um jemandem gezielt zu schaden – man braucht nur ein wenig technisches Know-how und der Aufwand ist überschaubar (Schulz und Zeidler 2018, S. 8). Das kriminelle Potenzial neuer Technologien erschreckte sogar namhafte Tech-­ Unternehmen. So plädierte im Juli 2018 der Chefjustiziar von Microsoft, Brad Smith, für einen gewissenhaften Einsatz und die Unterstützung der Tech-Industrie zur Wahrung des demokratischen Prozesses (Smith 2018). Seit Mitte 2018 arbeiten Facebook, Twitter und auch YouTube intensiv daran, ihre Algorithmen entsprechend zu verbessern und entlarvte Fake-Profile zu löschen. Sie haben sich der Aufgabe angenommen, Fake News, vor allem im Rahmen von Wahlkämpfen, mit zu identifizieren und aktiv zu bekämpfen. Aufgrund der Verbreitungsschnelligkeit von Desinformationen scheint das allerdings ein Kampf gegen Windmühlen. Desinformationen wird es auch weiterhin geben. Technologische Entwicklungen der Zukunft werden dazu führen, dass wir neue, derzeit noch kaum vorstellbare Ausprägungen erleben. Glücklicherweise erkennen immer mehr Unternehmen, dass sie schon heute Verantwortung übernehmen müssen, um die kriminelle Nutzung technischer Errungenschaften einzudämmen. Dafür ist es notwendig, sich mit den Technologien und ihren Konsequenzen auseinanderzusetzen und eine klare Haltung zu formulieren. Wie reagiert man auf eine direkte Konfrontation mit Desinformation? Wie kann man eine Krise abwenden oder unter Kontrolle bringen? Jedes Unternehmen sollte sich im ­Rahmen des Risikomanagements ganzheitlich mit dem Thema beschäftigen.

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8.5 Handlungsempfehlungen Sind Fake News erst einmal an die Öffentlichkeit geraten, ist ihnen wegen der schnellen und weiten Verbreitung nur schwer beizukommen. Angriffe müssen schnell identifiziert werden, um ihnen frühzeitig entgegenzuwirken. Damit dies gelingt, muss das klassische Krisenmanagement optimiert werden – es bedarf eines Updates! Ein Blick auf das eigene Reputations- und Risikomanagement sowie passende Schutzvorbereitungen sind unerlässlich.

8.5.1 Integriertes Reputations- und Risikomanagement Das oberstes Ziel des Risikomanagements in Unternehmen ist es, die Existenz des Unternehmens zu sichern beziehungsweise das Insolvenzrisiko zu minimieren ­(Gleißner 2018). Daher ist es die Aufgabe des Risikomanagements, Risiken zu identifizieren, sie zu analysieren und zu bewerten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die Risiken zu beobachten sowie gegebenenfalls die Projektplanung auf die Entwicklung anzupassen (Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2018, S. 37). Die Anforderungen an das Risikomanagement werden in Deutschland geprägt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) aus dem Jahr 1998 und dem darauf aufbauenden IDW Standard zur Prüfung des Risikofrüherkennungssystems nach § 317 Abs. 4 HGB (IDW PS 340). Zentral ist folgende Forderung in § 91 Abs. 2 AktG mit ihrer Ausstrahlwirkung auch für andere Kapitalgesellschaften: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“ Notwendig ist zur Erfüllung dieser Anforderung eine systematische und regelmäßige Identifikation und Quantifizierung von Risiken (Risikoidentifikation, Risikoquantifizierung).“ (Gleißner 2018). Die Empfehlung lautet, dass die Verantwortlichen für das Risikomanagement sich mit dem Thema Desinformation vertraut machen. Die Erfahrung zeigt, dass im Bereich Risikomanagement das Thema Cybersecuity als klares Risiko erkannt worden ist, jedoch nur in den wenigsten Fällen das Thema Desinformationen. Dabei liegen diese zwei Themen gar nicht weit auseinander, denn mit geklauten Daten lassen sich sehr einfach Desinformationen in die Welt setzten, um wirtschaftlichen Schaden anzurichten (s. Abschn. 8.2). Sollte das Thema Desinformation bisher nicht im Rahmen des Risikomanagements evaluiert worden sein, so sollte dieses von den Verantwortlichen für das Reputationsmanagement gesetzt werden. Eine gemeinschaftliche Betrachtung des Themas sollte dann zu einem integrierten Reputations- und Risikomanagement führen. Dabei können die nachfolgenden Handlungsempfehlungen eine Hilfestellung bieten.

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8.5.2 Handlungsempfehlungen speziell für Kommunikatoren zum Schutz vor Angriffen Reflektieren Sie die Aspekte beziehungsweise Empfehlungen in Bezug auf Ihre eigene Krisenkommunikationsprävention. In einem ersten Schritt können Sie so einen Abgleich mit den eigenen Aktivitäten beziehungsweise Maßnahmen vornehmen und auf dieser Basis einen individuellen Handlungsplan zum Schutz vor Desinformations-Angriffen erstellen. 1. Überprüfen Sie Ihr Stakeholder-Management: Berücksichtigen Sie im Rahmen Ihres Stakeholder-Managements auch die digitalen Influencer? Welche Personen gibt es, die Sie im Kampf gegen Fake News unterstützen könnten? Sind Sie mit diesen Personen im regelmäßigen Austausch? Diese Beziehungen gilt es intensiv und aktiv zu pflegen. 2. Überprüfen Sie Ihren Krisenplan und den Mix ihres Krisenteams: Wann wurde Ihr Krisenkommunikationsplan bzw. -handbuch das letzte Mal aktualisiert? Funktioniert der Plan auch bei Bedrohungen durch Fake News bzw. gibt es entsprechende Handlungsszenarien? Ist Ihr Krisenteam noch richtig aufgestellt? Wichtig wäre es u. a., auf Experten zu folgenden Themen zurückgreifen zu können: Monitoring, ­Analytics, SEO, Social Media, Paid. ggf. Video. 3. Suchen Sie sich Experten, die Sie unterstützen: Sollte Ihr Krisenkommunikationsteam nicht richtig aufgestellt sein, suchen Sie sich Unterstützung durch externe Experten. Wichtig ist, dass Sie das nicht erst in der Krise tun, sondern sich bereits lange im Vorfeld kennenlernen und zusammenarbeiten. In einer Krise ist hierfür keine Zeit. 4. Identifizieren Sie Quellen: Wichtig ist es, die Quelle der Fehlinformation zu identifizieren, um sie bekämpfen zu können. Empfehlenswert ist, sich mit Meldestellen und Suchmaschinen (z. B. Hoaxnews) vertraut zu machen, die bei der Identifikation von Fake News helfen. Um gefälschte Bilder zu entlarven, können Tools wie „Yournalist“ genutzt werden. Darüber hinaus sollten Sie schauen, wer die größten Verbreiter der Nachricht sind und zu welchen Themen sie sonst kommunizieren. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten in Ihre Kommunikationsstrategie einfließen. Achtung: Die Quelle zu kennen heißt nicht automatisch, dass alle Fehlinformationen beseitigt werden ­können. 5. Gehen Sie proaktiv mit Desinformationen um: Bei der Bekämpfung von Desinformationen ist es wichtig, dass Sie Ihre Botschaft kurz und knapp auf den Punkt bringen und keinen Raum für Interpretation lassen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Version der Geschichte und versuchen Sie nicht, die falschen Nachrichten zu widerlegen (siehe dazu auch Kap. 19). Verwenden Sie nicht den Link der Desinformation, denn damit würden Sie selbst die falschen Informationen weiterverbreiten. Nutzen Sie für Stellungnahmen lieber die Kommentarfunktionen und bereiten Sie Ihre Story kanalgerecht auf, z. B. mit Fotos, Grafiken, Videos. Nutzen Sie aktiv Paid Media bei der Verbreitung Ihrer Geschichte im digitalen Raum. Ziel sollte sein, Ihre Botschaft bei Google auf der ersten Seite stehen zu sehen.

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6. Trainieren Sie das Worst-Case-Szenario: Von allen bisher genannten Punkten ist dieser aus unserer Sicht der wichtigste. Teams, die jährlich Krisenübungen trainieren, werden auch in einer Krise routiniert handeln und Hand in Hand arbeiten. Zu jeder Krisensimulation sollte heute auch ein Desinformationsszenario gehören. Dabei helfen besonders Simulationen, die alle Unternehmenskanäle in Echtzeit spiegeln und so ein realistisches Übungsfeld garantieren. Wer die zuvor genannten Punkte nicht individuell überprüfen möchte, der kann mittels einer solchen Simulation sehr einfach den eigenen Krisenkommunikationsplan einem Stresstest unterziehen. Je nach Ergebnis der Übung wird dann das bestehende Optimierungspotenzial aufzeigt. 7. Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeiter für das Thema: Alle im Unternehmen, vom Vorstand bis zum Azubi, sollten sich mit Fake News auseinandersetzen und für das Thema sensibilisiert sein. Federführend ist in der Regel die Kommunikationsabteilung, ggf. in Abstimmung mit den Verantwortlichen für Weiterbildung. Geschulte Unternehmen können bei der Identifikation von Falschmeldungen punkten und verfügen über realistische Erwartungen, was Krisenkommunikation im Ernstfall erreichen kann. 8. Implementieren Sie Frühwarnsysteme: Neben Mitarbeitern als mögliches Frühwarnsystem gilt es vor allem, das eigene Monitoring in Bezug auf Desinformationen zu überprüfen. Folgende Fragen sollten Sie sich dazu stellen: Können wir Trends und Issues frühzeitig identifizieren? Wissen wir, wo sich unsere Stakeholder informieren und was sie über uns sagen? Durch ein gut strukturiertes Monitoring können Desinformationen früh erkannt und angegangen werden. Tools wie zum Beispiel Brandwatch helfen, Themen in Echtzeit zu identifizieren.

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Horn, Dennis. 2018. Social Bots – welchen Einfluss haben sie? Servicezeit. WDR. https://www1. wdr.de/verbraucher/digital/social-bots-102.html. Lies, Jan. 2018. Issues Management. Definition. Lies, Jan: „Issues Management“ in Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten. Hrsg. v. Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/issues-management-52703/version-275820. Zugegriffen: 2. Jan. 2019. Schulz, Christiane, und Stefanie Zeidler, Hrsg. 2018. Fake News. Wie sich Unternehmen schützen können. PR-Werkstatt 2018 (03): Johann Oberauer GmbH. Smith, Brad. 2018. Facial recognition technology: The need for public regulation and corporate responsibility. https://blogs.microsoft.com/on-the-issues/2018/07/13/facial-recognition-technology-the-need-for-public-regulation-and-corporate-responsibility/. Zugegriffen: 2. Jan. 2019. Viceroy Research, Hrsg. 2018. ProSieben – TV’s real house of cards. https://viceroyresearch. org/2018/03/06/prosieben-tvs-real-house-of-cards/. Zugegriffen: 2. Jan. 2019. Vosoughi, Soroush, Deb Roy, und Sinan Aral. 2018. The spread of true and false news online. ­Science 359 (6380): 1146–1151. https://doi.org/10.1126/science.aap9559. Wannenmacher, Tom. 2018. Frei erfundene Politiker-Zitate verbreiten sich auf Facebook und Co. https://www.mimikama.at/allgemein/frei-erfundene-politiker-zitate/. Zugegriffen: 2. Jan. 2019. Wardle, Claire. 2017. Fake news. It’s complicated. https://medium.com/1st-draft/fake-news-itscomplicated-d0f773766c79. Zugegriffen: 2. Jan. 2019.

Christiane Schulz ist seit 2013 CEO von Weber Shandwick Deutschland und seit 2018 Mitglied im EMEA Strategy Board. Sie ist Expertin für Kommunikationsberatung und arbeitet seit über 17 Jahren für nationale und internationale Kunden u. a. aus dem Bereich Healthcare, Food & Beverage, FMCG sowie Mobility & Logistik. Sie berät diese in den Bereichen Marketing- und Corporate Communications. Einer ihrer Themenschwerpunkte ist die Bekämpfung von Fake News. Seit 2017 ist Christiane Schulz zudem gewählte Präsidentin der Gesellschaft der führenden PR-und Kommunikationsagenturen in Deutschland (GPRA).

© Weber Shandwick

Marten Neelsen  ist Marketing Manager bei Weber Shandwick in Deutschland und Teil der Business Development Unit der Agentur. Seine Aufgaben umfassen die ganzheitliche strategische Planung und Umsetzung von internen sowie externen Kommunikationskampagnen in Deutschland und der Region. Vor seinem Einstieg bei Weber Shandwick war Neelsen als PR-Manager und Copywriter im eCommerce sowie in der politischen Stiftungsarbeit tätig.

© Kopf und Kragen Fotografie / Merk & von Wardenburg gbr

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Digitaler Angriff auf die Reputation Social Bots, Trolle & Co.: Reale Online-Gefahr in der crossmedialen Cyberwelt Giovanni Bruno

Zusammenfassung

Dass es Menschen oder Gruppierungen gibt, die einem Unternehmen nicht immer wohlgesonnen sind und ganz gezielt polemische, provozierende oder anklagende Angriffe auf die Reputation starten, erfährt wahrscheinlich jeder Kommunikator im Laufe seiner beruflichen Karriere. Was aber, wenn diese Angriffe nicht von Menschen, sondern von Bots ausgehen, die langsam und gerne mit konstruktiver Kritik starten, dann massiv anschwellen, die Stimmung kippen lassen und noch dazu mit Fake News versehen sind. Fiktion? Nein, herzlich willkommen in der Realität. Dieser Beitrag zeigt anhand einer fiktiven Geschichte auf, wie Kriminelle in der digitalen Welt Angriffe auf die Reputation starten könnten – sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. Protagonist des Beitrages ist Mafioso 4.0. Er hat sich zum Ziel gesetzt, seinen Wettbewerber aus dem Markt zu verdrängen und verfolgt eine kriminelle Digitalstrategie. Das Verständnis dieser Strategie soll dem Leser helfen, Online-­ Angriffe frühzeitig zu erkennen, ihnen vorzubeugen und sie im Ernstfall abwehren zu können.

9.1 Mafioso 4.0 und seine kriminelle Digitalstrategie Angenommen, unser Mafioso 4.0 – ausgestattet mit enormer krimineller Energie und ausreichend finanziellem Budget – will seinen Konkurrenten aus dem Wettbewerb werfen. Er rollt eine Digitalstrategie aus, die dem betroffenen Unternehmen erst auffällt, G. Bruno ()  Unternehmensberatung für digitale Kommunikationslösungen, fokus digital GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_9

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als die Attacken bereits in vollem Gang sind. Unser fiktives Szenario könnte wie folgt aussehen: Mafioso 4.0 legt den Fokus der Aktion anfangs auf die Verbreitung von „User Generated Content“. Darunter versteht man Inhalte, die von Menschen oder Maschinen geschrieben werden. Echte Nutzer kommentieren mit echten Kommentaren neutral bis negativ auf die Online-Aktivitäten eines Unternehmens – in unserem Fall auf die Online-Aktivitäten des Wettbewerbers. Solche Angriffe können im Ausland im Verhältnis zu Marketingbudgets günstig eingekauft werden und haben eine immense Kraft. Danach bedient sich Mafioso 4.0 weiterer krimineller Angriffsmöglichkeiten: Fake Accounts, Ranking-Abstürze durch negativ indizierte Backlinks, Klonen der Website-Inhalte zur Abwertung (wg. „Duplicate Content“), DDOS-Attacken und vieles mehr. Hier einige mögliche Angriffsquellen unseres Mafioso 4.0 im Überblick:

9.1.1 Trolle und Sockenpuppen Unser Mafioso 4.0 könnte Trolle und Sockenpuppen, also echte, gekaufte Nutzer-­ Accounts, damit beauftragen, aktiv und gezielt Angriffe auf die Reputation seines Wettbewerbers zu verüben. Dazu sucht er zunächst sämtliche vom Wettbewerber „bespielten“ Kanäle heraus – zum Beispiel den Blog des betroffenen Unternehmens, das branchenrelevante Forum, auf dem sich das Unternehmen bis dato eine sehr gute Reputation aufgebaut hatte, sowie die unternehmenseigenen Social-Media-Kanäle. Er denkt selbstverständlich auch an alle Produkttest- und Vergleichs-Webseiten. Dann kontaktiert er eine der mittlerweile zahlreich existierenden Agenturen, die Trolle und Sockenpuppen „im Portfolio“ haben. Als Troll bezeichnet man im Netzjargon eine Person, deren Kommunikation im Netz auf emotionale Provokation anderer Teilnehmer abzielt (Glück 2013, S. 37). Schaden entsteht dadurch, dass diese realen Personen Diskussionen ausbremsen oder das Vertrauen in eine Community, ein Unternehmen oder ein Produkt zerstören können. Demgegenüber sind Sockenpuppen erfundene, kopierte oder gestohlene Identitäten, die die Meinungsbildung im Netz beeinflussen sollen (Nayar 2004, S. 123). Zielsetzung dieser realen oder gefakten Identitäten kann es sein, Communitys, Unternehmen, Parteien oder öffentliche Personen mit scheinbar naiven Fragen und gezielter Provokation zu diskreditieren, um dadurch die eigenen Interessen und Themen –­ respektive die des mafiösen Auftraggebers – in ein positives Licht zu rücken. Unser Mafioso will mit dem Einsatz der Trolle und Sockenpuppen erreichen, dass die Reputation seines Zielobjekts massiv geschädigt wird.

9.1.2 Algorithmen und Bots Auch die automatisierte Angriffsvariante steht Mafioso 4.0 längst zur Verfügung. Hier greifen nicht mehr Menschen in den Kommunikationsverlauf ein, sondern Maschinen, sogenannte Algorithmen und Bots. Letztlich handelt es sich dabei um automatisierte

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Social-Media-Konten, die mit anderen Benutzern interagieren. Algorithmisch gesteuert wird im Web nach themenrelevanten Inhalten gesucht und – damit verknüpft – eine vordefinierte Verhaltenssequenz ausgeführt. Der Unterschied zu Sockenpuppen: Diese Maschinen sind zeitlich unbegrenzt einsetzbar, um mit entsprechender Verschlagwortung Netzwerke zu infiltrieren. Die Wirkung von Bots entsteht durch die immense Anzahl der Accounts. Wer imstande ist, einen Bot zu programmieren, kann das ebenso endlos multiplizieren. Für das willentlich verzerrte Meinungsbild ausschlaggebend ist laut BUND u. a., dass „Bots das menschliche Verhalten immer überzeugender imitieren,“ ­(Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS). In den Fokus der Öffentlichkeit gerieten Bots insbesondere im letzten US-amerikanischen Wahlkampf. Beispiel

Meinungsmanipulation via Bots im US-amerikanischen Wahlkampf Laut einer Studie der Oxford University wurden nach dem ersten Fernseh-Duell zwischen den US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Hillary Clinton 23 bis 27 % der Pro-Trump-Tweets von einem Bot abgesetzt. Die Forschung von Professor Philip Howard von der Universität Oxford, von Bence Kollanyi von der Universität von Corvinus und von Samuel Woolley von der Universität von Washington zeigt, dass die Verwendung hochautomatisierter Konten durch Trump-Anhänger absichtlich und strategisch war. Als am frühen Nachmittag des 8. November 2016 der Wahlsieg feststand, wurden die Tweets plötzlich gestoppt (The University of Oxford 2016). Cambridge Analytica soll bei der Vermarktung des Wahlkampfes von Donald Trump digitale Bots eingesetzt haben (Clemens Wergin 2018), und zwar nachfolgendem Prinzip: Um eine über Bundesstaaten hinweg gut organisierte und personalisierte Ansprache der Wähler zu gewährleisten, mussten die Menschen im Bundesstaat A anders angesprochen werden als im Bundesstaat B oder C. Die Nachrichten wurden laut Alexander Nix, CEO von Cambridge Analytica, nach psychologischem Targeting konzipiert und versandt. Nix erklärt: „Am Tag der dritten Präsidentschaftsdebatte zwischen Trump und Clinton versendet Trumps Team 175.000 verschiedene Variationen seiner Argumente, vor allem via Facebook … Die Feinkörnigkeit der Anpassung geht hinunter bis zu Kleinstgruppen.“ (CEO ­Cambridge Analytica (Nix, Alexander)). Die Vorgehensweise beruhte auf dem psychometrischen Ansatz, basierend auf einer Methode des Psychologen Dr. Michal Kosinski, Assistant Professor of Organizational Behavior, Stanford Graduate School of Business. Von ihm entwickelt wurde eine App, bei der das Nutzerverhalten von Facebook-Usern minutiös analysiert wird. 2012 erbrachte er den Nachweis, dass „aus durchschnittlich 68 Facebook-­ Likes eines Users höchstwahrscheinliche Aussagen zu dessen Hautfarbe, Sexualität und ­politischer Einstellung getroffen werden können.“

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Beispiel: • Kandidat 1: Männlich, Bundesstaat A, verdient weniger als 20.000 US$ jährlich, hat Donald Trumps Fanpage geliked. • Kandidat 2: Männlich, Bundesstaat A, verdient 90.000 US$/Jahr, hat Donald Trumps Fanpage nicht geliked, arbeitet aber in der Metallindustrie und ist damit ein potenzieller Kandidat, zumal Trump eine aggressive Anti-Außenhandelspolitik verfolgt. So wurde von Cambridge Analytica ein enorm personalisiertes Targeting aufgesetzt. Gleichzeitig wurden große Medienereignisse von Donald Trump mit außerordentlich viel Zuspruch in den Sozialen Medien auffällig positiv befürwortet. Immer dann, wenn Trump sich öffentlich äußerte und Reden live übertragen wurden, wurde eine massive Anzahl an Emoticons geklickt. Generell wurde eine hohe Anzahl an Interaktionen über Social Bots generiert (FAZ Net 2018). Cambridge Analytica konnte wie die Crossposting Tools über Software auf eine kleine Armee von Facebook-Profilen zugreifen, um diese extern zu steuern. Diese Bots wurden mit Handlungsschleifen versehen und verbreiteten Spam-Kommentare zu Hillary Clinton, u. a. mit ihrem persönlichen Wahlkampf Hashtag „#lovehillary“.

Targeting-Varianten im Überblick

• Psychografisches Targeting: In der Psychografie wird die Persönlichkeit von Menschen anhand von Messzahlen abgebildet. Die hauptsächlich genutzten Parameter sind die Verhaltensmotive. „Macht“, Leistung“ und „Anschluss“. • Demografisches Targeting: Unter „demografischen Targeting“ versteht man die Zielgruppenselektion nach Alter und Geschlecht. Insbesondere generationsspezifische Themen können mit individueller Ansprache ausgesteuert werden. • Geografisches Targeting: Demgegenüber steht das Targeting nach geografischen Aspekten. Relevante Unterschiede ergeben sich aus der jeweiligen Region, beispielsweise des Wohnortes im urbanen Raum oder der Metropole. • Device Targeting: Device Targeting bezieht sich auf die Endgeräte, mit denen die User Nachrichten und Netzinhalte abrufen. Aus dem Nutzerverhalten – ­statisch oder mobil – lässt sich eine meinungsbildende Ansprache ableiten. • Soziografisches Targeting: Für das Targeting auf soziografischer Basis werden Kriterien wie Alter, Geschlecht, Beruf, berufliche Stellung oder Haushaltsnettoeinkommen herangezogen.

Insider-Wissen: So funktionieren Bots technisch Bots sind Programme aus vordefinierten Handlungsaufforderungen. Einem Bot lässt sich eine Schleife an Handlungen vorgeben. Nehmen wir das Beispiel mit Bot „LUKE“. Seine Anforderung: Genau wie seine ca. 100.000 Kameraden soll er Banken neutral bis negativ bewerten. Ein Beispiel:

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Beispiel

LUKE bekommt folgende Aufgaben: 1. Suche bei Facebook den Begriff „Bank“. Dadurch erscheinen Hunderte verschiedener Banken. 2. Klicke oben in der Navigation auf die Resultate „Seiten“. Die Auswahl angezeigter Vorschläge reduziert sich auf Bank-assoziierte Fanpages/Ergebnisse. Vermuten wir, es gibt beispielsweise 180 Resultate. 3. Nimm das erste Ergebnis, analysiere die URL. Ist die URL noch „frei“, klicke sie an. (Definition „freie URL“ siehe 5.) 4. Bewerte die Fanpage mit 2 Sternen und einem Paar der folgenden Bausteine und trenne mit einem Komma. a) {ein schlechter Service} + {wie ich finde} b) {nicht wirklich nett} + {schmales Produktangebot} c) {unfreundlich} + {nicht empfehlenswert} d) {nie wieder} + {lieber eine andere Bank} All diese Beiträge sind miteinander durchmischbar, wodurch 4 × 4 unterschiedliche Textbausteine kumuliert werden, z. B. „Ein schlechter Kundenservice, wie ich finde.“ Oder: „Ein schlechter Kundenservice, nicht wirklich nett.“ 5. Trage in eine einheitliche, für alle Bots zugängliche Datenbank ein, welche URL zur Fanpage aus den 180 Resultaten du bewertet hast. Dadurch wird diese Fanpage als „markiert“ oder „bewertet“ klassifiziert. Alle anderen haben den Status „frei“. 6. Der nächste Bot folgt den oberen Schritten: – Bank suchen – Resultat 1 checken – Mit Datenbank abgleichen – Falls nicht frei, Resultat 2 durchsuchen Das geht so lange, bis ein freies Resultat verfügbar ist, das wieder mit 2 Sternen bewertet wird. Das Interessante ist: Geht man mit der Maus per Rechtsklick über ein Ergebnis einer solchen Ergebnisseite (https://www.facebook.com/search/ top/?q=bank), kann dort via Rechtsklick der Punkt „Linkziel kopieren“ ausgewählt werden. Das bedeutet: Bevor der Link angeklickt wird, lässt sich dessen URL bereits ohne Interaktion „ablesen“. Warum das so wichtig ist? Müssen Bots nicht auf jedes der 180 Resultate klicken, sondern identifizieren das Linkziel bereits mit einer einfachen Linkziel-Abfrage, ist seitens Facebook keine Spam-Aktivität aufgrund von zu vielen Interaktionen messbar. Das Resultat: Bots können die Handlungskette kontinuierlich inkognito ausführen, ohne dass Algorithmen die übermäßige Verhaltensfrequenz auffällt. Das Szenario lässt sich weiter multiplizieren: Stelle man sich vor, es seien nicht rudimentäre 4 × 4 Textbausteine, sondern 100 × 100. Zur Verdeutlichung des Aufwandes: Das ist Arbeit von gerade mal einem Tag.

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Die Bots werden übrigens meist in „Python“ programmiert, einer Programmiersprache, die zu den funktionalen Sprachen gehört, mit der man „Befehle“ mit tiefen Verhaltenssequenzen programmieren kann. Sind Bots in Python programmiert, können über sogenannte Schnittstellen beziehungsweise APIs (Application Programming Interface) ein oder mehrere Social-Media-Profile angedockt werden. Ein Beispiel für eine ­Facebook-API: https://facebook-sdk.readthedocs.io/en/latest/api.html. Ein nahtloser Zugang beziehungsweise eine bilaterale Kommunikation zwischen Bot und BenutzerAccount wird dadurch möglich, sodass man mit einer Python-Oberfläche mehrere APIs zum Einsatz kommen lassen kann, wodurch der Zugang zu mehreren Profilen auf mehreren Plattformen ermöglicht wird. Crossposting via APIs – offene Schnittstellen

Facebook arbeitet, wie jedes große Portal beziehungsweise Social Network, mit „APIs“. API ist die Kurzform für Application-Programming-Interface, was frei ins Deutsche übersetzt heißt: „Schnittstelle zur Anwendungsprogrammierung“. Diese Schnittstellen bieten auch Google, Xing und viele mehr an: Externen, zum Beispiel Apps oder Software, wird durch eine API eine Art „Zugang“ zu internen Systemen verschafft. Beispiel: Wenn ich ein Online-Tool für Crossposting im Social Media nutze, kann ich aus einer Oberfläche heraus in viele verschiedene Social Networks posten, ohne dort eingeloggt zu sein, denn meine Tools haben bereits kontinuierlichen Zugang über die API. Ein solches Crossposting Tool ist beispielsweise Hootsuite.

9.1.3 Infiltration nach Schneeballprinzip Zur Digitalstrategie unseres Mafioso 4.0 könnte auch gehören, mittels Fake-Accounts alle relevanten Social-Media-Kanäle des betroffenen Unternehmens zu infiltrieren, darunter die unternehmenseigene Facebook-Fan-Seite und der Twitter-Kanal des CEO. Nach und nach mischt unser Mafioso Liker und Follower (= „schlafende Hunde“) unter die Community. Sie haben etwas ganz anderes als eine positive Interaktion mit der Community im Sinn. Fiktiv betrachtet hat unser Mafioso 4.0 nach etwa zwei Monaten hunderte von Fake-Accounts in die Like-Gesellschaft geschmuggelt. Im nächsten Schritt beginnen die Mafioso-eigenen Fans, Postings des betroffenen Unternehmens zu kommentieren und zu hinterfragen, gerne mit konstruktiver Kritik. Wenn diese Fake-Nutzer im weiteren Verlauf auch noch Zustimmung durch wahre Nutzer finden und die negativen Nutzer sich auch noch gegenseitig in den Aussagen stützen, kommt in der Netzgemeinschaft ganz sicher Verunsicherung auf.

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9.1.4 Ranking-Absturz durch negativ indexierte Backlinks Während nun die Reputation in den branchenrelevanten Foren sowie auf den Portalen und Social-Media-Kanälen des betroffenen Unternehmens bereits via Mensch oder Maschine angegriffen wird, muss unser Unternehmen gleichzeitig feststellen, dass die eigenen Rankings rasant fallen. Als Ranking bezeichnet man die Platzierung, die eine Webseite in der Trefferreihenfolge einer Suchmaschine einnimmt (Onlinemarketing-Praxis). Ein Blick ins Analysesystem der Backlinks verrät unserem Unternehmen: Es wurden Backlinks von Pornoseiten und anderen Websites („Bad Neigh­ borhood“) gesetzt, die das eigene Ranking zerstören. Ist eine Webseite einige Wochen mit solchen Backlinks verknüpft, verschwindet sie meist als Folge einer Google-Abstrafung („Penalty“) aus dem Google-Index. Weitere Informationen zur Google Penalty unter: https://www.sistrix.de/ frag-sistrix/google-penalties/welche-arten-einer-google-penalty-abstrafung-gibt-es-undwo-liegen-die-unterschiede. Diese Backlinks muss das betroffene Unternehmen innerhalb kürzester Zeit bei Google als unangebracht melden, um die Website-­Rankings langfristig zu retten. Meist fallen Seitenbetreibern solche Spam-­Attacken erst zu spät auf.

9.1.5 Negativ-Beiträge auf Klon-Webseiten Unser Mafioso 4.0 ist mit seinen kriminellen Machenschaften aber immer noch nicht am Ende. Er lässt Fake News auszurollen – und zwar auf Klon-Webseiten. Dafür programmieren „seine Profis“ Klone mittlerer und kleinerer Nachrichtenseiten. Mafioso 4.0 entscheidet sich für den Nachbau branchenrelevanter Portale sowie Produkttest- und Vergleichsseiten und erzeugt auch neue Produkttest- und Vergleichsportale mit Inhalten, die denen bestehender Portale ganz ähnlich sind. Dazu kopieren die „Profis“ Inhalte der Originalseiten und duplizieren sie – mit einer einzigen Veränderung: Plötzlich sind innerhalb der Originaltexte neue Artikel platziert, die das betroffene Unternehmen in ein schlechtes Licht rücken und gerne über Risiken der Produkte „aufklären“. Strategien, die man normalerweise zur Streuung positiver und aufklärender Inhalte nutzt, werden hier von Mafioso 4.0 gänzlich missbraucht. Zudem platziert unser Mafioso die vermeintlichen Vergleichsseiten auf Extended Domains. Extended Domains sind Domains, die bereits eine Vergangenheit mit Rankings und Historie aufweisen. Da Mafioso 4.0 die Schädigung seines Wettbewerbers im Sinn hat, kauft er Extended Domains mit extrem schlechter Historie. So kann der anschließend gesetzte Backlink eine zerstörerische Wirkung entfalten, und die neuen Seiten tauchen ganz unvermittelt auch im Google-Ranking auf.

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9.1.6 DDOS-Attacken und Mail-Spammings Schließlich rollt Mafioso 4.0 DDOS-Attacken und Mail-Spammings aus. Bei DDOS-­ Attacken handelt es sich um die durch Überlastung aktiv verursachte Nichtverfügbarkeit eines Internet-Dienstes (DDOS = Distributed Denial of Service) (Stefano Albrecht 2005). Unterschieden wird dabei zwischen der Bandbreitensättigung, der Ressourcensättigung und der Herbeiführung von System- und Anwendungsabstürzen. Mail-­Spamming steht für das massenhafte Senden von E-Mails, wodurch das virtuelle Postfach des Empfängers und der genutzte Server überlastet werden können (Technische Universität Dresden, Zentrum für Informations-Dienste und Hochleistungs-Rechnen (ZIH) 2016). Innerhalb eines Tages kommen plötzlich Millionen Seitenzugriffe sowie mehrere hunderttausend Kontaktanfragen und Mails auf das betroffene Unternehmen zu. Das Resultat: Die Website ist für mehrere Tage offline und Wochen später noch immer nicht aufgeräumt. Mittlerweile stammen übrigens die meisten Webseitenbesuche von Bots. Bereits 2016 erfolgten laut einer Studie von Imperva Incapsula 51,8 % der Seitenbesuche von Bots, davon waren 28,9 % Bad Bots (Imperva Incapsula 2017).

9.2 Digitale Prävention Hundertprozentige Sicherheit gegen Attacken gibt es im Internet nicht. Dennoch können Unternehmen präventive Maßnahmen ergreifen, um die Wahrscheinlichkeit und die damit einhergehende Gefahr zu reduzieren. Unternehmen sollten zunächst – sofern die IT-Expertise nicht firmenintern vorhanden ist – eine betreuende Agentur auswählen, die Angriffe im Fall des Falles mit dem entsprechenden Know-how und der Manpower identifizieren und gegensteuern kann. Besondere Bedeutung hat dabei die Medienbeobachtung. Software und Datenbanken können via Software und Algorithmen Suchmaschinen und Datenbanken im Internet in Echtzeit nach Erwähnungen und Verlinkungen durchsuchen. Die Vorgehensweise bei diesem Monitoring ist simpel: Man legt bestimmte Schlüsselwörter fest, nach denen rund um die Uhr „gecrawlt“ – gesucht – wird. Sobald Ergebnisse gefunden werden, erscheint eine Meldung in Form einer Benachrichtigung. Zumal es um öffentliche Meinungsbildung im zumeist anonymen Raum geht, ist es immens wichtig, das eigene Reputationskissen kontinuierlich zu füllen. Je aussagekräftiger und interaktiver das Firmen-Image, umso kleiner ist das Einfallstor für Mafioso 4.0. So sollte das Unternehmen beständig dafür sorgen, dass möglichst viele positive Inhalte im Netz abrufbar sind, die besonders aufgrund der Fülle, Präsenz und Qualität von kriminellen Angreifern umso schwieriger zu unterwandern sind.

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9.2.1 Wachsame IT- und Defence-Abteilung implementieren Dem Mafioso 4.0 wurde es im oben genannten Szenario sehr leicht gemacht. Er profitierte bei seinen Machenschaften davon, dass das betroffene Unternehmen kein kontinuierliches Monitoring durchgeführt und auf etwaige Anzeichen viel zu spät reagiert hat. Eine funktionierende und wachsame IT- und Defence-Abteilung ist für Wirtschaftsunternehmen heutzutage verpflichtende Eigenverantwortung.

9.2.2 Marktsituation aktiv beobachten und steuern Beim Wettbewerbsunternehmen von Mafioso 4.0 wurde zudem die eigene öffentliche Darstellung weder konsequent noch aktiv gepflegt. Das allerdings wäre eine Aufgabe für die Marketing- und PR-Abteilung des Unternehmens gewesen, die für vertrauensbildende und kundenbindende Inhalte über sämtliche Medien hinweg hätte sorgen ­müssen.

9.3 Maßnahmen zur Abwehr digitaler Angriffe Stellt ein Unternehmen einen Angriff fest, sollte es zunächst Ruhe bewahren. Wie dargelegt, können digitale Angriffe auf verschiedene Arten erfolgen. Ein erster Schritt, um geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, ist es, deren Ursprung zu identifizieren und das Ausmaß zu eruieren. Ist belegt, dass hinter negativen Kommentaren, Bewertungen und Fake-Informationen cyberkriminelle Energien stehen, sollte das öffentlich thematisiert werden. Zeitgleich wird mit faktisch positiven Veröffentlichungen der negativen Meinungsbildung entgegengesteuert. Tatsache bleibt: Während die IT-Security im Hintergrund aufräumt, Fake-Accounts eliminiert, Lücken schließt, Interaktionen (zum Beispiel Facebook-Kommentare) meldet und für die De-Indexierung bei Google sorgt, bleibt der Abteilung für Unternehmenskommunikation der aktive Dialog nicht erspart. Umso besser, wenn dabei die Community auf den Social Media Accounts mit ins Boot geholt werden kann.

9.3.1 Prognose Die digitale Einflussnahme auf die Meinungsbildung wird zum Wirtschafts- und Polit-Faktor. Im digitalen Zeitalter kann nahezu jeder Kanal genutzt werden, um illegitime Angriffe auf die Reputation zu starten. Ebenso ist es denkbar, irreführende Inhalte auf Klon-Webseiten einzupflegen. Im Ranking der Suchmaschinen platziert, werden Fake-Informationen bis zu ihrer De-Indexierung – dem Löschen bei Google – gestreut und von etwaigen unbedarften Empfängern zusätzlich verbreitet. Zum gegenwärtigen

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Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass die kriminelle Dienstleistungsbranche, die digitale Angriffe auf die Reputation anbieten, wachsen wird. Hilfreich wäre ein digitaler Kodex. Aber solange der nicht existiert, steht die glaubhafte Wahrheit ungeschützt in der digitalen Welt.

9.3.2 Handlungsempfehlungen Die wichtigsten Handlungsempfehlungen für den Schutz, den Aufbau und die Pflege der digitalen Reputation sind: • Medienübergreifendes Monitoring betreiben • SEO-Software nutzen und Backlinks innerhalb kürzester Zeit entdecken und ­eliminieren • Ursprung von Fake-Accounts, Trollen, Sockenpuppen und Bots eruieren • Belegte Reputationsangriffe öffentlich kommunizieren • Klon-Webseiten und Inhalte von den Suchmaschinen de-indexieren lassen • Vorhandene Community mit ins Boot holen • Mit der Öffentlichkeit in den aktiven Dialog treten • Strategische Kooperation von IT-Defence und Unternehmenskommunikation organisieren

Literatur Albrecht, Stefano. 2005. DoS-Angriffe. Netzwerksicherheit. http://www.highgames.com/?set=hardwareview&view=8. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Alexander, Glück. 2013. Handbuch für den Forentroll. St. Ingbert: Röhrig Universitäts Verlag. CEO Cambridge Analytica (Nix, Alexander). Cambridge analytica – The power of big data and psychographics. The Concordia summit serves as a global affairs forum, where thought leaders and innovators gather to examine the worlds most pressing challenges. https://www.youtube. com/watch?v=n8Dd5aVXLCc&feature=youtu.be. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. FAZ Net, Hrsg. 2018. Twitter: Russische Bots haben Trump 470.000 mal retweetet. Soziale Netzwerke. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/twitter-russische-bots-haben-trump470-000-mal-retweetet-15419783.html. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, Hrsg. Social Bots. https://www. oeffentliche-it.de/-/social-bots. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Imperva Incapsula, Hrsg. 2017. Bot traffic report 2016. Bots & DDoS, performance, security. https://www.incapsula.com/blog/bot-traffic-report-2016.html. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Nayar, Pramod K. 2004. Virtual worlds. Culture and politics in the age of cybertechnology. New Delhi, Thousand Oaks, Calif: Sage Publications. http://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&scope=site&db=nlebk&db=nlabk&AN=305594. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Onlinemarketing-Praxis. Definition ranking. https://www.onlinemarketing-praxis.de/glossar/ranking. Zugegriffen: 20. Dez. 2018.

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Technische Universität Dresden, Zentrum für Informations-Dienste und Hochleistungs-Rechnen (ZIH), Hrsg. 2016. Mail-Spamming – Missbrauch des Internets? https://tu-dresden.de/zih/ dienste/service-katalog/arbeitsumgebung/e_mail/spamming#section-1. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. The University of Oxford, Hrsg. 2016. Pro-Trump highly automated accounts ‘colonised’ pro-Clinton Twitter campaign. http://www.ox.ac.uk/news/2016-11-17-pro-trump-highly-automated-accounts%E2%80%98colonised%E2%80%99-pro-clinton-twitter-campaign. Zugegriffen: 20. Dez. 2018. Wergin, Clemens. 2018. „Unsere Daten haben Trumps Strategie bestimmt“. Cambridge Analytica. Hrsg. v. Die Welt Online. https://www.welt.de/politik/ausland/article174785094/Cambridge-Analytica-Unsere-Daten-haben-Trumps-Strategie-bestimmt.html. Zugegriffen: 20. Dez. 2018.

Giovanni Bruno  ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der fokus digital GmbH, einer Unternehmensberatung für digitale Kommunikationslösungen mit Sitz in Berlin-Mitte. Im Alter von 18 Jahren startete er auf klassischem Weg mit einem Online-Shop und sicherte sich den ersten Bezug zu Online-Werbung und -Handel. Nach dem Wirtschafts- und Psychologie-Studium realisierte er diverse Online-Projekte, gründete eigene Unternehmungen im digitalen Segment und zog 2013 in die bundesdeutsche Start-up-­ Hochburg Berlin. Dort installierte er mit Freelancern eine Agentur-Kollaboration, bevor er 2016 mit der fokus digital GmbH startete. Vor dem Hintergrund aktueller Marktentwicklungen hat er sich operativ und forschend verstärkt der Analyse von multiplikativen Instrumenten und Methoden gewidmet. Unter Einsatz eigenprogrammierter Bot-Lösungen und Software blickt er hinter die Kulissen medialer Manipulation.

Der Datenschutzverstoß als Herausforderung für die Unternehmenskommunikation

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Zur Melde- und Benachrichtigungspflicht von Datenschutzverstößen unter der Datenschutzgrundverordnung Fabian Schmieder Zusammenfassung

Die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) gilt seit dem 25. Mai 2018 in der gesamten Europäischen Union als unmittelbar geltendes Datenschutzrecht. Mit ihr hat der Datenschutz jedenfalls in den Unternehmen zwischenzeitlich neue Aufmerksamkeit erhalten. Das gestiegene Interesse dürfte weniger mit einem gewandelten Image des Datenschutzes als mit einem massiv erhöhten Bußgeldrahmen, immateriellem Schadenersatz für Verletzungen des Datenschutzrechts und deutlich gestärkten Befugnissen der Datenschutzaufsichtsbehörden im Zusammenhang stehen. Das häufig mangelnde Störgefühl der Nutzer versucht die DS-GVO durch eine bessere Information der Betroffenen und durch mehr Transparenz der Verantwortlichen zu adressieren. Scheint die Meldung einer Datenschutzverletzung an die Aufsichtsbehörde zunächst ein ebenfalls eher bürokratisch anmutender Vorgang zu sein, so dürfte spätestens im Rahmen der Benachrichtigung der Betroffenen deutlich werden, dass es sich dabei auch um einen Vorgang mit einer öffentlichkeitswirksamen Dimension handelt. ­Daraus ergeben sich Anforderungen an die Unternehmenskommunikation. In diesem Beitrag werden die Voraussetzungen und Folgen der Melde- und Benachrichtigungspflicht im Falle von Datenschutzverstößen nach der Datenschutzgrundverordnung dargelegt und Hinweise gegeben, wie in der Praxis mit Datenschutzverstößen umzugehen ist und wie man sich auch in der Abteilung Unternehmenskommunikation auf solche Ereignisse vorbereiten kann.

F. Schmieder (*)  Fakultät III – Medien, Information und Design, Hochschule Hannover – University of Applied Sciences and Arts, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_10

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10.1 Einleitung Der Datenschutz und allen voran das Datenschutzrecht wurde einst, zu Beginn der Digitalisierung im Jahr 1983, als informationelles Selbstbestimmungsrecht im grundrechtlichen Gewand zur Abwehr eines allzu datenhungrig erscheinenden Staates gefeiert (BVerfGE 65,1 – „Volkszählungsurteil“). Der Datenschutz galt lange Jahre als wertschöpfungsferne bürokratische Pflichtübung, die vermutlich vom Gros der Wirtschaft eher stiefmütterlich behandelt wurde. Irgendwie – so schien es jedenfalls – ­funktionierte es am Ende schon, und so richtig schaute ohnehin niemand hin, auch nicht die unterbesetzten Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder. Diese in der Wirtschaft lange Zeit bestehende Gleichgültigkeit spiegelt sich auch in großen Teilen der Bevölkerung wider, die vor der Internetwirtschaft auf beiden Seiten des großen Teiches an vermeintlich kostenlose Geschäftsmodelle gewöhnt wurde, ohne dass die Nutzer wirklich wissen wollten, wie mit Tracking, Nutzerprofilen und „zielgruppengerechter Werbung“ Geld verdient wurde und aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen wohl auch werden musste. Dr. Christian Lange, Rechtsanwalt in Berlin, schrieb 2014 in seinem Gastbeitrag „Die digitale Gleichgültigkeit“ im Magazin brand eins bereits von einer „erodierten Legitimation des Datenschutzrechts“ (Lange 2014). Auch wenn man – wie der Verfasser dieses Beitrags – den endgültigen Untergang des Datenschutzrechts noch nicht ausgemacht hat, ist die Unbekümmertheit vieler Nutzerinnen und Nutzer ein Fakt. Daraus auf eine mangelnde Legitimation zu schließen, dürfte allerdings fehl gehen. Schließlich ist es Verpflichtung des Staates, sich schützend vor seine Bürger zu stellen. Gäbe es den Schutz des Datenschutzrechts nicht, könnte der Bürger im Übrigen auch gar nicht von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen. Die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) ist seit dem 25. Mai 2018 in der gesamten Europäischen Union als unmittelbar geltendes Datenschutzrecht anwendbar. Mit ihr hat der Datenschutz jedenfalls in den Unternehmen zwischenzeitlich neue Aufmerksamkeit erhalten. Das gestiegene Interesse dürfte weniger mit einem gewandelten Image des Datenschutzes als mit einem massiv erhöhte Bußgeldrahmen, immateriellem Schadenersatz für Verletzungen des Datenschutzrechts und deutlich gestärkten Befugnissen der Datenschutzaufsichtsbehörden im Zusammenhang stehen. Das häufig mangelnde Störgefühl der Nutzer versucht die DS-GVO durch eine bessere Information der Betroffenen und durch mehr Transparenz der Verantwortlichen zu adressieren, siehe dazu vor allem die Informationspflichten aus Art. 13 und Art. 14 DS-GVO, aber auch die weiteren Betroffenenrechte der Art. 12 bis 23 DS-GVO. Nachdem die Erledigung unter anderem dieser Verpflichtungen bisher im Fokus der Umsetzung in Unternehmen lag, führen zwei weitere Vorschriften der DS-GVO bisher (noch) ein Schattendasein: Mit der Verpflichtung des für die Datenverarbeitung verantwortlichen Unternehmens (Verantwortlicher), etwaige Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten an die zuständige Aufsichtsbehörde zu melden (Art. 33 Abs. 1 DS-GVO) und in bestimmten Fällen auch die betroffenen Nutzer wegen des Verstoßes zu benachrichtigen (Art. 34 Abs. 1 DS-GVO), versucht der Gesetzgeber, die Transparenz der Unternehmen auch im

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Falle von Datenschutzverstößen zu erhöhen. So können einerseits die Aufsichtsbehörden nötigenfalls von ihren Befugnissen nach Art. 58 DS-GVO Gebrauch machen. Andererseits können Betroffene gegebenenfalls ihre Betroffenenrechte (Art. 15 ff. DS-GVO) ausüben, wenn sie selbst von einer Verletzung ihrer Rechte erfahren. Scheint die Meldung einer Datenschutzverletzung an die Aufsichtsbehörde zunächst ein ebenfalls eher bürokratisch anmutender Vorgang zu sein, so dürfte spätestens im Rahmen der Benachrichtigung der Betroffenen deutlich werden, dass es sich dabei ­ auch um einen Vorgang mit einer öffentlichkeitswirksamen Dimension handelt. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Unternehmenskommunikation.

10.2 Rechtlicher Rahmen 10.2.1 Datenschutzverstoß Voraussetzung für eine Meldung an die Aufsichtsbehörde (Art. 33 Abs. 1 DS-GVO) als auch für die Benachrichtigung der Betroffenen (Art. 34 Abs. 1 DS-GVO) ist zunächst ein Datenschutzverstoß, welchen die DS-GVO als eine „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten“ beschreibt. Ein Datenschutzverstoß liegt vor, wenn „eine Verletzung der Sicherheit, ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig, zur Vernichtung, zum Verlust, zur Veränderung oder zur unbefugten Offenlegung von beziehungsweise zum unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten führt, die übermittelt, gespeichert oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden“ (Art. 4 Nr. 12 DS-GVO). Auf ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) des Verantwortlichen kommt es dabei nicht an. Es reicht der eingetretene „Verletzungserfolg“, sodass zum Beispiel auch erfolgreiche Angriffe von außen, die trotz Ergreifung aller erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen (Art. 32 Abs. 1 DS-GVO) zur Offenlegung von personenbezogenen Daten geführt haben, oder der „Datendiebstahl“ durch Innentäter einen Verstoß darstellen. Schließlich muss sich der Verantwortliche auch Verletzung aufseiten seiner Auftragsverarbeiter (Art. 28 DS-GVO) zurechnen lassen. Datenschutzverletzungen bei dem vom Verantwortlichen beauftragten Webhoster oder Cloud-Anbieter sind daher für die Meldeund Benachrichtigungspflicht genauso relevant wie Datenschutzverletzungen durch IT-Servicedienstleister, solange jedenfalls mit personenbezogenen Daten gearbeitet wird.

10.2.2 Meldepflicht (Art. 33 Abs. 1 DS-GVO) „Liegt ein Datenschutzverstoß vor, löst dies die Meldepflicht an die Aufsichtsbehörde aus (weiterführend dazu Marschall 2015), welcher der Verantwortliche unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, nachzukommen hat.“ Diese Verpflichtung kann der ­Verantwortliche freilich erst ab Kenntnis des Vorfalls erfüllen, sodass die gesetzliche

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Meldefrist von 72 Stunden auch erst dann zu laufen beginnt. Häufig sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Umstände des Vorfalls bekannt, worauf der Verantwortliche bei der fristwahrenden Erstmeldung hinweisen und im weiteren Verlauf nachmelden sollte. Die Meldung hat gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde (Art. 55 DS-GVO) zu erfolgen, die sich aus dem rechtlichen Sitz des Unternehmens ergibt. Jedes Bundesland verfügt über eine entsprechende Aufsichtsbehörde. Die Meldung unterliegt keiner besonderen Form, insbesondere nicht der Schriftform, wobei schon zu Nachweiszwecken eine Erledigung jedenfalls in Textform zu empfehlen ist. Viele Aufsichtsbehörden bieten elektronische Meldeverfahren an, für Niedersachsen zum Beispiel unter dem Link: https://www.lfd. niedersachsen.de/startseite/fortbildung_service/­meldung_einer_datenpanne_art_33_dsgvo/ meldung-von-datenschutzverletzungen-nach-­artikel-33-ds-gvo-164616.html). Ausnahmsweise kann die Meldung unterbleiben, wenn „die Verletzung (…) voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt“ (Art. 34 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 DS-GVO). Dies ist Ausdruck des risikobasierten Ansatzes der DS-GVO (Veil 2015, S. 347) und soll dem Verantwortlichen nur dann den Aufwand der Meldung aufbürden, wenn ein Schadenseintritt beim Betroffenen jedenfalls möglich erscheint. Im Falle der Offenlegung von Daten dürfte dies allerdings faktisch niemals der Fall sein, da dann wohl stets das Risiko des „Identitätsdiebstahls“ bestehen dürfte, zumindest aber unerwünschte E-Mails zu befürchten sein dürften.

10.2.3 Benachrichtigungspflicht (Art. 34 Abs. 1 DS-GVO) Die Benachrichtigungspflicht trifft ebenfalls den Verantwortlichen. Sie knüpft wie die Meldepflicht an den Datenschutzverstoß an, setzt aber überdies voraus, dass die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten „voraussichtlich ein hohes Risiko für die persönlichen Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge“ hat (vgl. Art. 35 Abs. 1 S. 1 DS-GVO). Ein mittleres, durchschnittliches, nicht erhöhtes Risiko genügt danach nicht, um eine Benachrichtigungspflicht des Verantwortlichen auszulösen (Brink und Wolff 2019). Das von einer Datenschutzverletzung ausgehende Risiko ist dann hoch, wenn anzunehmen ist, dass im weiteren Verlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die Rechte und Freiheiten der Betroffenen eintritt, wobei es auf einen besonders großen Schaden nicht ankommt (Brink und Wolff 2019). Ein hohes Risiko ist stets anzunehmen, wenn besondere Kategorien personenbezogener Daten (zum Beispiel: Gesundheitsdaten, sexuelle oder politische Orientierung; vgl. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO), personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten (vgl. Art. 10 DS-GVO) oder Daten aus Profiling sowie aus der systematischen Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche (vgl. Art. 35 Abs. 3 DS-GVO) Gegenstand der Datenschutzverletzung waren. Ist das Risiko (noch) nicht näher bestimmbar, liegt auch (noch) kein voraussichtlich hohes Risiko vor. In diesen Fällen bleibt es zunächst bei der Meldepflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde, die jedoch ihrerseits den Betroffenen selbst

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benachrichtigen oder den Verantwortlichen anweisen kann, dies zu tun (Art. 34 Abs. 4, Art. 58 Abs. 2 lit. e DS-GVO). Die Benachrichtigungspflicht entfällt gemäß Art. 34 Abs. 3 DS-GVO, wenn a) geeignete technische und organisatorische Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden und offengelegte Daten wieder unzugänglich werden, b) nachfolgende Maßnahmen des Verantwortlichen das Risiko für die Betroffenen deutlich reduziert haben oder c) eine Benachrichtigung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Im letzten Fall hat allerdings stattdessen eine öffentliche Bekanntmachung oder eine ähnliche Maßnahme zu erfolgen, durch die die betroffenen Personen vergleichbar wirksam informiert werden. Der Verantwortliche muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern und damit so rasch wie nach allgemeinem Ermessen möglich, benachrichtigen. Die Benachrichtigung muss gegenüber dem Betroffenen in „klarer und einfacher Sprache“ und in „präziser, transparenter und leicht zugänglicher Form“ zu erfolgen (Art. 12 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 34 DS-GVO), wobei eine Ansprache von Kindern in der Art und Weise besonders zu berücksichtigen ist. Eine fachsprachliche Benachrichtigung wird diesen Ansprüchen regelmäßig nicht gerecht werden. Auch wird die Meldung an die Aufsichtsbehörde in aller Regel zu detailliert und komplex ausfallen. Dem Betroffenen soll durch die Benachrichtigung unmissverständlich klar gemacht werden, worin die Verletzung seiner Rechte besteht (Art. 34 Abs. 2 Hs. 1 DS-GVO) und was die wahrscheinlichen Folgen dieses Vorfalls sind (Art. 34 Abs. 2 Hs. 2 iVm Art. 33 Abs. 3 lit. c DS-GVO), damit der Betroffene in die Lage versetzt wird, sein eigenes Verhalten an den vom Verantwortlichen ergriffenen und gegebenenfalls vorgeschlagenen Maßnahmen auszurichten. Zum Inhalt der Benachrichtigung gehört danach auch, welche möglichen Folgen den Betroffenen treffen könnten. Die Benachrichtigung muss die Art der Datenschutzverletzung und die in Art. 33 Abs. 3 lit. b, c und d DS-GVO aufgeführten Informationen enthalten und erfolgt für den Betroffenen unentgeltlich (vgl. den Verweis in Art. 12 Abs. 1 und 5 auf Art. 34 DS-GVO).

10.2.4 Verstöße gegen die Melde- und Benachrichtigungspflicht Verstöße gegen die Melde- oder Benachrichtigungspflicht stellen einen nach Art. 83 Abs. 4 lit. a DS-GVO mit einem Bußgeld von bis zu 20 Mio. EUR oder 2 % des weltweiten Unternehmensumsatzes bewährten Verstoß dar. Daneben kommt insbesondere im Bereich der Benachrichtigungspflicht auch ein Schadenersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GGVO in Betracht, der auch immaterielle Schäden mit umfasst. Denkbar sind vor allem Schäden, die sich aus einer unbefugten Nutzung der Daten ergeben, wie etwa die Bestellung von Waren und Dienstleistungen, welche durch eine rechtzeitige(re) Benachrichtigung hätten verhindert werden können.

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10.2.5 Keine Pflicht zur Selbstbelastung Insbesondere die Meldepflicht steht in Konflikt zur verfassungsrechtlich garantierten Selbstbelastungsfreiheit des Verantwortlichen („nemo tenetur, se ipsum accusare“), die dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 47 Abs. 2 GRCh) zugeordnet ist. Bedauerlicherweise sieht der EuGH die Selbstbelastungsfreiheit jedoch dann nicht als verletzt an, wenn für den Meldepflichtigen lediglich eine Pflicht zur Beantwortung rein tatsächlicher Fragen besteht (vgl. EuGH BeckRS 2004, 71.022 Rn. 18 ff., Rn. 35). Der Verantwortliche hat danach grundsätzlich die erforderlichen Informationen an die Aufsichtsbehörde mitzuteilen, ohne dass dafür derzeit ein normiertes Beweisverwertungsverbot greifen würde.

10.3 Praxishilfe 10.3.1 Vorsorge Die Gewährleistung des Datenschutzes sollte möglichst nicht erst beim ersten meldepflichtigen Verstoß als gesetzliche Anforderung entdeckt werden. Die mannigfaltigen Pflichten der DS-GVO innerhalb der kurzen 72-Stunden-Frist zu erledigen, wird kaum gelingen. Siehe dazu die hervorragenden Praxishilfen der GDD (Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V.). Dagegen ist im Falle eines meldepflichtigen Verstoßes die Angst vor Fragen der Aufsichtsbehörde entsprechend groß. In diesen Fällen auf eine ordnungsgemäße Dokumentation der Datenschutzorganisation zurückgreifen zu können, führt zu besonnenerem Umgang mit dem Verstoß und der Aufsichtsbehörde, da „man sich nichts vorzuwerfen hat“. Datenschutzverstöße gehören zum allgemeinen Lebensrisiko in einer digitalisierten Welt und sind nicht automatisch bußgeldbewährt.

10.3.2 Kenntniserlangung Auch wenn die Melde- und Benachrichtigungspflicht grundsätzlich eine positive Kenntnis voraussetzt, wird die Aufsichtsbehörde unangenehme Fragen stellen, wenn ein Verstoß zu spät bemerkt wurde. Im schlechtesten Fall stellt diese fest, dass man fahrlässig keine Kenntnis erhalten hat. Es gehört daher zu einer datenschutzgerechten Organisation, dass durch entsprechende Meldeprozesse im Unternehmen sichergestellt ist, dass die Unternehmensleitung schnellstmöglich von einem Datenschutzverstoß erfährt und festgelegt ist, wer im Unternehmen für die operative Umsetzung der Meldung und Benachrichtigung zuständig und in den Prozess einzubinden ist. Mit den Auftragsverarbeitern sind gesetzlich ohnehin verpflichtende Verträge (vgl. Art. 28 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. f DS-GVO) über die Auftragsverarbeitung zu schließen, sodass dort Notifikationsregelungen mit einer konkreten zeitlichen Vorgabe zu treffen sind. Die

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innerbetriebliche Meldung von Datenschutzverstößen wird in der Regel durch Dienstanweisungen sichergestellt. Insbesondere größere Organisationen sollten den „Ernstfall“ einüben, um Handlungssicherheit zu gewinnen. Je nach Risiko sind auch technische Maßnahmen, sogenannte „Intrusion Detection“ oder „Data Leakage Prevention Systeme“ zu ergreifen, um insbesondere von Angriffen schnell Kenntnis zu erlangen.

10.3.3 Entscheidungsprozess Erlangt das Unternehmen Kenntnis von einem (möglichen) Datenschutzverstoß und funktioniert der Meldeprozess, muss die Geschäftsleitung in vergleichsweise knapper Zeit (72 h, vgl. Art. 33 Abs. 1 S. 1 DS-GVO) fundiert entscheiden, ob an die Aufsichtsbehörde gemeldet wird und – zwar ohne ausdrückliche Frist, aber dennoch ohne schuldhaftes Zögern –, ob und in welcher Form die Betroffenen benachrichtigt werden und dies auch umsetzen. Die zentrale Fähigkeit liegt dabei in der fundierten Analyse des Risikos für die Betroffenen. Eine Benachrichtigung kann unterbleiben, wenn es gute Argumente für ein lediglich durchschnittliches Risiko gibt. Diese Entscheidung ist zu dokumentieren und in aller Regel auch mit der Aufsichtsbehörde abzustimmen. Da die Aufsichtsbehörde häufig eine Benachrichtigung der Betroffenen wünschen wird (und dies auch erzwingen kann, Art. 58 Abs. 2 lit. e DS-GVO), ist es auf der Seite der Unternehmenskommunikation wichtig, sich auf das Benachrichtigungsprocedere vorzubereiten und für die wahrscheinlichsten Fälle (z. B. Abfluss von personenbezogenen Daten durch einen Angriff oder menschliches Versagen, versehentliche Übermittlung von personenbezogenen Daten) entsprechende Texte vorzuformulieren.

10.3.4 Öffentlichkeit Die Meldung eines Verstoßes an die Aufsichtsbehörde führt in aller Regel noch nicht zur Veröffentlichung des Verstoßes, da eine entsprechende Befugnis der Aufsichtsbehörde nicht besteht und die mit der Meldung befassten Mitarbeiter der Dienstverschwiegenheit unterliegen. Eine Veröffentlichung eines Datenschutzverstoßes kommt daher vor allem in Betracht, weil a) eigene Mitarbeiter diese Information veröffentlichen, b) der Verursacher des Verstoßes (Angreifer), die Öffentlichkeit informiert oder c) ein Betroffener nach seiner Benachrichtigung diese Information veröffentlicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass – insbesondere schwerwiegendere Verstöße – Gegenstand einer Veröffentlichung, vor allem in den sozialen Medien werden, ist in aller Regel hoch. Es ist daher zweckmäßig, in den Entscheidungsprozess über die Meldung und die Benachrichtigung auch die Frage einzugliedern, ob nicht die Öffentlichkeit initiativ

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durch Pressemitteilungen, Meldungen in sozialen Medien oder der Unternehmenshomepage informiert wird. Entsprechende Unterrichtungen sind inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr und gehen teilweise im allgemeinen „Rauschen“ der Ticker unter. Anders als bei Hinweisen von Betroffenen oder gar dem Verursacher, behält man auf diese Weise die Deutungshoheit über Fakten und demonstriert Transparenz.

10.4 Handlungsempfehlungen Datenschutzverstöße gehören zum allgemeinen Lebensrisiko in einer digitalisierten Welt. Darum einige Handlungsempfehlungen: • Datenschutzorganisation aufbauen und gesetzliche Anforderungen erfüllen (Compliance) • Meldeprozess mit konkreten Zuständigkeiten und Servicelevel definieren • Unternehmenskommunikation von Anfang an in den Prozess einbinden • Auftragsverarbeiter zur Meldung von Datenschutzverstößen vertraglich verpflichten • Mitarbeiter zur Meldung von Datenschutzverstößen durch Dienstanweisungen verpflichten • Meldungen an die Aufsichtsbehörde vorbereiten • Benachrichtigungen der Betroffenen vorbereiten (keine Fachsprache!) • Information der Medien vorbereiten • Meldeprozess und Zusammenspiel von Geschäftsleitung, Justiziariat, Datenschutzbeauftragtem, ggf. IT-Abteilung und Unternehmenskommunikation einüben • Gegebenenfalls Rechtsberatung im Bereich des Datenschutzes festlegen

Literatur Brink, Stefan, und Heinrich Amadeus Wolff, Hrsg. 2019. BeckOK Datenschutzrecht. Beck’scher Online-Kommentar. 27. Aufl. München: C.H. Beck. https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fkomm%2fBeckOKDatenS_27%2fcont%2fBECKOKDATENS.htm. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. EuGH BeckRS. 2004. 71.022 Rn. 18 ff., Rn. 35; Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1989. Orkem gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Rechtssache 374/87. European Court Reports 1989 - 03283ECLI. Identifier: ECLI:EU:C:1989:387, https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61987CJ0374. Lange, Christian. 2014. Die digitale Gleichgültigkeit. Was legitimiert einen Datenschutz, für den sich niemand interessiert? Hrsg. v. brand eins. https://www.brandeins.de/magazine/ brand-eins-wirtschaftsmagazin/2014/konzentration/die-digitale-gleichgueltigkeit. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Marschall, Kevin. 2015. Datenpannen – „neue“ Meldepflicht nach der europäischen DS-GVO? Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 39 (3): 183–189. https://doi.org/10.1007/S.11623-0150390-z. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Veil, Winfried. 2015. DS-GVO. Risikobasierter Ansatz statt rigides Verbotsprinzip. Eine erste Bestandsaufnahme. Zeitschrift für Datenschutz, ZD 2015 (8): 347–353.

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Prof. Dr. Fabian Schmieder  ist Professor für Medienrecht an der Fakultät für Medien, Information und Design der Hochschule Hannover. Er forscht v. a. zu Fragen des Informationstechnologierechts, des Datenschutzrechts sowie des Urheberrechts. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und anschließendem Referendariat war er mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsinformatik der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover bei Prof. Dr. Nikolaus Forgó sowie als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Er promovierte 2012 an der Schnittstelle zwischen Strafprozessrecht, Medienrecht und Datenschutzrecht.

© Franz Fender, Hannover

Akzeptiert durch die Krise Akzeptanz-Kommunikation als Krisenprävention

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Ekkehard Seegers

Zusammenfassung

„Wir wollen gewollt sein“, sagte ein Chemieparkleiter aus Nordrhein-Westfalen vor einiger Zeit vor Politikern und Journalisten. Seine Aussage fasst die Essenz der „neuen“ Disziplin Akzeptanz-Kommunikation wunderbar zusammen. Basisakzeptanz wird hier verstanden als die Akzeptanz von politischen, gesellschaftlichen und medialen Stakeholdern gegenüber einer Organisation, die im besten Fall bereits vor Eintritt einer Krise besteht. Aus ihr ergibt sich ein Vertrauensguthaben, von dem die Organisation im Krisenfall zehren kann. Nicht selten führt Basisakzeptanz auch deutlich schneller zur Projektakzeptanz für aktuelle Großvorhaben. Es wundert, dass Akzeptanz und das Werben um Akzeptanz in der Literatur eine bislang nur untergeordnete Rolle gespielt haben. Dabei ist das Bemühen von Unternehmen und Organisationen um Akzeptanz keine Erfindung des dritten Jahrtausends. Als eigenständige Disziplin bildet sich Akzeptanz-Kommunikation jedoch gerade erst heraus: So hat der Chemiepark-Betreiber Currenta im Jahr 2016 den ersten Akzeptanzbericht eines Unternehmens herausgegeben. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) publizierte jüngst einen Reader mit unterschiedlichen Aufsätzen zu diesem Thema (Höhne et al. 2018) und hat kürzlich einen gleichnamigen Arbeitskreis gegründet. Ekkehard Seegers, maßgeblich beteiligt an zwei der genannten Projekte, führt in diesem Fachbeitrag in das Thema Akzeptanz-Kommunikation ein. Er beleuchtet die Erfolgsfaktoren der Disziplin, gibt Anregungen für die konkrete Umsetzung und plädiert zudem für Stakeholder-Umfragen. Denn Akzeptanz ist messbar.

E. Seegers (*)  Seegers Public Affairs, Dormagen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_11

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11.1 Vertrauen ist der Anfang von allem Krise – schon der Begriff löst eine Gänsehaut aus. Eine Krise ist etwas Unangenehmes, Aufgezwungenes, das bleibenden Schaden verursachen kann. Ein Zustand, den man so schnell wie möglich ändern will. Akzeptanz mutet dagegen geradezu kuschelig an, etwas Freiwilliges, das nach „alles wird gut“ klingt. Ersteres ist sehr viel leichter zu ertragen, wenn man Letzteres genießt. Dies soll im Folgenden erörtert werden. Nehmen wir diese „neue“ Disziplin Akzeptanz-Kommunikation unter die Lupe: Was heißt eigentlich Akzeptanz? Abgeleitet ist der Begriff vom lateinischen accipere, was so viel bedeutet wie gutheißen, annehmen, billigen, hinnehmen. Das ist ein guter Ansatz, daher liegt diesem Beitrag folgende Definition zugrunde:  „Akzeptanz ist das bewusste Hinnehmen, das Tolerieren von Prozessen, Fakten und Zuständen, die von einer Organisation, einem Unternehmen ausgelöst werden.“ Um diesen Zustand zu erreichen, ist beiderseitiges Vertrauen absolut unerlässlich, eine conditio sine qua non. Insbesondere in einer Krise ist bestehendes Vertrauen – ähnlich wie bei einem Bankkonto – ein Guthaben, von dem man in schlechten Zeiten zehren kann. Großprojekte in den zurückliegenden Jahren haben gezeigt, dass die Auswirkungen von Krisen innerhalb eines „Akzeptanz-Umfeldes“ weitaus weniger Schäden angerichtet haben als in Umfeldern, in denen im Vorfeld keine Akzeptanz-Bemühungen zu verzeichnen waren. Als positives Beispiel sei hier der Thyssenkrupp-Testturm in Rottweil genannt, der aufgrund einer optimalen Akzeptanz-Situation ohne größere Friktionen gebaut werden konnte (vgl. www.testturm.thyssenkrupp-elevator.com). Und als negatives Beispiel wird der bekannte Bahnhof „Stuttgart 21“ sicherlich noch eine Weile herhalten müssen. Zweifellos büßt eine Organisation in einer – insbesondere selbst verschuldeten – Krise erworbenes Vertrauen auch wieder ein. Der Neuaufbau geht aber in aller Regel schneller und unproblematischer, wenn sich die betroffene Organisation bereits vorher um Akzeptanz bemüht hat. Machen wir uns nichts vor: Krisen sind schlimm genug, auch wenn die Organisation akzeptiert ist. Aber in diesem Fall kommt es meistens nicht zu Katastrophen.

11.2 Vertrauen muss man sich verdienen Wie erreicht man nun Akzeptanz? Braucht es Haltung? Welche Maßnahmen sind zielführend? Und kann man Akzeptanz messen? Wie wird Vertrauen aufgebaut und langfristig erhalten? Das sind Fragen, die im Folgenden näher erläutert werden sollen – sowohl theoretisch, als auch anhand des Best Practice Beispiels „Akzeptanzbericht“ der Currenta GmbH & Co. OHG (Currenta GmbH & Co. OHG 2016).

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11.2.1 Erfolgsfaktoren der Akzeptanz-Kommunikation Die Erfolgsfaktoren der Akzeptanz-Kommunikation sind: • Haltung • Strategischer Ansatz: Basisakzeptanz und Perspektivwechsel • Konkrete Umsetzung: Akzeptanz ist messbar Auf die Haltung kommt es an Das entscheidende Kriterium für den Erfolg von Akzeptanz-Bemühungen ist die Haltung der handelnden Organisation. Steht sie, stehen ihre Führungskräfte ernsthaft und ehrlich zu Offenheit und Transparenz, sind sie zu einem aufrichtigen Dialog mit den sie umgebenden Stakeholdern bereit, auch wenn es mal weh tut? Erkennen sie den frühzeitigen Informations- und Diskussionsanspruch dieser Stakeholder an? Sind sie bereit, sich in diese Stakeholder hineinzuversetzen und deren Ängste und Bedenken wirklich ernst zu nehmen? Sind sie auch bereit, z. B. bei Großprojekten wenigstens zu einem Teil partizipatorische Elemente zuzulassen? Wenn sie diese Fragen voller Überzeugung mit „ja“ beantworten können, dann werden ihre Akzeptanz-Bemühungen aller Wahrscheinlichkeit nach von Erfolg gekrönt sein. Oder will diese Organisation lediglich schnell und „unter dem Radar Projekte durchpeitschen“, um ihre wirtschaftlichen Ziele zu erreichen? Interessiert sie die engagierte Öffentlichkeit nur so lange, wie sie für die aktuellen Ziele relevant ist? Und sind ihr deren Sorgen und Nöte im Grunde genommen vollkommen gleichgültig? In diesem Fall wären die Maßnahmen zur Verbesserung der Akzeptanz zum Scheitern verurteilt, Kommunikationsverantwortliche der Organisation würden „verbrannt“ und das aufgewendete Geld vergeudet. Strategischer Ansatz: Basisakzeptanz und Perspektivwechsel Akzeptanzkommunikation sollte Alltagsarbeit sein und damit ein integraler Bestandteil der Kommunikation einer Organisation. Der Startschuss für die Akzeptanz-Bemühungen sollte daher zu einem Zeitpunkt fallen, da von Krisen überhaupt nicht die Rede ist. Nur so kann – ohne konkreten Anlass – Basisakzeptanz erreicht werden. Genießt eine Organisation erst einmal diese Basisakzeptanz, werden die Auswirkungen von Krisen überschaubar, werden auch Großprojekte deutlich eher toleriert. Basisakzeptanz erreicht eine Organisation am schnellsten über einen sogenannten Perspektivwechsel: Grundlegend dafür ist die Bereitschaft, auch konkrete lokale Gegebenheiten, Erwartungen und Bedürfnisse der Stakeholder in den Fokus zu nehmen und ebenso wie die eigenen Corporate-Botschaften in die strategische Ausgestaltung der Nachbarschafts- und Akzeptanzkommunikation einfließen zu lassen. Hieraus kann sich ein Dialog auf Augenhöhe entwickeln, bei dem die Stakeholder hinsichtlich der Themen „abgeholt“ werden. Auf dieser Basis können dauerhafte und belastbare Beziehungen

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entstehen, die auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen fußen. Demnach ist also nicht allein die Sicht des Unternehmens das Maß aller Dinge, sondern es ist die aktuelle Situation und die Befindlichkeiten der Stakeholder, die gleichberechtigt am Anfang aller Überlegungen steht. Konkrete Umsetzung Mit der beschriebenen positiven Grundhaltung sowie dem strategischen Ansatz „im Gepäck“ stellt sich jetzt die Frage nach der konkreten Umsetzung: Wie können einzelne Maßnahmen aussehen? Grundsätzlich sollte eine Analyse am Beginn der Akzeptanz-Bemühungen stehen, um den Status quo festzustellen. Diese Analyse sollte in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, um die Wirkung der der konkreten Maßnahmen zu überprüfen. Der nordrhein-westfälische Chemieparkbetreiber Currenta ist in dieser Beziehung einen neuen, kreativen Weg gegangen, der im Folgenden eingehend beschrieben wird (s. Abschn. 11.2.2). Was die genannten konkreten Maßnahmen angeht, sind der Kreativität nahezu keine Grenzen gesetzt, unterschiedliche Dialogformate sind denkbar und Erfolg versprechend: Das Spektrum reicht von Newslettern für die Bevölkerung über Veranstaltungen mit Diskussions- und Event-Charakter sogar bis hin zu Video-Formaten. „Videokommunikation kann helfen, Informationen zu vermitteln, Unsicherheit zu reduzieren und Botschaften emotional zu transportieren.“ (Peter 2018). Auch Nachbarschafts- oder Bürgerbüros sind hier probate Instrumente. Politische und gesellschaftliche Multiplikatoren sowie Nachbarn im weitesten Sinne haben hier die Möglichkeit, schnell und unbürokratisch mit dem Unternehmen ins Gespräch zu ­kommen. Spenden und Sponsoring gehören ebenfalls zum normalen Repertoire der Nachbarschaftskommunikation. Als Erfolgsfaktor für Akzeptanz spielen sie jedoch eine nur untergeordnete Rolle. Vertrauen lässt sich nicht kaufen, weder kurz- noch langfristig. In dieser Beziehung sind alle Stakeholder äußerst sensibel – und das ist auch gut so.

11.2.2 Der Akzeptanzbericht der Currenta Als Manager und Betreiber der Chemiestandorte Leverkusen, Dormagen und KrefeldUerdingen hat Akzeptanz für das Unternehmen Currenta GmbH & Co. OHG besondere Bedeutung, zumal es auch für die Krisenkommunikation der Standorte verantwortlich zeichnet: „Für Currenta als standortgebundenes Unternehmen ist die dauerhafte Akzeptanz Grundvoraussetzung für die „License to operate“. Deshalb ist eine positive Grundeinstellung von Anwohnern, Bürgern sowie politischen und gesellschaftlichen Vertretern essentiell.“ (Currenta GmbH & Co. OHG 2016, S. 7) Ein Chemieparkleiter der Currenta hat es vor einiger Zeit perfekt zusammengefasst: „Wir wollen gewollt sein!“

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Die Currenta hat 2013 Nachbarschafts- oder Bürgerbüros in ihren Standort-Kommunen eingerichtet. „Neben klassischen Instrumenten der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit sind die 2013 eröffneten Nachbarschaftsbüros CHEMPUNKT ein weiterer wichtiger Baustein. Sie sind bewusst nicht im CHEMPARK (das ist die Standortmarke für die Chemieparks der Currenta), sondern im Stadt- bzw. Ortskern der Standortkommunen gelegen. So können Anwohner, interessierte Bürger sowie politisch-gesellschaftliche Vertreter noch schneller und einfacher den Kontakt zum Unternehmen herstellen.“ (Currenta GmbH & Co. OHG 2016, S. 7) Das Beispiel hat inzwischen Schule gemacht und ist auch von anderen Unternehmen übernommen worden. Die Currenta ist noch einen Schritt weiter gegangen: Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage im Sommer 2015 wurden rund 900 Bürger und Stakeholder an den Standorten1 befragt, welche Aktivitäten der Nachbarschaftskommunikation ihnen bekannt sind und wie diese zu einem Mehr an Akzeptanz beitragen. Zusätzlich nahmen 281 gesellschaftliche und politische Stakeholder auf Standort- und NRW-Landesebene an einer Online-Befragung teil. Die Ergebnisse hier im Einzelnen darzustellen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, sie sind zu finden auf den Seiten 44 bis 51 im „Akzeptanzbericht“ der Currenta GmbH & Co. OHG. Erwähnt sei lediglich, dass Bemühungen der Currenta von den Befragten durchweg positiv bewertet wurden und dass sich damit der strategische Ansatz des Unternehmens als erfolgreich herausgestellt hat (Currenta GmbH & Co. OHG 2016, S. 9). Erwähnt sei auch, dass sich durch die Umfrage Bereiche mit OptimierungsPotenzial herausgestellt haben. Und erwähnt sei schließlich, dass Bürger und Stakeholder übereinstimmend, wenn auch mit leicht verschobener Gewichtung, folgende fünf Faktoren als bedeutsam für die Industrieakzeptanz im Umfeld der Chemiestandorte bewertet haben (Currenta GmbH & Co. OHG 2016, S. 9): • Verantwortung für die Umwelt • Gewährleistung von Sicherheit • Ausbildungsmöglichkeiten • Angebot Arbeitsplätze • Offenheit und Transparenz Das Werben um Akzeptanz ist aufwendig und vielschichtig. Nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stellt sich die Frage nach der Amortisation: Die TDI-Anlage2 des Chemiekonzerns Covestro (früher Bayer Material Science) im CHEMPARK Dormagen konnte bereits nach 30 Monaten Bauzeit und einem Genehmigungsverfahren ohne nennenswerte Einsprüche in Betrieb genommen werden (Höning 2014). Sie wurde in

1lokale 2TDI

politische und gesellschaftliche Multiplikatoren. steht für Toluylen-Diisocyanat und ist ein Vorprodukt für Schaumstoffe.

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einem Umfeld errichtet, in dem Basis-Akzeptanz der Chemie gegenüber herrschte. Im Vorfeld hatte das Unternehmen Dialoge mit allen relevanten Stakeholdern geführt. So zum Beispiel auch eine komplette Informations- und Dialogwoche mit Nachbarn, Stake­ holdern, Bürger- und Sportvereinen. Diese positiven Auswirkungen sprechen für sich.

11.3 Handlungsempfehlungen Kommunikationsverantwortliche aller Organisationsformen wissen, dass sich Krisen oft unerwartet ereignen – zunehmend durch große Investitionsprojekte, also durch normale Geschäftstätigkeit – und dass sie sehr schnell eskalieren und damit Existenz bedrohend werden können. Gute Krisenprävention schützt zwar nicht vor einem gewissen Vertrauensverlust, kann aber den Schaden in Grenzen halten. Zur Prävention gehört eine allgemeine Akzeptanz der Organisation in ihrem politischen, gesellschaftlichen und medialen Umfeld, die auf Vertrauen beruht und hier Basis-Akzeptanz genannt wurde. Sie zu erreichen erfordert eine bestimmte Haltung und ist aufwendig – personell wie finanziell. Aber der Aufwand lohnt sich. Werden die folgenden sechs Schritte nacheinander gegangen, steht einer Basisakzeptanz nichts mehr im Weg: 1. In ruhigen Zeiten beginnen. 2. Haltung der Organisation klären: Basisakzeptanz erreicht man vor allem durch ein ernsthaftes und belegbares Bekenntnis der Organisation beziehungsweise des Unternehmens zu Offenheit und Transparenz gegenüber den relevanten Stakeholdern, gegenüber deren Ängsten sowie deren Diskussions- und Partizipationsbedürfnissen. 3. Einen strategischen Ansatz verfolgen: Vor der Umsetzung konkreter Maßnahmen ist im Rahmen eines umfassenden Monitorings zu analysieren, welche Stakeholder involviert sind bzw. zu involvieren sind (Stakeholder-Mapping), welches Image die eigene Organisation bei den relevanten Stakeholdern hat (Image-Analyse) und welche Bedürfnisse und Erwartungen diese im Prozess haben (Perspektivwechsel). 4. Analyse des Status quo. 5. Kommunikationskonzept mit Entscheidung über konkrete Dialogmaßnahmen: Was die konkreten Maßnahmen angeht, sind der Kreativität im Hinblick auf Dialogformate kaum Grenzen gesetzt. Spenden und Sponsoring hingegen spielen als Erfolgsfaktoren für Akzeptanz eine sehr untergeordnete Rolle: Vertrauen lässt sich nicht kaufen! 6. Umsetzung des Konzeptes und Wirkungsprüfung nach einer gewissen Zeit.

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Literatur Currenta GmbH & Co. OHG, Hrsg. 2016. Akzeptanzbericht. www.currenta.de/tl_files/currenta/ medien/currenta/unternehmen/pdf/CUR_Akzeptanzbericht2016_RZ_preview.pdf. Zugegriffen: 18.Okt. 2018. Höhne, Sybille, Ulf Mehner, und Thomas Zimmerling, Hrsg. 2018. Akzeptanzkommunikation, 1. Aufl. Berlin: Deutsche Public Relations Gesellschaft e. V. Höning, Antje. 2014. Bayer startet 250-Millionen-Anlage in Dormagen. www.rp-online.de/wirtschaft/bayer-startet-250-millionen-anlage-in-dormagen_aid-20137339. Zugegriffen: 10. Dez. 2014, 18. Okt. 2018. Peter, David. 2018. Akzeptanz durch Videokommunikation. In Akzeptanzkommunikation, 1. Aufl, Hrsg. Sybille Höhne, Ulf Mehner, und Thomas Zimmerling, 73–78. Berlin: Deutsche Public Relations Gesellschaft e. V.

© Ute Freibeuter

Ekkehard Seegers am 30.01.1954 in Bad Salzuflen/Schötmar geboren, studierte Pädagogik an der Universität der Bundeswehr Hamburg und war von 1979 bis 1985 im Kommunikationsbereich der Bundeswehr tätig. Nach kurzem Intermezzo als Leiter Presse und Öffentlichkeitsarbeit einer ostwestfälischen Verlagsgruppe wechselte er 1986 als Referent für Öffentlichkeitsarbeit zur Bayer AG, wo er 1990 die Leitung des neu errichteten Bayer Kommunikationszentrums übernahm. Von 1997 bis 2001 verantwortete er die Unternehmenskommunikation der EC Erdölchemie GmbH in Köln. 2001 ging es als Leiter Nachbarschaftsarbeit zurück zu Bayer, zunächst für den Chemiepark Dormagen, ab 2005 für die Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Von 2007 bis 2017 leitete er die Public Affairs des Chemieparkbetreibers Currenta. Heute ist er mit „Seegers Public Affairs“ als Berater, Trainer und Moderator aktiv. Ekkehard Seegers ist verheiratet und hat eine Tochter.

Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar

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Best Practice: Akzeptanzkommunikation Lutz Schildmann

Zusammenfassung

Mit Castor-Transporten in Deutschland assoziieren wir dramatische Szenen und Bilder: lautstarke Proteste, an Schienen gekettete Demonstranten, Gewalt gegen Polizisten. So zuletzt geschehen im Jahr 2011. Als der Energieversorger EnBW Energie Baden-Württemberg AG knapp zwei Jahre später begann, über den Transport von 15 Castoren mit verbrauchten Brennelementen nachzudenken – noch dazu auf einem Fluss –, war klar, dass neben technischen und formalen Aspekten vor allem auch die Kommunikation dieses Vorhabens mitentscheidend für den Projekterfolg sein würde. Begriffe wie „Kernkraft“, „Castor“, „Brennelemente“ und „Radioaktivität“ lösen in Teilen der Bevölkerung immer noch Ängste und Befürchtungen aus, obwohl im Zuge der deutschen Energiewende der Ausstieg aus der Kernkraft längst beschlossen ist. Eine weitere Hürde für die Kommunikation waren staatliche Geheimhaltungsvorgaben, die für solche Transporte gelten. Dieser Best-Practice-Beitrag zur Akzeptanzkommunikation beschreibt das Fallbeispiel „Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar“. Der Autor erläutert Ansatz und Maßnahmen der EnBW, um auf Basis dieser schwierigen Ausgangssituation eine erfolgreiche Kommunikation umzusetzen und für Verständnis bei Gemeinden, Behörden, Anwohnern und Medien zu sorgen. Die insgesamt fünf Transporte hat das Unternehmen im Jahr 2017 schließlich reibungslos durchgeführt. Die EnBW erhielt für diese Projektkommunikation den PR-­ReportAward 2018 in der Kategorie Issues und Reputation Management, Krisen-PR sowie den Internationalen Deutschen PR-Preis 2019 in der Kategorie Risiko-, Konflikt- und Krisenkommunikation.

L. Schildmann (*)  EnBW Kernkraft GmbH, Philippsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_12

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12.1 Ausgangslage1 Im Zuge der Energiewende entschied die deutsche Bundesregierung im Jahr 2011, die Kernkraftwerke im Land bis spätestens Ende 2022 abzuschalten. Der Energieversorger EnBW war davon stark betroffen. Er betreibt fünf Kernkraftwerke in Baden-­ Württemberg, an den Standorten Obrigheim, Neckarwestheim und Philippsburg. Zwei Anlagen mussten damals sofort abgeschaltet werden, zwei weitere wurden in ihrer Laufzeit stark begrenzt. Die fünfte Anlage – angesiedelt am Standort Obrigheim – war bereits abgeschaltet. Die EnBW erarbeitete in der Folge zügig eine übergeordnete Strategie für den Rückbau dieser fünf Kernkraftwerke und setzt diese seither konsequent um. Ein Teilaspekt der Strategie waren Überlegungen, verbrauchte („abgebrannte“) Brennelemente vom kleinsten Standort Obrigheim in 15 Castor-Behälter zu verpacken und in das Zwischenlager in Neckarwestheim zu überführen. Dieses Zwischenlager verfügt aufgrund des vorzeitigen Atomausstiegs über freie Kapazitäten. Brennelemente sind der Brennstoff eines Kernkraftwerks und müssen, nachdem sie ausgedient haben, als hochradioaktiver Abfall unter Einhaltung strenger Vorgaben sicher gelagert werden. Die Vorteile einer Verlagerung der insgesamt 342 Brennelemente von Obrigheim in das Zwischenlager in Neckarwestheim lagen für die EnBW auf der Hand: „Der Bau eines weiteren Zwischenlagers in Deutschland – konkret in Obrigheim – würde überflüssig und der Standort Obrigheim könnte schneller zu einer konventionellen, weil nicht-nuklearen Industriefläche werden. Außerdem würde eine Verlagerung der Brennelemente maßgeblich den weiteren verzögerungsfreien Rückbau des Kernkraftwerks in Obrigheim unterstützen.“ (vgl. Schildmann und Kübler 2019, S. 68) Das Warten auf ein Endlager für verbrauchte Brennelemente konnte keine Option sein, denn der Zeitplan der Politik bei der Neuauflage der Suche nach einem Endlagerstandort sieht die Auswahl des Standortes erst im Jahr 2031 vor, sodass mit einer Bereitstellung des Lagers frühestens in der Mitte des Jahrhunderts zu rechnen ist. Plan der EnBW ist jedoch, den Rückbau in Obrigheim im atomrechtlichen Rahmen bereits bis Mitte der 2020er Jahre abzuschließen. „Nach über dreijähriger Prüfung und Bewertung beschloss die EnBW im Jahr 2016 die Umsetzung ihrer Idee der Brennelemente-Verlagerung“ (vgl. Schildmann und Kübler 2019, S. 68). Zuvor hatte eine Studie ergeben, dass der geeignetste Weg von Obrigheim nach Neckarwestheim nicht über die Straße oder die Schiene führt, sondern über den Neckar. Beide Standorte liegen direkt am Fluss, haben aber keinen Bahnanschluss. Gegenüber einem Straßentransport vermeidet der Weg über den Fluss Engstellen wie Unterführungen und Kreisverkehre. Die Rückwirkungen auf den Individualverkehr sind auf dem Fluss viel geringer als auf der Straße. Aber einen Flusstransport von Castoren,

1Die

Ausführungen zur Ausgangslage entsprechen sinngemäß jenen des Beitrages Schildmann, Lutz, und Ines Kübler. 2019. Ruhiges Fahrwasser. PR Report 2019 (1): 68–70. (Schildmann und Kübler 2019).

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die mit radioaktiven Brennelementen beladen sind – so etwas war in Deutschland noch nie praktiziert worden. Castor-Transporte auf Straßen und Schienen hat es in Deutschland hingegen schon viele gegeben. Zuletzt im Jahr 2011. „Sie lösten fast immer massive Proteste und Gewalt aus: Demonstranten ketteten sich an Schienen fest, es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten. In der Regel wurden die Transporte um mehrere Stunden, wenn nicht sogar Tage verzögert.“ (vgl. Schildmann und Kübler 2019, S. 68). Aus der Berichterstattung blieben dramatische Bilder und bürgerkriegsähnliche Szenen voller Chaos und Gewalt in Erinnerung. Was war also für den von der EnBW geplanten Transport auf dem Neckar zu erwarten? „Der Beschluss der Bundesregierung, aus der Nutzung der Kernkraft auszusteigen, hat zwar allgemein zur Beruhigung der Diskussionen um die Kernkraft beigetragen. Bei konkreten einzelnen Vorhaben ist jedoch nach wie vor eine sehr kritische Begleitung durch NGO, Bürger und Politiker festzustellen. Überdies lösen Begriffe wie „Kernkraft“, „Castor“, „Brennelemente“ und „Radioaktivität“ immer noch Ängste und Befürchtungen in Teilen der Bevölkerung aus“ (vgl. Schildman und Kübler 2019, S. 68).

12.2 Identifikation des Erfolgsfaktors Kommunikation Das Bewusstsein für die komplexe, oben skizzierte Ausgangslage war bei den Verantwortlichen der EnBW von Anfang an gegeben. Die Vorteile, die für eine Verlagerung der Brennelemente sprachen, wogen schwer. Gleichzeitig war klar, dass selbst dann, wenn sich eine technische und formale Machbarkeit für diese Idee herausstellen sollte, die Herausforderungen für eine Umsetzung immer noch umfassend und vielschichtig sein würden. Die Erfahrungen der letzten Jahre – auch jenseits der Aktionsfelder der EnBW als Energieversorger – haben gezeigt, dass es nicht genügt, auf die drei folgenden Fragen mit Ja zu antworten: Ist ein Vorhaben technisch machbar? Ist es wirtschaftlich darstellbar oder zumindest nicht nachteilig? Und: Ist es rechtlich abgesichert? 

Längst können große Vorhaben, die öffentliche Belange berühren, nur dann erfolgreich sein, wenn sie von der Mehrheit der Betroffenen nachvollzogen werden können und auf weitgehende Akzeptanz stoßen.

Ein Grundpfeiler des Vorhabens war deshalb die Erkenntnis der EnBW, dass die Kommunikation mitentscheidend für den Projekterfolg sein wird. Denn ohne Information, Vermittlung und Erläuterung kann es keine Akzeptanz geben. Kommunikation als wertschöpfenden Faktor anzuerkennen, mag nicht neu sein. Aber daraus strategische und operative Konsequenzen zu ziehen, ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Die EnBW entschied sich ganz grundsätzlich für ein transparentes Vorgehen und ging mit ihren Überlegungen, die Brennelemente von Obrigheim nach Neckarwestheim zu transportieren, frühzeitig an die Öffentlichkeit. Als dieser Schritt im Jahr 2013

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u­ nternommen wurde, war keineswegs klar, ob ein solcher Transport überhaupt machbar und genehmigungsfähig sein würde. Der Beschluss für die Umsetzung des Transports fiel erst drei Jahre später, im Jahr 2016. In der ersten Pressekonferenz im Jahr 2013 wurden die Vorteile und die weiteren Schritte auf dem Weg zu einer Entscheidung skizziert. Für den Fall, dass es zu dem Transport kommt, versprach die EnBW gleich bei dieser ersten Gelegenheit, insbesondere mit den Anliegergemeinden in einen intensiven Austausch zu treten. Und sie versprach, über die weiteren Schritte der Entscheidungsfindung auch zukünftig zu informieren. Damit war das klare Signal gesetzt, für Transparenz zu sorgen und auf die Belange von Betroffenen aktiv einzugehen. Die Resonanz war erstaunlich. Neben der zu erwartenden Skepsis, der Kritik von NGOs und der ablehnenden Haltung der Standortgemeinde Neckarwestheim gab es öffentlichen Zuspruch von der Landespolitik und eine vorsichtig zustimmende Kommentierung in den regionalen Medien. Auffallend waren zudem die Sachlichkeit in der Berichterstattung und die detaillierte Wiedergabe von ­Fakten und Argumenten. Im zeitlichen Verlauf hat die EnBW in weiteren Pressekonferenzen über Zwischen- und Endergebnisse einer Machbarkeitsstudie informiert und den erforderlichen Genehmigungsprozess erläutert. Anträge für Transport- und Lagergenehmigungen, die vorauseilend gestellt wurden und ohne die keine Machbarkeitsgespräche mit Behörden hätten geführt werden können, wurden mit Pressemitteilungen begleitet. Den aktuellen Stand des Vorhabens hat die EnBW in ihren regelmäßigen Informationsveranstaltungen an den Kernkraftstandorten („Info-Tage“) immer wieder vorgestellt und in persönlichen Gesprächen mit den Bürgern erklärt (s. Abb. 12.1). Weiterhin hat das Unternehmen das Projekt in zwei großen Bürgerdialog-­ Veranstaltungen thematisiert, die in Neckarwestheim durchgeführt wurden – also dem Standort, der sich aufgrund der möglichen Aufnahme von Brennelementen stärker betroffen fühlte als der abgebende Standort Obrigheim. Darüber hinaus gab es schriftliche Darstellungen in Informationsbroschüren zum Stand der Rückbauprojekte, die die EnBW als Postwurfsendungen an die Bevölkerung im Raum Neckarwestheim verteilt hat. Analog hat sie die entsprechenden Informationen immer wieder auf ihrer Website aktualisiert. Für den öffentlichen Dialog wurden darüber hinaus externe „Plattformen“ genutzt, wie beispielsweise die öffentlichen Sitzungen der Informationskommission zum Kernkraftwerk Neckarwestheim, die vom Landkreis Heilbronn organisiert werden. Neben dem „Was“, „Wie“ und „Wo“ achtet die EnBW immer auch darauf, „Wer“ Absender oder Dialogpartner einer Kommunikation ist. Dieser generelle und an den Kernkraftstandorten praktizierte Ansatz wurde auch bei der Transport-Thematik verwirklicht: Nicht Pressesprecher, Öffentlichkeitsarbeiter oder gar Externe repräsentieren das Thema in erster Reihe, sondern stets der verantwortliche Geschäftsführer, der verantwortliche Projektleiter oder weitere konkret beteiligte Fachleute, die einen persönlichen Anteil an dem Projekt haben. Sie sind dadurch für Bürger und Stakeholder „greifbar“, wiedererkennbar und stehen für Kontinuität und Vertrauen.

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Abb. 12.1   Dialog mit Bürgern bei einer der regelmäßigen Informationsveranstaltungen an den Kernkraftstandorten. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

Der Duktus der Berichterstattung und der öffentlichen Kommentierung blieb in den drei Jahren nach der ersten Pressekonferenz nahezu konstant. Aus den zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen mit direktem Kontakt zu Bürgern konnte die EnBW vorerst den Eindruck gewinnen, dass das Interesse der Bevölkerung eher begrenzt war, selbst nachdem sie zwischenzeitlich darüber informierte, dass sie den zuvor noch nie praktizierten Flusstransport favorisiert. Bei interessierten Bürgern überwog im Kontakt mit der EnBW die Neugierde, während Skepsis nur dezent geäußert wurde.

12.3 Mit Dialog auf Roadshow Klar war, dass das Projekt und die Kommunikation in eine neue Phase treten würden, sobald die EnBW über die Umsetzung des Transports final entscheidet. Im Frühjahr 2016 war es so weit: Alle internen Gremien hatten sich mit der Fragestellung befasst und grünes Licht gegeben. Die notwendigen behördlichen Genehmigungen für Transport und Lagerung standen zwar noch aus, aber das war für die EnBW kein Grund, mit der Bekanntgabe ihrer Entscheidung zu warten. Im Gegenteil. Die fehlenden Genehmigungen eröffneten ein Zeitfenster für den Dialog mit den betroffenen Anliegergemeinden des Transports. Die Kommunikation zur Entscheidung bestand aus mehreren aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Neben der klassischen Medienarbeit (Pressekonferenz,

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Pressemitteilung) spielte dabei die aktive Kontaktaufnahme mit den insgesamt 19 Anliegergemeinden der Transportstrecke die Hauptrolle. Hierbei konnte die EnBW auch auf ihre regionale Verankerung als Infrastrukturpartner vieler Gemeinden setzen. So griffen etablierte kommunale Ansprechpartner der EnBW parallel zur Pressekonferenz zum Hörer und riefen bei den Bürgermeistern der Anliegergemeinden an. Darüber hinaus verschickte kurze Zeit später der verantwortliche EnBW-Geschäftsführer E-Mails mit Erläuterungen an die Bürgermeister sowie an weitere relevante Stakeholder im politischen Raum. Beide Vorstöße hatten die gleiche Botschaft: „Wir sind uns darüber bewusst, dass durch den Transport eine Betroffenheit der Gemeinde entsteht. Wir bieten gerne weitere Informationen an und sind offen für den Dialog. Wir stehen für Gespräche und für Erläuterungen beispielsweise in Gemeinderatssitzungen persönlich zur Verfügung.“ Dies stieß bei den Funktionsträgern der Gemeinden auf eine positive Resonanz. Fast alle der 19 Gemeinden nahmen das Angebot an und luden die Verantwortlichen der EnBW in ihre öffentlichen Ratssitzungen ein. Einzelne Gemeinden „buchten“ auch Zusatztermine vor Ort in Neckarwestheim. Für das Projektteam begann damit eine Art Roadshow, die im Sommer 2016 startete und Anfang 2017 endete. Der Auftritt in den Gemeinderatssitzungen war bodenständig: Die Termine wurden ausschließlich von der zuständigen Geschäftsführung und von Projektverantwortlichen wahrgenommen, die anhand eines Foliensatzes das Vorhaben erklärten und Fragen beantworteten. Der Kontakt zu den Amtsträgern der Gemeinden wurde fortan weiter gepflegt, indem diese über Neuigkeiten im Projekt stets unmittelbar informiert wurden und dadurch nichts erst aus den Medien erfahren mussten.

12.4 Entmystifizierung der Transporte Wie für alle Vorgänge im kerntechnischen Bereich üblich, sollte auch für die Castor-Transporte auf dem Neckar sehr sichere und bewährte Technik zum Einsatz kommen – und das bei jedem Einzelschritt in der Transportkette. Angefangen bei den Krananlagen in den Lägern, über die eingesetzten Fahrzeuge und Schiffe bis hin zu den Castor-Behältern. Wäre dies nicht so gewesen, hätte es auch keine behördlichen Genehmigungen gegeben. Aber wer weiß schon außerhalb der Branche, wie ein solcher Transport auf einem Fluss aussehen könnte? Das kann von keinem Bürger, von keinem Journalisten und von keinem Amtsträger erwartet werden. Dies birgt Potenzial für Unsicherheit, aber auch für Spekulationen bis hin zu sensationellen Fantasien. Auch hier hilft Transparenz. Für die Kommunikation war es deshalb ein Glücksfall, dass die EnBW ohnehin die gesamte Transportkette vorab mit leeren Castoren, aber ansonsten unter realen Rahmenbedingungen testen wollte. Relevante Testschritte wurden Medienvertretern und auch Amtsträgern zur Besichtigung angeboten, verbunden mit dem Hinweis, dass eine solche Nähe zum Objekt der Begierde beim späteren echten Transport wahrscheinlich nicht mehr möglich sein wird.

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Das kam gut an. So nahmen mehrere Journalisten die Gelegenheit wahr, sich die Handhabung eines leeren Castor-Behälters im Zwischenlager Neckarwestheim anzuschauen und dabei Fotos zu machen (s. Abb. 12.2). Noch größere Ausmaße erzielte der Testtransport leerer Castoren auf dem Neckar im Februar 2017. Diesen Test nutzte die EnBW, um gemeinsam mit der Polizei und dem baden-württembergischen Umweltministerium bei einem ausführlichen Pressetermin in Obrigheim nochmals die geplanten Abläufe und Vorbereitungen aus dem jeweiligen Blickwinkel zu erläutern. Hierbei ist die Bereitschaft des Ministeriums und der Polizei hervorzuheben, im rechtlich zulässigen Rahmen genauso wie die EnBW offen zu informieren. Botschaft: „Es ist alles gut durchdacht und die staatlichen Stellen nehmen ihre Verantwortung bei Aufsicht, Kontrolle und Begleitung gewissenhaft wahr.“ Ein wichtiger Teil des Termins war, dass die Medienvertreter vor Ort aus nächster Nähe mitverfolgen konnten, wie leere Castoren auf Transportfahrzeugen vom Obrigheimer Kraftwerksgelände zum nahegelegenen Hafen gebracht wurden, die Fahrzeuge dann samt Castoren auf das Transportschiff rollten und später das Schiff in Richtung Neckarwestheim ablegte (s. Abb. 12.3).

Abb. 12.2   Journalisten beobachten die Probehandhabung eines CastorBehälters im Zwischenlager Neckarwestheim. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

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Abb. 12.3   Medien berichten vom Testtransport. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

Diese Chance ließen sich auch mehrere überregionale Medien nicht entgehen. Für die Ankunft des Transportschiffs in Neckarwestheim organisierte die EnBW zusätzlich noch einen Termin für regionale Amtsträger, die sich das Anlegen des Schiffs und das Herunterfahren der mit Castoren bestückten Fahrzeuge anschauen konnten. Ergebnis dieser Termine: Der Raum für Spekulationen und für das Erschaffen von Mythen wurde extrem minimiert. Mancher Journalist äußerte sogar seine Verwunderung darüber, dass alles so unspektakulär sei. Zu großen optischen Überraschungen konnte es beim späteren echten Transport nun nicht mehr kommen. Im Gegenzug konnten die Medien vor Ort Archivmaterial und Eindrücke für ihre spätere Berichterstattung ­sammeln. „Nachdem klar war, dass der Transport näher rückt und damit auch das zu bewältigende Kommunikationsvolumen steigt, hatte sich die EnBW ab Anfang 2017 mit der Agentur Ketchum Pleon externe Unterstützung an Bord geholt“ (Schildmann und Kübler 2019, S. 69). Mithilfe der Agentur konnte u. a. eine eigene Projekt-Website aufgebaut werden, die bereits bei der Ankündigung des Testtransports online ging und danach sukzessive ausgebaut wurde, u. a. mit einem umfangreichen FAQ-Bereich. Mit Filmsequenzen vom Testtransport wurde ein informativer Clip für die Website erstellt, auf den u. a. in Stakeholder-Mailings und bei der Pressearbeit hingewiesen wurde. Auch hier konnte sich jeder anschauen, wie der spätere Transport aussehen und ablaufen wird. Ihren Status als beste Quelle baute die EnBW damit weiter aus.

12  Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar

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Abb. 12.4   Informationsveranstaltung für kommunale Amtsträger. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

Aus Empathie für die 19 Anliegergemeinden organisierte die EnBW im März 2017 zwei weitere Informationsveranstaltungen speziell für Kommunalvertreter, für die ebenfalls auch Polizei und Ministerium zur Verfügung standen (s. Abb. 12.4). Auf diese Weise konnte auf alle Fragestellungen aus Sicht der Gemeinden im Vorfeld des Transports eingegangen werden. Zugleich wurden Zuständigkeiten geklärt und Ansprechpartner vermittelt.

12.5 Eintritt in die heiße Phase Der Erhalt der Transportgenehmigung im Mai 2017 läutete schließlich die entscheidende Projektphase ein. Mit der Genehmigung stand endgültig fest, dass es nicht nur einen Transport geben wird, sondern fünf: Immer drei beladene Castoren pro Transport. Der Genehmigungstext schaffte außerdem Klarheit darüber, dass die EnBW die Transporttermine aus Sicherungsgründen nicht vorab bekannt geben darf. Für die auf Transparenz ausgelegte Kommunikationsstrategie war dies eine Einschränkung, mit der das Unternehmen offen umging, auch um aktiv einer Erwartungshaltung zu begegnen, die

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a­ ufgrund der staatlichen Vorgaben nicht befriedigt werden konnte. In Gesprächen mit den staatlichen Stellen konnte die EnBW allerdings erreichen, dass keine Einwände gegen eine Live-Information der Öffentlichkeit erhoben wurden. Man vertrat hier den Standpunkt, dass eine Information über das, was im Prinzip jeder sehen kann, nicht verboten sein darf. Ab dem ersten der fünf Transporte wurden alle wesentlichen und sichtbaren Schiffsbewegungen stets unmittelbar mit Pressemitteilungen, Stakeholder-Mailings und Tweets auf Twitter begleitet (s. Abb. 12.5). Dazu zählte das Ablegen des Transportschiffs vom „Heimathafen“ in Neckarwestheim, das Anlegen in Obrigheim, das Ablegen in Obrigheim in beladenem Zustand und schließlich das Anlegen und Entladen in Neckarwestheim.

Abb. 12.5   Tweets. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

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Abb. 12.6   Transportschiff mit Castoren auf dem Neckar. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

Zwischen der ersten und der letzten Info eines Verlagerungsschrittes lagen teilweise mehrere Tage. Die reine Fahrt (s. Abb. 12.6) zwischen den beiden Standorten dauerte einen halben Tag. Aus logistischen Gründen, z. B. um leere Castoren nach Obrigheim zur Beladung mit Brennelementen zu bringen, fanden einige weitere Schiffsbewegungen statt. Auch diese wurden stets nahezu live mit Mitteilungen begleitet, um keine Spekulationen aufkommen zu lassen. Denn von außen sah man dem Transportschiff nicht an, ob es mit Castoren beladen ist. Und den Castoren wiederum sieht man nicht an, ob sie mit Brennelementen befüllt sind. Wie zu erwarten war, erzeugte der erste Transport im Juni 2017 eine große mediale Aufmerksamkeit über die regionale Berichterstattung hinaus und schaffte es u. a. bis in die „Tagesschau“. Die Beantwortung aller Presseanfragen bedeutete für das Kommunikationsteam Schwerstarbeit, war jedoch inhaltlich kein Problem – auch wegen des großen, für die Projekt-Website erstellten FAQ-Fundus. Überraschenderweise gab es kaum Anfragen von Bürgern, und dies blieb auch bis zum Ende der Transporte so. In den Sozialen Medien war der erste Transport zwar ein Thema, aber die Interaktionen beschränkten sich stark auf offenkundige Kernkraftkritiker. Ernsthafte Fragen an die EnBW gab es nur vereinzelt. Von den kontinuierlich mit Informationen versorgten Stakeholdern, insbesondere von den Amtsträgern der Anliegergemeinden, kamen kaum Fragen, stattdessen vereinzelte Anregungen für die Verkehrsführung im Umfeld der Transporte und ein Dank für die regelmäßige Kommunikation.

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12.6 Der verbrauchte Nachrichtenwert Mit der reibungslosen Durchführung des ersten Transports auf dem Neckar war für die Öffentlichkeit nicht nur der Nachweis der sicheren Machbarkeit erbracht. Es war auch der optische und inhaltliche Nachrichtenwert verbraucht. Die nachfolgenden vier Transporte – durchgeführt zwischen September und Dezember 2017 – stießen auf ein deutlich geringeres Interesse und führten zu einer signifikant niedrigeren Würdigung in der klassischen Berichterstattung und in den Sozialen Medien (s. Abb. 12.7). Und die Proteste? Castor-Transporte ohne kritische Begleitung zu erreichen, wäre nicht nur ein völlig unrealistisches Ziel gewesen, es hätte auch nicht im Einklang zur Haltung der EnBW zu Meinungsfreiheit und Pluralität gestanden. Von diesen Errungenschaften der Demokratie profitieren Bürger und Unternehmen gleichermaßen. Viel interessanter sind deshalb Ausmaß und Charakter des Protests – stets im Abgleich zu den Erfahrungen mit früheren Castor-Transporten in Deutschland. Jeder der fünf Schiffstransporte auf dem Neckar wurde von meist kleineren Mahnwachen begleitet, die mal am Neckarufer und mal auf Brücken stattfanden. Die Teilnehmerzahlen lagen ­zwischen rund 50 Personen in der Spitze und nur einer Handvoll Menschen im Regelfall (s. Abb. 12.8).

Abb. 12.7   Die Berichterstattung flachte nach dem ersten Transport stark ab. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

12  Castor-Transporte der EnBW auf dem Neckar

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Abb. 12.8   Aktivisten auf einer Neckarbrücke. (Mit freundlicher Genehmigung von © EnBW 2019. All Rights Reserved)

Einzelne Aktivisten oder kleinere Teams von Robin Wood machten ihren Protest bei vier der fünf Transporte deutlich, indem sie sich samt Transparenten von Brücken abseilten, vom Ufer aus ins Wasser gingen oder Gummi-Enten in den Neckar warfen. Die Aktionen wurden von der Polizei geduldig und professionell begleitet, sodass es zu keiner Eskalation kam. Für die Fahrten des Transportschiffs hatten die Aktionen keine Auswirkungen, und es kam auch zu keinen nennenswerten zeitlichen Verzögerungen. Die bei Mahnwachen und Aktionen vor Ort geäußerte Kritik wurde stets friedlich artikuliert. Es gab keine Gewalt und auch keine Verletzten. Eine protestierende Massenbewegung, rekrutiert aus der Bevölkerung der Anliegergemeinden, fand nicht statt.

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12.7 Erkenntnisse2 Abschließend lassen sich die Ergebnisse der fünf Jahre dauernden kommunikativen Begleitung des Projekts wie folgt zusammenfassen: • Die Sinnhaftigkeit der Transporte wurde unisono (Medien, Bevölkerung, Stakeholder) nachvollzogen und akzeptiert. • „Durch die vorab durchgeführte Information und Veranschaulichung (z. B. Testtransport) reduzierte sich bei Medien, Stakeholdern und Bevölkerung der Überraschungsund Sensationsgehalt der tatsächlichen Transporte“ (vgl. Schildmann und Kübler 2019, S. 70). • Die Berichterstattung war ganz überwiegend fair und faktenbasiert. • Anti-Argumente verfingen weder bei Bevölkerung noch bei Bürgermeistern und ­Politikern. • Die EnBW konnte sich als beste Informationsquelle etablieren und bei den Zielgruppen für einen hohen informativen Sättigungsgrad sorgen. • Der Umgang mit den Transporten seitens Bürgermeistern, Politikern und Bevölkerung war insgesamt sehr gelassen. • Es gab positive Rückmeldungen, z. B. von Bürgermeistern, über Qualität und Taktung der Kommunikation. • Die Anzahl der Demonstranten oder Aktivisten war bei jedem der fünf Transporte überschaubar. Keine Gewalt, keine Verletzten, keine Böller oder Rauchwolken, keine nennenswerten zeitlichen Verzögerungen, sondern reibungslose Durchführung der Transporte. • Das Gesamtprojekt wurde „in time & budget“ erfolgreich abgeschlossen.

12.8 Handlungsempfehlungen Welche Schlüsse können aus diesem Fallbeispiel gezogen werden, die sich auf andere Vorhaben übertragen lassen? • Grundlegend ist, dass die EnBW die Kommunikation als wertschöpfenden Erfolgsfaktor nicht nur von Anfang an erkannt, sondern aus dieser Erkenntnis auch strategische und operative Konsequenzen gezogen hat.

2Die

Ausführungen zu den Erkenntnissen entsprechen sinngemäß jenen des Beitrages Schildmann, Lutz, und Ines Kübler. 2019. Ruhiges Fahrwasser. PR Report 2019 (1): 68–70. (Schildmann und Kübler 2019).

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• Das Fallbeispiel zeigt, dass die Weichen für eine erfolgreiche Kommunikation ganz am Anfang richtig gestellt werden müssen und es sich lohnt, Öffentlichkeit, Medien und Stakeholder frühzeitig und ausgiebig zu informieren, und nicht erst kurz bevor das Hauptereignis des Projekts stattfindet. • Um den Nerv der Zielgruppen zu treffen, ist ein gutes Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse wichtig. Akzeptanz und Anerkennung erhält der, der als „Kümmerer“ dauerhaft auf diese Bedürfnisse eingeht. Kontinuierliche Transparenz reduziert den Nährboden für Unsicherheit und Spekulationen. Dort, wo keine Transparenz möglich ist, kann wenigstens die Erläuterung der Sachzwänge für ein Mindestmaß an Verständnis sorgen. • Die Beobachtung und Nutzung der Sozialen Medien und der Aufbau einer Projekt-Website haben wertvolle Beiträge zum Gelingen der Kommunikation geleistet. Das Fallbeispiel hat jedoch eindrucksvoll belegt, dass das direkte Gespräch und die persönliche Greifbarkeit von Verantwortungsträgern vor Ort in hohem Maße Vertrauen schafft und durch digitale Maßnahmen nicht zu ersetzen ist.

Literatur Schildmann, Lutz, und Ines Kübler. 2019. Ruhiges Fahrwasser. EnBW Kernkraft. Wenn es um Castor-Transporte geht, ist eine kritische Berichterstattung garantiert. Erst recht, wenn diese zum ersten Mal auf einem deutschen Fluss stattfinden sollen. Wie EnBW bei fünf solcher Transporte Vertrauen und Akzeptanz aufbaute. PR Report 2019 (1): 68–70.

© EnBW 2019

Lutz Schildmann leitet die Öffentlichkeitsarbeit der EnBW Kernkraft GmbH, einem Tochterunternehmen der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Er beschäftigt sich – auf Agentur- und auf Unternehmensseite – seit rund 20 Jahren mit Energie- und Infrastrukturthemen. Nach seiner Ausbildung zum Verlagskaufmann bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung absolvierte er ein MagisterStudium der Kommunikations- und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Nach verschiedenen Stationen bei PR-Agenturen, zuletzt Johanssen + Kretschmer in Berlin, wechselte er im Jahr 2005 zur EnBW und baute dort die interne und externe Kommunikation der Kernkraftsparte aus. 2011 bis 2012 verant­ wortete er die Kommunikation des Konzern-Effizienzprojekts der EnBW. 2013 übernahm er die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit der Kernkraftsparte. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung der verschiedenen Rückbau- und Infrastrukturprojekte und der Schaffung von geeigneten Dialogformaten. Für das in diesem Beitrag vorgestellte Fallbeispiel – die Kommunikation zu Castor-Transporten auf dem Neckar – erhielten sein Team und er den PR-Report-Award 2018 in der Kategorie Issues und Reputation Management, Krisen-PR sowie den Internationalen Deutschen PR-Preis 2019 in der Kategorie Risiko-, Konflikt- und Krisenkommunikation.

Teil III Gewusst wie – Inhaltliche, organisatorische und methodische Handlungsempfehlungen für Krisenkommunikatoren

Grundwissen für Krisenkommunikatoren Inhaltliche, organisatorische und methodische Hilfestellungen für den kommunikativen Angang von Krisen und Ereignissen mit Krisenpotenzial

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Jana Meißner

Zusammenfassung

Kommt es zu einem Ernstfall, fehlt vielen Kommunikatoren die Kompetenz, die Krise oder das Ereignis mit Krisenpotenzial vonseiten der Kommunikation professionell anzugehen – sowohl inhaltlich und organisatorisch als auch methodisch. Wenn sie Glück haben, können die Betroffenen auf eine der erfahrenen Krisenkommunikationsberatungen zurückgreifen, die – sofern das Ereignis international Relevanz hat – bestenfalls selbst Teil eines internationalen Netzwerkes ist. Setzt voraus, dass das betroffene Unternehmen die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen kann und auch stellt und diese Unterstützung idealerweise schon im Vorfeld ausgehandelt hat. Oder – auch das ist üblich – das Unternehmen ist gegen dieses konkrete Risiko versichert und die externen Krisenmanagement-Berater gehen im Response-Fall auch die kommunikativen Herausforderungen an oder bringen sogar einen Experten mit. Haben Kommunikatoren des Unternehmens aber Pech, weil sowohl die eigene Krisenkompetenz als auch die professionelle, externe Unterstützung fehlen, ist nicht auszuschließen, dass die Kommunikation die Krise verschärft. Damit das nicht passiert, vermittelt dieser Beitrag Grundwissen für Krisenkommunikatoren hinsichtlich der inhaltlichen, organisatorischen und methodischen Herangehensweise an Krisen und Ereignisse mit Krisenpotenzial. Zur Veranschaulichung wird der Germanwings-Absturz im Jahr 2015 reflektiert, der Münchener Amoklauf im Jahr 2016 und der Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus im Jahr 2017. Kommunikationsabteilungen in Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen können das im Beitrag erworbene

J. Meißner (*)  Meissner Communications, Bönen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_13

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Krisenkommunikations-Grundwissen und die beschriebene Arbeitsmethodik unmittelbar in der Praxis anwenden. Die Methodik ist eine geschützte Marke der Autorin und dient Krisenkommunikatoren als stabiles Halteseil. Der Nutzen des Beitrages liegt auch darin, dass der Leser in der Lage ist, seinen Präventionsbedarf zu bestimmen und entsprechende Handlungsempfehlungen umzusetzen.

13.1 Von den Besten lernen Auf die Frage, wie Krisenkommunikation „gemacht“ oder „besser nicht gemacht wird“, bekommen wir täglich Antworten. Der Blick in die Tageszeitung genügt. Die Fachzeitschriften behandeln regelmäßig Beispiele gelungener und weniger gelungener Krisen-PR und auch das Literaturregal enthält viele lesenswerte Titel, in denen sich Autoren intensiv mit Best- und Worst Cases von Unternehmen auseinandergesetzt haben. Die vielen Beispiele und Analysen liefern uns gute Anhaltspunkte für die Praxis, sowohl in fachlicher, als auch in methodischer Hinsicht. Besonders hilfreich sind die – zugegebenermaßen selteneren – positiven Beispiele. Die Kommunikationsarbeit zum Absturz der Germanwings-Maschine Flug 4U 9525 im Jahr 2015 ist ein solcher Best Case. Die Kommunikation von Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG, war empathisch, stringent und fokussiert auf die Stakeholdergruppen „Angehörige“ und „Freunde“ der Opfer ausgerichtet. Die Arbeit des Teams von Marcus da Gloria Martins, Pressesprecher der Münchner Polizei, beim Münchener Amoklauf 2016, ist ebenfalls ein Best Case. Mit Besonnenheit, Ehrlichkeit und mahnenden Worten beruhigte da Gloria Martins eine ganze Nation. Und auch die Kommunikationsarbeit des BVB zum Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus im Jahr 2017 lehrt uns Gutes. Der BVB legte seinen Fokus in den ersten Chaos-Minuten auf die sozialen Medien und trug mit seiner schnellen und offenen Kommunikation nicht nur zur friedlichen und zügigen Evakuierung des Stadions bei, sondern gebot damit auch Gerüchten und Spekulationen Einhalt. Die Best Cases lassen die Erfolgsfaktoren der Krisenkommunikation erkennen.

13.2 Die Krisenkommunikation und ihre Ziele Der „Leitfaden Krisenkommunikation“ vom Bundesministerium des Innern aus dem Jahr 2014 formuliert: „Ein langfristiges und grundlegendes Ziel von Kommunikation ist der Aufbau von Vertrauen in und Glaubwürdigkeit von Behörden beziehungsweise Unternehmen. Krisenkommunikation muss so funktionieren, dass Vertrauen und Glaubwürdigkeit auch in der Krise bestehen bleiben“ (Bundesministerium des Innern 2014, S. 19). Der Satz „It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it“ von Warren Buffet ist in diesem Zusammenhang ebenso viel zitiert (Bédé 2009, S. 72)

13  Grundwissen für Krisenkommunikatoren

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wie wahr. Vertrauen entsteht nur dann, wenn sich ein Mensch oder eine Organisation konsistent, also glaubwürdig verhält. Als Glaubwürdigkeit wird das kontinuierliche Übereinstimmen von Meinen, Sagen, Können und Tun verstanden. Die zwei Säulen wirkungsvoller Krisenkommunikation Ein Kollege hat den Weg des Vertrauenserhalts bzw. der Vertrauensbildung einmal wie folgt beschrieben: „Eine wirkungsvolle Krisenkommunikation steht auf zwei Säulen: Auf der Sachebene (plausibel, schnell, aufklärend, sachbezogen) und auf der Gefühlsebene (offen, empathisch, persönlich, sympathisch). Beide Säulen sollten von der Krisenkommunikation zu gleichen Teilen aufgebaut werden“ (Höbel 2015). Das Bild beschreibt die Arbeit des Krisenkommunikators beziehungsweise die des Gesichts der Krise sehr treffend. In Anbetracht der „Arbeitsteilung im gesprochenen Wort“ von Carsten Spohr und Thomas Winkelmann, 2015 noch CEO der Germanwings GmbH, im Rahmen des Absturzes der Germanwings-Maschine, könnte man meinen, die beiden hätten je eine der Säulen verantwortet. Spohr die Gefühlsebene und Winkelmann die Sachebene. Siehe die ersten Statements des Unternehmens auf Phoenix: Statement von Carsten Spohr am 24.03.2015 (phoenix 2015a) und die Pressekonferenz vom 26.03.2015 (phoenix 2015b). Und wenn man sich den Spickzettel für Donald Trump ansieht, der ihn daran erinnern sollte, sein Mitgefühl auszusprechen, während er mit Überlebenden der Schießerei an einer Schule in Florida sprach (Wollschied 2018), ist auch klar, dass es nichts hilft, wenn nur der Kommunikator verstanden hat, dass es auch darauf ankommt. Beispiel

Trump’s note card for Parkland shooting discussion: ‚I hear you‘ (CNN vom 22.02.2018) President Donald Trump heard emotional stories Wednesday from people affected by the nation’s deadliest school shootings, and it appears he had an assist in responding to some of the powerful testimony. In a photo from the event taken by Getty Images photographer Chip Somodevilla, the President is holding a piece of White House stationery with five discussion points written in black marker. The visible points include prompts such as „1. What would you most want me to know about your experience?“ „2. What can we do to help you feel safe?“ and „5. I hear you.“ (Klein 2018)

13.3 Eine Arbeitsmethodik für die Krisenkommunikation Um im Ernstfall „nicht aus der Hüfte zu schießen“, brauchen Krisenkommunikatoren eine Arbeitsmethode – und die ist erlernbar! Die folgende Methodik ist ein stabiles Halteseil für Kommunikatoren bei Krisen und Ereignissen mit Krisenpotenzial. Sie hilft, schwere Zeiten strukturiert zu durchlaufen, und umfasst sieben Schritte. Der Fokus liegt auf der Erarbeitung von Inhalten und der Bearbeitung unerlässlicher organisatorischer Aufgaben.

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Krisenkommunikation: Arbeitsmethodik in 7 Schritten

• • • • • • •

Schritt 1: Einschätzung „Krise bzw. Ereignis mit Krisenpotenzial“ Schritt 2: Festlegung der Kommunikationsstrategie Schritt 3: Organisatorische Sofortmaßnahmen Schritt 4: Erarbeitung der Erstkommunikation Schritt 5: Erarbeitung der Folgekommunikation Schritt 6: Organisatorische Folgemaßnahmen Schritt 7: Beendigung des Krisenstabs und neue Herausforderungen für die Kom­ munikationsarbeit

13.3.1 Schritt 1: Einschätzung „Krise bzw. Ereignis mit Krisenpotenzial“ Krisen und Ereignisse mit Krisenpotenzial haben einen großen Anteil an Ungewissheit, eine hohe Komplexität und eine große Eigendynamik. Sie erzeugen einen enormen Handlungsdruck. Nicht nur für die Kommunikation ist diese Ausgangsbasis denkbar unbefriedigend. Doch abwarten, bis die Lage geklärt und die Ursachen ermittelt sind, ist keine Option. Wer das Vertrauen erhalten, die Deutungshoheit behalten und Gerüchten, Spekulationen und Vorverurteilungen zuvorkommen möchte, sieht sich gezwungen, seine Stimme von Sekunde eins an zu erheben. Nun entscheidet der Kommunikator nicht im Alleingang, ob Aktivitäten unter der Flagge „Krisenkommunikation“ gestartet werden. Die Einschätzung, ob das Unternehmen in die Sonderorganisation „Krisenstab“ einsteigt, weil das konkrete Ereignis als Krise oder als ein solches mit Krisenpotenzial einzustufen ist, übernehmen andere. Unternehmen, die ein Krisenmanagement-System implementiert haben, beschreiben in ihren Organisationsgrundsätzen in der Regel einen der folgenden drei Entscheidungsbzw. Eskalationswege: • Weg 1: Der operativ Verantwortliche (der sogenannte Risk-/Business Owner) informiert die strategische Führungsebene (Vorstand/Geschäftsführung) über einen kritischen Prozess mit Krisenpotenzial. Die strategische Ebene entscheidet nach eigener Beurteilung über die Zuständigkeit bzw. Eskalation. • Weg 2: Der bisher operativ Zuständige bzw. Verantwortliche informiert den zuständigen Krisenstab über das kritische Ereignis. Zu diesem Kernteam sollte auch der Kommunikator gehören. Das Kernteam nimmt eine erste Risikobeurteilung vor, erklärt sich gegebenenfalls für zuständig und informiert darüber die strategische Ebene (Vorstand/Geschäftsführung). • Weg 3: Insbesondere in Konzernen ist auch der folgende Entscheidungs- bzw. Eskalationsweg anzutreffen. Der „Zentrale Krisenstab“, kurz ZKSt, monitort das Krisenmanagement nachgeordneter Krisenstäbe, kurz KSt. Stellt der Zentrale Krisenstab fest, dass es „quietscht“, unterstützt er oder übernimmt die Zuständigkeit („Ober

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sticht Unter“). In geübten, transparenten Konzernorganisationen läuft es bestenfalls so, dass der ursächlich zuständige Krisenstab an den Zentralen Krisenstab abgibt, wenn er feststellt, dass die eigenen Ressourcen/Kompetenzen für die erfolgreiche Bewältigung wahrscheinlich nicht ausreichen werden. Er setzt sich aber nicht „zur Ruhe“, sondern bleibt weiter mit an Bord. 

„Krise oder Ereignis mit Krisenpotenzial?“, das ist hier die Frage.

Die Einschätzung, ob eine Krise oder ein Ereignis mit Krisenpotenzial vorliegt, wird unter anderem in Kenntnis der begrifflichen Abgrenzungen zum Notfall getroffen, oftmals ergänzend anhand von Checklisten, die im Rahmen der Prävention erarbeitet wurden (s. Kap. 4). Dabei betrachten die Verantwortlichen primär die prognostizierten Auswirkungen des Ereignisses, zum Beispiel mögliche, nicht tolerierbare Betriebsunterbrechungen oder ein zu erwartendes massives öffentliches Interesse. Werden diese Auswirkungen bejaht, entscheiden sich Unternehmen in der Regel unmittelbar für den Start des Krisenmanagements und der Krisenkommunikation. Die Beachtung der prognostizierten Auswirkungen im Bereich der öffentlichen Wahrnehmung trägt dem Umstand Rechnung, dass einem Ereignis möglicherweise rein operativ schnell und konsequent begegnet werden kann und sich das Ereignis in der Öffentlichkeit trotzdem verselbstständigt und zu einem medialen Super-GAU mit Reputationskrise entwickelt. In Kenntnis, dass die Kommunikation zunehmend an Bedeutung gewinnt, hat die Currenta GmbH & Co. OHG aus Leverkusen den Kommunikator bereits in das Kernteam des Krisenstabs aufgenommen (s. Kap. 6). Den Kommunikator in das Kernteam des Krisenstabs aufzunehmen macht auch noch aus einem anderen Grund Sinn: Er selbst ist ein „Risk Owner“. Es kann durchaus sein, dass sich ein Risiko in einem Ereignis mit Krisenpotenzial manifestiert, das im Verantwortungsbereich der Unternehmenskommunikation liegt, von ihr auch als erstes wahrgenommen wird und ebenso den Einstieg des Unternehmens in die Sonderorganisation „Krisenstab“ erfordert. Nehmen wir nur mal den Angriff auf die digitale Reputation via Social Bots, negativ indexierten Backlinks und DDOS-Attacken oder das Risiko Desinformation. Sie zu managen ist wahrlich kein alleiniger Job der Unternehmenskommunikation (s. Kap. 3). Für den Durchlauf der hier beschrieben Arbeitsmethodik nehmen wir an, der Entscheiderkreis hat ein Ereignis als ein solches mit Krisenpotenzial eingeschätzt. Die Flagge „Krisenkommunikation“ ist gehisst.

13.3.2 Schritt 2: Festlegung der Kommunikationsstrategie Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Begriff „Strategie“ wird im Zusammenhang mit dem Krisenmanagement und der Krisenkommunikation in mehrfacher Hinsicht verwendet. In diesem Schritt geht es um die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob das Unternehmen im konkreten Fall offen, ehrlich und schnell kommuniziert. Bestenfalls wurde diese Entscheidung bereits vor einem möglichen Ereignis getroffen und muss

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hier „nur“ bestätigt werden. Man könnte, statt von Strategie, auch von der Bestätigung der „Grundprinzipien der Krisenkommunikation“ (Bundesministerium des Innern 2014, S. 15) sprechen: schnell (aktiv und frühzeitig) + wahrhaftig (sachlich, transparent und wahr) + verständlich (kurz, einfach, unkompliziert, bildhaft) + konsistent (einheitlich, koordiniert und kontinuierlich). Die Bestätigung der Kommunikationsstrategie liegt im Verantwortungsbereich des Krisenstabs. Es kann übrigens gute Gründe dafür geben, von einer offenen, ehrlichen und schnellen Kommunikationsstrategie abzuweichen. Beispiel

„Schwerter Schule nach Erpressung geschlossen. Damit die Gesamtschule durchsucht werden konnte, ließ die Polizei das Gebäude räumen – damit keine Panik ausbricht, bekamen die Schüler offiziell hitzefrei.“ (Westfälische Rundschau 2018). Allerdings sollten die Vor- und Nachteile dieser Entscheidung deutlich herausgearbeitet werden. Medien und Betroffene werden bei einer verschlossenen Kommunikation seitens des Unternehmens mit Sicherheit andere, weniger zuverlässige Quellen ausschöpfen. Das Risiko muss den Verantwortlichen bewusst sein. Ein Fest für die Gerüchteküche ist erwartbar und das muss das Unternehmen aushalten können.

13.3.3 Schritt 3: Organisatorische Sofortmaßnahmen Was muss organisatorisch zuallererst getan beziehungsweise angestoßen werden und was kann warten? Sofortmaßnahmen heißen Sofortmaßnahmen, weil sie keinen Aufschub dulden. Die folgenden Punkte sollten auf der Checkliste stehen: • Festlegung der personellen Besetzung und Zuteilung der Aufgaben innerhalb der Unternehmenskommunikation: Wenigstens eine Person kümmert sich weiter um das Tagesgeschäft. Je nach Dimension müssen die personellen Ressourcen aufgestockt werden. • Initiierung der Medienbeobachtung: Aufgrund der Relevanz der Social-Media-Kanäle in Krisenzeiten ist auch das Monitoring dieser Kanäle entscheidend. Der Medienbeobachtung bedarf es für die spätere Analyse und das Reporting an den Krisenstab. Es geht darum zu wissen, was die Stakeholder bewegt, welches Informationsbedürfnis sie haben, welche Themen sie einsteuern, welchen Verlauf die Kommunikation nimmt und ob die eigenen Botschaften „Gehör“ finden. • Einrichtung einer Darksite: Eine Darksite ist nicht zwingend „dark“. Gemeint ist eine vorgeschaltete Website, die in ruhigen Zeiten speziell vorbereitet wurde, um im Krisenfall unverzüglich freigeschaltet zu werden. Sie befriedigt das Kommunikationsbedürfnis bestenfalls schnell und effektiv und minimiert die tatsächlichen Anfragen über die anderen Kommunikationskanäle (Esther Packullat 2013). Sie sollte für Stakeholder relevante Informationen bereitstellen, zum Beispiel Q&As und Hintergrundinformationen,

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aktuelle Maßnahmen des Unternehmens in den Bereichen Sicherheit, Umwelt und Gesundheit, Kontaktadressen, die Hotline-Nummer/n und die Kontaktdaten weiterer Ansprechpartner (Behörden, Seelsorger etc.). Die Darksite muss laufend aktualisiert werden. In der Qualität unterscheiden sie sich stark voneinander. Manche Unternehmen belassen es bei einer sehr rudimentären Version, andere lassen die Twitter-Meldungen des Unternehmens als Liveticker auf der Front-Page mitlaufen. So verknüpfen sie die beiden relevantesten Kanäle für den Krisenfall. Manche binden eine Kommentarfunktion mit vorgeschalteter Funktion „Kommentar-Freigabe“ seitens des Seitenadministrators ein, um die Kommunikation von den sozialen Netzwerken auf die eigene Seite zu verlagern. Eine Herausforderung sind die häufig fehlenden Zugriffsrechte der Unternehmenskommunikation auf die Website. Insbesondere dann, wenn die Betreuung in externe Dienstleisterhände gegeben wurde, muss sichergestellt sein, dass die Abteilung im Ernstfall in der Lage ist, die vorbereitete Darksite freizuschalten. • Einrichtung der Krisenhotline: Ebenso wie die Darksite gehört auch die Krisen-Hotline zu den entscheidenden Kommunikationskanälen im Krisenfall. Beispiel

Hinweis auf die Krisenhotline „Das Auswärtige Amt hat nach dem Absturz einen Krisenstab eingerichtet. Angehörige könnten sich unter der Krisenhotline 030–5000 3000 informieren, teilte ein Sprecher mit. Das Außenministerium stehe in engstem Kontakt mit den französischen Behörden. Auch der Flughafen Düsseldorf hat eine Hotline für Angehörige eingerichtet. Unter der Rufnummer 0800-1133 5577 können diese sich informieren, teilte der Flughafen mit.“ (n-tv 2015b). Die Hotline steht nach Freischaltung allen sofort zur Verfügung, auch den eigenen Mitarbeitern. Auch sie befriedigt das Kommunikationsbedürfnis, mit dem Vorteil, dass das Unternehmen uneingeschränkte Entscheidungsgewalt über die Inhalte hat. Im Sinne der Aktualität muss allerdings sichergestellt sein, dass die aktuellen Entwicklungen eingespielt werden. Die Krisenhotline kann intern besetzt werden. Je größer der Krisenfall allerdings wird, umso herausfordernder wird es sein, die Qualität der Hotline und die 24/7-Erreichbarkeit aufrecht zu erhalten. Erschwerend hinzu kommt eventuell auch eine erforderliche Mehrsprachigkeit aufgrund internationaler Relevanz. Es empfiehlt sich, bereits in der Präventionsphase Dienstleister auszuwählen und geeignete Prozesse zu implementieren (s. Kap. 14). • Start des Krisenjournals: Das Krisenjournal ist ein digitales oder analoges Tool, je nach Professionalisierungsgrad der Krisenkommunikation. Hier werden eingehende Anfragen erfasst. Diese Vorgehensweise dient in erster Linie der Dokumentation und Analyse, mitunter auch der späteren rechtlichen Aufbereitung.

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• Bei Bedarf Anpassung des Branding (Logos, Kampagnen & Co.): In der Tat kann es geboten sein, Logos, Marketingkampagnen und Co. in Kenntnis der Ereignisse anzupassen. Gibt es aktuelle Kampagnen, die im Kontext der aktuellen Krise Anlass zur Erregung geben, z. B. weil sie pietätslos und unangemessen sind? Unternehmen sollten diese „Themenaufhänger“ vermeiden. Und manche Unternehmen entscheiden sehr früh, den Auftrag für eine neue Werbekampagne zu geben, die der Krise entgegensteuert. Beispiele

• Logo-Anpassung: „Trauer um Opfer. Germanwings trägt schwarz. Germanwings und Lufthansa reagieren in den sozialen Netzwerken auf den Absturz der A320-Maschine. Auf Facebook und Twitter sind die Logos nicht mehr farbig, sondern schwarz-weiß.“ (n-tv 2015a) • Gegensteuernde Werbekampagne: Die Deutsche Bank entschuldigt sich in großen Zeitungsanzeigen für Geschäfte, die dem Geldhaus Milliardenverluste beschert haben. Titel: „Wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen“ (Portmann 2017) Die Vielzahl und Dimension der Sofortmaßnahmen machen deutlich, wie entscheidend es ist, hier bereits im Vorfeld tätig zu werden. Weder die Initiierung einer Medienanalyse, die Einschaltung eines Hotline-Dienstleisters, noch das Freischalten einer Darksite sind in der gebotenen Schnelligkeit machbar, wenn nicht vorab entsprechende Vorbereitungen getroffen und Verträge geschlossen wurden. Wer in dieser Phase erst noch drei Dienstleisterangebote einholen muss, statt sich auf die sofortige „Sprechfähigkeit“ zu konzen­ trieren, hat verloren.

13.3.4 Schritt 4: Erarbeitung der Erstkommunikation Wer bei der Erstkommunikation eine Pressemitteilung in einer DIN A4-Länge vor Augen hat, die im üblichen Abstimmungsprozess entsteht und noch mehr Zeit braucht als üblich, „weil ja schließlich Krise ist, es auf jedes Wort ankommt und man ja das ganze Ausmaß der Ereignisse eh noch nicht kennt“, liegt falsch. Kommunikatoren, die im Hinblick auf die Erstkommunikation in dieser zeitlichen, prozessualen und detaillierten Dimension denken, setzen die Deutungshoheit des Unternehmens aufs Spiel, im schlechtesten Fall die Reputation. Eine Krise findet in Echtzeit im Internet statt. Ihr Treiber und Beschleuniger ist Social Media (Schweitzer et al. 2016, S. 59). Die erste Berichterstattung gibt es über Twitter, Facebook und Co. – in Sekundenschnelle gelangen Informationen insbesondere in Form von Bildern und Videos in die Welt (Schweitzer et al. 2016, S. 56). Das heißt: „News“ werden online verbreitet, lange bevor Behörden und Journalisten sie hätten ermitteln oder recherchieren können, und die klassischen Medien greifen die Tweets auf und beschleunigen die Verbreitung der Informationen.

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Trotz Chaos, Ungewissheit und Unüberschaubarkeit gilt es also, hier die eigene Stimme von der ersten Sekunde an zu erheben, um im Kanon der Vielstimmigkeit gehört zu werden und Hysterie, Spekulationen und Desinformationen vorzubeugen. Man muss bedenken: Fake News verbreiten sich schneller als Wahrheiten (s. Kap. 8). Beispiel

Der Münchner Amoklauf in den Sozialen Medien Um 17.52 Uhr geht am 22. Juli 2016 ein Notruf bei der Münchner Polizei ein: Schüsse im OEZ. Wenig später gibt es die ersten Tweets. PULS, das junge Programm des Bayerischen Rundfunks, hat sie ausgewertet: „Allein während des Amoklaufs in München gab es zwischen 18 Uhr und 6 Uhr am nächsten Morgen mehr als 200.000 Tweets, teilweise mehr als 1000 Tweets in der Minute (…) Bereits kurz nach dem Notruf lief die Twitter-Maschinerie an. Die ersten warnten, mutmaßten und auch das berühmte McDonalds-Video kam schnell in Umlauf. Einer der ersten Tweets war von @johndeconner (…) Mit mehr als 2000 Retweets wurde er mit am häufigsten geteilt. Video of shooter shooting at people. #munich#münchenpic.twitter.com/Pl6jhrVXMH (…) Doch neben zwei weiteren Tweets zum Video sind in den Top 20 der meist verbreiteten und gelikten Tweets ausschließlich verlässliche Informationsquellen wie die @PolizeiMuenchen. (Dyckmans 2016) Die Pressestelle der Münchener Polizei unter der Leitung von Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins hat die kommunikativen Herausforderungen im Rahmen des Amoklaufs herausragend gemeistert und bekam für ihre Arbeit etliche Auszeichnungen, darunter Doppelgold bei den PR Report Awards 2016: Für das „PR-Team“ und auch als „PR-Professional des Jahres“. Die Jury-Begründung lautete: „Das Team hat im allgemeinen Chaos aus Gerüchten, Halbwahrheiten und Emotionen als anerkannte Stimme der Vernunft gewirkt“ (PR Report 2016). „Social Media gehört an die Spitze der Kommunikations-Kaskade“, schrieben auch die Kollegen Schweitzer, Müller und Riedel von Klenk & Hoursch richtigerweise im Rahmen ihrer Veröffentlichung zum Krisenszenario-Training bei „Fraport“ (Schweitzer et al. 2016, S. 59). Der Punkt gehört unbedingt auf die Präventionsliste, zusammen mit der Herausforderung, dass die Verantwortung für diese Kanäle in ruhigen Zeiten zumeist in der Marketingabteilung liegt. Ist das Unternehmen grundsätzlich nicht auf SocialMedia-Kanälen „unterwegs“, gelten bei der Kanalauswahl für die Erstkommunikation die Kriterien „große Reichweite“ und „Viralität“. Die Macht der Bilder, die in Echtzeit geteilt werden, sowie die einhergehenden Fragen und Spekulationen üben einen massiven Druck auf die Unternehmenskommunikation aus (Schweitzer et al. 2016, S. 59). Da stellt sich die Frage, wie die Erstkommunikation inhaltlich gelingen kann. Ein Beispiel:

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Beispiel

Dortmund am 11. April 2017, 19.15 Uhr: Drei Sprengsätze explodieren in der Nähe des BVB-Mannschaftsbusses, als dieser gerade das Mannschaftshotel verlässt. Verifizierte Twitter-Accounts @BVB und @polizei_nrw_do: • 19:36 Uhr: „Im Bereich #Dortmund #Höchsten hat es eine #Explosion gegeben. Wir sind mit starken Kräften vor Ort. Die Lage ist derzeit noch unklar.“ (@polizei_nrw_do 2017) • 19.40 Uhr: „Bei Abfahrt unseres Busses hat sich ein Vorfall ereignet. Eine Person wurde dabei verletzt. Weitere Infos folgen. #bvbasm“ (BVB 2017a) • 20.01 Uhr: „Bombenexplosion am Mannschaftsbus am Mannschaftshotel. Spieler in Sicherheit. Keine Gefahr im und am Stadion. Weitere Infos folgen. #bvbasm“ (BVB 2017c) • 20.13 Uhr: „Bitte bewahrt Ruhe. Derzeit tagt der Krisenstab im Stadion. Wir informieren umgehend, sobald es Neuigkeiten gibt.“ (BVB 2017b) Das Beispiel zeigt, dass der BVB trotz Chaos, Ungewissheit und Unüberschaubarkeit der Situation in der Lage war, eine Erstkommunikation herauszugeben. Die kanaladäquate Kürze hilft, sich auf das Wesentliche zu fokussieren! Wenngleich es immer auf den Einzelfall ankommt, kann folgender Inhalts-Vierklang ein grobes Gerüst bieten: Der Inhalts-Vierklang der Erstkommunikation:

• • • •

Kurze Sachverhaltsangabe Ausdruck von Mitgefühl Ein Satz zur Ursache Bekanntgabe der eingeleiteten Maßnahmen und Informationen zur Erreichbarkeit von Ansprechpartnern

Zur Erinnerung: Sowohl die Sach- als auch die Gefühlsebene sollten bedient werden. Darum enthält der Vierklang auch das Kundtun des Mitgefühls. Leider fällt es vielen Kommunikatoren sehr schwer, Mitgefühl auszudrücken. Dabei ist es im gesamten Krisenverlauf enorm wichtig, dass die Stakeholder das Gefühl haben, verstanden zu werden. Wichtig ist auch das Formulieren der bereits ergriffenen oder beschlossenen Sofortmaßnahmen des Krisenmanagements. „Tue Gutes und rede darüber“, darin steckt die Chance, positive Wege aus der Krise aufzuzeigen.

13  Grundwissen für Krisenkommunikatoren

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Beispiel

Erstkommunikation beim Absturz der Germanwings-Maschine Flug U4 9525 am 24. März 2015: • „We do not yet know what has happened to flight 4U 9525. My deepest sympathy goes to the families and friends of our passengers and crew“ Carsten Spohr 1/2 (Lufthansa 2015a) • „…on 4U 9525. If our fears are confirmed, this is a dark day for Lufthansa. We hope to find survivors.“ Carsten Spohr 2/2 (Lufthansa 2015b)

Die Erstkommunikation ist im Übrigen nicht ohne Absender! Das vorausgehende Bespiel benennt Carsten Spohr, auch wenn der Tweet nicht über seinen eigenen Twitter Account abgesetzt wurde, sondern über @Lufthansa. Und Spohr blieb neben Thomas Winkelmann von Germanwings im gesamten weiteren Verlauf konsistent das „Gesicht der Krise“. Es wurde viel darüber diskutiert, ob es richtig war, ihn und die Muttergesellschaft Lufthansa „in den Ring zu stellen“, statt allein Thomas Winkelmann. So oder so – man kann davon ausgehen, dass diese Entscheidung weit vorher feststand. Auch der Punkt gehört auf die To-do-Liste kommunikationsspezifischer Prävention. Im Übrigen überzeugte Spohr (s. Kap. 7). Die Anforderungen an eine Erstkommunikation machen erneut deutlich, wie entscheidend es ist, bereits im Vorfeld tätig zu werden. Wer im Rahmen der Prävention für die TOP-5-Szenarien erste Botschaften vorformuliert und bestenfalls digitale Tools einsetzt, sodass eine Erstkommunikation per Knopfdruck von jedem mobilen Endgerät aus möglich ist, ist in Sachen Schnelligkeit ganz weit vorne. Genau mit dieser schnellen Erstkommunikation verschaffen sich betroffene Unternehmen Luft. Luft, die der Krisenstab inklusive Krisenkommunikation unbedingt braucht.

13.3.5 Schritt 5: Erarbeitung der Folgekommunikation 

Das Ziel der Krisenkommunikation lautet: Das Vertrauen der Stakeholder erhalten.

Die Stakeholder Die Erarbeitung der Folgekommunikation beginnt mit einem Stakeholder-Mapping. Man kann es nicht oft genug sagen: Auch dieses wird nicht erst in der Krise zum ersten Mal erarbeitet! In der Krise wird es angepasst und gegebenenfalls ergänzt! Das Stakeholder-Mapping visualisiert die relevanten Stakeholder des konkreten Krisenfalls (siehe dazu auch die beispielhafte Auflistung in Kap. 16).

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Die Botschaften Die Psychologin und Betriebswirtin Bettina Kappe definiert sechs Erfolgsfaktoren, die für einen Vertrauenserhalt entscheidend sind: Autorität, Empathie, Authentizität, Kongruenz, Konsistenz und das richtige Entschuldigen. Sie formuliert zur Empathie: „In Krisenzeiten kommt es darauf an, die Gefühle der Betroffenen wahrzunehmen, sich in ihre Lage zu versetzen und für diese Verständnis zu zeigen“ (s. Kap. 7). Die Sensibilisierung für die Gefühle der Stakeholder gelingt, indem man sich in die betroffene Gruppe hineinversetzt. Die Wahrnehmung ist laut Timothy Coombs auch entscheidend, um das eigentliche Ausmaß der Krise einschätzen zu können – ähnlich einem Eisberg habe man ohne diese Dimension nicht das volle Bild der Lage (Coombs und Holladay 2012). So übernimmt die Unternehmenskommunikation hier einen ganz entscheidenden Part. Sie ist bildlich gesprochen das Sinnesorgan des Unternehmens, das die Stakeholder-Reize erfasst, verarbeitet und weiterleitet, damit sie dem Krisenstab „bewusst“ werden und dieser das gesamte Ausmaß der Lage managen und vertrauensbildende Maßnahmen umsetzen kann. Fragestellungen zur Wahrnehmung betroffener Stakeholder:

• Welches Informationsbedürfnis haben die Stakeholder? • Welche Erwartungen wurden enttäuscht? • Welche Erwartungshaltung haben die jeweiligen Stakeholder? • Gibt es eine individuelle Krisen-Historie, das heißt, hat eine identifizierte Stakeholder-Gruppe oder ein Einzelner bereits eine Vorerfahrung mit dem betroffenen Unternehmen? • Welche Eigeninteressen bestehen möglicherweise? • Gibt es eine generelle Krisen-Historie des Unternehmens und/oder seiner Vertreter? • Welche gesellschaftlichen Themenkontexte tangieren die konkrete Lage?

Kommen wir zur ganz praktischen weiteren Herangehensweise: Wer die zuvor genannten Fragen zusammenstellt (Achtung: Es geht zunächst noch nicht um die Beantwortung der Fragen!), wird nach einem Schritt der Systematisierung erkennen, dass sich Themenfelder herauskristallisieren. Für diese Themenfelder gilt es, geeignete strategische Maßnahmen (Aufgabe des Krisenstabs) und entsprechende Formulierungsvorschläge für Botschaften (Aufgabe der Unternehmenskommunikation) zu erarbeiten, die in den Freigabeprozess kommen. So generieren sich die Kernbotschaften des betroffenen Unternehmens, die mit seinem Handeln im Einklang stehen (Stichwort: Kongruenz). Aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse, neue Berichterstattung, Handlungen und Interventionen von Akteuren oder Gruppen etc. können zu einer veränderten Lage führen. Darum durchlaufen die Krisenstrategie und die Kommunikation einen kontinuierlichen Anpassungsprozess.

13  Grundwissen für Krisenkommunikatoren

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Die Kanäle Diese abgestimmten Kernbotschaften müssen nun noch die einzelnen Stakeholder-Gruppen erreichen. Hier sind die Kommunikatoren auf gewohntem Terrain unterwegs. Die Frage lautet: „Auf welchen Kanälen sind die Stakeholder unterwegs?“ Zusätzlich sollten die internen und externen Kanäle den folgenden Kriterien entsprechen: • Geeigneter Kanal für die Vertrauensbildung: Die persönliche Kommunikation ist der geeignetste Weg der Vertrauensbildung, der in der Krise aufgrund des Zeitmangels aber oftmals nicht eingehalten werden kann. • Gesicherte, hohe Erreichbarkeit der Stakeholder. • Der Lage angemessener Kanal. • Möglichst keine bzw. wenig Fremdeinwirkung bzw. Gatekeeper-Funktionen: Stichwort „Owned-Media“ (Kanäle, die direkt und ausschließlich vom Unternehmen bespielt werden). Die Erörterung relevanter Krisenkommunikationskanäle – intern und extern – würde den Umfang dieses Beitrages sprengen. Darum hier „nur“ der Verweis auf weiterführende Literatur.1 Die Absender Das „Gesicht der Krise“ wird im weiteren Verlauf nicht ausgetauscht, es sei denn, dass es gute Gründe dafür gibt. Vielmehr kommen „Botschafter“ je Themenfeld hinzu. Das mögen interne oder externe Experten sein, mitunter aber auch die eigenen Mitarbeiter. Sie sind ein wichtiges Sprachrohr. Interessant wird es, wenn Tools wie „Sociabble“ ­installiert sind, mit deren Hilfe die Mitarbeiter freigegebene Unternehmensbotschaften mit nur einem Klick auch über die eigenen Social-Media-Kanäle verbreiten können.

13.3.6 Schritt 6: Organisatorische Folgemaßnahmen Die organisatorischen Folgemaßnahmen decken sich zum Teil mit jenen der Erstkommunikation. Folgende Maßnahmen werden fortgesetzt: • Medien-Monitoring und Dokumentation • Kontinuierliche Aktualisierung der Darksite und Informationen für die Krisenhotline • Fortführung des Krisenjournals

1Steinke

(2018); Stoffels und Bernskötter (2012a, b); Pentzold (2013).

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Hinzu kommen folgende organisatorische Maßnahmen: • Handling der (Medien-)Anfragen (Telefon, Mails, Fax, Social-Media-Kanäle, Live vor Ort etc.) • Planung und Organisation von Kommunikationsmaßnahmen (Pressekonferenzen, Interviews, Statements, O-Töne, Bereitstellen von Q&As, Bereitstellung von eigenem Foto- und Video-Footage etc.) • Kontinuierliche Analyse der öffentlichen Wahrnehmung und Reporting in den Krisenstab Was mit so wenigen Spiegelstrichen daherkommt, ist in Wahrheit ein organisatorischer Kraftakt. Da muss man mit Bedacht mit den eigenen Ressourcen und denen der Kollegen umgehen und auch für Erholungsphasen sorgen. Ein sehr eindrucksvolles Interview über die kommunikativen und persönlichen Herausforderungen im Rahmen des Germanwings-Absturzes gaben die damalige Lufthansa Kommunikationschefin Barbara Schädler und ihr Nachfolger Andreas Bartels 2016 dem PR Report (Neuen 2016). Da heißt es: „In den ersten sechs Wochen, in denen wir in der Kommunikation auf einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb umgestellt haben, war das für uns Germanwings- und Lufthansa-Kommunikatoren ein Verschwinden aus dem normalen Leben oder aus dem Leben insgesamt.“ Auszeichnung: Lesenswert!

13.3.7 Schritt 7: Beendigung des Krisenstabs und neue Herausforderungen für die Kommunikationsarbeit Der Krisenstab kommt irgendwann zu dem Punkt, die „Krise-Gelöst-Prüfung“ mit einem „Ja“ zu beantworten. Die Sonderorganisation endet. Nur, was heißt das für die Kommunikatoren und für das Unternehmen? Eine Krise endet nie! Sie erzeugt Jahres- und Gedenktage, Gerichtsprozesse, Veröffentlichungen von Gutachten, Analysen in Fachmedien, Bachelor- und Magisterarbeiten etc. Und sie fällt den Unternehmen todsicher bei jeder neuen Krise, und sei sie noch so unbedeutend, wieder auf die Füße. Ab jetzt hat das Unternehmen eine Krisen-Historie – bestenfalls eine gute!

13.4 Handlungsempfehlungen Trotz allen Krisenmanagement- und Krisenkommunikationswissens, trotz aller Handlungskompetenzen und aller Erfahrung sind Unternehmen nicht davor sicher, zu scheitern. Wer aber kein Wissen, keine Handlungskompetenzen und keine Erfahrung mitbringt, der scheitert in jedem Fall! So ist es den (angehenden) Kommunikatoren zu

13  Grundwissen für Krisenkommunikatoren

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wünschen, dass die Disziplin „Krisenkommunikation“ entweder in der Ausbildung zum selbstverständlichen Rüstzeug gehört oder sie dieses im Rahmen der Weiterbildung erwerben. Empfehlungen für Kommunikatoren: • Machen Sie sich mit der Disziplin „Krisenkommunikation“ vertraut. • Eignen Sie sich Basiswissen und Methodenkompetenz an. • Schaffen Sie notwendige Strukturen und definieren Sie Prozesse. • Legen Sie den Fokus auf die Aufgaben, die Ihnen im Ernstfall ein schnelles Handeln ermöglichen. • Üben Sie den Ernstfall und überprüfen Sie Ihre Krisenkommunikationskompetenz.

Literatur Bédé, Axel. 2009. Notfall- und Krisenmanagement im Unternehmen, 1. Aufl. Stuttgart: Steinbeis-Ed (Transfer-Dokumentation-Report: Vertiefungsrichtung). Bundesministerium des Innern, Hrsg. 2014. Leitfaden Krisenkommunikation. Unter Mitarbeit von Referat KM 1, Koordinierungszentrum Krisenmanagement, Fachliche Mitwirkung durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK und Referat II.6) Referat I.1. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bevoelkerungsschutz/leitfaden-krisenkommunikation.pdf;jsessionid=B3B79EFFC81AE5D158C3CC3BF810A8AB.2_cid295?__blob=publicationFile&v=4. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. BVB. 2017a. Bei Abfahrt unseres Busses hat sich ein Vorfall ereignet. Eine Person wurde dabei verletzt. Weitere Infos folgen. #bvbasm. Hg. v. Borussia Dortmund. https://twitter.com/BVB/ status/851852526639079425. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. BVB. 2017b. Bitte bewahrt Ruhe. Derzeit tagt der Krisenstab im Stadion. Wir informieren umgehend, sobald es Neuigkeiten gibt. Hg. v. Borussia Dortmund. https://twitter.com/BVB/status/851858971224928256. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. BVB. 2017c. „Bombenexplosion am Mannschaftsbus am Mannschaftshotel. Spieler in Sicherheit. Keine Gefahr im und am Stadion. Weitere Infos folgen. #bvbasm“. Hg. v. Borussia Dortmund. https://twitter.com/BVB/status/851857839530414080. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Coombs, W. Timothy, und Sherry J. Holladay, Hrsg. 2012. The handbook of crisis communication. Chichester: Wiley-Blackwell (Handbooks in communication and media). Dyckmans, Pia. 2016. 4 Dinge, die wir nach der Amoknacht über Twitter gelernt haben. Der Münchner Amoklauf in Social Media. Hg. v. PULS. Das junge Programm des Bayerischen Rundfunks. https://www.br.de/puls/themen/netz/4-dinge-die-wir-nach-der-amoknacht-uebertwitter-gelernt-haben-100.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Esther, Packullat. 2013. Dark Sites als Instrument des Krisenmanagements. Warum es sinnvoll sein kann, Kritik auf spezialisierten Websites aufzufangen. Hg. v. impact Agentur für Kommunikation GmbH. http://impact.ag/blog/2013/11/07/dark-sites-als-instrument-des-krisenmanagements/. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Höbel, Peter. 2015. Krisenkommunikation – Alte Ängste, neue Techniken? Keynote ZukunftsForum 2015. DPRG – Deutsche Public Relations Gesellschaft e. V. Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, 12.06.2015.

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Klein, Betsy. 2018. Trump’s note card for Parkland shooting discussion: ‚I hear you‘. Politics. Hg. v. CNN. https://edition.cnn.com/2018/02/21/politics/trump-parkland-notecard/index.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Lufthansa. 2015a. We do not yet know what has happened to flight 4U 9525. My deepest sympathy goes to the families and friends of our passengers and crew 1/2. Hg. v. lufthansa. https://twitter. com/lufthansa/status/580330191475609600. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Lufthansa. 2015b. „…on 4U 9525. If our fears are confirmed, this is a dark day for Lufthansa. We hope to find survivors.“ Carsten Spohr 2/2. Hg. v. lufthansa. https://twitter.com/lufthansa/status/580330322249818113 Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Neuen, Daniel. 2016. Die Minuten-Zählerei ist inadäquat. Germanwings-Absturz. PR Report 2016 (3): 16–20. n-tv, Hrsg. 2015a. Germanwings trägt schwarz. Trauer um Opfer. Panorama. https://www.n-tv.de/ panorama/Germanwings-traegt-schwarz-article14766881.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. n-tv, Hrsg. 2015b. Liveticker zum Flugzeugabsturz. 23:58 Nacht legt sich über die Absturzstelle. Panorama. https://www.n-tv.de/panorama/23-58-Nacht-legt-sich-ueber-die-Absturzstelle--article14768876.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Pentzold, Janine. 2013. Krisenkommunikation 2.0. München: GRIN. Phoenix. 2015a. Absturz Germanwings A320: Statement von Lufthansa mit Carsten Spohr am 24.03.2015. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=8-dbcgikwDY. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Phoenix. 2015b. Flugzeugabsturz: PK Lufthansa/Germanwings zu den aktuellen Erkenntnissen am 26.03.2015. Pressekonferenz von Lufthansa und Germanwings zum aktuellen Ermittlungsstand der französischen Staatsanwaltschaft nach Auswertung des Stimmenrekorders. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=9Xc0iUKio2I. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. polizei_nrw_do. 2017. Polizei NRW DO Verifizierter Account Im Bereich #Dortmund #Höchsten hat es eine #Explosion gegeben. Wir sind mit starken Kräften vor Ort. Die Lage ist derzeit noch unklar. Hg. v. Polizei NRW DO. https://twitter.com/polizei_nrw_do/status/851851541267054593. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Portmann, Kai (2017): „Wir möchten uns dafür entschuldigen“. Ganzseitige Abbitte: Die Deutsche Bank entschuldigt sich in großen Zeitungsanzeigen für dubiose Geschäfte, die dem Geldhaus Milliardenverluste eingebrockt haben. Zeitungsanzeige der Deutschen Bank. Hg. v. Der Tagesspiegel. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/zeitungsanzeige-der-deutschen-bank-wir-moechten-uns-dafuer-entschuldigen/19346974.html. PR Report. 2016. Doppel-Gold für Münchner Polizei. Hg. v. Johann Oberauer GmbH. https:// www.prreport.de/singlenews/uid-11234/doppel-gold-fuer-muenchner-polizei/. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Schweitzer, Mike Peter, Tobias Müller, und Sebastian Riedel. 2016. Stresstest in Echtzeit. Fraport. Johann Oberauer GmbH, Hrsg. PR Report. PR Report 2016 (4): 56–59. Steinke, Lorenz. 2018. Kommunizieren in der Krise. Nachhaltige PR-Werkzeuge für schwierige Zeiten. 2., überarbeitete Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler. http://dx.doi.org/10.1007/978-3658-14646-7. Stoffels, Herbert, und Peter Bernskötter. 2012a. Die wichtigsten Kanäle für einen erfolgreichen Dialog im Krisenfall. In Die Goliath-Falle. Die neuen Spielregeln für die Krisenkommunikation im Social Web, Hrsg. Herbert Stoffels und Peter Bernskötter, 89–93. Wiesbaden: Springer. Stoffels, Herbert, und Peter Bernskötter. 2012b. Masse und Macht – Der Angriff aus dem Internet. In 2012 – Die Goliath-Falle, Hrsg. Herbert Stoffels und Peter Bernskötter, 47–56. Wiesbaden: Springer Gabler.

13  Grundwissen für Krisenkommunikatoren

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Westfälische Rundschau, Hrsg. 2018. Zwei Schwerter Schulen nach Erpressung geschlossen. Bedrohung. https://www.wr.de/region/westfalen/erpresser-fordern-geld-von-zwei-schulen-inschwerte-id214419711.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Wollschied, Carolin. 2018. Ein Zettel muss Trump ans Mitgefühl erinnern. Nach Massaker in Parkland. Hg. v. FAZ Frankfurter Allgemeine. http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/donald-trump-nach-florida-massaker-spickzettel-fuer-mitgefuehl-15462363.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

Jana Meißner  ist Juristin und selbstständige Beraterin, spezialisiert auf die Integration der Kommunikation in die Management-Systeme Organisationale Resilienz, Integrales Risikomanagement sowie Risiko-, Notfall- und Krisenmanagement. Gemeinsam mit ihrem interdisziplinären Team unterstützt und befähigt sie Mitarbeiter in Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen bei der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung entsprechender Konzepte, Management-Systeme und Kommunikationsstrukturen. Vor ihrer Selbstständigkeit sammelte Meißner zwölf Jahre lang Krisenmanagement- und Krisenkommunikationserfahrung als Pressesprecherin bei der Koelnmesse und der Warsteiner Gruppe, zuletzt als stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation. Sie ist heute – neben ihrer Beratertätigkeit – Autorin im Springer Gabler Verlag sowie Lehrbeauftragte der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld und Köln und der Europäischen Medien- und Business-Akademie in Düsseldorf.

Krisenkommunikation im internationalen Kontext

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Erfahrungen und Empfehlungen aus der praktischen Alltagssicht eines Kommunikationsberaters Alexander Fink

Zusammenfassung

Nicht nur Großkonzerne sind heute international aufgestellt. Bereits 2016 hat laut KFW-Mittelstandspanel 2017 über jeder fünfte deutsche Mittelständler Umsätze im Ausland erwirtschaftet, insgesamt rund 547 Mrd. EUR. Mit dem Aufbau eines internationalen Vertriebsnetzes, der Steuerung einer globalen Supply Chain und einer wachsenden globalen Präsenz hat gerade für Mittelständler die Gefahr zugenommen, noch krisenanfälliger zu werden. Internationale Krisen stellen an Unternehmen besondere Herausforderungen: hinsichtlich der Ressourcen, der Steuerbarkeit, organisatorischer und struktureller Fähigkeiten und der kommunikativen Reichweite und Wirkung. Dieser Beitrag setzt den Fokus auf die Herausforderung „Globalisierung“. Aus der praktischen Alltagssicht eines Krisenkommunikationsberaters stellt er die Besonderheiten dar, die ein internationales Krisenmanagement im Hinblick auf die Kommunikation mit sich bringt. Der Autor berichtet von seinen Erfahrungen, verweist auf bedeutende, internationale Krisenfälle und zeigt zudem praktikable Lösungen für Präventionsmaßnahmen auf.

14.1 Germanwings-Maschine Flugnummer 4U 9525 Am 24. März 2015 kam es mit dem Absturz der Germanwings-Maschine Flugnummer 4U 9525 über den französischen Alpen zu einer der größten Katastrophen in der europäischen Luftfahrt. Ab dem Ereignis musste alles sehr schnell gehen: Binnen weniger Stunden wurden die Angehörigen und die Presse an drei europäischen Standorten ­informiert,

A. Fink ()  Clarity PR GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_14

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ein global funktionierendes Medienbüro zum Handling der massiven Medienanfragen eingerichtet und über eine internationale Medienbeobachtung die Entwicklung der Berichterstattung weltweit beobachtet und bewertet. Die Kommunikationsabteilung des Unternehmens informierte unter anderem kontinuierlich im Krisenstab über die aktuellen Entwicklungen in den Medien und sprach kommunikative Empfehlungen aus. Sie setzte die im Krisenstab verabschiedete Kommunikationsstrategie um, entwickelte und adaptierte die Sprachregelungen, führte eine intensive Social-Media-Kommunikation durch, briefte das Management laufend und bereitete die Logistik für die in einer solchen Situation unabdingbaren Presstermine in Marseille, Barcelona und Frankfurt vor. Im Hintergrund lief derweil die etablierte Krisenmanagement-Struktur eines globalen Konzerns an. Reisedienstleister wie Fluglinien, Kreuzfahrtanbieter oder Bahnen gehören ja in der Regel zu den Unternehmen mit einer besonders erprobten KrisenmanagementStruktur. Ganz in dem Sinne, wie ein Krisenverantwortlicher der Deutschen Bahn einmal zu mir sagte: „Bei täglich über 100 Vorfällen weiß du, was das Wort Krise alles bedeuten kann“. Ein Besuch in den War Rooms oder Krisenkontrollzentren gehört daher für einen Krisenberater immer zu den besonders faszinierenden Erlebnissen im Berufsalltag. Gerade in den erwähnten Branchen verfügen Unternehmen in der Regel über sehr schlagkräftige Infrastrukturen und Krisenteams, die im Ernstfall umgehend aktiviert werden können. Die zentrale Steuerung des Krisenmanagements erfolgt durch den Krisenstab aus einem zentralen War Room oder Operations Center heraus. Krisenteams unterstützen dann in der Zentrale und vor Ort operativ. Beim Reiseanbieter TUI etwa sind es laut eigenen Angaben 600 Personen (TUI Deutschland GmbH), bei Fluglinien häufig über 1000 Personen, die stand-by in Märkten sind. In der Regel umfassen diese Teams bestens ausgebildete Fachexperten, die den jeweiligen Vorfall untersuchen (Incident Teams) und einem zentralen Koordinator, bei Fluglinien etwa dem Koordinator für Flugsicherheit, unterstellt sind. Ergänzt werden diese Teams durch Support- und Betreuungsteams (Care- und Support Teams) sowie einer aufwendigen Monitoring-Infrastruktur: Das „integrated Fleet Operation Center“ der Carnival Corporation (AIDA Cruises, Costa Asia, Costa Crociere, Cunard Line, P&O Cruises) etwa beobachtet mit 180 Spezialisten in Echtzeit die 38 Schiffe der Gruppe (Carnival Maritime 2018). Beim Reiseanbieter TUI kommt das Krisenwarnsystem „Global Monitoring“ zum Einsatz, das auf Basis zahlreicher Daten aktuelle Ereignisse aufzeigt und eine Voreinschätzung einer krisenhaften Situation vornimmt (TUI Deutschland GmbH). Das ermöglichte dem Unternehmen etwa, bei dem Terroranschlag auf ein zum TUI Konzern gehörendes Hotel in Tunesien vom 26. Juni 2015 mit 37 Todesopfern, auch umgehend den Status der anderen rund 3800 deutschen Touristen zu prüfen, die sich zu dieser Zeit ebenfalls in Tunesien befanden (TUI Deutschland GmbH 2015). Aber auch die besten Abteilungen von Unternehmen kommen bei einem Ereignis wie dem erwähnten Germanwings-Absturz hinsichtlich ihrer Ressourcen an ihre Grenzen. Zur Bewältigung der Aufgaben nach dem Absturz von Flug 4U 9525 griff etwa die Lufthansa unter anderem auch auf das internationale Netzwerk von Burson-Marsteller zurück (Diana Bradley 2015). Die folgenden Ausführungen basieren auf diesen sowie den persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen aus zahlreichen weiteren Krisenfällen.

14  Krisenkommunikation im internationalen Kontext

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14.2 Herausforderungen an die internationale Krisenkommunikation im Akutfall Bei globalen Krisen sehe ich vor allem drei Herausforderungen für Unternehmen: 1. Herausforderungen organisatorischer Art: Sicherstellen, dass die globalen Kriseninfrastrukturen für die Kommunikationsarbeit schnell hochgefahren werden können. 2. Strategische und unternehmensspezifische Herausforderungen: Einheitliche Umsetzung der Kommunikationsstrategie auch in den Märkten sowie der Einfluss der Unternehmenskultur auf das Krisenmanagement. 3. Externe Herausforderungen: Berücksichtigung von ungeplanten Interventionen durch Akteure außerhalb des Heimmarktes eines Unternehmens.

14.2.1 Herausforderung organisatorischer Art (Sofortmaßnahmen) aufgrund eines internationalen Krisenfalls Krisenkommunikatoren empfehle ich zunächst, sich mit den Grundzügen der Krisenstabsarbeit zu beschäftigen. Das Verständnis ist unerlässlich (zur organisatorischen Ausgestaltung eines Krisenstabs siehe Kap. 2). Wenn es dann um die Krisenkommunikationsarbeit in internationalen Krisenprojekten geht, erlebe ich immer wieder, dass so vorgegangen wird, wie bei einer Krise im heimischen Markt. Sehr schnell treten dann organisatorische Defizite auf, die die Effizienz einer global wirksamen Krisenkommunikation erheblich einschränken. Aber welche Sofortmaßnahmen helfen Unternehmen, um organisatorisch auf einen internationalen Krisenfall gut vorbereitet zu sein? Hochfahren globaler Kriseninfrastrukturen – Sofortmaßnahmen für Kommunikatoren

• Aufstellen und Trainieren eines lokalen Krisenkommunikationsteams: Hierbei ist auch die Aufgabenverteilung zwischen lokaler Kommunikationsabteilung und der Zentrale zu klären: Das betrifft etwa die Erstellung und Freigabe redaktioneller Texte, ihre Lokalisierung und ihren Versand, das Handling von Medienanfragen, das Reporting und die laufende Bewertung, Anpassung und Umsetzung der Kommunikationsstrategie. Hierbei ist außerdem kritisch zu prüfen, ob das lokale Team überhaupt in der Lage ist, mit Krisen umzugehen. Ich erlebe in mittelständischen Firmen immer wieder, dass ihre Landesniederlassungen die Kommunikation über den Vertrieb oder maximal das Marketing wahrnehmen und keine eigene Kommunikationsabteilung haben. In diesem Fall ist die Hinzuziehung externer Experten empfehlenswert. Aber auch dann sollte vorab ein Kennenlerntermin erfolgt sein und die Kontaktdaten der Krisenexperten sollten jederzeit griffbereit vorliegen.

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• Benennung eines Medien-Ansprechpartners: Benennen Sie einen lokalen Mediensprecher, der in der Landessprache und als kompetente Autorität des Unternehmens kommunizieren kann. Ihr Medienkontakt hat Erfahrung im Umgang mit Medien, wurde trainiert und hat sich sorgfältig für diese Aufgabe vorbereitet. Der lokale Medienkontakt verfügt zudem über ein belastbares, aktuell gehaltenes Netzwerk an Medienkontakten und Verteilern, um zügig die lokalen Medien zu informieren (in Ergänzung zu den nationalen Medien am Stammsitz des Unternehmens und den bei Bedarf global zu kontaktierenden Medien). • Hochwertiges Monitoring betreiben: Auch in den im Krisenfall involvierten Märkten muss ein hochwertiges Monitoring von Print- und Digitalmedien sowie Influencern betrieben werden – in Echtzeit! Es ist ein Irrglaube, dass man mit einer entsprechenden Monitoring-Lösung aus dem Headquarter die Übersicht über lokale Berichterstattung im Ausland behält. Zugegeben, es gibt Anbieter und unternehmenseigene Lösungen, die eine exzellente und sehr ausgefeilte Medienbeobachtung zulassen – diese haben aber ihren Preis. Die Mehrzahl der Unternehmen, gerade im Mittelstand, verlässt sich dagegen auf die herkömmlichen Basisdienste der Medienbeobachtung. Doch wie sieht es mit der Berichterstattung in Fachzeitschriften oder zugangspflichtigen Medien und Plattformen aus? Wer kennt sich mit Medien und deren Mechaniken in exotischeren ­Ländern aus? Hier empfiehlt es sich, lokale Medienkenntnis zu haben und die Medien individuell und nicht nur „maschinell“ zu beobachten. • Laufende Pflege und Aktualisierung der Websites und Social Media Plattformen: Sie muss in den lokalen Versionen ebenso sichergestellt und auch an Wochenenden gewährleistet sein. Die Aufgaben zwischen Kommunikations- und Marketingabteilung sind hier klar geregelt. Denn häufig liegt die Verantwortung der marketinglastigen eigenen Plattformen bei der Marketingabteilung (bzw. dem ihr zugeordneten Social-Media-Team), die auf Krisenfälle nicht vorbereitet sind. • Schnelle und kompetente Übersetzung der lokalen Medienberichterstattung: Sie muss für die relevanten Entscheider in der Zentrale (z. B. Krisenstab, Geschäftsführung, Konzernkommunikation, Legal Abteilung) sichergestellt sein. Gleiches gilt für die Übersetzung der Texte der zentralen Kommunikationsabteilung in die jeweilige Landessprache. • Die betroffene Landesgesellschaft braucht – wie natürlich die Unternehmenszentrale – einen aktiven und belastbaren Kontakt zu den politischen ­Stakeholdern, den Behörden, Verbänden, weiteren Influencern und Pressure Groups im jeweiligen Markt.

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14.2.2 Strategische und unternehmensspezifische Herausforderungen Natürlich gibt es im Krisenfall nicht die eine Kommunikationsstrategie, die zum Erfolg führt. Mal ist es richtig, eine aggressive Gegenstrategie gegen Verleumdungen zu fahren, mal ist es ratsam, sehr behutsam vorzugehen, ehe alle Fakten bekannt sind. Hier sind die Kommunikationsverantwortlichen gefordert, im Krisenstab aktiv zu beraten, wie die Erwartungen der Stakeholder an das Unternehmen aussehen und welche Handlungen und Botschaften vom Unternehmen im Krisenfall erwartet werden. Eine zentrale Erfahrung, die ich über die Jahre gemacht habe, ist, dass gerade die lokalen Krisenverantwortlichen häufig nicht in den Entwicklungsprozess der Krisenstrategie eingebunden werden. Gerade bei Simulationen mit lokalen Krisenverantwortlichen und dem lokalen Management ist es nicht nur hilfreich, sondern auch sehr willkommen, diesen Prozess gemeinsam als wesentliches Element der Krisenprävention durchzugehen. Er wird daher nochmals kurz exemplarisch dargestellt: • In der Analyse klärt die Kommunikationsabteilung, wie relevante Zielgruppen das Krisenthema und die Position des Unternehmens in der Krise wahrnehmen. Zudem werden die Zielgruppen identifiziert, die helfen können, durch die Ansprache die Auswirkungen zu reduzieren. In einem internationalen Vorfall kann dieser Punkt erhebliche Herausforderungen zwischen Zentrale und lokaler Niederlassung aufzeigen: Wird etwa ein Textilunternehmen als wichtiger Arbeitgeber im lokalen Markt wahrgenommen oder sehen Medien und NGOs das Unternehmen im Markt des Firmensitzes als verantwortungslosen, profitgetriebenen Akteur, der nun endlich vorgeführt werden kann? • Für die Entscheidungsfindung, welche Kommunikationsstrategie gewählt wird, empfehle ich, sich vor allem auf zwei Fragestellungen zu konzentrieren: Was sollen unsere Zielgruppen nach der bewältigten Krise vom Unternehmen denken und wie muss das Unternehmen folglich handeln und kommunizieren, damit die Öffentlichkeit es so wahrnimmt, wie dies angestrebt wurde? Was für eine enorme Herausforderung sich dahinter verbirgt, sei kurz an der Textilindustrie demonstriert: Diese erlebte eine der schwersten Reputationskrisen, als am 24. April 2013 das achtstöckige Rana-Plaza-Fabrikgebäude am Rande von Dhaka einstürzte und mehr als 1100 Menschen unter sich begrub (Der Spiegel 2018). Hier war eine ganze Industrie gefordert, die Arbeitsbedingungen vor allem der Näherinnen, die für Marken für kik, Lidl, Aldi, Primark, H&M, C&A etc. arbeiten, umgehend, ernsthaft und über viele Jahre zu verbessern und so soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit und Transparenz globalisierter Geschäftsprozesse (z. B. Sourcing, Produktionsbedingungen, Umweltschutz, Arbeitsbedingungen, Nachverfolgbarkeit innerhalb der Supply Chain etc.) herzustellen. Die Folgen sind, dass in vielen der genannten Unternehmen erst eine über Jahre intensiv und glaubwürdig betriebene, globale Nachhaltigkeitskommunikation tief in die Geschäftsstrategie eingegriffen hat und inzwischen erfolgreich zur ­Risikominimierung und Steigerung der Reputation beiträgt.

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Für die Strukturierung der Botschaften und Inhalte in internationalen Krisenfällen (aber genauso anwendbar in nationalen/lokalen Krisen) möchte ich noch kurz auf die sogenannte 3C-Regel eingehen. Durch diese Strukturierungshilfe erhalten Kommunikationsverantwortliche eine in der Praxis bewährte Richtschnur, was im Krisenfall auf jeden Fall gegenüber der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ausgedrückt werden muss. Die 3C-Regel

• Concern: Das Unternehmen drückt sein Mitgefühl für die Betroffenen aus und stellt diese in den Mittelpunkt seines Handelns. Sämtliche Handlungen, Botschaften und Konsequenzen berücksichtigen dies. Immer wieder erlebe ich aber, dass Unternehmen im Krisenfall zunächst extrem „technisch“ herangehen, sich auf die Beschreibung der Krisenursache und Lösung konzentrieren und zu wenig daran denken, dass es Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen sind, die von der Krise betroffen sind. Nicht umsonst sind Lebensmittelkrisen, von denen Schwangere, Kinder, Kranke, Allergiker etc. betroffen sind, sehr schnell ein hochemotionales Thema in den Medien und in der Verbraucherkommunikation. • Commitment: Das Unternehmen übernimmt in der Krise Verantwortung. Ist ein Verschulden des Unternehmens erwiesen, steht es dazu. Dauert die Ursachenforschung an, unterstützen die Verantwortlichen die Ursachenfindung aktiv und vorurteilsfrei. Ich habe in solchen Fällen übrigens noch nie erlebt, dass Unternehmen, die versuchten, die Ursachen zu vertuschen, damit erfolgreich waren – im Gegenteil: Nach einer vermeintlichen Verschnaufpause traf es sie umso härter und die ursprüngliche Krisenstrategie musste mit hohem Aufwand revidiert werden. • Control: Das Unternehmen hat in der Krise die Kontrolle, ist erreichbar, informiert laufend über den Status, die geplanten nächsten Maßnahmen, äußert sich zum Schaden, zur Verantwortung und zur Behebung der Krise. Hier liegt ein wesentlicher Grund, dass die Öffentlichkeit Vertrauen in das Krisenmanagement des Unternehmens gewinnt und die Reputation im Nachgang wieder erfolgreich hergestellt wird. Aber auch hier eine Anmerkung: Die Mehrzahl der Unternehmen macht nach einer bewältigten Krise „Schluss“ mit dem Krisenmanagement. Doch gerade die ehrliche Nachbearbeitung, das Einleiten von Konsequenzen und das Nachverfolgen der Verbesserungen zeigen, ob ein Unternehmen einen Krisenfall bis zum Schluss managt oder nicht – und im Zweifel eine vergleichbare Krise nochmals erlebt – mit den entsprechend verheerenden Auswirkungen auf seine Reputation.

Neben diesen Überlegungen möchte ich auch noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der gerade in internationalen Unternehmen erfolgskritisch im Krisenmanagement ist: Was für eine Fehlerkultur besteht im Unternehmen? Es ist wichtig, dass Firmen eine Kultur der Transparenz im Unternehmen pflegen, Probleme und kritische Vorfälle melden zu können und mit der Zentrale eine Bewertung

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vornehmen zu können. Ich habe immer wieder erlebt, dass internationale – nicht selten asiatische – Unternehmen, die auch in Deutschland eine Niederlassung haben, versuchen, Probleme erst einmal selbst zu lösen, um keine „unangenehmen Nachrichten“ an die Vorgesetzten oder „das Headquarter“ zu kommunizieren. In der Regel führt eine solche Kommunikationskultur dazu, dass Krisen verschlimmert werden, da das Krisenmanagement häufig zu spät eingeleitet wurde. Hier empfehlen wir der Kommunikationsabteilung stets, für Transparenz und ein aktives Krisenmanagement zu kämpfen. Unternehmen sollten nicht versuchen, Probleme erst einmal zu verschweigen, ehe sie dann aus der Defensive heraus handeln und kommunizieren müssen. Mit der Konsequenz, dass sie dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung als unglaubwürdig, überfordert und wenig vertrauensvoll wahrgenommen werden.

14.2.3 Externe Herausforderungen/Interventionen Sobald ermittelnde Behörden kommunizieren, kann das sehr schnell dazu führen, dass der Unternehmenskommunikation die Hände gebunden sind. Im Falle des erwähnten vorsätzlich herbeigeführten Absturzes des Germanwings Flugs 4U 9525 am 24. März 2015 hat die französische Staatsanwaltschaft sehr rasch die Ermittlungen an sich gerissen, da es sich für sie um ein Tötungsdelikt auf französischem Boden handelte. Dieser Umstand hatte maßgeblichen Einfluss auf die weitere Berichterstattung: Bereits zwei Tage nach dem Unglück, am 26. März 2015, trat die Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit und präsentierte ihre Ermittlungsergebnisse. Die gerade entstehenden Spekulationen (etwa über die von der Gewerkschaft thematisierten Arbeitsbedingungen der Piloten) zur Unglücksursache wurden dadurch sehr rasch beendet und die Berichterstattung der Medien in eine sich final bestätigende Richtung gelenkt (ntv Panorama 2015). Beispiel

Interventionen: Produktrückruf in der Lebensmittelindustrie In einem nationalen und internationalen Produktrückruf in der Lebensmittelindustrie war es beispielsweise entscheidend, gesundheitspolitische Akteure und Medien in den wichtigsten globalen Absatzmärkten genau zu beobachten. So erfuhr das stark exportabhängige Lebensmittelunternehmen etwa durch meine Kollegen in China, dass die chinesische Gesundheitsbehörde anhand der Verkeimung eines Produkts ein Exempel statuieren wollte, indem die Lebensmittelüberwachung in China deutlich rigoroser als in Deutschland vorgehen würde. Die Behörde stand zu dieser Zeit anhand einiger Lebensmittelskandale in China selbst stark unter Druck. Erst durch ein energisches Gegensteuern des Unternehmens auch im politischen Bereich und höchster Transparenz gegenüber den Behörden konnte eine Eskalation ­vermieden werden. Ohne die externe Expertise im Umgang mit den lokalen Medien und Behörden wäre das Unternehmen komplett in die Defensive geraten und hätte durch den angedrohten Exportstopp massive Verluste erlitten.

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14.3 Werkzeuge in der internationalen Krisenkommunikation Kommt Ihnen das bekannt vor: „Mit der Krise beschäftigen wir uns erst, wenn sie da ist.“ Dieser Satz eines Mittelständlers ist so einleuchtend wie falsch. Natürlich haben gerade Kommunikationsverantwortliche jeden Tag eine Menge Arbeit auf dem Tisch. Und doch ist eine gute Krisenprävention bereits die halb gemeisterte Krise. Wie bereiten sich nun international tätige Unternehmen auf Krisen vor und wie handeln sie im Krisenfall? In diesem Abschnitt wollen wir einen Blick darauf werfen. Einzelne Empfehlungen und Werkzeuge werden sicherlich viele von Ihnen kennen. Es geht daher weniger um eine Aufzählung des Bewährten, sondern um den Hinweis aus der Praxis, sich in „Ruhezeiten“ um „Must-haves“ zu kümmern, damit die Infrastruktur der Krisenkommunikation gepflegt, getestet und jederzeit global einsatzbereit ist.

14.3.1 Kontaktlisten Zu den wichtigsten Elementen der Krisenkommunikation gehört unter anderem die Kontaktliste mit sämtlichen wesentlichen Ansprechpartnern der Kommunikationsabteilung und externer Dienstleister. Nach wie vor mag dies banal klingen, aber die Aktualisierung und der Test, ob die Erreichbarkeit der Ansprechpartner global jederzeit gewährleistet ist, lernte ich sehr oft als die Achillesferse in der internationalen Krisenmanagement-Organisation von Unternehmen kennen. In kurzfristigen „Table Drills“ kann ein Unternehmen jeweils sehr effizient testen, wie es um Ansprechpartner und die Ablauforganisation in einem global operierenden Unternehmen bestellt ist. Zudem sind Spezifika bei der Benennung von Krisenansprechpartnern zu beachten: bei Fluglinien etwa, dass durch die benannten Unternehmensvertreter oder externe Krisenberater im Ernstfall eine Anreise von maximal einer Stunde zu den Flughäfen des Landes stets sicherzustellen ist.

14.3.2 Krisenplan/Protokoll als Übersicht Häufig halten die Kommunikationsabteilungen einen Ablaufplan mit den wichtigsten Aufgabenfeldern der Krisenkommunikation bereit, der ergänzend zu Krisenhandbüchern oder Intranets die wichtigsten Prozessschritte kurz zusammenfasst. Relevante Punkte eines Krisenplans • Kriterien zur Bewertung eines Vorfalls – wann wird er zur Krise? Hier helfen Definitionen (Incident/Issue/Crisis) und Vorlagen zur Bewertung sowie Issue Maps mit jeweils aktuell gehaltenen unternehmensbezogenen Themen mit Krisenpotenzial. • Eine Informationskaskade bei einem Vorfall, der die Rollen und Aufgaben innerhalb des Unternehmens, national/international und im Verbund mit einer

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­ risenkommunikationsagentur definiert. Hier empfehlen sich RACI-Modelle zur K Zuteilung der Verantwortlichkeiten und Informationspflichten. • Checklisten zur Erreichbarkeit der Teilnehmer im Krisenstab und im Krisenkommunikationsteam. • Definition der Kommunikationsprinzipien und kommunikativen Ziele im Krisenfall. • Fragestellungen in Form von Checklisten, die helfen, die Ursachen und Auswirkungen des Vorfalls zu klären. • Fragestellungen zur Formulierung einer Krisenstrategie (siehe hierzu auch Abschn. 14.2.2). • Mustervorlagen zur Priorisierung der zu informierenden Zielgruppen (Stakeholder Maps) sowie für die eigenen Medien (vorbereitete Websites/Dark-Sites, SocialMedia-Vorlagen, vorbereitete Posts etc.). • Auflistung weiterer Tätigkeiten, die von der Kommunikationsabteilung einzuleiten sind (Medien- Stakeholder-Monitoring, Pressebüro für Medienanfragen, Einrichtung Call Center für Verbraucheranfragen, Vorbereitung Pressekonferenzen, Redaktionsteam, Rechercheaufgaben etc.). • Informationen zur Ablage und zum Zugriff zentraler Dokumente zur raschen Erstellung und zum Versand von Sprachregelungen, Pressemitteilungen, Vorlagen zu Frage-und-Antwort-Katalogen, Dokumente vergleichbarer Fälle aus der Vergangenheit sowie weitere spezifische Informationen (z. B. Vorlagen für Informationen an Partner, Verbraucher, Behörden etc.). Dabei ist zu beachten, dass diese auch von unterwegs und 24/7 einsehbar beziehungsweise abrufbar sind.

14.3.3 Plattformen zur Krisenprävention und zum Krisenmanagement Neben dem traditionellen Krisenhandbuch oder Notfallhandbüchern sind Plattformen zur Krisenprävention und zum Krisenmanagement vor allem (geschützte) Intranet-Bereiche, in denen die zentralen Instrumente für die Krisenprävention und das Management in Englisch und ggf. weiteren Sprachen vorliegen. Inhalte auf Plattformen zur Krisenprävention (deutsch/englisch/lokal)

• Textbausteine für Kunden-/Verbraucherinformationen, definierte Szenarien, Pressemeldungen, Fragen-und-Antwort-Kataloge, Briefing-Vorlagen für das Call Center sowie für interne Mitteilungen, Leitfäden für Servicemitarbeiter, Security, Empfang etc. • Kontaktlisten intern/extern, national/international • Checklisten zur kommunikativen Bewertung einer Krise • Anleitungen und programmierte Vorlagen zur Einrichtung, Pflege und Aufschaltung von Darksites, Websites, Social Media Posts etc.

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• Übersicht relevanter Stakeholder und Behörden • Checkliste und Technikcheck für den Krisenraum/Control Center/War Room • Unternehmensinformationen: etwa Factsheets/Basismaterialien zum Unternehmen/ zu Produkten/Technische Daten/Management/Prozessen/Fachinformationen etc. • Fotodatenbanken zu den wichtigsten Produkten, Prozessen, Personen des Unternehmens • Templates Krisen-Log-Book, um die einzelnen Schritte des Krisenmanagements zu dokumentieren, was im Nachgang versicherungsrelevant sein kann • Reporting-Template für Medienanfragen • Definitionen von Rollen und Verantwortlichkeiten in der Krise • Übersicht externer Dienstleister • Dos & Dont’s im Umgang mit Medien in der Krise • Richtlinien/Prinzipien für die interne und externe Kommunikation in der Krise

14.3.4 Regelmäßige Krisenübungen/Simulationen Übung macht den Meister, möchte man meinen, doch immer noch tut sich die Mehrheit der Unternehmen schwer, in regelmäßige Trainings und Simulationen zu investieren. Dabei nimmt das Bedrohungspotenzial für die Krisenresistenz der Unternehmen dramatisch zu: Auslöser sind vor allem die Digitalisierung sämtlicher Geschäftsprozesse, veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, die globale Exponiertheit von Unternehmen und ein von den Sozialen Medien getriebenes Campaigning, die im schlechtesten Fall auf „eingerostete“ Krisenmanagementfähigkeiten im Unternehmen treffen. Ist ein Unternehmen Opfer einer Krise geworden, hat diese noch jedes Mal Verbesserungspotenziale für die Funktionsfähigkeit seines internationalen Krisenmanagements aufgezeigt: Häufige Wechsel der Ansprechpartner, wenig Erfahrung mit vergleichbaren Krisenfällen in der Vergangenheit, die Übertragung der Aufgaben eines lokalen Krisenmanagers zusätzlich zum Alltagsgeschäft, kulturelle und hierarchische Faktoren, die die Bewertung und Meldung von Vorfällen mit Krisenpotenzial erschweren – das sind nur einige mögliche Schwachstellen, die mir im Berateralltag regelmäßig begegnen. Und Krisenverantwortliche in Unternehmen werden mir zustimmen: Krisensimulationen werden im Nachgang von allen Teilnehmern häufig als ein befreiendes, bereicherndes und essenzielles Element des Risikomanagements wahrgenommen. Unmittelbar nach einer Simulation sind daher die guten Vorsätze, was im Unternehmen geändert werden sollte, besonders groß. Was macht aber nun eine erfolgreiche Krisensimulation aus?

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Erfolgsfaktoren guter Krisensimulationen

• Das Top-Management fördert eine gesteigerte Krisenbereitschaft des Unternehmens und ist Auslöser und Mentor, im besten Fall auch Teil der Simulation. • Die Unterschiede zwischen der Zentrale und den Landesgesellschaften sowie den unterschiedlichen Funktionen (Legal, Quality Management, Sales, Kommunikation, Werksleitung etc.) mit ihren organisatorischen und kulturellen Besonderheiten fließen in die Planung, Durchführung und Bewertung der Simulation mit ein. • Ein Mehrwert wird für die Teilnehmer geschaffen, indem die Erkenntnisse in konkrete Veränderungen in der Organisation und den Abläufen münden. Immer wieder erlebe ich, dass nach der „Erschöpfung“ im Nachgang einer Simulation die Einleitung von Veränderungen stockt oder ganz verebbt. Hier ist – notfalls durch den Beratungspartner – Disziplin einzufordern, die Learnings in konkrete Maßnahmen und Verbesserungen zu überführen. Erfolgreich bewährt hat sich beispielsweise nach einer Simulation die Einführung einer unternehmensweiten Krisen-App bei einem Pharmaunternehmen. Sie führte zu einer Vereinheitlichung der Prozesse, gleichen Bewertungsstandards und einer engen Vernetzung des globalen Krisenteams in über 30 Märkten. • Ein „Überraschungsmoment“ der Simulation, bei dem der Kreis der Eingeweihten sehr klein bleibt, aber jederzeit sicherstellt, dass aus der Simulation im Unternehmen keine echte Krise entsteht. • Hohe Praktikabilität bei den Werkzeugen, die den Kommunikatoren zur Verfügung gestellt werden: ausfüllbare Templates, vorbereitete Checklisten, die wichtigsten Ansprechpartner, ein Vorgehensplan für die ersten 24 h. Hier empfehlen wir, dass sich die Teilnehmer unbedingt vor der Simulation mit den zentralen Werkzeugen vertraut machen. Meistens gilt für diesen Punkt: Je anwendungsfreundlicher diese Werkzeuge sind, umso höher ist auch die Akzeptanz in den Landesgesellschaften, diese anzuwenden. • Der Einsatz einer Social-Media-Simulationsplattform, um die grenzüberschreitende Bedeutung von Social Media, Echtzeitkommunikation, Shitstorms und das Handling der eigenen Kanäle im Krisenfall hautnah zu praktizieren. • Eine nach der Simulation regelmäßig stattfindende Abstimmung des Krisenteams, um die Infrastruktur und ihre Aktualität sowie den Stand der Veränderungen seit der letzten Simulation zu prüfen und Erfahrungen auszutauschen.

14.4 Ablaufbeispiel internationale Krisenkommunikation Kommt es zu einem dramatischen Vorfall etwa bei Fluglinien (Absturz, Entführung, technischer Defekt), erfolgt auch hier zunächst eine Situationsanalyse: Aus Kommunikationssicht gilt es im Krisenfall etwa bei Fluglinien, zunächst die

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I­nformationen zum Flug, Flugzeug (technische Daten, Wartungshistorie, Typeninformationen etc.) und Vorfall zu erfassen. Letzteres umfasst vor allem die Flugdaten, -zeiten, Zeit/Ort des Vorfalls, Art des Vorfalls des betroffenen Fluges. Am Unglücksort selbst ist es entscheidend, die im Vorfeld definierten Rollen und Verantwortlichkeiten anzuwenden. Wer macht was, wann und kontaktiert welche Stakeholder? Hier sind vor allem der reibungslose Austausch und die klare Aufgabenverteilung zwischen Unternehmenskommunikation, dem PR-Dienstleister sowie die Abstimmung mit Politik, Behörden und den jeweiligen Einsatzteams entscheidend. Bewährt hat sich hier ein dauerhafter und guter Kontakt zu den jeweiligen Kontrollbehörden. Er verschafft Unternehmen im Krisenfall die Möglichkeit der Abstimmung, bevor die Behörden die Kommunikation selbst übernehmen. Bei der Hinzuziehung eines Dienstleisters wird die Verteilung der Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen der Kommunikationsabteilung und dem externen Dienstleister vorab anhand von Krisenablaufplänen definiert und trainiert. Bestandteile einer solchen Aufgabenverteilung können sein: • Definierter zentraler Kontakt der Krisenkommunikation in der Unternehmenszentrale und ggf. über Tochtergesellschaften, Beteiligungen, Partnerschaften etc. • Benennung und Aktivierung zentraler Kontakt auf Agenturseite inklusive weiterer Vorgaben seiner Einbindung in die Unternehmensstruktur und Arbeitsfähigkeit (Arbeitsausstattung, Anreisedauer, Benachrichtigungen, Aufgaben). • Aktivierung des unternehmenseigenen Netzwerks der Krisenkommunikatoren, der Agenturkontakte und des Kommunikationsweges. Aus meiner Sicht sollten hier immer lokale Unternehmenskommunikatoren mit lokalen Agenturansprechpartnern kommunizieren und diese jeweils an die Krisenkoordinatoren im Unternehmen und in der Agentur berichten. Zwischen diesen beiden findet dann die weitere Abstimmung statt. Veranschaulicht werden soll diese Aufteilung anhand der folgenden Grafik „Hub- & Spoke Modell“ zwischen dem Kunden und seiner Kommunikationsagentur (s. Abb. 14.1) • Monitoring lokal, national und international aktivieren über den externen Dienstleister mit Alert-Verpflichtung an das Krisenteam. Ebenso werden – in der Regel im Handbuch oder Ablaufprotokoll – die Aufgaben der Teams am Abflugort, Ankunftsort zusätzlich zu den Teams am Unglücksort definiert. Die darauffolgende Kommunikationsplanung umfasst schließlich vor allem die Planung möglicher Szenarien und die Entwicklung der Kommunikationsstrategie (­Zielgruppen, Botschaften, Kanäle, Taktung, Monitoring, ggf. Anpassung der Strategie und Maßnahmen). Dabei ist entscheidend, ob eine aktive Kommunikation oder zunächst eine reaktive Kommunikation durchgeführt wird. Ein besonderer Aspekt in der Stakeholder-Kommunikation in den erwähnten Branchen ist in diesen Krisenfällen die Angehörigen-Kommunikation für Passagiere, die in der Regel von der Fluglinie selbst oder mit ausgewählten Spezialisten aus dem Risikomanagement durchgeführt wird.

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Abb. 14.1  „Hub- & Spoke Modell“. (Mit freundlicher Genehmigung © Burson-Marsteller GmbH 2019. All Rights Reserved)

Die Abstimmung zu den aktuellen Entwicklungen, notwendigen Maßnahmen und der Resonanz in der Öffentlichkeit findet extrem eng im Krisenkernteam statt (anfangs stündlich, später mindestens 2- bis 3- stündlich, danach täglich). Zeitzonen von anderen Standorten des Unternehmens, die hinzugezogen werden müssen, sind dabei zu berücksichtigen. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass ich hier vor allem die Aufgaben der Kommunikation umrissen habe. Natürlich ist ein enges Zusammenspiel mit sämtlichen Abteilungen, Teams, Einsatzmannschaften und Experten notwendig, denen im Krisenfall durch den Krisenstab die jeweiligen Aufgaben zugeordnet werden. Als ein gutes Beispiel sei hier auf das Flughafen-Handbuch des Flughafen Zürichs hingewiesen, das jeweils aktualisiert im Netz abrufbar ist (Flughafen Zürich AG 2018).

14.5 Zusammenfassung und Empfehlungen In den vorigen Abschnitten haben Sie die Herausforderungen, Werkzeuge und den beispielhaften Ablauf in der internationalen Krisenkommunikation kennengelernt. Blicken wir abschließend auf Schwachstellen, die ich im Praxistest der internationalen Krisenkommunikation besonders häufig angetroffen habe. Dieser abschließende Blick soll

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Ihnen als Leser dabei helfen, Ihre bestehende Kriseninfrastruktur und -bereitschaft kritisch zu prüfen und bei Bedarf zu optimieren. • Die Kriseninfrastruktur besteht nur auf dem Papier – Ein internationales Krisenkommunikationsteam ist nicht aufgesetzt und getestet. – Das Risiko- und Krisenverständnis im Unternehmen ist zu wenig ausgeprägt. – Die letzte Krisenübung liegt mehr als zwei Jahre zurück. – Der Datenbestand (Vorlagen, Kontakte, Weblinks, Dateipfade etc.) ist veraltet. – Es erfolgt keine Investition in die Krisenprävention („brauchen wir nicht, wir sind versichert“). • Ressourcenbedarf wird unterschätzt und ist im Ernstfall aufwendiger zu organisieren – Der Krisenstab ist definiert, aber die dahinterliegenden Ressourcen, gerade in der Kommunikation, reichen nicht aus, um international zu arbeiten. – Die Wucht der Krise überrascht das Unternehmen: Hier ist vor allem die Resonanz von Öffentlichkeit und Medien, etwa von Passagieren, Kunden, Verbrauchern, Journalisten, Shitstorms in den Social Media die große Unbekannte. Funktionierende Back-ups an Ressourcen und Werkzeugen minimieren diesen Mangel. – Keine Infrastruktur und Logistik am Ort der Krise: Die Krise findet bei einem Zulieferer, außerhalb der Betriebsstätten etc. statt. Es dauert länger, Informationen über die Krise zu erhalten und den notwendigen Kontakt zu wichtigen Stakeholdern und Entscheidern herzustellen. • Sprachliche, landesspezifische und kulturelle Unterschiede verzögern das Krisenmanagement – Wie bereits dargestellt, sollten Unternehmen bei Krisen, die lokale Märkte betreffen, unbedingt mit den Medien in der Landessprache kommunizieren. Englisch hilft sicher, aber eben nicht immer. – Medienkontakte in den Märkten bestehen nicht oder kaum und führen dazu, dass die Botschaften des Unternehmens in der Krise weniger Resonanz finden. – Die Dauer und Qualität der Übersetzungen muss krisentauglich und erprobt sein. – Im Zweifel wird zunächst versucht, den „Brand lokal zu löschen“, was häufig die Krise verschlimmert, da die Reaktionszeit verkürzt und die Auswirkungen der Krise vergrößert werden. – Lokale Besonderheiten müssen bekannt sein. Hier zwei Beispiele: Bei einem Produktrückruf aufgrund einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung in den USA gelten ganz klare Vorgaben der Aufsichtsbehörde FDA, was wann und wie zu tun ist, und welche Konsequenzen eine Nichtbefolgung nach sich zieht. In der Schweiz ist der Versand einer Pressemitteilung bei einem Produktrückruf durch die jeweilige kantonale Gesundheitsbehörde verpflichtend. – Einheitliche Krisenpläne bestehen, werden aber nicht angewendet. Hier helfen maximal zweijährliche Simulationen, die Einrichtung einer Krisen-App und das regelmäßige Trainieren der Krisen-Policy des Unternehmens.

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• Social Media als große Unbekannte – Marketing hat in Unternehmen häufig die Oberhoheit über die Social-Media-Kanäle, die Kommunikation in der Krise wird durch unterschiedliche Kompetenzen beeinträchtigt: Viele Unternehmen benutzen Social Media zu Marketingzwecken und reagieren unvorbereitet, wenn es im Zuge einer Krise zu negativen Kommentaren, Posts und Shitstorms kommt. Hier empfehlen wir eine klare redaktionelle Verantwortung im Krisenfall, klare Social-Media-Richtlinien (intersoft consulting services AG 2018) und vorbereitete Templates sowie die Klärung, wie diese Kanäle 24/7 beobachtet und redaktionell gepflegt werden können. – Social Listening zur Identifikation und Steuerung von Krisenthemen, Akteuren/ Influencern und Trends in der Berichterstattung: Ich empfehle, hier in Zukunft besonders in Ressourcen zu investieren. Diese Investitionen werden sich sehr rasch bezahlt machen, indem Erkenntnisse und die wachsende Expertise der Kommunikationsabteilung, wie mit diesen Informationen umzugehen ist, einen echten Mehrwert im Risikomanagement liefern werden. Unternehmen, etwa im Bereich Retail, stellen vermehrt Social-Listening-Manager als feste Teammitglieder ihrer Krisenorganisation ein. • Digitale, globale Krisendynamik – Nicht nur die Globalisierung der Warenströme und damit auch der Unternehmensstrukturen verschärft die Krisenanfälligkeit von Unternehmen. Die Digitalisierung sorgte bereits dafür, dass Krisenkommunikation deutlich schneller, emotionaler und globaler wurde. Die Bedrohung der Datensicherheit im Kontext der Digitalisierung aller Geschäftsprozesse wird nun ein immer größer werdendes Risiko, auf das sich Unternehmen und damit die Kommunikationsabteilungen noch viel stärker vorbereiten müssen (s. Kap. 10). Ein heutiges Verständnis von präventiver Krisenkommunikation erfordert den Schulterschluss mit IT-Experten, Risikomanagern gemeinsam mit der Kommunikation, um adäquat gerüstet zu sein. Für Unternehmen bedeutet das, einen weiteren Abbau von internen Silos herbeizuführen, um Quality Management, Unternehmens-IT, Legal, Krisen- und Risikomanagement, die Kommunikationsabteilung sowie externe Partner und die internationalen Standorte des Unternehmens noch enger zusammenzubringen. Einen Vorgeschmack des hier skizzierten Bedrohungspotenzials lieferte 2017 der Petya Virus, der Firmen wie den Beiersdorf Konzern oder die Reederei Maersk weltweit lahmlegte (Holland 2017) und die Handlungsfähigkeit des Unternehmens, aber auch der Kommunikationsabteilungen massiv einschränkte. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass diese Bedrohungspotenziale weiter zunehmen werden und sich die Kommunikationsverantwortlichen auch in diesem Bereich deutlich breiter als bisher aufstellen müssen.

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Literatur Carnival Maritime, Hrsg. 2018. Carnival maritime. Company profile. http://www.carnival-maritime.com/about-us.31182.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Der Spiegel, Hrsg. 2018. Wie korrekt sind T-Shirts aus Bangladesch? Fünf Jahre nach Fabrikeinsturz. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bangladesch-wie-das-rana-plaza-unglueck-textilfabriken-veraenderte-a-1203749.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Diana Bradley. 2015. Burson helps Lufthansa with crisis comms after Germanwings crash. The WPP firm is coordinating its response from Frankfurt. Hg. v. PR Week. https://www.prweek. com/article/1340186/burson-helps-lufthansa-crisis-comms-germanwings-crash. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Flughafen Zürich AG, Hrsg. 2018. Flugplatzhandbuch der Flughafen Zürich AG. https:// serviceportal.flughafen-zuerich.ch/#_ga=2.147773175.1554320913.1538062163218846340.1538062163. Holland, Martin. 2017. Rückkehr von Petya – Kryptotrojaner legt weltweit Firmen und Behörden lahm. Hg. v. Heise Security. https://www.heise.de/security/meldung/Rueckkehr-von-Petya-Kryptotrojaner-legt-weltweit-Firmen-und-Behoerden-lahm-3757047.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. intersoft consulting services AG, Hrsg. 2018. Social media guidelines. Fachbeitrag Datenschutzbeauftragter. https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/fachbeitraege/social-media-guidelines/. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. ntv Panorama. 2015. Copilot flog bewusst in den Tod. Ein unglaublich tragischer Einzelfall. https://www.n-tv.de/panorama/Ein-unglaublich-tragischer-Einzelfall-article14785056.html. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. TUI Deutschland GmbH, Hrsg. TUI Reisesicherheit. Unser Versprechen an Sie! https://www.tui. com/tui-reisesicherheit/. Zugegriffen: 31. März 2019. TUI Deutschland GmbH, Hrsg. 2015. Anschlag in Tunesien/Care Team entsandt/Kundenhotline geschaltet. TUI – Eilmeldung. https://www.tuigroup.com/de-de/medien/presseinformationen/ ag-meldungen/2015/20150626-anschlag-tunesien. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

© ElStudio

Alexander Fink ist seit Anfang 2019 Deutschland-Geschäftsführer und DACH-Verantwortlicher der Clarity PR GmbH. Die internationale Kommunikationsberatung entwickelt ihre integrierten Kampagnen auf Basis eigener digitaler Analyseplattformen. Fink verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Kommunikation für Unternehmen und Institutionen aus den unterschiedlichsten Branchen. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf der Unternehmenskommunikation und hier vor allem auf den Bereichen Krisen- und Issues Management, Nachhaltigkeits- und Veränderungskommunikation, Evaluation sowie Digitalisierung von Kommunikationsprozessen. Alexander Fink trainiert regelmäßig zahlreiche Manager und Kommunikationsverantwortliche in der Krisenprävention und dem Krisenmanagement. Vor seinem Wechsel zur Clarity PR GmbH war Fink Deutschland-CEO des auf Krisenkommunikation spezialisierten globalen Beratungsunternehmens Burson-Marsteller. Seine berufliche Laufbahn startete er im Bereich Unternehmenskommunikation und Medienpolitik bei ProSieben, weitere Stationen führten ihn zur Burda

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Gruppe, Daimler Benz sowie den internationalen Kommunikationsagenturen Ketchum Pleon und Edelman. Als Managing Partner bzw. Mitglied der Geschäftsleitung war er dort vor allem für die Beratung im Executive Consulting, Krisenmanagement sowie bei unternehmerischen Veränderungsprozessen verantwortlich.

Strategische Krisenprävention Sensibilisierungsmaßnahmen, Alarmstufen und das 4R-Modell: Ausgewählte Methoden zur nachhaltigen Vorbereitung auf den Ernstfall

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Tobias Müller und Sebastian Riedel

Zusammenfassung

In der Krisenkommunikation ist Zeit – gerade in der akuten Phase – der entscheidende Faktor. Das Dilemma: Gerade dann, wenn der Kommunikationsdruck am größten ist, sind gesicherte Informationen meistens Mangelware. Wer sich in dieser Situation noch mit grundlegenden internen Organisationsfragen beschäftigen muss, verliert kostbare Zeit – eine adäquate, zeitnahe Kommunikation an die Stakeholder ist so kaum zu schaffen. Um die Reputation wirkungsvoll und nachhaltig zu schützen und krisenhafte Situationen gut zu bewältigen, ist strategische Krisenprävention erforderlich. Dabei gilt: Die Krisenorganisation ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und gerade in global operierenden Unternehmen zeigt sich oftmals ein Gefälle der „Crisis Readiness“ zwischen der Zentrale und der regionalen Kommunikation. Dieser Beitrag gibt Kommunikatoren Methoden und Tools an die Hand, die bei der frühzeitigen, nachhaltigen und global wirksamen Vorbereitung auf den Ernstfall unterstützen. Es ist Aufgabe der Unternehmenskommunikation, für die Relevanz von Kommunikation zum Schutz der Reputation in einem Krisenfall zu sensibilisieren. Wichtig sind hierbei auch die Schnittstellen zu anderen Abteilungen, denn Silo-Denken verhindert erfolgreiche organisationsweite Krisenprävention und Krisenmanagement. Der Leser bekommt im Folgenden Methoden an die Hand, mithilfe derer übergreifend eine wirkungsvolle Sensibilisierung erfolgen kann und die es in

T. Müller (*)  Vorstand, Klenk & Hoursch AG, München, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Riedel  Senior Consultant, Klenk & Hoursch AG, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_15

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T. Müller und S. Riedel

der täglichen Arbeit erleichtern, fundierte Einschätzungen zu möglichen Issues oder Krisenfällen systematisch vorzunehmen und entsprechende Maßnahmen auf Basis eines vordefinierten Schemas abzuleiten. Mit dem 4R-Modell aus der Katastrophenforschung stellen die Autoren zudem eine Methode vor, die dabei hilft, den Satus quo der aktuellen Krisenorganisation systematisch zu bewerten und Optimierungsfelder zu identifizieren.

15.1 Auf den Krisenfall vorbereitet? „Wir sind für Krisen gewappnet.“, das sagen drei Viertel (76 %) der Vorstände und Aufsichtsräte, die von Deloitte in einer globalen Studie befragt wurden (Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2016, S. 9). Tatsache ist aber: Zwischen der Eigeneinschätzung und der tatsächlichen Einsatzbereitschaft klafft oftmals eine große Lücke – sowohl bei der operativen wie auch bei der kommunikativen Krisenprävention. Nicht einmal die Hälfte aller Unternehmen besitzt laut der Studie ein aktuelles Handbuch für Krisensituationen, weniger als vier von zehn Unternehmen haben Eskalationsstufen definiert, um im Tagesgeschäft kritische Situationen einschätzen zu können, und gerade einmal ein Drittel führt regelmäßig Krisensimulationen oder Trainings durch (Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2016, S. 9). Die letzten fünf bis zehn Jahre haben für Kommunikatoren viele Veränderungen mit sich gebracht. Neue Kanäle erlauben neue Kommunikationswege, die meisten Unternehmen sind auf diversen Social-Media-Kanälen vertreten und pflegen dort einen direkten Austausch mit Kunden, Fans und Mitarbeitern. Für die Krisenkommunikation ergeben sich daraus Herausforderungen, aber auch Chancen. Fakt ist: Die Kommunikation im Krisenfall ist alles in allem deutlich schneller geworden, Beiträge von Einzelpersonen können eine große Reichweite erlangen und die klassischen Gatekeeper von früher sind für die Verteilung einer Information weitestgehend überflüssig geworden. Vielmehr sehen die klassischen Medien in Social Media eine akzeptierte Quelle für ihre Berichterstattung. Das erhöht den Druck auf Unternehmen: Die Öffentlichkeit erwartet eine schnelle Reaktionsgeschwindigkeit und fordert Informationen vom Unternehmen ein. Der Transparenzdruck steigt, das Verlangen nach Aufklärung bricht nicht ab. Demgegenüber stehen aber auch Chancen, die die Digitalisierung für die Krisenkommunikation mitgebracht hat: Mit einem funktionierenden Monitoring können Issues sehr frühzeitig erkannt und dem Problem durch direkte Kommunikation mit den Stakeholdern effizient entgegengewirkt werden, sodass eine mögliche Krise im Keim erstickt wird. Über eigene Social-Media-Kanäle können im Krisenfall Informationen und Hintergründe verbreitet und komplexe Themen erklärt werden. Unsere tägliche Arbeit zeigt: Die Relevanz von Krisenprävention in der Unternehmenskommunikation wird von vielen Kommunikatoren durchaus verstanden und an diesem Punkt – so meinen wir – sind deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich sogar schon einen Schritt voraus. Wenn aber die Relevanz grundsätzlich

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nachvollzogen werden kann, woran hängt es dann, dass in der Praxis trotz der neuen Herausforderungen und Chancen die Investitionen in Form von Budget, Zeit und Ressourcen, zum Beispiel in die Überarbeitung eines verjährten Krisenhandbuchs oder in Trainings, noch immer gering sind? Zwei Punkte: Zum einen fehlt es in der Regel an einem gemeinsamen Verständnis, was genau unter Krise, also einer möglichen Bedrohung der Unternehmensreputation, zu verstehen ist. Das führt dazu, dass die Leistung von Krisenkommunikation in der Gesamtorganisation womöglich gar nicht verstanden und somit auch nicht als relevant angesehen wird. Zweitens ist in vielen Fällen der aktuelle Status quo in Sachen „Crisis Readiness“ unklar: Wie gut ist das Team aufgestellt und eingespielt, welche Prozesse sind etabliert, welche Tools können ad hoc eingesetzt werden? Das heißt: Wo sind Lücken, die zu füllen sind? Es ist also essenzielle Aufgabe der Unternehmenskommunikation, erstens intern für das Thema Krisenkommunikation und den damit verbundenen Schutz der Unternehmensreputation zu werben und die Kolleginnen und Kollegen entsprechend zu sensibilisieren – ganz allgemein und auch sehr praxisnah für mögliche Issues oder krisenhafte Vorfälle im Alltag. Und zweitens fortlaufend das Set-up zu optimieren und mögliche Lücken, die im Ernstfall zu Problemen führen, step-by-step zu schließen. Nachfolgend stellen wir für beide Punkte systematische Herangehensweisen vor.

15.2 Sensibilisierung führt zum einheitlichen Verständnis Eine Krise ist eine Ausnahmesituation, die die Gefahr in sich birgt, dass ein Unternehmen – sowie dessen Mitarbeiter, Einrichtungen, und letztlich seine Reputation – erheblichen Schaden erleiden. Im Kern geht es also um die Reputation eines Unternehmens. Und der Schutz dieser ist die zentrale Aufgabe der Krisenkommunikation, indem im Krisenfall vertrauensbildende Maßnahmen umgesetzt werden. Doch ein einheitliches Verständnis darüber, wann die Reputation eines Unternehmens ernsthaft in Gefahr ist und welche Maßnahmen im Ernstfall die richtigen sind, ist in vielen Fällen nicht vorhanden. Während für die einen bereits die Häufung negativer Posts auf Social Media Anzeichen einer Krise sind, sehen andere erst bei einem schweren Unfall die Reputation des Unternehmens in Gefahr. Die nachfolgenden zwei Methoden helfen dabei, diese Lücke zu schließen.

15.2.1 Reputationsrisiken erkennen und bewerten Mit einer einfachen Übung lässt sich die unterschiedliche Einschätzung hinsichtlich des Krisenpotenzials von Vorfällen herausarbeiten. Dabei sollte der Teilnehmerkreis bewusst über die Unternehmenskommunikation hinweg erweitert werden, unter anderem durch Kolleginnen oder Kollegen aus Bereichen wie IT, Human Resources, Produktion und Security. Bitten Sie die Teilnehmer, mögliche kritische Vorfälle – aus ihren jeweiligen Bereichen, aber auch ganz allgemein das Unternehmen betreffend – zu benennen und

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diese hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit sowie des Bedrohungspotenzials für die Reputation zu bewerten und in einer Matrix (s. Abb. 15.1) zu verorten. Bei der Einordnung geht es nicht um die absoluten Werte, sondern vielmehr darum, welche kritischen Vorfälle als eher wahrscheinlich bzw. eher potenziell reputationsschädigend eingestuft werden. Sie werden sehen: Von den verschiedenen Abteilungen werden unterschiedliche Szenarien und unterschiedliche Einschätzungen kommen. Meist werden Risiken, die die IT betreffen, unterschätzt, und Risiken, die die Produktion betreffen, überschätzt. Experten aus den beiden Bereichen sollten dann spezifisch Einblick geben und aufklären, welche Risiken sie für ihr Arbeitsumfeld sehen. Mögliches Mitarbeiterversagen wird regelmäßig nicht beachtet oder klein gehalten – man möchte den eigenen Kolleginnen und Kollegen beziehungsweise der Führungsebene keine Absichten unterstellen. Die Realität jedoch zeigt: Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist hier gar nicht mal so gering und je nach Vorfall kann der Reputationsschaden gewaltig sein. Bereiten Sie sich auf den Workshop vor, indem Sie Beispiele aus der Branche oder von vergleichbaren Unternehmen heranziehen, anhand derer klar wird, welche Auswirkungen einzelne Szenarien auf die Reputation haben können. Machen Sie so die Relevanz von Kommunikation klar. Das Ergebnis ist meist eine ausführliche Diskussion, die sehr fruchtbar sein kann. Die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen verstehen, was Kommunikatoren unter Schutz der Reputation meinen. Und Sie als Kommunikator lernen den Blick anderer Abteilungen auf Ihr Unternehmen kennen. Darüber

Abb. 15.1  Matrix zur Einordnung von Krisenszenarien

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hinaus haben Sie quasi nebenbei die zentralen Krisenszenarien bestimmt: alle diejenigen Fälle, die die Gruppe gemeinsam im Quadranten erhöhte Eintrittswahrscheinlichkeit und erhöhte Auswirkung (s. Abb. 15.1, rechts oben) auf die Reputation verordnet haben.

15.2.2 Issues und potenzielle Krisen im Alltag richtig einschätzen Neben der Sensibilisierung im Allgemeinen, muss auch eine Sensibilisierung Ihres Teams für die Arbeit im Alltag erfolgen. Kommunikatoren – ganz gleich, ob Pressesprecher, Social-Media-Manager oder im Customer Service aktiv – haben das Ohr am Puls der Zeit. Sie müssen darauf vorbereitet sein, mögliche Issues oder kritische Zwischenfälle rechtzeitig zu erkennen, richtig einzuschätzen und eine entsprechende Handlung abzuleiten. Die nachfolgenden Modelle – einen Algorithmus und ein Alarmstufen-Modell – fokussieren in ihrer Darstellung hier auf Social Media, lassen sich aber im Prinzip auf jeden beliebigen Kanal erweitern. Die Modelle bauen aufeinander auf und geben eine systematische Entscheidungshilfe. Für viele Social-Media-Manager sind kritische oder negative Kommentare im Social Web Alltag. Sie haben sich zwangsläufig eine dicke Haut angeeignet und können meist aus dem Bauch heraus gut einschätzen: Dieser Post stammt von einem Troll, der nur mal schnell seinen Unmut loswerden will und gleich wieder weiterzieht, oder von einer Person, die eine negative Erfahrung hatte und schnell eine Lösung braucht. Oder ob sich tatsächlich etwas „Großes“ zusammenbraut. Doch wer nicht tagtäglich mit der Community auf Tuchfühlung ist, kann ein solches Bauchgefühl nur schwer entwickeln. Und wenn die Frage aufkommt, warum so und nicht anders reagiert wurde, ist das Argument „Bauchgefühl“ nun mal nicht das Beste, weil individuell völlig unterschiedlich. Ein Algorithmus wie in Abb. 15.2 dargestellt, kann bei beiden Problemen helfen. Systematisch wird der Umgang mit negativen ­Beiträgen beurteilt. Negative Beiträge können – mit Blick auf die Ausgangslage des Verfassers – grob in vier Kategorien eingeteilt werden: Troll, Stänkerer, desinformierter und unzufriedener User. Je nach Zuteilung erfolgt eine unterschiedliche Reaktion. Der Algorithmus leitet den Social-Media-Manager durch die verschiedenen Optionen anhand einer einfachen Ja-Nein-Abfrage. Erfolgt eine Reaktion, sollte diese transparent, nachvollziehbar, rechtzeitig, freundlich und effektiv sein. Das heißt, dass die eigene Rolle offen gelegt wird, Quellen angegeben werden, die Antwort zügig erfolgt und in der Tonalität angemessen ist. Häufen sich negative Beiträge, dann empfiehlt es sich, sich auf Influencer oder bekannte Fans zu konzentrieren bzw. auf gleiche Fragen mit einer gebündelten Antwort zu reagieren. Der Algorithmus muss für jedes Unternehmen individuell angepasst werden. So haben sich einige Social-Media-Abteilungen dazu entschieden, Stänkerer und auch Trolle nicht zu ignorieren, sondern mitunter selbst ironisch darauf zu reagieren – selbst der aktuelle Facebook-Kanal der Bundesregierung lässt so manche User abrupt auflaufen.

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Abb. 15.2  Algorithmus zur Bewertung negativer Beiträge

Der Algorithmus unterstützt im Tagesgeschäft, zielt im Endeffekt aber auch darauf ab, mögliche Issues rechtzeitig zu identifizieren. Denn lässt sich ein Beitrag nicht in eine der Gruppen einordnen oder häufen sich Beiträge zu einem Thema, dann besteht die Gefahr, dass der negative Beitrag größere Wellen nach sich zieht. Zeit für die Alarmstufen-Analyse. Alarm- bzw. Eskalationsstufen helfen Über- oder Unterreaktionen zu vermeiden. Denn dort, wo keine verbindliche Einigkeit darüber besteht, wann weitere Stellen – Corporate Communications durch die Social-Media-Abteilung oder das Headquarter durch die regionale Kommunikation – zu informieren sind, können beide Extreme auftreten: Entweder wird jedes kleine Problem berichtet oder eine Information erfolgt erst dann, wenn die Eskalation zur großen Krise nicht mehr abzuwenden ist. Beide Fälle sind gefährlich für eine Krisenorganisation. Anhand der Alarmstufen erfolgt hingegen eine verbindliche Einordnung. Festgelegte Kriterien helfen bei der Entscheidung: Wer ist der Absender der Nachricht? Ein normaler User, ein Aktivist, ein Journalist, ein Politiker? Wie verbreitet sich der Beitrag? Nur gering mit einigen Likes oder wird der Beitrag bereits über Sprachbarrieren hinweg geteilt? Was ist der Inhalt des Beitrags? Handelt es sich um allgemeine Kritik oder geht es um ein konkretes Anliegen und werden Beweise angeführt? Auch die Alarmstufen sind für jedes Unternehmen individuell anzupassen – je nach vordefinierten Meldewegen. Beispielhaft wird hier ein Alarmstufenmodell mit drei Stufen vorgestellt (s. Abb. 15.3). In der ersten Stufe liegt zwar ein kritischer Beitrag vor, der über den Algorithmus nicht abgedeckt wird. Doch bei näherer Betrachtung (siehe ­Beispiel-Kriterien oben) zeigt sich: kein Anlass, Alarm zu schlagen. Der kritische Beitrag kann selbstständig

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Abb. 15.3  Eskalationsstufen-Modell: Meldewege und Reaktion ableiten

durch die Social-Media-Abteilung oder die regionale Kommunikation bearbeitet werden. In der zweiten Stufe sind die Vorzeichen etwas schlechter. Hier sollte eine Information und Rücksprache erfolgen. In der dritten Stufe ist klar: Es liegt eine Krise vor, weitere Stellen müssen dringend informiert und die Reaktion abgestimmt werden. Betrachtet man die Gesamtheit aller negativen Kommentare, dann kann der größte Teil anhand des Algorithmus (oder eben aus dem Bauch heraus) bearbeitet werden. Innerhalb des Anteils, bei dem es wirklich kritischer wird, stellen die Beiträge, die sich noch auf der ersten Stufe bewegen, die deutliche Mehrheit dar. Beiträge der zweiten bzw. dritten Stufe sind in der Regel selten bzw. äußerst selten. Besonders interessant sind natürlich die Grenzfälle, wenn die Faktenlage nicht ganz klar ist oder sich die Thematik vielleicht erst entwickelt. In Krisensimulationen können genau diese Grenzfälle sehr gut trainiert werden, um ein möglichst einheitliches ­Verständnis zu etablieren und für den Ernstfall besser vorbereitet zu sein.

15.3 Systematische Feststellung des Status quo Neben der Sensibilisierung für das Thema Krisenprävention ist die Feststellung des Status quo in Bezug auf Team Set-up, Prozesse und Tools ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, langfristig die Investitionen in die Krisenkommunikation zu erhöhen. Inwiefern eine Organisation auf mögliche Krisenfälle vorbereitet ist, lässt sich anhand

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der 4R-Methode gut erfassen. Das Modell stammt ursprünglich aus der Erforschung von Erdbeben. Michel Bruneau, Professor für Ingenieurwesen an der University of Buffalo und Direktor des US-amerikanischen Multidisciplinary Center for Earthquake Engineering Research (MCEER), und sein Kollege Andrei Reinhorn haben sich eingehend mit der seismischen Resilienz von Systemen beschäftigt. Ihr Fazit: Ein System ist nur dann standhaft gegen den plötzlichen Eintritt einer Störung, wenn die folgenden vier Eigenschaften ausgeprägt sind: Robustness, Redudancy, Resourcefullness, Rapidity. Die seismische Resilienz lässt sich, und das haben die Wissenschaftler auch nachgewiesen, sowohl für physische als auch für soziale Systeme und Organisationen entsprechend definieren (Bruneau und Reinhorn 2018, S. 4–5). Geht es also um eine Standortbestimmung, wie standhaft die eigene Organisation im Falle einer massiven Störung, also einer Krise ist, kann dies anhand des 4R-Modells erarbeitet werden (Tab. 15.1). Dabei sind die vier Eigenschaften auf die drei Parameter Team Set-up, Prozesse und Tools anzuwenden.

15.3.1 Robustness: Fähigkeit eines Systems, Belastungen standzuhalten Robustheit beschreibt die Stärke oder die Fähigkeit von Systemen, einem bestimmten Grad an Stress oder Nachfrage standzuhalten, ohne Beeinträchtigung oder Funktionsverlust zu erleiden. Mit Blick auf die Krisenkommunikation heißt das: Wie eingespielt ist das Team, Tab. 15.1  Anhand der 4R-Methode lässt sich der Status quo einer Krisenorganisation bestimmen Robustness

Redundancy

Resourcefullness

Team Set-up

Hat Ihr Team Erfahrung um Umgang mit Krisensituationen? Ist das Team gut genug aufgestellt?

Sind Vertretungsregeln klar? Können Personen mehrere Rollen erfüllen?

Welche Aufgaben Kennen die können ausgelagert Teammitglieder werden? Ihre Aufgabe? Wissen Sie, was die jeweiligen ersten Schritte sind?

Prozesse

Werden Ernstfälle regelmäßig trainiert, um mögliche Schwachstellen zu identifizieren?

Wurden für die verschiedenen KernSzenarien angepasste präventive Maßnahmen erstellt?

Sind die Prozesse auf die klare Lösung eines Problems ausgelegt?

Erlauben Ihre Prozesse eine rasche Erstreaktion?

Tools

Funktioniert Ihre IT? Haben alle ­Kolleginnen und Kollegen Zugriff, auch von außerhalb der ­Organisation?

Wurden Back-ups aller vorbereiteten Dokumente/Maßnahmen erstellt?

Ist ein systematisches (z. B. Erkennen von Stakeholdern) Monitoring möglich?

Sind Tools zur Alarmierung ­vorhanden?

Rapidity

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sind Prozesse etabliert und haben sich diese im Ernstfall bewiesen? Wurden in der Vergangenheit bereits gemeinsam kritische Situationen bearbeitet oder der Ernstfall in einem Stresstest trainiert? Oder wäre eine Krise für die meisten Beteiligten eine völlig neue Situation? Wie gut schätzen Sie Ihr Team – auch individuell – für einen solchen Fall vorbereitet? Und auch die Tools müssen belastbar sein: Haben im Krisenfall alle Kolleginnen und Kollegen Zugriff auf wichtige Dokumente? Auch von außerhalb der Organisation? Machen Sie sich bewusst, dass ein System in der Gesamtheit nur so stark ist, wie das schwächste Glied. Gerade bei globalen Unternehmen ist die Crisis Readiness im Headquarter meist gut, in den jeweiligen Regionen oder an einzelnen Produktionsstandorten wird die Krisenprävention jedoch oftmals nur stiefmütterlich behandelt.

15.3.2 Redundancy: Vorhandensein von alternativen Möglichkeiten zur Erfüllung kritischer Aufgaben Redundanz beschreibt das Vorhandensein von alternativen Möglichkeiten zu Erfüllung kritischer Aufgaben. Mit Blick auf die Krisenkommunikation heißt das: Haben Sie nicht nur einen Plan A, sondern auch einen Plan B! Dass eine Krise ausgerechnet an dem Tag kommt, an dem sie mit „voller Mannschaft“ zusammen sind, ist eher unwahrscheinlich. Sie müssen in der Regel also improvisieren, bis die Experten für einzelne Disziplinen einsatzbereit sind. Hier geht es insbesondere um die wichtigen ersten Stunden. Das betrifft Zugänge zu Monitoring-Systemen und Social-Media-Kanälen, es geht um die Pflege wichtiger Journalisten-Kontakte und darum, wer in den Krisenstab geht. Die Prozesse auf dem Papier sind in der Theorie vermutlich die beste Lösung, doch in der Praxis braucht es dann eben Alternativen. Daher ist es wichtig, für ihre vorab definierten Kern-Szenarien individuelle Prozesse festzulegen. Und dies gilt ebenso für die eingesetzten Tools: Eine gute Krisenprävention zeichnet sich auch dadurch aus, das Back-ups von den vorbereiteten Dokumenten und Maßnahmen erstellt werden, denn im Falle eines IT-Ausfalls sind zumindest „interne“ Plattformen erst einmal nicht zu erreichen und dort abgelegte Dokumente nicht verfügbar.

15.3.3 Resourcefullness: Kapazität eines Systems zur kreativen und angemessen Reaktion Ressourcen-Verfügbarkeit meint die Fähigkeit, Probleme zu identifizieren, Prioritäten festzulegen und entsprechend benötigte Ressourcen schnell zu mobilisieren. Mit Blick auf die Krisenkommunikation heißt das: Ist das Team groß genug, um mögliche Störfälle zu bewältigen? Denken Sie hier vor allem an Randstunden, Wochenenden und Feiertage. Und denken Sie über den Tellerrand hinaus: Was ist mit den Kommunikatoren in Niederlassungen oder Produktionsstandorten weltweit? Wie sind dort die Ressourcen aufgestellt? Haben Sie Aufgaben, die Sie ggf. auslagern können – an andere Abteilungen

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oder Agenturpartner? Sind Ihre Prozesse auf die rasche Lösung eines Problems ausgelegt? Oder basieren diese noch auf Traditionen oder politischen Verflechtungen? Wie werden Issues identifiziert und kategorisiert? Sind das Bauchentscheidungen? Haben Sie darüber hinaus Tools, um in Echtzeit zu verfolgen, wer mit welcher Verbreitung in ­welcher Tonalität über Ihr Unternehmen, Ihre Marke, Ihr Produkt spricht?

15.3.4 Rapidity: Rasche Reaktions- und Regenerationsfähigkeit im Krisenfall Schnelligkeit meint die Fähigkeit, zu priorisieren und Ziele rechtzeitig zu erreichen, um Verluste einzudämmen und künftige Störungen zu vermeiden. Die veränderten Vorzeichen, die die digitale Ära mit sich bringt, haben gerade zu Beginn einer Krise den Faktor Zeit immens verschärft. Informationen über Ereignisse verbreiten sich – da es Dank verfügbarer Übersetzungstools zum Beispiel kaum noch Sprachbarrieren gibt – in der Regel innerhalb kürzester Zeit rund um den Globus. Mit Blick auf die Krisenkommunikation heißt das: Wie schnell ist Ihr Team einsatzbereit? Kennen die Teammitglieder Ihre Aufgabe und wissen sie, welche ersten Maßnahmen nötig sind? Erlauben Ihre Prozesse eine rasche Erstreaktion zum Beispiel via Social Media oder verlieren Sie wertvolle Zeit, da jeder Satz mehrfach geprüft und mit dem zentralen Krisenstab abgestimmt werden muss? Haben Sie Tools, die die Prozesse beschleunigen, wie ein automatisiertes Monitoring, eine Alarmierung oder ein Telefonsystem?

15.4 Fazit und Ausblick „Wir sind für Krisen gewappnet.“ Wirklich? Die Digitalisierung und die gestiegenen Transparenzerwartungen vonseiten der Stakeholder führen zu einer größeren Notwendigkeit, sich aktiv mit möglichen Issues zu beschäftigen und sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Auch wenn Erfahrung und Bauchgefühl weiterhin großes Gewicht in der Krisenkommunikation haben, führt kein Weg daran vorbei, erstens intern dafür zu sensibilisieren, welchen Stellenwert Kommunikation bei der Krisenbewältigung hat und die Organisation für das Tagesgeschäft so aufzustellen, dass Issues frühzeitig erkannt werden und zweitens dem Krisenteam ein solides Gerüst (Team Set-up, Prozesse, Tools) an die Hand zu geben und entsprechend zu schulen. Dabei stehen Organisationen vor einigen Herausforderungen: Häufige personelle Veränderungen im Team können problematisch werden, denn das Krisen-Wissen und die Erfahrung brechen weg. Der Aufbau regionaler Kommunikationsstrukturen (z. B. regionale Social-Media-Kanäle) bedingt auch „Crisis Readiness“ auf regionaler oder lokaler Ebene. Helfen kann hier ein dezidiertes Onboarding-Programm für neue Kolleginnen und Kollegen mit Fokus auf die Krisenorganisation. In größeren Organisationen ist dies idealerweise web-basiert, um einfach und vergleichbar Strukturen aufzubauen und

15  Strategische Krisenprävention

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­ ynergien zu nutzen. Darüber hinaus ist es elementar wichtig, die handelnden Personen S regelmäßig zu schulen und das Krisen-Set-up auch außerhalb des Headquarters step-bystep weiter zu verbessern.

Literatur Bruneau, Michel, und Andrei Reinhorn. 2018. Overview of the resilience concept. Proceedings of the 8th U.S. National Conference on Earthquake Engineering. San Francisco, California, USA (Paper No. 2040). https://www.eng.buffalo.edu/~bruneau/8NCEE-Bruneau%20Reinhorn%20 Resilience.pdf. Zugegriffen: 10. Nov. 2018. Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Hrsg. 2016. Crisis management – A crisis of confidence. Krisenmanagement-Studie 2016 in Unternehmen. https://www2.deloitte.com/de/de/ pages/risk/articles/crisis-management-a-crisis-in-confidence.html#. Zugegriffen: 10. Nov. 2018.

Tobias Müller  ist Vorstand der Klenk & Hoursch AG und leitet das Münchner Büro. Innerhalb von PROI, dem weltweit größten Netzwerk unabhängiger PR- und Marketingagenturen, leitet er die internationale Crisis and Issue Management Group.

Sebastian Riedel ist Senior Consultant bei Klenk & Hoursch in Frankfurt und hält regelmäßig Vorträge über Medienarbeit und Krisenkommunikation im digitalen Zeitalter, unter anderem am Mediencampus Dieburg, der Schule für Kommunikation und Management sowie an der Deutschen Presse Akademie in Berlin. Tobias Müller und Sebastian Riedel beraten Kunden aus DAX-30, Fortune-500 und dem Mittelstand. Im Bereich Krisenprävention unterstützen sie Unternehmen beim Aufbau globaler Krisenorganisationen, führen in diesem Zusammenhang regelmäßig Audits durch und trainieren Krisenteams mit dem mehrfach ausgezeichneten 360° Stresstest.

Der Nutzen von Medientrainings für Krisenmanagement und Kommunikation

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Mit gemeinsamer Vorbereitung Teamwork fördern, Akzeptanz für einen frühen Stakeholder-Dialog schaffen und das Risiko von Vertrauenskrisen minimieren Bernhard Messer

Zusammenfassung

Krisenmanagement und Kommunikation bilden das Yin und Yang der Krisenbewältigung. Hier der zur Objektivität verpflichtete Blick auf die Fakten, dort die emotionale Welt der Wahrnehmung und enttäuschten Erwartungen. Wenn es darum geht, eine Vertrauenskrise abzuwenden oder den Reputationsverlust zu minimieren, ist es wichtig, die Kommunikation als strategische Querschnittsaufgabe in das Krisenmanagement zu integrieren und dieses Zusammenspiel zu trainieren. Die Stakeholder erwarten, dass ein verursachendes Unternehmen sofort ansprechbar ist und ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt. Das Unternehmen muss die organisatorische Voraussetzung für eine zügige Kommunikation mit den Stakeholdern schaffen und – je nach Situation – Verantwortung zeigen. Dazu ist es notwendig, Führungskräfte frühzeitig vorzubereiten. Nur so können sie im Ernstfall ihr Unternehmen glaubwürdig und kompetent öffentlich vertreten. Den Sicherheitsfaktor bildet dabei die Betreuung durch die Unternehmenskommunikation. Medientrainings bereiten auf diese Aufgaben vor. Geübt wird auf der Grundlage von Krisenszenarien, die die kommunikativen Herausforderungen des Geschehens schildern. Realitätsnah sind sie, wenn sie die Wahrnehmung von Stakeholdern, ihre Emotionen und Spekulationen transportieren. Dieser Beitrag plädiert dafür, Medientrainings für Unternehmenslenker, Krisenmanager und Krisenkommunikatoren zu nutzen, um das Teamwork zwischen den Teilnehmern zu fördern und zu vertiefen. Sie bieten die Möglichkeit, die Kommunikationsmechanismen zu verstehen und den professionellen Angang der Szenarien zu trainieren. Am anonymisierten Beispiel eines realen Falles wird geschildert,

B. Messer (*)  Dialog – Medientraining, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_16

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welche typischen Fehler unterlaufen, wenn man die emotionale Seite einer Krise unterschätzt und wie man die Reaktionen der Stakeholder antizipieren kann, um das Risikopotenzial einer Situation verlässlich zu bewerten. Deutlich wird, dass nicht die Menge der Fakten die Qualität der Kommunikation bestimmt, sondern wie über die Definition von Botschaften eine konsistente Außenwahrnehmung erzielt werden kann.

16.1 Szenario: „Ausgetrickst“ Bingo – aus journalistischer Sicht hat’s funktioniert. Nach einem Schadstoffaustritt in der Nacht hat der Werkleiter zu dem Störfall in seinem Betrieb ein unfreiwilliges Exklusivinterview am Telefon gegeben. „Breaking News – Giftgasaustritt in einer deutschen Großstadt“, lautet der Titel. Bei den News im Szenario „Ausgetrickst“ geht es nicht etwa um eine aktuelle Programm-Unterbrechung bei ARD, ZDF oder RTL, sondern um ein Telefonat, eingestellt auf YouTube. Als das Interview mit dem Werkleiter stattfindet, ist das veröffentlichte Meinungsspektrum breit gefächert. Einige lokale Medien berichten, dass die Feuerwehr in der Nacht Bürgerbeschwerden nachgegangen sei und bei Messungen keine erhöhten Schadstoffwerte festgestellt worden wären. Dennoch stehen die Behörden massiv unter Druck. Unter dem Titel „Das Vertrauen der Bevölkerung ist vergiftet worden“, hat FOCUS Online einen Kommentar der örtlichen Boulevardzeitung übernommen. Der bringt die Story auf folgenden Punkt: „Es ist wie in der früheren UdSSR oder der DDR: Es passiert eine Katastrophe – und die Verursacher behalten es für sich und die Behörden vertrauen den Verursachern.“ Wer zum Fall Giftgasaustritt auf YouTube jetzt eine reißerisch aufgemachte Skandal-Berichterstattung erwartet hat, ist beim ersten Eindruck enttäuscht. Gut zehn Minuten unterhalten sich im besagten Interview zwei Herren über einen Riss in einer Leitung und den Austritt einer giftigen Chemikalie. Die Aufzeichnung des Telefonats beginnt mitten im Gespräch. Der Anrufer hat beim betroffenen Unternehmen durchgeklingelt, um zu erfahren, was denn da am späten Vorabend passiert sei. Er beschreibt, dass er als Nachbar fauligen Geruch wahrgenommen habe und seitdem unter Hustenreiz und Kopfschmerzen leide. Erst im Verlauf der Unterhaltung wird klar, dass der Nachbar journalistische Fragen stellt, um die Fakten des Hergangs zu rekonstruieren. Wer hat wann welche Maßnahme ergriffen? Der Anwohner vermutet jovial, dass das Unternehmen die Stadt ja wohl informiert habe, gibt sich aber irritiert, dass die Behörden die Bürger nicht gewarnt hätten. „Ja“, ergänzt der Herr aus dem Unternehmen, „wir mussten uns erst einmal um den Schaden kümmern. Unser Fax ist gegen Mitternacht rausgegangen. Da ist wohl bei der Stadt etwas schiefgelaufen.“ Sechs Minuten dauert das Telefongespräch bereits, da fragt der vermeintliche Nachbar: „Und Sie sind wer? Sind Sie der Werkleiter dieser Anlage?“ Als der Herr aus dem Unternehmen dies bestätigt, folgt die Frage: „Und haben Sie auch einen Namen?“ Jetzt, wo die Zuhörer wissen, dass sie gerade Informationen aus erster Hand bekommen, wird der Werkleiter um weitere Details gebeten: „Wie viele Liter sind denn so ausgetreten?“ „Ein paar hundert“,

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a­ ntwortet er. „Das ist ja natürlich schon eine ganze Menge“, stellt der verblüffte Anrufer fest. Und diese Mengenangabe bildet nicht die einzige Exklusivinformation! Beim beschriebenen Interview handelt sich um eine typische Situation im Umgang mit Medien. In Krisensituationen muss man vorbereitet sein, wenn Schlagzeilen in Richtung Skandal treiben und die Jagd nach den Schuldigen eröffnet ist.

16.2 Krise: Eine Frage der Perspektive Das Szenario „Ausgetrickst“ zeigt: Krise ist eine Frage der Perspektive. Es ist nicht unüblich, dass Teilnehmer in Medientrainings entsprechend dem Werkleiter argumentieren, es sei erst einmal wichtig, das Ereignis in den Griff zu bekommen. Sie haben trainiert, Menschenleben zu retten, Brände zu löschen und vieles mehr. Wer Krise über „Schäden an Schutzgütern“ definiert, ist im Universum der Fakten sozialisiert. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz zum Beispiel beschreibt eine Krise wie folgt (BBK 2018): u „Eine Krise ist eine vom Normalzustand abweichende Situation mit dem Potenzial für oder mit bereits eingetretenen Schäden an Schutzgütern, die mit der normalen Ablaufund Aufbauorganisation nicht mehr bewältigt werden kann, so dass eine besondere Aufbauorganisation (BAO) erforderlich ist (…) Schäden sind negativ bewertete Auswirkung eines Ereignisses auf ein Schutzgut (…) Ein Schutzgut ist alles, was aufgrund seines ideellen oder materiellen Wertes vor Schaden bewahrt werden soll (…)“ Aus der Perspektive des Werkleiters ist die Krise zum Zeitpunkt des Telefonats weitgehend beendet. Grundlage des Handelns der Krisenmanager ist die Regelkreis-Methodik: Fakten -> Handlungsoptionen -> Risiken -> Entscheidung -> Umsetzung -> Erfolgskontrolle (s. Kap. 4). Die Aussagen des Werkleiters klingen, als ob der Einsatz den Umständen entsprechend nicht schlecht gelaufen sei: Mitarbeiter im Werk sind nicht verletzt. Die Anlage ist abgeschaltet. Nach dem Riss in einem Rohr haben die Sicherheitseinrichtungen funktioniert und am Anfang der nächsten Woche beginnen die Untersuchungen darüber, wie es zu dem Riss im Rohr und dem Schadstoffaustritt kommen konnte. Anders stellt sich die Lage aus Sicht der Unternehmenskommunikation dar. Ihre Aufgabe es ist, einen Vertrauensschaden zu vermeiden. Unter diesem Aspekt hat das Telefonat die Dimension des Desasters transparent gemacht und der Werkleiter hat mit folgenden Aussagen die Krise verschärft: • Er stellte die späte Behördeninformation als „üblich“ dar: „Zwei Stunden nach Ereignisbeginn“. • Er gab interne Informationen preis: „Mehrere hundert Kilo Schadstoff freigesetzt“. • Er schob der Stadt den Schwarzen Peter zu: „Stadt hat wohl Fehler gemacht“.

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Das Unternehmen sitzt kommunikativ zwischen allen Stühlen. Die Bürger sind entsetzt, weil sie nicht wussten, dass der Gestank in der Nacht durch eine gefährliche Chemikalie ausgelöst wurde. Dadurch gerät die Feuerwehr unter Druck, denn die Anwohner fühlen sich mit ihren Notrufen nicht ernst genommen. Sie erwarten, dass die Feuerwehr die Ursache herausfindet, auch wenn ein Unternehmen in ihrer Nachbarschaft einen Störfall verschweigt. Zusätzlich zu dem organisatorischen Defizit kommt das persönliche: Der Werkleiter erkennt nicht, dass er zehn Minuten lang von einem Journalisten ausgefragt wird! Zudem hat das verunglückte Interview jetzt im Internet nicht nur ein langes Leben, sondern auch viele Leben. In der YouTube-Kanal-Kommentarleiste zum besagten Telefonat grüßt „Info Weltgeschehen Radio Sendung“ aus dem Wendland. Der Kommentar informiert darüber, dass der Channel „Wahrheitsbewegung“ die Datei hochgeladen hat und neuntausend andere es ihm unter anderen Namen gleichgetan haben. So trifft das Unternehmen plötzlich auf Esoteriker, Widerstandsbewegte und Verschwörungstheoretiker. Diese Stakeholder zählen grundsätzlich nicht und schon gar nicht in der Krise zu den „ersten Adressen“ der Unternehmenskommunikation. Die Unternehmensleitung wird die kommunikative Bredouille mit Sicherheit ebenfalls erkennen: Es lässt sich unschwer ausmalen, dass solche Situationen auch persönliche Konsequenzen nach sich ziehen.

16.3 Schmerzhafte Erfahrungen im Umgang mit Journalisten Wurde der Werkleiter ausgetrickst? Ist das eigentlich erlaubt, heimlich Telefonate aufzunehmen? Müssen wir uns denn alles von Medien gefallen lassen? So oder so ähnlich lauten die Fragen von Geschäftsführern und Krisenverantwortlichen in Medientrainings. Die Fragen liegen nah, aber sie gehen in die falsche Richtung. Über Beispiele wie dem obigen erleben Teilnehmer, dass es sich um typische Eskalationsmuster handelt, wenn nach Ansicht der Anwohner und Behörden zu spät informiert wurde. Man muss darauf vorbereitet sein, dass Journalisten hart recherchieren. Sie sind weder Freunde noch Feinde, sie machen ihren Job. Das Ergebnis muss nicht zwingend die Skandal-Story sein. Die Erfahrungen zeigen, dass eine zügige Kommunikation im Ereignisfall zu einer fairen Berichterstattung führt, vorausgesetzt die Fakten stimmen, es gibt keine Widersprüche und die Firma ist dialogbereit. Wenn Unternehmen dagegen den Eindruck erwecken, dass sie Informationen zurückhalten, führt dies oft zu schmerzhaften Krisenerfahrungen. Journalistische Profis wissen, wie sie die Mauer des Schweigens überwinden können. Ihre Möglichkeiten sind ­vielfältig: 1. Überfallinterviews und verdeckte Recherche gehören zum üblichen Instrumentarium von Journalisten. Es ist ihr Job, nach Informationen für eine möglichst spannende Story zu suchen. Das ist nicht neu, aber über die digitalen Medien ist das Nachrichtengeschäft schneller, emotionaler und härter geworden.

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2. Gerade bei kritischen Themen tauchen Medienvertreter dort auf, wo man nicht damit rechnet. Mal findet die unglückliche Begegnung am Telefon statt, mal ist es ein wissenschaftlicher Kongress oder eine Festveranstaltung. In solchen Situationen sind diejenigen im Vorteil, die wissen, wie man Fragen ruhig und bestimmt abblockt und an die Pressestelle verweist. 3. Journalisten suchen nicht nur das Gespräch mit Unternehmenslenkern oder denen, die offiziell als Verantwortliche oder Experten vorgesehen sind. Es kann jeden treffen, und wer sich dann den Medien gegenüber äußert, gilt als das „Gesicht des Unternehmens“. Unternehmen sollten also nicht nur diejenigen trainieren, die die „Lizenz zum Reden“ haben. Die Zielgruppe für Medientrainings umfasst auch diejenigen, die sich öffentlich nicht äußern sollen oder dürfen. 4. Ein Interview ist nicht immer das, was man dafür hält. Wer sich darauf verlässt, dass ein Interview erst dann beginnt, wenn eine Kamera eingeschaltet wird, kann übel überrascht werden. Ein Grinsen, ein flapsiger Kommentar vor dem offiziellen Interview oder eine vertrauliche Bemerkung im Anschluss können die gesamte Vorbereitung zunichtemachen. 5. Journalisten wissen, wie man Menschen zum Reden bringt. Man sollte nicht davon ausgehen, dass ein angenehmes Gespräch zu einem positiven Beitrag führt. 6. Spekulationen sind häufig spannender als die Fakten. Dazu zählt die Schuldfrage oder die Diskussion, ob das Unglück hätte verhindert werden können. Besonders unangenehm wird es, wenn man von moralischen Fragen überrascht wird: „Machen Sie sich eigentlich persönlich Vorwürfe?“ 7. Wer sich nach langen Interviews beschwert, dass der Sinn entstellt wurde, weil nur kurze Sequenzen gesendet oder gepostet wurden, erfährt häufig das Risiko langer Interviews auf die harte Tour. Dabei ist es völlig normal, dass ein Interview von zehn Minuten Dauer auf einen Originalton von wenigen Sekunden geschnitten wird. Man ist dann auf die Fairness des Journalisten angewiesen. 8. Wer Wissenslücken zeigt, provoziert Nachfragen. Doch wer kann sich schon alles merken, zumal die Komplexität doch eines der Wesensmerkmale von Krisen ist. Es gilt, trainiert zu sein, um souverän mit Wissenslücken umgehen zu können. Wer mit ihnen umgehen kann, verkürzt seine Vorbereitungszeit erheblich und beschleunigt gleichzeitig die Kommunikation nach draußen. Schließlich geht Schnelligkeit vor Vollständigkeit.

16.4 Das Medientraining 16.4.1 Typische Situationen und typische Fehler Egal, ob es sich im jeweiligen Krisenszenario um Werkschließungen, Todesfälle durch verseuchtes Kantinenessen, Krankenhausschließungen nach Hackerangriffen oder Umweltvergehen handelt – wenn man die Überfallsituation in Medientrainings simuliert,

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reagieren die Neulinge unter den Teilnehmern ähnlich wie der Werkleiter im einleitend beschriebenen Telefonat. Selbst wenn offensichtlich ist, dass es sich um einen Journalisten mit Mikrofon und Kamera handelt, der ihnen plötzlich Fragen stellt, antworten die meisten konstruktiv, bis das Interview zu Ende ist. Anschließend, bei der Analyse der Auftaktübung, lautet die Frage der Teilnehmer meistens: „Was hätten wir denn tun sollen?“ Bei Inhouse-Trainings, die gemeinsam mit bereits vorab trainierten Pressesprechern stattfinden, beginnt über die sich anschließende Diskussion das Teambuilding von Managern, Krisenmanagement- und Krisenkommunikations-Verantwortlichen. Sie alle erfahren, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, Journalisten zu bitten, sich an die Pressestelle zu wenden. Ist, wie in unserem Beispiel, die Vorbereitungszeit für ein Interview zu knapp, bietet sich eine kurze Stellungnahme oder der Verweis auf die Presseinformation an. Die spontane Antwort des Werkleiters war dagegen eine strategische Entscheidung, deren Risiko und Chancen man besser vorher mit der Unternehmenskommunikation abgewogen hätte. Das geübte Zusammenspiel von Management und Kommunikation ist unabdingbar für nahezu alle Unternehmen, um die eigenen Leute und das Unternehmen zu schützen. Mithilfe von Medientrainings werden die Entscheidungsprozesse der Unternehmenskommunikation transparent: Nach welchen Kriterien wird das journalistische Anliegen abgefragt, wie werden Fakten geklärt, Chancen und Risiken bewertet und Maßnahmen abgeleitet?

16.4.2 Zielgruppen und Ziele von Medientrainings Bei Medientrainings geht es nicht darum, Leute zu erschrecken. Die Kombination von fiktiven Krisensituationen und realer Interaktion mit Journalisten (Trainern) bietet die Möglichkeit, individuelle Fähigkeiten sowie Teamwork und Prozessabläufe unter dosiertem emotionalem Druck zu trainieren. Im Folgenden werden ausgewählte Zielgruppen und ihre jeweiligen Ziele im Rahmen von Medientrainings beschrieben: Zielgruppen und Trainingsziele:

1. Mitglieder des Krisenstabs – Müssen wissen, wie die Medien und Journalisten ticken. – Sollen verstehen, warum sie schnell verbindliche Sprachregelungen benötigen. – Müssen die Kriterien kennen, um Presseinformationen zügig zu autorisieren. – Sollen akzeptieren, dass sich nicht alle Fehler in der Berichterstattung richtigstellen lassen. – Sollen den gesamten Prozess erleben und erfahren, unter welchem Druck diejenigen stehen, die vor die Kameras müssen.

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2. Die Gesichter der Krise – Müssen trainiert sein, damit sie sich an die verabredeten Botschaften halten. – Müssen lernen, dass man nicht jede Frage detailliert beantworten muss. – Müssen wissen, wie sie mit Fragen umgehen, zu denen ihnen noch die Antworten fehlen. – Dürfen sich nicht zum Spekulieren verleiten lassen. – Müssen lernen, ihre Körpersprache im Griff zu behalten. – Sollen den Kommunikatoren Feedback geben, damit sie sie optimal unterstützen können. – Sollen verstehen, wann es sinnvoll ist, dass Verantwortliche vor die Medien treten sollen, damit darüber im Ernstfall keine Grundsatzdiskussionen mehr geführt werden müssen. 3. Pressesprecher – Sollen die Aufgaben und Prozesse verstanden haben und geübt sein. – Sollen die Abläufe im Team trainieren. – Müssen das Krisenpotenzial von Informationen zuverlässig erfassen und bewerten können (s. Kap. 15). – Müssen mit Journalisten sicher und verbindlich Absprachen treffen können. – Müssen wissen, welche Fragen sie stellen müssen, um die Lage zu verstehen. – Müssen Beratungskompetenz entwickeln. – Müssen sicher vor Medienvertretern und dem Krisenstab auftreten.

Gemeinsame Ziele Wenn man während und nach der Einsatzbewältigung vor die Medien treten muss, stehen Kontrolle und Risikominimierung im Vordergrund. Schließlich geht es darum, einen drohenden oder eingetretenen Vertrauensschaden zu minimieren. Einen wesentlichen Sicherheitsfaktor bildet das Teamwork. Wenn man in Medientrainings Interviews und Statements nicht isoliert übt, sondern als Prozess einschließlich der Vorbereitung versteht, wird transparent, wie Pressesprecher für verbindliche Rahmenbedingungen sorgen. Wie sie mit Redaktionen bzw. Journalisten das Anliegen klären, die Fragen eingrenzen und wie sie anschließend diejenigen coachen, die als Interviewpartner zur Verfügung stehen. Ziel ist es, für den Ernstfall Akzeptanz für eine gemeinsame Vorbereitung zu erzielen. Kern des Coachings ist die Fokussierung auf wenige Kernbotschaften für eine möglichst intensive Wirkung der Aussagen.

16.4.3 Die Szenarien Inszenierung von Risiken Szenarien in Medientrainings inszenieren Risiken, die in einem Unternehmen oder in einer Organisation eintreten könnten. Sie beschreiben die dynamische Entwicklung einer

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Lage, die in ihrem Verlauf zu Vertrauensschäden führen kann. Auf diese Weise sensibilisieren sie dafür, krisenhafte Entwicklungen zu vermeiden, frühzeitig zu erkennen und im Ernstfall möglichst schnell vor die Lage zu kommen. Es kann sich um allgemeine Risiken handeln, wie Gesundheitsschädigungen durch Produkte, kriminelles Pflegepersonal in Krankenhäusern, Korruptionsskandal, Umweltschäden, Misshandlungen in Altersheimen oder Kindergärten oder um geplante Vorhaben wie Standortschließungen oder umstrittene Bauvorhaben. Der Medienpart beschreibt typische Muster in der medialen Eskalation von krisenhaften Themen. Die Teilnehmer müssen die eingespielte Medienlage präzise erfassen, Risikopotenziale bewerten, frühzeitig Strategien entwickeln und geeignete Maßnahmen ergreifen. Das wesentliche Qualitätsmerkmal von Szenarien liegt in ihrer Realitätsnähe, denn sie verschlüsseln die Aufgaben, die die Teilnehmer erkennen und lösen müssen. Dadurch gewinnen die Teilnehmer Krisenerfahrung. Schwierigkeitsgrad der Szenarien US-Forscher Timothy Coombs hat eine Krisendefinition entwickelt, die sehr konkrete Eckpunkte für den „Bauplan“ von Szenarien enthält. Er stellte fest, dass zum Zeitpunkt einer Krise nur ein Teil ihres Ausmaßes bekannt ist (Coombs und Holladay 2012, S. 5). Ähnlich wie bei einem Eisberg habe man nicht das volle Bild. Das habe man erst, wenn die Dimension der „Wahrnehmung“ eines Ereignisses hinzugezogen würde und wenn geklärt wäre, welche Erwartungen von Interessengruppen enttäuscht wurden. Überträgt man diese Definition auf unser zu Beginn beschriebenes Unternehmen, so hat die Berichterstattung zu der Wahrnehmung geführt, das Unternehmen habe durch seine späte Information an die Behörden die öffentliche Gefahrenabwehr ausgehebelt. Die „Eisberg“-Definition des US-Forschers Timothy Coombs und ihre Bedeutung für Trainingsszenarien:

1. Man muss seine Stakeholder kennen. 2. Man muss ihre Erwartungen bzw. enttäuschte Erwartungen definieren. 3. Man muss die Wahrnehmung der Ereignisse analysieren. Wenn also Interessengruppen glauben, dass es eine Krise gibt, befindet sich das Unternehmen in einer Krise, es sei denn, es kann die Interessengruppen erfolgreich vom Gegenteil überzeugen.

Über diese drei Punkte lässt sich der Schwierigkeitsgrad der Szenarien an den Leistungsstand der Teilnehmer und an die Trainingsziele anpassen.

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Szenario „Ausgetrickst“: Stakeholder und ihre Erwartungen Wer sind in unserem beschriebenen Szenario die wesentlichen Stakeholder und welche Erwartungen haben sie? • Die Anwohner wollen sicher und gesund in ihrem Stadtteil leben. Es handelt sich um eine doppelte Erwartung an das Unternehmen: Sie erwarten eine sichere Produktion und im Ereignisfall eine schnelle, wahrheitsgemäße Information, damit sie sich schützen können. Sie erwarten Dialogbereitschaft, sie wollen Ansprechpartner im Unternehmen finden, wenn sie anrufen oder posten. Und sie erwarten, dass das Unternehmen Verantwortung übernimmt und diese zeigt, indem sich die Verantwortlichen äußern. • Die Feuerwehr steht unter einem hohen Erwartungsdruck. Die Menschen in der Stadt erwarten, dass die Einsatzkräfte sie umfassend schützen. Die Feuerwehr ist auf eine schnelle und korrekte Information vom Unternehmen angewiesen. Sie verfügt – je nach Kommune unterschiedlich – über eigene Informations- und Warnsysteme. Sie ist verärgert über ungerechtfertigte Kritik in der Berichterstattung und möglicherweise auch über das Unternehmen, das die Meinung vertreten hat, bei der Stadt sei etwas schiefgelaufen. Die Pressestelle der Feuerwehr hält Kontakt zu den Medien. (­Bundesministerium des Innern 2014). • Die Stadtverwaltung wurde zu spät informiert und konnte daher das Warnsystem Nina (Notfall- Informations- und Nachrichten-App des Bundes) nicht aktivieren. Sie muss ihre Feuerwehrabteilung gegen ungerechtfertigte Angriffe schützen und erwartet eine Entschuldigung des Unternehmens. Sie muss sicherstellen, dass das Unternehmen künftig sofort informiert. • Die Politik engagiert sich für die Anliegen und Sorgen der Bürger, klärt auf und sucht das Gespräch mit dem Unternehmen und mit der Stadtverwaltung. • Die Ärzte und Apotheker, als Experten für Gesundheit, wollen Bescheid wissen, damit sie Menschen bei Beschwerden helfen können. • Die Bürgerinitiativen und Nicht-Regierungsorganisationen suchen die Öffentlichkeit, um Missstände zu kritisieren. • Sensible Einrichtungen wie Kindergärten, Altersheime, Krankenhäuser oder Schulen erwarten besonderen Schutz und schnelle Information. • Die Medien (Journalisten, Blogger, YouTuber) haben für die Gestaltung der Trainingsszenarien eine Doppelfunktion: Sie sind wichtige Stakeholder und übernehmen den Part der Wahrnehmung. Sie bilden den Erlebniseffekt, sind extrem schnell in ihrer Information, aber nicht objektiv, sie spekulieren, suchen das Menschliche und Emotionale. Sie sind sehr gut vernetzt mit den wesentlichen Stakeholdern. Und vor allen Dingen: Sie suchen nicht die Detailtiefe, sondern ihre Story, das Besondere, das den Lesern, Usern, Zuschauern oder Zuhörern nahegeht. Sie triggern das Kopfkino und projizieren einen Mitmach-Krimi: Die Suche nach den Schuldigen.

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Learnings

• Die schnelle und korrekte Information untereinander ist ein Schlüsselkriterium. Alle Kommunikatoren benötigen zügig freigegebene Sprachregelungen, damit das Kommunikationsteam bei seinen Stakeholdern einen offenen und kompetenten Eindruck vermitteln kann. • Zusätzlich zu einer schnellen Information erwarten viele Stakeholder, dass das Unternehmen dialogbereit ist (Nachbarschaftstelefon, Social Media). • Das Unternehmen muss mit einer Stimme sprechen – nicht nur innerhalb der Organisation. Stakeholder wie die Stadt und die Feuerwehr, die dazu noch eigene Pressestellen haben, erwarten Updates bei Lageänderungen, um eine widerspruchsfreie Kommunikation zu gewährleisten. • Stakeholder erwarten, dass die Verantwortlichen (Geschäftsführer/Werkleiter) zur Verfügung stehen – für Interviews, Pressekonferenzen oder zum persönlichen Gespräch. Die persönlich glaubwürdige Formulierung von Verständnis und Anteilnahme gehört zum Pflichtprogramm der Vorbereitung (s. auch Kap. 7).

16.4.4 Fragen als Chance – Botschaften als Ziel Medientrainings verändern den Blick auf den Umgang mit Fragen. Wer glaubwürdig und überzeugend wirken will, darf sie nicht ignorieren. Aber das Ziel ist ein anderes. Ziel ist das Kommunizieren der eigenen Botschaft, egal ob man mit Journalisten Interviews führt, in einer Bürgerversammlung auftritt oder mit einem Menschen redet, der sich als Nachbar ausgibt. Die Frage bietet die Chance, die Botschaften zu kommunizieren. Es handelt sich um knappe Sätze, die sich bei den Zuhörern einprägen und Wirkung erzielen sollen. Sie bilden die Grundlage der Kommunikation mit allen Stakeholdern über alle Kanäle. Sie dienen als Navigationspunkte, um in Interviews und Gesprächen Kurs zu halten. Die Botschaften sollten kurz, verständlich, aktiv und positiv formuliert ein: • Kurz: Wer unter Stress steht, kann kurze Sätze einfacher behalten; sie sind auch besser zu verstehen. • Verständlich: Wer in der öffentlichen Kritik steht, überzeugt am wirksamsten auf dem Sprachniveau der Alltagssprache. Niemand würde nach Hause kommen und verkünden, es habe ein „Ereignis“ gegeben. • Aktiv: Passive Sprache verschleiert die Leistung. Wenn ein Leck abgedichtet wurde, merkt keiner, dass die Einsatzkräfte eine großartige Leistung vollbracht haben. • Positiv: Beim eingangs beschriebenen Stoffaustritt liegt die Frage nahe, ob es sich wirklich um eine Katastrophe gehandelt hat. „Nein – es ist keine Katastrophe“ führt in die Abgründe des Framings, ähnlich wie „kein Skandal“ „kein kriminelles Unternehmen“ (s. auch Kap. 19). Zum Standard der Vorbereitung auf die Kommunikation

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mit den Stakeholdern gehört die vereinbarte Sprachregelung zur Bewertung der Situation möglichst ohne negative Formulierungen (Beispiele: „schwieriger Einsatz“, „ernste Situation“, „schwerer Tag“). Ein häufiges Missverständnis liegt in der Verwechslung: Fakten sind keine Botschaften. Bei dem Satz „Wir sind gegen den Schaden versichert“, zucken Kommunikatoren, während viele Manager damit kein Problem haben. Die naheliegende Anschlussfrage würde lauten: „Und wenn Sie nicht versichert wären?“ Journalisten hören aus dem Satz, dass wahrscheinlich gerade die Existenz des Unternehmens gefährdet ist. Die weitere Recherche zur vermeintlichen Existenzkrise könnte ein Gespräch mit dem Betriebsrat sein. Eine wirksamere Botschaft könnte sein: „Wir stehen im Kontakt mit der Versicherung, damit unsere Nachbarn zügig Hilfe bekommen.“ Die Herleitung und Freigabe von Botschaften zählt zu den wichtigen Aufgaben an der Schnittstelle zwischen Krisenkommunikation und Krisenmanagement. Deshalb benötigen alle ein gemeinsames Verständnis über deren Wirkung. Als Herleitung für Botschaften bieten sich laut Brad Phillips folgende Kategorien an (Phillips 2013, S. 32): • Von den Fakten zum Ergebnis • Vom Problem zur Lösung • Von Interessen/Anliegen zur Aufforderung zum Handeln Die erarbeiteten Botschaften müssen im Einklang stehen mit den Aussagen von Behörden einschließlich der Feuerwehr. Wenn der Eindruck entsteht, dass das Unternehmen den Vorfall herunterspielt, ist die Glaubwürdigkeit in Gefahr.

16.4.5 Sicherer Umgang mit kritischen Fragen Was passiert, wenn man sich gute Botschaften erarbeitet hat, aber die Fragen in eine andere Richtung gehen? In kritischen Situationen sind kritische Fragen normal. Sie werden im Laufe der Zeit meist mehrmals gestellt, schließlich sind Journalisten nicht die einzigen Stakeholder. Deshalb ist es wichtig, bereits von Anfang an diese Fragen kontinuierlich festzuhalten und frühzeitig Antworten zu entwickeln. Dennoch kann es passieren, dass man sich „kalt erwischt“ fühlt. Auch das ist nicht untypisch, denn viele Fragen lassen sich in einem Ereignis-Frühstadium noch nicht beantworten und manche darf man nicht beantworten. „Keine Ahnung“, „weiß ich nicht“, „kann ich nicht sagen“ – spätestens jetzt würde bei Antworten dieser Machart Inkompetenz durchschimmern. Die positiv formulierten Alternativen lauten: „Das klären wir“, „darum kümmern wir uns“, „da sind wir dran“, „für eine abschließende Antwort ist es noch zu früh“, „dazu können wir etwas sagen, wenn wir mehr wissen“. Solche Sätze bilden nicht die komplette Antwort, sondern ihren Beginn. Ab jetzt besteht die Möglichkeit, die Brücke zu bilden zu einer der vorbereiteten

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Botschaften. Typische Formulierungen lauten: „Wichtig ist jetzt erst einmal …“, „es kommt jetzt darauf an …“, „wir konzentrieren uns jetzt auf …“. Viele vermeintlich kritische Fragen klingen spannend, sind aber eher einfach, weil man sie nicht beantworten muss oder darf. Das eigene Unternehmen und der eigene Verantwortungsbereich bilden das Themenfeld. Tabu sind Spekulationen und Schuldzuweisungen. „Ich möchte mich an den Spekulationen nicht beteiligen“, ist ein völlig korrekter Einstieg in eine Antwort, die im Anschluss ausreichend Platz für die eigene Story lässt.

16.5 Handlungsempfehlungen Die wachsende Bedeutung von Social Media führt zu höheren Anforderungen an die Schnelligkeit der Information und die emotionale Belastbarkeit von Organisationen. Deshalb ist es notwendig, das Teamwork zwischen Krisenmanagement und -kommunikation stetig zu intensivieren. Dabei ist die Kommunikation mehr als lediglich die Visitenkarte des Krisenmanagements. Sie ist ihr integraler Bestandteil (s. auch Kap. 5). Medientrainings sind ein geeigneter Weg, um Unternehmenslenker, Krisenmanager und Krisenkommunikatoren zu verbinden. Sie fördern zudem die Akzeptanz für einen frühen Stakeholder-Dialog und minimieren das unternehmerische Risiko einer Vertrauenskrise. Im Folgenden noch einmal die wesentlichen Empfehlungen in der Übersicht: • Stellen Sie sicher, dass die rechtlichen Vorgaben für die Behördeninformation verlässlich eingehalten werden. • Etablieren Sie die Kommunikation als strategische Querschnittsfunktion des Krisenmanagements. • Stellen Sie sicher, dass Ihr Unternehmen schnell dialogfähig ist, um mit den Stakeholdern offen, wahrheitsgemäß und widerspruchsfrei zu kommunizieren. • Legen Sie fest, welche Personen Ihres Unternehmens im Krisenfall wann mit wem kommunizieren sollen. • Identifizieren Sie, welche Personen in der Lage sein müssen. Interviewanfragen abzulehnen. • Pressesprecher müssen trainiert sein, damit sie ihre Beratungsfunktion ausüben können. • Definieren Sie Risiken, die bei ihrem Eintritt zu Vertrauensschäden führen können. • Listen Sie die wesentlichen Stakeholder auf. • Ordnen Sie zu, welche Erwartungen durch die Krise enttäuscht würden. • Bilden Sie Szenarien als Basis. • Sammeln Sie mögliche Fragen der Stakeholder. • Bereiten Sie Antworten vor. • Formulieren Sie mögliche Botschaften. • Legen Sie Sprachregelungen zur Bewertung des Ereignisses fest. • Trainieren Sie gemeinsam. • Üben Sie gemeinsam vor einem Medienauftritt.

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Literatur Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. 2018. BBK-Glossar. Ausgewählte zentrale Begriffe des Bevölkerungsschutzes. https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Praxis_Bevoelkerungsschutz/Glossar_2018.pdf?__ blob=publicationFile. Zugegriffen: 11. Jan. 2019. Bundesministerium des Innern, Hrsg. 2014. Leitfaden Krisenkommunikation. Unter Mitarbeit von Referat KM 1, Koordinierungszentrum Krisenmanagement, Fachliche Mitwirkung durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK und Referat II.6) Referat I.1. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bevoelkerungsschutz/leitfaden-krisenkommunikation.pdf;jsessionid=B3B79EFFC81AE5D158C3CC3BF810A8AB.2_cid295?__blob=publicationFile&v=4. Zugegriffen: 11. Jan. 2019. Coombs, W.T., und S.J. Holladay, Hrsg. 2012. The handbook of crisis communication. Chichester: Wiley-Blackwell (Handbooks in communication and media). Phillips, Brad. 2013. The media training bible. 101 things you absolutely, positively need to know before your next interview. Washington: SpeakGood Press.

Bernhard Messer ist Inhaber von DIALOG-Medientraining. Der ehemalige WDR-Redakteur trainiert seit 1991 Vorstände, Führungskräfte, Krisenmanager und Kommunikatoren internationaler Konzerne für den überzeugenden Auftritt vor Mikrofon und Kamera. Für das Kommunikationskonzept der Polizei bei politischen Großdemonstrationen erhielt er den deutschen PR Preis in Bronze. Bernhard Messer hat gemeinsam mit Jörg Brückner das Trainingskonzept für die Krisenkommunikation des Chemieparkbetreibers CURRENTA entwickelt. Zusammen mit Norbert Minwegen leitet er seit 2012 den Arbeitskreis Krisenkommunikation und Issues Management der Deutschen Public Relations Gesellschaft. © Haroc Marcard (https://fotostudioimklemensviertel.de)

Medienanwälte – wie man sie richtig einsetzt

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Zeitpunkte für die Hinzuziehung von Medienanwälten und wesentliche Grundkenntnisse des Medienrechts Ralf Höcker

Zusammenfassung

Keine Krise ohne Kommunikator, keine Krise ohne Anwalt – so zeigt es die Erfahrung. Darum könnte man meinen, die beiden wären „ganz dicke“. Doch angeblich verstehen sich Juristen und Kommunikatoren nicht. Es heißt, der eine plaudere zu viel und der andere sei ein ständiger Bedenkenträger und Blockierer. Doch wozu diese tiefen Gräben, wenn der Jurist doch bei unangenehmen Medienanfragen und kritischer Berichterstattung so hervorragend helfen kann? Ein kontinuierlicher Dialog der beiden, grundsätzlich bessere Kenntnisse der Medien-Rechtslage seitens des Kommunikators und mehr Rollenklarheit wären gut, dann würde der Medienanwalt schon bald und ganz selbstverständlich zur Kavallerie des Kommunikators gehören. Dieser Beitrag zeigt auf, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Angelegenheiten Medienanwälte nicht nur nützlich, sondern unverzichtbar sind. Nämlich dann, wenn rechtswidrige Äußerungen von Journalisten drohen oder schon veröffentlicht wurden. Das heißt übrigens nicht, dass Kritiker immer vor Gericht gezerrt werden sollten. Das Medienrecht eröffnet dem Kommunikator eine ganze Reihe von Eskalationsstufen. Angefangen bei der internen Beratung, die nach außen nicht erkennbar wird, bis hin zu Strafanzeigen gegen Redakteure. Dazwischen sind viele Stufen möglich. Der Autor vermittelt in diesem Beitrag wesentliche Grundkenntnisse des Medienrechts, die für Krisenkommunikatoren von Anfang an und in jeder Krise unverzichtbares Wissen darstellen. Sie lassen ihn nicht nur professioneller agieren, sondern ermöglichen ihm auch die Einschätzung, ob die Hinzuziehung eines Medienanwalts im ­konkreten Fall geboten ist.

R. Höcker (*)  Partnerschaftsgesellschaft, Höcker Rechtsanwälte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_17

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17.1 Einleitung Das Rechtsgebiet „Presserecht“ ist klein, aber „oho“. 2016 gab es zusammengenommen nur ca. 2700 neue Verfahren, in ganz Deutschland. Im Vergleich zu den über 5000 Verfahren, die es im gleichen Jahr allein am Arbeitsgericht der 240.000-Einwohner-Stadt Aachen gab, eine bescheidene Zahl. Doch in der Sache geht es für die meisten Mandanten um sehr viel: um den guten Ruf eines Menschen, eines Unternehmens, eines Verbandes, einer Partei oder einer Kommune. Zur Gegenseite gehören nicht selten Journalisten bzw. Verlagshäuser oder Sender, aber auch Blogger, Wettbewerber, NGOs, ehemalige Mitarbeiter, Behörden – oder jeder andere, der sich negativ über andere äußert. Beispiel

„Wir haben denen im Hintergrundgespräch alles gesagt, es steht aber nur das Negative drin.“, so ein Kommunikationschef. Dieses Zitat zeugt von fehlenden Kenntnissen der Rechtslage. Dabei muss man nicht meinen, dass sie nur den Kommunikatoren fehlen. Auch Journalisten und sogar Juristen sind im Gebiet Medienrecht häufig nicht versiert genug. Aber welche Grenzen und welche Freiräume haben Journalisten eigentlich? Und was bedeutet „Pressefreiheit“? Die Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz gilt nicht uneingeschränkt. Ihr stehen die Persönlichkeitsrechte derjenigen gegenüber, über die berichtet wird. Und auch diese Rechte sind grundgesetzlich geschützt. Sie stehen auf einer Stufe mit Art. 5 GG und begrenzen ihn. Der Satz „Das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit!“ beschreibt also keinen Skandal, sondern eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit: In jedes Grundrecht kann und muss eingegriffen werden, wenn es zu einer Kollision mit einem anderen Grundrecht kommt.

17.2 Grenzen der Pressefreiheit Presserechtler suchen in einem drohenden oder bereits erschienenen Bericht nur nach einem: nach Rechtswidrigem. Was muss der Betroffene nicht mehr dulden? Wann muss die Pressefreiheit seinen Rechten weichen? Als Kommunikator sollten Sie daher wissen, welche Äußerungen rechtswidrig sein könnten – ganz gleich, ob sie von einem Journalisten oder einer anderen Person ausgesprochen werden. Das Medienrecht hilft vor allem in folgenden Fällen: 1. Fehlende Anonymisierung eines Unternehmens oder seiner Mitarbeiter: In vielen Fällen gibt es einen Anspruch auf Anonymität. Den sollte man einfordern, wenn er besteht. 2. Unwahre Tatsachenbehauptungen: Falschbehauptungen muss und darf man nie dulden.

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3. Bewusst unvollständige Berichterstattung: Journalisten dürfen keine falschen Eindrücke erwecken, indem sie Fakten weglassen. Man kann sie zur Erwähnung von Fakten in einem Bericht zwingen. 4. Unzulässige Verdachtsberichterstattung: Wenn Medien über einen bloßen Verdacht berichten, müssen sie sehr strenge Regeln einhalten, die sie meist missachten. 5. Offenlegung von Betriebsgeheimnissen: Nicht alle Betriebsgeheimnisse, die Journalisten recherchieren, dürfen veröffentlicht werden. 6. Schmähkritik: Vor allem Blogger, Wettbewerber, Kunden und Mitarbeiter schlagen in ihrer Wortwahl mitunter über die Stränge. Das dürfen sie nicht. 7. Verletzung der Intim- oder Privatsphäre von Personen: Bei personalisierter Berichterstattung werden nicht selten Menschen persönlich angegriffen. Das müssen sie sich nicht gefallen lassen. 8. Verletzung des Rechts am eigenen Bild: Grundsätzlich darf jeder Mensch selbst bestimmen, ob er auf Fotos oder im TV erkennbar gezeigt wird. 9. Verletzung des Rechts am eigenen Wort: Bei Überfallinterviews werden nicht selten rechtswidrige Tonaufnahmen gemacht. 10. Urheberrechtsverstöße: Fotos, Videos oder Schaubilder, an denen man die Nutzungsrechte hat, dürfen Dritte nicht ohne Erlaubnis verwenden.

17.3 Wann braucht man einen Medienanwalt? Doch wann ist denn nun der richtige Zeitpunkt, um einen Medienanwalt hinzuzuziehen? Es gibt vier relevante Zeitpunkte, zu denen Kommunikatoren Medienanwälte einschalten sollten: • • • •

in ruhigen Zeiten in unruhigen Zeiten vor einer drohenden Berichterstattung in unruhigen Zeiten nach einer Berichterstattung nach unruhigen Zeiten

17.3.1 In ruhigen Zeiten Bereits vor einer Krise sollten Medienrechtler hinzugezogen werden. Schon bei der Erstellung des Krisenhandbuchs bzw. Krisenkommunikationshandbuchs sollten unter anderem folgende Fragen geklärt werden: • Welcher externe Medienanwalt wird im Krisenfall eingeschaltet? Die Rechtsabteilungen auch großer und krisenerfahrener Unternehmen haben praktisch keine Presserechtskompetenz. Das Presse- und Äußerungsrecht ist ein Exoten-Rechtsgebiet, für das es in Deutschland nur eine Handvoll Kanzleien aufseiten der Medien und

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aufseiten der Betroffenen gibt. Wenige Dutzend Betroffenenanwälte teilen sich den Markt. Ein unabhängig recherchiertes Ranking findet sich im JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien unter www.juve.de. • Wann und von wem wird der Medienanwalt eingeschaltet? Medienanwälte sollten so früh wie möglich eingeschaltet werden und es muss klar sein, ob von Geschäftsführung, Kommunikation oder Rechtsabteilung. Presserechtler bieten ihren Mandanten für eine Monatspauschale eine E-Mail-Adresse oder Handynummer an, unter der Mitarbeiter beliebig viele potenzielle Krisenfälle melden können. • Welche Risiken sollten frühzeitig mit dem Medienanwalt besprochen w ­ erden? Krisenhandbücher bzw. Krisenkommunikationshandbücher enthalten typische Unternehmensrisiken und passende Q&As. Es ist sinnvoll, die Risikoanalyse und die Antwortvorschläge mit dem Medienanwalt zu besprechen. Häufig wird dort nicht zwischen den rechtlichen Interessen des Unternehmens und denen seiner Mitarbeiter unterschieden. Das kann beiden schaden. Wenn etwa ruchbar wird, dass gegen einen Vorstand wegen Untreue ermittelt wird, richten sich Presseanfragen meist an beide – an das Unternehmen und den Vorstand. Meist antwortet aber nur das Unternehmen – und zwar ebenfalls für beide. Dem Vorstand wird dann unter voller Nennung seines Namens oder seiner Position das Vertrauen ausgesprochen und betont, dass man mit den Ermittlungsbehörden kooperiere. Leider bestätigt das Unternehmen damit zum ersten – als womöglich einzige zuverlässige Quelle – die Existenz eines Ermittlungsverfahrens und nimmt dem Vorstand zum zweiten auch noch seinen Anonymitätsanspruch. Presserechtler sprechen von Selbstöffnung. Stattdessen kann es sich z. B. anbieten, den Sprecher der Staatsanwaltschaft aufzufordern, die Persönlichkeitsrechte des Vorstands zu wahren und die Ermittlungen gegenüber der Presse nicht zu bestätigen. Gleichzeitig kann der Presserechtler für den Vorstand verlangen, dass dieser anonymisiert wird oder gar nicht über den Tatverdacht berichtet wird. Eine rechtzeitige Besprechung unternehmenstypischer Risiken bewirkt außerdem, dass der Medienanwalt im Ernstfall sofort im Thema ist. Er kann in Ruhe Dokumente sichten oder mit Personen sprechen, die für die Kritikabwehr von Bedeutung sein könnten. • Wer sollte wie für eine Krise geschult werden? Rechtsabteilung und Unternehmenskommunikation (ggf. auch Inhaber/Geschäftsführer) sollten nicht erst in der stressigen Krisensituation geschult werden. In einem halbtägigen Workshop lassen sich die wichtigsten Fakten vermitteln: Dazu gehören die unter Abschn. 17.2 genannten Rechtsverletzungen und die presserechtlichen Ansprüche auf Löschung, Unterlassung, Gegendarstellung, Widerruf, Auskunft, Schadensersatz und Geldentschädigung (Schmerzensgeld) sowie die Werkzeuge des Presserechtlers: Presserechtliches Informationsschreiben, Abmahnung, Einstweilige Verfügung, Klage, Strafanzeige und evtl. Presseratsbeschwerde. Die Ansprechpartner für Journalisten müssen lernen, dass jedes Gespräch mit einem Journalisten ein Interview ist, wenn es nicht ausdrücklich als vertrauliches Hintergrundgespräch vereinbart wird. Es ist wie im Krimi: Alles, was man sagt, kann gegen einen verwendet werden. Entscheidend ist auch die Schulung von Pförtnern, Empfangsmitarbeitern und Sicherheitspersonal.

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Was tun, wenn ein TV-Team auftaucht? Darf das Team drehen? Auf dem Firmengelände nicht, davor in der Regel schon. Welche Rechte haben die Mitarbeiter? Sie haben grundsätzlich einen Anonymitätsanspruch und sollten ihn nicht aufgeben, indem sie bereitwillig in die Kamera sprechen. Was sollten sie sagen und was nicht, um ihre Rechtsposition nicht zu verschlechtern? Sie sollten klarmachen, dass sie nicht gefilmt werden wollen. • Gibt es schon jetzt Maßnahmen seitens der Kommunikationsabteilung, die eine spätere Rechtsposition erschweren? CEOs oder andere Aushängeschilder eines Unternehmens, die sich medial positionieren, opfern dadurch ihre Persönlichkeitsrechte. Presserechtler sprechen von „Selbstöffnung“, wenn CEOs Homestorys machen, private Interviews geben oder über rote Teppiche spazieren. Wer sich mit Frau, Kindern und Golden Retriever im heimischen Garten als glücklicher Familienmensch inszeniert, kann sich nicht mehr auf seine Privatsphäre berufen, wenn er ein halbes Jahr später betrunken aus dem Bordell kommt und einen Hund überfährt. Stattdessen sollten CEOs oder auch Familienunternehmer das Internet nach privaten Informationen über sie durchsuchen und diese entfernen lassen. Einige sehr reiche Familien beauftragen eigens Kommunikatoren, die präventiv Kontakt zur Presse halten und diese auf eine zurückhaltende Berichterstattung über deren Privatsphäre einschwören. Familienunternehmer benennen mitunter ihre Firma um, wenn sie den Familiennamen enthielt, nur um mehr Privatsphäre zu haben. All dies sind Maßnahmen, die helfen, wenn es im Privaten einmal kriselt und die Medien neugierig werden. 

Tipp: Verzichten Sie auf die CEO-Positionierung.

17.3.2 In unruhigen Zeiten 

Es ist unprofessionell, den Medienanwalt in Krisenzeiten nicht einzubeziehen.

Handlungsmöglichkeiten vor einer drohenden Veröffentlichung Die Ausgangsbasis: Der Artikel ist noch nicht erschienen. Jeder Kommunikator kennt den Frust, wenn er im Hintergrundgespräch zwar alles erklärt hat, im Bericht aber nur die negativen Umstände erwähnt werden und das auch noch fehlerhaft. Sobald sich eine Krise abzeichnet, sollte eine presserechtliche Abwehrstrategie entwickelt werden. Der Verfasser hat hierzu ein System entwickelt. Die folgende Darstellung folgt weitgehend wörtlich der HÖCKER-Rufwächter-Methode® (siehe www.hoecker.eu). • Augenhöhe herstellen. Die presserechtlich erfahrenen Verlage und Sender wissen, welche Grenzen das Presserecht zieht. Das heißt nicht, dass sie die Grenzen auch einhalten. Sie werden aber vorsichtiger, wenn ihnen ein erfahrener Presserechtler auf Augenhöhe gegenübersteht.

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• Rollenverteilung klären. Journalisten haben nicht selten eine einseitige Vorstellung davon, wohin Informationen fließen sollten: nur zu ihnen. Bestenfalls betrachten sie den Betroffenen als Quelle, schlimmstenfalls als bloßen Lieferanten eines exklusiven Zitats, das der schon fertigen Geschichte noch den Anstrich individueller Recherche geben soll. Von öffentlich-rechtlichen Stellen abgesehen ist jedoch niemand zur Auskunft verpflichtet, d. h. ein Auskunftsanspruch besteht nur gegenüber Behörden, nicht aber gegenüber Unternehmen. Umgekehrt müssen die Journalisten Betroffene vorab über rufabträgliche Inhalte eines geplanten Berichts informieren. Sie müssen ihnen ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Diese journalistische Sorgfaltspflicht erfüllen Medien oft nur widerwillig und fast immer unvollständig. Ein erfahrener Presserechtler dreht das Frage- und Antwortverhältnis um: Er fordert eine ausführliche Konfrontation mit allen Vorwürfen, die im Bericht erhoben werden sollen. Er verlangt, dass die Journalisten ausreichend Zeit für die Beantwortung gewähren. Verletzen die Medien ihre Pflicht zur zeitlich und inhaltlich ordnungsgemäßen Anhörung, so kann die Berichterstattung schon aufgrund dieses Formfehlers rechtswidrig sein. Die Aufforderung zur Nachholung einer ordnungsgemäßen Konfrontation ist der rechtliche Anknüpfungspunkt, um mit den Journalisten ins Gespräch zu kommen. • Vorwürfe herausarbeiten und Informationen sammeln. Nun geht es ins Detail: Welche Vorwürfe stimmen, welche nicht? Welche Fakten entlasten den Betroffenen? Handelt es sich um geschützte Betriebsgeheimnisse? Wie ist die Presse an ihre Informationen gelangt? Lässt sich die Glaubwürdigkeit der Quelle erschüttern? Ist der Vorwurf wenig gravierend? Welche Personen sind zu unbedeutend, um identifizierbar gemacht zu werden? Wer hat die Urheberrechte am Bildmaterial? Welche Personen sind auf dem Bildmaterial? All dies ist zu klären, bevor die Vorwürfe kategorisiert werden. • Vorwürfe kategorisieren und abwehren. Vorwürfe lassen sich in der Regel in folgende Kategorien einordnen: – Die klassische „Ente“. Unwahre Behauptungen, die widerlegbar sind oder keine Indizienbasis haben, zum Beispiel: „Sie haben einer Supermarktkette eine Tonne abgelaufenes Gammelfleisch verkauft. Was sagen Sie dazu?“ Wenn dies definitiv falsch ist und es entweder Beweise für das Gegenteil gibt oder der falsche Vorwurf auf bloßen Gerüchten beruht, ist ein hartes Dementi meist die richtige Antwort. Wenn keine persönlichkeitsrechtlichen oder Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen, sollten etwaige Gegenbeweise vorgelegt werden. – Verdachtsberichterstattung. Unwahre oder wahre Verdachtsäußerungen auf der Basis von Indizien, zum Beispiel: „Sie sollen laut Anklage der Staatsanwaltschaft Kundengelder unterschlagen haben. Bitte nehmen Sie zu diesem Vorwurf Stellung.“ Wenn dieser Verdacht (egal, ob er tatsächlich zutrifft oder nicht) zwar auf gewissen Indizien beruht, aber bislang weder bewiesen noch widerlegt wurde, gelten strenge Regeln, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat: Es muss um einen Vorgang von gravierendem Gewicht gehen, für die Richtigkeit des Vorwurfs muss

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ein M ­ indestbestand an Beweistatsachen sprechen, die Darstellung darf nicht vorverurteilend sein, der Betroffene muss Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und diese muss auch berücksichtigt werden. Kaum ein Journalist hält alle diese Regeln ein. Tendenziöse Berichterstattung. Unvollständige Halbwahrheiten, zum Beispiel: „Als Versicherer haben Sie Ihrem Kunden Müller die Regulierung des Schadens verweigert. Können Sie das bestätigen?“ Wenn dies zwar stimmt, aber offenbar ohne Hinweis darauf berichtet werden soll, dass der Kunde selbst schuld ist, weil er ein angefordertes Gutachten immer noch nicht eingereicht hat, muss die Presse diesen Umstand in den Bericht aufnehmen, denn eine bewusst unvollständige Berichterstattung ist rechtswidrig. „Blindes-Huhn-Effekt“. Wahre Behauptungen als Zufallstreffer aufgrund bloßer Spekulation, zum Beispiel: „Der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmens wurde laut Pressemitteilung des Amtsgerichts gestern wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt. Handelt es sich dabei um Ihren CEO?“ Wenn dies zwar stimmt, der Journalist aber keine Ahnung hat, welches DAX-Unternehmen das richtige ist und er daher einfach alle befragt hat, sollte man der Presse die Bestätigung nicht liefern. Passender kann es sein, wenn das angeschriebene Unternehmen mitteilt, dass es sich zu Spekulationen ganz grundsätzlich nicht äußert. Der Anwalt des CEO kann sich gleichzeitig bei dem Journalisten melden, seinen Mandanten nicht namentlich verraten, auf dessen Anonymitätsanspruch bestehen, sich aber dennoch als Ansprechpartner für etwaige Fragen anbieten, um hierauf ggf. inhaltlich reagieren zu können. „Whistleblower“ und „Leaks“. Wahre Behauptungen, die Geschäftsgeheimnisse betreffen, zum Beispiel: „Uns wurde Ihr Strategiepapier zur feindlichen Übernahme Ihres größten Wettbewerbers zugespielt. Welche Auswirkungen hätte die erfolgreiche Umsetzung des Plans für Ihre Aktionäre?“ Wenn das Strategiepapier echt ist und höchster Geheimhaltung unterliegt, muss ein überwiegendes und berechtigtes öffentliches Informationsinteresse an dessen Inhalt bestehen, damit Medien darüber berichten dürfen. Schlüssellochjournalismus. Wahre Berichte, die die Privat- oder Intimsphäre von Mitarbeitern verletzen, zum Beispiel: „Auf diesem Foto sitzt Ihr stellvertretender Abteilungsleiter Meyer, der 140.000 EUR im Jahr verdient, mit Zwangsprostituierten in einem Bordellpool. Den Bordellbesuch hat Ihr Unternehmen als Bonusleistung spendiert. Wie kommentieren Sie das?“ Wenn dies zwar stimmt, der Abteilungsleiter aber seinen Namen, sein Sexualleben, sein Gehalt und sein Foto nicht in der Zeitung sehen möchte, sollte das Unternehmen dem Betroffenen einen Medienrechtler zur Seite stellen, der dessen Allgemeines Persönlichkeitsrecht schützt. Auf diese Weise lässt sich als Reflex auch die Reputation des Unternehmens schützen. Sauberer Investigativjournalismus. Unbestreitbar wahre Behauptungen, zum Beispiel: „Sie haben Mitarbeiter unter Verstoß gegen Arbeitssicherheitsvorschriften eingesetzt. Wie konnte es dazu kommen?“ Wenn dies nachweislich stimmt, sind

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R. Höcker

die presserechtlichen Instrumente beschränkt. Presserechtler können allenfalls unterstützen, indem sie einen „Deal“ vertraglich begleiten, nach dem die Presse exklusive Informationen enthält und sich zum Beispiel zu einer Anonymisierung des Betroffenen verpflichtet. Letzteres kann natürlich auch in jeder anderen der oben genannten Kategorien funktionieren. In allen Kategorien gilt es zu erreichen, dass die Presse rechtmäßig berichtet – also im günstigsten Fall gar nicht oder in abgeschwächter Form. Wie man dies umsetzt, ist eine Frage des Einzelfalls. Manchmal ist es sinnvoll, offen und zitierfähig mit den Journalisten zu sprechen. Manchmal hilft ein vertrauliches Hintergrundgespräch, dessen Inhalte im Bericht ganz oder teilweise nicht auftauchen dürfen. Fast immer sollte man den Journalisten mitteilen, welche Darstellungen man unter welchen Voraussetzungen für rechtswidrig hielte, sodass presserechtliche Sanktionen denkbar wären. Manchmal kann es aber auch sinnvoll sein, sie ins offene Messer laufen zu lassen, um anschließend rechtlich gegen die Veröffentlichung vorgehen zu können. Nicht selten ist eine Kombination aus all diesen Maßnahmen der richtige Weg. Handlungsmöglichkeiten nach einer erfolgten Veröffentlichung Ist ein Bericht erschienen, geht der Medienrechtler ihn Satz für Satz durch. Er prüft, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Wenn ja, können presserechtliche Ansprüche gegeben sein. Es ist individuell zu entscheiden, welche juristische Eskalationsstufe sinnvoll ist. Wichtig sind neben den Erfolgsaussichten auch Faktoren wie die Relevanz des Mediums, die Reaktionen der Öffentlichkeit oder die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Vorwurf noch einmal zum Gegenstand einer Berichterstattung zu machen. Gegendarstellungen zum Beispiel wärmen einen Vorwurf oft nur noch einmal auf, ohne ihn zu beseitigen. Löschungs- und Unterlassungsansprüche dagegen beseitigen den Vorwurf endgültig. 

Tipp: Monatsfrist für einstweilige Verfügung beachten.

Ganz wichtig: Gehen Sie nach einer möglicherweise rechtswidrigen Veröffentlichung sofort zum Medienanwalt, spätestens aber zwei Wochen nachdem der Betroffene von dem Bericht erfahren hat. Denn ab dann läuft eine Frist: Einen Monat nach der Veröffentlichung kann man bei Gericht in aller Regel keine einstweilige Verfügung mehr erhalten. Dann steht nur noch der lange und teure Klageweg offen.

17.3.3 Nach unruhigen Zeiten 

Das Internet vergisst nichts. Dieser Satz ist falsch!

Nach der Krise ist vor der Krise. Ist der Sturm vorübergezogen, gilt es, die Archive und das Internet aufzuräumen und sich für die nächste Krise zu wappnen. Nicht alle ­Veröffentlichungen lassen sich sofort beseitigen. Mitunter muss man einige Zeit ins

17  Medienanwälte – wie man sie richtig einsetzt

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Land ziehen lassen, bis ein „Recht auf Vergessen“ greift. Manchmal ändert sich auch irgendwann die Sach- und Rechtslage. Wenn lange nach der akuten Krise zum Beispiel Ermittlungsverfahren eingestellt oder Strafverfahren mit einem Freispruch beendet werden, können zuvor rechtmäßige Artikel plötzlich doch noch rechtswidrig werden. Sie müssen dann gelöscht oder wenigstens um den neuen Sachstand ergänzt werden. Dies gilt es im Auge zu behalten und den Medienanwalt „auf Wiedervorlage“ in ein oder zwei Jahren zu legen. Die „Aufräumarbeiten“ können also lange dauern. Und sie sollten auch zur Prävention genutzt werden. Wie das geht, steht in Abschn. 17.3.1.

17.4 Handlungsempfehlungen Folgendes sollten Krisenkommunikatoren in medienrechtlicher Hinsicht beachten: • Medienberichte und Äußerungen beliebiger sonstiger Dritter können rechtswidrig sein. • Schon vor einer Krise sollte man einen Anwalt für Presse- und Äußerungsrecht suchen, der die Betroffenenseite vertritt. • Es muss klar sein, wer den Medienanwalt im akuten Krisenfall einschaltet. • Medienrechtler sollten bei der Erstellung des Krisenhandbuchs mitwirken. • Frühzeitige medienrechtliche Schulungen für bestimmte Mitarbeitergruppen sind sehr sinnvoll. • Präventiv ist es das wichtigste Ziel, die möglichen Vorwürfe in einem Bericht herauszufinden und diese durch eine geschickte Kombination kommunikativer und rechtlicher Instrumente abzuwehren. • Reaktiv lassen sich rechtswidrige Stellen in Berichten angreifen und entfernen. Weitere rechtliche Sanktionen sind möglich. • Nach der Krise ist vor der Krise: Aufräumarbeiten können sich über Jahre hinziehen und parallel zur Prävention betrieben werden. Prof. Dr. Ralf Höcker LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner der Kölner Kanzlei HÖCKER, die sich auf den presserechtlichen Reputationsschutz in Krisenfällen spezialisiert hat. Höcker hat in Köln und London studiert und ist als einer der führenden deutschen Presserechtler ausschließlich aufseiten der betroffenen Unternehmen und Personen tätig. Er ist Professor für Deutsches und Internationales Medienrecht an der Cologne Business School, Autor zahlreicher juristischer Bestseller und hat als Moderator einer Verbrauchersendung des TV-Senders RTL sowie beim Debattenportal Vocer selbst journalistische Erfahrungen gesammelt.

© Valentina Kurscheid

Krise und Public Affairs Schadensbegrenzung durch politisch-gesellschaftliche Netzwerke

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Ekkehard Seegers

Zusammenfassung

Krisenzeiten in Unternehmen und anderen Institutionen sind insbesondere im Kommunikationsbereich von durchweg hektischer Aktivität geprägt. Traditionell steht die Medienarbeit im Vordergrund, was angesichts der Bedeutung sozialer und online Medien nur allzu verständlich ist. Aber auch Public Affairs Maßnahmen innerhalb belastbarer politischer und gesellschaftlicher Netzwerke können einen maßgeblichen Beitrag zur Schadensbegrenzung leisten. Dieser Beitrag gibt Antworten auf die Fragen, was Public Affairs sind, welche Bedeutung diese Disziplin in und vor Krisenzeiten hat und welche „Tretminen“ auf dem politischen und dem zivilgesellschaftlichen Parkett liegen. Der Autor benennt den relevantesten Erfolgsfaktor von Public Affairs, erörtert, wie Netzwerke aufgebaut, gepflegt und belastbar gestaltet werden können und beleuchtet, welche Besonderheiten und Erwartungen ausgewählte Stakeholder-Gruppen haben. Zudem gibt er Handlungsempfehlungen für Aktivitäten, die schon vor einer Krise erfolgen können, damit sie im Krisenfall greifen. Der Appell an Führungskräfte in Organisationen lautet: Überprüfen Sie Ihre Haltung gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen, beziehen Sie grundsätzlich Ihre kritischen Stakeholder in die eigenen Netzwerke ein und interagieren Sie auch mit diesen ­vertrauensvoll.

E. Seegers (*)  Seegers Public Affairs, Dormagen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_18

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E. Seegers

18.1 Einleitung In Krisenzeiten muss alles ganz schnell gehen: Ursachen analysieren, schnell auf unterschiedliche Anforderungen reagieren, Schaden minimieren. Und das alles unter großem Druck, wenn überall die Telefone klingeln und sich die Kamerateams die Klinke in die Hand geben. Da steht die Arbeit mit den Medien im Vordergrund. In solchen Situationen geraten auch schon einmal andere Stakeholder aus dem Blickfeld: etwa relevante Politiker und gesellschaftliche Multiplikatoren. Aber gerade diese Gruppen können helfen, schneller für Entspannung zu sorgen und den Schaden in Grenzen zu halten. Das setzt voraus, dass die Organisation vorab in den Aufbau und die Pflege belastbarer politischer und gesellschaftlicher Netzwerke investiert hat. Public Affairs, sofern sie auf einem vertrauensvollen Miteinander basieren, können aber noch mehr leisten: Sie sind im besten Fall auch ein „Frühwarnsystem“ für das Unternehmen: Mitglieder der genannten Netzwerke melden sich dann unaufgefordert, wenn sich in ihrem Bereich Entwicklungen abzeichnen, die in irgendeiner Weise Auswirkungen auf das Geschäft beziehungsweise die Aktivitäten des Unternehmens oder der Organisation haben könnten. Auf diese Weise gibt es einen Informationsvorsprung im Unternehmen, sodass sich die Verantwortlichen frühzeitig darauf einstellen und bereits im Vorfeld möglicher politischer Initiativen ihrerseits aktiv werden können.

18.2 Basiswissen Public Affairs Um die Relevanz von Public Affairs für Krisenkommunikation zu verdeutlichen, sind ein gemeinsames Verständnis und eine verbindliche Terminologie unabdingbar. In der Literatur existiert eine Reihe durchaus unterschiedlicher Definitionen, die jeweils spezielle Aspekte dieses Kommunikationsbereiches betonen. So versteht Marco Althaus Public Affairs als „das strategische Management von Entscheidungsprozessen an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ (Althaus 2005, S. 7). Peter Köppl hingegen schaut sehr stark aus der Lobby-Richtung auf den Begriff: „Public Affairs sind eine kritische Unternehmensfunktion mit der Aufgabe, das wirtschaftliche Klima eines Unternehmens durch die Beeinflussung von Regierungen, Behörden, Parteien, Meinungsbildners und der öffentlichen Meinung zu verbessern“ (Köppl 2017, S. XV). Beide Begriffsbestimmungen werden dem hier diskutierten Sachverhalt nur sehr eingeschränkt gerecht, daher gilt für diesen Beitrag folgende Definition: u Public Affairs „Public Affairs sind die spezifisch auf institutionalisierte Politik und gesellschaftliche Multiplikatoren hin gewendete Außenpolitik einer Organisation.“ Der allgemeine Begriff „Organisation“ soll dem Umstand Rechnung tragen, dass sich Krisen nicht nur in Unternehmen, sondern auch in anderen Institutionen ereignen können – etwa in Verbänden oder Verwaltungen.

18  Krise und Public Affairs

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Das Ziel aller Public Affairs Bemühungen lässt sich beschreiben als „Schaffung und Erhalt wettbewerbsfähiger politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Organisation unter Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und Regelungen“. Unter „wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen“ werden dabei nicht nur Gesetze und Regulierungen subsumiert, sondern auch – besonders relevant im Hinblick auf Krisen – die Akzeptanz der Organisation in ihrem politisch-gesellschaftlichen Umfeld. Um dieses Ziel zu erreichen, engagieren sich die Public Affairs-Verantwortlichen in vier Disziplinen: 1. Aufbau und Pflege von Netzwerken 2. Positionierung der Organisationen und ihrer Führungskräfte im politisch-gesellschaftlichen Raum 3. Interessenvertretung im politisch-ministerialen und -parlamentarischen Umfeld 4. Themen- und Akzeptanz-Management Alle vier genannten Disziplinen in extenso zu beleuchten, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Daher soll ausschließlich auf die erstgenannte Disziplin „Aufbau und Pflege von Netzwerken“ näher eingegangen werden. Diese hat für die Prävention einer Krise eine besondere Bedeutung. Die einzelnen Schritte zum Aufbau und zur Pflege eines derartigen Netzwerks werden in Abschn. 18.5 ausführlich erläutert. In Abschn. 18.3 steht zunächst die Relevanz der Public Affairs für die Krise im Mittelpunkt.

18.3 Vertrauenskapital für die Krise Wenn politisch-gesellschaftliche Netzwerke vor einer Krise geknüpft wurden und ernsthaft belastbar, d. h. von gegenseitigem Vertrauen getragen sind, können sich positive Effekte bei der Bewältigung einer Krise ergeben. Bestehendes Vertrauen („Vertrauenskapital“) ist in einer Krise wie ein Guthaben auf dem Bankkonto: In schlechten Zeiten kann man davon zehren. Die Stakeholder aus einem validen Netzwerk werden auch in Krisenzeiten zu der Organisation stehen – ihr im besten Fall sogar den Rücken stärken. Als Beispiel sei hier der bereits fast zwei Jahrzehnte zurück liegende Schiffsbrand vor den Toren der damaligen EC Erdölchemie GmbH in Köln genannt: Nachdem sich die damalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn ein Bild am Unglücksort gemacht und vor den Medien erklärt hatte, das Unternehmen habe in jeder Beziehung und zu jeder Zeit verantwortungsvoll gehandelt, entspannte sich die emotional aufgeladene Situation vor Ort und die öffentliche Kritik wurde deutlich sachlicher. Großprojekte in den zurückliegenden Jahren haben mehrfach gezeigt, dass die Auswirkungen von Krisen innerhalb politisch sowie gesellschaftlich gut vernetzter Organisationen weitaus weniger Schäden angerichtet haben als in solchen, die keinen Wert auf Public-Affairs-Aktivitäten gelegt haben. Als positive Beispiele seien hier auch die TDI-Anlage in Dormagen (Höning 2014) sowie der thyssenkrupp-Testturm (siehe www. testturm.thyssenkrupp-elevator.com) in Rottweil genannt.

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E. Seegers

Das heißt: Auch wenn Klagen über Politik und Politiker im Land an der Tagesordnung sind, so genießen sie dennoch insbesondere im Fall von Krisen eine besondere Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Gelingt es einer betroffenen Organisation, im Verlauf einer Krise eine/n bekannte/n politische Mandatsträger/in zu einer gemeinsamen Stellungnahme in den Medien zu bewegen, werden sich die Wogen sehr bald glätten. Das gilt gleichermaßen für Repräsentanten von NGOs sowie für gesellschaftliche Multiplikatoren. Selbstverständlich sind Public Affairs kein Allheilmittel in der Krise, im Zuge derer immer mit allgemeinem Vertrauensverlust zu rechnen ist. Der Neuaufbau vollzieht sich aber schneller und unproblematischer, wenn die Organisation schon vorher Vertrauenskapital erworben hat.

18.4 Erfolgsfaktor „Haltung“ Wie in der Akzeptanz-Kommunikation spielt auch in der Public Affairs Disziplin die Haltung der Organisation die alles entscheidende Rolle (Seegers 2018a). Führungskräfte in Organisationen sollten sich folgende Fragen stellen: • Stehen sie ernsthaft zu Offenheit und Transparenz mit ihrem Umfeld? • Sind sie zu einem aufrichtigen Dialog mit ihren politischen und gesellschaftlichen Stakeholdern bereit, auch wenn es mal weh tut? • Sind sie bereit, Sorgen und Nöte ihrer Stakeholder wirklich ernst zu nehmen, deren Diskussionsbedürfnisse anzuerkennen und partizipatorische Elemente z. B. bei Großprojekten – zumindest in Teilen – zuzulassen? Organisation sollten alle diese Fragen überzeugend mit „ja“ beantworten können, wenn sie an belastbaren Netzwerken interessiert sind. Mit der richtigen Haltung entstehen die richtigen Netzwerke, entsteht Vertrauen zwischen der Organisation und ihren politischen und gesellschaftlichen Stakeholdern.

18.5 Aufbau und Pflege von Netzwerken in vier Schritten Der Aufbau belastbarer politisch-gesellschaftlicher Netzwerke – auch zum Zweck der Krisenprävention – kann sich in folgenden Schritten vollziehen:

18.5.1 Stakeholder-Mapping zur Identifikation relevanter Anspruchsgruppen erarbeiten Auf der politischen Seite gehören zu den relevanten Stakeholdern in der Politik im ersten Schritt Kommunalpolitiker, Landtags-, Bundestags- und EU-Abgeordnete aus der Region, in der die Organisation/das Unternehmen angesiedelt ist. In einem zweiten

18  Krise und Public Affairs

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Schritt wird sich die Dialoggruppe eventuell erweitern um Fachpolitiker, Minister und Staatssekretäre sowie Mitarbeiter/-innen aus relevanten Ministerien. Auf der gesellschaftlichen Seite gehören in erster Linie zivilgesellschaftliche Institutionen dazu, Umweltorganisationen, Verbände, große Vereine und Institutionen, die in der Kommune bzw. in der Region Bedeutung haben.

18.5.2 Kontakt aufnehmen Während die erste Kontaktaufnahme im Bereich gesellschaftlicher Multiplikatoren eher unproblematisch ist und auch per Telefon oder E-Mail erfolgen kann, ist für politische Mandatsträger der eher „altbacken“ anmutende Brief immer noch das Mittel der Wahl. Politiker sind daran gewöhnt, Briefe zu bekommen und erwarten ein derartiges Schriftstück zumindest im Vorfeld eines ersten Kontakts. Generell sollte hier ein Thema gewählt werden, das für die jeweiligen Stakeholder besondere Relevanz hat, um den Weg zum ersten persönlichen Kontakt zu verkürzen. Diese Themen lassen sich finden, indem man z. B. die Mitgliedschaft der anzuschreibenden Personen in Ausschüssen, Verbänden etc. scannt und in einer Übersicht zusammenstellt.

18.5.3 Erste persönliche Gespräche angehen Auf die erste Kontaktaufnahme folgen im Allgemeinen die ersten persönlichen Einzelgespräche, bei denen sich relativ schnell auf der Beziehungsebene die Atmosphäre für das zukünftige Miteinander entscheidet. Sollte es bereits in diesem Stadium zu Gruppengesprächen kommen, ist insbesondere darauf zu achten, dass immer nur Abgeordnete derselben Fraktion/Partei bzw. Mitglieder nur einer zivilgesellschaftlichen Institution daran teilnehmen. Häufig gibt es zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Parteien und auch gesellschaftlicher Vereinigungen Animositäten, die den Erfolg derartiger Gespräche beeinträchtigen können.

18.5.4 Belastbarkeit sichern und weiterentwickeln Um die Belastbarkeit dieser Netzwerke zu sichern und weiterzuentwickeln, bedarf es regelmäßiger Kontakte, gegenseitiger Einladungen zu Gesprächen und Veranstaltungen – wie das auch im privaten Bereich üblich ist. Es kommt aber auch darauf an, Service für politische und gesellschaftliche Stakeholder zu leisten, wenn diese aktuell und kurzfristig Informationen und/oder Einschätzungen aus Sicht des Unternehmens für ihre Arbeit benötigen. Parallel dazu sollten die kommunikativen Aktivitäten des

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E. Seegers

­ nternehmens/der Organisation darauf ausgerichtet sein, kontinuierlich authentische U Informationen bereitzustellen – etwa in Form eines politischen Newsletters. Offenheit stärkt das Vertrauen – und damit das Netzwerk. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit führt letztendlich zu einem belastbaren Netzwerk und im besten Fall zu einem „Frühwarnsystem“ für das Unternehmen, wie eingangs erwähnt.

18.6 Besonderheiten und Erwartungen ausgewählter Stakeholder-Gruppen Die Anzahl von Anspruchsgruppen, die auf ein Unternehmen, eine Organisation in unterschiedlicher Art und Weise einwirken, ist groß. Die Stakeholder reichen von Anwohnern und Nachbarn im Allgemeinen über Vereine, Verbände, Interessengemeinschaften und Bürgerinitiativen bis hin zu politischen Mandatsträgern unterschiedlicher Ebenen und Organisationen der Zivilgesellschaft (NGO). Insbesondere der Einfluss von Politik und Zivilgesellschaft darf nicht unterschätzt werden, deshalb kommt ihnen bei der Stakeholder-Analyse besondere Bedeutung zu. Daher werden sie in Abschn. 18.6.1 und 18.6.2 mit ihren Besonderheiten exemplarisch näher beleuchtet.

18.6.1 Abgeordnete Abgeordnete aus Parlamenten der unterschiedlichen Ebenen (Kommune, Land, Bund, EU) stellen eine sehr wichtige Dialoggruppe für Public Affairs Verantwortliche dar. Stadtverordnete und Bürgermeister der Kommunen, in denen die Organisation beziehungsweise das Unternehmen angesiedelt ist, haben ebenso ein Interesse am Gedeihen der Region wie örtliche Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Auch EU-­ Abgeordnete spielen aus den genannten Gründen eine wichtige Rolle. Im Umgang mit ihnen hat sich die Einhaltung folgender Regeln bewährt: Tipps für den Umgang mit der Stakeholder-Gruppe „Abgeordnete“

• Alle Abgeordnete, gleich welcher Ebene, stehen stets unter starkem Zeitdruck, insbesondere während parlamentarischer Sitzungswochen. Der Arbeitstag eines Bundestagsabgeordneten beginnt gegen 07.30 Uhr und endet nicht selten weit nach Mitternacht. Daher bietet es sich an, insbesondere beim Erstkontakt Themen zu wählen, die für die Adressatin und den Adressaten möglichst persönliche Relevanz haben. • Gespräche sollten so geplant werden, dass die wesentlichen Botschaften innerhalb einer halben Stunde besprochen werden können.

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• Abgeordnete erwarten, dass ihre Gesprächspartner sehr gut vorbereitet sind und ihnen mit besonderem Respekt begegnen – meist gibt es keine zweite Chance. • Da sie sich im Laufe eines Sitzungstages mit sehr unterschiedlichen Sachverhalten zu befassen haben, müssen Abgeordnete zu jedem Thema „abgeholt“ werden. • Bei Einladungen zum Essen o. Ä. ist Vorsicht geboten, da Abgeordnete darauf aus Compliance-Gründen zunehmend empfindlich reagieren. • Empfehlenswert ist im Vorfeld eines Gesprächs eine systematische Analyse der politischen Themen, Positionen und Aktivitäten des/der betreffenden Mandatsträgers/Mandatsträgerin.

18.6.2 Zivilgesellschaft, NGO Als Zivilgesellschaft werden hier Umweltorganisationen, Kirchen und andere gesellschaftlich relevante Gruppen verstanden. Deren Führungskräfte sind ihren Mitgliedern in besonderer, unmittelbarer Weise verpflichtet. Sie vertreten ihre Interessen – und damit sind sie auch Lobbyisten – in sehr deutlicher Art und Weise. In weiten Teilen der Gesellschaft genießen zivilgesellschaftliche Vereinigungen hohes Ansehen und große Glaubwürdigkeit. Das macht sie auch für andere Organisationen und Unternehmen sehr interessant, insbesondere im Fall einer Krise. Dennoch ist das Miteinander von Zivilgesellschaft und z. B. Unternehmen mit Konflikten belastet – „lieb gewordene Feindschaften“ werden immer noch gepflegt. Das Verhältnis ist traditionell gekennzeichnet von Miss-Kommunikation und gegenseitigem Misstrauen. Diese tiefen Gräben sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die Auseinandersetzungen bis heute ideologisch geprägt sind und nicht lösungsorientiert geführt werden. Dabei können beide Seiten gemeinsam erhebliche Beiträge zur Lösung der großen Probleme unserer Zeit, wie zum Beispiel die Welternährung, Klimawandel und Energiewende, leisten. Es gibt inzwischen hoffnungsvolle Ansätze für die Überbrückung dieser Gräben, aber es bleibt noch viel zu tun. Als positives Beispiel sei hier der KlimaDiskurs.NRW genannt: Der politisch unabhängige, gemeinnützige Verein verfolgt das Ziel, den Klimaschutz in NRW bei gleichzeitiger Stärkung des Wirtschafts- und Industriestandortes zu fördern – durch gemeinsames Handeln der Akteure: Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Unternehmen, Politik. Im Vorstand sitzen Umweltorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen Seite an Seite mit der Industrie. Und streiten die sich jetzt die ganze Zeit? Kommt vor, ist aber nicht die Regel. Hier spielt die Beziehungsebene eine wichtige Rolle. Die Folge: Es wächst Vertrauen, wenn erst mal die ideologischen Barrieren gefallen sind. Das ist der Stoff, aus dem die Lösung der großen Probleme gemacht wird (Seegers 2018b).

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E. Seegers

Für Public Affairs als Krisenprävention bedeutet das: Organisationen sollten dringend auf zivilgesellschaftliche Institutionen zugehen und sie in ihr Netzwerk einbeziehen, auch wenn es im Einzelfall – insbesondere zu Beginn – schwerfallen kann. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Zivilgesellschaft gegenwärtig durchaus offener auf derartige „Kontakt-Anfragen“ reagiert als noch in der Vergangenheit. Für ein optimales Miteinander müssen sich beide Seiten bewegen, folgende Voraussetzungen sollten erfüllt sein: Voraussetzungen für ein Miteinander von Zivilgesellschaft und Organisationen

• Gegenseitige Anerkennung der Daseinsberechtigung ist Voraussetzung. • Gegenseitige Anerkennung der Kompetenzen zur Lösung gemeinsamer Probleme muss gegeben sein. • Gegenseitige Anerkennung als Partner auf Augenhöhe schafft die Basis für konstruktive Verhandlungen. • Kommunikation zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft muss zur Chefsache werden. • Ideologische Mauern müssen fallen, um Vertrauen zu schaffen und an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten.

18.7 Handlungsempfehlungen und Ausblick Unter dem Strich gilt: Die Haltung einer Organisation und ihrer Führungskräfte ist ein alles entscheidender Erfolgsfaktor, sowohl für den Aufbau und die Pflege politischer und gesellschaftlicher Netzwerke als auch für die Bewältigung einer Krise mithilfe dieser Netzwerke. Je offener und aufrichtiger das Unternehmen schon vor einer Krise mit den Stakeholdern kommuniziert, desto begrenzter wird der Schaden im Krisenfall sein. Der Aufbau belastbarer politisch-gesellschaftlichen Netzwerke – auch zum Zweck der Krisenprävention – kann sich in folgenden Schritten vollziehen: • Stakeholder-Mapping • Kontaktaufnahme • Persönliche Gespräche • Belastbarkeit sichern und weiterentwickeln Public Affairs Aktivitäten von Unternehmen und Organisationen haben in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen, insbesondere politische Interessenvertretung (Lobbyismus) boomt geradezu. Gleichzeitig hat sich jedoch das Image der Lobbyisten im Meinungsbild der Gesellschaft erheblich zum Negativen hin gewandelt. Der Begriff „Lobbyist“ ist zu einem Unwort geworden, der gesamte Berufsstand ist in die

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„Schmuddelecke“ geraten. Diese Entwicklung ist auf unethische Einzelfälle zurückzuführen, für die jetzt alle Interessenvertreter gleichermaßen verantwortlich gemacht werden. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft ist gegenwärtig bemüht, diese Entwicklung umzukehren und die Reputation der Public-Affairs-Experten bzw. Lobbyisten erheblich zu verbessern: durch Transparenz und angemessene Regulierung. Ein wichtiger Schritt für alle Unternehmen und Organisationen, die auf die positive Wahrnehmung ihrer Interessenvertreterinnen und -vertreter bauen.

Literatur Althaus, Marco. 2005. Handlexikon public affairs, Bd. 1. Münster: Lit (Public affairs und Politikmanagement). Höning, Antje. 2014. Bayer startet 250-Millionen-Anlage in Dormagen. www.rp-online.de/wirtschaft/bayer-startet-250-millionen-anlage-in-dormagen_aid-20137339, zuletzt aktualisiert am 10.12.2014. Zugegriffen: 18. Okt. 2018. Köppl, Peter. 2017. Advanced power lobbying. Erfolgreiche Public Affairs in Zeiten der Digitalisierung. Wien: Linde international. Seegers, Ekkehard. 2018a. Eine Frage der Haltung. Reputationsmanagement für Lobbyisten. In Akzeptanzkommunikation, 1. Aufl, Hrsg. Sybille Höhne, Ulf Mehner, und Thomas Zimmerling, 58–60. Berlin: Deutsche Public Relations Gesellschaft e. V. Seegers, Ekkehard. 2018b. „Wollen wir streiten?“ Ja gerne – aber richtig!“. DPRG Journal 2 (2018):6.

© Ute Freibeuter

Ekkehard Seegers am 30.01.1954 in Bad Salzuflen/Schötmar geboren, studierte Pädagogik an der Universität der Bundeswehr Hamburg und war von 1979 bis 1985 im Kommunikationsbereich der Bundeswehr tätig. Nach kurzem Intermezzo als Leiter Presse und Öffentlichkeitsarbeit einer ostwestfälischen Verlagsgruppe wechselte er 1986 als Referent für Öffentlichkeitsarbeit zur Bayer AG, wo er 1990 die Leitung des neu errichteten Bayer Kommunikationszentrums übernahm. Von 1997 bis 2001 verantwortete er die Unternehmenskommunikation der EC Erdölchemie GmbH in Köln. 2001 ging es als Leiter Nachbarschaftsarbeit zurück zu Bayer, zunächst für den Chemiepark Dormagen, ab 2005 für die Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Von 2007 bis 2017 leitete er die Public Affairs des Chemieparkbetreibers CURRENTA. Heute ist er mit „Seegers Public Affairs“ als Berater, Trainer und Moderator aktiv. Ekkehard Seegers ist verheiratet und hat eine Tochter

Die Macht der Sprache Skandalisierende Formulierungen, Metaphern und Frames identifizieren und thematisieren

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Annika Schach

Zusammenfassung

Der Beitrag gibt einen Überblick über das sensible Thema der Verwendung von Sprache in kritischen Kommunikationssituationen. Krisen werden so wahrgenommen, wie sie kommuniziert werden. Ganz besonders im Fokus stehen dabei stets die Texte und Statements der betroffenen Unternehmen. Die Analyse und Beschäftigung mit Formulierungen, Metaphern und Frames sind für Unternehmenskommunikatoren in Krisensituationen daher von besonderer Bedeutung. Zum einen können auf diese Weise gegnerische Angriffe und reputationsschädigende Medienberichterstattungen identifiziert und thematisiert werden. Zum anderen lässt sich mit einer strategischen Sprache die eigene Kommunikation zielführender gestalten. Der Beitrag zeigt die Grundlagen des Framings auf und gibt einen praktischen Leitfaden für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren zu der Frage: Welche sprachlichen Kriterien gilt es in der Krise zu beachten?

19.1 Einleitung Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln. Sie ist ein machtvolles Instrument, besonders wenn wir Bedeutungsverschiebungen nicht bewusst wahrnehmen. Die entscheidende Frage, die sich Kommunikatoren stellen sollten, ist: Wie kann Sprache strategisch, aber verantwortungsvoll eingesetzt werden? Und in der Krisensituation: Wie kann ich unfaire sprachliche Angriffe identifizieren und für die eigene Verteidigung nutzen? A. Schach (*)  Fakultät III - Medien, Information und Design, Hochschule Hannover – University of Applied Sciences and Arts, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_19

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In der medialen Debatte wird in jüngster Zeit immer häufiger der Einsatz von sogenannten Frames thematisiert. Frames sind Deutungsmuster, bestimmte Perspektiven auf ein Thema, die sprachlich realisiert werden. Diese Frames machen sich in der Regel an bestimmten Metaphern und Begriffen fest, die für ein spezifisches Thema verwendet werden. So etwa der Begriff „Flüchtlingswelle“, der zu Beginn der Migration aus Krisengebieten nach Europa vielfach zu hören und zu lesen war. Die Assoziation zu dieser Metapher bedient sich des Themenfelds der Naturkatastrophen, ist verwandt mit einem Tsunami, der Bedrohung und Gefahr für die Menschen darstellt. Implizit wird durch den Begriff der Welle kommuniziert, dass jemand überflutet wird und keine Steuerung möglich ist (Biazza 2018a). Mit ihrem Buch „Politisches Framing“ (Wehling 2016), das sich in Deutschland sehr gut verkauft hat, verschaffte die Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling dem Thema Framing eine größere Öffentlichkeit. Durch eine konsequente Medienarbeit und auch durch weitere offensichtliche Frames in der politischen Kommunikation wurde dieser Ansatz öffentlich beachtet. Beispiel

Das jüngste Beispiel und damit auch der Höhepunkt des Diskurses ist sicherlich der 2018 vom CSU-Politiker Markus Söder verwendete Begriff des „Asyltourismus“. Eine ausführliche Analyse lieferte die Süddeutschen Zeitung in ihrer Serie „Framing-Check“. Da heißt es: Das hat natürlich direkte Auswirkungen auf die ­ assoziative Ebene: Wer an Tourismus denkt, sieht vor dem inneren Auge vermutlich etwas wie Strand, Sonne, Berge, Meer, Swimmingpool, Cocktails. Und fühlt eine Ebene darüber etwas wie Freiheit, Leichtigkeit, Sorglosigkeit und auch Wohlstand. In dem Begriff schwingt in jedem Fall Entspannung und Freizeit mit. Vor allem assoziiert man mit ihm aber auch: Freiwilligkeit. […] Die Problemdefinition lautet also: Hier kommen (womöglich sogar wohlhabende) Menschen, die sich in unserem Land Urlaub versprechen, also unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen (Biazza 2018b). Es ist ein stilistisch markierter Begriff, der ein spezifisches Deutungsmuster in sich trägt. Gesellschaftliche und politische Veränderungen gehen gemeinhin häufig mit sprachlichen Veränderungen einher. Nachzuvollziehen ist das an der politischen Gleichstellung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Hier wurde in der medialen Landschaft zunächst immer von der „Homo-Ehe“ gesprochen. Dieser Begriff, der eine Personengruppe verkürzt einschließt, kommuniziert implizit, dass es sich um eine Sonderform der Ehe handelt, die Homosexuellen vorbehalten ist. Zudem variiert dieser zusammengesetzte Begriff das Wort Ehe, was für viele Menschen eine nicht zu akzeptierende Veränderung war. Einhergehend mit der zunehmenden politischen Öffnung und der sich verschiebenden Mehrheiten wurde dann das Schlagwort „Ehe für alle“ eingesetzt. Die integrative Wirkung dieser Formulierung begleitete den Prozess bis zur politischen Umsetzung. Die Assoziation ist eine völlig andere, die gleichgeschlechtliche Paare nicht ausgrenzt, sondern implizit die Botschaft „Gleiches Recht für Alle“ mittransportiert.

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Die beschriebenen Beispiele entstammen allesamt der politischen Kommunikation, aber: Die Sensibilität für Sprache, für Formulierungen, Metaphern und Frames ist gerade in kritischen Situationen auch für Unternehmen relevant. Auch hier verwenden das betroffene Unternehmen selbst, aber auch die Gegner, die Medien oder auch relevante Stakeholder Formulierungsspezifika, die eine implizite Bedeutung hervorrufen können. Die vorgestellten Beispiele aus der politischen Kommunikation sind eingängig und verständlich. So folgte auf die Verwendung des Begriffs „Asyltourismus“ direkt eine Reflexion in den Medien und im politischen Umfeld. Wesentlich herausfordernder als die oben genannten Frames der politischen Kommunikation sind in der Regel jedoch Metaphern und Formulierungen, die nicht auf den ersten Blick erkannt werden. Unsere gesamte Sprache ist metaphorisch durchzogen. Der Begriff „durchzogen“ beispielsweise selbst ist metaphorisch. Diese sprachlichen Abweichungen von einem neutralen Stil werden im Alltag nicht als solche gedeutet, beeinflussen aber unser Denken und Handeln unterbewusst. Forschungsergebnisse zu den kognitiven Wirkungen beschreibt Elisabeth Wehling eindrucksvoll. Diese eben nicht bewusst wahrgenommenen Frames beeinflussen Gehirnareale, die ebenso unser Denken wie auch unsere körperliche Aktivität steuern – ohne, dass wir etwas davon bemerken. Eine hohe Sensibilität für Sprache ist daher in der Krisenkommunikation ausgesprochen wichtig, geht es doch darum, die Deutungshoheit zu bestimmten Themen zu erlangen, wie man so schön sagt. Und nicht nur Metaphern und Frames erzeugen Bedeutung und prägen Meinungen. Es sind gerade die nicht offensichtlichen, stilistischen Feinheiten, die eine ganz besondere Wahrnehmung nach sich ziehen – bei allen Stakeholdern, die in der Krise relevant sind.

19.2 Framing und Formulierungen in der Krise Das Konzept des Framings erfreut sich in der Kommunikationswissenschaft seit dem Aufsatz „Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigma“ von Entman (­ Entman 1993) aus dem Jahr 1993 großer Beliebtheit und ist einer der zentralen Forschungsbereiche der politischen Kommunikationsforschung (Matthes 2014, S. 12). Mit dem Begriff „Frames“ werden Deutungsmuster beschrieben, die sich in allen Phasen von massenmedialen Kommunikationsprozessen identifizieren lassen. Die Blickwinkel auf ein Thema werden als Frames bezeichnet. Diese strukturieren Information in Form von abstrakten, themenunabhängigen Deutungsmustern, welche Komplexität reduzieren und die Selektion von neuen Informationen leiten (Entman 1993, S. 53) und (Dahinden 2006, S. 193 f.). Frames geben Orientierung und repräsentieren eine bestimmte Grundidee und Bewertung. Sie sind demnach auch Meinungsbildner und Entscheidungshilfe. Im Framing werden spezifische Schlagworte, Bilder oder Metaphern und wiederkehrende Beschreibungen verwendet. Es geht also auch hier nicht um das Was, sondern vielmehr um das Wie der Kommunikation oder anders gesagt: nicht um den konkreten Inhalt einer Botschaft, sondern um die Art und Weise der Präsentation, der Einrahmung (Schach

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2016, S. 153). Diese wirkt sich z. B. konkret auf die Anordnung der Worte und Sätze aus. Schlagworte sorgen bei den Rezipienten beispielsweise dafür, dass die damit einhergehenden Positionen und Argumente ins Gedächtnis gerufen werden, wie das auch bei stereotypen Beschreibungen der Fall ist. Frames lassen sich anhand der Wortwahl eines Textes identifizieren – dem gemeinsamen Auftreten von Wörtern. Ein sehr bekannter Frame kann exemplarisch illustrieren, welche Grenzen, aber auch welche Modulationsmöglichkeiten ein solches narratives Muster bietet: Beispiel

David gegen Goliath Am Beispiel des David-Goliath-Frames lassen sich zwei wesentliche Elemente von Framing illustrieren. Es handelt sich dabei um einen themenunabhängigen Frame, der zeigt, dass die Grundmuster auf verschiedene Themen transferiert werden können. Darüber hinaus zeigt der David-Goliath-Frame, dass damit immer Bewertungen impliziert sind: Die Sympathie kommt immer der David-Rolle zu. Besonders große Unternehmen und Institutionen können ein Lied davon singen, wie dieser Frame von kleineren Organisatoren oder Akteuren genutzt wird, um ihre Botschaften zu kommunizieren. Mit dem „David“-Motiv in der Krise lässt sich immer Sympathie bündeln. Auch Konzerne und große Unternehmen sollten prüfen, ob sie sprachlich ihre Größe immer sehr präsent kommunizieren. Das erhöht im Krisenfall das Risiko einer Goliath-Zuschreibung.

19.3 Sprache in der Krise: Worauf ist zu achten? Wenn man sich mit sprachlichen Äußerungen in der Krisenkommunikation befasst, kann man dies auf zwei Ebenen tun: die eigene Kommunikation reflektieren und die gegnerische Kommunikation analysieren, unfaires Agieren aufdecken und gegensteuern. Dabei ist es wichtig, dass man die Textebenen im Blick behält. Hier lassen sich vier Dimensionen betrachten, die aus den Sprachwissenschaften für die Textanalyse abgeleitet sind. Die vier Dimensionen der Textanalyse:

1. Inhaltsebene – Welche Themen und Teilthemen werden kommuniziert? Gerade in der Unternehmenskrise werden besonders in sozialen Netzwerken die eigentlichen Themen ausgeweitet und „Nebenkriegsschauplätze“ aufgemacht, die es zu identifizieren gilt. – Welche Textstrategien werden eingesetzt? Werden Fakten eher beschrieben, wird argumentiert oder mit Geschichten – dem heute beliebten Storytelling – gearbeitet?

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2. Textebene – Mit welchen stilistischen Besonderheiten und sprachlichen Mitteln wird insgesamt gearbeitet? Welche Aspekte dabei eine Rolle spielen, wird im Verlauf des Beitrags noch erläutert. – Wird mit Metaphern oder Frames gearbeitet, die eine Bedeutungsverschiebung nach sich ziehen? Hier kann man die eigene Kommunikation ansehen, aber insbesondere auch die Medienberichterstattung, die Kommunikation der gegnerischen Parteien und die Diskussionen in sozialen Netzwerken. 3. Textfunktion – Welche Textfunktion besitzen die Texte und welche Rückschlüsse lassen sich auf die Intention des Textproduzenten ziehen? Möchte der Textproduzent informieren, appelliert er, sucht er den Dialog oder kommuniziert er Tatsachen wie in einer obligativen Art und Weise, wie ein Gelöbnis? – Werden durch die Funktionalität die berufsethischen Richtlinien der Irreführung bzw. Trennung von Nachricht und Kommentar erfüllt? Man kann beispielsweise schauen, ob in Medienberichten so stark kommentiert wird und Sachverhalte geframt sind, dass man dieses deutlich machen sollte. 4. Akteursebene – Wer sind die Akteure im Diskurs, wer wird wie zitiert und welche Aussagen werden von wem übernommen? Besonders wichtig zu analysieren ist auch, welche Positionen sich im Text zeigen und in welcher Beziehung die Akteure zueinanderstehen. – Welche Akteure sind dabei besonders einflussreich? Durch die Identifikation von Übernahmen in den Texten lassen sich die einflussreichen Akteure identifizieren.

In der Analyse geht man immer von stilistischen Abweichungen aus. Stil wird hier verstanden als die Art, wie Texte zu bestimmten kommunikativen Zwecken gestaltet sind. Die Grundlage dieses Ansatzes ist, dass Stil Bedeutung hat und Sinn vermittelt: „Stil verleiht durch Struktur-Eigenschaften von Äußerungen bzw. Texten sozialen Sinn, d. h. durch die Sprachform wird mitgeteilt, was die Handlung ist, wer die Handelnden sind, wer der intendierte Adressat und was die Situation ist“ (Sandig 2006, S. 19). Jede Abweichung vom neutralen Stil, der Sprachnorm in dem jeweiligen Kommunikationsbereich, ist stilistisch markiert. Beispiel

Schaut man sich den Begriff „Veränderung“ an, der eine neutrale Aussage hat: In der Wirtschaftskommunikation wird häufig von „Wandel“ oder „Change“ gesprochen, der einen langfristigen Veränderungsprozess impliziert und positiv konnotiert verstanden werden soll. Mit dem Begriff „Umbruch“ hingegen würde eher der rasante und nicht ganz einfache Neuanfang assoziiert. Wohingegen „Neustrukturierung“ eher den Blick in die Zukunft mit neuen Perspektiven lenken soll.

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Es ist selbstverständlich, dass eine so detaillierte Analyse im akuten Krisenfall nicht durchgeführt werden kann. Zudem sind die verschiedenen Aspekte, wie beispielsweise die Akteursebene, immer auch an andere Analyseverfahren, wie z. B. Stakeholdermaps etc. gekoppelt und in die Gesamt-Krisenkommunikation eingebunden. Eine Beschäftigung mit allen Texten einer Krisensituation (schriftlich wie mündlich) kann aber in der Prävention, im Verlauf einer längeren kritischen Situation und auch in der Nachbereitung sowohl Aufschlüsse für das eigene kommunikative Verhalten als auch die Kommunikation anderer Stakeholder geben. Mit diesen Erkenntnissen kann man die Kommunikation entsprechend gestalten oder sie als Argumente für z. B. nicht fairen Umgang oder die Identifikation von Fake-News einsetzen (s. dazu auch Kap. 8).

19.3.1 Tatsache vs. Vermutung: Die Verwendung des Konjunktivs und die Kennzeichnung des Anklägers Im Pressekodex des deutschen Presserats heißt es unter Ziffer 13.1 zum Thema Unschuldsvermutung bzw. Vorverurteilung:  Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mithilfe eines „Medien-Prangers“ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden (Deutscher Presserat 2017). Es ist demnach eine journalistische Aufgabe, die Unschuldsvermutung auch sprachlich zu realisieren. Das passiert in der Praxis nicht überall korrekt und verantwortungsvoll. In der heutigen Medienlandschaft ist die zunehmende Übernahme von Inhalten und die oftmals fehlende Zeit einer ausführlichen Recherche nicht zuträglich. In der journalistischen Praxis gibt es den Begriff der Verdachtsberichterstattung. Selbstverständlich gehört es zu einem funktionierenden Mediensystem in einer Demokratie dazu, dass einem Verdacht investigativ nachgegangen wird. Dieser Verdacht ist auch sprachlich zu kennzeichnen. Wie unterscheidet man zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Anschuldigung, die als Verdacht kommuniziert ist? Die Verwendung des Konjunktivs Der Konjunktiv ist der dritte Verbmodus in der deutschen Sprache, der auch als Möglichkeitsform bezeichnet wird. Die Verwendung des Konjunktivs in der indirekten Rede kennzeichnet, dass es sich um die Meinung des Zitierten handelt. Wenn ein Redakteur so zitiert, macht er deutlich, dass es sich nicht um eine Tatsache, sondern um die Meinung des Zitierten handelt. Das gilt besonders beim Konjunktiv II, der auch Irrealis genannt wird.

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Damit werden unmögliche oder unwahrscheinliche Bedingungen ausgedrückt und es lässt sich insbesondere der Zweifel des Autors an bestimmten Sachverhalten zum Ausdruck bringen. Beispiele

• Der Geschäftsführer meint, ein solches Vorgehen ließe sich nicht verhindern. (Der Autor ist aber einer anderen Ansicht.) • In dem Fall eines Vorwurfs der Tierquälerei einer Tierschutzorganisation an ein Unternehmen sind verschiedene Headlines denkbar, die eine je unterschiedliche Wirkung erzielen: „Unternehmen XY misshandelt Tiere“ (Indikativ, Tatsachenbehauptung); „Unternehmen XY soll Tiere misshandeln“ (Konjunktiv, Verdachtskommunikation)

Nennung des Anklägers Wenn wir bei dem genannten Beispiel des Vorwurfs der Tierquälerei bleiben, ist darauf zu achten, dass die entsprechende Quelle der Anschuldigungen auch deutlich genannt wird. Wer wirft hier wem etwas vor? Bleibt das außen vor, nimmt die Leserschaft solche Aussagen als Tatsachenbehauptung bzw. recherchierte „Wahrheit“ der Redaktion wahr. Beispiel

„Tierschutzorganisation XY wirft Unternehmen XY Tierquälerei vor“ In dieser Formulierung werden die Akteure so eingebunden, dass der Vorwurf und Verdacht deutlich zum Ausdruck kommt und nicht fälschlicherweise von einem bereits geprüften Sachverhalt ausgegangen wird.

19.3.2 Der Einsatz von Metaphern In nahezu jeder sprachlichen und schriftlichen Kommunikation manifestieren sich Metaphern. Ein Blick in die Tagespresse belegt, dass dort – wie überall – einzelne metaphorische Ausdrücke auf ein übergeordnetes Konzept rekurrieren. Metaphern umgeben unseren sprachlichen Alltag, auch ohne dass wir sie explizit wahrnehmen. Der Einsatz von Metaphern ist keine stilistische Ausnahme, sondern eine Regel der Kommunikation. Dieses Konzeptsystem ist in die Gesellschaft eingebettet und beeinflusst das Denken, Handeln und Sprechen unbewusst. Mit Sprachbildern wird eine bestimmte ­ Sicht auf Sachverhalte transportiert, während andere Aspekte ausgeblendet werden, das sogenannte „highlighting and hiding“ – analog der Framingidee. So werden auch Metaphern in der Unternehmenskommunikation eingesetzt, sowohl in ruhigen Zeiten als auch in der Krise.

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Sie durchziehen besonders auch die abstrakte Diskursdomäne Wirtschaft. Die Sprachbilder aus dem Herkunftsbereich „Weg“, „Skala“ (Vertikalbewegung) und „Behälter“ (Innen- und Außenseite) spielen in der Wirtschaftskommunikation eine essenzielle Rolle, wie Brandstätter in ihrer Analyse von Pressemitteilungen und Reden bei den Hauptversammlungen der DAX-30-Konzerne herausgefunden hat (Brandstetter 2015, S. 63). Beispiele

Aus: „Metaphern als wissenskonstitutive Elemente in der Wirtschaftskommunikation“ von Barbara Brandstetter (Brandstetter 2015, S. 67 ff.): • Weg-Metaphern: „Trotz der insgesamt positiven Entwicklung verkennen wir nicht, dass wir erst am Anfang einer längeren Wegstrecke stehen. Wir haben Teilerfolge erreicht. Wir müssen noch Vieles tun bis wir am Ziel sind.“ (Beiersdorf, Pressemitteilung, 18.04.2013). • Skala-Metaphern: „Wir wollen die Dividende jedes Jahr erhöhen, zumindest aber auf dem Niveau des jeweiligen Vorjahres halten.“ (BASF, Rede, 26.04.2013) • Behälter-Metaphern (Kern, Innen- und Außenseite): „Mit einem neuen unverwechselbaren Design für unsere Kernmarken haben wir ein zentrales Element der Markenidentität in den Mittelpunkt gerückt.“ (Beiersdorf, Pressemitteilung, 18.04.2013) Darüber hinaus wird sehr häufig mit Konstellationsmetaphern gearbeitet, wie Sport, Personifikation, Bauwesen, Medizin, Natur und Militärwesen. Oftmals wird mit semantischen Feldern gearbeitet, die aus einem metaphorischen Feld stammen. Ein sehr interessanter Nebenaspekt: Diese unbewussten Metaphern werden in der Medienberichterstattung oftmals übernommen, das konnte Brandstätter in ihrer Analyse nachweisen. Was heißt das nun für die Krisenkommunikation? Beispiel

Wenn ein Zoo als „Tiergefängnis“ bezeichnet wird, ist das ein bewusster Einsatz einer Metapher der anklagenden Partei. Aus diesem semantischen Feld lassen sich diverse Begriffe finden, die in der Gesamtkommunikation eine spezifische Bedeutung beim Rezipienten bewirken. Diese sind dann explizit nicht als sprachliche Einflussnahme zu erkennen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Die Mitarbeiter des Zoos können in diesem Zusammenhang als „Zoowärter“ (Bild des Gefängnisses) bezeichnet werden. Die korrekte, gängige Berufsbezeichnung ist jedoch „Tierpfleger“ – eine völlig andere Bedeutungsimplikation. Mit welchen metaphorischen Begriffen, Substantiven und Verben arbeitet die eigene Unternehmenskommunikation, ohne dies vielleicht explizit zu reflektieren? Wie wird damit eine implizite Wirkung erzeugt, z. B. als dynamisches, kämpferisches, integratives oder innovatives Unternehmen? Diese Fragen sind insgesamt für die

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­ nternehmenskommunikation spannend, in der Krisenkommunikation im Besonderen. U Denn hier muss man schnell und präzise sprachlich auf dem Punkt sein und auch die sprachlichen Angriffe der gegnerischen Partei oder einer nicht verantwortungsvollen Medienberichterstattung aufdecken.

19.3.3 Die Frames der Gegner meiden Frames können bewusst wahrgenommen werden, wie bei den genannten Schlagwörtern und Begriffen, oder fallen gar nicht bewusst auf. In jedem Fall wirken sie kognitiv. Sie beeinflussen das Denken, setzen gedankliche Frame-Muster in Gang und führen dazu, dass selbst die körperliche Aktivität sich danach ausrichtet (Wehling 2016). Ein illustres Beispiel ist mit Sicherheit folgender Satz: „Denken Sie jetzt nicht an ein rosa Einhorn.“ Jetzt werden auch Sie sicherlich automatisch ein inneres Bild produziert haben. Dieses Beispiel lässt sich beliebig variieren und ist trotz seiner Banalität in der Krisenkommunikation sehr wichtig. Es gilt nämlich, eben nicht die Frames der Gegner zu übernehmen, sondern eigene Sinnbilder zu schaffen. Sonst verfestigt man automatisch die Frames der Gegner und erreicht eigentlich das Gegenteil. Besonders im investigativen Kriseninterview mit geübtem Interviewer und gezielten Fragetechniken ist es nicht einfach, darauf zu achten. Gerade in der Verteidigung machen viele den Fehler, zu kommunizieren, sie seien gegen etwas. Diese Frame-Negierung sollte unbedingt vermieden werden. Beispiel

• Frame-Negierung: „Wir setzen keine Stasi-Methoden bei unseren Mitarbeitern ein.“ • Besser: „Wir halten uns streng an arbeitsrechtliche Vorgaben.“ Wenn in der Krisenkommunikation besondere Begriffe eingesetzt werden, die sich immer wiederholen, ist es besonders vor dem Hintergrund der digitalen Kommunikation wichtig, den Unternehmensnamen möglichst wenig mit diesen Begriffen in Verbindung zu bringen. Google wird diese verknüpfen und über lange Zeit wird das Unternehmen damit in der Suchmaske verknüpft. Die Aussage aus dem bekannten Video-Statement von Martin Winterkorn nach dem Diesel-Betrug zeigt, wie man es besser nicht machen sollte. Er sagte: „Manipulieren und Volkswagen – das darf nie wieder vorkommen.“

19.3.4 Sprachliche Skandalisierung Journalisten wählen berichtenswerte Inhalte anhand von Nachrichtenfaktoren aus. Analog der Nachrichtenwerttheorie gibt es verschiedene Nachrichtenfaktoren, die dabei zugrunde gelegt werden. Es gibt in der Historie dieser Theorie diverse

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­ usammenstellungen dieser Nachrichtenfaktoren. Einer bezieht sich immer auf Konflikt, Z Kontroverse, Skandal, Tragödie, Trauerspiel etc. Schulz ordnet sie dem Überbegriff der Valenz zu – mit den Dimensionen Konflikt, Kriminalität, Schaden und Erfolg (Schulz 1990). Somit sind Krisenfälle per se berichtenswert, da sie diesem Nachrichtenfaktor entsprechen. Sprachliche Merkmale der Skandalisierung und Emotionalisierung werden häufig eingesetzt, um dem Sachverhalt eine besondere Schärfe zu geben – durch Substantive oder Verben, die vom neutralen Stil abweichen. Beispielhafte Formulierungen finden sich häufig, wenn über Skandale, Eskalationen, Dramen, Krisen, Zuspitzungen oder Katastrophen geschrieben wird, der Inhalt aber an sich dieser Zuschreibung widerspricht. Wir sind hier oftmals auch wieder im metaphorischen Bereich mit Verben aus dem kriegerischen Umfeld. Themen werden zudem emotionalisiert und personifiziert, was zum Teil auch mit dem Storytelling-Trend zusammenhängt. Was bedeutet das für Texte im Kontext einer Krise? In der eigenen Kommunikation ist sensibel darauf zu achten, dass die sachliche Ebene nicht verlassen wird. Skandalisierende Zuschreibungen erzeugen unterbewusst Bedeutungen, sie sind oftmals ein wesentlicher Bestandteil von Frames. In der gegnerischen Kommunikation oder Medienberichterstattung lässt sich die Skandalisierung nicht vermeiden. Jedoch gilt es, sie zu identifizieren, zu thematisieren und nicht durch Übernahmen zu stärken – oder eigene begriffliche Sinnbilder zu entwickeln. Ein sehr plakatives Beispiel findet sich in der Unternehmensgeschichte von Adidas. Nachdem das Unternehmen Anfang der 90er Jahre durch strategische Fehlentscheidungen in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, betiteln sie das Unternehmen in dieser Zeit in ihrer Unternehmensgeschichte als „schlafenden Riesen“ – ohne jedoch die Probleme zu verheimlichen. Eine Metapher, die in der Nachbetrachtung der Unternehmensentwicklung Sinn ergibt.

19.3.5 Gegenwart und Vergangenheit Auch auf die Verwendung des Präsens und der grammatikalischen Vergangenheitsformen sollte in der Krisenkommunikation geachtet werden. Was sehr profan klingt, kann jedoch auch eine wesentliche Aussage implizieren. Beispiel

• Unternehmen XY hat Umweltbestimmungen missachtet. • Unternehmen XY missachtet Umweltbestimmungen. Der erste Satz kommuniziert, dass es zu einer Missachtung von Umweltbestimmungen in der Vergangenheit gekommen ist. Es gab eine Situation, die nun aufgearbeitet werden kann. Der zweite Satz impliziert, dass es sich um einen längeren Prozess handelt, der noch nicht abgeschlossen ist. Es ist eine grundsätzlichere Aussage, die eine Zuschreibung an das Unternehmen vornimmt. Zwei sehr ähnliche Aussagen mit einer unterbewusst anderen Aussage und Botschaft.

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19.3.6 Der Kontext Gerade in der Social-Media-Kommunikation müssen aufgrund der Vorgaben und Nutzungsbedingungen Inhalte sehr kurz und präzise kommuniziert werden. Das ist eine Rahmenbedingung, die in der gesamten Unternehmenskommunikation eine Rolle spielt. Gerne wird auch mit Zitaten in Verbindung mit Porträts gearbeitet, die auf Social-MediaPlattformen verbreitet werden können oder mit Teilen aus Zitaten, wie beispielsweise bedingt durch die Zeichenbegrenzung auf Twitter. Aussagen können somit aus ihrem Kontext gerissen werden und eine komplett andere Bedeutung bekommen. Dies kann genauso auch im Statement oder O-Ton in einem TV-Bericht geschehen, die die Aussagen eines Interviewten so in einen bestimmten Kontext setzen, dass die Botschaft im schlimmsten Fall krisenverstärkend wirken kann. Für die sprachliche und textliche Ausgestaltung von Statements, Reden oder auch Pressemitteilungen gilt es daher, immer möglichst präzise und sachlich zu sein. Es sollten kurze Aussagesätze formuliert werden, die selbst dann keinen anderen Inhalt erzeugen, wenn sie von anderen gekürzt und aus dem Kontext herausgenommen und veröffentlicht werden. Achtung auch vor Ironie und Sprachspielen sowie Metaphern, die in einem anderen Kontext negativ eingebettet werden können. Selbstverständlich kann theoretisch nahezu jede Formulierung negativ eingebettet werden, aber Achtsamkeit ist hier besonders angebracht. Es ist oft hilfreich, sich in die generische Partei oder kritische Berichterstatter hineinzuversetzen und zu überlegen: Was könnte aus meinen Aussagen in einem anderen Kontext schlecht aussehen für mich? Beispiel

Ein Geschäftsführer sagt im Interview: „Wir sollten dieses Schauspiel beenden und im Sinne aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Vorgang sachlich aufklären.“ Die Medienberichterstattung titelt: „Geschäftsführer nennt Vorgang ein Schauspiel.“ Das wörtlich korrekte, verkürzte Zitat hat ohne den Nachsatz eine völlig andere Message. Der Geschäftsführer wirkt damit so, als würde er die Lage nicht erst nehmen. Die Aussage aus dem Gesamtzitat war hingegen anders ausgerichtet.

19.4 Handlungsempfehlungen Die Beschäftigung mit dem Einsatz von Sprache in der Krise ist gerade in der heutigen medialen Öffentlichkeit sehr wichtig. Krisenkommunikatoren können mit der Identifikation sprachlicher Angriffe und einer strategischen Replik das Risiko des Verlustes der Deutungshoheit für das Unternehmen verringern. In der Krise wird jedes Wort auf die sprichwörtliche „Goldwaage“ gelegt. In der Regel haben wir es mit drei Akteuren und Textproduzenten zu tun: dem Unternehmen selbst, den Gegnern und Kritikern sowie

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anderer Stakeholder und den Medien. Folgende übergreifenden Handlungsempfehlungen können in der Prävention oder auch im akuten Krisenfall eine Hilfe geben, worauf man sprachlich Wert legen sollte: Empfehlungen für die Sprache in Krisensituationen • Achten Sie sensibel darauf, in welchen Modi die Vorwürfe gegen das Unternehmen vorgebracht werden, ob der Verdacht als solcher gekennzeichnet ist und der Ankläger in der Kommunikation deutlich genannt wird. • Prüfen Sie die eigenen Kommunikationsinstrumente auf den Einsatz von Metaphern, die im Krisenfall kritisch für das Unternehmen sein könnten. Achten Sie in der gegnerischen Kommunikation auf implizite Metaphern, machen sich diese bewusst und reflektieren Sie sie. • Identifizieren Sie die Frames der Gegner und vermeiden Sie diese in der eigenen Kommunikation. Setzen Sie auch keine Frame-Negierung ein, da Sie so die Frames festigen. • Achten Sie auf unangebrachte sprachliche Formulierungen der Skandalisierung und Emotionalisierung. Diese können öffentlich thematisiert werden und sollten nicht Eingang in die eigene Kommunikation erhalten. • Nehmen Sie in den Blick, inwiefern mit der Gegenwarts- und Vergangenheitsform der deutschen Sprache inhaltliche Aussagen impliziert werden. • Analysieren Sie Ihre einzelnen Aussagen und Botschaften vor der Veröffentlichung vor dem Hintergrund eines anderen Kontextes.

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Entman, Robert M. 1993. Framing: Toward clarification of a fractured paradigm. Journal of Communication 43 (4): 51–58. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1993.tb01304.x. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Matthes, Jörg. 2014. Framing, 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos (Konzepte, Bd. 10). https://doi. org/10.5771/9783845260259. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Sandig, Barbara. 2006. Textstilistik des Deutschen.de Gruyter Studienbuch, 2., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Berlin: de Gruyter. http://www.degruyter.com/doi/book/10.1515/9783110911121. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Schach, Annika. 2016. Storytelling und Narration in den Public Relations. Eine textlinguistische Untersuchung der Unternehmensgeschichte. Wiesbaden: Springer VS. http://lib.myilibrary. com?id=875237. Zugegriffen: 5. Jan. 2019. Schulz, Winfried. 1990. Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse der aktuellen Berichterstattung, 2., unveränd. Aufl. Freiburg: Alber (Alber-Broschur Kommunikation, 4). Wehling, Elisabeth. 2016. Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Halem (Edition medienpraxis, Bd. 14). http://search.ebscohost.com/ login.aspx?direct=true&scope=site&db=nlebk&AN=1171960. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

Prof. Dr. Annika Schach ist Professorin für Angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover und Kommunikationsberaterin. Zuvor arbeitete sie rund 15 Jahre in der Kommunikationsbranche für verschiedene Agenturen und Unternehmen, zuletzt als Leiterin der Unternehmenskommunikation. Die gebürtige Rheinländerin studierte Soziologie und Psychologie in Duisburg und promovierte zum Dr. phil. in germanistischer Sprachwissenschaft in Greifswald. Ihr Schwerpunkt in Forschung und Lehre ist Konzeption und Sprache in der Unternehmenskommunikation sowie Public Relations im digitalen Umfeld. Sie arbeitet parallel als Kommunikationsberaterin für Publikations- und Textprojekte als auch als Gutachterin in der Krisenkommunikation. Ein weiterer Schwerpunkt in der Forschung und Publikationstätigkeit ist die © Landeshauptstadt Hannover Beschäftigung mit digitalen Meinungsführern im Bereich Public Relations. Derzeit ist Schach als Leiterin der Kommunikation der Landeshauptstadt Hannover abgeordnet.

„Ich habe es im Fernsehen gesehen!“ Bildmanipulationen in der journalistischen Fernsehberichterstattung

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Wilfried Köpke

Zusammenfassung

Inszenierungen in fernsehjournalistischen Beiträgen sind alltäglich und sowohl bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wie bei den privat-kommerziellen zu finden. Da sich Journalistinnen und Journalisten immer häufiger als Erzähler verstehen, ist das nur konsequent. Für die Fernsehzuschauerinnen und – zuschauer sind gut erzählte Geschichten glaubwürdig, beinahe unabhängig davon, wie stark sie inszeniert sind. Der Trend zur guten Geschichte, die visuelle Vermittlungsleistung für die Kommunikatoren und die Erwartungen des Fernsehpublikums unterhaltsam informiert zu werden, können in der Krisenkommunikation zur Herausforderung für Unternehmens-, Parteien- und Verbandskommunikatoren und PR-Verantwortliche werden. Bildmanipulationen können in der Krisenkommunikation zu einer Verschärfung der Lage beitragen und müssen deshalb im Krisenmanagement zwingend berücksichtigt werde. Dieser Beitrag beschreibt die Manipulationsmöglichkeiten in der Bewegtbildberichterstattung und erläutert die zugrunde liegenden Mechanismen. Diese, auch systemischen Bedingungen, zu kennen, ermöglicht es, strategisch größerem Schaden vorzubeugen, Maßnahmen zu ergreifen und Instrumente zu entwickeln, um der Bildmanipulation ggf. mit eigenen Inszenierungen zu begegnen.

W. Köpke (*)  Hochschule Hannover, University of Applied Sciences and Arts, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2_20

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20.1 Von der Story zum Bild 20.1.1 Manipulationen des Bewegtbildmaterials Etwas im Fernsehen gesehen zu haben, gilt den Rezipientinnen und Rezipienten nach wie vor als authentisch und glaubwürdig. Mit eigenen Augen zu sehen überzeugt – auch wenn das Bewegtbildmaterial zuvor bearbeitet wurde. Die mögliche Problematik können drei Beispiele erläutern. Beispiel 1

„Für Tränen ist es noch zu früh“ EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien 2012. Bei der Liveübertragung erleben die ARD-Zuschauerinnen und Zuschauer das 0:2 und bekommen aus dem Stadion eine deutsche Fanfrau auf dem Bildschirm zu sehen, der dicke Tränen über die schwarzrot-gelb geschminkten Wangen laufen. „Für Tränen ist es noch zu früh“, kommentiert ARD-Mann Steffen Simon. Richtiger wäre gewesen: „Die Tränen waren viel früher“ (Krull 2012) – denn es stellte sich heraus, dass es die Tränen der Rührung beim Abspielen der Nationalhymne waren, etliche Minuten früher und bei der Liveübertragung nun an die Stelle des zweiten Tors der Italiener reingeschnitten.

Beispiel 2

Die hölzerne Pforte des Caritasverbandes Die als liberal, klug und offen bekannte Direktorin des Caritasverbandes im Erzbistum Berlin, Dr. Ulrike Kostka, wird Anfang 2013 von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichtenmagazin zu einem Statement gebeten (rbb vom 02.02.2013). Zuvor hatten es in Köln um den Jahreswechsel zwei Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft abgelehnt, auf Bitten einer Notärztin bei einer vergewaltigen Frau eine medizinische Spurensicherung durchzuführen und die Pille danach zu geben. Kostka betont klar und unmissverständlich, dass diese Abweisung menschlich, medizinisch und seelsorglich nicht im Sinn und Geist einer katholischen Einrichtung stehe. Das Interview ist beendet, es findet vor dem Hauptgebäude des Caritasverbandes in Berlin statt. Das Kamerateam bittet nun Frau Kostka noch durch die große, schwere, hölzerne Pforte wieder in das Haus zu gehen, man brauche noch ein paar Bilder. Das Bild der zufallenden Holzpforte wird das Schlussbild des Beitrags, versehen mit dem Sprechertext aus dem Off, dass auch weiterhin die Türen katholischer Krankenhäuser vor vergewaltigten Frauen zugeschlagen würden. Gegen dieses Bild, das beim Zuschauer, der Zuschauerin hängen bleibt, hat der offenere und gegenteilig ausgerichtete O-Ton Kostkas, wie das Zitat in den audiovisuellen Medien genannt wird, in der Zuschauerwahrnehmung keine Chance.

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Beispiel 3

Der Schrei des gequälten Elefanten Der SWR präsentiert im als journalistisch sehr seriös eingeschätzten Polit-Magazin Report Mainz am 4. April 2017 einen angeblichen Skandal im Hannoverschen Zoo: Elefanten, vor allem junge Elefanten, würden dort geschlagen und gequält (SWR 2017). Als Beleg dienen heimlich aufgenommene Bewegtbilder der Organisation PeTA. Bei der Untersuchung des Materials stellt sich unter anderem heraus, dass das Material in der Geschwindigkeit manipuliert wurde und der Schrei eines angeblich gequälten, jungen Elefanten von einem erwachsenen Tier stammte. Ein von PeTA angestrengtes Verfahren gegen den Zoo Hannover wurde vom Gericht nicht zugelassen, die Ermittlungen eingestellt (Krasselt 2017). Solche und andere Manipulationen des Bewegtbildmaterials in Fernsehmagazinen führen bei manchem Medienwissenschaftler zu der resignierten Einsicht: „Der eigentliche Skandal ist längst nicht mehr im Fake zu suchen, sondern in dem sich bis heute haltenden Mythos, der behauptet, das Fernsehen bilde die Wirklichkeit ab. Der Betrug liegt heute im Versprechen einer Echtheit, die es in den inszenierten Welten des Fernsehens nie gegeben hat und nie geben wird“ (Gerhards 2005, S. 297). Ohne an dieser Stelle die bereits in den 1970er Jahren geführte Debatte um den Konstruktivismus in den Kommunikations- und Medienwissenschaften wieder aufleben lassen zu wollen oder die Realitäts- und Wirklichkeitsdebatte der 1990er Jahre (Bentele 1996), ist es für die weitere Darstellung sinnvoll und klärend, fünf Voraussetzungen von journalistischen Fernsehbeiträgen zu benennen.

20.1.2 Fünf Voraussetzungen von journalistischen Fernsehbeiträgen (1) Wirklichkeit aber kein Abbild Seriöse Fernsehberichterstattung zeigt in ihrem medialen Wirklichkeitsbild eine Realität auf, die dem vorfilmischen Wirklichkeitsbild entspricht. Da Fernsehjournalistinnen und -journalisten aus den Produktionsbedingungen heraus, dass das Ereignis der Berichterstattung vorausgeht, meist erst nach dem Ereignis produzieren, aber auf Bilder angewiesen sind, die meist nicht mehr aufgenommen werden konnten, widerspricht es dem Wirklichkeitsverständnis glaubwürdiger Berichterstattung nicht, wenn Symbolbilder oder inszenierte Bilder verwendet werden (Köpke 2018b), sofern sie durch die vorhergehende Recherche belegt sind. Einen Abbildcharakter des Fernsehbeitrags zur vorfilmischen Realität zu erwarten, würde einem Rückfall in eine vormoderne, scholastische Erkenntnisontologie entsprechen.

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(2) Komplexe Vermittlungsebenen der Fernsehberichterstattung Fernsehberichterstattung wirkt deshalb so überzeugend und glaubwürdig, weil sie mit Bild und Ton, technisch sehr komplex und andererseits nahe an der alltäglichen Wahrnehmung orientiert, vermittelt. Methodisch kann man vier Ebenen bei zu Sequenzen verbundenen Einstellungen unterscheiden: • Prägend für den Fernsehbeitrag ist das Bewegtbild. Es wird vom Rezipienten schnell erkannt, und wenn es in Beachtung der wahrnehmungspsychologischen Regeln gedreht und geschnitten wurde, liegt seine zentrale Leistung in der Vermittlung der Informationen. • Der beim Dreh aufgenommen Ton, auch Atmo(sphäre) genannt, trägt wesentlich zur Glaubwürdigkeit und Authentizität des gesendeten Materials bei. Bewegtbilder ohne Atmo wirken unglaubwürdig, künstlich, manipuliert. Durch Anheben oder Verstärken des Tons wird die Authentizität verstärkt bzw. die Bildaussage unterstrichen. • Die Musikebene kann die ausgestrahlte Sequenz emotional stützen oder überhaupt erst emotional aufladen. Da die akustischen Signale im ältesten Teil des Gehirns verarbeitet werden, braucht deren Wahrnehmung und Wirkung einerseits etwas länger als visuelle Reize, andererseits aber wirken akustische Signale dann kräftiger und beeinflussen nachhaltiger als visuelle. • Die vierte Ebene ist der Sprecher- oder Kommentartext des Fernsehbeitrages. Er ergänzt die durch Bild und Ton gesetzten Informationen und hilft dem Zuschauer bei der Einordnung und Bewertung dessen, was er sieht oder auch sehen soll. Auf jeder dieser vier Ebenen ist Manipulation möglich, die häufig vom Zuschauer nicht erkannt wird und deshalb bei ihm keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung aufkommen lassen. Im Gegenteil: Er sieht ja mit eigenen Augen, was im Beitrag behauptet wird. (3) Bildgestaltung beim Dreh „Während des Drehs wird das Dargestellte der Kamerasprache unterworfen und durch sie geformt“ (Gerhards 2005, S. 288). Kameraposition, Einstellungsgröße, Kamerabewegungen wie Schwenks, Zooms, Reißschwenks oder Extremzooms haben einen Einfluss auf das, was und wie erzählt wird und auf die anschließende Rezeption. Das Bild vermittelt die wesentlichen Informationen. Neben der Kameraarbeit können beim Dreh kleine Inszenierungen vor der Kamera unterschwellig Informationen vermitteln bzw. in der anschließenden Postproduktion oder durch den Sprechertext symbolisch interpretiert werden, wie z. B. die eingangs erwähnte zufallende Eingangspforte als Bild der Abweisung gegenüber einer bestimmten Personengruppe. Wichtig aber ist: Keine fernsehjournalistische Berichterstattung funktioniert ohne Bilder. Selbst der journalistische Aufsager des Reporters im On vor dem Werkstor oder dem Parlamentsgebäude, vor der geschlossenen Tür der Tarifverhandlungen oder der Schranke des Krankenhauses, in dem

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die Frühchen starben, bleibt ein nur bedingt glaubwürdiger Ersatz für die fehlenden Bilder, die die Verhandlungen, die Abstimmungen, den Tod gezeigt hätten. (4) Gestaltung in der Postproduktion In der Postproduktion bekommt der journalistische Fernsehbeitrag seine endgültige Form. Das gedrehte Rohmaterial wird gekürzt, montiert, mit Musik und Sprechertext versehen. Diese „Phasen der Selektion und Formgebung“ (Gerhards 2005, S. 288) vom Schnitt über die Farbkorrektur bis zur Sprachaufnahme und Hauptmischung sind in einer Krisensituation für andere Akteure, wie z. B. die Unternehmenskommunikation, kaum zu beeinflussen. In diesem Beitrag spielen sie deshalb eine untergeordnete Rolle, da sie in der Krisensituation der PR wenige Handlungsfelder eröffnen. (5) Nutzungsinteressen der Zuschauer Die weltweit umfassendste repräsentative Langzeitstudie Massenkommunikation des Forschungsteams von ARD und ZDF zum Mediennutzungsverhalten und den Nutzungsinteressen (s. Abb. 20.1) hat 2015 für das Massenmedium Fernsehen in Deutschland erhoben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer ab 14 Jahre sich beim Fernsehschauen vor allem informieren wollen (81 %), es macht ihnen Spaß, Fernsehen zu schauen (79 %) und sie können dabei entspannen (78 %). Ergänzt man diese Informationen noch

Abb. 20.1    Nutzungsmotive Fernsehen. (Aus Breunig und Engel 2015; mit freundlicher Genehmigung von © ARD-Werbung SALES & SERVICES GmbH 2019. All Rights Reserved.)

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durch die in derselben Studie erhobenen Imagewerte für das Fernsehen, wird deutlich, wie hoch der Unterhaltungswert ist, den Fernsehzuschauerinnen und Zuschauer dem Programm beimessen und den sie bei der Fernsehnutzung suchen (Breuning und Engel 2015). Was in der Fernsehberichterstattung unterhält, das funktioniert auch in der Rezeption, so die auch mit Blick auf die Quote in Fernsehredaktionen akzeptierte Erkenntnis. Diese Voraussetzungen zu beachten hilft, nicht einer naiven Vorstellung journalistischer Arbeit zu verfallen. Und es macht auch verständlich, warum im Journalismus – wie auch in PR, Wirtschaft, Politik – immer häufiger von Storytelling in Präsentation und Vermittlung die Rede ist, was den gestalterischen Spielraum wie die Manipulationsmöglichkeiten durch die Macher erhöht (Schach 2017).

20.1.3 Journalistisches Storytelling Journalisten wenden sich in den vergangenen Jahren häufig als Erzähler (Köpke 2017a, b) an ihr Publikum und das bedeutet neben einer erzählenden Grundhaltung der Journalisten, dass sie ihre Produktionen mit narrativen, dramaturgischen und literarischen Mitteln gestalten. Fernsehjournalisten kommen bereits mit einer Geschichte zum Dreh. In dieser Geschichte gibt es einen Helden oder Antihelden, es gibt Herausforderungen, die es für den Helden zu bewältigen gibt, und Widerstände zu überwinden. Es gilt, Unterdrückten Stimme zu geben und Böse oder Böses zu demaskieren. Mancher Journalist sieht sich dann auch schnell als Helfer des Helden. Die Gefahr, dass dann die journalistische Geschichte an der Wirklichkeit nicht überprüft wird, sondern mit den Elementen des Wirklichen eine eigene, filmische Realität aufgezeichnet wird, ist gegeben und sie wächst, je weniger klar die Situation ist, die der Journalist oder die Journalistin vorfindet. Besonders in der Krisensituation, die unverhofft kommt, wo es wenig Klarheit gibt, hilft dem Fernsehjournalisten die klare Positionierung seiner Geschichte, die er versuchen muss, in Bildern zu erzählen. Dabei greift er immer zum Mitteln der Inszenierung. Gefährlich und unberechenbar wird es, wenn er bewusst manipuliert.

20.2 Inszenierung Fernsehjournalisten, Fernsehmagazine und Sender leben auf Dauer davon, dass die Leute ihnen glauben, sonst schalten sie ab und nicht mehr ein. Damit das nicht geschieht, muss die Story überzeugen und dazu gehört, dass sie an das Weltwissen und die Vorerfahrung der Zuschauerinnen und Zuschauer anknüpft und zu ihnen in keinem Kohärenz-Widerspruch steht und dass Form und Inhalt, Sprache und Thema zueinander passen (Köpke 2017a). Der Fernsehjournalist wird also immer versuchen, sein Produkt so zu gestalten, dass es glaubwürdig vermitteln kann, was er recherchiert hat. Weil er um die Macht und tragende Rolle des Bildes im Fernsehjournalismus weiß, wird er der Bildgestaltung

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besondere Aufmerksamkeit widmen und seine Bilder bereits beim Dreh so inszenieren, dass sie im Sinn der Geschichte funktionieren.

20.2.1 Inszenierung mit der Kamera Die Inszenierung beginnt mit der Inszenierung durch die Kamera. Die einfachste Inszenierung wird durch die Positionierung der Kamera gesetzt. Postuliert man in einer Krisensituation ein Opfer und einen Täter, wird bei der Täteraufnahme die Kamera möglichst unterständig positioniert, damit der Täter bedrohlich auf den Zuschauer wirkt und er diese Bedrohungsempfindung auf den Täter im Film überträgt. Beim Opfer hingegen wird die Kamera oberständig positioniert. Der Zuschauer schaut auf das Opfer hinab, sieht es klein, schwach und am Boden und überträgt diese Bedrohungssituation emotional auf den oder die Dargestellten. Schusszooms auf ein Fenster (hinter dem der oder die Täter sitzen) packen den Zuschauer beim Nacken und stoßen ihn mit der Nase auf den Skandal, die Gefahr, die Täter: Hier sitzen (als Beispiel) die Schreibtischtäter, die planen, wer wann entlassen werden soll. Bewegte, wackelnde Kameraeinstellungen, aufgenommen ohne Stativ, können die Unruhe, die Dramatik der Situation unterstreichen. Dem Unternehmer, der der Steuerhinterziehung angeklagt wird, geht die Kamera zum Gericht wackelnd hinterher, sodass sich die Unruhe der Kameraführung bei der Rezeption auf den Protagonisten überträgt. Ein O-Ton, abgegriffen auf dem Weg zum Gericht, im Laufen, hektisch, vermittelt einen gehetzten, ausweichenden, abwehrenden Protagonisten – will man als Fernsehjournalist diesen Eindruck, wird man ein Interview im Stehen oder vorangekündigt bzw. vorab vereinbart erst gar nicht versuchen. Versteckt angebrachte Kameras, die aufgrund ihrer Größe oft gar nicht erkannt werden, schaffen in stundenlangen Aufnahmen Bildmaterial, das zusammengekürzt in der Postproduktion schnell dramatisiert werden kann. Wenn beispielsweise an einem Altenheim 50 m vor einem gesicherten Straßenübergang innerhalb von acht Stunden zweimal jemand an einem Rollator langsam über die Straße geht, ist das wenig eindrucksvoll; passiert das zusammengeschnitten innerhalb von 20 s gibt es ein Bedrohungsszenario: Autotreibjagd auf Altenheimbewohner. Bereits das mit investigativer Kamera aufgenommene Material – die Gesichter verfremdet, die Texte nachgesprochen – vermittelt dem Zuschauer das prickelnde Rezeptionserlebnis, an etwas Unerlaubtem teilzunehmen. Da gibt es preisgekrönte, investigative Produktionen und solche, wo die skandalisierten Inhalte weit hinter der Form zurückbleiben. Wird eine Zeitrafferaufnahme langsamer aufgenommen als abgespielt, beschleunigt sich alles, aus einer Berührung wird so dann ein Klapps, aus einem Klapps wird ein Schlag. So funktionierte das bei dem Bericht über angeblich malträtierten Elefanten im hannoverschen Zoo (SWR 2017; Krasselt 2017).

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Alle diese Inszenierungen mit der Kamera werden und können auch im Qualitätsjournalismus angewendet werden. Entscheidend ist, welche journalistische Geschichte damit erzählt wird und werden soll und welche Qualitätsstandards angelegt werden.

20.2.2 Inszenierung vor der Kamera Inszenierungen vor der Kamera müssen nicht gleich in das große Reenactment münden (Köpke 2018a), dafür sind in der tagesaktuellen Fernsehberichterstattung, in der die Krisenberichterstattung meistens umgesetzt wird, außerdem weder Zeit noch Budget vorhanden. Bereits die Auswahl des Hintergrundes kann entscheidend die Wahrnehmung des O-Ton-Gebers prägen. Wird der Arbeitsdirektor zur anstehenden Entlassungswelle oder der Nichtübernahme von Auszubildenden nach der Ausbildung befragt, ist es ein Unterschied, ob er abgehoben am Schreibtisch sitzt, aus seinem teuren Dienstwagen steigt oder sich womöglich sogar vor gerahmten, historischen Aktiendrucken filmen lässt – besser kann der Vorrang der Shareholder vor der Arbeit dann kaum belegt werden. Auch der zweifelnde Blick vor dem O-Ton, ebenso wie das bejahende Nicken zu der später im Text unterstellten Behauptung vor dem O-Ton sind Inszenierungen vor der Kamera, die dem Interviewten Positionen unterstellt, die der Zuschauer als glaubwürdig ansieht. Der Interviewte beim Dreh hat genickt, um zu signalisieren, dass er die Frage verstanden hat. Im Beitrag taucht die Frage aber gar nicht auf, stattdessen ein AntextSatz wie: „Dass der Aktienkurs wieder stimmt, dass ist ‚N.N‘ besonders wichtig.“ Und „N.N“ nickt dann zu diesem Satz, bevor sein O-Ton kommt – was er sagt, ist nach diesem visuellen Intro zu seiner Aussage fast nebensächlich. Fernsehjournalisten brauchen Bilder, um Personen im Beitrag zu etablieren und vorzustellen. Deshalb bitten sie ihre Protagonisten zu schreiben, aus dem Fenster zu schauen, von A nach B zu gehen, in einem Buch zu blättern, um im Beitrag Zeit für vorstellende Sätze im Sprechertext zu generieren. Diese Sequenzen sind nicht harmlos, sie haben bereits eine Aussage, die über das bloße Vorstellen der Person hinausgeht. Der aus dem Fenster schauende Unternehmer wirkt schnell melancholisch oder resigniert, die über das Werkshofpflaster stöckelnde HR-Managerin der Realität enthoben, der nach oder vor dem Insolvenzgerichtstermin auf die Uhr schauende und dann losgehende Unternehmer bietet die Steilvorlage für einen Text wie: „Ein letzter Blick auf die Rolex, dann wird das Ende von 1.200 Arbeitsplätzen besiegelt.“ Der Wissenschaftler, der nur in seinen eigenen Büchern blättert, der Politiker, der Autogrammkarten unterschreibt, der Verbandsfunktionär, der sich an der Wand die Fotos seiner Treffen mit den politischen Größen von Trump bis Putin anschaut – sie alle zeigen im Beitrag ihre narzisstische Eitelkeit. Und eventuell hat der Journalist nur gesagt: „Ich bräuchte noch ein paar Bilder, könnten Sie bitte mal dies oder jenes tun?“ Problematisch für die Beteiligten in der Krisensituation – wegen ihrer Spannung aber geliebt vom Zuschauer in seiner Voyeur-Position auf dem heimischen Sofa – sind

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inszenierte Begegnungen der Kontrahenten, die der Fernsehjournalist vorbereitet hat. Der hartherzige Vermieter hat nach zwei Jahren ohne Mietzahlung eine Räumungsklage eingereicht. Das Fernsehteam geht nun mit dem beklagten Mieter zum Vermieter und setzt auf die Auseinandersetzung. Auf der einen Seite das bemitleidenswerte Opfer, vielleicht auch nicht so sprachgewandt wie der Wohnungseigentümer, auf der anderen Seite der harte, unmenschliche und geldgierige Vermieter. Die inszenierte Begegnung kann das stützen. Werden diese Aufnahmen mit einer versteckten Kamera gemacht, inszeniert sich häufig auch der Reporter als Opfer, der z. B. ein Auto verkaufen will und über den Tisch gezogen wird, der Handwerker bloßstellt, die eine vorher präparierte Waschmaschine zu teuer reparieren und so weiter. Hier werden erst Wirklichkeiten geschaffen, über die dann berichtet wird. Die Mühe der aufwendigen, gar hintergründigen Recherche macht man sich nicht, sondern recherchiert vor laufender Kamera.

20.2.3 Symbolbilder Krisensituationen kommen häufig überraschend und die Fernsehredaktionen brauchen Bilder, um zu berichten und die Katastrophen glaubwürdig zu vermitteln. Weil man die aktuellen Bilder oft nicht hat, greifen Fernsehjournalisten zu Archivbildern oder zu Symbolbildern. Der verölte Vogel bei einem Schiffsunglück kommt dann schon mal aus dem Archiv, die Träne aus einer anderen Passage des Films. Das ist, solange es transparent dargestellt wird, unproblematisch. Aber diese Bilder haben eine hohe manipulative Potenz. Während des Wahlkampfes zum Bundeskanzler hat Gerd Schröder darauf geachtet, keine Rolltreppen oder gläserne Aufzüge im Willy-Brandt-Haus abwärts zu fahren. Das Deutungspotenzial ist zu groß: einer, der absteigt, nach unten fährt, den Aufstieg nicht geschafft hat. Der Papst, der Kinder küsst – ein schönes Bild. Im Zusammenhang mit einem Bericht über Missbrauchsopfer in der Katholischen Kirche kann ein solches Bild eine verstörende, furchtbare Symbolik bekommen. Andererseits wissen gerade Politiker und die Politik-PR um die Symbolkraft der Bilder und liefern die Inszenierungen selbst: Putins Jagdbilder, die Kanzler bei Überschwemmungen im Oderbruch und Sarkozys Minnebilder um Carla Bruni. Das Publikum ist sich der Inszenierung häufig bewusst, und manchmal „ist eine Love-Story erfreulicher als eine Rentenreform“ (Bourgeois 2008, S. 48). Wer sich aber auf das Spiel der Symbolbilder und Inszenierungen einlässt, kann nicht überrascht sein, wenn es auch gegen ihn verwendet wird, wie Gerd Schröder bei seiner Scheidung von Hiltrud Schröder bitter feststellen musste. Als Paar hatten sie sich im Wahlkampf präsentiert. Medial wurde nun auch ihre Trennung über Monate thematisiert. Als Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann 2004 über eine halbe Stunde auf seinen Gerichtstermin warten musste, stand er umringt von Fotografen und Kamerateams, und blätterte auf Empfehlung seines Anwalts auch nicht in den Akten. „Mit Ex-Mannesmann-Boss Klaus Esser scherzte

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er über die Situation. Dabei sei das Gespräch spontan auf den Popsänger Michael Jackson gekommen. Der hatte wenige Tage zuvor in den USA seinen ersten Gerichtstermin im Prozess wegen Kindesmisshandlung. Jackson hatte das Gericht mit Victory-Zeichen verlassen. Ackermann habe dann spontan den Popsänger mit dessen Geste nachgeahmt“ (ARD 2014). Das Bild ging als Bewegtbild durch die Nachrichten, als Foto durch die Tagespresse. Der Imageschaden war immens und die Geste wurde als überheblich, abgehoben, verachtend quer durchs politische Berlin kommentiert. Ackermann sah sich gezwungen, bei der Bilanzpressekonferenz wenige Tage später den Vorgang zu thematisieren – trotzdem wurde aus dem Bild eine Ikone überheblicher Arroganz des Bankengewerbes.

20.3 Manipulation in der Postproduktion Ein junger Familienvater in Berlin findet sich auf einem Video der Berliner AfD-Fraktion im Netz wieder. In dem professionell gedrehten Film stammelt er vor sich hin, offensichtlich unfähig, sich zu artikulieren. Dem Video liegt ein aufgezeichnetes Interview während einer Demonstration in Berlin zugrunde, das dann in der Postproduktion so zurechtgeschnitten wurde, dass der Familienvater arabischer Herkunft als Antifa-Stammler über den Bildschirm geht (Richter 2018), passend zur AfD-Ideologie. „Gerade in der Postproduktion, also im Schnitt, sind zahlreiche Eingriffe möglich: Farben, Positionen und Gegenstände können verändert oder wegretuschiert und per Stopp-Trick oder Zeitlupe und Zeitraffer die Bildsprache verändert werden. Auch können neue Töne untergemischt und eine andere ‚Atmo‘ beigemischt werden und unliebsame Töne verschwinden“ (Gerhards 2005, S. 288). Diese Manipulationen sind von den Protagonisten nicht zu beeinflussen, stellen ein medienethisches und unter Umständen auch ein medienrechtliches Problem dar. Auf diese Manipulationsebene soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. In der Krisenkommunikation sind sie nicht zu bewältigen. Rechtliche Schritte im Nachgang sind gegebenenfalls angebrachte Reaktionen. Andererseits wird gerade in einer Krisensituation und in der aktuellen Berichterstattung wenig Zeit für umfassende und zeitintensive Manipulationen in der Postproduktion sein, sodass man das eher bei semiaktuellen Magazinen oder langen Produktionen wie Features und Dokumentationen befürchten muss.

20.4 Handlungsempfehlungen Die Verantwortlichen in der Unternehmenskommunikation sind im Krisenfall in einer schwierigen Situation. Sie wissen, wie manipulativ Bilder wirken können, wie Medien die Krise verstärken und verschärfen können. Matthias Bickenbach spitzt es in der medienpessimistischen Tradition der Frankfurter Schule so zu: „Es ist eine Paradoxie,

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an die sich die Kultur gewöhnt hat, nämlich das implizite Wissen, dass Medien lügen (indem sie nach ihren Regeln darstellen), aber das wir zugleich alles, was wir wissen, ausschließlich und nur durch Medien wissen können. Ohne Medien kein Wissen, keine Wahrnehmung, keine Kommunikation“ (Bickenbach 2005, S. 345). Die Medienverweigerung in der Krise ist deshalb keine Alternative. Eine gut vorbereitete Krisenstrategie kann auch im Bereich des Bewegtbildes Vorsorge vor Manipulation und missbräuchlicher Inszenierung treffen. Dass dabei ein Restrisiko und besonders die Phase der Postproduktion ohne Einflussmöglichkeiten bleibt, wurde bereits angemerkt. Für diese Vorbereitungen der Krisenkommunikation gibt es gleichwohl konkrete Handlungsempfehlungen für PR, Politik-, Verbands- und Unternehmenskommunikation: • Krisenszenarien sollten trainiert werden, die Abläufe müssen geklärt sein, dazu gehört es auch, wer wann mit den Medien spricht und Statements und Interviews gibt. Die Verantwortlichkeiten im Krisenmanagement müssen vor der Krise geklärt werden. • Der Ort des Interviews kann vorbereitet werden, und es muss dabei darauf geachtet werden, welche Aussagen der Bildhintergrund vermittelt. • Sprache, Gestik und Mimik – Verhalten im Kriseninterview können und müssen regelmäßig vorab trainiert werden (Köpke 2017a). • In der Krise müssen alle Personen mit Medienkontakt ein einheitliches Wording verwenden. • Wird das Interview auch von der Unternehmenskommunikation aufgezeichnet, ist die Hemmschwelle, es zu manipulieren, erhöht. • Fernsehen braucht Bilder. Größere Unternehmen sollten selbstverständlich Bewegtbild-Footage der Produktion, der Abläufe, der Werke etc. produzieren und zur Verfügung stellen. Bei einem Brand im Werk wird vorabproduziertes Footage von der Werksfeuerwehrübung ebenso gerne genommen werden wie die Drohnenaufnahmen des Werkes. Je mehr vorbereitetes Footage verwendet wird, umso weniger selbst gedrehtes und inszeniertes Filmmaterial wird im Beitrag verwendet. • Man kann als Kommunikationsverantwortliche auch selbst Inszenierungen schaffen, vom Krankenbesuch nach dem Unfall bis zum Vor-Ort-Termin des Politikers bei der Naturkatastrophe. • Im Vorgespräch zu den Dreharbeiten gilt es, die Logline oder Storyline des Journalisten herauszubekommen, um voraussehen, welche Bilder er dafür braucht. Dann kann man als Unternehmenskommunikation in visuellen Alternativen denken und – um beim Beispiel der Caritas-Pforte zu bleiben – versuchen, aus der Tür herauszukommen. • Es gilt, Symbolbilder zu vermeiden und deshalb kritisch zu überprüfen, wo die Gefahren dafür liegen. Das beginnt bei der Kleidung und endet bei Bildern wie abgedeckten Leichen, Abtransport von Kranken etc. Mobile Sichtsperren oder alternative Fahrtrouten helfen, diskriminierende Bilder zu vermeiden.

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Literatur ARD. 2014. Ackermanns Victory-Zeichen schreibt Geschichte. https://boerse.ard.de/boersenwissen/boersengeschichte-n/ackermanns-victory-zeichen-schreibt-geschichte100.html. Zugegriffen: 30. Okt. 2018. Bentele, Günter. 1996. Wie wirklich ist die Medienwirklichkeit? Anmerkungen zu Konstruktivismus und Realismus in der Kommunikationswissenschaft. In Wahrheit als Medienqualität, Hrsg. Wolfgang Wunden, 121–142. Frankfurt a. M.: GEP. Bickenbach, Matthias, Stephan Borg, und Bettina Lambert. 2005. Der Fälscher als Poetologe und Medientheoretiker. In TV-Skandale, Hrsg. Claudia Gerhards, Stephan Borg, und Bettina ­Lambert, 329–353. Konstanz: UVK. Bourgeois, Isabelle. 2008. La télé, c’est moi! In Jahrbuch Fernsehen Hrsg. Gemeinschaftswerk Evangelische Publizistik, Funkkorrespondenz, Institut für Medien- u. Kommunikationspolitik, 44–54, Marl: Adolf Grimme-Institut. Breunig, Christian, und Bernhard Engel. 2015. Massenkommunikation 2015 – Funktionen und Images der Medien im Vergleich. Media Perspektiven 7 (7–8): 323–341. Gerhards, Claudia. 2005. Der Fälscher als Poetologe und Medientheoretiker. In TV-Skandale, Hrsg. Claudia Gerhards, Stephan Borg, und Bettina Lambert, 329–353. Konstanz: UVK. Köpke, Wilfried. 2017a. Narrativer Fernsehjournalismus: rezeptions- und kommunikationsbezogene Begründung einer journalistischen Neuorientierung. In Storytelling. Geschichten in Text, Bild und Film, Hrsg. Annika Schach, 193–203. Wiesbaden: Springer Gabler. Köpke, Wilfried. 2017b. Narrativer Journalismus. Widerständig in unübersichtlicher Lage. In Widerspenstiges Design. Gestalterische Praxis und gesellschaftliche Verantwortung, Hrsg. Hans-Jörg Kapp und Friedrich Weltzien, 94–105. Berlin: Reimer. Köpke, Wilfried. 2018a. Das Interview als Instrument der Krisenkommunikation. In Handbuch Sprache in den Public Relations. Theoretische Ansätze – Handlungsfelder – Textsorten, Hrsg. Annika Schach und Cathrin Christoph, 485–495. Wiesbaden: Springer VS. Köpke, Wilfried. 2018b. Authentischer als das Original. Reenactment im Fernsehdokumentarismus. In Filmerbe. Non-fiktionale historische Bewegtbilder in Wissenschaft und Medienpraxis, Hrsg. Wilfried Köpke und Peter Stettner, 147–161. Köln: Halem. Krasselt, Andreas. (22 August 2017). Staatsanwaltschaft: Keine Tierquälerei bei den Elefanten. Zoo Hannover. Hg. v. Neue Presse. http://www.neuepresse.de/Hannover/Meine-Stadt/Staatsanwaltschaft-Keine-Tierquaelerei-bei-den-Elefanten. Zugegriffen: 30. Okt. 2018. Krull, Patrick. (30 Juni 2012). Falsche Tränen – Uefa manipuliert erneut TV-Bilder. https://www. welt.de/sport/fussball/em-2012/article107599500/Falsche-Traenen-Uefa-manipuliert-­erneutTV-Bilder.html. Zugegriffen: 25. Okt. 2018. Richter, Janine. (29 Oktober 2018). Familienvater fühlt sich von AfD als Extremist verunglimpft. https://www.morgenpost.de/bezirke/reinickendorf/article215674593/AfD-verunglimpft-Familienvater-als-Extremisten.html. Zugegriffen: 31. Okt. 2018. Schach, Annika. 2017. Storytelling. Geschichten in Text Bild und Film. Wiesbaden: Springer ­Gabler. SWR. 2017. Im Hannoveraner Zoo werden Elefantenkinder malträtiert. https://www.swr.de/ report/geschlagener-dickhaeuter-im-hannoveraner-zoo-werden-elefantenkinder-maltraetiert/-/ id=233454/did=19298302/nid=233454/nuczwo/index.html. Zugegriffen: 31. Okt. 2018.

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Wilfried Köpke lehrt seit 2004 als Professor für Journalistik mit den Schwerpunkten Fernsehen und Kultur an der Hochschule Hannover. Er trainiert Führungskräfte in Wirtschaft, Verwaltung und Verbänden für ihre Medienauftritte und öffentlichen Präsentationen. Seine fernsehjournalistische Kompetenz zeigt sich unter anderem in über 300 Fernsehmagazinbeiträgen und über 30 langen Formaten von SAT.1 bis ARTE. Er leitet den Masterstudiengang Fernsehjournalismus.

© Kateryna Kostyrko

Zusammenfassende Handlungsempfehlungen

Liebe Unternehmenslenker, Risikomanager, Krisenmanager und Kommunikatoren, im Folgenden finden Sie die Essenz dieses Sammelbandes in Form zusammenfassender Handlungsempfehlungen. Teil I: Das große Ganze – Die Management-Systeme organisationaler Resilienz Sie haben die Management-Systeme und Reifegrade organisationaler Resilienz (näher) kennengelernt und Ihren Blick für das Notfall- und Krisenmanagement, das Business Continuity Management, das Interne Kontrollsystem und das klassische Risikomanagement geschärft. Auch die Rolle der Unternehmenskommunikation ist jetzt klarer. Ihnen, die mit dem Aufbau und der Entwicklung der Management-Systeme organisationaler Resilienz betraut sind, empfehlen wir: • Treffen Sie die unternehmerische Entscheidung, ob Sie den Weg organisationaler Resilienz überhaupt gehen und das gesamte Unternehmen beteiligen wollen. • Seien Sie sich bewusst, dass das Ideal nie erreicht werden kann, aber dass sich jede Anstrengung lohnt, denn Unternehmen entwickeln auf dem Weg der Resilienz die Fähigkeit, mit Risiken, Widerständen, Krisen und Unbekanntem umzugehen und sichern auf diese Weise ihre nachhaltige Entwicklung. • Stellen Sie regelmäßig und ehrlich den Reifegrad Ihrer Management-Systeme infrage und definieren Sie Ihre Meilensteine auf dem Weg zu einem sinnhaften, stimmigen Ganzen. • Geben Sie Ihrer Organisation die Chance, Fähigkeiten, interdisziplinäre Kompetenzen und Perspektiven zu entwickeln, indem Sie Zeit sowie personelle und budgetäre Ressourcen zur Verfügung stellen. • Testen Sie Ihre Handlungsfähigkeit.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Meißner und A. Schach (Hrsg.), Professionelle Krisenkommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25429-2

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Zusammenfassende Handlungsempfehlungen

Teil II: Der Ursprung allen Übels – Ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken der heutigen Zeit und Impulse für ihre Bearbeitung Der zweite Teil des Buches hat Sie für ausgewählte kommunikationsspezifische Risiken sensibilisiert. Darunter das Risiko „Reputation Reality Gap“, das Risiko „Desinformation“ und das Risiko „Fehlende Akzeptanz“. Außerdem haben Sie von unseren Experten Impulse und Handlungsempfehlungen zur Bearbeitung dieser Risiken erhalten. Wir empfehlen Ihnen: • Betrachten Sie die hier besprochenen Risiken nicht als abschließende Aufzählung. Bleiben Sie sensibel für die Risiken unserer Zeit. • Reflektieren Sie, ob die hier aufgezeigten Risiken auch in Ihrer Organisation Relevanz haben und, sollten Sie diese Frage mit „ja“ beantworten, steigen Sie gemeinsam mit Ihrem Team in die Bearbeitung ein – bevor sich die Risiken in einem Schaden manifestieren! • Gehen Sie die Risiken interdisziplinär an. Sie werden zur Bewältigung unterschiedlichste Kompetenzen brauchen. Teil III: Gewusst wie – Inhaltliche, organisatorische und methodische Handlungsempfehlungen für Krisenkommunikatoren Im dritten Teil des Autoren-Sammelbandes haben Sie einen tiefen Einblick erhalten, wie die Disziplin Krisenkommunikation professionell „gemacht“ wird. Im Fokus standen der Erwerb von Methodenkompetenzen und relevante Erkenntnisse der Krisenkommunikationsforschung. Insbesondere den Kommunikatoren empfehlen wir: • Erwerben, vertiefen oder festigen Sie methodische Kompetenzen. Sie bieten Ihnen ein stabiles Halteseil in Krisenzeiten. • Stellen Sie für die Krisenprävention zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung. Sie haben im Ernstfall keine Zeit, nationale und internationale Kriseninfrastrukturen zu schaffen, Prozesse zu definieren und Teams zusammenzustellen. Legen Sie den Fokus auf die Aufgaben, die Ihnen im Ernstfall ein schnelles Handeln ­ermöglichen. • Üben Sie den Ernstfall – auch im Zusammenspiel mit den Unternehmenslenkern und Krisenmanagern – und überprüfen Sie Ihre Krisenkommunikationskompetenz. • Eignen Sie sich Fachwissen an, dazu gehören auch Grundkenntnisse des Medienrechts. • Haben Sie ein offenes Ohr für relevante Erkenntnisse der Krisenkommunikationsforschung. Mit den besten Wünschen für Ihre berufliche und private Zukunft Jana Meißner und Annika Schach