Urteiler, Richter, Spruchkörper: Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur [1 ed.] 9783412518806, 9783412518783

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Urteiler, Richter, Spruchkörper: Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur [1 ed.]
 9783412518806, 9783412518783

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Anja Amend-Traut, Ignacio Czeguhn, Peter Oestmann (Hg.)

Urteiler, Richter, Spruchkörper Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur

QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH HERAUSGEGEBEN VON ANJA AMEND-TRAUT, FRIEDRICH BATTENBERG, ALBRECHT CORDES, IGNACIO CZEGUHN, PETER OESTMANN UND WOLFGANG SELLERT

Band 75

Urteiler, Richter, Spruchkörper Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur Herausgegeben von ANJA AMEND-TRAUT / IGNACIO CZEGUHN / PETER OESTMANN

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 252080619 – SFB 1150 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e. V., Wetzlar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Collage aus (von links nach rechts): The Court of Chancery during the reign of George I (Das Kanzleigericht während der Herrschaft Georgs I.). – Gemälde, um 1725, von Benjamin Ferrers. Inv. Nr. NPG 798, London, National Portrait Gallery © akg-images; Archivo de la Real Chancilleria de Granada. Real Provisión ejecutoria de 31 de mayo de 1537 a favor de Antonio Vera del pleito con el concejo de Albacete. Colección de documentos textuales. Pergamino nº 49, pág. 24v; ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, saec. XVIII, Nr, 39, Bl. 449 (Foto: Manfred Huber). Satz: büro m’n, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51880-6

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Inhalt Vorwort  ........................................................................................................ 

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Ignacio Czeguhn Einführung in das Thema  ............................................................................  11 Thomas Fischer Denkanstoß: Theorie, Praxis und Fehlerquellen der strafrechtlichen Revision am Bundesgerichtshof Normative, strukturelle und organisatorische Bedingungen höchstrichterlicher Steuerung   .......................................................................  17 Wolfgang Ernst Collegiate Courts’ Decision-Making Processes Judicial Experiences and Jurisprudential Approaches — ​A Historical Survey  . . ..  35 Benjamin Lahusen De justitio Vom Stillstand der Rechtspflege in der Neuzeit  . . ..........................................  53 Heiner Lück Rechtsfindung, Rechtsmitteilung und Rechtsweisung im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis  .. ...............................................  67 Masaki Taguchi Herrscher, Hofgericht und Schiedsgericht Gerichtliche Entscheidungen am deutschen Herrscherhof im 14. Jahrhundert  . . ......................................................................................  95 Simon Teuscher Annäherungen an die Entscheidungsfindung an Dinggerichten  ................  127 John D. Ford A Common Lawyer Reflects on Adjudication in a Civil Law Court  ..........  141 Antonio Sánchez Aranda Die Kontrolle der Höchstgerichtsbarkeit zur Zeit der Katholischen Könige Die Reform der Kollegialorgane (1480 – 1503)  ..............................................  163

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Inhalt

Hans-Jürgen Becker Die kirchliche Gerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich seit dem Spätmittelalter  ...............................................................................  195 Mark Godfrey Relations between Litigation and Judicial Process in the College of Justice in Sixteenth-Century Scotland  ....................................................  213 José Antonio López Nevot Observaciones sobre el stylus curiae en la Castilla del Antiguo Régimen  ...  225 Tobias Schenk Die Vota ad Imperatorem des kaiserlichen Reichshofrats Zur Verfahrensautonomie an einem herrschernahen Höchstgericht der Frühen Neuzeit  .......................................................................................  239 Mia Korpiola Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636 Attendance, Voting and Reasoning  . . .............................................................  349 Peter Oestmann Entscheidungsfindung und Entscheidungsdarstellung am Reichskammergericht  .. ...........................................................................  371 André Krischer Wie das Gericht entscheidet Ein Beispiel aus der Praxis des englischen Court of Chancery in der Mitte des 18. Jahrhunderts  .................................................................  387 Martin Löhnig Zum richterlichen Selbstverständnis der Reichsgerichtsräte  . . .....................  413 Autorenverzeichnis  . . .....................................................................................  423 Register  .. .......................................................................................................  425 Personenregister/Index of Names  .. ................................................................  425 Ortsregister/Index of Places  ..........................................................................  429 Sachregister/Index of Contents  . . ...................................................................  432

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Vorwort Unter dem gleichnamigen Titel fasst der vorliegende Band die Ergebnisse des 11. Wissenschaftlichen Kolloquiums der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung zusammen, das vom 25. bis 28. April 2018 in Wetzlar stattfand. Mit ihm verfolgten die Herausgeber das Ziel, auf die wertvollen Erfahrungen mit der Beschäftigung der vergleichenden Rechtsgeschichte aufzubauen, d. h. erneut die Perspektive auf Europa zu richten und dabei gleichzeitig verschiedene Epochen zu berücksichtigen. Ungeachtet typischer Verständigungsschwierigkeiten, die entstehen, wenn mehrere Disziplinen sich mit der gleichen Quellengattung beschäftigen, erwies sich auch die Teilnahme von Historikern wie Rechtshisto­rikern ein weiteres Mal als bereicherndes Moment, behütet die Interdisziplinarität doch vor einem verengten Blick. Ausgehend von dem heutzutage als scheinbare Selbstverständlichkeit empfundenen Befund, Richter entschieden Rechtsstreitigkeiten, stand die Überlegung im Zentrum, in ­welchen Formen Entscheidungsfindungen in der Geschichte herbeigeführt wurden. Dementsprechend ging es d ­ ieses Mal auch weniger um die Fragen, ­welche Streitgegenstände verhandelt, w ­ elche Probleme mit Hilfe von Spruchkörpern einer Entscheidung durch Recht zugeführt wurden. In der Vergangenheit beschäftigte sich die Geschichtswissenschaft, aber auch die Rechtsgeschichte weniger mit der Tätigkeit des Gerichts selbst, nicht zuletzt in bewusster Abkehr von einer älteren Urteilszentristik. Außerdem endeten die meisten Verfahren an den obersten Gerichten des Heiligen Römischen Reiches bekanntlich ohne förmliche Entscheidungen. Es erschien deshalb besonders reizvoll, die Rolle des Richters in der Bearbeitung, Zuspitzung und Entscheidung eines Gerichtsverfahrens epochenüberspannend und europäisch vergleichend näher zu untersuchen. Im Vordergrund standen demnach die Herstellung und die Darstellung von Entscheidungen. Der zeitliche Bogen war dabei von der ungelehrten Urteilsfindung und bis hin zur modernen Subsumtion gespannt. Folgende Thesen konnten durch die einzelnen Beiträge bestätigt bzw. weiter aufgehellt werden: Nur die Zusammenschau von öffentlichen Verfahrensschritten und den verborgenen Abschnitten des Entscheidens erklärt das Zustandekommen von Entscheidungen abschließend. Die Kommunikation z­ wischen den Gerichtsangehörigen und den Parteien mit ihren Interessenvertretern verlief deutlich anders als die Aufbereitung von Spruchmaterial für das Fachpublikum. Das untersuchte Aktenmaterial sieht zwar ähnlich aus, erfüllte jedoch unterschiedliche Funktionen innerhalb des Entscheidungsprozesses. Den Ausgangspunkt für die einzelnen Untersuchungen bildet das moderne deutsche Prozessrecht, der durch den ehemaligen Vorsitzenden Richter am Bundes­ gerichtshof Thomas Fischer gehaltenen Abendvortrag gesetzt wurde.

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Vorwort

Thematisch einführenden Aspekten, nämlich in w ­ elchen Formen überhaupt Mehrheitsfindungen in Kollegialgerichten getroffen werden konnten und ­welche Ursachen und Folgen ein Stillstand der Rechtspflege hatte bzw. nach sich zog, widmen sich Wolfgang Ernst und Benjamin Lahusen. Hier treten aufschlussreiche Mechanismen zutage: Mussten die richterlichen Mitglieder einen Konsens erzielen oder reichten Mehrheitsentscheidungen aus; ­welche Möglichkeiten bestanden, ­solche Mehrheiten zu erzielen? In chronologischer Abfolge schließen Überlegungen zum mittelalterlichen Recht des sächsisch-magdeburgischen Raums (Heiner Lück), zu kontradiktorischen und schiedsgerichtlichen Verfahren am Königsgericht des 14. Jahrhunderts (Masaki Taguchi) und zum dinggenossenschaftlichen Findungsverfahren im ungelehrten mittelalterlichen Recht (Simon Teuscher) an. Den großen zeitlichen Bogen vom ausgehenden Spätmittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts spannen sodann Analysen über das kanonische Gerichtsverfahren (Hans-Jürgen Becker), die Prozessführung am Kaiserlichen Reichshofrat (Tobias Schenk) sowie am Reichskammergericht (Peter Oestmann). Eine vergleichende ­Perspektive steuerten für die Frühe Neuzeit die Beiträge über das schottische Zivilprozessrecht des 16. bzw. 17. Jahrhunderts (Mark Godfrey, John Ford), die Höchstgerichtsbarkeit Kastiliens (Antonio Sanchez Aranda) und der dortigen ­Prozessführung (José Antonio Lopez Nevot) und den englischen Court of Chancery und dessen Verfahrensrecht (André Krischer) bei. Damit einhergehend konnten verschiedene höchstgericht­liche Spruchkörper und damit auch ihre Funktion und Wirkungsweise gegenübergestellt werden: das schottische College of Justice (Mark Godfrey), der ­Kaiserliche Reichshofrat (Tobias Schenk), das Reichskammergericht (Peter Oestmann), das schwedische Svea hovrätt (Mia Korpiola) und der englische Court of Chancery (André ­Krischer). Sie bildeten nicht allein den gemeinrecht­lichen Bezugspunkt, sondern auf diese Weise ließen sich auch Besonderheiten, aber ebenso typische Gemeinsamkeiten der frühneuzeitlichen richterlichen Entscheidungstätigkeit deutlich erkennen. Der Beitrag von Martin Löhnig schließlich beschäftigt sich mit dem Entscheidungsprozess am Reichsgericht des 19. Jahrhunderts und gibt damit Einblick in ein reformiertes Verfahren, das mit dem heutigen weitgehend übereinstimmt und so wiederum an den Ausgangspunkt der Veranstaltung wie auch des Tagungsbandes anknüpft. Nicht enthalten im Tagungsband sind die Vorträge von Clara Günzl über „Richterliche Entscheidungsbegründungen – Th ­ eorie und Praxis im 19. Jahrhundert“ sowie von Arnd Koch „‚Ein studierter Mann besitzt doch mehr Judicium als solch unwissen­schaftliche Menschen‘ – Strafprozessuale Entscheidungsfindung ­zwischen Aktenversendung, Berufsrichtertum und Geschworenengerichten“. Ein Tagungs­bericht von Alexander Durben erschien in der ZRG Germ. Abt. 136 (2019), S. 685 – 689.

Vorwort

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Besonderer Dank gilt der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung und dem Münsteraner Sonderforschungsbereich 1150 „Kulturen des Entscheidens“, die sowohl die Tagung als auch den vorliegenden Band wesentlich gefördert haben. Ebenso erhielten wir von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, namhafte Mittel für unsere Veranstaltung. Auch der Stadt Wetzlar sind wir für ihre Unterstützung außerordentlich verbunden. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns schließlich bei den zahlreichen fleißigen Helfern hinter den Kulissen, die für einen reibungslosen organisatorischen Ablauf Sorge getragen haben, allen voran Frau Andrea Müller von der Forschungsstelle in Wetzlar. Für die redaktionelle Mitarbeit am Tagungsband danken wir unseren Hilfskräften an den Lehrstühlen, für die wie immer angenehme Zusammenarbeit dem Böhlau-Verlag mit Dorothee RhekerWunsch und Julia Beenken. Würzburg, Berlin, Münster im Juli 2021  Anja Amend-Traut  Ignacio Czeguhn Peter Oestmann

11 Ignacio Czeguhn

Einführung in das Thema Urteiler, Richter, Spruchkörper – Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der europäischen Rechtskultur. Mit dieser Überschrift war die Tagung versehen, die drei inhaltsreiche und intensive Tage die Teilnehmer beschäftigte und deren Ergebnisse in d ­ iesem Band nun gesammelt vorliegen. Das Thema ist rechtshistorisch weit gefasst, reicht es doch von grundlegenden Einführungsreferaten bis in die juristische Zeitgeschichte. Geographisch ist es begrenzt auf Europa, das insoweit genügend Herausforderungen und Möglichkeiten bietet, unterschiedliche Rechtskulturen, aber auch Gerichts- und Entscheidungskulturen zu vergleichen und zu untersuchen. Richter führen Rechtsstreitigkeiten einer Streitbeilegung zu. Sie sollen damit zu einer Befriedung der Gesellschaft beitragen.1 In den letzten Jahren haben zahlreiche Arbeiten und Untersuchungen mit der vormodernen Justiz zahlreiche Aspekte der Gerichtsverfassung und des Gerichtsverfahrens behandelt.2 Die eigentliche Tätigkeit des Gerichts stand dabei nicht nur im Vordergrund. Ein Grund mag darin zu sehen sein, dass die meisten Verfahren an den obersten Gerichten des Heiligen Römischen Reiches bekanntlich ohne förmliche Entscheidungen endeten. Es ist deshalb besonders reizvoll, die Rolle des Richters in der Bearbeitung, Zuspitzung und Entscheidung eines Gerichtsverfahrens näher zu untersuchen. Bei der Quellenarbeit lassen sich vielerorts Relationen, Voten, Protokolle und Rationes decidendi entdecken, die auf den ersten Blick sehr ähnlich aussehen, aber doch verschiedene Funktionen innerhalb des Entscheidungsprozesses einnehmen konnten.3 Gerade bei Kollegialgerichten taucht 1 „Zu den Aufgaben der Justiz gehören gleichermaßen die Sorge um Einzelfallgerechtigkeit wie die Herstellung von Rechtssicherheit und die Bewahrung des Rechtsfriedens“, in: Richterethik in Deutschland. Thesen zur Diskussion richterlicher und staatsanwaltlicher Berufsethik im Deutschen Richterbund, Entwurf der Ethik – Arbeitsgruppe, siehe unter https://www.drb.de/fileadmin/DRB/pdf/Ethik/1901_DRB-Broschuere_Richterethik_in_ Deutschland.pdf (Stand 16. 06. 2020). 2 Vgl. nur Peter Oestmann (Hg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozess, Köln 2009; Anja Amend-Traut, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich, Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung, Köln 2007; Abrecht Cordes (Hg.), Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15. – 19. Jahrhundert, Köln 2015. 3 Vgl. hierzu auch: Gedruckte Relationen und Voten des Reichskammergerichts vom 16. bis 18. Jahrhundert: ein Findbuch / bearb. von Anette Baumann, Köln 2004; Hamilton

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Ignacio Czeguhn

dann regelmäßig die Frage auf, ob die richterlichen Mitglieder einen Konsens erzielen müssen oder ob Mehrheitsentscheidungen ausreichen und wie man ­solche Mehrheiten erzielt und feststellt.4 Wenn wir in unserer Zeit auf die Organisation blicken, die den Weltfrieden in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen soll und sich mittlerweile auch gericht­ licher Institutionen bedient, so finden wir in ihrer grundlegenden Charta als Mittel der friedlichen Streitregelung verschiedene Mechanismen vorgeschlagen. Sie sieht Konfliktbeilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen und Abmachungen und andere friedliche Mittel eigener Wahl sowie im Art. 33 der UN-Charta den von einem internationalen Schiedsgericht gefällten „Schiedsspruch“ (engl.: arbitrial award) und die „gerichtliche Entscheidung“ durch eine Instanz der „Internationalen Gerichtsbarkeit“ vor.5 Der Begriff der „Internationalen Gerichtsbarkeit“ setzt dabei – völkerrechtlich betrachtet – ein justizförmig organisiertes, ständiges und mit unabhängig vom Einfluss der aktuellen Streitparteien bestellten RichterInnen besetztes Gericht voraus, das nach Maßgabe des geltenden Völkerrechts mit dem Ziel der Durchsetzung der Völkerrechtsordnung zu entscheiden hat. Diese Vorschrift der UN-Charta enthält meines Erachtens einige interessante Begrifflichkeiten: 1. Konfliktbeilegung durch Verhandlung, 2. durch Untersuchung, 3. durch Vermittlung, 4. durch Vergleich, 5. Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen und Abmachungen sowie andere friedliche Mittel eigener Wahl. Dann 1. der gefällte „Schiedsspruch“ (engl.: arbitral award), 2. die „gerichtliche Entscheidung“ durch eine Instanz eines justizförmig organisierten ständigen Gerichts, das mit unabhängigen Richtern besetzt ist. In einer friedlichen Konfliktbeilegung allgemein – unabhängig davon, ob gerichtlich oder außergerichtlich – spielen die Mechanismen, die zur Entscheidung f­ ühren, und die Entscheidungsfindung selbst eine wichtige Rolle. Sie dienen unter a­ nderem Bryson/Serge Dauchy (Hg.), Ratio decidendi, Guiding Principles of Judicial Decisions, Bd. 1: Case Law, Berlin 2006, und Bd. 2: Foreign Law, Berlin 2010. 4 Grundlegend hierzu: Wolfgang Ernst, Rechtserkenntnis durch Richtermehrheiten, „group choice“ in europäischen Justiztraditionen, Tübingen 2016. 5 https://www.unric.org/de/charta [08. 03. 2020].

Einführung in das Thema

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der Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und der Akzeptanz einer Entscheidung, eines Urteils. Die Entscheidungsmechanismen selbst sind oft leichter nach außen hin wahrnehmbar. Entscheidung durch einen Einzelrichter oder ein Kollegialorgan, durch Mehrheitsbeschluss (relativ, einfach, qualifiziert oder absolut), durch geheime oder öffentliche Abstimmung – all dies sind Dinge, die öffentlich zu Tage treten, ohne dass sie durch eine Verfahrensordnung festgeschrieben sein müssten oder eben in Prozessordnungen vorgeschrieben wurden oder sind. Die Hintergründe der Entscheidungsfindung allerdings waren und sind nicht immer transparent. Oft bleiben sie im Verborgenen, da sie nicht bekannt werden. Man findet sie, wenn überhaupt, nur in den Akten. Und was in den Köpfen der Richter oder der entscheidenden Organe vorgeht, vermag man ohnehin nicht zu erahnen.6 Zugleich ist aber die Frage der Entscheidungsfindung und die der Mechanismen selbiger auch eine Frage der Gerechtigkeit – von der Empfindung von Recht oder Unrecht, einer gerechten oder ungerechten Entscheidung/Urteils. Je transparenter die Entscheidung für die betroffenen Parteien ist, je nachvollziehbarer sie begründet wird, umso eher werden diese bereit sein, sie zu akzeptieren. Der Deutsche Bundestag lockerte mit ­diesem Ziel der Akzeptanz und Transparenz das seit 1964 bestehende Verbot von Ton- und Fernsehaufnahmen in Gerichtsverfahren. In niedrigeren Instanzen bleibt es allerdings aber dabei, dass keine Kamerabilder übertragen werden dürfen. Bleiben die Rationes decidendi, die Entscheidungsgründe im Verborgenen, werden die streitenden Parteien zweifeln. Am 8. Oktober 2017 lockerte der Gesetzgeber nun das seit 1964 bestehende Verbot der Medienübertragung aus der Gerichtsverhandlung „moderat“ 7. 6 Zum ganzen auch: Ignacio Czeguhn, Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung in Deutschland und auf der iberischen Halbinsel vom 15. bis zum 18. Jahrhundert – eine vergleichende Betrachtung, in: Juristische Argumentation – Argumente der Juristen, hg. von A. Cordes, Köln 2005, S. 219 – 239. 7 Gesetze zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG), (BGBl. I, S. 3546). Im Entwurf hierzu lautet es: „Das Verbot, das seit dem Jahr 1964 besteht, wird heute vielfach kritisch hinterfragt. Die Entwicklung der Rechtsprechung und die Verände­ rung der Verbreitung von Nachrichten in den Medien haben die Diskussion verstärkt, ob das strikte gesetzliche Verbot von Bild und Tonübertragungen angesichts der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt noch zeitgemäß ist. „Livestreams“ öffentlicher Veranstaltungen sind weit verbreitet und ergänzen oder ersetzen zunehmend herkömmliche Formen der Berichterstattung. Auch die Printmedien sind einem Wandel unterworfen. Sämtliche Medien beziehen die Internet-Berichterstattung und neue Kommunikationsformen wie Internet-Blogs oder den Internet-Kurznachrichtendienst ­„Twitter“ in ihre Arbeit ein.

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Ignacio Czeguhn

Die entscheidende Fragestellung ist damit der Zusammenhang ­zwischen Entscheidungsmechanismen, Entscheidungsfindung und Entscheidungsgründen und ihre jeweilige Nachvollziehbarkeit und Transparenz in der Öffentlichkeit. Entscheidungsmechanismen betreffen den Hergang des Verfahrens und der Entscheidung – die Entscheidungsfindung, die Suche des Richters/Gerichtes/ Entscheidungsorgans nach einem Ergebnis/einem Urteil mit den Vorschlägen, Argumenten, Meinungen der Beteiligten – die Entscheidungsgründe letztlich die gefundenen, heute nach außen hin kommunizierten Begründungen, so oder so zu entscheiden/zu urteilen. Bei der Entscheidungsfindung geht es also um die Art und Weise, wie eine Erkenntnis gewonnen wird, bei der Entscheidungsbegründung um die Art und Weise ihrer begründenden Darlegung. Bereits bei Cicero findet sich die Unterscheidung von ars inveniendi und ars iudicandi.8 Und Thomas von Aquin betonte die Unterschiedlichkeit der via inventionis vel compositionis und der via iudicii vel resolutionis.9 Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation begründeten Schöffen in Magdeburg und Ingelheim ihre Schöffensprüche bereits im 14. und 15. Jahrhundert, und zwar wenn die Gefahr bestand, dass die Parteien den Urteilsspruch als falsch ansehen konnten.10 Eine Diskussion der Begründung von Urteilen wurde im 15. und 16. Jahrhundert geführt, wobei allerdings die Mehrzahl der Befürworter keine Begründung im heutigen Sinne forderte, also keine Mitteilung der Entscheidungsgründe an die Parteien. Vielmehr befürwortete man die Anlegung von Entscheidungssammlungen, um den Richtern für spätere Verfahren Anhaltspunkte zu geben und um der Rechtsprechung der beiden Höchstgerichte, Reichskammergericht und Reichshofrat, Konformität zu verleihen. Die Veröffentlichung von Gründen diente mithin als Instrument der Entscheidungsfindung, nicht der Entscheidungsbegründung. Als die Begründung von Urteilen Usus wurde, waren Reichskammergericht und Reichshofrat schon aufgelöst. Die Begründung als Bestandteil des Urteils in höchstrichterlichen Entscheidungen in Deutschland blieb nämlich der späteren Entwicklung im 19. Jahrhundert vorbehalten.11 Eine nahezu zeitgleiche Berichterstattung über die im Gerichtssaal stattfindenden Ereignisse hebt die Trennung der Saalöffentlichkeit von der in den Medien übertragenen Öffentlichkeit zunehmend auf. Auch ist bei ausländischen Gerichten eine Entwicklung hin zu mehr Medienöffentlichkeit zu beobachten“, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/101/1810144. pdf [08. 03. 2020]. 8 T. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, München 1965, S. 39. 9 M. Kriele, ­Theorie der Rechtsgewinnung, Berlin 1976, S. 148 m. w. N. 10 G. Gudian, Die Begründung in Schöffensprüchen des 14. und 15. Jahrhunderts, Darmstadt 1960, S. 38 ff. 11 Ignacio Czeguhn, Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung in Deutschland und auf der iberischen Halbinsel vom 15. bis zum 18. Jahrhundert – eine vergleichende

Einführung in das Thema

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Gleichzeitig ist aber mit diesen ­Themen das sensible Feld der richterlichen Unabhängigkeit angesprochen. Die Ausübung der richterlichen Gewalt bezieht ihre Legitimation aus dem Vertrauen, das Bürgerinnen und Bürger in die Justiz, in die rechtsprechende Gewalt setzen. An der Wende zum 19. Jahrhundert versuchte man das fehlende Vertrauen in die Justiz des Ancién Regime durch „Volksjustiz“, also Laienbeteiligung in Form von Geschworenengerichten, wiederherzustellen.12 Heute stehen Gerichte unter besonderem Erwartungsdruck, bilden sie oft die letzte Zufluchtsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher Willkür und privatem Machtmissbrauch. Kommen Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Integrität der richterlichen Tätigkeit auf, droht heute der Rechtsstaat Schaden zu nehmen. Diese Anforderungen entstanden aber nach und nach eben infolge der Entstehung und Entwicklung der Trias Entscheidungsmechanismus – Entscheidungsfindung – Entscheidungsbegründung. Dabei ist die Entwicklung über die Jahrhunderte hindurch, von einer ungelehrten Kultur des Entscheidens zu einer gelehrten, noch nicht hinreichend von der Forschung berücksichtigt worden. Das römische und kanonische Recht beeinflussten ursprünglich germanisch geprägtes Entscheiden und gestalteten so zunächst eine gemischte Entscheidungskultur, bis dann letztlich durch das Ius commune und die Rezeption des Römischen Rechts eine „gelehrte“ entstand. Daher entschieden sich die Veranstalter der international angelegten Tagung und Herausgeber d ­ ieses Bandes, die Frage nach dem Urteiler – Richter oder Spruchkörper in Zusammenhang mit den Entscheidungsmechanismen und der Entscheidungsfindung im Rahmen einer europäischen Kultur des Entscheidens zu stellen. Am Beginn der Tagung stand ein sehr gut besuchter Abendvortrag des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof a. D., Thomas Fischer. Dabei ging es um ­Theorie, Praxis und Fehlerquellen der strafrechtlichen Revision am Bundesgerichtshof – normative, strukturelle und organisatorische Bedingungen höchstrichterlicher Steuerung. Thomas Fischer regt gerne gesellschaftliche Debatten an. In seinen Kolumnen und zahlreichen TV -Auftritten streitet er leidenschaftlich über Sinn und Unsinn im deutschen Rechtssystem. Fischers Kritik ist bemüht, Missverständnisse, die viele Bürgerinnen und Bürger vom Recht haben, aus dem Weg zu räumen. Hierfür riskiert er gerne provokante Fragestellungen und Antworten, wie auch bei ­diesem Vortrag. Er bot bestens Gelegenheit zur anschließenden kontro­versen Diskussion. Betrachtung, in: Juristische Argumentation – Argumente der Juristen, hg. von A. Cordes, Köln 2005, S. 239. 12 Hierzu neuerdings: Berger/Delivré/Löhnig (Hg.), Popular Justice in Times of Transition (19th and 20th century Europe), Bologna 2017.

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Ignacio Czeguhn

Das dinggenossenschaftliche Findungsverfahren im ungelehrten mittelalter­ lichen Recht, das spätmittelalterliche kanonische Gerichtsverfahren bis hin zu den Oberappellationsgerichten des 19. Jahrhunderts und den Geschworenen- und Schöffengerichten im reformierten Strafverfahren sind unter anderem weitere ­Themen, die die Beiträge ­dieses Bandes aufgreifen. Den gemeinrechtlichen Bezugspunkt bilden nicht allein das Reichskammergericht und der Reichshofrat, sondern ebenso andere europäische Obergerichte aus Spanien, England, Schottland und Schweden. Auf diese Weise hoffen die Herausgeber, dass sich Besonderheiten, aber auch typische Gemeinsamkeiten der frühneuzeitlichen richterlichen Entscheidungs­ tätigkeit deutlich erkennen lassen. Einen Aspekt haben wir allerdings außen vor gelassen: Die Ära der KI (künstlichen Intelligenz)-Richter könnte näher sein, als wir denken. Die zunehmende Anwendung computergestützter Systeme und Algorithmen zur Datenanalyse oder Entscheidungsfindung wird bereits in Gerichtssälen erprobt und eingesetzt. Was sind die rechtlichen und ethischen Vorbehalte solcher Systeme? Datengestütztes algorithmisches Profiling, das bereits bei polizeilichen Ermittlungen und bei der Ermittlung von Straftaten eingesetzt wird, dringt auch in Gerichtssäle vor. Ein kürzlich von Forschern des UCL, der University of Sheffield und der University of Pennsylvania geleitetes Projekt gab bekannt, dass ein KI-Richter in 584 Fällen, die zuvor entschieden worden waren, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit 79 % Genauigkeit voraussagte.13 Der zuverlässigste Faktor für die Voraussage der Entscheidung des Gerichtshofs war der sachliche Hintergrund des Falles, wie er im entsprechenden Unterabschnitt des Urteils beschrieben ist. Das Projekt zeigte, dass Maschinenprognosen, die auf Verarbeitungsmethoden für natürliche Sprachen basieren, sehr zuverlässig sein können. Doch ist höchst zweifel­ haft, ob ein rein automatisiertes richterliches Entscheidungsmodell die Kriterien eines fairen Verfahrens als grundlegendes Menschenrecht im Sinne von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention erfüllen würde.

13 Hierzu: Artikel im Guardian, Artificial intelligence ‘judge’ developed by UCL computer scientists Software program can weigh up legal evidence and moral questions of right and wrong to predict the outcome of trials, vom 24. Oktober 2016, https://www.­theguardian. com/technology/2016/oct/24/artificial-intelligence-judge-university-college-london-­ computer-scientists [08. 03. 2020].

17 Thomas Fischer

Denkanstoß: Theorie, Praxis und Fehlerquellen der strafrechtlichen Revision am Bundesgerichtshof Normative, strukturelle und organisatorische Bedingungen höchstrichterlicher Steuerung 1

Herzlichen Dank für die freundliche und ehrenvolle Einladung, zum Auftakt und am Vorabend der rechtshistorischen Tagung der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung zu sprechen. Mein Thema ist definitiv kein rechtshistorisches. Ob es dereinst ein solches werden wird, weiß man nicht. Mein Vortrag befasst sich mit den Aufgaben, Bedingungen, Vorzügen und Fehler­ quellen des strafrechtlichen Revisionsverfahrens beim Bundesgerichtshof (BGH), dem Obersten Gerichtshof der Bundesrepublik für die sogenannte ordent­liche Gerichtsbarkeit und in Fällen schwerer Kriminalität einzige Rechtsmittelinstanz.

I.  Höchstrichterliche Steuerung Der Titel meines kleinen Vortrags unterstellt en passant, was eigentlich entscheidend ist: Dass erstens „höchstrichterliche“, zweitens „Steuerung“ existiere, daher jedenfalls auch Subjekte und Objekte solchen Bemühens. Dies ist nicht selbstverständlich, und über jeden der genannten Begriffe kann man lange und kontrovers nachdenken, sprechen, streiten. Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in ihrer großen Mehrheit, so darf man intuitiv unterstellen, interessieren die hier angedeuteten Fragen meist wenig. Gleichwohl unterschreiben sie die unterstellten Postulate: Es muss (Straf-)Recht geben, es muss eine höchste Instanz geben, es muss eine Kraft geben, die steuert! Es stellen sich die Fragen: Wohin wird gesteuert; und aus welcher Kraft, mit welchem Impetus, aufgrund ­welchen Mandats? Heutzutage gilt vielfach als ­entscheidende 1 Wetzlar 25. 04. 2018, Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung: Rechtshistorische Tagung, Öffentlicher Einführungsvortrag. Das Manuskript ist unverändert. Es enthält Textteile, die (auch) in anderen Schriften des Verfassers veröffentlicht und im vorliegenden Text nicht im Einzelnen als Zitate ausgewiesen sind, insbesondere Thomas Fischer, Über das Strafen. Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft, München 2018; ders., Anmerkungen zum Beweis des subjektiven Tatbestands, in: ders. (Hg.), Baden-Badener Strafrechtsgespräche 2018, Baden-Baden 2019.

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Thomas Fischer

Frage, was – in einem beklagenswert tagespolitischen Sinn – „hinten herauskommt“: Wer durch was „gestärkt“, belastet, bestätigt, gefördert oder bezahlt wird. Das ist indes nicht, was das Wesen von „höchstrichterlicher Steuerung“ ausmacht.

1.  Gesetzliche Grundlagen Zum Verständnis des Nachfolgenden müssen ein paar gesetzliche Regelungen eingeführt werden, die Stellung und Tätigkeit des Gerichtshofs bestimmen. Grundgesetz Art. 20: (1) […] (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. […] Art. 92: Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in ­diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt. Art. 95: (1) Für die Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit errichtet der Bund als oberste Gerichtshöfe den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, den Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht. […] Art. 97: (1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. (2) […] Art. 101: (1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) […] Art. 103: (1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. […]

Denkanstoß: Theorie, Praxis und Fehlerquellen der strafrechtlichen Revision am BGH 19 Gerichtsverfassungsgesetz § 130: (1) Bei dem Bundesgerichtshof werden Zivil- und Strafsenate gebildet […]. Ihre Zahl bestimmt der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz. (2) […] § 132: (1) […] (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so [entscheidet] der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen […] abweichen will. (3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. […] (4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. […] § 135: (1) In Strafsachen ist der Bundesgerichtshof zuständig zur Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Urteile der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug sowie gegen die Urteile der Landgerichte im ersten Rechtszug, soweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist. (2) […] § 139: (1) Die Senate des Bundesgerichtshofes entscheiden in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden. (2) […] Strafprozessordnung § 337: (1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. § 344: (1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muss hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

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Thomas Fischer § 349: (1) […] (2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet. (3) […] (4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben. (5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil. § 352: (1) Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die gestellten Revisionsanträge und, soweit die Revision auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die bei Anbringung der Revisionsanträge bezeichnet worden sind. (2) […]

2.  Statistik Beim BGH sind fünf Strafsenate eingerichtet. Die Zuständigkeit richtet sich, anders als bei den Zivilsenaten, nach dem Ort der erstinstanzlichen Verurteilung; konkret sind die 24 OLG -Bezirke auf die Senate aufgeteilt. Vier Senate haben ihren Sitz in Karlsruhe, (bislang) einer in Leipzig (Föderalismuskommission BTag/ BR at 1991/1992 („Rutschklausel“)). Ich beschränke mich im Folgenden auf die Zuständigkeit des BGH für strafrechtliche Revisionen, also die Hauptzuständigkeit des Gerichts. Im Jahr 2017 sind beim BGH insg. 3.168 Revisionen neu eingegangen; 3.208 wurden erledigt. Auf jeden Senat entfallen daher im Durchschnitt 640 Revisionsverfahren (zusätzlich etwa im 2. Senat: 450 unzulässige Beschwerden; 50 Gerichtsstandsbestimmungen). Die Zahl der Erledigungen von Revisionen betrug 2008 3.190 und pendelte in den letzten 10 Jahren ­zwischen 2.850 (2014) und 3.208 (2017), ist also einigermaßen stabil, mit zuletzt wieder zunehmender Tendenz. Von den genannten Erledigungen entfielen in den Jahren 2010 bis 2017 ­zwischen 85 Prozent (2. StS) und 95 Prozent auf (einstimmige) Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 oder 4 StPO. Hiervon waren jeweils über 90 Prozent Verwerfungsbeschlüsse. Um abschätzen zu können, was diese Zahlen inhaltlich bedeuten, muss man sich ein wenig in die Aufgaben, Möglichkeiten und Strukturen der Revisions-Rechtsprechung einarbeiten.

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II.  Fehlurteile Was ist ein Fehlurteil? Für den Laien und erst recht für Menschen, die an einem Strafverfahren als Betroffene, namentlich Beschuldigte, Angeklagte, Anzeigeerstatter, Nebenkläger beteiligt sind, erscheint die Antwort leicht: Falsch ist ein Urteil, dessen Ergebnis mit der materiellen Rechtslage nicht übereinstimmt. Und zwar weil entweder die sogenannten „wahren Tatsachen“ nicht erkannt und zugrunde gelegt oder aber die Tatsachen unzutreffend bewertet wurden. Dies ist die naheliegende Perspektive des so oder so Betroffenen, der die tatsächlichen Geschehnisse kennt und eine bestimmte Wertung zugrunde legt. Sie wird übernommen von der populären Kultur der Kriminalfälle, sei es in Literatur oder Film, die bis in die äußersten Winkel der Gesellschaft verbreitet und außerordentlich einflussreich ist. Sie beherrscht über Angebote und Strukturen der Identifikation weithin das Denken über Kriminalität und Strafrecht überhaupt, damit auch das der professionell mit Strafrecht Beschäftigten. Freilich ist schon auf dieser Ebene es so einfach nicht. Vielmehr stellen sich alsbald zwei Fragen. Erstens, woher stammen die Tatsachen und was ist die Wahrheit? Zweitens, was ist, wenn z­ wischen Tatsachen, Wahrheit und Ergebnis Spannungen und Differenzen auftreten?

1.  Wahrheit Die erste Frage führt unmittelbar zum Verfahren. Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Öffentlichkeit wissen, dass die Wahrheit verhüllt wird, wenn Zeugen lügen oder die Spuren verloren sind. In ­diesem Fall spaltet sich die Wirklichkeit auf in eine spannungsgeladene Beziehung ­zwischen lebensweltlicher Wahrheit, fiktiv erzeugter Wahrheit und dem mehr oder minder erfolgreichen Bemühen einer Gerechtigkeitsagentur, beides in Übereinstimmung zu bringen. Es muss klar sein und bedacht werden, dass die Tatsachen nicht unabhängig vom Erkenntnisprozess selbst und vom Erkenntnisinteresse gedacht werden können. Das gilt erst recht im Strafrecht, in dem jede Tatsachen- und Sachverhaltsfeststellung stets eine selektive Verdichtung von und auf Tatbestandsmerkmale ist, also auf vielfach normativ bestimmte Begriffe. Schon ein erster Blick auf das materielle Strafrecht zeigt, dass die bloße Gleichung „Richtig ist gleich wahr“ nicht ausreichen kann, wenn sie bedeuten sollte: Ein richtiges Urteil kann nur ein wahres Urteil sein, ein wahres Urteil nur ein solches, dem eine zutreffende Erkenntnis der Wirklichkeit zugrunde liegt. Denn das würde unter anderem bedeuten, dass man in ahistorischer Beschränktheit retrospektiv erhebliche Teile der Strafrechtsgeschichte für „falsch“ halten müsste,

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weil sie Tatsachen erforschte und sanktionierte, die sich nach heutigen Rationalitätsvorstellungen oder Rechtsgutsbegriffen als spekulativ oder fiktiv, als „nicht wahr“ erweisen; entsprechende Entscheidungen wären daher nicht legitimierbar. Beispiele sind die Strafbarkeit von Schadenszauber, von Buhlerei mit dem Teufel oder von Gotteslästerung. Es wäre allerdings merkwürdig, etwa zu behaupten, die römische (Straf-)Rechtsgeschichte sei eine einzige blutige Verbrechensfolge, weil sie auf einer Sklavenhalterkultur beruhte, oder alle Verurteilungen von Hexerei über viele Jahrhunderte in Europa ­seien „Fehlurteile“ in einem legitimatorischen Sinn, kurz gesagt: Zu behaupten, alle Gesellschaften hätten Jahrtausende lang lauter „Rechtsfehler“ begangen und Wahrheit und Gerechtigkeit schon im Ansatz verkannt; wir Heutigen aber machten alles richtig. Dasselbe gilt übrigens auf der Verfahrensebene; auch sie ist insoweit problematisch. Zu sagen, die Einhaltung von heute als elementar angesehenen Verfahrensregeln führe unabhängig von der Wahrheit zu richtigen, der Verstoß gegen sie jedenfalls automatisch zu falschen Urteilen, schiene mir eine These, die sich nicht von selbst versteht und gewiss weiterer Erörterung bedürfte. Wenn man etwa das Folterverbot des § 136a StPO als Beispiel für eine s­ olche Verfahrensregel nimmt, dürfte ihre Anwendung nicht auf allseitige Zustimmung stoßen, obgleich jedenfalls ihre zweite Hälfte einige Plausibilität hat. Denn das Verbot der Folter beruht ja nicht auf der gern behaupteten Erkenntnis, dass mit ihrer Hilfe nicht die Wahrheit ermittelt werden könne. Die Erfahrung lehrt vielmehr, dass Folter im Gegenteil gut „funktioniert“, wenn sie nach rational-wissenschaftlichen Regeln eingesetzt wird. Argumente gegen die Folter können daher nicht der Empirie entnommen werden, sondern sind normativer Natur.

2.  Wirklichkeit und Wahrheit Welche Wirklichkeitsdefinition ist zu akzeptieren? Unsicherheiten bestehen selbst in Bereichen, die wir gemeinhin für recht offenkundig halten. Ein konstruiertes Beispiel: Nehmen wir an, es gibt einen durchschnittlichen Einwohner von Wetzlar und einen durchschnittlichen Ureinwohner Australiens, dessen Lebens-Bewusstsein die Dimension der Traumpfade als Wirklichkeit integriert. Nehmen wir an, beide kommen bei längerem Betrachten eines Steins zu der Erkenntnis: Aus ­diesem Stein strahlt eine Kraft, die mich auffordert, meinen Nachbarn zu erschlagen. Wir sagen zu dem Täter aus Wetzlar vermutlich, dass er krank sei, und zu dem Australier, dass er gesund sei. Wir halten die Ureinwohner Australiens nicht für allesamt wahnsinnig oder für im Zweifel schuldunfähig. Wir integrieren also Vorstellungen von der Wirklichkeit, die sich unseren Rationalitätsanforderungen vollständig entziehen, auf ganz unterschiedliche Weise in eine eigene Wirklichkeits-

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Definition, die auf Abgrenzung von Zuständen setzt: Gesund oder krank, soziale Wahrheit oder wahnhafte Dysfunktion des Gehirns, ursächlich oder zufällig? Mit fließenden Übergängen, Zwischenstufen, Verbindungen kann das bei uns geltende Recht nichts anfangen, weil wir sie vor langer Zeit aus unserer Methode der Wirklichkeits-Beherrschung eliminiert haben. Ein Beispiel im Übergangsbereich z­ wischen Wirklichkeit und Fantasie: Die Ehre. Wir halten sie für ein „Rechtsgut“ und beschreiben dies, mühsam, mit allerlei komplizierten Umschreibungen eines sozialen Konstrukts, das wir zudem auch noch mit zweihundert Jahren „Angemessenheit“ und „Verdientheit“, Religion und Weltgeschichte aufladen. Menschen aus anderen Ländern mit anderen S­ itten halten die Ehre für etwas fast schon körperlich Vorhandenes, das ihnen wie eine Seele in der Brust oder wie ein Schatten auf der Schulter sitzt, und das mit allen Mitteln, Fäusten, Messern und Pistolen verteidigt werden muss. Wenn wir einem Tagelöhner aus Islamabad sagen, er solle die Ehre seiner Tochter nicht so wichtig nehmen, findet er das fremd und unverständlich. Er hält Menschen, die sagen: „Meine Tochter braucht keine Ehre, sondern einen Studienplatz“, für verachtenswert oder vom Teufel besessen. Ein drittes Beispiel ist das Seelenheil. Es gibt Menschen, die Notwehr zur Rettung ihres Seelenheils für eine auch rechtlich gebotene Handlung halten und dies ganz ernst meinen. Dieses Rechtsgut gibt es bei uns nicht. Wir sagen diesen Menschen also: Wenn Du hier lebst, musst Du davon absehen, so etwas wie Seelenheil oder die Erwartung des Einzugs ins Paradies zu verteidigen oder überhaupt als Wirklichkeit in dieser Welt wahrzunehmen. Nun muss man sich, auch wenn es unsereins schwerfällt, einmal vorzustellen versuchen, dass es Menschen gibt, die wirklich daran glauben, dass sie ein Seelenheil haben, dass sie, wenn sie es verspielen, wirklich in die Hölle kommen, und dass Gott sie so unmittelbar und permanent beobachtet, wie man es hierzulande zuletzt vielleicht erlebte, wenn man im Jahr 1350 das Westportal von Notre Dame de Paris durchschritt: Das Portal des Jüngsten Gerichts. Wir aber sagen diesen Menschen: Nun seid ihr schon drei Monate im Aufnahmelager; da könnt ihr es einmal gut sein lassen mit dem Seelenheil und der Hölle. Bei uns in der Zivilisation hat man kein Seelen­heil, sondern eine Hausratversicherung; man darf Gott betrügen, aber nicht das Sozialamt. Die Form der Rationalität, der wir uns, unsere Wahrheitserkenntnis und unsere Moral verpflichtet fühlen, erst recht aber unser strafendes Recht, sagt: Es gibt Wahrheit als außerhalb unserer selbst existierende, außerhalb sozialer Konstruktion existierende Wirklichkeit, und wir müssen versuchen, uns ihr anzunähern, was wir aber (letzten Endes) weder subjektiv noch intersubjektiv können. Dieser Anspruch lässt nicht allein den Theoretiker und die Bestimmer, sondern, mit steigender Informiertheit, die Einzelnen in einem Dilemma der Unergründlichkeit

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zurück, das man nur dadurch erträglich machen kann, dass man sagt: So ist halt die Welt, und so ist der Mensch; wir können Wahrheit nicht erreichen, weil wir nicht vollständig rationalisierbar sind. Damit aber sind wir bei einer interessanten Frage angelangt, w ­ elche das Maß, den Grund und die Begründung betrifft, die heute als sogenannte Krise der Legitimation formuliert werden: Die – mögliche – Banalität, dass der ­Kaiser keine Kleider trage, erscheint als Legitimitäts-Desaster historischen Ausmaßes. Damit aber stellt sich die Frage, warum, was viele Jahrzehnte lang als banales Bonmot durchging, heute wieder als Sensation gelten darf und im sogenannten Populismus ein Publikum findet, das es als wirkliche Wahrheit, als mutige Enthüllung, als revolutionäre Delegitimation feiert.

3.  Erkenntnisanspruch Selbstverständlich können wir den vom BV erfG und BGH häufig wiederholten Grundsatz, Aufgabe des Strafprozesses sei die Erforschung der materiellen Wahrheit, auf der Grundlage unserer Vorstellungen von Rationalität und Wirklichkeit nicht aufgeben. Es drängt sich aber unmittelbar auf, dass dieser Grundsatz nur einen Teil der sozialen Wirklichkeit erfasst und dass etwa gleichberechtigt daneben das Bedürfnis nach Rechtsfrieden, Gewaltverteilung, Staatslegitimation und Gerechtigkeit steht. Diese Ziele stehen nicht neben, unter oder über der Wahrheit, sondern sind Teil ihrer sozialen, kommunikativen Konstruktion: Vereinbarungen über die Abgrenzungen von relevanten und irrelevanten Bedingungen des Strafens. Nirgendwo kann man das besser sehen als in der endlosen Diskussion über die sogenannte objektive Zurechnung oder in Diskussionen über strafrechtlich relevante Kausalität. Erinnert sei an die Stichworte „überholende“, „abbrechende“, „kumulative“ Kausalität, „hypothetische Kausalität des Unterlassens“ und viele andere Konstruktionen, die wir in den letzten 200 Jahren konstruiert haben, um uns auf schwankendem Boden und ständig wechselnd darüber zu orientieren, was wir überhaupt „wahre Tatsache“ nennen und einer strafrechtlichen Bewertung zuführen und wie viel gesicherte Tatsachenerkenntnis wir einer solchen Bewertung als Minimum zugrunde legen wollen. Ein weiteres Beispiel ist die Wirklichkeit der Schuld. Wir behandeln sie so, als sei sie eine naturwissenschaftliche Bedingung, eine Art Funktion der Schuld-Fähigkeit, die wir wiederum naturwissenschaftlich verorten: als Gesundheit des Geistes, gesundes Funktionieren des Gehirns. Zugleich ist sie eine sozial-normative Zumutung. Tatsächlich vermischen sich beide Ebenen auf ­vielfältige, schwer zu durchschauende Weise. Die Schuld-Diskussion ist, eigentlich

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­ berraschenderweise, durch Erkenntnisse der Neurologie und Veröffentlichungen ü der neueren ­Hirnforschung in große Aufregung und zu allerlei Selbstzweifeln geraten. Manche sehen das Ende der „Schuld“ gekommen, weil die Entdeckung der „Natur“-Bestimmtheit von Entscheidungen den Begriff von Freiheit verändern könnte. Andere halten die Aufregung für überflüssig und sagen: Zur normativen Konstruktion von Schuld brauchen wir das Gehirn nicht. Denn das Ich kann zwingend immer nur „Ich“ denken, und wie es neuronal zustande kommt, braucht das Strafrecht nicht zu interessieren. In jedem Fall zeigt die Diskussion, dass die Feststellung von Wahrheit und die Bedingungen dieser Feststellung in eins fließen. Die gesamte Diskussion über Fehlerquellen im Strafprozess und bei der Wahrheitserkenntnis geht davon aus, dass Fehler tatsächlich vorkommen und sich in einer nicht bekannten und nicht zuverlässig ermittelbaren Anzahl von Fällen tatsächlich dahin auswirken, dass Fehlurteile ergehen, also (falsche) Entscheidungen, denen Wahrheit nicht zugrunde liegt und die damit jedenfalls große Teile von Gerechtigkeit verfehlen. Wenn nun Wahrheit das entscheidende Kriterium der Legitimität wäre, müsste man auf der Grundlage d ­ ieses Wissens eigentlich die Rationalität des Strafrechtssystems insgesamt in Frage stellen. Man müsste, genauer gesagt, hoch beunruhigt sein, denn man kann nicht zugleich behaupten, die Gültigkeit eines normativen Systems hänge entscheidend davon ab, ob ein bestimmter Umstand („Wahrheit“) erreicht wird, und zugleich einräumen, man habe weder eine Ahnung, wie oft dieser Umstand eintritt, noch wisse man genau, wie sich dies prüfen und feststellen lässt. Das ist, als behaupte die Medizin, man wisse nicht, ob eine bestimmte Behandlungsmethode eine große Zahl von Todesfällen verhindere oder eine ebenso große Zahl verursache; da diese Frage aber erst vielleicht künftige Generationen lösen könnten, mache man vorerst mit der Methode weiter. Wenn man dies als hippokratische Grundregel verkündete, würden die Patienten vermutlich sehr beunruhigt reagieren. Zwischenergebnis: Tatsachenfeststellung ist nicht nur Wahrheits-Abbildung, sondern in erheblichem Maße auch Wahrheits-Konstruktion. Richtigkeit von Feststellungen lässt sich von Legitimitätserwägungen nicht trennen. Dabei geht es um Recht, das heißt um Staat, Gewalt, Macht, und nicht nur um äußere Tatsachen.

III.  Fehlerquellen im Revisionsrecht Die Revision nach §§ 331 ff. StPO ist als Rechtsbeschwerde konzipiert. Sie richtet sich daher gegen das angefochtene Urteil als Recht gestaltende Entscheidung, betrachtet aber diesen Gegenstand allein in der Form, die § 267 StPO ihm als sogenannte „Urteilsgründe“ gibt.

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1.  Urteile § 267 StPO handelt nicht von dem Urteil, das „beraten“ wird (§§ 193 ff. GVG), und nicht von dem, das „verkündet“ wird (§§ 260 Abs. 1, 268 StPO), sondern von den „Urteilsgründen“, die „mit dem Urteil“ ins Protokoll aufzunehmen oder „zu den Akten zu bringen“ sind (§ 275 Abs. 1 StPO ). Über das Verhältnis der Urteilsgründe zu den Gründen des Urteils sagt die Strafprozessordnung nichts; sie beschreibt vielmehr in § 267 ausführlich den notwendigen Inhalt einer Urkunde, die geraume Zeit nach der Urteilsverkündung anzufertigen ist und das Verfahrensergebnis erklären soll. Dass die in dieser Urkunde mitgeteilten Informationen die „Gründe“ für das lange Zeit zuvor verkündete Urteil authentisch wiedergeben, wird stillschweigend unterstellt; dass sie sie vollständig darstellen, verlangen weder das Gesetz noch die Revisionsrechtsprechung, und zwar mit der zutreffenden, aber doch eigentlich auch beunruhigenden Begründung, eine vollständige Wiedergabe sei gar nicht möglich.2 Sonstige Materialien zur Untersuchung des Urteils auf Rechtmäßigkeit, also insbesondere die gemäß § 344 Abs. 2 StPO beigebrachten Behauptungen sowie die zu ihrem Beweis eingebrachten oder zugänglichen Mittel, sind zumindest über den Gesichtspunkt des Beruhens (§ 337 StPO) wiederum an das Urteil und damit an die Urteilsurkunde gebunden. Selbst denkbare, häufig vorkommende Abweichungen ­zwischen Wirklichkeit vom Verfahrensgang über den Inhalt von Ergebnissen der Hauptverhandlung des Tatgerichts bis hin zum Inhalt der Entscheidung sind nicht sichtbar und spielen daher für die Revisionsprüfung keine Rolle, soweit sie sich nicht in zugänglicher Form darstellen lassen. Die – an sich zutreffende – heute vielfach erhobene Forderung nach einer vollständigen Dokumentation der Beweisaufnahme in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zielt auf Entschärfung des Problems, könnte es aber selbstverständlich nur bis zur Ebene einer erweiterten Möglichkeit des Abgleichs von äußerer Verfahrenswirklichkeit und Verschriftung lösen. Impliziert ist damit eine Bedeutung des Begriffs „Gründe“, der diese auf Tatsachen und Argumente beschränkt, die „nachvollziehbar“ sind, also in den Rationalitätsrahmen eines abstrahierenden schriftlichen Prüfungsverfahrens passen. Die sprichwörtliche (augenzwinkernde) Unterscheidung ­zwischen den mündlichen, den schriftlichen und den wahren Urteilsgründen verdrängt dies auf das Niveau eines Bonmots, während in der öffentlichen Darstellung zugleich jede Vermutung, der 2 Vgl. etwa BGH NStZ 2009, 403; BGH NStZ-RR 2010, 247; BGH NStZ 2012, 49; Lutz Meyer-Gossner/Bertram Schmitt, Strafprozessordnung, München 622019, §  261, Rn. 38 f.

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Spruch beschreibe eine legitimitätszerstörende Wirklichkeit, mit dem Hinweis auf angeblich „strenge Prüfungen“ und eine endlose Kasuistik von erlaubten und unerlaubten Argumenten zurückgewiesen wird. Revisionsrechtliche Beschränkung muss auf s­ olche Personen provokativ wirken, die der vorhergehenden Verfahrensstufe, der Tatsacheninstanz, beigewohnt haben, also näher an der sogenannten Wirklichkeit sind. Auch diese ist freilich, was gelegentlich übersehen wird, nur eine künstliche Rekonstruktion, die von vornherein nicht „die Wahrheit“, sondern nur den normativ als relevant angesehenen Teil davon ins Prozess-System hineinlässt. Dass die Wahrheits-Behauptungen derjenigen Menschen, die „dabei waren“, also das lebensweltliche Geschehen unmittel­ bar erfahren haben, auch von dieser ersten Rekonstruktion oft weit abweichen, ist eine alltägliche Erfahrung und liegt nicht daran, dass die handelnden Personen ­unfähig oder unwillig sind, die Wahrheit zu erkennen, sondern an einer strukturellen Inkompatibilität von Lebenswirklichkeit, Tatbestand und Beweis.

2.  Verdichtung Die Revision unserer Verfahrensordnung kann insoweit als ein Transformationsvorgang gesehen werden, in dem die lebensweltliche Wirklichkeit in der Form der E ­ rsten Instanz sich endgültig in ein Verfahren im weiteren Sinne verwandelt, nämlich in eine hoch verdichtete Sachverhaltskonstruktion, deren Zusammenhang mit dem Ausgangsereignis nicht nur vielfach vermittelt, sondern auch inhaltlich sehr deutlich aufgelockert ist und den normativen Anspruch, Wirklichkeit abzubilden, letztlich erheblich normativiert und auf die Ebene von Postulaten verlagert. Das sogenannte tatrichterliche Urteil tritt an die Stelle der lebensweltlichen Fakten. Gegenstand des Abgleichs von Wirklichkeit und Rechtsanwendung wird der Inhalt der Urteilsurkunde selbst. Der Begriff des „revisionssicher“ geschriebenen Urteils wird stets mit einer gewissen Geringschätzung verwendet. Dahinter steckt die Vermutung, die Revisions­sicherheit bestehe in einer mehr oder minder illegitimen Veränderung, Beschönigung oder Verheimlichung der „wirklichen Wahrheit“, namentlich des Erkenntnisprozesses. Wie oft dieser Verdacht begründet ist, ist hier weniger wichtig. Man kann es ahnen, vermuten, argwöhnen, aber man weiß es nicht, und es kommt für meinen Zusammenhang nicht darauf an. Von Bedeutung ist vielmehr der Grundsatz, dass diese – Unbehagen erzeugende – Herstellung von Revisions-Sicherheit nicht eine Fehlfunktion des Verfahrens ist, keine skandalöse Aberration, sondern seine Regel. Anders gesagt: Es ist unvermeidlich, dass mit der Entfernung des Revisionsgerichts von der Lebenswelt und der Synchronisierung von Tatsachen und Akten eine erhebliche Entfremdung

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und Entfernung eintritt. Die Wirklichkeit wird im Revisionsprozess auf das kommunikative und rationale Maß der Akte reduziert. Diese Entfremdung ist es, die Beteiligten des Ausgangsverfahrens, vor allem aber auch Laien, den Zugang zum Revisionsrecht oft schwer erträglich macht, weil sich die von ihnen erlebte Wirklichkeit des Verfahrens – und erst recht die ihm zugrunde liegende Lebenswirklichkeit – unter dem Blickwinkel der Revision in bloßes Material potenzieller „Rechtsfehler“ (§ 337 StPO) verwandelt. Problematisch ist die Stellung des Revisionsrichters selbst hierzu. Aus dem Zusammenhang von Wahrheitsanspruch, Wirklichkeitsvorstellung und Legitimitätsanforderungen ergibt sich nämlich eine komplizierte Situation der Vermittlung ­zwischen Erkenntnisinteresse und Bewusstsein der Beschränktheit. Hier ist der Ort der „tatrichter-freundlichen“ Orientierung, der Vorurteile, der Stereotype von Einstellungen, Grundeinstellungen, rechtspolitischen Einstellungen, Überzeugungen von Revisionsrichtern. Entgegen landläufiger Ansicht werden die Anzahl und das Gewicht solcher persönlichen Fehlerquellen am Revisionsgericht nicht geringer, sondern größer. Und zwar nicht, weil Revisionsrichter dumm oder gar böswillig sind, sondern aus strukturellen Gründen. Dazu zählt insbesondere auch die Verdichtung der Erfahrung: Man muss sich klarmachen, dass am Revisionsgericht eine extreme Negativauswahl stattfindet. Die weitaus größte Zahl der Fälle sind Verurteilungen, bei denen es immer wieder um dieselben Handlungen, Motive, Abläufe geht; die Konstellationen ähneln sich stark. Zum Strafsenat kommt nur eine kleine Auswahl von Entscheidungen. Das führt fast zwangsläufig dazu, dass der subjektive Eindruck entsteht, diese Auswahl stelle die Regel dar. Ob Türken tatsächlich mehr BtM-Delikte begehen als Menschen anderer Nationalität – was nicht der Fall ist –, spielt dann keine Rolle mehr: Der Berichterstatter im Senat liest die türkischen Namen von drei Angeklagten vor, und alle sind sicher, dass nun ein Fall des bandenmäßigen Handel Treibens mit BtM folgen wird. Wenn man das lange macht und nicht sehr gut Acht gibt, denkt man tatsächlich irgendwann, der BtM-Handel liege den Türken im Blut, das Autoverschieben den Litauern und der Wohnungseinbruch den Rumänen. Und wenn dann im nächsten oder übernächsten Fall ein Tatgericht die Glaubhaftigkeit der Aussage von drei rumänischen Zeugen würdigt, muss sich der Revisionsrichter schon bewusst anstrengen, um seinen Blick in gleichbleibend neutraler Schärfe auf die Argumente und die Lücken ­dazwischen zu werfen. Man muss diesen Effekt der Verdichtung auch noch allgemeiner fassen: Die fast unabweisbare Erfahrung von Revisionsrichtern im Strafrecht ist, dass es keine oder jedenfalls nur sehr wenige Unschuldige gibt. Wer als erstinstanzlich Verurteilter Revision einlegt, ist in 95 Prozent der Fälle schuldig – das sagen die Statistik und die Erfahrung. Diese spezifische Erfahrungs-Kultur bleibt, vorsichtig ausgedrückt,

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nicht ohne Einfluss auf die Strukturen und Ergebnisse der Erkenntnis. „Falsche“ Verurteilungen sind in dieser Sicht ganz seltene Ausnahmen. Wenn es aber eigentlich fast keine Unschuldigen gibt, sind nicht falsche Verurteilungen das Problem, sondern falsch geschriebene Urteilsgründe. Das ist zugespitzt formuliert, macht aber das Problem deutlich: Revisionsrechtliche Verdichtung hat nicht nur funktionale, sondern auch dysfunktionale Folgen. Manche davon sind unvermeidlich. Aus dem Inneren des Systems kann man das kaum wahrnehmen, denn es stellt die Rationalitätsgrenzen des Systems selbst in Frage. Die Revisionsrichter können sich die Lösung daher in der Regel nur so vorstellen, dass die Tatgerichte endlich „bessere“, fehlerfreie Urteile schreiben – was sie selbstverständlich niemals schaffen werden, selbst wenn noch so viele tausend Einzelfall-Entscheidungen des BGH Auskunft darüber geben, welches Argument man bei d ­ iesem Fall im Jahr 1995 oder jenem im Jahr 2002 nicht hätte verwenden dürfen. Die Tatrichter umgekehrt sehen die Lösung des Problems überwiegend darin, dass ihnen „weniger Schwierigkeiten“ gemacht werden, die „Anforderungen“ des Revisionsgerichts sinken und die Revisionssenate mehr „Verständnis“ für die schwierige Zwischenposition aufbringen sollten, in welcher sich das Tatgericht befindet.

3.  Materielle Fehlerquellen Es gibt verschiedene Arten von Gründen, aus w ­ elchen das Revisionsrecht Fehlurteile zulässt, nicht ausschließt oder sogar fördert. Das eine sind systembedingte, immanente Gründe. Das andere sind Fehlerquellen im Revisionsrecht und im Revisionsverfahren selbst. Über die dem Rechtsmittelsystem immanenten Gründe habe ich schon gesprochen. Die systematische Aufgabe des Revisionsgerichts besteht eben nicht in der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern in der Legitimierung von Rationalitätsanforderungen der sozialen Kommunikation. Die Fragen, die sich stellen, sind also: Welche Argumente sind zulässig? Welche Plausibilitätsanforderungen gelten? Die Maßstäbe sind ja, entgegen häufiger Behauptung, nicht statisch und fest, sondern werden ständig neu verhandelt, verschoben, interpretiert. Statisch sind allenfalls die Formulierungen, in denen sie verborgen sind. Was ist, beispielsweise, „kausal“? Welcher Zusammenhang reicht uns aus? In den Grenzbereichen, um die es ja letztlich geht, ist wenig sicher, und wenn man dafür ein Wort einführt wie „Zurechnung“, treten dadurch allenfalls die Sinnstrukturen der normativen Konstruktion ein wenig aus dem Nebel; die soziale Aushandlung von „Verantwortung“ ist damit nicht vorgegeben. Ruth Rissing-van Saan, eine frühere Vorsitzende des 2. Strafsenats, hat lapidar formuliert: Dem Revisionsgericht „fehlen tatsächlich

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schon die Möglichkeiten, die Gewähr für die Richtigkeit des Urteils zu bieten.“ 3 Wenn das so ist, muss man überlegen, ­welche „Gewähr“ das Revisionsgericht denn stattdessen bieten kann, will und soll.

4.  Prozessuale Fehlerquellen Als gravierende Fehlerquelle muss selbstverständlich das Abspracheverfahren erwähnt werden. Diese Fehlerquelle ist für das Revisionsgericht kaum oder fast gar nicht erreichbar, da sie ihrer Aufgabe und Natur nach das Prinzip Kontrolle durch das Prinzip Vertrauen – oder vielleicht: ein Prinzip Hoffnung – ersetzt hat. Auf Einzelheiten hierzu will ich hier nicht eingehen. 4.1  Einzelfallgerechtigkeit Ich nenne die Stichworte „Erweiterte Revision“ und „Einzelfallgerechtigkeit“. Gerechtigkeit im Einzelfall durch Enthüllung der Wahrheit – das ist der Anspruch. In der Praxis des heutigen Revisionsrechts kommt er überwiegend an als Auftrag und Bemühen, keinen (vielleicht) Schuldigen laufen zu lassen. Ob eine Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen „lückenhaft“ ist, „erhöhten Anforderungen“ genügt oder „erschöpfend“ genannt werden darf, ist nach objektiven Kriterien nicht zu entscheiden. Für all diese Fälle, aber auch für das Gegenteil, gibt es Formeln, die jeder Revisionsrichter blind beherrscht. Sie dienen nicht allein zur Herstellung von Begründungen im Einzelnen, sondern als Korridor möglicher Begründungsformen. Sie haben auch, wie die Sprachbilder anderer Systeme, einen hochgradig immunisierenden Effekt, denn sie können jederzeit und praktisch nach Belieben gegen jeglichen Einwand mobilisiert werden, ohne dass der Rationalitätsrahmen des Diskurses offen verlassen wird: Die läppisch erscheinende Aussage „Das reicht mir“ als Beschreibung des Ergebnisses einer sorgfältigen revisionsrechtlichen Prüfung einer landgerichtlichen Glaubwürdigkeits-Würdigung enthält die Gesamtheit der Problematik, ohne sie offenzulegen und ohne eine andere Möglichkeit zu eröffnen als die Aussage „Das reicht mir nicht.“ Das Programm „Das reicht“ vs. „Das reicht nicht“ ist abschließend; und jeder daran Beteiligte weiß, dass ein Griff in die Datenbank 30 Formel-Belege für 3 Ruth Rissing-van Saan, Das „Zehn-Augen-Prinzip“ – Wunschvorstellung oder zwingendes Gebot?, in: Christian Fahl u. a. (Hg.), Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag. Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe, Heidelberg 2015, S. 963 – 972, hier S. 968.

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das eine wie für das andere produzieren kann, ohne jemals den Einzelfall exakt treffen oder gar präjudizieren zu können. In d ­ iesem Programm wird abgestimmt und entschieden; es zu reflektieren ist eine Störung im Ablauf. 4.2  Beschlussverfahren Die Ausgestaltung des Revisionsverfahrens enthält also systematische Fehlerquellen – ob, wie oft und wie weit daraus Fehler werden, ist damit noch nicht gesagt. Wir bewegen uns also in einem Bereich, den man – auch im Strafrecht – „Gefährdung“ nennt. Das ist aus den genannten Gründen unvermeidlich. Deshalb kommt es darauf an, wie man mit den Gefahren umgeht, um sie gering und möglichst transparent zu halten, und zugleich den Bürgern nicht vorzugaukeln, es gebe diese Gefahren gar nicht, oder als bestünden sie nur in gelegentlichen individuellen Fehlern. Die Methode, mit der man sich d ­ iesem Ziel nähern kann, muss eine s­ olche des Verfahrens im weiteren Sinn sein – sozusagen ein systematischer Blick auf das System selbst, in dem man die Richtigkeit und Legitimität von Entscheidungen auf der Grundlage demokratischer Prinzipien entwickeln kann. Ich will hier, beispielhaft, noch einmal das Verfahren der Entscheidung durch einstimmigen Beschluss nach § 349 Abs. 2 und Abs. 3 StPO ansprechen, also die Verwerfung der Revision oder Aufhebung bei Offensichtlichkeit des Ergebnisses (im Fall der Verwerfung) und Einstimmigkeit. Beides sind Begriffe, deren Bedeutungen recht klar sind und die scheinbar wenig Auslegungsspielraum lassen. Sie steuern die Anwendung des vereinfachten Beschluss-Verfahrens. Deshalb sind sie aus banalen Gründen einem stetigen Druck ausgesetzt: 40 Revisions-Strafrichter müssen im Jahr etwa 3.200 strafrechtliche Revisionen „erledigen“, und zwar in Gruppen von jeweils fünf Personen. Diese Vorgabe verlangt Erwägungen und Entscheidungen über den Umgang mit endlichen Ressourcen an Zeit, Geld und Organisation. Zugleich müssen die normativen Anforderungen an das Ergebnis des Verfahrens in einer Weise beachtet werden, die seinen „Erfolg“ sichert: 80 Millionen Menschen müssen glauben, dass auf diese Weise „Gerechtigkeit“ und Wahrheit in hinreichendem Maß hergestellt werden können. Es geht also um Vertrauen in das Verfahren, denn die inhaltlichen Einzelergebnisse entziehen sich jeder Kontrolle einer breiteren Öffentlichkeit. Die gesetzliche Anforderung der Offensichtlichkeit ist schon vor Jahrzehnten contra legem faktisch abgeschafft worden und wird heute behandelt, als sei sie nicht geschrieben: Offensichtlich ist, was einstimmig ist; gleichgültig, wie lange und kontrovers darüber beraten wurde.4 Die Gründe dafür werden in Beratungen 4 Meyer-Gossner/Schmitt (wie Anm. 2), § 349, Rn. 11, mit zahlr. Nachw. zur (euphemistischen) Rechtsprechung, wonach ein „Ermessensspielraum“ bestehe. Der Verf. hat in

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und Entscheidungen des Revisionsgerichts nicht mehr erwähnt, geschweige denn zur Diskussion gestellt. Das zweite Merkmal ist das der Einstimmigkeit. Es ist von praktisch großer Bedeutung, weil der Begriff einen leicht festzustellenden Sachverhalt zu beschreiben scheint. In der praktischen Wirklichkeit des Revisionsverfahrens ist es so einfach nicht. Denn es gilt die Erkenntnis Meyer-Goßners: Die Revisionsgerichte „[können] ihren Arbeitsanfall nur bewältigen […], weil sie weitgehend von § 349 Abs. 2 StPO Gebrauch machen.“ 5 Ein Revisionssenat entscheidet über Revisionen stets mit fünf Richtern.6 Bei etwa 600 Verfahren im Jahr 7 sind pro Woche zwölf zu entscheiden. Das ist nur möglich, wenn pro Woche maximal zwei Hauptverhandlungen stattfinden; alle Senate liegen deutlich unter dieser Frequenz,8 so dass die Verteilung ­zwischen Entscheidungen durch Urteil und solchen durch Beschluss bei 6,4 / 93,6 Prozent liegt. Hierdurch entsteht zwangsläufig ein außerordentlicher Konformitätsdruck, d. h. eine (normativ wirkende) Verpflichtung zur „Einstimmigkeit“, gegen die zu verstoßen nicht nur einen sachlichen Konflikt in der einzelnen Revisionssache widerspiegelt, sondern weit darüber hinaus die Aufgabenerfüllung des Senats in Frage stellt. Kritik dieser normativen Erwartung von Einstimmigkeit und Konformität wird durchweg als persönliche Beschuldigung und „Nestbeschmutzung“ angesehen;9 die genannten statistischen Daten werden als allein sachlich-empirisch veranlasst interpretiert. Soweit insoweit (euphemistisch) auf das Gewicht gelassener Selbstbehauptung von Bundesrichtern verwiesen wird, werden strukturell sich aufdrängende Gefährdungen unzutreffend personalisiert und damit in ihrem rechtlichen Gewicht marginalisiert. Selbstverständlich gibt es keine formellen Möglichkeiten, gesetzeswidrige informelle Regeln („Vier zu Eins ist einstimmig“) durchzusetzen. Aber die informellen 17 Jahren Revisionstätigkeit am BGH keinen einzigen Fall erlebt, in dem das Merkmal der „Offensichtlichkeit“ eine entscheidende Rolle für die Wahl ­zwischen Urteils- oder Beschlussverfahren hatte. Auch der Hinweis auf die Zuschriften des Generalbundesanwalts und die Praxis, die Formel-Verwerfungen ggf. durch „ergänzende“ Hinweise anzureichern, ändern hieran nichts. 5 Meyer-Gossner/Schmitt (wie Anm. 2), § 349, Rn. 7. 6 §§ 139 Abs. 1, 192 Abs. 1 GVG. 7 Statistik 2017: 3.168 Revisions-Neueingänge; Erledigungen durch Urteil: 194; Erledigungen durch Beschluss nach § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO: 2.842. Die Zahlen werden jeweils auf der Homepage des Gerichts (www.bundesgerichtshof.de) veröffentlicht. 8 Im Jahr 2017 hatte der 4. Strafsenat mit 24 Hauptverhandlungen die wenigsten, der 2. Strafsenat mit 62 die meisten. Das sind beim 4. StS 0,5 Verhandlungen pro Woche, beim 2. StS 1,2 Verhandlungen. Quelle: Bundesgerichtshof, Erledigungsstatistik 2017. 9 Siehe etwa Peter Brause, Von der Krise in die Funktionsfähigkeit, in: JR 2013, S. 134 – 139; Clemens Basdorf u. a. (Mitglieder des 5. Strafsenats), NStZ 2013, S. 563; Rissing-van Saan (wie Anm. 3), S. 963, 966 f.; Andres Mosbacher, NJW 2014, S. 124.

Denkanstoß: Theorie, Praxis und Fehlerquellen der strafrechtlichen Revision am BGH 33

Möglichkeiten sind außerordentlich wirksam, weil und wenn sie die persönliche und berufliche Identität von Betroffenen in umfassendem Maß betreffen: Ein Richter, der sich solchen Regeln nicht fügt, wird in die Rolle eines Außenseiters gedrängt, der den sprichwörtlichen „Sand ins Getriebe“ streut und angeblich der Sache im Ganzen schadet. Möglichkeiten, dem zu entgehen, sind nur in Kompromissen zu finden, ­welche die Regel als Bereich des „Allzu Menschlichen“ euphemisieren und dadurch bestätigen. Warum dieser Ausflug ins Psychologisch-Individuelle? Antwort: Weil es darum gar nicht geht, aber ein Fehler-Programm deutlich macht, welches wiederum nicht für sich selbst steht, sondern für eine Zeitenwende in der Kommunikation über Gerechtigkeit. Denn die beschriebene Struktur ist für den einzelnen Richter nur unter großem Aufwand und Opfer zu durchbrechen; ein Opfer im Übrigen, das außerhalb des zirkulären Systems gar nicht wahrgenommen werden kann, weil es hinter einem Wall von „Geheimnis“ und „Erfahrung“ verborgen bleibt und daher in der Außenperspektive nicht kompensiert wird. Der im Strafsenat wie wohl nirgendwo sonst in Entscheidungsgremien durchgesetzte Zwang zur Konformität – bei Ausschluss der Möglichkeit einer öffentlichen Diskussion, etwa durch Zulassung von „abweichenden Meinungen“ 10 – ist eine auch von der herrschenden Meinung nicht bestrittene faktische Notwendigkeit. Er verstößt gegen die Regeln, w ­ elche diese Notwendigkeit angeblich hervorbringen. 4.3  Entscheidungsgrundlage Die Rede sei hier – nur ganz beispielhaft – einmal mehr vom „Vier-Augen-Prinzip“. Der Begriff beschreibt im Zusammenhang der strafrechtlichen Revision nicht etwa eine Erhöhung der regelmäßigen Sorgfalt auf das Doppelte, sondern eine Verminderung der Sorgfaltsbemühungen auf zwei Fünftel. In der Praxis: (Mindestens) Drei von fünf zur Entscheidung berufene Revisionsrichter nehmen das einzige Mittel zur Feststellung der Richtigkeit, Falschheit des angefochtenen Urteils, die Urteilsurkunde, niemals selbst zur Kenntnis, sondern lassen sich ihren Inhalt nur in ­kurzen, zusammenfassenden, formlosen Vorträgen erzählen. Diese Vorträge sind, entgegen allen Beteuerungen,11 von der 10 Vgl. dazu Thomas Fischer, Beratungsgeheimnis, Sondervoten, Richterbilder – Einige Bemerkungen zu einer fast vergessenen Frage, in: Felix Herzog/Ulfrid Neumann (Hg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg u. a. 2010, S. 1001 – 1016. 11 Siehe Nachweise in Anm. 9. Dazu auch Thomas Fischer/Ralf Eschelbach/Christoph Krehl, Erwiderung auf Basdorf u. a.: Zum Zehnaugenprinzip in der Revisionsrechtsprechung, in: NStZ 2013, S. 563 – 565.

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v­ ortragenden Person des Berichterstatters, ihren unbewussten und bewussten Interessen, Färbungen und Fähigkeiten abhängig. Das vom BGH und gleichermaßen vom BV erfG 12 behauptete Gegenteil ist unmöglich und kognitionswissen­schaftlich widerlegt. Indem die Darlegung dieser zu einem angeblichen persönlichen Vorwurf umgedeutet und als „Nestbeschmutzung“ skandalisiert wird,13 immunisiert sich die Praxis legitimatorisch und grenzt Sachkritik als individuelle Abweichung aus. Das muss für sich allein keineswegs zur Illegitimität des Verfahrens führen. Es ist allerdings mit dem geltenden Gesetzesprogramm schwer zu vereinbaren. Die eigentliche Problematik liegt dennoch im legitimatorischen Bereich: Denn die Praxis des sogenannten „Vier-Augen-Prinzips“ bei 94 Prozent der revisionsgerichtlichen Entscheidungen bedeutet, dass die schon extrem enge Zugangsmöglichkeit des Revisionsgerichts auf das zu überprüfende Urteil, also die Urteilsurkunde, die ihrerseits eine drei- oder vierfach verdichtete und gespiegelte, sprachlich symbolisierte Form von Wirklichkeit ist, nochmals massiv eingeschränkt wird, indem drei Fünftel (oder mehr) der entscheidenden Richter gar nicht mehr diese Urkunde zur Kenntnis nehmen, deren Formulierungen sie mit akribischer Genauigkeit prüfen sollen, sondern nur noch eine mehr oder minder gelungene Nacherzählung davon. Das ist eine eklatante Verkürzung der Erkenntnismöglichkeiten, deren Fehlerträchtigkeit eigentlich § 349 StPO und den Vorschriften des Revisionsrechts widerspricht und deren Folgen man daher nicht ernsthaft bestreiten kann.

IV.  Ergebnis Strafrechtliche Revision steuert, inhaltlich und formal, keineswegs nur bürokratische Strukturen von „Erledigungen“, wie sie sich aus dem Blickwinkel der Verwaltungs-Obrigkeit einerseits, der Einzelfall-betroffenen Bürgerinnen andererseits darstellen mögen. Sie ist vielmehr ein in jeder Hinsicht herausragender Teil dessen, was wir Rechtskultur nennen. Die Krise der Revision im Strafrecht ist keine des „richtigen“ Ergebnisses im Einzelfall, wie es dem Bürger oft vorgegaukelt wird, sondern eine tiefgreifende Krise dessen, was wir überhaupt als „richtig“ ansehen. Dies wiederum darf nicht länger als Problem der Formulierung von „Gerechtigkeit“ im Ergebnis unter Verachtung der Formen verstanden und diskutiert werden, deren Erringung es uns doch erst ermöglicht hat, Gerechtigkeit als das zu formulieren, was wir heute ­darunter verstehen. 12 BVerfG Beschl. vom 23. Mai 2012 – 2 BvR 610/11, NJW 2012, S. 2334. 13 Siehe die Nachweise in Anm. 9.

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Collegiate Courts’ Decision-Making Processes Judicial Experiences and Jurisprudential Approaches — ​A Historical Survey

Sind mehrere Richter zur Entscheidung eines Falles berufen, verschränkt sich die Aufgabe normgebundener Rechtserkenntnis mit einer kollektiven Entscheidungsfindung. Das Problem wird vorstrukturiert durch eine Frage auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung. Es geht um die Zuständigkeitsordnung für die gerichtliche Entscheidung in Mehrrichterverfahren: In Systemen der Richterbank hat jeder mit dem Fall befasste Richter eine eigene Entscheidungszuständigkeit. Jeder der Richter kann ein eigenes Urteil abgeben, das in der Feststellung des Sachverhalts und in dessen rechtlicher Würdigung auf die Sicht der anderen Richter keine Rücksicht nehmen muss. Die Entscheidung des anhängigen Falls wird anhand der nackten Endergebnisse aller Einzelurteile ermittelt. Seitens des Kollegiums als Ganzem wird nichts weiter verlautbart. Als Entscheidungsbegründung besteht nur das Nebeneinander der Urteile mit ihren individuellen Ausführungen. Dem steht das Konzept des Spruchkörpers als eines Gerichtsorgans gegenüber, von dem im kollegialen Zusammenwirken ein unitarisches Urteil erarbeitet wird. Dieses Zusammenwirken ist mehr oder weniger formalisiert. Es kann ein Dissens auftreten über die gewünschte Entscheidung, aber auch –  ​bei Übereinstimmung hinsichtlich des Entscheidungsergebnisses – über dessen Begründung. Ein besonderer Dissens­fall entsteht beim Aufeinandertreffen von verschiedenen Betragsergebnissen (Strafmaß, Schadensersatzsummen etc.). Für diese und ähnliche Problemkonstellationen hat man in den europäischen Justiztraditionen diverse Lösungsverfahren erprobt oder vorgeschlagen, die hier panoramaartig dargestellt werden.

I.  The Topic Defined This paper identifies several key issues of judicial majoritarianism that have emerged in the legal histories of European judiciaries. In all collegiate courts, disagreement between judges must, at least to some degree, be overcome in order to make a decision on the pending case. One can look at the decision-making process from various perspectives, for example, that of collective choice theory or that of psychological group dynamics. For the lawyer, a more obvious approach arises from the procedural rules pertaining to the collegiate decision-making exercise. While the legal approach may not be easily separable from other perspectives, it suggests itself as a promising focus for a comparative survey. Insofar as judicial majority-seeking takes place in a conference of judges, the competences and procedures of such conferences are pertinent issues. Similar problems exist for tribunals of arbiters. A study published in 2016 provides the basis for

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this introductory paper,1 which sets out pressing issues and the solutions recommended for them, that have been tested in legal practice or proposed using a learned legal and/or jurisprudential approach. The following is an attempt to identify problems and solutions as they arise out of the task of collectivizing the opinions of several judges.2

II.  A Judges’ Conference or an Aggregate of Individual Opinions? The majority requirement can be achieved through two very different means. In the earlier system, characteristic of medieval systems of folk justice and which has survived in the Anglo-American judicial systems, the case at hand is decided by a majority of opinions. The order of the court — ​comparable to the ‘Tenor’/‘ Teneur’ or ‘Dispositiv’ — ​is arrived at by examining the conclusions (or end result) of the individual constituent judges. The unitary order of the court may thus be accompanied by multiple reasonings, each opinion developed independently by any judge who finds he must express his individual view of the case (seriatim opinions). While the result of a specific case is decided in a way that satisfies a majority of judges, it is another matter whether the diverse reasons developed by these judges allow the extraction of a ratio decidendi further down the line. In contrast, in the developed continental/civilian systems controlled by Romano-canonical rules of civil procedure, decision-making power lies with the conference of judges alone. Here, the judge — ​as a member of the conference — ​can only do their best to influence the collective decision. However, they cannot fall back on an individual decision if 1 Wolfgang Ernst, Rechtserkenntnis durch Richtermehrheiten, Tübingen 2016. The book has been reviewed, i. a., by: Gertrude Lübbe-Wolff, Der Staat 2017, p. 311; Richard Hyland, Quaderni Fiorentini 47 (2018), pp. 560 – 571; Peter Oestmann, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 135 (2018), pp. 480 – 483; Matthias Schwaibold, RG 24 (2016), p. 436; John Bell, Cambridge Law Journal 2017, pp. 433 – 436. An English edition is in the making for 2021. An introductory survey along the lines of this paper has also been given to participants of a conference of judges held in 2017, with a conference report published by Christoph Schoppe/Jakob Gleim, ZEuP (Zeitschrift für Europäisches Privatrecht) 2018, pp. 487 – 490. The conference proceedings have been published as Birke Haecker/Wolfgang Ernst (eds.), Collective Judging in Comparative Perspective — ​Counting Votes and Weighing Opinions, Cambridge 2020. The introductory chapter to this book (‘The Fine-Mechanics of Judicial Majoritarianism’, pp. 3 – 20) and the present contribution are based on the very same stock of research findings. — ​As this book went into print, another pertinent study was published: Roman Kaiser, Das Mehrheits­ prinzip in der Judikative, Tübingen 2020. 2 References are kept to a minimum; they can be found in the work cited in the previous footnote.

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they feel that reaching an agreement would unduly compromise their individual view of the case. It should be noted that the judges’ conference in the continental tradition establishes — ​by taking votes if necessary — ​a common view of the evidentiary aspect as well, so that chambers pronounce with one voice not only on the legal arguments but also the jointly assumed facts of the case, as settled by majority decision if necessary. Over time, the typical civilian/continental court came to be subdivided into fixed chambers (under different names), to which judges are appointed for fixed terms. The courts regulate the assignment of incoming cases according to a pre-­ determined abstract algorithm. At a later stage, the ideal that chambers/deciding judges are statutorily predetermined for all upcoming cases came to be considered a constitutional maxim.3 When the members of such a chamber come together, they constitute a proper judicial body to which the inner-court organizational scheme has assigned a specific competence of its own. These different systems provide widely different platforms for the exchange of judicial views. In the typical continental system, coming together in a formal conference is indispensable, since the judicial power is vested in and exercised by the conference itself. These conferences are subject to detailed regulations, partly by way of proper (legislated) statutes, partly by way of the courts’ own procedural rules (stylus curiae). The judges’ ‘coming together’ displays various typical features of a formal meeting. Some key aspects of the rules governing these meetings will be set out in the next paragraphs before I return to the counterpart in the Anglo-American systems. One notable feature of most continental systems needs to be pointed out right away: even when the judges’ conferences are regulated in a detailed manner, one normally cannot tell whether the respective regulations are being adhered to, as the proceedings of the judges’ conference (with the notable exception of the Swiss Federal Court) are confidential and breaches of this confidentiality typically qualify as a criminal offence. In cases where the decision stems from the judges’ conference, the steering of the conference becomes a crucial element of the decision-making process. The presiding judge may be just primus inter pares, but he may also, by virtue of his steering powers, become the prime mover — ​much more so than a chief justice in the traditional Anglo-American system. With the greater formality of the conference-oriented decision-making process comes more power for the presiding justice, typically at the expense of the lower-ranked members of his conference. 3 This matter has been dealt with by, i. a., Ulrike Müssig, The Common Legal Tradition of a Court Established by Law: Historical Foundations of Art. 6 para. 1 European Convention on Human Rights, The American Journal of Legal History, Vol. 47 (2005), pp. 161 – 182.

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The production of decisions, which are attributed to the body of judges involved as a whole, almost inevitably requires one judge to assume the role of rapporteur, or lead judge. Any sensible discussion needs, initially at least, a thorough and detailed analysis. It is best if such an analysis comes from one person working in solitude. The later discussion can then draw out the strengths and weaknesses of the rapporteur’s draft analysis. The rapporteur frequently acts as the case manager, who steers the case through the proceedings from beginning to end. There is a division of labour, with rules delineating the more pedestrian issues controlled by the lead judge as well as the more substantial issues requiring action from the conference of judges. Allowing a lead judge to do the bulk of the work can be tempting from the point of view of cost efficiency, in matters both of time and money. The lead judge inevitably has much more insight into the case than the other members of the conference and therefore becomes a central figure for the case. As the case manager, they tend to be in control of all ‘paperwork’, including the final copy-editing of the judgment and thus secure the ‘advantage of the draftsman’ observed by Galbraith: “he can concede points without conceding substance, and he can also draft the concessions”. The lead judge and the presiding judge can make a powerful team. The other judges of the conference typically let the lead judge have his way, as long as he is backed by the presiding judge. In these circumstances, the system can in effect revert to a covert single-judge system. In order to retain the advantages of free collective deliberations, counter-measures have been brought into play, for example, the appointment of a second rapporteur. In the French Cour de cassation, the doyen of each chamber is co-responsible for the case management, which may counterbalance the excessive influence of the rapporteur. The ideal system, it seems, would compel every judge to give a substantial opinion of their own, but a scarcity of time and resources may force courts to compromise. In the Anglo-American systems, no proper equivalent to the continental judges’ conference has emerged. In principle, the older approach prevails, which lets each judge make his own independent decision, including the evaluation of evidence (seriatim opinions). If there is the wish to see one’s views prevail as the majority view, bi- or multilateral negotiations and arrangements can be sought, but these are not controlled by specific regulations. One can thus single out one’s discussion partners, bypassing those with whom one thinks one would not find common ground. It may turn out that the one or the other judge is not involved in any exchange, while others frantically try to form alliances and — ​in doing so — ​work through legal arguments together, thus enjoying the benefit of an argumentative exchange. From a continental observer’s perspective, this ‘free market’ process of judges coming together (or not) in pairs or groups seems fairly non-bureaucratic and unregulated. It certainly makes for a process that is very different from the proceedings of a continental-style judges’ conference. It may also be seen as lacking accountability.

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The multi-judgment resolution of a dispute has obvious downsides. Chief justices have tried to counteract an unhelpful proliferation of judgments, with varying degrees of success (Lord Chief Justice Mansfield; Chief Justice Marshall): once it is clear which solution will be backed by the majority, all judges who support this result are asked to come up with only one joint opinion, eliminating or minimizing the opinions which merely concur whenever possible. Those on the minority side could likewise be asked whether, instead of individual dissent, they could come up with a joint minority opinion. Lead judges may also be ‘appointed’ for both sides. The deliberations among these two groups of judges may resemble the formal continental-style conferences.4 There remains a fundamental difference, however, between such voluntary compromise, which can be refused by any judge who insists on expressing their own opinion, and the inescapable and permanent absorption of the continental judge into their chamber’s collective decision-making processes. The development towards an open exchange of views has long been hindered by the idea that a judge, even when working in a collegiate court, expresses their opinion in a definitive exercise of judicial power, which is exhausted by this very act. Hence, the opinion — ​once formally expressed — ​becomes his irreversible contribution to the decision of the case. This traditional model is not amenable to the tentative tabling of arguments, testing the waters, so to speak. Historically, the traditional continental conferences of the Romano-canonical tradition also started in a rigid sequence of individual judges’ speeches, each already representing the judge’s definitive contribution to the court’s overall decision. Here, the speaking order was of considerable importance. As long as there was only one final round (not preceded by a conference), judges further down in the voting order could take into account the views expressed in the earlier votes (including the option of simply joining one of them), while judges who had already voted could not come back to their irrevocably declared decision. Courts traditionally tended to have fixed systems determining the speaking order. Should the highest-ranking judge come first or the lowest-ranked judge, who is thus encouraged to take an independent stance? Enlightened reflection on the matter tended to favour a reverse order of seniority that allowed the younger judges voice their views before the presiding judge’s view was revealed. The introduction of a second round of voting, which over time became more and more popular, allowed every judge to take into account all the views expressed by other judges. At the same time, the speaking order lost much of its earlier importance. Whenever a rapporteur is in play, he is usually assigned a privileged place, regardless of his rank. 4 Many courts in jurisdictions governed by Common Law traditions have now introduced procedures to formally circulate draft judgments, inviting each judge to contribute their critique.

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From a modern perspective, a favourable design for the conference would be a separation into two different stages. In the first stage, the judges would come together for an argumentative exchange of views, with no judge committing to a specific vote by expressing their view here. If voicing one’s opinion is optional, the conference could degenerate into a monologue by the lead judge (rapporteur). Therefore, it seems it would be a good idea to compel every judge to offer their views at this stage. At the second stage, a formal voting process would be arranged and this alone constitutes the actual exercise of the judicial power. The issues surrounding voting procedures will be addressed later in this paper. Fully collectivized decision-making is expensive, and the more judges are involved, the more expensive it gets. There is a tendency in the workings of collegiate courts to single out, for the sake of judicial efficiency, cases which can be disposed of by a smaller bench (with the court sitting in quorum) — ​or even by a single member of the court — ​and to reserve mobilizing the full court for cases which appear to deserve the extra effort (sitting in banco). Separating cases that warrant a hearing by the full court from cases of somehow lesser importance can be handled in a discretionary manner or be predetermined by abstract rules. The sensitivity concerning the statutory predetermination of the competent judge(s), as developed in the continental tradition, plays a role here, too. The continental systems, evolving on the basis of the bureaucratic Romano-­ canonical procedure, typically exhibit a reluctance to let the parties involved (let alone the public) see any disagreement among the judges. The exception of the Swiss Federal Court has already been mentioned. Continental judgments do not divulge the level of disagreement the judges’ conference had to be overcome. The public does not learn which issues needed to be settled by vote or which judge took which view. Voting results remain under a veil of secrecy. Where the parties had a chance to interact with members of the bench, they may have observed clues as to the individual judges’ contributions to the judgment of the court. However, in the end, a cloak of anonymity makes it impossible to reliably identify which judges contributed which decisive intellectual inputs. For half a century or so, the topic of dissenting opinions has been intensely discussed within most, if not all, of the continental systems.5 The dissenting opinion, as it is now an authorized option in some continental judiciaries, is categorically different from the opinion delivered by a judge in a collegiate court of the Anglo-American tradition, where it is part of the court’s overall disposition toward the case, even though it failed to determine the end result. In systems where a conference of judges issues a unitary judgment, the dissenting opinion is not part of 5 Michael D. Kirby, Judicial Dissent — ​Common Law and Civil Law Traditions, LQR (Law Quarterly Review) 123 (2007), p. 382 ff.

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the collective decision-making process. It is merely a memorandum of an individual, in which he sets out his view of the law insofar as it diverges from the court’s majority. These dissenting opinions do not address different perceptions as to the facts of the case. The respective document is not in itself a judgment; it only supplements the judgment of the court, that is, the decision of the conference (as a whole) to which the author of the dissenting vote belonged and contributed. In spite of his dissent, he is thus taken to be a co-originator of the joint judgment. Allowing individual judges to set out, in a separate document, their individual view as to the state of the law does not excuse the judge who exercises this option from taking part in the judges’ conference until the very end. The judge must, therefore, stay involved in a judging process, which for them, is of an abstract nature given their disagreement with a specific legal argument. I shall return to the issue of judges being compelled to continue voting stante concluso.6 The bureaucratic manner of continental courts, which produce unitary judgments while at the same time concealing any disagreement among the judges, is no model for our time. This model hardly does justice to what James Lee has aptly called the ‘inherent controversiality of the law’.7 Freedom of Information Acts allow us to look into the inner workings of the administrative branch of government and it seems odd that the legal deliberations within the judiciary should be able to avoid a similar degree of transparency.

III.  Formal Issues of Intra-Court Collective Decision-Making 1.  Majority Requirements Voting, in its proper sense, is only characteristic of systems that have formally institutionalized judges’ conferences. Rigid voting techniques have not developed in a comparable manner where no formal decision-making is provided for. By and large, judicial majority decisions are taken by a simple majority. As cases travel up through the judicial system, fresh majority decisions are taken in each instance. The final decision may fail to muster a majority among all the judges that have given their opinion along the way. No one seems to have taken an interest in the exotic proposal made by Joseph von Sonnenfels in the early 19th century 8 that calls 6 Below III, 5. 7 James Lee, A Defence of Concurring Speeches, Public Law 2009, 305 – 331, at 327. 8 Joseph von Sonnenfels, Über die Stimmenmehrheit bei Criminalurtheilen, Vienna 1802, Vienna 21808; similarly Alois Zeiler, Unbestimmtheit der Rechtsanwendung, Hanover 1915; on these proposals see Ernst (n. 1), pp. 119 ff. and 199 ff.

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for a proportionate influence of all the judges’ opinions, regardless of their position in the court hierarchy, on the overall outcome. The majority is established by counting heads although, occasionally, the complaint is voiced that it would be preferable if one could weigh the different sides by the quality of their supporting arguments.9 This criticism mirrors a long-standing reservation against all forms of majority-based decision-making. The criticism has not led to any significant changes, as it seems that there are no reliable means available to gauge the quality of legal arguments. It has been held, rightly I think, that engaging in a quarrel about qualities of arguments would only shift the controversy onto another level, making it more — ​not less — ​acrimonious and undermining of the court’s authority. Furthermore, judges are typically not allowed to abstain. Removing the option to abstain mirrors the prohibition of a denial of justice.10 Systems seem to differ as to the latitude with which they allow judges to recuse themselves. Some common-law courts seem to allow judges of the court to join in the decision-making at will, so judges could stay away from a case at their discretion, as long as a sufficient number of judges are willing to take on the case. It is only when the specific bench has been formed, that a formal recusation becomes necessary. The continental idea that the judges who will ultimately decide the case at hand need to be predetermined by statutory provisions (“the ‘statutory’ judge”)11 requires a rigorous review of applications for recusal.

2.  Judicial Supermajorities Judicial majoritarianism occasionally relies on supermajorities. In many jurisdictions, a majority of one was considered insufficient for capital punishment. This two-vote-majority requirement does not seem to be in play anymore. For the Rota Romana of the Catholic Church, a two-thirds majority requirement (duae partes) was introduced in 1561 under Pius IV, for any decisions involving the creation of judge-made law.12 The Polish parliament recently passed a law that requires that 9 Ernst (n. 1), p. 119 – 136, 199 f. 10 Cf. Marie Theres Fögen, Schrittmacher des Rechts: Anmerkungen zum Justiz- und Rechtsverweigerungsverbot, in: Heinrich Honsell/Roger Zäch (eds.), Privatrecht und Methode — ​Festschrift für Ernst A. Kramer, Basel 2004, pp. 3 – 20. 11 Cf. Ulrike Müssig, Reason and Fairness — ​Constituting Justice in Europe, from Medieval Canon Law to ECHR, Leiden/New York 2019. 12 Bulla ‘In throno iustitiae’, § 12, in: Magnum Bullarium Romanum II, Lyon 1673, p. 58; cf. Willem J. Zwalve, The Equity of the Law: Law and Equity since Justinian, in: Egbert Koops/Willem J. Zwalve (eds.), Law & Equity. Approaches in Roman Law and in Common Law, Legal History Library, Vol. 10, Leiden 2014, pp. 15 – 37, at p. 28.

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country’s Constitutional Court to find a two-thirds majority for striking down acts of parliaments on the grounds that they are unconstitutional. This measure was met with harsh criticism. In 1930, the Roosevelt administration toyed with a similar concept as a possible way to break the Supreme Court’s blockade of some elements of the New Deal legislation.13 The same proposal was also made to the German Constitutional Court.14 One argued that an act passed by a parliamentary majority could only be undone in another branch of the state by a ‘better’ majority so that decisions involving judicial review — ​where recognized — ​should require a qualified majority (supermajority). Such a regulation is currently operative in South Korea.15 Continental systems frequently require a two-thirds majority to implement a criminal sentence and the guilty verdict implied by such a sentence. This is a result of the transplanting of an English-style jury into continental criminal justice systems that began around 1800.16 Afraid that the English unanimity requirement for the jury verdict would hamper law enforcement, legislators settled for supermajority requirements, of which two-thirds proved the most popular. Continental systems that adopted juries of laymen often combined the jury with a college of professional justices allowing all sorts of coordinated combinations of the two majority requirements. Although many countries have now abolished the jury again, or severely curtailed its field of application, the qualified majority for criminal sentencing seems to have survived. Where the two-thirds majority requirement is applied to a college of justices, an odd distinction occurs in that the same chamber has to come to a finding of guilt, for which a two-thirds majority is required, whereas all other decisions, especially regarding sentencing, are taken by the simple majority. Any supermajority requirement causes additional problems when applied to the reasons given for a judgment.17

3.  The Judicial Tie 3.1  Why Do Judicial Ties Occur At All? Some courts are set up in such a way that only uneven numbers are allowed to form the respective chamber, ensuring that exiting judges are always replaced. This 13 Jeff Shesol, Supreme Power. Franklin Roosevelt vs. The Supreme Court, New York/­ London 2010, p. 196 – 197. 14 Hans Geiger, Zur Reform des Bundesverfassungsgerichts, in: Theodor Maunz (ed.), Vom Bonner Grundgesetz zur Gesamtdeutschen Verfassung. Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky, München 1956, p. 233. 15 Information kindly given by Gertrude Lübbe-Wolff. 16 For the following cf. Ernst (n. 1), p. 204 ff. 17 Cf. footnote 30 below.

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effectively avoids the possibility that a tied vote will occur. In terms of the historical development, failsafe normative mechanisms which ensure chambers are populated by an uneven number of judges seem to be latecomers. For a long time, court organizations took a more liberal view and considered each and every judge of the court as entitled to join any bench that was going to decide a specific case. This, and the lack of water-tight replacement mechanisms (in case of sickness or death), led to even-numbered panels. 3.2  Preferences on Substantive Grounds A frequently used maxim for getting to grips with the judicial tie is ‘in dubio pro reo’, with reus here meaning the defendant in civil cases as well as the accused in criminal cases.18 The canon lawyers coined the maxim ‘In pari suffragiorum numero neutra vim habet’.19 In civil law cases, this rule works in a role-dependent manner: if a potential defendant takes the initiative and brings a claim for a declaratory judgment negating the potential plaintiff’s right, a judicial tie means he loses. Had he waited for the other party to come forward as plaintiff, the other party would have lost. On an appellate level, the ‘semper praesumitur pro negante’ rule works against the appellant as it ‘presumes’ in favour of the ‘party who denies’. Whichever conclusion the lower court has reached, its decision is upheld. Where the appellate court proves to be divided, the case thus finds its final decision on the lower court’s level. For systems where judgments are to be observed as precedent, the question arises whether the reasoning of that half of the court which prevailed in dismissing the appeal on the strength of ‘semper praesumitur pro negante’ can become part of ‘law of the land’. In such instances, the U. S. Supreme Court issues a pro curiam decision, consisting of the bare statement that ‘the judgment is affirmed by an equally divided court’. As far as the English doctrine of precedent is concerned, the question has been asked whether a ratio decidendi can be extracted from the reasoning of the half of the court which prevailed in dismissing the appeal and whether the precedential value retains the rank as coming from the lower court or whether it is elevated to the rank of the divided court that dismissed the appeal.20 18 The rule is mostly taken to be of an evidentiary manner, but has also been — ​and indeed was initially— used to resolve judicial ties: D. 42, 1, 38 Paul. 17 ad ed.; on this text Ernst (n. 1), pp. 27 – 31. 19 Liber Extra 2.27.26. 20 Rupert Cross/James W. Harris, Precedent in English Law, Oxford 41991, p. 85 ff.

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Historically, the preference given to the defendant was supplemented by several rules about specific issues that, in the case of a judicial tie, gave preference to one outcome over the other, and did so for substantive reasons (favor causae). For example, if the validity of a last will was challenged, an evenly divided court was to uphold rather than void the will (favor testamenti).21 Similarly, in church courts, a favor matrimonii was observed.22 3.3  Procedural Mechanisms Since early modern times, a common method of overcoming a judicial tie was to add another judge to the bench. This mechanism of the ‘super-arbiter’ was, for a long time, used in arbitration as well 23 and comes in two variants. Either the additional judge is confronted with the opinions of both sides from which he then has to pick one, or — ​less efficiently — ​hearings and deliberations start anew before the now uneven-numbered court/tribunal. Leaving aside the fact that systems which adhere to a strong notion of the ‘statutory judge’ will have special difficulties in implementing this mechanism, severe problems of due process arise because the additional judge, while a member of the overall court, has not taken part in the proceedings so far: the repeated action for their sake seems excessively cumbersome and questionable. As an alternative, the statute of the International Court of Justice grants the presiding judge a casting vote,24 which is traditionally called the ‘calculus Minervae’.25 Modern arbitration rules, which try to avoid even-numbered tribunals in the first place, provide that when there is a tied vote, the ultimate decision-making power falls to the presiding arbiter. If no majority award can be issued, the award will come not from the tribunal, but from the president as a single arbiter.26 The arbiter is not restricted to choosing from the controversial opinions of his (former) co-arbiters but can come up with a fresh opinion of their own.

21 D. 5, 2, 10 Marc. 3 dig. 22 Liber Extra 2.27.26. 23 D. 4, 8, 17, 6 Ulp. 13 ad ed.; on this text see Wolfgang Ernst, ­Schiedsrichtermehrheiten im klassischen römischen Recht, in: Jan Hallebeek et al. (eds.), Inter Cives Necnon ­Peregrinos. Essays in Honour of Boudewijn Sirks, Göttingen 2014, pp. 161 – 180, at p. 170 ff. 24 Art. 55 (2) Statute of the International Court of Justice: ‘In the event of an equality of votes, the President or the judge who acts in his place shall have a casting vote’. 25 On the origin of the calculus Minervae concept in Greek and Roman antiquity s. Ernst (n. 1), p. 32 – 34. 26 Art. 32 sec. (1) ICC Rules of Arbitration 2017.

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4.  Layered Decisions If a decision results from a sequence of sub-decisions, agreement or disagreement can be registered for all of these: this is a layered decision.27 The layering of judicial decisions has turned out to be the greatest challenge in the field of judicial collectivism. In relation to this problem, the two different systems, which aim at either a unitary decision issued by the judges’ conference or at an aggregate of individual opinions,28 part ways: in the Anglo-American model of collective decision-making, as well as in earlier phases of the continental development, each judge may fall back on their own preferred reasoning. It is up to them to set out their very own pathway through the decision tree. No collegial agreement needs to be reached for the sub-decisions along the way. In Re A (conjoined twins) [2001] 2 WLR 480 (CA) each of the three judges gave a different reason as to why doctors should be allowed to separate Siamese twins, even when the operation would kill the weaker twin (self-defence/necessity/lack of intent). Had one subjected each of these reasons to a separate majority vote, one would have arrived at a result which, though accompanied by majority-based reasoning on all counts, would have been the exact opposite of what each of the three judges in wanted the outcome to be. English law allows judges to ignore the difficulties of merging different arguments, but only when the case at hand is decided: problems then resurface when a future court tries to extract a common ratio decidendi from the multiple judgments.29 In contrast, systems that allow only unitary judgments to resolve a lawsuit (the possibility of extra opinions notwithstanding) are usually seen as also needing unitary reasoning, arrived at — ​where necessary — ​through majority decisions taken by the judges’ conference.30 According to the traditional continental European concept, one must arrive at a reasoned judgment, which is supported, in its entirety, by a majority of judges and which will then be issued as the judgment of the court. It is not typically revealed that the judgment was only arrived at by a majority decision. 27 Lewis A. Kornhauser/Lawrence G. Sager, The Many as One — ​Integrity and Group Choice in Paradoxical Cases, Philosophy and Public Affairs, 32 (2004), p. 249 ff. 28 Above II. 29 S. Wolfgang Ernst, Englische Judikatur als Auslandsrecht, in: Thomas Ackermann/ Johannes Köndgen (eds.), Festschrift für Wulf-Henning Roth zum 70. Geburtstag, München 2015, pp. 83 – 106, at p. 91 ff. 30 If the decision can only be taken by a supermajority, a notable question ensues. Does the supermajority requirement pertain to the reasoning as well? In a criminal procedure with a qualified majority requirement for a conviction (above III, 2), abstract legal arguments made in favour of the accused would prevail with the support of one-third of the bench, whereas arguments running against the accused would need the support of at least twothirds of the judges.

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From around 1800, we find increasing support for the view that separate votes should be required for all intertwined issues (sub-questions) in the court’s unified reasoning for decisions that turn out to be controversial. This development was fuelled by the expectation that the reasoning which supports a judgement should be publicised.31 This brought an end to the idea that judges who disagreed on decisive sub-questions could issue a joint decision while their disagreement remained internal. Several progressive contributions came from French enlightenment authors.32 Ideally, the ‘motivation’ could be given by simply linking all majority-supported sub-decisions. As a consequence, some found that it was no longer necessary to conclude the process by voting on the result: once all sub-questions had been decided, the overall result was considered self-evident and it could be effortlessly stated by the presiding judge. It was in this manner alone that some found it was possible to produce collegiate judgments that were as logically consistent as judgments issued and ‘motivated’ by a single judge. Jurists also became aware that this ‘sequential voting on each element’ could produce results substantially different from ‘one integral vote on the result’ — ​which coincides with the result arrived at in the context of Anglo-American systems. However, in complex cases that depend on a multitude of disputed issues, this method becomes somewhat questionable. Moreover, breaking up the decision process into increasingly minute elements might actually reverse the result. And who is to say to how many micro-steps the decision process ought to be broken down into? It was also pointed out that there is a risk a conference will arrive at a result for which there would otherwise not have been a majority if the members had proceeded straight to an integral vote upon the overall merits of the case. The advocates of step-by-step voting argued that it is impossible to reach a consistent ‘motivation’ if the decision is consented to for wildly divergent reasons. Occasionally legislators, when remodelling procedural laws, have felt compelled to address the issue. Those who have, have tended to opt for a step-by-step voting process. A distinctive feature of a judicial decision-making process with a sequential model is that every judge has the duty to proceed on the basis of the majority decision(s) already taken, even if they were outvoted on an earlier sub-question. From the late 18th century, many court regulations expressly direct judges to continue voting stante concluso. It remained (and remains) an issue, however, whether the 31 On this development see Willem J. Zwalve/Corjo J. H. Jansen, Publiciteti van Jurisprudentie, Deventer 2013. 32 Cf. Wolfgang Ernst, Modalités de vote dans les tribunaux collégiaux — ​La diffusion des idées des Lumières en Europe au 19ème siècle, Glossae — ​European Journal of Legal History 15 (2018), 80 – 89.

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outvoted judge may continue on an ‘as if ’ basis or whether they should maintain their reservations and allow them to guide their voting conduct in the next stages of the decision-making process. To give an example, could a judge who voted ‘not guilty’ vote for a more lenient sentence in the next vote when they had held (and as an individual continued to hold) the accused to be innocent, or did should they participate in the sentencing process on the assumption that the accused was indeed guilty as determined by the majority? For criminal law proceedings, modern Austrian law allows a judge to abstain in such a situation; his vote is construed as having been given for the most lenient punishment advocated by one of the remaining judges.33 This provision is quite exceptional, but it has occasionally been praised as exemplary by lawyers in other jurisdictions. In any case, a judge who continues to participate on the strength of the stante concluso-principle is called upon to provide their legal expertise for what — ​to them — ​are issues of a hypothetical nature, since according to their own opinion they would not have to address the specific point of the decision path at all. From their point of view, they are acting as a legal expert for a hypothetical case, not as a judge deciding the real case at hand. However, their vote continues to count in subsequent ballots, as does that of every judge who previously outvoted them. In regards to the handling of sub-questions that must be decided along the path to the ultimate decision, the modern French Cour de cassation is said to use a procedure which differs from that of other countries. According to German theory, the judges in their conference should arrive at their final decision step by step. The decision emerges through the development of a decision path that is unknown at the beginning: when the first steps are taken, it is still unclear which result the path will ultimately lead to as the outcome of the votes to follow is still open. (In practice, however, the proposal of the rapporteur is likely to be followed and the preceding debate will usually indicate where the judges are heading). In contrast, the rapporteur of a chamber of the French Cour de cassation has to offer his colleagues a choice of perfect paths, making it transparent from the outset what the overall shape of the judgment is going to be if one option or the other is chosen. One could say that, in theory, the German system aims for an open-ended sequence of decision modules, rather like individual dishes on a menu: the judges pick the next course only after the last has been eaten, while the French system lets the court choose from a variety of menus, each of which consists of an already well-composed sequence of courses. Yet another method seems to be employed by the International Court of Justice (ICJ). A list of all disputed issues is drawn up and every judge is asked to vote on all of them. The overall result is then used to structure and draft the judgment of 33 § 42 (3) Austrian Criminal Procedure Act.

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the court. When the overall result of the returned questionnaires is established, it may turn out that, in retrospect, certain questions were unnecessary as the majority result on other questions, which for reasons of legal logic take priority, makes them moot. When giving his answers, a judge, therefore, cannot know for sure whether his answer to a specific question will be decisive or merely academic.

5.  Choosing Between More Than Two Solutions Most judicial decision-making is binary. This holds especially true on the appellate level, where appeals are either granted or dismissed. If one can envisage a variety of ultimate judgments, each consisting of a differently composed chain of legal arguments, this seems to create a situation that calls for a choice between the preconceived judgments. However, it is, in most instances, possible to dissolve these ‘multi-option-choice’ situations into a sequence of single binary decisions, provided one is willing to accept a sequential voting model.34 Occasionally, choices of non-binary nature are unavoidable. The determination of sums, be it years of a prison sentence or money to be awarded as damages, provide an example of such cases. The characteristic problem here lies in the possibility that none of the various options commands a majority. A variety of mechanisms has been advocated to overcome this problem. Some of them are tailored to the specific problems of quantitative (5.2) or qualitative (5.3) divergences, whereas others try to dissolve choice situations in a uniform manner, whatever the subject matter of choice (5. 1). 5.1  General Procedures A model developed within the French judiciary aims to uphold the majority requirement by gradually eliminating minority positions: those who advocate for the least popular choice in the conference are compelled to choose, in a second round of voting, between the remaining options.35 The process is repeated until a majority is found for one choice. The method does not work smoothly in all cases. If there are two least attractive options, one has to ask which camp has to relent. To establish this, one could have an intermediate vote of the whole court showing which of the two last-coming choices has the least support overall.

34 Above 3, 3. 35 Art. 117, Code de procédure civile 1806.

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5.2  Special Approaches for Quantitative Divergences On the appellate level, the decisions tend to be binary, granting or dismissing an appeal. Courts of first instance frequently need to determine quantities, e. g. the length of a prison-time, the sum of a monetary penalty, or the sum of damages awarded. If the court is set up as collegiate court, its judges may disagree over that sum. A notorious Roman law rule, which is credited to the 2nd ct. jurist Julian, held that in case of disagreements (solely) over sums, the overall judgment should be for the lowest sum.36 The lowest-sum rule has been severely criticised by later writers. For Julian, a disagreement among three judges, with each judge preferring a different sum, would have resulted in a non-award as the modern concept that the multiple judgments could be merged into one was not available. The overall award consisted of the aggregate of individual judgements. There was no unitary decision, distinguishable from the aggregate of individual judgments, which could have been ‘filled’ with a new number, resulting from some algorithm into which all individual proposals are fed. It also coincided with maxims like ‘in dubio pro reo’. The lowest-sum rule, although supported by Roman law, did not find much support and gradually gave way to other algorithms for the determination of sums.37 The canon law decretal VI . 1,22,1 (ca. 1299), while confirming Julian’s lowest-sum rule, clarified the law for cases in which a majority (two out of three judges) supported the same higher sum, which then prevails over the lowest sum. The matter was controversially dealt with by glossators and early commentators. To test and challenge the lowest-sum rule, Baldus de Ubaldis devised a charming new hypothetical: what if the three judges disagree, not only over the amount of the defendant’s liability but also over the date on which payment is due? In this case, there is no single variable according to which the judgements can be ranked. Baldus argued that there is, therefore, no award. Today, we would handle the problem differently: we would simply let the judges of the court take separate votes on the sum and the due date. Where a unitary judgment of the court is dissociated from the opinions of the individual judges, there can — ​and indeed must — ​be a ‘new’ number as the court’s decision and this sum must be arrived at using the plurality of proposed sums. Let us start with an overview of the mathematical possibilities. • Opting for the ‘arithmetic average’ can result in a sum which has not been positively proposed by any judge and is, as such, not formally supported by a majority of judges’ votes. 36 D. 42,1,38,1 Paul. 17 ad ed. and (for arbiters) D. 4,8,27,3 Ulp. 13 ad ed.; on these texts see Ernst (n. 23), at pp. 177 – 180. 37 For the following cf. Ernst (n. 1), p. 89 ff.

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• The ‘mode’ would point to the sum which is supported by the greatest num•

ber of judges, disregarding all other votes. The mode could well be the highest or lowest sum. The ‘median’ is the sum proposed by the judge ‘in the middle’. It is thus a value in fact supported by at least one judge, and it probably can be seen as most ‘agreeable’ for the court as a whole, since it minimizes the overall divergence of judges from the final result. If an even number of judges decides, one could take the arithmetic average of the lower and the upper median.

None of these calculations fulfil the two conditions one expects to be met in exercises of collective sum-finding. According to such exercises, the result must have been proposed by at least one of the judges (as a sort of ‘motion’) and a majority of judges must be found to actually support this actually proposed sum. Applying the general majority rule leads to the acceptance of the sum agreed by a simple majority, regardless of the minority voters and how far away their wishes may be from the majority result. However, the majority rule must be supplemented by an additional rule in cases where a vote for ‘no sum’ commands a majority. A version of this rule which is frequently encountered is the following: if no sum has majority support, the votes for the highest sum are taken to be votes for the next-lower sum, until a sum musters the majority requirement. The result is a sum that is, in fact, proposed by one of the judges and supported, if only by the strength of the presumption that a vote for a higher sum included a vote for any lower sum. In an uneven-numbered court, the result will be the median, because in a three-judges-court the ‘highest sum’-vote goes to the ‘middle one’, which then commands a majority. However, in cases where an actual majority can be found, strikingly divergent sums can emerge. For example, if five judges advocate for compensation in the amounts of 500, 500, 500, 2000, and 2500 respectively, there is a majority vote for 500, while the arithmetic average would be 1200. This result stays the same, whatever extreme sums the minority judges should advocate. If one of the three judges who vote for 500 were to change his vote to 700, 700 would become the court’s result, while the arithmetic average would move up just to 1240. 5.3  Special Approaches for Qualitative Divergences The academic discussion of judicial decision-making has long culminated in a problem that may well have the least practical relevance. The archetypical case came into circulation under the name of Quintilian; since Roman antiquity it has been used to illustrate the issue: Seven judges form a criminal court, two judges advocate

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exile, two others a monetary fine, and three the death penalty.38 For a long time, the discussion took for granted that an overall result had to be established from the aggregate of votes that are irrevocably given by each judge. However, it was then wondered whether, in such a case, one should let the relative majority (for the death penalty) carry the day or whether it possible, and appropriate, to combine the votes for a monetary fine and exile into a regular majority on the basis that these two choices, as a matter of substance, seem to stand closer together than each does with the death penalty (coniunctio sententiarum)? But which of the two should then prevail? Should the less harsh penalty be preferred? Alternatively, should a second round of voting be deemed acceptable, one could fall back on the French method set out under a), which did indeed promise a more rational outcome.

38 Quint. Declamationes minores 365; a similar case is dealt with by Gellius, Noct. Att. 9.15. A real-life debate in the Roman senate, reported in Plin. Epist. 8.14, has also be seen as relavant to this problem; on the last text see Wolfgang Ernst, Plinius Epist. 8.14, Fundamina — ​A Journal of Legal History, Vol. 20 (2014), pp. 240 – 257.

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De justitio Vom Stillstand der Rechtspflege in der Neuzeit

I.  Einleitung „Schon ein kleiner Stillstand der Justiz“ wäre „mit dem größten, und die Entfernung des Gerichts mit einem unersezlichen [sic] Schaden“ verbunden, heißt es bei Egid Joseph Karl von Fahnenberg 1793 in seiner Monographie über die Schicksale des Kaiserlichen Reichskammergerichts vorzüglich in Kriegszeiten.1 Diese alarmierende Rhetorik konnte sich auf ein reiches historisches Anschauungsmaterial stützen. In der langen Geschichte des Reichskammergerichts war dessen Tätigkeit wegen kriegerischer Auseinandersetzungen immer wieder zum Erliegen gekommen.2 Aus diesen Erfahrungen heraus entwickelte Fahnenberg eine Art administratives Vademecum für den militärischen Ausnahmezustand. Wichtig sei vor allem, sich beim Feind rechtzeitig und mit entsprechendem Nachdruck um eine Sauvegarde zu bemühen; wer diesen Ratschlag berücksichtige, könne „wohl auch bei künftigen ähnlichen Begebenheiten die Vorkehrungen für die kammergerichtliche Sicherheit“ treffen.3 Selbst in widrigen Zeiten sollte das Gericht handlungsfähig bleiben und die anhängigen Fälle ordnungsgemäß bearbeiten, jede Unterbrechung im Betrieb war tunlichst zu vermeiden. Um das Ideal eines ungehinderten Geschäftsganges soll es auch in den folgenden Überlegungen gehen. Nicht die konkrete Entscheidungsfindung eines Spruchkörpers, sondern die Frage nach der justiziellen Entscheidungsfähigkeit überhaupt steht dabei im Zentrum der Betrachtungen. Als Zugang zu ­diesem Problem dient ein Institut aus dem römischen Recht, das Justitium. Etymologisch gebildet aus 1 „Unterthänigstes Promemoria“ der Kammerrichter aus Anlass des Krieges gegen Frankreich, abgedruckt in: Egid Joseph Karl von Fahnenberg, Schicksale des Kaiserlichen Reichskammergerichts vorzüglich in Kriegszeiten, Wetzlar 1793, S. 133 – 143, hier S. 137. 2 Siehe nur Damian Ferdinand Haas, Geschichte der Verlegung des Cammergerichts- und der Ursachen, die ­solche veranlassen können […] o. O. o. J. [1770]; Georg Melchior von Ludolf, Historia sustentationis Judicii Supremi Camerae Imperialis […], Franckfurt am Mayn 1722; Johann Heinrich Harpprecht, Urkundliche Nachrichten von des Kayser­ lichen und Reichs-Cammergerichts Schicksaalen in Kriegszeiten […], Frankfurt am Mayn 1759; Rudolf Smend, Das Reichskammergericht. Erster Teil: Geschichte und Verfassung, Weimar 1911. 3 Fahnenberg (wie Anm. 1), Vorrede (unpag.).

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ius und stare, wird es auf Deutsch als „Stillstand der Rechtspflege“ bezeichnet, eine Maßnahme, die in Rom bei besonderen Anlässen – meistens Kriegsgefahr oder öffentliche Trauer – verhängt wurde und außer der Schließung von Tavernen, Läden, Märkten, Staatskasse auch eine vorübergehende Aussetzung von Gerichtsverfahren zur Folge hatte.

II.  Das Justitium: Ein anomischer Raum? Im Werk des italienischen Philosophen Giorgio Agamben spielt d­ ieses Justitium eine zentrale Rolle. In seinem 2004 veröffentlichten Ausnahmezustand stellt Agamben die These auf, das Justitium sei der „Archetyp des modernen Ausnahmezustands“ 4. Um zu dieser Einschätzung zu gelangen, erhebt Agamben die Suspendierung forensischer Aktivität – die ein Justitium unbestreitbar mit sich brachte – kurzerhand zur Suspendierung des ganzen Rechts: In Zeiten höchster innerer oder äußerer Gefahr – Krieg oder Bürgerkrieg – habe man in Rom in einer Art machiavellistischer Notstandslehre avant la lettre lieber das ganze Recht aufgehoben, als es im Einzelfall zu brechen. Wo das Gemeinwohl mit den hergebrachten Mitteln des Rechts nicht habe bewahrt werden können, habe man kurzerhand die gesamte Rechtsordnung beiseitegeschoben und sie durch Gebote der Zweckmäßigkeit ersetzt. Der Stillstand der Rechtspflege sei also tatsächlich ein Stillstand des Rechts selbst. Da aber dem alten Justitium modellhafter Charakter für alles, was noch kommen sollte, innewohnte, folge daraus, dass der Ausnahmezustand insgesamt kein „pleromatischer“, sondern ein „kenomatischer Zustand“ sei, kein Moment der diktatorialen „Machtfülle“, sondern im Gegenteil eine „Leere […] des Rechts“. Es mag sein, dass es eine Formulierung von Livius war, die Agamben zu diesen Überlegungen motiviert hat. In seinem Bericht über die Niederlage in der Schlacht gegen Veius im Jahre 426 v. Chr. schreibt Livius, in Rom habe großer Schrecken geherrscht; auf den Mauern ­seien Bewaffnete platziert worden, ein Justitium habe Tavernen und Forum geschlossen, so dass schließlich „omnia castris quam urbi similiora“ 5. Im Notstand ähnelte Rom mehr einem Lager als einer Stadt: Diese Wortwahl dürfte auf Agamben, den großen Theoretiker des Lagers, unwiderstehliche Suggestivkraft ausgeübt haben. Jedenfalls sieht er im Justitium den totalen Staatsnotstand, einen vollständig anomischen Raum, der durch keinerlei juristische Agenda verunreinigt wird und deshalb eine wahrhaft politische Tat erlaubt, ein Moment, den Agamben mit einem gewissen Hang zur pathetischen Zuspitzung „das Leben selbst“ nennt. 4 Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt a. M. 2004. Daraus die folgenden Zitate. 5 Livius, Ab urbe condita, 4, 31, 9.

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Mit dieser Rekonstruktion wendet sich Agamben im Grunde gegen die gesamte romanistische Literatur zum Thema, mit einer einzigen Ausnahme. Einen Gewährsmann hat er gefunden, der seine Deutung stützt, nämlich Adolph Nissen, ab 1873 Professor für Kriminalrecht an der K ­ aiser-Wilhelms-Universität Straßburg. Nissen veröffentlichte 1877 eine Abhandlung über das Justitium, in der er – literarisch natürlich genauso isoliert – tatsächlich die These aufstellt, man habe es beim Justitium mit einer Suspension der gesamten Rechtsordnung zu tun, zu Zeiten der Republik eingesetzt, um innerem Aufruhr wirksam begegnen zu können, ohne mit den Abwehrrechten der Bürger in Konflikt zu geraten. Weil diese Abwehrrechte im Kaiserreich immer weiter zurückgestutzt worden ­seien, habe sich auch der Anwendungsbereich des Justitiums kontinuierlich verschmälert, bis ihm schließlich nur noch einige unbedeutende Ordnungsmaßnahmen geblieben ­seien. Diese Schrumpfform aber sei es, die spätere Generationen anachronistisch auf die römische Republik zurückprojiziert hätten,6 ein Missverständnis, das, so darf man ergänzen, erst in Nissens eigener Arbeit die notwendige Korrektur gefunden habe.

III.  Justitium am Reichskammergericht Es spricht nicht viel dafür, dass diese Deutung, was das römische Recht angeht, richtig ist.7 Aber das mag hier dahinstehen. Im Weiteren soll es nicht um das römische Recht gehen, sondern um die römische Rechtsgeschichte, konkret: um die Art und Weise, in der das Justitium in der Neuzeit rezipiert und geformt wurde. Exemplifiziert wird dieser Vorgang an einem Stillstand der Rechtspflege, der 1688 am Reichskammergericht eintrat. Im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges besetzten die Franzosen im September 1688 weite Teile der Unterpfalz und kamen schließlich nach Speyer.8 Am 19. Oktober 6 Adolph Nissen, Das Justitium. Eine Studie aus der römischen Rechtsgeschichte, Leipzig 1877. 7 Statt aller: Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht, 1. Bd., Leipzig 21876, S. 250 – 253; Wolfgang Kunkel/Roland Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, Zweiter Abschnitt, München 1995, S. 225 f.; zuletzt – über Mommsen und Kunkel jedoch nicht hinausgehend – Gregory Golden, Crisis Management During the Roman Republic. The Role of Political Institutions, Cambridge 2013, S. 87 – 103. 8 Dazu und zum Folgenden siehe die Quellensammlung bei Anton Faber, Europäische Staats-Cantzley 2 (1697), insb. S.  516 – 521, 521 – 524, 554 – 556 sowie die Gemeinen Bescheide Nr. 217 – 221 und 223 (1688 – 1690), abgedruckt bei Peter Oestmann (Hg.), Gemeine Bescheide, T. 1: Reichskammergericht 1497 – 1805, Köln/Weimar/Wien 2013. Siehe außerdem Haas (wie Anm. 2); Ludolf (wie Anm. 2), § XIII und Anhang I, S. 428 ff.; Harpprecht (wie Anm. 2), §§ 95 – 101; Smend (wie Anm. 2), S. 212 – 226; außerdem Wilhelm Friedrich Kuhlmann, Geschichte der Zerstörung der Reichsstadt Speyer

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1688 versiegelten die Franzosen das Reichskammergericht, in den Monaten darauf verpackten sie etwa 3.000 Zentner Akten und schafften sie zusammen mit den vorgefundenen Unterhalts- und sonstigen Geldern – mehr als 13.000 fl.9 – nach Straßburg. Anfang 1689 wurden die Mauern und Türme geschliffen, am Dienstag nach Pfingsten dann die ganze Stadt – allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz – durch einen Feuersturm zerstört. Sechs Tage hatte man den Einwohnern gelassen, um Leben und Habe in Sicherheit zu bringen.10 In dem ersten Bericht, der beinahe unmittelbar nach den Ereignissen gedruckt wurde, hallt der Schrecken an das Durchlebte noch deutlich nach; in einem bewusst apokalyptisch gehaltenen Ton versuchten die Bürger, die Bedrohung durch die Franzosen auf eine Stufe zu setzen mit dem zeitgleich stattfindenden Kulturkampf gegen die Türken: das Feuer, so heißt es, habe „diesen / und folgende Tage über dermassen gewütet / und um sich gefressen […] / daß von allen Gebäuen [sic] in der Stadt nichts übrig geblieben / […] So werden alle vernünfftige Gott- und Ehr-liebende Menschen gestehen und bekennen müssen / daß der Frantzosen Verfahren mit dieser Stadt … lauterlich aus ­verzweifelter Wuth und Raserey entsprossen / ungöttlich / unvernünfftig / wild und barbarisch seye […] daß sie […] bei allen Christlichen Völckern / zu ewigen Tagen verhaßt und verfluchet seyn und bleiben sollen“ 11. Bekanntlich wurde auch der Ratshof, in dem das Reichskammergericht residierte, nahezu vollkommen zerstört; die wenigen Ruinen, die den Feuersturm überstanden, wurden im 18. Jahrhundert abgetragen.12 Die Speyerer Zeit war damit nach 161 Jahren zu Ende gegangen. Das Gericht selbst hatte, in vollem Bewusstsein um die Kriegsgefahr, schon in den Jahren zuvor immer wieder um Verlegung gebeten sowie Teile der Akten und der Gerichtskasse nach Frankfurt gebracht. Nach der Zerstörung von Speyer konnten die Richter zunächst ebenfalls nach Frankfurt ausweichen, ohne dort jedoch den Betrieb wiederaufzunehmen. Jede ­Gerichtstätigkeit

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durch die französischen Kriegsvölker im Jahr 1689, Speyer 1789; C. Weiss, Geschichte der Stadt Speier, Speier 1876, S. 92 – 98. Widersprüche ­zwischen den Quellen wurden, sofern für hiesige Zwecke belanglos, stillschweigend aufgelöst. Zum Vergleich: Das zerstörte Gebäude wurde s­ päter mit 80.000 fl. beziffert (Faber (wie Anm. 8), S. 566). Ein Augenzeuge berichtete: „Mit unnennbarer Wehmut verließen sie ihre Wohnungen, und ihr Gang aus der Stadt glich dem Gang der zum Tode Verurteilten“ (zitiert nach Hans Ammerich, Kleine Geschichte der Stadt Speyer, Karlsruhe 2008, S. 93). Wahrhafte und umständliche Geschichts-Erzehlung, Welchergestalt des Heiligen Reichs Freie Stadt Speier… überfallen und besetzet worden […], o. O. 1689, unpag. (häufiger zitiert wird der kaum veränderte, aber paginierte Nachdruck von 1709). Anja Rasche, Das Reichskammergericht in Speyer (1527 – 1689): ein kunsthistorischer Blick auf die bauliche Überlieferung des höchsten Gerichts, in: Annette Baumann/Joachim Kempner (Hg.), Speyer als Hauptstadt des Reiches. Politik und Justiz z­ wischen Reich und Territorium im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 2016, S. 114 – 135.

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wurde ihnen ausdrücklich untersagt, zudem sollte es bis zum Frieden von R ­ ijswijk im Jahre 1697 dauern, bis die von den Franzosen requirierten Akten wieder zurückgegeben wurden.13 Im Oktober 1689 konnte man sich dann auf die Verlegung nach Wetzlar einigen. Freilich waren bis zur vollständigen Einrichtung noch zahlreiche Verhandlungen und Kompromisse erforderlich, weshalb das Gericht seine Tore erst am 25. Mai 1693 wieder öffnete. Nach der Vertreibung aus Speyer dauerte es damit mehr als vier Jahre, bis der Stillstand der Rechtspflege offiziell beendet war.14

IV.  Das Justitium und sein Entdecker: Heinrich von Huyssen Die Zerstörung des Gerichts fand noch 1689 ihre juristische Verwertung. Im Herbst 1688 war der junge Heinrich van Huyssen nach Speyer gekommen.15 Huyssen stammte aus einer reich begüterten Adelsfamilie, die im späten 15. Jahrhundert vom Elsass in die Niederlande umgesiedelt war. Er selbst wurde 1666 in Essen geboren, erhielt eine erstklassige Ausbildung, studierte Rechtswissenschaften in Duisburg, Köln, Halle und Leipzig, hörte dabei auch Geschichte, Rhetorik und Geographie, und machte anschließend die übliche grand tour, die ihn quer durch Deutschland brachte. Im 13 Siehe hierzu insbesondere Hans Oberseider, Das Archiv der Stadt Speyer zur Zeit der Zerstörung der Stadt durch die Franzosen (1689), dessen Flüchtung und Wiederheimführung (1698/99), in: Archivalische Zeitschrift XVIII (1906), S. 160 – 218. 14 Auch in Wetzlar war die Institution zunächst noch stark geschwächt und kam über interne Auseinandersetzungen 1704 erneut zum Stillstand, diesmal für ganze sieben Jahre. Mehrfach wurde in dieser Zeit erwogen, die anhängigen, aber nicht bearbeiteten Sachen an den Reichshofrat abzugeben, freilich „ohne Erweckung schädlicher Verwirrung und Mißhelligkeiten“ z­ wischen beiden Gerichten (so das Kaiserliche Commissions-Decret vom 23. Juli 1689, abgedruckt bei Ludolf (wie Anm. 2), Anhang I, S. 447 f.). Erst ab 1711 konsolidierte sich das Reichskammergericht allmählich wieder. Zu dieser ganzen Zwischenzeit siehe Caspar Wolde, Dissertatio juris publici universalis de eo quod justum est durante justitio, Halle 1705, sowie Anton Faber, Ob dem Keyserl. Reichs-Hofrath zustehe / Zeit wehrender Hemmung der Cameral-Justiz in Proceß-Sachen/welche am Cammer-Gericht anhängig/Rescripta oder Mandata &c. zu erkennen?, in: Europäische Staats-Cantzley 12 (1708), S. 158 – 258. 15 Die grundlegenden Entdeckungen zu Huyssen hat Peter Petschauer gemacht, siehe ders., In Search of Competent Aides: Heinrich van Huyssen and Peter the Great, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 26 (1978), S. 481 – 502, mit zahlreichen Nachweisen zu Quellen und Literatur und einer knappen Schilderung seiner eigenen, durchaus abenteuer­ lichen Recherche. Darauf stützt sich meine Darstellung ganz überwiegend; vereinzelt wurde ergänzend herangezogen Svetlana Korzun, Heinrich van Huyssen (1666 – 1739). Prinzenerzieher, Diplomat und Publizist in den Diensten Zar Peters I., des Großen, Wiesbaden 2013, dort S. 19 f. zur adligen Herkunft.

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Süden trat er in den Dienst sächsischer Edelleute, die ihn von Straßburg aus in nicht näher benannten Angelegenheiten mit einem Schreiben an den Dauphin Louis nach Speyer schickten. Dort traf er im Oktober 1688 ein und blieb für einige Zeit, um die Gepflogenheiten von Hof und Militär der Franzosen zu beobachten, bevor er schließlich über verschiedene Stationen wieder nach Straßburg zurückkehrte. Huyssen war eine schillernde Figur. Von Straßburg aus reiste er nach Italien, dann zurück nach Leipzig, wurde Privatlehrer in Utrecht, ging nach Genf, dann nach Paris, nach Waldeck, nach Königsberg, und schließlich, 1702, nach Moskau, wo er als Jurist und Erzieher des Großfürsten Aleksej tätig wurde. Er wurde Gesandter des Zaren in Wien und bald Hof-Historiograph unter Peter dem ­Großen, bis er 1732 in Ungnade fiel, Russland einige Jahre ­später verließ und auf der Rückreise verstarb. Schon von Berufs wegen hinterließ Huyssen zahlreiche Schriften, Reiseberichte, Pamphlete, Propagandabeitrage, aber auch eine unveröffentlichte „Selbstbiographie“, die er verfasste, als er ungefähr vierzig Jahre alt war.16 Dieses Ego-Dokument logiert irgendwo z­ wischen Chronik und Angeberei; es wimmelt von wichtigen Orten, bedeutenden Personen und großen Taten, alles in einem recht ungezwungenen Verhältnis zur historischen Wahrheit vorgetragen – schon sein Geburtsjahr verschiebt er um zwei Jahre nach vorn –, ein bisschen windig, ein bisschen wichtigtuerisch, trotzdem durchaus beeindruckend in der Fülle der Ereignisse. Und in dieser Autohagiographie beschreibt Huyssen, wie er in Speyer „die Zerstörung des Kammer-Gerichts“ mitbekommen und außerdem gesehen habe, „wie alle acta daselbst von den Franzosen eingepackt […] und nach Strassburg geführt“ sowie „die Assessores cameralis vertrieben wurden“ 17. Dies habe ihn dazu gebracht, sich damit auseinanderzusetzen, was eigentlich mit den anhängigen Gerichtsverfahren passieren und wer die Gehälter der Richter bezahlen würde, und überhaupt: „quid justum sit in tam notabili Justitio“ und in vergleichbaren Situationen, s­ eien sie nun durch Krieg, Pest oder andere calamitates publicae ausgelöst. Und von seiner persönlichen Anschauung derart angestachelt, schrieb Huyssen, kaum nach Straßburg zurückgekehrt, eine juristische Dissertation über ­dieses Problem: De Justitio. Vom Gerichts-Stillstande, eine Arbeit, deren Thema, wie es unbescheiden heißt, „a nemine hucusque pertracta“ sei. Dabei würden gerade die jetzigen Zeiten, wo am Kammergericht und, wie unspezifisch ergänzt wurde, „an anderen Gerichten“, ein Justitium herrsche, nach einer solchen Studie verlangen.18 Weiter verkündete er stolz, 16 Diese Selbstbiographie hat Peter Petschauer ausfindig gemacht und in seiner Sammlung von Huissiana als Bestandsgruppe III gesichert. Ich danke herzlich für die freundliche Überlassung dieser faszinierenden Quelle. Hinweisen auf eine eventuelle Parallelüberlieferung im Archiv der Petersburger Akademie der Wissenschaften bin ich nicht nachgegangen. 17 Dazu und zum folgenden Huyssen, Selbstbiographie (wie Anm. 16), S. 17. 18 Heinrich van Huyssen, De Justitio. Vom Gerichts-Stillstande, Argentorati 1689.

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er habe sein Werk „4 Stunden lang […] sine praeside“ verteidigt, und weil sie bei Ulrich Obrecht – dem damals sicherlich berühmtesten Juristen und Historiker in Straßburg – Gefallen gefunden habe, sei sie schließlich „zweymal gedruckt worden“ 19. Das war alles nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig: die vier Stunden ohne Vorsitz entsprachen ganz einfach den Straßburger Statuten von 1634,20 der zweifache Druck erklärt sich daraus, dass das Werk – nicht vollkommen unüblich – vor und nach der Disputation veröffentlicht wurde, und im Übrigen lud das Titelblatt zur Disputation auf den 23. Mai 1689, die damit genau zwei Tage nach der Zerstörung von Speyer stattfand.21 Deren Augenzeuge war Huyssen also garantiert nicht. Wie so oft, war das echte Leben etwas weniger dramatisch, als er selbst angab. Er hatte vor Ort wahrscheinlich die Versiegelung des Gerichts im Oktober 1688, vielleicht den Abtransport der Akten und womöglich sogar noch den Abriss der Stadtmauer im Frühjahr 1689 mitbekommen.22 Mehr sicher nicht. Am 15. Februar 1689 wurde er in Straßburg immatrikuliert;23 folgerichtig heißt es in seiner Dissertation über die Schließung des Reichskammergerichts bloß, sie 19 Huyssen, De Justitio (wie Anm. 18), S. 17 f. 20 Julius Rathgeber (Hg.), Statuta Academiae Argentinensis das ist Die Gesetze und Ordnungen der alten Universität Strassburg um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, Karlsruhe 1876; Ewald Horn, Die Disputationen und Promotionen an den Deutschen Universitäten vornehmlich seit dem 16. Jahrhundert, in: O. Hartwig (Hg.), Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen 4, Leipzig 1893 – 1894, S. 1 – 126, insb. S. 8 – 13. 21 Die Zerstörung Speyers am Dienstag nach Pfingsten ist gut belegt. Die ersten Quellen sprechen vom 21. Mai als dem Tag der Zerstörung, so etwa Geschichts-Erzehlung (wie Anm. 11, unpag.) oder Christoph Lehmann, Chronica der Freyen ReichsStadt Speier […], ­Franckfurt am Mayn 1711, Vorrede unpag. Heutige Darstellungen halten dagegen den 31. Mai für den richtigen Tag. Die Divergenz erklärt sich daraus, dass die gregorianische Kalenderreform erst 1699 auf dem Reichstag in Regensburg auch in den protestantischen Territorien Nachahmung fand (Johann Georg August Galletti, Geschichte von Deutschland, 7. Bd.: Bis zum Tode ­Kaiser Josephs I., Halle 1793, S. 216 – 218). Das zeitweise Nebenein­ander beider Kalender wird beispielsweise sichtbar in einem Bericht des Reichskammergerichts über die Zerstörungen an den K ­ aiser vom „7. Juni (28. Maji) 1689“ (abgedruckt bei Ludolf (wie Anm. 2), Anhang I, S. 434 f.). 22 Oestmann (wie Anm. 8), Anm. zu Nr. 217, hält das Datum der Zerstörung für ungeklärt und verweist dazu auf Ingrid Scheuermann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, S. 196 f., Nr. 148, wo tatsächlich von Februar 1689 die Rede ist. Dieses Datum hat wohl Rudolf Smend (Ders. (wie Anm. 2), S. 215 f.) in die Welt gesetzt, der dabei allerdings einem Missverständnis aufgesessen sein dürfte. Im Kaiserlichen Commissions-Decret vom 16. Februar 1689 wird zwar bereits dazu aufgefordert, dem Reichskammergericht eine neue Heimat zu suchen, wofür jedoch bereits die Schleifung der Stadtmauer genügenden Anlass geboten hatte (abgedruckt bei Haas (wie Anm. 2), § 46). 23 Gustav C. Knod, Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 3, Straßburg 1897, S. 540.

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biete ein „evidens ac momentosum Justitii exemplum“ 24, während weitere Vorgänge überhaupt keine Erwähnung fanden. Allerdings stand er in Straßburg mit einem intimen Kenner der Materie in Verbindung, nämlich dem Advokaten Johann Deckherr (ca. 1650–ca. 1708),25 der selbst vom Reichskammergericht hatte fliehen müssen.26 Damit hatte er einen intellektuell deutlich überlegenen und schriftstelle­ risch bestens ausgewiesenen Ratgeber zur Seite, was einiges dazu beigetragen haben dürfte, dass Huyssens literarischer Erstling innerhalb weniger Wochen von einem leeren Blatt Papier zu einem druckfertigen Manuskript heranwuchs.27 Honi soit qui mal y pense. Wie dem auch sei: die Arbeit hatte es in sich.28 Auf 95 Seiten entfaltete der Autor eine Art Kompendium des Justitium, Etymologie, Geschichte, Philosophie, Rhetorik, Poesie, dazu ein riesiger Literaturapparat, Livius, Varro, Cicero, Cassius Dio, Tacitus, Sueton, Grammatiker, Kirchenväter, viele Glossatoren und noch mehr Postglossatoren, Grotius, aber auch Ovid und Horaz, der etwa vom forum litibus orbum gesprochen hat. Die Dissertation bot eine Ansammlung von minutiösen, häufig geradezu qualvollen juristischen Distinktionen über Tatbestand und Rechtsfolgen des Justitium – öffentliches Justitium gegen privates Justitium, angeordnetes gegen spontan entstandenes, zufälliges gegen notwendiges, Form, Inhalt, zeitliche Ausdehnung, ob Testamente wirksam errichtet werden könnten, wie es mit Schenkungen stehe, ob die freiwillige Gerichtsbarkeit anders als die streitige zu behandeln sei, wer für w ­ elchen Zeitraum Verzugszinsen schulde, ob es Sonderkündigungsrechte für Pachtverträge gebe, w ­ elche Gerichtsangestellten in welcher Weise zu vergüten ­seien, wer wann seinen Arbeitsplatz verlassen dürfe usw. usf. Selbstredend konnten Krieg und Pest ein Justitium auslösen, aber 24 Huyssen, De Justitio (wie Anm. 18), Caput I, § 14. 25 In Huyssens Selbstbiographie (wie Anm. 16, S. 18) heißt es dazu: „auch bei dem Herrn Decker [sic], welcher sich von Speyr dahin als ein refugié retirirt, und welcher so eine Cameralia geschrieben, durch vielmalige Conversationes viel gelernt…“. 26 Dazu etwa Fahnenberg, Schicksale (wie Anm. 1). Dort S. 43 Anm. a wird Deckherr ausdrücklich genannt; er hatte auf der Flucht seine Bibliothek eingebüßt. 27 Die allgemeinen Probleme der Autorschaft bei frühneuzeitlichen Dissertationen sind bekannt, siehe nur den Überblick bei Hanspeter Marti, Art. „Disputation“, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Tübingen 1994, Sp. 866 – 880; ders., Art. „Dissertation“, ebd., Sp. 880 – 884. Detaillierter Getrud Schubart-Fikentscher, Untersuchungen zur Autorschaft von Dissertationen im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 1970, hier insb. S. 50 f., 57 f. 28 Anders als viele andere Dissertationen der Zeit. Siehe Filippo Ranieri (Hg.), Juristische Dissertationen deutscher Universitäten 17. – 18. Jh., Frankfurt a. M. 1986, Einleitung, S. 2: „In der Regel handelt es sich nicht um Abhandlungen, die eine wichtige Stellung in der juristischen Dogmen- und Ideengeschichte einnehmen. In der Mehrzahl bieten sie nichts Neues, sondern nur kompiliertes Material.“

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mit dem „­ anderen zufälligen Ereignis“ führte Huyssen eine salvatorische Klausel ein, über die er auch Hungersnöte, Feuer – schuldhaft und schuldlos –, vergiftete Luft, Unwetter, Erdbeben, Überschwemmungen ausführlich erörtern konnte, ein Panorama der Schrecklichkeiten, das sich insgesamt dadurch auszeichnete, dass die Gerichtsbarkeit aufhörte; dass die faktischen Verhältnisse der Verwaltung des Normativen Einhalt geboten; dass die richterliche Entscheidung unmöglich wurde. Großen Raum nahmen die Ausführungen zur Verjährung ein. An ihnen lässt sich freilich auch besonders gut ablesen, dass das forsche „a nemine hucusque pertractata“, das Huyssen seiner Arbeit vorangestellt hatte, ähnlich wahrheitsgetreu formuliert war wie seine Selbstbiographie. „Tempore hostilitatis non currit praescriptio“, hieß es im Kirchenrecht schon seit dem 12. Jahrhundert,29 und auch die weltliche Gesetzgebung hatte diesen Gedanken lange vor Huyssen übernommen, etwa im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1620.30 Aber trotzdem signalisierte Huyssens Studie de iustitio eine Veränderung, den Beginn eines neuen Zeitalters. Seine enzyklopädische Zusammenstellung fiel in eine Epoche, in der Erfahrungen von – hauptsächlich kriegsbedingter – Rechtlosigkeit nicht nur verstärkt auftraten, sondern gerade mit den Mitteln des Rechts ausgeräumt werden sollten. Anders gesagt: Für den Fall, dass das Recht nicht mehr ordnungsgemäß funktionieren könnte, erließ man noch mehr Recht.

V.  Die Omnipräsenz des Rechts Zur Erhärtung dieser These mögen einige Beispiele aus der Preußischen Gesetzgebung dienen. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm erließ ab 1671 eine Serie von Reskripten, mit denen über die Jahre 1626 bis 1648 rückwirkend ein – auch ausdrücklich so genanntes – Justitium verhängt wurde, um Streitigkeiten über die genauen Kriegsauswirkungen gegenstandslos zu machen. „Der Lauff sothaner Jahre“, so wurde pauschal erklärt, sollte „niemandem an seinen Rechten schädlich seyn“ 31. Das war zunächst nur eine Konkretisierung des bekannten Verjährungsproblems. Aber in Preußen, wo eine gewisse Routine in militärischen Angelegenheiten auf eine stark ausgeprägte Ordnungsliebe traf, gab es noch sehr viel mehr zu regeln. 29 Dekretale im Liber Extra Gregors IX 2, 26, 10, abgedruckt bei Emil Friedberg/Emil Ludwig Richter (Hg.), Corpus Iuris Canonici, Bd. 2, Leipzig 1881, Sp. 385. 30 Das Ander Buch/Des Allgemeinen Land-Rechtens des Hertzogthumbs Preussen, Rostock 1620, 3. Buch, Titulus IV, Art. II § 3. 31 Rescripte vom 28. Januar 1671, vom 5. April 1671 und vom 24. März 1674, als Nr.  XL, XLI und XLVI abgedruckt in: Des Corpus Constitutionum Marchicarum Anderer Theil. Erste Abtheilung, Berlin 1737.

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Vor allem im 18. Jahrhundert erging eine Fülle von Reskripten, Rundverfügungen und anderen Anweisungen, mit denen die Folgen des Krieges auf den ordentlichen Rechtsweg eingedämmt werden sollten. In chronologischer Reihenfolge: im Kriegsfalle unterbrach man Prozesse gegen Offiziere und Soldaten im Einsatz,32 befreite Advokaten vom Gebührenvorschuss bei Gericht,33 schützte die Nachkommen bei Lehnsverkäufen,34 erklärte die Zwangsvollstreckung in Immobilien für unzulässig,35 schuf Rudimente eines Kriegssachschädenrechts,36 privilegierte die Testamente von Soldaten,37 gewährte den heimkehrenden Vasallen einen Zahlungsaufschub,38 32 Circular vom 31. August 1756, an alle Regierungen und Justitz-Collegia, daß die Processe wieder die Officiers während der Campagne suspendiret werden sollen, in: Novum Corpus Constitutionum [NCC] 2 (1756), Nr. LXXX; siehe außerdem Rescript vom 22. September 1756, in: NCC 2 (1756), Nr. XCI; Resolution vom 11. Dezember 1756 in: NCC 2 (1756), Nr. CXV; Rescript vom 5. Februar 1757, in: NCC 2 (1757), Nr. X; Resolution vom 16. Februar 1757 in NCC 2 (1757), Nr. XII; Resolution vom 28. Oktober 1757, in: NCC 2 (1757), Nr.  LI; Rescript vom 9. April 1778, in: NCC 6 (1778), Nr.  XII; Rescript vom 15. Oktober 1778, in: NCC 6 (1778), Nr. XXXVIII; Circular vom 29. Mai 1779, in NCC 6 (1779), Nr. XV; Rescript vom 30. August 1790, in: NCC 8 (1790), Nr. LV; Verordnung vom 3. September 1792, in: NCC 9 (1792), Nr. LXVI; Rescript vom 1. Juni 1795, in: NCC 9 (1795), Nr. XXIV; Circular vom 29. Juni 1795, in: NCC 9 (1795), Nr. XXXII; Circular vom 19. Oktober 1795, in: NCC 9 (1795), Nr. LXV. 33 Befehl vom 20. Oktober 1757 an die Magdeburgische Regierung, die Advocaten währenden Krieges wegen Vorschuß der Gerichts-Gebühren zu befristen, und das Cammer-Gerichte unter den 31ten Dec. 1756. vorgeschriebene Reglement einzuführen, in: NCC 2 (1757), Nr. XLIX. 34 Resolution vom 21. Oktober 1756, an die Pommersche Regierung, wie es bey itzigen Krieges-­ Läufften mit der Praeclusion der sich im Kriege befindenden Agnatorum bey dem Verkaufe eines Lehns gehalten werden soll, in: NCC 2 (1756), Nr. XCVI. 35 Bescheid vom 22. September 1757 an die Magdeburgische, daß mit den vorfallenden Subhastationen der Immobilien bis nach geendigtem Kriege angestanden werden soll, in: NCC 2 (1757), Nr. XLVIII; siehe nicht unähnlich Resolution vom 30. Juli 1758, in: NCC 2 (1758), Nr. XXXV; außerdem Circular vom 31. März 1759, in: NCC 2 (1759), Nr. XIX; Resolution vom 22. April 1759, in: NCC 2 (1759), Nr. XXI; Rescript vom 30. Juli 1761, in: NCC 3 (1761), Nr. 37; Rescript vom 6. Oktober 1761, in: NCC 3 (1761), Nr. 50; Rescript vom 2. Oktober 1762, in: NCC 3 (1762), Nr. 38; Resolution vom 22. August 1763, in: NCC 3 (1763), Nr. 55. 36 Patent vom 20. Oktober 1760 an alle Gerichts-Obrigkeiten, Magisträte und Schultzen, wegen der vom Feinde weggenommenen Sachen, in: NCC 2 (1760), Nr. 31; siehe auch das Erweiterte Patent vom 27. Oktober 1760, in: NCC 2 (1760), Nr. 32; Patent vom 14. November 1760, in: NCC 2 (1760), Nr. 34; Reglement vom 24. Oktober 1763, in: NCC 3 (1763), Nr. 76. 37 Rescript vom 7. November 1763 an das Berg-Gerichte zu Halle, daß eines Krieges-Gefangenen Testament als privilegirt geachtet werden soll, in: NCC 3 (1763), Nr. 78. 38 Edict vom 21. April 1763, daß in Pommern und der Neumarck sc. denen Vasallen und Eingesessenen eine fünfjährige Nachsicht verstattet werden soll, in NCC 3 (1763), Nr. 21;

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erleichterte die Wiederverheiratung von Frauen, die mit dem Feind verehelicht und von ­diesem verlassen worden waren,39 vereinfachte die Vorladung Abwesender.40 Was einem Gerichtsverfahren im Krieg an äußeren Schwierigkeiten begegnen konnte, wurde damit in ein immer dichter werdendes Netz normativer Gegenmaßnahmen gepackt. Der Ausnahmezustand, den der Krieg so häufig mit sich bringt, wurde in seinen sachlichen und sozialen Implikationen immer weiter eingehegt, kleingearbeitet, juridifiziert, bis das kämpfende Heer zu einem Problem der postalischen Zustellung und die Zerstörung des Landes zu einem Problem der Verjährung geworden waren. Was Huyssen mit seinen Betrachtungen de iustitio in Gang setzte, war also nicht weniger als die juristische Domestizierung des Ausnahmezustandes, eine Entwicklung, die etwa 100 Jahre s­ päter abgeschlossen war. Am 18. Juli 1780 erhielt das Justitium eine Legaldefinition, mit der es endgültig in den gesicherten Bestand des neuzeitlichen Rechtsvokabulars aufgenommen wurde. An ­diesem Tage übergab Carl Gottlieb Svarez seinem Vorgesetzten Johann Heinrich von Carmer einen Entwurf für eine neue Prozessordnung. „Wenn bey dem Gerichte, wo ein Prozeß schwebt“, hieß es da, „wegen gegenwärtiger Kriegs=Gefahr oder anderer Ursachen halber ein gänzlicher Stillstand in den Geschäften (Justitium) entstehet, oder wenn durch dergleichen Kriegsläufte, oder andre Land=Plagen, die Communication ­zwischen dem Wohn=Orte der Parthey oder dem Sitze des Gerichts auf eine Zeitlang gänzlich unterbrochen wird, so muß der Prozeß sistirt werden.“ Bei Rückkehr zu geordneten Verhältnissen sei der Prozess fortzusetzen, worauf der Richter notfalls von Amts wegen hinzuwirken habe.41 Ein knappes Jahr darauf erhielt das Justitium im Corpus Iuris Fridericianum Gesetzeskraft. In der Folge wurde es von jeder preußischen Gerichtsordnung übernommen, kam über den Norddeutschen Bund in die Reichs-CPO und ist dort seit 1877 unverändert geblieben, interessanterweise, ohne dass es praktisch jemals einen Anwendungsfall oder wenigstens eine Diskussion darüber gegeben hätte. Der Stillstand der Rechtspflege versteht sich von selbst; nach einhelliger Meinung der gegenwärtigen Literatur führt „eine rein tatsächliche Behinderung des Gerichts“ – was immer das im Unterschied zum Krieg sein mag – genauso wenig zum ­Stillstand Edict vom 28. Januar 1765, in: NCC 3 (1765), Nr. 7. 39 Rescript vom 14. Oktober 1765 an das Pommersche Consistorium, die anderweitige Verehelichung solcher Personen betreffend, so sich während des Krieges an Leute von der feindlichen Armee verheyrathet haben, und nachher von selbiger wieder verlassen worden, in: NCC 3 (1765), Nr. 95. 40 Rescript vom 12. November 1778, an die Pommersche Regierung, wegen der Vorladung der Abwesenden während des Krieges, in NCC 6 (1778), Nr.  XLII; speziell im Eherecht Rescript vom 3. Januar 1793, in: NCC 9 (1793), Nr. III. 41 Der Entwurf findet sich in Preußisches GStA, I. HA Rep. 84 XVI, Nr. 15, Bd. 5, darin T. I, Titel 20 § 8, fol. 91 – 92r.

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der ­Rechtspflege wie der „Tod aller Richter“. Auch ein Massensterben in der Justiz bringt den Betrieb nicht zum Erliegen. Und damit nicht genug: „Über die Tatsache des Stillstands der Rechtspflege“, so wird man weiter belehrt, „entscheidet der Richter“ 42.

VI.  Anomische Phantasie Damit schließt sich der Kreis. Das Recht selbst ist dazu aufgerufen, über seine eigene Existenz zu befinden. Ausgerechnet im Stillstand der Rechtspflege manifestiert sich deshalb, dass das moderne Recht keinen Stillstand kennt. Die Zerstörung von Speyer ist eine letzte Reminiszenz an ein Zeitalter, als das noch anders war und die Fakten tatsächlich die Normen bändigen konnten.43 Die Generationen danach gewöhnten sich rasch daran, im Bedrohungsfalle so lange normativ zu justieren, bis ein Stillstand ausgeschlossen und sichergestellt war, dass der Entscheidungsbetrieb der Gerichte keine Unterbrechung erfahren würde. Alles Recht ist auf Entscheidungen gegründet, das ist nach Niklas Luhmann das Signum des positivierten Rechts,44 und so gesehen ist das Justitium ein paradigmatisches Positivierungsphänomen. Auf die Gefahr eines Ausfalls der rechtlichen Programme antwortet man mit einer typischen Paradoxie: durch die Produktion von mehr Recht. Mit der beginnenden funktionalen Differenzierung wurde Rechtlosigkeit allmählich selbst in einen Rechtszustand überführt; auch wenn die Justiz von Zeit zu Zeit schweigen sollte, war ­dieses Schweigen nur noch als ein deklaratorisches denkbar. Mit dem Justitium erhielt das Rechtssystem seine eigene praesumptio aeternitatis, einen Überblendungsmechanismus, der sich technisch als eine Art von juristischer Kryonik, prosaisch als selbstverordneter Dornröschenschlaf deuten lässt. 42 Adolf Baumbach, Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, München 111936, § 245 Anm. 1. Die Passage ist seither in allen Auflagen wörtlich wiederholt, siehe zuletzt 78 2018, § 245 Rn. 2. Dies entspricht der ganz überwiegenden Ansicht unter Juristen, siehe Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, München 52016, § 245 Rn. 2 (bearbeitet von Nikolaus Stackmann); Richard Zöller (Hg.), Zivilprozessordnung, Köln 312016, § 245 (bearbeitet von Reinhard Greger); Hans-Joachim Musielak/ Wolfgang Voit (Hg.), Zivilprozessordnung, München 142017, § 245 (bearbeitet von Astrid Stadler). Das letal verhinderte Gericht wird nach § 36 ZPO im Übrigen durch ein anderes ersetzt. 43 Dem entspricht es, wenn die Literatur im 18. Jahrhundert das Justitium noch in die Nähe des Naturzustandes rückte, es also tatsächlich mit einem Moment der Rechtlosigkeit identifizierte. Siehe etwa Wolde, De eo quod justum est durante justitio (wie Anm. 14), insb. Kap. II , § 5, und s­ päter Justus Claproth, Einleitung in den ordentlichen bürger­lichen Proceß. Zum Gebrauche der practischen Vorlesungen. Erster Teil, Göttingen 21786, S. 19. 44 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie. Opladen 31987, S. 208 f.

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Im ­Justitium antizipiert das Recht sich selbst; was es an Unterbrechungen zulässt, hängt notwendig von der Rückkehr in den Normalzustand ab.45 Schon das Landrecht von 1620 kleidete diesen juristischen Gleichmut in eine schöne Formulierung: „Wann aber der Krieg/und das Sterben auffgehöret/so gehet die zeit wider an“ 46. Noch prosaischer ist die Umschreibung von Philipp Eduard Huschke, dem bibeltreuen Romanisten, der es in seiner hingebungsvollen Bildsprache so ausgedrückt hat: „Der Ausdruck iustitium selbst, verglichen z. B. mit solstitium, drückt auch offenbar die Vorstellung aus, dass die iuris dictio an sich durch alle Werkeltage fortläuft wie die Sonne am Himmel.“ 47 Agambens anomischer Raum ist also ein Hirngespinst, eine philosophische Träumerei.48 Das Recht der Neuzeit würde sich eine ­solche Aus-Zeit niemals erlauben. Es ist eigenartig, dass Agamben, allen Behauptungen philologischer Gewissenhaftigkeit zum Trotz, die Arbeit von Huyssen nicht kennt. Es ist noch eigenartiger, dass auch Nissen, der Straßburger Professor, die Straßburger Dissertation nicht kannte. Und schließlich ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ein Mann wie Heinrich van Huyssen, bei dem öffentliche Umtriebigkeit ersetzt, was an intellektuellem Feinsinn fehlt, den Eintritt in das Zeitalter der juristischen Allgegenwart verkörpert. Das Justitium, der Stillstand der Rechtspflege, der Moment ohne juristische Entscheidung, ist kein anomischer Raum, sondern ganz im Gegenteil: der Moment der größten normativen Verdichtung, und – wer weiß? – vielleicht ist diese Konzentration sehr viel näher am „Leben selbst“ als die Phantasien der Philosophen.

45 Zur bloß vorübergehenden Dauer des Justitium siehe bereits Huyssen (wie Anm. 18), Caput I, § 32. 46 Das Ander Buch/Des Allgemeinen Land-Rechtens des Hertzogthumbs Preussen. Rostock 1620, 3. Buch, Titulus IV, Art. II § 3. 47 Philipp Eduard Huschke, Römische Studien. Eine Sammlung wissenschaftlicher Monographien im Gebiete der Römischen Geschichte, Alterthümer und Rechtsgeschichte. In zwangsloser Folge. Erster Theil. Das alte Römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869, S. 281, Note 174; begriffliche Vorklärungen auch schon Huyssen (wie Anm. 18), Caput I, § 1. 48 Es sei nur der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass für Carl Schmitts Eschatologie nichts anderes gilt. Siehe mit Blick auf das Justitium (leider nur referierend) Christoph Lundgreen, Qua lege, quo iure? Die Ausnahme in der Römischen Republik und ihre Rezeption bei Carl Schmitt und Giorgio Agamben, in: Gernot Kamecke/Bruno Klein/ Jürgen Müller (Hg.), Antike als Konzept: Lesarten in Kunst, Literatur und Politik, Berlin 2009, S. 55 – 68.

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Rechtsfindung, Rechtsmitteilung und Rechtsweisung im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis

Bernhard Diestelkamp zum 90. Geburtstag in Dankbarkeit gewidmet. Der folgende Beitrag befasst sich mit den Institutionen außergerichtlicher Rechtsfindung im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis. Damit sind die Schöffenstühle 1 und Oberhöfe 2 gemeint, deren Kompetenz nicht auf Gerichtsgewalt, sondern auf hoch und weithin akzeptierter Rechtskenntnis beruhte.3 „Oberhöfe waren ­solche anerkannten Rechtsautoritäten insbesondere für diejenigen Städte, die mit ihrem Recht als dem einer Mutterstadt bewidmet waren.“ 4 Sie spielten vor allem bei der Herausbildung des sächsisch-magdeburgischen Rechts und dessen Verbreitung in 1 Zum Begriff vgl. Friedrich Battenberg, Schöffenstuhl, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV, Berlin 11990, Sp. 1474 – 1478; Heiner Lück, Schöffenstuhl, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 11, Stuttgart/Weimar 2010, Sp. 493 – 495; zu den rechtssprachlichen Belegen vgl. www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/ drw/e/sc/hoff/enst/schoffenstuhl.htm [08. 03. 2020] [Schöffenstuhl]. 2 Vgl. dazu insbesondere die Monographie von Alexander Krey, Die Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebietes im 15. Jahrhundert im Vergleich (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 30), Köln/ Weimar/Wien 2015; zu den Wortbedeutungen www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/e/ ob/erho/oberhof.htm [08. 03. 2020] [Oberhof ]. 3 Friedrich Ebel/Renate Schelling, Die Bedeutung deutschen Stadtrechts im Norden und Osten des mittelalterlichen Europa. Lübisches und Magdeburger Recht als Gegenstand von Kulturtransfer und Träger der Moderne, in: Robert Schweitzer/Waltraud Bastman-Bühner unter Mitarbeit von Jörg Hackmann (Hg.), Die Stadt im europä­ ischen Nordosten. Kulturbeziehungen von der Ausbreitung des Lübischen Rechts bis zur Aufklärung … (Veröffentlichungen der Aue-Stiftung 12), Helsinki/Lübeck 2001, S. 35 – 46 (Neudruck 2004 in Andreas Fijal/Hans-Jörg Leuchte/Hans-Jochen Schiewer [Hg.]: Friedrich Ebel, Unseren fruntlichen grus zuvor. Deutsches Recht des Mittelalters im mittel- und osteuropäischen Raum. Kleine Schriften, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 389 – 401, hier S. 395). Zum Gesamtkomplex vgl. auch Jürgen Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug. Eine Skizze (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 15), Göttingen 1981; Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln/Weimar/ Wien 2015, S. 92 – 114. 4 Bernhard Diestelkamp, Der Oberhof Lübeck und das Reichskammergericht. Rechtszug versus Appellation, in: Jost Hausmann/Thomas Krause (Hg.), „Zur Erhaltung guter Ordnung“. Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz. Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 161 – 182, hier S. 164.

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Deutschland und in Ostmitteleuropa 5 eine zentrale Rolle.6 Das große Verbreitungsgebiet ­dieses aus Mitteldeutschland stammenden Normenkomplexes weist entsprechend viele solcher Spruchkollegien auf: Magdeburg, Alten-Stettin, Brandenburg, Breslau, Coburg, Dohna, Halle, Krakau, Kulm, Leipzig, Leitmeritz, Neumarkt, Olmütz, Wittenberg u. a. sowie (für das sächsische Bergrecht) den Bergschöffenstuhl zu Freiberg. Diese ganz unvollständige Aufzählung deutet schon eine Vielfalt an, die in einer kleinen Auswahl näher vorgestellt werden soll. Dem europäischen Rahmen der Tagung entsprechend sollen neben den Schöffenstühlen Magdeburg, Leipzig, Wittenberg und Dohna der sog. Oberhof des deutschen Rechts auf der Burg zu Krakau und der sog. Oberhof von Leitmeritz einbezogen werden. Die Auswahl zielt auf die Verdeutlichung von Weiträumigkeit einerseits und von Vielfalt der Strukturen andererseits. Am Beginn muss der Magdeburger Schöffenstuhl stehen. Von ihm ist ganz maßgeblich das Magdeburger Recht geschaffen und verbreitet worden.

I.  Schöffenstuhl zu Magdeburg Das berühmte Spruchkollegium in der alten Handelsmetropole an der mittleren Elbe ist aus der Gerichtsverfassung der Stadt Magdeburg hervorgegangen, ohne selbst Gericht gewesen zu sein. Das letztere Merkmal trifft auf alle Schöffenstühle und Oberhöfe zu. Der Erzbischof bildete die Spitze der Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Magdeburg.7 Die weltliche hohe Gerichtsbarkeit ließ er durch seinen Vogt, den Burggrafen, die niedere Gerichtsbarkeit durch einen Untervogt, den Schultheißen, ausüben.8 Die Urteilerbänke des Burggrafen- und S­ chultheißengerichts 5 Vgl. Heiner Lück, Sächsisch-magdeburgisches Recht z­ wischen Elbe und Dnjepr: Rechtstransfer als verbindendes europäisches Kulturphänomen, in: Gabriele Köster/Christina Link/Heiner Lück (Hg.), Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Tagungsband, Dresden 2018, S. 13 – 27. 6 Heiner Lück, Oberhöfe und Schöffenstühle als Anwendungs- und Verbreitungszentren des Magdeburger Rechts, ebd., S. 79 – 99. 7 Das Folgende nach Heiner Lück, Der Magdeburger Schöffenstuhl als Teil der Magdeburger Stadtverfassung, in: Matthias Puhle (Hg.), Hanse-Städte-Bünde. Die sächsischen Städte ­zwischen Elbe und Weser um 1500 (Magdeburger Museumsschriften Nr. 4, Bd. 1: Aufsätze), Magdeburg 1996, S. 138 – 151. 8 Zum Verhältnis von Erzbischof und Burggraf sowie zu den parallelen Verhältnissen in Halle vgl. Heiner Lück, Das Gericht des Burggrafen von Magdeburg zu Halle an der Saale. Eine Skizze nach vorwiegend sächsischen Quellen, in: Jürgen Goydke u. a. (Hg.), Vertrauen in den Rechtsstaat. Beiträge zur deutschen Einheit im Recht. Festschrift für Walter Remmers, Köln u. a. 1995, S. 687 – 701; vgl. auch Friedrich Ebel, Magdeburger Recht, in: Matthias Puhle (Hg.), Erzbischof Wichmann (1152 – 1192) und Magdeburg im hohen Mittelalter –

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besetzten die Schöffen.9 Magdeburger Schöffen begegnen erstmals im Jahre 1129 als maiores civitatis.10 Gemeint sind wohl Angehörige der städtischen Oberschicht und erzbischöfliche Ministeriale, die neben ihrer Urteilerfunktion auch für die Belange der Bürgergemeinde zuständig waren. Während die Quellen für das 12. Jahrhundert noch selten sind, fließen die Nachrichten über die Magdeburger Schöffen im Jahrhundert darauf etwas reichhaltiger. Spätestens seit 1244 stand ein inzwischen etablierter Rat, welcher zunächst als ein Ausschuss der Schöffen für die Verwaltung der Stadt erscheint,11 neben den Schöffen (scabini, consules in Magdeburgk).12 In der berühmten Rechtsmitteilung für Breslau von 1261 sind acht Schöffen und acht Ratsmitglieder ausgewiesen.13 Die Schöffen von 1244 waren lebenslänglich bestellt und übten gleichzeitig für ein Jahr das Amt eines Ratsmitglieds aus. In den Jahren 1293/94 erfolgte eine Abgrenzung ­zwischen Rat und Schöffen. Aus den vorausgegangenen Auseinandersetzungen 14 war der Rat gestärkt hervorgegangen. Seine Kompetenzen konnte er erweitern, während die Schöffen „in ihrer Bedeutung als städtisches Gericht in dem Maße“ herabsanken, „wie sie als Belehrungs- und Scheltungsinstanz im Rechtszug von außerhalb“ zunehmend in Anspruch genommen wurden.15 Der Magdeburger Schöffenstuhl entwickelte sich zum wichtigsten „Oberhof des Kolonialgebiets im Osten“.16 Die Jahrzehnte nach diesen Veränderungen etwa ab 1300 waren von der Stadt – Erzbistum – Reich. Ausstellung zum 800. Todestag Erzbischof Wichmanns vom 29. Oktober 1992 bis 21. März 1993, Magdeburg 1992, S. 42 – 55 (Neudruck in: Fijal u. a. [wie Anm. 3], S. 217 – 236, hier S. 225). 9 Dafür immer noch grundlegend: Rudolf Schranil, Stadtverfassung nach Magdeburger Recht. Magdeburg und Halle (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 125), Breslau 1915, hier S. 104. 10 Vita Norberti archiepiscopi Magdeburgensis, in: Georg Heinrich Pertz (Hg.), MGH Scriptores 12, Hannover 1856, Nachdruck Stuttgart/New York 1963, S. 663 – 703, hier S. 698. 11 Der Rat ist bereits 1238 erkennbar, vgl. Theodor Goerlitz, Die Anfänge der Schöffen, Bürgermeister und Ratmannen in Magdeburg, in: ZRG.GA 65 (1947), S. 70 – 85, hier S. 84; Matthias Puhle, Rat und „Schöppenstuhl“. Das Ringen um die Macht im mittelalterlichen Magdeburg, in: Köster/Link/Lück (wie Anm. 5), S. 235 – 245, hier S. 237. 12 Gustav Hertel (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Magdeburg (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 26), Bd. 1, Halle 1892, Nr. 107. 13 Friedrich Ebel (Hg.), Magdeburger Recht, Bd. II: Die Rechtsmitteilungen und Rechtssprüche für Breslau, T. 1: Die Quellen von 1261 bis 1452 (Mitteldeutsche Forschungen 89/ II /1), Köln/Wien 1989, Nr. 1 (S. 1 – 16, hier S. 12). 14 Ebel/Schelling (wie Anm. 3), S. 396; Friedrich Ebel, Des spreke wy vor eyn recht… Versuch über das Recht der Magdeburger Schöppen, in: Fijal u. a. (wie Anm. 3), S. 423 – 511, hier S. 455 – 459; Puhle, Rat (wie Anm. 11). 15 Ebel, Magdeburger Recht 2004 (wie Anm. 8), S. 225 f. 16 Friedrich Ebel, Statutum und ius fori im deutschen Spätmittelalter, in: ZRG.GA 93 (1976), S. 100 – 153 (Neudruck in Fijal u. a. [wie Anm. 3], S. 15 – 69, hier S. 47).

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Ausbalancierung eines bestimmten Verhältnisses beider Institutionen zueinander gekennzeichnet. Das Ergebnis dieser Entwicklung wurde in der Schöffenordnung von 1336, die jedoch nur Entwurfscharakter hatte, festgeschrieben.17 Trotz ihrer formellen Unverbindlichkeit gibt sie einen wertvollen Einblick in das Verhältnis von Rat und Schöffenstuhl im frühen 14. Jahrhundert. Sie enthält u. a. die Bestimmung, dass die gleichzeitige Mitgliedschaft in Schöffenstuhl und Rat ausdrücklich untersagt war.18 Die faktische Trennung hatte sich schon kurz vor der Jahrhundertwende vollzogen. Das Schöffenkollegium hatte wohl schon früh eine feststehende Mitgliederzahl. Im 12. Jahrhundert bestand es häufig aus fünf bis sechs Schöffen. Seit etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts zählte der Schöffenstuhl regelmäßig elf Mitglieder.19 Die Schöffen gelangten in ihr Amt durch Wahl. Das Kollegium hatte das Recht, frei gewordene Stellen selbst zu besetzen. Der neu Gewählte musste vor dem Burggrafen den Amtseid 20 ablegen. Das geschah regelmäßig im feierlich gehegten Burggrafengericht. Danach wurde der Schöffe vom Burggrafen an die Hand genommen und zu seinem Platz geführt. Dabei handelte es sich nur noch um einen formalen Akt; entscheidend war die Wahl durch das Schöffenkollegium. Wahl und Bestätigung erfolgten auf Lebenszeit. Nur der Tod oder eine Absetzung wegen Pflichtverletzung konnte die Amtszeit beenden. Als Voraussetzung für den Einzug in den Schöffenstuhl lassen sich nur ganz allgemeine Anhaltspunkte erkennen, die sich im Kern schon in fränkischer Zeit herausgebildet hatten.21 Aus den Magdeburger Urkunden des 12. Jahrhunderts geht hervor, dass die Schöffen (maiores, potissimi) den vornehmen Bürgergeschlechtern und der erzbischöflichen Ministerialität angehörten. Ferner sollten sie frei und unbescholten sowie redegewandt sein. Im Übrigen dürften alle Qualifikationsmerkmale des spätmittelalterlichen Richters auch für die Schöffen zutreffen.22 Die Spruch- bzw. Rechtsauskunftstätigkeit erfolgte zunächst, wahrscheinlich bis in das späte 13. Jahrhundert hinein, 17 Abgedr. bei Friedrich Ebel (Hg.), Magdeburger Recht, Bd. I: Die Rechtssprüche für Niedersachsen (Mitteldeutsche Forschungen 89/I), Köln/Wien 1983, S. 312 – 314. 18 UB Stadt Magdeburg I (wie Anm. 12), Nr. 362. 19 Vgl. auch Friedrich Ebel, Die Spruchtätigkeit des Magdeburger Schöppenstuhls für Niedersachsen, in: ZRG.GA 98 (1981), S. 10 – 55 (Neudruck in: Fijal u. a. [wie Anm. 3], S. 91 – 117, hier S. 93); Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 464 f. 20 Die Eidesformel lautete im späten 15. Jahrhundert: To deme rechte, dar gy gekorn syn, dat gy deme richtere vnd der stadt rechte ordele vinden willen vnde den scheppenstol noch madgeburgschem rechte vorstan, also gy rechtest konnen vnde weten, vnde des volge hebben vnde des durch neyne sacke laten, dat gik Got so helppe vnde dy Hyligen, abgedruckt in: Ebel, Magdeburger Recht I (wie Anm. 17), S. VII. 21 Battenberg (wie Anm. 1), Sp. 1465 f. 22 Vgl. Lück, Magdeburger Schöffenstuhl (wie Anm. 7), S. 144.

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mündlich.23 Eine „deutliche zeitliche Zäsur“ bei der Herausbildung der Schriftlichkeit 24 belegt eine Urkunde von 1305: „Wente alle ding verghenlick sint, so is dhes not, dat men dhe ding, dhe redeliken gheschen, bescrive und als irweghe, dat ere dhe minslike krangheyt nicht verghete“.25 Gleichwohl gab es auch noch im 14. Jahrhundert mündliche Anfragen.26 Der Eintritt in die Schriftlichkeit verursachte einen erheblichen Schreibbedarf. Für die umfangreichen Schreibarbeiten nahmen die Schöffen wohl zunächst den Stadtschreiber in Anspruch.27 Im Jahre 1350 stellten sie erstmals einen eigenen Schöffenstuhlschreiber an.28 Wahrscheinlich gehörten die frühesten Schöffenstuhlschreiber dem geistlichen Stand an.29 Die Schöffensprüche 30 wurden zunächst mit dem Stadtsiegel gesiegelt.31 Erst nach der funktionalen und räumlichen Trennung des Rates vom ­Schöffenkollegium 23 Ebel, Niedersachsen 2004 (wie Anm. 19), S. 93; Friedrich Ebel, Aufzeichnung von Ratsurteilen und Schöffensprüchen im Lübecker und Magdeburger Rechtskreis, in: John H. Baker (Hg.), Judicial Records, Law Reports and the Growth of Case Law (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History 5), Berlin 1989, S. 123 – 141 (Neudruck in Fijal u. a. [wie Anm. 3], S. 151 – 175, hier S. 158); Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 436 f. 24 Zu den Anfängen und zur Entwicklung der Schriftlichkeit in der mittelalterlichen Stadt vgl. Martin Kintzinger, Schrift und Recht in der Stadt. Wissenspolitik im Spätmittelalter, in: Köster/Link/Lück (wie Anm. 5), S. 315 – 331; Christian Speer, Stadtbücher im Magdeburger Rechtskreis. Die Anfänge neuer Formen pragmatischer Schriftlichkeit im 13. und 14. Jahrhundert, ebd., S. 333 – 363. 25 Ebel, Niedersachsen 2004 (wie Anm. 19), S. 93. 26 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 437. 27 Ebd., S. 439. 28 Schranil (wie Anm. 9), S. 98 f. 29 Ebel, Niedersachsen 2004 (wie Anm. 19), S. 93 f. 30 Wichtige Editionen: Victor Friese/Erich Liesegang (Bearb.), Magdeburger Schöffensprüche für Gross-Salze, Zerbst und Anhalt, Naumburg und aus dem Codex Harzgerodanus (Magdeburger Schöffensprüche 1), Berlin 1901; Theodor Goerlitz/Paul Gantzer (Bearb.), Die Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen für Schweidnitz (Die Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen, Reihe VII: Schlesien, Bd. 1), Stuttgart 1940; Wilhelm Weizsäcker (Bearb.), Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen für den Oberhof Leitmeritz (Die Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen, Reihe IX: Sudetenland, Bd. 1), Stuttgart 1943; Theodor Goerlitz (Bearb.), Magdeburger Schöffensprüche für die Hansestadt Posen und andere Städte des Warthelandes (Die Magdeburger Schöffensprüche und Rechtsmitteilungen, Reihe VIII: Wartheland, Bd. 1), Stuttgart 1944; Ebel, Magdeburger Recht I (wie Anm. 17); ders., Magdeburger Recht II/1 (wie Anm. 13); ders. (Hg.), Rechtsmitteilungen und Rechtssprüche für Breslau, Bd. II/2: Die Rechtsmitteilungen und Rechtssprüche für Breslau, T. 2: Die Quellen von 1453 bis zum Ende 16. Jahrhunderts (Mitteldeutsche Forschungen 89/II/2), Köln/Weimar/Wien 1995. 31 Zur Ikonographie und Bedeutung der Siegel vgl. Markus Späth, Stadtrecht und Siegelbild im mittelalterlichen Europa, in: Köster/Link/Lück (wie Anm. 5), S. 365 – 383.

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tauchte ein eigenes Schöffenstuhlsiegel auf.32 Eine genauere Datierung ist bislang nicht gelungen.33 Ein sicherer Nachweis liegt erst aus dem Jahre 1336 vor, doch wird das Siegel schon vorher vorhanden gewesen sein. Möglicherweise besteht hier auch mit der Neubildung des Rates im Jahre 1330 ein Zusammenhang.34 Die drei überlieferten Siegelbilder weisen im Wesentlichen die ­gleiche Darstellung wie der von dem 1631 zerstörten Schöffenhaus erhalten gebliebene Schöffenhausstein auf (Christus als Weltenrichter).35 Auch die Umschriften weichen nur geringfügig voneinander ab.36 Ihr Hängesiegel drückten die Magdeburger Schöffen in grünes Wachs.37 Für ihre Arbeit im Schöffenstuhl 38 erhielten die Schöffen gemäß ihrer genossenschaftlichen Verfassung 39 Anteile an den vereinnahmten Gebühren und Bußen. Das Jahr 1547 markiert einen existentiellen Einschnitt in der Geschichte des Magde­ burger Schöffenstuhls.40 Nach der Verhängung der Reichsacht über Magdeburg am 27. Juli 1547 ergingen Verbote an die Städte der Ober- und Niederlausitz sowie Schlesiens und Böhmens. Fortan sollten sie nicht mehr ihr Recht aus Magdeburg holen. Am 26. Juni 1549 hob ­Kaiser Karl V. (reg. 1519 – 1556) den Magdeburger Schöffenstuhl auf. Aus dem frühen 17. Jahrhundert hat sich ein Aktenfaszikel mit Anschreiben an den Schöffenstuhl und Spruchkonzepten erhalten.41 Diese Quelle 32 Vgl. dazu auch Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 441 f. 33 Vgl. Theodor Goerlitz, Die Magdeburger Schöffensiegel (Hängesiegel, aufgedrückte Siegel und Sekrete) sowie ihre verschiedenartige Verwendung, in: ZRG .GA 63 (1943), S. 327 – 333. 34 UB Stadt Magdeburg I (wie Anm. 12), Nr. 334. 35 Vgl. die Beschreibung bei Gerhard Buchda, Schöffenstuhlsiegel I, 1: Magdeburg, in: ZRG.GA 61 (1941), S. 257 – 265, hier S. 262 – 265; zum Motiv des Christus als Weltenrichter vgl. jetzt auch Späth: Siegelbild (wie Anm. 31), S. 369 – 376. 36 1. Siegel: + : S’:SCABINORVM : DE : MAIDEBOVRCH; 2. Siegel: : + : SIGILLVM : . : SCABINORUM :.: MAGDEBVRGENSIVM ; 3. Siegel: S : SCABINORVM . ­MAGDEBVRGENS, nach Buchda (wie Anm. 35). 37 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 442. 38 Geregelt u. a. in der Schöppenordnung von 1336, abgedr. bei Ebel, Magdeburger Recht I (wie Anm. 17), S. 312 – 314. 39 Lück, Magdeburger Schöffenstuhl (wie Anm. 7), S. 146; Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 440 f. 40 Zu Stellung und Wirksamkeit des Magdeburger Schöffenstuhls im 16. Jahrhundert vgl. Katalin Gönczi, Der Wirkungskreis des Magdeburger Schöffenstuhls im Zeitalter der Reformation und der Rezeption des Römischen Rechts, in: Maren Ballerstedt/Gabriele Köster/Cornelia Poenicke (Hg.), Magdeburg und die Reformation, T. 1: Eine Stadt folgt Martin Luther (Magdeburger Schriften 7), Halle (Saale) 2016, S. 261 – 277. 41 Friedrich Ebel, Ein Aktenfaszikel aus dem Archiv des Magdeburger Schöppenstuhls, in: ZRG.GA 99 (1982), S. 308 f. (Neudruck in Fijal u. a. [wie Anm. 3], S. 131 – 133).

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belegt, dass der Schöffenstuhl auch nach den Ereignissen von 1547/1549 als ­existent angesehen wurde.42 Die Magdeburger Schöffen sprachen unter der weitgehend einheitlichen Spruchformel „Hyr vff sprechenn wyr scheppen zcw Magdeburg vor recht…“, auch „vor ein recht“. Das Wort „recht“ ist in ­diesem Kontext neben „ortil“ (Urteil) und „rechtsspruch“ die häufigste Selbstbezeichnung der Magdeburger Schöffen für ihre Rechtsauskünfte, die keinen verbindlichen Charakter im Sinne eines Gerichtsurteils hatten. Die Schlussformel lautet regelmäßig: „Von rechts wegenn. Vorsigelt mit vnnserm ingesigell“. Oft schrieben die Magdeburger Schöffen ihre Rechtsauskunft gleich auf die Seite des Pergaments, ­welche den Text des Anschreibens mitteilte. Die Schöffenstuhlschreiber nutzten dafür den unbeschriebenen Platz, der sich unmittel­bar im Anschluss an die letzte Zeile des Anschreibens auftat.43 Der Abfassung längerer Sprüche dienten die Rückseiten der Anschreiben.44 Die längeren Rechtsmitteilungen, d. h. die Weitergabe der Stadtrechtsnormen, wurden dagegen auf einem gesonderten Stück Pergament, regelmäßig in repräsentativer Größe, ausgefertigt. Typisch dafür mag gewiss die Rechtsmitteilung („Weistum“) für Breslau von 1295 sein.45 Der Text setzt sofort mit der Formulierung der ersten Rechtsnorm ein (Zuständigkeit des Burggrafendings für Klagen um Geldschuld). Ausführlich ist der Schluss der Rechtsmitteilung artikuliert: „Diz recht haben die schepphen van Meydeburch lazen scriuen mit der ratmanne vnde der stat volge vnde wilkore vnde habenz durch liebe vnde vruntschaft zv rechte gegeben vnde gesant iren lieben vrunden, dem burgern der stat Wrezlaw, vunde willen en des gesten vnde mit en halden. Zv denselben ziten waren schepphen zv Meydeburch…“. Es folgen die Namen der elf (oder zwölf?) Schöffen,46 woran sich die Namen der 14 Ratmannen anschließen.47

42 Ebel, Niedersachsen 2004 (wie Anm. 19), S. 94. 43 Vgl. dazu Wieland Carls, Rechtsanfragen und Rechtssprüche. Zur Praxis des Rechtsverkehrs mit dem Magdeburger Schöffenstuhl, in: Köster/Link/Lück (wie Anm. 5), S. 127 – 143. 44 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 442. 45 Ebel, Magdeburger Recht II/1 (wie Anm. 13), Nr. 2 (S. 16 – 20). 46 Siehe auch Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), Anhang („Schöppenliste“), S. 504 f. (zum Jahr 1295). Bei einer Person, die unter den Schöffen genannt wird, ist nicht klar, ob es sich um einen Zusatz zu dem unmittelbar davor genannten Schöffen („her Hennig, hern Jans son“) oder um eine weitere Person („hern Jans son“) handelt (Ebel, Magdeburger Recht II/1 [wie Anm. 13], Nr. 2, S. 16 – 20, hier S. 20). Ebel, Magdeburger Recht II/1 (wie Anm. 13), S. XIII, nennt zwölf Schöffen. In seiner „Schöppenliste“ zum Jahr 1295 (Ebel, Des spreke, wie Anm. 14, Anhang, S. 504 f.) zählt er jedoch nur elf Schöffen namentlich auf, darunter auch „Henning, Jans son“ als eine Person. 47 Ebel, Magdeburger Recht II/1 (wie Anm. 13), S. XIII.

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Die Sprüche des 13. Jahrhunderts (belegt seit 1282) sind offene, gelegentlich großformatige Diplome. Sie alle folgen stabil der Magdeburger Kanzleitradition.48 Die Authentizität ihrer Rechtsmitteilungen bestätigten die Magdeburger Schöffen mit einem angehängten Wachssiegel.49 Die in großer Anzahl überlieferten Sprüche zu einzelnen Rechtsfragen (Rechtsweisungen) sind im Unterschied dazu mit einem Oblaten-Verschlusssiegel gesiegelt.50 Wie sich das interne Verfahren bei der Findung und Formulierung der Sprüche gestaltete, lässt sich mangels Quellen nicht rekonstruieren. Nur die Sprüche selbst und in ihrem Umfeld ergangene Urkunden lassen einige Anhaltspunkte erkennen. So ist belegt, dass zwei Schweidnitzer Bürger im Auftrag ihrer Stadt 1363 bei den Schöffen in Magdeburg vorstellig geworden waren.51 Über diese Begegnung haben die Magdeburger Schöffen eine lateinische Urkunde unter dem 6. Dezember 1363 ausgestellt. Darin ist die Verpflichtung formuliert, gegen Entgelt den Schweidnitzern die begehrte Rechtsauskunft zu erteilen. Ferner wird darin verbrieft, dass die Stadt Schweidnitz berechtigt sei, das Magdeburger Recht an Städte und Dörfer in ihrer Umgebung weiterzugeben. Die Antwort auf die Rechtsfrage, die inhaltlich auf Besetzung und Unterhaltung des Schöffenstuhls und des Stadtgerichts zielte, fertigten die Magdeburger Schöffen auf Papier aus. In dieser Form wurde das Dokument den Schweidnitzer Abgesandten mitgegeben. Die im Voraus entrichtete Gebühr in Höhe von einem Schock und 25 Groschen war wohl als Pauschale zuvor entrichtet worden.52 Eine eventuelle Differenz nach endgültiger Festsetzung der Gebühr wurde, wie nachweislich in d ­ iesem Fall (28 Groschen), zurückerstattet. Dieses Vorgehen ist in der hier aufgerufenen urkundlichen Überlieferung zu Schweidnitz belegt. Gewiss wird es in anderen Fällen auch Nachforderungen in Bezug auf die eventuell zu gering ausgefallene Pauschalgebühr gegeben haben. Die Magdeburger Schöffen fertigten von ihren Sprüchen und anderen Schriftstücken Abschriften an, die sie in ihrem Archiv aufbewahrten.53 Der Entwurf der Schöffenordnung von 1336 legte fest, dass man „alle recht“, die erteilt („uthgerichtet“) werden, „an einen quaternen“ schreiben solle.54 Die Abschriften leisteten vor 48 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 441. 49 Ebd., S. 442. 50 Ebd. 51 Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 128. 52 Ebd., S. 129. Friedrich Ebel nennt für einen Spruch im 14. Jahrhundert 12 Schillinge magdeburgischer Pfennige, zuzüglich 1 Schilling für den Schreiber und 6 Pfennige für den Gerichtsknecht (Ebel, Des spreke [wie Anm. 14], S. 440). 53 Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 131; Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 439 und 443. 54 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 443.

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allem beim Verfassen von Antworten auf ­gleiche oder ähnliche Rechtsfragen gute Dienste. Dabei griff man auf Formulierungen, die schon in älteren Sprüchen verwendet worden waren, zurück. So entstanden im Laufe der Zeit stereotype Sätze und Wortverbindungen, die für ganz verschiedene Adressaten und auch zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder verwendet wurden. Sie stammten wahrscheinlich aus „einem vorhandenen Satz an Rechtstexten“.55 Daraus ergab sich gelegentlich eine partielle Textgleichheit in Sprüchen auf ähnlich gelagerte Anfragen.56 Die Archivierung ihrer Sprüche ermöglichte den Magdeburger Schöffen auch den Rückgriff auf eventuelle Nachfragen oder Begehren von Auskunftssuchenden in Bezug auf frühere Rechtsmitteilungen oder -weisungen. Auch auf der Empfängerseite wurden die eingeholten Sprüche gesammelt, wofür dort besondere Bücher angelegt wurden.57 Für die moderne Forschung erweist sich diese Praxis als ein unschätzbar wertvoller Glücksumstand. Die Konzepte bzw. Kopien der Magdeburger Schöffensprüche in Magdeburg sind bekanntlich 1631 verbrannt. Die Forschung ist somit auf die in den Empfängerstädten erhaltenen Originale und Abschriften (Sammlungen) angewiesen. Die in der Regel auf Pergament ausgefertigten Sprüche 58 ließen die Magdeburger Schöffen mit ihrem Siegel versehen. In dieser Form („Faltbrief“) wurden die Sprüche dem jeweiligen Boten übergeben, der sie an den Bestimmungsort zu den Auftraggebern (Anfragenden) brachte.59 Da die Anfrage auf der Rückseite, d. h. auf der Außenseite des gefalteten Briefes, regelmäßig die Adressaten (Schöffen zu Magdeburg) nannte, bot die Rasur des Wortes „Magdeburg“ die Möglichkeit, der Einfachheit halber den Namen des Bestimmungsortes einzusetzen. Diese Praxis ist vielfach belegt.60 Ferner finden sich häufig, wahrscheinlich angebracht für Ordnungszwecke, die Namen der streitenden Parteien und eine Jahreszahl auf der Rückseite. Jene Sprüche, die eine streitige Rechtsangelegenheit z­ wischen zwei Personen betreffen, weisen einen einheitlichen Aufbau auf: Auf die Grußformel des an die Magdeburger Schöffen gerichteten Anschreibens folgen einige Angaben zum Sachverhalt mit Bezugnahmen auf Klage, Replik, Duplik usw. Daran schließt sich die Bitte um Rechtsfindung (Recht, Urteil, „rechtspruch“, „eyn recht zu sprechen“ 55 56 57 58

Ebd., S. 444. Ebd., S. 439. Ebel, Aufzeichnung 2004 (wie Anm. 23), S. 161 – 163. Theodor Distel, Beiträge zur älteren Verfassungsgeschichte des Schöppenstuhls zu Leipzig (Mit urkundlichen Beilagen und Siegelabbildungen) (Fortsetzung und Schluss), in: ZRG. GA 10 (1889), S. 63 – 97, hier S. 97. 59 So jedenfalls in den Sprüchen für Breslau belegt – Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 132 f. 60 Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 134.

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u. Ä.) an.61 Am Ende ist der Spruch der Magdeburger Schöffen formuliert. Er wird ebenfalls mit einer Grußformel eröffnet sowie mit einer Schlussformel und einem Siegelvermerk („Von rechtes weghen. Vorsigilt mit vnserem jngesigle“) beschlossen. Die inhaltliche Entscheidung wird regelmäßig eingeleitet mit der Spruchformel „Hyruff sprechen wir scheppen zu Magdeburgk vor recht“. Diverse Sprüche enthalten Hinweise auf den Grund der Anfrage. So lässt sich mehrfach lesen, dass sich die anfragenden Schöffen uneins waren („kwennen wir nicht eyne werdin“, „nicht mogen eyns werden“). Das deutet darauf hin, dass es nicht nur mangelnde Rechtskenntnisse waren, die zur Anfrage führten, sondern auch die nicht erreichte Einigkeit in der Entscheidungsfrage 62: z. B. „Kunnen dy scheppfin sich orteilis nicht voreynen … so sullen se ds ortile lozin holin, do se czu rechte sullen“.63 Daraus lässt sich gewiss schließen, dass bei den Abstimmungen strikt das Einstimmigkeitsprinzip angewandt wurde.64 Als weiterer Grund für die Sprucheinholung kann die Sorge um den Vorwurf der Befangenheit beobachtet werden.65 Freilich veranlassten auch Unsicherheiten oder gar Mängel der Rechtskenntnis ­solche Anfragen.66 Die stereotypen Formeln blieben beim Magdeburger Schöffenstuhl lange Zeit konstant, so dass sich die Sprüche durch eine „Konstanz der Formeltechnik“ auszeichneten.67 Nach 1336 sollten alle Schöffensprüche nach auswärts dem Rat vorgelegt werden. Diese Bestimmung ist aber nie praktisch geworden.68 Der eingeholte Schöffenspruch wurde bei dem entsprechenden Gericht bzw. dessen Schöffen nach Prüfung des Siegels in Anwesenheit der Parteien eröffnet und öffentlich verlesen.69 Dieses reichsweit übliche Verfahren erhielt mit der Entwicklung und Profilierung der Aktenversendung an Juristenfakultäten und Schöffenstühle seit dem 16. Jahrhundert eine detaillierte Ausgestaltung.

61 Ebd., S. 136. 62 So ebd., S. 137; vgl. auch Diestelkamp (wie Anm. 4), S. 163 f. 63 Ebel, Magdeburger Recht II/1 (wie Anm. 13), Nr. 198; Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 438. 64 Oestmann (wie Anm. 3), S. 94. 65 Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 137. 66 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 437 f. 67 Ebel, Niedersachsen 2004 (wie Anm. 19), S. 92 und 96. 68 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 457. 69 Für Görlitz ebd., S. 438.

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II.  Schöffenstuhl zu Leipzig Die Anfänge des Leipziger Schöffenstuhls liegen im Dunkeln.70 Grundlage bildete das Gründungsprivileg für die Stadt Leipzig von 1160/70, der sog. Stadtbrief.71 Er ist in Gestalt einer merkwürdigen Urkunde aus dem 13. Jahrhundert überliefert. Die inhaltlich nicht anzuzweifelnde ältere Narratio besagt, dass in Leipzig hallisch-magdeburgisches Recht („sub Hallensi et Magdeburgensi iure“) gelten solle. Ein Schöffenstuhl wird zum Jahr 1325 erstmals erwähnt, als der böhmische König Johann von Luxemburg (reg. 1311 – 1346) seine Stadt Pirna zur Rechtsauskunft an die Bürger Leipzigs wies.72 In dieser frühen Zeit stand wohl ein landesherrlicher Vogt dem Gericht vor.73 Als gesichert gilt, dass sich der Leipziger Schöffenstuhl z­ wischen dem frühen 14. und frühen 15. Jahrhundert herausgebildet hat und mit dem Rat der Stadt Leipzig in einer genetischen wie strukturell bedingten Beziehung stand.74 Er trat damit neben die älteren Schöffenstühle von Magdeburg und Halle. Das einflussreiche Meißner Rechtsbuch 75 (auch „Rechtsbuch nach Distinktionen“) aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts greift das Verhältnis der drei Schöffenstühle zueinander auf. Darin heißt es zum sächsischen, Magdeburger und hallischen Recht: „Das puch ist eyn puch des rechten zu Meydeburg wychpylde eyn sachsesser art, als ys Meydeburg gebrauchet und dy von Halle yr volwort do nemen unde dy von Lypczyk volwort zu Halle“ 76 (= Das Buch ist ein Buch des Magdeburger Weichbildrechts nach sächsischer Art, wie es in Magdeburg gebraucht und die von Halle von dort ihre Bestätigung/ Beantwortung (von Rechtsfragen – H. L.) und die von Leipzig ihre Bestätigung/ 70 Dieses und das Folgende weitgehend nach Theodor Distel, Beiträge zur älteren Verfassungsgeschichte des Schöppenstuhls zu Leipzig (Mit urkundlichen Beilagen und Siegel­ abbildungen), in: ZRG .GA 7 (1887), S. 89 – 115; ders., Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 63 – 97. 71 Vgl. Enno Bünz, Entstehung und Entwicklung der Stadt im 12. und 13. Jahrhundert, in: ders. (Hg.) unter Mitwirkung von Uwe John, Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reformation (Geschichte der Stadt Leipzig. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ausgabe in vier Bänden), Leipzig 2015, S. 123 – 146. 72 Distel, Beiträge 1887 (wie Anm. 70), S. 90. 73 Ebd., S. 92; Jens Kunze (Bearb.), Das Leipziger Schöffenbuch 1420 – 1478 (1491). Edition (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig 4), Leipzig 2012, S. X. 74 Vgl. Gerhard Buchda, Leipzig, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, Berlin 11978, Sp. 1837 – 1842, hier Sp. 1838; Ebel, Statutum 2004 (wie Anm. 16), S. 57 – 6 4; Kunze (wie Anm. 73), S. X–XIII. 75 Vgl. dazu Ulrich-Dieter Oppitz, Meißner Rechtsbuch, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, Berlin ²2016, Sp. 1431 – 1433. 76 Vladimir Spáčil/Libuše Spáčilová, Mišeńská právni kniha. Historický kontext, jazkový rozbor, edice. Das Meißner Rechtsbuch. Historischer Kontext, linguistische Analyse, Edition, Olomouc 2010, S. 561.

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Beantwortung (von Rechtsfragen – H. L.) von Halle holen.). Schöffensprüche, ­welche diese Abstufung bestätigen könnten, existieren nach derzeitigem Forschungsstand aber nicht.77 Der Schöffenstuhl von Leipzig figuriert hier im Ordnungsdenken des Meißner Rechtsbuchs jedenfalls als dritthöchste Rechtsbelehrungsstelle des Magde­ burger bzw. sächsischen Rechts nach Magdeburg und Halle. Gegenüber dem vorwiegend aus dem 13. Jahrhundert stammenden Sächsischen Weichbild, das den Leipziger Schöffenstuhl noch nicht kannte, wurde er nun vom Meißner Rechtsbuch in das bisherige zweigliedrige „System“ Magdeburg-Halle eingegliedert. Noch im 16. Jahrhundert galten die Schöffenstühle von Magdeburg, Halle und Leipzig als die drei „hohen heubt scheppenstühle diser [i. e. der sächsischen – H. L.] Lande“.78 Seit dem frühen 15. Jahrhundert waren die ersten gelehrten Juristen im Leipziger Schöffenstuhl bzw. in enger Kooperation mit ihm tätig,79 was die Gründung der Alma Mater Lipsiensis 140980 ermöglicht hatte.81 Der Leipziger Schöffenstuhl bestand aus sechs Schöffen (fünf Schöffen und einem Oberschöffenschreiber).82 Als Kolleg werden die Schöffen 1304 erstmals erwähnt.83 Sie bildeten zunächst ein ausschließlich städtisches Kollegium. Die Bürgermeister waren geborene Schöffenstuhlmitglieder. Während des 16. Jahrhunderts fanden sich zunehmend studierte Juristen unter den Mitgliedern. E ­ tliche Bürgermeister ließen sich von juristisch gebildeten Adjunkten vertreten. Vermutlich wurden Personen, die nicht die Rechte studiert hatten, nicht mehr den Anforderungen unter den Bedingungen der Rezeption der fremden Rechte gerecht.84 Damit waren erhebliche Unstimmigkeiten verbunden, in die auch der 77 Wilhelm A. Eckhardt, Das Stadtgericht als Oberhof. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Stadt Biedenkopf, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 110 (2005), S. 21 – 48, hier S. 29, Fn. 50. 78 Zitat nach Heiner Lück, Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423 – 1550 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 17), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 82. 79 Vgl. dazu Marek Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz ­zwischen Rechtspraxis, Universität und kirchlicher Karriere. Der Leipziger Jurist und Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410 – 1466) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 42), Leiden/Boston 2012, S. 279 – 282. 80 Dazu Enno Bünz, Gründung und Entfaltung. Die spätmittelalterliche Universität Leipzig 1409 – 1539, in: ders./Manfred Rudersdorf/Detlef Döring, Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009, Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409 – 1830/31 (Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009. Ausgabe in fünf Bänden, Bd. 1), Leipzig 2009, S. 21 – 325. 81 Vgl. auch Oestmann (wie Anm. 3), S. 95. 82 Distel, Beiträge 1887 (wie Anm. 70), S. 92 f. 83 Henning Steinführer, Stadtverfassung, in: Bünz, Geschichte der Stadt Leipzig I (wie Anm. 71), S. 183 – 201, hier S. 199. 84 Zu dieser allgemeinen Entwicklung vgl. auch Oestmann (wie Anm. 3), S. 94 f.

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Landesherr eingriff. Im Ergebnis dieser Auseinandersetzungen wurde der Leipziger Schöffenstuhl 1574 in ein landesherrliches Spruchkollegium umgewandelt.85 Bei dieser Gelegenheit wurde der Leipziger Schöffenstuhl exklusiv dafür bestimmt, für alle kurfürstlichen Gerichte Urteile in Strafsachen zu sprechen.86 Näheren Aufschluss über die Organisation und Arbeitsweise des Schöffenstuhls gibt die sog. Alte Schöppenordnung (vor 1518), die gewiss ältere Zustände widerspiegelt. Im Schöffenstuhl saßen in der Regel sechs Schöffen. In Abweichung von der regulären Besetzung lassen sich auch Besetzungsvarianten mit sieben, fünf und vier Schöffen ausmachen. Vorsteher des Kollegiums war seit 1423 ein Richter der Stadt. Die Stadt hatte 1423/35 die obere Gerichtsbarkeit, zunächst wiederkäuflich, erworben.87 Die neuen Schöffen wurden von den jeweils amtierenden Schöffen aus den Reihen des Rates auf Lebenszeit gewählt und vom Rat bestätigt. Die sechs regulären Mitglieder stellten sechs Ratsmitglieder. Darunter befanden sich stets die drei Bürgermeister. Es handelt sich wie üblich durchgehend um juristische Laien. Die Aufnahme erfolgte unter Leistung des Eides kniend in der Schöffenbank. Vorgegeben war die Sitzungszeit: Frühling/Sommer ab 7 Uhr; Herbst/Winter ab 8 Uhr. Sitzungsraum war die „uf dem rathause … in der schöppenstuben“.88 Ausdrücklich werden Sachen der (Leipziger) Bürger und fremde Sachen (von Auswärtigen) genannt, auf die Recht gesprochen werden soll. Der regierende Bürgermeister war wegen seiner anderweitigen Arbeitsbelastung nicht verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen. Daher sollte man einen Schöffenmeister aus dem Kreis der nicht regierenden Bürgermeister haben. Er war die Anlaufstelle für die eingehenden Rechtsfragen. Ihm oblagen das Einsammeln des Urteilsgeldes und die Verteilung der Anfragen an die Schöffen am folgenden Sitzungstag. Die eigentliche Entscheidungsfindung lief nach der Alten Schöffenordnung wie folgt ab: „… die schöppen sollen dieselbigen sachen alle vleissig lesende anhören und darnach eines ieden schöppen meinung und seine derwegen uf befragen des ­schöppenmeisters hören, und also sich eines urteils ­voreinigen“.89​ 85 Vgl. dazu Heiner Lück, Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation-Verfahren-Ausstrahlung, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 92; Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58). 86 Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 92 und 290. 87 Steinführer, Stadtverfassung (wie Anm. 83), S. 186. 88 Vgl. auch Doris Mundus, Verwaltungssitz, Vergnügungsstätte, Gerichtsort und Kaufhaus. Das Alte Rathaus als Ort der Geschichte, in: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/Volker Rodekamp (Hg.), Das Alte Rathaus zu Leipzig, Leipzig 2004, S. 230 – 259, hier S. 246 – 249. Die Schöppenstube wird erstmals 1474 erwähnt (Kunze [wie Anm. 73], S. XIII). 89 Auch die Fundationsurkunde von 1574, ­welche die Verfassung und Arbeitsweise des Leipziger Schöffenstuhls neu regelte, bestand auf die Herbeiführung der Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung über die Sprüche (Distel 1889 [wie Anm. 58], S. 88).

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Der ­Schöffenschreiber ­(„stulschrybir“)90 sollte alles in ein Kopial schreiben und ein Konzept an einem der nächsten Tage den Schöffen vortragen. Sodann sollten sie das Konzept „lesen und den acten nach wohl bewegen, darnach von stund ingrossiren lassen … wan der spruch ingrossirt, sollen die alzeit in beiwesen der schoppen gelesen und vorsigelt werden.“ Auch die Gebührenverteilung und die archivalische Aufbewahrung der Konzepte sowie die Führung von Registern waren ausführlich geregelt. Im Interesse einer territorialstaatlich in sich abgeschlossenen Gerichtsverfassung 91 verboten die Herzöge von Sachsen 1432 den Rechtszug nach Magdeburg und wiesen ihre Untertanen an den Schöffenstuhl und die gelehrten Doktoren (Juristenfakultät) zu Leipzig: „rechtis undirwisunge, bescheidunge addir sentencien … zu Liptzk an unsern doctoren, erbarn und vorstendigen burgern daselbist“.92 Streng eingehalten wurde diese Restriktion jedoch nicht.93 Neben den Schöffen gab es einen Schöffenschreiber. Ihn nahmen die Schöffen mit Wissen des Rats und nach der Leistung eines Eides an. Analoges galt für die Annahme eines Substituten des Schöffenschreibers. Das Amt des Schöffenschreibers wurde 1472 von dem des Stadtschreibers getrennt. Um diese Zeit hatte ­dieses Amt der Jurist Johann Scheibe, der wenig s­ päter Ordinarius an der Leipziger Juristenfakultät werden sollte, inne. Mit ihm begann der über gelehrte Juristen vermittelte Einfluss des gelehrten Rechts auf das städtische Spruchkollegium. Im Jahre 1514 wurde der rechtsgelehrte Bürgermeister, Johann Lindeman, reguläres Mitglied des Schöffenstuhls. Seit dieser Zeit gelangten immer mehr Rechtsgelehrte in den Schöffenstuhl. Ihre Aufnahme in die Reihen der nicht juristisch ausgebildeten Schöffen ging nicht ohne Reibereien ab. Vor d ­ iesem Hintergrund kam es auch zum Eingreifen des Landesherrn, der – wie wohl auch die gelehrten Schöffen – mit der gelegentlich nachlässigen Behandlung von Strafsachen unzufrieden war.94 Darin wird ein Konflikt deutlich, der sich durch das Strafrecht und den Strafprozess während des späten 15. Jahrhunderts und gesamten 16. Jahrhunderts zieht. Hier sei auf die Konfliktregelung des ­Gemeinen Sachsenrechts  95, das noch sehr stark zur Sühne mit Zahlung von Wergeld tendierte, und des eindringenden rezipierten Rechts, das immer mehr das sog. peinliche Strafrecht der 90 Kunze (wie Anm. 73), S. XII. 91 Vgl. dazu auch allgemein Oestmann (wie Anm. 3), S. 95; zu Kursachsen ausführlich vgl. Lück, Die kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 78), S. 35 – 78. 92 Distel, Beiträge 1887 (wie Anm. 70), S. 110. 93 Zum Verhältnis von Leipzig zum Magdeburger Schöffenstuhl vor 1432 vgl. kritisch Spáčil/ Spáčilová (wie Anm. 76), S. 561. 94 Distel 1887 (wie Anm. 70), S. 101 – 103. 95 Vgl. dazu Heiner Lück, Gemeines Sachsenrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, Berlin ²2012, Sp. 77 – 84.

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Carolina favorisierte, verwiesen.96 Jedenfalls genoss der Leipziger Schöffenstuhl fortan eine dezidierte Aufmerksamkeit der Landesherrschaft. Immerhin galten die Kurfürsten und Herzöge von Sachsen als Bewahrer der sächsischen Rechtstradition.97 Die letztere war mit den neuen Entwicklungen in Einklang zu bringen. Die einleitende Spruchformel der Leipziger Schöffen lautete: „Sprechen wir schöpfen (zu Leipzigk auf solch euer fragen) und erstlichen …, darvon in euren fragen von erst bemelt wird, (vor recht)…“ 98 oder nur kurz und bündig „Sprechen wir schöpfen zu Leipzig vor recht:…“.99 Die Schlussformel lautete wie ganz üblich „von Rechts wegen“. Ihren Höhepunkt erreichte die Spruchtätigkeit des Leipziger Schöffenstuhls in der mittleren Frühen Neuzeit. Für diese Blütezeit steht die Person des berühmten und wirkmächtigen Leipziger Schöffen Benedict (II.) Carpzov (1595 – 1666).100 Seine gedruckten Werke, die ganz regelmäßig Leipziger Schöffensprüche als Belege für die Ausführungen des Autors aufweisen, sind auch in Polen und in der Ukraine bekannt gewesen. Das Krakauer Stadtgericht zitierte sie ebenso wie der Kodifikationsentwurf für das „kleinrussische“ (ukrainische) Volk von 1743.101 Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind drei runde Siegel des Schöffenstuhls bekannt.102 Das eine (wohl älteste) zeigt Christus als Weltenrichter mit gespreizten Armen im langen Gewand auf einem Regenbogen. Der um den Kopf (mit Fürsten- oder Richterhut) gelegte Kreis deutet einen Nimbus an. Heraldisch rechts von der Christusfigur sind ein Wappenschild mit den Landsberger Pfählen und 96 Vgl. Heiner Lück, Zur Entwicklung des peinlichen Strafrechts in Kursachsen. Genesis und Alternativen, in: Harriet Rudolph/Helga Schnabel-Schüle (Hg.), Justiz = Justice = Justicia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa (Trierer Historische Forschungen 48), Trier 2003, S. 271 – 286. 97 Heiner Lück, Kursächsische Gerichtsverfassung und höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Zur Geschichte einer besonderen Wechselbeziehung (1423 – 1559), in: Ignacio Czeguhn (Hg.), Recht im Wandel – Wandel des Rechts. Festschrift für Jürgen Weitzel zum 70. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 303 – 326. 98 Guido Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung (Quellen zur Geschichte der Rezeption 5), Leipzig 1919, S. 73. 99 Ebd., S. 83. 100 Heiner Lück, Benedict Carpzov (1595 – 1666) und das „römisch-sächsische Recht“. Zu seinem 350. Todestag am 31. August 2016, in: Zeitschrift für europäisches Privatrecht 24 (2016), S. 888 – 927; zum Verfahren in dieser Zeit grundlegend Ernst Boehm, Der Schöppenstuhl zu Leipzig und der sächsische Inquisitionsprozeß im Barockzeitalter. Wichtige rechtskundliche Quellen in der Leipziger Universitäts-Bibliothek, in: ZS tW 59 (1940), S. 371 – 410 und 620 – 639; 60 (1941), S. 155 – 249; 61 (1942), S. 300 – 403. 101 Lück, Carpzov (wie Anm. 100), S. 924 – 926. 102 Abb. bei Distel, Beiträge 1887 (wie Anm. 70), S. 115. Vgl. auch Heiner Lück, Verfassung des Schöppenstuhls zu Leipzig 1722, in: Detlef Döring u. a. (Hg.), Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. 600 Jahre Universität Leipzig. Jubiläumsausstellung …, Katalog, Dresden 2009, S. 103.

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links ein Wappenschild mit dem Löwen der Markgrafen von Meißen zu sehen. Die Szene ist unter stilistisch angedeuteten drei Kirchturmspitzen mit kreisförmig eingefassten Kreuzen platziert. Die nicht von der bildlichen Darstellung eingenommene Fläche ist mit mehreren kleinen Sternen ausgefüllt. Die Umschrift lautet: „sigillum schabinorum opidi Lipczk“. Das zweite Siegel zeigt ebenfalls Christus als Weltenrichter mit nach oben bis in Kopfhöhe gehobenen Händen in einem baldachinartigen Möbel sitzend. Links und rechts von ihm befinden sich wiederum die genannten Wappenschilde. Die Umschrift lautet: „s. scabinorum civitatis Lipczensis“. In Zusammenhang mit der Neuorganisation des Leipziger Schöffenstuhls 1574103 erhielt der Schöffenstuhl 1575 ein weiteres Siegel.104 Seine Verwendung ist für den Zeitraum von 1575 bis 1661 nachgewiesen.105 Es zeigt im Kreisrund eine nach (heraldisch) rechts schreitende Justitia mit erhobenem Schwert in der rechten und Waage in der linken Hand, mit Augenbinde und wehendem Gewand. Die Umschrift lautet: „CHVRF : SECHS : SCHEPPEN ZV LEIPZIG “. Am oberen Rand über der Justitia befinden sich zwei Wappen (gekreuzte Kurschwerter, Rautenschild).106 Gleichzeitig wurde festgelegt, dass das Siegel nicht mehr wie bisher in gelbes Siegelwachs, sondern in rotes gedrückt werden sollte.107 Die in der Regel auf Papier ausgefertigten Sprüche weisen kaum Datumsangaben auf. Im Rahmen der bürgerlichen Justizreformen im Königreich Sachsen wurde der Leipziger Schöffenstuhl 1835 abgeschafft.108

III.  Schöffenstuhl zu Wittenberg Zu derselben wettinischen Landesherrschaft, die sich über Leipzig erstreckte, gehörte seit 1423 die Stadt Wittenberg an der Elbe, etwa 110 km flussaufwärts von Magdeburg gelegen. 1485 war Wittenberg, das mit seinem Umland die territoriale Grundlage für die sächsische Kurwürde bildete, dem ernestinischen Teil (Kursachsen) zugefallen. Im Gefolge des Schmalkaldischen Krieges erlangte die albertinische Linie der Wettiner 1547 die Herrschaft über Wittenberg und damit die Kurwürde. Fortan hatten Leipzig und Wittenberg bis 1815 jeweils denselben Landesherrn. 103 Fundationsurkunde vom 6. November 1574, abgedruckt bei Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 85 – 93. 104 Ebd., S. 96 f. 105 Ebd., S. 96. 106 Nach Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 97. 107 Distel, Beiträge 1887 (wie Anm. 70), S. 115; Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 80 f. 108 Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 106.

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Der Schöffenstuhl zu Wittenberg 109 hatte von seiner Genesis her einen völlig anderen Charakter als die bereits vorgestellten Schöffenstühle. Er gehörte seit dem frühen 16. Jahrhundert zu den vier kursächsischen Spruchkollegien (Juristenfakultäten Leipzig und Wittenberg; Schöffenstühle Leipzig und Wittenberg). Seit dem späten 16. Jahrhundert waren diese fest in die territorialstaatliche Gerichtsverfassung integriert,110 ohne Gerichtseigenschaft zu besitzen. Während der Magdeburger und der Leipziger Schöffenstuhl aus städtischen Repräsentanten bzw. Institutionen (städtische Schöffen, Rat, Stadtgericht) hervorgegangen sind, verdankt der Wittenberger Schöffenstuhl seine Entstehung dem in Wittenberg seit dem Spätmittelalter ansässigen kurfürstlich-sächsischen Hofgericht. Dessen Urteilerbank war mit Adligen aus der Umgebung und spätestens seit Gründung der Universität 1502 mit Professoren der Juristenfakultät besetzt. Die „Gelehrtenbank“ hat außerhalb der vier regelmäßigen jährlichen Hofgerichtssitzungen Urteils- und Rechtsbelehrungsaufgaben wahrgenommen. Im Laufe des 16. Jahrhunderts verselbstständigte sich ­dieses Gremium, das erstmals 1569 „Schöffenstuhl“ genannt wurde.111 Über die internen Abläufe informieren für das 16. Jahrhundert mehrere Ordnungen und Belege. Sie lassen ein Verfahren erkennen, das jenem im Spruchkollegium der Juristenfakultät sehr ähnlich war. Auch die allgemeine Entwicklung beinhaltete eine zunehmende Angleichung der Verfahren bei der Bearbeitung der Anfragen im Laufe des 16. Jahrhunderts.112 Schöffenstuhl und Juristenfakultät waren von den Mitgliedern her teilidentisch. Im Schöffenstuhl saßen die fünf statutenmäßigen Professoren der Juristenfakultät, während zum Spruchkollegium der Juristenfakultät neben jenen noch zwei weitere Doktoren der Rechte gehörten. In formaler Hinsicht fungierten Schöffenstuhl und Juristenfakultät als zwei selbstständige und voneinander getrennte Spruchkollegien. Der Schöffenstuhl gebrauchte während der gesamten Zeit seiner Existenz das alte – 1435 erstmals nachweisbare – Siegel des Hofgerichts.113 Die Hofgerichtsordnungen von 1529 und 1550 schrieben ausdrücklich vor, dass die von den gelehrten 1 09 Das Folgende weitgehend nach Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 136 – 140. 110 Dazu ausführlich ebd., S.  67 – 113; Lück, Die kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 78), S. 91 f. 111 „schoppenstuel“ (Friedrich Israël, Das Wittenberger Universitätsarchiv, seine Geschichte und seine Bestände. Nebst den Regesten der Urkunden des Allerheiligenstifts und den Fundationsurkunden der Universität Wittenberg [Forschungen zur thüringisch-sächsischen Geschichte 4], Halle 1913, S. 127 – 139, hier S. 137). 112 Ebel, Des spreke (wie Anm. 14), S. 443. 113 Vgl. auch Walter Friedensburg (Bearb.), Urkundenbuch der Universität Wittenberg, T. 1: 1502 – 1611 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe, Bd. 3), Magdeburg 1926, Nr. 468 (S. 587 – 588, hier S. 587). Zu den verschiedenen Siegeln vgl. Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 194 – 196.

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Beisitzern außerhalb der ordentlichen Hofgerichtssitzungen abgefassten Urteile und Gutachten im Namen „… der Rechtverständigen Beysitzer unsers Hof-Gerichts und der andern darzu verordneten Doctoren und Licentiaten der Rechte, zu Witten­ berg …“ 114 ergehen sollten. Das runde Siegel zeigte einen sitzenden Richter (Kurfürsten?) mit einem Schwert in der rechten und einem Rautenschild in der linken Hand vor gotischem Maßwerk oder einer Brücke sitzend. Die Umschrift lautete: „sigillum iudicii curie ducis saxonie“.115 Auf den Sprüchen beider Spruchkollegien erschienen die Siegel regelmäßig auf einem Papierviereck, das vor dem Aufdrücken des Siegeltypars auf den Siegelstoff gelegt wurde (sog. Obladensiegel).116 Die Entscheidungen des Hofgerichts als ordentliches Gericht, d. h. in seiner vollen Besetzung zum ordentlichen Sitzungstermin, ergingen im Namen des Hofrichters und der Beisitzer des Hofgerichts zu Wittenberg. Unter dieser Bezeichnung erfolgte auch die Korrespondenz ­zwischen Kurfürsten und Hofgericht, während der Schöffenstuhl seit dem späten 16. Jahrhundert unter „verordnete Doctores des ChurFürstl.-Sächsischen Hofgerichts und Schöppenstuhls zu Wittenberg“ 117 firmierte. In einem Gutachten der kurfürstlichen Räte, das in Vorbereitung der Umgestaltung des Leipziger Schöffenstuhls am 25. August 1574 angefertigt wurde, wird der Wittenberger Schöffenstuhl wie folgt charakterisiert: „… das doselbst vor alters kein ordentlicher schöppenstul gewesen, wie sie dan auch noch nicht den titel als schöppen furen, sondern sich vorordente doctores des churfurstlichen sächsischen hofgerichts tituliren. Es hat aber ihr sprechen den anfang daher: als herzogk Johans, churfurst, gesehen, das seine lande keinen eignen schöppenstul gehabt, hat er den doctorn, so assessorn des hofgerichts in der chur sein, nachgelassen und die gerechtigkeit gegeben, das sie ausserhalb der hofgericht in peinlichen und burglichen sachen sprechen möchten, damit seine lande nicht weniger hetten, dan der andern linien.“ 118 Die Aufnahme eines neu ernannten Professors erfolgte in der jeweils nächsten ­Sitzung des entsprechenden Kollegiums in feierlicher Form, wobei ein b­ esonderer 114 Hofgerichtsordnung von 1529, abgedr. in: Johann Christian Lünig (Hg.), Codex A ­ ugusteus, Oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici … (T. 1), Leipzig 1724 (im Folgenden: Cod. Aug. I), Sp. 1333 – 1336, hier Sp. 1335; ähnlich in Hofgerichtsordnung von 1550, ebd., Sp. 1337 – 1346, hier Sp. 1345. 115 Zeichnung bei Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 285. 116 Vgl. dazu Heinrich Otto Meisner, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig 1969, S. 218. 117 Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 185. Vorher, d. h. bis etwa 1569, fehlte ein Bezug auf den Schöffenstuhl: „… verordneten Doctores des Churfürstlichen Sechssischen Hofgerichts zu Wittenberg…“ (Lück, Spruchtätigkeit [wie Anm. 85], S. 184 f.). 118 Abgedr. bei Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 68.

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Eid geleistet werden musste. Während die ordentlichen vierteljährlichen Hofgerichtssitzungen auf dem Schloss in einer besonders dafür hergerichteten „Hofgerichts­ stube“ stattfanden, erfolgten die gewöhnlichen Zusammenkünfte des Schöffenstuhls unmittelbar im Anschluss an die Sitzungen des Spruchkollegiums der Juristen­ fakultät an dessen Versammlungsort im Collegium Juridicum.119 Wegen der partiellen Identität beider Kollegien waren Organisation und Verfahren sehr ähnlich. Eine Ordnung für den Schöffenstuhl vom 24. August 1588120 regelte die wichtigsten Punkte. Die Akten mit den Anschreiben wurden per Boten, ­später auch mit der Post, nach Wittenberg gebracht. Zuständig für die Annahme war der Protonotar des Hofgerichts. Seit 1677 verfügte die Fakultät über einen Aktuar, der auch für den Schöffenstuhl arbeitete. In der Regel wurden die voraus­ sichtlichen Spruchgebühren im Voraus entrichtet. Nach der Registrierung des Akteneingangs übergab der Protonotar bzw. der Aktuar die Akten in Absprache mit dem Vorsitzenden des Spruchkollegiums (Dekan bzw. Ordinarius) an ein Fakultäts-/Schöffenstuhlmitglied. Verschiedene Angaben zur Übergabe notierte er in einem Distributionsbuch. Dabei wurde auf die Einhaltung der Reihenfolge geachtet, um niemanden zu bevorteilen oder zu benachteiligen. Immerhin bedeutete die Erstellung der Sprüche nicht nur erheblichen Arbeitsaufwand, sondern auch einen lukrativen Nebenverdienst, der im 18. Jahrhundert ein Mehrfaches des Professorengehalts betrug. Der Bearbeiter hatte in einer der nächsten Kollegiumssitzungen seinen Urteilsvorschlag auf der Grundlage der Akten, seiner Ausarbeitungen und des Spruchkonzepts zu referieren. Gegebenenfalls wurden Änderungen und Ergänzungen des Entwurfs vorgenommen. Das Verfahren und die Abstimmung leitete der halbjährlich wechselnde Dekan, seit 1668 der auf Lebenszeit eingesetzte Ordinarius. Die Konzepte übertrug der Protonotar bzw. der Aktuar in Reinschrift, siegelte sie und sorgte für die Rücksendung von Spruch und Akten an die Auftraggeber. Allein die Konzepte verblieben in Wittenberg. Auf ihnen sind in der Regel das Datum des Akteneingangs, das Datum der Sitzung, die Namen der anwesenden Professoren, die Spruchgebühr und der Adressat (Auftraggeber) des Spruches vermerkt. Der Aufbau folgte traditionellen Regeln. Die Sprüche in Briefform begannen mit der Grußformel „U. f. D. z.“ (Unseren freundlichen Dienst zuvor). Sodann wurden kurze Bemerkungen zum Gegenstand der Rechtsfrage bzw. des ­Rechtsstreits 119 Zu ­diesem 1760 zerstörten Gebäude ausführlich Ulrike Ludwig, Die Juristen Schuell. Das Collegium Iuridicum als Fakultätshaus der Juristen. Bau und Nutzung, in: Heiner Lück u. a. (Hg.), Das ernestinische Wittenberg. Die Leucorea und ihre Räume (Wittenberg-Forschungen 4), Petersberg 2017, S. 159 – 170. 120 Abgedr. in: Cod. Aug. I (wie Anm. 114), Sp. 1347 – 1350. Vgl. dazu Lück, Spruchtätigkeit (wie Anm. 85), S. 136 – 140.

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gemacht, wobei auch die Beteiligten genannt wurden. Ebenfalls sehr kurz wurde auf die dem Schöffenstuhl vorliegenden Schriftstücke bzw. Prozessdokumente Bezug genommen. Es folgte die knappe Formulierung der Rechtsfrage. Daran schloss sich nach der Spruchformel die kurze Antwort der Schöffen an. Die Sprüche endeten mit der ganz üblichen Formel „V. R. W.“ (Von Rechts Wegen). Darunter standen Name und Ort des Absenders. Regelmäßig war dort auch die Gebühr vermerkt. Die Sprüche in Urteilsform wurden im Namen des anfragenden Gerichts ausformuliert und enthalten daher keine Grußformel. Nur noch der Zusatz „nach gehabtem Rat vor Recht“ ließ die Abfassung durch den Schöffenstuhl erkennen. Diese Praxis war in das sich reichsweit seit dem frühen 16. Jahrhundert etablierende Aktenversendungsverfahren eingeordnet. Auch die späteren Sprüche des Magdeburger Schöffenstuhls unterschieden sich seit etwa dem Ende des 15. Jahrhunderts kaum von solchen der Juristenfakultäten.121 Editionen Wittenberger Schöffensprüche liegen nicht vor. Der Schöffenstuhl zu Wittenberg verlor mit dem Ende der Universität 1813/1817 und der Abtretung des Gebietes 1815 an Preußen seine Existenzgrundlage.

IV.  Schöffenstuhl zu Dohna Kaum vergleichbar mit den berühmten Schöffenstühlen Magdeburg und Leipzig sowie dem nicht ganz so bedeutenden Schöffenstuhl zu Wittenberg ist der Schöffenstuhl zu Dohna.122 Das Städtchen Dohna liegt in der Sächsischen Schweiz unweit der heutigen sächsisch-tschechischen Grenze bei Pirna. Seine Relevanz im Spätmittelalter wird greifbar, indem man sich das bekannte Rechtsbuch des Breslauer Ratsherrn und Schöffen Kaspar Popplau, den „Rechten Weg“,123 näher anschaut. In ­dieses Werk sind auch Dohnaer Schöffensprüche eingegangen.124 Und auch die von Guido Kisch 1919 edierte sog. Leipziger Schöffenspruchsammlung 125 weist Sprüche des Dohnaer Schöffenstuhls auf.126 Somit kann Dohnas Platz im Mosaik 121 Ebel, Statutum 2004 (wie Anm. 16), S. 53. 122 Zu ihm vgl. ebd., S. 56 f. 123 Edition: Friedrich Ebel (Hg.) unter Mitwirkung von Wieland Carls und Renate Schelling, Der Rechte Weg. Ein Breslauer Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts, 2 Bde., Köln/ Weimar/Wien 2000. 124 Carls, Rechtsanfragen (wie Anm. 43), S. 140. 125 Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung (wie Anm. 98); zum Charakter dieser Sammlung vgl. Wejwoda (wie Anm. 79), S. 90; Julia Pätzold, Leipziger gelehrte Schöffenspruchsammlung. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte in Kursachsen im 16. Jh. (Schriften zur Rechtsgeschichte 143), Berlin 2009. 126 Wejwoda (wie Anm. 79), S. 90.

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der Schöffenstühle und sog. Oberhöfe sächsisch-magdeburgischen Rechts nicht ernsthaft bestritten werden. Der Dohnaer Schöffenstuhl wird 1390 erstmals erwähnt. Es handelte sich um eine Versammlung der Vasallen in der Pflege 127 Dohna, also um eine Einrichtung, die vieles mit einem Lehngericht gemein hat. Die Schöffen waren adelige Beisitzer, die im Lehnsdienst der Burggrafen von Dohna standen. Letztere strebten in der permanent umkämpften Grenzregion ­zwischen Böhmen und Meißen eine eigene Landesherrschaft an, wozu bekanntlich auch die Etablierung eigener Rechtsprechungsinstitutionen gehörte. Diese Versammlung tagte zunächst unter dem Vorsitz des Burggrafen, s­ päter unter Vorsitz des Hauptmanns der Burg/Pflege Dohna. Auch der Burggraf selbst ist anfangs in dem Gremium zu finden (Spruch um 1400). Im Jahre 1402 haben die Markgrafen von Meißen die Burggrafen von Dohna aus ihrem Herrschaftsgebiet vertrieben. Der Schöffenstuhl bestand unter markgräf­ licher Ägide weiter. Den Vorsitz übernahm der Hauptmann der Mannschaft in der Dohnischen Pflege, also vielleicht der älteste unter den Dohnischen Lehnsleuten. Manche Sprüche und Nachrichten scheinen darauf hinzudeuten, dass seit dem späten 15. Jahrhundert, ähnlich wie in Leipzig, gelehrte Juristen für die Abfassung der Sprüche herangezogen wurden. Seit 1460 betrieben die Herzöge von Sachsen eine „Angleichung“ an den Leipziger Schöffenstuhl.128 1542 verfügte Ferdinand I. als König von Böhmen (reg. 1527 – 1564), dass Appellationen in Erbsachen nicht mehr nach Dohna gehen sollten; die Lehnssachen aber sehr wohl dort weiterhin entschieden werden sollten. Nach der älteren Literatur 129 wurde der Dohnaer Schöffenstuhl 1572 aufgehoben und 1574 mit dem Leipziger Schöffenstuhl vereinigt.130 Wegen seiner Struktur überrascht es nicht, dass er vor allem in Lehnssachen Rechtssprüche verfasste,131 die wohl in einem weiteren Umfeld Beachtung fanden. Hierbei erlangte er eine gewisse Wirksamkeit über Sachsen hinaus. Seine Sprüche ergingen unter verschiedenen Spruchformeln: „Wir Mannschaft zu Donin“; „Hierauf sprechen wir Mannen der Dohnischen Pflege für Recht und wissen es nicht besser“; „Sprechen wir Schöppen zu Donnen nach landleuffigen sechsischen Rechten…“.

127 Zur Rolle dieser Kategorie in der Gerichtsverfassung vgl. Lück, Die kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 78), S. 156 – 227. 128 Ebel, Statutum 2004 (wie Anm. 16), S. 57. 129 Harald Lilge, Der Schöppenstuhl zu Dohna, jur. Diss. Breslau 1940, Dresden 1940; Georg Schlauch, Der Schöppenstuhl zu Dohna, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 26 (1905), S. 209 – 239; ders., 30 weitere Dohnische Schöppensprüche, ebd., 28 (1907), S. 321 – 329. 130 Anders Distel, Beiträge 1889 (wie Anm. 58), S. 67 f. 131 Vgl. auch Ebel, Statutum 2004 (wie Anm. 16), S. 56.

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Ein eigenes Siegel führte der Dohnaer Schöffenstuhl nicht. Vielmehr trugen seine Sprüche das Siegel des jeweiligen Hauptmanns der Dohnischen Pflege.132

V.  Oberhof zu Krakau Krakau war im europäischen Maßstab eine der wichtigsten Tochterstädte Magde­ burgs. Für den sog. Oberhof des deutschen Rechts auf der Burg Krakau („Ius supremum theutonicale in castro Cracoviensi“) gibt es zwei wichtige Gründungsdokumente; zum einen die Bewidmung Krakaus 1257 mit Magdeburger Recht und zum anderen das Privileg Kasimirs III. des Großen (reg. 1333 – 1370) für die Einrichtung des Oberhofs für deutsches Recht vom 5. Oktober 1356. Das Privileg vom 5. Juni 1257 besagt: „eo iure eam locamus, quo Wratizlaviensis civitas est locata, ut non quod ibi fit, sed quod ad Magdeburgensis civitatis ius et formam fieri debeant, advertatur…“ 133. Das Magdeburger Recht sollte im wieder gegründeten Krakau nicht in der in Breslau bearbeiteten Form, sondern in der in Magdeburg gebrauchten Form beachtet werden. Es war wohl das Bestreben Kasimirs, die Rechtseinholung aus Magdeburg zu unterbinden und dafür eine fachlich kompetente Ersatzinstitution vor Ort zur Verfügung zu stellen. Das ist jedenfalls anzunehmen, auch wenn wie anderswo diese Beschränkung auf die einheimische Rechtsauskunftsbehörde nicht durchgehalten wurde. Während des 15. Jahrhunderts wurde das Adjektiv „Theutonicale“ durch „Magdeburgense“/„Maydeburgense“ ersetzt: „Ius supremum Maydeburgense castri Cracoviensis“. Das Krakauer Obergericht war eine königliche Institution, in welcher sich gerichtliche und rechtsbelehrende Funktionen vereinigten. Seine Zuständigkeit umfasste die Städte und Dörfer im Gebiet um Krakau (Kleinpolen), die nach deutschem Recht (i. e. sächsisch-magdeburgisches Recht – H. L.) lebten. Er entspricht damit den deutschen Oberhöfen, deren Charakter eine Spannbreite von wirklichen Gerichten bis hin zu ausschließlichen Rechtsauskunftsstellen (Schöffenstühle) aufweist.134 Die ersten zwei Wörter der lateinischen urkundlichen Bezeichnung „ius supremum“ sind jedoch nicht zwangsläufig mit „Oberhof“ zu übersetzen.135 132 Ernst Theodor Gaupp, Das alte Magdeburgische und Hallische Recht. Ein Beitrag zur Deutschen Rechtsgeschichte, Breslau 1826, S. 182. 133 Gedruckt bei Rudolf Kötzschke, Quellen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation im 12. bis 14. Jahrhundert, Leipzig ²1931, Nr. 83 (S. 133). 134 Dieter Werkmüller, Oberhof, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, Berlin 11984, Sp. 1134 – 1146, hier Sp. 1134; vgl. auch Alexander Krey, Oberhof, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 25. Lieferung, Berlin ²2017, Sp. 44 – 56. 135 So Ludwik Łysiak, Ius supremum Maydeburgense castri Cracoviensis 1356 – 1794. Organisation, Tätigkeit und Stellung des Krakauer Oberhofs in der Rechtsprechung Altpolens (Ius

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Die Begründung des Krakauer Obergerichts, das auf dem Wawel, der polnischen Königsburg über Krakau, seinen Sitz hatte, lässt sich in jene Transferprozesse einordnen, ­welche seit dem Hochmittelalter zur Übernahme von sächsisch-magdeburgischem Recht bzw. zur Privilegierung mit d ­ iesem in Polen und weiteren ostmitteleuropäischen Orten und Landschaften führten. Vermittelt über das polnische Herzogtum Schlesien gelangten der Sachsenspiegel und das Magdeburger Recht auch nach Krakau, das sich zu einem wirkungskräftigen Zentrum der Anwendung und der Verbreitung des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Polen entwickelte. Bei der Neugründung nach dem Mongoleneinfall wurde Krakau 1257 mit Magde­ burger Recht privilegiert. In Zusammenhang mit der Errichtung des Krakauer Obergerichts ließ der König eine Handschrift mit 502 Artikeln des Sachsenspiegel-Landrechts und 112 Kapiteln des Magdeburger Weichbildrechts herstellen. Er verhalf damit dem deutschen Recht in seinem Herrschaftsbereich zu enormem Ansehen. Die Stadt Krakau hatte schon 1308 eine Sachsenspiegelhandschrift angeschafft. Mit der Begründung des Krakauer Obergerichts sollte einerseits der Rechtszug nach Magdeburg unterbunden, andererseits die Orientierung der deutschrecht­ lichen Städte auf das Königtum und damit die Distanz zu den adligen Lokalgewalten verstärkt werden. Ungeachtet dessen wurden noch bis in das 16. Jahrhundert hinein Rechtsauskünfte aus Magdeburg eingeholt. Das Krakauer Obergericht war erstinstanzliches Gericht für die Vögte und Schulzen der Städte und Dörfer mit deutschem Recht in Kleinpolen. Gegenüber den lokalen Gerichten, denen diese Amtsträger vorsaßen, fungierte das Krakauer Obergericht als eine Rechtsauskünfte erteilende Institution. Aus dieser D ­ oppelfunktion commune. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 49), Frankfurt a. M. 1990; anders im Polnischen, das keine Entsprechung zum deutschen terminus technicus „Oberhof“ kennt (Abdon Kłodziński, Najstarsza księga sądu najwyższego prawa niemieckiego na zamku krakowskim [Archiwum Komisji Prwniczej X], Kraków 1936: „sądu njawyzszego“ – des höchsten Gerichts[hofes]; also „Gericht“; vgl. dazu auch die Wörter­verzeichnisse von Inge Bily in: dies./Wieland Carls/Katalin Gönczi, Sächsischmagdeburgisches Recht in Polen. Untersuchungen zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache (IVS SAXONICO-MAIDEBVRGENSE IN ORIENTE 2), Berlin/Boston 2011, S. 329 – 394, hier S. 355). Vgl. dazu Łysiak, Ius supremum (wie in dieser Anm.); Ludwik Łysiak/Karin Nehlsen-von Stryk (Hg.), Decreta iuris supremi Magdeburgensis castri Cracoviensis. Die Rechtssprüche des Oberhofs des deutschen Rechts auf der Burg Krakau 1456 – 1481 (Ius commune. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 68), Frankfurt a. M. 1995; Ludwik Łysiak (Hg.) unter Mitwirkung von Karin Nehlsen-von Stryk, Decreta (wie in dieser Anm.), Bd. 2: 1481 – 1511 (Ius commune. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 104), Frankfurt a. M. 1997. Mit den Krakauer Dekreten als Textgattung beschäftigt sich eingehend Krystyna Waligóra, Die Dekrete des Krakauer Oberhofs (1456 – 1504) als Textallianzen und Textsorten, Krakau 2009.

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resultieren zwei Kategorien der Überlieferung: acta iudiciaria (gerichtliche Entscheidungen in erster Instanz) und acta decretorum (Rechtsweisungen und Urteile). Das älteste überlieferte Gerichtsbuch, welches acta iudiciaria enthält, umfasst den Zeitraum 1390 bis 1416.136 Die Überlieferung der acta decretorum setzt 1456 ein. Aus dem Zeitraum 1456 bis 1511 haben sich etwa 3.000 Sprüche erhalten.137 Das Krakauer Obergericht sollte sich nach Vorgabe der Gründungsurkunde aus den Schulzen und Vögten der mit deutschem Recht begabten Orte um Krakau zusammensetzen. Bei ihnen vermutete der Urkundenaussteller ein hinreichendes Rechtswissen. In der Realität saßen aber die Bürger aus Krakau, ­Kleparz, Kazimierz und anderen Orten als Urteiler und Rechtsfinder im Krakauer Obergericht, die sich sehr gut im Magdeburger Recht und im Magdeburg-Breslauer Recht auskannten. Im 16. Jahrhundert waren ausschließlich rechtskundige Krakauer Bürger im Krakauer Obergericht tätig.138 Diese Blütezeit des Obergerichts steht offensichtlich mit der Entfaltung der Appellation als Rechtsmittel in einem Zusammenhang.139 Nach anfänglicher Konzentration des Einzugsgebiets auf Kleinpolen weitete sich ­dieses im 16. Jahrhundert erheblich aus. Etwa die Hälfte des Königreichs Polen (ohne Litauen) gehörte in dieser Zeit zum Einflussbereich des Krakauer Obergerichts.140 Ausweislich der edierten decreta haben sich ­zwischen 1456 und 1481 (1629 Sprüche) ca. 250 Städte und Dörfer, im Wesentlichen in Kleinpolen gelegen, an das Krakauer Obergericht gewandt.141 Inhaltlich wurden vor allem privatrechtliche und verfahrensrechtliche Fragen entschieden. Die Sprüche des Krakauer Obergerichts wurden in der Regel in Latein verfasst. Nur aus der Frühzeit seiner Tätigkeit haben sich wenige deutsche Sprüche erhalten.142 Eine Spruchformel ist kaum festzustellen. Ein Beispiel für den Anfang aus einem lateinischen Spruch (1464) lautet: „Quod presens vestra scabinalis sentencia, quem…“.143 Am Ende steht in der Regel „de forma iuris scripti“,144 im Deutschen „von recht wegen“. Auch Hinweise auf das angewandte Recht sind üblich: 136 Kłodziński (wie Anm. 135). 137 Łysiak/Nehlsen-von Stryk (wie Anm. 135). 138 Łysiak, Ius supremum (wie Anm. 135), S. 143. 139 Ebd., S. 109. 140 Ebd., S. 78. 141 Karin Nehlsen-von Stryk, Das sächsisch-magdeburgische Recht in der Spruchtätigkeit des Oberhofs des deutschen Rechts auf der Burg zu Krakau, in: Gerhard Köbler/ Hermann Nehlsen (Hg.), Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, München 1997, S. 829 – 850, hier S. 835. 142 Łysiak, Ius supremum (wie Anm. 135), S. 105. 143 Łysiak/Nehlsen-von Stryk I (wie Anm. 135), Nr. 589, S. 181. 144 Z. B. ebd., Nr. 583, S. 180.

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„… sed si ipsa domina Anna quid iuris contra Mathiam filium suum agere habet, agat sibi iuridice, secundum quod ius Thewteunicum Maydboriense requirit, de forma iuris“.145 Es sind zwei Siegel des Obergerichts überliefert.146 Das ältere Siegel, welches in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verwendet wurde, zeigt in einem Kreis den polnischen Königsadler. Die Umschrift lautet: „+ S. IVRIS. THEVTVNICI. IN. CASTRO.“ Das andere Siegel zeigt in seinem Zentrum einen mit einer Lilienkrone gekrönten bärtigen Kopf. Um ihn sind 14 kreisförmig aneinander gelegte, nach innen offene Mondsicheln mit jeweils einem Stern in der Öffnung platziert. Die Umschrift lautet: „+ SIGILLVM IVRIS SVPREMI. TEVTONICI. CASTRI CRCOVIEN.“ Dieses jüngere Siegel ist im 18. Jahrhundert verwendet worden. Im Jahre 1791 erließ der Sejm ein Gesetz, auf dessen Grundlage das Gerichtswesen in den polnischen Städten grundlegend reformiert werden sollte. In Verwirklichung ­dieses Gesetzes wurde das Krakauer Obergericht 1794 aufgehoben. An die hervorragende Rolle, ­welche Krakau als Stadt Magdeburger Rechts spielte, erinnert seit 2007 die quadratische Reliefplatte eines Krakauer Künstlers, ­welche anlässlich des 750. Privilegierungsjubiläums in den Fußboden der weltberühmten Tuchhallen eingelegt wurde.

VI.  Schöffenstuhl zu Leitmeritz Die wichtigste Stadt Magdeburger Rechts in Böhmen 147 war zweifelsohne Leitmeritz (Litoměřice), etwa 70 km nordwestlich von Prag gelegen. Leitmeritz hatte 1262 ein Privileg erhalten, in dem sich der böhmische Landesherr ­verpflichtet, 1 45 Ebd., Nr. 1286, S. 413. 146 Abb. und Beschreibung in: Muzeum Historyczne Miasta Krakowa (Hg.), Kraków europejskie miasto prawa magdeburskiego 1257 – 1791. Katalog wystawy, Kraków 2007, S. 255 f. 147 Vgl. dazu den Überblick von Heiner Lück, Rechtstransfer und Rechtsverwandtschaft. Zum Einfluss des Magdeburger Stadtrechts im Königreich Böhmen, in: Karel Malý/ Jiři Šouša jr. (Hg.), Mĕstské právo ve středni Evropĕ. Sbornik přispĕvků z mezinárodni pravnické konference „Práva mĕstská Královstvi českého“ z 19. – 21. záři 2011, Praha 2013, S. 298 – 317; Jiři Šouša, Zu einigen Aspekten des Magdeburg-Leitmeritzer Rechts in Böhmen, in: Heiner Lück (Hg.), Von Sachsen-Anhalt in die Welt. Der Sachsenspiegel als europäische Rechtsquelle (SIGNA IVRIS 14), Halle an der Saale 2015, S. 23 – 40; zum Ende des Magdeburger Rechts in Leitmeritz vgl. Pavla Slavičkova, Der Prozess des Untergangs des sächsisch-magdeburgischen Rechts im Leitmeritzer und Olmützer Rechtskreis in Böhmen und Mähren, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 35 (2013), S. 41 – 54. Unentbehrlich für grundlegende Kenntnisse über die böhmischen Städte im Mittelalter ist Jiři Kejř, Die mittelalterlichen Städte in den böhmischen Ländern. Gründung – Verfassung – Entwicklung (Städteforschung A/78), Köln/Weimar/Wien 2010.

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dass er oder seine Vertreter bei der Rechtsprechung Magdeburger Recht anzuwenden haben. Wörtlich heißt es: „ius et consuetudines Maydburgensium observare“. In einem Folgeprivileg von 1308 bekräftigte Heinrich von Kärnten als König von Böhmen und Markgraf von Mähren (reg. 1307 – 1310) die Verbindung mit dem Magdeburger Recht dahingehend, dass Leitmeritz für immer das Magdeburger Recht benutzen könne: „cum quibus ipsa Lithomierycensis civitas a principio est fundata“. Noch einmal wurde das Magdeburger Recht für Leitmeritz von König Johann von Luxemburg 1325 bestätigt: „ut ipsi cives iuribus, libertatibus et consuetudinibus Maydeburgensibus, quibus ab antiquo freti sunt, frui… debeant et gaudere“. Hier findet sich dann auch die wichtige Bestimmung, dass sich Städte Magdeburger Rechts mit Rechtsfragen nach Leitmeritz wenden sollen. Das älteste Zeugnis einer Rechtsmitteilung aus Magdeburg für Leitmeritz stammt aus dem Jahre 1282, während der erste Spruch erst aus dem Jahre 1324 überliefert ist.148 Etwa ein Jahrhundert s­ päter (1421) wurde auf vertraglicher Grundlage Leitmeritz Prag unterstellt.149 Eine ältere Edition präsentiert Schöffensprüche von und nach Leitmeritz in Tschechisch mit deutscher Übersetzung.150 Das Besondere dieser Konstellation besteht darin, dass die aus Magdeburg erhaltenen deutschsprachigen Sprüche nach Ankunft in Leitmeritz in das Tschechische übersetzt wurden. Übersetzt wurden auch die Rechtsgrundlagen, etwa das Sächsische Weichbild mit Glosse, der sog. Donat, und das Meißner Rechtsbuch. Als Eingangsformel kann man häufig lesen: „Dale sme otazani o prawo takto: …“ (weiter sind wir wie folgt so um Recht gefragt worden …). Die Schlussformel lautet: „Wedle praweho prawa“ (von Rechts wegen). Über die Siegel des Leitmeritzer Oberhofs finden sich keine Nachrichten.151 Das Ende des sächsisch-magdeburgischen Rechts im Einflussbereich des Leitmeritzer Oberhofs ist jüngst von Jiři Šouša 152 und Pavla Slavičkova 153 untersucht worden. Das deutsche Stadtrecht in Böhmen musste spätestens der einzigartigen zentralen Vereinheitlichung des einheimischen böhmischen und tschechisch 148 Abgedr. bei Weizsäcker (wie Anm. 30), S. 30 – 35. 149 Ebd., S. 1. 150 Weizsäcker (wie Anm. 30). 151 Für diese Auskunft danke ich herzlich Prof. Dr. Petra Skřejpková und Dr. Jiři Šouša (beide Juristische Fakultät der Karlsuniversität zu Prag). 152 Jiři Šouša, Zu einigen Aspekten des Magdeburg-Leitmeritzer Rechts in Böhmen, in: Heiner Lück (Hg.), Von Sachsen-Anhalt in die Welt. Der Sachsenspiegel als europäische Rechtsquelle (SIGNA IVRIS 14), Halle an der Saale 2015, S. 23 – 40. 153 Pavla Slavičkova, Der Prozess des Untergangs des sächsisch-magdeburgischen Rechts im Leitmeritzer und Olmützer Rechtskreis in Böhmen und Mähren, in: ZNR 35 (2013), S. 41 – 54.

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geschriebenen Stadtrechts in der berühmten Kodifikation von Pavel Kristian von Koldin 1579 weichen.154

VII.  Schluss Am Schluss darf eine Antwort auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten der vorgestellten Institutionen erwartet werden. Man kann als allgemeine Merkmale beobachten: Verbindung mit dem Rat; bestimmtes Verhältnis von Schöffen und Ratsmitgliedern; verschiedene Spruchtypen; Eindringen des gelehrten Elements in die ursprünglich mit juristischen Laien besetzten Spruchkollegien; die sich intensivierende landesherrliche Einflussnahme (in Sachsen sogar die vollständige Eingliede­ rung des Leipziger und Wittenberger Schöffenstuhls in die territorialstaatliche Gerichtsverfassung); die Zuweisung bestimmter Orte/Untertanen an das eigene Spruchkollegium (Verbot der Rechtseinholung von auswärts) u. Ä. Das ist alles mehr oder weniger bekannt. Interessanter dürften tiefergehende Detailstudien zu den einzelnen Schöffenstühlen und Oberhöfen, ihre Verklammerung mit der örtlichen und regionalen Gerichtsverfassung sowie zu ihrer Arbeitsweise sein. Auch ist es immer noch nicht gelungen, festzustellen, ob es einen bestimmten Typ der Erstellung von Rechtsweisungen und Rechtsmitteilungen im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis gibt. Viel zu wenig wissen wir von den kollegialen Akteuren ganz weit im Osten bzw. im Nordosten, etwa in der heutigen Ukraine und in Litauen. Manches spricht dafür, dass in diesen Gebieten Rechtsfindung, Rechtsmitteilung, Urteilstätigkeit u. Ä. in der Tätigkeit der Stadtgerichte aufgegangen sind, so dass eine institutionelle Unterscheidung in Schöffenstuhl und Gericht – wie auch in Deutschland seit den bürgerlichen Gerichtsreformen im 19. Jahrhundert – nicht mehr vorhanden war. Das würde mit der vielfach belegten Beobachtung korrespondieren, nach welcher der Begriff „Magdeburger Recht“, „Ius Maideburgense“ usw. bei der Verbreitung d ­ ieses Rechts gleich bleibt, sich dahinter aber ganz unterschiedliche, nämlich auf die ortsüblichen Erfordernisse bezogene und zugeschnittene Rechtsmaterien verbergen. Das, was erst einmal bleibt, ist die grundlegende Feststellung, dass es sich bei den Schöffenstühlen und Oberhöfen um wichtige Akteure bei der Ausformung und Verbreitung von Stadtrechten, aber auch von Stadt und Dorf übergreifenden Rechten handelt; natürlich nicht nur bezogen auf das sächsisch-magdeburgische Recht.

154 Neuedition von Karel Malý u. a., Práva městska Královstvi českého. Edice s komentářem, Praha 2013.

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So, wie sich die Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich seit einigen Jahren auch auf die Erforschung territorialer höchster und höherer Gerichte erstreckt, sollten auch für das sehr große Verbreitungsgebiet des sächsisch-magdeburgischen Rechts die Gestalter und Multiplikatoren weit jenseits der Rechtsmetropole Magdeburg näher in den Blick genommen werden. Das wäre eine Thematik, w ­ elche gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den entsprechenden Ländern in Angriff genommen werden könnte. Dazu möge dieser Beitrag anregen und ermutigen.

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Herrscher, Hofgericht und Schiedsgericht Gerichtliche Entscheidungen am deutschen Herrscherhof im 14. Jahrhundert

I.  Einleitung 1 Die Forschung über die Königsgerichtsbarkeit im deutschen Spätmittelalter 2 hat sich vor allem seit den 1970er-Jahren parallel mit den Studien über die Reichsgerichte in 1 Im vorliegenden Beitrag werden die folgenden Abkürzungen benutzt. MGH Const. = Monumenta Germaniae Historica. Legum Sectio IV. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum; QuF = Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; URHG = QuF, Sonderreihe: Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451; URHG3 = Bernhard Diestelkamp und Ute Rödel (Bearb.), Die Zeit Rudolfs von Habsburg 1273 – 1291 (URHG, Bd. 3), Köln/Weimar/Wien 1986; URHG4 = Ute Rödel (Bearb.), Die Zeit Adolfs von Nassau, Albrechts I. von Habsburg, Heinrichs von Luxemburg 1292 – 1313 (URHG, Bd. 4), Köln/Weimar/Wien 1992; URHG5 = Friedrich Battenberg (Bearb.), Die Zeit Ludwigs des Bayern und Friedrichs des Schönen 1314 – 1347 (URHG, BD. 5), Köln/Weimar/Wien 1987; URHG6 = Friedrich ­Battenberg (Bearb.), Die Königszeit Karls IV. 1346 – 1355 März (URHG, Bd. 6), Köln/Weimar/Wien 1990; URHG7 = Friedrich Battenberg (Bearb.), Die Zeit Karls IV. 1355 April–1359 (URHG, Bd. 7), Köln/ Weimar/Wien 1994; URHG8 = Ronald Neumann (Bearb.), Die Zeit Karls IV. 1360 – 1364 (URHG, Bd. 8), Köln/Weimar/Wien 1996; URHG9 = Ronald Neumann/Ekkehart ­Rotter (Bearb.), Die Zeit Karls IV. 1365 – 1371 (URHG, Bd. 9), Köln/Weimar/Wien 2003; URHG10 = Ekkehart Rotter (Bearb.), Die Zeit Karls IV. 1372 – 1378 (URHG, Bd. 10), Köln/Weimar/ Wien 2014; URHG11 = Ekkehart Rotter (Bearb.), Die Zeit Wenzels 1376 – 1387 (URHG, Bd. 11), Köln/Weimar/Wien 2001; URHG12 = E ­ kkehart Rotter (Bearb.), Die Zeit Wenzels 1388 – 1392 (URHG, Bd. 12), Köln/Weimar/Wien 2008; URHG13 = Ute Rödel (Bearb.), Die Zeit Wenzels 1393 – 1396 (URHG, Bd. 13), Köln/Weimar/Wien 2001; URHG14 = Ute Rödel (Bearb.), Die Zeit Wenzels 1397 – 1400 (URHG, Bd. 14), Köln/Weimar/Wien 2004; ZRG GA = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung. Für Meinungsaustausch und Anregungen dankt der Verfasser Frau Prof. Karin Nehlsen-van Stryk herzlich. Die Studie für diesen Beitrag wurde von JSPS (16H03535 und 17H024061) finanziell unterstützt. 2 Als ältere Literatur des 19. Jhs. und Anfang des 20. Jhs. sind die folgenden zu nennen: Johann A. Tomaschek, Die höchste Gerichtsbarkeit des deutschen Königs und Reiches im XV. Jahrhundert, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 49 (1865), S. 521 – 612; Otto Franklin, Die Reception des römischen Rechts im königlichen Hofgericht, in: Ders., Beiträge zur Geschichte der Reception des römischen Rechts in Deutschland, Hannover 1863, S. 104 – 186; Ders., Das Reichshofgericht im Mittelalter. Geschichte. – Verfassung. – Verfahren., 2 Bde., ­Weimar

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der Frühen Neuzeit entwickelt. Untersucht wurden dabei Art und Weise der Wirkung der Gerichtsbarkeit wie Gerichtsstandsprivilegien, Reichsacht und Anleite, delegierte Richter, Behandlung der Rechtsverweigerung.3 Zu einzelnen Personen, Ämtern und Institutionen der Königsgerichtsbarkeit wie Hofrichtern, Hofgerichtsschreibern, Hofgerichtsurkunden und Hofgerichtssiegeln 4 haben sich die Studien gehäuft,5 1869; Ders., Das königliche Kammergericht vor dem Jahre MCDXCV , Berlin 1871; Johann Lechner, Reichshofgericht und königliches Kammergericht im 15. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg.-Bd. 7 (1907), S. 44 – 186; Aloys Schulte, Der hohe Adel des deutschen Hofrichters, in: Festschrift für Georg von Herding zum 70. Geburtstag, Kempten/München 1913, S. 532 – 542. 3 Friedrich Battenberg, Die Gerichtsstandsprivilegien der deutschen K ­ aiser und Könige bis zum Jahre 1451, 2 Teilbde., (QuF 12), Köln/Weimar/Wien 1983; Ders., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der höchsten königlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich, besonders im 14. und 15. Jahrhundert, (QuF 18), Köln/Weimar/ Wien 1986; Ronald Neumann, Herrscherliche Aufträge zur Streitentscheidung bis zum Tode Karls IV., in: Friedrich Battenberg/Filippo Ranieri (Hg.), Geschichte der Zen­ traljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Köln/ Weimar/Wien 1994, S. 79 – 99; Ralf Mitsch, Die Gerichts- und Schlichtungskommissionen ­Kaiser Friedrichs III. und die Durchsetzung des herrscherlichen Jurisdiktionsanspruchs in der Verfassungswirklichkeit z­ wischen 1440 und 1493, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.), Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451 – 1527) (QuF 45), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 7 – 77; Peter Oestmann, Rechtsverweigerung im Alten Reich, in: ZRG GA 127 (2010), S.  51 – 141. Jetzt auch Masaki Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Bestätigungen am Herrscherhof im deutschen Spätmittelalter (1273 – 1400), in: ZRG GA 135 (2018), S. 69 – 189. 4 Hans Wohlgemuth, Das Urkundenwesen des Deutschen Reichshofgerichts 1273 – 1378. Eine kanzleigeschichtliche Studie (QuF 1), Köln/Weimar/Wien 1973; Friedrich Battenberg, Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht 1235 – 1451 (QuF 2), Köln/Weimar/ Wien 1974; Ders., Das Hofgerichtssiegel der deutschen ­Kaiser und Könige 1235 – 1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunde (QuF 6), Köln/Weimar/Wien 1979; Ders., Die Hof­gerichtsbriefe Karls IV. von Luxemburg. Vorstudien zu einer kanzlei- und personengeschichtlichen Beurteilung, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 40 (1994), S. 123 – 169; Ders., Studien zum Personal des Königlichen Hofgerichts im Mittelalter, in: Ders./Ranieri (Hg.) (wie Anm. 3), S. 61 – 77. 5 Zu den konkreten Konflikten z. B. Friedrich Battenberg, Beiträge zur höchsten Gerichtsbarkeit im Reich im 15. Jahrhundert (QuF 11), Köln/Weimar/Wien 1981, S. 82 – 308; Ders., Herrschaft und Verfahren. Politische Prozesse im mittelalterlichen Römisch-Deutschen Reich, Darmstadt 1995; Bernhard Diestelkamp, Bürgerunruhen vor dem spätmittelalterlichen deutschen Königsgericht, in: Albrecht Cordes u. a. (Hg.), Stadt – Gemeinde – Genossenschaft. Festschrift für Gerhard Dilcher zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 67 – 101; Peter ­Oestmann, Prozesse aus Hansestädten vor dem Königs- und Hofgericht in der Zeit vor 1400, in: ZRG GA 128 (2011), S. 114 – 168. Zu einzelnen Herrschern z. B. Ute Rödel, König Ruprecht (1400 – 1410) als Richter und Schlichter, in: Albrecht Cordes (Hg.), Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15. – 19. Jahrhundert (QuF 65), Köln/Weimar/Wien 2015, S. 41 – 83;

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teilweise in Zusammenhang mit der fortschreitenden Forschung über den Herrscherhof.6 Trotz dieser Entwicklung sind gerichtliche Entscheidungen am spätmittelalterlichen Herrscherhof von der Forschung eher wenig thematisiert worden. Nachdem die klassische Studie von Otto Franklin die Urteilsfindung am Reichshofgericht kurz behandelt hatte,7 hat vor allem Friedrich Battenberg festgestellt, dass man in hofgerichtlichen Verfahren im 15. Jahrhundert nicht mehr zugelassen hatte, als Richter in eigener Sache aufzutreten,8 und dass sich Mehrheitsentscheidungen ebenfalls im 15. Jahrhundert am Hofgericht und am königlichen Kammergericht durchgesetzt hatten.9 Ansonsten steht eine eingehende Untersuchung immer noch aus. In d ­ iesem Beitrag sollen daher hauptsächlich zum 14. Jahrhundert anhand der Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts 10 einschlägige Quellen überprüft werden. Diese Urkundenregesten erschienen seit den 1980er-Jahren und sind jetzt bis zum Jahre 1406 vorangekommen. Nachdem 2014 der zehnte Band der Reihe, der die Quellen der Jahre von 1372 bis 1378 enthält, veröffentlicht und damit die lang bestehende Lücke geschlossen wurde, können wir jetzt die Urkunden im 14. Jahrhundert komplett berücksichtigen. Auch wenn ich in meinem Vortrag die Könige nach dem Interregnum, von Rudolf von Habsburg bis Heinrich VII., mit einbeziehe, so liegt der Schwerpunkt der Untersuchung Masaki Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit und regionale Konfliktbeilegung: Die Regierungszeit Ludwigs des Bayern (1314 – 1347) (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge 77, Abt. B: Abhandlungen zur Deutschen Rechtsgeschichte), Berlin 2017. Als neuere Untersuchung zum gesamten Spätmittelalter s. Hendrik Baumbach, Königliche Gerichtsbarkeit und Landfriedenssorge im deutschen Spätmittelalter. Eine Geschichte der Verfahren und Delegationsformen zur Konfliktbehandlung, (QuF 68), Köln/Weimar/Wien 2017. 6 Friedrich Battenberg, Die königlichen Hofrichter vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Peter Moraw (Hg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter, (Vorträge und Forschungen, Bd. 48), Stuttgart 2002, S. 239 – 290. 7 Franklin, Reichshofgericht (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 262 – 285. Zur Urteilsfindung vor dem königlichen Kammergericht im 15. Jahrhundert, vor allem der Teilnahme des Richters s. Otto Franklin, Das königliche Kammergericht vor dem Jahre MCDXCV, Berlin 1871, S. 11 – 14. 8 Friedrich Battenberg/Albrecht Eckhardt, Der Richter in eigener Sache, dargestellt anhand spätmittelalterlicher Quellen, insbesondere des Burggerichts Friedberg/Hessen und des Reichshofgerichts, in: ZRG GA 95 (1978), S. 79 – 114 (S. 100 – 110). 9 Friedrich Battenberg, Das Römisch-Deutsche Königtum und die Legitimation mehrheitlicher Entscheidungen im Spätmittelalter, in: ZRG GA 103 (1986), S. 1 – 41, bes. S. 24 – 38. Erörtert werden die Bedeutung und Wandlung der Formel, die in den Hofgerichtsurkunden gebraucht wurde, um Urteile auszudrücken. 10 Bernhard Diestelkamp (Hg.), Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königsund Hofgerichts bis 1451, Köln/Weimar/Wien 1986. Zu ­diesem Regestenwerk s. auch Oestmann, Prozesse aus Hansestädten (wie Anm. 5), S. 125 – 129.

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doch in der Zeit der drei Herrscher im 14. Jahrhundert, nämlich Ludwigs IV. des Bayern, Karls IV. und Wenzels, also von 1314 bis 1400.11 Zwei ­Themen sind dabei aufzugreifen, erstens das Verhältnis z­ wischen Herrscher und Hofgericht, zweitens die Schiedsgerichtsbarkeit am Herrscherhof.

I.  Herrscher und Hofgericht 1.  Beratung der Urteiler und Meinung des Herrschers Während Hofrichter und Gerichtsstatthalter seit dem 13. Jahrhundert an Stelle des Herrschers als Richter am Herrscherhof tätig waren, haben auch die Herrscher ihrerseits selbst eine richterliche Tätigkeit entfaltet und gerichtliche Entscheidungen gefällt.12 Der Mainzer Reichslandfriede von 1235 hat festgesetzt, dass ein Hofrichter bestellt werden sollte, aber zugleich seine Befugnisse dahin eingeschränkt, dass die Behandlung der Prozesse der Fürsten und der anderen Großen und die Verkündung der Reichsacht dem ­Kaiser selbst vorbehalten blieben. Diese Arbeitsteilung wurde seitdem im Prinzip beibehalten, es gab aber andere Berührungen, die im Folgenden angesprochen werden sollen. Der Hofrichter saß dem Hofgericht vor, leitete das Verfahren, fragte die Urteiler nach ihrer Meinung und verkündete diese als gerichtliche Entscheidung. Die Urteiler setzten sich aus den am Hof anwesenden Adligen zusammen,13 aber die Hofgerichtsurkunden bezeugen nur selten ihre Namen.14 Auch wenn also die meisten Quellen uns nur wenig Information über die Entscheidungsfindung am Hofgericht geben, sind doch etwa ein Dutzend Urkunden zu finden, die die Beratung der Urteiler erwähnen.15 Das Geschehen wird 11 Zu Ludwig IV. s. Michael Menzel, Die Zeit der Entwürfe 1273 – 1347 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 7a), Stuttgart 2012, S. 153 – 191 und die dort aufgeführte Literatur. Vgl. auch Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, und Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5). Zu Karl IV. s. Christian Hesse, Synthese und Aufbruch 1346 – 1410 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 7b), Stuttgart 2017, S. 27 – 70 und die dort genannte Literatur. Zu Wenzel s. ebd., S. 71 – 90 (mit Literatur). 12 Zu ­diesem Aspekt s. Ute Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches 1250 – 1313 (QuF 5), Köln/Weimar/Wien 1979, S. 13 – 19 und 127 – 183. Bekannterweise entstand aus dieser Tätigkeit das königliche Kammergericht. Vgl. Lechner, Reichshofgericht (wie Anm. 2), S. 65 – 85. 13 Vgl. URHG13, Nr. 185. 14 Als Ausnahme s. URHG6, Nr. 189; URHG12, Nr. 317. Vgl. URHG6, Nr. 440 und 504. 15 URHG5, Nr. 529; URHG6, Nr. 440 und 504; URHG9, Nr. 325 und 336; URHG11, Nr. 4, 12, 13 und 46; URHG12, Nr. 39, 267 und 317; URHG13, Nr. 141, URHG14, Nr. 254.

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f­ olgendermaßen geschildert: Nachdem die vom Richter befragten Urteiler in den anderen Raum zurückgetreten waren, um sich zu beraten, kamen sie wieder vor den Richter und teilten ihm ihre Entscheidung mit. Gering ist der Anteil solcher Beispiele unter mehr als 900 Urkunden, die von 1273 bis 1400 mit dem Hofgerichtssiegel ausgestattet und ausgestellt wurden. Die Belege sind auf den Zeitraum von der Spätzeit Ludwigs IV. bis in die Regierungszeit Wenzels verteilt und lassen sich daher nicht auf die Formulierung eines bestimmten Schreibers zurückführen. Wenn man diese Hofgerichtsurkunden näher betrachtet, geht es meistens um eine verhältnismäßig schwierige Frage, über die das Hofgericht entscheiden musste. Einer Hofgerichtsurkunde von 1388 zufolge hatte das Kloster Komburg seinen Vogt Konrad von Scheffau wegen Missbrauchs der Vogteirechte vor dem Hofgericht verklagt. Die befragten Urteiler berieten sich andernorts, kamen zum Gericht zurück und antworteten, dass der Vogt in der Tat sein Recht missbraucht hatte, dass er aber doch sein Amt weiter behalten dürfe.16 Der Abt von Komburg wies dann darauf hin, dass der Vogt sich ohne rechtmäßigen Grund dem Verfahren entzogen hatte, und bat wiederum um ein Urteil. Die Urkunde bezeugt diesmal nur, dass die Urteiler zugunsten des Klosters entschieden haben.17 Ein Problem über die Befugnis und Stellung eines Klostervogtes, übrigens ein Problem, das vorher von der Stadt Schwäbisch Hall nicht entschieden werden konnte und deshalb an den Herrscherhof gelangt war,18 und eine eindeutige Verfahrensfrage wurden also von den Urteilern unterschiedlich behandelt und die letztere Frage wurde kurzum zugunsten des Abtes entschieden. Bei einem anderen Fall handelte es sich um die Frage, durch welches Verfahren die Bürgen von ihrer einmal mit Eid übernommenen Pflicht für die Zahlung des Lösegeldes befreit werden sollten,19 also wieder um ein kompliziertes Problem.

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Battenberg, Das Römisch-Deutsche Königtum (wie Anm. 9), S. 30 f. hat auf diesen Typus hingewiesen. URHG 12, Nr. 39; Johann Burkhard Mencken (Hg.), Scriptores rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum, Bd. 1, Leipzig 1728, Nr. 71, Sp. 450 – 452, Sp. 451, „darumb fragten wir die Ritter, die bey Vns an dem Rechten sassen, was Sie recht deucht, die nahmen ein Gesprecheund kamen wider fur Vns, da mahnten Wir Sie der Vrtheil vff den Ayde“. Zum Benedik­tinerkloster Komburg im Spätmittelalter s. Rainer Jooss, Kloster Komburg im Mittelalter. Studien zur Verfassungs-, Besitz- und Sozialgeschichte einer fränkischen Benediktinerabtei, Sigmaringen 1987, S. 41 – 71. Ebd., „da fragten Wir die Ritter vmb was Sie recht deucht, die ertheilten uff Ihr Ayde seit den mahlen“. Ein Schreiben vom Mai 1388, das Schwäbisch-Hall dem König schickte, ist überliefert. URHG12, Nr. 33, „do konden wir uns niht uber versten und konden sye auch dorumb nihts uzgerihten“. Vgl. Mencken (Hg.) (wie Anm. 16), Nr. 71, Sp. 450. URHG 9, Nr. 325 (Sept. 1370), „die namen ir gesprech zu der urteil und gingen auz und besprachen sich und kamen wider fuer uns; da vragt wir sie der urteil“, Nr. 336 (Sept. 1370):

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Die übrigen Fälle haben aber mit dem Hofgericht selbst zu tun, mit seiner Zuständigkeit, seinen Befugnissen und seinen gerichtlichen Maßnahmen. Sie sind also in bestimmter Hinsicht rechtlich schwierig. Es handelt sich darum, ob das Hofgericht Urteile eines bestimmten Landgerichts bestätigen solle,20 ob die Klage gegen einen Lehensmann eines Kurfürsten aufgrund des kurfürstlichen Privilegs vom Hofgericht an den Kurfürsten verwiesen werden solle,21 wie lange eine vom Hofgericht gewährte Anleite gültig bleiben solle,22 ob das Hofgericht eine Urkunde bestätigen solle, die die Freiheiten eines Domkapitels verletzen könne 23, ob man die Wirkung einer Hofgerichtsurkunde danach mit einem landgerichtlichen Schreiben für nichtig erklären könne,24 ob man bei einem brüderlichen Erbstreit seine Klage

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„die namen ain gesprech und gingen auz und nach dem gesprech komen sie wider fur uns; da vragten wir sie der urteil“. Im Übrigen saß ­Kaiser Karl IV. selbst dem Gericht vor. URHG5, Nr. 529 wie unten. URHG6, Nr. 440 (Dez. 1353). Da es sich um das Recht des rheinischen Pfalzgrafen als Kurfürsten handelte, hat König Karl IV. an Herzog Wladislaw von Teschen den richterlichen Vorsitz übergegeben, sich als König von Böhmen, also selber als ein Kurfürst, mit den anderen Kurfürsten, den Erzbischöfen von Mainz und Köln, im anderen Raum beraten, und nach der Rückkehr zum Gericht das Urteil mitgeteilt. Margarete Kühn (Bearb.), MGH Const., Bd. 10, Dokumente zur Geschichte des deutschen Reiches und seiner Verfassung 1350 – 1353, Hannover 1979 – 1991, Nr. 724, „Da fragten wir die kuorfuersten umb, die by uns sassen, den erwirdigen fuersten hern Gerlachen ertzbischof ze Mentze und den erwirdigen fuersten hern Wilhelm ertzbischoff ze Coelne. Die sprachen: sind dem mal und wir auch ein kuorfuerst weren, wir solten einem andern fuersten daz gericht und den stab an unserer stat enpfelhen und solten uns mit im umb die egenant sache gesprechen, waz unser und allerer kuorfuersten recht, freyheit und gewonheit wer. Da satzten wir an unser stat den hochgeborn Wladislawen hertzogen ze Teschin und gesprachen uns und chomen wider fuer gericht und fuer den hertzogen von Techin, der an unserer stat sazz. Der fraget uns der urteyl. Do hetten wir uns bekant und bedacht“. Man scheint sich also über die Rechte und Gewohnheiten der Kurfürsten beraten zu haben. Zu d ­ iesem Fall auch s. Battenberg/Eckhardt, Der Richter in eigener Sache (wie Anm. 8), S. 102. URHG11, Nr. 4 (Mai 1377). Die Urteiler berieten sich dabei zweimal anderswo, zunächst im Allgemeinen über die Geltungsdauer einer Anleite, dann im konkreten über die Anleite, die Herzog Friedrich von Teck drei Jahre zuvor gegen den Bischof von Würzburg und die Bischofskirche von Bamberg erzielt hatte. „Fregeten wir die Ritter vff ir Eyde der vil engagen waz waz sie recht dewecht … begerten eines gesprechs … gingen hin dann vnd besprochen sich vnd komen wider fuer vns … Da manten wir sie der vrteil waz sie sich beraten heten …“, „… fragten wir die Ritter vff ir Eyde, waz sie Recht dewecht … Die namen ein gespreche, vnd besprochen sich vnd kamen her wider fuer uns … Da manten wir sie der vrteyl“. Vgl. auch Battenberg, Reichsacht (wie Anm. 3), S. 316. URHG11, Nr. 12 (Juli 1377): „die namen darüber ein gespreche vnd berieten sich. Vnd da sie wider fur vns komen in gericht, da manten wir sie der vrteil“. Zu d ­ iesem Fall auch s. Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 176. URHG11, Nr. 13 (Juli 1377): „fragten wir die Ritter vf ir eyde waz sie reht dewht … namen ein gespreche darueber vnd berieten sich … da sie wider fur vns komen in gericht da manten

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vor dem Hofgericht erheben oder sich auf ein Schiedsgericht einigen solle,25 wie man vorgehen solle, wenn die andere Partei vor dem Hofgericht nicht erschienen war,26 ob man vor dem Verfahren des Hofgerichts die Lösung durch das Schiedsgericht versuchen solle,27 ob man von allen Klagen befreit werden solle, weil der Fall vom Hofgericht zu einer anderen Instanz gesandt und dort geurteilt wurde.28 Bei einzelnen Hofgerichtssitzungen war man sich also bewusst, dass sie in d ­ iesem Sinne über eine bedeutende Frage eine Entscheidung treffen mussten und gaben dem einen schriftlichen Ausdruck. Unter diesen Quellen, die einen vorsichtigeren Entscheidungsmodus beschreiben, gibt es drei Urkunden, die die persönliche Einbeziehung des Herrschers bezeugen.29 Nach einer Hofgerichtsurkunde vom Februar 1345 hat ein Bürger von Rothenburg, Heinrich Vetter, eine Urkunde des Rothenburger Landgerichts vorgelegt und das Hofgericht um deren Bestätigung gebeten. Das Rothenburger Landgericht sei ein Landgericht des Reiches, wie es dies unter früheren Herrschern gewesen war und

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wir sie der vrteil die erteilten mit gemeyiner volge vnd vrteil vf den eyde“. Zu ­diesem Fall vgl. Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 176 f. URHG11, Nr. 46 (März 1379): „da fragten wir die herren und richter die bij vns an dem rechten sazzen der vil ergangen waz Nach ir beider ansprach vnd widerrede wazz sie recht duchte … die stunden vff vnd namen ein gesprach vnd berieten sich … do sie widder vor vns kamen in gerichte do fragten wir sie der vrteil die erteilten mit gemeyner volg vnd vrteil vff den eit“. URHG12, Nr. 267 (Dez. 1390): „Dye namen ein gesprech und quamen wider vor uns“. Die Urteiler sprachen dann aus, dass die nicht erschienene Partei dreimal aufgerufen werden sollte und dass man gemäß dem Recht vorgehen sollte, falls sie weiter abwesend blieb. Nachdem man vergebens dreimal aufgerufen hatte, wurden die Urteiler weiter gefragt. Sie gaben dann einstimmig ihr Urteil. Ebd.: „dye erteilten eintrechtentlichen uff ire eyde“. Wie bei dem Fall von 1388 wird der Entscheidungsmodus anders formuliert. URHG12, Nr. 317 (Juli 1391): „die stunden vff mit laub vnd namen ein gesprech vnd quamen wider fur vns vnd erteylten“. Ausnahmsweise nennt die Urkunde die Namen der Urteiler. Als die Urteiler dann gefragt wurden, ob das Urteil durch eine Urkunde mit dem Hofgerichtssiegel verkündet werden sollte, bejahten sie ohne Beratung mit einhelligem Urteil. Ebd.: „erteilt mit gemeiner volg vnd vrteyl vf den eyd“. URHG13, Nr. 141 (März 1394); Carl Beyer (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Erfurt, T. 2, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 24), Halle 1897, Nr. 1046, S. 749 – 753; ebd., S. 752: „Do vrageten wir dy heren und rittere umb, dye bye uns an dem rechten sossen, dy stunden uf mit loube und nomyn eyn gespreche und quamen wedir vor uns und orteilten eintrechticlich uff ern eyd“. Als die Urteiler dann darum gebeten wurden, die Urkunde des erzbischöflichen Gerichts in Erfurt mit einer hofgerichtlichen Urkunde zu bestätigen, haben sie einfach geurteilt. Ebd., „Das wart en auch alles georteilt mit gemeiner volg und orteil uf den eide“. Zur königlichen Entscheidung, den Fall vom Hofgericht an das Gericht in Erfurt zu verweisen, s. URHG13, Nr. 91 (Aug. 1393); Beyer, ebd., Nr. 1040. URHG5, Nr. 529; URHG6, Nr. 504; URHG14, Nr. 254. Friedrich Battenberg hat einmal auf diesen Typus hingewiesen. Siehe Battenberg, Das Römisch-Deutsche Königtum (wie Anm. 9), S. 30 f., Anm. 112.

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zuletzt durch K ­ aiser Ludwig bestätigt worden sei, so sein Argument. Die erwähnten Urkunden Ludwigs wurden dann vor dem Richter verlesen. Als die ritterlichen Urteiler danach vom Richter gefragt wurden, was sie für rechtens hielten, zogen sie sich zunächst zur Beratung zurück, danach kamen sie wieder vor das Gericht und begehrten, dass sie die Sache vor den ­Kaiser bringen dürften, um sich mit ihm ­darüber zu beraten, was sie als Recht erteilen sollten.30 Nachdem dieser Wunsch von dem Richter gestattet worden war, gingen die Urteiler tatsächlich zum K ­ aiser, sprachen mit ihm, kamen wieder vor das Gericht und antworteten schließlich, dass das Hofgericht bestätigen sollte, was das Rothenburger Landgericht mit seiner Urkunde erteilt hatte.31 Für das Landgericht von Rothenburg, eines der sogenannten kaiserlichen Landgerichte in Süddeutschland,32 hatte König Rudolf I. von Habsburg 1274 anerkannt, dass das Landgericht weiter beibehalten werden sollte und dass die Achturteile des Landgerichts auch dem Hofgericht mitgeteilt werden sollten.33 Dieses Privileg war dann von den nachfolgenden Königen bestätigt worden.34 Ludwig IV. hatte 1315 ein weiteres Privileg verliehen, auch bei Sedisvakanz des Königsthrones das Landgericht Rothenburg zu halten.35 Er hatte 1331 als ­Kaiser nicht nur das Privileg seit König Rudolf erneuert,36 sondern auch noch ein Privileg anerkannt, dass die Urkunde des Rothenburger Landgerichts von dem Hofgericht bestätigt werden sollte.37 Der K ­ aiser hatte außerdem im Juni 1343 noch eine Urkunde ausgestellt, nach der die vor dem Rothenburger Landgericht erlangten Ansprüche vom Hofgericht bestätigt werden sollten.38 Auch wenn das Landgericht in Rothenburg auf diese Weise einen besonders engen Kontakt zum Königtum und Hofgericht pflegte, so findet sich doch die allgemeine hofgerichtliche Bestätigung ­landgerichtlicher 30 URHG5, Nr. 529: „da fragt ich die ritter, der da genug engagen stuenden, uf ir ayd, was si ­darumb recht duocht … die namen ainmueticlich ain gespraech und berieten sich, was si ­darumb tailen solten, und chomen wider fur geriht und begerten, man liez si die sach fuer den keiser bringen, daz si sich mit dem berieten und bedaehten, was si darumb tailen solten“. 31 Ebd.: „daz geschach, daz si mit urlaub des gerihts fuer den cheiser giengen und sich mit dem gespraechen und chomen wider fuer geriht … da fragt ich ieglichen besuonder uf den ayd, was si sich beraten heten und was si reht duocht … da wart vor mir mit gesamenter urtail ertailt … das solt man vor dem hofgeriht billich bestetigen und ervollen, daz es fuerbaz staet belib und craft und maht het“. Zu ­diesem Fall auch Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 102 – 105. 32 Zu den kaiserlichen Landgerichten und dem Landgericht in Rothenburg s. die Literatur bei Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 103, Anm. 181 und 182. 33 Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), 1, Nr. 61; Jacob Schwalm (Hg.), MGH Const., 3, Hannover und Leipzig 1904 – 1906 (ND Hannover 1980), Nr. 650. 34 Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), 1, Nr. 155, 181 und 216. 35 Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), 1, Nr. 297. 36 Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), 1, Nr. 383a. 37 Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), 1, Nr. 384. 38 URHG5, Nr. 507.

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Urteile bei keinem anderen Landgericht. Es ging also um ein ungewöhnliches Recht, das ­Kaiser Ludwig IV. erst 1331 gewährt hatte. Aus diesen Gründen dürften die Urteiler des Hofgerichts den K ­ aiser nach seiner Absicht gefragt haben. Außerdem gab es damals Auseinandersetzungen z­ wischen dem Landgericht in Rothenburg und dem in Würzburg unter dem Bischof von Würzburg.39 Es könnte gerade auf die umstrittene Situation um das Privileg hindeuten, wenn der ­Kaiser erneut 1343 eine Urkunde ausgestellt hatte, die die Bestätigung von Landgerichtsurkunden durch das Hofgericht festsetzte. Diese ungewöhnlichen Umstände mögen die Urteiler veranlasst haben, die kaiserliche Meinung einzuholen. Bei der zweiten Urkunde von 1354 geht es um einen Streit über einen Zehnten ­zwischen einem Adligen und dem Kloster Heilsbruck. Nachdem der Hofrichter zunächst den Grafen Adolf von Nassau nach seiner Meinung gefragt hatte, hatte der Graf mit den beisitzenden Rittern ein Gespräch. Sie kamen wieder vor das Gericht zurück und der Graf antwortete, dass er sich auf diese Sache nicht verstehe und zum König gehen wolle. König Karl IV. hat sich dann auf die Befragung des Grafen und der Ritter hin mit Rat von vier geistlichen Fürsten, den Erzbischöfen von Mainz und Köln sowie den Bischöfen von Würzburg und Straßburg, dahin entschieden, dass der Hofrichter die Klage an den Bischof von Speyer, dem das Kloster unterstand, verweisen sollte, weil sie eine geistliche Sache betraf.40 Bei ­diesem Fall wurden die Zweifel der Urteiler über die Zuständigkeit des Hofgerichts von dem Herrscher geklärt. Der Rat der geistlichen Fürsten wurde dabei ausdrücklich erwähnt und die königliche Entscheidung ließ sich damit legitimieren. Die dritte Urkunde vom August 1398 bezieht sich auf einen Konflikt ­zwischen Markgraf Bernhard von Baden und der Stadt Speyer. Die Stadt hatte dem Hofgericht eine Urkunde Wenzels über die Verschiebung eines Gerichtstermins und andere königliche Schreiben vorgelegt und behauptet, dass sie von der Klage des Markgrafen mit Urteil befreit werden sollte, weil dieser zum Termin nicht erschienen war.41 Ernst von Schönburg, der Richter statt des Königs, und die Urteiler einigten sich dahin, dass sie den König und seine Räte nach ihrer Meinung fragen sollten.42 Der Richter und zwei Ritter aus den Urteilern haben sich daraufhin zu 39 Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 105. 40 URHG 6, Nr. 504: „da fragten wir der urteil graven Adolffen von nassauwe, was in recht ducht … der nam ein gesprech mit den [ritter]n, sich zu beraten umb die urteil … und kam wider fur [gericht]e nach dem gesprech … er verstund sich darauf [nit] … [zog sich des mit] urteil an unsern heren den konig“. Zu d ­ iesem Streit auch Baumbach, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 168 f. 41 URHG14, Nr. 254. Dieser Fall war schon Otto Franklin bekannt. Franklin (wie Anm. 2), S. 266. Vgl. auch Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht (wie Anm. 79), S. 34 – 36. 42 URHG14, Nr. 254: „do fragten wir die ritter die bey uns an dem rechten sassen was sie recht deuchte … do wurden sie mit uns eintrechticlich zu rate uns dorumb eins rechte an unserm

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Wenzel und seinen Räten zurückgezogen,43 sie befragt und dann festgestellt, dass der Herrscher und seine Räte die Stadt Speyer von der markgräflichen Klage freistellen wollten. Nachdem sie zum Gericht zurückgekommen waren und den anderen Urteilern von der herrscherlichen Absicht Bescheid gegeben hatten, stimmten die anderen zu und das Hofgericht hat schließlich entsprechend geurteilt.44 Das Hofgericht dürfte sich deswegen zur Befragung entschlossen haben, weil Wenzel gerade im Juli einen Gerichtstermin verschoben hatte.45 Der König hatte dabei das Zustandekommen der Versöhnung ­zwischen den Kontrahenten erwartet.46 Die Diskrepanz ­zwischen dieser herrscherlichen Erwartung und die Befreiung der Stadt Speyer von allen Klagen könnte die Urteiler veranlasst haben, die Meinung des Königs und seiner Räte zu erfragen.47 Dass der Hofrichter und zwei Urteiler dabei die anderen vertraten, deutet die institutionelle Entwicklung des Hofgerichts an. Dass die Quelle hier von dem König und seinen Räten spricht, antizipiert das Auftreten des königlichen Kammergerichts im 15. Jahrhundert. Wie diese Beispiele zeigen, war es möglich, dass das Hofgericht bei schwierigen Fällen den Herrscher nach seiner Meinung befragte, besonders wenn einschlägige herrscherliche Verfügungen vorausgegangen waren oder das Hofgericht seine eigene Zuständigkeit bezweifelte. Es ist der Forschung schon lange gut bekannt, dass in den Gerichtsordnungen des Reichshofrats in der Frühen Neuzeit die Frage vom Reichshofrat an den K ­ aiser als Votum ad Imperatorem festgesetzt wurde.48 Ähnliche Befragungen finden sich auch im 14. Jahrhundert, wenn sie auch selten vorkamen. herren dem kunige und an seinen reten die er zu der czeit bey im hatte zu erfarende“. 43 Ebd.: „do gingen wir mit zwein rittern von unser aller wegen zur stunde von dem gerichte für unsern herren den kunige … und leten im und etzlichen seinen reten die sache eygentliche für wie es vur uns mit urteyl kummen und bracht was“. 44 Ebd.: „und das brachten wir also zu stunde wider angerichte für die anderen ritter die mit uns und wir mit in ouch doran eintrechticlichen verbliben sind“. 45 URHG14, Nr. 235. 46 Ebd.: „also haben wir sollichen tag verlengert uff die meynunge ob ir uch beyder selber umb solliche sachen vereynen und vorrochten möchtent“. 47 Gegen die Befreiung durch das Hofgericht reagierte der Markgraf von Baden mit einer Fehde gegen die Stadt Speyer. Siehe URHG14, Nr. 254. 48 Wolfgang Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. NF 18), Aalen 1973, S. 346 – 353; Ders., Richterliche Unabhängigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Okko Behrends/Ralf Dreier (Hg.), Gerechtigkeit und Geschichte. Beiträge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Diesselhorst (Quellen und Forschungen zum Recht und seiner Geschichte 6), Göttingen 1996, S. 118 – 132 (S. 125 – 129); hierzu auch der Beitrag von Tobias Schenk in d ­ iesem Band.

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2.  Eingriff des Herrschers in das hofgerichtliche Verfahren 2.1  Die Zeit Ludwigs IV. und Karls IV. Während eine ­solche Befragung des Herrschers nur selten schriftliche Zeugnisse hinterlassen hat, finden sich wesentlich mehr Belege für den umgekehrten Fall. Es gibt Beispiele des herrscherlichen Eingriffs in das hofgerichtliche Verfahren.49 Der Herrscher hat dabei auf die Bitte und Beschwerde einer Partei hin, die sich im Prozess vor dem Hofgericht benachteiligt sah, Klagen, Ladungen oder hofgerichtliche Urteile aufgehoben. Aus der Zeit Ludwigs IV. sind vier Beispiele bekannt.50 Sie betreffen schon alle die kaiserliche Verweisung vom Hofgericht an andere Gerichte. Der ­Kaiser hat ad hoc ein Schiedsgericht bestellt 51 und die Lehensgerichtsbarkeit des Pfalzgrafen bei Rhein als des Lehensherren 52 sowie die Gerichtsbarkeit des Burggrafen von Gelnhausen über die Burgmannen berücksichtigt.53 Aus der langen Regierungszeit Karls IV. sind über 30 Urkunden überliefert, die die herrscherliche Einwirkung auf das Hofgericht bezeugen.54 Bei den meisten, etwa 25, Urkunden handelt es sich explizit oder implizit um die Verweisung vom Hofgericht an andere Gerichte. Außer dem oben behandelten Beispiel von 1354 über die geistliche Sache 55 und einer Bestellung der delegierten Richter 56 betreffen alle anderen Verweisungen, die in den Gerichtsstandsprivilegien ihren Grund hatten. Die Gerichtsstandsprivilegien der Kurfürsten scheinen von Karl IV. beachtet worden zu sein. Um April 1361 herum hat der K ­ aiser bei der Klage, die Eberhard Schenk von Erbach im Namen seiner Frau Elisabeth von Katzenelnbogen gegen Eberhard von Eppstein vor dem Hofgericht erhoben hatte, die Klage und Ladung aufgehoben, den Fall an den Erzbischof von Mainz und sein Gericht verwiesen und erklärt, dass die Parteien gemäß den Freiheiten des Erzbischofs und Erzstifts vor dem Erzbischof Recht nehmen sollten.57 Obwohl das Hofgericht trotzdem im 49 Friedrich Battenberg hat auf einen königlichen Eingriff bei der Uneinigkeit der Urteiler hingewiesen. URHG 5, Nr. 60; Battenberg, Das Römisch-Deutsche Königtum (wie Anm. 9), S. 31 – 33. 50 URHG5, Nr. 268 (Juni 1336), 349 (Nov. 1339), 392 (Dez. 1340) und 556 (Okt. 1346). 51 URHG5, Nr. 268 und 349. 52 URHG5, Nr. 392. 53 URHG5, Nr. 556. 54 URHG6, Nr. 206, 351, 438, 440, 450 und 504; URHG7, Nr. 245 und 469; URHG8, Nr. 98, 163, 232, 266, 286, 356, 357, 367 und 442; URHG9, Nr. 234 408, 411 und 412; URHG10, Nr. 182, 186, 219, 308, 332, 377, 383, 388, 403, 416, 481 und 486. 55 Vgl. URHG6, Nr. 504. 56 URHG10, Nr. 57 (Juli 1372). 57 URHG8, Nr. 163.

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Mai 1361 ein Achturteil gefällt 58 und dem Kläger eine Anleite gegeben 59 hatte, hat Karl IV. erneut im März 1362 die Klage, Acht und die erlangten Ansprüche für nichtig erklärt, die Privilegien des Erzbischofs berücksichtigt und die Parteien an den Erzbischof verwiesen.60 Die Privilegien der Pfalzgrafen bei Rhein als Kurfürsten wurden ebenfalls berücksichtigt.61 Karl IV. verwies 1361 und 1364 die Klagen gegen die Grafen von Sponheim von dem Hofgericht an den Pfalzgrafen Ruprecht I. aufgrund dessen Einspruchs.62 Der ­Kaiser hat 1378 ein Achturteil des Hofgerichts kassiert und die Sache an den Bischof von Bamberg zur Entscheidung verwiesen. Diese Verfügung wurde ebenfalls durch die Beschwerde des Bischofs veranlasst.63 Am häufigsten verursachten die Gerichtsstandsprivilegien der Städte den herrscherlichen Eingriff.64 Für Frankfurt,65 Worms,66 Schwäbisch Hall,67 Freiburg,68 Nördlingen,69 Augsburg,70 Regensburg,71 Köln 72 und Schweinfurt 73 sind die Aufhebungen von Klage, Ladung und Urteilen des Hofgerichts durch Karl IV. ­überliefert. 58 URHG8, Nr. 189. 59 URHG8, Nr. 191 und 192. 60 URHG8, Nr. 286. 61 Vgl. URHG6, Nr. 440 (Dez. 1353). 62 Das Ereignis von 1361 ist bekannt durch eine Urkunde des Pfalzgrafen. Der Graf von Sponheim sei ein Vasall des Pfalzgrafen, der vom Reich ein Privileg innehabe, vor dem eigenen Gericht seinem Lehensmann Recht zu geben. Siehe URHG8, Nr. 367. Der Fall von 1364 ist in einer kaiserlichen Urkunde überliefert. Siehe URHG8, Nr. 442. 63 URHG10, Nr. 486 (März 1378). Vgl. URHG10, Nr. 388 (Okt. 1376). Der Kläger wurde dort darauf hingewiesen, dass er nicht gegen das Hochstift Bamberg, sondern gegen den Bischof seine Klage erheben sollte. Die Klage, Ladung und erlangten Ansprüche wurden aus ­diesem Grund als nichtig erklärt. 64 URHG 6, Nr. 206, 351, 438 und 450; URHG 7, Nr. 245; URHG 8, Nr. 232 (mit dem Sekretsiegel) und 357; URHG9, Nr. 234, 408, 411 und 412; URHG10, Nr. 186, 332, 377 und 481. 65 URHG 6, Nr. 206 (Sept. 1349) und 450 (Dez. 1353); URHG 8, Nr. 232 (Sept. 1361); URHG10, Nr. 332 (Juni 1376). Dazu noch eine Verweisung an das Gericht der Burg Friedberg. Siehe URHG10, Nr. 308 (März 1376). 66 URHG6, Nr. 351 (Mai 1352). 67 URHG6, Nr. 438 (Nov. 1353). 68 URHG7, Nr. 245 (Apr. 1357). 69 URHG 8, Nr. 357 (März 1363). Das Privileg der Stadt wurde zwar in der kaiserlichen Urkunde nicht erwähnt, aber die Stadt Nördlingen hatte schon seit 1349 von Karl IV. die Gerichtsstandsprivilegien empfangen. Sie dürften beachtet worden sein. Siehe Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), Nr. 524, 584, 585, 672 und 678. 70 URHG9, Nr. 234 (Nov. 1367) und 377 (Sept. 1376). 71 URHG9, Nr. 408 (März 1371), 411 und 412 (beide April 1371). Vgl. URHG9, Nr. 409 und 441. 72 URHG10, Nr. 186 (Apr. 1374). 73 URHG10, Nr. 481 (März 1378).

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Bei vielen Fällen wurden dabei die Gerichtsstandsprivilegien als Grund der Verweisung vom Hofgericht an die anderen Instanzen ausdrücklich erwähnt.74 Der ­Kaiser hat zum Beispiel 1367 bei der Klage Konrads Marschall von Pappenheim gegen zwei Bürger von Augsburg die Klage, die Ladung und die durch das hofgerichtliche Urteil zuerkannte Anleite sowie Nutzgewere für wirkungslos erklärt und entschieden, dass die Sache vor dem Ammann von Augsburg, also vor dem Stadtrichter, eingeklagt werden sollte, weil die Stadt Augsburg ein Privileg innehatte, nach dem niemand die Bürger von Augsburg und ihre Güter vor ein anderes Gericht als den Stadtammann laden durfte.75 Auch wenn man bei einigen Urkunden keine ausdrückliche Verweisung findet,76 implizierten die Hinweise auf das städtische Gerichtsstandsprivileg die Stellungnahme des Herrschers, dass der Fall vor dem Gericht in der Stadt behandelt werden solle. In vielen Urkunden wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Existenz des Privilegs von der Stadt behauptet wurde,77 aber auch bei dem Fehlen eines solchen Hinweises dürfen wir die Beschwerde der Stadt annehmen.78 Wenn dies so war und vor allem damit ein Urteil des Hofgerichts kassiert wurde, kann man hier von einer Art Appellation reden? Nach Bernhard Diestelkamp gab es bis Mitte des 15. Jahrhunderts kaum Appellationen in den deutschen weltlichen Gerichten, anders als in den geistlichen Gerichten.79 Er hat dabei Anrufung von Gerichten außerhalb des Herrscherhofes an diesen überprüft,80 nicht die hier behandelten Verhältnisse

74 URHG6, Nr. 438; URHG8, Nr. 357; URHG9, Nr. 408, 411 und 412; URHG10, Nr. 186 und 481. In URHG6, Nr. 351 beauftragte der König den Bischof von Speyer und den Grafen von Veldenz, die Angelegenheit zu richten, weil der Bischof von Worms, der eigentlich zuständige Richter, gerade abwesend war. In URHG8, Nr. 232 erklärte Karl IV., dass er selbst in Frankfurt die Sache behandeln wollte. 75 URHG9, Nr. 234. Das Problem wirkte noch etwa zehn Jahre nach. Vgl. URHG10, Nr. 377. 76 URHG6, Nr. 206 und 450; URHG7, Nr. 245; URHG10, Nr. 332 und 377. 77 URHG6, Nr. 351; URHG7, Nr. 245; URHG9, Nr. 408, 411 und 412; URHG10, Nr. 186, 332, 377 und 481. 78 URHG6, Nr. 206, 438 und 450; URHG8, Nr. 232 und 357; URHG9, Nr. 234. 79 Bernhard Diestelkamp, Die Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation im weltlichen Prozeßrecht Deutschlands, (Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 2), Stuttgart 1998, bes. S. 10 – 17; Ders., Vom einstufigen Gericht, bes. S. 32 – 52. Ähnlich Peter Oestmann, Ludolf Hugo und die gemeinrechtliche Appellation, in: Ludolf Hugo, Vom Missbrauch der Appellation. Eingeleitet und herausgegeben von Peter Oestmann. Übersetzt von Bernd-Lothar von Hugo (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 62), Wien u. a. 2012, S. 1 – 43 (S. 4 – 8); Ders., Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 93. 80 Diestelkamp hat ­solche Fälle geprüft, die von den Gerichten außerhalb des Herrscherhofes an ihn gebracht wurden, und die Schlussfolgerung gezogen, dass es sich bis auf wenige

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z­ wischen dem Herrscher und dem Hofgericht.81 In vielen Fällen hat Karl IV., wie oben gezeigt, die Gerichtsstandsprivilegien der Kurfürsten, Fürsten und vor allem der Städte berücksichtigt und die Klage vom Hofgericht an andere Gerichte verwiesen. Der Herrscher hat damit im Rahmen der einstufigen Struktur der Gerichte über die Zuständigkeitsfrage eine endgültige Entscheidung getroffen.82 Wenn die beklagte Partei aber ihr Gerichtsstandsprivileg behauptete, dem Herrscher entsprechende Urkunden vorlegte und den herrscherlichen Eingriff herbeiführte, erzielte sie damit eine ähnliche Wirkung, wie sie eine gelungene Appellation mit sich bringen konnte. Bei etwa 10 Urkunden lässt sich zwar keine eindeutige Verweisung feststellen,83 aber sie bleiben meistens im Rahmen der einstufigen Struktur der Gerichtsinstanzen. Karl IV . hat z. B. über die Landfriedensfrage entschieden,84 als zuständiger Richter über ein Zisterzienserinnenkloster seine Entscheidung getroffen,85 selber erneut die Gerichtssitzung des Hofgerichts geleitet und ein vorausgehendes Urteil aufgehoben,86 die Wirkung der hofgerichtlichen Maßnahmen wegen der Abwesenheit des Beklagten ein Jahr einstellen lassen,87 oder für die Städte wie Ausnahmen um keine Appellation handelte. Siehe Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht (wie Anm. 79), S. 32 – 41. 81 Diestelkamp hat im oben erörterten Fall von 1398 (URHG14, Nr. 254) einen immanenten Zug von den Urteilern des Hofgerichts zum König als Gerichtsherrn gesehen. Viele andere Fälle sind aber nicht untersucht worden. Siehe Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht (wie Anm. 79), S. 36. 82 Vgl. Jürgen Weitzel, Dinggenossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter, 2 Teilbde., (QuF 15), Köln/Weimar/Wien 1985, S. 1300. 83 URHG7, Nr. 469; URHG8, Nr. 98; URHG9, Nr. 168; URHG10, Nr. 182, 219, 302, 383, 403 und 416. 84 URHG7, Nr. 469. Der ­Kaiser hat sich bei seinen Räten informiert und mit ihrer Hilfe seine Entscheidung getroffen. Ebd.: „das wir kuntlichen in unserm rat underwist sein von der ansprach wegen …“, „… und darumb nemen wir ab kuntlich wissentlich und auch mit urteil unsers rats“. 85 URHG 8, Nr. 98: „und habe doruff ervolget und erclaget und daz vor unserm keiserlichen ­hovgericht yn unwyzzentlich bestetiget wider ire und ires ordens freyheit, recht und gnade“. Die Urkunde wurde mit dem Majestätssiegel besiegelt. Ein kaiserliches Privileg, das auf den Tag nach der Entscheidung datiert ist, setzt den Gerichtsstand des Klosters beim K ­ aiser und seinen delegierten Richtern fest. Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien (wie Anm. 3), Nr. 665. Die Bestätigung durch das Hofgericht in ebd., Nr. 667; URHG8, Nr. 124. Auch vgl. Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht (wie Anm. 79), S. 38. 86 URHG 9, Nr. 168. Die vorausgehende Bestätigung durch das Hofgericht in URHG 9, Nr. 133. Vgl. Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 144 f. 87 URHG 10, Nr. 182. Bei der Entscheidung wurde die kaiserliche Machtvollkommenheit betont. Ebd.: „vnd [vs]slahen mit craft dicz brieues mit rechter wissen vnd mit vollekumenlicher keiserlicher macht … ane alles widerruffen …“, „In diesen vsslag, den wir ym von gnaden vnd vollekomenlicher keiserlicher macht getan haben“. Wahrscheinlich in d ­ iesem Zusammenhang wurde die Urkunde mit dem Majestätssiegel beglaubigt.

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Frankfurt,88 Zürich,89 Passau 90 und Regensburg 91 Maßnahmen und Urteile des Hofgerichts einfach kassiert. Bei den zuletzt genannten Fällen aus dem Ende seiner Regierungszeit dürften wir zur Zuständigkeit weitgehend geklärte Verhältnisse voraussetzen, die ausdrückliche Verweisungen unnötig machten. Bei den Maßnahmen dieser Art wurden die Ergebnisse meistens nicht durch das Verfahren von richterlichem Fragen und Antworten durch Urteiler gefunden, sondern in den Urkunden als herrscherliche Entscheidung wiedergegeben. Die Urkunden wurden dabei im Namen Karls IV ., aber mit dem Hofgerichtssiegel ausgestellt. Diese Form zeigt, dass die Verfügung mit der Tätigkeit des Hofgerichts zu tun hat, also die Veränderung der prozessualen Maßnahmen im hofgericht­ lichen Verfahren stattfand, und zugleich, dass das Wort des Herrschers selber den Ausschlag gab. 2.2  Entwicklungen in der Zeit Wenzels Unter Wenzel sind etwa 20 Urkunden zu finden, die in Kontinuität zur Zeit Karls IV. stehen.92 Der König hat die Gerichtsstandsprivilegien des Erzbischofs von Mainz,93 des Bischofs von Würzburg 94 und der Städte wie Colmar 95 und Schweinfurt 96 respektiert und deswegen die Klagen vom Hofgericht an die Gerichte der Privilegien­empfänger verwiesen. Er hat auch Fälle durch delegierte Richter 88 URHG10, Nr. 219 (Dez. 1374). Zur Klage des Ritters Eberhard Brun von Zürich gegen die Stadt Frankfurt wurden die Ladung und das Urteil des Hofgerichts für nichtig erklärt. 89 URHG10, Nr. 302 (Jan. 1376) und 383 (Sept. 1376). Auch bei diesen Entscheidungen hatte der Ritter Eberhard Brun von Zürich vor dem Hofgericht Klage erhoben. Die Urkunde vom September 1376 wurde mit dem Majestätssiegel beglaubigt. Dementsprechend wurde in der Urkunde die kaiserliche Machtvollkommenheit erwähnt. Siehe URHG10, Nr. 383, „Das wir … gelobt vnd verheissen haben, Gelonen vnd verheissen mit wolbedachtem mute, rechter wissen, keiserlicher machte volkomenheit mit craffte dicz brieues“. 90 URHG10, Nr. 403 (1376). 91 URHG10, Nr. 416 (März 1377). Dabei handelte es sich immer noch um Heinrich (Hans) Spengler (von Aalen), der wie oben erwähnt 1371 die Stadt Regensburg vor dem Hofgericht verklagt hatte. Man hatte damals schon festgesetzt, dass die Klage an das Gericht in Regensburg verwiesen werden sollte. Vgl. URHG9, Nr. 408, 411 und 412. 92 URHG11, Nr. 3, 10, 18, 23, 39, 44, 109, 121, 146, 257, 259, 294, 391 und 393; URHG12, Nr. 179 und 248; URHG13, Nr. 63, 69 und 91. Vgl. URHG14, Nr. 2 und 345. 93 URHG12, Nr. 248 (Sept. 1390); URHG13, Nr. 91 (Aug. 1393). 94 URHG11, Nr. 23 (Sept. 1378). 95 URHG11, Nr. 18 (Okt. 1377). Außerdem hat Wenzel das Abkommen z­ wischen der Stadt Bern und dem Bischof von Basel berücksichtigt und die Ladung des Stadt- vor das Hofgericht kassiert. Siehe URHG11, Nr. 10 (Juni 1377). 96 URHG12, Nr. 179 (Nov. 1389).

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­entscheiden lassen.97 Wenzel hat einen Prozess gegen ein Frauenkloster in Franken an den Bischof von Bamberg verwiesen,98 der geistlichen Rechtssache wegen die Klage und Ladung vor das Hofgericht aufgehoben 99 und bis zu seiner Ankunft die Klage und Urteile gegen die Städte kassiert.100 Er hat auch für Bischofskirchen oder Städte die Klagen, Ladungen und Urteile des Hofgerichts einfach aufgehoben und die Beklagten von allen Klagen befreit.101 Eine turbulente Situation deutet aber schon das Vorkommnis an, dass Wenzel 1381 die Klage und Ladung des Hofgerichts gegen das Domkapitel von Bamberg aufhob, nachdem es einen den Ladungsbrief überbringenden Fronboten in den Turm der Stadt geworfen hatte.102 Jedenfalls traten ­solche, in Kontinuität zu Karl IV . stehende Verfügungen ab 1385 stark zurück. Neue Tendenzen rückten dagegen besonders in der Spätphase der Regierungszeit Wenzels immer deutlicher in den Vordergrund. Zum einen haben die Hofrichter und Gerichtsstatthalter mit ca. 20 Urkunden in eigenem Namen Klagen und Ladungen vor das Hofgericht aufgehoben, nur selten aber Urteile.103 Die einschlägigen Urkunden bezeichnen die Maßnahmen meistens als richterliche Entscheidung,104 seltener als Urteil.105 Schon bei einer Klage eines Bürgers von Frankfurt gegen die Markgräfin und den Markgrafen von Meißen sowie die Stadt Eisenach im Oktober 1385 kassierte das Hofgericht die Klage, Ladung und Anleite.106 Die Verfügung wurde damit begründet, dass der Kläger nicht vor dem Hofgericht erschienen war. Ein solcher Umstand im Verfahren legt die eigenständige Entscheidung des Hofrichters nahe. Dieser Typus von Urkunden 97 URHG11, Nr. 121 (Sept. 1381) und 294 (März 1385); URHG13, Nr. 69 (Apr. 1393). 98 URHG11, Nr. 3 (Mai 1377). 99 URHG11, Nr. 146 (Juli 1382), „Wanne die sach geystlich ist do wir niht vber czu Richten haben“. 100 URHG11, Nr. 391 (März 1387 für Windsheim); URHG14, Nr. 345 (Nov. 1399 für Köln). 101 URHG11, Nr. 39 (März 1379), 44 (März 1379), 109 (Feb. 1381) und 259 (Okt. 1384). Die Stadt Köln wurde von den Klagen befreit, nachdem sie dem König erklärt hatte, dass sie unwissentlich die Geächteten in die Stadt aufgenommen hatte. Siehe URHG11, Nr. 257 (Okt. 1384). 102 URHG11, Nr. 109 (Feb. 1381). 103 URHG11, Nr. 325; URHG12, Nr. 204, 258, 296 und 384; URHG13, Nr. 190, 194, 200, 227, 264, 290 und 367; URHG14, Nr. 30, 37, 154, 155, 219 und 369. 104 URHG11, Nr. 325; URHG12, Nr. 204, 258 und 296; URHG13, Nr. 190, 200, 264, 290 und 367; URHG14, Nr. 30, 37, 154, 155 und 369. 105 URHG12, Nr. 384; URHG13, Nr. 194 und 227; URHG14, Nr. 219. 106 URHG11, Nr. 325: „der Selben clage ladunge vnd anleit dy bijs her vff dissen tag vorgangen sind, sagin wir su quit ledig und loz vnd sollen ouch dy selbin clage ladunge vnd anleit vorbas wedder craft noch macht haben“. Eine andere Urkunde könnte im Namen des Königs ausgestellt worden sein. Vgl. URHG11, Nr. 393. Ähnliches Beispiel aus der späteren Zeit siehe URHG14, Nr. 219 (Juli 1398).

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ist aber dann in den 1390er-Jahren immer mehr anzutreffen. Das Hofgericht hat dabei selber die Gerichtsstandsprivilegien berücksichtigt und die Klage an andere Instanzen verwiesen. Zur Klage gegen die Bürger von Erfurt hat der Hofrichter 1390 die Beschwerde der Beklagten, dass sie Untertanen des Erzbischofs von Mainz ­seien und dass dieser ein Gerichtsstandsprivileg habe, anerkannt und die Parteien an den Erzbischof verwiesen.107 Im Januar 1398 verwies das Hofgericht wegen der Freiheiten des Erzbischofs von Mainz und des Herzogs von Österreich die Fälle an deren Gerichte.108 Eine Hofgerichtsurkunde vom Januar 1395 bezeugt, dass das Hofgericht eine Ladung der Bürger von Passau für nichtig erklärte, nachdem diese dem Gericht ihr königliches Gerichtsstandsprivileg vorgelegt hatte.109 Im Januar 1400 hat das Hofgericht die Behauptung des Gerichtsstandsprivilegs seitens der Stadt Basel anerkannt, die Ladung der Basler Bürger vor das Hofgericht kassiert und den Prozess an das Gericht in Basel verwiesen.110 Wie wir oben bei den Beispielen des Erzbischofs von Mainz oder der Stadt Augsburg gesehen haben, war eine ­solche Angelegenheit unter Karl IV. typisch für den herrscherlichen Eingriff. Diese Fälle übernimmt jetzt das Hofgericht selber. Überliefert sind auch andere Beispiele, in denen das Hofgericht die Sachen an ein Schiedsgericht verwies oder zur Versöhnung veranlasste 111 und die Parteien mit ihrer Zustimmung an einen in ihrer Nähe tätigen Amtsinhaber des Reiches schickte.112 Der Hofrichter und der Gerichtsstatthalter haben Urkunden im eigenen Namen ausgestellt und darin verkündet, dass der König die Ladung aufgehoben 113 oder den 1 07 URHG12, Nr. 204. 108 URHG14, Nr. 154 und 155. 109 URHG13, Nr. 194. Außerdem wurde eine Klage gegen die Stadt Zürich mit Zustimmung der beiden Parteien an das Gericht in Zürich verwiesen, siehe URHG13, Nr. 227 (März 1395). 110 URHG14, Nr. 369. Die Ladung vor das Hofgericht wurde wegen des Gerichtsstandsprivilegs der Burg Gelnhausen aufgehoben. Vgl. URHG12, Nr. 384 (März 1392). 111 URHG 12, Nr. 258 (Okt. 1390) und 296 (März 1391). Siehe auch URHG 13, Nr. 290 (Jan. 1396), wo eine Ladung wegen der Kompromittierung auf Schiedsgericht aufgehoben wurde. 112 URHG13, Nr. 200 (Jan. 1395). Eine Klage des Markgrafen von Hachberg gegen die Stadt Mühlhausen wurde an den Reichslandvogt im Elsass verwiesen. Bei URHG13, Nr. 190 (Jan. 1395) erkannte das Hofgericht an, dass der Kläger seine Klage zurückgenommen hatte. 113 URHG13, Nr. 367 (Sept. 1396) und 371 (Oct. 1396); URHG14, Nr. 14 (März 1397), 44 (Juli 1397), 46 (Juli 1397) und 284 (nach Dez. 1398). In diesen Urkunden wurde auch bezeugt, dass der König die Klage aus dem Register des Hofgerichts hatte tilgen lassen. Z. B. URHG13, Nr. 367: „soliche ladunge … ouch usz desselben hofgerichtes Registern tilgen und usstun geheissen … und das sy ouch von solicher … ladunge wegen usz solichen Registern genczlichen und gar ab und usz getan sein also das in dieselb ladunge furbassermer keynen schaden fügen oder bringen sol noch mag“.

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Termin verschoben hatte.114 Während Karl IV. für s­ olche Maßnahmen in seinem Namen, aber mit dem Hofgerichtssiegel, Urkunden ausgestellt hatte, erweiterte das Hofgericht in der späteren Zeit Wenzels seinen Aktionsbereich. Zur Reichsacht hat das Hofgericht im April 1397 auf Befehl des Königs eine eigene Urkunde ausgestellt und bezeugt, dass die Acht gegen die Stadt Frankfurt aufgelöst worden war, nachdem der König die Stadt von der Acht befreit hatte.115 Eine Hofgerichtsurkunde vom Juni 1399 bezeugte ebenfalls, dass der König die Acht gegen die Stadt Metz kassiert und aus dem Achtbuch des Reichsgerichts hatte tilgen lassen, und der Hofrichter selber erklärte, dass die Acht jetzt keine Wirkung mehr haben sollte.116 Auch wenn s­ olche hofrichterliche Entscheidungen sich vereinzelt schon seit den 1360er-Jahren finden,117 wurden die Veränderungen im hofgerichtlichen Verfahren unter Karl IV. meistens vom Herrscher selbst vorgenommen. Dass jetzt die Hofrichter und Richter statt des Königs dies übernahmen, weist auf die Tendenz zur institutionellen Etablierung und Verselbständigung des Hofgerichts hin. Zum anderen hat Wenzel in das Verfahren des Hofgerichts eingegriffen, aber nicht mit vom Hofgerichtssiegel besiegelten Urkunden, wie dies unter Karl IV. üblich war, sondern mit durch Majestätssiegel besiegelten Schreiben.118 Als ein frühes Beispiel ist eine Königsurkunde vom September 1379 zu nennen, in der Wenzel die Ladung der Stadt Mainz wegen der Klage des Erzbischofs von Mainz aufhob. Erwähnt waren in der Urkunde sowohl, dass die Stadt auf die Forderung des Königs hin zur Observanz des römischen Papstes gewechselt war, als auch, dass hinter der Klage gegen die Stadt Mainz der Streit z­ wischen Ludwig von Meißen 114 URHG13, Nr. 264 (Oct. 1395); URHG14, Nr. 38 (Juni 1397) und 346 (vgl. Nr. 345). 115 URHG14, Nr. 30. 116 URHG14, Nr. 317: „et lez ait aussi fait quasser et fuer escripre des son livre de chesse et de la Justice de Court de l’Empire et aussi le sont-il quasseiz et fuer escrit si com il est de coustume“. Entsprechen dem Empfänger wurde die Urkunde auf Französisch geschrieben. 117 Mit dem kaiserlichen Befehl hat das Hofgericht die Klage und Ladung kassiert. Siehe URHG9, Nr. 100 (Feb. 1366). Ähnlich bei URHG9, Nr. 210 (März 1367). Der Empfänger der Hofgerichtsurkunde, der Bischof von Bamberg, hat 1376 den ­Kaiser sie bestätigen lassen. Der Bischof wollte damit ihre Wirkung noch verstärken. Siehe URHG10, Nr. 313 (Apr. 1376). Der Bischof hat dann diese kaiserliche Urkunde noch einmal das Hofgericht bestätigen lassen. Siehe URHG 10, Nr. 318 (Apr. 1376). Zu anderen Beispielen der hofgerichtlichen Verfügung siehe URHG8, Nr. 360 (März 1363) (Aufhebung eines eigenen Urteils); URHG9, Nr. 224 (Aug. 1367) (Befreiung des Beklagten von der Klage, weil der Kläger nicht erschienen war). 118 URHG 11, Nr. 63; URHG 13, Nr. 64, 224 und 369; URHG 14, Nr. 4, 57, 245 [hier: ­Oestmann, Rechtsverweigerung (wie Anm. 3), S. 77; Oestmann, Prozesse aus Hansestädten (wie Anm. 5), S. 129], 248, 270, 283, 313, 342 und 343. Zur Siegelführung der Herrscher im deutschen Spätmittelalter siehe Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 2, Abt. 1, Berlin 31958, S. 576 – 584.

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und Adolf von Nassau, dem Bischof von Speyer, um die Stelle des Erzbischofs von Mainz stand – also ein Fall von erheblicher politischer Tragweite.119 Andere Zeugnisse finden sich wieder in den 1390er-Jahren. In einer Urkunde von 1393 befahl Wenzel dem Hofrichter, das Gerichtsstandsprivileg der Stadt Aachen zu beachten, die Klage und Ladung gegen die Stadt aufzuheben und den Fall an das Gericht in Aachen zu verweisen.120 Es ist auffällig, dass der König zur Anordnung an den Hofrichter eine Urkunde ausstellte, während Karl IV. selbst ­solche Verfügungen getroffen hatte. Noch andere Urkunden sind zu finden, die ähnliche königliche Befehle enthalten. Wenzel hat z. B. im Oktober 1396 bei einem Lehenstreit z­ wischen dem Burggrafen von Nürnberg und dem Bischof von Bamberg die jenem günstige Ladung und das Urteil kassiert und den jetzigen und zukünftigen Hofrichtern und Hofgerichtsschreibern befohlen, über diese Angelegenheit nicht mehr zu urteilen und sie an andere Gerichte zu verweisen.121 Solche Urkunden entsprechen der oben genannten Tendenz des Hofgerichts, sich von dem Herrscher zu emanzipieren. Wenzel kassierte auch ein Urteil des Hofgerichts in einer Urkunde mit dem Majestätssiegel. Als Wenzel 1395 ein Urteil des Hofgerichts aufgrund eines Gerichtsstandsprivilegs der Stadt Zürich für nichtig erklärte, stellte er eine Urkunde mit seinem Majestätssiegel aus.122 Das Hofgericht hat zwar in dieser Zeit damit begonnen, Klagen und Ladungen selber aufzuheben, aber nur selten ein eigenes Urteil. Eine ­solche Maßnahme traf hier der König mit dem Majestätssiegel, übrigens ohne Anordnung an den Hofrichter.123 Durch eine Urkunde mit dem Majestätssiegel ist außerdem bezeugt, dass im Juni 1397 alle Klagen und Ladungen gegen die Stadt Köln aufgehoben wurden.124 Als der König und die Stadt Rothenburg sich im Oktober 1398 versöhnten, wurde in 119 URHG11, Nr. 63. Zu den Auseinandersetzungen ­zwischen den beiden Kandidaten um die erzbischöfliche Position mit derer Vorgeschichte siehe Paul-Joachim Heinig, Die Mainzer ­Kirche im Spätmittelalter (1305 – 1484), in: Friedhelm Jürgensmeier (Hg.), Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte, Bd. 1: Christliche Antike und Mittelalter, T. 1, (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6, 1/1), Würzburg 2000, S. 416 – 554 (S. 482 – 487). 120 URHG13, Nr. 64. Vgl. URHG13, Nr. 63; Oestmann, Rechtsverweigerung (wie Anm. 3), S. 76. 121 URHG13, Nr. 369. Gleich in URHG14, Nr. 248 (Juli 1398) und 343 (Okt. 1399). Ähnlich ein kaiserlicher Befehl gegenüber dem zukünftigen Hofrichter in URHG14, Nr. 248 (Juli 1398). Trotz dieser königlichen Entscheidung hat das Hofgericht sich selbständig verhalten und eine eigene Urkunde ausgestellt. Siehe oben URHG14, Nr. 330 (Juli 1399). Die Situation lässt den Abstand ­zwischen dem König und dem Hofgericht in der Spätphase der Regierung Wenzels erkennen. 122 URHG13, Nr. 224. 123 Außerdem hat der König einen Termin verschoben. Siehe URHG14, Nr. 57 (Aug. 1397). 124 URHG14, Nr. 4.

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einer Königsurkunde mit dem Majestätssiegel verkündet, dass alle gegen die Stadt erlangten Urteile und Ansprüche im früheren hofgerichtlichen Verfahren kassiert worden waren.125 Nachdem Wenzel gegen die Stadt Deventer vor dem Hofgericht Klage erhoben und sie geladen hatte, wurde die Versöhnung ­zwischen den beiden im Dezember 1398 mit dem Majestätssiegel beglaubigt.126 In allen diesen Fällen hat der König selber die Städte vor dem Hofgericht verklagt. Obwohl einige herrscherliche Eingriffe schon in der Zeit Karls IV. durch Urkunden mit Majestätssiegel durchgeführt worden waren, blieb ihre Zahl noch begrenzt.127 Unter Wenzel wurden die königlichen Eingriffe für die Gerichtsstandsprivilegien der Städte mit dem Majestätssiegel besiegelt, während Karl IV. bei solchen Maßnahmen typischerweise das Hofgerichtssiegel benutzt hatte. Dieses Phänomen in der Zeit Wenzels zeigt seinerseits eine gewisse Distanzierung ­zwischen dem König und dem Hofgericht und weist schon in die Richtung zum Königlichen Kammergericht im 15. Jahrhundert. Diese beiden Entwicklungsverläufe, die in der Spätphase Wenzels in den Vordergrund gerückt waren, stellten eine Lockerung der unter Karl IV. erreichten Einheit dar. Die gerichtlichen Entscheidungen am Herrscherhof waren früher von einem erfahrenen Herrscher wie Karl IV. integriert worden. Sie trennten sich jetzt in das immer mehr institutionalisierte Hofgericht und die Entscheidung des Herrschers und seiner Räte. In dieser Linie sollte im 15. Jahrhundert das Nebeneinander des Hofgerichts und des königlichen Kammergerichts in Erscheinung treten.

II.  Schiedsgericht und Herrscherhof 1.  Schiedsgerichtswesen im deutschen Spätmittelalter Nun wenden wir uns dem zweiten Thema zu, Schiedsgericht und Herrscherhof. Die Praxis des Schiedsgerichts begann auch in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.128 Zur Herkunft können wir jetzt kirchliche Wurzeln voraussetzen. Bei den frühesten Beispielen des Schiedsgerichts in Deutschland handelte es sich um Streitigkeiten z­ wischen den ­Kirchen und Geistlichen. Auch die weltlichen Parteien haben dann langsam angefangen, ihre Konflikte durch Schiedsrichter beilegen zu lassen. 1 25 URHG14, Nr. 270. 126 URHG14, Nr. 283. 127 Wie oben URHG8, Nr. 98; URHG10, Nr. 182 und 383. Es ist unklar, welches Siegel bei URHG6, Nr. 426 (Nov. 1353) benutzt wurde. 128 Zu der folgenden Darstellung über das Schiedsgerichtswesen siehe Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 36 – 48 und dort nachgewiesene Literatur.

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Bei dem Schiedsgericht sind eine Lösung mit minne und die mit recht zu unterscheiden. Der Schiedsrichter kann mit minne, also mit Zustimmung beider Parteien über den Inhalt der Lösung, seine Entscheidung treffen oder mit recht, d. h. ohne derartige Zustimmung. Bei der Verwillkürung auf den Schiedsrichter sind die Parteien damit einverstanden, dass sie sich der Entscheidung mit minne oder recht unterwerfen. Die Parteien nehmen damit ein Risiko in Kauf, ein ihnen unangenehmes Ergebnis zu akzeptieren. Wenn man beim Schiedsgericht auch möglichst eine Entscheidung mit minne erstrebte, gab es doch für die Parteien eine Gefahr gezwungener Ergebnisse. Es ist deswegen bei d ­ iesem Rechtsinstitut wichtig, wie das Schiedsgericht sich zusammensetzt. In vielen Fällen war die Zahl der Schiedsrichter gerade, weil jede Partei jeweils die ­gleiche Zahl von Schiedsrichtern bestellte. Das Schiedsgericht ­dieses Typus nährt sich oft der Verhandlung der Parteien selber. Wenn die Schiedsrichter jeweils die Meinung ihrer Partei vertreten, kann das Schiedsgericht wegen der Pattsituation keine Endscheidung treffen. Wenn man noch einen Obmann hinzufügt, erreicht man die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung. Es ist deshalb ausschlaggebend, wer als Obmann fungiert. Das Schiedsgericht mit einem Obmann hat wesentlich mehr Zwangspotential als das mit geradzähligen Schiedsrichtern.

2.  Bis zur Zeit Ludwigs IV. Als Schiedsrichter oder Obmann traten auch die spätmittelalterlichen Herrscher auf.129 Unter den Königen nach dem sogenannten Interregnum, besonders unter Rudolf I. von Habsburg, haben die Kontrahenten den Herrscher als Schiedsrichter anerkannt und ihm ihre Streitigkeiten zur Entscheidung übertragen.130 Aus der Zeit des ersten Habsburgers auf dem Thron sind etwa zehn Fälle bekannt, unter den drei nachfolgenden Königen sieben.131 Darunter finden sich schon sechs Beispiele, in denen die beiden Parteien weltlich waren.132 Ein anderer Schiedsrichter wurde vom König eingesetzt,133 eine Verwillkürung auf einen anderen Schiedsrichter wurde 129 Zu ­diesem Phänomen Jutta Schutting, Die Schiedsgerichtsbarkeit der römisch-deutschen Herrscher von Rudolf von Habsburg bis Sigmund, Diss. phil. Wien 1963 (masch.). Hier wird das Thema auf breiterer Quellenbasis behandelt. 130 Siehe Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 12), S. 153 – 168; Schutting, Schiedsgerichtsbarkeit (wie Anm. 129), S. 36 – 39. 131 URHG3, Nr. 85, 96, 152, 154, 156, 216, 299, 363, 389, 390, 453, 454, 482, 537, 538, 593 und 627, vgl. Nr. 641; URHG4, Nr. 23, 34, 68, 167, 365, 456 und 558. 132 URHG3, Nr. 363, 453 und 627; URHG4, Nr. 23, 34 und 558. 133 URHG3, Nr. 345.

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getroffen, nachdem einmal die Sache auf den König als Schiedsrichter überlassen worden war.134 Auf einen Amtsinhaber am Herrscherhof hat man sich verwillkürt.135 In der Zeit Ludwigs IV. entfalteten sich verschiedene Variationen von Schiedsgerichten. Festzustellen sind etwa ein Dutzend Verwillkürungen auf den Herrscher selbst.136 Zum Beispiel haben der Markgraf Friedrich von Meißen und Heinrich Vogt von Plauen 1331 ihre gesamten Streitigkeiten der kaiserlichen Entscheidung überlassen und versprochen, sie einzuhalten. Der K ­ aiser hat daraufhin einen Waffen­ stillstand befohlen und weitere Maßnahmen getroffen.137 Wie bei ­diesem Fall wurde meistens mit recht, also ohne inhaltliche Zustimmung der Parteien entschieden,138 nur selten mit minne.139 Ebenso wie bei d ­ iesem Schiedsgericht waren oft beide Parteien von weltlichem Stand.140 Ludwig IV. trat auch gemeinsam mit anderen als Schiedsrichter auf. Die Vertrauten Ludwigs, die zugleich mit einer Partei eng verbunden waren, fungierten als Schiedsrichter neben dem Herrscher. Im August 1325 wurden die S­ treitigkeiten 134 URHG4, Nr. 271. 135 URHG4, Nr. 193. 136 URHG5, Nr. 18, 87, 128, 200, 219, 329, 427, 446, 447, 505, 506, 520, 535, 536 und 537. Zu Ludwig IV. als Obmann siehe URHG5, Nr. 196, 209, 210 und 385. Als Kompromittierung auf den König Friedrich siehe URHG5, Nr. 32 und 33. Vgl. Schutting, Schiedsgerichtsbarkeit (wie Anm. 129), S. 45 – 48. 137 URHG5, Nr. 128: „daß der hochgeborn furste … und alle sin friwent, die dise sachen anrüret, die hie von uns verscheiden und getaydingt sind, hinder uns gegangen sind aller sache und ­bruoche, die z­ wischen in bizher gewesen sind, also, swas wir daruber sprechn, daz si daz beider­ seit stat und gancz sullen haben“. 138 URHG5, Nr. 128, 152, 167, 221, 222, 303, 329, 427, 446, 447, 505, 520 und 537. Als Schiedsurteil des Königs Friedrich siehe URHG5, Nr. 32 und 33. 139 URHG5, Nr. 18 (Feb. 1317): „lieplich und guetlich miteinander verrihtet“. Als Ludwig IV. im Juni 1333 die Streitigkeiten ­zwischen dem Bischof und den Bürgern von Bamberg beilegte, schlichtete er nach der Kompromittierung auf ihn den Konflikt mit Hilfe seiner Räte. URHG, Nr. 200: „umbe alle sache, stoezze, bruche, kriege, ufloeuff und missellunge, die sich bisher uf disen hiuttigen tag z­ wischen in ze beidersiet verlouffen habent, gaenczelichen und gar hinder uns gegangen sint … haben wir si mit unsers rates rat mitainander ainmueticlichen verainet und verrichtet gar und ganczelichen mit allen stukken, artikeln und biunden, als hie nach geschriben stat“. Diese Entscheidung wurde s­ päter im November 1339 von dem K ­ aiser als Schiedsurteil genannt und ausgelegt. Siehe URHG5, Nr. 347: „umb den uspruch und och die rihtung, die wir getan und gemachet haben ­zwischen … als si dez hinder uns gegangen waren umb alle sache, stoezz, bruch, krieg, ufluoff und missehellunge, die ­zwischen ir uf dieselben zit beschehen waren … daz wir bekennen, wie dem si, daz wir ez in unserm usspruchbrief umb die richtung niht begriffen haben, daz ez reht ist und och furbaz reht sin sol“. 140 URHG5, Nr. 128, 152, 219, 303, 427, 520 und 547. Ebenso bei den Fällen, in denen der Herrscher mit den anderen gemeinsam als Schiedsrichter auftrat, siehe URHG5, Nr. 39, 78, 79, 83, 85, 87, 88, 157, 547 und 553. Auch bei den Fällen, in denen die Amtsinhaber des Herrscherhofes als Schiedsrichter fungierten: siehe URHG5, Nr. 204, 206 und 425.

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z­ wischen dem Grafen von Helfenstein und den anderen einerseits und Heinrich Küchenmeister von Nortenberg andererseits König Ludwig und Berthold von Neuffen als Schiedsrichtern zur Entscheidung überlassen.141 Berthold war ein Verwandter des Grafen von Helfenstein. Der K ­ aiser und Graf Berthold der Ältere haben im Februar 1337 gemeinsam als Schiedsrichter die Auseinandersetzung ­zwischen dem Bischof von Bamberg und dem Grafen Berthold dem Jüngeren von Henneberg geschlichtet.142 Bei den Streitigkeiten ­zwischen und in den Königsdynastien war Ludwig IV . neben deren Mitgliedern als Schiedsrichter tätig. Er war 1319 bei dem Konflikt ­zwischen den Herzögen von Niederbayern und der Stadt Regensburg neben der Herzogin Jutta von Niederbayern Schiedsrichter.143 Jutta war Mutter von zwei Herzögen. Herzog Heinrich von Kärnten und Cangrande della Scala, Reichsvikar von Verona, haben im August 1325 Ludwig IV . und Herzog Friedrich von Österreich als Schiedsrichter anerkannt.144 Die beiden fällten im September in München ihren Schiedsspruch. Dieses Schiedsgericht ist als Ausdruck des gerade in dieser Zeit experimentierten Doppelkönigtums zu sehen.145 König Johann von Böhmen hat im März 1332 seine Streitigkeiten mit den Herzögen von Österreich dem ­Kaiser und dem Erzbischof Balduin von Trier zur schiedsrichterlichen Entscheidung übertragen.146 Bei der Auseinandersetzung ­zwischen den ­Luxemburgern 141 URHG5, Nr. 81: „hinder uns und den edlen man graf Bertholt von Nyffen gegangen sind“, ebenso Nr. 82. Zu Berthold von Neuffen siehe Marusja Serck, Berthold von Neuffen im Dienste Ludwigs des Bayern, Berlin 1936; Hansmartin Decker-Hauff, Berthold von ­Neuffen, in: Schwäbische Lebensbilder 6 (1957), S. 28 – 40. 142 URHG5, Nr. 282. Zu Berthold von Henneberg siehe Wilhelm Füsslein, Berthold VII. Graf von Henneberg. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte des XIV. Jahrhunderts. Mit einem Urkundenanhang, Köln/Weimar/Wien 1983. 143 URHG5, Nr. 39: „daz wir mit gemainem rat und verdachtem muot uns verainet haben, als an uns beide gangen sint und gelazzen habent“. 144 Als Vollmacht für die Prokuratoren siehe URHG5, Nr. 78 und 79. Zur Verwillkürung durch die beiden Prokuratoren siehe URHG5, Nr. 87: „unanimiter et concorditer simul compromiserunt sese in … tamquam in arbitros, arbitratores et amicabiles compositores specialiter et generaliter“. Vgl. URHG5, Nr. 83 und 86. 145 URHG5, Nr. 85 und 88. Zum Doppelkönigtum von Ludwig und Friedrich jetzt siehe Gerald Schwedler, Bayern und Österreich auf dem Thron vereint. Das Prinzip der gesamten Hand als Verfassungsinnovation für das Doppelkönigtum von 1325, in: ­Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (wie Anm. 11), S. 147 – 166; Martin Clauss, Ludwig IV. Und F ­ riedrich der Schöne. Wien – Mühldorf – München, in: Matthias Becher/Harald Wolter-von dem ­Knesebeck (Hg.), Die Königserhebung Friedrichs des Schönen im Jahr 1314. Krönung, Krieg und Kompromiss, Köln/Weimar/Wien 2017, S. 255 – 270 (S. 265 – 269). 146 URHG5, Nr. 157: „vollen gewalt haben gegeben … umb allen den chrieg und ouflauf, die ­zwischen unser und den herczogen von Oesterrich sint geschehen, also, daz si ­zwischen uns ­sullen erkennen, welher under uns an dem andern des ersten ubervarn hab, und daz mugen si

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und den Habsburgern traten andere Mitglieder der Königsdynastien als Schiedsrichter auf. Bei den großen Streitigkeiten ­zwischen dem Erzbischof von Mainz und dem Pfalzgrafen bei Rhein entschieden der ­Kaiser, Erzbischof Balduin von Trier und Herzog Rudolf I. von Sachsen als Schiedsrichter über das vorausgehende Schiedsverfahren.147 Kaiser Ludwig IV. war auch neben den Adligen, die in der gleichen Region wie die Parteien ihre Herrschaft hatten, als Schiedsrichter tätig. Bei dem Konflikt ­zwischen Markgraf Hermann von Baden und dem Kloster Herrenalb haben der ­Kaiser und der rheinische Pfalzgraf Ruprecht I. 1346 als erwählte Schiedsrichter ihre Entscheidung getroffen.148 Der ­Kaiser hatte 1339 das Kloster in seinen Schutz genommen, während der Pfalzgraf die kurz davor entstandene Versöhnung z­ wischen dem ­Kaiser und dem Markgrafen vermittelt zu haben scheint.149 Die beiden Schiedsrichter hatten deshalb schon zuvor mit dem Konflikt zu tun. Der Schiedsspruch wurde von dem Kloster angenommen, jedoch von dem Markgrafen abgelehnt. Schließlich traf Ludwig IV. im September 1346 alleine seine Entscheidung.150 Der ­Kaiser und Graf Adolf von Nassau traten im März 1346 bei den Streitigkeiten ­zwischen der Stadt Mainz und der Stadt Frankfurt gemeinsam als Schiedsrichter auf.151 Bei den Schiedsgerichten d ­ ieses Typus entschied man ebenfalls meistens mit recht,152 kaum jemals mit minne.153 Bei einigen Fällen spielten die Amtsinhaber am Herrscherhof wie der Hofrichter oder die Räte die Rolle als Schiedsrichter. Zu einem Konflikt z­ wischen verrichten und sonen mit minn mit unser wizzen beiderseit oder mit recht an unser wizzen“. Über Balduin, den jüngeren Bruder ­Kaiser Heinrichs VII und den Onkel König Johanns von Böhmen, Erzbischof von Trier, siehe jetzt Johannes Mötsch, Neuere Literatur zu Erzbischof Balduin von Trier: (1308 – 1354), in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 149 (2013), S. 475 – 478. 147 URHG5, Nr. 366 – 368. Zu ­diesem großen Konflikt ­zwischen den Vormächten im Mittelrhein siehe Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 196 – 231. Zu ­diesem Schiedsgericht ebd., S. 199 f. 148 URHG5, Nr. 546: „daz wir ­zwischen … nach ir beder briefn, die wir gesehen und ­gehoert haben, sprechen und scheiden, als si dez von beden teilen an uns gangen sind“. Vgl. auch Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 279 – 282. 149 Ebd., S. 280 f. 150 URHG5, Nr. 555. 151 URHG5, Nr. 547. 152 URHG5, Nr. 39, 81, 82, 88, 546, 547 und 555. 153 URHG5, Nr. 553 (Aug. 1346): „umb die stoezze, so ­zwischen … daz si darumb hinder uns, unsern vettern herczog Ruoprecht den eltern und Engelhard von Hirzhoern gegangen sind, und swie wir si darumb miteinander verscheiden und sprechen, daz suellen si beidenthalben staet und unzerbrochen halten, als si daz zuo den heiligen gesworen heten; zu dem ersten sprechen wir und scheiden zuo der minne“.

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den Grafen Johann und Walram von Sponheim um die Burg Dill wurde der Hofrichter Konrad von Gundelfingen am 5. August 1333 einer der fünf Schiedsrichter, die schließlich mehrheitlich eine Entscheidung trafen.154 Am 7. August hat dann das Hofgericht auf der Basis der Entscheidung des Schiedsgerichts beruhend geurteilt.155 Wiederum im August 1333 fügte der K ­ aiser zu den zwei Schiedsrichtern für den Konflikt ­zwischen dem Kloster und den Bürgern von Weißenburg seinen Kanzler Hermann von Lichtenberg als Obmann hinzu.156 Berthold von Neuffen, der engste Berater Ludwigs IV ., traf im Juni 1341 bei den Streitigkeiten ­zwischen Ulrich III . von Hanau und Philipp dem Älteren von Falkenstein als Schiedsrichter seine Entscheidung.157 Wir dürfen bei diesen Beispielen, dem Auftritt von Personen des Hofes als Schiedsrichter, die kaiserliche Anerkennung voraussetzen. In der Zeit Ludwigs IV . wurden also verschiedene Formen von Schiedsgerichten ausprobiert. Diese Vielfalt hat ihre Gründe nicht nur darin, dass man damals in einzelnen Regionen durch Schiedsgerichte Konflikte beizulegen versuchte,158 sondern auch in der schwächeren Legitimation der Regierung Ludwigs, der sowohl Thronkämpfe mit den Habsburgern und Luxemburgern als auch lange Streitigkeiten mit dem Papsttum bestehen musste. Die Schiedsgerichte unter Teilnahme Ludwigs entschieden dabei, wie oben dargestellt, meistens mit recht. Die Sprüche waren in d ­ iesem Sinne für die Parteien zwingend. Dies konnte die Akzeptanz des Schiedsurteils erschweren, wie die oben genannte Ablehnung des Markgrafen von Baden zeigte. Es bedeutete für den Herrscher einen langen und mühsamen Einsatz, große Streitigkeiten wie die ­zwischen dem Erzbischof von Mainz und den rheinischen Pfalzgrafen durch Schiedsgericht beizulegen.159

1 54 URHG5, Nr. 204. 155 URHG5, Nr. 206. 156 URHG5, Nr. 205. Zu ­diesem Konflikt siehe Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 267 – 269. 157 URHG5, Nr. 425. Ebenfalls im Juni 1341 sollte bei den großen Streitigkeiten ­zwischen dem Erzbischof von Mainz und dem Markgrafen von Meißen ein kaiserlicher Rat als Obmann gesandt werden. Siehe URHG5, Nr. 426. 158 Zu dem Mittelrheingebiet siehe Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 60 – 139, zu der Region Elsass-Oberrhein ebd., S. 226 – 249, zu der Region Westfalen ebd., S. 324 – 337. 159 Zu dem langen komplizierten Verfahren vgl. Taguchi, Königliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 5), S. 196 – 213. Ein anderer Ungehorsam ist bei URHG5, Nr. 132 (Nov. 1331) zu vermuten. Es ist aber nicht sicher, ob ein Schiedsurteil gefällt worden war.

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3.  Karl IV. als Schiedsrichter Karl IV. fungierte bei einigen Streitigkeiten gemeinsam mit anderen Fürsten als Schiedsrichter,160 aber die Parteien erkannten am häufigsten, in mehr als 30 Fällen, ihn als alleinigen Schiedsrichter an.161 Bei vielen Beispielen waren die beiden Parteien weltlich,162 was die Verbreitung des Schiedsgerichtswesens zeigt. Die Verwillkürung auf den Herrscher wurde nicht immer spontan geleistet. Karl IV. sagte im Juni 1354 auf die Forderung des Herzogs Albrecht III. von Österreich hin der Stadt Zürich ab, weil sie bei dem Konflikt ­zwischen den beiden die Verwillkürung auf ihn verweigert hatte, während der Herzog damit einverstanden gewesen war.163 Karl IV. traf zwar in einigen Fällen seine Entscheidung mit recht,164 aber öfter mit minne, mit der Zustimmung der beiden Kontrahenten. Er hat schon 1351 bei 160 URHG6, Nr. 441 (Dez. 1353), 442 (Dez. 1353) und 457 (Dez. 1353); URHG8, Nr. 193 (Mai 1361), 233 (Sept. 1361) und 296 (März 1362); URHG10, Nr. 196 (um Sept. 1374). In URHG6, Nr. 441 und 442 handelte es sich um einen Konflikt ­zwischen den Kurfürsten. Die Kontrahenten haben den König und die anderen Kurfürsten als Schiedsrichter akzeptiert und nur für die Entscheidung mit minne auf sie kompromittiert. Der König hat danach alleine mit Zustimmung der beiden Parteien seine Entscheidung getroffen. Siehe URHG6, Nr. 451 (Dez. 1353). Bei URHG6, Nr. 457 traten ebenfalls der König und die Kurfürsten für eine Auseinandersetzung ­zwischen den anderen Kurfürsten gemeinsam als Schiedsrichter auf. In URHG8, Nr. 193 fungierte der K ­ aiser mit den Amtsinhabern des Hofes als Schiedsrichter. 161 URHG6, Nr. 331,332, 411, 521, 528, 529, 544, 549, 566, 567, 568, 576 und 578; URHG7, Nr. 26, 154 – 157, 379 und 474; URHG8, Nr. 64, 69, 275, 279, 280, 298, 315, 436, 448, 458, 459 und 462; URHG9, Nr. 5, 119, 161 und 292; URHG10, Nr. 8, 9, 18, 19, 48, 54, 67, 72, 75, 84, 91, 173, 395, 396 und 401. Bei URHG10, Nr. 173 wurde aber von einer Verwillkürung auf den Kaiserhof gesprochen. Ferner der König als Obmann in URHG6, Nr. 18. Bei URHG 7, Nr. 407 und 408 sollte der ­Kaiser einen Obmann einsetzen. Der Herrscher konnte die Anhörung oder Beilegung weiter delegieren wie in URHG6, Nr. 549; URHG 7, Nr. 154 – 157; URHG 8, Nr. 315. Vgl. auch URHG 10, Nr. 54. Nachdem eine Kompromittierung auf den K ­ aiser geleistet worden war, zog sich eine Partei von dem Verfahren zurück. Zur schiedsrichterlichen Tätigkeit Karls IV. siehe auch Schutting, Schiedsgerichtsbarkeit (wie Anm. 129), S. 49 – 55. 162 URHG6, Nr. 411, 441, 442, 528, 529, 544, 549, 566, 567, 568, 576 und 639; URHG7, Nr. 154, 155, 156, 157, 354, 379, 407, 408 und 474; URHG 8, Nr. 69, 298 und 315; URHG10, Nr. 18, 19, 48, 67, 72, 75, 84, 91, 173, 196, 199, 395, 396 und 401. 163 URHG6, Nr. 566: „dez rechten und der mynne uf uns wolte genczlich geangen sein … und ir dez nicht tun wolte … meinen ouch ewer veynd czu seyn“, und 567. Vgl. URHG6, Nr. 411 und 568. 164 URHG6, Nr. 528, 529, 549, 576 und 639; URHG7, Nr. 354, 379 und 474; URHG8, Nr. 458, 459 und 462; URHG 9, Nr. 9, 28 und 333; URHG 10, Nr. 91, 173, 395 (vgl. URHG10, Nr. 396 und 401) und 445. In URHG7, Nr. 354 ist ein Schiedsspruch nicht ausdrücklich bezeugt. In URHG9, Nr. 333 hat Karl IV. aufgrund eines Bündnisses ­zwischen

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den Streitigkeiten um die Markgrafschaft Brandenburg nach der Verwillkürung verkündet, eine Versöhnung herbeiführen zu wollen.165 Die Verwillkürung wurde geleistet, um eine Lösung mit Einverständnis der beiden Parteien zu finden.166 Nachdem die Kontrahenten sich auf den Herrscher kompromittiert hatten, entstand der Vergleich, dessen Inhalt dann als königlicher Schiedsspruch beurkundet wurde.167 Karl IV. hat auch im Juli 1354 bei dem Konflikt z­ wischen dem Bischof und den Bürgern von Würzburg mit Zustimmung der beiden Parteien sein Schiedsurteil gesprochen.168 Ab 1355 findet sich diese Art schiedsrichterlicher Tätigkeit Karls IV. oft.169 Er traf im Juli 1356 nach der Verwillkürung der Herzogin Katharina von Schlesien-Brieg und des Herzogs Wenzel von Schlesien-Liegnitz mit ihrer Zustimmung seine Entscheidung.170 Der K ­ aiser verhielt sich im September 1357 bei dem Konflikt ­zwischen dem Bischof und den Bürgern von Würzburg ähnlich.171 Die Auseinandersetzung ­zwischen dem Bischof und den Bürgern von Worms wurde im September 1360 nach der Übertragung an den ­Kaiser als Schiedsrichter durch Vergleich beendet.172 Im Februar 1362 hat Karl IV. nach den mehrjährigen Streitigkeiten ­zwischen dem ihm, dem Erzbischof von Mainz und dem Bischof von Würzburg den Streit z­ wischen den beiden anderen als Schiedsrichter entschieden. In URHG 10, Nr. 91 ist eine Partei zum Schiedstermin nicht erschienen. Dieser Umstand wurde in der Urkunde ausführlich dargestellt und dann darauf hingewiesen, dass die Partei gegen die Vereinbarung für das Schiedsgericht verstoßen hatte. 165 URHG6, Nr. 331: „und wir denselben crieg mit rate fursten, graven, freyen, unsern und des reichs getrewen, mit beider teil wizzen nuoczlich und fruntlich entscheiden wolten haben“. 166 URHG6, Nr. 521 (Feb. 1354): „vollen und ganzen gewalt hat, der vorgenanten krieg z­ wischen uns beider seit frontlichen zu suenen und zu richten nach seiner bescheidenheit, als in allerpeste dinket, und auch also, das es uns beiderseit erlich sei “. Als ein ähnliches Beispiel aus den 1370er-Jahren siehe URHG10, Nr. 48 (Juni 1372): „alles das derselver vnser herre der keyser ­zwischen … scheiden vnd wie er vns sunen wirdet“. 167 URHG6, Nr. 528 und 529 (beide März 1354). 168 URHG6, Nr. 578: „fruntlich und gutlich bericht haben in sulicher schicht, als hernach geschriben stet “. 169 URHG7, Nr. 155, 156, 157 und 293; URHG8, Nr. 64, 69, 275, 281 und 298; URHG9, Nr. 5; URHG10, Nr. 8, 9, 193, 199 und 505. Ebenso bei einen Fall, in dem Karl IV. mit den anderen gemeinsam als Schiedsrichter auftrat, siehe URHG8, Nr. 193. Zu einer kaiserlichen Entscheidung mit Zustimmung der Parteien nach der Delegierung siehe URHG8, Nr. 315. 170 URHG7, Nr. 155, „… umb alle yre sache mit yrer beyder gutem willen in sulche ordenung geseczet, als hernach geschriben steet …“. Gleich in URHG7, Nr. 156 und 157. 171 URHG7, Nr. 293; Ulrike Hohensee u. a. (Hg.), MGH Const., 12, Wiesbaden 2013, Nr. 173: „freuntlich und gutlich mit ir beider wizzen“. 172 URHG8, Nr. 64; Ulrike Hohensee u. a. (Hg.), MGH Const., 13, 1, Wiesbaden 2016, Nr. 251: „des haben wir mit rate … sie fruntlich gescheiden und vorrichtet in aller der mazze, als ­hernach geschriben stet“.

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Deutschen Orden und den Bürgern in Mühlhausen deren Einverständnis erzielt und sein Schiedsurteil gefällt.173 Der Konflikt ­zwischen dem Bischof und dem Domdekan von Speyer wurde im Januar 1365 nach der Kompromittierung auf den ­Kaiser von ihm fruntlich beigelegt.174 Bei der Kompromittierung des Bischofs und der Bürger von Konstanz auf Karl IV. im März 1372 wurde in der Urkunde erwähnt, dass der ­Kaiser beabsichtigte, die Parteien sich versöhnen zu lassen.175 Wenn Karl IV. ohne inhaltliche Zustimmung der Parteien seine Entscheidung traf, wurde es gelegentlich ausdrücklich erwähnt, dass die Kontrahenten ein solches Ergebnis in Kauf genommen hatten. Als er im August 1358 bei den Streitigkeiten ­zwischen dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Meißen um das Schloss Bubinga seinen Schiedsspruch fällte, wurde ausdrücklich bezeugt, dass die Verwillkürung zur Entscheidung mit recht getan worden war.176 Als der Erzbischof von Trier und die Stadt Trier sich im September 1364 mit ihren schwierigen Konflikten auf den K ­ aiser kompromittierten, suchten sie nach der Lösung mit recht.177 Auch der kaiserliche Schiedsspruch im Dezember setzte dies voraus.178 Bei dem großen Konflikt ­zwischen dem Herzog Magnus von Braunschweig-Lüneburg und den Herzögen Wenzel und Albrecht von Sachsen um das Herzogtum Lüneburg hat Magnus 1372 sich zur Entscheidung mit recht auf den K ­ aiser verwillkürt.179 Auf 180 dieser Basis setzte Karl IV. einen Termin.

1 73 URHG8, Nr. 281: „fruntliche mit der minne gesunet und verriechtet“. 174 URHG9, Nr. 5: „gutlich und fruntlich verrichtet und versuenet“. 175 Zur Urkunde des Bischofs von Konstanz siehe URHG10, Nr. 8: „In des … hern hant hern Karlen … ergeben vnd geseczt hattent vnd och sinen genaden getruewerent, die selben stoess vnd sach ze richtent … vnd och sin mainung waz daz daz wir vns lieplich vnd fruentlich ze Baider sit mit anandra verainbertin vnd verrichten woltint”. Ebenso in der Urkunde der Stadt siehe URHG10, Nr. 9. 176 URHG7, Nr. 379; Hohensee u. a. (Hg.), MGH Const., 12 (wie Anm. 171), Nr. 345: „sulcher zweiunge und krige, die sie undereinander … uncz an diese zeit gehabt haben, genczlich uff uns und ze uns gegangen sein und uns volle und gancze macht geben haben, dieselben sachen mit dem rechten ze scheiden und ze richten“. 177 URHG8, Nr. 436: „recht spreche und mit dem rechten scheide und suliche rechte beschrieben und under sime keiserlichem ingesigel versigelt gebe“. Zu diesen Streitigkeiten ­zwischen dem Erzbischof und den Bürgern von Trier siehe Friedhelm Burgard, Auseinandersetzungen z­ wischen Stadtgemeinde und Erzbischof (1307 – 1500), in: Hans Hubert Anton/Alfred H ­ averkamp (Hg.), Trier im Mittelalter (2000 Jahre Trier 2), Trier 1996, S. 295 – 398 (S. 302 – 305). 178 URHG8, Nr. 458, 459 und 462. 179 URHG10, Nr. 67: „bi vsem heren dem Keysere ghe bleuen sin vns dar vmme to vorscheidend mid rechte“. Zu d ­ iesem Konflikt um das Herzogtum Lüneburg siehe Ernst Schubert (Hg.), Geschichte Niedersachsens. Bd. 2, T. 1: Politik, Verfassung und Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, Hannover 1997, S. 755 – 782. 180 URHG10, Nr. 75: „als sie vns gebeten haben … sie beiderseit mit rechte zu entscheiden“.

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Diese Praxis Karls IV. zeigt einen deutlichen Kontrast zu den Schiedsgerichten unter seinem Vorgänger. Obwohl die Kontrahenten bei der Kompromittierung ihre Unterwerfung unter die schiedsrichterliche Entscheidung versprochen hatten, konnte es doch zu Ungehorsam gerade bei der Entscheidung mit recht kommen. Die Schiedsgerichte unter Karl IV. schlossen mit inhaltlicher Zustimmung der beiden Parteien ­dieses Risiko geschickt aus. Die schiedsrichterlichen Entscheidungen Karls IV. wurden also in der Art getroffen, dass sie möglichst glatt umgesetzt werden konnten. Freilich kann man gelegentlich an der Freiwilligkeit der Zustimmung oder der Kompromittierung auf den Herrscher überhaupt zweifeln, besonders wenn die Kontrahenten aus den sogenannten königsnahen Landschaften oder den Nachbarlandschaften der böhmischen Länder, also der Basis der Herrschaft Karls IV., stammten. Wir finden hier eine Seite seines hegemonialen Königtums.181

4.  König Wenzel und das Schiedsgerichtswesen Diese Entwicklung der herrscherlichen schiedsrichterlichen Tätigkeit in der Zeit Karls IV. fand jedoch unter seinem politisch inaktiven und unfähigen Nachfolger Wenzel abrupt ein Ende.182 Die Aktivität des Königs im Schiedsgerichtswesen trat drastisch zurück. Nur bei wenigen Fällen fungierte Wenzel als Schiedsrichter. Im September 1380 überließ Pfalzgraf Ruprecht I. seinen Streit mit dem Erzbischof Adolf von Mainz der königlichen schiedsrichterlichen Entscheidung, die im Januar des nächsten Jahres gefällt wurde.183 Nachdem der Erzbischof von Prag und die Stadt Nürnberg sich über das Vorkommnis, dass die Bürger den in Nürnberg weilenden Erzbischof überfallen hatten, auf den König kompromittiert hatten, traf er im F ­ ebruar 1381 als Schiedsrichter seine Entscheidung.184 Im Dezember 1397 haben 181 Zum hegemonialen Königtum Karls IV. siehe Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985, S. 240 – 256; Hesse, Synthese und Aufbruch (wie Anm. 11), S. 50 f. Die Raffinesse Karls IV. bei der Konfliktbeilegung wurde auch von den Zeitgenossen gemerkt. Siehe Eva Schlotheuber, Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung K ­ aiser Karls IV., in: Ulrike Hohensee u. a. (Hg.), Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen, Sonderbd. 12), Bd. 1, Berlin 2009, S. 141 – 168 (S. 143 – 147). Vgl. Václav Žůrek, Der Weise auf dem Thron. Zu einem wichtigen Aspekt des Herrschaftsstils Karls IV., in: Martin Bauch u. a. (Hg.), Heilige, Helden, Wüteriche. Herrschaftsstile der Luxemburger (1308 – 1437) (Forschungen zur ­Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta imperii 41), Köln/Weimar/Wien 2017, S. 325 – 339 (S. 329 f.). 182 Vgl. Schutting, Schiedsgerichtsbarkeit (wie Anm. 129), S. 56 – 6 4. 183 URHG11, Nr. 89 und 101. 184 URHG11, Nr. 115. Weiter vgl. URHG11, Nr. 89 (ohne Schiedsspruch).

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die zu dem fränkischen Landfrieden zugehörigen Städte und Dietz von Thüngen ihre Streitigkeiten dem König überlassen und er fällte ein Schiedsurteil.185 Der Bischof von Würzburg einerseits und die Stadt Würzburg sowie die anderen Städte im Hochstift Würzburg andererseits einigten sich im Januar 1398, ihren Streit dem König als Schiedsrichter zu übertragen.186 Wenzel fällte dann im Januar 1399 ein Urteil.187 Die meisten Beispiele beziehen sich auf die Region Franken und keine Entscheidung mit minne ist zu finden. Obwohl die Herzöge von Österreich und der Erzbischof von Salzburg einerseits und die Herzöge von Bayern andererseits 1382 verabredeten, ihre Streitigkeiten um Berchtesgaden dem König als Obmann zu übertragen, blieb dies eine Ersatzbestellung bei der Uneinigkeit der eigentlichen Schiedsrichter. Außerdem sollte Wenzel als Schiedsrichter nicht allein, sondern mit dem Burggrafen von Nürnberg gemeinsam auftreten.188 In einigen Fällen delegierte der König schiedsrichterliche Entscheidungen.189 Die Teilnahme Wenzels an Schiedsgerichten ging stark zurück. Dieser Wandel macht es deutlich, dass das schiedsgerichtliche Verfahren mit seiner großen Flexibilität von der Stabilität der Regierung und der Person des Herrschers abhing. Während Karl IV. in und um Böhmen Herrschaftsrechte kumuliert und eine hegemoniale Regierung geführt hatte, wurde die Königsherrschaft Wenzels durch seine Gegensätze mit dem böhmischen Adel und die familiären Konflikte der Luxemburger gelähmt.190 Das Zurücktreten der persönlichen Herrschaftsausübung Wenzels ist bei den Bestätigungen der Urkunden zu konstatieren 191 und im Bereich des Schiedsgerichts, das Verhandlungen mit den Parteien erforderte, drastischer zutage getreten. 1 85 URHG14, Nr. 105. Vgl. URHG14, Nr. 106, 107 und 110. 186 URHG14, Nr. 159. In URHG13, Nr. 72 (Mai 1393) forderte der König nach einer Verwillkürung einer Partei die andere auf, Gleiches zu tun. 187 URHG14, Nr. 288 und 289. Vgl. URHG14, Nr. 301, 323, 327 und 328. Bei d ­ iesem Konflikt hat man einmal statt des Königs einen anderen Obmann bestellt. Siehe URHG14, Nr. 277 (Nov. 1398). 188 URHG11, Nr. 160 – 166. 189 URHG11, Nr. 116 (März 1381), 157 (Okt. 1382), 159 (Nov. 1382), 331 (Nov. 1385), 332 (Nov. 1385) und 354 (Juli 1386); URHG12, Nr. 63 (Nov. 1388); URHG13, Nr. 4 (Jan. 1393) und 86 (Juli 1393); URHG14, Nr. 160 (Jan. 1398). 190 Siehe Hesse, Synthese und Aufbruch (wie Anm. 11), S. 72 – 84. Zum Kontrast bei den Itineraren Karls IV. und Wenzels siehe Petr Elbel, Prag und Ofen als Kaiserresidenzen. Die Verlagerung des Reichsschwerpunkts nach Osten unter den Luxemburgern und deren Folgen für das Reich, in: Sabine Penth/Peter Thorau (Hg.), Rom 1312. Die Kaiserkrönung ­Heinrichs VII. und die Folgen. Die Luxemburger als Herrscherdynastie von gesamteuropä­ ischer Bedeutung (Forschungen zur ­Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta imperii 40), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 259 – 329 (S. 265 – 273). 191 Taguchi, Freiwillige Gerichtsbarkeit (wie Anm. 3), S. 155 – 164.

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III.  Schluss Fassen wir zusammen: Die dinggenossenschaftliche Struktur des Hofgerichts, also die Trennung von Richter und Urteiler, ist der Forschung gut bekannt. In d ­ iesem Rahmen bemühte sich das Gericht, auch bei schwierigen Fragen eine Lösung zu finden. Überliefert sind nicht so viele Beispiele, aber sie zeigen, dass das Hofgericht sich besonders hinsichtlich seiner eigenen Befugnisse und Zuständigkeit sowie über die Wirkung seiner prozessualen Maßnahmen durch Beratung andernorts vorsichtig verhielt. Unter diesen Beispielen gab es noch wenige Fälle, in denen die Urteiler des Hofgerichts den Herrscher nach seiner Ansicht gefragt und ihr Urteil mitgeteilt haben, vor allem wenn die Sache sich auf eine frühere Verfügung des Herrschers bezog. Öfter finden sich in den Quellen Vorgänge umgekehrter Richtung, nämlich herrscherliche Eingriffe in das hofgerichtliche Verfahren. Nach dem Anfang unter Ludwig IV. hat Karl IV. häufig eingewirkt. Er hat dabei vor allem auf die Bitte der Inhaber der Gerichtsstandsprivilegien hin Klagen vor dem Hofgericht und dessen Ladungen sowie Urteile aufgehoben und die Angelegenheiten vom Hofgericht an andere Gerichte verwiesen. Solche Verfügungen wurden in Form der herrscherlichen Entscheidung getroffen und mit dem Hofgerichtssiegel besiegelt. In dieser Weise wurde das Hofgericht durch die herrscherliche Aufsicht und Steuerung in den persönlichen Regierungsstil Karls IV. fest integriert. Nachdem die Könige nach dem Interregnum sich dem Schiedsgerichtsverfahren zugewandt hatten, versuchte sich Ludwig IV . in verschiedenen schiedsgerichtlichen Verfahrensformen. Die Vielfalt der Schiedsgerichte unter d ­ iesem Herrscher dürfte dem experimentellen und improvisierenden Charakter seiner Regierung entsprechen. Unter Karl IV . entfaltete sich das herrscherliche Schiedsgericht in stabiler Art. Er fällte sein Schiedsurteil oft mit minne, also mit der inhaltlichen Zustimmung der Parteien, und sicherte damit seiner Entscheidung Akzeptanz und Gehorsam. Die Beilegung des Konfliktes durch das Schiedsgericht scheint aber von der persönlichen Fähigkeit des Herrschers abhängig gewesen zu sein. Dies zeigt der Kontrast ­zwischen Karl IV . und Wenzel deutlich, der nur bei wenigen Fällen als Schiedsrichter auftrat. Unter der inaktiven Regierung Wenzels neigte das Hofgericht seinerseits dazu, sich vom Herrscher zu emanzipieren. Die Integration unter Karl IV . lockerte sich und es begann sich das künftige Nebeneinander von Hofgericht und Königlichem Kammergericht abzuzeichnen. Wenn man den Eingriff des Herrschers in das Verfahren des Hofgerichts und die herrscherliche schiedsrichterliche Tätigkeit in Betracht zieht, kann man den Spielraum der Entscheidung des Herrschers kaum überschätzen. Die Tendenz zur Emanzipation des Hofgerichts am Ende der hier untersuchten Zeit ist umso

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bemerkenswerter und wirft Fragen auf, die ins 15. Jahrhundert weisen. Deshalb ist auf das weitere Erscheinen der Bände der Urkundenregesten zu warten, zunächst des letzten Bandes für die Zeit Ruprechts von der Pfalz.192

192 Zur Aussicht auf die Zeit Ruprechts siehe Rödel, König Ruprecht (wie Anm. 5).

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Annäherungen an die Entscheidungsfindung an Dinggerichten Dreimal im Jahr reitet der Vogt des Klosters Engelberg in die Dörfer ein, über die das Kloster Herr ist, in ritterlicher Montur samt Jagdfalken und Hund. Die Bauern sollen ihn willkommen heißen und ihm entgegengehen mit einem Laib Brot für seinen Hund und einem Huhn für seinen Falken. Bevor der Vogt dann Gericht hält, sollen die Bauern die Rechte ihres Dorfs wie jedes Mal aus der Erinnerung verkünden.1 Solche Passagen aus Weistümern haben Bilder der Entscheidungsfindung an spätmittelalterlichen Dinggerichten nachhaltig geprägt. Sie verdanken ihren Status als zentrale Zeugnisse der ländlichen Rechtskultur nicht zuletzt Jacob Grimm. Ebenso wie seine bekannteren Hausmärchen sammelte Grimm Weistümer als Äußerungsformen einer alten, schriftlosen deutschen Kultur.2 Dabei handelt es sich um Aufzeichnungen lokaler, auf ein Dorf, eine Grundherrschaft oder eine Vogtei bezogener Rechte, die aus dem 15. bis 16. Jahrhundert überliefert sind. Besonders faszinierend fand Grimm die gar nicht so zahlreichen Texte, die den gewohnheitsmäßigen Ablauf der Dinggerichte getreulich darzustellen scheinen. Das eben zitierte Weistum des Klosters Engelberg stellte er sogar an den Anfang seiner mehrere Bände umfassenden Sammlung.3 Auf diese Weise formte er nebst einem Gattungsverständnis auch das Bild einer ländlichen Rechtskultur im Spätmittelalter. Durch die Vermittlung des weitsichtigen Mittelalterhistorikers Fritz Kern, dessen Untersuchung „Recht und Verfassung im Mittelalter“ in den 1930er-­Jahren in englischer Übersetzung erschien,4 fanden Grimms Vorstellungen von der schriftlosen Rechtsüberlieferung auch Eingang in die anglo-amerikanische Sozial- und Kulturanthropologie. Das Bild der Dinggerichte als Orte einer ritualisierten, mündlichen Weitergabe ganzer Serien von Regeln diente dort als Modell für eine 1 Öffnung des Klosters Engelberg für die Höfe im Aargau und Zürichgau, ed. in: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Bd. 1.2, S. 20. 2 Gerhard Dilcher, Jacob Grimm als Jurist, in: Juristische Schulung 25 (1985), S. 931 – 936; Donald E. Kelley, Mythistory in the Age of Ranke. Leopold von Ranke and shaping of the historical discipline, in: Georg G. Iggers/James Powell (Hg.). Syracuse 1990, S. 3 – 20 und 181 – 185. 3 Jacob Grimm, Weisthümer, 1. Theil, Göttingen 1840, S. 1. 4 Fritz Kern, Recht und Verfassung im Mittelalter, Neuabdruck, Darmstadt 1972 (orig. in: Historische Zeitschrift 120 (1919), S. 1 – 79; vorher in erster Fassung schon in: Historische Zeitschrift 115 (1915), S. 496 – 515); ders., Kingship and Law in the Middle Ages. Translated with an Introduction by S. B. Chrimes, Oxford 1939.

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­ echtsüberlieferung vor der Alphabetisierung, wie man sie auch in außereuropä­ R ischen Kulturen vor der Ankunft der Europäer vermutete.5 In der Folge erschienen die kleinen Dinggerichte oft als die archaischen Ausgangspunkte in den großen Erzählungen über die Verschriftlichung und Modernisierung des Rechts. Ich möchte in der folgenden, tentativen Skizze Vorüberlegungen zur Erforschung der Entscheidungsfindung an Dinggerichten anstellen, vor allem mit Blick auf die Frage, wie diese mit Rechtsregeln umgingen. Letztlich wären viel weiterführende Untersuchungen nötig. Solchen steht das durch Jacob Grimm begründete Verständnis der ländlichen Rechtskultur in gewissem Sinn im Weg. Denn d ­ ieses hielt Fragen nach der Entscheidungsfindung an Dinggerichten durch die Weistümer für hinlänglich beantwortet. Man folgte ihrer Suggestion, wonach es sich bei den am Anfang des Dinggerichts angeblich verkündeten Regeln um eben jenes Recht handelte, welches auf die im Anschluss verhandelten Fälle angewandt wurde. Überhaupt suchte die Forschung den Unterschied ­zwischen der mittelalterlich-ländlichen und der modernen Entscheidungsfindung auf der Ebene der Verfügbarkeit und der medialen Vermittlung von Rechtsregeln – und nicht auf derjenigen des Umgangs mit diesen Regeln.6 Hier gilt es, ein Fragefeld überhaupt erst zu öffnen. Die folgenden Ausführungen versuchen, sich der Entscheidungsfindung an Dinggerichten in drei Schritten zu nähern. Erstens werde ich mein Misstrauen gegenüber dem Bild der Weistümer begründen und dabei auch auf meine früheren Arbeiten zum Thema verweisen müssen.7 Zweitens geht es um die Frage, ­welche Rolle Rechtsregeln in der Entscheidungsfindung spielten. Drittens wage 5 Besondere Breitenwirkung erlangten etwa: Jack Goody/Ian Watt, The Consequences of Literacy. Comparative Studies in Society and History 5 (1963), S. 304 – 345; Jack Goody, The interface between the written and the oral, Cambridge 1987. Zum Teil wurden diese anthropologischen Modelle auch wieder in die Erforschung der mittelalterlichen Gesellschaften zurückgetragen: Hanna Vollrath, Das Mittelalter in der Typik oraler Gesellschaften, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 571 – 594. 6 Dies gilt auch für Gadi Algazi, der im Übrigen sehr viel dazu beigetragen hat, das Grimm’sche Verständnis der ländlichen Rechtskultur Revisionen zu unterziehen. Gadi Algazi, Ein gelehrter Blick ins lebendige Archiv. Umgangsweisen mit der Vergangenheit im fünfzehnten Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 166 (1998), S. 317 – 357. 7 Simon Teuscher, La codification des coutums rurales à la fin du moyen âge. Les médias et les agents du droit oral, in: Revue d’histoire des Facultés de droit et de la culture juridique 35 (2015), S. 441 – 463; ders., Mediengeschichte des „mündlichen Rechts“ im späteren Mittelalter, in: ZRG GA 131 (2014), S. 69 – 88; ders., Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftlichung und Traditionsbildung im Spätmittelalter, Frankfurt a. M. 2007; ders., Kommunikationsraum im Wandel? Entwicklungen von Verfahren zur Feststellung von Rechtsgewohnheiten im savoyischen Waadtland 1350 – 1500, in: Neithard Bulst (Hg.), Politik und Kommunikation. Zur Geschichte des Politischen in der Vormoderne, Frankfurt a. M./New York 2009, S. 41 – 66.

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ich die Hypothese, dass sich Entscheidungen an Dinggerichten durchaus auch an schriftlichen Rechtssammlungen orientiert haben könnten, denen aber dort eine Art von Normativität zukam, die aus der Warte der gegenwärtigen gerichtlichen Entscheidungsfindung fremdartig wirkt. Die diskutierten Beispiele stammen aus einem vergleichsweise engen geographischen Raum: aus Gebieten der heutigen französischen und deutschen Schweiz. Ob die territorialherrlichen Rechte letztlich bei einer der großen Adelsherrschaften der Region (besonders den Savoyern und Habsburgern), einem Kloster oder bei einer städtischen Kommune lagen, war auf dieser lokalen Ebene eher sekundär.8 In fast allen Fällen haben wir es hier mit Schöffengerichten zu tun, in denen herrschaftliche Richter vor allem das Verfahren leiteten, während die aus den Abhängigen der Herrschaft rekrutierten Schöffen für Inhalte zuständig waren.9 In Fragen nach Prozessen der Entscheidungsfindung müssen wir deshalb beide einbeziehen. Erstens: Einer Diskussion über die Verlässlichkeit von Weistümern als Quellen zur Entscheidungsfindung müssen wir als Warnung vorausschicken, dass unser Wissen über mittelalterliche Dinggerichte insgesamt noch sehr limitiert ist.10 Generalisierungen lässt das Thema auch nur bedingt zu. Dinggerichte waren nicht nur örtliche, sondern auch grundlegend ortsspezifische Institutionen. Deren Aufbau und Verfahrensformen hingen stark von den bisweilen sehr komplexen und wechselhaften Herrschaftssituationen und Kommunalisierungsprozessen vor Ort ab. An den meisten Dinggerichten wurde wohl über Erbe, Besitz und Schulden entschieden, an manchen außerdem über Waldfrevel, Diebstahl, Gewalttaten und anderes mehr. Angesichts des meist recht bescheidenen Grads der Institutionalisierung sollte man nicht ohne nähere Anhaltspunkte voraussetzen, dass die Funktionsweisen dieser Gerichte über Jahrzehnte hinweg stabil bleiben. Demgegenüber suggerieren Weistümer feststehende Traditionen der schrift­losen Tradierung des geltenden Rechts. Dabei wird oft zu wenig berücksichtigt, dass 8 Für aktuelle Darstellungen der politischen Geschichte d ­ ieses Raums sei verwiesen auf: Susanna Burghartz, Vom offenen Bündnissystem zur selbstbewussten Eidgenossenschaft. Das 14. und 15. Jahrhundert, in: Georg Kreis (Hg.), Die Geschichte der Schweiz, Basel 2014, S. 136 – 183; Roger Sablonier, The Swiss Confederation in the 15th Century, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 7, Cambridge 1998, S. 645 – 670. 9 Jean-François Poudret, Coutumes et coutumiers. Histoire comparative des droits des pays romands du XIIIème à la fin du XVIème siècle, Bern 1998. 10 Elemente bringen: Werner Rösener, Dinggenossenschaft und Weistümer im Rahmen mittelalterlicher Kommunikationsformen, in: ders., Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 47 – 75; Gadi Algazi, Lords ask, Peasants answer. Making Traditions in Late Medieval Village Assemblies, in: Gerald Sider/Gavin Smith (Hg.), Between History and Histories. The Making of Silences and Commemorations, Toronto 1997, S. 199 – 229; ders., Ein gelehrter Blick (wie Anm. 6).

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Weistümer im eigentlichen Sinn – d. h. als Texte, die tatsächlich eine mündliche Verkündigung (Weisung) des Rechts schildern – keineswegs die einzige, ja nicht einmal eine besonders stark verbreitete Form der Überlieferungen lokaler Rechte aus dem Spätmittelalter darstellen. Mindestens ebenso repräsentativ für die ländliche Rechtsverschriftlichung sind Texte, in denen lokale Regeln als Ergebnis ganz anderer Vorgänge dargestellt und legitimiert werden: z. B. als Entscheidungen von Schiedsgerichten oder als Absprachen ­zwischen Herrschaften oder Herrschaften und Abhängigen zur Beruhigung eines Konflikts, die durchaus auch explizit als Neuerungen bezeichnet werden können.11 Karl-Heinz Spiess und Sigirid ­Hirbodian tragen dem Rechnung, indem sie nur notariell beglaubigte Aufzeichnungen von mündlichen Rechtsverkündigungen als Weistümer im eigentlichen Sinn (sie nennen sie „Formweistümer“) anerkennen.12 Allerdings fällt es ihnen dennoch schwer, sich von einem einseitig an diesen Texten orientierten Bild der ländlichen Rechtsüberlieferung zu lösen.13 Auch wenn Rechtsregeln in Texten festgehalten sind, die sich als Ergebnisse einer Tradition der Rechtsverkündigung ausgeben, stammten sie nicht zwingend 11 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7), S. 210 – 218, vgl. auch Joseph Morsel, Le prélèvement seigneurial est-il soluble dans les Weistümer? Apprehensions franconiennes (1200 – 1400). Pour une anthropologie de la rente seigneurale dans l’occident médiéval, in: Monique Bourin/Pascual Martínez Sopena (Hg.), Le prélèvement seigneurial d’après les Weistümer (XIIIe–XIVe siècle), Paris 2002, S. 155 – 210, und auch schon Ch.-Edmond Perrin, Recherches sur la seigneurie rurale en Lorraine d’après les plus anciens censiers (IXe–XIIe siècle), Paris 1935. 12 Karl-Heinz Spiess, Einleitung. Die Weistümer und Gemeindeordnungen des Amtes Cochem im Spiegel der Forschung, in: Christian Krämer/Karl-Heinz Spiess (Hg.), Ländliche Rechtsquellen aus dem kurtrierischen Amt Cochem, Wiesbaden 1986, S. 1 – 32, hier S. 6; Sigrid Hirbodian, Recht und Ordnung im Dorf. Zur Bedeutung von Weistümern und Dorfrechten in Spätmittelalter und Frühneuzeit, in: Kurt Andermann/Oliver Auge (Hg.), Dorf und Gemeinde. Grundstrukturen der ländlichen Gesellschaft in Spätmittelalter und Frühneuzeit, Epfendorf 2012, S. 45 – 63, hier S. 49. 13 Vgl. die Kritik von Hirbodian an meinen Arbeiten in zwei annähernd identischen Fußnoten in den beiden Festschriftbeiträgen: Hirbodian, Recht und Ordnung, S. 49, Anm. 16 (wie Anm. 12), und dies., Ländliche Rechtsquellen und die politische Kultur in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Carola Frey/Steffen Krieb (Hg.), Adel und Bauern in der Gesellschaft des Mittelalters. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Werner Rösener (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 6), Korb 2012, S. 165 – 176, hier S. 168 f., Anm. 12. Die Tatsache, dass gelegentlich ganze Serien Rechte tatsächlich (mit notarieller Beglaubigung) von den Abhängigen verkündet wurden, beweist nicht, dass dies die ursprüngliche und grundlegende Form der Bereitstellung rechtlicher Normen in der mittelalterlichen ländlichen Gesellschaft war und schon gar nicht, dass die zu einem bestimmten Zeitpunkt so aufgezeichneten Rechte immer schon so tradiert worden waren. In solchen Annahmen verbergen sich immer noch Prämissen der romantischen Vorstellung von Volksüberlieferung aus dem 19. Jahrhundert.

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aus einer schriftlosen Überlieferung. Tatsächlich kamen die Inhalte vieler Weistümer wohl weniger als Mitschriften unter der Gerichtslinde als an den Schreibtischen herrschaftlicher Kanzleien zu Stande – auch wenn sie letztlich in der einen oder anderen Form am Gericht verkündigt wurden.14 Ein Großteil der in ihnen festgehaltenen Bestimmungen ist wörtlich aus herrschaftlichem Schriftgut zusammenkompiliert: aus Urkunden, Urbarien und Amtseiden. Man verschriftlichte Weistümer oft gar nicht mit Blick auf die Entscheidungsfindung am Dinggericht, sondern um den Ansprüchen konkurrierender Herrschaften die eigenen Herrschaftsrechte entgegenzuhalten. In vielen Weistümern fehlen sogar einschlägige Bestimmungen zu Streitfällen unter den Dorfbewohnern, wie sie vor Dinggerichten regelmäßig ausgetragen wurden.15 Umgekehrt stehen durchaus andere Quellen zu Dinggerichten zur Verfügung. Sie sind aber bisher im Schatten der Weistümer geblieben. Etwas weniger sagenhafte, dafür aber in Raum und Zeit verortete Einblicke in das Geschehen an Dinggerichten vermitteln beispielsweise Zeugenaussagen oder Urkunden über dort ergangene Urteile.16 Es ist erstaunlich, dass diese urkundliche Überlieferung lange kaum genutzt wurde, um den Aussagewert von Weistümern zu überprüfen – selbst nicht zu den Zeiten, als die Geschichtswissenschaft neben dem „Urkundenbeweis“ wenig gelten ließ und beispielsweise die Zuverlässigkeit historiographischer Texte durch Gegenüberstellungen mit Urkunden gnadenlos hinterfragte. Weistümer sind schließlich auch deshalb nur bedingt als Quellen zu den Einzelheiten der Entscheidungsfindung an den Dinggerichten geeignet, weil sie (stärker noch als die mittelalterliche Historiographie) typisierten Darstellungsformen und Topoi verpflichtet sind. Dies gilt schon für die Darstellung der Protagonisten der Dinggerichte. Weistümer lassen mit allen Attributen ihrer Herrschaft ausstaffierte adlige oder geistliche Herren archaischen Bauern mit toten Hühnern in der Faust gegenübertreten – Herren, die sich in dieser Zeit meist an Höfen aufhielten und wunderselten persönlich in ihren ländlichen Herrschaften auftauchten. Folgt man hingegen dem Zeugnis von Urkunden, die an konkreten Sitzungen der Ding­gerichte ausgestellt wurden und deren Protagonisten beim Namen nennen, waren die Dinggerichte fest in den Händen der sozialen Mitte:17 Bis in die Zeit um 1400 waren viele bäuerliche Erblehen von städtischen Investoren und geistlichen Institutionen 14 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7); Monika Gisler, Mündlichkeit und Schrifthandeln. Eine Untersuchung aargauischer Offnungen des Spätmittelalters, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 51 (2001), S. 261 – 278; André Holenstein, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800 – 1800) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36), Stuttgart 1990. 15 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7), S. 206 – 256. 16 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7), S. 106 – 130. 17 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7), S. 73 – 85.

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gekauft worden, die sie ihrerseits an Vertreter tieferer Schichten verpachteten. Am Dinggericht erschienen aber die offiziellen Erblehensträger aus der Stadt oder die Rechtsvertreter geistlicher Herrschaften. Diese wiesen ungefähr die gleichen sozialen Merkmale auf wie die Amtsleute, durch die sich die Herren in der Praxis vertreten ließen: Sie gehörten der bäuerlichen Oberschicht, dem kleinen Adel oder dem Bürgertum von Städten und Kleinstädten an.18 Diesem Kreis darf man die Beherrschung der Schrift und auch eine etwas darüber hinausgehende Bildung zutrauen. Wenn wir also zweitens fragen, ­welche Rolle Rechtsregeln bei der Entscheidungsfindung von Dinggerichten spielten, stützen wir uns mit Vorteil auf Urkunden und Aussagen in Zeugenaussagen ab. Sofern diese Angaben zum Verfahren machen, berichten sie kaum je, dass die verhandelten Fälle unter eine zuvor mündlich verkündete, abstrakte Rechtsregel subsumiert worden wären. Häufiger belegt ist, wie die Richter den Schöffen den ganzen Streitfall vorlegten, indem sie z. B. in einem Erbstreit fragten, ­welche der beiden Streitparteien erben solle. Die Schöffen gaben nach Beratungen unter sich einhellig Antwort, im Beispiel, ­welche Partei nun erben durfte. In dieser Antwort war eine generelle erbrechtliche Regelung oft implizit und manchmal explizit enthalten.19 Diese Form der Verschriftlichung legt nahe, dass in den Gerichtsentscheiden Rechtssetzung und Rechtstradierung übergangslos ineinanderflossen. Mit einer Formulierung, mit der Janet Nelson, auch in Anlehnung an die Befunde Karl Kroeschells, frühmittelalterliche Gerichtsverfahren charakterisierte, könnten wir davon sprechen, dass hier Recht das war, was für kompetent befundene Leute zum Recht erklärten und als Recht brauchten.20 Etwas näher möchte ich auf eine Zeugenbefragung eingehen, in der sogar die Rede ist von explizitem Widerstand gegen Versuche, Rechtsregeln als abstraktes Wissen von den konkreten Streitfällen zu unterscheiden.21 Der Kontext war bezeichnend: Im Jahr 1430 erließen die Herzoge von Savoyen mit den Statuta Sabauda ein Landrecht für das ganze Herzogtum. Gegen die damit verbundene Vereinheitlichung und explizite Festschreibung formierte sich im Aostatal und im Waadtland massiver Widerstand. Die Herzöge kamen nicht umhin, diesen beiden Gegenden das Privileg einzuräumen, nach ihren eigenen, weitgehend ungeschriebenen Rechten oder consuetudines beurteilt zu werden.22 Dies galt es auch ­sicherzustellen, wenn 18 So auch beobachtet von Hirbodian, Recht und Ordnung (wie Anm. 12), S. 58. 19 Teuscher, Erzähltes Recht (wie Anm. 7), S. 48 – 58. 20 Janet L. Nelson, Politics and Ritual in Early Medieval Europe, London 1986, S. 62. Vgl. Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: (1250 – 1650), Opladen 1992, S. 84 – 86 und 122 – 125. 21 Ich habe mich ausführlicher mit ­diesem Fall beschäftigt in: Teuscher, Entwicklungen von Verfahren (wie Anm. 7). 22 Jean-Daniel Morerod/Denis Tappy, L’introduction des Statuts de Savoie de 1430 dans quelques régions romandes, in: Mémoires de la Société pour l’histoire du droit et des

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eine Streitpartei ein Urteil von einem Aostataler oder Waadtländer Gericht an den herzoglichen Hof als Appellationsinstanz weiterzog. Das Hofgericht der Savoyer bot deshalb jeweils Männer auf, die als Autoritäten des betreffenden regionalen Rechts galten: Die Träger städtischer und herzoglicher Ämter, und weil sich vor allem letztere oft bei Hof aufhielten, auch deren locumtentes oder lokale Stellvertreter. Sie dienten Tag für Tag als Richter, probiviri oder Schöffen an den Gerichten im Waadtland oder im Aostatal. Sie wurden eingeladen, an den Hof zu reisen, dort den Verhandlungen des Gerichts beizuwohnen und ­dieses während der ganzen Verhandlung zu beraten. Insgesamt deckten ­solche Zeugen weite Teile der oberen sozialen Schichten ­zwischen Kleinadel und kleinstädtischen Patriziaten ab. Zum offenen Konflikt kam es nun im Jahr 1437, als der Hof diese Vorgehensweise ändern wollte. Diesmal fingen Kommissare des Hofgerichts die eben angekommenen Experten aus dem Waadtland schon in ihrer Herberge ab. Die Waadtländer sollten nicht mehr an den eigentlichen Appellationsverhandlungen teilnehmen. Stattdessen sollten sie außerhalb der Verhandlungen in Einzelverhören über einige für den Fall relevante Rechtsregeln befragt werden. Die Waadtländer Experten aber weigerten sich, sich in dieser Weise zu abstrakten Rechtssätzen zu äußern, ohne dass sie die Parteien und deren Streitfall vor sich hatten. Noch viel weniger waren sie bereit, sich per modum examinis Einzelverhören zu unterziehen. Vielmehr sollte ihre Aufgabe doch wie bisher darin bestehen, ad consulendum et informandum animum iudicis 23 die Richter zu unterrichten und zu beraten. Diesmal setzten sich die Kommissare des Hofs allerdings durch. In den folgenden Jahren gingen sie dazu über, lokale Rechte durch Zeugenbefragungen zu untersuchen, die aus den Verfahren, in denen man diese Rechte anwenden wollte, ausgelagert waren. In einer Frühphase erwartete man von den Zeugen noch Aussagen über abstrakte Sätze oder relevante Gerichtsentscheide. Später ließen die Befragungen fast nur noch Aussagen über alltägliche Handlungsweisen gelten, an denen sich die unhinterfragte Befolgung von Rechten zeigen sollte. Diese wurden jetzt zum einen immer öfter als alte consuetudines umschrieben. Gleichzeitig wollten die zentralen, territorialherrlichen Gerichte darin aber ein ganz zeitgemäßes Recht nach dem Vorbild der erlassenen Landrechte sehen – eines, unter das sie Fälle subsumieren konnten. Auf was für ein Recht hatten sich denn die alten Dinggerichte ihrerseits bei der Entscheidungsfindung gestützt? Es scheint ja, dass man unter das Recht der älteren dinggerichtlichen Verfahrensformen die konkreten Gerichtsfälle ebenso wenig ­subsumierte, wie man es von diesen abstrahierte. Allerdings sollten wir nicht ­institutions des anciens pays bourguignons, comtois et romands 52 (1995), S. 29 – 48. 23 Enquête d’Aubonne (1437), ed. in: Jean-François Poudret/Jeanne Gallone-Brack (Hg.), Les Sources du droit du Canton de Vaud. Époque Savoyarde (XIIIe – XVe siècle). Partie A: Coutume, Vol. I: Enquêtes, Aarau 1972, S. 53.

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leichtfertig der Verlockung nachgeben, ­dieses Recht als ein Gewohnheitsrecht in dem Sinn zu verstehen, dass mit der Gewohnheit als unhinterfragtem alltäglichem Handeln übereingestimmt hätte. Das hieße, aufs Neue das Bild einer ländlichen Gesellschaft aufkommen zu lassen, in der Handlung und Norm zusammenfallen.24 Dies hat schon die auf Otto Brunner zurückgehende Tradition der Geschichtsforschung getan. Von einem leicht verortbaren ideologischen Standpunkt aus beschrieb sie Zustände, in denen es „wesensmäßig“ gar kein Recht, stattdessen aber konkrete Ordnungen gegeben hätte, in denen Macht und Norm zur Ununterscheidbarkeit amalgamiert gewesen wären.25 Der Vorstellung, wonach Recht und Handeln in der ländlichen Rechtskultur zusammenfielen, leisten nicht zuletzt Verfahren und Quellen aus einer späteren Zeit Vorschub, während derer man neue Anforderungen an die rechtliche Ordnung stellte. Wenn die Gerichte der großen Territorialherren des 15. Jahrhunderts ungeschriebene Rechte dadurch zu klären versuchten, dass sie sie die Zeugen über Alltagshandlungen befragten, wiesen sie letzteren den Status von Indizien zu, dem Recht selbst aber den Status einer erkennbaren und beweisbaren Wahrheit. Damit war auch eine Verschiebung der Deutungsgewalt von den lokalen Akteuren zu den Territorialherrn samt ihren Juristen und Amtsleuten verbunden. So wurde die Feststellung des geltenden Rechts in deutlicher Abkehr von früheren Verfahren und oft gegen den Widerstand lokaler Potentaten zum Gegenstand epistemischer Verfahren.26 Es liegt an diesen Verfahren selbst, dass das Recht immer schon als etwas erscheint, was man noch nicht gut genug kennt, zu dem auf Seiten der Gerichte ein Wissensdefizit bestand, das sich durch Untersuchungen der Normvorstellungen oder der Praktiken der betroffenen Bevölkerung beheben ließ. Als Wissenschaftler des 21. Jahrhunderts sind wir zwar auch wissensdurstig. Deshalb ­müssen wir aber die epistemischen Operationen der territorialstaatlichen Gerichte ab 24 So etwa wieder bei: Martin Pilch, Rechtsgewohnheiten aus rechtshistorischer und rechtstheoretischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte – Legal History 17 (2010), S. 19 – 39, hier S. 23, vgl. S. 30 f. Vgl. ders., Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten. Kritik des Normensystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, Wien 2009, z. B. S. 184, 237 und 245. 25 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundlagen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter, Darmstadt 51984 (1. Aufl., Baden b. Wien 1939). Zur Kritik an seinem Ansatz: James Van Horn Melton, From Folk History to Structural History. Otto Brunner (1889 – 1982) and the Radical-Conservative Roots of German Social History, in: Ders./Hartmut Lehmann (Hg.), Paths of continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 263 – 292; Gadi Algazi, Otto Brunner – „Konkrete Ordnung“ und Sprache der Zeit, in: Peter Schöttler (Hg.), Geschichte als Legitimationswissenschaft 1918 – 1945, Frankfurt a. M. 1998, S. 166 – 203. 26 Teuscher, Entwicklungen von Verfahren (wie Anm. 7).

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dem 15. Jahrhundert nicht nachvollziehen. Wir müssen nicht wie sie von einem Manko an Rechtswissen ausgehen und d ­ ieses dafür verantwortlich machen, dass man dort hergebrachtes Handeln oder beliebige Vereinbarungen von Potentaten mit Recht verwechselte. Drittens zur Rolle von Rechtssammlungen: Die Prämisse des Wissensdefizits setzt nicht zuletzt voraus, dass die reiche mittelalterliche Rechtskultur mit ihren groß angelegten Sammlungen und Systematisierungen von Rechtsregeln spurlos an den ländlichen Dinggerichten vorbeigegangen wäre – im Grunde eine recht gewagte Hypothese. Denn sie setzt stillschweigend eine grundlegende Rückständigkeit der Landschaft voraus, wie sie eher zum Selbstverständnis der modernen Städter als zu den Verhältnissen im Mittelalter passt. In der Anthropologie wird in letzter Zeit intensiv über symmetrisierende oder rekursive Untersuchungsmethoden nachgedacht. Diese versuchen zu vermeiden, dass wir fremde Ontologien nicht-westlicher und nicht-moderner Gesellschaften in erster Linie durch deren Wissensdefizite erklären. Stattdessen fragen sie, ob in fremdartigen Praktiken nicht ein ganz anderes als unser eigenes Verständnis von Welt, von Natur oder eben von Recht zum Ausdruck kommt.27 In diesen Sinn möchte ich die Hypothese wagen, dass die Protagonisten der Dinggerichte mit aufgeschriebenem Recht durchaus vertraut waren, ­diesem aber einen anderen Status zuschrieben als heutige Gerichte heutigen Gesetzen. Ich denke vor allem an Kompilationen aus Regeln in der Form von Rechtsbüchern wie dem Schwabenspiegel, der Summe Bruder Bertholds und den unzähligen auf deren Grundlage zusammengestellten Repertorien, Nachschlagewerken und ­Abecedarien.28 Sie enthalten vielfältige Normen und Rechtssätze, die teils aus den

27 Caroline Arni, Nach der Kultur. Anthropologische Potentiale für eine rekursive Geschichtsschreibung, in: Historische Anthropologie 26 (2018), S. 200 – 223; Martin Holbraad/ Morten Axel Pedersen, The Ontological Turn. An Anthropological Exposition, Cambridge 2017. Für Anwendungsbeispiele: Jérôme Baschet, Corps et âmes. Une histoire de la personne au moyen âge, Paris 2016; Greg Anderson, Lost Worlds of the Past. The Case for an Ontological Turn, in: American Historical Review 120/3 (2015), S. 787 – 810. 28 Peter Johanek, Literaturgattung und Wirkungsgeschichte. Überlegungen zur Werkbezeichnung der „Summe“ Bruder Bertholds, in: Karl Hauck/Karl Kroeschell (Hg.), Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Festschrift Ruth Schmidt-Wiegand zum 60. Geburtstag, Berlin 1986, S. 353 – 373; Marlies Hamm, Die Entstehungsgeschichte der „Rechtssumme“ des Dominikaners Berthold. Ihr Verhältnis zur „Summa Confessorum“ des Johannes von Freiburg und zu deren lateinischen Bearbeitungen, in: Dies./Helgard Ulmschneider (Hg.), Die „Rechtssumme“ Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der „Summa Confessorum“ des Johannes von Freiburg. Untersuchungen I, Tübingen 1980, S. 35 – 114; Winfried Trusen, Die Rechtsspiegel und das Kaiserrecht, in: ZRG GA 102 (1985), S. 12 – 59.

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beiden gelehrten Rechten stammen, teils aus der städtischen und ländlichen weltlichen Rechtspraxis zusammengetragen sind. Relevant für meine Problemstellung ist weniger die alte Frage, wie diese Rechtssammlungen entstanden, als wie sie gebraucht und überliefert worden sind. Obwohl sie im Süden fast nirgends das gültige Recht repräsentierten, liegen sie bis heute in Hunderten von Manuskripten aus den Jahrzehnten um 1500 vor, oft in Sammelhandschriften, in denen ihre ursprünglichen Nutzer Spuren hinterließen.29 Man müsste diese Überlieferung systematisch aus der Perspektive einer material philology untersuchen. Das heißt, sich außer mit den Texten, auch mit der Materialität der überlieferten Manuskripte auseinanderzusetzen. Lena Rohrbach hat diesen Ansatz für die nordeuropäischen Rechtsbücher mit großer Konsequenz und beachtlichen Ergebnissen durchgespielt.30 Sie sucht Hinweise auf das soziale Milieu und den Handlungszusammenhang, aus dem ein Manuskript stammt. Hier kommt es darauf an, dass wir das Bild hinterfragt haben, das die Weistümer von den Protagonisten der Dinggerichte zeichneten. Denn dort trafen eben weniger Adlige in Ritterrüstung auf analphabetische Bauern. Vielmehr waren oft beide Seiten durch schriftkundige Amtsleute vertreten. Viele Manuskripte enthalten offensichtliche Hinweise darauf, dass sie einst Prestigeobjekte der Haushalte von Kleinadligen und Patriziern waren, die typischerweise als herrschaftliche Amtsleute fungierten. Sie liegen zwar heute mehrheitlich in den Archiven und Bibliotheken von Klöstern und Städten. Dahin sind aber viele aus dem privaten Besitz von Stadtbürgern, Patriziern und kleinen Adligen gelangt. Schon ein flüchtiger Blick in Ulrich-Dieter Oppitz’ Verzeichnis der Handschriften deutscher Rechtsbücher zeigt, dass nicht wenige Vorbesitzer sogar alltagspraktische Aufzeichnungen in den Sammelhandschriften hinterließen: Kalender,31 Lieder,32 Hausbücher,33 Koch- oder Arzneirezepte.34 Dass die Kreise, aus denen sich auch 29 Vgl. Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bde. I–III, Köln 1990 – 1992. 30 Lena Rohrbach (Hg.), The Power of the Book. Medial Approaches to Medieval Nordic Legal Manuscripts (Berliner Beiträge zur Skandinavistik 9), Berlin 2014; dies., Die Macht der Ordnung. Ein Buchprojekt zu textuellen Umformungen und paratextuellen Apparaten in spätmittelalterlichen Rechtsbuchhandschriften Nordeuropas, in: Nordic History Blog, 2014, online unter: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2149 [09. 03. 2020]; dies., Matrix of the Law? A Material-Medial Study of Staðarhólsbók, in: dies. (Hg.), Power of the Book, S. 99 – 128. 31 Oppitz (wie Anm. 29), S. 341, Nr. 17, S. 343, Nr. 23 und S. 444, Nr. 358. 32 Oppitz (wie Anm. 29), S. 347, Nr. 38. 33 Oppitz (wie Anm. 29), S. 380, Nr. 162, S. 440, Nr. 346, S. 471, Nr. 434 und S. 558, Nr. 693. 34 Oppitz (wie Anm. 29), S. 394, Nr. 208 und 209, S. 431, Nr. 322, S. 446, Nr. 363, S. 469, Nr. 427, S. 514, Nr. 562, S. 527, Nr. 599, S. 556, Nr. 685, S. 558, Nr. 693 und S. 563, Nr. 702.

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die Protagonisten ländlicher Dinggerichte rekrutierten, mit den Rechtsbüchern bestens vertraut waren, bezeugen auch weitere Quellen. So haben Zitate aus diesen Büchern wörtlich Eingang in Weistümer gefunden. Und Experten aus dem Waadtland, die man fragte, wie ihre heimischen Gerichte entschieden hätten, beriefen sich auf den Livre de Charlemagne, das Buch Karls des Großen, als das eine französische Version des Schwabenspiegels in der Region bekannt war.35 Was wäre das für ein Recht, das viele Protagonisten der Dinggerichte gekannt hätten, bei ihren Urteilssprüchen aber nicht allegierten und unter das sie nicht subsumierten? Gemäß dem Ansatz der symmetrischen Anthropologie lautet die produktive Frage, was für eine – uns möglicherweise unvertraute – Art von Normativität die Zeitgenossen solchen Rechtssammlungen zuwiesen. Es gibt in den Manuskripten der Rechtsbücher, in den Prologen, Epilogen und weiteren rahmenden Texten Passagen, die sich als Antworten auf diese Frage lesen lassen. Ich möchte zwei Beispiele erwähnen. Die erste stammt aus dem bekannten Prolog zum Schwabenspiegel: Vnd dar vmbe will man an d ­ iesem bvche leren alle die gerihtes phlegen svln wie si zerehte svln rihten als maenic hailigen man die in der alten e vnd in der niven e gvte rihter waren vnd also habent gerihtet daz si mit ihr gerihte die ewigen vrovde hant besezzen. Vnd swer och anders rihtet was alz dies buoch leret, der soll wizzen daz got vil zornliche vber in r­ ihten andem ivngsten tage.36

Hier gibt sich das Buch zunächst als Hilfsmittel für alle aus, die am Gericht tätig sind. Ihnen wolle es zeigen, wie sie recht richten sollen. So nämlich wie die heiligen Männer im Alten und im Neuen Testament, die gute Richter waren und durch ihr Richten die Seligkeit erlangten. Umgekehrt drohe denen, die anders richten, Gottes eigenes Gericht. Mein zweites Beispiel aus dem 15. Jahrhundert bildete ein Zürcher Manuskript, in dem auf den Schwabenspiegel zwei Gedichte folgen.37 Das erste vergleicht die Tugenden eines friedlichen Herzens mit den Ämtern eines Klosters. Das zweite trägt den Titel „Zwölf Gassen hant der Tüffel“ und beschreibt, wodurch sich die Träger unterschiedlicher sozialer Rollen zu versündigen drohen:

35 Z. B. „et vidit unum librum tam in vulgali gallico quam in allamagnico qui incohatur ,Le Roy Challemayne,‘ ubi multa de consuetudine et casibus consuetudinis ponuntur“, in: Enquête de Châlon 1470 – 71, ed. in: Poudret/Gallone-Brack (wie Anm. 24), S. 326. – Eine französische Version des Schwabenspiegels ist überliefert in der Burgerbibliothek Bern, Cod. A 37, vgl. Oppitz (wie Anm. 30), S. 396, Nr. 217. 36 Schwabenspiegel nach einer Handschrift vom Jahr 1287 von Freiherr von Lassberg, Tübingen 1840, S. 4. 37 Zentralbibliothek Zürich, Ms C31 (720) fol. 230 – 233.

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Simon Teuscher

Zwölff gassen hant der tüffel ut sequitur alt lütt torhait richlütt unbarmherzig wittwen an göttlich mynne gaistlich lüt an weiung ee lüt ano fryd kaufflüt an warhait jung lütt ungezogen arm lüt hochfärtig megt ane küscheit pfaffen an kunst herren an ere richter die das unrecht zerecht machunt

Alte versündigen sich durch Torheit, Geistliche durch die fehlende Weihe, Arme durch Hoffart, Mädchen durch fehlende Keuschheit etc. Richter aber, so endet das Gedicht, wenn sie das Unrecht zu Recht machen. Solche Passagen binden die Bücher sehr eng an die Funktion, jene, die bei Gericht tätig sind, in einer frommen Lebensführung zu unterstützen. Den Schreibern solcher Passagen schwebte offenbar weniger ein Gebrauch der Rechtssammlung im Gerichtsverfahren selbst und durch die strenge Subsumption von Tatbeständen durch die „Anwendung“ des Rechts auf den Fall vor. Vielmehr sollten im Rechtsbuch jene, die bei Gericht tätig waren, Rat dazu finden, wie sie es vermeiden konnten, sich bei der Entscheidungsfindung zu versündigen. Die Unterscheidung klingt vielleicht zunächst spitzfindig. Sie vermag aber einsichtig zu machen, wieso Urteile von Dinggerichten in Urkunden nicht durch Hinweise auf die in solchen Texten enthaltenen Regeln begründet wurden, obwohl man diese kannte und wohl auch brauchte. Denn selbst ein Rechtsbuch wie ein Schwabenspiegel hätte einen Status, den man in anachronistischer Überspitzung als Ratgeberliteratur oder Lebenshilfe für Richter, zeitgemäßer vielleicht als Heilsinstrument, umschreiben könnte. Für die Summe Bertholds dürfte dies ohnehin gelten. Das ließe sich dann vielleicht auch in die Nähe der Ermahnung judicabit judices rücken, die Peter Oestmann mit Ausgangspunkt im Lübecker Gerichtsgebäude untersucht hat – eine Ermahnung an die Richter, beim Richten daran zu denken, dass auch sie am Jüngsten Gericht nicht zuletzt für ihr Richten gerichtet werden.38 In eine ähnliche Richtung weist, dass sich die Bettelorden besonders um die Redaktion und Verbreitung von Rechtssammlungen verdient machten oder dass 38 Peter Oestmann, Der irdische Richter vor dem jüngsten Gericht. Eine Lübecker Wandinschrift im ehemaligen Konsistorialsaal, in: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte 93 (2013), S. 35 – 65.

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in zahlreichen Manuskripten auf Rechtsbüchertexte Andachtsliteratur folgt.39 Ich will mich nicht bis zum Begriff der Rechtsfrömmigkeit versteigen, aber doch den Gedanken in Betracht ziehen, dass gerade auch rechtliche Handschriften, deren Inhalte zu einem schönen Teil Übernahmen aus dem kanonischen und römischen Recht und aus Statuten darstellten, Teil von normativen Orientierungen gewesen sein könnten, die anders verstanden und gebraucht wurden als die Gesetze in modernen Gerichten. Wenn dem so wäre, müssten wir Dinggerichte nicht mehr als Ausdruck einer oralen oder sonst wie den aktuellen Entwicklungen des Rechts hinterherhinkenden Kultur erklären. Sie hätten vielmehr an der gelehrten mittelalterlichen Rechtskultur partizipiert, zwar in ihrer eigenen Weise, die sich aber in die weitere mittelalterliche Rechtskultur durchaus einordnen lässt: Schließlich teilten durchaus auch gelehrte Juristen ein Verständnis, gemäß dem das Recht in den meisten Hinsichten den Erfordernissen des Heils untergeordnet war.

39 Helgard Ulmschneider, Kanonistische Literatur in mittelalterlichen Rechtsbüchern. Zu den Quellen der „9 Bücher Magdeburgischen Rechts“ in der Bearbeitung des ­Johannes Lose, in: Konrad Kunze/Johannes G. Mayer/Bernhard Schnell (Hg.), Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 168 – 188; Johanek (wie Anm. 29); Hamm (wie Anm. 29).

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A Common Lawyer Reflects on Adjudication in a Civil Law Court

On 5 June 1652, readers of the newspaper Mercurius Politicus were advised from Scotland that ‘the English judges here have sat now these 12 daies for the administration of justice’.1 The event seemed newsworthy because, until the previous year, Scotland had been a separate country from England, with its own judges, administering justice under its own laws. While both countries had been ruled by the same man between 1603 and 1649, his kingdoms had remained distinct. In 1649, after a decade of civil war, the reigning king had been tried and executed in England. The response in Scotland had been to declare his eldest son the lawful ruler of both countries. An army had been sent north under the command of Oliver Cromwell and it effectively conquered Scotland in 1651. The major institutions of government had then been dissolved, including the central civil court, known colloquially as the ‘session’ and more properly as the ‘College of Justice’.2 The fifteen judges of the court (known colloquially as the ‘lords of council and session’ and more properly as ‘Senators of the College of Justice’), who for the past decade had been hearing cases in the Parliament House in Edinburgh, were replaced with seven ‘commissioners for the administration of justice to the people in Scotland’. Those judges were to hear cases in the same building until the close of the 1650s, when the monarchy was restored and Scotland regained its independence. Most of the judges sent up from England were practitioners in the courts of common law that sat in Westminster Hall, but one of those first appointed had been trained for practice in the few specialist courts in England that followed the civil law.3 The readers of Mercurius Politicus were assured that ‘there is little difference betwixt our lawes, save only in the terms and forms’, yet it was widely known that the court in Scotland had been more open to influence from the civil law than

1 Mercurius Politicus, Comprising the Summe of All Intelligence, with the Affairs and Designs Now on Foot in the Three Nations of England, Ireland and Scotland, no. 106, p. 1664; reproduced in C. S. Terry (ed.), The Cromwellian Union, Edinburgh 1902, pp. 180 f. 2 On the original practice of the College of Justice see Mark Godfrey’s contribution to this volume. 3 J. D. Ford, Law and Opinion in Scotland during the Seventeenth Century, Oxford 2007, pp. 93 – 95.

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John D. Ford

the common law courts had been.4 Even the author of the report in Mercurius Politicus acknowledged that the ‘method of proceedings’ was different in Scotland, where the College of Justice had developed its own variant of Romano-canonical procedure.5 It had been accepted that the new commissioners for the administration of justice would need to adhere in their proceedings to the settled style of the College of Justice, ‘because of the want of English clarks and attournies’. Most of the judges appointed to sit in the court would be English lawyers, as would a few of the clerks involved in compiling the court’s records, but otherwise the court would be staffed with local practitioners. Although one or two Englishmen were to enter practice at the Scottish bar, the lawyers who represented litigants before the court would mostly be ‘advocates’ who had studied at continental universities. The cases in which they appeared would be brought before the court by means of documents drafted by ‘writers to the signet’, who had mastered the local ‘forms’ by serving apprenticeships with established writers. Along with the lords of session, the clerks, advocates and writers to the signet had all been members of the College of Justice, and they were expected to maintain its style in proceedings before the new commissioners for the administration of justice. The common lawyers who travelled to Scotland during the 1650s were thus to experience the operation of a tribunal that they would have regarded as a civil law court.6

I.  The Courts in Westminster Hall and the Parliament House Compared In the first of two parts of this essay, attention will focus on how one of the common lawyers who served in the Scottish court came to reflect on his experience and to compare that court with those in England. William Lawrence became a commissioner for the administration of justice in 1653, when the civil lawyer originally appointed to serve in the court was removed from the bench.7 After becoming ‘proficent in the municipal law’, Lawrence had been admitted to practice before the English courts in 1641, and he was to return to practice there in

4 William Camden, Britannia, London 1607, pp. 8 f.; The Workes of the Most High and Mightie Prince, James, London 1616, pp. 520 – 522; Arthur Duck, De usu et authoritate iuris civilis Romanorum, London 1653, pp. 161 – 166. 5 A. M. Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland: The Origins of a Central Court, Leiden 2009, pp. 161 – 206. 6 For the English civil lawyers and the specialist courts in which they practised see B. P. Levack, The Civil Lawyers in England, 1603 – 41, Oxford 1973. 7 J. Ferris, Lawrence, William (c. 1613 – 1682), in: Oxford Dictionary of National Biography, www.oxforddnb.com.

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1660.8 Twenty years later, shortly before his death in 1682, he published a book he had been working on for some time under the title Marriage by the Morall Law of God.9 As the title indicates, the main thesis of the book was that marriage ought to be regulated by divine rather than human law, one implication being that the present king had been lawfully married to the mother of his Protestant son, the duke of Monmouth, who consequently had a better claim to the throne than the king’s Catholic brother, the duke of York. Lawrence’s book is therefore of some interest as a contribution to the debate surrounding the ‘Exclusion Crisis’ at the close of the 1670s, but what matters for present purposes is that in writing it he reminisced repeatedly about his judicial experience in Scotland during the 1650s. Although he objected to the application of human law to matrimonial disputes in Scotland as much as in England, he had been favourably impressed with the way in which litigation was conducted north of the border. ‘I must acknowledg and testifie to the honour of their form of judicial proceedings’, he wrote at one point, explaining elsewhere that he much admired ‘the prudence of that noble kingdom, where the people enjoy so great justice with so little cost and contention’.10 He had come to believe that the central court of Scotland was a great deal more efficient than the central courts of England in the way it went about determining disputes. He made this especially clear in the second half of his book, where he moved on from discussing the law that ought to be followed in the handling of matrimonial disputes to write about the courts that ought to deal with them. His discussion of the latter topic led him into several digressions on the operation of the courts, one of which deserves close attention here. Although Lawrence believed that the courts in Westminster Hall had no business dealing with issues of matrimonial law, he took the opportunity in this passage to suggest that the proper business of those courts could be dealt with by just three judges, instead of the current thirteen, which he believed would save litigants a great deal of expense if they continued to pay fees, or the country the same expense if the judges instead received salaries, as he believed they should.11 8 Anthony à Wood, Athenae Oxonienses, 5 vols, ed. P. Bliss, London 1813 – 20, Vol. 4, cols 62 – 3. 9 Ford, Law and Opinion in Scotland, pp. 166 – 173. 10 Marriage by the Morall Law of God, no place of publication identified, 1680, pp. 283 and 304 (in quotations here and generally the original punctuation and capitalisation of the passages reproduced has not been adhered to strictly). 11 Marriage by the Morall Law of God, pp. 281 – 283. Lawrence remarked that in Scotland during the 1650s it had been ‘found by experiment that far more exact justice was done by salary than ever any was done by fees’ (pp. 262 f.). The same experiment had also been conducted in Ireland (T. C. Barnard, Cromwellian Ireland: English Government and Reform in Ireland, 1649 – 60, Oxford 2000, p. 277).

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‘And that three judges are sufficient to do this’, Lawrence commented, ‘I speak by experience, for there were but four English judges sent into Scotland, and sometimes there were but three and sometimes but two there’. Although four English judges had been appointed, they had occasionally been required to take on other roles, for instance by becoming members of several parliaments assembled in London, or by serving on an executive council established in Edinburgh, and this enabled Lawrence to claim that there had been between two and four English judges in the Scottish court.12 About three judges, he maintained, had been able to discharge all the equivalent ‘offices and power of the judges in Westminster, of the chancery, kings bench, common pleas and exchequer’. Of the courts listed, the last three administered justice according to the common law of England, while the first operated instead as a court of equity or conscience.13 Indeed, it was through the operation of the courts of king’s bench, common pleas and exchequer that a distinctive royal justice common to the entire country had taken shape. Four ‘justices’ sat in each of the common law courts, while the chancellor dealt on his own with cases of equity or conscience. Lawrence mentioned that the common law judges, as well as hearing cases in Westminster Hall during the court terms, also went on circuits around the country during the vacations, where they handled criminal as well as civil business and performed various administrative tasks.14 The lords of session had not left the Parliament House to go on circuits around the country, nor had they dealt with criminal business, and there had been a separate court of exchequer in Scotland too. Lawrence was able to point out, however, that during the 1650s the English judges sent to Scotland had served in a central criminal court as well as in the central civil court, that they had been appointed to sit in the exchequer court after it was revived in 1655, and that they had also been assigned various other judicial functions.15 He therefore felt able to claim that around three judges sitting in the Parliament House had discharged the same range of responsibilities as the thirteen judges sitting in Westminster Hall. As he recalled, the Scottish court had dealt effectively with the business brought before it, and with relatively little trouble and expense to litigants, despite having fewer judges than the courts in Westminster Hall. He proceeded to offer a series of explanations for the greater efficiency of the court in Scotland, and to argue that fewer judges would also s­ uffice in England if 12 Ford, Law and Opinion in Scotland, pp. 98 – 101 and 108 – 116. The relationship between the English judges and the Scots whom Lawrence omits to mention will be returned to in the second part of this essay. 13 J. H. Baker, An Introduction to English Legal History, London 2002, pp. 37 – 52 and 97 – 116. 14 Marriage by the Morall Law of God, p. 282. 15 F. D. Dow, Cromwellian Scotland, 1651 – 60, Edinburgh 1979, pp. 55 – 57, 174 f. and 178.

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practice there were brought into line with practice north of the border. The explanations he offered are worth examining in turn, even if — ​as will be argued in the second part of this essay — ​they are not completely convincing. Lawrence’s first and — ​at least to his mind — ​most important explanation for the efficiency of the Scottish court was that the judges had been ‘saved the labour of having causes tossed and tumbled from chancery to common law, the chancery and common law being there united, and pleas of equity admitted in the same court, and, there being no juries in civil actions, the same persons were judges of fact, law and equity’.16 Elsewhere in his book, Lawrence discussed the classic example of a cause that had to be raised in chancery after being heard at common law. If someone who was obliged to pay money by a written bond did pay the debt but failed to obtain a written discharge of the bond, or if he obtained a discharge but lost it in a fire or something of the sort, a common law court would find that the debt remained unpaid, since no acceptable evidence of the payment could be produced. A debtor required to make a second payment might raise an action in chancery, where it would be found that in conscience — ​that is, with knowledge of all the facts — ​the creditor could not demand payment again, yet this would be both laborious and costly, and too laborious and costly to be worthwhile unless the amount of money involved was quite large.17 ‘All which pleas of equity’, Lawrence commented, ‘might have been far better determin’d in the same court of common law, as is excellently well done in Scotland’.18 In a case like the one outlined, the lords of session would have been able to turn from exercise of their officium mercenarium to exercise of their nobile officium, so that a satisfactory solution could have been arrived at in a single action.19 Lawrence believed that there were two reasons why this could not happen in England. The distribution of responsibility for resolving issues of law and equity between different courts was one, but a more fundamental problem was the distribution of responsibility for resolving issues of law and fact between different bodies. The justices in the common law courts were required to issue judgments on any questions of law that arose in cases, but any questions of fact were to be determined by the verdict of a jury, consisting of twelve laymen. As questions of equity arose when the straightforward application of the law to the facts of a case would result in a 16 Marriage by the Morall Law of God, pp. 282 f. 17 For this understanding of the term ‘conscience’ see M. Macnair, Equity and Conscience, in: 27 Oxford Journal of Legal Studies, 2007, p. 659. 18 Marriage by the Morall Law of God, p. 63. 19 James Dalrymple, Viscount Stair, The Institutions of the Law of Scotland, Edinburgh 1693, 4.3.1. The author of this famous treatise began his judicial career as one of the commissioners for the administration of justice.

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decision that seemed ­unsatisfactory, they could only be addressed by judges who investigated the facts of cases and had a sense of the suitability of applying the law to the facts. In the common law courts the four justices were expected to consider the law applicable to hypothetical facts alleged by litigants, and not to consider what had actually happened or what justice required in all the circumstances of a case. The twelve jurors, on the other hand, were expected to consider the truth of the allegations of fact made by the litigants, and not to consider the outcome of cases, which would already have been determined by the justices, working on the hypothesis that certain allegations of fact could be proved to be true. Thus, the problem was not merely that separate courts of law and equity had been created, but that it had been necessary for a court of equity to be created because the courts of law operated in a way that made it impossible for them to resolve issues of equity. Remembering his experience in Scotland, Lawrence had come to believe that it would be better to have in each court ‘a judg commissionated with jurisdiction of fact, law and equity’.20 Another of the explanations Lawrence offered for the efficiency of the Scottish court was related to the first. He thought it significant that ‘councel could not speak to matter of fact in civil actions before juries or at nisi priuses, there being none’. If an issue of fact arose in a case before a court of common law, jurors living in the area where the events were alleged to have occurred were summoned to appear before the justices in Westminster Hall. As this was a burdensome requirement, especially when the events were alleged to have occurred somewhere distant from London, the system had been changed in the thirteenth century so that jurors were summoned to appear at Westminster unless beforehand (nisi prius) a justice of the relevant court travelled to the area in which the jurors resided to receive their verdict there.21 A crucial task of the justices when they went on circuits during the court vacations was to hear cases at nisi prius and gather verdicts that could be used in the final determination of disputes after they returned to London. In nisi prius hearings, Lawrence complained, lawyers had an opportunity to examine witnesses and to address juries, which never happened in Scotland, for the simple reason that there were no jury trials in civil cases. Instead, the practice had been developed, from as early as the foundation of the College of Justice, for one of the lords of session to receive testimony from witnesses in private, to record the testimony in the form of written depositions, and to seal the depositions until the court was ready to consider its final decision of the case.22 This mode of procedure would not have seemed entirely novel to 20 Marriage by the Morall Law of God, pp. 328 f. 21 Baker, Introduction to English Legal History, pp. 20 f. 22 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 170 f. and 185 – 189.

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a practitioner in Westminster Hall, for in the court of chancery testimony was received from witnesses in a broadly similar fashion.23 Yet it seemed to Lawrence that there was an important difference. In Scotland, no advocate was ‘suffer’d to speak or appear at the bar when the depositions of witnesses are advising or reading, as they do with us at chancery hearings, and to the intolerable charge of suitors and destruction of justice and equity’.24 After testimony had been set down in sealed depositions in the chancery, the documents were ‘published’ to the parties and their lawyers, who made observations on them before the chancellor at a hearing preceding his final decision.25 Lawrence complained that this prolonged proceedings, and distracted the chancellor from contemplating the significance of the evidence and resolving any issues of justice and equity it raised. He preferred the approach taken in Scotland where, by the middle of the seventeenth century, testimony was not only received in private but was also read in private, when the judges deliberated on their decisions in camera. In Scotland, litigants and their lawyers identified witnesses to be examined and suggested questions to be put to them, but they played no further part in the assessment of this type of evidence, which meant that the judges could concentrate on making up their own minds.26 A further explanation Lawrence offered for the efficiency of the Scottish court related to the way in which actions were commenced. In Scotland, he recollected, ‘there were no original writs, but the more compendious and just way of summons used, by serving the defendant with a copy of the declaration’.27 Actions were normally initiated in England by the purchase of an original writ, which took the form of an instruction to a local dignitary to require litigants to appear before one of the common law courts.28 Since the original writs were framed in fixed terms and revealed no more than the broad category of action that was being raised, it was not until the litigants appeared at Westminster, when the plaintiff was required to make a declaration or narratio of his case, that the defendant gained much sense of what was being alleged against him. Elsewhere in his book, Lawrence objected that this practice was far from consistent with the scriptural injunction to raise grievances with fellow believers personally, so that they 23 W. J. Jones, The Elizabethan Court of Chancery, Oxford 1967, pp. 236 – 239. 24 Marriage by the Morall Law of God, p. 283. 25 D. E. C. Yale, Lord Nottingham’s ‘Manual of Chancery Practice’ and ‘Prolegomena of Chancery and Equity’, Cambridge 1965, pp. 61 – 65. 26 They were allowed greater involvement in the assessment of documentary evidence. Scots lawyers were aware that the handling of depositions in the session was out of line with practice in continental Europe, and the secrecy of the process was eventually changed, towards the end of the seventeenth century. 27 Marriage by the Morall Law of God, p. 283. 28 Baker, Introduction to English Legal History, pp. 53 – 70.

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might be resolved in an amicable manner.29 Lawrence was aware that in medieval Scotland actions had been raised by means of ‘brieves’ modelled on the English writs.30 ‘They had formerly their writs as we have’, he wrote at another place, ‘till they were sick of them and able to bear them no longer’.31 The king responsible for the creation of the College of Justice had also required a declaration to be provided at an early stage in every action of the allegations made by the person raising the action, insisting that no one should be ‘troubled to appear before any judg to answer before, by their libell’d summons, a copy [of the declaration] is delivered to the person or affixed at the door of his dwelling house, containing all the matters at large to which his answer is required’.32 If this still fell short of the scriptural injunction, the inclusion of the libel in the summons at least gave the defender notice of the allegations being made against him before he decided whether or not to travel to the court and defend the action.33 The summons was similar to some extent to the subpoena used to initiate an action before the court of chancery, for instead of having to fit a case into the terms of a stereotyped writ, parties there were permitted to petition the chancellor for assistance in whatever terms they considered appropriate.34 Yet there was again a significant difference, for although every subpoena stated that a complaint had been made against the defendant, it did not divulge any details of the complaint, and in practice complaints tended to be submitted only after the subpoena had been issued. It was accordingly a feature of the proceedings in all the courts sitting in Westminster Hall that defendants were required to appear there before they had any real sense of what the actions raised against them were about. It seemed to Lawrence that the serving of ‘libelled summonses’ on defenders in Scotland, who thus had a chance to come to terms with their opponents, or at least to prepare the ground for a defence before they appeared before the judges, was a further cause of the efficiency of proceedings there.35 29 Marriage by the Morall Law of God, pp. 269 – 271, citing Matthew 18.15. 30 H. L. MacQueen, Common Law and Feudal Society in Medieval Scotland, Edinburgh 1993, pp. 105 – 214; A. Taylor, The Shape of the State in Medieval Scotland, 1124 – 1290, Oxford 2016, pp. 266 – 348. 31 Marriage by the Morall Law of God, p. 315. 32 Marriage by the Morall Law of God, p. 286, and see too p. 326. The legislation Lawrence was referring to here can be found in the Records of the Parliaments of Scotland [RPS], www.rps.ac.uk, 1540/12/17. 33 Lawrence referred to litigants in the English style as plaintiffs and defendants, but in Scotland they were known as pursuers and defenders. 34 Jones, Elizabethan Court of Chancery, pp. 190 – 196. 35 Lawrence may not have understood fully the meaning of the technical term ‘libelled summons’, as is explained in Ford, Law and Opinion in Scotland, pp. 543 f.

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‘Another cause’, he went on to explain, ‘was that the councel first excepted to the law, which we call a demurrer, and after that to the fact, which we call a plea, and had that liberty given both to demur and plead, which kept the way so clear before them, that they had never any delays by jeofails, repleaders, arrests of judgment or writs of error’.36 In the common law courts, the plaintiff’s declaration formed the opening move in an elaborate process known as pleading, the purpose of which was to identify issues of fact suitable for submission to the judgment of lay jurors.37 The process was highly technical, and barely comprehensible to ordinary litigants, who had to rely on the expertise of court practitioners familiar with the rules of the game. That pleading was regarded as a kind of game (jeu) — ​originally played orally in what Lawrence denounced as the ‘exotic gibberish’ of Law French, but by his time involving written exchanges in Latin — ​is evident from the standard use of the term ‘jeofail’ to signify an impasse in the process, like a stalemate in chess, which would result in the parties being ordered to begin again by way of a ‘repleader’.38 As an alternative to arguing about allegations of fact until triable issues emerged, lawyers might argue that the facts alleged in a case failed to give rise to an actionable claim in law, a move known as ‘demurring’. In doing so, however, they were taken to have conceded the accuracy of their opponents’ allegations of fact, and by the middle of the seventeenth century demurrers were generally avoided by lawyers, who preferred to postpone discussion of any issues of law until after the facts had been examined, when they challenged the verdicts of juries by way of ‘arrests of judgment’ or ‘writs of error’. In Scotland, Lawrence observed, the exchange of arguments between litigants or their lawyers was significantly less technical. He recalled in particular that it was possible there for lawyers to dispute the legal relevance of factual allegations without being taken to have conceded their accuracy. Lawrence’s remark that ‘councel first excepted to the law’ is consistent with remarks made in several procedural manuals, where ‘pleas to the relevancy’ were classified as dilatory exceptions.39 The authors of the manuals had actually based their remarks on a statute enacted in 1430 to regulate pleading in actions initiated with brieves, the aim at that time having been to identify issues 36 Marriage by the Morall Law of God, p. 283. 37 Baker, Introduction to English Legal History, pp. 71 – 96. 38 J. H. Baker and M. S. Arnold, Origin of ‘Jeofail’, in: 87 Law Quarterly Review, 1971, p. 166, though see too M. P. Furmson, Origin of Jeofail, in: 1 Dalhousie Law Journal, 1974, p. 611. 39 Sir John Skene of Curriehill, Regiam maiestatem: The Auld Lawes and Constitutions of Scotland, Edinburgh 1609, pt 2, f. 114r; Habakkuk Bisset’s Rolment of Courtis, 3 vols, ed. P. J. Hamilton-Grierson, Edinburgh 1920 – 26, Vol. 1, p. 176; Sir Thomas Hope of Craighall, Practical Observations upon Divers Titles of the Law of Scotland, Edinburgh 1734, p. 38.

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of fact for submission to ‘assizes’ consisting of laymen.40 If this seems strange, it may be added that the summonses used to initiate actions in the College of Justice appear to have been developed from the brieves they replaced.41 Although the lords of session handled issues of fact themselves, one legacy of the older procedure appears to have been a marked tendency to distinguish sharply between issues of law and fact and to deal with the legal relevancy of factual allegations before their veracity was investigated. Ironic as it may have seemed, it was the civil law court with which Lawrence had become acquainted in Scotland that had effectively preserved a tendency considered typical of the common law courts in England.42 The final explanation for the efficiency of the Scottish court spelled out in Lawrence’s book was that ‘both parties and advocates took the oath of calumny that they believed their allegiance just and true (illud iuretur quod lis sibi iusta videtur), which oath keeps their allegiances clean from falsity’.43 The phrase in parenthesis was reproduced from another act passed by the Scottish parliament in 1430, where it had in turn been reproduced from Hostiensis’ commentary on the decretals.44 Although unremittingly hostile to the canon law, Lawrence was pleased to have been told that ‘the oath of calumny may by the civil law be required not only of the parties litigant, but of their advocates and procurators’, for he believed it was ‘of excellent use to clear those contagious plagues and pests of judicial proceedings, fictions and falsities, and to restore truth’.45 Since litigants in the Scottish court frequently submitted contradictory allegations, and since some were inevitably unable to prove the accuracy of their factual averments, Lawrence cannot have meant that Scottish litigants and their lawyers invariably told the truth.46 Nevertheless, he claimed that the use of oaths de calumnia in judicial proceedings north of the border was so effective that he had ‘never, for the space of six years, observed the least fiction in the same’.47 What he was thinking of were not the false allegations parties sometimes submitted and sought to substantiate but the use of fictions or falsities with the connivance of the courts.48 Because cases raised before the courts of common law 40 RPS, 1430/5; H. L. MacQueen, Pleadable Brieves, Pleading and the Development of Scots Law, in: 4 Law and History Review, 1986, p. 403. 41 H. McKechnie, Judicial Process upon Brieves, 1219 – 1532, Glasgow 1956, pp. 23 f. and 28. 42 Sir Thomas Smith, De republica Anglorum, ed. M. Dewar, Cambridge 1982, pp. 95 f. 43 Marriage by the Morall Law of God, p. 283. 44 RPS, 1430/21; Hostiensis, Summa aurea, Venice 1574, cols 506 – 7, ad X 2.7 rub. 45 Marriage by the Morall Law of God, p. 288. 46 The word ‘fictions’ was not being used in the same sense as in N. Z. Davis, Fictions in the Archives: Pardon Tales and Their Tellers in Sixteenth-Century France, Stanford 1987. 47 Marriage by the Morall Law of God, p. 304. 48 J. H. Baker, The Oxford History of the Laws of England, Vol. VI: 1483 – 1558, Oxford 2003, p. 349.

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in England had to be fitted into the fixed terms of original writs, and because declarations had then to be made consistently with the terms of the writs, parties were often permitted to make allegations that were not only untrue but were known to everyone involved to be untrue. The writ used to initiate an action for trespass to land, for example, contained the words ‘clausum fregit’, yet plaintiffs were permitted to use the writ when in reality no boundary had been broken, and when they did so they were expected to give ‘colour’ to the allegation by elaborating on it in their declarations. Fictions were even tolerated in the court of chancery, as when it was stated in a subpoena that a complaint had been made when the reality was that no complaint had yet been submitted. Lawrence recognised that there would be less need for recourse to be taken to fictions if the original writs were replaced with something like the Scottish libelled summonses, but he also thought it would help to impose oaths of calumny on English litigants and their lawyers.

II.  The Making of Decisions in the Parliament House During the 1650s In the passage of his book examined in the previous part of this essay, Lawrence identified several striking differences between proceedings before the courts in which he had practised as a barrister in Westminster Hall and before the court in which he had sat as a judge in the Parliament House of Edinburgh. No doubt his English colleagues in the Scottish court would also have been struck by these differences, and perhaps they would have shared further the general impression that the Scottish court, at least in comparison with the courts in Westminster Hall, had been remarkably efficient in its handling of the cases raised before it. Whether they would have agreed that it was the procedural differences identified in Lawrence’s book that had made the Scottish court more efficient is another matter, and the question certainly needs to be asked today whether reforming the procedure of the English courts in the ways suggested would have increased the efficiency of their decision making. Lawrence’s primary explanation for the ability of just three or four judges in the Parliament House to discharge the same range of responsibilities as the thirteen judges who sat in Westminster Hall was that the same three or four judges had dealt with all the issues of fact, law or equity that emerged in cases. But would fewer judges have been required in England if jury trials had been abolished, and if jurisdiction over matters of law and equity had been combined? It has actually been argued that the division of labour between different adjudicative bodies dealing with issues of fact, law and equity enabled a relatively small number of judges to be employed in England.49 While Lawrence reckoned that 49 J. P. Dawson, A History of Lay Judges, Cambridge, MA 1960.

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t­hirteen was an excessively large number, it does appear small when it is remembered that over a hundred judges served in the Parlement de Paris by the middle of the seventeenth century, that as many as fifty were supposed to serve by then in the Reichskammergericht, and that the courts in Westminster Hall were charged with the task of dealing centrally with all important cases raised at first instance.50 The number of justices in the common law courts was eventually increased from twelve to fifteen in 1830, and by then cases were being heard in the court of chancery by three judges, but these alterations scarcely matched the trebling of the population.51 A century later, after jurisdiction over matters of law and equity had been combined and jury trials had largely been dispensed with in civil cases, the number of judges serving in the central courts was increased to over forty, and it has now risen to over ninety.52 In the meantime another of Lawrence’s proposals, the abolition of the forms of action, had been implemented in the 1870s. There were of course many reasons for the dramatic rise in the number of judges employed in England during the past century, but it clearly cannot be claimed that making the major changes Lawrence recommended has resulted in a need for fewer judges. If the Scottish court had seemed especially efficient to him (and also perhaps to his English colleagues), there must have been some other explanation for its efficiency. Although it will be suggested shortly that a couple of Lawrence’s minor recommendations might have done more to speed up proceedings in England, it seems that greater significance should be attached to an explanation he did not lay out explicitly in his book. He concluded the passage focused on above by adding: ‘many other causes there are which lessen the labour of a judge and of suitors, which for brevity I omit’.53 One of these causes seems to be implicit in his reasoning. To begin with, two curious features of his discussion may be recalled. In the first place, while he wrote about the appointment of four judges to sit in the Parliament House, of whom only two or three were sometimes present, it was mentioned at the outset that seven commissioners for the administration of justice were actually appointed. As well as four judges being sent up from England, three judges familiar with the practice of the College of Justice were normally in office, although attendance 50 As Dawson acknowledges, differences of population also matter, but even allowing for those, and for the fact that fewer than fifty judges were actually appointed in Germany, the number of judges appointed in the central courts of England still seems remarkably small. While the population of Scotland was around a fifth as large as the population of England, the fifteen lords of session were supplemented with two or three extraordinary lords. 51 A. H. Manchester, A Modern Legal History of England and Wales, 1750 – 1950, London 1980, pp. 81 f. and 136. 52 B. Abel-Smith and R. Stevens, Lawyers and the Courts: A Sociological Study of the English Legal System, 1750 – 1965, London 1967, p. 269. 53 Marriage by the Morall Law of God, p. 283.

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again fluctuated among these Scottish judges. In the second place, while Lawrence claimed to be basing his recommendations for reform of the English courts on his judicial experience in Scotland, he had been a member there of a collegiate body, yet he was suggesting that a single judge should be appointed to sit in each of the courts of common law. In another passage to which reference has already been made he insisted that a ‘single judg in a court by himself ’, provided writs were replaced with summonses and jurisdiction were granted over all issues of fact, law and equity, would be able ‘to dispatch more causes, without troubling any writs, juries or councel at the bar, and more justly and under account in one year then ’tis possible for any chancellour with plurality of offices, or court with plurality of judges, juries and councel at the bar to do in seven’.54 Of all the courts in Westminster Hall or the Parliament House, it was the chancery alone that operated with a single judge. But as Lawrence noted, the chancellor was in fact assisted by several officials, who prepared the ground in cases by handling interlocutory proceedings, taking testimony from witnesses, assembling written files about the cases they dealt with and reporting on them before decisions were made.55 Lawrence wanted a single judge to be appointed in each of the common law courts, as there presently was in the chancery, but he did not want each of his judges to be associated with a plurality of offices. Instead, he envisaged single judges dealing with the entirety of cases, though ‘under account’ or subject to ‘appeal’. In effect, his judges would be more like the officials who prepared cases for decision in the chancery, except that they would be authorised to make decisions themselves, subject to review. His judges, he predicted, would be able to dispatch as much business in a year as the present judges dispatched in seven. It may not have been coincidental that seven years was the length of time for which the commissioners for the administration of justice had operated in Scotland. To an English lawyer, the procedure of the Scottish court must have seemed more similar to the procedure of the chancery than the common law courts.56 It has been seen that the practice in the College of Justice had always been to delegate the task of taking testimony from witnesses to some of the judges. By the later sixteenth century, the practice had also developed of delegating the handling of interlocutory proceedings to single judges, who sat in what was known as the 54 Marriage by the Morall Law of God, p. 329. 55 H. Horwitz, Chancery Equity Records and Proceedings, 1600 – 1800, Kew 1988, pp. 19 – 24. 56 Continental historians have been quick to detect learned influences on chancery procedure (for example, H. Coing, English Equity and the Denunciatio evangelica of the Canon Law, in: 71 Law Quarterly Review, 1955, p. 223), and while historians in England tend to be more cautious, none deny that there was more influence in the chancery than in the common law courts.

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‘outer house’ of the court.57 The authors of the procedural manuals mentioned earlier described the standard form of process as culminating in a ‘concluded cause’ being brought for decision before the whole court, sitting in the ‘inner house’, after the parties had exchanged their allegations of fact and arguments of law before the ‘lord ordinary’ in the outer house, after evidence had also been received there, and after a written record had been assembled to form the basis of a report on the case before the whole court by the lord ordinary.58 The outer house judges in Scotland thus performed much the same role as the chancery officials in England, and by Lawrence’s time their role had been expanded significantly. Each day a record was compiled in a ‘general minute book’ of everything done in the outer house of the court.59 Entries were made for ‘protestatiouns’ received from parties and ‘actis’ passed by the judge, meaning interlocutory orders, but also for any ‘decreits’ he issued, meaning definitive sentences in cases. Many of these decreets were issued in absentia, but by no means all of them, and they were issued in the outer house with considerable frequency. In the summer session of 1653, for instance, when fewer than three hundred protestations and acts were recorded, more than four hundred decreets were issued.60 Although in principle cases were finally determined by the whole court in the inner house, in practice many were dealt with entirely by single judges sitting in the outer house, with just one morning each week being set aside for the hearing of concluded causes by the whole court.61 The importance of the outer house for the efficient operation of the court was often drawn to the attention of the English government.62 When the number of available judges was reduced in 1655, the civil governor of Scotland urged the appointment of more, pointing out that four judges formed a quorum in the inner house and that the work of the outer house was so demanding that the judges had to take turns in sitting there.63 ‘The outward house’, he 57 R. K. Hannay, The College of Justice, Edinburgh 1933, pp. 91 – 101. 58 Skene, Regiam maiestatem, pt 2, ff. 120v–1r; Bisset’s Rolment of Courtis, Vol. 1, pp. 211 f.; Hope, Practical Observations upon Divers Titles of the Law, pp. 68 f. 59 Bisset’s Rolment of Courtis, Vol. 1, pp. 222 f.; The Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, from the 15th of January 1553 to the 11th of July 1790, Edinburgh 1790, pp. 57 – 59; C. H. Firth (ed.), Scotland and the Commonwealth, Edinburgh 1895, pp. 277 f. 60 National Records of Scotland [NRS], CS8/23, unpaginated, but headed June and July 1653. 61 Scotland and the Commonwealth, p. 278. 62 It is a common misconception that there was no outer house during the first half of the 1650s (A. J. G. Mackay, A Memoir of Sir James Dalrymple, First Viscount Stair, Edinburgh 1873, p. 59; Dow, Cromwellian Scotland, pp. 176 f.; L. M. Smith, Scotland and Cromwell: A Study in Early Modern Government, DPhil dissertation, Oxford 1979, pp. 72 and 115). As the general minute book confirms, the outer house was certainly sitting then. 63 T. Thomson and C. Innes (ed.), Acts of the Parliaments of Scotland, 12 Vols., Edinburgh 1814 – 75, Vol. 6(2), p. 894. Cf. Sir Christopher Lowther, Our Journall into Scotland,

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explained, ‘is to dispatch all things dispatchable of course, [whereas] the inward house is to decide all things of high importance, as also whatever the judge of the outward house finds any difficulty in, or whatever any agreeved person ther desyres may be brought before the cessions, after hearing in the outward house’. When numbers fell again two years later, the commander of the army of occupation also stressed the importance of a functioning ‘outer house, which is still in use for judgeing of matters not of soe great moment or intricacy as that either party concern’d would insist uppon having the judgment of the judges in the inner house’.64 The practice was for a judge ordinary to ‘determine and adjudge in many civill causes, which did spare much paines to the whole judicature, in decideing of cases of lesser importance, and without which proceedings would be too slow’. The commander was insistent that the government needed to appoint someone ‘who is very able in the laws and practice of proceedings heere, to keepe the outer house’, just as the civil governor had emphasised the need two years earlier for a judge to sit there who was ‘an able man, both of parts and body, the worke requiringe good intellectualls and experience as well as corporall strength’.65 Lawrence himself had signed a letter from the judges a year previously, urging that ‘some of the Scottish nation may be added to our number, who may be asisting to us for the good of the people’.66 As the letters from the civil governor and military commander indicated, cases did not only reach the inner house in the form of concluded causes. As well as recording protestations received from parties, and acts or decreets issued by judges, the general minute book sometimes recorded that cases heard in the outer house had been ‘taken to avisandum’ in the inner house.67 In the summer session of 1653, when the number of protestations, acts and decreets recorded was under seven hundred, around three hundred and seventy cases were taken to avisandum.68 In the summer session of 1656, to take another example, over a thousand protestations, acts and decreets were recorded, and around two hundred and seventy cases Anno Domini 1629, Edinburgh 1894, p. 30. 64 Acts of the Parliaments of Scotland, Vol. 6(2), p. 908. 65 See too Acts of the Parliaments of Scotland, Vol. 6(2), pp. 906 f. 66 National Library of Scotland [NLS], Adv. MS 25.2.3, f. 125v, Adv. MS 25.2.5(i), ff. 303v – 4r, and Adv. MS 25.2.7, pp. 405 f. 67 The expression ‘taken to avizandum’ is used today to mean that a case is being reserved for further consideration by the judge who is hearing it, but no evidence has been found of the expression being used in this way in the early modern period, when the standard spelling of the word was ‘avisandum’. 68 NRS, CS8/23, where a separate list of cases taken to avisandum in much of the winter session of 1652 – 53 and the whole of the summer session of 1653 was added after the lists of protestations received and acts and decreets issued in these sessions.

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were taken to avisandum.69 The cases taken to avisandum were of three types. First, ‘avisandums for witnesses’ were the concluded causes brought before the whole court on Saturday mornings. In the summer session of 1656, there were around eighty cases of this type. Secondly, ‘great avisandums’ were cases raised by way of four kinds of action — ​for the declarator, or for the reduction, of heritable rights, for the replacement of lost writs, or for a cessio bonorum — ​which were required by convention to be transferred to the inner house as soon as the preliminary stages of the process were completed, where they might be heard on any other day of the week.70 In the summer session of 1656, there were around forty-five cases of this type. Thirdly, ‘avisandums for report’ were cases in which the outer house judge decided to take advice from the others, either on his own initiative or at the request of a litigant or his lawyers. In the summer session of 1656, the remaining hundred and forty-five or so cases that were taken to avisandum were of this type. Exactly how many cases were decided in the inner house cannot be calculated from figures like these, for two reasons. The first is that cases taken to avisandum were not normally included in the lists of protestations received or acts and decreets issued, and separate lists of cases taken to avisandum have seldom survived.71 There is thus no way of knowing how exemplary or representative the figures that can be calculated really were. Furthermore, the second problem is that not all the cases decided in the inner house were included in the lists of cases taken to avisandum. If an outer house judge refused a request to seek advice from the others and proceeded instead to issue an act or decreet on his own, the litigant who had made the request could petition the inner house to review the matter, on undertaking to pay a penalty if the petition proved to be groundless.72 As the general minute book recorded the business of the outer house, petitions to the inner house were not recorded there, and they were not listed anywhere else either. Nevertheless, the impression given by the general minute book that most cases were actually decided in the outer house need not have been misleading. 69 NRS, CS8/24, where the list of protestations received and acts and decreets issued in the months of June and July itself includes entries for cases taken to avisandum. 70 Although priority was given on Friday mornings to actions involving the government, along with others that were treated by convention as ‘privileged’, these actions were not expected to consume the whole of each morning (NLS , Adv. MS 25.2.3, ff. 126r, 130v and 144r, Adv. MS 25.2.5(i), ff. 304r, 309r and 323v, and Adv. MS 25.2.7, pp. 406, 411 f. and 431). 71 In different ways, in other words, both the examples given above were exceptional. As well as the general minute book there were also particular minute books, kept by the clerks responsible for processes, but these were based on the general minute book and provide no further information. 72 Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, p. 37.

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However cases came before the inner house, discussion there was based on the written records assembled in the outer house. The fundamental document in each file was the summons used to initiate the action.73 In the margins or on the back of this document, or occasionally on separate pieces of paper, the ‘under clerk’ who was in attendance in the outer house would have noted briefly any appearances by the litigants and their lawyers, any pleas they had presented, and any interlocutors the judge had issued.74 Sometimes, instead of oral arguments being noted briefly by the clerk, the lawyers employed by litigants would have set out their contentions more fully in written submissions, which would have been kept with the summons and any other ‘pieces of the process’.75 The exchanges between the lawyers could have been protracted. In the summer session of 1656, for example, lawyers acknowledged their receipt for perusal of summonses ‘with the disput, viz. defencis, replyes, duplyes, triplyes, quadriplyes’, and even with ‘defenses, duplyes, quadruplyes, sextiplyes, octuplyes and decuplyes’.76 Extensive written pleading may not, however, have been common.77 As relatively few case files have survived, and in an apparently haphazard way, only the roughest of impressions may be formed, but for what it may be worth, the evidence available tends to indicate that it was more usual for arguments to be advanced orally and noted briefly by the clerk.78 Other papers could also have been added to the file, including any written evidence the parties had produced.79 As already mentioned, any testimony received from witnesses would have been set down in depositions, which would have been sealed and added to the file.80 Even after the file containing papers of these types was delivered by the ‘under clerk’ to a ‘principal clerk’, who would be in attendance when the case came before the inner house, further papers might have been added. Obviously, if a case was raised before the inner house by means of a petition, that document would have been put in the file, along with any written response made for the other party. Lawyers were understandably concerned that an inadequate account of their arguments might be given to the whole court, especially if the file contained only notes made by the clerk, and they therefore attempted to provide further information to the judges in the inner house. Like the lords of 73 Strictly speaking, not every case was initiated by a summons — ​a pursuer might, for instance, purchase letters of suspension — ​but there was always a summons or something similar. 74 Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, p. 37. 75 See, for example, Hay contra Errol (1652), in NRS, CS15/284. 76 NRS, CS12/1, list of receipts at the back, 12 and 24 June 1656. 77 See too D. R. Parratt, The Development and Use of Written Pleadings in Scots Civil Procedure, Edinburgh 2006, pp. 23 f. 78 See, for example, St Andrews contra Geddis (1655), in NRS, CS15/285. 79 See, for example, Bryson contra Reid (1656), in NRS, CS15/286. 80 See, for example, Spreule contra his creditors (1656), in NRS, CS15/286.

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session before them, the commissioners for the administration of justice forbade the informal ‘soliciting’ of judges in the streets or at their homes, promising as an alternative to read any ‘informations’ submitted to them in writing before cases were heard.81 When cases finally came before the whole court, whether by means of a petition or after one form of avisandum or another, the judges sometimes decided that the papers assembled were insufficient ‘to cleir the matter’, and they would then ‘ordain the parties to be heard in praesentia’ at a later date. Lawyers naturally took great interest in the debates that ensued in the presence of all the inner house judges, typically on points of law that might arise in other cases afterwards, but they were a relatively rare occurrence.82 It will by now be apparent that in the court to which Lawrence belonged during the 1650s cases usually were dealt with by single judges, subject to the possibility of review by the whole court. Eventually a sharper distinction would emerge between the outer house, as a court in which cases were heard at first instance, and the inner house, as a court in which cases were heard at second instance.83 When Lawrence was in Scotland, however, the distinction was less clear, and the lack of clarity was perhaps advantageous to everyone concerned.84 At the end of the seventeenth century an observer of the practice of the session suggested that the flexible relationship between its two houses made it one of the most efficient courts in Europe.85 On the one hand, he remarked, it helped the outer house judges to deal with a great many cases that they were ‘supported and forwarded in their procedure by the communicated advice of the collegiate body, facilius enim invenitur, quod a pluribus quaeritur’.86 On the other hand, he also believed it to be of critical importance that ‘particular ordinaries determine all common business, and mostly do so ripen and prepare weighty matters that the senate, in the inner house, have 81 NLS, Adv. MS 25.2.3, f. 134, Adv. MS 25.2.5(i), f. 313, and Adv. MS 25.2.7, p. 417; John Nicoll, A Diary of Public Transactions and Other Occurrences, Chiefly in Scotland, ed. D. Laing, Edinburgh 1836, p. 117; Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, pp. 26 f. and 45. 82 The Decisions of the English Judges during the Usurpation, Edinburgh 1762, pp. 13 f., 17 f., 22, 24, 27, 33 – 5, 39 f., 45 f., 49, 58 f., 70, 73, 81, 128 f., 155, 159, 162, 188, 207, 219 f., 226 f. and 232 f. 83 J. Blackie, The Scottish Court of Session in the 19th and 20th Centuries, in: A. A. Wijffels and C. H. van Rhee (eds.), European Supreme Courts: A Portrait through History, London 2013, p. 198. 84 Lawrence did not propose a court structure identical to the one he had encountered in Scotland, but rather that a single judge should sit in each of the courts of common pleas, king’s bench and exchequer, deciding cases subject to appeal to the parliament that met nearby in the English Parliament House. 85 William Forbes, A Journal of the Session, Edinburgh 1714, p. xiv. 86 The quotation at the end is from the Decretum, D. 20 c. 3.

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nothing to do but give them the finishing stroke’. When dealing with ‘common business’, the ordinary lords only sought advice from the other judges if any difficult questions of law were raised before them. It was in this connection that L ­ awrence may well have been correct in suggesting that the freedom lawyers were given to present pleas to the relevancy of factual allegations enhanced the efficiency of the court, for when this happened, the most the judges in the inner house would have been asked to do was answer the question of relevancy in isolation from the rest of the case, with their attention drawn to the record of the arguments on that issue alone.87 Conversely, when a concluded cause was brought before the whole court, only the issues of fact identified in the outer house would normally have remained to be determined, any issues of law having been dealt with already. It has been mentioned, for instance, that in the summer session of 1656, covering the months of June and July, around eighty concluded causes were brought before the inner house, where they were heard on Saturday mornings, apparently at a rate of around ten each morning. The exception were cases in which the outer house judge had granted ‘act before answer’, meaning that he had postponed his response to a plea to the relevancy until the facts of the case were examined.88 Later in the century it was observed that these cases had to be heard on other mornings because ‘the determining one act before answer might consume several Saturdays, if both relevancy and probation were to be determined together’, which emphasises the simplicity of dealing separately with issues of law and fact.89 Separate handling was certainly the norm, for it has been calculated that acts before answer were granted in response to about one plea to the relevancy in every ten.90 The other ‘weighty matters’ brought before the inner house were the special types of action transferred by way of a ‘great avisandum’, but here too the ground was first prepared in the outer house. Lawrence had himself experienced the rigours of sitting in the outer house, but he had generally remained with the other English judges in the inner house, and it was obviously their handling of the focused issues brought before them from the outer house that he had in mind when he remembered around three judges deciding cases efficiently together.91 The other point Lawrence touched on that may have been significant is that decisions were made by the inner house judges in private. It no doubt did save time 87 Bisset’s Rolment of Courtis, Vol. 1, p. 147. 88 This could also have happened after a question was brought before the inner house. See, for example, Decisions of the English Judges, p. 140. 89 Stair, Institutions of the Law of Scotland, 4.40.7. 90 Ford, Law and Opinion in Scotland, pp. 542 f. 91 It is indicated by NRS, CS8/29, that Lawrence sat in the outer house in the weeks beginning 1 December 1657, 23 November 1658 and 11 January 1659, but it was usually the Scottish judges who sat there.

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that lawyers had no opportunity to discuss the depositions taken from witnesses, and it may also have saved time that the judges were able to discuss cases among themselves without having to worry about how their remarks might be construed by a wider audience. In other ways, however, the secrecy of the court was problematic, both for litigants and lawyers at the time, who struggled to understand the basis of some decisions, and for historians since, who cannot discover how decisions were ultimately reached.92 The decisions were delivered as bare rulings, normally in single sentences stating that a plea had been upheld or repelled, or something of the sort. In the session it had been left to the principal clerks to convey the court’s rulings to litigants, using their own language. In the 1650s, the practice was instead adopted of having every ruling drafted in writing in the presence of all the judges, one of whom would subscribe an agreed wording on behalf of the others, a reform which was eventually revived twenty-five years later.93 In principle, within a few days of a decision being made, either in the inner or the outer house, it was supposed to be recorded in a more ample form in the court’s books (known as the ‘registers of acts and decreets’), where a restatement of the ruling would be preceded by an account of the dispute from which it had emerged.94 Parties were permitted to purchase copies of any acts or decreets affecting them, and in practice the clerks did not enter rulings in the registers until and unless payment was made to them, which was by no means universal. For the week commencing 9 July 1654, for instance, fewer than forty-five cases were entered in the registers, yet over two hundred and twenty cases were decided in the outer house that week, and some of the cases entered in the registers had in fact been brought before the inner house in the previous week.95 Moreover, even when cases were written up, they were ‘extracted’ from the case files, sometimes reproducing the clerks’ notes of the arguments presented at the bar, but never divulging the judges’ reasoning on the bench. In the formulaic framework found in most acts and decreets, rulings were presented as conclusions of disputations between litigants or lawyers, not as conclusions of the disputations that the lords of session had originally been expected to engage in among themselves.96 There is reason to suppose that the commissioners for the administration of justice did continue to exchange opinions with each other, since this seems to have happened both earlier and later in the seventeenth 92 It is particularly frustrating for historians that the arguments presented orally in the inner house were not recorded by the principal clerks. 93 Scotland and the Commonwealth, p. 280; Sir John Lauder of Fountainhall, Historical Notices of Scotish Affairs, 2 vols, Edinburgh 1848, Vol. 2, p. 597; RPS, 1686/4/19. 94 Bisset’s Rolment of Courtis, Vol. 1, pp. 223 – 225. 95 NRS, CS8/23, 9 – 15 July 1654, CS7/571, ff. 39v–72r, and CS7/572, ff. 7 – 90r. 96 See again Mark Godfrey’s contribution to this volume.

Reflections on Adjudication in a Civil Law Court

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century.97 What were exchanged then, however, were opinions on the dispute heard at the bar, and there was no further discussion unless there was some sign of disagreement on the bench.98 That the responsibility for providing reasoning to support decisions had been assumed by the advocates, who by the 1650s were far more numerous than the judges, must also have made it easier for the judges to discharge the remaining task of delivering rulings on cases.99 Moreover, that the quorum in the inner house was reduced to just four during the 1650s must have shortened any discussion that did take place among the judges.100 Lawrence may have been correct in recalling that the judges reached their decisions quickly, at least in comparison with the judges he appeared before in England, and perhaps proceedings in Westminster Hall would have been quicker if some of his suggestions had been adopted. Whether the decisions made in Scotland were just and equitable is of course another matter.101

97 Lowther, Our Journall into Scotland, p. 31; Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, p. 115. See too J. Finlay, Ratio decidendi in Scotland, 1650 to 1800, in: W. H. Bryson and S. Dauchy (eds.), Ratio decidendi: Guiding Principles of Judicial Decisions, Berlin 2006, p. 117 (126). 98 Stair, Institutions of the Law of Scotland, App. IX. 99 Further research is required, but it seems likely that the Reformation of 1560, after which the rule was abandoned that more than half of the judges should be churchmen, was crucial. Difficulty was certainly encountered afterwards in finding fifteen judges suitably qualified to engage in learned disputation on the law. 100 Despite the policy of secrecy (Bisset’s Rolment of Courtis, Vol. 1, p. 221), some lords of session remarked on their colleagues’ opinions in case reports they wrote. However, the only reports surviving from the 1650s were written by advocates, who were not in a position to know what was said after they left the inner house. 101 If Lawrence was correct, as has been suggested here, that the encouragement of pleas to the relevancy enhanced the efficiency of the court, this encouragement tended to frustrate his desire to have cases decided equitably in the light of all their circumstances. The infrequent practice of taking proof before answer was considered to be a more equitable mode of procedure.

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Die Kontrolle der Höchstgerichtsbarkeit zur Zeit der Katholischen Könige Die Reform der Kollegialorgane (1480 – 1503)

I.  Einleitung Die 1230 geschaffene Krone von Kastilien stellte ein frühes Modell der Sicherung königlicher Gewalt dar. Sie ist Beispiel für die königliche Regierungsautokratie, die ab dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts durch die Einführung einer kollegialen Struktur in der Rechtsprechung zum Ausdruck kam und von den Katholischen Königen Isabella I. und Ferdinand V. (1474 – 1504) eingeführt wurde. Letzteren verdanken wir mithin die Konsolidierung einer technokratischen, absolutistischen Justiz im Europa der Neuzeit – eine der ­Ersten. Die Schaffung der Audiencia (1371) oder des Königlichen Rates von Kastilien (1385) sind Beispiele der frühen Unterscheidung der Institution Casa y Corte (an der der König sich befand und die Höchstgerichtsbarkeit ausübte) und der Corte y Chancillería (in der höhere Gerichtsbarkeit durch Delegation ausgeübt wurde). Dieses System war das Herzstück des Fundaments eines absolutistischen Justizgebäudes, das die Katholischen Könige Hand in Hand mit einer Reform des Prozessrechts konkretisierten, entfalteten und harmonisierten. Es ermöglichte den zeitigen Übergang vom ordo iudiciorum des ius commune zum kastilischen ordo iudiciarii. Die Geschichtsschreibung des Prozessrechtes behauptet einhellig, dass die Reform der Katholischen Könige das Modell der kollegialen Justiz unter den ­Trastámaras konsolidierte und sie an die neuen territorialen Bedürfnisse des modernen Staates anpasste. Sie stellte den Pfeiler dar, auf dem der erste Bourbonenkönig Philipp V. (1700 – 1746) eine einheitliche Gerichtsverfassung in Spanien aufbaute, die größtenteils bis zum Kodifikationszeitalter beibehalten wurde. Diese Reformtätigkeit war jedoch weder linear noch folgte sie einem konkreten Reformprojekt, sondern war in einigen Fällen sogar widersprüchlich. Folglich konzentrieren wir uns auf die Reform der Katholischen Könige ab der bedeutenden Versammlung der Cortes von Toledo 1480. Dort wurde eine unbestrittene Macht der Justizverwaltung konsolidiert – ein deutliches Zeugnis für die Autokratie nach Beendigung des Erbfolgekrieges (Mai 1475–September 1479) und der Unterschrift des Vertrags von Alcáçovas.

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II.  Legislative und institutionelle Vorläufer 1.  Das gesetzgeberische Werk Alfons X. Der Aufbau der kastilischen Justizverwaltung war eine mühselige Aufgabe, die über zwei Jahrhunderte andauerte und zu einer unaufhörlichen Konfrontation mit den lokalen, herrschaftlichen und städtischen Machthabern Kastiliens führte. Diese wollten ihre unabhängigen, auf Privilegien beruhenden Gerichtsbarkeiten beibehalten. Eine Problematik, die wir in ­diesem Beitrag nicht untersuchen werden. Eine Problematik aber, die die politische und gesetzgeberische Zukunft der Krone beeinflussen sollte. Diese konzentrierte sich anfangs auf einen Punkt: den ausschließlichen Anspruch auf das merum imperium.1 Ab Alfons X. (1252 – 1284) ist die Monarchie Schauplatz eines Prozesses der politischen Machtkonzentration auf die Person des Königs.2 Seine Forderungen nach juristischer Einheit und Erneuerung sowie auf ausschließliche Übernahme der Gesetzgebung führten zu seinen drei Werken Fuero Real (1255), Espéculo (1255) und Partidas (1266). Sie sind der Schlüssel zum frühzeitigen Beginn einer politischen Aufgabe, die darauf abzielte, die örtlichen, auf Privilegien basierenden Gerichtsbarkeiten abzuschaffen. Diese Privilegien waren im Rahmen der Reconquista und der Wiederbesiedlung gebildet worden und hatten andere politischinstitutionelle Charakteristika als diejenigen des feudalen Europas. Diese Arbeit war ein politisches Projekt, das darauf abzielte, mittels der Anwendung eines einzigen Rechtes – das des Königs – die Rechtssicherheit zu erreichen und zwar „im Interesse einer rechtspolitischen Vereinheitlichung und Vereinigung“ der Krone.3 Die erwähnte juristische Einheit und Erneuerung führte zu einer Rezeption des ius commune durch die Krone sowie des Prinzips des rex est imperator in suo r­ egno.4 Die Partidas führten die königliche plenitudo potestatis ein und schrieben dem König die Ausschließlichkeit der öffentlichen Ämter zu (Regierung, Gesetz­gebung und Rechtsprechung).5 Bezüglich der Justiz führten Partidas 3.4.2 und 3.23.18 1 Jesús Vallejo, Historia del proceso, procedimiento de la Historia. Diez años de historiografía procesal en España (1979 – 1988), in: Per la Historia del Pensamiento Giuridico 34 – 35 (1990), S. 885 – 921, hier S. 891. 2 David Torres Sanz, La Administración Central castellana en la Baja Edad Media, Valladolid 1982, S. 15. 3 Susana Aikin Araluce, El recurso de apelación en el Derecho castellano, Madrid 1982, S. 11. 4 Das kaiserliche Konzept in Partidas 1.1.5; 2. Prólogo y 2.1.1 angesichts der exemptio ab imperio. Edition der Las Siete Partidas, Glosadas por el Licenciado Gregorio López, Salamanca 1555. 5 Partidas 1.1.8; 2.1.2, 5 y 8.

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aus, dass Recht im Namen des Königs gesprochen wurde; ihm oblag es, Richter zu ernennen, Prozesse an andere Gerichte zu verweisen und über Berufungen und Einsprüche zu entscheiden, auch wenn er seine eigenen Gesetze respektieren und sich beraten lassen musste.6 Alfons X. versuchte, die Rechtsprechung der Krone zu formalisieren – daher erließ er eine erste Verwaltungsregelung der Justiz.7 In der gleichen Linie wie der Espéculo fassen die Partidas den Gerichtsprozess als einen actus trium personarum auf („iuez, e demandador, e demandado, son tres personas que conuiene que sean en todo, que se demanda en juicio“). Er wird auf Betreiben einer Partei begonnen und nicht von Amts wegen („ningun ome non deue ser constreñido que faga su demanda si non quisiere“).8 Partida 3.21.1 institutionalisiert den gelehrten Richter und das Richterkollegium, indem sie die Pflicht zur Beratung einführt (der Prozess muss entschieden werden durch „consejo de omes leales, e sabidores (…) consejo esn anteveimeinto que ome toma sobre las cosas dubdosas porque non pueda caer en yerro“). Im Prozess werden Prozessinstanzen festgelegt 9 sowie Rechtsmittel vorgesehen („querella que alguna de las partes faze de juicio que fuesse dado contra ella, llamando, e recorriendose a enmienda de mayor juez: e tiene pro el Alçada quando es fecha derechamente, porque por ella se desatan los agraviamientos que los juezes fazen a las partes torticeramente, o por non lo entender“).10 Ebenso wird das Prinzip der trium conformium sententiarum eingeführt (drei ­gleiche Urteile, zwei Einsprüche: „dos vezes se puede ome alçar de un mismo juicio que sea dado contra el en razon de alguna cosa, o de algun fecho“), das dazu diente, die res iudicata zu entfalten (Revisionsurteil in dritter Instanz: „el pleyto, que es judgado, e esmerado por tres sentencias es derecho, e que grave cosa seria aver a esperar sobre una misma cosa la quarta sentencia“).11 Die Partidas gaben Rechtssicherheit, da die Zuständigkeit der Instanzen detailliert dargelegt wurde, besonders die Rechtsmittel, sowie ihre Formvoraussetzungen.12 Schließlich konnten beim trium conformium sententiarum 6 Partidas 1.1.16 y 2.1.1, 3 y 4. S. Pérez Martín, A., „La institución real en el ius commune y en las Partidas“, in Cahiers de linguistique hispanique médiévale 23 (2000), S. 320 – 321 y El renacimiento del poder legislativo y la génesis del Estado Moderno en la Corona de Castilla, in André Gouron et Albert Rigaudière, Renaissance du pouvoir législatif et genèse de l’État, Montpellier 1988, S. 189 – 282. 7 Benjamín González Alonso, El corregidor castellano (1348 – 1808), Madrid 1970, S. 22. 8 Partidas 3.4.10 y 3.2.46. 9 Zu verstehen Prozessinstanz quam exercitatio actionis, á litis contestatione, usque ad sententiam deffinitivam certo tempore coarctata (Gonzalo Suárez de Paz, Praxis ecclesiastica et secularis cum actionum formulis et actis Processuum Hispano sermone compositis, Coloniae Allobrogum, 1ª ed., Salamanca 1583, en 2 Annotatio de Instancia, n. 6, S. 6). 10 Partidas 3.23.1. 11 Partidas 3.23.25. 12 Partidas 3.23.19, 21 und 26.

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nur aus Gründen, die mit dem ordentlichen einschränkenden Prozess nichts zu tun hatten, Ausnahmen gemacht werden. Solche waren wegen des Prinzips omisso medio, das die direkte Klage vor dem König per saltum eröffnete oder aufgrund der königlichen Gnade, die eine letzte (vierte) Revision des rechtskräftigen Urteils zugestehen konnte, auch wenn diese die Vorigen bestätigte (der König konnte „revocar e, oyr de cabo quando (…) quisiere fazer merced“), möglich.13 Im Strafrecht hingegen wurde das Prinzip des trium conformium nicht eingeführt, da ein zweiter Einspruch zugunsten einer schnellen und raschen Entscheidung nicht gestattet wurde. Zwar führte der letzte Ständeaufstand gegen Alfons X. zu den Cortes von Zamora 1274, die die Anwendung der Reformen bremsten. Jedoch wurden die Grundlagen für die kollegiale Justiz in Casa y Corte festgelegt. Dies geschah auf Kosten der nicht-formalisierten örtlichen frühmittelalterlichen Rechte. Die Leyes del Estilo bestätigten die Praxis, wie sie am Hofe bei Zivilsachen („si pasan las alzadas mas de que dos alzadas; siempre se puede alzar de alzada en alzada, fasta que por alzada llegue el pleyto a la persona del rey“) und auch bei Strafsachen („excepción amparada en la necesidad de que non se destaje, nin se mengue la su justicia et jurisdiccion del rey“) angewandt wurde.14 Letztendlich stellt das Werk Alfons’ X. den Beginn eines Übergangsprozesses von der polyzentrischen Gerichtsstruktur zur monozentrischen dar, in der die Monarchie das Zentrum war und schließlich die Gerichtsfunktion ganz übernahm. Das gesetzgeberische Werk Alfons’ X. wurde zum Gordischen Knoten der Legitimität und des Aufbaus der Architektur einer absolutistischen Justiz, der erst im 19. Jahrhundert entwirrt werden konnte.15 Wir sehen, dass zeitgleich begonnen wurde, ein formalisiertes Zivilprozessrecht zu entwickeln. Dieses sollte bis zur Kodifikation der Zivilprozessordnung von 1855 Gültigkeit beanspruchen, die ihre Prinzipien und Prozesscharakteristika aus den Partidas und dem Fuero Real entnahmen.16 13 Partidas 3.24.4. S. Hierzu Salustiano De Dios, Gracia, merced y patronazgo real. La Cámara de Castilla entre 1474 – 1530, Madrid 1993, S. 424) und Gustavo Villapalos Salas, Los recursos contra los actos de gobierno en la Baja Edad Media. Su evolución histórica en el reino castellano (1252 – 1504), Madrid 1976, S. 218. 14 Leyes del Estilo et declaraciones sobre las Leyes del Fuero, in Opúsculos legales del rey D. Alfonso el Sabio, publicados y cotejados con varios códices antiguos por la Real Academia de la Historia, t. II, Madrid 1836, S. 162 in fine und 163. 15 Remedios Morán Martín und Eduardo Fuentes Ganzo, Ordenamiento, legitimación y potestad normativa: justicia y moneda, in: Jose Manuel (Hg.), Orígenes de la Monarquía Hispánica: propaganda y legitimación (ca. 1400 – 1520), Madrid 1999, S. 207 – 238, hier S. 212. 16 Aquilino Iglesia Ferreirós, Las Cortes de Zamora de 1274 y los casos de Corte, in: Anuario Historia del Derecho Español – im Folgenden, AHDE- 41 (1971), S. 945 – 971; Carlos Garriga Acosta, La Audiencia y las Chancillerías castellanas (1371 – 1525). ­Historia

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2.  Alfons XI. und die Supplikation Alfons XI. (1312 – 1350) konsolidierte das gesetzgeberische Werk seines Vorgängers. Er wurde durch die Einführung der ersten Rangliste von Rechtsquellen bekannt (Orden der Cortes von Alcalá de Henares von 1348, Titel 28, Gesetz 1). Sie ist ein Beispiel für den Triumph königlicher Legislative. Sie erweiterte die Gültigkeit der Partidas neben dem königlichen und lokalen Recht auf das gesamte Gebiet der Krone und sprach die ausschließliche Auslegungszuständigkeit des Rechts (im Falle von Rechtslücken) dem König zu.17 Alfons XI. regte außerdem eine Vereinfachung des Prozesses an, um die bestehenden Probleme in der Justizverwaltung zu lösen. Sie sollte Prozessverzögerungen vermeiden und zu einer Prozessbeschleunigung führen. Die Nichteinhaltung der Formen wurde nur im Falle des „ausdrücklichen Wunsches“ seitens einer der Prozessparteien akzeptiert, und wenn darauf bestanden wurde, dass das Urteil gemäß der im Prozess bewiesenen Tatsachen zu fällen sei. Es war eine Reform, die versuchte, „die praktischen Folgen der Einführung eines komplizierten Gerichtsverfahrens, wie e[s] durch die Regeln des rezipierten Römischen Rechts vorgeschrieben worden war, zu mildern – nämlich die Verzögerung des Urteils und die Erhöhung der Prozesskosten“.18 Der Ordenamiento von Alcalá 1348 legte Prozessvoraussetzungen in der Supplikationsinstanz fest. Dabei versuchte er, die in den Partidas festgelegte Ordnung zu respektieren. Er führte zur Aufgabe der Königsgnade als eigenes Rechtsmittel und zum Beginn ihrer Einstufung als ordentliche Berufung.19 Ebenso führte die Ordnung eine Frist ein, innerhalb derer der Einspruch eingelegt und über ihn entschieden werden musste: eine Frist von zehn Tagen wurde zugestanden, um gegen das erstinstanzliche Urteil ein Rechtsmittel einzulegen, und weitere zwanzig Tage, damit ein Richter höherer Instanz ein r­ echtskräftiges política, régimen jurídico y práctica institucional, Madrid 1994, S. 37 ff. und 329 ff. und Juan Montero Aroca, La Ley de Enjuiciamiento Civil Española de 1855. La consolidación del proceso común, in L’Educazione Giuridica VI (1994), Modelli Storici della Procedura Continentale, II Dalle Ordonnances del XVII secolo alle codificazioni del XIX secolo, Nápoles 1994, S. 347 – 458. 17 Ordenamiento von Cortes Alcalá de Henares 1348 28.1, in Cortes de los antiguos reinos de León y de Castilla, I, ed. Real Academia de la Historia, Madrid 1861, S. 593 – 626 – im Folgenden CLC-. S. Manuel Pérez-Victoria De Benavides , Prelación de Fuentes en Castilla (1348 – 1889), Granada 1993. 18 Rafael Gibert y Sánchez De La Vega, El Ordenamiento de Villa Real, 1346, in: AHDE 25 (1955), S. 703 – 729, hier S. 715. 19 Miguel Pérez De La Canal, La justicia de la Corte en Castilla durante los siglos XIII al XV, in: Historia Instituciones y Documentos – im Folgenden HID - 2 (1975), S. 385 – 481, hier S. 409.

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Urteil fällte.20 Technisch gesehen handelte es sich hierbei nicht um eine Ausschlussfrist, wohl aber um das Erfordernis einer Frist.21 Der „ordentliche“ Einspruch konnte nur gegen die von den Hofrichtern gefällten Urteile, solchen der grenznahen Regionen (andalusische Königreiche) und des Königreichs Murcia, eingelegt werden.22 Andererseits wurde die Funktion des Supplikationsrichters geregelt (in der zweiten Instanz wurde der Grundsatz der Kollegialität nicht eingeführt). Dieser könnte laut Sánchez-Arcilla seinen Vorläufer im Oberrichter der Partidas haben.23 Aber es handelte sich um einen Richter, „der nie als Amtsträger eingebunden war, sondern eher als bevollmächtigtes Organ, das umstandsbedingt vom König benannt wurde“.24 Zwar wurde unter Ferdinand IV. die Verpflichtung vorgesehen, dass er sich einen Tag in der Woche mit den Hofrichtern zusammensetzen sollte, um die Supplikationen anzuhören.25 Jedoch war die Supplikationsinstanz „ausschließ­ liche Zuständigkeit des Königs oder desjenigen, auf den er sie delegiert; in d ­ iesem Fall muss das Urteil in Übereinstimmung mit allen oder vielen Hofrichtern und Rechtsgelehrten des Hofes gefällt werden“.26 Alfons XI . selbst verneinte die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegen eine Supplikationsentscheidung an den König.27 Er begann jedoch nicht mit der Abspaltung der Rechtsprechung von der Casa y Corte, obwohl er in Partidas 3 die Supplikation vorsah. Demzufolge wurde weder eine zweite Supplikation geregelt noch die Vorlage an den Königlichen Rat, obwohl hier Experten des ius commune saßen.

20 Ordenamiento de Alcalá 12.2 und 14.1. 21 Emilio Javier De Benito Fraile, La sentencia en el proceso civil ordinario en el Derecho castellano: siglos XIII al XIX, unveröffentlichte Doktorarbeit Madrid 1988, S. 216 ff. und Notas para el estudio de la sentencia en el proceso civil ordinario desde la recepción del Derecho común hasta la Ley de Enjuiciamiento Civil de 1881, in: Glossae. Revista de Historia del Derecho europeo 1 (1988), S. 135 – 159. 22 Ordenamiento de Alcalá de Henares 14.1. 23 José Sánchez-Arcilla Bernal, La administración de justicia real en Castilla y León en la Baja Edad Media (1252 – 1504), Madrid 1980, S. 370, und Miguel Pino Abad, El recurso de suplicación en Castilla. Expresión de la gracia regia, Madrid 2006, S. 35 ff. 24 Torres Sanz, La Administración (wie Anm. 2), S. 149. 25 Sánchez-Arcilla, La administración de Justicia (wie Anm. 23), S. 365 – 374. 26 Ebd., S. 149. 27 Ordenamiento von Alcalá de Henares 14.2: „Después que el pleyto fuere librado por suplicacion por el Juez que fuere dado por Nos, non se pueda ninguna de las partes querellar de la sentencia quel diere, nin suplicar della, nin decir, nin allegar contra ella, que es ninguna; et si lo dixiere ò raçonare, que non sea oydo sobre ello“.

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3.  Der Beginn der Kollegialität in der Höchstgerichtsbarkeit: Die Reformen von Heinrich II. und Johann I. Während der Regierungszeit Heinrichs II. von Trastámara (1369 – 1379) gelangen weitere Fortschritte in der Organisation einer eigenständigen Höchstgerichtsbarkeit. Grund war unter anderem die Tatsache, dass der König sich von der Justizverwaltung allmählich loslöste. Diesem Umstand trägt Rechnung, dass ein Gericht gegründet wurde, die königliche audientia (erinnern wir uns an die Episcopalis Audientia des kanonischen Prozesses).28 Folglich ersetzte sie den „beauftragten“ Richter als Supplikationsrichter und führte das kollegiale Modell ein. Die Audiencia wurde das erste Mal bei der Versammlung der Cortes in Toro im Jahre 1371 geregelt.29 Sie übte die ordentliche königliche Justiz vorzugsweise in Zivilsachen aus, obwohl sie auch in Strafsachen entschied. Der Zeitpunkt ihrer Einführung ist umstritten und sie bestand aus sieben Prälaten und richtenden Mitgliedern, den sogenannten oidores (diese Bezeichnung leitet sich aus dem spanischen Wort oir = hören ab); diese hörten die Parteien in der audientia des Königs an, den sie begleiteten. Ihre Ernennung war nicht vereinbar mit der Ernennung als Hofrichter (Strafrecht). Die Versammlung der Cortes von 1371 legte fest, dass die Audiencia im königlichen Palast oder − im Falle der Abwesenheit des Königs – im Palast der Königin (oder aber dort, wo sich der Kanzler befand oder in der Chancillería) zusammentreten sollte. Der Prozess folgte dem Prinzip der Mündlichkeit, um die Beschleunigung der Entscheidung des königlichen Gerichts zu gewährleisten. Ihre Urteile mussten von mindestens zwei Oidores gefällt werden – wenn auch zugelassen wurde, dass sie vom Plenum (sieben) oder der Mehrheit (vier) erlassen wurden. Gegen sie konnte keine Berufung eingelegt werden (da das Gericht als Alter Ego des Königs entschieden hatte: „et que del juicio o juicios que estos dichos dichos siete oydores o la mayor parte dellos o alo menos los dos dellos dieren, que non aya alçada nin ssuplicaçion alguna“).30 Allerdings dürfen wir die königliche Praxis des omisso medio und die per saltum (aus Gnade) nicht vergessen. 28 S. hauptsächlich Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16); Ders., Observaciones sobre el estudio de las Chancillerías y Audiencias castellanas (siglos XVI–XVII), in: Atti dell’ Incontro di Studio su „Hispania entre Derechos propios y Derechos nacionales“, Maggio 1989, Biblioteca per la storia del pensiero giuridico moderno, 34 – 35, II, S. 757 – 803 und Ignacio Czeguhn, Die kastilische Höchstgerichtsbarkeit 1250 – 1520, Berlin 2002. 29 Cortes von Toro 1371 (in CLC 2,1 S. 189 ff ). 30 Ebd., S. 189.

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Johann I. (1379 – 1390) gründete dann auf der Versammlung der Cortes in Valladolid 1385 den Rat von Kastilien. Als oberstes Verwaltungsorgan des Hofes war seine Gründung eingebettet in die ständisch-politischen Spannungen nach der königlichen Niederlage gegen das Königreich Portugal (Schlacht von Aljubarrota, August 1385). Dies war der Grund, weshalb der Rat eine aus drei Ständen bestehende Struktur hatte, wobei die Cortes (Ständeversammlung) an der Ausgestaltung seiner institutionellen Natur teilhaben sollten (vier Prälate, vier Edelmänner und vier Vertreter der Städte). Ohne es zu beabsichtigen, wie Suárez Fernández schreibt, führte die Reform zu einer Teilung der Verwaltung der Krone, die in der Trennung der gesetzgebenden (König und Cortes), der exekutiven (Rat von Kastilien) und der judikativen Funktionen (Audiencia) mündete.31 1379 wurde eine weitere Reform durchgeführt. Die Gerichtsreform legte Instan­ zen und Rechtsmittel fest und war Teil des Versuchs der Krone, ihre Macht und ihr Ansehen zu vergrößern „in dem Maße, wie die königliche Justiz gleichermaßen verwaltet und in Kraft gesetzt werden soll“.32 Der Beitrag von Johann I. bestand darin, Instanzen und Prozesse an die neuen Institutionen von Corte und Chancillería anzupassen und an die Situation von Casa y Corte. Alles in Einklang mit den Prinzipien der Partidas. Die Gründungsordonnanzen von 1385 verliehen dem Rat von Kastilien Kompetenzen für die Beratung, Entscheidung und Ausführung in Regierungsangelegenheiten und übertrugen die Gerichtskompetenzen an die Audiencia.33 Anfänglich übernahm der Rat keine Gerichtskompetenzen, sondern nur Verwaltungs- und Beratungsfunktionen, aber bald begannen Rechtsgelehrte an Stelle der Städtevertreter in ihm zu sitzen. Bei der Versammlung der Cortes 1387 in Briviesca wurde die Ersetzung der Städtevertreter durch vier Doktoren des Rechts beschlossen. Die sogenannten Gerichtsbriefe sollten an die Audiencia weitergeleitet werden, mit Ausnahme derjenigen, die sich auf Ungerechtigkeiten bezogen. Diese sollten in Form der Supplikation an den König gesendet werden.34 De Dios legt dar, dass der König nicht auf den Adel verzichten konnte und er rechtsgelehrte Adelige den Bürgern vorzog, während die Städte den Hochadel ausschließen wollten.35 31 Luis Suarez Fernández, Historia del reinado de Juan I de Castilla, Bd. I, Madrid 1977, S. 334. 32 Richard l. Kagan, Pleitos y Poder Real. La Chancillería de Valladolid (1500 – 1700), in: Cuadernos de Investigación Histórica – im Folgenden CIH – 2 (1978), S. 291 – 316, hier S. 294. 33 Ordenanzas fundacionales von 1385, in Salustiano de Dios, Fuentes para el estudio del Consejo Real de Castilla, Salamanca 1986, S. 5. Siehe hierzu Salustiano de Dios, El Consejo Real de Castilla (1385 – 1522), Madrid 1982, S. 74 ff. 34 CLC 2, 4, S. 381. 35 De Dios, El Consejo Real (wie Anm. 34), S. 80 f.

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Hinsichtlich der Rechtsprechung und ihrer ausdrücklichen Zuweisung an die Audiencia besaß der Rat von Kastilien in seiner Anfangszeit keine Rechtsprechungszuständigkeiten, entschied jedoch über Rechtsangelegenheiten in der königlichen Beratung. Durch die Verlagerung von Rechtsstreiten auf höhere Gerichte oder der Übertragung – comissio regia – des Rechtsmittels der Revision von Urteilen an die Audiencia (segunda suplicación), konnten seine Handlungen die festgelegten Grenzen nicht überschreiten.36 Wir sehen hier aber, wie Instanzen und/oder Gerichtsstufen entstanden, um die Anwendung des königlichen Rechts zu vereinfachen: Der König verwandelte den Rat von Kastilien durch Beteiligung auch an gerichtlichen Prozessen langsam in eine Hauptkontrollinstitution der Höchstgerichtsbarkeit. Dies stand auch in Zusammenhang mit der ­Theorie, dass das Reich ein Körper war, in dem der „König der Kopf ist, von Gott die weltliche Macht übertragen bekommt, was die religiösen von den weltlichen Aspekten trennt“.37 Sichtbarer Kopf und Instrument der königlichen Justiz waren, als Kollegialorgane, die Audiencia und der Rat von Kastilien.38 Das Rechtsmittel der Supplikation vor der Audiencia wurde im ordentlichen Prozess festgelegt. Ein Problem bestand aber bei Rechtsstreitigkeiten, die vor der Audiencia begonnen worden waren.39 Um dem Grundsatz der trium conformium sententiarum zu genügen, musste ein iter per gradum mit Abschluss vor dem König festgelegt werden. Um einen Devolutiveffekt zu erzeugen – per gradum –, musste ein zweiter und letzter Einspruch geschaffen werden, um die Supplikationen der Audiencia in einer weiteren Instanz zu entscheiden. Johann I. nahm dies bei der Versammlung der Cortes 1387 in Briviesca und 1390 in Segovia in Angriff, wobei die Instanzen, Einsprüche und Rechtsmittel geregelt wurden. Dies beeinträchtigte die Autonomie der herrschaftlichen und städtischen lokalen Rechtsprechungen, die als Berufungsinstanz handelten, da man der neuen Struktur der Höchstgerichtsbarkeit eine Schlüsselrolle zuwies. Man beabsichtigte, die Entscheidungsgewalt zu zentralisieren und die königliche Herrschaft zu stärken.40 Die Reform sah die Entscheidungen der Audiencia nicht als unvereinbar mit einer Revision vor dem Monarchen an. Und dennoch führte sie zu einer „fast vollständigen Unabhängigkeit“ der Höchstgerichtsbarkeit, da diese Fälle auf sehr wenige Ausnahmen r­ eduziert 36 Aikin Araluce, El recurso de apelación (wie Anm. 3), S. 14 und Luis María García-Badell Arias, La práctica judicial frente a las leyes. La admisión de nuevas pruebas en la segunda suplicación, in: Fallstudien zur spanischen und portugiesischen Justiz 15. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt 1994, S. 369 – 398, S. 373. 37 Morán Martín und /Fuentes Ganzo, Ordenamiento (wie Anm. 15), S. 212 – 213 f. 38 De Dios, El Consejo Real (wie Anm. 33), S. 70. 39 Cortes de Briviesca de 1387 (CLC 2, 18, S. 384). 40 Kagan, Pleitos y Poder Real (wie Anm. 33), S. 294.

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wurden.41 Gleichzeitig führten die Übertragungen der Entscheidungen durch den König an den Rat von Kastilien ­später dazu, dass dieser mit der Audiencia als Rechtsprechungsorgan gleichgestellt wurde. Die Reform von 1387, die gegen den Inhalt von Partidas 3.23.25 verstieß, eröffnete die Möglichkeit von drei Rechtsmitteln bei Zivilprozessen, die vor lokalen Richtern eröffnet waren: erstens die Appellation vor den Hofrichtern; zweitens Revision vor den jueces de alzada und drittens Supplikation vor der Audiencia, innerhalb einer Frist von zwanzig Tagen. Die ordentliche Entscheidung über die Supplikation wurde den Oidores zugeschrieben, deren Urteil, wenn es die vorherigen bestätigte, rechtskräftig war und die Wirkung der res iudicata entfaltete.42 Bei den in erster Instanz am Hofe begonnenen Rechtsstreiten wurden zwei Einsprüche festgelegt.43 Die Neuheit bestand darin, dass eine zweite Supplikation vor dem König eingeführt wurde, nämlich für den Fall, in dem die Audiencia die vorherigen Urteile aufhob („e eso mesmo queremos que sea guardado quando la parte ouiere vnas sentençias o dos por sy, e los oydores la rreuocaren“ 44). Die Einführung einer Instanz der zweiten Supplikation gegen eine Supplikationsentscheidung der Audiencia führte in der Praxis zur Beauftragung des Rates von Kastilien. Diesem wurden Kompetenzen einer „nicht-prozessualen Justiz“ und gegebenenfalls Angelegenheiten, die nach einer Beratung mit dem König entschieden werden mussten, übertragen.45 Nach de Benito Fraile wurde der Vorgang der Entscheidungsfindung des Rates von Kastilien (die „Übereinkunft“) reguliert, wobei einerseits vorgeschrieben wurde, dass grundsätzlich niemand zugegen sein durfte, der nicht zu den Abstimmenden gehörte, es sei denn, der Königliche Rat würde es als angemessen ansehen. Andererseits wurde eine Formel für die Abstimmungen 41 Suárez Fernández, Historia del reinado (wie Anm. 31), S. 344. 42 Cortes von Briviesca 1387: die Instanzen werden aufgezählt „es nuestra merçed que si en alguna çibdad o villa o lugar delos nuestros rregnos fuere dada setençia contra alguna parte, e della fuere apelado para antelos alcalles dela nuestra corte, e sy por los alcalles dela nuestra corte fuere aquella sentençia confirmada, e fuere apelado para antel alcalle delas alçadas, e este alcalle confirmare la dicha setençia a della fuere suplicado a los nuestros oydores, los quales confirmaren a aprouaren las sentençias quelos otros dieren, que non aya mas apelaçion nin suplicaçion“ (CLC 2, 18, S. 384). 43 Ebd.: „E sy el pleyto fuere comenzado en la nuestra corte delante los nuestros alcalles, e los dichos alcalles o qual quier dellos dieren sentençia por la vna parte, e fuere apelado al alcalle delas alçadas, e el alcalle delas alçadas confirmare, e fuere della suplicado para ante los dichos nuestros oydores, los quales confirmaren la dicha sentençia que en este caso non aya apelaçion nin suplicaçion dellos“. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 384 – 386.

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festgelegt, die bisher noch nicht in Betracht gezogen worden war: Die erforderliche Reihenfolge besagte, dass mit den Jüngsten begonnen werden sollte.46 In der Ordonnanz, die für den Rat von Kastilien erstellt und von der Versammlung der Cortes von Segovia 1389 angenommen wurde, wurde die Beratung des Königs reguliert. Sie schrieb vor, dass man sich zweimal am Tag im Palast versammeln sollte, zum Zeitpunkt der Messe der Terz und der Stunde der Vesper (Partidas 1.4.48).47 Und die Ordonanzen vom 24. August 1390 legten genauere Funktionsregeln fest, in denen die Rolle des Präsidenten (wobei Juan Serrano, Bischof von Segovia, ernannt wurde), der Referendare – sie fassten die Petitionen für die Ratsmitglieder zusammen – und Relatoren reguliert wurde. Schließlich wurde die Pflicht eingeführt, jeden Tag die zu behandelnden Rechtssachen an der Tür des Rates zu veröffentlichen – eine Veröffentlichungspraxis, die schließlich 1555 auf die Justizangelegenheiten übertragen wurde, um Bestechlichkeit zu vermeiden.48 Die in der Versammlung der Cortes von Segovia 1390 eingeführte Reform richtete sich ihrerseits auf die Harmonisierung der Gerichtsinstanzen. In Einhaltung der Partidas schloss Johann I. die von Alfons XI. begonnenen Gerichtsreformen ab. Die Reform konsolidierte ein Regierungs- und Justizsystem, in dem der König an das Recht gebunden wurde und so „seine Unterwerfung unter die Gerichtsordnung“ abgeschlossen wurde.49 Bei der Versammlung der Cortes in Segovia 1390 wurden die Charakteristika und die Vorgehensweise bei den alzadas festgelegt: 1. In Bestätigung des Prinzips trium conformium wurden per gradum zwei I­ nstanzen und die Wirkung der res iudicata festgelegt.50 2. Die ordentliche Berufung vor der Audiencia wurde geregelt, wobei zehn Tage Frist eingeräumt wurden, um sie schriftlich vorzulegen. Dort musste das angebliche Unrecht des definitiven Urteils der ersten Instanz enthalten sein.51 Das Supplikationsurteil wurde rechtskräftig und legte eine Bestrafung – litiscrescentia – 46 47 48 49

La sentencia, s. o., S. 378 f. Ordenamiento von 1389, in De Dios, Fuentes (wie Anm. 33), S. 14. De Dios, El Consejo Real (wie Anm. 33), S. 85 und 94. Nieto García, El derecho como límite, in: Revista de adminis: tración publica 91 (1980), S. 7 – 74, S. 52. 50 Cortes von Segovia 1390, 4 (bestätigendes Urteil): „Commo quier que nos ovimos ordenado en las cortes de Briuiesca que quando por los nuestros oydores fuesen confirmadas las sentençia que de grado en grado viniesen por suplicaçion ante los nuestros oydores, que delas tales sentençias confirmatorias que los dichos nuestros oydores diesen, que non ­oviesen apellaçion nin suplicaçion“ (CLC, 2, S. 476). 51 Ebd., S. 476 f.: „sentençia es agrauiada, por la qual rrazon la tal sentençia que contra el fue dada es de enmendar, que espremiendo los agrauios en escripto en el dicho tiempo, que los dichos oydores tornen a rreueer el dicho pleito“.

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fest, wenn es das vorherige Urteil bestätigte. Sie betrug 40 % des ­Streitwertes. Sie wurde zugunsten der Bruderschaft der Chancillería angewandt, wobei es nie mehr als 1.000 Maravedíes sein durften.52 3. Es wurde eine letzte und neue Instanz vor dem König konkretisiert: die zweite Supplikation. Diese wurde zugelassen, wenn das Supplikationsurteil der Oidores – Präklusion per gradum – die vorherigen Urteile nicht bestätigte oder wenn der Rechtsstreit in erster Instanz vor der Audiencia begonnen worden war.53 Wenn der Rechtsstreit in der ersten Instanz in der Audiencia als Hofgericht begonnen worden war, musste innerhalb von zwanzig Tagen nach der Benachrichtigung über das Urteil die Supplikation vorgelegt werden. Dies musste auf Betreiben der benachteiligten Partei geschehen, wobei die Nachteile schriftlich dargelegt werden mussten. Auch wenn der Ausdruck Prozessphase benutzt wird, waren neue Beweise und Argumente zulässig („quela dicha parte pueda allegar lo que non alegó e prouar lo que non prouo“), was dem Ganzen das Charakteristikum einer Prozessinstanz verlieh. Die Supplikation hatte aufhebende – wenn auch keine zurückverweisende – Wirkung, was bei ihrem Fehlen das Urteil rechtskräftig werden ließ. Hier lag bei der Entscheidung des Rechtsmittels Kollegialität vor. Es kam nämlich den Oidores zu, über die Zulassung des Rechtsmittels zu entscheiden, oder „zumindest“ zweien davon und einem Prälaten der Audiencia.54 4. Die Neuheit der Reform bestand darin, die zweite Supplikation vor dem König zu regeln. Für die Fälle, die vor dem Hof begonnen wurden und in ­welchen keine ordentliche Berufung oder Supplikation zugelassen war, wurde Folgendes konkret festgelegt: a)  Sie war zulässig in Rechtssachen, die als „sehr groß“ angesehen wurden (außerordentliche Angelegenheit), wobei sie innerhalb von zwanzig Tagen eingelegt werden musste.55 Eine außerordentliche Angelegenheit lag vor, wenn der Streitwert hoch war („sehr groß“). Dies führte dank der 52 Ebd., S. 477: „Et dela tal sentençia confirmatoria o rreuocatoria que los dichos nuestros oydores dieren, que non aya apellaçion nin alçada nin vista nin soplicaçion; e la parte que oviere allegado el tal agrauio non verdadero, que pague la quarentena parte dela cosa demandada para la cofradia dela dicha chaçelleria, e toda via quela dicha quarentena parte que non sea mas de fasta en quantia de mill mr“. 53 Ebd., S. 476: „que si enlos casos sobre dichos, los dichos nuestro oydores rreuocasen las dichas sentençias o alguna dellas, o si algunos pleitos fuesen començados nueua mente ante los dichos nuestros oydores, que delas tales sentençias que podiese ser soplicado o apellado“. 54 Ebd., S. 477: „quelos dichos oydores o alo menos dos dellos, con vno delos perlados que estudieren enla munestra abdiençia, torrnen a veer e librar el dicho pleito en grado de soplicaçion“. 55 Cortes von Segovia 1390 (CLC 2, Gesetz 4, S. 477): „Et si el tal pleito començado delante los nuestros oydores e fenesçido por la segunda setençia, dela qual segund dicho es non deue auer apellaçion nin soplicaçion, fuere muy grande, queremos eneste caso quela parte que

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­ ngenauigkeit und fehlenden Definition zu einer Zweideutigkeit, die in U der Rechtspraxis zu Ermessensspielräumen – und Willkür  – führte. b)  Um das Rechtsmittel einzulegen und darauf abzielend, Arglist und Prozessverschleppung zu vermeiden, wurde eine Bedingung sine qua non gestellt: die Hinterlegung einer Kaution von eintausendfünfhundert Golddublonen in der Audiencia.56 Dies widersprach dem objektiven Kriterium von Partidas 3.22.8, welches dem berechtigt Verlierenden keine Kosten auferlegte, und führte ein anderes, subjektives Kriterium ein, indem Arglist bei jemandem vermutet wurde, der gegen ein Urteil der Audiencia Einspruch erhob. Die als Kaution verlangte „Strafsumme“ trug der zweiten Supplikation den volkstümlichen Namen des Rechtsmittels der eintausendfünfhundert Dublonen ein. Diese Kaution zielte darauf ab, in einer gerne prozessierenden Gesellschaft wie der kastilischen Rechtsstreite zu verringern. c)  Nur im Falle einer Bestätigung der Einspruchsentscheidung durch den König musste derjenige, der den Einspruch eingelegt hatte, zum Verlust der hinterlegten eintausendfünfhundert Dublonen verurteilt werden. Es wurde ad hoc eine gleichmäßige Verteilung der Summe ­zwischen der gewinnenden Gegenpartei, den Oidores und dem königlichen Fiskus festgelegt.57 d)  Das Einlegen des „außerordentlichen“ Rechtsmittels hatte eine aufhebende Wirkung  – zusammen mit der Rückverweisung –, ­welche es ermöglichte, die Vollstreckung des Urteils, gegen das Berufung eingelegt worden war, aufzuschieben.58 se sentiere agrauiada dela dicha sentençia, pueda para nos soplicar poniendo sus agrauios en escripto dentro de otros veynte dias“. 56 Ebd., S. 476 – 478: „por quela malicia de aquellos que soplican por alongar los pleitos non aya lugar, quela parte que soplicare dela dicha segunda sentençia dada por los dichos nuestros oydores conel dicho perlado en este caso sobre dicho, que se obliguen e den fiadores, dentro en los dichos veynte dias ante los dichos oydores, de pagar mill e quinientas doblas en caso que sea fallado, por quel o aquellos aquien nos lo encommendaremos, quela dicha segunda sentençia delos dichos nuestros oydores que fue bien dada“. Vid. Jesús Lalinde Abadia, Los gastos del proceso en el Derecho histórico español, in: AHDE 34 (1964), S. 249 – 416, insbesondere S. 401. 57 Ebd.: „Et si por aquel o aquellos aquien nos encommendaremos el dicho pleito, fuere fallado quela dicha sentençia de los dichos oydores fue bien dada confirmando la, estableçemos que la parte que asi soplicare o en cuyo nonbre fuere soplicado, que sea por esta nuestra ley condenada en las mill e quinientas doblas segund se obligó; e esta pena que sea partida en tres partes, la vna para aquel por quien fuere dada la sentençia, e la otra terçia parte para los dichos oydores que dieron la dicha sentençia, e la otra para nos“. 58 Ebd.: „tenemos por bien que en el caso sobredicho, quando en la dicha segunda sentençia fuere soplicado para nos en la manera sobre dicha, que non sea fecha esecuçion dela segunda

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e)  Und schließlich wurde in der Praxis ein königlicher Auftrag benötigt, damit einer oder mehrere Richter entschieden (es konnte „por aquel o aquellos aquien nos lo encommendaremos“ entschieden werden 59). Der König begann, die Fälle der zweiten Supplikation an den Königlichen Rat zu übertragen.60 Dieser führte die Entscheidung durch Memorial ajustado herbei (es musste die Auflistung der bewiesenen Tatsachen, die Beweisbeschlüsse, die Urteile der Verhandlung und der Revision, die Übergabe an den Fiskal sowie schließlich den Entscheidungsvorschlag enthalten), der dem König zu seinem Einverständnis vorgelegt werden musste. Die Instanzenreform von 1390 bestätigte die rechtlichen Befugnisse der Audiencia und legte ihren festen Sitz in der Stadt Segovia fest.61 Schließlich wurden die Bestimmungen der Versammlungen der Cortes von 1387 und 1390 durch diejenigen von Guadalajara 1390 vervollständigt. Diese konkretisierten in einem Klima der politischen Spannung mit den Ständen schwere Strafen für diejenigen, die den Zugang zu den Einsprüchen bei der Höchstgerichtsbarkeit verhinderten. Es wurde beschlossen, dass derjenige, der das Rechtsmittel einlegte, eine schriftliche Beschreibung des Prozesses der ersten Instanz vor der Audiencia einreichen musste: das Prinzip der Schriftlichkeit war eingeführt.62 Wie Molas Ribalta beschreibt, behielt der Rat des Königs stets die Befugnisse eines Obersten Gerichts bei, und die höheren Gerichte territorialen Charakters wurden als dessen Verlängerung oder Abspaltung angesehen.63 Nun agierte aber die Audiencia als Oberstes Gericht und der Rat von Kastilien als Regierungsorgan. Jedoch nannte sich der Rat von Kastilien selbst bald Justizrat, Oberster Rat der Justiz, Gerichtsrat oder Königlicher Justizrat. Bezeichnungen, die aufzeigen, was seine Hauptaufgabe von nun an sein sollte. Die Praxis im 15. Jahrhundert hatte es bestätigt und die Katholischen Könige es anerkannt.64 Der Instanzenreform folgten die Prozessregeln, die Grundlage des letztendlichen kastilischen ordine, was zur Verbesserung der Justizverwaltung beitrug. So sentençia fasta que fuere dada la terçera sentençia confirmatoria“. 59 Ebd., S. 478. 60 Manuel García Pelayo, Del mito y de la razón en la Historia del pensamiento político, Madrid 1968, S. 108. 61 De Dios, Fuentes (wie Anm. 33), S. 10. 62 Ebd., Gesetz 1, S. 425. 63 Pere Molas Ribalta, La Chancillería de Valladolid en el siglo XVIII. Apunte Sociológico, in CIH 3 (1979), S. 231 – 257, hier S. 233. 64 María Ángeles López Gómez, El Consejo Supremo de Castilla durante el Antiguo Régimen, unveröffentlichte Doktorarbeit, Universidad de Alcalá de Henares 1984, S. 572 ff.

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wurde also eine Prozesspraxis eingeführt, w ­ elche die frühmittelalterlichen Prozesse verdrängte, bei der das Urteil nicht die Folge einer dialektischen Auseinandersetzung war, sondern Folge einer Untersuchung und Analyse von juristischen Argumenten.65 Diese Reform begünstigte die königliche Kontrolle der gerichtlichen Anwendung des Rechts, was ihn zu einem arbitro iuris in großen und mühsamen Rechtsstreiten machte, vor allem solchen, die eine gewisse politische Gewichtung hatten – besonders beim Adel. So endete eine Periode der Reformen, die das vereinheitlichte und zentralisierte Modell der Regierung und der Justiz definierte, das die frühmittelalterlichen Vasallenstrukturen ersetzte. Kastilien bewegte sich schon früh auf das autokratische Modell einer königlichen Justiz zu.

III.  Die Reform der Katholischen Könige Nach der Anarchie zum Ende der Regierungszeit Heinrichs IV. (reg. 1454 – 1474) und nach Beendigung des Bürgerkrieges ermöglichten die Kirchenversammlung von Sevilla (1478), der Vertrag mit Portugal 1479 (ein Jahr s­ päter ratifiziert) und die Abkommen mit dem Hochadel die institutionellen Reformen, die ab der Versammlung der Cortes von Toledo 1480 eingeführt wurden. Diese stellen ein erstes Beispiel für die Akzeptanz einer unbestrittenen königlichen Macht durch den hohen Klerus und den Adel dar, die darauf abzielte, das politische Leben im Königreich zu ordnen.66 Die Politik in Kastilien wurde ausschließlich zur Angelegenheit der Krone. Mit totaler und absoluter Freiheit zu regieren und Gesetze zu erlassen war das Bestreben der Katholischen Könige. Sie reformierten die Strukturen der Verwaltung und konsolidierten die Kollegialität bei der Höchstgerichtsbarkeit, die sich vor allem auf die Einführung Rechtsgelehrter stützte. Der Moment der Errichtung einer staatlichen Struktur war gekommen, begleitet von einer absolutistischen Festigung der Macht.67 Die Reform brachte einen Regierungs-, Finanz-, Armee- und Justizapparat hervor, der in der Lage war, dem königlichen Recht zum Erfolg zu verhelfen. Die Reform zielte darauf ab, die zuvor bestehende Organisation, ­insbesondere die Organe der Höchstgerichtsbarkeit, also den Königlichen Rat und die 65 Súarez Fernández, Historia del reinado (wie Anm. 31), S. 345. 66 María Paz Alonso Romero, Las Cortes y la administración de la justicia, in Las Cortes de Castilla y León en la Edad Moderna, Valladolid 1989, S. 501 – 563, hier S. 511 f. 67 Stephen h. Haliczer, Construcción del Estado, decadencia y revolución en la Corona de Castilla, in: Homenaje a Emilio Gómez Orbaneja, Madrid 1977, S. 302.

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­ udiencia, zu präzisieren.68 Dies war der Schlüssel zur nachfolgenden   – und A frühzeitigen   – Trennung der Regierungs- und Justizfunktion in Kastilien mit spezialisierten Richterkammern. So nahmen die Katholischen Könige bald die territoriale Neuorganisation der Höchstgerichtsbarkeit in Angriff.69 Die Kollegialität verleiht der Höchstgerichts­ barkeit laut Garriga ­gleiche Prinzipien und als ­solche gemeinsame Evolutionsmuster.70 Diese Neuorganisation setzte ab 1480 die gesetzliche Regelung neuer Institutionen sowie eine wirksame königliche Kontrolle  – ausgerichtet darauf, die Unparteilichkeit der höheren Gerichtsorgane zu garantieren und den Missbrauch zu bremsen, der sich aus der richterlichen Willkür ergeben hatte − voraus. So wurde jetzt der Antrag auf Ablehnung eines Richters zugelassen.71 Ab 1480 ist zudem festzustellen, dass sich infolge der Reform und der Spannungen z­ wischen den Organen der höheren Gerichtsbarkeit (Audiencia und Rat von Kastilien) sowie angesichts der fehlenden Festlegung der Kompetenzen bei der Kontrolle der höheren Gerichtsbarkeit der Rat als Spitze im kastilischen Organigramm zu platzieren begann.72 Der Rat von Kastilien bestand aus sechs Rechtsgelehrten, zwei Edelleuten und einem Prälaten; eine Anstrengung, um das kollegiale Modell in der höheren Gerichtsbarkeit zu konsolidieren. Dies erlaubte es ihm, sich als Eckpunkt der absolutistischen Justiz zu festigen.73 Die Bestimmungen der Versammlung der Cortes in Madrigal (1476) sowie die schon erwähnte Versammlung von Toledo (1480), die Königlichen Verordnungen von Kastilien (im folgenden KVK) von 148474 und die Verordnungen von Medina del Campo von 1489 gaben der höheren Justiz eine formalisierte Struktur. Der Rat von Kastilien festigte sich als delegierte hohe Gerichtsbarkeit und letzte Instanz gegenüber der Audiencia und sollte diese Stellung bis zu seiner Auflösung im Jahre 1834 beibehalten.75

68 Alonso Romero, Las Cortes (wie Anm. 66), S. 512. 69 María Antonia Varona García, La Chancillería de Valladolid en el Reinado de los reyes Católicos, Valladolid 1981, S. 53 ff. 70 Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16), S. 149. 71 Santos m. Coronas González, La recusación judicial en el Derecho histórico español, in: AHDE 52 (1982), S. 510 – 615, hier S. 553. 72 López Gómez, El Consejo Supremo (wie Anm. 64), S. 28 ff. und Pedro Gan ­Giménez, El Consejo Real de Castilla, Granada 1970, S. 36 ff. 73 Julián Valero Torrijos, Los órganos colegiados. Análisis histórico de la colegialidad en la organización pública española y régimen jurídico-administrativo vigente, Madrid 2002, S. 83. 74 Aus der Edition Los Códigos españoles, Bd. VI, 2. Aufl., Madrid 1872. 75 Molas Ribalta, La Chancillería de Valladolid (wie Anm. 63), S. 234.

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1.  Die Neuorganisation der kastilischen Höchstgerichtsbarkeit: Audiencias und Königlicher Rat von Kastilien Wie schon erwähnt, formalisierte die Reform von 1480 die Gerichtsstrukturen der Justizverwaltung und legte die Grundlagen für die Prüfung und die Kontrolle der kastilischen Audiencias fest. Wie Clavero betont, führten diese Kontrollen dazu, dass die Audiencias nicht als Alter Ego des Königs angesehen oder gar identifiziert wurden. Und dies „nicht nur, weil der König letztendlich in keiner von ihnen residierte“, sondern weil der Rat von Kastilien schon sehr früh begann, den König als Richter zu vertreten.76 Der Lobgesang auf die Katholischen Könige des Chronisten Galíndez de Carvajal, der ihre gute Arbeit der Reform von 1480 rühmt, ist nicht verwunderlich.77 Die Reform stattete den Rat von Kastilien unangefochten mit „Macht und Gerichtsbarkeit“ sowie als Revisions- und Kontrollinstanz der Audiencia aus, die nun definitiv ihren festen Sitz in der Stadt Valladolid erhielt. Die Katholischen Könige, die mehr um die Kontrolle der Audiencia als um die des Rates von Kastilien besorgt waren, erklärten in einer Real Provisión vom 8. November 1490, dass in der Audiencia weder die Gesetze für einen guten Ausgang des Prozesses beachtet noch Recht nach den Bestimmungen des Zivil- und Strafrechts gesprochen wurden: ein Beispiel für richterliche Willkür.78 Die Ordenanzas der Audiencia von 1489 charakterisierten die Corte y Chancillería, abgespalten von der Casa y Corte, als einheitlichen Organismus und in eine Struktur eingebaut, „bürokratisch in der institutionellen Gestaltung und formalisiert in der Gerichtsfunktion“.79 Der Rat von Kastilien wurde als Supplikationsinstanz gegen die Urteile der Audiencia positioniert. Der Rat sollte sich die Casa y Corte als Beispiel nehmen und in denjenigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden, die eine gute Regierung der Krone betrafen. Folglich wurde die Audiencia als stark formalisiertes und bürokratisiertes Höchstgericht gefestigt, das jedoch mit eiserner Hand von der Monarchie kontrol­ liert wurde.80 Es dauerte nicht lange, bis der König eine Visitation der Audiencia befahl, die Ende 1490 abgestattet wurde. Das Ergebnis war die Entfernung 76 Bartolomé Clavero Salvador, Sevilla, Concejo y Audiencia: invitación a sus ordenanzas de justicia, prólogo a la edición facsímilar de las Ordenanzas de Sevilla, Sevilla 1603, S. 18 f. 77 Anales breves, Colección de documentos inéditos para la Historia de España, Bd. XVIII, Madrid 1851, S. 267 ff. 78 Real Provisión de 8 de noviembre de 1490, dada en Córdoba, in Archivo General de ­Simancas, RGS, Bl. 32. 79 Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16), S. 140. 80 Inés Gómez González, La justicia, el gobierno y sus hacedores. La Real Chancillería de Granada en el Antiguo Régimen, Granada 2003, S. 18.

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ihres Präsidenten und der Oidores. Wie Garriga ausführt, handelt es sich hier um den Höhepunkt eines strengen Kontrollprozesses, der bis zum Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Ziel entwickelt wurde, in der Chancillería die Beachtung der Ordonanzen einzuführen.81 Es dauerte nicht lange, bis der Rat seine Kompetenzen erweiterte und auch Zivil- und Strafstreitigkeiten entschied.82 In der ­Praxis beschränkte er sich nicht auf die Ausübung der übertragenen, ordentlichen Zuständigkeiten. Geschützt durch die Mehrdeutigkeit der Normen und die Nähe zum König entschied er zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, die ihm zunächst nicht zugewiesen worden waren.83 Nach Abschluss der Reconquista, der Einführung der Kontrolle der Audiencia in Valladolid und der Definition der Gerichtsrolle des Rates, kam der Augenblick der territorialen Ausdehnung des kollegialen Modells. Die Neuorganisation der Audiencia und der Chancillería war vorrangig.84 Der Chronist Hernando del Pulgar informiert uns über die Antwort Isabellas an den Kardinal von Spanien infolge eines Gerichtsbarkeitskonflikts, in der sie ausführt, dass die Höchstgerichtsbarkeit ihr gehöre und dass aufgrund dieser „Überlegenheit“ ihre Beamte an jedem Ort ihrer Königreiche, an denen sie sich aufhielten, die Gerichtsbarkeit inne hätten.85 Den Katholischen Königen verdanken wir die kollegiale Ausdehnung der Höchstgerichtsbarkeit durch die Organisation von Audiencia und Chancillería   – Corte und Chancillería  – an zwei Sitzen: einen in Valladolid und einen in Ciudad Real (1494), wobei der Tajo-Fluss die Grenze ihrer jeweiligen territorialen Zuständigkeit darstellte.86 Die Audiencia von Valladolid wurde quasi verdoppelt und die von Ciudad Real (1494) nach deren Ebenbild und mit den gleichen Zuständigkeiten eingerichtet.87 Der Grund für die Reform war einerseits, den Vasallen, die lange Wege zurücklegen und hohe Kosten zahlen mussten, um einen Rechtsstreit zu beginnen, den Zugang zur Höchstgerichtsbarkeit zu erleichtern. Andererseits, um die Klagen schneller zu erledigen, die sich endlos verlängerten  – manchmal aus Boshaftigkeit 81 Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16), S. 143. 82 María Paz Alonso Romero, El proceso penal en Castilla (siglos XIII – XVIII), Salamanca 1982, S. 287 ff. 83 Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16), S. 235. 84 Varona García, La Chancillería (wie Anm. 69), S. 53 f. 85 Crónica de los Señores Reyes Católicos Don Fernando y Doña Isabel de Castilla y de Aragón, escrita por su cronista; cotexada con antiguos manuscritos y aumentada de varias ilustraciones y enmiendas, imprenta de Benito Monfort, Valencia 1780, S. 267. 86 De Dios, El Consejo Real (wie Anm. 33), S. 146. 87 Santos m. Coronas González, La Audiencia y Chancillería de Ciudad Real (1494 – 1505), in: Cuadernos del Instituto de Estudios Manchegos 11 (1981), S. 45 – 139.

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der Prozessparteien, manchmal aufgrund der hohen Anzahl der Rechtstreitigkeiten. Es besteht kein Zweifel daran, dass die neue territoriale Zuständigkeit die Rechtsprechung beschleunigte und den Untertanen den Zugang zu ihr erleichterte, da übertriebene Kosten vermieden wurden.88 Andererseits bestanden seit der Einführung einer zweiten Corte y Chancillería in Ciudad Real stets Probleme. Zu denjenigen, die sich aus der mangelhaften Infrastruktur der Stadt ergaben, kam das Provisorium des Standortes hinzu.89 Per königlicher Urkunde und begleitet von einer königlichen Anordnung für die Stadt Granada, beides vom 8. Februar 1505, wurde ihre Verlegung nach Granada verfügt.90 Der Standort war geprägt durch die symbolische Rolle, die Granada spielte und durch die Absicht der Katholischen Könige, die Stadt politisch zu dominieren.91 Granada war bereit, das Höchstgericht aufzunehmen. So wurde sie zum dritten Gerichtssitz eines Höchstgerichts des Reiches.92 Fast zeitgleich mit dieser Aufspaltung wurde 1492 die Audiencia in Sevilla gegründet.93 Wie Garriga aufzeigt, schuf man im Spätmittelalter in Sevilla eine institutionelle Organisation, die sogenannten „jueces de grado“, ein Einpersonengericht mit hierarchischer Struktur. Dies genügte dem Privileg, „dass die Rechtsstreite der Einwohner innerhalb der Stadt zu Ende gebracht werden sollten“.94 Es war möglich, gegen die Urteile der Audiencia in Sevilla vor die Audiencia in Granada als Supplikationsinstanz zu ziehen.95

88 José Antonio López Nevot, Práctica de la Real Chancillería de Granada, Estudio preliminar y edición del Manuscrito 309 de la Biblioteca Nacional de Madrid, Granada 2005, Kap. 1º, 1, S. 3. 89 Francisco Bermúdez De Pedraza, Historia eclesiástica, principios y progresos de la ciudad y religión católica de Granada, Granada 1639, Bl. 201v. 90 Cedula de su Alteza para que la audiencia se passe de Ciudad Real a esta ciudad de Granada, in Cedulas provisiones visitas y Ordenanzas de los sennores Reyes Católicos y de sus majestades y Autos de los señores Presidente y Oidores concernientes a la facil y buena expedicion de los negocios y administración de Justicia y gouernacion de la Audiencia Real que reside en la Ciudad de Granada, Granada 1551, Bl. II. 91 Gómez Gónzalez, La justicia (wie Anm. 80), S. 19. 92 José Antonio López Nevot, La organización institucional del municipio de Granada durante el siglo XVI, Granada 1994, S. 23 ff. 93 Ordenanzas, Córdoba, 30 de mayo de 1492. S. Las Ordenanzas de Sevilla, edición facsimilar, Sevilla 1603. 94 La Audiencia (wie Anm. 16), S. 148. 95 Antonio Sánchez Aranda, Reticencias de la Real Chancillería de Granada a la implantación de la Audiencia „Provincial“ de Extremadura, in: Ignacio Czeguhn und José Antonio Pérez Juan, Reflexiones sobre la Justicia en Europa en la primera mitad del s. XIX, Alicante 2010, S. 265 – 322.

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1494 kam die Erweiterung um die königliche Audiencia des Königreiches Galicien, die 1487 mit zwei Richtern ins Leben gerufen wurde. Sie definierte die Gerichtsbarkeit für das gesamte Territorium Galiciens und ihre kollegiale Struktur.96 Gegen ihre Urteile konnte vor der Audiencia in Valladolid Berufung eingelegt werden, obwohl die Ordonanzen vom 15. Juni 1500 ermöglichten, dass dies bei gegenseitigem Einverständnis der Parteien auch vor der gleichen Instanz geschehen konnte und als Revision vor derjenigen in Valladolid.97 Ihr wurden auch, im Gegensatz zur Audiencia von Sevilla, die Zuständigkeit für die Hoffälle anerkannt.98 Nachdem nun die Höchstgerichtsbarkeit organisiert worden war, musste die Beziehung ­zwischen dem Rat von Kastilien und den Audiencias noch einmal abgegrenzt werden, sowohl in Hinblick auf gerichtliche Zuständigkeiten als auch auf ­solche mit Regierungscharakter. Man beabsichtigte, dem Rat von Kastilien eine größere Regierungswirksamkeit zu geben und ihm in der Praxis die Mehrheit der Gerichtskompetenzen zu entziehen, die den Audiencias übergeben worden waren. Die territoriale Neuorganisation führte eine Verbesserung ein, die es ermöglichte, dass der Rat von Kastilien von den Justizangelegenheiten entlastet wurde. Del Pulgar sagt, dass die Entscheidung darin begründet lag, dass vor dem Rat von Kastilien viele Rechtsstreitigkeiten verhandelt wurden, die ihn überlasteten und ihn daran hinderten, über die Regierungsangelegenheiten zu entscheiden.99 Diese Reform der Zuständigkeiten kann allerdings als zu unbestimmt bezeichnet werden.100

2.  Die Reformen durch die Ständeversammlung in Toledo 1480 Die bedeutende Reform von 1480 beruhte, wie Garriga betont, auf der Festlegung der Kompetenzen der Prozessinstanzen, wobei Casa y Corte und Corte y Chancillería parallel zueinander vereinheitlicht und als Verwahrer der Höchstgerichtsbarkeit angesehen wurden. Dies impliziert jedoch nicht, dass „Audiencia und Rat die ­gleiche Gerichtsbarkeit hatten, sondern nur, dass die eine und der andere gleichermaßen Teil hatten an der „naturaleza superior“, die sie verband“.101 96 Pragmática de los RRCC in Nueva Recopilación de Leyes de Castilla  – im Folgenden: NRC  – 3.1.2. In der Ausgabe veröffentlicht in Madrid 1640. S. Cedula de creación de la Real Audiencia en sus Ordenanzas, in: Bernardo Herbella de Puga, Derecho práctico y estilo de la Real Audiencia de Galicia, Santiago 1768, S. 7 und Antonio Eiras Roel, Sobre los orígenes de la Audiencia de Galicia, in: AHDE 54 (1984), S. 323 – 384, s. o., S. 327 und 340. 97 Ordenanzas von 1500 in Libro de las Bulas, s. o., Bl. 99v–100v. NRC 3.3.1.3 und 17. 98 NRC 3.1.3. 99 Hernando del Pulgar, Crónica de los Señores Reyes Católicos, 1780, S. 267. 100 De Dios, El Consejo Real (wie Anm. 33), S. 401 ff. 101 Garriga Acosta, La Audiencia (wie Anm. 16), S. 136.

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Seit dem Fuero Real und den Partidas war nur eine spärliche Gesetzgebung erlassen worden, die als nicht systematisierte Ausarbeitung des ordo iudicorum privatorum veraltet war. Die frühe Rechtsstreitpraxis der kastilischen Gesellschaft, in der es keine anderen Mittel zur Lösung von Rechtsstreiten außer Schiedsgerichten gab, die Anhäufung von anhängigen Prozessen, die noch entschieden werden mussten, die Überlastung des Rates von Kastilien und die missbräuchliche Nutzung und Vorbringung der römisch-kanonischen communis opinio zur juristischen Begründung hatten letztlich die Verlangsamung der Justizverwaltung zur Folge. Die Prozessreform eröffnete die letzte Phase (1499 – 1504) der legislativen Tätigkeit der Katholischen Könige. Es war notwendig, Gerichtsbarkeiten zu definieren und die Prozesscharakteristiken im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits zu konkretisieren: Instanzen, Fristen, Beweisaufnahme etc. Eine der immer wiederkehrenden Hauptbeschwerden der procuradores an den kastilischen Cortes seit der Ständeversammlung von Briviesca 1387 bezog sich auf überhöhte Prozesskosten und Prozessverzögerung bei der Entscheidung in den Rechtsstreitigkeiten. Es war klar, dass es in einer so klagefreudigen Gesellschaft wie der kastilischen von großem Nachteil war, dass „sich so die Gerechtigkeit für den verzögert, der sie hat und es ist genauso, als ob man ihm das Recht nehme“.102 Die Probleme eines überaus großen Prozessvolumens und der Prozessverschleppung führten zur Reform der Instanzen. Diese orientierten sich an Clemens V. und seiner berühmten Saepe Contingit, die bestimmte, dass „die Rechtsstreite einfach und ohne die Figur eines Prozesses zu lösen“ 103 ­seien. Die Versammlung der Cortes in Toledo 1480 gestand zum ersten Mal dem Rat von Kastilien zivil- und strafrechtliche Rechtsprechungskompetenzen bei Fällen zu, die der König zu entscheiden hatte. Er wurde allerdings dazu angehalten, sie „einfach zu lösen, ohne Figur des Prozesses, nur nach Anerkennung der Wahrheit.“ 104 Die Reform von 1480 legte auch fest, dass gegen die Urteile des König­ lichen Rates kein Rechtsmittel außer der zweiten Supplikation vor dem König  – der allerdings wiederum den Rat selbst damit beauftragen konnte – eingelegt werden konnte.105 Folglich wurde gestattet, dass das Rechtsmittel der zweiten 1 02 Cortes von Valladolid 1542 (CLC 5, 38, S. 239). 103 Alonso Romero, Las Cortes (wie Anm. 66), S. 516. 104 Ordenanzas von Toledo 1480, 26 (CLC 4, S. 118 f.): „mandamos, que los del nuestro Consejo tengan poder e juridición, cada que entendieren que cunple a nuestro servicio e al bien de las partes, para conocer de los tales negocios e los ver, librar e determinar simplemente e de plano e sin figura de juizio, solamente sabida la verdad“. Geht über in OORR 2.3.25 und NRC 2.4.22. 105 Ebd., S. 118 f.: „E que de la sentencia e determinación que dieren en grado de revista non pueda aver ninguno de los dichos remedios e recursos, mas que aquello sea executado; pero

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S­ upplikation in derselben Instanz überprüft wurde – womit man gegen das Prinzip der Zurückverweisung verstieß.106 Gleichzeitig mit seiner Anerkennung als Höchstgericht urteilte er bei den ordentlichen Einsprüchen, die gegen die Urteile der Audiencias eingelegt wurden.107 Die Reform legte auch die Teilnahme der Katholischen Könige am Rat von Kastilien fest, und zwar jeden Freitag, um über komplexe  – mühselige  – Geschäfte zu verhandeln, wobei zweite Supplikationen mitumfasst waren.108 Dem Rat war nun eine weitgehende Rechtsprechungskompetenz eingeräumt.109 Wenn er der Meinung war, es sei für den Dienst am König angebracht, konnte er  – besonders bei mühseligen und komplexen Rechtsstreitigkeiten, die nur schwer zu lösen waren   – jeden Prozess an sich ziehen, um ein Urteil zu fällen.110 Eine zweideutige und lange Bestimmung sah dies vor.111 Das Problem, den Rat von Kastilien mit Macht und Gerichtsbarkeit in allen Instanzen ausgestattet zu haben, führte dazu, dass derselbe Richter in den Berufungen gegen seine eigenen Urteile entscheiden konnte. Durch das Fehlen einer vernünftigen Aufteilung in Kammern sowie einer unzureichenden Anzahl an Richtern, einer mangelhaften bürokratischen Struktur und einem rudimentären System der Ablehnung wegen Befangenheit, konnte ein Ratsmitglied bei den Einsprüchen wieder gegen seine eigenen Urteile entscheiden. Die Bedenken der Juristen gegen ­dieses System verwundern nicht. Ein anonymer Jurist beschrieb den Katholischen Königen aus Anlass der Schaffung der zweiten Audiencia in Ciudad Real 1494 die Nachteile des Rechtsmittelsystems que en este caso aya logar la ley fecha por el rey don Juan nuestro visagüelo en las cortes de Segovia“. 106 Ebd.: „de qualesquier sentencias e determinaciones que ellos dieren e fizieren no aya logar apelación, ni agravio, ni nulidad, ni alzada, nin otros remedio nin recurso alguno, salvo suplicación para ante nos o para que se revea en el dicho nuestro Consejo“. Geht über in OORR 2.3.25 und NRC 4.5.1. 107 Aikin Araluce, El recurso de apelación (wie Anm. 3), S. 14 f. 108 Ordenanzas von Toledo 1480, 33 (CLC 4, S. 119): „porque al nuestro Consejo vienen continuamente negocios harduos, nuestra voluntad es de saber cómo o en qué manera se despachan, e que la justicia se de prestamente a quien la toviere. E por esto a nos plaze estar e entrar en nuestro Consejo de la justicia el día del viernes de cada semana, e mandamos que en aquellos días se vean e se provean las quexas e peticiones de fuerzas e de negocios harduos, e las quexas, si algunas oviere, de los de nuestro Consejo y de los oficiales de la nuestra casa, porque más prestamente se provean“. Vid. De Dios, Las fuentes (wie Anm. 34), S. 71 f. 109 Die Beschwerden seit der Versammlung der Cortes in Burgos waren andauernd (CLC 2, 12, S. 289 f.). 110 Cortes von Toledo 1480, 30 (CLC 4, S. 121). 111 Alonso Romero, Las Cortes (wie Anm. 66), S. 516 und José María Puyol Montero, El Consejo Real de Castilla en el Reinado de Fernando VII, Bd. I, Madrid 1992, S. 543 f.

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in Kastilien. In seinem Memorial anónimo dirigido a los Reyes Católicos en relación con la fundación de la nueva Audiencia y Chancillería de Ciudad Real zählte er die Beschwerden der Prozessparteien über Ratsmitglieder, w ­ elche sowohl in der Einspruchsinstanz als auch bei einer zweiten Supplikation entschieden, auf − und zwar bei Urteilen, die sie selbst gefällt hatten. Eine Rechtspraxis, die dazu führte, dass die Richter ihre Urteile im Allgemeinen bestätigten und nur in Ausnahmefällen dem Einspruch stattgaben und die Urteile aufhoben.112 Der historische Wert des Memorial anónimo, der die Probleme der Rechtspraxis beschreibt, ist unbestreitbar. Die im Memorial vorgeschlagene Lösung gegen die Nichteinhaltung des Prinzips der drei Instanzen war, die Oidores von einer Chancillería in die andere zu versetzen und die gerichtliche Parteilichkeit zu vermeiden, indem ihnen verboten wurde, dass sie die Revision ihrer eigenen Urteile entschieden.113 Für diejenigen Fälle der zweiten Supplikation, die von den Audiencias an den König weitergegeben werden mussten – der dann den Rat von Kastilien beauftragte – empfahl der anonyme Jurist dem König, die Audiencias sollten nicht ihre eigenen Urteile in der Revisionsinstanz überprüfen dürfen, und trat für die Schaffung einer Zwischeninstanz ein, bei der man Supplikation einlegen konnte, ohne eine Kaution von eintausendfünfhundert Dublonen zahlen zu müssen.114 112 Memorial (in Coronas González, La Audiencia y Chancillería de Ciudad Real (wie Anm. 93), S. 104 – 107): „presidente e oydores (…) conosçen en grado de suplicaçion y confirmaçion o revocaçion las sentençias que ellos mesmos han pronunçiado –donde- (…) muchos de vuestros reynos que letigan e pleytean se quexan dello diziendo que syempre los juezes se afeçionan a sus sentençias y que comunmente las confirman y que muy raras vezes las revocan ni se miendan“. 113 Ebd., S. 105: „mandar que cada año se mudaren vuestro presydente e oydores y aun los alcaldes e los mas dellos de una Chançilleria a otra y asi los que vinyeren nuevos conosçeran de las cabsas que los otros dexaron començadas y veran en grado de revista muchas de las sentençias que los primeros pronunçiaron y quitarse an las parçialidades que se suelen contraer e cabsar en la luenga tardança e morada delos juezes en una tierra e provincia (…) Paresçiera que fecha la repartiçion y divysion de las tierras e provincias en cuyos negoçios e cabsas la una Chançilleria y la otra ovieren de conosçer, asy por via de apelaçion como en primera ynstançia, en los casos de Corte seria bien de mandar que el actor siga el fuero del reo“. 114 Ebd., S. 106 f.: „De la ley de Segovia que habla en la suplicacion de las mil e quinientas doblas (…) seria muy nesçesaria vuestra çesarea ynterpretaçion es esta: pronunciada una sentençia difinitiva el presydente y algunos de vuestros oydores y suplicase de aquella por alguna de las partes despues acaesçe que los mesmos presydente e oydores o otros que despues dellos vienen revocan aquella sentencia en grado de revista, paresçe cosa muy dura que teniendo la parte postrimamente condenada una sentencia por sy solamente otra contra sy, no aya de tener remedio ninguno salvo suplicando con las dichas mil e quinientas doblas, vea V. A. sy seria razon que a esta se le diere logar que pueda ynterponer una suplicaçion dela tal sentencia contra el dada syn que aya de dar la dicha fiança delas dichas doblas y que desta tal suplicaçion conozcan algunas pesonas a quien V. A. comitiere el negocio, con tanto que

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Seit der Reform von 1480 war für die Systematik der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Rechtsprechung und des Prozesses die Gesetzessammlung der Ordonanzen Reales de Castilla (1484) von besonderer Bedeutung – im Folgenden OORR. Sie hatte bis 1569 – dem Zeitpunkt, an dem die Nueva Recopilación de Castilla (NRC) geschaffen wurde – eine außerordentliche Bedeutung in der Rechtspraxis. Die OORR 2.3 handelt vom Königlichen Rat und führte bei den Instan­ zen und Prozessen eine Systematik ein, die in allen darauffolgenden Gesetzes­ sammlungen befolgt wurde. OORR 2.3.25 bestätigte die oberste Instanz des Königlichen Rates und hielt an der Supplikation und zweiter Supplikation vor dem König fest.

3.  Die notwendige Wechselbeziehung Instanz-Prozess: Die Prozessreform (1499 – 1503) Nach der Prozessreform, um Instanzen und Prozessverlauf zu harmonisieren, benötigte man zusätzlich die Verbesserung, Aktualisierung und Dynamisierung desselben. Die Bestimmungen, die die Prozessgrundlagen der kastilischen Rechtsordnung der Moderne festlegen und auf die wir uns konzentrieren wollen, sind die Leyes por la Brevedad y Orden de los Pleitos.115 Diese Gesetze enthalten die Ordonanzen vom 4. Dezember 1502 sowie die Ordonanzen von Alcalá de Henares vom 17. Januar 1503. Die in den Jahren 1499 – 1503 getroffenen Maßnahmen richteten sich darauf, die Justizverwaltung zu versachlichen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in Kastilien verboten war, Urteile zu begründen, obwohl die Garantie einer solchen Begründung im kanonischen Recht vorgesehenen war und das ius commune intensiv rezipiert wurde. Zum ersten Mal erscheint dies in den erwähnten Ordenanzas von 1489, die anordneten, dass die Urteile bei Prozessen, deren Streitwert einhunderttausend Maravedís überschritt, „keinerlei Gründe und Ursachen“ konkretisieren sollten, um mögliche Reklamationen oder Beschwerden der Parteien zu vermeiden (dies geht in NRC 2.5.40 über). Die fehlende Urteilsbegründung führte dazu, dass die Berufungen sich darauf konzentrierten, Tatsachen zu präzisieren und Beweise zu bewerten. Bei der Supplikation stellte man sich zudem die Frage, ob es sich lohnte, die 1.500 Goldmünzen zu entrichten, da die Begründung der Supplikation bei Nichtwissen der Gründe des Vorurteils schwierig war. de qualquier sentençia questos juezes postrimeros pronunçiaren no se pueda suplicar syn la dicha fiança delas dichas mil e quinientas doblas“. 115 Ich benutze die Version, die 1500 in Salamanca gedruckt wurde, Faksimileausgabe veröf­ fentlicht in Granada, 1993.

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3.1  Die Leyes por la brevedad y orden de los pleytos von 1499 Die Reform der Leyes por la Brevedad von 1499 legt den ordentlichen Charakter des Rechtsmittels der Supplikation und den außerordentlichen der zweiten Supplikation fest. Die Supplikation wurde bei zivilrechtlichen Fällen vor dem Rat von Kastilien oder den Audiencias zugelassen und folglich gegen deren erstinstanzliche Urteile.116 Nicht zugelassen wurde sie gegen Beschlüsse oder Zwischenurteile, die Prozess­ fragen entschieden, das Verfahren jedoch nicht beendeten,117 sowie bei Rechtsangelegenheiten, bei denen über den Besitz gestritten wurde und bei denen die beiden Urteile der ersten und der zweiten Instanz übereinstimmten.118 Zudem werden die Prozessvoraussetzungen für die zweite Supplikation ausdrücklich festgelegt und so kommt Ordnung in die chaotische Gesetzgebung seit 1390. Die Leyes por la Brevedad von 1499 führten die Neuerung ein, dass die königlichen Audiencias von Valladolid und Ciudad Real untereinander die Zuständigkeit für die zweite Supplikation in zivilrechtlichen Angelegenheiten ohne die Notwendigkeit eines königlichen Ad hoc-Auftrags anerkannten. Die Reform wurde durch die notwendige Zügigkeit bei der Prozessdurchführung und die Entlastung des überlasteten Rates von Kastilien, der sich hauptsächlich auf seine Regierungsarbeit konzentrieren sollte, gerechtfertigt.119 Andererseits waren sich die Katholischen Könige der Schwere der Rechtsstreitigkeit bei der zweiten Supplikation bewusst und gaben deren Entscheidung Vorrang. Kürzere Fristen von fünfzehn Tagen wurden festgesetzt, wenn es sich um Fälle aquende los puertos handelte und Fristen von vierzig Tagen, wenn es sich um ­solche allende los puertos handelte.120 116 Leyes por la Brevedad, IX. 117 Ebd., XXVII . Mit dem Gesetz einverstanden XXI : „Suplicación de interlocutoria o mandamiento“. 118 Ebd., XXVIII. 119 Ebd., XXX: „ordenamos y mandamos que en las causas de la supplicacion de las mil y quinientas doblas assi en possession como en propiedad en caso q haya lugar se suplique de las sentencias que de aquí adelante se dieren de la una sentencia para la otra y de la otra para la otra ca nos por la presente se lo cometemos sin otra nueva comission alguna salvo si nos otra cosa expressamente mandaremos y que las causas que en este grado de suplicacion conla fiança delas mil y qnientas doblas fuere acada una de las dichas audiencias“. 120 Ebd., XXXI: „Que las causas delas mil y quinientas del doblas sevean antes que otras. Otrosi que en las causas que vinieren ala audiencia por via de apelacion o de remission tengan las partes para si presentar a venir a seguir la causa y traer los procesos los terminos que estavan ordenados por la ley del Ordemaniento de Alcala que si fuere aquende los puertos sean quinze dias y si fueres allende los puertos sean quarenta dias y que sobre estos no se hayan de esperar los terminos de doze dias: es asaber nueve de corte y tres de pregones y que de

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Die Abwicklung der zweiten Supplikation bei den Audiencias wurde begleitet von der Frage ihrer Anerkennung als Prozessphase, nicht als Instanz, da keine neuen Beweise, Unterlagen, Tatsachendiskussionen oder Einleitungen von Prozesshandlungen zugelassen wurden. Sie musste infolge einer fehlenden Urteilsbegründung auf den Beschlusstatsachen beruhen, die in den niedrigeren Instanzen getroffen worden waren. Es mussten die Prozessakten vorgelegt werden – begleitet von einer Kopie der Klage, Gegenerklärung, Gegenerwiderung, Beweisen und den Urteilen ab der ersten Instanz. Der zweiten Supplikation wurde Bedeutung zugemessen, da zum ersten Mal im kollegialen Modell verlangt wurde, dass der Präsident der Audiencia zwingend an der Verhandlung, der Beratung und dem Urteil teilnehmen musste. Jedoch legten die Leyes von 1499 die Mindestzahl der Oidores, die eine Entscheidung über den Einspruch treffen, nicht fest.121 Andererseits wurde die Vorgehensweise bei der Hinterlegung der Kaution von eintausendfünfhundert Golddublonen minutiös reguliert. Derjenige, der den Einspruch erhob, musste die Barkaution in dem Moment leisten, in dem das Rechtsmittel eingelegt wurde.122 War es der Fiskal, der die zweite Supplikation einlegte, in Vertretung und im königlichen Interesse, so wurde die Kaution auf eintausend Dublonen verringert, da ein Drittel im Falle einer Verurteilung sowieso an den königlichen Fiskus ging.123 Danach wurde am 18. November 1499 eine königliche Verfügung erlassen, die sich an die Audiencia von Valladolid wandte. Sie verbot die Zulassung der zweiten Supplikation in Strafsachen.124 Folglich entzogen die Leyes por la Brevedad von 1499 dem Rat von Kastilien die Gerichtskompetenz – und Kontrolle – der Audiencias. Diese Situation wurde aquí adelante no se baya de acusar ni escribir la rebeldia delos dichos nueve dias de corte ni tres de pregones“. 121 Ebd., XXX: „se determinen de los mismos autos del processo sin dar lugar a otras nuevas allegaciones nin pronanças nin escripturas (…) y sean vistas y determinadas antes y primero que otros processos algunos de qualquier calidad que sean sin embargo de las ordenanças nin de otra qualquier nuestra carta o cedula que dieremos para que se vea algun negocio antes que otro alguno pero mandamos que las tales causas de la mil y quinientas doblas las hayan de ver y vean los dichos oydores con el presidente y no sin el segundo y como se deve hazer enel grado de revista“. 122 Ebd., XXXIII. 123 Ebd., XIX. 124 Libro de las Bulas, s. o., S. 77r–v: „de aquí adelante no recibays ni admitays semejantes suplicaciones con la dicha fiança en causas criminales y sin embargo dellas en todas las cosas que ante vos otros pendieren fazed cumplimiento de justicia y no fagades endeal“. Diese Urkunde befindet sich auch in Recopilación de las Ordenanças de la Real Audiencia Y Chancillería de su Magestad, que reside en la Villa de Valladolid, impreso por Francisco Fernández de Cordova, Valladolid 1566, S. 48, Sp. 2. Ging über in NRC 4.20.11.

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von den Ratsmitgliedern nicht wohlwollend aufgenommen, da ihre Oberhoheit als Höchstgerichtsbarkeit in Frage gestellt wurde. War der Rat von Kastilien willens, seine rechtsprechende führende Rolle zu verlieren? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die königliche Anordnung vom 10. März 1501 kehrte zum alten Zustand zurück, da dem Rat von Kastilien wiederum die Kompetenz zugesprochen wurde, über den Einspruch der tausendfünfhundert Dublonen zu entscheiden und man zur Praxis zurückkehrte, den Königlichen Rat zu beauftragen.125 Letzten Endes behielt sich der König die Kontrolle der zweiten Supplikation selbst vor, was de facto bedeutete, dass der Rat entschied.126 3.2  Die Reformen von 1502 und 1503 Die Pragmática vom 4. Dezember 1502, w ­ elche die Ordonanzen para abreviar los pleitos einführte, widerrief teilweise die Leyes von 1499. Dies diente der Kürzung der Verfahren und der Prozessordnung, wurde aber auch durch die Problematik des Missbrauchs bei den Beweismitteln verursacht. Es wurde eine Prozessreform größerer Tragweite.127 Die Reform zielte unter anderem darauf ab, die Gründe für die Zulassung der Supplikation und der zweiten Supplikation nochmals klarzustellen, und schränkte schließlich den Zugang zur dritten Instanz ein. Sie legte definitiv den außerordentlichen Charakter der zweiten Supplikation fest – der bis zum 19. Jahrhundert beibehalten wurde – und verbesserte die Vorgehensweise um einer größeren Prozesszügigkeit willen.128 Erstens ließ sie den königlichen Auftrag an den Rat von Kastilien zu und regelte ihn: Die Supplikation musste sich an den König wenden und vor ihm eingelegt werden, dieser leitete sie an den Rat weiter. Es war eine Rückkehr zum Kriterium, dass die Entscheidung der zweiten Supplikation durch den Rat von Kastilien erfolgte, was 1480 festgelegt worden war. Diese Kompetenz behielt er nun bis zu seiner Abschaffung 1834. Der Vorrang der Durchführung der zweiten Supplikation vor jeder anderen Rechtssache wurde bekräftigt und sie musste gemäß dem 125 Libro de las Bulas, s. o., Bl. 132r–133: „aya de venir y vengan ante nuestras Reales personas para que lo mandemos cometer a las personas que nuestra merced fuere como dicho es según lo dispone la dicha ley de Segovia“. Auch in Cedulas provisiones visitas y Ordenanzas de los sennores Reyes Católicos y de sus majestades y Autos (…) que reside en la Ciudad de Granada, s. o., Bl. XIVr. Ging über in NRC 4.20.2. 126 Clavero Salvador, Sevilla, concejo y Audiencia (wie Anm. 76), S. 20. 127 Libro de las Bulas, s. o., Bl. 64r–76r. 128 Conde De Torreanaz, Los Consejos del Rey durante la Edad Media, Bd. II, Madrid 1890, S. 59 f.

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zuvor Vorgebrachten und Bewiesenen begründet werden (keine neuen Beweise oder Einleitungen von Prozesshandlungen wurden zugelassen). Erstmals wurde die Rechtskraft der formellen Gerichtsentscheidung anerkannt, w ­ elche dann vollstreckt werden konnte.129 Zweitens beobachten wir den einschränkenden und außerordentlichen Charakter bei der Bestimmung als dritte Instanz: Einerseits musste der Rechtsstreit in der ersten Instanz vor der Audiencia oder dem Rat von Kastilien begonnen worden sein und andererseits musste er als ein mühseliger Fall angesehen werden – sprich problematisch sein –, auch wenn nicht genau gesagt wurde, was darunter zu verstehen war. Dies räumte dem richterlichen Ermessen einen breiten Spielraum ein. Zudem musste der Streitwert stattlich sein (vergleichbar mit dem Wert der hinter­ legten Kaution von eintausendfünfhundert Dublonen). Die Gleichsetzung des Streitwertes mit der möglichen Geldstrafe war eine klare Tendenz hin zur Prozesskongruenz.130 Es veranschaulichte die Einhaltung per gradum der Instanzen, wenn die Kompetenz bei der Audiencia oder dem Rat von Kastilien lag. Mit ­diesem einschränkenden Charakter regulierten auch die Ordonanzen von 1502 die Zulassung des Rechtsmittels bei Eigentumsstreitigkeiten: Es war nur dann zulässig, wenn die beiden vorherigen Urteile nicht übereinstimmten und der Wert des Streitobjektes den stattlichen Betrag von dreitausend Dublonen hatte, das Doppelte der verlangten Kaution.131 Schließlich wurde die Nichtzulassung der zweiten 129 Libro de las Bulas, s. o., Bl. 73r.: „ordenamos y mandamos que en las causas dela suplicacion delas mill y quinientas doblas assy en possession como en propiedad en caso que aya logar se suplique para ante nos como lo dispone la dicha ley de segovia: y que las causas que en este grado de suplicacion con la fiança delas mill y quinientas doblas fueren por nos cometidas que los juezes a que en las cometieremos las vean y determinen delos mysmos autos del processo syn rescebir escripto ny peticion y syn dar logar a otras nuevas alegaciones ny provanças ny escripturas ny dilaciones ny pedimientos por via de restitucion ny en otra manera alguna: y que sean vistas y determinadas antes y primero que otros processos algunos de qualquier calidad que sean syn embargo delas ordenanças ny de otra qualquier nuestra carta o cedula que dieremos para que se vea alguno negocio antes que otro alguno: y lo que en el dicho grado se sentenciare por los juezes a quien por nos fuere cometido se execute quier sea la sentencia dellos confirmatoria o revocatoria en todo o en parte o añadiendola o menguandola o en otra qualquier manera“. 130 Ebd., Bl. 72r.: „E mas damos que la ley de segovia que fabla y dispone dela suplicacion conla pena delas mill y quinientas doblas: tan solamente se platique y que se de aquí adelante en la suplicacion que se interpone dela sentencia difinitiva dada en revista seyendo tan ardua la causa y sobre tan grand cantidad que sea de tanto valor y estimacion como las mill y quinientas doblas de cabeça de que la ley fabla: y que sea enlos pleytos que se comiençan en el consejo o en la audiencia por nueva demanda y no por via de restitucion ni reclamacion ni nulidad ni en otra manera alguna“. 131 Libro de las Bulas, s. o., Bl. 72v–73r.: „ordenamos y mandamos que dadas dos sentencias conformes sobre la possesion no aya lugar suplicacion conla fiança de las mill y quinientas

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Supplikation bei Zwischenurteilen oder Zwischenbeschlüssen, die im Rat oder in den Audiencias erlassen worden waren, wiederholt.132 Hinsichtlich der geforderten Kaution wurde bzgl. des Fiskus das Kriterium der Leyes von 1499 bekräftigt: Wenn der Staatsanwalt Einspruch einlegte, waren nur zwei Drittel der hinterlegten Summe zu verlangen (eintausend Golddublonen), ansonsten wurde der Fall nicht zugelassen.133 Die Reform von 1502 wurde vervollständigt durch die Anordnung vom 17. Januar 1503, in der die Ordenanzas sobre la prosecución y determinación de los pleitos y causas veröffentlicht wurden, ­welche vor allem bei der zweiten Supplikation neue Prozessbedingungen einführten.134 Von allen bis zu ­diesem Zeitpunkt erlassenen Bestimmungen können die Ordenanzas sobre la prosecución von 1503 als die formalisiertesten hinsichtlich Instanzen und Prozess angesehen werden. Die Neuheiten lagen z. B. in Regelungen zur Form und Abwicklung der Beschlüsse angesichts der Prozessverzögerungen, in der Festlegung der Pflicht und der Überprüfung von Vollmachten an den Prozessbeauftragten und der Pflicht, den Prozess vor der Audiencia oder dem Rat von Kastilien durch eine schriftliche Klage zu beginnen, die eine Darlegung der Tatsachen beinhalten musste. Die dritte Instanz: Die Beweisdurchführung wurde detaillierter und das allgemeine Prinzip bekräftigt, keine neuen Beweise zuzulassen. Sie wurde de facto als Prozessphase angesehen. Den Oidores und Mitgliedern des Rates von Kastilien wurde um der Prozesskongruenz willen vorgegeben, die Artikel des ursprünglichen petitum (der Klage) mit denen der doblas ni otro recurso ni remedio alguno y que se execute dando primeramente aquel en cuyo favor se dio la sentencia caucion de fianças suficientes ante los juezes que vieron la segunda sentencia a su contentamiento: para que si fuere condenada la parte en cuyo favor se executa en la causa dela propiedad restituyra las cosas de que assi fue fecha execucion y le fueren entregadas: y aquellas fianças sean avidas por suficientes quales a ellos paresciere que lo son: y que delo que alos dichos juezes paresciere y declararen sobre esto no pueda ser suplicado ni apelado. Pero que no seyendo conformes las dichas dos sentencias: aya lugar la ley de segovia si el valor dela propiedad dela cosa fuere de valor de tres mill doblas de cabeça o dende arriba“. 132 Ebd., s. o., Bl. 72r.: „Otrosi ordenamos y mandamos que dela sentencia interlocutoria que fuera dada o se diere en grado de revista por los del nuestro consejo o por el presidente y oydores de qualquier delas Audiencias aunque tenga fuerça de difinitivas y pare perjuicio al negocio principal y aun que no se pueda reparar por la segunda suplicacion: que no pueda ser suplicado ni se admita suplicacion conla pena y obligacion y fianças delas mill y quinientas doblas“. 133 Libro de las Bulas, s. o., Bl. 73r. 134 Ebd., Bl. 351r–357r.

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Phase des Einspruchs zu vergleichen.135 Bei Beweisen gab es eine Ausnahme für die Zulassung: Eröffnung eines neuen Beweisverfahrens beim Rat von Kastilien, wenn ein neues Geständnis einer Prozesspartei vorlag und/oder ein Fund neuer authentischer Dokumente.136 Die Ausnahmen bedeuteten in der Praxis eine Revision des Prozesses und nicht nur der Urteile, was der Schlüssel zu einem Richterermessen war und dazu führte, dass in der dritten Instanz neue Beweise zugelassen wurden.137 Das Urteil der zweiten Supplikation in dritter Instanz wurde als materielle Gerichtsentscheidung anerkannt, was den Rechtsstreit beendete.138 Dieses hatte das gesamte Tribunal zu unterschreiben: alle Minister des Königlichen Rates mussten das Urteil unter Vorgabe des Beratungsgeheimnisses unterschreiben. Auch bei allen Rechtssachen, die von der Mehrheit abgestimmt wurden.139 So erhielt der Prozess, der als Supplikation vor den Audiencias oder dem Rat von Kastilien verfolgt wurde, eine bedeutende Systematik und Kongruenz. Unter den Katholischen Königen gingen eine organische Umwandlung des Systems und die Prozessentwicklung Hand in Hand, wobei der Prozess die Unbestimmtheit und Unsicherheit verlor, die ihn im Spätmittelalter gekennzeichnet hatte.

IV.  Schlussfolgerungen Zum Schluss stehen drei bedeutende Konsequenzen der Reformen der Katholischen Könige. Die Erste: Ihre Prozessgesetzgebung systematisierte die Präklusionsphasen des kastilischen ordo privatorum und brachte sie in Einklang, indem Instanzen und Prozess harmonisiert wurden. Dies war das Ziel, damit die Prozessliteratur und der Gerichtsstil ein kastilisches ordine procedimental – getrennt vom ius commune – festlegen konnten. Gewissermaßen als Antwort auf eine Gesetzgebung, die manchmal übertrieben kasuistisch gewesen war, überholt und steif und sich manchmal nicht an das eigene Kollegialmodell anpasste. Prozesslücken und Instanzenpro­ bleme führten zu Ergebnissen in der Praxis, die das richterliche Ermessen und die 135 Ebd., Bl. 355: „sobre los mismos articulos, o derechamente contrarios sobre que en la instancia o instancias passadas fueron traídos o recebidos testigos que no se pueda fazer ni haga provança por testigos“. 136 Ebd., Bl. 355. 137 García-Badell Arias, La práctica judicial (wie Anm. 36), S. 373 f. 138 Libro de las Bulas, s. o., S. 355: „y lo que en el dicho grado se sentenciare por los juezes a quien por nos fuere cometido se execute quier sea la sentencia dellos confirmatoria o revocatoria en todo o en parte o añadiendola o menguandola o en otra qualquier manera“. 139 Cédula von 13 noviembre 1500, in Libro de las Bulas, s. o., Bl. 46r.

Die Kontrolle der Höchstgerichtsbarkeit

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v­ erschiedenen Stile an den Audiencias von Granada – siehe z. B. Práctica de la Real Chancillería – und Valladolid darstellen. Bis zur Zivilprozessordnung von 1855 war infolgedessen die Prozessgesetzgebung nie Objekt einer Monographie gewesen. Die 1503 etablierte Ordnung hatte Bestand. Die zweite Schlussfolgerung ist, dass die Prozess- und Gerichtsbarkeitsreform einen Fortschritt in der Formalisierung der Justiz in der kastilischen Monarchie erlaubte. In der Justizverwaltung wurde die deutliche Trennung z­ wischen Justiz und Regierung eingeführt. Wie Valero Torres betont, wurde nach der Stärkung der staatlichen Strukturen eine strikte Trennung z­ wischen den Regierungs- und den Justizfunktionen in Gang gebracht.140 Das Modell der Katholischen Könige diente als hierarchische Struktur der Höchstgerichtsbarkeit und als Bauplan für andere Territorien (z. B. Krone von Aragón). Es war ein zentralistischer Prozess, der von den Habsburgern begonnen und von den Bourbonen zu seiner Spitze geführt wurde. In dieser Architektur der absolutistischen Justiz des modernen Staates hielt sich der Rat von Kastilien bis zum 19. Jahrhundert an der Spitze. Die dritte Konsequenz war die Konsolidierung des kollegialen Modells der Höchstgerichtsbarkeit. Der Rat von Kastilien wurde Justizrat – ein Name, der ihm im 16. Jahrhundert gegeben wurde. Nach d ­ iesem Vorbild sah Karl V. (reg. 1516 – 1555) in der Kollegialität eine Rechtsgarantie und ein wichtiges Element bei der Entscheidungsfindung. Wie Valero Torrijos schreibt, erlaubte ihm das Kollegialmodell zweifellos, den Entscheidungen eine höhere Einheitlichkeit zu geben.141 Die Reform der Katholischen Könige ermöglichte Karl V., dem Rat von Kastilien sein Vertrauen zu schenken und ihn als „das Rückgrat unserer Reiche“ 142 anzusehen. Er wurde als „Oberster“ Rat und daher als Kontrollinstanz der Königlichen Audiencias positioniert.143 Nachdem die Zuständigkeiten präzisiert worden waren und die Formalisierung etabliert war, wurde bald eine spezifische Sala de Justicia eingerichtet.144 Die Versammlung der Cortes selbst, die 1532 in Segovia abgehalten wurde, bat den König darum, im Rat von Kastilien eine neue Kammer zu schaffen. Diese sollte nur über die zweite Supplikation entscheiden und aus fünf Ratsmitgliedern bestehen, die alle vier Monate wechseln mussten.145 140 Valero Torrijos, Los órganos colegiados (wie Anm. 73), S. 80. 141 Ebd., S. 81. 142 In einem Brief von Karl V. an seinen Sohn Prinz Philipp vom 6. Mai 1543 bestätigt er ihm sein Vertrauen in den Rat von Kastilien und sieht ihn als das Rückgrat der Polysynodie des Staates. S. López Gómez, El Consejo Supremo (wie Anm. 64), S. 33 ff. 143 Puyol Montero, El Consejo Real de Castilla (wie Anm. 117), S. 521. 144 López Gómez, El Consejo Supremo (wie Anm. 64), S. 28. 145 CLC 4, 6, S. 528.

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Karl V. verbesserte das Kollegialsystem der Katholischen Könige. Er legte Anzahl und Zusammensetzung der Organe, Kammern und Säle fest (begleitet von einem System der Ersetzung und der Vertretung der Richter sowie der Verbesserung der Ablehnung wegen Befangenheit und Prozessunterdrückung) sowie das notwendige Quorum, um Entscheidungen treffen zu können (fünf Oidores, die in den Rechtssachen entschieden und mit mindestens drei übereinstimmenden Stimmen ein Urteil fällten). Diese Regelung führte dazu, dass im Rat von Kastilien – in der Praxis liegen Nachweise seit 1571 vor – eine Kammer für die zweite Supplikation errichtet wurde: die sogenannte Kammer „der Tausendfünfhundert“.

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Die kirchliche Gerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich seit dem Spätmittelalter

I.  Einleitung Die Landkarte des Heiligen Römischen Reichs erscheint um das Jahr 1500 wie ein bunter Flickenteppich: Weltliche Herrschaften und geistliche Hochstifte bilden das Grundmuster in ­diesem unübersichtlichen Landschaftsbild von Territorialgewalten. Was in der rechtsgeschichtlichen Kartographie oft nicht aufscheint, ist die Spaltung der Gerichtsherrschaft in den geistlichen Territorien,1 wo wir einerseits ein unter der Leitung des Bischofs stehendes weltliches Hofgericht und daneben ein gleichfalls unter der Herrschaft des Bischofs stehendes geistliches Gericht finden. Diese doppelte Herrschaft eines Reichsbischofs findet ihre Parallele in der doppelten Herrschaft des Papstes, der einerseits – auf seine Jurisdiktionsgewalt bezogen – oberster Richter der Universalkirche ist (iudex ordinarius omnium) und der andererseits die Herrschaftsgewalt über den Kirchenstaat (patrimonium Petri) ausübt.2 Der vorliegende Beitrag 3 verfolgt das Anliegen, zunächst die Entwicklung, die Kompetenz und die Organisation der kirchlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich nachzuzeichnen. Sodann soll die Rolle des römisch-kanonischen Prozessrechts für diese geistlichen Gerichte und darüber hinaus seine Bedeutung für die Entwicklung des Prozessrechts im weltlichen Bereich angesprochen werden. Ein weiterer Abschnitt greift die Gesamtthematik der Tagung „Urteiler, Richter, Spruchkörper. Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der europäischen 1 Karten: „Die geistlichen Staaten im Zeitalter der Reformation“ und „Die geistlichen Staaten vom 17. Jh. bis zum Ende des Alten Reiches“, in: Hubert Jedin, Atlas zur Kirchen­ geschichte. Die christlichen ­Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Freiburg u. a. 1987, Nr. 82 und 83 und Textkommentare S. 59*. Karten: „Die Bistümer im Heiligen Römischen Reich um 1500“ und „Die geistlichen Territorien im Heiligen Römischen Reich um 1500“, in: Erwin Gatz, Atlas zur K ­ irche in Geschichte und Gegenwart. Heiliges Römisches Reich – Deutschsprachige Länder, Regensburg 2009, Nr. 16 und 17, S. 57 – 65. 2 Schema „Die Kurie vom 12. bis zum 20. Jahrhundert“ und Karten zur Entwicklung des Kirchen­staates in: Jedin (wie Anm. 1), S. 108 und 33 und Textkommentare S. 70* f. und 27*. 3 Der Beitrag steht also in engem Zusammenhang mit der Thematik „Gerichtslandschaft Altes Reich“, wie sie in der Einleitung zur Publikation Anja Amend/Anette Baumann/ Stephan Wendehorst/Siegried Westphal (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung, Köln u. a. 2007, S. 1 f. skizziert worden ist.

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Rechtskultur“ auf und behandelt die Besetzung des kirchlichen Gerichts und die Wege der Rechtsfindung in diesen Gerichten. Anschließend werden die Bemühungen um eine Reform der kirchlichen Gerichtsbarkeit um 1500 skizziert. Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, worin die Kernprobleme der kirchlichen Gerichtsbarkeit vor und nach der Reformation bestanden haben.

II.  Zur Entwicklung, Kompetenz und Organisation der kirchlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich Nach kirchlichem Verständnis ist der Bischof Inhaber der dreifachen potestas ordinis, potestas magisterii und potestas iurisdictionis. Zugleich ist er iudex ordinarius seiner Diözese. Da er diese richterliche Funktion nicht allein bewältigen kann, hat man schon früh Möglichkeiten der Delegation und Stellvertretung zugelassen. Im Folgenden ist vor allem die Rede von der Rolle des Bischofs als oberster Richter in seiner Diözese. Seine weitere Funktion als geistlicher und weltlicher Gerichtsherr seines (in der Regel kleineren) Hochstifts soll ausgeklammert werden. Im Bereich der Reichskirche tritt neben den Bischof das Sendgericht (von ­synodus),4 das sich schon in karolingischer Zeit aus dem Visitationsrecht des Bischofs entwickelt hat. Im Sendgericht wird der Bischof in der Regel durch einen Archidiakon vertreten. Unter Leitung des Bischofs oder seines Archidiakons wurde das Urteil durch einen Gerichtsumstand aus Klerikern und Laien (Sendschöffen) gefunden. So wurde zum Beispiel 1188 in einem Streit Ottos von Bamberg gegen das Kloster Seitenstetten durch eine Synode unter Leitung des Bischofs das Urteil gesprochen.5 In der Regel wurde der Bischof in dieser Funktion jedoch von einem Archidiakon 6 vertreten. In diesemVerfahren sind die Aufgaben des Richters und der Urteiler also getrennt. Dies änderte sich grundlegend im 12. Jahrhundert. Ausgangspunkt dieser Änderung ist eine Dekretale von Papst Innozenz III. von 1199, die an den Bischof von Passau gerichtet war und die Aufnahme in das kirchliche Gesetzbuch (Liber Extra 1.4.3 Ad nostram audientiam) fand. Der Papst verbietet in dieser Dekretale die Beteiligung von Laien an der Urteilsfindung in causis ecclesiasticis. Zur Urteilsfindung ist 4 Othmar Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich von den Anfängen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts, Graz u. a. 1967, S. 248 f.; Hans-Jürgen Becker, Art. „Send. Sendgericht“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV, 11990, Sp. 1630 f.; Hartmut Zapp, Art. „Send, -gericht“, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, Sp. 1747 f. 5 Hageneder (wie Anm. 4), S. 6 f. mit weiteren Beispielen. 6 Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 2, Wien u. a. 21962, S. 146 ff.; Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, Köln u. a. 41964, S. 216 ff. und 369 ff.

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nunmehr allein der Bischof berufen und zwar als Einzelrichter.7 Zwar wurde in der Regel für eine Tätigkeit als Richter nun eine Ausbildung an einer Universität vorausgesetzt, doch war es natürlich möglich, dass sich der Bischof oder sein Vertreter bei rechtskundigen Beisitzern Rat holte: So notiert etwa Tancred von Bologna um 1216 in seinem Ordo iudiciarius (pars 1 tit. IV § 1): Assessor est ille, qui ab eo, qui habet iudicandi potestatem, associatur, ut sibi in causae cognitione assideat et ut instruat eum, causam debito decidere fine.8 Sie folgten damit dem Vorbild der Sacra Rota Romana, wo sich die Auditoren „gemäß althergebrachten Regeln des römisch-kanonischen Prozessrechts … vor jeder Entscheidung den Rat anderer Rechtskundiger einholen. Es ergab sich aus der Natur der Sache, dass sie sich zu d ­ iesem Zweck vor allem an die eigenen Kollegen wandten, denn diese waren in Kurienprozessen die Erfahrensten. So entstand eine Beratungsrunde der ständigen Auditoren, die allmählich zur Institution wurde und eigene Verfahrensgewohnheiten entwickelte.“ 9 Was die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte angeht, so ergibt sich aus kirchlicher Sicht ein sehr weiter Zuständigkeitsbereich: ratione personae, ratione rerum, ratione peccati.10 Nach diesen Kriterien besteht eine Kompetenz zur Entscheidung 7 Hageneder (wie Anm. 4), S. 15 f.; Hans Jörg Budschin, Der gelehrte Zivilprozeß in der Praxis geistlicher Gerichte im 13. und 14. Jahrhundert (Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 103), Bonn 1974, S. 410; Ingeborg Buchholz-Johanek, Geistliche Richter und geistliches Gericht im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt (Eichstätter Studien NF 23), Regensburg 1988, S. 26 – 28; Knut Wolfgang Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft), Berlin u. a. 2012, S. 9 – 18 (§ 3: Der Richter); ders., Ein geschichtlicher Abriss des kontinentaleuropäischen Zivilprozesses (Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 118), Tübingen 2015, S. 11 – 42 (2. Kap.: Der romanisch-kanonische Prozess); Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln u. a. 2015, S. 121. 8 Zitat nach Hageneder (wie Anm. 4), S. 16, Anm. 47. 9 Gero Dolezalek, Art. „Audientia sacri palatii“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Stuttgart 1980, 1193 – 1194, insbes. 1193. Zur Rota vgl. Nikolaus Hilling, Die römische Rota und das Bistum Hildesheim am Ausgang des Mittelalters 1464 – 1513 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 6), Münster 1908; Franz Egon Schneider, Die Römische Rota nach geltendem Recht auf geschichtlicher Grundlage, Bd. 1: Die Verfassung der Rota, Paderborn 1914; Charles Lefebvre, Art. „Rote Romaine (Tribunal de la Sainte)“, in: Dictionnaire de Droit Canonique, Bd. 7, Paris 1958, S. 742 – 771; Gero Dolezalek, Litigation at the Rota Romana particularly around 1700, in: Alain Wijfels (Hg.), Case Law in the Making. The Techniques and Methods of Juridical Records and Law Reports, Vol. 1: Essays, Berlin 1997, S. 339 – 373; Angela Santangelo Cordani, La giurisprudenza della Rota Romana nel secolo XIV, Mailand 2001; Stefan Killermann, Die Rota Romana. Wesen und Wirken des päpstlichen Gerichtshofes im Wandel der Zeit, Frankfurt a. M. ²2011. 10 Vgl. hierzu Winfried Trusen, Die gelehrte Gerichtsbarkeit der ­Kirche, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter (1100 – 1500), München 1973, S. 467 – 504, hier S. 483 – 487.

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über causae criminales, causae spirituales, causae mere spirituales und causae spiritualibus annexae. Das Gerichtsprivileg für Geistliche (privilegium fori) und die Ehegerichtsbarkeit spielen eine gehobene Rolle. Der Tätigkeitsbereich der kirchlichen Gerichte wurde darüber hinaus durch Gerichtsstands- und Schiedsgerichtsvereinbarungen (ratione contractus) und Prorogationen erweitert.11 Dass es bei dieser weitgefassten Zuständigkeit zu Kompetenzstreitigkeiten mit weltlichen Gerichten kommen musste, versteht sich von selbst. Davon wird ­später noch die Rede sein. Zunächst soll jedoch die weitere Entwicklung der Gerichtsorganisation verfolgt werden. Der Archidiakon als Vertreter des Bischofs wurde im gerichtlichen Bereich im 13. und 14. Jahrhundert oft durch den Offizial, einen vom Bischof ernannten Rechtsgelehrten als Einzelrichter abgelöst, der vor allem in der streitigen und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig werden sollte.12 Diese Entwicklung ist zuerst in Frankreich zu beobachten, doch setzte sich dieser Usus bald auch im Römischen Reich durch. Als Beispiele ­seien genannt: Trier 1221, Mainz 1210, Straßburg 1248, Basel 1252, Augsburg 1260, Würzburg 1275, Eichstätt 1281und Passau 1370. Für die Entwicklung des Offizials zum weitgehend selbstständigen Richter war die Bulle Romana ecclesia Innozenz’ IV. von 1246 (Liber Sextus 2.15.3) maßgeblich: De officiali episcopi non ad episcopum sed ad archiepiscopum appellatur.13 11 Grundlegend Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption, Wiesbaden 1962, insbes. 3. Kap. Zur z­ ivilrechtlichen Tätigkeit des geistlichen Gerichts, S. 34 – 62; Helmut Coing, Die gelehrte kirchliche Gerichtsbarkeit, in: ders., Römisches Recht in Deutschland (Ius Romanum Medii Aevi V/6), Mailand 1964, S. 79 – 86. Die „Bereichslehre“, die bestimmt, in ­welchen Fällen das kanonische Recht Anwendung findet, dauerte bis in das 17. Jahrhundert an. Vgl. Udo Wolter, Ius canonicum in iure civili. Studien zur Rechtsquellenlehre in der neueren Privatrechtsgeschichte (Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte 23), Köln u. a. 1975, S. 153 ff. 12 Nikolaus Hilling, Die Offiziale der Bischöfe von Halberstadt im Mittelalter (Kirchenrechtliche Abhandlungen 72), Stuttgart 1911, S. 1 – 19; Trusen, Die gelehrte Gerichtsbarkeit (wie Anm. 9), S. 482 f.; ders., Art. „Offizialat“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III , 11984, Sp. 1214 – 1218; Thomas Wetzstein, Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 28), Köln u. a. 2004, S. 27 – 33. In manchen Gebieten konnte das Archidiakonat fortbestehen. Zur Verbindung des Amtes des Archidiakons mit einem Domkapitel vgl. Manfred Josef Thaler, Die Domkapitel der Reichskirche vom Wiener Konkordat bis zur Säkularisation (1448 – 1803). Grundzüge ihrer Verfassung im Vergleich (Rechtshistorische Reihe 468), Frankfurt a. M. 2017, S. 225 – 229 und 215. 13 Vgl. Winfried Trusen, Aus den Anfängen des Würzburger Offizialats. Zum 700. Geburtstag seines Bestehens, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 37/38, 1975, S. 321 – 335, hier S. 321 f.; Christian Schwab, Das Augsburger Offizialatsregister (1348 – 1352): ein Dokument geistlicher Diözesangerichtsbarkeit; Edition und Untersuchung, Köln u. a. 2001.

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Wenn auch die Offizialatsgerichtsbarkeit von nun an im Vordergrund stand, so darf man nicht übersehen, dass die kirchliche Gerichtsbarkeit daneben eine Fülle anderer Gerichtsformen kannte. Als kirchliche Gerichte der ersten Instanz erscheinen auch die Gerichte eines Generalvikars (Mainz-Erfurt 1322, Passau 1326), eines Kommissars und Generalrichters (Mainz-Erfurt), eines Domdekans (Bamberg ca. 1250, ­später von einem Offizial geleitet) und vor allem eines Domkapitels. Die wachsende Bedeutung der Domkapitel 14 in der Mitwirkung bei der Verwaltung und in der Rechtsprechung der Diözese soll durch die folgenden Beispiele erläutert werden:15 • Mainz:16 In der bischöflichen Wahlkapitulation von 1328 wird der Bischof verpflichtet, Richterstellen nur noch mit Domkanonikern zu besetzen. • Bamberg(exemtes Bistum):17 Der Domdekan ist de facto iudex ordinarius. In den bischöflichen Wahlkapitulationen von 1328, 1398, 1422, 1432, 1459, 1475, 1501, 1503, 1505, 1522 und 1693 behält sich das Domkapitel die Jurisdiktion vor und kann die Einführung eines beamteten Offizials verhindern. • Eichstätt:18 Einrichtung des Amtes eines Offizials 1281 in der Kompetenz des Domkapitels. In der Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit geht die Kompetenz seit 1434 auf den Generalvikar über. In den Synodalstatuten von 1447 reserviert sich der Bischof die Kompetenz in 33 deliktischen Tatbeständen und verstößt damit gegen die von ihm beschworene bischöfliche ­Wahlkapitulation. Der sich

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Zum Münsteraner Offizialat vgl. Peter Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte im Alten Reich. Zuständigkeitsstreitigkeiten und Instanzenzüge (Quellen und Forschungen zur Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich 61), Köln u. a. 2012, S. 54 – 57 (Beurteilung des Offizialats in der historischen Forschung). Peter Hersche, Die deutschen Domkapitel im 17. und 18. Jahrhundert, 3 Bde., Bern 1984; Johann Hirnsperger, Art. „Domkapitel“, in: Lexikon für Theologie und K ­ irche 3, Freiburg im Br. 1995, Sp. 326 – 328 (Lit.); Thaler, Die Domkapitel (wie Anm. 12). Wichtige Quellen in der etwas unübersichtlichen Sammlung von Johann Christian Lünig (Hg.), Das Teutsche Reichsarchiv, Teilbde. 15 – 22: Spicilegium Ecclesiasticum … oder Germania Sacra Diplomatica, Leipzig ca. 1713 – 1721 (Digitalisat bei: http://opac.regestaimperii.de/lang_de/anzeige.php?gesamttitel=Das+teutsche+Reichs-Archiv [14. 03. 2020]). Zu Mainz: Georg May, Die geistliche Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Mainz im Thüringen des späten Mittelalters. Das Generalgericht zu Erfurt (Erfurter Theologische Studien 2), Leipzig 1956. Zu Bamberg: Heinrich Straub, Die Geistliche Gerichtsbarkeit des Domdekans im alten Bistum Bamberg von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung (Münchener Theologische Studien, III. Kanonistische Abteilung 9), München 1957. Zu Eichstätt: Buchholz-Johanek, Geistliche Richter (wie Anm. 7), S. 157. Mit „Bulla Concordia“ ist jener Text gemeint, der in Erich Meuthen (Hg.), Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues, Bd. 1, Lieferung 3a, Hamburg 1996, Nr. 1184, S. 819 – 821, abgedruckt ist.

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daraus ergebende Jurisdiktionsstreit wird an die römische Kurie gebracht. Der päpstliche Legat Nikolaus von Kues erlässt am 8. April 1451 die sog. „Bulla Concordia“, die im Wesentlichen dem Bischof Recht gibt und den Eid auf die bischöfliche Wahlkapitulation für ungültig erklärt. In späteren Wahlkapitulationen kann das Domkapitel aber seine Jurisdiktionskompetenz wieder ausweiten. Regensburg:19 Seit ca. 1300 de facto, seit 1373 de iure (Verpfändung durch überschuldeten Bischof ), 1402 förmliche Übergabe des geistlichen Gerichts an das Domkapitel durch den Bischof (bekräftigt in der bischöflichen Wahlkapitulation von 1437). Auflösung des Domkapitelgerichts durch Bistumsadministrator Pfalzgraf Johann II. 1526 (Ersetzung durch Generalvikar); Neuorganisation durch Einrichtung eines Offizialamtes mit Beteiligung des Domkapitels (bischöfliche Wahlkapitulation von 1600). Passau:20 In der bischöflichen Wahlkapitulation von 1451 erlangt das Domkapitel die gesamte Jurisdiktion der Diözese.

III.  Das römisch-kanonische Prozessrecht: seine Bedeutung für die geistliche Gerichtsbarkeit und seine Modellfunktion für die Entwicklung des weltlichen Prozessrechts Der Ablauf eines Prozesses nach dem römisch-kanonischen Recht ist durch die Arbeiten von Hans Jörg Budischin und Knut Wolfgang Nörr herausgearbeitet worden und muss deshalb hier nicht erneut dargelegt werden. Die Ausbildung des römisch-kanonischen Prozessrechts, das aus den justinianischen und kanonistischen Rechtsquellen erarbeitet worden ist, verdanken wir vor allem den Prozessschriften des Mittelalters, die aber am Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert auch noch im Druck verbreitet wurden.21 Von den herausragenden 19 Zu Regensburg: Christiana Deutsch, Forschungsbericht über neu aufgefundene kirchliche Gerichtsakten im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg, in: ZRG Kan. 91 (2005), S. 771 – 784; Dies., Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg 1480 – 1538 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 29), Köln u. a. 2005. 20 Zu Passau: Josef Oswald, Das alte Passauer Domkapitel. Seine Entwicklung bis zum 13. Jahrhundert und sein Wahlkapitulationswesen, München 1933. 21 Vgl. Knut Wolfgang Nörr, Die Literatur zum gemeinen Zivilprozeß, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch (wie Anm. 10), S. 383 – 397; Coing, Römisches Recht in Deutschland (wie Anm. 11), S. 191 – 208. Zu den Anfängen vgl. Peter Landau, Die Anfänge der Prozessrechtswissenschaft in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts, in: Orazio Condorelli u. a. (Hg.), Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, Bd. 1: Zivil- und Zivilprozessrecht, Köln u. a. 2009, S. 7 – 23. Zu Johannes Urbach vgl. Knut Wolfgang Nörr, Über den Processus Iudicii des Johannes Urbach aus dem 15. Jahrhundert, in: ZRG Kan. Abt. 88 (2002), S. 283 – 293.

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Verfassern ­seien hier nur wenige genannt: Tancred von Bologna (Ordo iudiciarius, geschrieben um 1216, gedruckt u. a. Lyon 1515, Straßburg 1545), Roffredus ­Beneventanus (De libellis et ordine iudiciorum und Libelli de iure canonico, entstanden ­zwischen 1235 und 1243, gedruckt u. a. Avignon 1500, Straßburg 1502, Lyon 1561, Köln 1591), Guilelmus Duranti (Speculum iudiciale, vor 1296, 24 Ausgaben bis 1525), Johannes Petrus de Ferrariis (Practica iudicialis, nach 1400, 18 Ausgaben ­zwischen 1471 und 1499, 17 Ausgaben ­zwischen 1502 und 1527), Johannes Urbach (Processus iudicii, um 1405, 13 Ausgaben vor 1500), Lanfraco de Oriano (Praxis iudiciaria, vor 1488, Ausgaben u. a. Lyon 1525, Köln 1572, Venedig 1565), Roberto Maranta (Tractatus de ordine iudiciorum, 1525, gedruckt u. a. Venedig 1540, Lyon 1567, Köln 1606 und 1628). Nachdem die kirchlichen Gerichte eine breite rechtliche Zuständigkeit für sich beanspruchten und nachdem auch die weltlichen Gerichte immer häufiger über Richter verfügten, die das gelehrte Recht studiert hatten, kann es nicht wundern, dass Handbücher über das römisch-kanonische Prozessrecht 22 sehr gesucht waren. Auch nach der Reformation spielte das kirchliche Prozessrecht solange eine bedeutende Rolle, als noch keine evangelischen Normen für das geistliche Gericht bestanden. Hermann Conring hatte zwar 1643 über das päpstliche Verfahrensrecht ein vernichtendes Urteil abgegeben und behauptete, das kanonische Prozessrecht habe an die Stelle des einfachen Gerichtsverfahrens der Väter den förmlichen Prozess eingeführt und so das Feld für langwierige Prozessverschiebungen und Vertagungen bereitet.23 In Wirklichkeit war man auch im Bereich der protestantischen ­Kirche zunächst auf das kanonische Prozessrecht angewiesen, das man in den Glossenwerken zu den jeweils zweiten Büchern des Liber Extra und des Liber Sextus und in den soeben genannten Handbüchern 22 Budischin, Der gelehrte Zivilprozeß (wie Anm. 7); Wiesław Litewski, Der römischkanonische Zivilprozeß nach älteren ordines iudiciarii, 2 Bde., Krakau 1999; Achim Steins, Der ordentliche Zivilprozeß im Spätmittelalter nach den Offizialatsstatuten, in: ZRG Kan. Abt. 59 (1973), S. 191 – 262; Knut Wolfgang Nörr, Prozeßzweck und Prozeßtypus: Der kirchliche Prozeß des Mittelalters im Spannungsfeld z­ wischen objektiver Ordnung und subjektiven Interessen. Stephan Kuttner zum 85. Geburtstag gewidmet, in: ZRG Kan. Abt. 78 (1992), S. 183 – 209; ders., Über die mittelalterliche Rota Romana. Ein Streifzug aus der Sicht der Geschichte der kurialen Gerichtsbarkeit, des römisch-kanonischen Prozessrechts und der kanonistischen Wissenschaft, in: ZRG Kan. Abt. 93 (2007), S. 220 – 245; ders., Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft), Berlin u. a. 2012; ders., Ein geschichtlicher Abriss (wie Anm. 7), S. 11 – 42; Mathias Schmoeckel, Die Jugend der Justitia. Archäologie der Gerechtigkeit im Prozessrecht der Patristik, Tübingen 2013. 23 So in seinem Werk „De origine iuris Germanici“, hier zitiert nach Wolter, Ius canonicum in iure civili (wie Anm. 11), S. 59.

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zum ­gerichtlichen Verfahren vorfand.24 Für das Verfahren vor den Konsistorien, die in fast allen protestantischen Territorien errichtet wurden, entstanden nach und nach Konsitorialordnungen.25 Doch noch im 18. Jahrhundert gliedert Justus Henning Böhmer sein großes fünfbändiges Werk „Ius ecclesiasticum Protestantium“ (1714 – 1737) nach der Ordnung der Dekretalen.26 Die Ausführungen zur kirchlichen Gerichtsbarkeit finden sich vor allem in Band 1 im Abschnitt „Libri secundi decretalium, Titel 1 (De iudiciis) bis Titel 30 (De confirmatione utili et inutili)“.27 Dass der römisch-kanonische Prozess die weltlichen Gerichtsordnungen des späten 15. und des 16. Jahrhunderts beeinflusst hat, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Es ist bezeichnend, dass die Reichskammergerichtsordnung von 1555 am Ende (LIV § 1) anordnet, „daß in allen und jeden fellen, die hieoben nit sonderlich und außdrücklich in diser ordnung des gerichtlichen proceß halben versehen, das gemeyn recht statthaben und vermög desselben gehandelt und procedirt werden soll.“ 28

24 Vgl. Hans Liermann, Das kanonische Recht als Gegenstand des gelehrten Unterrichts an den protestantischen Universitäten Deutschlands in den ersten Jahrhunderten nach der Reformation, in: Martin Heckel u. a. (Hg.), Der Jurist und die ­Kirche. Ausgewählte kirchen­rechtliche Aufsätze und Rechtsgutachten, München 1973, S. 108 – 131; Udo Wolter, Die Fortgeltung des kanonischen Rechts und die Haltung der protestantischen Juristen zum kanonischen Recht in Deutschland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Richard Helmholz (Hg.), Canon Law in Protestant Lands (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History 11), Berlin 1992, S. 13 – 47; Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), im Register unter „Kanonisches Recht, Fortgeltung in protestantischen Territorien“. 25 Vgl. Knut Wolfgang Nörr, Die kirchliche Gesetzgebung, Die protestantischen ­Kirchen, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 2/2: Neuere Zeit (1500 – 1800), München 1976, S. 1092 – 1109, hier S. 1102 – 1105. 26 Hierzu Heinrich de Wall, Zum kirchenrechtlichen Werk Justus Henning Böhmers, in: ZRG Kan. Abt. 87 (2002), S. 455 – 472, insbes. S. 466 ff. Justus Henning Böhmer, Ius Ecclesiasticum Protestantium, usum hodiernum iuris canonici iuxta seriem decretalium ostendens, Bd. 1, Magdeburg 51756, T. 1, S. 148 (zu Lib. I, Titel 2) verweist darauf, dass das Werk von Benedikt Carpzov, Jurisprudentia ecclesiastica seu consistorialis, Leipzig 1649, eine ganz überragende Geltung erlangt habe: „ut fere asserere possis, hanc iurisprudentiam ius protestantium ecclesiarum commune esse.“ 27 Böhmer, Ius Ecclesiasticum Protestantium (wie Anm. 26), Bd. 1, T. 2, S. 965 – 1460 (Liber Extra 2.1 – 30). 28 T. III, Art. 54, § 1, in: Adolf Laufs, Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 3), Köln u. a. 1976, S. 279.

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IV.  Kernprobleme der kirchlichen Gerichtsbarkeit in der Reichskirche vor und nach der Reformation Zwar dominiert seit dem späten Mittelalter in Hinblick auf die Ordnung des gerichtlichen Verfahrens das Gemeine Recht. Dies gilt auch für die geistlichen Gerichte. In Hinblick auf das kanonische Recht war aber nicht nur das Recht der Universalkirche zu beachten, auch das partikuläre Statutenrecht der ­Kirche und die landesherrlichen Normen nahmen einen breiten Raum ein. Universales Recht und die vielfältigen partikularen Rechte standen zuweilen in Widerspruch zueinander, was zu Konflikten führen konnte.29 Im Folgenden sollen beispielhaft einige Problembereiche aufgezeigt werden.

1.  Die Ausdehnung der geistlichen Gerichtsbarkeit Der Zuständigkeitsbereich der kirchlichen Gerichte war, wie bereits ausgeführt wurde, nicht nur auf den Bereich der „causae spirituales“ beschränkt. Hier ging es vor allem um Ehe- und Testamentssachen, um Kirchengut und Pfründen, um Rentenangelegenheiten und Wucher. Darüber hinaus nahm aber die Attraktivität der Offizialatsgerichte zu, was auf viele Ursachen zurückzuführen ist. Insbesondere die dort praktizierte Anwendung von geschriebenem Recht und das rationale Verfahren mit klaren Instanzenzügen führten zu einer Ausweitung der kirchlichen Jurisdiktion. Als Vorzüge werden ferner genannt die Schnelligkeit des summarischen Verfahrens und die dort gegebene Möglichkeit der kirchlichen Exekution für Verfahren um Geldschulden.30 Schon im späten Mittelalter waren aber Bann und Interdikt als Mittel des kirchlichen Fiskalismus in die Kritik geraten, wie man aus den stets wiederholten Gravamina nationis Germanicae erkennen kann.31 Dazu wurde darüber geklagt, dass die kaum beschränkte Möglichkeit, nach Rom zu appellieren, dazu führen würde, die Bedeutung der örtlichen kirchlichen Gerichte zu schmälern und die Dauer der Prozesse zu verlängern.

29 Grundlegend hierzu Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13). 30 Vgl. Ferdinand Elsener, Studien zur Rezeption des gelehrten Rechts. Ausgewählte Aufsätze, Sigmaringen 1989, S. 152 – 164 und 198 – 205; Trusen, Anfänge (wie Anm. 11), S. 34 – 62. Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 727. 31 Literatur bei Anton Schindling, Reichskirche und Deutsche Nation in der Frühen Neuzeit, in: Heinz-Gerhard Haupt u. a. (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt a. M. 2001, S. 68 – 83, insbes. S. 71 ff.

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2.  Die Zersplitterung der kirchlichen Territorien Die Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche wird häufig aus der Perspektive der Universalkirche behandelt. Dies ist verständlich in Hinblick auf die Regelung des kirchlichen Prozesses im Corpus iuris canonici und die nicht nur im Kirchenstaat, sondern im ganzen europäischen Bereich beachtete Rechtsprechung der Sacra Rota Romana. Doch darf man nicht übersehen, dass auch das partikulare Kirchenrecht zunahm, allerdings mit mehr oder minder großen Unterschieden. Um 1500 gab es 74 Bistümer im Reich, davon besaßen 56 ein Hochstift. Dazu kommt eine große Zahl von Reichsstiften und Reichsabteien, jeweils mit Territorien. Die Situation wurde ferner dadurch erschwert, dass viele Diözesen und Hochstifte fremde Landesherrschaften als Enklaven ihres territorialen Bereichs hinnehmen und deren Landeshoheit respektieren mussten. In der Reformation wurde die Landkarte der Hochstifte noch einmal neu gestaltet. Nach dem Religionsfrieden von 1555 konnte man drei Typen von Hochstiften unterscheiden: die protestantisch gewordenen Hochstifte, die gefährdeten Hochstifte und die konsolidierten Hochstifte.32

3.  Die doppelte Herrschaft des Bischofs im kirchlichen Hochstift Ein Reichsbischof war episcopus et princeps oder anders formuliert persona duplex in eodem homine. Er verfügte also sowohl über ein geistliches wie über ein welt­ liches Gericht. In der Regel gab es im Hochstift neben dem geistlichen Gericht ein weltliches Hochgericht. In Köln etwa gab es im weltlichen Bereich das Hohe Weltliche Gericht und das Hofgericht, im kirchlichen Bereich das Offizialat und das fiskalische geistliche Gericht.33 Wichtig ist zu sehen, dass das Offizialat in vielen Fällen auch für weltliche Angelegenheiten zuständig war.34 Dies konnte zuweilen zu Kompetenzstreitigkeiten führen. 32 Eike Wolgast, Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche ­zwischen 1517 und 1648 (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 16), Stuttgart 1995, S. 255 – 325. 33 Dieter Strauch, Kölnisches Gerichtswesen, S. 1 – 4 (Digitalisat vom 21. April 2017: https:// kups.ub.uni-koeln.de/7587/1/KoelnGerichtswes.pdf [14. 03. 2020]). 34 Albert Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung im Mittelalter, Hannover u. a. 1905 (Nachdruck Darmstadt 1969), S. 206 – 218 (§ 35: Die geistlichen Reichsfürsten und ihre Territorien), 219 – 247 (§ 36: Die Landeshoheit der geistlichen Reichsfürsten) und 247 – 269 (§ 37: Die Beziehungen der weltlichen Reichsfürsten zu Reichs- und Landesklerus). Vgl. für die Bistümer Münster und Köln Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 40 ff. und 58 ff.; für Konstanz: Thomas Wetzstein, Tam inter clericos

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4.  Die doppelte Herrschaft des evangelischen Landesherrn In den Bereichen, in denen nach der Reformation evangelische Landesherren regierten, war dies nicht viel anders. Auch der evangelische Landesfürst nahm für sich sowohl die Ausübung der weltlichen Herrschaft wie auch die Ausübung der Kirchen­ gewalt in Anspruch. Teils wurde das Recht zur kirchlichen Rechtsprechung aus der Suspension der iurisdictio ecclesiastica der katholischen Bischöfe und deren Übertragung auf die Regenten der evangelisch gewordenen Gebiete angesehen (Episko­ palsystem), teils als Teilstück fürstlicher Souveränität (Territorialsystem).35 Das Offizialatsgericht eines katholischen Landesherrn und das Konsistorium 36 in einer evangelischen Landesherrschaft haben zwar ähnliche Kompetenzbereiche, doch unterscheiden sie sich im Instanzenzug: War es beim Offizialatsgericht grundsätzlich möglich, im Wege der Appellation auch ein Gericht außerhalb des Territoriums anzurufen (etwa ein Reichsgericht oder die Rota Romana), so versuchte man in der Regel beim Konsistorium, die Entscheidungskompetenz außerterritorialer Gerichte auszuschließen, um das landesherrliche Kirchenregiment 37 nicht zu schwächen.38

5.  Die doppelte Herrschaft des katholischen Landesherrn Im Kerngebiet des bayerischen Herzogtums lagen um 1500 die Diözesen Freising, Regensburg, Passau und Salzburg, Randgebiete gehörten zu Eichstätt, Augsburg und Chiemsee. Keines der Bistümer unterlag der bayerischen Landesherrschaft. Dagegen waren die 13 Freisinger Bischöfe und der Regensburger Bischof reichsunmittelbar. Versuche, ein eigenes Landesbistum zu gründen, sind zwar f­ehlgeschlagen. Doch

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quam laicos? Die Kompetenz des Konstanzer geistlichen Gerichts im Spiegel der archivalischen Überlieferung, in: Franz-Josef Arlinghaus u. a. (Hg.), Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters (Rechtsprechung. Materialien und Studien 23), Frankfurt a. M. 2006, S. 47 – 81; für Paderborn Thorsten Süss, Partikularer Zivilprozess und territoriale Gerichtsverfassung. Das weltliche Hofgericht in Paderborn und seine Ordnungen 1587 – 1720, Köln u. a. 2017, S. 56. Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, 42006, S. 14 – 19. Jacob Friedrich Ludovici, Einleitung zum Consistorial-Proceß, darinnen, wie jeder Consistorial-Proceß von dem sonst in anderen Sachen gebräuchlichen modo procedendi abweiche, Halle 1719; Werner Heun, Art. „Konsistorium“, in: Theologische Realenzyklo­ pädie 19, 1990, S. 483 – 488. Hans-Walter Krumwiede, Art. „Kirchenregiment, landesherrliches“, in: Theologische Realenzyklopädie 19, 1990, S. 59 – 68. So die Beobachtung von Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 331, 334, 457 und 523.

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konnte sich ein starkes landesherrliches Kirchenregiment 39 herausbilden, das für sich in Anspruch nahm, Klöster und Pfarreien zu visitieren, die Strafgerichtsbarkeit über Kleriker auszudehnen, die Steuerfreiheit des Klerus zu begrenzen, Aufsichtsrechte über die kirchliche Vermögensverwaltung zu gewinnen und durch den Erlass von Landesordnungen den Bereich der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu beschränken. Im Bayrischen Konkordat von 158340 wurde das Verhältnis von Staat und K ­ irche neu geregelt, doch verhinderte dies nicht, dass Bayern seine staatskirchliche Praxis weiter zu Lasten der ­Kirche ausdehnte.

6.  Das Schwinden der kirchlichen Kompetenzen durch das Vordringen der weltlichen Gerichtsbarkeit von Städten und Territorien Mit der Entstehung der Territorialstaaten ist das Anwachsen der landesherrlichen bzw. städtischen Gesetzgebung zu beobachten. Zugleich aber wuchs das Bedürfnis der Landesherren und der Städte, eine eigenständige Gerichtsbarkeit zu entwickeln.41 Auch hier ist das Feld für Kompetenzstreitigkeiten geöffnet.42 Ein gutes Beispiel bietet die detaillierte Untersuchung von Peter Oestmann über die Zuständigkeitsstreitigkeiten im katholischen Herzogtum Jülich-Berg.43 In seiner Zusammenfassung der Ergebnisse heißt es: „In Jülich-Berg ist besonders deutlich, wie ein katholischer weltlicher Landesherr versuchte, seine Herrschaftsrechte auch auf den Bereich der geistlichen Gerichtsbarkeit auszudehnen.“ 44 39 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (wie Anm. 6), S. 579 – 583; Dieter Albrecht, Die kirchlich-religiöse Entwicklung, T. 2: 1500 – 1745, in: Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 2, München 21988, S. 702 – 707; Walter Ziegler, Die bayerische ­Kirche und das landesherrliche Kirchenregiment, in: Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 2, St. Ottilien 1993, S. 4 – 6. 40 Klaus Unterburger, Das Bayerische Konkordat von 1583: die Neuorientierung der päpstlichen Deutschlandpolitik nach dem Konzil von Trient und deren Konsequenzen für das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt, Stuttgart 2006. 41 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Karlsruhe 1962, S. 381 ff. und Bd. 2, Karlsruhe 1966, S. 283 ff.; Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 11), Köln u. a. 1975; Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte (wie Anm. 7), S. 177 f., 196 f. (Katholische weltliche und geistliche Territorien) und 198 f. (Protestantische Territorien). 42 Zu diesen Konflikten im Spätmittelalter vgl. Justus Hashagen, Zur Charakteristik der geistlichen Gerichtsbarkeit vornehmlich im späteren Mittelalter, in: ZRG Kan. Abt. 6 (1916), S. 205 – 292. 43 Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 596 – 715. 44 Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 713.

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7.  Veränderungen der Kompetenzen für die kirchliche Gerichtsbarkeit durch bischöfliche Wahlkapitulationen Während in der Regel die kirchliche Gerichtsbarkeit durch Offizialate ausgeübt wurde, versuchten viele Domkapitel, wie bereits ausgeführt wurde, in den von ihnen aufgestellten bischöflichen Wahlkapitulationen 45 die Jurisdiktion des Bistums in die eigene Hand zu bekommen oder sie, soweit sie schon beim Domkapitel lag, weiter auszubauen. Im Gebiet des heutigen Bayern lag die Zuständigkeit für die geistliche Gerichtsbarkeit in Augsburg, Eichstätt, Würzburg und Passau bei den Offizialaten, in Bamberg, Regensburg und Freising bei den Domkapiteln.46 Diese Zuordnung bildet jedoch keinen statischen Zustand, vielmehr konnten aufgrund der politischen oder finanziellen Lage die Kompetenzen verändert werden. So wird in Regensburg 1373 das Offizialat als zentrale bischöfliche Gerichtsbehörde aufgrund der verheerenden ökonomischen Situation durch das Domkapitelgericht abgelöst, das seinerseits 1526 durch ein Generalvikariat abgelöst wird.47

8.  Kirchliche Gerichtsbarkeit der Bischöfe, die päpstlichen Nuntien und die kaiserlichen Wahlkapitulationen (seit 1519)48 Die verbreiteten Beschwerden gegen die übermäßige Konzentration der Verfahren bei den päpstlichen Gerichten erhielten weitere Nahrung durch den Umstand, dass die Nuntiaturen im Heiligen Römischen Reich, also die Wiener Nuntiatur beim ­Kaiser (seit 1529) und die Kölner Nuntiatur für den nördlichen und westlichen Bereich des Reiches (seit 1584), eigene Jurisdiktion ausübten. Die ­päpstlichen 45 Einen guten Überblick bietet Bettina Braun, Die bischöflichen Wahlkapitulationen in der Reichskirche, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Wahlkapitulationen in Europa (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 95), Göttingen 2015, S. 141 – 165. 46 Christian Schwab, Geistliche Gerichtsbarkeit, publiziert am 30. 09. 2011; in: H ­ istorisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Geistliche_ Gerichtsbarkeit [14. 03. 2020]. 47 Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (wie Anm. 19), S. 61 ff. und 105 ff. 48 Im Folgenden stütze ich mich auf meine Beiträge: Hans-Jürgen Becker, Die Entwicklung der Appellation im kanonischen Recht, in: Leopold Auer/Eva Ortlieb (Hg.), Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, Wien 2013, S. 11 – 25; ders., Die Sacra Rota Romana in der frühen Neuzeit, in: Leopold Auer/Werner Ogris/ Eva Ortlieb (Hg.), Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeit­licher Rechtsordnungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 53), Köln u. a. 2007, S. 1 – 18 (Nachdruck in: ders., Aspekte weltlicher und kirchlicher Rechtskultur. Ausgewählte rechtshistorische Aufsätze, Regenstauf 2014, S. 411 – 428).

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­ untien waren zwar in erster Linie als diplomatische Vertreter des Heiligen Stuhls N tätig, doch beanspruchten sie daneben auch eine eigene Jurisdiktion. Diese Nuntia­ turgerichtsbarkeit stand in scharfer Konkurrenz: einmal zu den kirchlichen Gerichten der Bischöfe, zum anderen zu den Zivilgerichten im Reich, also Reichshofrat und Reichskammergericht.49 Eine der Ursachen für den dauernden Streit lag in der schwierigen materiellrechtlichen Abgrenzung der causae civiles von den causae ecclesiasticae. So wurde in Benefizialsachen nicht selten darum gekämpft, ob ein weltliches oder ein kirchliches Gericht zuständig sei. Gerade in den drei geistlichen Kurfürstentümern des Alten Reiches häuften sich die Streitfälle.50 Das Kompetenzproblem war so bedeutsam, dass es im Abschied des Reichstages zu Regensburg vom 17. Mai 1654 (Jüngster Reichsabschied, Art. 164) angesprochen wurde.51 Damit war der Kompetenzstreit zum Gegenstand des Reichsverfassungsrechts geworden: Es galt, die Kompetenz von Reichskammergericht und Reichshofrat zu wahren. In den kaiserlichen Wahlkapitulationen wird der Standpunkt der weltlichen Seite fortgeschrieben, so auch in Art. 19 der Wahlkapitulation von ­Kaiser Leopold I. von 1658. Gegen diesen Versuch, die Ausübung päpstlicher Jurisdiktionsrechte durch die apostolischen Nuntien zu beschränken, erhob der päpstliche Nuntius Giuseppe Maria Sanfelice (Nuntius in Köln 1652 – 1659) Protest.52 Gleichwohl hielt man im Reich an dem eigenen Standpunkt fest, wie die Texte der kaiserlichen Wahlkapitulationen seit Karl VI. (1711) in Art. XIV belegen, wo es heißt: „Gleichergestalt wollen Wir, wann es sich etwan begebe, das die Causae civiles von ihrem ordentlichen Gericht im Heyligen Reich abgezogen und ausßer dasßelbe ad Nuntios Apostolicos und wohl gar ad Curiam Romanam gezogen würden, solches abschaffen, vernichten und ernstlich verbiethen, auch Unßeren kayserlichen Fiscalen sowohl ahn Unßerem kayserlichen Reichshoffrhat als Cammergericht anbefehlen, wieder die jenige so wohl Parteyen als Advocaten, Procuratoren und Notarien, die sich hinführo dergleichen ­anmaßen und 49 Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), im Register unter ‚Nuntius‘. 50 Hierzu grundlegend Burkhard Roberg, … Combatter coi tribunali dell’impero. Zum Konflikt um Jurisdiktion und Rechtsprechung ­zwischen römischer Kurie und Reich in der Frühen Neuzeit, T. I, in: Römische Quartalschrift 100 (2005), S. 181 – 239; T. II, in: Römische Quartalschrift 110 (2015), S. 60 – 102; T. III, in: ebd., S. 200 – 217. 51 Text bei Arno Buschmann, K ­ aiser und Reich, T. II: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806, Baden-Baden 21994, S. 250 f. 52 Abdruck von Art. XIX der kaiserlichen Wahlkapitulation von 1658 und des Protests des Nuntius vom 9. August 1658 bei Michael f. Feldkamp, Studien und Texte zur Geschichte der Kölner Nuntiatur, Bd. 2 (Collectanea Archivi Vaticani 31), Rom 1993, S. 148 – 153. Art. XIX (Konkordate und Gravamina. Verbot geistlicher Gerichtsbarkeit in Zivilsachen. Befreiung der Protestanten von der geistlichen Gerichtsbarkeit. Verwahrung der protestantischen Kurfürsten) jetzt auch in der neuen Edition: Wolfgang Burgdorf (Hg.), Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und ­Kaiser (Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches 1), Göttingen 2015, S. 206 f.

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darinn einiger Gestalt gebrauchen laßen würden, mit behöriger Anklag von Ambtswegen zu verfahren, damit die Übertrettere demnegstens gebührendt angesehen und bestrafft werden mögten.“ 53 Der schon so lange andauernde Streit hielt bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches an und verschärfte sich noch, wie in den Koblenzer Gravamina von 176954 und im bekannten Nuntiaturstreit,55 der ab 1785 die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches erschütterte (Emser Punktation von 1786),56 sichtbar wird.

V.  Reformen der kirchlichen Gerichtsbarkeit um 1500 Die Organisation der kirchlichen Gerichte vor und nach der Reformation ist bislang nur punktuell untersucht worden. Vielfach fehlt es noch an der Edition der Texte. Der folgende Überblick ist also nur ein erster Hinweis auf die Fülle der Rechtsquellen:57 • Bamberg:58 Gerichtsordnungen von 1463 und 1488. • Erfurt:59 Gerichtsordnung von 1483. • Halberstadt:60 Gerichtsordnungen von 1428, 1442, 1466, 1490, 1493, 1497, 1499, nach 1513. 53 Burgdorf (Hg.), Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und K ­ aiser (wie Anm. 52), S. 339 f. Die Bestimmung in dem Entwurf einer beständigen Wahlkapitulation von 1711 bei Buschmann (wie Anm. 51), Nr. 15, Art. XIV, S. 293 – 295. Vgl. hierzu Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 13), S. 163 ff.; ders., Wege zur Rechtsgeschichte (wie Anm. 7), S. 194 – 196. 54 Feine (wie Anm. 6), S. 569 f.; Josef Steinruck, Art. „Koblenzer Gravamina“, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, Bd. 6, 31997, Sp. 164. 55 Feine (wie Anm. 6), S. 569 ff.; Josef Steinruck, Art. „Nuntiaturstreit“, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, Bd. 7, 31998, Sp. 949. 56 Josef Steinruck, Art. „Emser Kongreß“, in: Lexikon für Theologie und K ­ irche, Bd. 3, 3 1995, Sp. 637 f. 57 Diese Feststellung machte schon Nikolaus Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 109, 1929, S. 577 – 583. Er bemerkt dazu auf S. 578: „Wer […] die gesamte Entwicklung der kirchlichen Gerichtsbarkeit kennen lernen will, muß außer den Statuta curiae seu judiciorum noch die Statuta synodalia der betreffenden Diözese berücksichtigen.“ 58 Inhaltsübersicht bei Straub, Die geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 17), S. 8 – 57; vgl. ferner Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 578. 59 May, Die geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 16), S. 156. 60 Nikolaus Hilling, Sechs Gerichtsordnungen für das Bistum Halberstadt aus dem 15. Jahrhundert, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 125, 1951, S. 29 – 72; ders., Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 578 f.

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Köln:61 Gerichtsordnungen von 1306 – 1332, 1356, 1435, 1470, 1528. Lüttich:62 Gerichtsordnungen von 1337, 1339, 1343, 1424, 1446. Mainz:63 Gerichtsordnungen von 1437, nach 1514, 1534, 1549. Münster:64 Gerichtsordnungen von 1573. Speyer:65 Gerichtsordnungen von 1466, 1479, um 1540 . Straßburg:66 Gerichtsordnungen von 1318, 1388. Würzburg:67 Gerichtsordnungen von 1342, 1422, 1446, 1447, 1470, 1498, 1512.

An diesen wenigen Beispielen kann man erkennen, dass die partikulare Gesetz­ gebung zur kirchlichen Gerichtsbarkeit in dieser Zeit bemüht war, die Gerichtsordnungen stets den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Nur wenig s­päter wird die römische Zentrale es übernehmen, universale Richtlinien zu erlassen.

VI.  Die Neuerungen für die kirchliche Gerichtsbarkeit durch das Konzil von Trient und die Kurienreform von 1588 Auch das Tridentinum (1545 – 1563) war bestrebt, die kirchliche Gerichtsbarkeit zu reformieren.68 Den alten Einrichtungen des Archidiakonats und des Sendgerichts, die sich teilweise noch erhalten hatten, versuchte man ein Ende zu bereiten. Man bemühte sich darüber hinaus, die bischöfliche Gerichtskompetenz zu stärken und gerichtliche Sonderentwicklungen und Exemtionen einzuschränken.69 Doch gelang eine Neuordnung der episkopalen Stellung nur in Ansätzen. Man hat dies mit dem treffenden Satz beschrieben: „Der Bischof sollte gewinnen, der Papst aber 61 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 579 f. 62 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 580 f. 63 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 581; May, Die geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 16), S. X, Anm. 20 und S. 245; ders, Die Organisation von Gerichtsbarkeit und Verwaltung in der Erzdiözese Mainz vom hohen Mittelalter bis zum Ende der Reichskirche, Bd. 1: Die Zentralbehörden, Bd. 2: Die Kommissariate, Mainz 2004 (passim). 64 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 581. 65 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 581. 66 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 582. 67 Hilling, Kirchl. Gerichtsordnungen (wie Anm. 57), S. 582 f. 68 Zum Folgenden vgl. Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 3, Wien u. a. 1959, S. 278 – 282; ders., Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 4, Wien u. a. 1966, S. 354 – 437; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (wie Anm. 6), S. 510 – 514, 533 – 539 und 544 f. 69 Zu dem Versuch, die Jurisdiktion der Bischöfe zu stärken, vgl. Klaus Ganzer, Das Konzil von Tient. Angelpunkte für eine Reform der ­Kirche?, in: Römische Quartalschrift 84 (1989), S. 31 – 50 (Nachdruck in: ders., ­Kirche auf dem Weg durch die Zeit, Münster 1997, S. 212 – 232).

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nicht verlieren.“ Die weiteren Reformen haben den Schwerpunkt der kirchlichen Gerichtsbarkeit weiter auf die römische Zentrale gelenkt. Die Prozessordnung der Sacra Rota Romana 70 sah nach wie vor vor, dass die Gerichtssitzung durch einen Einzelrichter (Referens, Ponens) geleitet wurde. Das Urteil wurde allerdings durch ein Kollegium von Auditoren gefällt. Die Entscheidung bezeichnete man daher als „compilatio consiliorum dominorum auditorum“. Es war Aufgabe des Ponens, die Meinungen der einzelnen Auditoren zusammenfassend darzustellen. Die Gründe der Entscheidung sollten geheim bleiben. Mit den Bullen „In throno iustitiae“ 71 vom 27. Dezember 1561 und „Dudum siquidem“ 72 vom 27. Juli 1562 hat Papst Pius IV. die Kompetenzen der Rota Romana neu geordnet. In dieser Reform, die im Jahre 1563 in Kraft trat, wurde auch angeordnet, dass grundsätzlich keine Entscheidung „contra stylum et decisiones factas in Rota quae impressae habentur“ ergehen sollte. Eine Änderung der Spruchpraxis sollte nur mit besonderer Vorsicht erfolgen. Eine Abweichung war nur nach ausführlicher Besprechung und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen möglich. Giovanni Battista de Luca 73 hat in seinem 15 Foliobände umfassenden „Theatrum veritatis“ (erschienen ­zwischen 1673 und 1681) vorgeschlagen, bei einer Klage in erster Linie den stylus judicandi (d. h. die ständige Rechtsprechung) des Gerichtshofes, bei dem man klagt, zu berücksichtigen. Sodann sei auch die Rechtsprechung der höchsten Kollegialgerichte aller Nationalitäten zu Rate zu ziehen. Erst dann ­seien auch die dogmatischen Arbeiten der Gelehrten zu konsultieren. Die Kurienreform von Papst Sixtus V. (Bulle „Immensa aeterni“ vom 22. Januar 1588)74 errichtete danach 15 ständige Kardinalskongregationen mit genau definiertem Geschäftsbereich. Mit der Schaffung ­dieses neuen Behördentyps wurde ein Teil der Prozessmaterien, die früher der Rota Romana zustanden, in die Zuständigkeit der neuen Konsistorialbehörden übertragen.

70 Das Folgende nach Mario Ascheri, Italien. Rechtsprechungssammlungen, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 2: Neuere Zeit (1500 – 1800), 2. Teilbd.: Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976, S. 1113 – 1221, hier insbes. S. 1127 und 1134 ff. 71 Bullarium Romanum, ed. Taurinens., Bd. 7, Turin 1862, S. 155 – 158. 72 Bullarium Romanum, ed. Taurinens., Bd. 7, Turin 1862, S. 227 f. 73 Hans-Jürgen Becker, Kardinal Giovanni Battista de Luca (1613 – 1683) und die Sacra Rota Romana, in: ZRG Kan. Abt. 95 (2009), S. 313 – 340 (Nachdruck in: ders., Aspekte weltlicher und kirchlicher Rechtskultur. Ausgewählte rechtshistorische Aufsätze, Regenstauf 2014, S. 429 – 456). Hervorzuheben sind die Ausführungen von Giovanni Battista De Luca, Theatrum veritatis, Bd. 15, Venedig 1726, Pars I. De judiciis, Disc. 32: De Tribunali seu Auditorio, S. 318 – 332. 74 Bullarium Romanum, ed. Taurinens., Bd. 8, Turin 1863, S. 985 – 999.

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Hans-Jürgen Becker

VII.  Schluss In der Einleitung zu dieser kleinen Studie war von der sehr unübersichtlichen Landkarte der Territorien des Alten Reichs und damit verbunden von der sehr gefächerten kirchlichen Jurisdiktion die Rede. Würde man versuchen, für die Endphase des Sacrum Romanum Imperium eine Karte der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu zeichnen, würde auch hier wieder das Bild eines bunten Flickenteppichs entstehen. Dies wird etwa deutlich, wenn man ein Territorium wie das der Preußischen Staaten betrachtet, das durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803, durch die Napoleonischen Kriege und die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815 starke Veränderungen erfahren hat. Durch die territorialen Zugewinne und Verschiebungen wurden die Instanzenzüge immer unübersichtlicher. Schon in den Jahren 1796 bis 1799 wurden viele Beratungen zu der Frage abgehalten, wie eine Neuorganisation der geistlichen Gerichte gestaltet werden könnte.75 Im 19. Jahrhundert schien es nach der erneuten Umgestaltung der territorialen Zusammensetzung Preußens im Jahre 1835 angebracht, eine Übersicht über die Situation der kirchlichen Gerichtsbarkeit in den preußischen Provinzen zu erstellen.76 Da die Trennung von Staat und ­Kirche erst durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 durchgeführt wurde, kann das nicht überraschen.

75 Vgl. Hans Westenberg, Preußen und Rom an der Wende des achtzehnten Jahrhunderts (Kirchenrechtliche Abhandlungen 48), Stuttgart 1908, S. 53 – 59. 76 Löwenberg, Übersicht der Verfassung der katholischen geistlichen Gerichtsbarkeit in den verschiedenen Landestheilen der Preußischen Monarchie, in: Juristische Wochenschrift für die Preußischen Staaten 1 (1835), A. Im Großherzogthum Posen, S. 137 – 147; B. In Ostpreußen, S. 209 – 217; C. In Westpreußen, S. 257 – 261; D. In Schlesien und der Grafschaft Glatz, S. 345 – 351; E. Das bischöfliche Gericht in Erfurt, S. 417 – 425 (http://www.­ digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN746506139 LOG_0004 [14. 03. 2020]).

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Relations between Litigation and Judicial Process in the College of Justice in Sixteenth-Century Scotland

The early sixteenth century witnessed the establishment of a Scottish central court with supreme civil jurisdiction. This development was in turn the catalyst for a fundamental transition between contrasting medieval and early modern models of procedural law in Scotland, with implications for how judicial decisions were made in Scottish law courts as a whole.1 At its heart was a shift of emphasis away from lay tribunals of fact producing “verdicts”, under the established procedures of the medieval Scottish common law, and towards a learned procedure which applied more extensive reasoning techniques and legal learning to judicial decision-making, paving the way for new forms of juristic elaboration of Scots law by the 1560s.2 From the point of view of civil procedure, this prompted a reorientation of the legal system away from procedure initiated by standard-form writs and conducted by local jury inquest, and towards a Romano-canonical form of procedure which replaced jury verdicts with decrees and sentences formulated by learned judges based on a sophisticated written process, with witness evidence heard separately and also reduced to writing. Naturally, this had consequences for the role of judges in the processes involved in determining lawsuits, as well as in the crafting of the substance of decisions of the court. This new sixteenth-century supreme court took institutional shape in the form of the College of Justice. This was created under parliamentary statute by an incorporation in 1532 of the judicial branch of the King’s Council known as 1 A. M. Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland: the Origins of a Central Court, Leiden 2009, ch. 4; Thomas M. Green, “Romano-canonical Procedure in Reformation Scotland: The Example of the Court of the Commissaries of Edinburgh”, 36 Journal of Legal History (2015), pp. 217 – 235; J. Finlay, Men of Law in Pre-Reformation Scotland, East Linton 2000, pp. 87 – 122; G. Dolezalek, “The Court of Session as a Ius Commune Court – Witnessed by ‘Sinclair’s Practicks’, 1540 – 1549”, in: H. L. Macqueen (ed.), Miscellany Four, Stair Society, Vol. 49, Edinburgh 2002, pp. 51 – 84; H. L. Macqueen, Common Law and Feudal Society in Medieval Scotland, Edinburgh 1993; H. L. Macqueen, “Pleadable brieves, pleading, and the development of Scots law”, Law and History Review, iv (1986), pp. 403 – 422. 2 Andrew. R. C. Simpson, “Legislation and authority in early modern Scotland”, in: Mark Godfrey (ed.), Law and Authority in British Legal History, 1200 – 1900, Cambridge 2016, pp. 85 – 119, at p. 100.

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“the ­Session” (whose name also continued to be used after 1532). As a collegial body of fifteen judges, the reconstituted Session made its decisions collectively, requiring in consequence a certain method of private deliberation and reasoning amongst the judges, which had not been a part of medieval judicial process for ordinary remedies provided by the Scottish common law. The framework for such deliberation must ultimately have derived from the collective decision-making practices of the late-medieval King’s Council, albeit fused with understandings drawn from Romano-canonical procedure when applied to its competence in judicial matters. These sixteenth-century changes to judicial activity and decision-making were a major departure for the secular courts, though of course they took place within a wider legal culture which was already quite familiar with such procedures and deliberative practices through the parallel jurisdiction of the church courts in Scotland. These had been applying Romano-canonical procedure throughout preceding centuries in the context of litigation within the competence of the spiritual jurisdiction. Nevertheless, it was only in the sixteenth century that the role and activity of the learned lay judge became central in the adjudication of cases under such a procedure, compared to medieval judicial process in which a judge simply presided over a court whose decisions were made by its suitors collectively through the determination of verdicts reached by juries. The implications of this change to the role of the judge in Scotland have been discussed by historians only to a limited extent. On the one hand, it can be interpreted as the result of a gradual institutional and jurisdictional evolution made possible by the untapped potential of central justice in the medieval legal order, in which it had played a relatively minor and supplementary role.3 The development of new forms of remedy provided through central jurisdiction became the motor for such change. As Alan Harding has argued, “in Scotland, the legal right ceased to follow the remedy, substance to be dependent on form, and Scottish law anticipated English law by at least three centuries in abolishing the forms of action”.4 On the other hand, it is possible to recognise a sharper change and imply that this involved a fundamental redefinition of the categories not only of judging but also of the very nature of a court. In terms of this latter view, there is an argument that the Session, exercising a function of the King’s Council, and, from 1532, the College of Justice, deriving its jurisdiction ultimately from the King’s Council as well, did not conform to the medieval Scottish idea of a “court” at all. The sixteenth-century acceptance of the superior jurisdiction of the Session and College of Justice 3 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 444 – 446. 4 A. Harding, “The Medieval Brieves of Protection and the Development of the Common Law”, 11 Juridical Review (1966), pp. 115 – 149, at p. 142.

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on this view would seem to become problematic to explain, since it must have entailed a radical reconceptualisation of aspects of the legal system and the nature of jurisdiction, but for which there is little evidence in terms of contemporary perceptions. Nevertheless, providing some support for such a view, Professor A. A. M. Duncan argued that the medieval Scottish Council made a “decreet”, it did not decide on a verdict. It was not a court, for it gave “remedium” but not “iudicium”.5 Indeed, until 1532 the Session was formally no more than a meeting of the King’s Council, which was not itself a body with procedural competence to administer the “ordinary” judicial remedies of the common law. These were instead directed by fixed forms of royal writ to specific locally-based lay judges to initiate judicial process in the relevant locality rather than in any central forum. Moreover, the authority of such a local court was validated in a particular way. It was considered to be vested in its suitors, bound by the feudal obligation of suit of court to make attendance, and it was the calling of the individual suits which was necessary in order to constitute the court.6 By contrast, the King’s Council in general and the Session in particular were not based on this form of constitution. Their authority derived directly from the King, not from any collective act of constitution by their members. It was therefore a form of judicial tribunal which was not an ordinary court, and whose jurisdiction and competence was indeed contrasted with that of the “judge ordinary”, at least until the sixteenth century.7 But such an argument about whether or not the Session was a “court” also has to take account of underlying changes in the role of the King’s Council, and the Session in the late medieval period, between the mid-fifteenth and early sixteenth centuries, as well as the practical effect of formally enacted changes such as the foundation of the College of Justice in 1532. Furthermore, the supposed contrast between the traditional medieval concept of a court and that of the sixteenth-century Session as a function of the Council should not blind us to the fact that as an institution the Session nevertheless did operate, practically speaking, as a law court, because it possessed royal jurisdiction of its own which gave it this competence. And jurisdiction is a primary constituent of the legal order, 5 A. A. M. Duncan, “The Central Courts before 1532”, in: G. C. H. Paton (ed.), Introduction to Scottish Legal History, Stair Society, Vol. 20, (Edinburgh 1958), pp. 321 – 340, at p. 328. 6 P. J. Hamilton-Grierson, “Fencing the Court”, xxi Scottish Historical Review (1924), pp. 54 – 62; W. C. Dickinson, The Sheriff Court Book of Fife 1515 – 1522, Scottish History Society Third Series, Vol. XII, Edinburgh 1928, pp. lxxxv, 309; I. D. Willock, The Origins and Development of the Jury in Scotland, Stair Society, Vol. 23, Edinburgh 1966, pp. 75 f. and 89 f.; H. L. Macqueen, Common Law and Feudal Society in Medieval Scotland, Edinburgh 1993, pp. 35 – 42. 7 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 274 f.

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rather than a mere secondary expression of legal form providing for its application in a particular context. The “fencing” of a medieval court and the calling of the roll of suitors were in this sense merely legal forms designed to authenticate the existence of the requisite underlying jurisdiction and authority in the assembly in question. Ultimately, the question whether the Session was accepted as a “court” is about whether its legal form was based on an underlying jurisdiction derived from recognised authority, and whether it thereby functioned as a court, meaning a body with jurisdiction enabling it to adjudicate under legally-recognised procedures and to act judicially in dispensing legally-recognised remedies, rather than whether it conformed to a particular method of constitution as a “court” which reflected questions of form and the practical assumptions of the medieval legal system. Its authority was ultimately derived jurisdictionally from that of the King sitting in Council, which was at one level no different in kind from the authority of the established courts of justiciars and sheriffs, whose own authority also derived historically and jurisdictionally from the King, and whose principal form of remedy was the royal brieve issued out of the King’s chancery in the name of the King as opposed to a decree issued by the King in Council. The functioning of the Session in judicial business was court-like, being based on Romano-canonical procedural norms, not merely on informal deliberative practices which rested on its political authority as an emanation of the Council. Its judicial process, remedies and constitution may therefore have differed from the normal medieval concept of a court, but they were not alien to the deeper norms of law and procedure on which the Scottish common law and ordinary judicial process were based. In these terms, by 1532 it is clear that the Session was treated as a court, and a court with a supreme civil jurisdiction.8 There was admittedly an important institutional change in 1532 to the extent that the foundation of the College of Justice detached the judicial Session from the wider Council, reconstituted it as a College of Justice, and grounded its authority in a special parliamentary statute. However, its records show that it had already been functioning as a form of tribunal exercising a jurisdiction like a law court for several decades prior to its reconstitution by statute as the College of Justice in 1532. In this sense, its residual authority as a court can be seen to derive to a certain extent from its pre-1532 direct connection with the King sitting in Council, in parallel with its new statutory basis, and this connection also provides the reason why it had no suitors, juries or verdicts. Suitors, juries and verdicts simply reflected particular structures of procedure designed to offer a particular kind of remedy, as well as a particular structure of authority which established the basis of jurisdiction for the court in question. Professor Baker prompts us to remember 8 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, p. 452.

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that “our present image of a ‘court’ is the outcome of history, not the reflection of some constant truth which transcends history”.9 It is therefore legitimate to conclude that juries, suitors and verdicts are not in fact intrinsic to the concept of a court as such, though they may have seemed normal and perhaps essential to the Scottish medieval understanding of a court until the fifteenth century. The Session could therefore function like a court; however, it approached the validation of the legal basis for claims brought before it, the collection of evidence, and the giving of judgment, in a different way than the traditional secular courts which had developed the particular forms of remedy of the medieval common law under the influence of the (Anglo-Norman) common law forms of procedure by brieve (writ) and inquest. But when the Session gave its decision by pronouncing sentence in the form of a decree which bound the parties, it was nevertheless still giving judgment in a particular technical form — ​a different but equivalent form of remedy to the verdicts and “retours” available under the ordinary processes of the Scottish medieval common law. Duncan’s narrower argument contrasting remedium with iudicium therefore seems to raise a narrowly formalistic distinction which lacks clear content when examining the function and basis of authority for the different types of judicial remedy available by the sixteenth century.10 By this time, decrees from the Session had a recognised general status in constituting a remedy which gave them just as much authority as forms of ordinary remedy as the verdict of a jury constituting a judgment following procedure by brieve and inquest. The differences between decrees embodying the sentences of the Session and the retours embodying verdicts of inquests, and associated judgments (“dooms”) of the relevant courts of sheriff and justiciar, primarily reflected different forms of procedure. It is therefore hard to identify any substantive differences between a decree and a verdict which can be structured around a supposed contrast between a remedy and a judgment. It is therefore more persuasive to see evidence of continuity rather than radical reconceptualisation in the process whereby the Session became recognised as a court like any other, precisely as a consequence of the development of its judicial function, notwithstanding the fact that the remedy it offered was in the Romano-­ canonical form of a decree, hitherto unknown in ordinary medieval secular judicial process in Scotland. Form followed function in this respect. It may be an interesting question in its own right whether contemporaries perceived the Session as a “court” in a traditional sense or as some distinguishable form of royal tribunal, 9 J. H. Baker, “The Changing Concept of a Court”, in: J. H. Baker, The Legal Profession and the Common Law. Historical Essays, (London, 1986), pp. 153 – 169, at p. 153; Collected Papers on English Legal History, Vol. I, (Cambridge 2013), ch. 24. 10 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 181 f.

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and, if so, what that distinction might have meant to them. However, the records of the Session in the late-fifteenth and early-sixteenth century do not appear to suggest that such a distinction played any active role. Despite this continuity in the concept of jurisdiction and the nature of a judicial remedy, there were nevertheless underlying changes in the role of the judges in the Session who exercised that jurisdiction, and who dispensed its remedies. Several features concerning decision-making by judges in the Session help suggest a framework for further research into the nature of these changes. A preliminary point is that a feature of the Session in 1532, which clearly had important implications for decision-making, was its collegiate nature. This did not just affect the method of reaching a decision, but also the requisite competence for doing so. For example, there was a need to regulate the numbers of judges required to convene the court — ​the quorum — ​in order to make competent decisions. The College of Justice had an ordinary bench of fifteen judges (including the president), and after 1532 a rule was expressly adopted that there had to be a quorum of at least ten judges, as well as the chancellor or president, for the giving of decrees and other sentences.11 In terms of the method of decision-making, it is clear that the judges of the Session in the new College of Justice made their decisions collectively by carrying out a vote amongst themselves. This contrasts in some ways with the more consultative form of collegial decision-making which operated in another contemporary example of a collegiate court, the Rota Romana. Cases in the Rota were entrusted to the decision of an individual auditor, but involved a particular form of collective procedure: The decision-making process was initiated when an auditor prepared a summary (ponens) of a process on which the other auditors expressed their opinions in a gathering. The responsible auditor then made his decision based on the opinion of the majority of his peers.12

In a sense the individual auditor was thus “technically speaking only the reporter to the whole court for the causes brought before it”, since its majority opinion governed the decision.13 This procedure was first codified in the constitution of 11 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 171 f.; A. M. Godfrey, “The Constitutional Accountability of the Court of Session in Scotland, 1532 – 1626”, in: Ignacio Czeguhn, José Antonio lópez Nevot, Antonio sánchez Aranda (eds.), Control of Supreme Courts in Early Modern Europe, Schriften zur Rechtsgeschichte (RG), Vol. 181, Berlin 2018, pp. 117 – 148, at pp. 139 – 142. 12 Kirsi Salonen, Papal Justice in the Late Middle Ages. The Sacra Romana Rota, London 2016, p. 34. 13 R. H. Helmholz, The Oxford History of the Law of England, Vol. I: The Canon Law and Ecclesiastical Jurisdiction from 597 to the 1640s, Oxford 2004, p. 210.

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Pope John XXII in 1331 (Ratio iuris).14 However, by the late fifteenth-century, the emphasis on collegiality had also come to be tempered to some extent by Innocent VIII’s constitution Finem litibus, which “expanded the capacity of individual auditors to make decisions on their own, instead of stressing the collegiality of the decisions”.15 The number of auditors had also formally decreased during the fifteenth century, by this time being set at only 12, reduced from 14 by Sixtus IV’s constitution Romani pontificis in 1472.16 Regarding decision-making in the Session, a set of ancillary statutes (made by the members of the College of Justice at the King’s command in 1532, after the main parliamentary statute had been first enacted) addressed the manner of collective decision-making which should be followed.17 It laid down rules which sought to maintain a formal order whereby the role of individual judges was subjected to strict control and direction by the president of the court. A central feature, reflecting the need to structure the collective nature of deliberations, was the requirement for silence during those deliberations except when granted permission to speak, and limits on when an individual judge was to be permitted to speak. The need for silence applied to the public stages of the hearings as well as to the private conferral between judges in the course of the decision-making process itself.18 The statutes stated that “the lordis beand sittin done and billis begune to be red, that silence be had amongis the lordis, and that na man commone nor speke of ony mater…”.19 Sitting in silence once the parties’ pleas had been heard, the president could require two of the judges to “argone [i. e. argue or discuss] or dispute ony mater”, during which time no interruptions were to be made by other judges, and after which others could also be required to “argone the mater” again. Only then, “giff thai be any uthir of the lordis that hes ony oponyone or argument to mak, at thai ask leiff [i. e. permission] fra the chancellar or president, and than to argone as thai think expedient”. After all of the arguments and disputations had been made, the statutes further provided that the lords should “haldand silence” while the chancellor or president asked for votes to be given “in the ordour be the actis and bukis of counsale…and that nane argone ane uthir in the gevin thairof ” — ​in other words, it was not permitted to interrupt during the taking of votes in order to dissuade a judge from casting his vote in a particular way. Apart from the m ­ aking 14 15 16 17

Salonen, Papal Justice, pp. 21 – 24 and 34. Salonen, Papal Justice, p. 30. Salonen, Papal Justice, p. 29. The text is reproduced in R. K. Hannay (ed.), Acts of the Lords of Council in Public Affairs 1501 – 1554. Selections from the Acta Dominorum Concilii introductory to the Register of the Privy Council of Scotland, Edinburgh 1932, [hereafter ADCP], pp. 374 – 377. 18 Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland, pp. 173 – 175. 19 ADCP, p. 376.

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of decisions, the statutes also went on to regulate the formal disclosure to the court of the witness evidence upon which the case would be ultimately decided. They made a point of requiring disclosure to take place in the presence of the whole bench of judges, stating that “all publicationis of witnes and uthir attestationis and examinatioun of proces be maid before the haill auditour”. There was no express rule stating that the voting by the judges had to be secret. The voting procedure must have happened in private, however, since the statutes also inform us about when advocates and the parties are meant to be present, as well as indicating when they should leave. It is stated that: all advocatis and procuratoris sall entre in the counsalhous at the calling of all summondis and actis, and remane quhill the parteis have argonit and dispute thair materis at the bar, and than to remove quhen the parteis ar removit, and than to entre agane at the gevin and pronunciatioun of interlocutouris quhen the parteis enteris.

The decision-making stage obviously took place prior to the calling back of the parties for the pronouncement of interlocutors. These rules in the statutes of the court are set out in what we may consider a normative statement of court practice. They are not known in any comparable earlier version (though some particular concerns about the general ordering of the court are addressed in earlier ordinances 20), but it seems a reasonable hypothesis to suggest that they were a reflection of existing procedure in the Session. But the rules could also have been modified or added to in order to address any perceived problems in the pre-1532 Session and to tighten up aspects of procedure so as to help impose sufficient order, and reduce the risk of irregularity in judicial decision-making compared to the situation before the foundation of the College of Justice. A constant theme is the stress given to the authority of the president of the court to supervise the voting process, to determine when other members of the court were entitled to speak, to determine when individual judges had reasonable cause to be granted a license to be absent, as well as to receive in person all court documents submitted by the parties as they entered the court room. A hint of the fact that the statutes codified existing practice arises in a protest recorded in proceedings before the Session in the same month as the inauguration of the College of Justice in May 1532, and only a calendar month before the ancillary statutes were promulgated. In this protest Hew Campbell of Loudon submitted that “na lordis [i. e. judges] be admittit to geif voit in his mater except thaim alanerly quhilk war chosin of befor to the sessioun, that argunit the mater and had the samin ripe in thar hedis”.21 This protest neatly advertises the way that 20 ADCP, pp. 272 f. (undated ordinance from 1527). 21 ADCP, p. 372 (10 May 1532).

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a prescribed process of decision-making was in action, requiring structured, deliberative argument (to “argunit the mater”) which was understood as essential to the constitution of a valid decision. Those judges who had not properly participated in this collective process should not be considered qualified to vote according to this protest. The nature of the court record reveals only scraps of information about the decision-making activities of the judges. One problem identified, for example, is that the apparent simplicity of voting seems to have occasionally resulted in a confusing ambiguity when a particularly complex litigation was concerned. In a hearing in 1529, for example, it was “allegit that the lordis yisterday vetit apoun the … summondis and as he allegit gaif interlocutor that the libell was nocht relevant”. The advocate protested that the summons should no longer have process.22 However, it is recorded later that day that the lords declared the summons in question relevant as libelled, though they also felt the need to clarify the meaning of their ruling in relation to the interest of one of the parties by stating that “be thir sentence interlocutor thai have nocht decidit that the erle of Erole has nocht tynt [i. e. forfeited] his ryt be the said interlocutor” (emphasis added). Very occasionally, the controversial nature of a decision will be reflected in the record by the naming of those lords who dissented from it. For example, in 1531 there was a summons called in the King’s name against Sir David Young, chaplain, for “the contempcioune done be him contrar our said sovereine lord in breking of his act of parliament in the impetratioune of vicarage of Tibbermure”. Young was found guilty despite a protest by the Archbishop of St. Andrews “for himself and all the remanent of the clergy” that nothing should prejudice the privileges of the church, and that they “apprevis nocht the act of parliament insofar as it may be any way contrar the privilege of halykirk”.23 However, unusually, it is comprehensively stated that “all the lordes spirituale and temporale except the abbot of Kinloss and dene of Dunbar declarit that Sir David Young had brokin the acte of parliament”.24 The mechanics of decision-making by voting are also reflected in the record. Parties understood well the requirement in a collegiate court making collective decisions that only a bare majority of judges needed to be persuaded of the merits of their case. This could involve being attentive to the precise number of votes cast by the lords in making their decisions. An action to reduce (i. e. invalidate) a decree could found upon any ambiguity in this aspect of the procedure, although if the judges made their decisions in private, it is not obvious how such information could become known to the parties. For example, on 9 December 1532 Andrew 22 National Records of Scotland [hereafter NRS] CS 5/40, f. 27v. 23 NRS CS 5/42, f. 169v. 24 NRS CS 5/42, f. 169v.

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Seton of Parbroath brought an action for reduction of the decree against him which had been made in favour of William Scott, a burgess of Montrose. Five grounds of reduction were given in the summons, the second being that “the decreet assolzeis [i. e. absolves] the said William fra the 4th reson of the said summonds simpliciter, howbeit ane grete part of the saidis lordis admittit the said reson and the remanent deliverit nocht simpliciter and determlie thirupon bot commonalie gif it wes the practik alanerlie quhairthrow the said Andro and hes procuratores protestit for nullite of the said decret” (italics added). Presumably “ane grete part” did not amount to a majority, otherwise the decision would have been the other way, but it is interesting that it was known to the parties that it was a majority decision only, not unanimous, and that the basis for the majority decision is also understood in some sense to have been expressed conditionally. Although Seton was unsuccessful in getting the decree reduced, the illustration serves to reveal how the mechanics of this form of collegiate decision-making could be exploited by the parties, at least at this early stage in the history of the College of Justice. Voting had been seen to give rise to threats to the integrity of decision-making in the pre-1532 Session, when any member of the council could attend in order simply to influence a decision in which they had an interest. The ancillary statutes of the court of June 1532 addressed what remained of this risk after membership of the court was restricted to nominated senators of the new College of Justice. The statutes clearly forbade selective attendance of this kind, at least for ordinary senators, stating that “nane of the lordis chosin and admittit on the sessioun depart or byid away without licence askit and optenit fra the chancellar or president in presence of the haill counsale for ressonable causis”.25 This danger was nevertheless still in evidence in the 1550s, however, when the problem was described as “that thai [i. e. the judges] cum allanerlie for particular actionis of thair awin, or concerning freindis, and to have expeditioun thairof, and than to depart as thai pleis”.26 One response was that the exercise of the right to vote could be linked to the due performance of the obligations of a judge. The lords of session made an ordinance in 1555, for example, imposing greater controls over which members of the Council were entitled to sit as additional supernumerary lords on top of the 15 senators (including the president).27 The ordinance defined the necessary requirements, insisting that “the saidis supernumerare Lordis remane continewalie, and mak personale residence with the President and the uther Lordis numerares ordinaris, in discussing of all causses, and administratioun of iustice to the lieges of this realme”, threatening them with the sanction that if “thai failye, thay sall nocht have 25 ADCP, p. 376. 26 Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session 1532 – 1555, (Edinburgh 1811), p. 55. 27 Acts of Sederunt, p. 55.

Relations between Litigation and Judicial Process

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voit at thair cuming, bot salbe removit as utheris unchosin”, i. e. of being removed and prevented from exercising a vote if they failed to oblige.28 To some extent, it seems that the sixteenth century history of the College of Justice may have witnessed something of a cultural change in the court, once its formal operation was detached from the Council, and that, in consequence, conventions developed which guided the court in its approach to decision-making, but which had not been previously stated in formal ordinances. It is clear that in other matters, such as the exercise of jurisdiction after the foundation of the College of Justice, as well as the regulation of the constitution of the court and the appointment of judges, the self-understanding of the court certainly developed over time. It seems a reasonable hypothesis to suggest that the transition from central judicial functions belonging to the King’s Council to their belonging to the College of Justice also affected, and perhaps changed, the judges’ self-understanding of how they should reach their decisions in compliance with appropriate procedural norms.

28 Acts of Sederunt, pp. 55 f.: “And that the saidis supernumerare Lordis remane continewalie, and mak personale residence with the President and the uther Lordis numerares ordinaris, in discussing of all causses, and administratioun of iustice to the lieges of this realme, with certificatioun to thame, and thai failye, thay sall nocht have voit at thair cuming, bot salbe removit as utheris unchosin, be ressoun that it may be iudged gif thai do uther wyifs, that thai cum allanerlie for particular actionis of thair awain, or concerning freindis, and to have expeditioun thairof, and tha to depart as thai pleis.”

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Observaciones sobre el stylus curiae en la Castilla del Antiguo Régimen Die Rechtskultur des Ancien Regime wurde unter anderem von der Gerichtsbarkeit beeinflusst. In der langen Zeit der Rezeption und Gültigkeit des ius commune und der Entfaltung des Absolutismus hat der Begriff der Gerechtigkeit, der als wesentliche und bestimmende Funktion der politischen Macht verstanden wird, immer eine zentrale Rolle gespielt. Der Monarch, der im Spätmittelalter nach und nach als Quelle und Ursprung aller Gerichtsbarkeit im Königreich anerkannt wurde, hatte die Vormachtstellung der Gerichtsbarkeit inne. Wenn wir allerdings auf die Rechtsanwendung schauen, stellen wir fest, dass in der Praxis Richter und nicht der Herrscher die Gerechtigkeit verwalteten. Dabei galt die Angemessenheit des Urteils nach dem Gesetz weniger als das rechtmäßige Verhalten der Richter, die das Urteil gefällt hatten. Die Richter hatten bei der Auslegung des betreffenden Falles einen großen Ermessens­spielraum. Ermessensspielraum ist jedoch nicht dasselbe wie Willkür. Die damalige Doktrin verstand das arbitrium iudicis so, dass es der Gleichheit, der Vernunft oder dem ius naturale unterworfen war. Auf der anderen Seite gab es zwei Mechanismen zur Kontrolle und Begrenzung des arbitrium iudicis: die so genannte communis opinio doctorum, den Konsens der Juristen, der zu einer Wahrheitsvermutung wurde, an die sich die Richter zu halten hatten, und der stylus oder usus curiae. Die kastilischen Juristen an den höheren Gerichten wie dem Königlichen Rat und den Audiencias y Chancillerías beachteten diesen Stylus. Warum? Die Richter repräsentierten die Person des Monarchen selbst und unmittelbar und richteten in seinem königlichen Namen. Die Relevanz des angewendeten Stils führte zur Entstehung einer eigenen literarischen Gattung – der practicas (Verfahrenspraktiken). Welches waren die Merkmale des stylus curiae im alten Kastilien? In ­diesem Zusammenhang und in Anlehnung an Ranieri müssen zwei grundlegende Momente unterschieden werden: der Prozess der gerichtlichen Entscheidungsfindung, der auf der relatio iudicialis beruhte, und die Formulierung des Urteils im engeren Sinne, oder forma sententiae. Was die Form der Urteile anbelangt, so haben die Obergerichte in Kastilien weder die Gründe noch die Motive angegeben, aus denen sie ihre Entscheidungen getroffen haben, noch haben sie sich auf die angewandten normativen Texte bezogen. Dies heißt nicht, dass intern die gerichtliche Entscheidung nicht begründet wurde. Nur im Urteil findet sich eine ­solche nicht. Die Nichtmotivation von Urteilen ist eines der wichtigsten bestimmenden Merkmale des Gerichtsstils in Kastilien. Obwohl es kein Gesetz ausdrücklich verbot, Urteile zu begründen, hatte der Stil diese Praxis verankert. Welche Gründe rechtfertigten das Fehlen von Gründen für Urteile? Die kanonistische Lehre, basierend auf dem Dekret sicut nobis. Es wurde auch die Hypothese aufgestellt, dass in Strafsachen das Fehlen einer Begründung der Logik des richterlichen Ermessens entspricht. Im Gegensatz hierzu wurden in den Königreichen der Krone von Aragón die Gerichtsentscheidungen ab dem 16. Jh. begründet. Der Unterschied ist auf die Verschiedenheit der politischen Regime innerhalb der hispanischen Monarchie zurückzuführen: Während Kastilien ein im Wesentlichen absolutistisches politisches Regime hatte, gab es in den Königreichen von Aragón einen pactismo – Herrschaftsverträge

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­zwischen dem König und den Ständen. Aus ­diesem Grund wurden in Katalonien, Aragonien und Valencia Urteilssammlungen der Obergerichte und Kommentare veröffentlicht: Dies führte zu einer neuen literarischen Gattung. Was geschah in anderen europäischen Königreichen? Wir wissen, dass, wie in Kastilien, auch in Frankreich die Gerichte die Urteile nicht gegenüber den Parteien begründet haben. Bernard de la Roche Flavin erinnerte jedoch 1621 daran, dass die Richter in der Vergangenheit in ihren Urteilen oft die Ursache oder den Grund für die Verurteilung oder den Freispruch angegeben hatten. Dies wird durch die im Pariser Parlament in den ersten Jahren seines Bestehens beobachtete Praxis bestätigt. Die Besonderheiten des kastilischen Gerichtsstils erschöpfen sich jedoch nicht in einer mangelnden Begründung der Urteile. Dank der Nachrichten, die uns die kastilische Rechtsdoktrin liefert, sind wir uns der Existenz verschiedener Nutzungen und Praktiken praeter und sogar contra legem bewusst, z. B. der Dauer von Gerichtsverhandlungen (viel länger als im königlichen und gemeinen Recht festgelegt), dem Antrag (der im Stil der Region, in der der Fall verhandelt wurde, abgefasst werden musste), der Frist und der Anzahl der Ausnahmen von der Verspätung und der Beweise. All dies zeigt die starke Präsenz des stilus curiae, der von der Monarchie toleriert und von der Doktrin verteidigt wurde. Dem Kernstück eines Rechtsprechungsmodells, das nicht nur seine Gültigkeit während des gesamten Ancien Regimes behauptete, sondern im siebzehnten Jahrhundert auch auf die Königreiche der Krone von Aragón ausgedehnt wurde.

I.  Arbitrium, communis opinio, stylus La cultura jurídica del Antiguo Régimen ha sido expresivamente calificada con el adjetivo de jurisdiccional. En el dilatado espacio cronológico presidido por la recepción y vigencia del ius commune y el despliegue del absolutismo, desempeñó siempre un papel cardinal la noción de justicia, concebida como la función esencial y definitoria del poder político.1 Su titular, el monarca, paulatinamente reconocido durante la Baja Edad Media como fuente y origen de toda jurisdicción en el reino, ostentaba la supremacía jurisdiccional o mayoría de justicia. Un jurista castellano, Jerónimo Castillo de Bovadilla 2, escribía hacia 1595 que «esta 1 Para lo que sigue, vid. Benjamín González Alonso, «La Justicia», en Miguel Artola (dir.), Enciclopedia de Historia de España. II. Instituciones Políticas. Imperio, Madrid 1988, pp. 343 – 417, maxime pp. 377 – 400, Bartolomé Clavero, «Justicia y Gobierno, Economía y Gracia», en Jesús Moya Morales, Eduardo Quesada Dorador y David Torres Ibáñez (eds.), Real Chancillería de Granada. V Centenario. 1505 – 2005, Granada 2006, pp. 121 – 147, Alejandro Agüero, «Las categorías básicas de la cultura jurisdiccional» y Carlos Garriga, «Justicia animada: dispositivos de la justicia en la Monarquía católica», en Marta Lorente Sariñena (coord.), De justicia de jueces a justicia de leyes: hacia la España de 1870, en Cuadernos de ­Derecho Judicial, VI (2006), Madrid 2007, pp. 19 – 58 y 59 – 104, respectivamente. 2 Vid. Francisco Tomás Y Valiente, «Castillo de Bobadilla (c. 1547-c. 1605). Semblanza personal y profesional de un juez del Antiguo Régimen», en Anuario de Historia del Derecho

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mayoria […] ni los Reyes la pueden enagenar, ni los Señores prescrivir, porque es la forma sustancial de la magestad, cetro y corona Real, y reconocimiento supremo pegados à los huessos de los Reyes por la dignidad Real, y por Derecho divino concedido».3 En su cúspide, la justicia era una facultad ínsita al poder real — ​id est, una regalía — ​y, como tal, inalienable e imprescriptible, aunque no incompatible con una base caracterizada por el pluralismo y la fragmentación jurisdiccional. Por último, la finalidad encomendada a la justicia era la conservación de un orden social de índole transcendente y textura corporativa, donde la virtud de mantener a cada uno en su derecho se modulaba atendiendo a la distinta posición ocupada por las personas en la jerarquía estamental. Si del concepto descendemos a la aplicación de la justicia, comprobaremos que se trataba de una justicia de jueces, fundada no tanto en la adecuación de la sentencia a la ley, cuanto en la conducta ajustada a Derecho de los magistrados que la dictaban.4 A tales efectos resultan elocuentes las palabras de un célebre escritor político, Diego de Saavedra Fajardo, para quien las leyes «no pueden darse a entender por sí mismas y son cuerpos que reciben el alma y el entendimiento de los jueces, por cuya boca hablan y por cuya pluma se declaran y aplican a los casos, no pudiendo comprehendellos todos».5 Adviértase que, por entonces, el ejercicio de la actividad jurisdiccional no se circunscribía a la aplicación tasada, mecánica y uniforme de unas normas positivas previamente formuladas. Los jueces gozaban de un amplio grado de discrecionalidad o arbitrio para adaptar el procedimiento a las circunstancias del caso litigioso  — ​ personas, lugar, tiempo, calidadv — ​, apreciar libremente las pruebas y mitigar o agravar las penas, imponiendo, siempre que mediara justa causa, penas arbitrarias o extraordinarias, a menudo inferiores a las previstas en la ley (penas legales u ordinarias).6 Español (=AHDE), 45 (1975), pp. 159 – 238. 3 Jerónimo Castillo De Bovadilla, Politica para Corregidores, y Señores de Vassallos, en tiempo de paz, y de guerra. Y para Juezes Eclesiasticos y Seglares y de Sacas, Aduanas, y de Residencias, y sus Oficiales: y para Regidores, y Abogados, y del valor de los Corregimientos, y Goviernos Realengos, y de las Ordenes. Autor el Licenciado…, del Consejo del Rey Don Felipe III. nuestro Señor, y su Fiscal en la Real Chancilleria de Valladolid, Amberes 1704, (1ª ed., Madrid 1597), ed. facsímil con Estudio preliminar de Benjamín González Alonso, Madrid 1978, I, Lib. II , Cap. XVI, núm. 86, p. 462. 4 Vid. Garriga, «Justicia animada» cit., p. 90. 5 Diego Saavedra Fajardo, Idea de un príncipe político cristiano representada en cien empresas, Texto preparado por Enrique Suárez Figaredo, en Lemir, 20 (2016), pp. 519 – 968, Empresa XXI (Regit et corrigit), p. 630. 6 Sobre el arbitrio judicial, vid. Massimo Meccarelli, Arbitrium. Un aspetto sistematico degli ordinamenti giuridici in età di diritto commune, A. Giuffrè, Milano 1998, Benjamín González Alonso, «Jueces, justicia, arbitrio judicial (Algunas reflexiones

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Ahora bien, arbitrio no es lo mismo que arbitrariedad. Como subrayó la doctrina de la época, el arbitrium iudicis, ya fuese pleno o regulado, debía entenderse sometido a la equidad, la razón o el ius naturale.7 Por otra parte, existían dos dispositivos o mecanismos de control y limitación del arbitrio: la llamada communis opinio doctorum, o consenso de los juristas, convertida en una presunción de verdad, a la que debían plegarse los jueces, y el stylus o usus curiae 8, sedimentación de la práctica habitual de los tribunales a la hora de interpretar y aplicar la ley al caso enjuiciado. Así pues, arbitrium, communis opinio y stylus integraban la tríada de elementos conformadores de la justicia en la Edad Moderna.9

sobre la p ­ osición de los jueces ante el Derecho en la Castilla moderna)», en Bartolomé Bennassar Perillier ET ALII, Vivir el Siglo de Oro. Poder, cultura e historia en la Época Moderna. Estudios en homenaje al profesor Ángel Rodríguez Sánchez, Salamanca 2003, pp. 223 – 241, maxime pp. 240 – 241, Pedro Ortego Gil, «El Fiscal de S. M. pide se supla a mayores penas. Defensa de la justicia y arbitrio judicial», en Initium. Revista Catalana d’Història del Dret (=Initium), 5 (2000), pp. 239 – 354, «Notas sobre el arbitrio judicial usque ad mortem en el Antiguo Régimen», en Cuadernos de Historia del Derecho (2004), Vol. extraordinario, pp. 211 – 233 y «Condenar ou absolver: entre os juízes de Castela e o iudex commune», en António Pedro Barbas Homem, Eduardo Vera-Cruz Pinto, Paula Costa E Silva, Susana Videira y Pedro Freitas (Coordenaçao), O perfil do juz na tradição ocidental. Seminário Internacional, Almedina, Coimbra 2009, pp. 131 – 163, Alicia Duñaiturria Laguarda, La justicia en Madrid: El arbitrio judicial en la Sala de Alcaldes de Casa y Corte (1751 – 1808), Editorial Dykinson, Madrid 2010, y los estudios reunidos en el volumen colectivo josé sánchez-arcilla bernal (investigador principal), El Arbitrio Judicial en el Antiguo Régimen (España e Indias, siglos XVI-XVIII), Editorial Dykinson, Madrid 2012. 7 Meccarelli, Arbitrium cit., pp. 97 y ss. y 116 – 117, cit. por González Alonso, «Jueces, justicia, arbitrio judicial» cit., p. 234. 8 Sobre el estilo judicial, vid. María Paz Alonso Romero, El proceso penal en Castilla (siglos XIII-XVIII), Salamanca 1982, pp. 92 – 94, Filippo Ranieri, «El estilo judicial español y su influencia en la Europa del Antiguo Régimen», en España y Europa. Un pasado jurídico común. Actas del I Simposio Internacional del Instituto de Derecho Común, Murcia 1986, pp. 101 – 118, González Alonso, «La Justicia» cit., p. 398, y «Jueces» cit., pp. 240 – 241, y Manuel M. Pérez-Victoria De Benavides, «La teoría estatutaria como solución al conflicto entre el Derecho histórico de los distintos reinos (A propósito de una sentencia de la Chancillería de Granada en el s. XVII)», en Initium, 6 (2001), pp. 445 – 4 47, maxime pp. 449 – 450, y «El estilo judicial en la Edad Moderna», en Opuscula miscellanea, Granada 2001, pp. 47 – 63. Sobre el stylus en los índices de las obras de la literatura jurídica europea del siglo XVI, vid. Enrique Álvarez Cora, Dos estudios de historia jurídica sobre la forma y el tiempo, Editorial Dykinson, Madrid 2018, pp. 103 – 106. 9 González Alonso, «Jueces, justicia, arbitrio judicial» cit. p. 241.

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II.  El estilo judicial en Castilla En la Castilla bajomedieval había surgido un texto, conocido con el impropio título de Leyes del Estilo, pues no se trataba de unas leyes, sino de una colección privada y anónima, que recogía «la costumbre de la Corte de los Reyes de Castilla» correspondiente a la segunda mitad del siglo XIII. Junto a la práctica procesal del tribunal regio, figuraban declaraciones o interpretaciones de leyes del Fuero Real, y decisiones judiciales del tribunal de la Corte, dictadas durante los reinados de Alfonso X, Sancho IV y Fernando IV. Durante la Edad Moderna, las Leyes del Estilo no sólo se imprimieron en reiteradas ocasiones, sino que también fueron objeto de comentario por los juristas 10, lo que demuestra la prolongada presencia del texto en el ordenamiento jurídico castellano. ¿Cuál fue la actitud adoptada por la Monarquía frente al estilo judicial? Lo cierto es que las referencias legislativas al estilo son muy escasas. En el Proemio a las Ordenanzas Reales de Castilla, publicadas en 1484, su autor, Alonso Díaz de Montalvo, asegura que «la alteza e mercet de los dichos señores rrey don Fernando e rreyna doña Ysabel […] mandaron que se fiziese copilaçion de las dichas leyes [….] conformando las con el vso e estilo dela su Corte e Chançelleria».11 Sin embargo, en las Leyes por la brevedad y orden de los pleitos, de 1499, los propios Reyes Católicos atribuyen en parte al estilo del Consejo Real y las Audiencias las dilaciones en la prosecución y determinación de las causas.12 En 1505, el presidente y oidores de 10 Cristóbal De Paz, Scholia ad Leges Regias Styli: Avthore Domino…, Iurisconsulto Salmaticensi, et eiusdem inclytae Ciuitatis Decurione, et in Regiis Curiis, quae Madriti celebrantur Regni Curiali, et Procuratore. Ad Dominvm Franciscvm de Sandoual et Rojas, Ducem de Lerma, Marchionem de Denia, felicissimi Regis nostri Philippi Tertii Cubicularium primum, Hispanorum equitum primipilum, et Regiorum equorum prafectum maximum, Castella Commendatarium maiorem, et in suppremo Status Consilio amplissimum Consiliarium, dominum meum excellentissimum, Madriti, Apud Alphonsum Martinum Typographum, Anno à Iesu nato M.DC.VIII. 11 Alonso Díaz De Montalvo, Copilacion de Leyes del Reyno, ed. facsímil, Editorial Lex Nova, Valladolid 1996, Proemio. 12 «Fazemos vos saber que nos somos informados que en las causas pleytos e negocios que estan pendientes assi en el nuestro consejo e en las nuestras audiencias como ante vos los dichos nuestros alcaldes de la dicha nuestra casa e corte e chancilleria e corregidores e assistentes e alcaldes e otros nuestros juezes assi delegados como ordinarios de essas dichas cibdades e villas e lugares se dilata mucho la prosecucion e determinacion de los dichos pleytos e causas e negocios: assi por las malicias e cabilaciones de los pleyteantes e de sus abogados e procuradores como por razon de las dilaciones que en cada parte de los pleytos e negocios se dan por las leyes de las partidas e de los fueros e ordenamientos e por derecho comun e estilo del nuestro consejo e de las nuestras audiencias e otras audiencias inferiores assi en la ordenacion como en la discision dellos» (Leyes hechas por los muy altos e muy poderosos pincipes e señores el rey don Fernando e la reyna doña Ysabel nuestros soberanos señores por la

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la Chancillería de Ciudad Real consultan al Consejo ciertas dudas derivadas de la interpretación de unas leyes (las Ordenanzas de Alcalá de 1503); pues bien, en la consulta se hace constar que los Reyes Católicos habían ordenado «se siguiesse y guardasse el estilo y orden que se guardaua en el modo de proceder antes que las dichas leyes y nueuas ordenanças fuessen publicadas».13 Sabemos que existía diversidad de estilos, no sólo entre distintos tribunales, sino también entre jueces y salas de un mismo tribunal, lo que suscitaba incertidumbre en la aplicación del Derecho. Como consecuencia de la visita practicada en 1542 a la Chancillería de Granada, se averiguó que «en la orden del proceder y proueer en algunos autos judiciales delos processos y causas se tienen y guardan differentes estilos y maneras de proueer entre los Oidores y salas dessa Audiencia de que se siguen algunos inconuenientes y no buen exemplo». Una Real Cédula de Carlos I, fechada en Monzón el 7 de julio de 1542 y dirigida al presidente y oidores de la Chancillería de Granada, intentó corregir la diversidad de «estilos y maneras» observados en las distintas salas del tribunal.14 Ante las discrepancias entre el estilo de las Audiencias y las leyes, las Cortes de Madrid de 1551 pidieron al rey que «mande declarar si se ha de guardar el estilo, o la ley para que los juezes e partes sepan lo que han de hazer», petición a la que el monarca se limitó a responder «que los juezes hagan justicia».15 La actitud de los juristas castellanos fue inequívocamente favorable al estilo observado en los tribunales superiores, como el Consejo Real y las Audiencias y Chancillerías. ¿Por qué? Porque los jueces superiores representaban de forma suprema e inmediata a la persona misma del monarca y juzgaban en su real nombre. Según Gonzalo Suárez de Paz — ​kautor de quien volveremos a ocuparnos en seguida—, stylus qui longaevus est usus caussarum, potest aeque ut ius allegari, cum ad litium ordinationem, tum ad earum decisionem. […]. Quia stylus facit ius.16 A

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breuedad e orden de los pleytos fechas en la villa de Madrid año del señor de mil.ccc.xc.ix, ed. facsímil, Granada 1993, Proemio). Cedvlas Prouisiones visitas y Ordenanças de los Sennores Reyes Catholicos y de svs Maiestades y Autos de los señores Presidente y Oidores concernientes a la facil y buena expedicion de los negocios y administracion de Iustica (sic) y gouernacion de la Audiencia Real que reside en la Ciudad de Granada. Anno de M. D. L. I., f. xxi v. Ibidem, f. cxxxix r. «Que se declare el estilo de las leyes. Otrosi, en el estilo de las audiencias destos reynos ay gran diferencia contra leyes expressas, e alegando el estilo muchos sentencian por el otro conforme a la ley, e los abogados no dan el parecer que conviene. Suplicamos a V. M. mande declarar si se ha de guardar el estilo, o la ley para que los juezes e partes sepan lo que han de hazer. A esto vos respondemos, que los juezes hagan justicia». (Cortes de Madrid de 1551, pet. CVIII, en Cortes de los antiguos Reinos de León y de Castilla publicadas por la Real Academia de la Historia, V, Madrid 1903, pp. 547 – 548). Gonzalo Suárez De Paz, Praxis Ecclesiastica et Secularis Cum Actionum Formulis et Actis Processuum Hispano sermone compositis; Authore…, Vtriusque Iuris Doctoris Celeberrimi,

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comienzos del siglo XVII, Cristóbal de Paz afirmaba que stylum vbi viget seruandum esse pro lege […] et stylum Curiae facere ius 17, y Francisco Bermúdez de Pedraza escribía que «quando el Estylo es escripto, y confirmado por el Principe son verdaderas leyes, y liga a todos, conforme a Derecho: porque el Estylo de la Corte, y Chancilleria, donde se representa la persona Real, por su tacita aprobacion haze Derecho, segun resuelue Burgos de Paz».18 La relevancia del estilo forense suscitó la aparición de un género literario propio, el de las prácticas procesales, «obras — ​en palabras de Tomás y Valientel — ​de utilidad «práctica» indiscutible, pero de calidad técnica desigual y decreciente».19 La Praxis ecclesiastica et secularis del citado Gonzalo Suárez de Paz, publicada por primera vez en 1583, se convirtió en paradigma del género. Suárez de Paz, catedrático de Cánones en la Universidad de Salamanca, escribió su obra con la finalidad de orientar a jueces y abogados principiantes, procurando superar el divorcio entre teoría y práctica.20 A juicio de Paz, 1) los futuros juristas debían conocer no sólo la teoría procesal, sino también la práctica y estilo de los tribunales; 2) el estilo legal continuado podía alegarse, tanto para la ordenación del litigio como para la decisión de la causa; 3) no sólo era válido el estilo en defecto de ley, sino que las propias leyes recibían su mejor interpretación del estilo de los tribunales; 4) el juez debía conocer el estilo judicial, pues la sentencia dictada contra él era nula y el juez, responsable; y 5) los abogados también debían conocer el estilo judicial, pues si Coloniae Allobrogum, Sumptibus Cramer, Perachon, et Cramer filii, M.DCC.XXIV (1ª ed., Salamanca 1583), Proemium, 5, p. 1. 17 Cristóbal De Paz, Scholia cit., In rvbricam, ibi, Aqui comiençan las leyes del Estilo, núms. 88 y 89, p. 20. 18 Francisco Bermúdez De Pedraza, Arte legal para estvdiar la Ivrisprvdencia. Con la Paratitla y exposicion á los titulos de los quatro libros de las Instituciones de Iustiniano. Por el Licenciado…, Abogado en los Consejos de su Magestad. Dirigida a Don Ivan de Acuña Marques de Valle, Presidente de Castilla. En Salamanca. En la Emprenta de Antonia Ramirez, viuda. 1612, Cap. XII, p. 70., Vid. Marina Rojo Gallego-Burín, El pensamiento jurídico y político de Francisco Bermúdez de Pedraza (1576 – 1655), Prólogo de José Antonio López Nevot, Marcial Pons Ediciones Jurídicas y Sociales, Madrid 2018, p. 101. Defendieron asimismo el estilo judicial Fernando Gómez Arias, Diego de Covarrubias y Leyva, Alonso de Villadiego Vascuñana y Montoya y Juan Bautista Larrea. (Vid. Pérez-Victoria De Benavides, «La teoría estatutaria» cit., p. 449). 19 Francisco Tomás Y Valiente, «El pensamiento jurídico», en Miguel Artola (dir.), Enciclopedia de Historia de España. III. Iglesia. Pensamiento. Cultura, Madrid 1988, pp. 327 – 408, maxime p. 361. En ese sentido, vid. Richard L. Kagan, Pleitos y pleiteantes en Castilla, 1500 – 1700, traducción de Margarita Moreno, Salamanca 1991, pp. 148 – 150. 20 Vid. Rafael Gibert, Ciencia jurídica española, Granada 1982, p. 14, y MARÍA PAZ Alonso Romero, «Theoria y praxis en la enseñanza del Derecho: tratados y prácticas procesales en la Universidad de Salamanca a mediados del siglo XVI», AHDE, 61 (1991), pp. 451 – 547, maxime pp. 474 – 476.

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citaban como verdadero estilo el que no lo era, sufrían pena de falsario; y además, les sería más útil el estilo judicial que las sutilezas jurídicas.21 ¿Qué rasgos singularizaron el stylus curiae en la Castilla del Antiguo Régimen? En ese sentido, y siguiendo a Ranieri, es necesario distinguir dos momentos fundamentales: el proceso de formación intelectual de la decisión judicial, que se sustanciaba en la relatio iudicialis, y la formulación de la sentencia en sentido estricto, o forma sententiae.22 La relatio informaba al tribunal del contenido del proceso. De este modo surgió un ars o modus referendi, un acervo de reglas técnicas de estilo, derivadas de una tradición que se remontaba a la técnica de los comentaristas del mos italicus. Ranieri subrayó que, dentro de la literatura del ius commune, la primera obra en la que se expuso monográficamente la técnica del ars referendi fue publicada en 1558 por el licenciado Juan de Matienzo, relator de la Chancillería de Valladolid. Se trata del Dialogvs relatoris et advocati Pintiani senatu, cuyas páginas explanaban las obligaciones del relator.23 El libro también alcanzó notoriedad fuera de España, siendo publicado dos veces en Frankfurt, en 1618 y 1623, por J. Berner, y manejado y citado en Alemania en las disertaciones contemporáneas sobre el ars referendo.24 Por lo que se refiere a la forma sententiae, en Castilla los tribunales superiores no declaraban los motivos, razones o causas por los que adoptaban sus decisiones, ni se referían tampoco a los textos normativos aplicados.25 Ausencia, pues, 21 Vid. Pérez-Victoria De Benavides, «El estilo judicial» cit. 22 Ranieri, «El estilo judicial español» cit., p. 107. 23 Juan Matienzo, Dialogvs relatoris et advocati Pinciani senatus. In quo varia hinc inde proponuntur et longe controuertuntur ad renunciatorum, aduocatorum, et iudicum munera: eorumque dignitatem et eminentiam spectancia, eorumdemque ad electionem probe faciendam plurima aduertuntur. Avtore…, in iure Caesareo designato eiusdem que senatus causarum expositore. Pinciae, Excudebat Sebastianus Martinez, M. D. L.VIII. 24 Ranieri, «El estilo judicial español» cit., pp. 110 – 111. 25 Vid. Juan Sainz Guerra, «Las razones de la Justicia en el Derecho castellano durante la Baja Edad Media», en La aplicación del Derecho a lo largo de la Historia. Actas I Jornadas de Historia del Derecho de la Universidad de Jaén, Jaén, 15 – 16 diciembre 1995, Cámara Oficial de Comercio e Industria de la Provincia de Jaén, Jaén 1996, pp. 93 – 128, Carlos Garriga y Marta Lorente, «El juez y la ley: la motivación de las sentencias (Castilla, 1489 – España, 1855)», en Anuario de la Facultad de Derecho de la Universidad Autónoma de Madrid, 1 (1997), pp. 97 – 144, y Carlos Garriga y Marta Lorente, Cádiz, 1812. La Constitución jurisdiccional, Epílogo de Bartolomé Clavero, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, Madrid 2007, pp. 261 – 312, y Alfonso Murillo Villar, «Antecedentes históricos de la obligación de motivar las decisiones judiciales en el Derecho español», en Teoria e Storia del Diritto Privato (Rivista internazionale on line), 5 (2012), pp. 1 – 65. Vid. asimismo Tony Sauvel, «Histoire du jugement motivé», en Revue du Droit Public et de la Science Politique en France et à l’Étranger, 61 (1955), pp. 5 – 53, Michele Taruffo, «L’obligo di motivazione della sentenza civile tra diritto comune e ­illuminismo», en Rivista

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de motivación escrita de las sentencias. Ello no implica ausencia de motivación en el proceso de formación de la decisión judicial, sino en el texto de la sentencia, reducida a una sucinta declaración de voluntad. Los jueces no daban a conocer a los litigantes los fundamentos jurídicos de la sentencia.26 La no motivación de las sentencias es uno de los principales rasgos definitorios del estilo judicial en Castilla. Aunque ninguna ley prohibía expresamente motivar las sentencias, el estilo había consagrado la práctica. ¿Qué razones justificaron la ausencia de motivación de las sentencias? La doctrina canónica, partiendo de la decretal Sicut nobis, dictada en 1199 por el papa Inocencio III, había sido unánimemente desfavorable a la motivación de las sentencias. Si el juez motivaba su sentencia, asumía el riesgo de fundamentar mal e incurrir en una causa falsa, en un error, que podían ser fuente de nulidad.27 Sin embargo, los canonistas reconocían que la regla de la no motivación admitía algunas excepciones, como en el supuesto de apelación. De acuerdo con la opinión de Durantis, así no podría imputarse ningún error al juez de primera instancia cuando nuevos elementos se presentasen

di Diritto Processuale, 29 (1974), pp. 265 – 295, Alfonso Murillo Villar, «La motivación de la sentencia en el proceso civil romano», en Cuadernos de Historia del Derecho, 2 (1995), pp. 11 – 46, Manuel Ortells Ramos, «Origen histórico del deber de motivar las sentencias», en Revista de Derecho Procesal Iberoamericana, 4 (1997), pp. 899 – 932, Daniela Accatino Scagliotti, «La fundamentación de las sentencias: ¿un rasgo distintivo de la judicatura moderna?», en Revista de Derecho, 15 (diciembre 2003), pp. 9 – 35, Serge Dauchy y Véronique Demars-Sion, «La non-motivation des décisions judiciaires dans l’ancien droit: pincipe ou usage», en Revue historique de droit français et étranger, 82 (abril-juin 2004), pp. 223 – 239, y «Argumentation et motivation dans les recueils d’arrêts des cours souveraines de France. L’exemple du parlement de Flandre (fin XVIIe – début XVIIIe siècle)», en Albrecht Cordes, Juristische Argumentation – Argumente der Juristen, Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Wetzlar 2006, pp. 127 – 151, y Tomás-Javier Aliste Santos, «La motivación judicial en el derecho romano y su proyección respecto a la nulidad de sentencias por falta de motivación en el derecho procesal moderno, con noticia particular del enjuiciamiento criminal», en Pensamiento Jurídico, 21 (2008), pp. 11 – 52, y La motivación de las resoluciones judiciales, Marcial Pons Ediciones Jurídicas y Sociales, 2ª ed., Madrid 2018. 26 En ese sentido, pueden citarse diversas sentencias dictadas entre 1503 y 1510 por los alcaldes del crimen de la Chancillería de Ciudad Real y de su sucesora, la Chancillería de G ­ ranada, cuya motivación se reduce indefectiblemente a la fórmula «atentos los autos e méritos del […] proceso». (Vid. Mª de los Ángeles Martín Romera, Clara Almagro Díaz, Luis Rafael Villegas Díaz y Juan Miguel Mendoza Garrido, «Delincuencia y justicia en la Chancillería de Ciudad Real y Granada (1495 – 1510). Segunda parte. Documentos», en Clio & Crimen, 4 (2007), pp. 490 – 585, maxime pp. 506, 510, 514 – 515, 523, 542, 547, 552 – 553, 557 – 558, 561, 571 y 574). 27 Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit., pp. 268 – 269, y Dauchy y Demars-Sion, «La non-motivation» cit., p. 227.

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ante el juez de apelación, elementos que habrían podido influir también en el juez cuya sentencia hubiese sido apelada.28 En Castilla, la ausencia de motivación de las sentencias se ha vinculado a la obligación legal que pesaba sobre los jueces superiores de guardar el secreto de las deliberaciones judiciales. Las leyes prescribían que a la hora de votar las sentencias, cada uno de los jueces debía expresar su voto libremente, sin argumentar las razones, ni persuadir a los demás jueces para que se adhiriesen a su parecer; durante la votación, los jueces debían guardar silencio y no interrumpir ni interpelar a quien se hallase votando.29 Las eventuales discrepancias entre los jueces debían permanecer ocultas. De ahí la necesidad de que las sentencias fuesen firmadas por todos los jueces del pleito, aunque el voto o votos de algunos de ellos no se conformasen con la decisión mayoritaria. Se pretendía ofrecer así una (engañosa) apariencia de unanimidad. Los votos emitidos para la adopción de la sentencia, incluidos los contrarios o particulares, debían ser registrados en un libro, «sin poner causas y razones algunas de las que les movieron a votar».30 Dicho libro quedaba en poder del presidente del tribunal, quien debía custodiarlo bajo el mayor secreto.31 También se ha aventurado la hipótesis de que, en las causas penales, la ausencia de motivación respondiese a la lógica del arbitrio judicial. Si los jueces se valían del arbitrio para corregir y actualizar unas leyes penales en buena medida de procedencia medieval, amén de confusas, anticuadas y obsoletas, difícilmente podrían motivar sus sentencias fundándose en unas leyes que no habían aplicado, al sustituir las penas legales por penas arbitrarias.32 A mayor arbitrio, menor motivación. Por eso algunos juristas como Castillo y Villadiego recomendaban a los jueces inferiores, cuyo margen de arbitrio era exiguo, que fundamentasen sus decisiones, práctica que, avanzado el siglo XVIII, se convirtió en estilo judicial.33 A ello debió contribuir el hecho de que los jueces de primera instancia fuesen con frecuencia legos en Derecho y precisaran para resolver las causas la asistencia jurídica de asesores letrados (abogados habituados a exponer al juez los argumentos jurídicos para la defensa de los intereses de la parte que 28 Dauchy y Demars-Sion, «La non-motivation» cit., p. 228. 29 Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit., pp. 273 – 274. 30 Ibidem., pp. 274 – 275. 31 Carlos Garriga, «La Real Audiencia y Chancillería de Granada», en JESÚS Moya Morales, Eduardo Quesada Dorador y David Torres Ibáñez (eds.), Real Chancillería cit., pp. 149 – 217, maxime p. 196. 32 José Sánchez-Arcilla Bernal, «Arbitrariedad o arbitrio? El otro Derecho penal de la otra Monarquía [no] absoluta», en Sánchez-Arcilla Bernal (investigador principal), El Arbitrio Judicial cit., pp. 9 – 45, maxime p. 38. 33 Pedro Ortego Gil, «El arbitrio de los jueces inferiores: su alcance y limitaciones», en Sánchez-Arcilla Bernal, El Arbitrio Judicial cit., pp. 133 – 220, maxime pp. 202 – 204.

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defendían).34 Asimismo, se ha vinculado la no motivación de las sentencias a la práctica de los abogados, cuyas alegaciones en Derecho no solían contener remisiones concretas a preceptos legales, sino alusiones genéricas a la ley, las leyes, las Partidas o las leyes recopiladas y, sobre todo, a las construcciones jurisprudenciales del ius commune. Habida cuenta de que los jueces debían resolver según lo alegado y aprobado, no puede extrañar que sus sentencias carecieran de motivación.35 A contrario sensu, en los reinos de la Corona de Aragón se introdujo en el siglo XVI la práctica de motivar las decisiones judiciales 36 (aunque en Cataluña y Mallorca sólo en los pleitos civiles).37 Esa diferencia pudo responder a la disparidad de regímenes políticos vigente en el seno de la Monarquía hispánica: si en Castilla predominaba un régimen político tendencialmente absolutista, en los reinos de Aragón pervivían aún las concepciones pactistas.38 De ahí que en Cataluña, Aragón y Valencia se publicaran colecciones de sentencias de los tribunales superiores y comentarios a las mismas: se trata del género literario de las Decisiones.39 Suele afirmarse que en Castilla, a diferencia de lo sucedido en los reinos de la Corona de Aragón, no hubo literatura decisionista, pues la jurisprudencia de los tribunales castellanos carecía de valor doctrinal y no podía servir de orientación ni de fundamento a los jueces inferiores. Sin embargo, en Castilla, algunos juristas cultivaron el género de las Decisiones, exponiendo los motivos de las sentencias en cuya formación habían participado como jueces: a tales efectos deben citarse las Decisiones de Juan Bautista Larrea (1636)40 y las Dissertationes de José Vela de 34 Ibidem, p. 208. 35 Pedro Ortego Gil, «Sentencias criminales en Castilla: entre jueces y abogados», en Clio & Crimen, 10 (2013), pp. 359 – 372, maxime p. 363. 36 Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit., p. 266. 37 Ortego Gil, «Sentencias criminales» cit., p. 361, y Antonio Planas Rosselló, El proceso penal en el Reino de Mallorca, Miquel Font Editor, Palma de Mallorca 1998, pp. 101 – 103. 38 Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit., pp. 265 y 270. 39 Tomás Y Valiente, «El pensamiento jurídico» cit., p. 364. 40 He aquí el título completo de la editio princeps: Novae Decisiones Sacri Regii Senatvs Granatensis Regni Castellae. Avthore Dre. D. Ioanne Baptista Larrea, Ivrisconsvlto hispano, Olim apvd Salmaticenses Collegii Maioris Conchensis Alumno, et Vespertinae legum Cathedrae proprietario Interprete, Cancellariae Granatensis Senatore; Nunc a Consiliis Potentissimi Hispaniarvm Regis Philippi IV. in Svpremo Regalis Patrimonii Senatv, Tomvs Primvs, Lugduni, Sumptibus Iacobi et Petri Prost, M.DC.XXXVI. El éxito editorial alcanzado con la publicación del libro impulsó a Larrea a dar a la imprenta un segundo volumen, en 1639, también en Lyon, bajo título ligeramente distinto: Novarvm Decisionvm Granatensivm Pars Secvnda, Centvria Absolvta. Accessit .Tractatus De Revelationibvs, cum Decisione consultiua S. Inquisitionis, Avthore Dre. D. Ioanne Baptista Larrea, Eqvite Ordinis D. Iacobi, IC . Hispano, Olim apud Salmaticenses Collegii Maioris Conchensis Alumno, et Vespertinae Legum Cathedrae proprietario Interprete, Cancellariae Granatensis Senatore, Nunc à Consiliis Potentissimi Hispaniarum Regis Philippi IV. in supremo

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Oreña (1638)41 Ambos autores se formaron como juristas y enseñaron como catedráticos en la Universidad de Salamanca, ejercieron oficios de justicia y publicaron textos fundados en la jurisprudencia de los tribunales superiores (la Chancillería de Granada y la Audiencia de Sevilla, respectivamente). Las obras de Larrea y Vela partían de una cuestión vivamente discutida en la práctica procesal, aduciendo en ese contexto las oportunas decisiones judiciales. Así, cada disputatio o decisio de Larrea se abre con una quaestio, a la que siguen, numerados correlativamente, los argumentos, a favor y en contra, incluyendo un escueto resumen de la sentencia dictada por la Chancillería de Granada sobre la cuestión controvertida (Senatvs in hac controuersia iudicauit, Senatvs in hoc casu decreuit), y su fundamentación legal y doctrinal. En algunos casos, Larrea declara expresamente haber intervenido en la decisión (me iudice) y cuál fue el sentido de su voto (in hac controuersia semper ego censui 42, in quo articulo semper censui 43, hac igitur quaestione in Senatu discussa, ego censui, et obtinuit).44 Por último, en algún supuesto nos informa de que la sentencia pronunciada por la Chancillería fue recurrida en grado de segunda suplicación, añadiendo cuál fue la decisión adoptada por el Consejo Real.45 Las dissertationes de Vela de Oreña aparecen encabezadas por la cuestión controvertida y su correspondiente sumario, donde se enumeran los argumentos que habrán de ser examinados. A continuación se expone el litigio (facti species refertur, facti species proponitur), sustanciado en la Audiencia de Sevilla, indicando siempre la identidad de los pleiteantes, la fecha y los términos de la sentencia;46 en ese sentido, se advierte un acentuado contraste con la tendencia de Larrea a prescindir de las circunstancias personales y temporales del supuesto de hecho.

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Castellae Iustitiae Senatu. Cum Indice Jurium quae explicantur, et Rerum verborúmque locupletissimo, Lugduni, Sumptibus Iacobi et Petri Prost, M.DC.XXXIX. Dissertationes ivris controversi in Hispalensi Senatv. Nedvm praecipvis eivs illvstratae definitionibus, sed et alijs inter scribendum obuis, tam Granatensibus, quàm Hispalensibus. Opvs sane foecvndvm, magnaqve cvm ingenii, tum studiorum vi, ceù res ipsa ostendet, elaboratum, et expolitum, scholis non minus quàm foro vacantibus summè proficuum, ac enixè iam diù desideratum. Avthore D. D. Iosepho Vela I. C. natv Bezerrilensi origine Oreniensi, quondàm apud Salmaticences Ouetensis maximi Collegij togato, iurisque Pontificij antecessore, Hispalensi deinceps Conventus Regij Octo-viro, nunc Granatensis Curiae antiquo Sedecim-viro, post Decanum Secundo, ac Sancti Officij Consultore, Granatae, Apud Vicentium Aluarez à Mariz. Anno Domini 1638. Juan Bautista Larrea, Novae Decisiones cit., Disputatio VIII, núm. 83, p. 104. Juan Bautista Larrea, Novarvm Decisionvm Granatensivm cit., Decisio LXXXIX, núm. 9, p. 300. Ibidem, Decisio XCVIII, núm. 14, p. 351. Larrea, Novae Decisiones cit., Disputatio XXXIV, núm. 22, p. 436. Las sentencias corresponden al período 1620 – 1629, que coincide con el mandato de Vela como oidor de la Audiencia de Sevilla.

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En ocasiones, Vela declara expresamente que intervino en la formación de la decisión judicial (me iudice);47 o que, no habiendo intervenido, fue consultado por uno de los oidores de otra sala.48 Incidentalmente, y para ilustrar sus argumentos, el autor incorpora, dispersas por el texto, otras sentencias dictadas tanto por la Audiencia de Sevilla como por la Chancillería de Granada, o bien la praxis observada en ambos tribunales a propósito de las cuestiones abordadas. En algunos casos, queda reflejada la discrepancia entre ambas prácticas. Así sucede, por ejemplo, en el conocimiento de la acumulación de litigios pendientes ante los jueces inferiores. ¿Qué sucedió en otros reinos europeos? Sabemos que, a semejanza de lo sucedido en Castilla, en Francia los tribunales tampoco motivaban las sentencias. Sin embargo, Bernard de la Roche Flavin recordaba en 1621 que antiguamente los jueces solían insertar en sus sentencias la causa o motivo de la condena o la absolución. Esta afirmación se confirma con la práctica observada en el Parlamento de París en los primeros años de su existencia. Las sentencias incluían fórmulas tales como iudicatum est, quod (quia), o attento quod (quia), limitándose por regla general a indicar lo que había sido probado y lo que no (probata et non probata). La práctica se abandonó a partir del segundo cuarto del siglo XIV, sin que ninguna ley llegara a prohibirla formalmente.49 El abandono de la motivación pudo responder también en Francia al carácter secreto de las deliberaciones judiciales — ​establecido mediante la ordenanza real de 11 de marzo de 1344 — ​, pero sobre todo al deseo de evitar que el Parlamento de París pudiera verse vinculado por sus propios precedentes judiciales. La ausencia de motivación era un obstáculo a la formación de una verdadera jurisprudencia.50 En el extremo contrario figura la Rota romana, cuyas decisiones judiciales debían ser siempre motivadas.51 Las peculiaridades del estilo judicial castellano no se agotaban en la ausencia de motivación de las sentencias. Gracias a las noticias aportadas por la doctrina jurídica castellana, conocemos la existencia de diversos usos y prácticas praeter e incluso contra legem, relativos, v. gr., a la duración de los juicios (muy superior a la fijada por el Derecho regio y el común), la demanda (que debía redactarse conforme al estilo de la región donde se tramitase la causa), el plazo y el número de las excepciones dilatorias y las pruebas (el número máximo 47 José Vela De Oreña, Dissertationes cit., Dissertatio VIII, núm. 2, f. 67 r, Dissertatio XII, núm. 1, f. 113 r, y Dissertatio XVII, núm. 1, f. 172 v. 48 Ibidem, Dissertatio XIX, núm. 1, f. 185 v. 49 Dauchy y Demars-Sion, «La non-motivation» cit., pp. 224 – 225. 50 Ibidem, pp. 235 – 236. 51 Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit, pp. 267 – 268.

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de t­estigos admisible, la tacha de testigos, no pudiendo tacharse en apelación quienes no hubiesen sido tachados en primera instancia, y la preferencia del testimonio del viejo sobre el del joven, el del noble sobre el del plebeyo y el del hombre sobre el de la mujer).52 Todo ello pone de manifiesto la pujanza de un stylus curiae tolerado por la Monarquía y defendido por la doctrina, pieza clave de un modelo jurisdiccional que no sólo prolongó su vigencia durante todo el Antiguo Régimen, sino que llegó a extenderse en el Setecientos a los reinos de la Corona de Aragón.53

52 Pérez-Victoria De Benavides, «El estilo judicial» cit. 53 Vid. Garriga y Lorente, «El juez y la ley» cit, p. 279, y Antonio Planas Rosselló, «La pervivencia del Derecho mallorquín tras los Decretos de Nueva Planta», en Ivs fvgit. Revista de Estudios Histórico-Jurídicos de la Corona de Aragón, 13 – 14 (2004 – 2006), pp. 409 – 437, maxime p. 427.

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Die Vota ad Imperatorem des kaiserlichen Reichshofrats Zur Verfahrensautonomie an einem herrschernahen Höchstgericht der Frühen Neuzeit

I.  Verfahrensautonomie am Kaiserhof – wissenschaftliche Deduktionen im Wandel der Zeit „Iudicium est actus trium personarum.“ 1 Die klassische Formel hebt darauf ab, dass an einem Prozess Richter, Kläger und Beklagter beteiligt ­seien. Eine vierte Person sollte man dabei jedoch in der Epoche vor der Gewaltenteilung nicht vergessen: den Gerichtsherren. Die Interaktion z­ wischen ihm und den zumeist kollegial organisierten Rechtsprechungsorganen berührt notwendig die Frage der Verfahrensautonomie und ist demnach sowohl aus rechtshistorischer als auch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive von höchstem Interesse. Dies gilt auch für den Reichshofrat, der als Höchstgericht, oberster Lehnshof, politisches Beratungsgremium und Administrationsorgan der kaiserlichen Reservatrechte im Verfassungsleben des Alten Reiches über Jahrhunderte hinweg eine zentrale Position einnahm.2 Meinungsstark meldete sich zunächst die kleindeutsch orientierte Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu Wort, die sich an keiner Institution des frühneuzeitlichen Reichsverbandes mit solcher Inbrunst abarbeitete wie an dieser Kollegialbehörde.3 Beileibe nicht jeder ging dabei so weit wie Heinrich von Treitschke, der nicht nur die Reichsgerichte, sondern die gesamte Reichsverfassung zu einer zwecks Niederhaltung von Preußentum und Protestantismus erdachten „Lüge“ 4 erklärte. Doch 1 Zitiert nach Knut Wolfgang Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus, Berlin/Heidelberg 2012, S. 9. 2 Als Gesamtdarstellung weiterhin Oswald von Gschliesser, Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte des ehemaligen Österreich 33), Wien 1942. Zahlreiche weitere Einzelstudien neueren Datums finden sich online auf der Literaturliste unter www.reichshofratsakten.de. 3 Einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte bietet Edgar Liebmann, Reichs- und Territorialgerichtsbarkeit im Spiegel der Forschung, in: Anja Amend/Anette Baumann/ Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52), Köln 2007, S. 151 – 172. 4 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1928, hier Bd. 1, S. 7.

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wenn der Rechtshistoriker Hans Fehr den Reichshofrat 1921 als „willfähriges Organ des Kaisers“ 5 charakterisierte, so war dies in Rechtsgeschichte und Geschichtswissenschaft zu ­diesem Zeitpunkt weitgehend unbestritten.6 Weder Treitschke noch Fehr hatten auch nur eine einzige Reichshofratsakte gelesen. Der Gedanke, es könne an einer Behörde, die allein vom K ­ aiser besetzt wurde und die ihren Geschäften in unmittelbarer räumlicher Nähe des Throns nachging, überhaupt so etwas wie Verfahrensautonomie und richterliche Unabhängigkeit gegeben haben, erschien als derart absurd, dass sich eine nähere Untersuchung der Interaktion z­ wischen Gerichtsherr und Gremium erübrigte. Obwohl sie hilfswissenschaftlich dazu zweifellos in der Lage gewesen wäre, verzichtete die ältere Forschung deshalb auf eine Analyse des Geschäftsgangs am Reichshofrat und leitete ihre Positionen allein aus ihrer negativen Gesamteinschätzung der frühneuzeitlichen Reichsverfassung ab. Die „Borussen“ arbeiteten somit in erkenntnistheoretischer Hinsicht nicht induktiv, sondern deduktiv. Es stellt sich die Frage, ob sich dies zwischenzeitlich geändert hat. Grundlegend gewandelt hat sich jedenfalls die empirische Basis der Forschung. Die seit 1999 betriebene Erschließung der im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrten Reichshofratsakten 7 erleichtert nicht nur kontinuierlich den Quellenzugriff der Forschung, sondern hat recht zügig auch zu einer erheblichen Intensivierung der Reichshofratsforschung geführt, die bis in die 90er-Jahre hinein noch weitgehend identisch mit den rechtshistorischen Pionierstudien Wolfgang Sellerts gewesen war. Ausgehend von dessen Arbeiten zur Gerichtsorganisation 8 und zum Prozessrecht 9 5 Hans Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, Berlin/Leipzig 1921, S. 229. 6 Abweichende Stimmen, die schon vor 1945 einer ausgewogeneren Sicht auf die Reichsverfassung den Weg bahnten, sollten allerdings nicht vergessen werden. Zu würdigen ist in ­diesem Zusammenhang unter den Rechtshistorikern vor allem Hans Erich Feine, Zur Verfassungsentwicklung des Heil. Röm. Reiches seit dem Westfälischen Frieden, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 52 (1932), S. 65 – 133. 7 Zu ­diesem Kooperationsprojekt ­zwischen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, dem Österreichischen Staatsarchiv und der Universität Wien siehe Tobias Schenk, Das Projekt zur Erschließung der Reichshofratsakten. Eine Zwischenbilanz nach acht Jahren, in: Eva Schumann (Hg.), Justiz und Verfahren im Wandel der Zeit. Gelehrte Literatur, gerichtliche Praxis und bildliche Symbolik. Festgabe für Wolfgang Sellert zum 80. Geburtstag (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge 44), Berlin 2017, S. 31 – 51; aktuelle Informationen unter www.reichshofratsakten.de. 8 Wolfgang Sellert, Die Ordnungen des Reichshofrats 1550 – 1766 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8), 2 Bde., Köln/Wien 1980/1990. 9 Zum erstinstanzlichen Verfahren Wolfgang Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, NF 18), Aalen 1973. Zum Verfahren in der Formierungsphase des Gremiums im 16. Jahrhundert

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und in produktiver Auseinandersetzung mit den Wiener Akten hat die Forschung vielfach innovative Wege beschritten.10 Das Problem der richterlichen Unabhängigkeit wurde hiervon bislang allerdings eher am Rande erfasst. In der Rechtsgeschichte besteht zwar weitgehend Einigkeit darüber, dass die Verfahrensautonomie am Reichshofrat bis 1806 geringer gewesen sei als am Reichskammergericht.11 Welchen konkreten politischen und konfessionellen Restriktionen die Entscheidungsfindung an einem Spruchkörper unterlag, der im Vergleich zum Reichskammergericht eher „das überkommene mittelalterliche Modell der persönlichen, institutionell nur wenig aufgefächerten Herrschaft“ 12 verkörperte, liegt jedoch noch weitgehend im Dunkeln. Auch die Geschichtswissenschaft, deren Interesse vornehmlich einzelnen Verfahren und den Handlungslogiken prozessierender Parteien gilt, hat sich mit dieser Frage bislang kaum auseinandergesetzt. Verdeckt wird ­dieses Desiderat allerdings durch einige weitreichende Deduktionen, die eine nähere Erforschung der Interaktion z­ wischen Gerichtsherr und Gremium offenbar als ebenso überflüssig erscheinen lassen wie vor hundert Jahren. Da wäre zunächst die auf Volker Press zurückgehende These einer nach 1648 signifikant zunehmenden Bindung kaiserlicher Herrschaft an die sich verdichtende Reichsverfassung. Demnach hätten die Habsburger seit Leopold I. erkannt, dass eine Festigung ihrer geschwächten Stellung im Reich nur auf der Grundlage des Rechts und nicht im grundsätzlichen Konflikt mit ihm zu Eva Ortlieb, Das Prozeßverfahren in der Formierungsphase des Reichshofrats (1519 – 1564), in: Peter Oestmann (Hg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 117 – 138. Zum Appellationsprozess am Reichshofrat Ellen Franke, Bene appellatum et male iudicatum. Appellationen an den Reichshofrat in der Mitte des 17. Jahrhunderts an Beispielen aus dem Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis, in: Leopold Auer/Eva Ortlieb/Ellen Franke (Hg.), Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 1/2013), Wien 2013, S. 121 – 145. Von (nicht nur) prozessrechtlich grundlegender Bedeutung ist ferner die unlängst vorgelegte Edition der Gemeinen Bescheide von Peter Oestmann, Gemeine Bescheide, T. 2: Reichshofrat 1613 – 1798 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63/2), Köln/Weimar/Wien 2017. 10 Stellvertretend sei an dieser Stelle verwiesen auf Eva Ortlieb, Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637 – 1657) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln/Weimar/Wien 2001. 11 Siehe Wolfgang Sellert, Richterliche Unabhängigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Okko Behrends (Hg.), Gerechtigkeit und Geschichte. Beiträge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, Göttingen 1996, S. 118 – 132. 12 Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Wien 2015, S. 168.

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erreichen gewesen sei.13 Diese Einschätzung prägt seitdem weite Teile der Forschung, wie beispielsweise die grundlegenden Studien von Michael Hughes zur Tätigkeit des Reichshofrats in der Regierungszeit ­Kaiser Karls VI . (1711 – 1740)14 und von Sigrid Jahns zur Rolle des Gremiums im mecklenburgischen Ständekonflikt 15 belegen. Allerdings setzt eine zuverlässige Bemessung der Rechtsbindung kaiserlicher Herrschaft ein qualifiziertes „Urteil“ 16 über die „Gesetz- und Rechtmäßigkeit“ richterlicher Entscheidungen der Frühen Neuzeit voraus. Die Rechtsgeschichte hat sich indes schon seit längerem von einem solchen juristisch-dogmatischen Anspruch verabschiedet. Mit Peter Oestmann betont sie stattdessen die immense, weithin ungeordnete Rechtsquellenvielfalt im Usus modernus, die ihrerseits zu einem gewaltigen, normativ kaum einzuhegenden Ermessensspielraum der Richter führte.17 Wenn es aber eine juristisch „richtige“ Lesart der Reichsverfassung überhaupt nicht gab, stellt sich die Frage, mit welchem analytischen Instrumentarium die Geschichtswissenschaft eigentlich belegen will, dass Leopold I. oder Karl VI. eine stärkere Bindung an „das Recht“ internalisiert hätten als Ferdinand II., Friedrich Barbarossa oder Heinrich der Vogler. Eine Geschichtswissenschaft, die sich mit der Vermutung begnügt, es müsse vor dem Hintergrund eines unhinterfragt vorausgesetzten „Verrechtlichungsprozesses“ doch wohl so gewesen sein, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich in ebenjenen Bahnen einer teleologischen Ausrichtung auf den modernen Staat zu bewegen, in denen sie die Vertreter der Rechtsgeschichte mitunter wandeln sieht. 13 Volker Press, Die kaiserliche Stellung im Reich ­zwischen 1648 und 1740. Versuch einer Neubewertung, in: Georg Schmidt (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 29), Stuttgart 1989, S. 51 – 80, hier insb. S. 70 – 74. 14 Michael Hughes, Law and Politics in Eighteenth-Century Germany: The Imperial Aulic Council in the Reign of Charles VI, Woodbridge 1988. 15 Sigrid Jahns, „Mecklenburgisches Wesen“ oder absolutistisches Regiment? Mecklenburgischer Ständekonflikt und neue kaiserliche Reichspolitik (1658 – 1755), in: Paul-Joachim Heinig/Sigrid Jahns/Hans-Joachim Schmidt/Rainer Christoph Schwinges/Sabine Wefers (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 323 – 351. 16 Dieses und das folgende Zitat nach Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 51. 17 Hierzu grundlegend Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (Rechtsprechung. Materialien und Studien 18), Frankfurt a. M. 2002; vgl. zusammenfassend auch Karl Härter, Das Heilige Römische Reich deutscher Nation als mehrschichtiges Rechtssystem, 1495 – 1806, in: Stephan Wendehorst (Hg.), Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation (bibliothek altes Reich 5), Berlin/München/Boston 2015, S. 327 – 347, hier S. 328.

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Nicht weniger problematisch erscheint die in jüngerer Zeit zu beobachtende Tendenz, aus der nach 1648 erheblich steigenden Inanspruchnahme des Reichshofrats durch Prozessparteien weitreichende Folgerungen über das zeitgenössische Rechtsdenken und die Akzeptanz reichshofrätlicher Entscheidungsmechanismen in der Bevölkerung abzuleiten. Dass das von Martin Dinges vertretene Konzept der Justiznutzung 18 auch für den Reichshofrat interessante Perspektiven verspricht, soll ebenso wenig bestritten werden wie die Bedeutung der von Eva Ortlieb und Gert Polster vorgelegten Statistik zur Prozessfrequenz, die den Reichshofrat gegenüber dem Reichskammergericht erstmals klar als das führende Reichsgericht im Zeitraum z­ wischen 1648 und 1806 kennzeichnete.19 Selbstverständlich sind diese Befunde erklärungsbedürftig. Doch wenn es in neueren Studien heißt, die Parteien hätten „weitgehend ähnliche Grundannahmen und Werte“ 20 geteilt und den Entscheidungen des Reichshofrats „absolutes Vertrauen“ 21 entgegengebracht, mag dies zwar vorzüglich in das von Jahr zu Jahr in wärmeren Pastelltönen gezeichnete „neue Bild vom Alten Reich“ 22 passen, in quellenkritischer und methodischer Hinsicht wirkt es jedoch kaum überzeugend. Schließlich wäre dem habsburgischen Kaisertum somit etwas gelungen, woran bislang rund um den Globus alle politischen Systeme der Moderne, s­eien sie nun demokratischen oder diktatorischen Zuschnitts, kolossal gescheitert sind, nämlich die Herstellung nicht nur formaler, sondern innerer Akzeptanz ihrer Institutionen bei den Rechtsunterworfenen. Angesichts von so viel Glaube, Liebe und Hoffnung in Teilen der neueren Literatur kann mit Thomas Dorfner nur vor der irrigen Annahme gewarnt werden, am Reichshofrat prozessierende Parteien hätten dort eine nach modernen Maßstäben gerechte Entscheidung

18 Martin Dinges, Justiznutzung als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 1), Konstanz 2001, S. 503 – 544. 19 Eva Ortlieb/Gert Polster, Die Prozessfrequenz am Reichshofrat (1519 – 1806), in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 26 (2004), S. 189 – 216. 20 David Petry, Konfliktbewältigung als Medienereignis. Reichsstadt und Reichshofrat in der Frühen Neuzeit (Colloquia Augustana 29), Berlin 2011, S. 54. 21 André Griemert, Jüdische Klagen gegen Reichsadelige. Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan (bibliothek altes Reich 16), München 2014, S. 180. 22 Als instruktiver Forschungsüberblick Anton Schindling, ­Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648 – 1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach/Klaus Malettke/ Sven Externbrink (Hg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 25 – 54.

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angestrebt,23 so dass aus der steigenden Prozessfrequenz indirekt Rückschlüsse über den Grad der Verfahrensautonomie und der richterlichen Unabhängigkeit gezogen werden könnten. Ebenso problematisch erscheint es, aus der Professionalisierung der Juristenausbildung und den dickleibigen Publikationen des Reichsstaatsrechts auf eine zunehmende Transparenz höchstrichterlicher Entscheidungsfindung zu schließen.24 Denn ob studiert oder nicht – die Verständlichkeit des Rechts ergibt sich aus publizierten Entscheidungsgründen,25 die es an den frühneuzeitlichen Höchstgerichten überhaupt nicht gab. Niemand wusste das besser als Stephan Pütter, der mit Blick auf Reichshofrat und Reichskammergericht noch 1797 eingestehen musste, man könne „die bey solchen Erkenntnissen im Sinne gehabten Gründe allenfalls errathen“.26 Was aber, wenn der im Sinne gehabte Grund nun rein politischer Natur war? Letzten Endes erweist sich die Ansicht als illusorisch, in Göttingen oder Halle ansässige Prozessbeobachter wären im Stande gewesen, ein qualifiziertes Urteil darüber abzugeben, was hinter verschlossenen Türen in der Wiener Hofburg vorging. Dass sich an der völlig unzureichenden rechtswissenschaftlichen Durchdringung kollegialer Rechtserkenntnis im Übrigen bis heute wenig geändert hat, wurde durch Wolfgang Ernst unlängst prägnant und in einer auch für den Historiker höchst lesenswerten Form ausgeführt.27

23 Nach Thomas Dorfner, Mittler ­zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658 – 1740) (Verhandeln / Verfahren / Entscheiden – Historische Perspektiven 2), Münster 2015, S. 252, teilten die Parteien das Wissen, „dass die anhängigen Prozesse nicht von unbeeinflussbaren und unparteiischen Reichshofräten beurteilt würden“. Weiter heißt es ebd., S. 254: „Das Rechtsstaats-Narrativ und mit ihm die Konstruktion positiv besetzter Traditionslinien hingegen lassen sich nicht mit der Wahrnehmung und dem Wissen der zeitgenössischen Akteure in Einklang bringen.“ 24 Siehe beispielsweise Thomas Lau, Der Rechtsanwalt und das juristische Argument, in: Albrecht Cordes (Hg.), Juristische Argumentation – Argumente der Juristen, Köln/ Weimar/Wien 2006, S. 75 – 96, hier S. 88 f. 25 Ralph Christensen, Die Verständlichkeit des Rechts ergibt sich aus der gut begründeten Entscheidung, in: Kent D. Lerch (Hg.), Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht (Die Sprache des Rechts 1), Berlin/New York 2004, S. 21 – 32. 26 Johann Stephan Pütter, Ueber die beste Art aus Acten zu referiren, auch über manches, was sonst noch Teutschen Geschäfftsmännern und Schriftstellern zu empfehlen seyn möchte, Göttingen 1797, S. 94. 27 Wolfgang Ernst, Rechtserkenntnis durch Richtermehrheiten. „group choice“ in europäischen Justiztraditionen, Tübingen 2016.

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II.  Das Problem der „geistigen Urheberschaft“ und der Evidenzwert der Prozessakten – die großen Unbekannten der Reichshofratsforschung Die eingangs gestellte Frage nach der Interaktion z­ wischen Gerichtsherr und Gremium führt also nach wie vor zu einem ernüchternden Ergebnis. Es existiert keine einzige Studie, die belegen würde, dass sich die Verfahrensautonomie am Reichshofrat ­zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert auch nur um ein Jota erhöht hätte. Verdeckt wird ­dieses Desiderat durch ein Konstrukt aus Deduktionen und sich gegenseitig stützenden Mutmaßungen, die in Umkehrung kleindeutscher Verdikte von einem positiven Bild der frühneuzeitlichen Reichsverfassung ausgehen und den Reichshofrat mehr oder weniger harmonisch in d ­ ieses Gemälde einzupassen suchen. Allerdings sollte eine Forschung, die mit dem in jüngerer Zeit wiederholt geforderten „ethnologischen Blick“ ernst machen will, die ihren Gegenstand also konsequent verfremden, nichts für selbstverständlich, sondern alles für erklärungsbedürftig halten möchte,28 es zumindest für möglich halten, dass hinter den Kulissen kollegialer Entscheidungsfindung der kaiserliche Gerichtsherr oder jene, denen er sein Ohr geliehen hatte, die Fäden zogen. Oder um es ganz konventionell zu formulieren: Es ist an der Zeit, dass die Forschung mit der Frage der „geistigen Urheberschaft“ 29 eine Zentralkategorie der genetischen Aktenkunde auf den Reichshofrat anwendet, um die Frage zu beantworten, wie am Kaiserhof die Gewichte ­zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Ordre du Mufti tatsächlich verteilt waren. Dies ist freilich leichter gesagt als getan. Schließlich handelte es sich bei der kaiserlichen Behörde um ein Kollegialorgan, dessen Entscheidungen auf der Rechtsfiktion eines „unitarischen, dem Spruchkörper zuzurechnenden Urteilsaktes“ 30 basierten. Im ­Rahmen der auf den Vortrag der Relation des Referenten folgenden Umfrage sollten demnach die Willensäußerungen der Mitglieder zur Willensäußerung des Kollegiums „verschmelzen“ und der Beschluss als „Manifestation des Gesamtwillens“ zustande kommen.31 Mit dieser Rechtsfiktion eines imaginären Gesamtwillens kann sich die Geschichtswissenschaft umso weniger zufriedengeben, als kritische Juristen schon im 19. Jahrhundert darauf hinwiesen, „wie wenig der Ideengang einer fiktiven Seele 28 Barbara Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 127 (2010), S. 1 – 32, hier S. 8. 29 Heinrich Otto Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, 2. Aufl., Leipzig 1952, S. 66. 30 Ernst, Rechtserkenntnis durch Richtermehrheiten (wie Anm. 27), S. 1. 31 Winfried Aymans, Kollegium und kollegialer Akt im kanonischen Recht (Münchener theologische Studien. Kanonistische Abteilung 28), München 1969, S. 92 – 97.

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des Collegii als die Begründung des Spruchs“ 32 angesehen werden dürfe. Aus einer kollegialen Behördenstruktur allein kann deshalb eben keineswegs auf eine „Präsenz des Rechts“ 33 geschlossen werden, wie unlängst zu lesen war. Dieser tief in der antiken und mittelalterlichen Staatsphilosophie wurzelnde Glaube, wonach kollegiale Beratungsstrukturen einen wirksamen Schutzwall gegen die Tyrannis bildeten,34 kann nach Ablauf des 20. Jahrhunderts als vollständig und für ewige Zeiten widerlegt gelten. Schließlich würden Zeithistoriker weder den Volksgerichtshof noch das Zentralkomitee der KPdSU für eine Rechtsstaatstradition in Anspruch nehmen, obwohl beide Organe unzweifelhaft kollegial organisiert waren. Will die Frühneuzeitforschung auf die Analyse von Machtbeziehungen nicht verzichten, hat sie demnach Ross und Reiter zu benennen und die dem Kollegialprinzip inhärente Anonymisierung von Verantwortlichkeiten konsequent aufzubrechen. Allerdings fehlt der Forschung zum gegenwärtigen Zeitpunkt das hierfür notwendige analytische Instrumentarium nahezu vollständig. Max Webers Diktum, wonach Herrschaft im Alltag primär Verwaltung gewesen sei,35 gilt auch und gerade für die Justiz, in der sich Macht im Regelfall nicht mit Tschingderassabum ankündigte, sondern durch den diskreten Zugriff auf höchstdifferenzierte Stellschrauben äußerte, ­welche durch die Rezeption des römischen Rechts nicht etwa beseitigt, sondern überhaupt erst geschaffen wurden. Forschungen zu richterlicher Unabhängigkeit in der Vormoderne müssen deshalb im Gerichtsalltag ansetzen und die Organisation von Entscheidungsroutinen sezieren. Genau dies hat die Forschung jedoch kaum getan, sondern sich stattdessen auf einzelne spektakuläre Prozesse und sogenannte Machtsprüche kapriziert, hinter denen sich jedoch ein publizis­ tisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts verbirgt, welches in der Gerichtspraxis von Mittelalter und Früher Neuzeit nur eine marginale Rolle spielte.36 Diese Schieflage ist nicht nur mangelndem Interesse für den Gerichtsalltag, sondern auch der Abwesenheit hilfswissenschaftlicher Grundlagen geschuldet, 32 N. Waldeck, Beiträge zur Beantwortung der Frage: Ob über den Tenor oder die Gründe eines Urtheils abzustimmen?, in: Neues Archiv für preußisches Recht und Verfahren so wie für Deutsches Privatrecht 7 (1841), S. 427 – 471, hier S. 456. 33 So hingegen in einem ansonsten sehr problem- und methodenbewussten Beitrag Dietmar Willoweit, Selbständigkeit und Abhängigkeit der Gerichtsbarkeit im Alten Reich, in: Volker Friedrich Drecktrah/Ders. (Hg.), Rechtsprechung und Justizhoheit. Festschrift für Götz Landwehr zum 80. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 177 – 196, hier S. 195. 34 Vom Kollegialprinzip als dem „Sakrament“ der frühneuzeitlichen Verwaltung sprach Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, Köln 1980, S. 202. 35 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., Tübingen 1956, S. 545. 36 So der treffende Hinweis von Willoweit, Selbständigkeit und Abhängigkeit der Gerichtsbarkeit (wie Anm. 33), S. 177 f.

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­ elche nicht nur ganz allgemein die Erforschung gelehrter Rechtsprechung vom w Spätmittel­alter  37 bis in die Gegenwart 38 behindert, sondern auch für den Reichshofrat zu beklagen ist.39 In Ermangelung einer aktenkundlichen Handreichung liegt der Entstehungskontext der Akten und Protokolle, die nicht für den nachgeborenen Historiker geschrieben wurden, sondern eine konkrete Funktion im Geschäftsgang des Reichshofrats übernahmen, noch weitgehend im Dunkeln. Dabei verführt die Tatsache, dass Gerichte im kirchlichen wie im weltlichen Bereich seit dem Spätmittelalter die Vorhut von Formalisierung, Normbindung und Schriftlichkeit bildeten und seitdem für einen erheblichen Teil der staatlich-obrigkeitlichen Schriftgutproduktion verantwortlich zeichnen, allzu leicht zu dem Trugschluss, den gerichtlichen Entscheidungsprozess aus Akten und Protokollen umfassend ablesen zu können.40 Die Arbeit höfischer Ratsgremien vollzog sich jedoch in einem auf mündlicher „Kommunikation unter Anwesenden“ basierenden Umfeld, das im Laufe der Frühen Neuzeit nur schrittweise und niemals vollständig vom Schriftlichkeitsprinzip überformt wurde.41 Vor jeder historischen Analyse ist deshalb 37 Vielfach mangelnde „Kenntnis der allgemeinen Aufzeichnungs- und Archivierungspraktiken gelehrter Rechtsprechung“ konstatiert Thomas Wetzstein, Prozeßschriftgut im Mittelalter – einführende Überlegungen, in: Susanne Lepsius/Ders. (Hg.), Als die Welt in die Akten kam. Prozeßschriftgut im europäischen Mittelalter (Rechtsprechung. Materialien und Studien 17), Frankfurt a. M. 2008, S. 1 – 27, hier S. 20. 38 Jürgen Finger, Zeithistorische Quellenkunde von Strafprozessakten, in: Ders./Sven Keller/Andreas Wirsching (Hg.), Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte, Göttingen 2009, S. 97 – 113, hier S. 97: „Bezeichnend sind die Leerstellen im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte genauso wie jene in den gängigen aktenkundlichen und archivwissenschaftlichen Darstellungen, die meist mit dem Ende des Kanzleiwesens im ­Ersten Weltkrieg enden oder die Justiz ganz außen vor lassen.“ 39 Eine Ausnahme bildet Carola Hartmann-Polomski, Die Regelung der gerichtsinternen Organisation und des Geschäftsgangs der Akten als Maßnahmen der Prozeßbeschleunigung am Reichshofrat, Diss., Göttingen 2000. Die Studie ist geprägt durch einen vergleichsweise engen, normativen Zugriff und verzichtet weitgehend auf eine Problematisierung ihrer Ergebnisse. Gleichwohl ist es bezeichnend für das geringe Forschungsinteresse an gerichtsinternen Arbeitsabläufen, dass die Arbeit in der Literatur praktisch unbeachtet geblieben ist. 40 Dass dies auch mit Blick auf das Reichskammergericht nicht möglich ist, betont beispielsweise Bernhard Diestelkamp, Reichskammergerichtsprozesse als historische Quellen, in: Ders./Ingrid Scheurmann (Hg.), Friedenssicherung und Rechtsgewährung. Sechs Beiträge zur Geschichte des Reichskammergerichts und der obersten Gerichtsbarkeit im alten Europa, Bonn/Wetzlar 1997, S. 103 – 116, hier S. 103. 41 Rudolf Schlögl, Der frühneuzeitliche Hof als Kommunikationsraum. Interaktionstheoretische Perspektiven der Forschung, in: Frank Becker (Hg.), Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien (Campus Historische Studien, Bd. 37), Frankfurt/New York 2004, S. 185 – 225.

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zunächst aktenkundlich zu klären, ­welche Fragen überhaupt sinnvollerweise an die Akten und Protokolle des Reichshofrats gerichtet werden können und wann die Konsultation anderer Quellen notwendig ist. Abhilfe verspricht in d ­ iesem Zusammenhang die Archivwissenschaft, die mit Theodore Schellenberg bei der Bewertung von Akten ­zwischen deren Informationsund Evidenzwert differenziert.42 Während ersterer den allgemeinhistorischen, bei Prozessakten etwa durch beiliegende Urkunden und Pläne definierten Quellenwert einer Akte bezeichnet, meint letzterer die Aussagekraft der Akte hinsichtlich der behördeninternen Arbeits- und Entscheidungsabläufe. Es liegt auf der Hand, dass für Fragen nach der richterlichen Unabhängigkeit und der Verfahrensautonomie nicht der Informations-, sondern der Evidenzwert die maßgebliche Größe darstellt. Zu seiner Bestimmung ist vom sehr differenzierten prozessrechtlichen Entscheidungsspektrum des Reichshofrats 43 zunächst weitgehend zu abstrahieren und der Blick stattdessen auf den Geschäftsgang, also die interne Organisation von Arbeitsabläufen und Entscheidungsketten, zu richten. Im Prinzip verfügt der Geschäftsgang jeder Kollegialbehörde über vier Schaltstellen, die man begriffen haben muss, um den Grad der Verfahrensautonomie zu erfassen. Es sind dies die Präsentation und Registrierung des Posteinganges, die interne Geschäftsverteilung, die Festlegung der Tagesordnung für die Plenarsitzungen und schließlich die Überarbeitung der Beschlussvorlage zum Kollegialbeschluss. Möchte man wissen, wie die Anteile an der Legierungsformel des sogenannten „Gesamtwillens“ verteilt waren, schaut man sich an, ­welche Funktionsträger an den genannten Schaltstellen Position bezogen haben, addiert die einzelnen Posten und erhält eine recht präzise Antwort auf seine Frage. Eben deshalb versuchten die diktatorischen Regime des 20. Jahrhunderts, die Existenz dieser Schaltstellen systematisch zu verschleiern, was beispielsweise zu einem sehr niedrigen Evidenzwert des Schriftguts von Kollegialbehörden kommunistischer Staaten führt. Die weißen Flecken in deren Überlieferung sind also keine Folge nachträglicher Verluste, 42 Theodore R. Schellenberg, Die Bewertung modernen Verwaltungsschriftguts, übersetzt und hg. von Angelika Menne-Haritz (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg/ Institut für Archivwissenschaft 17), Marburg 1990; zum Evidenzwert auch Angelika Menne-Haritz, Schlüsselbegriffe der Archivterminologie. Lehrmaterialien für das Fach Archivwissenschaft (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 20), 3. Aufl., Marburg 2000, S. 65 f. 43 Hierzu Ulrich Rasche, Urteil versus Vergleich? Entscheidungspraxis und Konfliktregulierung des Reichshofrats im 17. Jahrhundert im Spiegel neuerer Aktenerschließung, in: Albrecht Cordes (Hg.), Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15. – 19. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 65), Köln/Weimar/Wien 2015, S. 199 – 232, hier S. 215 – 226.

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sondern ein Signum der Herrschaftsstruktur, in die die Behörde eingebunden war. Denn eine „auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit ausgerichtete Schriftgutverwaltung passte nicht zum System“.44 Der Evidenzwert von Aktenschriftgut ist demnach nicht allein ein unverzichtbares Hilfsmittel der Quellenkritik, sondern bildet selbst einen wichtigen Befund bei der rechts- und verfassungsgeschichtlichen Einordnung der zu untersuchenden Behörde. So würde ein nach 1648 ansteigender Evidenzwert die These einer zunehmenden Rechtsbindung kaiserlicher Herrschaft nicht nur stützen, sondern diese überhaupt erst empirisch nachweisbar machen. Sollte sich der Evidenzwert der Akten und Protokolle des Reichshofrats hingegen durchgängig als sehr niedrig erweisen, so dass der Zugriff auf die genannten Schaltstellen des Geschäftsganges aus ihnen bis 1806 kaum oder gar nicht abgelesen werden können, würde allein dieser Befund Zweifel an der Rechtsbindung des Verfahrens nach sich ziehen. Denn schließlich wäre diese Bindung in einem solchen Fall reine Glaubenssache und in keiner Weise nachprüfbar.

III.  Die Vota ad Imperatorem – ein monokratischer Genehmigungsvorbehalt unter vielen anderen Welches Potential eine kombinierte Geschäftsgang- und Evidenzwertanalyse für die Reichshofratsforschung besitzt, soll im Folgenden anhand einer in den Akten zahlreich überlieferten Textgattung veranschaulicht werden, die schon zeitgenössisch im Fokus der Aufmerksamkeit stand und auch in jüngerer Zeit wiederholt das Interesse der Forschung auf sich zog. Die Rede ist von den Vota ad Imperatorem, die ihre Entstehung einem in den Reichshofratsordnungen enthaltenen monokratischen Genehmigungsvorbehalt verdanken, welcher das Gremium in bestimmten Situationen zur Berichterstattung an den ­Kaiser zu dessen persönlicher höchstrichterlicher Entscheidung verpflichtete.45 In der Forschung wird der Umgang mit den Vota deshalb als wichtiger Indikator für den Grad richterlicher Unabhängigkeit am Reichshofrat betrachtet.46 Allerdings geschieht dies bislang nahezu ausschließlich im Kontext der Diskussion um Kabinettsjustiz und Machtsprüche und unter 44 So am Beispiel der Kreisleitungen der SED Hans-Christian Hermann, Der mühsame Weg zur Anatomie der Macht. Die archivalische DDR-Überlieferung als Herausforderung für die historischen Hilfswissenschaften, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2011, S. 341 – 358, hier S. 346. 45 Einführend Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae (wie Anm. 9), S. 346 – 353. 46 Hervorzuheben ist dabei insbesondere die materialreiche Studie von Peter Leyers, Reichshofratsgutachten an ­Kaiser Josef II., Diss., Bonn 1976.

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v­ ölligem Verzicht auf eine Einbettung der Vota in den Geschäftsgang des Reichshofrats und die übergeordneten Abstimmungsprozesse am Kaiserhof.47 Dieser Ansatz muss zwangsläufig zu anachronistischen Ergebnissen führen. Schließlich entstand die kaiserliche Kabinettskanzlei überhaupt erst im 18. Jahrhundert.48 Während der ersten beiden Jahrhunderte reichshofrätlicher Tätigkeit gab es folglich überhaupt kein Kabinett, aus dem heraus der ­Kaiser in laufende Verfahren hätte eingreifen können. Jene in den Zeitraum vor 1648 fallenden Paukenschläge, mit denen der Reichshofrat bis an die Grenzen der Reichsverfassung oder gar darüber hinaus ging – etwa die Reichsexekution gegen Donauwörth (1606) oder der Erlass des Restitutionsedikts (1629) – haben deshalb ungeachtet aller konfessions- und machtpolitischen Implikationen mit Kabinettsjustiz nicht das Geringste zu tun.49 Darüber hinaus verstellt der Fokus auf Machtsprüche der Forschung bislang vollkommen den Blick für die Häufigkeit, mit der kollegiale Entscheidungsprozesse in der Frühen Neuzeit durch monokratische Genehmigungsvorbehalte eingeschränkt wurden. Nichts ist unzutreffender als die in der Literatur indirekt vermittelte Vorstellung, es bei den Vota ad Imperatorem mit einer einzigartigen oder auch nur außergewöhnlichen Quellengattung zu tun zu haben. Dass Obergerichte Streitfragen dem Gerichtsherrn zur Entscheidung vorlegten, war vielmehr Ausdruck der fürstlichen Justizhoheit, die sich im Zuge der Rezeption des römischen Rechts ausgebildet hatte.50 Der Fürst war demnach durchaus befugt, Einfluss auf die Kollegien der Hofgerichte zu nehmen oder Streitfragen auch allein außerhalb des Rates zu entscheiden, ohne dass dies von den Zeitgenossen per se als illegaler Machtspruch betrachtet worden wäre.51 Anderenfalls wären sie aus der Empörung auch kaum herausgekommen, denn fürstliche 47 Besonders ausgeprägt bei Holger Erwin, Machtsprüche. Das herrscherliche Gestaltungsrecht „ex plenitudine potestatis“ in der Frühen Neuzeit (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 25), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 196 – 201. 48 Fritz Reinöhl, Geschichte der k. u. k. Kabinettskanzlei (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Ergänzungsband 7), Wien 1963. 49 Zur Einbindung des Reichshofrats in das institutionelle Gefüge des Kaiserhofes im ­frühen 17. Jahrhundert Stefan Ehrenpreis, Der Reichshofrat im System der Hofbehörden K ­ aiser Rudolfs II. (1576 – 1612). Organisation, Arbeitsabläufe, Entscheidungsprozesse, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45 (1997), S. 187 – 205. 50 Die Vorstellung der Gerichtsgewalt als Herrschaftsrecht speiste sich u. a. aus Justinians Einleitungskonstitution zu den Digesten, in der es heißt: „Wenn aber […] etwas zweifelhaft scheint, soll dies von den Richtern der kaiserlichen Hoheit vorgetragen werden, und es wird aus kaiserlicher Autorität klargestellt, der allein es erlaubt ist, Gesetze zu geben und zu interpretieren.“ Zitiert nach: Marie Theres Fögen, Rechtsverweigerungsverbot. Anmerkungen zu einer Selbstverständlichkeit, in: Cornelia Viesmann/Thomas Weitin (Hg.), Urteilen/ Entscheiden (Literatur und Recht), München 2006, S. 37 – 50, hier S. 45 f. 51 Willoweit, Selbständigkeit und Abhängigkeit der Gerichtsbarkeit (wie Anm. 33), S. 189.

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­ enehmigungsvorbehalte begegnen in der frühneuzeitlichen Verwaltung und G Justiz allenthalben – beim preußischen Generaldirektorium 52 ebenso wie bei den am Kaiserhof angesiedelten Kollegialbehörden, etwa der Hofkammer,53 dem Hofkriegsrat 54, der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei,55 dem Directorium in publicis et cameralibus 56 oder der Geistlichen Kommission.57 Auch reine Justizbehörden wie das Böhmische Appellationsgericht 58 oder die Oberste Justizstelle 59 machten keinen Unterschied. Dass der Reichshofrat Entscheidungen an den ­Kaiser herantrug, war also beileibe keine Besonderheit, die das Gremium ausgezeichnet hätte. Dergleichen kam in den Residenzstädten Europas tagtäglich vor und machte einen erheblichen Teil der fürstlichen Regierungsgeschäfte aus. Insofern sind die Vota ad Imperatorem aller um sie kreisenden zeitgenössischen Auseinandersetzungen zum Trotz nicht als Besonderheit, sondern als Ausdruck einer rechtshistorischen Normalität der Vormoderne zu betrachten. Allein die pure Masse solcher Gutachten, deren Zahl sich am Reichshofrat im Laufe seines Bestehens auf mehrere Tausend summiert, zwingt dazu, sie als Teil des regulären Verfahrens und nicht als Beleg spektakulärer kaiserlicher Eingriffe in den stracken Lauf der Justiz zu begreifen. Der vorliegende Beitrag zielt somit auf eine Einbettung der Vota in den Geschäftsgang und eine Bestimmung des Evidenzwertes dieser Quellengattung für die Verfahrensautonomie am Reichshofrat. Hierzu werden im Folgenden zunächst die normativen Grundlagen der Vota sowie deren Überlieferungssituation und 52 Rainer Polley, Kollegialprinzip und Geschäftsgang im 19. Jahrhundert. Eine verfassungsund verwaltungsgeschichtliche Studie zur Aktenkunde, in: Archiv für Diplomatik 42 (1996), S. 445 – 488, hier S. 449 f. 53 Gemäß der Hofkammerinstruktion Ferdinands I. von 1537 erstreckte sich der Genehmigungsvorbehalt auf „alle Angelegenheiten, über die im Hofkammerrat Unstimmigkeit hervortrat, alle die königlichen und fürstlichen Kammergüter unmittelbar betreffenden Parteisachen, große Konfiskationen und Fälligkeit von Provisionen, Lehen oder anderem, Provisionen, Vermehrung der Ämter und ihres Personals, Erhöhung der Besoldungen“. Siehe Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 122 f. 54 Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 131 f.; Oskar Regele, Der Österreichische Hofkriegsrat 1556 – 1848 (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs. Ergänzungsband 1), Wien 1949, S. 42. 55 Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 126 f. 56 Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 127. 57 Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 131. 58 Joseph Carl von Auersperg, Geschichte des königlichen böhmischen Appellationsgerichtes, 2 Bde., Prag 1805, hier Bd. 1, S. 173. 59 Neben Personalangelegenheiten zählten hierzu nach einer 1763 erlassenen Instruktion „neue constitutiones, declaratorias, pragmaticas et novellas in die länder zu erlassen“ und die Erteilung von „bescheiden und resolutiones in officiosis“ in Privatbriefen. Zitiert nach Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 130 f.

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formaler Aufbau vorgestellt. Sodann wird der Frage nachzugehen sein, in welcher Form die kaiserliche Beschlussfassung über die Gutachten erfolgte. Verbunden werden diese entwicklungsgeschichtlich angelegten Ausführungen mit einem problemorientierten Überblick über Gerichtsorganisation und Geschäftsgang, um schließlich die Frage zu beantworten, ob den Vota tatsächlich jene überragende Bedeutung bei der Bemessung richterlicher Unabhängigkeit zukommt, die ihnen die Forschung beimisst, oder ob ihr Evidenzwert nicht wesentlich geringer ist als bislang angenommen. Die Ausführungen zu Gerichtsorganisation und Geschäftsgang werden dabei aus Platzgründen skizzenhaft bleiben müssen. Der Autor verweist in d ­ iesem Zusammenhang auf eine momentan in Arbeit befindliche Monographie zur Entscheidungsfindung am Reichshofrat, w ­ elche die im Folgenden angesprochenen Probleme in einen weiteren Kontext stellen wird.60

IV.  Normative Grundlagen und Überlieferungssituation der Vota ad Imperatorem Als normative Grundlagen für die Erstellung der Vota durch den Reichshofrat und für die anschließende kaiserliche Beschlussfassung sind vor allem die Reichshofratsordnungen, aber auch die kaiserlichen Wahlkapitulationen einschlägig. Erstere befassen sich zunächst mit der Frage, in w ­ elchen Situationen und auf w ­ elche Weise das Gremium ein solches Gutachten zu erstellen hatte. Nach der Ordnung von 1559 war der ­Kaiser in Situationen einzuschalten, wenn „sich unsere hofräth nit vergleichen möchten oder die sonsten inen selbst hochwichtig, dapffer und ansehenlich weren, daß sy erledigung bey uns bedörffen“.61 Die Ordnung von 1617 übernahm diese Regelung praktisch wortgleich,62 während die insgesamt wesentlich umfangreichere Ordnung von 1654 auch den Vota einen längeren Abschnitt widmet. Danach war ein Votum zu erstellen, wenn „die stimmen in ziemblicher anzahl zertheilt unnd unnser praesident vermerckhen würde, daß beeder theil mainung mit statlichen grundtfesten ursachen, besterckhet oder, da in unnserm reichshofrath sachen vorkommen werden, darinnen unnsere reichshofräth sich nicht vergleichen möchten, dahero wegen ihrer hochwichtigkeit deren erledigung bey unns vonnöthen“. Geregelt wurde 1654 auch, wann ein Votum nicht zu erstellen war: nämlich dann, wenn hierdurch die Exekution von mit kaiserlicher Zustimmung bereits gefällten Entscheidungen 60 Die Publikation der Studie mit dem Arbeitstitel „Entscheidungsfindung am kaiserlichen Reichshofrat. Studien zum Geschäftsgang an einem herrschernahen Rechtsprechungs- und Verwaltungsorgan der Frühen Neuzeit“ ist für das Jahr 2024 geplant. 61 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 33 f. 62 Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 199.

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hätte behindert werden können.63 Einschlägig ist in d ­ iesem Zusammenhang auch die Wahlkapitulation Leopolds II. von 1790, in der es heißt, Vota sollten nur in den von der Reichshofratsordnung hierfür vorgesehenen Fällen „oder wenn wichtige den allgemeinen und öffentlichen Ruhestand betreffende Umstände mit eintretten, statt finden und durch die darauf zu ertheilenden Resolutionen soll die Justitz nicht sistiret, sondern befördert werden“.64 Wie der Beschluss eines Votums konkret vor sich gehen sollte, regelte erstmals die Reichshofratsordnung von 1654. Danach sollten unter Federführung des Präsidenten „beyder theil schrifftliche mainungen kürzlich dem secretario in die feder und zum protocoll gegeben werden und alsdan dem referenten ein schrifftliches guetachten mit allen umbstendlichen und wichtigen bedenckhen aufzusezen, dem correferenten aber andern theils mainung gleichfals in ein anders guetachten zu bringen, anordnen“.65 Sodann solle im „gesambten reichshoftrath ex actis die facti species genommen und die relation […] mit guttachten an uns gebracht werden“.66 Demnach oblag es also dem Präsidium, die strittigen Positionen dem Reichshofratssekretär ins Protokoll zu diktieren, die Referenten sodann mit der Erstellung der Reinschrift eines Votums zu beauftragen und die Reinschrift sodann durch das Gremium billigen zu lassen. Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass ein Votum ad Imperatorem genauso wie jedes Endurteil, Mandat oder Schreiben um Bericht das Ergebnis eines kollegialen Aktes darstellte. Eine nähere Untersuchung dieser Gutachten verspricht deshalb nicht nur Aufschluss über die Verfahrensautonomie, sondern über die Transparenz reichshofrätlicher Tätigkeit überhaupt. Dabei ist zunächst nach dem Verhältnis ­zwischen der durch Reichshofratsordnungen und Wahlkapitulationen definierten Norm und der Gerichtspraxis zu fragen. Schließlich bemerkte der in Wien lehrende Staatsrechtler Karl Friedrich Brainl mit Blick auf den Arbeitsalltag am Reichshofrat 1776, es werde „über die Verhandlungsart der vorkommenden Sachen sehr vieles aus keiner andern Ursache, als weil es so hergebracht und immer so gehalten worden ist, beobachtet, was doch sonsten in reichshofräthlichen Verordnungen entweder gar nicht enthalten ist oder etwa gar aus Einrathung der Umstände eine Abweichung 63 Reichshofratsordnung von 1654, Tit. V § 19: „Waß auch einmahl in gemeltem unserm reichshofrath in contradictorio judicio cum causae cognitione und mit unserm vorwissen ordent­ licherweise gehandelt und beschlossen ist, dabey soll es allerdings verbleiben und von niemandt anders von newem in cognition gezogen noch dessen execution gehindert werden.“ Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 202. 64 Zitiert nach Wolfgang Burgdorf (Bearb.), Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und K ­ aiser 1519 – 1792 (Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches 1), Göttingen 2015, S. 702. 65 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 200 f. 66 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 206.

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von denenselben begründet.“ 67 Ob dieser Befund auch für die Vota ad Imperatorem gilt, bedarf deshalb der empirischen Nachprüfung. Die Quellenlage kann prinzipiell als hervorragend gelten, da Reichshofratsgutachten im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv für den gesamten Wirkungszeitraum des Gremiums zu Tausenden vorliegen. Allerdings macht sich auch bei den Vota die komplexe Bestandsstruktur der Reichshofratsakten bemerkbar, die sich einerseits auf die Verfahrensserien der Judizial- und Lehns- bzw. Gratialregistratur, andererseits auf diverse nach Pertinenzgesichtspunkten gebildete Selektserien verteilen. Zu letzteren zählt die aus 66 Kartons bestehende Serie „Vota ad Imperatorem“, die laut Findbuch 1.262 Gutachten umfasst. Allerdings wurde diese Serie erst 1766 auf Befehl ­Kaiser Josephs II. angelegt.68 Bis zu ­diesem Zeitpunkt hatte man die Gutachten in der Regel in den Verfahrensakten belassen. Ein Teil der älteren Vota wurde durch das Kanzleipersonal nach 1766 in die neu gebildete Selektserie umgelegt. Das Gros der in vorjosephinischer Zeit erstellten Gutachten befindet sich jedoch weiterhin in den Verfahrensakten, und auch für den Zeitraum von 1766 bis 1806 wurde bislang nicht untersucht, ob die Selektserie wirklich vollständig ist. Für quantifizierende Ansätze erweist sich deshalb eine Konsultation der 1559 einsetzenden Resolutionsprotokolle, ­welche die auf den einzelnen Sitzungstagen getroffenen Beschlüsse nachweisen,69 als unbedingt notwendig.

V.  Die Vota ad Imperatorem – Anmerkungen zu ihrem formalen Aufbau und ihrer Häufigkeit im Gerichtsalltag In seinem formalen Aufbau ähnelt ein Votum ad Imperatorem einer Relation und setzt sich aus den Bestandteilen Sachbericht, Gutachten und Votum zusammen. Der Abschluss des Gutachtens gibt Auskunft darüber, ob das Votum an ein- und demselben Sitzungstag beschlossen und als Reinschrift vom Plenum genehmigt wurde, oder ob diese Schritte an zwei Sitzungstagen vollzogen wurden. Bei Beschluss und Approbation an einem Tag findet sich die Formel „Ita conclusum, lectum et approbatum…“ und im Anschluss daran eine Präsenzliste. Im Resolutionsprotokoll schlägt sich dies in folgendem Vermerk nieder: „Fiat votum ad Imperatorem quod 67 Karl Friedrich Brainl, Lehrsätze über die Pracktick der beiden höchsten Reichsgerichte zum Gebrauch in öffentlichen Vorlesungen, Wien 1776, S. 92. 68 Siehe hierzu den Bericht des Reichsvizekanzlers Colloredo an den Mainzer Kurfürsten vom 19. 05. 1766 in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Nr. 1. 69 Vgl. Tobias Schenk, Die Protokollüberlieferung des kaiserlichen Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, in: Wilfried Reininghaus/Marcus Stumpf (Hg.), Amtsbücher als Quellen der landesgeschichtlichen Forschung (Westfälische Quellen und Archivpublikationen 27), Münster 2012, S. 125 – 145.

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legitur et approbatur.“ 70 Erforderte die Reinschrift mehr Zeit, so dass die Billigung durch das Plenum erst an einem anderen Sitzungstag erfolgen konnte, endet das Gutachten mit der Formel „Ita conclusum in consilio imperiali aulico die [Tagesdatum]“ und einer Präsenzliste, die sich auf den Tag des Beschlusses bezieht. Darauf folgt die Formel „Lectum vero et approbatum die [Tagesdatum]“ mit einer weiteren Namensliste, bei der es sich entweder um eine weitere Präsenzliste oder um einen Nachweis jener Räte handelt, die im Vergleich zum ersten Tag an- bzw. abwesend waren. Beide Varianten tauchen in den Akten auf. Mitunter lagen ­zwischen beiden Daten mehrere Wochen,71 was jedoch eine Ausnahme darstellt. In den Resolutionsprotokollen bildet sich dies in den Vermerken „Fiat votum ad imperatorem“ bzw. (in späterer Zeit) „Fiat votum ad Sacram Caesaream Maestatem“ sowie „Legitur votum et approbatur“ ab.72 Wie bereits erwähnt, ermöglichen die Resolutionsprotokolle die Möglichkeit eines statistischen Zugriffs auf die Verfahrenspraxis, den die Akten nicht bieten. Dabei lassen die Bände keinen Zweifel daran, dass das Votum bis ins späte 18. Jahrhundert ein häufig genutztes Interaktionsinstrument ­zwischen Reichshofrat und ­Kaiser bildete.73 So verzeichnet der Band für das Jahr 1630 nicht weniger als 120 Gutachten. Allein am 23. Mai jenes Jahres kam es viermal zum Beschluss eines Votums.74 In den Jahrzehnten nach 1648 sank die Zahl der Vota erheblich, hielt sich jedoch bis in josephinische Zeit auf einem immer noch beachtlichen Niveau. Die Protokolle weisen beispielsweise 74 Vota für das Jahr 167575 und 53 für 177076 nach, aber nur noch zwölf für 1795 und acht für das Jahr 1800.77 Abgesehen von der Spätphase des Alten Reiches scheinen die Resolutionsprotokolle demnach den Eindruck zahlreicher Zeitgenossen zu stützen, wonach der Reichshofrat sehr häufig von der Möglichkeit eines Votums ad Imperatorem Gebrauch machte. So hieß es 70 Beispiel aus dem Jahr 1720 in ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVIII/48, Bl. 128. 71 Beispielsweise wurde ein Votum am 27. 08. 1761 beschlossen und am 23. 09. 1761 approbiert. Siehe ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 18 (Giel contra Untertanen zu Weißenburg). 72 So wurde beispielsweise ein Votum ad Imperatorem zu einem Prozess ­zwischen dem Kloster Hammersleben im Fürstentum Halberstadt und dem König in Preußen am 15. Februar 1720 beschlossen und am Folgetag nach erneutem Vortrag durch den Referenten gebilligt. Siehe ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVIII/48, Bl. 112 f.; ein Beispiel aus dem Jahr 1800 in ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XIX/1, Bl. 134 und 137. 73 Eine die gesamte Laufzeit der Resolutionsprotokolle umfassende quantifizierende Erhebung der Votumserstellung beabsichtigt der Verfasser in der in Anm. 60 genannten Monographie vorzulegen. 74 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVII/90, Bl. 89 f. 75 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVII/250 und 252. 76 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVIII/167 und 169. 77 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XIX/1 und 2.

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beispielsweise in einem Kommentar zur Wahlkapitulation Leopolds II. von 1791, es sei „bislang nicht leicht eine Sache von Wichtigkeit, oder die irgend in die kaiserlichen Rechte oder in das österreichische Staatsinteresse einschlägt, beim Reichshofrat entschieden oder etwas darinn verfügt worden, ohne daß vorher ein Votum ad Imperatorem erstattet worden wäre“.78 Mit Blick auf die oben zitierten Reichshofratsordnungen, die den Beschluss eines Votums bei Meinungsdifferenzen im Gremium oder hoher politischer Brisanz des Gegenstandes vorsahen, stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser Zahlen. Folgte die Praxis den normativen Vorgaben? Da der Beschluss eines Votums einen kollegialen Akt darstellte, führt diese Frage zu einem der vier zentralen Schaltstellen des Geschäftsganges, nämlich der Überarbeitung der Beschlussvorlage zum Kollegialbeschluss. Beispielsweise ließe sich fragen, ob die Vota als Beleg für eine konfrontative Diskussionskultur am Reichshofrat gelten können. Hatte sich das Gremium im Jahr 1630 tatsächlich 120 Mal „nit vergleichen“ können? Musste der Präsident 1675 bei 74 Umfragen konstatieren, dass die Stimmen „in ziemblicher anzahl zertheilt“ und „daß beeder theil mainung mit statlichen grundtfesten“ begründet war? Oder war sich das Gremium in der Sache zwar einig, betrachtete die Materie jedoch als so „hochwichtig, dapffer und ansehenlich“, dass man nicht ohne kaiserliches Placet tätig werden wollte? Deckte sich das Votum mit dem Antrag der Referenten oder vertrat es das Gegenteil? Wer war die treibende Kraft hinter dem Votumsbeschluss, das gesamte Gremium, Teile desselben oder nur das Präsidium? Gab es Widerstand gegen die Einschaltung des Kaisers? Diese und viele andere naheliegende Fragen lassen sich an das Schriftgut von kollegial organisierten Institutionen nur dann richten, wenn ein Votenprotokoll geführt wurde, welches das Abstimmungsverhalten der einzelnen Gremienmitglieder nachweist. In der Frühen Neuzeit tat dies neben zahlreichen Ständevertretungen 79 beispielsweise das Reichskammergericht, dessen „Deliberationsprotokolle“ im ausgehenden 18. Jahrhundert jährlich rund 500 eng beschriebene Bögen Papier 78 August Friedrich Wilhelm Crome, Die Wahlcapitulation des römischen Kaisers ­Leopold des Zweiten mit historischen und publicistischen Anmerkungen und Erklärungen nebst den dazu gehörigen kurfürstlichen Kollegialschreiben, Hildburghausen 1791, S. 131. 79 Am Reichstag wurden Votenprotokolle bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts geführt. Siehe Henry J. Cohn, Protocols of the German Imperial Diet during the Reign of Empe­ ror Charles V., in: Jörg Feuchter (Hg.), Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Eigene und fremde Welten 9), Frankfurt a. M./New York 2008, S. 45 – 63; vgl. zur Protokollführung am Immerwährenden Reichstag Susanne Friedrich, Drehschreibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007, S. 143 – 150.

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ausmachten.80 Aller mit der „Archivierung von Mündlichkeit“ 81 verbundenen Interpretationsprobleme zum Trotz bilden s­ olche Protokolle eine unverzichtbare Quelle, wenn es um die Frage geht, ob im Vorfeld eines Kollegialakts eine Diskussion überhaupt stattgefunden hat, ­welche Streitpunkte dabei im Mittelpunkt standen und wie schließlich das Abstimmungsergebnis ausfiel. Allerdings führte der Reichshofrat zu keinem Zeitpunkt ein Votenprotokoll.82 Das Resolutionsprotokoll blieb deshalb bis 1806 das, was es schon 1559 gewesen war: ein reines Ergebnisprotokoll. Dass das Gremium mit einer solchen Protokollführung nur schwerlich zur Entwicklung einer kongruenten Spruchtätigkeit in der Lage war, erkannten bereits Zeitgenossen. So beklagte sich 1766 ein Reichshofrat von der Gelehrtenbank, es entstünden in Ermangelung eines Votenprotokolls im Rückblick auf frühere Entscheidungen „oft über den Verstand eines Conclusi und den Mentem Collegii bey dieser oder jener Resolution langwührige Deliberationes“.83 Das bedeutet im Klartext: Auf Grundlage der Resolutionsprotokolle war sich der Reichshofrat über seinen sogenannten „Gesamtwillen“ und die Art und Weise, wie dieser eigentlich zustande gekommen sei, oftmals selbst völlig im Unklaren. Wer mochte sich schon ganz ohne schriftliche Dokumentation daran erinnern, warum man in einem ähnlich gelagerten Fall zehn Jahre zuvor so oder so votiert hatte? Kollegiale Entscheidungsgründe wurden am Reichshofrat also nicht nur nicht veröffentlicht, sie existierten in schriftlicher Form überhaupt nicht. Für die Vota ad Imperatorem wie für jede andere reichshofrätliche Entscheidung ergibt sich aus dem Verzicht auf die Dokumentation der einzelnen Voten ein äußerst niedriger Evidenzwert der Protokollüberlieferung, die zwar zahlreiche Möglichkeiten statistischer Forschungen bietet, zur Erhellung des Entscheidungsprozesses jedoch prima vista wenig beiträgt. Die Reichskammergerichtsforschung kann auf detaillierte Votenprotokolle zurückgreifen, die Reichshofratsforschung besitzt lediglich Protokolleinträge im Stil von „Fiat Votum ad Imperatorem“. Ob ­dieses oder irgendein anderes „Fiat“ einstimmig beschlossen wurde oder hoch umstritten 80 Johann Melchior Hoscher, Über die Schädlichkeit der Gerichtsgeheimnisse, Augsburg 1804, S. 22. 81 Vgl. Rainer Polley, Die Archivierung der Mündlichkeit: Protokollierung in kollegialen Gremien, in: Andreas Metzing (Hg.), Digitale Archive – Ein neues Paradigma? Beiträge des 4. Archivwissenschaftlichen Kolloquiums der Archivschule Marburg, Marburg 2000, S. 253 – 273. 82 Er tat dies im Übrigen natürlich nicht, weil man am Kaiserhof nicht gewusst hätte, was ein Votenprotokoll ist, sondern weil die Einführung einer solchen Mitschrift gremienintern auf zahlreiche Bedenken stieß. Die diesbezüglichen Kontroversen werden in der in Anm. 60 angekündigten Monographie behandelt werden. 83 Zitiert nach einem Gutachten des Reichshofrats Gärtner in ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 29.

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war, bleibt im Dunkeln, denn die Resolutionsprotokolle verzeichnen nicht einmal das zahlenmäßige Abstimmungsergebnis. Allerdings findet sich in seltenen Fällen, in denen der ­Kaiser den Reichshofrat als politisches Beratungsgremium heranzog, der Hinweis, dass die Erstellung eines Votums auf Befehl des Reichsoberhaupts erfolgt sei.84 Diese Ausnahmen ändern jedoch nichts daran, dass die Protokolle im Regelfall keinerlei Aufschluss darüber geben, warum ein Gutachten überhaupt erstellt wurde. Auch die überlieferten Vota helfen in dieser Hinsicht kaum weiter, enthalten diese doch nur in seltenen Fällen Hinweise auf einen Dissens im Gremium.85 Das „typische“ Votum ad Imperatorem, und diese Beobachtung gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum, stellt dem ­Kaiser keine zwei im Gremium kontrovers diskutierten Entscheidungsoptionen zur Wahl, sondern präsentiert ihm ein Gesamtvotum des Gremiums. Der sich bereits an dieser Stelle aufdrängende Verdacht, dass es mit den Vota ad Imperatorem möglicherweise eine ganz andere Bewandtnis haben könnte, als man auf Grundlage der Reichshofratsordnungen und des bisherigen Forschungsstandes vermuten sollte, verstärkt sich, wenn man noch einmal über die Resolutionsprotokolle nachdenkt. Nach Friedrich Karl von Moser können die Reichshofratsgutachten als „unverstellte Berichte“ gelten, aus denen man auf die Entscheidungsgründe schließen könne: „Hier redet man, wie man denckt, man behält nichts zurück, was so wohl Recht als Klugheit, Freund- oder Feindschaft, Zeit und Umstände an Hand geben und was das Publicum nur errathen muß, legt sich hier in seinem völligen Umfang klar vor Augen.“ 86 Die neuere Forschung glaubt im Grunde dasselbe, denn wie sonst könnte sie die Vota als zentrale Quelle für die Bemessung richterlicher Unabhängigkeit am Reichshofrat betrachten?87 Allerdings bringt allein die Tatsache, dass sowohl der Beschluss eines Votums, als auch die Verlesung der diesbezüglichen kaiserlichen Resolution in den Protokollen vermerkt wurden,88 diese investigative Zuversicht ins Wanken. Schließlich bildete das Resolutionsprotokoll 84 So erstellte das Gremium beispielsweise nach dem Einfall schwedischer Truppen in Brandenburg am 15. 06. 1675 ein Votum aufgrund eines drei Tage zuvor ergangenen kaiserlichen Befehls, wonach „von dero Kay. Reichs Hoff Rhat aus diese Sach der Notturfft nach reifflich und zwar ohnverlengt überlegt werde, ob und wie die begehrte avocatoria und inhibitoria zu erkennen und einzurichten, auch was ratione fractae pacis weiters zu thun seye“. Siehe ÖStA HHS tA, RHR , Resolutionsprotokolle, Bd. XVII /252, Bl. 322, ein weiteres Gutachten hierzu am 01. 07. 1675 ebd., Bl. 346. 85 Zu einer der wenigen Ausnahmen siehe unten bei Anm. 337. 86 Friedrich Carl von Moser, Sammlung von Reichs-Hof-Raths Gutachten, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1752 – 1769, hier Vorwort zu Bd. 1. 87 So etwa bei Erwin, Machtsprüche (wie Anm. 47), S. 199 – 201. 88 Dies schrieb bereits die Reichshofratsordnung von 1559 ausdrücklich vor. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 34.

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die Grundlage für das von den Reichshofratssekretären „zur öffentlichen Einsicht“ 89 publizierte Anschlagsprotokoll, durch das sich die Reichshofratsagenten in komprimierter Form über den Stand der von ihnen betreuten Verfahren informieren konnten. Die in den Resolutionsprotokollen vermerkten Entscheidungen blieben den Parteien also keineswegs verborgen. Dies gilt auch für die Vota, wie vereinzelt in den Resolutionsprotokollen vermerkte Anweisungen belegen, die kaiserliche Beschlussfassung auf erfolgte Gutachten ausnahmsweise einmal „nicht anzuschlagen, noch herauszugeben“.90 Soweit bislang ersichtlich, verbirgt sich hinter solchen Anweisungen jedoch nicht der Versuch zur Geheimhaltung spektakulärer kaiserlicher Machtsprüche, sondern eine Schutzmaßnahme zu Gunsten der Parteien. Im zitierten Fall aus dem Jahr 1770 ging es beispielsweise um ein Votum zur Primogenitur im Haus Löwenstein-Wertheim, für das sich gewiss auch die Reichshofratsagenten anderer reichsfürstlicher Häuser interessiert hätten. Wenngleich das Anschlagsprotokoll nicht den Volltext der Vota, sondern nur deren Rubrum bekanntmachte und der Kaiserhof nach 1648 verstärkte Anstrengungen unternahm, den Volltext vor den Parteien geheim zu halten,91 ist sicher davon auszugehen, dass Letztere über die Tatsache, dass ein Votum erfolgt und vom ­Kaiser gebilligt oder abgelehnt worden war, prinzipiell stets im Bilde waren.92 ­Kaiser und Reichsvizekanzler betrachteten das Resolutionsprotokoll deshalb eigener Aussage zufolge als ein „öffentliches Protokoll“.93 Sich der Vota zum Zwecke einer weit ausgreifenden „Kabinettsjustiz“ zu bedienen, darüber Protokolleinträge verfertigen und das alles im Anschluss durch Friedrich Karl von Moser in die Welt hinausposaunen zu lassen, auf dass jedermann sehe, was man tief im Innern wirklich denkt – dies alles hätte von einem geradezu rührenden Mangel an Intelligenz gezeugt, den man Vertretern eines Geschlechts, das sich im „Game of Thrones“ länger ganz oben hielt als alle konkurrierenden Häuser, nicht unbesehen attestieren 89 Hierzu beispielsweise Karl Friedrich Häberlin, Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts […], Bd. 4, Leipzig 1795, S. 325. 90 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVIII/168, Bl. 218 (30. 03. 1770). 91 Wurde beispielsweise zur Vorbereitung eines Endurteils ein Inrotulationstermin angesetzt, sollten die hierzu deputierten Reichshofräte dafür Sorge tragen, dass die möglicherweise in der (im Rahmen der Inrotulation auf Vollständigkeit zu überprüfenden) Akte enthaltenen Vota samt der darauf erfolgten kaiserlichen Resolutionen zuvor beiseitegelegt oder dass den Agenten zumindest keine Zeit zu deren Lektüre gegeben werde. Siehe Friedrich Carl Moser, Pragmatische Geschichte und Erläuterungen der kayserlichen Reichs-Hof-RathsOrdnung, Bd. 2, Frankfurt a. M./Leipzig 1752, S. 346. 92 Dies betont noch für das ausgehende 18. Jahrhundert ausdrücklich Vincenz Hanzely, Grundlinien der heutigen Reichshofrathspraxis im Allgemeinen, mit erläuternden Anmerkungen und Beyspielen, Frankfurt a. M./Leipzig 1785, S. 111 und 115 f. 93 So beispielsweise in einem Referat von Reichsvizekanzler Schönborn vom 01. 11. 1715 in ÖStA HHStA, RK, Vorträge, K. 6b, Bl. 624.

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sollte. Noch bevor man auch nur ein einziges der zahlreichen Vota ad Imperatorem gelesen hat, evoziert deren Entstehungskontext also bereits erhebliche Zweifel an der Vorstellung, dass man hier die Schmutzwäsche des Hauses Habsburg vor sich habe.

VI.  Die Beschlussfassung über die Vota ad Imperatorem im Geheimen Rat (16. Jahrhundert bis ca. 1730) Nachdem im vorangegangenen Kapitel der Beschluss eines Votums durch das Reichshofratsgremium behandelt wurde, stellt sich die Frage, durch wen die Gutachten dem K ­ aiser vorgetragen wurden, in welchem Umfeld also dessen höchstrichterliche Entschließungen erfolgten. Auf normativer Ebene sind für diese Frage zunächst wiederum die Reichshofratsordnungen einschlägig. Nach der Fassung von 1559, die 1617 im Wesentlichen übernommen wurde, sollten die Vota „uns yederweil mit iren verzaichneten räthlichen bedencken durch der sachen secretarien in gegenwertigkait unsers hofrathspresidenten und etlicher unserer hofräthe, sonderlich die, so der sachen referenten gewesen, fürbracht werden; darauf wir volgendts s­olche sachen erledigen oder nach unserm willen und gefallen in ander weg der gepür nach zu geschehen, befehlchen wöllen; und was wir uns dann derwegen entschlossen, das soll der secretari in sein protocol und rathbuch schreiben und auch hernach solches entschluss die räth wiede­ rumb berichten.“ 94

Die Publikation der erfolgten kaiserlichen Beschlussfassung im Plenum oblag den Reichshofratssekretären auch nach der Ordnung von 1654, die hinsichtlich der Beiziehung von Präsident und weiteren Reichshofräten jedoch eine Änderung der bisherigen Norm vornahm: „So wollen wir darauf unserm reichshoffrathspraesidenten und, wie wir es nach gelegenheit der sachen vonnöthen befunden, auch den referenten und correferenten neben etlichen derienigen reichshoffräthen, so der unverglichenen meinungen absonderlich beweglichen bedenckhens gewesen, vor uns erfordern, der sachen notturfft und umbstände anhören, dieselbe folgents erledigen oder nach unserm willen und gefallen in andere weeg der gebühr nach zu geschehen befehlen.“ 95

Nach 1654 war demnach nur noch die Anwesenheit des Reichshofratspräsidenten und des Sekretärs beim Vortrag der Vota konstitutiv, während sich der K ­ aiser die Entscheidung, ob daneben auch die Referenten und weitere Reichshofräte hinzuzuziehen ­seien, vorbehielt. Von einer Anwesenheit des Reichsvizekanzlers oder anderer kaiserlicher Funktionsträger ist in den Reichshofratsordnungen ebenso 94 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 33 f. Der entsprechende Passus in der Ordnung von 1617 ebd., S. 199. 95 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 206 f.

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wenig die Rede wie von einer Beschlussfassung über die Vota in einem anderen höfischen Gremium. Ein abweichendes Bild ergibt sich bei einer Durchsicht der kaiserlichen Wahlkapitulationen, in denen die Absicherung reichsgerichtlicher Verfahrensautonomie vor kaiserlichen Eingriffen von Beginn an eine große Rolle spielte. Bereits die Wahlkapitulation Karls V. von 1519 enthielt den Passus, dass der ­Kaiser eine „ordenliche swebende Rechtvertigung nit verhindern noch verbieten, sonnder den freyen, stracken Lawff lassen“ 96 werde. Mit Blick auf den Reichshofrat suchten die Wahlkapitulationen diesen stracken Lauf durch nach 1519 stetig ausgebaute Regelungen abzusichern, die neben der personellen Besetzung des Gremiums vor allem auf den Schutz des Plenarprinzips vor äußeren Eingriffen abstellten. In d­ iesem Kontext fanden im 18. Jahrhundert auch die Vota ad Imperatorem Eingang in die Kapitulationstexte. Karl VI. sicherte den Ständen 1711 zu: „Wo auch im Reichs-Hoffrath in wichtigen JustizSachen ein Votum oder Guthachten abgefast und Uns referirt werden solte, wollen Wir Uns solches in Anwesen des Reichs-HoffrhatsPraesidenten und Reichs-Vice-Canzlers mit Zuziehung der Referenten und Correferenten und anderer Reichs-Hoffrhäten beeder Religionen, insonderheit wann die Sachen Parteyen beederley Religions-Verwandten betreffen, vortragen laßen, mit denenselben darüber berathschlagen und in keinem anderen Rhat resolviren.“ 97

Somit ging die Wahlkapitulation von 1711 über die Reichshofratsordnung von 1654 deutlich hinaus und schrieb nicht nur die Anwesenheit des Reichshofratspräsidenten, des Reichsvizekanzlers und der Referenten fest, sondern verpflichtete den ­Kaiser auch, bei Prozessen z­ wischen gemischtkonfessionellen Parteien protestantische Reichshofräte hinzuzuziehen. Eine wichtige, über die Reichshofratsordnung hinausgehende Regelung bestand darüber hinaus in dem Verbot, über die Vota in einem anderen Gremium zu entscheiden. Allerdings enthält die Wahlkapitulation Leopolds II. von 1790 einen Passus, in welchem der K ­ aiser zusicherte, die 1711 vereinbarte Zuziehung von Präsident, Vizekanzler und Referenten künftig „als eine Formam essentialem beobachten“ 98 zu wollen. Die Frage, ob diese Regelung als Indiz für vorangegangene kaiserliche Verstöße gegen die 1711 getroffenen Vereinbarungen zu betrachten ist, sei zunächst zurückgestellt und das Ergebnis der Durchsicht von Reichshofratsordnungen und Wahlkapitulationen knapp resümiert. Demnach hätte man sich das Referat der Vota beim K ­ aiser in Form einer vergleichsweise exklusiven Audienz vorzustellen, an der seit 1559 zumindest der Präsident und ein protokollierender Sekretär sowie nach 1711 zusätzlich der Reichsvizekanzler, die Referenten und weitere Reichshofräte teilzunehmen hatten. Die 96 Zitiert nach Burgdorf, Wahlkapitulationen (wie Anm. 64), S. 27. 97 Zitiert nach Burgdorf, Wahlkapitulationen (wie Anm. 64), S. 344. 98 Zitiert nach Burgdorf, Wahlkapitulationen (wie Anm. 64), S. 702.

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in der Kapitulation von 1711 enthaltene Verpflichtung, über die Vota „in keinem anderen Rhat [zu] resolviren“, mochte der zusätzlichen Beiziehung einzelner weiterer Ratgeber zu einer solchen Audienz zwar keine Steine in den Weg legen. Eine Beschlussfassung über die reichshofrätlichen Gutachten in einem Gremium, in dem die genannten Funktionsträger in der Minderheit waren oder nicht einmal die Mitgliedschaft besaßen, hätte nach 1711 jedoch nicht nur einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Wahlkapitulation gebildet. Eine ­solche Praxis würde aus heutiger Sicht auch das gängige Handbuchwissen über das Alte Reich in Frage stellen, wonach Reichshofrat und Reichskammergericht unangefochten die höchsten Gerichte ­dieses politischen Systems gewesen ­seien. Zweifel an ­diesem Handbuchwissen weckt die Lektüre des Wiener Reiseführers, den Mathias Fuhrmann 1770 vorlegte. Besucher der Stadt, so hieß es da nämlich, sollten sich einen Besuch der Hofburg keinesfalls entgehen lassen, „weil sich allda der Röm. Kaiserl. Majestät Reichs-Hofrath zu versammlen pfleget, welcher nach dem Kaiserlichen Geheimden Raths-Collegio das höchste Gericht des Heil. Römischen Reichs“ 99 sei. In ähnlicher Weise hielt rund 100 Jahre ­später ein österreichischer Historiker mit Blick auf die Regierungszeit Leopolds I. fest: „Der geheime Rath war der oberste Gerichtshof. […] Kein Gesetz bestimmte die Grenzen oder den Gehalt seiner Wirksamkeit.“ 100 Der Geheime Rat als höchstes, an keinerlei Verfahrensrecht gebundenes Reichsgericht über dem Reichshofrat? Der aktenkundliche Befund muss zeigen, was von dieser Behauptung zu halten ist. Die Quellengrundlage einer solchen Nachprüfung bilden die Vermerke über die auf Grundlage der Vota getroffenen kaiser­lichen Entscheidungen, die sich in aller Regel auf dem hinteren Mantelbogen der Gutachten befinden. Mit Blick auf die Epoche vor dem Dreißigjährigen Krieg mag ein Gutachten als repräsentatives Beispiel dienen, das der Reichshofrat am 22. April 1598 zur Frage einer Administration des Klosters Walkenried erstellte. Dort heißt es: „Placet hofraths guetachten. Ex Consilio Secreto 4. Junii 1598.“ 101 Hinter jenem Consilium Secretum verbirgt sich ebenjener Geheime Rat, den Fuhrmann rund 200 Jahre ­später als oberstes Reichsgericht bezeichnen sollte. Ausweislich des aktenkundlichen Befundes tat er dies völlig zu Recht, denn ein „Placet“ bringt ein hierar­ chisches Überordnungsverhältnis zum Ausdruck. Die Reichsgerichtsforschung kommt somit um den Geheimen Rat nicht herum, der 1526 erstmals erwähnt worden war und den ­Kaiser als prinzipiell täglich 99 Mathias Fuhrmann, Historische Beschreibung und kurz gefaßte Nachricht von der Römisch-Kaiserl. und Königlichen Residenzstadt Wien und ihren Vorstädten, Bd. 3, Wien 1770, S. 14. 100 Adam Wolf, Fürst Wenzel Lobkowitz, erster geheimer Rath ­Kaiser Leopold’s I. 1609 – 1677. Sein Leben und Wirken, Wien 1869, S. 67. 101 ÖStA HHStA, RHR, APA, K. 206, Bl. 248.

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z­ usammenkommendes Gremium in politischen Fragen beraten sollte.102 Schwerpunkte seiner Tätigkeit bildeten die Außenpolitik und der diplomatische Verkehr mit fremden Mächten, Fragen von Krieg und Frieden sowie die Koordinierung der Hofbehörden. Eine schriftlich fixierte Instruktion und Verfahrensordnung des Geheimen Rates hat es, auch diese Behauptung trifft zu, nach gegenwärtigem Forschungsstand zu keinem Zeitpunkt gegeben. Darüber hinaus fiel die personelle Besetzung des Gremiums in die alleinige Prärogative des Kaisers und wurde – im Gegensatz zum Reichshofrat – durch keinerlei reichsrechtliche Regelungen begrenzt. Bis zur Regierungszeit Ferdinands II. zählten zu dem bis dahin etwa fünf bis sechs Mitglieder zählenden Rat in der Regel der zumeist als Präsident fungierende Obersthofmeister, der Reichsvizekanzler, der Obersthofmarschall, der Kanzler der 1620 gegründeten österreichischen Hofkanzlei sowie die Präsidenten von Hofkammer (gegründet 1527) und Hofkriegsrat (gegründet 1556), nicht indes der Reichshofratspräsident.103 Die meisten, wenn auch nicht alle ­Kaiser nahmen an den Sitzungen des Geheimen Rates persönlich teil. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Rudolf II., der sich in seiner „schrulligen Phase“ auch aus dem Geheimen Rat zurückzog und sich die Reichshofratsgutachten – offenbar zumeist nach deren Vorbearbeitung im Geheimen Rat – in persönlichen Audienzen vortragen ließ.104 Die Existenz eines solchen, völlig vom ­Kaiser abhängigen, über keine Verfahrensordnung verfügenden und mithin rein „politischen“ Gremiums musste die 102 Zum Geheimen Rat: Stefan Sienell, Die Geheime Konferenz unter ­Kaiser Leopold I. Personelle Strukturen und Methoden zur politischen Entscheidungsfindung am Wiener Hof (Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs 17), Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 26 – 30; Thomas Fellner, Heinrich Kretschmayr (Bearb.), Die österreichische Zentralverwaltung, 1. Abt., Bd. 1 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 5), Wien 1907, S. 37 – 52; Henry Frederick Schwarz, The Imperial Privy Council in the Seventeenth Century (Harvard Historical Studies 53), Cambridge 1943; Mark Hengerer, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne (Historische Kulturwissenschaft 3), Konstanz 2004, S. 59 – 63; Otto Hintze, Der österreichische Staatsrat im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 8 (1887), S. 137 – 163; Eduard Rosenthal, Die Behördenorganisation K ­ aiser Ferdinands I. Das Vorbild der Verwaltungsorganisation in den deutschen Territorien. Ein Beitrag zur Geschichte des Verwaltungsrechts, Jena 1886, S. 80 – 86. 103 Siehe für die Zeit Maximilians II. Maximilian Lanzinner, Geheime Räte und Berater Maximilians II. (1564 – 1576), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 102 (1994), S. 296 – 315. 104 Dieser Sonderfall, den auch der zitierte Beschlussvermerk von 1598 illustriert, ist mit Blick auf die Regierungszeit Rudolfs natürlich von großem Interesse, soll an dieser Stelle aus Platzgründen jedoch nicht weiter behandelt werden. Siehe stattdessen Stefan Ehrenpreis, Kaiser­ liche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576 – 1612 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 72), Göttingen 2006, S. 92 f.

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Verfahrensautonomie am Reichshofrat umso stärker tangieren, als eine feste Aufgabenabgrenzung ­zwischen beiden Gremien vor 1618 nicht bestand und es allein von der Entscheidung des Reichsvizekanzlers bzw. des Kaisers abhing, welcher Institution Posteingänge zugefertigt wurden.105 Allerdings sieht man sich mit Blick auf die Interaktion ­zwischen Reichshofrat und Geheimem Rat wiederum mit einem sehr niedrigen Evidenzwert der Aktenüberlieferung konfrontiert, da der Geheime Rat – abgesehen von nur lückenhaft erhalten gebliebenen Sitzungsprotokollen 106 – keine eigene Schriftgutproduktion entfaltete und mit den Leitern der obersten Hofbehörden zumeist mündlich kommunizierte. Wenn überhaupt, schlug sich die Tätigkeit des Geheimen Rats also im Schriftgut der mit ihm interagierenden Hofbehörden nieder – im Falle des Reichshofrats im Stil des zitierten Vermerks vom 4. Juni 1598, der das Ergebnis der Geheimratssitzung in der denkbar knappsten Form zusammenfasst und über den Verlauf der Sitzung sowie die Teilnehmer ebenso wenig Angaben macht wie über den Referenten des Votums. Dass dieser Aktenbefund einen wichtigen Teil des reichshofrätlichen Entscheidungsprozesses verschleiert, steht außer Frage. Denn nicht der Reichshofrat, sondern der Geheime Rat bildete etwa unter Maximilian II. „die Regierungszentrale schlechthin“.107 Es wäre deshalb ein grundlegendes Missverständnis, sich den Geheimen Rat vor 1618 als Gremium vorzustellen, das sich auf die reaktive Beratung von Gutachten beschränkte, die der Reichshofrat zuvor mehr oder weniger selbständig erstellt hätte. Aus der Tatsache, dass vor 1618 die große Mehrzahl der Reichshofratsgutachten im Geheimen Rat mit höchstens geringfügigen Änderungen gebilligt wurde,108 dürfte deshalb kaum ohne Weiteres auf eine hohe ­Verfahrensautonomie 105 Lothar Gross, Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559 bis 1806 (Inventare des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1), Wien 1933, S. 155. Zur Öffnung eingehender Post durch den Reichsvizekanzler siehe Kap. 8c. 106 Diese sind heute in die Serie der reichshofrätlichen Resolutionsprotokolle eingereiht. Es handelt sich um die Bände ÖS tA HHS tA, RHR , Resolutionsprotokolle, XVI , Bde. 18 (1560 – 1562), 20b (1562 – 1563), 26b (1565 – 1569), 27b (1566), 31b (1569 – 1615), 42b (1576), 48b (1580), 49a (1581 – 1583), 49b (1581), 52b (1583), 54b (1585), 56b (1587), 58 (1588), 60b (1589 – 1596), 68 (1593), 75 (1595), 80b (1597 – 1605), XVII, Bde. 22a (1612), 26 (1614), 38 (1616), 44 (1617), 47b (1618) und 49b (1619). Ein Votenprotokoll von 1576 findet sich in ÖStA HHStA, RK, Reichstagsakten, K. 54, Bl. 29 – 72. Desweiteren liegen im Familienarchiv Harrach sieben Protokolle zu 150 Geheimratssitzungen aus den Jahren 1646 bis 1650 vor, die sich auf den Westfälischen Friedenskongress und den Nürnberger Exekutionstag beziehen. Siehe ÖStA AVA, FA HR, Hs. 102. Eine Auswertung dieser Bände liefert Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 122 – 127. 107 Lanzinner, Geheime Räte (wie Anm. 103), S. 309. 108 Auch wenn der Verfasser nicht behaupten kann, sämtliche Vota aus der Zeit vor 1618 gelesen zu haben, kann hieran doch kein Zweifel bestehen, zumal die Forschung mit Blick auf die

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am Reichshofrat zu schließen sein. Es spricht stattdessen viel dafür, sich die Abstimmung ­zwischen beiden Gremien als integralen Bestandteil des gesamten Verfahrens vorzustellen, der sich im Wesentlichen mündlich vollzog, so dass die vom K ­ aiser grundsätzlich gewünschte Tendenz der zu fällenden Entscheidung zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung bereits allen Beteiligten klar war. Dass sich der Geheime Rat noch unter Rudolf II. prinzipiell jederzeit in das Verfahren des Reichshofrats einschalten konnte, belegen jedenfalls von beiden Gremien gemeinsam erarbeitete Beschlussvorlagen für den ­Kaiser.109 Auch die vor dem Reichshofrat prozessierenden Parteien waren offenbar überzeugt, das Verfahren durch eine Einschaltung von Geheimen Räten direkt beeinflussen zu können. Dies verdeutlichen diesbezügliche Suppliken, die Parteien noch unter Ferdinand II. und Ferdinand III. in großer Zahl an Geheime Räte wie den Obersthofmeister richteten.110 Mit Blick auf die im Folgenden zu schildernde Entwicklung des Geheimen Rats nach 1618 ist deshalb ausdrücklich zu betonen, dass von den Mitgliedern des Gremiums vor dem Dreißigjährigen Krieg tatsächliche Beratungstätigkeit nicht nur erwartet, sondern auch geleistet wurde. Den kaiserlichen Erwartungshorizont jener Jahre verdeutlicht eine launig formulierte Instruktion, wonach in das Gremium nur Männer aufzunehmen waren, die „auch am vormittag tauglich ­seien, sintemal in einem vollen menschen oder in einem haupt, darin die humores des gestrigen schlaftrunks noch nit verraucht, gar schlechte ratschläge stecken, auch ­solche leut mit ihren trüben augen schier das gegenwärtige nit, geschweige was von weitem bevorsteht, sehen können – wie gemeiniglich auch im zechen die geheimen sachen nit wohl können verschwiegen behalten werden“.111

Für die Zeit vor 1618 lässt sich die Interaktion z­ wischen Reichshofrat und Geheimem Rat somit folgendermaßen zusammenfassen: Letzterer bildete ein mit wenigen einflussreichen Funktionsträgern exklusiv besetztes, dem Reichshofrat ­übergeordnetes in den Geheimen Rat eingebrachten Vota von Hofkammer und Hofkriegsrat zum selben Ergebnis kam. Siehe Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 293 f. 109 Ein aus dem Jahr 1605 stammendes Beispiel für ein solches gemeinsam erstelltes Gutachten findet sich in einer das Reichspostwesen betreffenden Akte: ÖStA HHStA, RHR, Antiqua, K. 590, Nr. 1, Bl. 100 f. 110 So wandten sich beispielsweise unabhängig voneinander in den Jahren 1628/29 der Abt von Corvey und der Graf von Waldeck an Obersthofmeister Maximilian von Trauttmansdorff. In den 1630er- und 1640er-Jahren suchte auch der Graf von Oldenburg in einem Zollkonflikt mit der Stadt Bremen wiederholt die Unterstützung des Obersthofmeisters. Siehe Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 450 f., wo es bilanzierend heißt: „Nach der Ernennung zum kaiserlichen Obersthofmeister stieg die Zahl der Bitten um Hilfe in Rechtsstreitigkeiten stark an und machte einen der stärksten Posten in der Korrespondenz aus…“. 111 Zitiert nach Schlögl, Hof als Kommunikationsraum (wie Anm. 41), S. 205 f.

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Beratungsgremium, dessen Tätigkeit sich nicht auf die reaktive Beratung von Vota ad Imperatorem beschränkte, sondern das sich fallweise von Beginn an in das ­Verfahren einschaltete. Die Entscheidung, ob und in welchem Maße eine s­ olche Interaktion stattfand, lag nicht beim Reichshofrat, sondern beim K ­ aiser bzw. Reichsvizekanzler. Allerdings erlaubt es die Quellenlage nicht, den Einfluss des Geheimen Rats adäquat zu erfassen, da die Reichshofratsakten in dieser Hinsicht durch einen äußerst geringen Evidenzwert gekennzeichnet sind. Vermerke im Stile von „Fiat Votum ad Imperatorem“ und „Placet hofraths guetachten. Ex Consilio Secreto…“ lassen intensive mündliche Abstimmungsprozesse erahnen, ohne sie zu belegen. Es liegt auf der Hand, dass ein Fortdauern einer solchen höfischen Entscheidungsstruktur in der Epoche nach 1648, in der der Reichshofrat das Reichskammergericht als Höchstgericht deutlich überflügelte, schwerwiegende Zweifel an der These einer zunehmenden Rechtsbindung kaiserlicher Herrschaft begründen würde.112 Denn was waren Reichshofratsordnung und Wahlkapitulation wert, wenn sich ein rein politisches Gremium jederzeit in das Verfahren einschalten konnte, ohne dass diese Interventionen schriftlich in adäquater Form dokumentiert wurden? Tatsächlich, soviel sei vorweggenommen, wurde über die Mehrzahl der Vota durch die ­Kaiser bis in die Regierungszeit Karls VI. weiterhin im Geheimen Rat entschieden. Allerdings war ­dieses Gremium nicht mehr das, was es vor 1618 gewesen war. Bereits unter Ferdinand II. war die Mitgliederzahl des Geheimen Rats, die bei seiner Thronbesteigung noch bei etwa sechs bis acht gelegen hatte, auf mehr als 20 angestiegen.113 Beim Tode Leopolds I. im Jahre 1705 zählte man schließlich 112 Dass der ­Kaiser befugt sei, in Lehns- und Privilegienangelegenheiten Vota vom Reichshofrat einzufordern, war auch im ausgehenden 18. Jahrhundert im Grunde unstrittig. In d ­ iesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Funktion des Reichshofrats als oberster Lehnshof und Vergabestelle kaiserlicher Privilegien auch nach 1648 hohe Bedeutung besaß. Siehe hierzu etwa Tobias Schenk, Der Reichshofrat als oberster Lehnshof. Dynastie- und adelsgeschichtliche Implikationen am Beispiel Brandenburg-Preußens, in: Anette Baumann/ Alexander Jendorff (Hg.), Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa (bibliothek Altes Reich 15), München 2014, S. 255 – 294. Was nach 1648 jedoch weitgehend verschwand, war die Bearbeitung von an den K ­ aiser gerichteten Untertanensuppliken, die vor 1618 noch eine große Rolle gespielt hatte. Siehe hierzu Eva Ortlieb, Untertanensuppliken am Reichshofrat ­Kaiser Karls V., in: Gabriele Haug-Moritz/Sabine Ullmann (Hg.), Frühneuzeitliche Supplikationspraxis und monarchische Herrschaft in europäischer Perspektive (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs), Wien 2015, S. 263 – 282; Thomas Schreiber, Die Ausübung kaiserlicher Gnadengewalt durch den Reichshofrat. Unter­ tanensuppliken am Reichshofrat ­Kaiser Rudolfs II. (1576 – 1612), in: ebd., S. 215 – 230. Diesbezügliche Überlegungen auch bei Tobias Schenk, Das frühneuzeitliche Kaisertum – ein Faktor der Alltagsgeschichte? Überlegungen auf Grundlage der Reichshofratsakten, ebd., S. 245 – 261. 113 Schwarz, Imperial Privy Council (wie Anm. 102), S. 111 und 114 f.

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nicht weniger als 164 Geheime Räte.114 Diese förmlich explodierenden Zahlen illustrieren einen grundlegenden Wandel in der Funktion der Geheimratswürde, deren Verleihung im Regelfall nicht länger mit der Übernahme tatsächlicher Beratungspflichten verbunden war, sondern dem K ­ aiser als Instrument zur Integration und Belohnung des Hofadels diente.115 Währenddessen trat das Plenum des Geheimen Rats immer seltener und schließlich gar nicht mehr zusammen, nachdem Leopold I. die Teilnahme 1657 von seiner ausdrücklichen Einladung abhängig gemacht hatte.116 Darüber hinaus wurde die Gremienarbeit – ebenfalls bereits seit Ferdinand II. – durch die Bildung diverser, zumeist drei- bis vierköpfiger Deputationen ausgehöhlt, die Entscheidungen vorbereiteten, ­welche in der anschließenden Geheimratssitzung nur noch „abgenickt“ wurden.117 Unmissverständlich stellte Leopold I. 1665 gegenüber seinem Botschafter am spanischen Hof klar: „Ihr wisst aber selbst wohl, dass die wichtigen Sachen, absonderlich aber die hispanische und Hausnegotia niemal in pleno [des Geheimen Rats], sondern nur in Conferenzen oder Junten proponirt werden, allwo ich nur aufs meiste fünf oder sechs Räthe brauche, et sic numerus hic non potest causare malum.“ 118 Auch über das intellektuelle Gewicht der von ihm neu ernannten Geheimen Räte hatte Leopold eine klare Meinung: „Die subiecta sunt varia, daher nicht viel davon zu melden. Wann sie nur was Gutes errathen, so ist schon alles guet.“ 119 Seine Funktion als Beratungsgremium in Fragen von hoher politischer und militärischer Bedeutung verlor der Geheime Rat vollends 1669, als aus ihm ­heraus die weitaus exklusivere Geheime Konferenz gebildet wurde, die allerdings bis 1699 bereits auf zwölf Teilnehmer angewachsen war und deshalb ihrerseits an Bedeutung einbüßte, wenngleich sie in wechselnder Form bis 1749 bestand.120 In gewissem Umfang wurden seit den 1680er-Jahren reichshofrätliche Vota ad Imperatorem auch in der Geheimen Konferenz behandelt, zu deren Mitgliedern im ausgehenden 17. Jahrhundert auch Reichshofratspräsident Wolfgang IV. von Oettingen 114 Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 52. 115 Zu konstatieren ist demnach ein Funktionswandel und keinesfalls ein völliger Bedeutungsverlust der Geheimratswürde. Die Anciennität im Kämmereramt sowie im Geheimen Rat prägte weite Bereiche der Rangordnung am Kaiserhof. Siehe Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 191. 116 Schwarz, Imperial Privy Council (wie Anm. 102), S. 132. 117 Schwarz, Imperial Privy Council (wie Anm. 102), S. 130. 118 Leopold I. an den Grafen von Pötting, Wien, 02. 09. 1665, zitiert nach Alfred Francis Pribram/Moritz Landwehr von Pragenau (Hg.), Privatbriefe ­Kaiser Leopold I. an den Grafen f. E. Pötting (1662 – 1673), Bd. 1, Wien 1903, S. 156 f. 119 Leopold I. an den Grafen von Pötting, Wien, 03. 03. 1666, ebd., S. 206. 120 Die Geschichte der Geheimen Konferenz im 18. Jahrhundert bildet bislang ein Desiderat der Forschung. Siehe zur Geschichte des Gremiums unter Leopold I. Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), Zahlenangabe ebd., S. 205.

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Wallerstein und Vizepräsident Sebastian Wunibald von Waldburg-Zeil zählten.121 Nach gegenwärtigem Kenntnisstand handelte es sich dabei um Verfahren, in die europäische Mächte involviert waren und in denen das kaiserliche Gesandtschaftswesen zu aktivieren war.122 Der Regelfall blieb jedoch weiterhin eine Behandlung im Geheimen Rat, in dem für Prozesssachen offenbar eigene Sitzungstage angesetzt wurden.123 Als in vielerlei Hinsicht repräsentativ für die zweite Hälfte des 17. und die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts kann der Beschlussvermerk auf einem Votum zu einer Auseinandersetzung ­zwischen der Stadt Hamburg und der Königlich Schwedischen Regierung zu Bremen über die freie Schifffahrt auf der Elbe gelten, das das Reichshofratsgremium am 12. Oktober 1674 beschlossen und am 23. Oktober approbiert hatte. Es trägt folgenden Vermerk: Ihrer Kayserlichen Mayestät den 27. Decembris 1674 zu Wien im geheimben Rath vorgebracht und von Deroselben geschlossen worden, dem alhier anwesenden Schwedischen Ambassadeur der Statt angelegenheit durch Herrn Reichs-Vice-Cantzlern zu recommendiren. Praesentibus Celeberrimis, Excellentissimis et Illustrissimis Dominis Dominis Dominus Praeses a Dietrichstein Dominus Praeses a Schwarzenberg Dominus Comes a Lamberg Dominus Comes a Nostitz Dominus Comes a Staremberg Dominus Comes a Montecuccoli Dominus Comes a Dietrichstein Dominus Comes a Staremberg Dominus Comes a Zinzendorff Dominus Comes a Sprinzenstein Dominus Comes a Königsegg Dominus Comes a Wallenstein excepto Dominus Comes a Fürstenberg Dominus Comes in [!] Ötting. Secretario Högell manu propria.124

Gegenüber dem oben zitierten Beispiel von 1598 hat sich offensichtlich einiges geändert. Neben der ausdrücklich vermerkten Anwesenheit des Kaisers springt die Präsenzliste ins Auge, w ­ elche die Teilnahme von (neben dem K ­ aiser) 13 Personen 121 Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 195 f. 122 Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 354 f. 123 Thomas Fellner/Heinrich Kretschmayr (Bearb.), Die österreichische Zentralverwaltung, 1. Abt., Bd. 1 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 5), Wien 1907, S. 39. 124 ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 21.

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sowie die Abwesenheit zweier weiterer dokumentiert. Die Liste spiegelt die Sessionsordnung und damit auch die Reihenfolge der Stimmabgabe wider, die sich nach dem Zeitpunkt der Ernennung des Teilnehmers zum Geheimen Rat richtete.125 Der auf der Gelehrtenbank sitzende Reichshofrat Franz Friedrich von Andlern, der das Verfahren ausweislich der Resolutionsprotokolle als Referent bearbeitete,126 war nicht anwesend, sehr wohl jedoch Präsident Johann Adolf von Schwarzenberg, der das zweite Votum führte. Darüber hinaus ist dem Abwesenheitsvermerk zu entnehmen, dass regulär auch Reichshofratsvizepräsident Frobenius Maria von Fürstenberg und der auf der Herrenbank sitzende Reichshofrat Wolfgang IV. von Oettingen-­Wallerstein an der Sitzung teilgenommen hätten. Insofern bewegte sich der Teilnehmerkreis durchaus im Einklang mit der Reichshofratsordnung von 1654, ­welche die Anwesenheit des Präsidenten beim Referat der Vota obligatorisch vorschrieb, die der Referenten jedoch nur fakultativ vorsah. Insgesamt war der Geheime Rat an jenem Tag durchaus hochrangig besetzt. Den Hof repräsentierten beispielsweise Oberstkämmerer Gundaker von ­Dietrichstein, Ferdinand von Dietrichstein als Obersthofmeister der Kaiserin Claudia Felicitas und Albrecht von Zinzendorf, der Obersthofmeister der Kaiserinwitwe Eleonora. Das Militär war durch Hofkriegsratspräsident Generalleutnant Raimund von ­Montecuccoli und Generalfeldwachtmeister Ernst Rüdiger von Starhemberg, die erbländische Verwaltung durch den böhmischen Kanzler Johann Hartwig von Nostitz und den niederösterreichischen Statthalter Konrad Balthasar von Starhemberg vertreten. Daneben traten Diplomaten wie der vormalige Reichshofrat Johann ­Maximilian von Lamberg und als Repräsentanten der Reichskanzlei Vizekanzler Leopold ­Wilhelm von Königsegg und der protokollierende Sekretär Johann ­Ambrosius Högell. Letzterer war inmitten des Kaisers und von zwölf Grafen zugleich der einzige Sitzungsteilnehmer bürgerlicher Herkunft. Ihn deshalb als Subalternpersonal zu betrachten, wäre indes ein schwerwiegender Irrtum.127 Gegenüber dem oben zitierten Beschlussvermerk von 1598 („Placet hofraths guetachten. Ex Consilio Secreto…“ ) verleiht die Präsenzliste dem Vermerk von 1674 einen höheren Evidenzwert. So ließe sich beispielsweise durch eine Auswertung sämtlicher aus der Regierungszeit der K ­ aiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. überlieferten Präsenzlisten feststellen, ob es bei den zur Beratung von reichshofrätlichen Vota angesetzten Geheimratssitzungen einen festen Teilnehmerkreis gegeben 1 25 Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 293. 126 ÖS tA HHS tA, RHR , Resolutionsprotokolle, Bd. XVII /251, Bl.  172; zu Andlern Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 284 f. 127 Dies gilt auch für die übrigen Reichskanzleisekretäre, die aufgrund ihrer Anwesenheit in hochrangigen Entscheidungsgremien oft großen Einfluss besaßen. Zu Högel Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 236 – 239.

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hat oder nicht.128 Allerdings kann die Forschung nicht so tun, als gäbe es die oben zitierte Äußerung K ­ aiser Leopolds gegenüber seinem Gesandten in Spanien nicht. Danach ging eine Angelegenheit nur dann direkt in den Geheimen Rat, wenn sie vergleichsweise unwichtig war. Wurde sie hingegen als bedeutsam eingeschätzt, traf man in einer exklusiv besetzten Deputation eine Vorentscheidung und ließ das Ergebnis sodann im Geheimen Rat verabschieden. In ­welche dieser beiden Kategorien die Auseinandersetzung z­ wischen Hamburg und Schweden fiel, verrät einem der Beschlussvermerk jedoch nicht. Ob es über das Votum des Reichshofrats eine Diskussion gab, bleibt ebenso unklar wie noch 1598. Es lässt sich nicht einmal sagen, ob der normativ nirgends fixierte Verfahrensgang des Geheimen Rates eine Auseinandersetzung überhaupt ermöglicht hätte. Aufschlussreich ist in ­diesem Zusammenhang ein Blick auf die Geheime Konferenz, in der es nachweislich keine Diskussionen gegeben hat. Hier hatten sich die Teilnehmer nacheinander zur Sitzungsvorlage zu äußern, bis der ­Kaiser schließlich seine Entscheidung fällte. Ein Gremiumsmitglied konnte deshalb nicht auf Äußerungen von nach ihm votierenden Räten oder gar des Kaisers eingehen und seine Stellungnahme etwa modifizieren oder bekräftigen.129 Widerspruch gegen eine kaiserliche Willensäußerung war in ­diesem System nicht vorgesehen. Die Frage, ob die hochkarätige Besetzung der zur Beratung der Reichshofratsgutachten nach 1648 angesetzten Geheimratssitzungen nur deren Funktion als Akklamationsorgan bereits feststehender Entscheidungen stärken sollte oder womöglich noch andere Ursachen hatte, wird weiter unten noch einmal aufzugreifen sein.130 Festzuhalten bleibt zunächst folgende Beobachtung, an der die Reichshofratsakten aus der Zeit nach 1648 keinen Zweifel lassen: Der Geheime Rat billigte die Vota mit höchstens moderaten Änderungen nahezu ausnahmslos – ganz genauso, wie er das vor 1648 getan hatte. Aus ­diesem Befund einer an der Hundertprozentmarke kratzenden Zustimmungsrate wurde unlängst der Schluss gezogen, dass die Reichshofräte offenbar „unabhängiger und ihre Empfehlungen gewichtiger“ 131 gewesen s­eien, als man es in der Vormoderne vermuten sollte. Muss die Forschung also tatsächlich Johann Ludwig Klüber beipflichten, der sich schon 1832 darüber freute, dass „sich das Gewissen pflichtgetreuer Herrscher […] dem moralischen Zwang des Rechts […] nicht minder willig […] als jenes der 128 Mit vertretbarem Arbeitsaufwand wird eine ­solche Aufgabe allerdings erst nach einer Erschließung der den fraglichen Zeitraum abdeckenden Aktenserien des Reichshofrats zu leisten sein, da die Selektserie der Vota ad Imperatorem, wie oben bereits erwähnt, Gutachten aus dem Zeitraum vor 1766 nur in einer zufälligen, nicht repräsentativen Auswahl enthält. 129 Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 293. 130 Siehe unten bei Anm. 326. 131 Petry, Konfliktbewältigung (wie Anm. 20), S. 40.

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­Richter“  132 unterwarf? Allerdings zählt ein pflichtgetreuer Herrscher unter dem moralischen Zwang des Rechts nicht nur zu den langweiligsten, sondern auch zu den unwahrscheinlichsten Gestalten, die man sich als Historiker vorzustellen vermag. Eine Analyse des Personals und des Reichshofratsverfahrens muss zeigen, ob der habsburgische Wille zur Unterwerfung unter das Recht wirklich so hoch gewesen ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

VII.  Besetzung und Besoldungsstruktur des Reichshofrats – einige Bemerkungen zum Fehlen materieller Grundlagen richterlicher Unabhängigkeit Dass sich politische Beeinflussung der Justiz selbst in modernen Verfassungsstaaten vornehmlich im Wege der Personalpolitik vollzieht, ruft sich spätestens dann in Erinnerung, wenn am obersten Gerichtshof der USA wieder einmal eine Richterstelle zu vergeben ist. In der Frühen Neuzeit besaß die Prärogative zur Besetzung von Spruchkörpern angesichts der bereits angesprochenen Rechtsquellenvielfalt im Usus modernus 133 eine noch ungleich größere Bedeutung. Denn der damit verbundene, im Vergleich zur Gegenwart ungleich größere Entscheidungsspielraum von Gerichten bedeutete, dass sich die Spruchtätigkeit durch Gerichtsordnungen und andere Normen kaum wirkungsvoll einhegen ließ. Aus Sicht der Fürsten kam es deshalb immer und überall zuerst darauf an, an ­welche Personen sie ihr Richteramt delegierten. Dies verdeutlicht ein Blick auf das Reichskammergericht, dessen dreihundertjährige Geschichte von zähen Auseinandersetzungen um das zur Besetzung der Assessoren erdachte Präsentationssystem geprägt ist.134 Dass Justizpolitik in erster Linie Personalpolitik war, hatten auch die Habsburger begriffen, die ihre alleinige Prärogative zur Besetzung des Reichshofrats gegenüber den Ständen nicht von ungefähr mit Zähnen und Klauen verteidigten. Auf Grundlage der überlieferten Personalakten des Reichshofrats konnte Eva Ortlieb aufzeigen, mit welcher Akribie der Kaiserhof die Persönlichkeit, die Vorkarriere und den 132 Johann Ludwig Klüber, Die Selbstständigkeit des Richteramtes und die Unabhängigkeit seines Urtheils im Rechtsprechen im Verhältniß zu einer Preussischen Verordnung vom 25. Jänner 1823, w ­ elche das Recht der Entscheidung aller Streitfragen, betreffend den Sinn, die Anwendbarkeit, oder die Gültigkeit von Staatsverträgen dem Richteramt entzieht und dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zueignet, Frankfurt a. M. 1832, S. 72. 133 Vgl. Anm. 17. 134 Zum Präsentationssystem Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, T. I: Darstellung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 26), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 168 – 342.

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familiären Hintergrund von Kandidaten sezierte.135 Eher ging ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Jurist, der in der Vergangenheit mit einer ständisch-föderalen Interpretation der Reichsverfassung hervorgetreten war, in den Reichshofrat berufen worden wäre. Noch 1792 betrachtete es das Gremium erklärtermaßen als seine Aufgabe, „die kayserlichen Vorrechte und den Glanz der ansehentlichen Praerogativ des Obristen Richter-Amts im ganzen Römischen Reich und dazu gehörigen Landen im aufrechten Stand zu erhalten“.136 Zu skandalisieren ist daran allerdings nichts, zumal der Reichshofrat Zeit seines Bestehens weder als „eine Behörde im modernen Sinne“ noch ein „organisatorisch klar konturiertes Gericht“ 137 anzusprechen ist, sondern als kombiniertes Rechtsprechungs- und Verwaltungsorgan fungierte. Was wäre das für ein Lehnshof gewesen, dessen Räte die Interessen der Vasallen denjenigen ihres Herrn vorgezogen oder auch nur gleichgesetzt und damit ihren eigenen Zuständigkeitsbereich beschnitten hätten? Mit einem solchen Verhalten hätten die Reichshofräte nicht nur gegen ihren Eid („Ihrer Kayserlichen Mayestät Ehr und Nutzen zu beförderen, Nachtheil und Schaden nach euren besten Vermögen zu warnen und zu wenden“ 138), sondern auch gegen ihre wohlverstandenen Eigeninteressen verstoßen. Denn als Reichshofrat zählte man zu den Hauptnutznießern einer höfischen Belohnungsökonomie, die nur zum geringeren Teil auf regulären Gehaltszahlungen basierte,139 sondern sich vor allem im Zugriff auf allerlei Pfründe, Nobilitierungen und „ad personam“ ausgezahlte Gnadengelder realisierte. An dieser hier nicht näher zu analysierenden Gemengelage änderte sich auch im ausgehenden 18. Jahrhundert kaum etwas, so dass die Besoldungsstruktur am Reichshofrat im Vergleich etwa zu erbländischen Gerichtsbehörden jener Zeit zunehmend anachronistisch wirkte.140 Die Abwesenheit von Gewaltenteilung äußerte sich am Reichshofrat also auch darin, dass der kaiserliche Gerichtsherr prinzipiell jederzeit die Möglichkeit hatte, 135 Eva Ortlieb, Richter an den Höchstgerichten des Reiches, in: Gerald Kohl/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), RichterInnen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Auswahl, Ausbildung, Fortbildung und Berufslaufbahn, Wien 2014, S. 31 – 50, hier insb. S. 44 f. 136 So in einem undatierten Glückwunsch des Reichshofrats zur erfolgten Wahl Franz II. zum Römischen König in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 26. 137 So hingegen, bezogen schon auf die Mitte des 16. Jahrhunderts (!), bei Erwin, Machtsprüche (wie Anm. 47), S. 196. 138 Hier zitiert nach dem durch Präsident Ferdinand von Harrach 1751 geschworenen Eid in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 26, Bl. 38. 139 Zu letzteren Wolfgang Sellert, Besoldungen und Einkünfte der Richter am Kaiserlichen Reichshofrat, in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/ders. (Hg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge 23), Berlin/New York 2013, S. 267 – 294. 140 Hierzu bereits Gross, Reichshofkanzlei (wie Anm. 105), S. 133.

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Wohlverhalten einzelner Mitglieder zu belohnen, Dissens hingegen materiell zu sanktionieren. Den erbländischen Adel, der im 17. und 18. Jahrhundert die Herrenbank dominierte und der im Zweifelsfall immer noch auf seine Latifundien zurückgreifen konnte, mochte dies nicht in unmittelbar existenzbedrohender Weise tangieren. Ein im Reich rekrutierter Rat der Gelehrtenbank hingegen, der in Wien mit nichts als seiner Frau und seinem Hausrat angekommen war und dort zunächst einmal zur Miete wohnte, war darauf angewiesen, laufende Einkünfte zu generieren. Anderenfalls stand er vor dem ökonomischen Nichts.141 Selbstverständlich folgt aus diesen auf den Zusammenhang von Sein und Bewusstsein abhebenden Bemerkungen nicht zwangsläufig, dass man sich den Reichshofrat mit Hans Fehr als willfähriges Vollstreckungsorgan des Kaisers vorzustellen habe, zumal auch die Parteien im Rahmen einer weitgehend monetarisierten Sollicitatur zur Finanzierung einer standesgemäßen Lebensführung der Räte wesentlich beitrugen.142 Forschungen zur Verfahrensautonomie am Reichshofrat können an den materiellen Grundlagen der Existenz seiner Mitglieder jedoch nicht vorbeigehen. Zahlreichen Reichshofräten hat ihr Amt im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zu einem Reichtum verholfen, der mit den regulären Einkünften allein niemals zu erreichen gewesen wäre.143 Als notorischen Querulanten wäre ihnen dieser Aufstieg schwerlich gelungen.144

141 Es dürfte deshalb nicht allein mit der höheren Arbeitsbelastung der Gelehrtenbank zusammenhängen, dass deren Vertreter in der Parteienüberlieferung in großer Zahl als Empfänger von Bestechungsgeldern aufscheinen. Siehe als Fallstudie Tobias Schenk, Reichsjustiz im Spannungsverhältnis von oberstrichterlichem Amt und österreichischen Hausmachtinteressen. Der Reichshofrat und der Konflikt um die Allodifikation der Lehen in BrandenburgPreußen (1717 – 1728), in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge 23), Berlin/New York 2013, S. 103 – 219, hier S. 133 – 143. 142 Die Reichshofratsforschung hat die weitreichende Bedeutung der Sollicitatur bislang jedoch nur unzureichend erfasst. Siehe hierzu die in Anm. 60 in Aussicht gestellte Studie. 143 Hierzu mit Blick auf das frühe 18. Jahrhundert Hugo Hantsch, Reichsvizekanzler ­Friedrich Karl von Schönborn (1674 – 1746). Einige Kapitel zur politischen Geschichte ­Kaiser Josefs I. und Karls VI. (Salzburger Abhandlungen und Texte aus Wissenschaft und Kunst 2), Augsburg 1929, S. 122. 144 Vgl. den Hinweis bei Martin Sellmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit – ihre Vorstufen und dogmatischen Grundlagen, in: Helmut R. Külz/Richard Naumann (Hg.), Staatsbürger und Staatsgewalt. Verwaltungsrecht und Verwaltungs­ gerichtsbarkeit in Geschichte und Gegenwart. Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichtes, Bd. 1, Karlsruhe 1963, S. 25 – 86, hier S. 37: Wenn der „Richter Glied einer Gesellschaftsschicht ist, die dem Neuen gegenüber etwas von ihren

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VIII.  Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten im Verfahren des Reichshofrats (I) – zur Aushöhlung des Kollegialprinzips durch ein übermächtiges Präsidium 1.  Das nachgesetzte Haupt – zur semantischen Aufladung des Präsidentenamtes in den Reichshofratsordnungen des 17. Jahrhunderts Legten es die personelle Besetzung und die Besoldungsstruktur nahe, dass der Reichshofrat seiner Arbeit stets eine kaiserlich-hierarchische Interpretation der Reichsverfassung zugrunde legen würde, so war dies aus habsburgischer Sicht zwar gut und schön, jedoch keineswegs ausreichend. Das Dilemma hatte Leopold I. 1665 auf den Punkt gebracht, als er bekannte, machtpolitische Interna nicht in größeren Gremien, sondern nur mit fünf bis sechs handverlesenen Räten besprechen zu können.145 Der Reichshofrat war allerdings ein größeres Gremium, dessen Mitgliederzahl ­zwischen der Mitte des 17. und dem Ausgang des 18. Jahrhunderts ­zwischen 12 und 34 schwankte.146 Aus reichsrechtlichen Gründen sowie mit Blick auf den zunehmenden Geschäftsanfall konnte der ­Kaiser die Mitgliederzahl weder beliebig reduzieren noch eine Abteilung in Senate vornehmen. Folglich ging jede Angelegenheit, mit der man den Reichshofrat als Gremium befasste, direkt ins ­Plenum und wurde dort allen anwesenden Räten und den protokollierenden Reichskanzleisekretären bekannt. Unter den Bedingungen höfischer Kommunikation, die sich auf alles Mögliche, jedoch gewiss nicht auf „Verschwiegenheit“ reimten, hätte der ­Kaiser seine Interna demnach auch direkt in eine der gerade mit Macht aufkommenden Zeitungen setzen können. Waren die Habsburger nicht vollständig verkalkt, standen sie also vor einer Herausforderung, die die moderne Organisationssoziologie als Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten bezeichnen würde.147 Wie aber stellte man es unter permanenter reichsständischer Beobachtung an, dass ein aus bis zu 34 Räten bestehender Spruchkörper Entscheidungen fällte, die er in Wirklichkeit gar nicht getroffen hatte, sondern die stattdessen in einem viel kleineren Kreis handverlesener Funktionsträger ausgehandelt worden waren? Wie schmiedete man den Willen Weniger, die dem Gremium womöglich nicht einmal angehörten, in einen kollegialen „Gesamtwillen“ um? War das unter den Bedingungen einer sich v­ erdichtenden ­ berkommenen Vorrechten aufgeben soll, so kann er schließlich zu einem retardierenden, ü neue und bessere Ideen hemmenden Element werden“. 145 Siehe oben Anm. 118. 146 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 69. 147 Siehe beispielsweise Karl E. Weick, Der Prozeß des Organisierens, Frankfurt a. M. 1995, S. 27 – 30.

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Reichsverfassung überhaupt möglich, oder musste es eine nie zu realisierende Allmachtsphantasie bleiben? Ansetzen konnten die K ­ aiser bei der feststehenden Tatsache, dass jedes Kollegialorgan notwendig über eine gewisse hierarchische Binnengliederung verfügen muss. Schließlich ist eine Umfrage durch einen Vorsitzenden zu leiten und hat in einer bestimmten Reihenfolge stattzufinden. Auch der Wortlaut des Kollegialbeschlusses ist nicht einfach da, sondern muss durch eine Person erklärt werden. Wie jeder Jurist wusste, blieb deshalb die „Collegialverhandlung rechtlicher Anordnung und Leitung des vorhandenen Vorsitzers oder seines Stellvertreters unterworfen“.148 Vor ­diesem Hintergrund konnte man als Gerichtsherr auf den Gedanken verfallen, die Befugnisse des Präsidiums im Geschäftsgang soweit auszubauen, dass vom Kollegialprinzip im Extremfall nur ein „Zweigespann“ 149 von Vorsitzendem und Referent übrigblieb und der Rest des Gremiums zu Statisten degradiert wurde. Die zweite Möglichkeit zur Aushöhlung des Kollegialprinzips bestand in der Bildung außerordentlicher Deputationen, die der Rechtsgeschichte aus gutem Grund als „Synonym für eine abhängige Justiz“ 150 gelten. Schließlich entzog man die Parteien auf diese Weise insgeheim ihrem gesetzlichen Richter, indem man die Entscheidungsfindung aus dem eigentlich zuständigen Gremium auslagerte und sie an eine als Sondergericht tätige Kommission überwies. Ein Maximum an politischer Effektivität verhieß demnach die Kombination eines starken Präsidiums mit der Einrichtung von Deputationen – stets unter der Voraussetzung, dass man intelligent genug war, beide Instrumente nicht in der Akten- und Protokollüberlieferung des zu unterminierenden Gerichts sichtbar werden zu lassen. Ganz im Verborgenen konnte man freilich nicht agieren, denn zumindest die Befugnisse des Präsidiums bedurften einer normativen Setzung. Dabei genügt ein kursorischer Blick auf die Reichshofratsordnungen, um zu erkennen, dass die Habsburger mit ihren Präsidenten wahrhaft Großes vorhatten. Durchgängig seit 1617 wird der K ­ aiser darin als das Haupt und der Präsident als das nachgesetzte Haupt des Reichshofrats bezeichnet.151 Man hat hier eine höchst bemerkenswerte, im Bereich der frühneuzeitlichen Verwaltung und Justiz so gut wie nirgends vorkommende Formulierung vor sich, die allerdings schon durch die Forschung des 19. Jahrhunderts nicht mehr verstanden wurde und deshalb bis heute gänzlich 148 Christian Wilhelm Wehrn, Theoretisch-praktisches Handbuch der Referirkunst, Bd. 3, Leipzig 1802, S. 132. 149 Ernst, Rechtserkenntnis durch Richtermehrheiten (wie Anm. 27), S. 320. 150 Ulrike Müssig, Gesetzlicher Richter ohne Rechtsstaat? Eine historisch-vergleichende Spurensuche (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin 182), Berlin 2007, S. 14. 151 Ordnung von 1617, Tit. I, zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 158 und 160. Wortgleich in der Ordnung von 1654, Tit. I § 4, zitiert nach ebd., Bd. 2, S. 67.

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unkommentiert geblieben ist. Theologen wäre jedoch womöglich aufgefallen, dass sich die K ­ aiser bei jesuitischen Predigten und Katechismen der Gegenreformation bedient hatten, wo die Formel vom nachgesetzten Haupt stets auf den Apostel ­Petrus als den weltlichen Statthalter Jesu Christi bezogen war: „Der wahren ­Kirchen höchstes Ober-Haupt ist Christus: welcher aber zu Erhaltung nothwendiger Einigkeit nach seinem Hintrit zum Vatter ein sichtbares nachgesetztes unnd in Erklärung der Glaubens-Sachen unfehlbares Ober-Haupt, nemblich den heiligen Petrum verordnet.“ 152 Die Statthalterschaft des Simon Petrus fußte letztlich auf der Vorstellung der Realpräsenz, die der Apostel Paulus im ­Ersten Brief an die Korinther entwickelt hatte: Petra autem erat Christus – der Fels aber war Christus (1. Korinther 10, 4). Daraus folgte, wie man wiederum bei den Jesuiten nachlesen konnte, „unwidersprechlich, daß […] die Apostel dem Hirtenstab des Petri seyen underworffen unnd Petrum zu einem Regirer, Underhirten und nachgesezten Haupt über den gantzen Schaffstall und Herd Christi seye gesetzt worden.“ 153 Durch die Ordnungen von 1617 und 1654 erfuhr das Präsidentenamt also eine semantische Aufladung, wie man sie in kaum einem anderen Normtext einer weltlichen Behörde der Vormoderne finden dürfte.

2.  „…daß keine für diesen Hof unangenehme Sache zu Ende komme“. Zur politischen Funktion des Präsidiums im Verfahren des Reichshofrats Doch damit der Unterhirte den ganzen Schafstall auch tatsächlich in den Griff bekam, beließen es die Habsburger, die mit Bedacht alle reichsständischen Versuche einer Einflussnahme auf die Formulierung der Reichshofratsordnung konsequent abgewehrt hatten,154 nicht bei Anspielungen. Vielmehr platzierten sie den Präsidenten an allen wichtigen Schaltstellen des Geschäftsganges, ohne dabei irgendwelche Kontrollmechanismen einzubauen. Flankiert wurde dies von einer Personalpolitik, die sich wesentlich vom Reichskammergericht unterschied, wo die ebenfalls vom ­Kaiser eingesetzten Kammerrichter bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein dem „klassischen Präsidententyp“ entsprachen, „der neben seiner hohen Standeseigenschaft und der richtigen Konfession nur ein sehr fragmentarisches 152 Tobias Lohner, Allgemainer Hauß-Cathechismus. Das ist kurtze und gründliche Erklärung aller derjenigen Lehren, w ­ elche ein jeder Christgläubiger Mensch zu Erhaltung und Beschützung seines Glaubens wissen und sonderlich in Obacht nemmen soll, München 1685, S. 851. 153 Laurenz Forer, Leben Iesu Christi. Aus den Heyligen vier Evangeliste mit Glaubens- und Lebens-Lehren, auch liebreichen Tröstungen und sonderbaren Gebetten […], Dillingen 1653, S. 138. 154 Zur Entstehungsgeschichte der Reichshofratsordnung von 1654 Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 12 – 45.

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juristisches Studium und keinerlei juristische Vorkarriere aufzuweisen hatte“.155 In auffälliger Abweichung hiervon besetzten die ­Kaiser das Amt des Reichshofratspräsidenten frühzeitig und nach 1648 praktisch durchgängig mit Männern, die Standesqualität und Katholizismus mit juristischem Sachverstand vereinten, die den Hirtenstab also nicht allein bei zeremoniellen Anlässen zu schwingen wussten, sondern die tatsächlich in der Lage waren, ein Gericht fachlich zu leiten und gegebenenfalls auch heikle Aufträge auf juristisch geräuschlose Weise zu erledigen.156 Allerdings illustriert es einmal mehr die völlig unzureichende Durchdringung kollegialer Rechtserkenntnis, dass der Einfluss des Präsidenten auf das Verfahren bislang als gänzlich unerforscht zu gelten hat. Die Literatur beschränkt sich zumeist auf die Feststellung, der Präsident habe die Umfragen geleitet und bei Stimmengleichstand über ein Votum decisivum verfügt.157 Eine Studie, die diese Lücke schließen möchte, hat zweierlei zu leisten. Sie hat die Stellung des Präsidenten nicht nur innerhalb des Reichshofratsgremiums, sondern auch innerhalb des höfischen Kommunikationsgefüges zu bestimmen, denn nur auf diese Weise ist zu klären, von wem die Amtsinhaber ihre Anweisungen bekamen, welcher Art diese Befehle waren und in welchem Umfang das Gremium diesen Befehlen auch tatsächlich nachkam. Ein substantieller Beitrag zur Frage von Verfahrensautonomie und richterlicher Unabhängigkeit am Reichshofrat wird daraus nur dann werden, wenn sich die Untersuchung nicht auf einzelne Verfahren beschränkt, sondern über eine entwicklungsgeschichtliche Tiefendimension verfügt, die den gesamten rund 250 Jahre umfassenden Wirkungszeitraum des Reichshofrats umfasst. Es liegt auf der Hand, dass dies im Rahmen eines Aufsatzes nicht zu leisten ist. Mehr als eine problemorientierte Einführung kann im Folgenden also nicht geboten werden. Dabei ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass man die politische Bedeutung des Präsidentenamtes am Reichshofrat nicht erfassen wird, solange man sich im Banne der Vorstellung von Machtsprüchen befindet. Die Funktion des Präsidiums, soviel sei vorweggenommen, bestand im Regelfall keineswegs darin, vom K ­ aiser in 1 55 Jahns, Reichskammergericht (wie Anm. 134), Bd. 1, S. 132. 156 In Ermangelung neuerer Studien ist zu verweisen auf Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2). 157 So etwa bei Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 66 f. Neuere Darstellungen gehen kaum über die dort gemachten Angaben hinaus. So bietet beispielsweise Ehrenpreis, Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt (wie Anm. 104), S. 105 – 108 zwar aufschlussreiche Einblicke in das soziale und intellektuelle Profil der Präsidenten unter Rudolf II., ohne indes Angaben über die konkreten Amtsfunktionen des Präsidenten zu machen. Eine Ausnahme bildet lediglich die Arbeit von Hartmann-Polomski, Regelung der gerichtsinternen Organisation (wie Anm. 39), S. 56 – 83. Dort werden die Befugnisse des Präsidenten allerdings nur aus dem Blickwinkel der Verfahrensbeschleunigung betrachtet, ohne eventuelle Folgen für die Autonomie richterlicher Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

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die Feder diktierte Willkürurteile durch das Gremium zu peitschen. Angesichts der begrenzten machtpolitischen Ressourcen des Kaisertums sind die Gründe hierfür zu klar, als dass man sich lange mit ihnen aufhalten müsste. Reichspolitisch irgendwie verwertbare Willkürurteile hätten sich aus Sicht des Kaisers nur gegen größere Reichsstände richten können, gegen die man aber selbst „normale“ Urteile kaum durchzusetzen vermochte. Die muntere Publikation von nicht exekutierbaren Willkürurteilen hätte deshalb zu nichts anderem als einer Desavouierung des oberstrichterlichen Amtes geführt. Die Suche nach Machtsprüchen würde die Reichshofratsforschung also in die Irre führen, was jedoch nicht heißen soll, dass es am Kaiserhof keine massive Wechselwirkung ­zwischen Recht und Politik gegeben habe. Um dieser Interdependenz auf die Spur zu kommen, könnte man an die Erkenntnis Knut Wolfgang Nörrs anknüpfen, dass sich die richterliche Herrschaft über römischrechtliche Verfahren vor allem in einem weitgehenden Einfluss auf dessen Länge und damit auch auf dessen Kosten geäußert habe.158 Über das den Zivilprozess strukturierende Terminsystem konnten nicht nur die Parteien, sondern auch der Richter Prozessverschleppung betreiben. Dass sich eine Reichshofratsforschung, die sich anstelle von Machtsprüchen für Justizverweigerung interessierte, womöglich auf der richtigen Fährte befände, verdeutlicht eine Äußerung des Stuttgarter Reichspublizisten Benjamin Ferdinand Mohl, der die Reichshofratspräsidenten 1789 als Inhaber eines politischen Amtes charakterisierte und ihnen die Aufgabe zuschrieb, dafür zu sorgen, „daß keine für diesen Hof unangenehme Sache zu Ende komme“.159

3.  Das Präsidium im Verfahren (1): Posteingang und Präsentatum Untersucht man die Bedeutung des Präsidentenamtes aus der von Mohl nahegelegten Perspektive, hat man in einer Phase des Verfahrens anzusetzen, deren Bedeutung durch die Forschung bislang weder erfasst geschweige denn analysiert wurde: dem Beginn. Denn dass Verfahren in der sukzessiven Reduktion von Optionen bestehen, so dass am Ende nur noch eine, eben die Entscheidung, übrigbleibt, ist beileibe keine Erkenntnis, die erst Niklas Luhmann gekommen wäre.160 Schon in der Frühen Neuzeit bildete es einen elementaren Bestandteil fürstlichen Herrschaftswissens, dass man rechtzeitig einzugreifen hatte, um zu verhindern, dass einem unangenehme Sachen über den Kopf wachsen. Nicht von ungefähr war die Öffnung eingehender Post in der Vormoderne – ganz im Gegensatz zur G ­ egenwart – vielerorts 1 58 Nörr, Prozessrecht (wie Anm. 1), S. 227. 159 Benjamin Ferdinand Mohl, Historisch-politische Vergleichung der beyden höchsten Reichsgerichte in ihren wichtigsten Verhältnissen, Ulm 1789, S. 9. 160 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 44 f.

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Chefsache.161 Schließlich bestand der Charme fehlender Gewaltenteilung aus Sicht des Fürsten gerade in der Prärogative, ob der Posteingang auf die Via Juris, den Ministerialweg oder aber in den Papierkorb zu befördern war. Auch am Kaiserhof war es mitnichten eine aktenkundliche Petitesse, dass die Parteien ihre Schriftsätze an die Person des Kaisers und nicht etwa an den Reichshofrat selbst zu adressieren hatten.162 In welcher Form das Reichsoberhaupt ein Anliegen bearbeitete – ob es das selbst tat, eine Behörde damit betraute und ­welche Behörde es hierzu gegebenenfalls auswählte – entschied nicht die Partei, sondern der Kaiserhof. Wenngleich dessen Prärogative in Justizsachen nach 1648 gewissen reichsrechtlichen Beschränkungen unterlag, ist nicht zu übersehen, dass es bis 1806 niemals eine klare Abgrenzung der Kompetenzen ­zwischen dem Reichshofrat und dem Geheimen Rat, der Reichskanzlei, der österreichischen Hofkanzlei, der Hofkammer, dem Hofkriegsrat und dem kaiserlichen Kabinett gegeben hat.163 Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde eine große Zahl eingehender Suppliken zunächst im kaiserlichen Kabinett präsentiert, um von dort an die vom Herrscher als zuständig erachteten Hofstellen, u. a. den Reichshofrat, weitergeleitet zu werden.164 Umgekehrt sind noch aus den 1780er-Jahren Fälle dokumentiert, in denen der Präsident dem K ­ aiser von einer Beratung eingehender Materien im Reichshofrat aus politischen Gründen abriet und eine Behandlung auf anderer Ebene nahelegte.165 Da der Kaiserhof zu keinem Zeitpunkt ein zentrales Posteingangsbuch geführt hat, folgt hieraus, dass empirische Aussagen zu einer möglichen Diskrepanz ­zwischen Justizgewähranspruch und tatsächlicher Erledigung überhaupt nicht möglich sind. In der Forschung herrscht bislang jedoch die irrige Ansicht vor, mit den reichshofrätlichen Resolutionsprotokollen in Justiz- und Gnadensachen eine zuverlässige Quelle über den Geschäftsanfall zu besitzen.166 Dabei dokumentieren diese Protokolle nicht mehr und nicht weniger als die Bearbeitung von Materien, die es zuvor durch einen zweifachen Filter geschafft hatten, indem sie erstens am Kaiser­hof dem Reichshofrat zugeschrieben wurden und dort zweitens zur B ­ eratung 161 Michael Hochedlinger, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit (Historische Hilfswissenschaften), Wien/München 2009, S. 66. 162 Hierzu Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae (wie Anm. 9), S. 141. 163 Siehe in d ­ iesem Zusammenhang beispielsweise Lothar Gross, Der Kampf z­ wischen Reichskanzlei und österreichischer Hofkanzlei um die Führung der auswärtigen Geschäfte, in: Historische Vierteljahrsschrift 22 (1924/25), S. 279 – 312. 164 Reinöhl, Kabinettskanzlei (wie Anm. 48), S. 242 – 249. 165 Siehe Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 125 – 127. 166 So etwa bei Sabine Ullmann, Um der Barmherzigkeit Gottes willen: Gnadengesuche an den ­Kaiser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Rolf Kiessling/dies. (Hg.), Das Reich in der Region während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Forum Suevicum 6), Konstanz 2005, S. 161 – 184, hier S. 181.

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im Plenum gelangten. Dass Letzteres geschah, wird gemeinhin unhinterfragt für selbstverständlich gehalten. Auf diese Weise müsste man nahezu zwangsläufig zu der Annahme gelangen, es habe sich beim Reichshofrat um eine hocheffektive Behörde mit Erledigungszahlen nahe der Hundertprozentmarke gehandelt. Wie unzutreffend eine s­ olche Vermutung wäre, mag der Hinweis auf einen 1766 intern verfassten Bericht eines Reichshofrats von der Gelehrtenbank illustrieren, wonach das Gremium schon seit langem „der Menge der Sachen nicht gewachsen“ 167 sei, so dass die Mehrzahl (!) der Verfahren schlichtweg liegenbleibe. Der Forschung blieb die Brisanz dieser Zustände bislang verborgen, da sie sich mit jenen Amtsbüchern noch gar nicht befasst hat, die im Gegensatz zu den Resolutionsprotokollen über den Geschäftsanfall am Reichshofrat (wohlgemerkt: nicht am Kaiserhof ) tatsächlich Aufschluss geben. Dabei handelt es sich um die 1612 einsetzende Reihe der Posteingangsbücher (Exhibitenprotokolle). Eine statistische Auswertung dieser Bände führt zu der Erkenntnis, dass sich die Zahl der am Reichshofrat präsentierten,168 d. h. vom Reichshofrat als Eingang akzeptierten Schriftsätze in den 150 Jahren ­zwischen 1616 und 1766 von 1.152 auf 5.619 verfünffachte.169 Berücksichtigt man zudem, dass im gleichen Zeitraum auch der Umfang sowie die rechtswissenschaftliche Dichte der Schriftsätze erheblich zunahm, wird die zitierte Klage verständlich. Nach 1648 sahen sich die Reichshofräte in zunehmendem Maße außer Stande, der Reichshofratsordnung Genüge zu tun und die eingehenden Schriftsätze „nach leng verstendiglich“ 170 zu lesen. Mit den vorhandenen personellen Ressourcen war dies schlichtweg unmöglich. Ohne eine Berücksichtigung dieser Diskrepanz ­zwischen Justizgewähranspruch und tatsächlicher Erledigung muss nicht nur die Funktion des Präsidentenamtes, sondern der Reichshofratsprozess insgesamt unverstanden bleiben. Dies gilt zunächst für die Prozessstrategien der Parteien, die sich damit konfrontiert sahen, dass auch am Reichshofrat die Sollicitatur,171 also das außergerichtliche Anhalten um Verfahrensbeschleunigung, zu den wesentlichen Grundlagen der „Prozessökonomie“ 172 zählte. Ein nicht beständig sollicitiertes Verfahren hatte bis 1806 praktisch 167 ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 29. 168 Zum Präsentatum siehe unten bei Anm. 177. 169 Zu verweisen ist auf die detaillierte Auswertung der Exhibitenprotokolle in der in Anm. 60 angekündigten Monographie des Verfassers. 170 So in der Reichshofratsordnung von 1559. Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 31. 171 Eine Studie zur Sollicitatur am Reichshofrat liegt bislang nicht vor. Siehe zum Vergleich Bengt Christian Fuchs, Die Sollicitatur am Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 40), Köln/Weimar/Wien 2002. 172 Vgl. Matthias Pflughaupt, Prozessökonomie. Verfassungsrechtliche Anatomie und Belastbarkeit eines gern bemühten Arguments (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht

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keine Chancen auf Bearbeitung. Darüber hinaus kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass zahlreiche Reichshofräte die Sollicitatur allen anderslautenden Regelungen der Reichshofratsordnung zum Trotz weitgehend monetarisiert hatten, dass sie sich also von den Agenten für die Erstellung einer Relation in den ihnen zugeteilten Verfahren bezahlen ließen und bei ausbleibenden Zuwendungen nicht tätig wurden. Sofern sich diese Zahlungen nicht auf die Beeinflussung des Tenors, sondern „nur“ darauf richteten, ein Verfahren den zahlreichen anderen Prozessen vorzuziehen, nahm daran bis in josephinische Zeit in der Regel auch niemand Anstoß. Den im Gremium herrschenden Common Sense fasste Reichshofrat ­Nikolaus Christoph Lyncker 1709 folgendermaßen zusammen: „Ob von den Partheyen und welcher gestalt etwas zu hoffen, muß ein jeder [Reichshofrat] wißen und weßen er sich resolviren wolle.“ 173 Mit Blick auf neuere Studien zur Justiznutzung, die den Stellenwert von Endurteilen aus Sicht der Parteien vergleichsweise gering veranschlagen,174 ließe sich also durchaus fragen, ob sich die Forschung tatsächlich der Ressourcen bewusst ist, die an einem notorisch überlasteten Gericht aufzubieten waren, um ein Verfahren über Jahre hinweg bis zu einem Endurteil zu führen. Die Analyse von Prozessstrategien setzt eine Kenntnis des Verfahrens und der gremieninternen Entscheidungsprozesse voraus, über die die Forschung zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum verfügen dürfte. Es dürfte stets zahlreiche Parteien gegeben haben, die sehr wohl ein Urteil anstrebten, jedoch nicht in der Lage waren, auf dem „so erschrecklich ungebahnten Weg Rechtens“ 175 ein solches zu erlangen, so dass sie sich schließlich mit Zwangsvergleichen nach dem Recht des Stärkeren zu begnügen hatten. Auch dieser bislang kaum beachtete Aspekt gehört zur Rechtskultur des Alten Reiches.176 Zunächst gilt es jedoch zu betonen, ­welche Macht die angedeutete Diskrepanz ­zwischen Justizgewähranspruch und Erledigung dem Reichshofrat und dessen einzelnen Mitgliedern einräumte. Sie trafen tagtäglich nicht nur Entscheidungen in 82), Tübingen 2011. 173 So in einem Schreiben an den sachsen-weimarischen Geheimen Rat und Vizekanzler ­Heidenreich vom 12. 10. 1709, zitiert nach: Patriotisches Archiv für Deutschland 11 (1790), S. 550 – 556, hier S. 553. 174 So etwa, allerdings mit Blick auf das 16. Jahrhundert, Sabine Ullmann, Geschichte auf der langen Bank. Die Kommissionen des Reichshofrats unter ­Kaiser Maximilian II. (1564 – 1576) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 214), Mainz 2006. 175 Wilhelm August Rudloff, Unpartheiischer Bericht von dem Turnus oder der persönlichen Reihe im Referiren an Kaiserlichen und Reichs-Cammergericht, o. O. 1771, S. 13. 176 Dass es auch am Reichshofrat zumindest phasenweise in größerem Umfang politischen Erwägungen geschuldete Zwangsvergleiche gegeben hat, in die K ­ aiser und Präsidium direkt involviert waren, wird in der in Anm. 60 angekündigten Studie dargelegt werden.

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zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, sie mussten auf einer viel grundsätzlicheren Ebene auch darüber entscheiden, w ­ elche Verfahren überhaupt bearbeitet werden und ­welche liegen bleiben sollten. Da sich die Forschung bislang nahezu ausschließlich für die tatsächlich bearbeiteten Verfahren interessiert, ist dieser wichtige Bestandteil richterlicher Entscheidungsfindung nahezu völlig außer Betracht geblieben. Dass die Parteien im Wege der Sollicitatur auf die Priorisierung der zu bearbeitenden Prozesse erheblichen Einfluss nehmen konnten und dies auch tatsächlich taten, ist nicht zu bezweifeln. Allerdings stellt sich jenseits der im Rahmen der Sollicitatur gegenüber den Parteien geltend gemachten finanziellen Forderungen einzelner Reichshofräte die Frage, w ­ elche Instrumente das notorisch überlastete Gremium darüber hinaus zur Erstellung der unumgänglichen „Rangordnung“ 177 unter den Verfahren anwandte, w ­ elche Rolle das Präsidium hierbei spielte und ob die hierbei gleichsam „aussortierten“ Verfahren nicht nur finanziellen und prozessökonomischen, sondern auch politischen Erwägungen zum Opfer fielen. Hierzu muss noch einmal zum Moment der Öffnung eingehender Post zurückgekehrt werden. Denn wenn die Exhibitenprotokolle oben als die zentrale Quelle für die Erforschung des Geschäftsanfalls am Reichshofrat bezeichnet wurden, muss sogleich eingeschränkt werden, dass auch diese Bände bereits das Ergebnis eines gremieninternen Filterprozesses darstellen. Denn die Voraussetzung für den Eintrag eines Schriftstückes in den Protokollen bildete der zeitgenössisch als Präsentatum bezeichnete Posteingangsvermerk, der auf dem hinteren äußeren Mantel des Schriftstücks angebracht wurde und der aus dem Behördentitel, das heißt diversen Schreibvarianten von „Reichshofrath“, und dem Tagesdatum bestand. Dieser Vermerk ist so klein und unscheinbar, dass er von der Forschung in der Regel ignoriert wird. Dabei steht er für den Beginn des gesamten Verfahrens, denn ohne Präsentatum existierte ein Schriftstück für den Reichshofrat nicht. Der mit dem Vollzug des Präsentatums betraute Funktionsträger erhielt demnach nicht allein Einblick in sämtliche Neueingänge, sondern hatte letztmalig die Gelegenheit, ein Verfahren vor dem Reichshofrat zu verhindern, indem er das Schriftstück einer anderen Instanz zuschrieb oder es schlicht bei sich behielt. Es war demnach alles andere als eine Petitesse, dass die Kompetenz zur Öffnung von in Justizsachen eingehender Post in einem hier nicht detailliert zu beschreibenden Prozess während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts schrittweise, wenngleich nicht vollständig, so doch weitgehend, vom Reichsvizekanzler auf den Reichshofratspräsidenten überging.178 Es illustriert die hiermit verbundene 177 So mit Blick auf die Sollicitatur am Reichskammergericht Rudloff, Bericht (wie Anm. 175), S. 11. 178 Allerdings wurde ein Teil der in der Folge vom Reichshofrat bearbeiteten Eingänge auch weiterhin vom Reichsvizekanzler präsentiert. Hierfür sorgte u. a. ein Gemeiner Bescheid

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Macht, dass diese Entwicklung nicht nur mit scharfen Konflikten z­ wischen beiden Amtsträgern einherging, sondern schon bald auch die Reichsstände auf den Plan rief. Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war angefüllt mit Klagen, der Präsident halte politisch unliebsame Eingänge zurück und unterbinde so deren Eintrag ins Exhibitenprotokoll. Die 1644 auf Antrag Bayerns erhobene Forderung des Kurkollegs, dem Präsidenten „zur Abschneid- und Verhütung allerhand Verdachts“ 179 bei der Öffnung der Post einen Beisitzer aus dem Gremium zur Seite zu stellen, blockte der ­Kaiser jedoch ab. Somit galt am Reichshofrat bis 1806 bei der ersten Schaltstelle des Geschäftsgangs das Zwei-Augen-Prinzip. Inwieweit die in den Kriegsjahren von ständischer Seite erhobenen Vorwürfe einer bewussten Unterschlagung unliebsamer Eingänge berechtigt waren, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Angesichts der nach 1648 zu beobachtenden fachlichen Professionalisierung der reichshofrätlichen Arbeitsweise 180 ist vorderhand nicht zu erwarten, dass sich die Präsidenten weiterhin eines derart plumpen Instru­ ments der Justizverweigerung bedienten. Schließlich hätte sich beispielsweise das Corpus Evangelicorum sehr wohl auch auf anderem Wege bemerkbar zu machen gewusst, wenn der Reichshofrat dessen Schriftsätze einfach hätte „verschwinden“ lassen. Allerdings hat man davon auszugehen, dass das Präsentatum bis 1806 keinen Automatismus bildete, sondern durch den Präsidenten mit Bedacht gesetzt wurde. Dies belegt noch für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zeitgenössische Ratgeberliteratur, die Agenten empfahl, sich mit abgelehnten Schriftsätzen direkt an den K ­ aiser zu wenden, um auf ­diesem Wege einen Eintrag im Exhibitenprotokoll zu erwirken.181 Mit Blick auf die Frage nach dem Evidenzwert der Reichshofratsakten gilt es indes zu betonen, dass diese der Forschung keinerlei Instrumentarium bereitstellen, um die Menge abgelehnter Eingänge zu bemessen. Nicht präsentierte ­Schriftstücke gelangten nicht nur nicht ins Eingangsprotokoll, sondern wurden auch nicht zu von 1631, nach dem die Agenten der Reichsstände alle „den Statum publicum“ betreffenden Eingänge bei dem auch als Vizepräsident des Reichshofrats fungierenden Reichsvizekanzler Peter Heinrich von Stralendorff einzureichen hätten. Zitiert nach Oestmann, Gemeine Bescheide (wie Anm. 9), S. 37. Detailliert wird der Posteingang in der in Anm. 60 angekündigten Studie analysiert werden. 179 Zitiert nach Friedrich Carl Moser, Pragmatische Geschichte und Erläuterungen der kayserlichen Reichs-Hof-Raths-Ordnung, Bd. 2, Frankfurt a. M., Leipzig 1752, Bd. 2, S. 362. 180 Hinsichtlich des Posteinganges ist die Reichshofratsordnung von 1654, Tit. III § 1 einschlägig. Danach hatten die Reichshofratsagenten ihre Schriftsätze beim Reichshofratstürhüter einzureichen, der sie wiederum an den Präsidenten weiterleitete. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 131 f. 181 Christoph Heinrich Schweser, Des klugen Beamten auserlesenes und nach dem heutigen Curial-Stylo wohl-eingerichtetes Formular-Buch […], Bd. 2, Nürnberg 1760, S. 1.

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jenen Akten genommen, w ­ elche heutigen Tags die empirische Grundlage der Forschung bilden. Sie wurden entweder der Partei wiederum ausgehändigt oder verblieben zunächst in der Wohnung des Präsidenten, um von dort womöglich eines Tages in die Papiermühle zu wandern. So ließe sich mit Blick auf den Zeitraum nach 1648 etwa fragen, ob das nahezu völlige Verschwinden von Untertanensuppliken, die im 16. Jahrhundert noch einen so großen Anteil am Arbeitsaufkommen des Reichshofrats gebildet hatten, wirklich nur mit dem fortschreitenden territorialen Staatsbildungsprozess und der damit einhergehenden Mediatisierung der Untertanen von direkten Einwirkungen der Reichsgewalt zusammenhängt.182 Hätte man nicht zumindest aus den Reichsstädten, in denen der ­Kaiser nicht nur als oberster Richter, sondern auch als Stadtherr fungierte, ein konstant hohes Supplikenaufkommen erwarten können? Wurde die Annahme d ­ ieses finanziell uninteressanten „Kleinkrams“ womöglich aus prozessökonomischen Gründen verweigert? Vielleicht – vielleicht auch nicht. Ohne damit zu bestreiten, dass es auch am Reichshofrat ein Armenrecht gegeben hat,183 sollte allein die Tatsache, dass die Forschung keinerlei Handhabe zur Klärung dieser Frage besitzt, eine dringende Warnung vor einer unkritischen Übernahme des zeitgenössischen richterlichen Selbstbildes sein, wonach die Reichsgerichte das „Asyl aller Notleidenden“ 184 bildeten. Wie viele Notleidende an den Pforten ­dieses Asyls abgewiesen wurden, ob Suppliken aus dem Reich gar nicht oder aber zu Tausenden in die Wiener Papiermühlen wanderten – die Forschung wird es niemals erfahren und sollte sich d ­ ieses quellenbedingten Unwissens auch bewusst sein, wenn sie über den „Geschäftsanfall“ am Reichshofrat spricht. An einem kann jedenfalls kein Zweifel bestehen: Das optisch so unscheinbare Präsentatum bildet den aktenkundlichen Niederschlag eines monokratischen, nach 1648 im Regelfall durch den Präsidenten ausgeübten Genehmigungsvorbehalts, mit dem darüber befunden wurde, ob ein Verfahren am Reichshofrat überhaupt eingeleitet werden sollte oder nicht. Das Gremium war in diese Entscheidung in keiner Weise eingebunden.

182 Formulierung in Anlehnung an Rudolf Smend, Brandenburg-Preußen und das Reichskammergericht, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 20 (1907), S. 161 – 199, hier S. 199. 183 So wurden mitunter beispielsweise Professoren der Universität Wien mit der Vertretung von zahlungsunfähigen Untertanen betraut. Siehe Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart 1997, S. 89. 184 So Reichshofrat Nikolaus Christoph von Lyncker, zitiert nach Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 44.

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4.  Das Präsidium im Verfahren (2): Bestimmung der Referenten und Konferenzen mit diesen außerhalb des Plenums Fiel die Entscheidung des Präsidenten über die Annahme eines Posteinganges positiv aus, ging es an der zweiten Schaltstelle des Geschäftsganges, nämlich der Bestellung der Referenten, monokratisch weiter. Dass diese Prärogative in einem personell äußerst heterogenen Gremium, das sich aus Juristen bürgerlicher Herkunft und erbländischen Adeligen sowie aus Katholiken und Protestanten zusammensetzte, von großer Bedeutung für das weitere Verfahren war, steht außer Zweifel. Am Reichskammergericht wurde über die „willkürliche Einrichtung“,185 wonach der vom K ­ aiser ernannte Kammerrichter auch die Referenten bestellten sollte, über Generationen hinweg hitzig diskutiert, bis der Reichsschluss von 1775 diese Befugnis erheblich einschränkte.186 Währenddessen besaß am Reichshofrat der Präsident bis 1806 ungeschmälert die alleinige Zuschreibungskompetenz. Den Räten selbst war es ausdrücklich „verbothen, sich der Akten zum referiren anzumassen oder etwa dergleichen zu thun, als ob sie diese oder jene Akten gerne zum referiren hätten“.187 Bei der Zuschreibung hatte der Präsident weitgehend freie Hand, sollte jedoch auf eine gleichmäßige Arbeitsbelastung der Räte achten,188 unbefangene Mitglieder auswählen 189 und (nach 1648) vor Endurteilen in gemischtkonfessionellen Verfahren Referenten beider Konfessionen bestellen.190 Inwiefern die Zuschreibungspraxis diesen Vorgaben entsprach, soll im Folgenden nicht weiter interessieren, sondern an anderer Stelle untersucht werden.191 Nicht auszuklammern ist allerdings die Frage nach dem Grad der Autonomie, über den die Referenten bei der Abfassung ihrer Relationen verfügten. Eine s­ olche Untersuchung sieht sich jedoch mit einigen grundlegenden Problemen konfrontiert. 185 Johann Georg August Galletti, Fortsetzung der allgemeinen Welthistorie, Bd. 62, Halle 1796, S. 227. 186 Reichsschluss abgedruckt bei Johann Stephan Pütter, Neuester Reichsschluß über einige Verbesserungen des kaiserlichen und Reichs-Cammergerichts mit einer Vorrede zu näherer Erläuterung des cammergerichtlichen Präsentationswesens, Göttingen 1776. Danach konnte der Kammerrichter den Referenten nur noch innerhalb eines der Senate ernennen, der zuvor durch ein Los bestimmt worden war. Siehe Rudolf Hommel, Von einigen Vorzügen des reichshofräthlichen Prozesses vor dem reichskammergerichtlichen, Leipzig 1789, S. 22 f. 187 Hanzely, Grundlinien (wie Anm. 92), S. 72. 188 Reichshofratsordnung 1654 Tit. IV § 2. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 158 f. 189 Reichshofratsordnung 1654 Tit. I § 18. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 91. 190 Johann Christian Herchenhahn, Geschichte der Entstehung, Bildung und gegenwärtigen Verfassung des Kaiserlichen Reichshofraths nebst der Behandlungsart der bei demselben vorkommenden Geschäfte, Bd. 2, Mannheim 1792, S. 31. 191 Siehe Anm. 60.

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Zum einen hat die Quellengattung der reichshofrätlichen Relationen bislang kaum die Aufmerksamkeit der rechtshistorischen Forschung gefunden.192 Zum anderen liegt nur für eine Minderzahl der Verfahren eine Relation vor,193 was nicht allein mit späteren Verlusten, sondern auch mit der bis ins 18. Jahrhundert zu beobachtenden Praxis zusammenhängt, über weniger komplexe Gegenstände im Plenum nicht auf Grundlage einer ausformulierten Relation, sondern von nicht als überlieferungswürdig erachteten Notizen zu referieren. Der vorliegende Beitrag kann eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Relationen des Reichshofrats nicht ersetzen, sondern muss sich auf einige problemorientierte Bemerkungen zum Entstehungskontext dieser Quellengattung beschränken. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Erstellung der Relationen, dem Usus frühneuzeitlicher Behörden entsprechend, in der Privatwohnung des Referenten erfolgte. Allerdings wäre es ein grundsätzliches Missverständnis, sich den Herrn Rat am heimischen Schreibtisch in stiller Kontemplation über den Parteienschriftsätzen vorzustellen. Für einen gewissen Geräuschpegel sorgte bereits die Sollicitatur, die sich primär nicht etwa schriftlich, sondern unter permanentem Bruch des in der Reichshofratsordnung enthaltenen Referentengeheimnisses mündlich unter vier Augen in der Privatwohnung des Referenten abspielte.194 Vor d ­ iesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und in welchem Maße auch der Präsident bei der Erstellung der Relation inhaltlichen Einfluss nahm. Es gehörte zwar zu den Glaubenssätzen der frühneuzeitlichen Kanzleilehre, dass die Räte von Kollegialorganen ihrem Behördenchef nur „in Ansehung des Geschäftsganges und der Formalien, nicht aber in Ansehung ihrer Meynung, in Betreff der abzufassenden Beschlüsse (der Materialien) unterworfen“ 195 ­seien. Doch es war nun einmal so, dass der 192 Dieser Befund gilt freilich nicht nur für den Reichshofrat. Vgl. mit Blick auf das Reichskammergericht Filippo Ranieri, Entscheidungsfindung und Technik der Urteilsredaktion in der Tradition des deutschen Usus modernus: das Beispiel der Aktenrelationen am Reichskammergericht, in: Alain Wijffels (Hg.), Case Law in the Making. The Techniques and Methods of Judicial Records and Law Reports (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History 17), 2 Bde., Berlin 1997, S. 277 – 297. 193 Die überlieferten Relationen liegen größtenteils in einer separaten Serie vor, w ­ elche in 211 Kartons schätzungsweise 3.000 bis 4.000 Relationen vornehmlich aus dem 18. Jahrhundert enthält. 194 1740 hieß es dazu in einem anonymen Gutachten: „Der Anhang ist bey manchen [Reichshofräten] so groß, daß sie fast täglich mit denen Partheyen ihren Abgeordneten und Sach-Walteren essen, trincken, spielen, spatzieren fahren oder auch reisen und mit einem Wort in der genauesten Familiarität leben. Bey solchen Gelegenheiten kann es einem geschickten Negotianten nicht wohl fehlen, daß er die Benevolentiam eines Raths gewinne.“ Siehe ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. I § 15). 195 J. N. Bischoff, Handbuch der teutschen Canzlei-Praxis für angehende Staatsbeamte und Geschäftsmänner, Bd. 1, Helmstedt 1793, S. 99: „Daher kann auch der Präsident ihre ­Concepte

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Reichshofratspräsident gegenüber den Räten nicht nur die Sitzungsleitung ausübte, sondern zugleich – von der Urlaubsbewilligung bis hin zur Abfassung dienstlicher Beurteilungen für den ­Kaiser – Vorgesetztenfunktionen wahrnahm. Darüber hinaus verschaffte ihm die alleinige Zuschreibungskompetenz angesichts der weitgehenden Monetarisierung der Sollicitatur indirekt einen weitreichenden Zugriff auf den Geldbeutel der Räte. Schließlich hingen deren Einkünfte ganz erheblich nicht nur von der Anzahl, sondern vor allem von der Art der durch sie zu bearbeitenden Verfahren bzw. der Liquidität der involvierten Parteien ab. Beispielsweise bestand bei den Räten ein sehr hohes Interesse daran, mit Verfahren im Lehns- und Gratialbereich betraut zu werden, in denen die Verehrungen besonders üppig sprudelten.196 Insofern bildete die Zuschreibungskompetenz auch ein potentielles Instrument des Präsidiums, Wohlverhalten zu honorieren, Dissens hingegen zu sanktionieren. Wenngleich nicht zu erwarten steht, dass auch nur eine einzige der überlieferten Relationen einen Hinweis auf präsidiale Einflussnahmen enthält, lohnt die Frage also sehr wohl, ob die Eingänge den Referenten kommentarlos ausgehändigt wurden, oder ob der Behördenchef die Gelegenheit zu einem „Orientierungsgespräch“ nutzte. Gemäß kaiserlichem Befehl von 1626 war er eigentlich dazu verpflichtet, die Eingänge noch am selben Tag einem Referenten zu übergeben.197 Bei Verfahren der Kategorie „Hinz contra Kunz in puncto debiti“ mag dies auch so gewesen sein. Allerdings fiel schon Zeitgenossen des 17. und 18. Jahrhunderts auf, dass der Präsident sich bei Schriftsätzen, die „in causis arduis“ 198 eingingen, deutlich mehr Zeit ließ, diese erst einmal mit nach Hause nahm und erst s­ päter dem Referenten aushändigte. Wir erinnern uns, dass wir uns den Präsidenten als einen juristisch gebildeten Staatsmann vorzustellen haben, von dem die tatsächliche fachliche Leitung des Gremiums erwartet wurde, der also sehr wohl in der Lage gewesen sein muss, die politische und rechtliche Brisanz auch komplexerer Schriftsätze ohne fremde Hilfe zu erfassen. Wenn so jemand eine abendliche Sonderschicht einlegte, so doch wohl nur zum Zweck einer späteren Instruktion des Referenten hinsichtlich der zu beachtenden politischen Rahmenbedingungen. Was wäre das auch für ein Ratspräsident gewesen, der gar nichts riet? Er hatte doch bei Amtsantritt geschworen, „als ein getreuer Kayserlicher geheimer Rath und wohl in Hinsicht des Ausdrucks und der Formalien, nicht aber in Ansehung der Materie ändern und verbessern.“ 196 Hierauf verwies bereits Gross, Reichshofkanzlei (wie Anm. 105), S. 133. Zu nennen sind in ­diesem Zusammenhang etwa Thronbelehnungen, Bestätigungen der Primogeniturerbfolge und von Vergleichen, Veniae aetatis, Verleihung neuer Lehen und Standeserhöhungen. 197 Moser, Reichs-Hof-Raths-Ordnung (wie Anm. 179), Bd. 2, S. 325 f. 198 Zitat mit Rückblick auf das 17. Jahrhundert: Moser, Reichs-Hof-Raths-Ordnung (wie Anm. 179), Bd. 2, S. 330; vgl. für das ausgehende 18. Jahrhundert Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 26.

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Reichs-Hof-Raths-Präsident […] Ihrer Kayserlichen Mayestät Ehr und Nutzen zu beförderen, Nachtheil und Schaden nach […] bestem Vermögen zu warnen und zu wenden“.199 Wie hätte er als Unterhirte über den ganzen Schafstall irgendetwas „wenden“ sollen, wenn sich seine Rolle in der Entscheidungsfindung darauf beschränkt hätte, bei der Umfrage eine Strichliste zu führen, den Beschluss dem Sekretär automatenhaft in die Feder zu diktieren und alle Jubeljahre einmal sein Votum decisivum geltend zu machen? Als kaiserlicher Geheimer Rat, der er nach 1648 durchgängig war, bestand seine Aufgabe gewiss nicht darin, die Dinge in dem seiner Führung anvertrauten Gremium laufen zu lassen und den ­Kaiser somit in die unangenehme Situation zu bringen, auf der Zielgeraden im Wege des Machtspruches eingreifen zu müssen. Dass der Behördenchef mit den Referenten sehr wohl auch außerhalb des Plenums konferierte, legt zunächst die Schriftgutverwaltung des Reichshofrats nahe. Die Ordnung von 1654 sah die Anlage von Referentenbüchern vor, in denen der Referent, das Datum des Ersteingangs und das Rubrum der Sache zu notieren waren.200 Vorderhand waren ­solche Bücher für eine geordnete Registratur unerlässlich, weil die Referenten die noch nicht referierten Schriftstücke zu Hause verwahrten, so dass deren spätere Übernahme durch die Kanzlei sicherzustellen war. Referentenbücher wurden deshalb an vielen Gerichten geführt und sind insofern unverdächtig.201 Wäre es allerdings nur um geordnete Aktenbildung gegangen, hätte man die Bücher sinnvollerweise in der Amtsstube des mit der Dokumentation des Akteneingangs betrauten Protonotars verwahrt.202 Allerdings ließ die Reichshofratsordnung keinen Zweifel daran, dass die Bände primär für den Handapparat des 199 So nach dem Formular des 1751 durch Ferdinand von Harrach geschworenen Eides. Siehe ÖStA HHS tA, RHR, Verfassungsakten, K. 26, Bl. 38. 200 Reichshofratsordnung 1654, Tit. IV § 5: „Das buch aber soll der praesident allzeit in seiner bewahr behalten, auch, damit er die außtheilung der acten unndt referenten wissen könne, solches in dem rath bey sich haben“. Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 163. Überliefert sind Referentenbücher erst für den Zeitraum ab ca. 1690. Siehe ÖStA HHStA, RHR, Protocolla referentium, Bd. 1 (undat. ca. 1690), Bd. 2 (undat.), Bd. 3 (1714 – 1718), Bd. 4 (1719 – 1724), Bd. 5 (1725 – 1731), Bd. 6 (1732 – 1740), Bd. 7 (1745 – 1753), Bd. 8 (1751 – 1764), Bd. 9 (1765 – 1783), Bd. 10 (1780 – 1790), Bd. 11 (1790 – 1792), Bd. 12 (1792 – 1798) und Bd. 13 (1799 – 1806). 201 So heißt es beispielsweise in der Ordnung des Paderborner Hofgerichts von 1720 in Tit. III § 19: „Der Notarius soll auch in ein besonder Protocoll verzeichnen, was für Sachen ad Referendum aufgegeben, weme, und wann solches geschehen…“ Zitiert nach Thorsten Süss, Partikularer Zivilprozess und territoriale Gerichtsverfassung. Das weltliche Hofgericht in Paderborn und seine Ordnungen 1587 – 1720 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 69), Köln/Weimar/Wien 2017, S. 459. 202 Dieser sollte nach Abschluss eines Verfahrens die Übernahme der Akten durch die Registratur in den Referentenbüchern vermerken. Siehe Moser, Reichs-Hof-Raths-Ordnung (wie Anm. 179), Bd. 2, S. 370 – 372.

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Präsidenten bestimmt waren, der sie „allzeit in seiner bewahr“ 203 zu halten hatte. Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert befand sich das Referentenbuch deshalb zumeist im Privathaus des Präsidenten,204 der mit seiner Hilfe trotz des hohen Geschäftsanfalls den Referenten jedes beliebigen Verfahrens im Handumdrehen ermitteln konnte. Und er tat dies nicht in der Ratsstube, sondern in seiner Wohnung, weil er offenbar ebendort regelmäßig mit ausgewählten Räten, also wohlgemerkt nicht in pleno, konferierte. Johann Christian Herchenhahn, der als Reichshofratsagent die Zustände am Kaiserhof aus eigener Anschauung kannte, bemerkte noch 1792, dass der Präsident einzelne Räte „zu sich in seine Wohnung zur Berathschlagung in die Konferenz [berufe], und zwar hauptsächlich, wenn der K ­ aiser von einer Sache will gründlich informirt seyn.“ 205 Dies war freilich nichts Neues. Schon unter Ferdinand II. hatte es stets Materien gegeben, ­welche nach Ansicht des Präsidenten „in völligem Reichshoffrhatt […] ad ordinarias deliberationes [d. h. ins Plenum] nicht gehörig und mit deren Hindansetzung vermög erclerten Allergnedigsten Kayserlichen Willen in Berathschlagung zu ziehen“ 206 waren. Diese Beratschlagungen und ihr exklusiver Teilnehmerkreis werden weiter unten im Zusammenhang außerordentlicher Deputationen noch zu diskutieren sein. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass außerhalb des Plenums stattfindende Kontakte z­ wischen Referent und Präsident zumindest in „causis arduis“ sehr wahrscheinlich waren, wenngleich sich dies in den Prozessakten in keiner Weise niederschlug. Kaum jemals würde man bei deren Lektüre auf den Gedanken verfallen, die Entscheidungen wären irgendwo anders als im Plenum gefallen.

5.  Das Präsidium im Verfahren (3): Die Festlegung der Tagesordnung für die Plenarsitzungen Dass es sich bei der Festsetzung der Tagesordnung überhaupt um eine Schaltstelle des Verfahrens handelt, ist der Forschung bislang weitgehend verborgen geblieben, da sie die Tragweite der am Reichshofrat herrschenden Diskrepanz z­ wischen Justizgewähranspruch und vorhandenen institutionellen Ressourcen nicht hinreichend erfasst hat. Es passt ins Bild, dass die einzige Studie, die das Thema zumindest 203 Reichshofratsordnung 1654, Tit. IV § 5, zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 163. 204 Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 27. 205 Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 40. 206 So im Rückblick auf die Regierungszeit Ferdinands II. in einem undatierten Schreiben des ­zwischen 1637 und 1647 amtierenden Reichshofratspräsidenten Johann von der Reck an ­Kaiser Ferdinand III. in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 26, Bl. 262 f.

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streift, es sogleich als „unerheblich“ qualifiziert, „da alle Referenten gleichermaßen verpflichtet waren, sorgfältig und gründlich sowie in angemessener Zeit ihre Fälle zu bearbeiten“ 207, so dass es von sekundärer Bedeutung sei, ob das Gremium oder der Präsident die Tagesordnung bestimmt habe. Allerdings ging es bei der Tagesordnung, dies kann nicht deutlich genug betont werden, nicht allein um irgendeine Reihenfolge, sondern ganz grundlegend um die Frage, w ­ elche Verfahren überhaupt bearbeitet und w ­ elche liegen bleiben sollten – mithin darum, ­welche Parteien am Reichshofrat auf eine wie auch immer geartete Entscheidung hoffen konnten und für ­welche Parteien das Gremium ebenso gut war wie „gar kein Gericht.“ 208 Denn das eigentliche Nadelöhr des gesamten Verfahrens bildeten die Gremiensitzungen, die sich nach 1654 zunächst auf zwölf und ab 1766 auf 18 – 20 Stunden pro Woche summierten.209 Da dem ­Kaiser eine Abteilung des Reichshofrats in Senate reichsrechtlich untersagt war und aus prozessrechtlichen Gründen buchstäblich über jede Entscheidung, und sei auch nur die Bewilligung einer Agentenvollmacht, im Plenum abgestimmt werden musste, war es völlig unmöglich, mit einer solchen Gerichtsorganisation den Geschäftsanfall des späten 17. und 18. Jahrhunderts zu bewältigen. Die Diskre­panz ­zwischen Justizgewähranspruch und Erledigung wurde demnach nicht allein durch die Zahl der Räte, sondern vor allem durch die ungenügende Plenarzeit definiert. Wenn man also das Resolutionsprotokoll des Reichshofrats an beliebiger Stelle aufschlägt und dort liest, dass an d ­ iesem oder jenem Sitzungstag zehn oder zwölf Verfahren zur Beratung gelangten, hat die erste Frage zu lauten: warum gerade diese und nicht zehn oder zwölf andere aus der stets bis zum Bersten gefüllten Warteschleife? Wie bei den meisten frühneuzeitlichen Kollegialorganen ruhte die Priorisierung der Gremienarbeit auch am Reichshofrat auf zwei Säulen, nämlich dem Ordo causarum und dem Ordo personarum, wobei der erste die Reihenfolge festlegte, in welcher der Referent die ihm zugewiesenen Verfahren bearbeiten sollte, während der zweite die Reihenfolge der zum Vortrag im Gremium bestimmten Referenten und die diesen zugeteilte Redezeit regelte.210 Hinsichtlich des Ordo causarum bestimmte die Reichshofratsordnung, dass Verfahren, deren ­Behandlung 2 07 Hartmann-Polomski, Regelung der gerichtsinternen Organisation (wie Anm. 39), S. 79. 208 So mit Blick auf die Sollicitatur am Reichskammergericht Johann Stephan Pütter, Patrio­tische Abbildung des heutigen Zustandes beyder höchsten Reichsgerichte, worin der Verfall des Reichs-Justizwesens samt dem daraus bevorstehenden Unheile des ganzen Reichs und die Mittel, wie demselben noch vorzubeugen, der Wahrheit gemäß und aus Liebe zum Vaterlande erörtert werden, Frankfurt und Leipzig 1756, S. 41. 209 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 78. 210 Zu diesen Steuerungsinstrumenten zeitgenössisch beispielsweise Bischoff, Canzlei-Praxis (wie Anm. 195), S. 106 f.

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der ­Kaiser befohlen hatte,211 bei denen Gefahr im Verzug war oder in die Klöster, Arme, Witwen und Waisen verwickelt waren, ebenso vorrangig bearbeitet werden sollten wie fiskalische Prozesse. Darüber hinaus war den Räten als prinzipielle Richtschnur vorgegeben, bereits länger laufende Verfahren vor Neueingängen abzuschließen.212 Der Ordo personarum konkretisierte sich hingegen ebenso wie am Reichskammergericht in einem Turnalsystem, das die Reihenfolge der zum Referat zuzulassenden Räte beider Bänke regeln sollte, unter dem Druck des nach 1648 drastisch steigenden Geschäftsanfalls jedoch permanenten, letztlich gescheiterten und an dieser Stelle nicht näher zu analysierenden Reformen unterzogen wurde.213 Angesichts der notorischen Überlastung des Gremiums vermochten die Steuerungsinstrumente des Ordo causarum und Ordo personarum die ihnen in der Reichshofratsordnung zugedachte Funktion also nur bedingt zu erfüllen. Den Parteien wurde deshalb noch im ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Ratgeberliteratur eingeschärft, dass man sich bei einem Prozess keinesfalls auf die Gerichtsordnung verlassen könne, sondern es vor allem auf die bereits angesprochene Sollicitatur ankomme.214 Indirekt wirkten demnach also auch die Parteien im Wege zumeist informeller Kontakte zu einzelnen Gremienmitgliedern oder dem ­Kaiser auf die Tagesordnung ein. Denn hatte ein Rat im Rahmen der Sollicitatur Geld empfangen, so war dies nicht allein mit der Zusage verbunden, eine Relation zu erstellen, sondern natürlich auch damit, diese zeitnah ins Plenum zu bringen. In der Schublade des Referenten nutzte auch die schönste Relation der auf Entscheidung drängenden Partei rein gar nichts. Aus dieser Konstellation folgte, dass sich der „Marktwert“ eines Rates gegenüber den Sollicitanten an der Fähigkeit bemaß, ­dieses Versprechen auch einzulösen. Nicht nur die Parteien konkurrierten also untereinander um die kostbare, weil niemals ausreichende Plenarzeit. Dies taten auch jene Räte, w ­ elche die Sollicitatur monetarisiert und in Zukunft erhebliche finanzielle Einbußen zu fürchten hatten, sofern sie mit ihren Referaten im Plenum nicht an die Reihe gelangten. Diese von der Forschung bislang gänzlich unbeachteten Mechanismen bildeten den Hintergrund für eine Klage des Reichsvizekanzlers, der sich 1734 darüber beschwerte, dass „ein ieder 211 Derartige Anweisungen waren zweifellos weit verbreitet, sind indes kaum überliefert. Als Zufallsfund sei verwiesen auf eine Anordnung des Präsidenten von Harrach, der den Referenten von Bartenstein im Februar 1768 wissen ließ, dass der K ­ aiser ein baldiges Referat über den Vergleich ­zwischen dem Herzog von Württemberg und der dortigen Landschaft erwarte. Siehe das Schreiben Harrachs an Bartenstein vom 15. 02. 1768 in ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 31. 212 Hanzely, Grundlinien (wie Anm. 92), S. 82 f. 213 Näheres hierzu in der in Anm. 60 angekündigten Studie. 214 Hanzely, Grundlinien (wie Anm. 92), S. 83.

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Referens sich nicht irr machen lassen wolle, das wan er einmal zu referiren ahngefangen, er gleichsamb wochen- oder Monath weis allein wolle fortfahren, wodurch dan alles in das Stecken gerathe“.215 Diese hier lediglich anzudeutenden normativen und informellen Zusammenhänge verdeutlichen, dass die Festlegung der Tagesordnung im Gegensatz zur den vorgelagerten und oben bereits behandelten Schaltstellen des Geschäftsganges (Präsentierung der Post, Bestimmung des Referenten) nicht der alleinigen Prärogative des Präsidiums unterlag. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass der K ­ aiser nicht auch hier einen monokratischen Genehmigungsvorbehalt eingebaut hätte. Denn im Allgemeinen galt zwar, dass der Rat, der im Rahmen des Ordo personarum gerade an der Reihe war, selbst bestimmen konnte, „mit wieviel und mit ­welchen Sachen er zu seinem Turnus oder Vortragsreihe gefaßt seyn wolle“ 216 – aber eben nur im Allgemeinen. In der Reichshofratsordnung von 1654 liest man hierzu Folgendes: „Sobaldt nun ein referent mit seiner relation fertig, wie er dan nach müglichkeit dieselbe zu befürdern schuldig, so solle er solches unßerm präsidenten anzeigen; desgleichen solle auch der correferent thuen, damit gedachter präsident alsdan mit anbefehlung der relation die notturft und obangeregte ordtnung bedenckhen und an die handt nehmen könne.“ 217 Dass der Referent den Präsidenten von der Fertigstellung einer Relation und dem damit bevorstehenden Abschluss eines Verfahrens zu unterrichten hatte, war prinzipiell unverdächtig, da es dem Behördenchef oblag, einen Korreferenten zu ernennen, bevor die Relation des Referenten im Plenum vorgetragen werden konnte. Darüber hinaus war der Vortrag von Relationen zu Endurteilen auch insofern organisatorisch vorzubereiten, als er weitaus mehr Zeit erforderte als das Referat sogenannter Currentia, worunter beispielsweise Fristverlängerungen oder die Bewilligung von Agentenvollmachten fielen. Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass in der Reichshofratsordnung ausdrücklich von einer „Anbefehlung der Relation“ durch den Präsidenten und damit von einem monokratischen Genehmigungsvorbehalt die Rede ist. Noch die juristische Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts weist ausdrücklich darauf hin, dass Referenten in sogenannten Definitivsachen nur auf ausdrücklichen Befehl des Präsidenten im Plenum vortragen durften.218 ­Tatsächlich 2 15 ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 19, Nr. 5. 216 Renatus Karl von Senkenberg, Abhandlung über die Fragen, ob und in wiefern jemals Senate im Reichshofrath gewesen, ob sie darinn seyn können, und wie sie allenfalls am nützlichsten einzurichten wären? Zum bessern Verstand einiger Stellen des Osnabrückischen Friedens und der neuesten Reichshofraths-Ordnung, Rastatt/Basel 1799, S. 10. 217 Zitiert nach Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 174 f.; ebenso bereits in der Reichshofratsordnung von 1617, Tit. III, siehe ebd., Bd. 1, S. 191. 218 Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 33; Vincenz Hanzely, Anleitung zur neuesten Reichshofrathspraxis, Bd. 1, Frankfurt a. M./Leipzig 1784, S. 39 und 254.

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hatte noch Joseph II . 1766 verfügt, dass Relationen in „Definitivsachen der Regel nach keine Turnalsachen“ 219 und im Plenum nur in klar separierten Blöcken zu behandeln ­seien. Es stellt sich zunächst die Frage, was man sich unter einer Definitivsache vorzustellen hat. Dass Endurteile in diese Kategorie fielen, kann als unstrittig gelten. Allerdings schrieb der Reichshofrat in einem dem K ­ aiser 1767 erstatteten Gutachten auch Mandaten und Reskripten die Rechtsfolgewirkung von Definitivbeschlüssen zu.220 Potentiell handelte es sich also selbst bei der geringen Urteilsquote 221 am Reichshofrat um eine ganze Reihe von Entscheidungen, deren Vortrag im Plenum womöglich von einem zuvor erteilten Placet des Präsidenten abhängig war. Umso dringlicher ist die Frage nach der dabei durch den Behördenchef an Hand zu nehmenden „Notdurft“ zu beantworten. Ging es lediglich um Fragen der zeitlichen Abstimmung und der Sitzungskoordination? Oder nahm der Präsident im Rahmen der „Anbefehlung der Relation“ auch inhaltlich Einfluss, bestand er gar auf Einsicht in den Text? Freilich enthalten nach bisherigem Kenntnisstand des Verfassers weder die Resolutionsprotokolle noch die Akten zu einem mit Endurteil abgeschlossenen Verfahren einen Hinweis auf eine vorgängige Genehmigung der zugrunde liegenden Relation durch den Präsidenten. Sofern man bei den Beteiligten ein Mindestmaß an Intelligenz voraussetzen kann, dürfte es auch ein sinnloses Unterfangen sein, sich in der Aktenserie der Relationes auf die Suche nach einem vom Präsidenten superrevidierten Referentenvotum zu begeben. Der Evidenzwert der Reichshofratsakten und -protokolle kann in dieser Hinsicht getrost auf mathematisch Null taxiert werden. Dass die „Anbefehlung der Relation“ im Schriftgut des Reichshofrats praktisch keinerlei Niederschlag fand, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Ausübung d ­ ieses Genehmigungsvorbehalts zumindest vor 1740 zu gremieninternen Konflikten führte, die gewiss kein Präsident im Protokoll zu dokumentieren gedachte. In einem im Mainzer Erzkanzlerarchiv überlieferten, 1740 anonym verfassten, jedoch wohl informierten Gutachten zur Tätigkeit des Reichshofrats in der Regierungszeit des soeben verstorbenen Kaisers Karl VI. liest man Bemerkenswertes. Danach sei es Referenten durch das Präsidium wiederholt ausdrücklich verboten worden, in politisch brisanten Verfahren zu referieren. Einige Räte ­seien jedoch 219 Brainl, Lehrsätze (wie Anm. 67), S. 131. Siehe auch Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 302: „…darinen [im Turnus] aber keine definitiven, sondern nur ­solche sachen, wo es auf interlocutoria, mandats- und rescriptprocesse, erkennung oder abschlagung der appellationsprocessen, communicationessachen und dergleichen ankomme“. 220 So in anderem Zusammenhang in einem Votum ad Imperatorem vom 24. 03. 1767 in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 8, Konv. 3, Nr. 2. 221 Zur Urteilsquote am Reichshofrat ist auf die in Anm. 60 angekündigte Studie zu verweisen.

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aufgrund ihres „zarthen Gewissens“ immer und immer wieder um Vortragsgenehmigung eingekommen – so lange, bis der Präsident ihnen das Verfahren entzogen und stattdessen Referenten ernannt habe, „die sich wenigere Scrupel gemacht, selbige [Verfahren] ohnerlediget liegen zu lassen.“ Sprang ein Rat dem Präsidenten in einer solchen Situation bei, sei er am Kaiserhof für „einen klugen und tieffsinnigen Staatsmann gehalten worden, jene hingegen, w ­ elche diese Absichten vor unzulässig erachtet, haben den Titel eines Pedanten oder legulei davon getragen.“ 222 An anderer Stelle heißt es im selben Gutachten noch einmal ausdrücklich: „Wann aber […] politische Ursachen sich äusseren, so pfleget vielfältig die Abänderung des Referenten zu beschehen und an dessen Platz ein solcher bestellet zu werden, welcher sich in die circumstantias temporum besser zu ­schicken und seine Jurisprudenz mit der Politique zu combiniren weiß.“ 223 Das zitierte, bei aller darin geübten Kritik übrigens keineswegs in einem antikaiser­lichen Ton gehaltene Gutachten bildet ein starkes Indiz dafür, dass das Präsidium die ihm obliegende „Anbefehlung der Relation“ in Definitivsachen zumindest bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein auch zu einer gezielten Verhinderung kollegialer Beschlussfassung in politisch unliebsamen Verfahren nutzte. Es scheint somit die oben zitierte Einschätzung des Zeitgenossen ­Benjamin ­Ferdinand Mohl zu stützen, wonach die politische Funktion des Präsidentenamtes gerade nicht in der Herbeiführung von Machtsprüchen, sondern in der Gewährleistung eines „Liegenlassens“ bestimmter Prozesse, mithin in verordneter Justizverweigerung bestanden habe.224 Nicht minder interessant ist die Behauptung des unbekannten Gutachters, dass sich gegen diese Bestrebungen unter Karl VI. Widerstand im Gremium geregt habe, welches darüber in zwei Fraktionen, nämlich „Pedanten“ und „Staatsmänner“ zerfallen sei. Dies wirft wiederum die Frage auf, ob die Gremienarbeit am Reichshofrat schon im frühen 18. Jahrhundert zumindest phasenweise von harten internen Auseinandersetzungen über richterliche Unabhängigkeit geprägt war, ­welche durch die Geschlossenheit suggerierenden Ergebnisprotokolle bislang völlig verdeckt wurden. Auf diese Frage wird im Folgenden noch zurückzukommen sein.225 Zunächst soll jedoch die vierte und letzte der eingangs als zentral bezeichneten Schaltstellen des Geschäftsganges analysiert werden, nämlich die Herstellung des kollegialen Aktes.

222 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Anmerkung zur Wahlkapitulation von 1711, Art. XVI). 223 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. IV § 12). 224 Siehe oben Anm. 159. 225 Siehe unten bei Anm. 285.

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6.  Das Präsidium im Verfahren (4): Die Umfrage Mit Blick auf die Gremiensitzungen verstellt das reiche archivalische Erbe des Reichshofrats nur zu leicht den Blick dafür, dass der kollegiale Akt nicht das Ergebnis eines schriftlichen Abstimmungsprozesses bildete, sondern in Form mündlicher Kommunikation unter Anwesenden zustande kam. Eine Gruppe von Männern ganz unterschiedlichen sozialen und fachlichen Gewichts hatte an einem Tisch Platz genommen und sprach miteinander, bis der Vorsitzende das Ergebnis d ­ ieses Gesprächs schließlich dem protokollführenden Sekretär in die Feder diktierte. Der Entstehungskontext eines jeden Kollegialbeschlusses wurde demnach nicht allein durch juristische, sondern stets auch durch gruppenpsychologische und organisationssoziologische Faktoren konstituiert (und wird es noch heute). Allerdings, dies kann nicht deutlich genug betont werden, dokumentieren die am Reichshofrat geführten Resolutionsprotokolle nicht mehr als die Namen der teilnehmenden Räte und die in deren physischer Anwesenheit gefällten Beschlüsse. Sie verraten dem Leser weder, ob der Beschluss einstimmig zustande kam, noch, ob ihm eine kontroverse Debatte voranging. Und erst recht verschweigen sie, ob eine s­olche Debatte gegebenenfalls in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts stattfand, oder ob die Gremienarbeit durch psychologischen Druck oder gar Angst einzelner Mitglieder geprägt war. Ob ein freies Votieren am Reichshofrat überhaupt möglich war, kann den Bänden also nicht entnommen werden und sollte durch die Forschung mit Blick auf ein Gericht, das in fußläufiger Entfernung des Throns seiner Arbeit nachging, auch nicht unhinterfragt vorausgesetzt werden. Eine Analyse der Gremiensitzungen erfordert deshalb einen über Prozessakten und Protokolle deutlich hinausreichenden Quellenzugriff, wobei noch vor den aus heutiger Sicht oft wenig problembewussten zeitgenössischen Publikationen des Reichsstaatsrechts vor allem interne Äußerungen von Reichshofräten von höchstem Interesse sind. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht wiederum die Frage nach einer möglichen Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten und der Rolle des Präsidiums in d ­ iesem Prozess. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die Umfrage, also die Abstimmung über die Relation des Referenten. Da dieser Verfahrensschritt den „Übergang von dem Stadium der Willensbildung der einzelnen zu dem Stadium der Gesamtwillensbildung“ 226 markiert, ist dessen Analyse von zentraler Bedeutung für die Frage, wie die Anteile an ­diesem „Gesamtwillen“ eigentlich verteilt waren. Dass sich diese Anteile gleichmäßig auf die Gremienmitglieder verteilten, ist an keinem Spruchkörper und am allerwenigsten am Reichshofrat zu erwarten, der über eine stark ausgeprägte, bislang jedoch nur unzureichend erforschte hierarchische Binnengliederung verfügte. Diese visualisierte sich unter 226 Aymans, Kollegium und kollegialer Akt (wie Anm. 31), S. 125.

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anderem in der Sitzordnung des Gremiums, welches sich zur Rechten des Präsidenten auf eine Herren- bzw. zur Linken auf eine Gelehrtenbank verteilte, wobei für die Sitzordnung auf den einzelnen Bänken wiederum das Anciennitätsprinzip maßgeblich war.227 Mit zunehmendem Dienstalter rückte ein Rat also sukzessive an den auf der Stirnseite sitzenden Präsidenten heran und fungierte schließlich, sofern er es bis an die Spitze geschafft hatte, auf der Herrenbank als Vizepräsident bzw. auf der Gelehrtenbank als „Primus Votans“. Mit Blick auf die soziale Stellung und das Qualifikationsniveau unterschieden sich die beiden Bänke erheblich. Während nach 1648 auf der Herrenbank Vertreter erbländischer Adelsgeschlechter dominierten, für die der Sitz im Reichshofrat häufig nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in höhere Positionen in der kaiser­lichen Diplomatie darstellte,228 bildete das Amt für die zumeist dem Freiherrenstand oder dem Bürgertum entstammenden Vertreter der Gelehrtenbank, die zuvor in reichsständischen Diensten gestanden hatten, in der Regel den Höhepunkt ihrer Laufbahn. Diese hiermit lediglich angedeuteten Unterschiede waren zweifellos für das Amtsverständnis der Reichshofräte und damit auch für die im Gremium vorherrschenden Ansichten über richterliche Unabhängigkeit von konstituierender Bedeutung. Vor allzu holzschnittartigen Vorstellungen über das soziale und fachliche Profil der Mitglieder beider Bänke sei jedoch nachdrücklich gewarnt. Zwar ist es – vereinfachend gesprochen – richtig, dass die Räte der Gelehrtenbank tendenziell über ein höheres Qualifikationsniveau verfügten und die Mehrzahl der Referate übernahmen.229 Allerdings saßen auch auf der Herrenbank namhafte Juristen. Überhaupt beschränkte sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, die den dort sitzenden Mitgliedern vom K ­ aiser zugedachte Funktion im kollegialen Entscheidungsprozess keinesfalls darauf, den ihnen von der Gelehrtenbank herüber­schallenden Referaten zu lauschen und daraus Lehren für eine eventuelle diplo­matische Folgekarriere zu ziehen. Diese flüchtigen Bemerkungen müssen an dieser Stelle genügen. Auch auf die dem kollegialen Akt zugrunde liegende Relation der Referenten kann an dieser Stelle nur insofern eingegangen werden, als noch einmal nachdrücklich auf die Bedeutung 227 Dies gilt wiederum nur im Prinzip. Dass sich der ­Kaiser mitunter über das Anciennitätsprinzip hinwegsetzte, wird in der in Anm. 60 in Aussicht gestellten Monographie ebenso behandelt wie diverse Rangkonflikte innerhalb des Gremiums, die verdeutlichen, dass das Anciennitätsprinzip auch im 18. Jahrhundert keineswegs unangefochten war. 228 In zeitgenössischen Publikationen war deshalb mit Blick auf die Herrenbank häufig von der „Pflanzschule“ der kaiserlichen Diplomatie die Rede. Siehe beispielsweise Karl Friedrich Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, Bd. 2, Berlin 1794, S. 396. 229 Mehr dazu und zu den diesbezüglichen Auswirkungen der josephinischen Justizreform in der in Anm. 60 in Aussicht gestellten Monographie.

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der Tatsache hinzuweisen ist, dass die Referenten allein vom Präsidenten ernannt wurden. Die tagtägliche Gremienarbeit beeinflusste dies insofern auf weitreichende Weise, als der Reichshofrat zu jenen Spruchkörpern zählte, an denen die Prozessakte in der Regel nur durch die Referenten gelesen wurde.230 Zwar sollte die Akte während des Referentenvortrages auf dem Tisch liegen und durch den ersten Rat der Gelehrtenbank auf Vollständigkeit geprüft werden, doch vermochte eine s­ olche, notwendigerweise kursorische Durchsicht eine Lektüre der Akte natürlich nicht zu ersetzen. Von bestenfalls theoretischem Wert war auch das den nichtreferierenden Räten zustehende Recht, sich vor der Stimmabgabe Bedenkzeit auszubitten und die Akten zwecks eingehenden Studiums mit nach Hause zu nehmen.231 Was hiervon angesichts des nach 1648 vorherrschenden Geschäftsanfalls zu halten war, geht aus einem 1767 vom Reichshofrat erstatteten Gutachten an ­Kaiser Joseph II. hervor: „Die vorläufige circulirung der Acten wird in den meisten Fällen ohnmöglich, würde auch schädlich und der Beförderung der Sachen hinderlich seyn. Hierdurch fällt in den meisten vorkommenden Sachen die möglichkeit hinweg, sich auf die abzulegenden vota außer Rathes praepariren oder s­olche wohl gar in Schriften verfaßen zu können, und die Räthe müßen aus dem Stegreif zu votiren sich gefallen laßen.“ 232 Die Stimmabgabe nichtreferierender Räte erfolgte also im Regelfall aus dem Stegreif, so dass der kollegiale Akt gerade nicht „nach Aktenlage“, sondern primär auf Grundlage des mündlichen Vortrags der Relation zustande kam. Zumal angesichts des immens weit gefassten Zuständigkeitsbereichs des Reichshofrats, der sich in geographischer Hinsicht von der Nordsee bis Italien und vom Elsass bis ins Baltikum sowie in sachlicher Hinsicht von zivilrechtlichen Materien bis in den Lehns- und Gratialbereich hinein erstreckte, muss das Referentenvotum ein sehr großes Gewicht besessen haben. Bevor nun auf die Umfrage einzugehen ist, muss ein weiterer Faktor problematisiert werden, nämlich die im Resolutionsprotokoll dokumentierte Anwesenheitsliste des betreffenden Sitzungstages. Da ein erheblicher Teil der Gremienmitglieder aufgrund ihrer Teilnahme an kaiserlichen Kommissionen, wegen Urlaub oder Krankheit den Sitzungen über längere Zeiträume hinweg fernblieb, war die personelle Zusammensetzung des Spruchkörpers in hohem Maße volatil.233 Als 230 Freilich kann auch mit Blick auf die Referenten angesichts der notorischen Überlastung des Gremiums nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden, dass sie die Akte tatsächlich gelesen hatten und ihr Votum nicht etwa auf von Parteien in den Druck beförderte „Präokkupationslibelle“ stützen. Weiterführende Überlegungen hierzu in der in Anm. 60 in Aussicht gestellten Studie. 231 Hierzu Hanzely, Grundlinien (wie Anm. 92), S. 90. 232 Siehe ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 8, Konv. 3, Nr. 2. 233 In Hof- und Staatsschematismen wurden deshalb stets zahlreiche Räte als „abwesend“ vermerkt. Siehe beispielsweise: Kayserlicher und Königlicher wie auch Ertz-Hertzoglicher und

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Jurist dürfte der Präsident gewusst haben, dass man einen positiven Rechtsakt auch durch negativen Zwang herbeiführen kann, indem man einzelne Räte, deren zuwiderlaufende Ansichten bekannt sind, an der Teilnahme am kollegialen Akt hindert.234 Und während der Präsident hierüber sinnierte, wird ihm womöglich aufgegangen sein, dass die in seiner Hand vereinigte Sitzungsleitung und Vorgesetztenfunktion ihn in den Stand setzte, genau dies zu tun. Geht hier die Phantasie des Verfassers mit ihm durch? Immerhin gehörte es zu den selbstverständlichen Aufgaben von Reichshofratsagenten, die mitunter rasch wechselnde Zusammensetzung des Gremiums genau zu beobachten und die eigene Prozessstrategie entsprechend abzustimmen.235 War die personelle Konstellation gerade ungünstig, besann man sich darauf, wie schwer es doch sei, die geforderten Beweismittel auf die Schnelle beizubringen, denn ­welche Zeitläufte wären jemals nicht „geschwind“ gewesen? Doch war das im Gremium für Dissonanzen sorgende Vögelchen endlich ausgeflogen, erwachte die Partei aus ihrer Totenstarre, und es konnte plötzlich gar nicht schnell genug vorangehen. Hatte man gar das Glück, im Reichshofrat über einen persönlichen Freund zu verfügen, konnte man diesen bitten, seinen Urlaub baldmöglichst abzubrechen. So bekannte Reichshofrat Gottlieb von Windischgrätz 1665 gegenüber dem Grafen von Harrach, er reise nur ungern von seinem Gut Trauttmansdorf zurück an den Hof, „weill es aber einen so guten freind alls den Graf von Hohenloe betrifft, dessen Prozeß referirt wirdt, muß ichs gleich verschmertzen.“ 236 Die Reichshofratsordnung, ­welche den Austritt befangener Räte vor der Verhandlung der betreffenden Materie vorsah, hatte der Herr Rat offenbar gerade nicht zur Hand. Einflussreiche Parteien versuchten demnach durchaus, auf die personelle Zusammensetzung des Spruchkörpers Einfluss zu nehmen. Und ausgerechnet ein Präsident, der spätestens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts realisieren musste, dass er einige Schäfchen im Stall hatte, die anfingen, gegen seinen Hirtenstab zu löcken, sollte dies nicht getan haben? Warum sollte der Präsident im Vorfeld einer heiklen Abstimmung nicht dem einen oder anderen Pedanten seinen wohlverdienten Erholungsurlaub gewährt oder ihn mit einer dringlichen Kommission in der Reichsstadt Nürnberg betraut haben, um den anvisierten Beschluss mit seinen Staatsmännern durchs Gremium zu peitschen, sobald die Kutsche des Queru­ lanten das Stadttor passiert hatte? Dass sich s­olche Praktiken auf Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes nicht nachweisen lassen, ist zunächst einmal Dero Residentz-Stadt Wienn Staats- und Stands-Calender […] auff das Jahr MDCCII […], Wien 1702, S. 73 – 76. 234 Aymans, Kollegium und kollegialer Akt (wie Anm. 31), S. 117. 235 Hierzu beispielsweise Schenk, Reichsjustiz (wie Anm. 141), S. 136. 236 Zitiert nach Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 201.

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unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass der Rückgriff auf ­solche Instrumente aus Sicht des Präsidiums nahegelegen haben muss und die Forschung kaum eine Handhabe besitzt, ihre Nichtanwendung nachzuweisen. Die Beweislast liegt hier nicht bei jenen, die in fehlender Gewaltenteilung ein unüberwindbares Hindernis für eine unpolitische Verfahrensführung erblicken. Sie liegt bei jenen, die den Reichshofrat und das Alte Reich für wie auch immer geartete protokonstitutionelle Entwicklungen in Anspruch zu nehmen gedenken, die alle dazu geeignet sind, den qualitativen Unterschied z­ wischen „Gewaltenteilung“ und „keine Gewaltenteilung“ zu nivellieren. Die Präsenzliste, soviel dürfte jedenfalls feststehen, ist ebenso wenig wie irgendein anderer Bestandteil des Resolutionsprotokolls als selbstverständlich hinzunehmen, sondern zu problematisieren. Zumindest muss sich die Forschung der Faktoren bewusst sein, ­welche die personelle Zusammensetzung des Gremiums an einzelnen Sitzungstagen potentiell zu beeinflussen vermochten – und zu diesen Faktoren zählt zweifellos auch das Präsidium. Hinsichtlich der Umfrage legte die Reichshofratsordnung von 1654 fest, dass diese in Prozessangelegenheiten im Regelfall auf der Gelehrten-, in Staatsangelegenheiten auf der Herrenbank zu beginnen habe. Allerdings wurde dem Präsidenten die Befugnis eingeräumt, von dieser Reihenfolge abzuweichen, und nach eigenem Gutdünken zunächst das Votum von mit der zur Verhandlung stehenden Materie besonders vertrauten Räten einzuholen.237 In der alltäglichen Praxis spielte sich jedoch bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts der Usus ein, die Umfrage stets mit dem auf diese Weise in die Rolle eines Primus Votans hineinwachsenden ersten Rats der Gelehrtenbank zu beginnen und sodann im Wechsel und unter Beachtung der Anciennität die einzelnen Räte der beiden Bänke um ihr Votum zu bitten. Man muss sich vor Augen führen, ­welche Konstellation hieraus folgte. Im Regelfall entfielen die ersten vier Voten auf die Referenten, den Primus Votans von der Gelehrten- sowie auf den im Gegensatz zum Präsidenten über eine reguläre Stimme verfügenden Vizepräsidenten von der Herrenbank. Den oder die Referenten hatte der Präsident ernannt, mit ihnen womöglich im Vorfeld außerhalb des Plenums über das Verfahren konferiert und, sofern ein Definitivbeschluss anstand, ihr Referat vor Festsetzung der Tagesordnung ausdrücklich genehmigt. Bevor der Referent auch nur den Mund geöffnet hatte, muss sich also jeder anwesende Rat d ­ ieses präsidialen Placets bewusst gewesen sein, da das Referat anderenfalls schlichtweg nicht stattgefunden hätte. Geht man als Gedankenspiel einmal davon aus, dass im Gremium bei der Beschlussfassung in politisch heiklen Verfahren zumindest phasenweise „Pedanten“ und „Staatsmänner“ aufeinanderstießen, wäre es zumindest nicht überraschend, wenn es nach Abschluss der 237 Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 192 f.; vgl. Johann Jacob Moser, Einleitung zu dem Reichs-Hof-Raths-Prozeß, Bd. 2, Nürnberg 1738, S. 109.

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­ eferate 2:0 für die Staatsmänner gestanden hätte. Nun schloss sich die StimmabR gabe des Primus Votans an. Als erster Rat der Gelehrtenbank konnte er nicht nur als juristische Kapazität gelten und auf eine langjährige Mitgliedschaft im Gremium zurückblicken. Er war, zumindest der ­Theorie nach, neben dem Vizepräsidenten als wichtigste Stütze des Präsidenten innerhalb des Spruchkörpers vorgesehen. Dies zeigte sich insbesondere bei der Umfrage, in deren Rahmen allein vom Primus Votans in jedem Fall eine ausführliche Stellungnahme zum Referentenvotum erwartet wurde. Alle anderen Gremienmitglieder waren zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ausdrücklich dazu angehalten, sich im Falle einer Zustimmung zum Referat auf ein knappes Placet zu beschränken.238 Gremienintern war diese Regelung keineswegs unumstritten, da sie dem ersten Rat der Gelehrtenbank einen erheblichen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis sicherte und, so zumindest die Kritik einiger Reichshofräte, die übrigen Gremienmitglieder bei der Bildung eines eigenständigen Urteils behindere.239 Wenn es 1740 in einem internen Gutachten heißt, dass es am Reichshofrat einige „ohnfehlbahre Oracula“ 240 gebe, so dass „mann“ (wer anders als ­Kaiser, Vizekanzler und Präsident sollte hier gemeint sein?) davon ausgehe, „man könte alle übrige Räthe füglich entbehren und sich mit einem solchen Subjecto omniscio gantz allein begnügen“,241 war der Primus Votans zwar nicht ausdrücklich genannt, aber ganz offensichtlich gemeint. Um den immensen Einfluss, den der erste Rat der Gelehrtenbank auf das Abstimmungsergebnis ausübte, wusste auch die gegnerische Aufklärung. Um kaum ein Gremienmitglied hat sich Brandenburg-Preußen bei seinen Versuchen, den Reichshofrat korruptiv zu unterwandern, so sehr bemüht wie um den Primus Votans – eben „weil er gleich neben dem Praesidenten sizt, auctoritaet hat und offt was ins ohr sagen kann“.242 Ungeachtet aller Kritik wurde die Stellung des Primus Votans im Laufe des 18. Jahrhunderts jedoch nicht nur nicht abgeschwächt, sondern ganz im Gegenteil auf Kosten des Gremiums weiter ausgebaut. Joseph II. dispensierte 238 Eine ­solche Regelung bildete kein Alleinstellungsmerkmal des Reichshofrats, sondern ist auch an anderen Gerichtshöfen zu beobachten. So heißt es beispielsweise in der Gerichtsordnung für die Kurfürstl. Salzburgische oberste Justizstelle, § 13: „Der erste Votant hat, wenn kein Korreferent bestellt ist, die Pflicht, die wesentlichen Thatumstände kurz zu wiederholen, die übrigen Votanten haben nur ihre Meinung mit kurzer Angabe der Beweggründe vorzutragen; in so ferne sie aber von dem entworfenen Schluße des Referenten in wesentlichen Punkten abweichen, ihre Beweggründe schriftlich aufzusetzen, und dem Deliberationsprotokolle beyzulegen.“ 239 So äußerte sich jedenfalls 1766 der ebenfalls auf der Gelehrtenbank sitzende Reichshofrat Gärtner. Siehe ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 29. 240 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. V § 12). 241 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. II § 19). 242 Dies berichtete 1719 der preußische Reichshofratsagent nach Berlin. Zitiert nach Schenk, Reichsjustiz (wie Anm. 141), S. 138.

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den ersten Rat – ein in der Geschichte des Reichshofrats bis dahin offenbar einmaliger Vorgang – nicht nur von der Übernahme eigener Referate, damit er sich ganz auf sein erstes Votum konzentrieren könne. Er nahm auch persönlichen Einfluss auf die Besetzung dieser Stelle und zeigte sich an „der Führung des so wichtigen ersten Voti auf der gelehrten Banck […] höchst“ 243 interessiert. Hatte der erste Rat der Gelehrtenbank sein ausführliches Votum abgeschlossen, war sein Pendant auf der Herrenbank an der Reihe, die seit dem weitgehenden Rückzug des Reichsvizekanzlers aus dem Reichshofrat, also seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, regulär vom Vizepräsidenten angeführt wurde.244 Solange er die Sitzungsleitung nicht vertretungshalber übernahm, verfügte der Vizepräsident im Gegensatz zum Behördenchef also über eine reguläre Stimme. Dabei hatte er als einziger Reichshofrat bei seinem Dienstantritt einen vom üblichen Formular abweichenden Eid zu schwören, der ihn klar als politischen Amtsträger kennzeichnete und ihn in dehnbarer Formulierung dazu verpflichtete, „in schweren Sachen selbst die Hand mit an[zu]setzen“.245 Zum fachlichen Profil der Vizepräsidenten sei hier nur so viel bemerkt, dass sich deren Professionalisierung im Vergleich zum Präsidentenamt mit einiger zeitlicher Verzögerung vollzog. Dies zeigte sich in einer für die K ­ aiser unangenehmen Weise in den Jahren ­zwischen 1708 und 1713 während der faktischen Vakanz des Präsidentenamtes im Zuge der umstrittenen und schließlich gescheiterten Berufung des Ordensgeistlichen Rupert von ­Bodman zum Chef des Reichshofrats. Schon Zeitgenossen fiel auf, dass der in dieser Zeit die Sitzungen führende Vizepräsident Karl Ludwig von Sinzendorf mit dieser Aufgabe fachlich überfordert war und sich deshalb in ungewöhnlich starker Weise auf die Zuarbeit des Primus Votans stützen musste.246 Aus dieser Hängepartie zogen die K ­ aiser offensichtlich ihre Lehren und widmeten der Besetzung des Vizepräsidentenamtes fortan große Aufmerksamkeit. Bis zum Ende des Alten Reiches wurde die Vizestelle von ausgewiesenen Juristen bekleidet, was umso bemerkenswerter erscheint, als sich die ­Kaiser bei der Besetzung 243 So in einem Handschreiben Josephs II. an Reichshofratspräsident von Harrach vom F ­ ebruar 1778 in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 26, Konv. 2, Bl. 240. 244 Die über 1648 hinaus schwelenden Präzedenzkonflikte ­zwischen Vizekanzler und Vizepräsident sollen an dieser Stelle nicht weiter interessieren, werden jedoch in der in Anm. 60 angekündigten Studie behandelt. Erstmals erwähnt wurde das Amt eines Vizepräsidenten nach gegenwärtigem Forschungsstand 1594 in einem kaiserlichen Dekret zum Entwurf einer neuen Reichshofratsordnung. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 81, sowie in der Folge in der Ordnung von 1617, Tit. I, siehe ebd., S. 161. 245 Siehe beispielsweise die durch Frobenius von Fürstenberg 1671 geschworene Eidesformel in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 26, Konv. 2, Bl. 46 f. 246 Nichtsdestotrotz diente Sinzendorf, der bereits 1672 introduziert worden war, 45 Jahre hindurch als Reichshofrat. Siehe Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 299 f.

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­ itunter auch über das Anciennitätsprinzip hinwegsetzten, so dass Räte der Herm renbank an ihren als untauglich eingeschätzten Kollegen vorbeizogen.247 In einem anderen Fall erhob man einen auf der Gelehrtenbank sitzenden Freiherrn in den Grafenstand, um ihn in Windeseile an die Spitze der Herrenbank katapultieren zu können. Schwerwiegende Friktionen im Gremium und die Abdankung mehrerer desavouierter Räte der Herrenbank nahm der K ­ aiser hierfür in Kauf. Wenn der Kurfürst von Mainz das Amt des Vizepräsidenten 1748 als „den vornemblicheren Grundstein“ 248 des Reichshofrats bezeichnete, dürfte sich dies also vollständig mit der Ansicht des Kaisers gedeckt haben. Der weitere Verlauf der Umfrage kann an dieser Stelle umso weniger nachgezeichnet werden, als dieser von der volatilen Zusammensetzung des Spruchkörpers am jeweiligen Sitzungstag abhängig war. Im Rahmen der Frage nach einer mög­ lichen Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten interessiert hier allein die Frage, was es eigentlich bedeutete, dass die ersten vier Voten auf die Referenten, einen fest installierten Primus Votans und den Vizepräsidenten entfielen. Schließlich führt die Umfrage an das offene Herz des kollegialen Akts. Eine Forschung, die die Umfrage nicht erfasst hat, hat folglich auch von kollegialer Rechtsfindung nicht das Geringste verstanden. Wenn überhaupt irgendwo, so muss also genau hier in Anlehnung an den bereits zitierten Zeitgenossen Karl Friedrich Brainl gefragt werden, ob die Umfrage „aus keiner andern Ursache, als weil es so hergebracht und immer so gehalten worden ist“, so und nicht anders gehandhabt wurde – oder ob sich womöglich jemand etwas dabei gedacht und dabei die „Einrathung der Umstände“ 249 verarbeitet hatte. Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass die ersten Voten auf die vom Präsidenten ernannten Referenten sowie auf zwei Räte entfielen, die im Gremium nicht exakt dort gesessen hätten, wo sie saßen, wenn der ­Kaiser ihnen nicht mehr Vertrauen entgegengebracht hätte als ihren Kollegen? Was folgt aus dieser Konstellation, wenn man in Anknüpfung an das zitierte Gutachten von 1740 einmal davon ausgeht, dass sich im Reichshofrat seit dem frühen 18. Jahrhundert tatsächlich zwei plakativ als Pedanten und Staatsmänner zu titulierende Fraktionen herausgebildet hatten und dass es womöglich noch eine dritte Gruppe aus Unentschlossenen bzw. Uninteressierten gab, die ihr Fähnchen in der Auseinandersetzung z­ wischen den ersten beiden Fraktionen nach dem Wind richten würden? Wie schön wären doch Votenprotokolle! Ist es nicht wiederum ein seltsamer Zufall, dass der Reichshofrat im Gegensatz zum Reichskammer­ gericht niemals s­olche Bände führte und das Abstimmungsverhalten einzelner 2 47 Hierzu und zum Folgenden detailliert die in Anm. 60 angekündigte Studie. 248 Schreiben des Erzkanzlers an den Vizekanzler vom 18. 09. 1748 in ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 9. 249 Brainl, Lehrsätze (wie Anm. 67), S. 92.

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Räte ­konsequent verschleierte? Müsste der Verfasser jedoch eine Wette abgeben, würde er sich womöglich an den Zusammenhang von Sein und Bewusstsein erinnern und darauf tippen, dass es nach Abgabe der ersten Voten 4:0 für das Team der Staatsmänner stand. Doch womöglich wäre das Geld dann weg. Denn grau ist bekanntlich alle ­Theorie und auch Aufstellungen, die auf dem Papier unschlagbar aussehen, können sich als Reinfall entpuppen. Was zählt, ist auf dem Platz bzw. im vorliegenden Fall in der Ratsstube. Nichtsdestotrotz verrät die Aufstellung einiges über die dahinterstehende taktische Ausrichtung. Und diese zielte im vorliegenden Fall ganz eindeutig darauf, in vom Präsidenten als wichtig erachteten Verfahren die Umfrage durch einen fulminanten Start mit 4:0 zu eröffnen. Ob dieser Plan tatsächlich stets aufging oder sich das Team der Staatsmänner womöglich als Ansammlung zerstrittener Solisten entpuppte, verraten einem die Protokolle des Reichshofrats leider nicht. Dass sich das reale Sitzungsgeschehen jedenfalls wesentlich komplexer gestaltete, als es der Verfasser bei seiner fiktiven Wette annahm, verdeutlicht bereits die Tatsache, dass der Präsident in wichtigen Verfahren noch einen allerletzten, von der Forschung bislang übersehenen Sicherungsmechanismus eingebaut hatte, um unerwünschte Kollegialbeschlüsse zu verhindern. Die Rede ist von einer Beeinflussung der personellen Zusammensetzung des Spruchkörpers. Unter Berufung auf Johann Albrecht Portner,250 der von 1671 bis 1687 als Reichshofrat auf der Gelehrtenbank tätig gewesen war, meldete Friedrich Karl von Moser 1752, es werde am Reichshofrat bei Abstimmungen über Vota ad Imperatorem auf die Anwesenheit einer ausreichenden Anzahl von Räten geachtet, die zugleich im Geheimen Rat säßen, um auf diese Weise zu verhindern, dass ein Gutachten dort ­später auf Widerspruch stoße.251 Angesichts des durchgängig niedrigen Evidenzwertes der Reichshofratsüberlieferung handelt es sich bei der Bemerkung Portners um einen jener beiläufig hingeworfenen Sätze, die einem über das Verfahren mehr verraten als die Lektüre von 100 Prozessakten: 1. Im Zuge der oben beschriebenen Erweiterung des Geheimen Rats seit ­Ferdinand II . waren nicht nur die Reichshofratspräsidenten, sondern mehrere erbländische Adelige von der Herrenbank in das Gremium aufgerückt. Im Reichshofrat saßen diese zum Kern der Wiener Hofgesellschaft zählenden Männer nicht, um andächtig und devot den Referaten von der Gelehrtenbank 250 Zur Person Norbert Conrads, Johann Albrecht Portner von Theuren (1628 – 1687). Der Bildungsgang eines evangelischen Reichshofrates, in: Heinrich Fichtenau/Erich Zöllner (Hg.), Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, Wien/Köln/Graz 1974, S. 115 – 129. 251 Zitiert nach Moser, Reichs-Hof-Raths-Ordnung (wie Anm. 179), Bd. 2, Frankfurt a. M./ Leipzig 1752, S. 30.

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zu lauschen. Sie waren berufen worden, um die Einbindung des Gremiums in den Kaiserhof zu stärken und gegebenenfalls einen dem Geheimen Rat vorgelagerten Genehmigungsvorbehalt auszuüben. Schließlich äußerte sich die Überordnung des Geheimen Rates über den Reichshofrat auch darin, dass Geheime Räte bereits seit 1617 gegenüber Reichshofräten weisungsbefugt waren.252 Im Rahmen der Frage nach der Verfahrensautonomie am Reichshofrat ist diese Konstellation auch deshalb brisant, weil der aus den Erblanden stammende Hofadel von einem Selbstverständnis geprägt war, das „einer funktionalen Auffassung von Amtsträgerschaft, wie sie s­ päter dann in der Rollenerwartung an den spezialisierten Fachbeamten sichtbar wurde, diametral entgegen“ 253 stand. An der ausgeprägten Nähe der Geheimen Räte zum K ­ aiser, der zugleich Lehnsherr ihrer Besitzungen in Österreich und Böhmen war,254 ist nicht zu zweifeln. 2. Die Teilnahme einer überdurchschnittlichen Zahl von Geheimen Räten konnte der Präsident im Rahmen der Festsetzung der Tagesordnung nur dann organisieren, wenn er bereits vor Sitzungsbeginn wusste, dass das Gremium ein Votum ad Imperatorem beschließen würde. In vielen Fällen fiel der Beschluss zur Erstellung eines Gutachtens also keineswegs, wie es der Text der Vota nahezu durchgängig nahelegt, in pleno, sondern in praesidio, womit sich auch erklären ließe, warum sich im Text der allermeisten Vota keinerlei Hinweis auf einen Dissens im Plenum finden lässt. Darüber hinaus war es aus Sicht des Präsidenten keineswegs mit einer höflichen Einladung der Geheimen Räte getan, wenn es darum ging, diese in den Stand zu setzen, die ihnen zugedachte Kontrollfunktion gegenüber dem Rest des Gremiums sinnvoll wahrzunehmen. Im Vorfeld war Einvernehmen über die Linie des Geheimen Rates bzw. den Willen des Kaisers herzustellen. Wo auch immer sich dieser Abstimmungsprozess vollzog, sei es nun im Geheimen Rat selbst oder in einer kleineren Konferenz unter dem Vorsitz des Präsidenten: Der Sache nach beschreibt Portner eine den Kollegialakt präjudizierende Vorabsprache einzelner Gremienmitglieder auf Geheiß des Behördenchefs. 3. Für einen starken Präsidenten war es zweifellos nützlich, zur Unterstützung der „Staatsmänner“ in deren Auseinandersetzung mit den „Pedanten“ die Geheimen Räte von der Herrenbank aufbieten zu können, die im Gegensatz zum 252 Reichshofratsordnung von 1617, Tit. I. Siehe Sellert, Ordnungen des Reichshofrats (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 162. In den nachfolgenden Jahrzehnten ist vor dem Hintergrund der explodierenden Mitgliederzahl des Geheimen Rates freilich davon auszugehen, dass sich diese Weisungsbefugnis auf die tatsächlich zu den Sitzungen geladenen Geheimen Räte verengte. 253 Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2003, S. 138, vgl. ebd., S. 57 und 99 f. 254 Hierzu etwa Pečar, Ökonomie der Ehre (wie Anm. 253), S. 103.

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S­ itzungsleiter über eine reguläre Stimme verfügten. In der Hand eines schwächelnden Chefs war diese Waffe jedoch ein zweischneidiges Schwert. Denn sollte der Präsident jemals den unmittelbaren Zugang zum K ­ aiser verlieren und sich dies im Schafstall herumsprechen, mochten einige Räte zu seiner Rechten auf den Gedanken verfallen, dass sich ihre Kontrollfunktion nicht allein auf die beiden Bänke, sondern auch auf den Mann an der Stirnseite der Tafel erstreckte. Schließlich basierte die in den Reichshofratsordnungen von 1617 und 1654 so sinnreich formulierte Vorstellung einer im Präsidenten verkörperten Realpräsenz des Kaisers ganz elementar darauf, dass Unter- und Oberhirte in ständigem Austausch miteinander standen oder dass dies im Stall zumindest geglaubt wurde. Was aber, wenn dieser Glaube verloren ging? Mussten in einer solchen Situation einige verwegene Räte mit klingendem Familiennamen nicht nahezu zwangsläufig darüber nachdenken, ob es an der Zeit sei, dem Schwächling den Hirtenstab zu entwinden und die Führung der Herde selbst zu übernehmen? Die Atmosphäre in der Ratsstube hätte man sich in einem solchen Fall wohl recht turbulent vorzustellen. Quer zu den z­ wischen Pedanten, Staatsmännern und Gleichgültigen verlaufenden Fronten wäre in dem notorisch überlasteten Gremium auch noch eine Auseinandersetzung z­ wischen hochadeligen Alphamännchen entbrannt. Ob es im Reichshofrat tatsächlich zu derartigen Auseinandersetzungen gekommen ist und was derartige Konflikte gegebenenfalls mit den Vota und richterlicher Unabhängigkeit zu tun haben, wird im Folgenden noch zu untersuchen sein. Zunächst ist jedoch mit der Bildung außerordentlicher Deputationen auf das – neben einem übermächtigen Präsidium – zweite klassische Instrument zur Aushöhlung des Kollegialprinzips einzugehen.

IX.  Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten im Verfahren des Reichshofrats (II) – zur Aushöhlung des Kollegialprinzips durch außerordentliche Deputationen Im Jahre 1918 bemerkte der russische Revolutionär Walerian Ossinski über das oberste Exekutivorgan der Bolschewistischen Partei: „Das Zentralkomitee als kollegiales Organ gab es eigentlich gar nicht. […] Die Genossen Lenin und Swerdlow trafen alle Entscheidungen, indem sie miteinander oder mit bestimmten anderen Genossen sprachen, die bestimmte Zweige des Sowjetapparats repräsentierten.“ 255 Mit dem Reichshofrat hat die hier von Ossinski 255 Zitiert nach Yuri Slezkine, Das Haus der Regierung. Eine Saga der russischen Revolution, München 2018, S. 217.

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beschriebene Herrschaftstechnik einer Aushöhlung des Kollegialprinzips durch informelle Vorabsprachen mehr zu tun, als man zunächst denken könnte. Im 17. und 18. Jahrhundert trieb nämlich auch zahlreiche Reichsstände die Sorge um, der Reichshofrat könne als Kollegialorgan womöglich gar nicht existieren, sondern lediglich Entscheidungen verkünden, die der ­Kaiser im Austausch mit bestimmten Getreuen, die bestimmte Zweige des höfischen Apparats repräsentierten, schon längst getroffen hatte. Im Wege der Wahlkapitulation trugen sie Karl VII. deshalb 1742 auf: „Übrigens sollen alle und jede vor Unßern Reichs-Hoffrath gehörige Sachen allezeith in Pleno abgehandlet und weder zuvor noch hernach, vor einige Deputationen, Hoff-Commissionen oder was dergleichen ausßerordentliche Weeg sonst für Nahmen haben mögen, nimmermehr gezogen noch derer grader Rechts-Lauff unterbrochen oder gehemmet werden.“ 256 Verantwortlich für diese Erweiterung der Wahlkapitulation waren Erfahrungen, die die Stände mit Karl VI. gemacht hatten. Schon unmittelbar nach dessen Tod hatte es 1740 in einem anonymen Gutachten aus dem Umfeld des Reichsvizekanzlers geheißen, es mehrten sich in jüngerer Zeit Hinweise, dass „die meisten Reichs-HoffRaths-Sachen, ­welche nur im geringsten einem respectui politico unterworffen gewesen, vorhero zu einer so genanten Reichs-Deputation mit zuziehung frembder, zum R. H. Rath nicht gehöriger Persohnen gezogen, ja wohl gar darinnen deliberiret worden, ob selbige in R. H. Rath ad Relationem gebracht werden sollen oder nicht?“ 257 Diese Reichsdeputation, der auch mehrere Reichshofräte angehört hätten, habe geradezu als „Geheimes Reichsgericht“ fungiert und Urteile gefällt, die sodann unter dem bloßen Namen des Reichshofrats expediert worden ­seien.258 Tatsächlich gibt es schwerwiegende Indizien für die Vermutung, dass insbesondere unter Karl VI. das Plenarprinzip am Reichshofrat in einem Maße durch außerordentliche Deputationen ausgehöhlt wurde, von dem sich die Forschung bislang kaum eine Vorstellung machen dürfte. Dabei hat Rudolf Endres schon vor einem halben Jahrhundert auf einen besonders brisanten Fall aufmerksam gemacht, der kaum einen Zweifel daran lässt, wozu der Kaiserhof fähig war, wenn ein am Reichshofrat anhängiges Verfahren seine Interessen tatsächlich auf fundamentale Weise berührte.259 Die Rede ist von der sich unter Preußenkönig Friedrich 2 56 Art. XXIV § 13, zitiert nach Burgdorf, Wahlkapitulationen (wie Anm. 64), S. 448. 257 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. I § 14), siehe auch ebd. die Anmerkungen zur Wahlkapitulation Karls VI. von 1711). 258 Von dem Verdacht, dass Deputationen Urteile gefällt hatten, ­welche sich nach außen als Reichshofratsbeschlüsse ausgaben, berichtete ­später auch Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 51. 259 Rudolf Endres, Die Erbabreden ­zwischen Preußen und den fränkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 25 (1965), S. 43 – 87, hier S. 63.

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­ ilhelm I. abzeichnenden Sukzession der Kurlinie des Hauses Hohenzollern in den W von Nebenlinien regierten Fürstentümern Ansbach und Bayreuth. Die haus- und lehnsrechtliche Problematik des Falls, der unlängst eine vorzügliche Aufarbeitung erfahren hat,260 soll an dieser Stelle nicht interessieren. Wichtig ist im vorliegenden Kontext allein der Hinweis auf die politische Brisanz der Causa: Zum einen wäre bei einem Anfall der Fürstentümer an die hohenzollernsche Kurlinie die von „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. drastisch vermehrte preußische Armee gewissermaßen auf Sichtweite an die ins Königreich Böhmen führenden Gebirgspässe herangerückt. Zum anderen hätte Brandenburg-Preußen erheblichen Einfluss im Fränkischen Reichskreis gewonnen, woran vor allem der Bischof von Würzburg keinerlei Interesse hatte, bei dem es sich passenderweise um den Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn handelte, der wiederum ein Onkel des Reichsvizekanzlers Friedrich Karl von Schönborn war. Die sich abzeichnende Sukzession tangierte demnach die politischen Interessen des Kaisers und des Reichsvizekanzlers ganz unmittelbar, und beide wären deshalb wohl nie auf den Gedanken verfallen, eine Frage von solcher Brisanz ohne penible Vorbereitung im Plenum des eigentlich zuständigen Reichshofrats bearbeiten zu lassen. Der ­Kaiser richtete deshalb 1715 eine Deputation ein, der folgende Personen angehörten: Hofkriegsratspräsident Prinz Eugen von Savoyen, Obersthofmeister Johann Leopold von Trautson, Obersthofkanzler Philipp Ludwig von Sinzendorf, Hofkammerpräsident Gundaker von Starhemberg, Reichshofratspräsident Ernst Friedrich von Windischgrätz und Reichsvizekanzler Friedrich Karl von ­Schönborn. Der auf die Reichsverfassung vereidigte Vorsitzende des Reichshofrats war also anwesend, als beschlossen wurde, dem ­Kaiser zu raten, „mit solcher manier behuetsamb darinnen fürzugehen, daß eusserlich nichts anderst als der alleinige Weeg der Kläger, des Richters und der rechten vorscheine, innerlich und unter der Handt aber mit Rath und That aller Vorschub gegeben, jedoch von seithen Ewer Kay. Mt. hierunter insonderheit dermassen fürsichtig gehandlet werde, damit man dieselbe keiner parteylichkeit beschuldigen, folglich darob von dem König in Preussen kein begründeter anlaß hergenommen werden könnte, gegen Ew. Kay. Mt. in Dero Kayserl. Obristlehenherrund höchstrichterlichem Ambt, alß welches endtlich der sache die rechte gestalt und das gewicht geben müste, […] befuegte Klage zu führen“.261

Vom K ­ aiser gab es für das Projekt, das unter anderem geheime Geldzahlungen an die hausinterne Opposition gegen den Preußenkönig vorsah und in der Folge maßgeblich dazu beitrug, dass Berlin die beiden Fürstentümer erst 1792 vereinnahmen konnte, ein „Placet“. 260 Quinten Somsen, Prussia’s Franconian undertaking. Dynasty, law, and politics in the Holy Roman Empire (1703 – 1726), in: Virtus 24 (2017), S. 75 – 104. 261 Referat Schönborns in ÖStA HHStA, RK, Vorträge, K. 6b, Bl. 618 – 627, Zitat Bl. 619 f.

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Heinrich von Treitschke hätte ­dieses Zitat gewiss mit Kusshand genommen, scheint es doch buchstäblich alles zu bestätigen, was die kleindeutsche Forschung über den frühneuzeitlichen Kaiserhof zu wissen meinte: ein Hort der Intrige, bemäntelt allein durch das sogenannte Reichsrecht, „welches endtlich der sache die rechte gestalt und das gewicht geben“ musste, um den deutschen Michel ruhig weiterschlummern zu lassen. Nur weil die Quelle Treitschke gefallen hätte, heißt dies jedoch nicht, dass sich die Forschung der Auseinandersetzung mit ihr durch den Hinweis auf einen vagen Verrechtlichungsprozess, von dem im vorliegenden Fall ausnahmsweise abgewichen worden sei, entziehen könnte. Schließlich besitzt sie, wenn sie ehrlich ist, zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine Vorstellung davon, was am Kaiserhof die Regel und was die Ausnahme war. Wer sagt denn, dass die illustre Runde, die den K ­ aiser in der Causa Ansbach-Bayreuth beriet, sich nicht allwöchentlich traf, um jene am Reichshofrat anhängigen Verfahren zu besprechen, die aus Sicht des Kaisers lediglich als juristische Schaufassade für skrupellose Machtpolitik herzuhalten hatten? Dass der Reichshofratsforschung ein hinreichendes Bewusstsein für diese Frage bislang fehlt, ist kein Zufall. Prinz Eugen & Co waren schlichtweg nicht so dumm, ausgerechnet im semiöffentlichen Prozessschriftgut der zu unterwandernden Behörde Spuren ihrer Tätigkeit zu hinterlassen.262 Um es in der gebotenen Deutlichkeit zu sagen: Die Prozessakten und -protokolle zu Verfahren, in denen der ­Kaiser eine außerordentliche Deputation einsetzte, verraten dem Forscher in keiner Weise, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Sie sind integraler Bestandteil einer vom Kaiserhof fabrizierten und den Reichsständen aufgetischten Lüge, wonach die jeweilige Entscheidung im Plenum des Reichshofrats gefallen sei. Ihre Funktion bestand darin, den Entscheidungsprozessen am Hof nach außen „die rechte Gestalt“ zu geben, indem sie eine Verfahrensautonomie suggerierten, die tatsächlich überhaupt nicht gegeben war. Wenn man so möchte, beläuft sich der Evidenzwert solcher Akten also nicht nur auf mathematisch Null, er ist sogar negativ, indem er die Forschung auf falsche Fährten lockt. Werfen wir jedoch noch einmal einen Blick auf das zitierte Deputationsgutachten von 1715, abstrahieren von der Causa Ansbach-Bayreuth und fragen, ­welche weitergehenden Rückschlüsse die Quelle hinsichtlich höfischer Entscheidungsprozesse in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlaubt. Da wäre zunächst die Frage, ob man es hier mit jener mehr oder weniger institutionalisierten ­Reichsdeputation 262 Ausnahmen bestätigen freilich auch hier die Regel. Wenn etwa die Österreichische Hofkanzlei den Reichshofrat 1738 aufforderte, in einem hier nicht weiter interessierenden Rechtsstreit ­zwischen dem Bischof von Straßburg und dem Prälaten von Ettenheimmünster die Ergebnisse einer „ehestens nun bevorstehenden Zusammentrettung“ abzuwarten, so verbirgt sich dahinter die Ankündigung einer Deputation. Siehe ÖStA HHStA, RHR, Decisa, K. 1406.

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zu tun hat, von der in dem zitierten Gutachten von 1740 die Rede ist. Hiergegen spricht zunächst der hochkarätige Teilnehmerkreis, zu dem zwar der Präsident, jedoch kein weiteres Mitglied des Reichshofrats zählte. 1740 war allerdings ausdrücklich von mehreren regelmäßig zur Reichsdeputation berufenen Räten die Rede gewesen. Darüber hinaus atmet das gesamte, oben nur auszugsweise zitierte Gutachten einen Geist der Grenzüberschreitung. Alle Beteiligten, darunter der Reichshofratspräsident, handelten in dem Bewusstsein, gegen die Reichsverfassung zu verstoßen, was mit mehrfach wiederholten Forderungen nach allerstrengster Geheimhaltung einherging. Es spricht demnach einiges dafür, dass die hochkarätige Besetzung der Deputation der politischen Tragweite der Causa Ansbach-Bayreuth geschuldet war und keine direkten Rückschlüsse auf die ominöse Reichsdeputation Karls VI. erlaubt. Gleichwohl führt das Gutachten von 1715 in einer Hinsicht entscheidend weiter, nämlich mit Blick auf seinen Überlieferungsort in der zum Archivbestand „Reichskanzlei“ zählenden Aktenserie der Vorträge des Reichsvizekanzlers an den K ­ aiser. Genau hier und in einigen weiteren Serien der Reichskanzlei finden sich wenige, allerdings sehr aufschlussreiche Quellen zur Reichsdeputation. Von besonderem Interesse ist dabei zunächst deren personelle Zusammensetzung. Schließlich darf man vermuten, dass sich hinter den Deputierten genau jene „Staatsmänner“ verbergen, ­welche im Reichshofratsplenum als Präsidentenpartei auftraten. 1733 ging am Kaiserhof eine hier nicht weiter interessierende Beschwerde der Könige von England und Preußen über die Besetzung einer Assessorstelle am Reichskammergericht ein. Der Reichsvizekanzler teilte daraufhin dem Reichshofratspräsidenten mit, er habe auf Befehl des Kaisers eine Deputation zu bilden und hierzu „die ihme bekannte wohlgesinnte Reichs-Hoff-Räthe von beyderley Religion zu nehmen“.263 Um wen es sich bei den Wohlgesinnten handelte, geht aus einer dankenswerterweise beiliegenden Liste hervor, die sechs Namen umfasst: 1. Johann Adolf von Metsch Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Leipzig und einer Vorkarriere in Anhalt und Brandenburg-Ansbach trat Metsch 264 in kaiserliche Dienste, wurde 1700 als Reichshofrat auf der Herrenbank introduziert und vertrat das Reichsoberhaupt seit 1719 als Gesandter beim Niedersächsischen Reichskreis. 1729 avancierte er zum Reichshofratsvizepräsidenten und wurde 1734 als Nachfolger von Friedrich Karl von Schönborn zum Reichsvizekanzler ernannt. 263 Reichskanzleidekret vom 27. 03. 1733 in ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 54, Konv. 1. 264 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 339 – 342.

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2. Friedrich Karl von Danckelmann Danckelmann,265 Sohn des kurbrandenburgischen Ministers Eberhard von Danckelmann, war 1703 nach mehrjährigen Verhandlungen z­ wischen Wien und Berlin als erster Calvinist in den Reichshofrat auf der Herrenbank berufen worden. Er verfügte augenscheinlich nur über geringe juristische Kenntnisse und referierte vergleichsweise wenig. 1734 wurde er emeritiert. 3. Anton Esaias von Hartig Hartig 266 stammte aus einem böhmischen Adelsgeschlecht und saß seit 1709 auf der Gelehrtenbank, wo er rasch zu einer der Stützen des Gremiums aufstieg. Es war Hartig, dem man, wie oben beschrieben, 1734 die Reichsgrafen­würde verlieh, um ihn an die Spitze der Herrenbank transferieren und als Nachfolger Metschs zum Vizepräsidenten ernennen zu können. 4. Karl Ludwig Hilleprand von Prandau Prandau saß seit 1717 auf der Gelehrtenbank und entstammte einem dem Haus Habsburg seit Generationen eng verbundenen Tiroler Adelsgeschlecht. Nach einem Studium in Salzburg, Leyden und Löwen hatte er am Reichskammergericht, am Reichstag und an der kaiserlichen Gesandtschaft beim Utrechter Friedenskongress praktiziert, um sodann das Amt eines bayerischen Hofrats in München zu übernehmen. Er genoss den Ruf eines „erfahrenen und scharfsinnigen Juristen“ 267 und wurde vom K ­ aiser 1734 in den Freiherrenstand mit dem Prädikat „Wohlgeborener Edler Panner- und Freiherr von Prandau“ erhoben. 5. Heinrich Bernhard von Wucherer Wucherer saß seit 1726 auf der Gelehrtenbank und war zuvor als Kanzleidirektor des Grafen von Oettingen und als Geheimer Rat des Bischofs von Augsburg tätig gewesen. Der K ­ aiser erhob ihn im Dezember 1726 in den R ­ itterund 1734 in den Freiherrenstand mit dem Prädikat „von Huldenfeld“.268 6. Georg Christian Knorr von Rosenroth Knorr hatte in Jena studiert, war 1723 in braunschweigische Dienste ­getreten und saß seit 1731 auf der Gelehrtenbank. Er galt Zeitgenossen als politisch erfahren und ausgesprochen fleißig. 1738 zum Katholizismus konvertiert, heiratete er eine Tochter des Staatssekretärs Johann Christoph von ­Bartenstein,269 der als Protokollführer der Geheimen Konferenz zu den ­wichtigsten 2 65 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 350 – 353. 266 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 370 f. 267 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 390. 268 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 402 f. 269 Zur Person Alfred von Arneth, Johann Christoph Bartenstein und seine Zeit (Archiv für österreichische Geschichte 46), Wien 1871.

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a­ ußenpolitischen Ratgebern unter Karl VI. und Maria Theresia zählte. Bei Oswald von ­Gschließer findet sich die ominöse Bemerkung, Knorr scheine „kein aufrechter Mann gewesen zu sein“.270 Es sind diese Namen, die in den in der Überlieferung des Reichsvizekanzlers zu findenden bruchstückhaften Erwähnungen der Reichsdeputation 271 wiederholt auftauchen. Die Deputierten nahmen 1733 auf der Herrenbank die Positionen 1 (Metsch) und 2 (Danckelmann) sowie auf der Gelehrtenbank die Positionen 1 (Hartig), 2 (Hilleprand), 6 (Wucherer) und 8 (Knorr) ein. Sofern deren Einberufung nicht darauf ausgerichtet war, eine Behandlung der Materie im Reichshofratsplenum überhaupt zu verhindern,272 diente sie dort der Organisierung einer Mehrheit für den bereits vorab gefällten Beschluss. So achtete der Präsident offenbar darauf, ein Deputationsmitglied zum Referenten zu ernennen, so dass die zur Abstimmung gelangende Relation inhaltlich identisch mit dem Deputationsgutachten gewesen sein dürfte. Während der Referent sprach, lag die Akte vor dem mit der Vollständigkeitsüberprüfung betrauten, gleichfalls in der Deputation sitzenden Primus Votans, der die Umfrage mit seiner ausführlichen Stellungnahme eröffnete. Daraufhin erteilte der Präsident seinem Vize das Wort, dessen Herausforderung hauptsächlich darin bestanden haben dürfte, gegenüber dem Plenum den Eindruck zu erwecken, die Relation soeben zum ersten Mal gehört und nicht etwa an deren Formulierung selbst mitgewirkt zu haben – schlechte Zeiten für juristische Pedanten, möchte man meinen. Um allzu holzschnittartigen Vorstellungen hinsichtlich der Wechselbeziehung ­zwischen Politik und Recht in von Deputationen ausgehöhlten Verfahren vorzubeugen, gilt es allerdings, sich das fachliche und soziale Profil der Deputierten noch einmal genau anzusehen. Mit der einzigen Ausnahme Danckelmanns, der seine Heranziehung zur Reichsdeputation vermutlich seiner Konfession und seinem prominenten Sitz an zweiter Position der Herrenbank verdankte, handelte es sich bei den genannten Männern ausnahmslos um namhafte Juristen. Vier von sechs Deputierten des Jahres 1733 saßen auf der Gelehrtenbank. Diese Zusammensetzung des Personaltableaus macht deutlich, dass es in der Reichsdeputation nicht einfach darum ging, Recht durch Politik zu ersetzen. Zwar zeigt die Causa 2 70 Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 406. 271 Eine detaillierte Auswertung erfolgt in der in Anm. 60 angekündigten Monographie. 272 Dass auch dies vorkam, das angeführte Gutachten von 1740 also auch in ­diesem Punkt richtig liegt, belegt eine in einem hier nicht weiter interessierenden Rechtsstreit z­ wischen dem Bischof von Straßburg und dem Prälaten von Ettenheimmünster eingesetzte Deputation. Diese sollte klären, „ob denn das Vorder-Österreichische Interesse dergestalt in diesen Streittigkeiten mit versire, daß ohne dessen Schaden und Gefährde kein Spruch bey Reichs-Hof-Rath erfolgen könne?“ Siehe ÖStA HHStA, RK, Vorträge des Reichsvizekanzlers, K. 66, Bl. 20.

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­Ansbach-Bayreuth in aller Deutlichkeit, dass der Kaiserhof notfalls auch zu Maßnahmen willens und in der Lage war, die er selbst als Grenzüberschreitung betrachtete. Doch auch und gerade in ­diesem Fall benötigte man fähige Juristen, die das Ganze für die Außenwelt in „die rechte Gestalt“ zu bringen wussten. So oder so ging es in der Reichsdeputation also darum, „Jurisprudenz mit der Politique zu combiniren“, wie der anonyme Gutachter von 1740 treffend bemerkte. Verfügte ein Reichshofrat über diese Kombinationsfähigkeit, so war dies gewiss nicht zu seinem Schaden. Den meisten der Deputierten gelang am Kaiserhof jedenfalls ein bemerkenswerter sozialer Aufstieg. Dass Reichshofräte vom K ­ aiser nobilitiert wurden, war gewiss nichts Besonderes. Doch wenn ausgerechnet Wucherer in einer anonymen zeitgenössischen Satire auf den Hof Karls VI. als neureicher Provinzler durch den Kakao gezogen wird,273 so mag dies als Indiz für einen schon unter Zeitgenossen bestehenden Eindruck gelten, dass den Deputierten Pfründe und Titel schneller und reichlicher in den Schoß fielen als anderen. Aber wer wollte ihnen verdenken, dass sie nahmen, was ihnen geboten wurde? Als Rat der Gelehrtenbank hatte Freiherr von Hartig ein Vierteljahrhundert hindurch ein immenses Arbeitspensum bewältigt und dennoch bei jedem zeremoniellen Anlass noch dem intellektuell minderbemitteltsten Rat der Herrenbank, der alle Jubeljahre irgendwelche Bagatellen referierte, den Vorrang lassen müssen. Und dann kam, gewiss auch in Würdigung seiner Verdienste in der Reichsdeputation, jener auf ewig unvergessliche Tag, der damit begann, dass sich Hartig beim Ankleiden vor dem heimischen Spiegel erstmals den Degen 274 umschnallte, wenig ­später die Ratsstube betrat und als Reichsgraf von Hartig erhobenen Hauptes und gemessenen Schrittes am schmallippig dasitzenden Adel vorbei an die Spitze der Herrenbank marschierte und sich zur Rechten des Präsidenten niederließ. Musste auf ­diesem Schritt für Schritt in seiner ganzen Süße auszukostenden Gang der Blick nicht zwangsläufig auf das an der Stirnseite der Stube in Lebensgröße angebrachte Portrait jenes Monarchen fallen, der ihm diesen inneren Reichsparteitag beschert hatte? Wie wahrscheinlich war es, dass Hartig beim Blick in das eine oder andere ihm nun auf der Gelehrtenbank gegenübersitzende Pedantengesicht jemals vergessen würde, warum er in das Amt eines Reichshofratsvizepräsidenten gelangt war? Wie wahrscheinlich war es, dass er in der Folgezeit bei der Abgabe seines Votums jemals 273 Siehe Max Braubach, Eine Satire auf den Wiener Hof aus den letzten Jahren ­Kaiser Karls VI., in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 53 (1939), S. 21 – 78, hier S. 67 f. 274 Über das Privileg zum Tragen eines Degens in der Ratsstube verfügten nur die Mitglieder der Herrenbank. Dass dies auf der Gelehrtenbank, auf der immerhin auch Freiherren saßen, als Zurücksetzung empfunden wurde, belegt ein Gravamen von 1740. Siehe ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Abschnitt VI, Nr. 4).

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jene Hand beißen würde, die ihn so großzügig gefüttert hatte? Wie wahrscheinlich war es, dass die Fraktion der Staatsmänner nach Abgabe von Hartigs Votum nicht mit 4:0 in Führung lag? Und was mochte sich der soeben als Nr. 9 oder 10 auf der Gelehrtenbank introduzierte Frischling des Gremiums denken, wenn er sah, wie Hartig im Einklang mit sich und der Welt neben dem Präsidenten Platz nahm? Würde er es in Zukunft als Referent immer ganz genau nehmen und sich zu den Pedanten gesellen, oder würde er bereit sein, auch einmal Fünfe gerade sein zu lassen, wenn als Belohnung die Grafenwürde winkte? Sofern die materiellen Grundlagen richterlicher Unabhängigkeit im modernen Rechtsstaat nicht gleichgültig sind, hat sich die Forschung mit Blick auf deren Abwesenheit in der Vormoderne mit exakt solchen, sehr konkreten, auf die Person bezogenen Problemen zu befassen, ohne deren Berücksichtigung über den Grad der Verfahrensautonomie nicht sinnvoll diskutiert werden kann. Es ist nicht bekannt, was die Räte Nr. 3, 4 und 5 von der Gelehrtenbank über die Deputiertentätigkeit der zu ihrer Linken sitzenden dienstjüngeren Kollegen Nr. 6 und 8 dachten. Das Beispiel Hartigs, dessen Aufstieg bis an die Spitze der Herrenbank sicherlich nicht allein mit dessen Wirken in der Reichsdeputation zusammenhängt, hierdurch aber gewiss befördert worden sein dürfte, verdeutlicht allerdings, dass das Deputationswesen auch die gremieninterne Hierarchie stark beeinflusste. Zur offiziellen, auf einer Mischung aus ständischem Rang und Anciennität beruhenden und in der Sitzordnung visualisierten Rangordnung trat eine unsichtbare zweite Hierarchie in Konkurrenz, die sich auf Grundlage von Mitgliedschaft bzw. Nichtmitgliedschaft in der Reichsdeputation konstituierte. Schließlich wird die Existenz der Deputation dem Gremium kaum über Jahre hinweg verborgen geblieben sein. Jeder Rat dürfte gewusst haben, dass die Stimme eines Mitglieds der Deputation mehr Gewicht besaß als die eines nicht hinzugezogenen Kollegen, selbst wenn dieser womöglich vor dem Deputierten votierte. Von zentraler Bedeutung für die Frage nach der dem Gremium im Zuge dieser informellen Vorabsprachen überhaupt noch verbleibenden Verfahrensautonomie ist natürlich die Anzahl der Prozesse, in denen die ominöse Reichsdeputation tätig wurde. Wie bereits betont, hinterließ sie in der Akten- und Protokollüberlieferung des Reichshofrats in der Regel keine Spuren, und auch in den Vorträgen des Reichsvizekanzlers wird sie nur selten erwähnt.275 Allerdings erwecken die dort überlieferten Bruchstücke in ihrer Wortwahl (die „bekannten wohlgesinnten“ Räte) den Eindruck eingespielter Arbeitsabläufe. Auch das zitierte Gutachten von 1740, das von einer großen Zahl betroffener Verfahren unter Karl VI. ausgeht und der Reichsdeputation deshalb sogar den Status eines dem Reichshofrat ü­ bergeordneten 275 Die betroffenen Verfahren werden in der in Anm. 60 in Aussicht gestellten Monographie detailliert analysiert werden.

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„geheimen Reichsgerichts“ zuschrieb, sollte ernstgenommen werden, da es sich bei dem anonymen Verfasser dem Gesamteindruck nach um einen mit den Zuständen am Kaiserhof wohlvertrauten Mann gehandelt haben muss. Sofern in den Nachlässen involvierter Räte oder der Überlieferung von Parteien keine noch unbekannten Quellen schlummern, wird die Forschung jedoch dauerhaft auf Vermutungen angewiesen bleiben. Verantwortlich hierfür ist die nur unzureichend dokumentierte Befehlskette ­zwischen ­Kaiser und Reichshofratspräsident, in die, wie im nächsten Kapitel aufzuzeigen sein wird, zumeist der Reichsvizekanzler eingebunden war. Dieser leitete die kaiserlichen Befehle an den Präsidenten entweder in Form von persönlich adressierten, niemals zu den Akten genommenen und in der Folge vernichteten Schreiben oder aber mündlich weiter. Letzteres bildete den Regelfall. Noch unter Joseph II. wurden die ­kaiserlichen Befehle dem Präsidenten „gewöhnlicher Maaßen mündlich“ 276 mitgeteilt. Dies geschah nicht etwa deshalb, weil man sich nichts weiter dabei dachte, sondern aus dem sehr einfachen, gegenüber einer zum Teil noch immer aktengläubigen Forschung jedoch nicht deutlich genug zu betonenden Grund, dass keiner der Beteiligten blöde war. Die Berater Josephs bestanden ausdrücklich auf mündliche, nicht ins Resolutionsprotokoll aufzunehmende Weisungen, „weilen Ihro Kayserlichen Mayestät allerhöchstem Interesse gemäß ist, ohne Noth nicht authoritative in dem Reich zu erscheinen und sich solches villmehr auf Fälle vorzubehalten, wo es an anderen Mitteln gebricht“.277 Dies schrieb im Jahr 1767 mit Ägyd von Borié 278 nicht irgendjemand, sondern einer der bedeutendsten kaiserlichen Juristen, der selbst im Reichshofrat gedient hatte und deshalb sicher wusste, wovon er sprach. Dass es gegenüber einem Kollegium, das seiner Tätigkeit in fußläufiger Entfernung vom Thron nachging, des Mittels mündlicher Kommunikation nur in den seltensten Fällen gebrach, muss nicht weitläufig ausgeführt werden. Von den meisten der tatsächlich eingesetzten Deputationen wird die Forschung deshalb vermutlich nie erfahren, so dass sie auch nicht ohne Weiteres wird beurteilen können, ob die oben zitierte Wahlkapitulation von 1742279 das „Deputationsunwesen“ am Reichshofrat wirksam einzuhegen vermochte. Dass nach der Episode des wittelsbachischen Kaisertums Karls VII. und der Wiederaufnahme der reichshofrätlichen Tätigkeit in Wien im Jahr 1745 tiefgreifende Wandlungsprozesse in der Ausübung des oberstrichterlichen Amtes und der gremieninternen Vorstellungen 276 So nach Aussage von Reichsvizekanzler Colloredo im Februar 1767. Siehe ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 55, Konv. 2. 277 So Ägyd von Borié als Mitglied der Reichskonferenz gegenüber Reichsvizekanzler Colloredo im Februar 1767. Siehe ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 55, Konv. 2. 278 Zur Person Gschliesser, Reichshofrat (wie Anm. 2), S. 454 f. 279 Siehe oben Anm. 256.

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über Verfahrensautonomie und richterliche Unabhängigkeit zu beobachten sind, ist nicht zu übersehen. Vor dem Hintergrund dieser im Folgenden mit Blick auf die Vota ad Imperatorem noch zu schildernden Entwicklungen ist zumindest nicht zu erwarten, dass sich die Habsburger in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts des Mittels der Deputation in gleicher Weise bedienten, wie es Karl VI. getan hatte. Allerdings, dies sei ausdrücklich betont, wurde der Reichshofratspräsident noch unter Joseph II. häufig mit der Bildung von Deputationen betraut,280 deren nähere Erforschung noch aussteht und an dieser Stelle nicht geleistet werden kann.

X.  Die Beschlussfassung über die Vota ad Imperatorem im kaiserlichen Kabinett (ca. 1730 bis 1806) Unter Karl VI. vollzog sich in der kaiserlichen Beschlussfassung über die an ihn gerichteten Vota ad Imperatorem ein grundlegender Wandel, der für die Interaktion z­ wischen dem Reichshofrat und dem K ­ aiser bis 1806 bestimmend blieb. Um diesen Wandel und die mit ihm einhergehenden Konflikte hinreichend zu erfassen, ist es notwendig, zunächst die bisherigen Ergebnisse knapp zu resümieren und um einige Beobachtungen zur Stellung des Reichshofratspräsidenten im höfischen Kommunikationsgefüge zu ergänzen. Über 1648 hinaus kam die Erstellung eines Gutachtens an den K ­ aiser im Geschäftsgang des Reichshofrats wenn nicht (wie noch unter Ferdinand II.) mehrmals wöchentlich, so doch zweifellos sehr häufig vor, beispielsweise 1675 in 74 Fällen. Beraten und entschieden wurde über diese Gutachten – von Ausnahmen abgesehen – durch den K ­ aiser im Geheimen Rat. Dessen Mitgliederzahl erhöhte sich seit Ferdinand II. drastisch, wodurch auch der Reichshofratspräsident und mehrere Mitglieder der Herrenbank in das Gremium aufrückten, welches jedoch immer seltener in Gänze zusammentrat. Auch über die Voten des Reichshofrats wurde schließlich nicht mehr im Plenum, sondern in speziell dafür anberaumten Sitzungen beraten, an denen neben dem ­Kaiser und weiteren höfischen Funktionsträgern zumeist auch der das Gutachten referierende Reichsvizekanzler und der Reichshofratspräsident teilnahmen. Eine Durchsicht der überlieferten Voten lässt erkennen, dass der K ­ aiser den Voten des Reichshofrats fast immer zustimmte oder höchstens marginale Änderungen vornahm. Durch eine Analyse der Gerichtsorganisation und des Geschäftsgangs am Reichshofrat konnte jedoch nachgewiesen werden, dass dieser Befund keineswegs als Indiz für eine hohe Verfahrensautonomie oder gar richterliche Unabhängigkeit 280 Beispiele bei Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 83 f., 139 – 141, 161, 191 – 194 und 203 – 205.

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der Reichshofräte zu werten ist. Vielmehr war die kaiserliche Politik aus Geheimhaltungsgründen spätestens nach 1648 prinzipiell darauf angelegt, in größeren Gremien wie dem Geheimen Rat oder dem Reichshofrat zu fällende Beschlüsse durch informelle Vorabsprachen zu entwerten, hierzu einen kleinen Kreis ausgewählter Räte heranzuziehen und somit Mehrheiten durch Minderheiten zu organisieren. Mit Blick auf den Reichshofrat geschah dies vor allem durch die mit den Ordnungen von 1617 und 1654 stark ausgebaute Stellung des Präsidiums im kollegialen Geschäftsgang. Der Behördenchef sollte auf diese Weise in den Stand gesetzt werden, ein als potentiell problematisch erachtetes Verfahren entweder diskret versanden zu lassen oder aber in eine dem Hof genehme Richtung zu lenken. Die kaiserliche Verfügungshoheit über die Vota ad Imperatorem markierte im Rahmen des Verfahrens also keineswegs den ersten und einzigen monokratischen Genehmigungsvorbehalt, sondern stand vielmehr am Ende einer langen Kette derartiger Vorbehalte, die in der Regel vom Präsidenten ausgeübt wurden. Auf Geheiß des Kaisers beließ es der Präsident jedoch nicht dabei, sondern höhlte die kollegiale Entscheidungsfindung noch weiter aus, indem er fallweise Deputationen einberief, ­welche den ­später im Plenum gefällten Beschluss vorwegnahmen. Unter Karl VI. wurde ­dieses Instrument zur Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten augenscheinlich besonders intensiv genutzt, wie nicht nur die darauf reagierenden Regelungen in der Wahlkapitulation von 1742, sondern vor allem die ominöse, in den Quellen jedoch nur vereinzelt begegnende Reichsdeputation mit ihren dem ­Kaiser „wohlgesinnten“ Mitgliedern verdeutlicht. Zwei grundlegende Fragen mussten jedoch bislang weitgehend offen bleiben: 1. Warum erstellte der Reichshofrat so viele Gutachten, wenn in als brisant erachteten Verfahren durch das Zusammenspiel ­zwischen Präsidium und fallweise einzusetzenden Deputationen ein dem K ­ aiser genehmer Beschluss ohnehin gewährleistet war? Immerhin verlangsamte jedes Votum ad Imperatorem den Geschäftsgang des ohnehin zunehmend überlasteten Gremiums erheblich. Warum nahm man diesen Nachteil billigend in Kauf, wenn die Gutachten aus Sicht des Kaisers doch offensichtlich nicht den ihnen in der Forschung gemeinhin zugeschriebenen Zweck hatten, korrigierend in die Judikatur des Reichshofrats einzugreifen? 2. Was hat es mit dem in den Quellen erstmals für die Regierungszeit Karls VI. greifbaren Konflikt ­zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb des Reichshofratsgremiums auf sich? Die polemische zeitgenössische Etikettierung dieser Strömungen als „Staatsmänner“ und „Pedanten“ lässt auf einen Grundsatzkonflikt um Verfahrensautonomie und richterliche Unabhängigkeit schon im frühen 18. Jahrhundert schließen. Sofern die Staatsmänner jedoch identisch mit den Mitgliedern der zeitgleich tätigen Reichsdeputation waren (und was spräche gegen diese Vermutung?), verlief die Frontlinie allerdings nicht ­holzschnittartig

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z­ wischen Juristen auf der Gelehrten- und angehenden Diplomaten auf der Herrenbank. Die Fraktion der Staatsmänner, die notfalls auch ein verordnetes Liegenlassen von Prozessen – sprich: Justizverweigerung – nicht scheute, hätte sich in ­diesem Fall vielmehr aus einigen der fachlich bestens qualifizierten Leistungsträger der Gelehrtenbank zusammengesetzt. Unklar ist allerdings nicht nur, w ­ elche Namen sich hinter den Pedanten verbergen. Vor allem stellt sich die Frage, wie unter einem starken Präsidium eine derartige Fraktionsbildung in einem allein vom ­Kaiser besetzten Gremium überhaupt vor sich gehen konnte. Offenbar vermochte der Unterhirte die ihm vom ­Kaiser übertragene Aufgabe, für Einigkeit im ganzen Schafstall zu sorgen, ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr in vollem Umfange zu erfüllen – aber warum? Da es in Zusammenhang mit der im Folgenden noch zu analysierenden Verlagerung der Beschlussfassung über die Vota vom Geheimen Rat ins kaiserliche Kabinett zu kontroversen Debatten kam, in denen die bisherige Praxis in aufschlussreicher Weise problematisiert wurde, sei die Frage nach den Entstehungsursachen der Gutachten zunächst zugunsten eines erneuten Blicks auf die Entwicklung des Präsidentenamtes zurückgestellt. Die Bedeutung des Präsidiums wurde in den vorangegangenen Kapiteln vor allem aus den Reichshofratsordnungen und der Praxis des Geschäftsganges entwickelt, während die Position der Amtsinhaber innerhalb der höfischen Befehls- und Kommunikationsstrukturen weitgehend ausgeklammert wurde. Ohne eine Verortung des Präsidenten im Machtgefüge des Kaiserhofes ist jedoch weder das Gewicht des Amtsinhabers innerhalb des Gremiums noch der Entstehungskontext der Vota ad Imperatorem hinreichend zu erfassen. Einige skizzenhafte Bemerkungen zu den Reichshofratspräsidenten im Zeitraum ­zwischen 1648 und 1740 müssen an dieser Stelle jedoch genügen.281 Prägend für die Geschichte des Reichshofrates im ersten halben Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden waren die Präsidenten Graf Ernst von OettingenWallerstein (1648 – 1670), Fürst Johann Adolf von Schwarzenberg (1670 – 1683) und Graf Wolfgang IV. von Oettingen-Wallerstein (1683 – 1708). Dass alle drei am Kaiserhof über großen Einfluss und über direkten, sich unter anderem über die Geheimratswürde vermittelnden Zugang zum K ­ aiser verfügten, ist nicht zu bezweifeln. Im Geheimen Rat, zahlreichen Deputationen und diversen anderen Gremien wirkten sie an der Formulierung der kaiserlichen Reichspolitik auch über den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich des Reichshofrats hinaus ganz wesentlich mit. Dem in den Reichshofratsordnungen von 1617 und 1654 entworfenen Rollen­modell eines starken Behördenleiters mit „direktem Draht zum Chef“

281 Eine ausführlichere Analyse erfolgt in der in Anm. 60 in Aussicht gestellten Studie.

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­ urden diese drei Amtsinhaber also weitgehend gerecht.282 Dass einzelne Räte in w jener Zeit auf den Gedanken gekommen sein sollten, mit dem Präsidenten vor versammelter Mannschaft Grundsatzfragen richterlicher Unabhängigkeit zu diskutieren, vermag man sich umso weniger vorzustellen, als zumindest Wolfgang IV. von Oettingen nachweislich nicht einmal vor der Androhung physischer Gewalt im Plenum zurückschreckte.283 Allerdings schloss sich an den Tod Wolfgangs IV. von Oettingen die bereits erwähnte Hängepartie um die gescheiterte Berufung Ruperts von Bodman zum Präsidenten und die fünfjährige Vertretung der Stelle durch einen überforderten Vizepräsidenten in den Jahren 1708 bis 1713 an. Diese Vakanz nutzte ein Amtsträger zu erheblichen Positionsgewinnen, der schon seit dem 16. Jahrhundert bei der Formulierung der kaiserlichen Reichspolitik in einem ausgeprägten Konkurrenzverhältnis zum Reichshofratspräsidenten gestanden hatte. Die Rede ist vom Reichsvizekanzler, als welcher just seit 1705 mit Friedrich Karl von Schönborn 284 einer der machtbewusstesten Männer fungierte, die der Reichskanzlei jemals vorstanden. Die nach 1713 als Reichshofratspräsidenten amtierenden Grafen Ernst Friedrich von Windischgrätz (1713 – 1727) und Johann Wilhelm von Wurmbrand (1728 – 1740, 1745 – 1750) vermochten es zu keinem Zeitpunkt, an den Einfluss ihrer Amtsvorgänger bei Hof anzuknüpfen. Sie verloren vielmehr den persön­ lichen Zugang zum K ­ aiser, der mit ihnen fast nur noch über den Reichsvizekanzler kommunizierte. Ursächlich für diese Entwicklung war nicht allein die dominante Stellung Schönborns, sondern auch das endgültige Eingehen des Geheimen Rates als tatsächlich tagendes Organ und die damit zusammenhängende Verlagerung der Beschlussfassung über die Vota in das kaiserliche Kabinett. Bevor indes auf die Interaktion ­zwischen Kabinett und Reichshofrat eingegangen werden kann, muss auf die Wechselwirkungen ­zwischen der höfischen und der gremieninternen Stellung des Reichshofratspräsidenten hingewiesen werden, da hierdurch ein erhellendes Licht auf die bereits mehrfach angedeuteten Ausein­ andersetzungen geworfen werden kann, zu denen es unter Karl VI . im Reichshofratsplenum kam. Denn offensichtlich waren die Folgen des höfischen Bedeutungsverlusts aus Sicht der Präsidenten schlichtweg verheerend. So berichtete Schönborn dem K ­ aiser im Jahr 1734, Wurmbrand habe sich bei ihm beschwert, 282 Mit Blick auf die Mitte des 17. Jahrhunderts sieht die Reichshofratspräsidenten neben Obersthofmeistern und Reichsvizekanzlern in einer „Schlüsselposition“ bei der Gestaltung der kaiserlichen Reichspolitik Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 102), S. 476. 283 Zu dem sich 1670 in versammeltem Rat ereignenden Beinaheduell ­zwischen Oettingen, der die Hand schon am Degen hatte, und Vizepräsident Leopold Wilhelm von Königsegg, der daraufhin für einige Tage aus der Stadt Wien floh und sich auf seinen Landsitz zurückzog, siehe die in Anm. 60 in Aussicht gestellte Studie. 284 Zur Person Hantsch, Friedrich Karl von Schönborn (wie Anm. 143).

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„daß ihme alle authorität und der gehorsamb der Direction […] fast gantz entfallen seye“.285 ­Wurmbrand könne beweisen, „daß einige Räthe seinen befehl oder weisung nicht folgen wolten, ja es so weith gekommen seye, daß sie ihme glat in das Gesicht resistirten, so gar mit impetuoser arth auf den Tisch öffentlich seye geschlagen und in etlichen Vorfallenheithen platt erklähret worden, dasienige, was Er, Reichs-Hoff-RathsPraesident, von Ambts und gebühr wegen vorgeschlagen oder befohlen, nicht zu thuen.“ Als wäre dies alles nicht schon interessant genug, wartet das Gutachten ­Schönborns mit einer weiteren handfesten Überraschung auf. Denn nach Ansicht des Vizekanzlers waren es gar nicht die Pedanten, die nach dem Hirtenstab des Präsidenten griffen, sondern die Staatsmänner bzw. jene, die sich dafür hielten. ­Schönborn ergänzte nämlich, er könne „aus aigener Erfahrenheith sagen und erweisen, es zaichet sich auch fast offenbahr, das einige Räthe sich einer solchen Obermacht, sonderlich in sachen, ­welche in das Publicum [d. i. in die Politik] einschlagen, ahnmassen, das sie sich factis et verbis hier und dar rühmen und vorgeben, sie wüsseten Ew. Kay. Maytt. und des Hoffs Intention, dahero dan gleichsamb auch bedrohungen blicken lassen, so daß dardurch vieles beschwehrlich gemachet und dem Vernehmen nach andere Räthe eingeschrecket werden und nach solchem Vorgang hernach das freye votiren in ahnstandt gerathe“.

Schönborns Einschätzung zufolge ruinierte der Verlust des Zugangs zum K ­ aiser die Autorität des Präsidenten also gerade bei jenen, die auf eine enge Anbindung des Gremiums an das Reichsoberhaupt bedacht waren. Namen nannte der Vizekanzler nicht. Es erscheint allerdings naheliegend, die am Hof zumeist bestens vernetzten erbländischen Adeligen von der Herrenbank und die Mitglieder der Reichsdeputation hinter jenen Männern zu vermuten, die besser als der Präsident zu wissen glaubten, was der ­Kaiser denn eigentlich wolle. Dem Gremium war dies offenbar nicht mehr ohne Weiteres klar, was zu politischer Orientierungslosigkeit, internen Machtkämpfen und einer von psychologischem Druck geprägten Atmosphäre bei der Umfrage geführt zu haben scheint. Sollte es also, wie in dem weiter oben zitierten Gutachten von 1740 behauptet,286 unter Karl VI. tatsächlich Räte gegeben haben, die sich Versuchen einer verordneten Justizverweigerung widersetzten, so verdienten es diese von ihren Kollegen als „Pedanten“ geschmähten Juristen gewiss, dass ihre Namen der Forschung bekannt würden. Allzu stark sollte man sich die Gruppe der Pedanten jedoch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein indes nicht vorstellen. Die wenigen dem Verfasser bislang bekannten Quellen zu ­diesem Thema vermitteln jedenfalls den Eindruck, dass die Mehrheit der Räte die zunehmende Distanzierung des Kaisers von „seinem“ Reichshofrat und den damit 285 Dieses und die folgenden Zitate in einem Gutachten des Reichsvizekanzlers von 1734 in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 19, Nr. 5. 286 Siehe oben bei Anm. 222.

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e­ inhergehenden Abbau persönlicher Kontakte zum Präsidenten nicht etwa als Chance für eine unabhängigere Rechtsprechung, sondern als Gefährdung einer geordneten Gremienarbeit und – nicht zuletzt – als Angriff auf ihre Besitzstände begriff. Deutlich wird dies in einer Stellungnahme, die Heinrich Christian von ­Senckenberg, einer der bedeutendsten jemals am Reichshofrat tätigen Juristen, im Jahr 1766 abgab. In einem Gutachten, das er insgeheim für Joseph II. anfertigte,287 stellte er mit Blick auf den seit 1751 als Präsident amtierenden Grafen Ferdinand von Harrach, von dem im Folgenden noch die Rede sein wird, fest, dass auch ­Harrach nicht über hinreichenden persönlichen Kontakt zum ­Kaiser verfüge und deshalb im Gremium nur geringe Autorität besitze. Die Schwäche Harrachs habe der autoritär auftretende und über gute Kontakte zum Reichsvizekanzler verfügende Vizepräsident Johann Hugo von Hagen genutzt, um sich im Gremium eine große Partei aufzubauen, die nach seinem Willen votiere und andere Räte bedränge, das Gleiche zu tun. Einige Kollegen ­seien auf diese Weise derart eingeschüchtert worden, dass sie sich in der Ratsstube kaum noch getrauten, ihre Meinung zu sagen. Doch wenn Senckenberg an den jungen ­Kaiser appellierte, Maßnahmen zu ergreifen, damit Harrach wiederum „als alleiniger Befehlhaber hergestellet“ werde, tat er dies nicht allein einer geordneten Gremienarbeit, sondern auch des eigenen Geldbeutels wegen. Nachdrücklich wies er Joseph II. darauf hin, dass der verlorene Zugang des Präsidenten zum ­Kaiser dazu führe, dass die Reichskanzlei nicht nur zahlreiche Deputationen in Reichssachen an sich ziehe, sondern auch lukrative Agenden wie Standeserhöhungen und Druckprivilegien am Reichshofrat vorbei selbst bearbeite und – dies war das Entscheidende – die in d­ iesem Zusammenhang eingehenden Verehrungen einstreiche. Die Reichshofräte hätten deshalb bereits merkliche finanzielle Einbußen erlitten. Der Wunsch Senckenbergs nach einem starken Präsidenten mit engen persönlichen Kontakten zum ­Kaiser speiste sich also nicht zuletzt aus dem Wunsch nach Besitzstandswahrung. Auch an den Deputationen nahm der prominente Jurist keinen prinzipiellen Anstoß, nur sollten sie doch bitte am Reichshofrat und nicht an der Reichskanzlei eingesetzt werden. Bevor man also den Reichshofräten Josephs II. die Intention unterstellt, gegenüber dem ­Kaiser auf einen „Gleichklang der Verfassung“ 288 ihres Gremiums mit der des Reichskammergerichts hingearbeitet zu haben, sollte man berücksichtigen, dass sich die Entwicklung von Behörden niemals allein auf Grundlage abstrakter staatsrechtlicher Vorstellungen, sondern stets im Wechselspiel mit den zum Teil sehr prosaischen Interessen ihrer Mitarbeiter vollzieht. Mit Blick auf das Reichskammergericht hätte gewiss kein Reichshofrat Josephs II. je vergessen, dass seine ständegesellschaftliche Präzedenz gegenüber einem Assessor aus Wetzlar letztlich 2 87 ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 19, Nr. 5, hiernach die folgenden Zitate. 288 Erwin, Machtsprüche (wie Anm. 47), S. 201.

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auf nichts anderem als seiner größeren Nähe zum Reichsoberhaupt beruhte. Diese Nähe zugunsten eines neuen Leitbildes richterlicher Unabhängigkeit ohne Weiteres aufzugeben, hätte deshalb einen Altruismus erfordert, der dem Verfasser in den bislang gesichteten Quellen kaum untergekommen ist. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass die geistigen Umwälzungen der Epoche der Aufklärung und die mit ihnen einhergehenden gewandelten Vorstellungen von richterlicher Unabhängigkeit und Verfahrensautonomie die Reichshofräte unberührt gelassen hätten. Allerdings geht man bei der Analyse der im Folgenden zu schildernden Konflikte über die Vota ad Imperatorem in der Spätphase des Alten Reiches gewiss nicht fehl, wenn man sich den „typischen“ Reichshofrat mit Blick auf dessen soziokulturelle Position als einen arrivierten Vertreter des Status quo vorstellt. Zu der geradezu vergifteten Atmosphäre, ­welche die Gremienarbeit spätestens seit der Regierungszeit Karls VI. über Jahrzehnte hinweg prägte, mögen unterschiedliche Vorstellungen einzelner Räte über die anzustrebende Verfahrensautonomie durchaus schon vor 1740 ihren Teil beigetragen haben. Viel öfter lassen die Quellen jedoch auf ein Gerangel um Macht, Geld und Pfründe schließen. Hinzu trat eine zunehmende Verunsicherung darüber, worin die kaiserliche Reichspolitik denn eigentlich bestehe. Dass sich die eigene Spruchtätigkeit – in welcher Form auch immer – an dieser Politik zu orientieren habe, dürfte bei der Mehrheit der Gremienmitglieder über 1740 hinaus unstrittig gewesen sein. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es seit den 1720er/30er-Jahren im Zuge des Ringens um die Pragmatische Sanktion, spätestens jedoch nach dem Schock über den zeitweiligen Verlust der Kaiserkrone an das Haus Wittelsbach zu einer „qualitativen Veränderung“ 289 der kaiserlichen Reichspolitik kam, die mit einer sukzessiven Überlagerung des kaiserlichen Amtes durch habsburgische Hausmachtinteressen zwar recht plakativ, aber auch nicht gänzlich unzutreffend beschrieben werden kann. Im Lichte dieser skizzenhaften Vorbemerkungen sei mit Blick auf die im Folgenden zu schildernden Auseinandersetzungen davor gewarnt, jede Friktion z­ wischen Reichshofrat und ­Kaiser sogleich als Grundsatzkonflikt um richterliche Unabhängigkeit zu begreifen. In der jahrzehntelangen Agonie des Reiches, die Teilen der jüngeren Forschung nur allzu leicht aus dem Blick zu geraten scheint,290 stand das oberstrichterliche Amt des Kaisers in mancherlei Hinsicht vor Problemen, die mit den überkommenen Instrumentarien nicht mehr zu bewältigen waren. In ­diesem Zusammenhang sind gewiss auch sich wandelnde zeitgenössische Vorstellungen von richterlicher Unabhängigkeit und Verfahrensautonomie zu 2 89 Aretin, Das Alte Reich (wie Anm. 183), Bd. 2, S. 269. 290 In dieser Hinsicht bezeichnend ist der Titel des Werkes von Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648 – 1763 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2006.

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berücksichtigen. Der Stellenwert der damit verbundenen Probleme ist jedoch in Abwägung mit anderen Faktoren wie den soeben genannten materiellen Interessen der Räte auf empirischer Grundlage abzuwägen und sollte nicht von außen in den Kaiserhof hineindeduziert werden, sofern die eingangs kritisierte teleologische Ausrichtung auf die Entwicklung des modernen Rechtsstaates vermieden werden soll. Nach dieser Vorrede ist zu der Frage zurückzukehren, in welchem Rahmen die Vota des Reichshofrats dem ­Kaiser im 18. Jahrhundert zur Beschlussfassung vorgelegt wurden. Weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass bis in die Regierungszeit Karls VI., der 1711 den Thron bestieg, der Geheime Rat das hierfür maßgebliche Gremium bildete. Zum Beleg sei an dieser Stelle ein im Dezember 1718 erstelltes Gutachten herangezogen, auf dessen Mantel man liest: „Dieses Votum ist Kay. May. in der Residenz im Geheimen Rath den 17. Januarii 1719 in Beisein 14 Geheimer Räthe allergehorsamst vorgetragen und von derselben durchauß allergnädigst approbiret worden.“ 291 Dass der ­Kaiser im Regelfall approbierte, was man ihm im Geheimen Rat vorsetzte und dass dies nicht ohne Weiteres als Indiz für eine hohe Verfahrensautonomie zu deuten ist, wissen wir bereits. Wichtig sind zwei andere Beobachtungen. Erstens: Die hier dokumentierte Beschlussfassung über das Votum im Geheimen Rat bildete mittlerweile, anders als noch zu Zeiten Leopolds I. oder Josephs I., einen Verstoß gegen die Wahlkapitulation, in der Karl acht Jahre zuvor zugesagt hatte, über Reichshofratsgutachten im Beisein des Vizekanzlers, des Präsidenten und der Referenten, darüber hinaus jedoch „in keinem anderen Rhat [zu] resolviren“.292 Zweitens: Ob sich der K ­ aiser zumindest an die Verbindlichkeit hielt, zur Sitzung den Vizekanzler und den Präsidenten einzuladen, entzieht sich einer Nachprüfung, da der Vermerk im Gegensatz zu den meisten seiner Vorläufer aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über keine Präsenzliste verfügt. Wer jene 14 teilnehmenden Geheimen Räte waren, wird verschwiegen. Es lässt sich nicht einmal ohne Weiteres sagen, wer den Vermerk geschrieben hat. Mit Blick auf den Evidenzwert der Beschlussvermerke kündigte sich das Jahrhundert der Aufklärung also verheißungsvoll an. Es planierte die unter Leopold I. erreichten bescheidenen Zuwächse und fiel auf den Status des 16. Jahrhunderts zurück. „Placet hofraths guetachten. Ex Consilio Secreto“.293 So hatte es 1598 geheißen, und viel mehr erfuhr man auch rund 120 Jahre ­später aus dem Vermerk nicht. Dass man jedoch auch diesen Stand noch unterbieten konnte, verdeutlicht ein Votum vom September 1732, das zwar keinen Beschlussvermerk auf dem Mantel, dafür jedoch folgendes Marginaldekret aufweist: „Placet in toto wie Reichs-Hof-Rath 291 So zu einem Votum vom 22. 12. 1718 (Münster/Paderborn contra Osnabrück) in ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 39. 292 Siehe oben Anm. 97. 293 Siehe Anm. 101.

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einräth. Carl manupropria“.294 Nun war also, zumindest nach Aktenlage, auch der Geheime Rat verschwunden und nur der K ­ aiser übriggeblieben. Von einer wie auch immer gearteten Mitwirkung eines Gremiums oder einzelner Ratgeber ist keine Rede mehr. Freilich war die zitierte Marginalresolution von kaiserlicher Hand insofern nichts grundsätzlich Neues, als schon Leopold I. über eine geringe Zahl von Voten eigenhändig entschieden hatte.295 Neu war allerdings, dass diese Resolutionen spätestens seit den 1730er-Jahren die vorherrschende Form der Beschlussfassung bildeten und vom Geheimen Rat bald überhaupt keine Rede mehr war. Wohlmeinende könnten vermuten, dass Karl auf seine alten Tage den „moralischen Zwang des Rechts“ 296 doch noch verspürt und sich seiner Wahlkapitulation („in keinem anderen Rhat…“) entsonnen hätte, um reinen Gewissens vor seinen Schöpfer treten zu können. Freilich fällt es schwer, bei einem Mann, der zu gleicher Zeit zur Aushöhlung des Kollegialprinzips eine Deputation nach der anderen einsetzte und deren nach fachlicher Kompetenz und Skrupellosigkeit ausgesuchten Mitglieder mit Ämtern und Würden überhäufte, an ­solche Motive zu glauben. Tatsächlich verrät die zitierte Marginalresolution über die Rechtsbindung des Reichsoberhaupts zunächst einmal gar nichts, sehr viel hingegen über einen grundsätzlichen Wandel der kaiserlichen Herrschaftspraxis, der bis 1806 auch für alle Nachfolger auf dem Thron – selbst für den Wittelsbacher Karl VII.297 – maßgeblich bleiben sollte und deshalb für die Reichshofratsforschung von größter Bedeutung ist. Die Rede ist von der Regierung aus dem Kabinett heraus, die mit Wolfgang Neugebauer verstanden werden kann als „höchstpersönliche Form der monarchischen Herrschaftsausübung, bei der der Fürst aus der Abgeschiedenheit seines Arbeitszimmers in Distanz zu seinen Räten und Kollegien die Entscheidungs- und Befehlsgewalt handhabt, sich also persönlichen Einflüssen aus unmittelbaren Kontakten mit höchsten Amtsträgern, etwa Ministern und Präsidenten, und der Diskussion in kollegialen Gremien entzieht“.298 Diese Herrschaftspraxis, in Brandenburg-Preußen seit 1713 von Friedrich Wilhelm I. exzessiv praktiziert, hielt einige Jahre ­später also auch in der Hofburg auf breiter Front Einzug und führte dort zu einem grundlegenden, von der Forschung bislang weitgehend unbemerkten Wandel in der Interaktion ­zwischen ­Kaiser und Reichshofrat. 2 94 ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 18 (Glaubitz contra Knigge). 295 So etwa 1692: „Ich thue dises reichshoffraths guetachten approbiren.“ Zitiert nach Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 384. 296 Vgl. oben bei Anm. 132. 297 Siehe hierzu beispielsweise das Votum vom 16. 01. 1744 in ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 18 (Montoby). 298 Wolfgang Neugebauer, Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat. Vergleichende Betrachtungen zur frühneuzeitlichen Verfassungsgeschichte in Österreich, Kursachsen und Preußen, in: Der Staat 33 (1994), S. 511 – 535, hier S. 513.

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Aus rechtsgeschichtlicher Perspektive ist die seit den 1730er–Jahren nahezu durchgängig zu beobachtende Beschlussfassung über die Vota im Kabinett in zweierlei Weise von höchster Brisanz. Zum einen war die Kabinettsregierung aus Sicht des Monarchen intentional unzweifelhaft auf Herrschaftsintensivierung ausgerichtet. Unabhängig von dem, „was am Ende dabei herauskam“, gilt es, diese schlichte Tatsache, die das Kabinett für Generationen von Historikern zum Signum des Absolutismus hat werden lassen, zunächst einmal festzuhalten. Zum anderen führte die Kabinettsregierung in den von ihr betroffenen Territorien nicht etwa zu mehr Rechtssicherheit durch Herrschaftsrationalisierung, sondern geradewegs zum Gegenteil – auch, wenn dies einer autoritätshörigen Geschichtswissenschaft lange verborgen blieb.299 Schließlich war die Regierung aus dem Kabinett ­heraus mit dem Anspruch verbunden, dass es ein „allgegenwärtiger“ Monarch im Zweifelsfall besser wisse als alle seine Räte zusammengenommen, so dass er dazu berufen sei, gegebenenfalls auch ohne Kenntnis der Aktenlage in kollegiale Entscheidungsprozesse hineinzuregieren. Nicht von ungefähr unternahm man in der NS-Zeit manchen Versuch, die Kabinettsregierung zum historischen Vorläufer des Führerprinzips zurechtzubiegen.300 Dass eine derartige, zumindest dem Anspruch nach autokratische Herrschaftstechnik seit den 1730er-Jahren auch gegenüber einer höchsten Reichsinstitution wie dem Reichshofrat zur Anwendung kam, wirft also in vielerlei Hinsicht schwerwiegende Fragen auf, bei deren Beantwortung man indes weniger denn je auf den Evidenzwert der Reichshofratsakten zu rechnen hat. Schließlich befindet sich die Forschung nun nicht mehr in irgendeinem Vorzimmer der Macht, sondern sieht sich ihr direkt gegenüber. Es geht – nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinne – um den Schreibtisch des Kaisers und um jene Personen, die an ­diesem Möbelstück saßen oder um es herumstanden, wenn das Reichsoberhaupt über die ihm vorgelegten Vota ad Imperatorem entschied. Immerhin ist aller mit dem Kabinett zur Schau gestellten Distanzierung des Monarchen zum Trotz kaum zu erwarten, dass dieser seine Entscheidungen völlig eigenständig traf. Die Hirnforschung kennt einen freien Willen des Einzelnen ebenso wenig wie einen kollegialen Gesamtwillen. Wenn es sich demnach beim „Ich“ um ein Märchen handelt, das 299 Siehe hierzu am Beispiel des voremanzipatorischen preußischen Judenrechts Tobias Schenk, Das Emanzipationsedikt: Ausdruck „defensiver Modernisierung“ oder Abschluss rechtsstaatlicher Entwicklungen des (aufgeklärten) Absolutismus?, in: Irene A. Diekmann (Hg.), Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen. Der lange Weg der Juden zu „Einländern“ und „preußischen Staatsbürgern“ (Europäisch-jüdische Studien. Beiträge 15), Berlin/Boston 2013, S. 23 – 76. 300 Siehe hierzu etwa die mit einem Geleitwort von Hermann Göring versehene Studie von Carl Hinrichs, Der allgegenwärtige König. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen, Berlin 21942.

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das Gehirn sich selbst erzählt,301 so mag ­dieses Märchen in den Hirnen gekrönter Häupter besonders großartig und zugleich glaubwürdig geklungen haben – am Ende bleibt es doch ein Märchen, das zur geschichtswissenschaftlichen Suche nach der geistigen Urheberschaft an einem „Placet in toto […] Carl manupropria“ rein gar nichts beiträgt. Die Frage, wer im Moment der Niederschrift einer solchen Marginalresolution physisch oder doch zumindest geistig anwesend war, ist freilich leichter gestellt als beantwortet. Wenn US-Präsident Trump im Oval Office ein Dekret unterzeichnet, geschieht dies gemeinhin vor laufender Kamera und niemals allein. Fast immer steht eine beeindruckende Riege von Ministern und Beratern hinter ihm, um dem ersten Mann im Staate bei der Ausfertigung des Dokuments wohlwollend über die Schulter zu schauen. Wenn der ­Kaiser seine Marginalresolution auf dem vor ihm liegenden Votum ad Imperatorem zu Papier brachte, lief keine Kamera, und es gab auch Niemanden, der eine Präsenzliste geführt hätte. Der Evidenzwert der Vota liegt in dieser Hinsicht also nahe am Nullpunkt. Weder ist ersichtlich, ob der K ­ aiser der Wahlkapitulation nachkam und Reichsvizekanzler, Reichshofratspräsident und Referenten bei der Beschlussfassung hinzuzog, noch sind Aussagen darüber möglich, ob gegebenenfalls weitere Ratgeber im Kabinett anwesend waren. Mehr noch: Es geht aus dem Votum nicht einmal hervor, ob es dem ­Kaiser wie zu Zeiten des Geheimen Rats mündlich (durch wen auch immer) vorgetragen wurde, oder ob sich die Interaktion z­ wischen dem Reichshofrat und seinem Gerichtsherrn nunmehr rein schriftlich vollzog. Letzteres kann prima vista keineswegs ausgeschlossen werden, da die mit dem Ausbau einer Kabinettsregierung intendierte Verengung des Zugangs zum Monarchen vor allem auf einer Verschriftlichung zuvor mündlich ablaufender Entscheidungsprozesse beruhte. Allerdings verzichteten nicht einmal die preußischen Könige vollständig auf einen mündlichen Austausch mit ihren Ministern, sondern gewährten einzelnen Funktionsträgern weiterhin Audienzen.302 An die Stelle der mündlichen Beratung in einem Ratsgremium trat unter den Strukturbedingungen der Kabinettsregierung also kein rein schriftlicher Entscheidungsprozess. Allerdings reduzierte sich die Zahl der über unmittelbaren Kontakt zum Monarchen verfügenden Personen erheblich, da diese nun nicht mehr in einem institutionalisierten Rahmen auf ihren „Chef“ trafen, sondern um die Gewährung einer Audienz einkommen mussten bzw. zu einer solchen befohlen wurden. Auch die Kommunikationssituation war nunmehr eine ganz andere als in einem Ratsgremium. Womöglich abweichende Meinungen konnten gegenüber dem Fürsten nicht mehr auf Unterstützung von 301 Siehe Michael Gazzaniga, Die Ich-Illusion: Wie Bewusstsein und freier Wille entstehen, München 2012. 302 Vgl. Neugebauer, Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat (wie Anm. 298), S. 525.

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Kollegen bauen, da man dem Monarchen und dessen häufig als Graue Eminenzen fungierenden Sekretären im Regelfall allein gegenüberstand. Welches Konfliktpotential der Bedeutungszuwachs des Kabinetts und das endgültige Eingehen des Geheimen Rats für die Interaktion z­ wischen ­Kaiser und Reichshofrat barg, wird verständlich, wenn man sich noch einmal das bisherige Procedere bei der Bearbeitung der Vota des Reichshofrats im Geheimen Rat vergegenwärtigt. Seit Ferdinand II. waren beide Gremien personell durch den Reichshofratspräsidenten und den erbländischen Adel von der Herrenbank eng mitein­ ander verflochten, so dass es nicht schwerfiel, durch informelle Vorabsprachen sicherzustellen, dass dem Geheimen Rat ein Gutachten nur dann vorgelegt wurde, wenn es dort mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vom K ­ aiser genehmigt würde. Sollte Karl VI. die Gremiensitzungen des Geheimen Rates ein Jahrhundert ­später eingehen lassen und dem Präsidenten darüber hinaus keinen oder nur sporadischen Zugang zum Kabinett gewähren, würde also eine wichtige Säule von Vorabsprachen und damit der Einbindung des Reichshofrats in das höfische Netzwerk überhaupt ersatzlos wegbrechen. Dass genau dies tatsächlich geschehen ist, geht zwar nicht aus den Vota, sehr wohl aber aus anderen archivalischen Quellen hervor. Die oben zitierte bittere Klage Präsident Wurmbrands über den weitgehenden Verlust seines Zugangs zum ­Kaiser und die damit einhergehende Erosion seiner Autorität im Gremium 303 datiert von 1734, fällt also genau in die Phase des Übergangs der Beschlussfindung vom Geheimen Rat in das Kabinett. Wenn Reichsvizekanzler Rudolph von Colloredo 1766 gegenüber dem Mainzer Kurfürsten rückblickend erklärte, die Reichshofratspräsidenten ­seien bereits „von undenklichen Jahren her“ 304 nicht mehr beim Vortrag der Vota anwesend, so bezieht sich dies also offenbar auf den Zeitraum seit Beginn der 1730er-Jahre. Während die Präsidenten Wurmbrand und Harrach über keinen oder nur sporadischen Zugang zum Kabinett verfügten, gibt es jedoch vor 1766 keine Hinweise darauf, dass die Vizekanzler Metsch (1734 – 1740) und Colloredo (seit 1745) gleichfalls aus der kaiserlichen Schreibstube verbannt worden wären. Ist im Zeitraum von ca. 1730 bis 1766 von einem „Referat“ eines Votums ad Imperatorem die Rede, hat man sich darunter im Regelfall folglich einen mündlichen Vortrag 305 des Gutachtens durch den Reichsvizekanzler im Kabinett 303 Siehe Anm. 285. 304 Bericht des Reichsvizekanzlers an den Kurfürsten von Mainz vom 19. 05. 1766 in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1. 305 Dieser Befund ist nicht selbstverständlich, da, wie hier ausdrücklich zu betonen ist, „Referat“ und „mündlicher Vortrag“ im zeitgenössischen Sprachgebrauch keine Synonyme bildeten. Vielmehr konnte der Begriff des Referats auch einen rein urschriftlichen Verkehr bezeichnen. Ein Beispiel aus dem Jahr 1694 nennt Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 102), S. 386.

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vorzustellen.306 Die Verbindlichkeit der Wahlkapitulation von 1711, dabei auch den Reichshofratspräsidenten und die Referenten hinzuziehen, wurde augenscheinlich nicht beachtet. Dieser Befund unterstreicht in eindrücklicher Weise, dass sich die bereits angedeutete Gewichtsverschiebung ­zwischen Vizekanzler und Präsident, zu der es am Kaiserhof Karls VI. gekommen war, nach 1740 zunächst verstetigte. Dass der Reichshofrat gegenüber seinem Gerichtsherrn auf diese Weise gewissermaßen mediatisiert wurde, erkannte Johann Jakob Schmauß bereits 1766, als er den Vizekanzler als den „Canal“ bezeichnete, „wodurch man von dem Reichshofraht an den ­Kaiser selbst gehet“.307 Welche Macht hiermit für den Vizekanzler verbunden war, blieb Schmauß nicht verborgen: „Er kann einer Partei viel Nutzen oder Schaden bringen. Denn es komt auf seine Vorstellung an.“ 308 Womöglich war der Einfluss, den der Vizekanzler und damit auch der Kurfürst von Mainz auf die Spruchtätigkeit des Reichshofrats ausübten, niemals so hoch wie ­zwischen 1730 und 1766, als eine regelmäßige direkte Kommunikation z­ wischen ­Kaiser und Präsident offenbar nicht mehr stattfand. Da, wie bereits angesprochen, ein erheblicher Teil der kaiserlichen Befehle dem Präsidenten aus Geheimhaltungsgründen durch den Vizekanzler ausschließlich mündlich mitgeteilt wurde, dürfte der Präsident häufig kaum eine Handhabe besessen haben, um zu überprüfen, ob der Vizekanzler den Willen des Kaisers tatsächlich exakt wiedergegeben hatte. Wenn es 1740 in einem internen Gutachten heißt, der Präsident habe in jüngerer Zeit „Ursach gehabt, über Ein oder anderen mißvergnügt zu sein“,309 so stand auf der Liste seiner Widersacher gewiss auch der Vizekanzler. Allerdings bahnte sich just 1766 in der Beschlussfassung über die Vota eine Änderung an, die die Stellung des Vizekanzlers als „Kanal“ ­zwischen Reichshofrat und ­Kaiser in Frage stellte. Die Regierungszeit Josephs II. und die von d ­ iesem angestoßene Reform des Reichshofrats markierte in der Geschichte des Gremiums einen Einschnitt, der durch Karl Otmar von Aretin eine in vielerlei Sicht weiterführende, jedoch keineswegs umfassende Analyse erfahren hat.310 Im Rahmen von Josephs kategorischem, 306 Im Wesentlichen korrekt wurde dies zeitgenössisch erfasst von Johann Georg Scopp, Gründliche Anweisung der heutigen Reichs-Gerichts-Verfassung und besonders des heut zu Tag üblichen Reichs-Processes von beyden Höchsten Reichs-Gerichten aus denen ReichsGrund-Gesetzen und bewährten Auctoribus zusammen getragen, Augsburg 1761, S. 532. 307 Johann Jakob Schmauss, Academische Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht, Lemgo 1766, S. 387. 308 Ebd., S. 388. 309 ÖStA HHStA, MEA, Reichshofrat, K. 10a, Nr. 1 (Tit. I § 4). 310 Karl Otmar von Aretin, Reichshofrat und Reichskammergericht in den Reichsreformplänen ­Kaiser Josephs II., in: Bernhard Diestelkamp/Ingrid Scheurmann (Hg.), Friedenssicherung und Rechtsgewährung. Sechs Beiträge zur Geschichte des Reichskammergerichts und der obersten Gerichtsbarkeit im alten Europa, Bonn/Wetzlar 1997, S. 51 – 81.

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mit öffentlich vorgetragenen Bestechungsvorwürfen einhergehendem Geschenkannahmeverbot und seinen zu beträchtlichen Verschiebungen der internen Arbeitsverteilung führenden Maßnahmen zur Prozessbeschleunigung kam es zu einer bis dahin beispiellosen atmosphärischen Verstimmung ­zwischen ­Kaiser und Reichshofrat. Wenngleich die hiermit angedeuteten Probleme im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes nicht weiter ausgeführt werden können, sind sie stets zu bedenken, wenn von den Vota ad Imperatorem in jenen Jahren die Rede ist. Anzusetzen ist dabei zunächst bei den bereits von Peter Leyers registrierten Bemühungen des jungen Kaisers, den seit Karl VI. weitgehend abgerissenen direkten Kontakt zum Reichshofratspräsidenten wieder zu intensivieren.311 Dass es dabei vor allem um ein Erhöhung des „Erledigungsdrucks“ ging, verdeutlicht die 1766 erfolgte Einführung der Septimanalrelation, einer wöchentlich stattfindenden Kabinetts­audienz, in der der Präsident die Präsenzliste der vergangenen Woche, ein Verzeichnis der getroffenen Entscheidungen und eine Liste derjenigen Referenten vorzulegen hatte, die sich zur Relation über Definitivsachen 312 angemeldet hatten. Insgesamt ist die Überlieferungssituation zur Septimanalrelation sehr schlecht, doch scheint sich diese Audienz bis zum Ende des Alten Reiches gehalten haben. Sie wird nicht nur bis in die 1790er-Jahre hinein in der zeitgenössischen juristischen Literatur erwähnt,313 sondern lässt sich in Form der vom Präsidenten hierbei einzureichenden Listen im Bestand der Kabinettskanzlei bis ins Jahr 1802 nachverfolgen.314 Dass der josephinische „Erledigungsdruck“ und die in ­diesem Rahmen angestrebte Kontrolle der Arbeitsleistung jedes einzelnen Rats im Gremium zumindest nicht bei allen Mitgliedern für Begeisterung sorgte, mag man sich vorstellen. Dessen ungeachtet gilt es, die Bedeutung der Septimanalrelation herauszustellen, gewann doch der Präsident auf diese Weise jenen regelmäßigen direkten Zugang zum ­Kaiser zurück, der zuvor offenbar über Jahrzehnte hinweg abgerissen war. Dass im Rahmen der Septimanalrelation auch über Materien gesprochen wurde, über die ein Votum ad Imperatorem entweder bereits erstellt worden war oder aber in Kürze folgen würde, lässt sich zwar nicht nachweisen, erscheint jedoch zumindest als sehr wahrscheinlich. Mit der Einführung der Septimanalrelation verband Joseph jedoch nicht nur den Wunsch, durch persönlichen Druck auf eine Prozessbeschleunigung 311 Vgl. Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 70. 312 Zum diesbezüglichen Genehmigungsvorbehalt des Präsidenten siehe oben bei Anm. 218. 313 Hierzu Hanzely, Grundlinien (wie Anm. 92), S. 37 f. und 67; Herchenhahn, Geschichte (wie Anm. 190), S. 14 und 109. 314 ÖS tA HHS tA, Kabinettsarchiv, Kabinettskanzlei, Protokolle und Indizes, Bd.  82b (1790 – 1791), 106b (1792 – 1793), 130b (1796 – 1797), 140b (1798 – 1799), 149a (1800 – 1801) und 157b (1802). Weiteres für die Septimanalrelation relevantes Material findet sich in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10; RK, Miscellanea, K. 3 sowie in RK, Reichsakten in specie, K. 29.

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­ inzuwirken. Er kam zugleich dem im Reichshofrat offenbar weit verbreiteten h Wunsch nach einer engeren Anbindung des Gremiums an den ­Kaiser nach.315 Dass der Reichsvizekanzler, der den Präsidenten einige Jahrzehnte zuvor überflügelt hatte, diese Entwicklungen misstrauisch beobachtete, dürfte außer dem ­Kaiser niemanden am Hof überrascht haben. Das Fass zum Überlaufen brachte Joseph II., als er ebenfalls 1766 dazu überging, an Vizekanzler und Reichskanzlei vorbei mit dem Präsidenten direkt in Form von nicht ins Protokoll aufzunehmenden Handschreiben zu kommunizieren und dies als programmatischen Schritt zu einer stärkeren Trennung von Verwaltung und Justiz ausgab. Die Handschreiben bezogen sich nicht allein auf gerichtsorganisatorische Fragen, sondern ausdrücklich auch auf die Vota, die der Präsident – und dies war die entscheidende Neuerung des Jahres 1766 – dem ­Kaiser fortan direkt, also wiederum unter Umgehung der Reichskanzlei, ins Kabinett ­schicken sollte.316 Spiritus rector des Ganzen war dem Vizekanzler Colloredo in herzlicher Abneigung verbundene Reichshofratspräsident Ferdinand von Harrach. Vize- und Erzkanzler waren angesichts dieser Neuerungen schlichtweg fassungslos. Doch wenn der Vizekanzler das Reichsoberhaupt im April 1766 davor warnte, dass eine direkte Kommunikation ­zwischen ­Kaiser und Präsident auf dem Reichstag zu dem Verdacht führen könne, es würden „in Justiz Sachen geheime Verordnungen aus dem Cabinet an den Reichs-Hof-Rath erlassen“,317 war dies eine schwer zu überbietende Heuchelei. Schließlich hatten die Vizekanzler über Generationen hinweg geheime Verordnungen an den Präsidenten weitergeleitet, und daran nicht nur keinen Anstoß genommen, sondern diese Verordnungen in vielen Fällen mit herbeigeführt. Worum es tatsächlich ging, erhellen die Berichte des Vizekanzlers an den Mainzer Erzkanzler. Im Mai warnte Colloredo den Kurfürsten, es werde für Mainz künftig kaum noch möglich sein, bei Reichshofratsentscheidungen „auf verdiente Reichs-Stände Bedacht“ zu nehmen,318 um ein halbes Jahr s­ päter seine Sorge zum Ausdruck zu bringen, der Reichshofrat könne künftig „ohnbelehret von denen zur Sache gehörigen Staats-Einflüssen seinen eigenen Weeg“ 319 gehen. 315 Vgl. die oben zitierte Stellungnahme des Reichshofrats von Senckenberg von 1766 bei Anm. 287. 316 Gross, Reichshofkanzlei (wie Anm. 105), S. 87, 93 f. und 194; Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 69 f.; zu Differenzen ­zwischen Vizekanzler und Präsident auch ebd., S. 131 f. 317 Bericht des Reichsvizekanzlers an den ­Kaiser vom 27. 04. 1766 in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Nr. 1. 318 Bericht des Reichsvizekanzlers an den Kurfürsten von Mainz vom 19. 05. 1766 in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1. 319 Bericht des Reichsvizekanzlers an den Kurfürsten von Mainz vom 30. 12. 1766 in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1.

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Den beiden Berichten kommt umso größere Bedeutung zu, als sie ein höchst aufschlussreiches Licht auf den Entstehungskontext der Vota ad Imperatorem werfen, der allen bisherigen Ausführungen zum Trotz bis hierhin noch weithin im Dunkeln liegt. Schließlich konnte dargelegt werden, dass in dem von zahlreichen Genehmigungsvorbehalten und informellen Vorabsprachen gekennzeichneten Verfahren des Reichshofrats den Vota keineswegs die ihnen in der Forschung gemeinhin zugeschriebene Funktion eines Einfallstores für kaiserliche Machtsprüche zukam. Wenn aber bei der Abfassung eines Votums im Reichshofrat bereits mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden konnte, dass der ­Kaiser zustimmen würde, und wenn umgekehrt der ­Kaiser im Allgemeinen davon ausgehen konnte, dass der Präsident in nahezu jedem politisch halbwegs relevanten Fall eine nicht genehme Entscheidung verhindern würde – warum verfasste der Reichshofrat dann im Laufe seines Bestehens Tausende von Vota? Jedes einzelne dieser Gutachten verlangsamte den Geschäftsgang einer ohnehin chronisch überlasteten Behörde zum Teil erheblich. Es musste im Plenum beschlossen und approbiert, dem ­Kaiser – wo und in welchem Rahmen auch immer – vorgetragen bzw. vorgelegt werden, bevor der kaiserliche Beschluss im Plenum publiziert und das Verfahren weitergeführt werden konnte. Auf diese Weise verzögerte sich das Verfahren zumindest um Tage, oft um einige Wochen, mitunter aber auch um Monate. Warum nahm man das alles in Kauf? Ausweislich der 1766 verfassten Berichte des Vizekanzlers nahm man dies in Kauf, weil die Verzögerung des Verfahrens nicht etwa eine negative Begleiterscheinung, sondern der eigentliche Zweck eines Votums ad Imperatorem war und weil die Masse der Gutachten letzten Endes gar nicht – wie die Forschung bis heute glaubt – für den ­Kaiser, sondern für niemand anderen als den Reichsvizekanzler und den Kurfürsten von Mainz geschrieben wurde. Dass der Tübinger Staatsrechtler Carl Friedrich Gerstlacher durchaus richtig lag, als er 1789 behauptete, es sei der Mainzer Kurfürst, der mit Hilfe von Vota ad Imperatorem am Reichshofrat „klare unabhängige Entscheidung[en]“ 320 zu verhindern suche, verdeutlicht ein Gutachten von Vizekanzler Colloredo über die Vota vom April 1766, aus dem aufgrund seiner Aussagekraft an dieser Stelle ausführlich zitiert sei. Darin betonte Colloredo gegenüber Joseph II., es schlügen solche Vota mehresten theils in den Statum politicum und in die Verfassung des Reichs und dessen Creyße sehr tief ein, tretten auch mehrmahl Stände des Reichs so nahe, daß darüber gar leicht gefährliche Bewegungen entstehen oder doch wenigstens die Sachen an den Reichs-Tag gebracht werden mögen, wo so dann Ihm, Reichs-Vice-Canzler, Amts wegen, 320 Carl Friedrich Gerstlacher, Corpus Iuris germanici publici et privati, das ist der möglichst ächte Text der teutschen Reichsgeseze, Reichsordnungen und andrer Reichsnormalien in sistematischer Ordnung, mit Anmerkungen, Bd. 4, Stuttgart 1789, S. 124.

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dem bekannter maßen die öffentlichen Reichs-Angelegenheiten allein untergeben sind, oblieget, Kay. May. ausführlich vorzutragen, was es für eine Aussicht in dem Reich mit ­diesen Votis habe und was dahero zu befahren stehet, so nach aber sein unzielsetzliches Gutachten darüber zu eröffnen, ob der Allerhöchste Dienst und das gemeine Beste es gestatten, daß die Vota resolviret und also dem Reichs-Hof-Rath zur publication zugesandt werden, oder ob nicht vielmehr die Umstände erforderen, daß selbe erliegen bleiben und der Gegenstand davon politice in weitere Überlegung genommen werde, oder auch, ob nicht nach Beschaffenheit der Umstände Er, Reichs-Vice-Canzler, den hiesigen Ministren der Höfen das nöthige darüber beyzubringen habe oder etwa die Kay. Ministern in dem Reich und wo es sonsten vonnöthen seyn dörffte, davon zu unterrichten und darüber zu belehren seyn möchten, um somit allen gefährlichen Bewegungen und Folgen vorzukommen? Wie könnte aber alles ­dieses geschehen, wenn die Reichs-Hof-Räthliche Vota dem Reichs-Vice-Canzler nicht zur Überreichung und zum Vortrag zugestellet würden und somit der Innhalt davon Ihm vor der gefaßten Kay. Entschließung verborgen bliebe. Dem Reichs-Hof-Raths-Praesidenten und dem Reichs-Hof-Rath, der lediglich Gerichts-, Lehens- und derley Sachen zum Gegenstand hat, kömmt ­dieses nicht zu. Öfters ist derselbe nicht einmahl im Stande, davon urtheilen zu können, weil er von den öffentlichen Angelegenheiten und Vorfallenheiten nicht einmahl sattsam unterrichtet ist.321

Über den Entstehungskontext der Vota ad Imperatorem verrät dieser Bericht vermutlich mehr als alle Reichshofratsordnungen und Wahlkapitulationen zusammengenommen, verweist er doch auf Zusammenhänge, die in den genannten Normtexten gar nicht vorkommen. Nachdem sich der Reichsvizekanzler im frühen 17. Jahrhundert weitgehend aus den Plenarsitzungen des Reichshofrats zurückgezogen hatte, besaßen weder er noch der Mainzer Erzkanzler direkten Einblick in das Gremiengeschehen. Für die Arbeit der Reichskanzlei war diese Entwicklung insofern problematisch, als deren Aufgaben weit über die Erstellung von Reinschriften der im Reichshofrat beschlossenen Entscheidungen hinausreichten. Schließlich lief nicht nur die Korrespondenz des nach 1648 beträchtlich ausgebauten kaiserlichen Gesandtennetzes 322 über die Kanzlei. Auch auf dem Reichstag spielte der Erzkanzler bei der eventuellen diplomatischen Flankierung von Reichshofratsbeschlüssen eine wichtige Rolle. Unabhängig von der auf kurmainzischer Seite zweifellos vorhandenen Intention, Reichskanzlei und Reichshofrat auch „auf eigene Rechnung“ zu ­nutzen, besaß der Vizekanzler also ein nachvollziehbares, auch aus Sicht des Kaisers legitimes Interesse daran, vorab über reichspolitisch relevante Entscheidungen des Reichshofrats informiert zu werden, um sich und gegebenenfalls die Gesandten an den involvierten Höfen entsprechend vorbereiten zu können. Hierzu war ein Votum ad Imperatorem offenbar das Mittel der Wahl. Es informierte den Reichsvizekanzler 321 Bericht Colloredos an ­Kaiser Joseph II. vom 23. 04. 1766 in: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Nr. 1. 322 Hierzu Klaus Müller, Das kaiserliche Gesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden (1648 – 1740) (Bonner Historische Forschungen 42), Bonn 1976.

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nicht nur in bündiger Form über den Verfahrensstand, sondern erlaubte es ­diesem Amtsträger auch, zielgerichtet Einfluss auf das Publikationsdatum der anstehenden Entscheidung zu nehmen. Schließlich oblag der Vortrag des Votums, sei es nun im Geheimen Rat oder – zumindest bis 1766 – im Kabinett, in der Regel ebenso dem Vizekanzler wie die anschließende Rückzustellung des Gutachtens samt des im Plenum zu publizierenden Beschlusses an den Reichshofrat. Die Beschlussvermerke zeigen, wie flexibel der Vizekanzler auf dieser Klaviatur zu spielen vermochte. Während die meisten Voten des 17. und 18. Jahrhunderts innerhalb weniger Tage nach ihrer Approbation dem K ­ aiser vorgetragen wurden,323 lag in anderen Fällen ­zwischen Approbation und Referat ein Zeitraum von vielen Wochen oder gar Monaten. Größere zeitliche Abstände fallen gerade bei politisch besonders brisanten Verfahren des Öfteren ins Auge, können also kaum damit erklärt werden, dass K ­ aiser und Vizekanzler über Monate hinweg keine Gelegenheit gefunden hätten, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.324 Diese Verzögerungen werden verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es der Zeitraum z­ wischen Approbation des Gutachtens und Publikation des kaiserlichen Beschlusses im Gremium war, der dem Vizekanzler die Gelegenheit zur Einleitung der auf Seiten der Reichskanzlei eventuell notwendigen Maßnahmen einräumte. Zugleich verschaffte ein auf ein Gutachten resolviertes kaiserliches „Placet“ dem Vizekanzler die für diese Maßnahmen notwendige Gewissheit, dass die Entscheidung auch tatsächlich so und nicht anders im Reichshofrat publiziert werden würde. Dies galt, wie Colloredo in dem genannten Gutachten ebenfalls ausführte, auch für die Eintreibung der im Rahmen von Lehns- und Gratialverfahren auf Seite der Parteien fällig werdenden Gelder. Schließlich war die Höhe der Gebühren und Verehrungen, auf die die Reichskanzlei existenziell angewiesen war, der Taxordnung zum Trotz ebenso Verhandlungssache wie alles andere am Kaiserhof auch. War der Beschluss zur Gewährung des erbetenen Lehens oder Privilegs bereits publiziert, bevor die Verhandlungen über dessen „Preis“ zum Abschluss gekommen waren, musste sich die Position des Vizekanzlers gegenüber der Partei drastisch verschlechtern. All diese Hinweise Colloredos wirken glaubwürdig und logisch nachvollziehbar. Schließlich war auch der Reichsfiskal in den von ihm geführten Prozessen daran interessiert, dass Reichshofratsentscheidungen den beklagten Parteien nicht 323 Im Einzelfall gelangten Voten sogar noch am Tag ihrer Approbation im Reichshofrat zum Vortrag im Geheimen Rat. Ein Beispiel findet sich in: ÖS tA HHS tA, RHR , Antiqua, K. 559, Nr. 1. 324 Als Beispiel sei auf den Konflikt um die Allodifikation der Lehen in Brandenburg-Preußen verwiesen, in dem der Reichshofrat in einem Votum ad Imperatorem vom 16. 06. 1724 die Einsetzung einer Exekutionskommission gegen Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. empfahl. Das Votum wurde dem K ­ aiser erst am 01. 02. 1725, also nach mehr als sieben Monaten, vorgetragen. Siehe Schenk, Reichsjustiz (wie Anm. 141), S. 185 – 188.

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vorzeitig bekannt wurden, um die Eintreibung von Strafgeldern nicht zu erschweren.325 Der Bericht Colloredos erklärt auch, warum sowohl in Judizial-, als auch in Lehns- und Gratialverfahren eine kleine Zahl von Voten offenbar unresolviert blieb.326 Ließ es die politische Großwetterlage oder der mangelnde Zahlungswille einer Partei aus Sicht des Vizekanzlers geraten erscheinen, die vom Reichshofrat anvisierte Entscheidung bis auf Weiteres auszusetzen, brauchte er nichts weiter zu tun, als das Votum „erliegen“ zu lassen. Seine Funktion als Referent der Voten in Geheimem Rat und Kabinett verschaffte ihm diese Möglichkeit, indem sie ihm einen Genehmigungsvorbehalt darüber einräumte, ob ein Gutachten dem ­Kaiser überhaupt vorgetragen wurde oder nicht. Als „unpassend“ empfundene Reichshofratsgutachten brauchten vom K ­ aiser folglich nicht verworfen zu werden, sie wurden ihm erst gar nicht referiert – deshalb die über die Jahrhunderte hinweg konstant äußerst hohe Zustimmungsrate. Ohne zu behaupten, dass der Bericht des Vizekanzlers einen Generalschlüssel zum Verständnis jedes einzelnen jemals erstellten Votums bildet, spricht also viel dafür, dass Colloredos Ausführungen den Entstehungskontext der meisten Gutachten des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts recht präzise offenlegen. Dies würde freilich bedeuten, dass die Vota von der Forschung bislang grundlegend missverstanden wurden, weil sie gar nicht als Einfallstor kaiserlicher Machtsprüche konzipiert waren, sondern vielmehr der Interaktion des Reichshofrats mit den übrigen Hofbehörden – allen voran der Reichskanzlei – dienten. Auch die bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein vielfach dokumentierte Anwesenheit hochrangiger Amtsträger wie der Präsidenten von Hofkriegsrat und Hofkammer bei der Beschlussfassung über die Vota im Geheimen Rat würde auf diese Weise erklärlich. Sie saßen nicht etwa als Statisten dabei, um dem ­Kaiser bei seinem „Placet“ zuzuhören, sondern sollten in den Stand versetzt werden, rechtzeitig gegebenenfalls als notwendig erachtete Maßnahmen der von ihnen geführten Behörden einzuleiten, die mit der unmittelbar bevorstehenden Publikation des Beschlusses des Reichshofrats zusammenhingen. Wenn aber, pointiert formuliert, die meisten Gutachten gar nicht in erster Linie für den ­Kaiser, sondern für den Vizekanzler und die Inhaber der übrigen höfischen Spitzenämter geschrieben wurden, markierten die auf einen weitgehenden Ausschluss des Vizekanzlers aus dem Kommunikationsprozess abzielenden Maßnahmen Josephs II. von 1766 tatsächlich einen grundlegenden Einschnitt in der 325 Auf Initiative des Fiskals erging deshalb am 11. 06. 1681 ein Gemeiner Bescheid, der den Agenten die vorzeitige Bekanntgabe von Reichshofratsentscheidungen in fiskalischen Prozessen an die Parteien untersagte. Siehe Oestmann, Gemeine Bescheide (wie Anm. 9), S. 181 – 183. 326 Ein Beispiel aus dem Jahr 1663 in ÖStA HHStA, RHR, Antiqua, K. 561, Nr. 17, Bl. 19 – 32.

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bisherigen Verfahrenspraxis. Es spricht für diese Vermutung, dass es über diesen Punkt ­zwischen dem ­Kaiser, dem Vize- sowie dem Erzkanzler nachweislich langwierige Auseinandersetzungen gegeben hat, die scheinbar erst mit der Aufhebung des josephinischen Befehls durch Leopold II. im Jahr 1790 an ihr Ende gelangten.327 Die Frage, wie es in der Zwischenzeit gehalten wurde, ist angesichts des niedrigen Evidenzwertes der Reichshofratsakten nur schwer bzw. gar nicht zu beantworten, da sich den kaiserlichen Marginalresolutionen in der Regel keine Hinweise auf gegebenenfalls anwesende Funktionsträger entnehmen lassen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Kabinett auch weiterhin der Ort war, an dem über die Mehrzahl der Vota entschieden wurde, wenngleich einige Gutachten auch in der kurzlebigen, 1767 eingerichteten Reichskonferenz zur Beratung gelangten, in der auch Colloredo Mitglied war.328 Bei den Gutachten, über die der ­Kaiser im Kabinett entschied, bestehen allerdings Zweifel, ob der Vizekanzler hierbei weiterhin zugezogen wurde. Joseph II. betonte zwar bei zahlreichen Anlässen seinen Willen, sich penibel an seine Wahlkapitulation zu halten, erklärte jedoch gegenüber dem Vizekanzler 1767: „Über alle Reichs-Hof-Raths-Gutachten in wichtigen Justizsachen werde eine eigene Berathschlagung mit Zuziehung Meines Reichs-Hof-Raths-Praesidenten, Re- und Correferenten, auch, wo Ich es nöthig finde, mehrerer Reichs-Hof-Räthe anordnen, welches jedoch nicht verhindern wird, daß der Fürst [d. h. der Reichsvizekanzler] oder wem Ich es sonst noch auftrage, Mir vorhero noch ihre Meynung darüber zu Meiner vorgängigen Information pflichtmäßig eröffnen können.“ 329

Freilich erstreckte sich der betreffende Passus der Wahlkapitulation auf alle Vota des Reichshofrats und nicht lediglich auf jene, die vom K ­ aiser in eigener Machtvollkommenheit als „wichtige Justizsache“ klassifiziert wurden. Ob es im Kabinett, etwa im Rahmen der wöchentlichen Audienz des Präsidenten (Septimanalrelation), jemals zu einer solchen Beratung gekommen ist, lässt sich anhand der durch den Verfasser bislang gesichteten Quellen nicht nachweisen. Der Mainzer Kurfürst forderte zwar im Januar 1769 unter Berufung auf die Wahlkapitulation die Wiederzulassung des Vizekanzlers zum Referat der Vota,330 doch erwecken die Akten der Reichskanzlei eher den Eindruck, dass man sich die kaiserliche Beschlussfassung über die Gutachten des Reichshofrats als einen in den 3 27 Gross, Reichshofkanzlei (wie Anm. 105), S. 87, 93 f. und 194. 328 Zur Reichskonferenz und den dort behandelten Voten muss auf die in Anm. 60 in Aussicht gestellte Studie verwiesen werden. 329 Undatierte Marginalresolution zu einem Gutachten des Reichsvizekanzlers vom 16. 01. 1767 in ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 55, Konv. 1. 330 Schreiben vom 10. 01. 1769 in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1 (Abschrift).

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meisten Fällen rein schriftlichen Vorgang vorzustellen hat. Klar nachweisen lässt sich dies jedoch nur für Zeiträume, in denen der K ­ aiser in Laxenburg residierte oder sich auf Reisen befand und in denen ihm die Gutachten nachgeschickt wurden.331 Gleichwohl scheint dem Vizekanzler zumindest phasenweise die Möglichkeit eingeräumt worden zu sein, zu einzelnen Vota ad Imperatorem im Vorfeld ein schriftliches „Begleitreferat“ zu verfassen,332 was natürlich dessen Einsichtnahme in den Text vor der Vorlage beim ­Kaiser voraussetzen würde. Angesichts des niedrigen Evidenzwertes der Reichshofratsakten ist die hier vertretene Ansicht einer im Regelfall rein schriftlichen oder sich doch zumindest ohne persönliche Beiziehung von Vizekanzler und Präsident vollziehenden Beschlussfassung über die Vota im Kabinett Josephs II. mit zahlreichen Fragezeichen verbunden. Ob und in welchem Maße Gutachten auch in der – hierfür zumindest nicht vorgesehenen – Septimanalrelation ­zwischen ­Kaiser und Reichshofratspräsident zur Sprache kamen, liegt völlig im Dunkeln. Auf eine in der Regel rein schrift­ liche Beschlussfassung über die Vota deuten jedenfalls bruchstückhaft überlieferte „Begleitreferate“, die Präsident Harrach zu einzelnen Vota verfasste und auf die der ­Kaiser wiederum schriftlich resolvierte.333 Trotz aller quellenbedingten Unsicherheiten spricht deshalb einiges dafür, dass sich die kaiserliche Beschlussfassung über die Gutachten seit 1766 in einem Rahmen vollzog, der sich von der vorherigen Zeit grundsätzlich unterschied: Schon das Ende der Beratungen über die Vota im Geheimen Rat zu Beginn der 1730er-Jahre hatte die Einbindung des Reichshofrats in höfische Kommunikationsabläufe, die zuvor seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch durch die Mitgliedschaft des Präsidenten und mehrerer Räte der Herrenbank im Geheimen Rat gewährleistet wurde, geschwächt. Der rund 35 Jahre s­ päter erfolgende Ausschluss des Vizekanzlers vom Referat der Vota war dazu geeignet, auch die Bande ­zwischen Reichshofrat und Reichskanzlei zu lockern. 331 Siehe etwa das kaiserliche Handschreiben an den Reichshofratspräsidenten vom 05. 09. 1772, betreffend die Übergabe der Vota an den kaiserlichen Adjutanten Oberstleutnant Weber während des Aufenthalts des Kaisers in Laxenburg: ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 2, Nr. 7. Auf die Nachsendung von Gutachten während kaiserlicher Reisen verwies bereits Mohl, Vergleichung (wie Anm. 159), S. 362 f. 332 Siehe etwa ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1. Dort findet sich ein Begleitreferat des Vizekanzlers vom 08. 04. 1766 mit kaiserlichem Marginaldekret „placet“. Im August 1768 nutzte Reichshofratsvizepräsident von Hagen, zu dem der Vizekanzler ein gutes Verhältnis hatte, die Abwesenheit des Präsidenten von Harrach, um dem Vizekanzler mehrere Vota vor deren Vorlage im Kabinett zuzuschicken. Dies scheint jedoch eine Episode geblieben zu sein. Siehe die Berichte des Reichsvizekanzlers an den Kurfürsten von Mainz vom 22.08. und 18. 09. 1768 ebd. 333 Siehe beispielsweise Harrachs Stellungnahme vom 23. 04. 1766 zu einem den Kurfürsten von der Pfalz betreffenden Votum in ÖStA HHStA, RHR, Verfassungsakten, K. 9/10, Konv. 1, Nr. 1.

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Die Verlagerung der Beschlussfassung vom Geheimen Rat ins Kabinett des Kaisers ging aus Sicht des Reichshofrats also mit desintegrativen Tendenzen einher, die umso bedenklicher erscheinen mussten, als sich die komplexen Strukturbedingungen, unter denen das oberstrichterliche Amt auszuüben war, im gleichen Zeitraum weiter verschärften. Schließlich konnte es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der reichsgerichtliche Urteile gegen eine immer größere Zahl armierter Reichsstände nicht mehr exekutierbar waren, eine „unabhängige“, sich um die politischen Folgen nicht kümmernde Rechtsprechung weniger geben denn je. Niemand wusste das besser als Reichshofratspräsident von Harrach, der den forsch auf eine deutliche Erhöhung der Urteilsquote drängenden K ­ aiser 1770 daran erinnerte, dass der Reichshofrat „ganz anderst denn andere Justiz-Stellen zu betrachten“ 334 sei. Wenn aber die Kabinettsregierung zumindest auf eine partielle Entflechtung des Reichshofrats aus einem älteren, nicht zuletzt informellen Vorabsprachen dienenden höfischen Kommunikationsnetz hinauslief und der Reichshofrat zugleich über keinerlei institutionalisierte Kommunikationsforen zu den die Reichspolitik anstelle der Reichskanzlei zunehmend bestimmenden Behörden wie der Staatskanzlei unter Wenzel Anton von Kaunitz 335 verfügte – was folgte hieraus für die Vota ad Imperatorem? Müsste man nicht vermuten, dass diese Gutachten den ­Kaiser nun so „ungefiltert“ erreichten wie nie zuvor? Zweifelsfrei nachweisbar ist, dass der Reichshofrat auch unter Joseph II. zunächst damit fortfuhr, recht häufig Vota ad Imperatorem zu erstellen. Allein im Jahr 1770 tat er dies beispielsweise 53-mal.336 Insgesamt entfallen auf die josephinische Zeit mehrere hundert Gutachten, von denen eines seit der 1976 erschienenen Pionierstudie von Peter Leyers besondere Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hat.337 Tatsächlich handelt es sich bei ­diesem im Jahr 1773 erstellten Gutachten zu einem hier in der Sache nicht weiter interessierenden Privilegienkonflikt um ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Votum. Es kam nicht nur in Abwesenheit des Präsidenten zustande, sondern gehört zu der kleinen Minderheit von Gutachten, aus deren Text ein im Plenum bestehender Dissens über die zu treffende Entscheidung ersichtlich ist. Die Mehrheit wollte die Klage als unzulässig zurückweisen, während eine Minderheit dafür plädierte, die Klage zuzulassen, jedoch in der Sache abzuweisen. Joseph II. schloss sich keiner dieser Meinungen an, sondern befahl, 334 Siehe Harrachs „Anmerkungen über des Kay. Handbillet de 27. Febr. 1770“ in ÖStA HHStA, RK, Reichsakten in specie, K. 31. 335 Dass die Staatskanzlei auch die Reichspolitik spätestens seit 1780 dominierte, bemerkte bereits Aretin, Das Alte Reich (wie Anm. 183), Bd. 3, S. 30. 336 ÖStA HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. XVIII/167. 337 Zum Folgenden Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 230 – 232.

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die Klage zuzulassen und ihr stattzugeben. Insofern berührte das Gutachten also die von zeitgenössischen Juristen mehrheitlich bejahte Frage, ob der ­Kaiser im Rahmen der Beschlussfassung über die Vota auch dazu berechtigt sei, eine von den ihm unterbreiteten Vorschlägen abweichende Entscheidung zu treffen.338 Das Bemerkenswerteste an d ­ iesem Gutachten ist indes die Replik von Reichshofratspräsident Harrach, der sich gegenüber dem ­Kaiser im Dezember 1773 auf die Wahlkapitulation Art. 16 § 15 berief und betonte: „Überhaupt sind nicht nur gesamte Politici, sondern auch alle Theologi einstimmig, daß die Regenten in puris judicialibus die Entscheidung der Rechtsstritten dem Gewissen der Gerichtsstellen zu überlassen haben. Von dieser Regel abzuweichen, ist aber am allerbedenklichsten bey einem Römischen K ­ aiser, weil andurch das gänzliche Vertrauen der Reichsstände benommen wird.“ 339

Tatsächlich gab Joseph II. klein bei und resolvierte: „Placet und haben sie hinführo in Causis pure judicialibus kein Votum mehr mir vortragen zu lassen.“ Dass der gesamte Vorgang gewandelte Vorstellungen von richterlicher Unabhängigkeit und Verfahrensautonomie an einem der beiden Reichshöchstgerichte zu illustrieren scheint und insofern von großer rechts- und verfassungsgeschichtlicher Bedeutung ist, soll nicht bestritten werden. Gleichwohl lassen sich schwerwiegende Bedenken gegen die Ansicht Holger Erwins geltend machen, wonach der K ­ aiser gegenüber dem Reichshofrat nach 1773 nur noch über „Justizaufsichtsrechte“ verfügt habe, so dass ein faktischer „Gleichklang der Verfassung von RKG und RHR hergestellt“ worden sei.340 Zunächst wäre danach zu fragen, w ­ elche Verfahren an einem zugleich als Lehnshof und Administrationsorgan der kaiserlichen Reservatrechte tätigen Gericht als „pure judicialibus“ gelten konnten. 1768 hatte der ­Kaiser gegenüber dem Reichshofrat erklärt: „Politische Gegenstände nenne ich ­solche, die in meine kaiserlichen Gerechtsame, in die wesentliche Verfassung des Reiches überhaupt oder auch in das Interesse eines von den mächtigeren Reichsständen oder auswärtiger Höfe einschlagen.“ 341 Sofern der K ­ aiser diese Ansicht mit seiner zitierten Marginalresolution von 1773 nicht, wie Erwin stillschweigend vorauszusetzen scheint, einfach revidierte, blieben auch in der Folge zahlreiche Verfahren übrig, die sich zur Erstellung eines Votums qualifiziert hätten. Zudem haben weder Leyers noch Erwin die Erstellung von Voten an Josephs II. Nachfolger Leopold II. und Franz II. geprüft, so dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt verlässliche Aussagen über 3 38 Zu dieser Frage knapp Erwin, Machtsprüche (wie Anm. 47), S. 200. 339 Dieses und das Folgende Zitat ÖStA HHStA, RHR, Vota, K. 66, Nr. 9 (Zumbroch contra de la Tour). 340 Erwin, Machtsprüche (wie Anm. 47), S. 201. 341 Zitiert nach Leyers, Reichshofratsgutachten (wie Anm. 46), S. 181 f.

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die ­Verfahrenspraxis in der Spätphase des Alten Reiches überhaupt nicht möglich sind. Im Vorgriff auf die vom Verfasser in Aussicht gestellte Monographie 342 sei hier jedoch mitgeteilt, dass die Zahl der Voten in jenem Zeitraum tatsächlich drastisch zurückging. Hatte der Reichshofrat 1770 noch 53 Gutachten erstellt, waren es 1795 nur noch zwölf und 1800 acht. Es spricht, dies sei noch einmal betont, nichts dagegen, in diesen recht eindeutigen Zahlen (auch) einen Niederschlag gewandelter Vorstellungen über ­richterliche Unabhängigkeit zu erblicken. Die publizistische Kritik an einer Beschränkung der Verfahrensautonomie durch monarchische Genehmigungsvorbehalte wurde in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zweifellos deutlicher und führte am böhmischen Appellationsgericht sogar zur gänzlichen Abschaffung des Votums ad Imperatorem durch Joseph II.343 Allerdings sei nachdrücklich vor allzu holzschnittartigen Vorstellungen gewarnt, wonach sich in d ­ iesem Zeitraum lediglich dogmatische, à la longue der Gewaltenteilung und dem modernen Rechtsstaat den Weg ebnende Vorstellungen Bahn gebrochen hätten. Die geschilderten Auseinandersetzungen um die Vota zeigen nachdrücklich, dass es aus Sicht der Zeitgenossen dabei stets auch um Macht, Einfluss und den Zugriff auf Pfründe ging. Bedenkt man zudem, dass der Bedeutungsverlust der Reichsbehörden am Kaiserhof bereits unter Karl VI. einsetzte und nach 1740 zunehmend an Fahrt gewann, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die K ­ aiser spätestens in den 1780er- und 1790erJahren schlichtweg das Interesse am Reichshofrat verloren. Es wäre also durchaus eine Untersuchung wert, ob eine in d ­ iesem Zeitraum möglicherweise steigende Verfahrensautonomie am Reichshofrat nicht zu einem erheblichen Teil das Ergebnis solcher Machtverschiebungen gewesen ist, die durch die sich in neueren Studien einer gewissen Beliebtheit erfreuende Rede vom „komplementären Reichsstaat“ 344 nur zu leicht verdeckt werden.

XI.  Fazit Im Zentrum des Aufsatzes stand mit den Vota ad Imperatorem ein in den Reichshofratsordnungen enthaltener monokratischer Genehmigungsvorbehalt, der von der bisherigen Forschung zumeist isoliert betrachtet und als potentielles Einfallstor von Kabinettsjustiz und kaiserlichen Machtsprüchen gewertet wurde. Als Beitrag 342 Vgl. Anm. 60. 343 Joseph Carl von Auersperg, Geschichte des königlichen böhmischen Appellations­ gerichtes, 2 Bde., Prag 1805, hier Bd. 1, S. 173. 344 Vgl. Georg Schmidt, Das frühneuzeitliche Reich – komplementärer Staat und föderative Nation, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 371 – 399.

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zu einer umfassenden Neuvermessung des Problems richterlicher Unabhängigkeit an einem herrschernahen Gericht der Frühen Neuzeit schlug die vorliegende Untersuchung einen anderen Weg ein und setzte sich folgende Ziele: 1. eine Analyse von Norm und Praxis der Erstellung der Gutachten im Gremium des Reichshofrats und der diesbezüglichen höchstrichterlichen Beschlussfassung durch den ­Kaiser; 2. eine Einbettung der Vota ad Imperatorem in den allgemeinen Geschäftsgang des Reichshofrats unter besonderer Berücksichtigung weiterer monokratischer Genehmigungsvorbehalte und sonstiger dem Votum vorgelagerter Steuerungsinstrumente zur Verhinderung von politisch nicht erwünschten Kollegialbeschlüssen; 3. eine aktenkundliche Untersuchung der Reichshofratsakten und -protokolle zur Bestimmung ihres Evidenzwerts, d. h. des Grades, in dem Akten und Protokolle tatsächlich Aufschluss über die das Verfahren steuernden Entscheidungsprozesse gewähren. Die Kombination dieser Befunde, die jeweils entwicklungsgeschichtlich für den Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis 1806 zu erarbeiten waren, sollte es gestatten, das komplexe Wechselspiel von Recht und Politik am frühneuzeitlichen Kaiserhof aufzuhellen. Mit Blick auf Norm und Praxis der Erstellung der Vota und der diesbezüglichen kaiserlichen Beschlussfassung bleibt Folgendes festzuhalten: Die Reichshofratsordnung in ihrer bis 1806 maßgeblichen Fassung von 1654 sah die Erstellung eines Votums bei Uneinigkeit im Gremium oder einer besonderen politischen Brisanz des Gegenstandes vor. Im Laufe seines Bestehens hat der Reichshofrat von dieser Möglichkeit in Tausenden von Fällen Gebrauch gemacht. Besonders häufig wurden Vota im Laufe des Dreißigjährigen Krieges erstellt (1630 120mal), aber auch danach bildete das Votum bis in josephinische Zeit ein im Gerichtsalltag oft genutztes Instru­ment (74 Vota im Jahr 1675, 53 im Jahr 1770). Ein merklicher Abfall bis auf acht Vota im Jahr 1800 ist erst seit den 1770er-Jahren zu konstatieren. Auffällig ist bei der Lektüre der Gutachten, dass die große Mehrzahl keinerlei Anhaltspunkte für einen im Gremium bestehenden Dissens über den Verhandlungsgegenstand bietet, sondern ein – und nur ein – Votum zur Disposition des Kaisers stellt. Sofern es im Reichshofratsgremium häufig zu Differenzen über den zu fassenden Kollegialbeschluss kam (was sich in Ermangelung von Votenprotokollen freilich nicht feststellen lässt), spiegelt sich dies in den Vota also überraschenderweise nicht wider. Hinsichtlich des Rahmens, in dem die Gutachten dem ­Kaiser zur Kenntnis gelangten, sah die Ordnung von 1654 die Anwesenheit des Präsidenten während des Referats vor, die Beiziehung der Referenten und weiterer Reichshofräte wurde hingegen in das Belieben des Kaisers gestellt. Die Wahlkapitulation von 1711 ging

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darüber hinaus, verbot die Beratung der Vota in einem anderen Ratsgremium als dem Reichshofrat und schrieb die Anwesenheit des Reichsvizekanzlers, des Reichshofratspräsidenten und der Referenten vor. In der Praxis lassen sich zwei Phasen der kaiserlichen Beschlussfassung über die Vota unterscheiden. Vom 16. Jahrhundert bis ca. 1730 wurde über die große Mehrzahl der Gutachten im Geheimen Rat beraten und entschieden. Dessen Mitgliederzahl stieg jedoch seit der Regierungszeit Ferdinands II. drastisch an, was mit einem tiefgreifenden Funktionswandel der Geheimratswürde einherging, die nach 1648 in zunehmendem Maße nicht mehr mit tatsächlichen Beratungsverpflichtungen verbunden war. Auch über die Vota ad Imperatorem wurde deshalb seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht mehr im Plenum des Geheimen Rats, sondern in bestimmten dazu anberaumten Sitzungen beraten, an denen ein engerer, zumeist hochkarätig besetzter Kreis von eigens geladenen Geheimen Räten teilnahm. Personell waren Geheimer Rat (bzw. der in diesen engeren Sitzungen zusammenkommende Kreis) und Reichshofrat nach 1648 stets verflochten, da nun auch der Reichshofratspräsident und diverse dem erbländischen Adel entstammende Mitglieder der Herrenbank in das Gremium aufrückten. Das Gros der Voten wurde dort jedoch nicht durch den Präsidenten, sondern durch den Reichsvizekanzler als Chef der Reichskanzlei vorgetragen. Dass Karl VI. der Auflage seiner Wahlkapitulation von 1711 nachgekommen und auch die Referenten zur Beratung der Vota geladen hätte, lässt sich nicht nachweisen und erscheint – auch für die Folgezeit bis 1806 – zweifelhaft. Zu Beginn der 1730er-Jahre endete die Beratung der Vota im Geheimen Rat, an dessen Stelle nun das kaiserliche Kabinett trat. Dort wurden die Gutachten dem ­Kaiser zunächst weiterhin mündlich durch den Vizekanzler vorgetragen, während der Reichshofratspräsident zu jener Zeit seinen direkten Zugang zum K ­ aiser verlor und offenbar ebenso wenig ins Kabinett geladen wurde wie weitere Reichshofräte. 1766 ging Joseph II. schließlich (mutmaßlich) dazu über, sich die Vota direkt vom Reichshofratspräsidenten ins Kabinett s­ chicken zu lassen, um dort in einem rein schriftlichen Verfahren, das sich neben dem Reichshofratsgutachten gegebenenfalls auch auf schriftliche „Begleitreferate“ des Präsidenten und des Vizekanzlers stütze, darüber zu resolvieren. Auffällig erscheint die sehr hohe, über den gesamten Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis 1806 zu beobachtende Zustimmungsrate zu den Gutachten, denen der ­Kaiser, sei es nun im Geheimen Rat oder im Kabinett, in aller Regel mit höchstens geringfügigen Änderungen sein Placet erteilte. Gegenbeispiele wie die der Forschung bereits seit längerem bekannte konfliktträchtige Abänderung eines Votums durch Joseph II. im Jahr 1773 erweisen sich vor ­diesem Hintergrund zwar als erklärungsbedürftig, können jedoch in keiner Weise als repräsentativ für die Entscheidungsfindung am frühneuzeitlichen Kaiserhof gelten. Während neuere Studien die hohe Zustimmungsrate zu den Vota als Beleg für eine hohe ­Verfahrensautonomie des

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Reichshofrats werteten, erschien sie dem Verfasser als Indiz dafür, dass der kaiserlichen Beschlussfassung über die Gutachten bislang unbekannte Genehmigungsvorbehalte vorgelagert waren, mit denen politisch unerwünschte Kollegialbeschlüsse von vorneherein verhindert werden sollten. Zu klären war diese These im Wege einer aktenkundlich angelegten Geschäftsganganalyse, die zu der Erkenntnis führte, dass man sich den Reichshofrat als eine Kollegialbehörde mit einem im Geschäftsgang äußerst stark verankerten und durch keinerlei unmittelbare Kontrollmechanismen eingehegten Präsidium vorzustellen hat. Als einziges Gremiumsmitglied übte der Präsident Kompetenzen und Genehmigungsvorbehalte aus, mit denen sich zwar nicht ohne Weiteres ein politisch gewünschter Kollegialbeschluss erzwingen ließ, die jedoch potentiell sehr wohl dazu geeignet waren, eine dem Hof missliebige Entscheidung zu verhindern. Dies beginnt bei der Zeichnung des Präsentatums, das unter den Bedingungen nicht existierender Gewaltenteilung keine Formalität, sondern tatsächlich einen Genehmigungsvorbehalt bildete. Schließlicht stellte es die Voraussetzung dafür dar, dass am Reichshofrat ein Verfahren überhaupt eingeleitet und damit die Via Juris und nicht etwa der in zahlreichen Fällen ebenfalls in Frage kommende Ministerialweg beschritten wurde. Die sich anschließende Ernennung des oder der Referenten oblag wiederum dem Präsidenten, der auch auf die Festsetzung der Tagesordnung einen großen Einfluss ausübte, wenngleich er diese nicht allein bestimmte. Zu verweisen ist insbesondere auf den vom Präsidenten ausgeübten Genehmigungsvorbehalt beim Vortrag sogenannter „Definitivsachen“, worunter Endurteile, aber vermutlich auch Mandate und Ähnliches zu verstehen sind. Da bis zum Ende des Alten Reiches kein Rat ohne ausdrückliche Genehmigung des Präsidenten über Definitivsachen referieren durfte, konnte spätestens an dieser Stelle ein nicht gewünschter Beschluss von größerer Tragweite verhindert werden, ohne dass es dazu eines Votums ad Imperatorem bedurft hätte. Verbunden wurde die Geschäftsganganalyse mit Ausführungen zum Evidenzwert der Prozessakten und -protokolle, der mit sukzessivem Fortschreiten der Untersuchung immer weiter zusammenschmolz.345 Dabei wurde deutlich, dass die Akten- und Protokollführung dieser Behörde durchgängig darauf angelegt war, die Verfahrensautonomie höher erscheinen zu lassen als sie tatsächlich war. So 345 Um Missverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies den überragenden Informationswert der Reichshofratsakten für weite Teile der Frühneuzeitforschung nicht im Geringsten tangiert. Zudem dürfte ein geringer Evidenzwert mit Blick auf das Schriftgut von Kollegialorganen bis in die Gegenwart hinein eher die Regel als die Ausnahme bilden. Die Forschung hat sich ­diesem Problem zu stellen, sofern sie nicht eine Transparenz von Entscheidungsprozessen suggerieren möchte, die tatsächlich überhaupt nicht existiert.

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erlauben Präsentatum und Exhibitenprotokoll nur eine positive Aussage darüber, ­welche Eingänge der Reichshofrat annahm. Sie schweigen sich jedoch darüber aus, ­welche er ablehnte bzw. an andere Hofstellen weitergab. Da Letzteres zweifellos vorkam, der Kaiserhof jedoch kein zentrales Posteingangsbuch führte, folgt daraus, dass Aussagen zum „Geschäftsanfall“ des oberstrichterlichen Amtes niemals möglich sein werden, sondern sich nur auf die Exhibitenprotokolle und damit auf das Ergebnis eines vorgelagerten undokumentierten Auswahlprozesses stützen können. Angesichts einer von der Forschung bislang kaum erfassten Diskrepanz z­ wischen Justizgewähranspruch und tatsächlicher Erledigung, die es übrigens umso leichter gemacht haben muss, ein unerwünschtes Verfahren jederzeit stillschweigend „zu beerdigen“, markiert dies einen sehr großen, jedoch quellenbedingt nicht auszufüllenden weißen Fleck der Reichshofratsforschung. Des Weiteren wurde dargelegt, dass bereits vor Ort ansässige Zeitgenossen registrierten, dass der Präsident und die von ihm ernannten Referenten in vom K ­ aiser bzw. dem Präsidenten als heikel erachteten Fällen auch außerhalb des Plenums miteinander konferierten, ohne dass die Ergebnisse dieser Sitzungen oder auch nur deren Stattfinden in den Akten dokumentiert worden wären. Ebenso entziehen sich die Festsetzung der Tagesordnung und die hierbei eingeflossenen Erwägungen weitgehend dem Zugriff der Forschung. Dies beginnt bei dem präsidialen Genehmigungsvorbehalt in Definitivsachen. Glaubwürdigen zeitgenössischen Berichten zufolge wurde dieser Vorbehalt noch im 18. Jahrhundert tatsächlich angewandt. Allerdings geht weder aus den Akten noch aus den Protokollen hervor, ­welchen Relationen der Präsident seine Zustimmung verweigerte. Da nicht einmal klar ist, was der Reichshofrat abgesehen von Endurteilen unter Definitivsachen verstand, kann anhand der Resolutionsprotokolle auch nicht eruiert werden, ­welche Referate mit spezieller Genehmigung des Präsidenten und w ­ elche regulär im Turnus der einzelnen Räte zum Vortrag gelangten. Die auf dem Weg eines Schriftsatzes vom Posteingang bis ins Plenum gefällten Entscheidungen bleiben damit weitgehend im Dunkeln, wobei nicht zu vergessen ist, dass auch die Nichtbehandlung eines Schriftsatzes eine Entscheidung darstellte, die an einem chronisch überlasteten Gremium praktisch täglich zu treffen war. Entgegen anderslautenden Behauptungen in der Literatur bilden die Sitzungsprotokolle (d. h. die Resolutionsprotokolle) also keine Quelle zur Bemessung des Geschäftsanfalls am Reichshofrat. Auch mit Blick auf den kollegialen Akt im engeren Sinne muss der Evidenzwert der Resolutionsprotokolle als sehr gering veranschlagt werden. Als reine Ergebnisprotokolle halten sie nicht mehr als die gefassten Beschlüsse, eben die Resolutionen, fest. Ob es über die Relation des Referenten eine Diskussion gegeben hat, wird ebenso wenig mitgeteilt wie das Abstimmungsergebnis. Nichts kennzeichnet den geringen Evidenzwert der Protokolle besser als die aus josephinischer Zeit überlieferte Klage eines Reichshofrats, es komme im

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Plenum des Öfteren zu hitzigen Debatten darüber, wie frühere Entscheidungen des Gremiums denn eigentlich gemeint gewesen ­seien.346 Selbst aus Sicht der unmittel­ bar Verantwortlichen blieb das Verfahren also durch Intransparenz geprägt, und das Zustandekommen des kollegialen „Gesamtwillens“ erschien oftmals als ein der Nachprüfung entzogenes Mysterium. Weil kollegiale Entscheidungsgründe am Reichshofrat nicht nur nicht publiziert wurden, sondern in schriftlicher Form überhaupt nicht existierten, konnte dies letzten Endes auch gar nicht anders sein. Der Evidenzwert der Prozessakten und -protokolle des Reichshofrats ist somit als durchgängig niedrig zu betrachten, so dass es der Forschung im Regelfall nicht möglich ist, die dem Kollegialprinzip inhärente Anonymisierung der Verantwortlichen ohne den Rückgriff auf Komplementärüberlieferung, wie sie im vorliegenden Beitrag vor allem in Gestalt der Akten der Reichskanzlei herangezogen wurde, aufzubrechen. Geradezu von einem negativen Evidenzwert ist indes mit Blick auf jene Verfahren zu sprechen, in denen der Kaiserhof zur systematischen Aushöhlung des Kollegialprinzips außerordentliche Deputationen einsetzte. Insbesondere unter Karl VI., als sich d ­ ieses Instrument informeller Vorabsprache zur ominösen Reichsdeputation verfestigte, hat der Hof hiervon offenbar regen Gebrauch gemacht. Die Funktion dieser Deputationen bestand zunächst darin, heikle Materien auf dem Ministerialweg und gerade nicht auf der Via Juris zu erledigen, einen kollegialen Akt des Reichshofrats also zu verhindern oder zumindest zu verzögern. In jenen Fällen, in denen man sich schließlich doch dafür entschied, die Sache ins Plenum zu bringen, oblag es den Deputierten, eine Mehrheit für einen mit dem vorab formulierten Deputationsgutachten inhaltlich identischen Kollegialbeschluss zu organisieren. Wie man eine Umfrage auch unter diffizilen Umständen für sich entschied, musste den Mitgliedern der Deputation, bei denen es sich zumindest unter Karl VI. mehrheitlich um hochrangige Juristen von der Gelehrtenbank mit langjähriger Gremienerfahrung handelte, gewiss niemand erklären. In den betroffenen Verfahren verraten die Prozessakten also nicht nur nicht, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Sie sind elementarer Bestandteil einer vom Kaiserhof fabrizierten Lüge, mit der der tatsächliche Entscheidungsprozess verschleiert und gegenüber den Reichsständen der Eindruck erweckt werden sollte, der Beschluss sei im Plenum des Reichshofrats gefallen. Doch auch jenseits der Deputationen kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Akten- und Protokollführung am Reichshofrat darauf angelegt war, die Verfahrensautonomie gegenüber der Außenwelt (und damit auch gegenüber der heutigen Forschung) größer erscheinen zu lassen als sie tatsächlich war. Die bis ins ausgehende 18. Jahrhundert verschiedentlich überlieferten Mahnungen, kaiserliche Befehle an den Präsidenten ausschließlich

346 Siehe oben Anm. 83.

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­ ündlich ­weiterzuleiten und keinesfalls zu Protokoll zu nehmen, um den ­Kaiser m nicht „autoritativ“ erscheinen zu lassen, sprechen eine eindeutige Sprache. Mit Blick auf die Vota ad Imperatorem warfen die bislang resümierten Befunde die Frage auf, ob die Forschung die tatsächliche Funktion dieser Gutachten nicht womöglich gründlich missverstanden hat. Denn wenn der K ­ aiser den Gutachten fast immer zustimmte, wenn das Verfahren des Reichshofrats ferner durch zahlreiche einem Votum vorgelagerte Genehmigungsvorbehalte und informelle Vorabsprachen gekennzeichnet war und wenn schließlich gegenüber dem Präsidenten jederzeit von der Möglichkeit mündlicher Weisungen Gebrauch gemacht werden konnte – zu welchem Zweck erstellte der Reichshofrat während seines Bestehens Tausende von Gutachten an den ­Kaiser? Schließlich verlangsamte jedes Votum den Geschäftsgang an einer ohnehin chronisch überlasteten Behörde noch weiter. Ausgehend von 1766 verfassten Berichten des Reichsvizekanzlers über das bis zu ­diesem Zeitpunkt übliche Procedere wurde argumentiert, dass diese Verfahrensverzögerung aus Sicht des Kaiserhofes keine negative, jedoch in Kauf zu nehmende Begleiterscheinung, sondern ganz im Gegenteil den eigentlichen Zweck zahlreicher Vota bildete. Erst durch die Verzögerung politisch oder fiskalisch relevanter Entscheidungen des Reichshofrats erhielt der Hof nämlich die Gelegenheit, die notwendige Abstimmung mit den Spitzen der übrigen Hofbehörden, allen voran der Reichskanzlei, herzustellen. Der Zeitraum ­zwischen Approbation eines Votums im Reichshofrat und der Publikation der diesbezüglichen kaiserlichen Resolution im Plenum wurde offenbar insbesondere durch den Reichsvizekanzler benötigt, um – mit dem „Placet“ des Kaisers in der Tasche – die von Seiten der Reichskanzlei gegebenenfalls als notwendig erachteten Maßnahmen einzuleiten. Dabei konnte es sich etwa darum handeln, die kaiserlichen Gesandten im Reich oder die kurmainzische Gesandtschaft am Reichstag über unmittelbar bevorstehende Entscheidungen zu informieren. Im Lehnsund Gratialbereich ging es darum, mit den Supplikanten in Verhandlungen über die Höhe der Taxgebühren und Verehrungen zu treten, bevor diese davon erfuhren, dass die erbetene Vergünstigung de facto bereits bewilligt worden war. Eine ­solche Interpretation würde nicht nur erklären, warum den allermeisten Vota augenscheinlich gar kein Dissens im Gremium zugrunde lag. Sie würde auch plausibel machen, warum die nach 1648 zur Beratung der Vota anberaumten Geheimratssitzungen im Regelfall so hochkarätig besetzt waren. Die Chefs der österreichischen Hofkanzlei, der Hofkammer oder des Hofkriegsrats wurden vermutlich gar nicht geladen, um grundsätzliche Änderungsvorschläge zu Beschlüssen zu äußern, von denen sie in der Geheimratssitzung zum ersten Mal gehört hätten. Sofern von anderen Hofbehörden eine Abstimmung mit dem Reichshofrat als notwendig erachtet wurde, dürfte sich diese in Form direkter Gespräche mit dem Präsidenten oder im Rahmen einer außerordentlichen Deputation vollzogen haben. Sie war zum Zeitpunkt der

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Geheimratssitzung also prinzipiell bereits abgeschlossen, so dass sich im Laufe der Sitzung höchstens noch marginale Änderungsvorschläge ergaben. Die Behördenleiter waren aus einem anderen Grund anwesend, nämlich um – ebenso wie der Reichsvizekanzler – in den Stand versetzt zu werden, rechtzeitig in den von ihnen repräsentierten Kollegien Maßnahmen einleiten zu können, sofern dies im Kontext des bevorstehenden Reichshofratsbeschlusses als notwendig erachtet wurde. Informelle Vorabsprachen, wie sie durch mündliche Kontakte zum Reichshofratspräsidenten oder im Rahmen von Deputationen offenbar weit verbreitet waren, hätten hierfür im Verkehr mit anderen Höfen keine belastbare Grundlage gebildet. Ein kaiserliches „Placet“ auf einem Reichshofratsgutachten war hingegen eine formelle Entscheidung, die sich im Einklang mit der Reichshofratsordnung bewegte und auf die man sich folglich stützen konnte. Insofern scheint dem Votum ad Imperatorem im Rahmen des durch zahlreiche informelle und mündliche Elemente geprägten Reichshoftratsverfahrens die Funktion zugekommen zu sein, einen erreichten Zwischenstand formell festzuschreiben, mit kaiserlichem Placet zu versehen und auf diese Weise eine gemeinsame Basis für das Agieren der Hofbehörden zu schaffen. Als Referent der Voten übte der Vizekanzler, dessen Einfluss auf das Verfahren durch die bisherige Forschung offenbar deutlich unterschätzt wurde, darüber hinaus de facto einen Genehmigungsvorbehalt darüber aus, ­welche Gutachten dem ­Kaiser überhaupt vorgetragen wurden. Die (geringe) Zahl nicht resolvierter Voten scheint darauf hinzudeuten, dass dieser Vorbehalt mitunter tatsächlich ausgeübt wurde, um Entscheidungen, die aller Vorabsprachen zum Trotz aus Sicht der Reichskanzlei bzw. des Mainzer Erzkanzlers als inopportun erschienen, auszusetzen. Sofern diese Schlussfolgerungen in die richtige Richtung weisen, wäre dem Votum ad Imperatorem in der Epoche des Geheimen Rates, also bis etwa 1730, keines­wegs die Funktion zugekommen, als Einfallstor kaiserlicher Machtsprüche zu dienen. Der K ­ aiser bedurfte eines solchen Instrumentes auch gar nicht, da die Verfahrensautonomie am Reichshofrat viel zu gering war, als dass – sofern nicht einmal etwas „schief ging“ – politisch unerwünschte Entscheidungen, die im Wege eines Machtspruches zu korrigieren gewesen wären, im Plenum überhaupt hätten gefällt werden können. Begreift man das Votum ad Imperatorem hingegen als das zentrale Koordinierungsinstrument zur diplomatischen bzw. fiskalischen Vorbereitung von Reichshofratsentscheidungen durch die Reichskanzlei und weitere Hofbehörden, erscheint der um 1730 mit dem Eingehen kollegialer Beratung im Geheimen Rat anzusetzende Wandel der kaiserlichen Herrschaftspraxis als besonders einschneidende Zäsur in der Geschichte des Reichshofrats. Mit der Verlagerung der Beschlussfassung über die Vota vom Geheimen Rat ins Kabinett verlor der Reichshofratspräsident seinen direkten Zugang nicht nur zum ­Kaiser, sondern auch – jedenfalls in kollegialer Form – zu den Chefs der ­übrigen

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Hofbehörden, mit denen es nun keinerlei institutionalisierte Gremienarbeit mehr gab. Rund 35 Jahre ­später ereilte den Reichsvizekanzler dasselbe Schicksal, als Joseph II. 1766 dazu überging, über die Vota des Reichshofrats im Regelfall nur noch schriftlich und nicht mehr auf Grundlage eines mündlichen Referats zu resolvieren. Der Vizekanzler und mit ihm der Kurfürst von Mainz verloren auf ­diesem Wege einen Großteil ihres Einflusses auf die Spruchtätigkeit des Reichshofrats. Wenn es wenige Jahre s­päter, 1773, z­ wischen dem K ­ aiser und dem Reichshofrat zu einem Disput über die Abänderung von Gutachten in Judizialsachen kam, der ­Kaiser hierbei offenbar einlenkte und die Zahl der jährlich erstellten Vota in der Folge drastisch zurückging, dürften hierfür also nicht allein gewandelte Vorstellungen richterlicher Unabhängigkeit ursächlich gewesen sein. Schließlich drängt sich der Eindruck auf, dass von der ursprünglichen Koordinierungsfunktion der Vota spätestens nach 1766 kaum etwas übrig geblieben war, da der Wandel kaiserlicher Herrschaftspraxis in den vorangegangenen Jahrzehnten bereits zu einer weitgehenden Desintegration des Reichshofrats aus dem höfischen Kommunikations- und Entscheidungsnetzwerk geführt hatte. Sofern diese Desintegration einer funktionalen Ausdifferenzierung Vorschub leistete, indem sie den Reichshofrat immer stärker von der „großen Politik“ entfernte und auf seine Aufgaben als Justizkollegium verwies, wozu auch der weitgehende Niedergang des Reichslehnsnexus unter Joseph II. seinen Beitrag geleistet haben dürfte,347 so geschah diese Ausdifferenzierung jedenfalls keineswegs intentional. Sie bildete vielmehr ein ungewolltes „Abfallprodukt“ des drastischen Bedeutungsverlusts der Reichsbehörden gegenüber den sich dynamisch entwickelnden „österreichischen“ Instanzen, der nicht nur viel früher einsetzte, als es Teile der neueren Reichsgeschichtsforschung wahrhaben wollen, sondern der von den betroffenen Reichshofräten vielfach als Statusverlust und nicht zwangsläufig als Chance einer unabhängigeren Rechtsprechung wahrgenommen wurde. Auch ist nicht zu übersehen, dass der gegenüber Joseph II. auf mehr Verfahrensautonomie drängende Reichshofratspräsident Ferdinand von Harrach innerhalb des Gremiums keineswegs unumstritten war. Einer zeitgenössischen Polemik zufolge galt er einzelnen Reichshofräten als freundlich nickender Schwachkopf, der nicht über den nötigen Schneid zur Führung der Behörde verfügte.348 Die für 3 47 Zum Ende der Thronbelehnungen Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, S. 287 – 297. 348 So heißt es mit Blick auf das Porzellankabinett im Schloss Schönbrunn bei Friedrich Karl von Moser (Hg.), Herzens-Erleichterung eines nun seeligen Reichs-Hof-Raths an K. Joseph II. vom Jahr 1768, in: Patriotisches Archiv für Deutschland 10 (1789), S. 365 – 377, hier S. 369 f.: „In dem Cabinet des Chinesischen Hof-Staats zu Schönbrunn sizt ein freund­ liches stets nickendes altes Gesicht, vermuthlich ist es der Reichs-Hof-Raths-Präsident zu Pecking, dann der hiesige sizt eben so und nickt eben so. Wenig Leben, gar kein Feuer, lauter Waßer…“.

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das 18. Jahrhundert mehrfach dokumentierte große Zerstrittenheit innerhalb des Gremiums bezog sich also offenbar bis zum Ende auch auf die Frage nach dem in der Spruchtätigkeit anzustrebenden Wechselverhältnis von Recht und Politik, was jedenfalls eine Warnung sein sollte, sich die Reichshofräte unbesehen als Anwälte von Modernisierungs- und Verrechtlichungsprozessen vorzustellen. Dass ihre Tätigkeit in der Spätphase des Alten Reiches Teil der Lösung und nicht etwa Teil des Problems gewesen sein soll, müsste wie so vieles erst einmal überzeugend nachgewiesen werden. Der vorliegende Beitrag liegt in mancherlei Hinsicht quer zu dem in neueren Studien gezeichneten, nach Ansicht des Verfassers nicht selten zu harmonischen Bild der Rechtskultur des Alten Reiches und seiner Höchstgerichtsbarkeit. Die Ausführungen könnten sich deshalb mit der Kritik konfrontiert sehen, dass sie für den Gerichtsalltag am Kaiserhof nur von begrenzter Relevanz ­seien, da kaum zu erwarten stehe, dass das diskrete Instrumentarium zur Aushöhlung des Kollegialprinzips durch monokratische Genehmigungsvorbehalte und informelle Vorabsprachen in der Masse der am Reichshofrat verhandelten zivilrechtlichen Verfahren stets voll ausgeschöpft oder auch nur partiell angewendet worden sei. So wurde in jüngerer Zeit die These vertreten, eine „politisch beeinflusste Rechtsprechung“ des Reichshofrats lasse sich „nur in Krisensituationen feststellen, in denen der ­Kaiser auf die Hilfe von Reichsständen angewiesen war und diesen Entgegenkommen signalisieren mußte“.349 Der Verfasser teilt diese Ansicht allerdings nicht und ist stattdessen der kategorischen Überzeugung, dass es ohne Gewaltenteilung kein politisch unbeeinflusstes Verfahren geben kann. Er glaubt auch nicht, dass die Forschung mit einem Abstand von mehreren Jahrhunderten dazu in der Lage ist, festzustellen, wann nach Einschätzung des Kaiserhofes eine Krisensituation vorlag und wann wer wem hinter den Kulissen einen Gefallen schuldig war, der sich in der einen oder anderen Weise auf den Ausgang des Verfahrens auswirkte. Irgendeine Krise war immer, und auch in ruhigeren Zeiten galt es, „auf verdiente Reichs-Stände Bedacht“ 350 zu nehmen, wie es der Reichsvizekanzler 1766 formulierte. Am Reichshofrat bildete eine massive politische Beeinflussung der Spruchtätigkeit somit kein Krisenphänomen, sondern einen Dauerzustand, den zu skandalisieren freilich ein Anachronismus wäre. Als „unabhängiges“ Gericht hätte der Reichshofrat unter den Strukturbedingungen des Alten Reiches in Windeseile Schiffbruch erlitten und niemals jene Bedeutung erlangt, die ihm in der Verfassungsgeschichte 349 Siegrid Westphal, Stabilisierung durch Recht. Reichsgerichte als Schiedsstelle territorialer Konflikte, in: Ronald G. Asch/Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/ Weimar/Wien 2005, S. 235 – 253, hier S. 251. 350 Siehe oben Anm. 318.

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der Frühen Neuzeit zukommt. Inmitten armierter Reichsstände und in weitgehender Ermangelung effektiver Exekutionsmöglichkeiten war ein rücksichtsloses Beschreiten der Via Juris keine Option. Dessen ungeachtet ist jedoch nicht zu übersehen, dass der Ministerialweg nur in den seltensten Fällen auf ein Nullsummenspiel hinauslief. Am Ende hatte jemand die Zeche zu bezahlen. Dass diese Kosten im Regelfall nicht in Form von Machtsprüchen, sondern als wesentlich schwerer nachweisbare Justizverweigerung anfielen,351 wird einer methodenbewussten Forschung nicht verborgen bleiben. Wenn das solchermaßen überarbeitete Gemälde der frühneuzeitlichen Rechtskultur beim Betrachter ein schärferes Bewusstsein für die zivilisatorische Errungenschaft von Gewaltenteilung schüfe und deutlich würde, dass es der moderne Rechtsstaat gewiss nicht nötig hat, beim Alten Reich in die Lehre zu gehen, so wäre dies gewiss kein schlechtes Ergebnis.

351 Dass auch Zwangsvergleiche am Reichshofrat aufgrund politischer Erwägungen in größerem Umfang vorgekommen sind, wird die in Anm. 60 angekündigte Studie nachweisen.

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Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636 Attendance, Voting and Reasoning

Introduction The Swedish 1634 Instrument of Governance (Sw. Regeringsform) prescribed that all Swedish appellate courts were to be inspected by the leading Swedish statesmen once a year. Accordingly, the president of the Svea Court of Appeal, the leading appellate court in Sweden, gave an account of the Court’s activities and sentences in 1636 when its records were reviewed by inspectors.1 On this occasion, some censure was levelled against its opaque decision-making and absence of judges. This called for changes in the Court’s practices. The focus of this article is how the Svea Court of Appeal addressed the criticism levelled against it by the visitors. To remedy some of the critical comments levelled against the Svea Court by the aristocratic inspectors, the Court started to record faithfully the votes and reasoning of each judge in a separate book.2 As I have argued elsewhere, we have this inspection to thank for the Court’s series Codex Rationum that starts that same year, in 1636, documenting the reasoning of and decision-making at the Svea Court of Appeal.3 This long series allows us to follow the participation of each judge, their voting and reasoning in the cases. Therefore, I have chosen to investigate in this chapter the Court’s 42 cases, i. e. all the disputes, from 1636.4 This means 17 cases from the summer session between 1 38, Instrument of Governance of 1634 (Regeringsform af Rikets ständer gillad och daterad Stockholm den 29 juli 1634), available online (cited on 16 May 2019), https://sv.wikisource. org/wiki/Regeringsform_1634 [18. 03. 2020]. For an English translation of parts of the Instrument of Governance, translated by Michael Robert as “Form of Governance”, see Michael Roberts (ed.), Sweden as a Great Power 1611 – 1697: Government: Society: Foreign Policy. Documents on Modern History. Edward Arnold Ltd., London 1968, pp. 18 – 28, here p. 24. 2 The records of the 1636 inspection of the Swedish ministries or collegia are printed in “Rådsprotokoller angående Collegiernas redogörelse inför Kongl. Regeringen [hereafter RPACR],” in: Handlingar Rörande Skandinaviens Historia, 33, Hörbergska Boktryckeriet, Stockholm 1852, pp. 155 – 290; for the examination of the Svea Court of Appeal see pp. 155 – 185. 3 Mia Korpiola, “Swedish Court under Scrutiny: The Inspection of the Svea Court of Appeal in 1636”, in: Ignacio Czeguhn (ed.), The control of supreme courts in the early modern time in Europe, Duncker & Humblot, Berlin 2018, pp. 95 – 115. 4 However, information on two of these cases are incomplete, due to my error in photographing the source.

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15 June and 11 July 16365 and 23(+2) cases from the autumn session between 13 October and 15 November 1636.6 The criminal cases scrutinized and sentenced by the Court of Appeal are generally not included in the Codex Rationum even if our cases from 1636 contain some ex officio prosecutions of the Prosecutor General (Sw. advokatfiskal), whose field consisted of criminal cases and supervision of the judiciary and officials. In this chapter, I have analysed the attendance of judges in order to discover who actually took part in the Court’s decision-making and who the referendary judges were. Statistics have been compiled to show how often there was voting in the court and how often its decisions were not unanimous. This included observing if any of the judges had presented dissenting opinions. In addition, the special reasoning of the court is scrutinized, meaning here references to sources of law: Swedish law, statutes, ordinances and other written norms as well as precedents or other authorities. Hereby, we will get an insight into the practical authority of various sources of law in appellate court practice as well as to what extent the Svea Court of Appeal attempted to remedy the criticism levelled against it during its inspection earlier that year.

The Svea Court of Appeal and Its Judges King Gustav II Adolf (r. 1611 – 1632) established the Svea Court of Appeal, the first royal court of appeal of Sweden, in some haste before departing to war against Russia in the Baltic Region in 1614. Although there had been several attempts during five decades to restructure and reform supreme royal jurisdiction, all of these had ultimately failed. Now, the Svea Court of Appeal was to adjudicate in the name of the king and take care of all judicial affairs during the King’s absence abroad. It had several different tasks. As an appellate court it was to act as the supreme court in the country. Its sentences were not to be appealed further, but persons could petition for the extraordinary benefit of revision (beneficium revisionis) by the king of the appellate court’s sentence. The close nexus between the Svea Court of Appeal and the throne is highlighted further by the fact that it sat at the Royal Castle “Tre Kronor” in Stockholm.7 5 (Sw. Riksarkivet, hereafter RA), Svea Court of Appeal (Svea hovrätt, hereafter SH), Main archive (Sw. Huvudarkivet, hereafter HA) A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, 1r–14v. 6 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, 16r–32v. 7 On the early history of the Svea Court of Appeal see especially Sture Petrén/Stig Jägerskiöld/Tord O:son Nordberg, Svea hovrätt: Studier till 350-årsminnet. P. A. ­Norstedt & Söners Förlag, Stockholm 1964; Mia Korpiola (ed.), The Svea Court of Appeal

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According to the 1614 Ordinance of Judicial Procedure and the 1615 Procedural Rules, the Svea Court of Appeal in its entirety sat during two judicial terms, the spring term (“from Walburgis to Petri Pauli”) and the autumn term (“from the Nativity of Mary to Martini”). The rest of the year, the president or vice president as well as three judges, one of each class, were always to reside in Stockholm so as to be on call if urgent legal business arose.8 However, the obligation of the judges to reside in Stockholm was prolonged to eight months already in 1628.9 Within less than a decade, the appellate court model proved so successful that it was duplicated in the provinces. In 1623, King Gustav II Adolf established the Turku Court of Appeal as the second royal appellate court to adjudicate cases in Sweden’s Finnish provinces, and in 1630, the Dorpat Court of Appeal (present-day Tartu in Estonia) was established for the newly conquered Livonian province. After the king’s death, the Göta Court of Appeal was established in Jönköping in 1634 for cases from the southern provinces of Sweden. While all of these courts had slightly dissimilar profiles, depending on the region, the Court of Dorpat came to be the most different from them all, because the Livonian legal system differed considerably from the Swedish one.10 According to the 1614 Ordinance of Judicial Procedure (Sw. Rättegångs-Ordinantie) and the 1615 Procedural Rules, the Svea Court of Appeal was to have fourteen assessors, including the Lord High Steward (drots)11 as its president. He and four other Councillors of the Realm made the first class of assessors, five other noblemen were to form second-class assessors, while four honest commoners, learned and experienced in law, were appointed as third-class assessors.12 However, the number of judges was not being considered sufficient because of absences and other in the Early Modern Period: Historical Reinterpretations and New Perspectives, Rättshistoriska studier, 26, The Olin Foundation, Stockholm 2014. 8 Rättegångs-Ordinantie (1614), in: Johan Schmedeman (ed.), Kongl. Stadgar, Förordningar, Bref och Resolutioner Ifrån Åhr 1528 in til 1701 Angående Justitiӕ Executions-Ährenden, Johann Henrich Werner, Stockholm 1706, p. 141; Rättegångs Process (1615), in: ibid., p. 145. 9 Stig Jägerskiöld, “Hovrätten under den karolinska tiden och till 1734 års lag (1654 – 1734),” in: Sture Petrén/Stig Jägerskiöld/Tord O:son Nordberg, Svea hovrätt: Studier till 350-­årsminnet, P. A. Norstedt & Söners Förlag, Stockholm 1964, pp. 119 – 336, here p. 239. 10 Mia Korpiola, “Preface”, in: Mia Korpiola (ed.), The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period: Historical Reinterpretations and New Perspectives, pp. 14 – 21; Rättshistoriska studier, 26, The Olin Foundation, Stockholm 2014, pp. 18 – 20. 11 The drots was a high-ranking royal official acting and adjudicating in the king’s name in the Middle Ages. The title was revived in the mid-sixteenth century as an honorific title. The drots was to act as the “Minister of Justice” and preside over the Svea Court of Appeal since 1614. 12 Rättegångs-Ordinantie (1614), in: Schmedeman (ed.), Kongl. Stadgar, p. 137; Rättegångs Process (1615), in: ibid., p. 144.

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reasons, and their number was supplemented through royal appointments in 1615, 1617, and 1624. According to the 1634 Instrument of Governance, the Svea Court was to have sixteen assessors (4+6+6) in addition to the drots or Lord High Steward. Thus, the noble character of the Svea Court of Appeal was maintained throughout the century until the class division was abolished in 1698.13 As Marianne Vasara-Aaltonen has shown in her research, the seventeenth-century noble first- and second-class assessors tended to have more extensive university studies both in Sweden and on the Continent than so-called “learned” third-class assessors.14 For example, assessor Åke Hansson Soop (1584-ca. 1650) had first studied in Uppsala, then in Rostock (1602) and finally in Wittenberg (1609 – 1610).15 Vice President baron Karl Horn af Åminne (1598 – 1638) had apparently studied long in Leiden (1618 – 1622),16 while President Gabriel Gustafsson Oxenstierna (1587 – 1640) had also sojourned at several universities on the Continent (Rostock, Wittenberg and Jena) during his five-year peregrination.17 However, assessors of both noble classes — ​especially the first-class assessors — ​ had a more political role, and they have been called “jacks-of-all-trades” because of the variety of administrative, military and diplomatic positions they had during their careers. Their advancement also was to a higher degree dependent on royal and aristocratic patronage than that of third-class assessors. As appellate court judges, they tended to have shorter careers in the judiciary and be absent more often because of their multitasking.18 13 Sture Petrén, “Hovrättens uppbyggnad 1614 – 1654”, in: Sture Petrén/Stig Jägerskiöld/ Tord O:son Nordberg, Svea hovrätt: Studier till 350-årsminnet, P. A. Norstedt & Söners Förlag, Stockholm 1964, pp. 1 – 117, here pp. 101 f.; 8, Instrument of Governance of 1634 (Regeringsform af Rikets ständer gillad och daterad Stockholm den 29 juli 1634), available online (cited on 16 May 2019): https://sv.wikisource.org/wiki/Regeringsform_1634 [18. 03. 2020]. 14 Marianne Vasara-Aaltonen, “From Well-travelled ‘Jacks-of-all-trades’ to Domestic Lawyers: The Educational and Career Backgrounds of Svea Court of Appeal Judges 1614 – 1809”, in: Mia Korpiola (ed.), The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period: Historical Reinterpretations and New Perspectives, pp. 301 – 354; Rättshistoriska studier, 26, The Olin Foundation, Stockholm 2014, pp. 305 – 310 and 315 – 317. 15 See Hans Gillingstam, “Soop”, in: Svenskt biografiskt lexikon [hereafter SBL], 32, Edita, Stockholm 2003 – 2006, pp. 668 – 675, here p. 671. 16 A. Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter samt embets- och tjenstemän 1614 – 1898: Biografiska anteckningar, Eksjö tryckeriaktiebolag, Eksjö 1899, p. 45; Gustaf Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 3, P. A. Norstedt Söners Förlag, Stockholm 1927, p. 686. 17 Robert Sandberg, “Oxenstierna, Gabriel, Gustafsson”, in: SBL, 28, Norsteds Tryckeri, Stockholm 1992 – 1994, pp. 524 – 528, here p. 524. 18 Ulf Sjödell, Riksråd och kungliga råd: Rådskarriären 1602 – 1718. Bibliotheca Historica Lundensis, 38, CWK Gleerup, Lund 1975, pp. 50 f.; Vasara-Aaltonen, “From Well-travelled

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The Swedish legal culture was lay-dominated. This is why there were so few university-trained commoner assessors, who tended to be more often practically skilled or experienced in law, often having worked as judges or surrogate judges at lower courts. Yet, their careers tended to be more “expert” in the sense that several of them had long experience within the judiciary.19 Of “our” third-class assessors, Olof Nilsson had started as town councillor in Stockholm as early as in 1600, and he had advanced to the town’s burgomaster in 1612. As a section of the town council also acted as the town court, Olof Nilsson already had a long judicial career behind him before he was appointed in 1615 to the Svea Court, where he served as assessor until 1642, i. e. for 27 years. Karl Olofsson [Rosing] had been promoted to third-class assessor in 1624 after a decade of service as Prosecutor General at the same court. He served as a judge until 1647. Thus, his career at the Svea Court of Appeal spanned 33 years. Aegidius (Eggert) Girs (1583 – 1639) had first been appointed secretary of the Svea Court of Appeal in 1630, and his promotion to assessorship came five years later.20 Moreover, several of “our” commoner third-class assessors had studied extensively at university. For example, magister Ericus Olaj [Balingstadius], who was judge at Svea 1633 – 1648, had studied at the Universities of Uppsala and Greifs­wald in the 1600s, and he passed the rare degree of M. A. in Uppsala in 1622.21 Magister Aegidius Girs, who was known to have considerable literary skills, had studied in Germany (probably at least Tübingen), where he had also passed the M. A. degree.22 Daniel [Nicolai] Sidenius (1592 – 1666), appellate court judge at Svea in 1634 – 1639, had obtained the degree of Doctor of Laws, and he had been appointed Juris romani professor at Uppsala in 1630.23 Several judges were related to each other either by blood or by marriage. Åke Hansson and Matthias Soop (1585 – 1653) were brothers, as were Karl and Svante Horn (1601 – 1645). Several of the assessors were also related to the Court’s President, Gabriel Gustafsson Oxenstierna, by marriage. Both Matthias Soop and Johan De la Gardie (1582 – 1640) were or had been married to two Oxenstierna sisters who were ‘Jacks-of-all-trades’”, pp. 319 – 323 and 340 f. 19 Sjödell, Riksråd och kungliga råd, pp. 50 f.; Marianne Vasara-Aaltonen, “Legal Learning of Various Kinds: Swedish Court of Appeal Judges in the Seventeenth Century”, in: Mia Korpiola (ed.), Legal Literacy in Premodern European Societies, Palgrave Macmillan, Cham 2019, pp. 59 – 87, here pp. 66 f. 20 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, pp. 73 and 75 f.; Nils Runeby, “Aegidius Laurentii Girs”, in: SBL, 17, Bonnier, Stockholm 1967 – 1969, pp. 131 f.; Vasara-Aaltonen, “Legal Learning of Various Kinds”, pp. 67 – 69. 21 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, p. 76. 22 Runeby, “Aegidius Laurentii Girs”, pp. 131 f.; Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, p. 76. 23 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, p. 76.

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the President’s cousins, while Christer [Axelsson] Posse (1601 – 1643) was the son of the third Oxenstierna sister, and thus he was related to the three above-mentioned judges.24 Ivar Nilsson’s [Natt och Dag]25 (1590 – 1651) affinity with the Oxenstiernas, with him being married to Christina Posse, whose father was a cousin of Gabriel Gustafsson Oxenstierna, was slightly more remote.26 This indicates the probable significance of connections and patronage in some of the appointments.

The 1636 Visitation and the Background of the Codex Rationum As mentioned briefly above, according to the 1634 Instrument of Governance, all the central government offices (collegia or Boards) were to be annually inspected. This plan became reality when the so-called “Great Officials” (Sw. de fem höge embeten),27 accompanied by some Councillors of the Realm, performed the visitation of the Svea Court of Appeal for apparently the first (and only) time in 1636. The eleven noble inspectors came to the Svea Court of Appeal on 29 ­February 1636 and finished their scrutiny on 4 March. The Court presented them with extracts of all civil and criminal cases as well as all citations, letters, and sentences from the two preceding years, 1634 and 1635. The judges and staff took God as their witness that they had always acted with their judges’ oaths in their minds. They promised to remedy any mistakes they had made and satisfy the government.28 Although generally speaking the Court fared quite well in comparison with certain other collegia, the inspectors had several critical remarks to make. They observed that the Court did not follow up on its sentences and it was unclear, for example, whether some condemned criminals had actually been executed or 24 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, p. 59; Gustaf Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 6, P. A. Norstedt Söners Förlag, Stockholm 1931, p. 5. 25 Generally, the Swedish nobility started to use family names only in the course of the seventeenth century, even though some families had used them already in the Middle Ages. His contemporaries knew Ivar Nilsson of the Natt och Dag family, whose name derived from its bicolour coat of arms with a golden upper and a blue bottom half, with his first name and a patronym. Gabriel Gustafsson Oxenstierna, who used a family name, usually added his patronym, perhaps to avoid confusion in the large family with several cousins with the same first names. 26 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, p. 59; Gustaf Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 5, P. A. Norstedt Söners Förlag, Stockholm 1930, p. 402. 27 The “Great Officials” were the main aristocratic office holders in Sweden: the Lord High Constable (Sw. riksmarsk), Lord High Admiral (Sw. riksamiral), Lord High Treasurer (Sw. riksskattmästare) and the “Over-Governor” of Stockholm (Sw. överståthavare). 28 RPACR, pp. 155 – 157 and 178.

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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not.29 Another point of criticism was the lack of reasoning in criminal and especially civil cases.30 Other points of disapproval relevant for our chapter related to the absences of assessors or judges. Especially assessors of the first class, i. e. Councillors of the Realm, had a considerable number of absences, with Matthias Soop being mentioned by name. The absences had led to situations where the Court of Appeal had actually made decisions against its own regulations, i. e. against the law, without the minimum of eight judges present.31 As mentioned above, the court responded to this critique by starting a new series, the Codex Rationum, recording the reasoning and voting of the judges. I have argued elsewhere that it is possible that the compilation of the Index rerum criminalium, also known as the Promptuarium in rebus criminalibus, volume of precedents or case law in various kinds of criminal cases was initiated as a response to the 1636 inspection of the Svea Court.32

The Contents of the Codex Rationum Codex Rationum (1636 – 1638) or, as is written on the cover, the “Codex rationvm ivdicii civilis anno 1636 • 1637 • 1638” was the first of its kind in a long series. The book contains the reasoning in 118 civil cases. At the beginning of the volume, there is an unpaginated alphabetical index “A” of names: in alphabetical order according to the names of the actors (8 pages).33 However, as the text after the index at 29 Some cases from 1636 in the Codex Rationum relate to the negligence of local officials to execute the sentences of the Svea Court of Appeal, and these suspected cases were prosecuted ex officio by the Prosecutor General (Sw. advokatfiskal), e. g. RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 16v–17r. 30 RPACR, pp. 175, 177, 180 and 184. 31 RPACR, pp. 164 and 182. Matthias Soop was in 1630 – 1633 governor (Sw. ståthållare) of Kalmar on the island of Öland. In 1633, the Council of the Realm sent Soop and Gabriel Oxenstierna, President of the Svea Court of Appeal, as their representatives to Germany to accompany the late King Gustav II Adolf’s embalmed corpse back to Sweden for its state funeral. In 1634, Soop was appointed lagman, i. e. superior judge, of Ingria (Sw. Ingermanland) and district judge (Sw. häradhövding) of Kexholm (Finn. Käkisalmi), even if it is likely that he had a substitute judge (Sw. lagläsare, lit. law-reader) to take care of these offices, Gillingstam, “Soop,” p. 671; Sandberg, ”Oxenstierna, Gabriel, Gustafsson,” p. 526; Abraham Cronholm, Trettioåriga kriget och underhandlingarna i Tyskland från Gustaf II Adolphs död till Westfaliska fredsslutet: Historisk undersökning, 1:1. Stockholm, Z. Hæggströms förlagsexpedition, 1876, p. 130. 32 Korpiola, “Swedish Court under Scrutiny”. 33 RA , SH , HA , A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, unpaginated: “Register Oppå the Vota och Skääl som lÿdha till then Civil domar, som i then konunnglige Retten i Swerige, på the åhren 1636, 1637 och 1638 afsagdhe ähre, emillan effterfölliandhe wederparter, doch ABC

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the beginning of the volume observed, all accessory issues or litigation, such as damages, litigation costs, or fines for neglecting summons, were omitted, as these belonged to the court’s discretion (Arbitrium Judicij).34 After this follows a shorter 3-page register “B” on such sentences. The volume lists points of fact, sometimes also of law, in favour of the judgement reached by the Court of Appeal. Law must be understood broadly here, as the volumes contain various legal sources, such as both of the medieval laws, one for the towns and another for the countryside, royal statutes, rescripts and ­ordinances, as well as previous court judgements. If we scrutinize the first sentence documented in the Codex Rationum as a standardized example of the recording practice in the beginning of the series, the following model emerges.35 The record starts with the date, 15 June 1636, and the text “were present at the Court of Appeal” (wore tillstädhes i hofrätten etc.). Then, the names of judges present are listed according to their class: first the presiding president or vice president, followed by the (other) noble assessors of Counsellorof-the-Realm rank; then the second class of noble assessors, and last the commoner assessors who had to be learned and well-versed in law. In our example case, the President of the Svea Court of Appeal, Gabriel ­Bengtsson Oxenstierna, attended the court session together with twelve other assessors. Thus, he was followed first by Johan De la Gardie, then by the second-class assessors Isak Hindersson [Silfverhjelm], the Court’s Vice President Karl Horn, Ivar Nilsson [Natt och Dag], Svante Horn, and Christer Posse. The third-class assessors attending this session consisted of Olof Nilsson, Karl Olofsson [Rosing], Erik Andersson, M. A. Ericus Olaj [Balingstadius], LL. D. Daniel Sidenius, and M. A. Aegidius Girs. Then, the record identifies the judge-referendary reporting the case to his colleagues and the names of the parties, the plaintiff and the defendant. This case had a female plaintiff, Anna, the widow of the late Lydert Bokelman of Stockholm, and her son-in-law (måg) Hans Bertils, a burgher of Stockholm. The type of cause was not discussed nor the case introduced, but a reference was made to the appropriate folio (fol. 5) in the sentence book of the year 1636. ordningen förståendes om Actoribus eller then som sakerna haffwa antingen sielfwa andragit, eller igönom sÿns fulmechtige andraga låtit.” 34 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, unpaginated: “Hwadh the andra domar ahnlangar, som och så finnes i 1636 åhrs dombook, och doch till them i thinne Codice Rationum, icke någre skääl serdeles finnes förtäknadhe. Så ähr thär till thinne orsaken att ther ähre sådanna som utgå, antingen på Skadhestånndh och Rettegångz omkostnadh, eller på böter för begångit förseendhe, eller skälen ähre i skielffwa domarne infördhe, eller och elliest iu på något annat sätt så satte, att man till thinn ingre andre serdeles skääl hafwer här kunnat innföra, ähn Arbitrium Judicij […].” 35 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fol. 1r.

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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After this, the record moves to the decision-making process and the reasoning of the court and possible voting. Thus, our text observes that the “votes were unanimous for the said sentence” and gives the place and date when the final sentence was read — ​here, on 12 July 1636 in Stockholm. After this, the reasoning for several of the points and aspects of the case, both procedural and substantial, is introduced with references of laws and facts.

The Svea Judges and Their Attendance Rates As mentioned above, the unauthorized absences of the judges were one of the paramount points of criticism levelled against the Court of Appeal. Baron Johan Skytte (1577 – 1645), one of the inspectors and a former assessor of the Svea Court of Appeal, complained that when perusing the Court’s book of sentences, he had “found mighty few sentences that had been given in the presence of assessors of the Council of the Realm. It is discovered for the last autumn session that lord Matth[ias] Soop had only signed and attended to one sentence.” The inspectors went so far as to doubt whether such sentences, in which one class of assessors was completely absent, were even valid.36 Even though the Prosecutor General (Sw. advokatfiskal) explained that the absences had been listed and that the assessors were to pay appropriate fines for their absences, the inspectors were not altogether happy with his activity. He was reminded of his duties to accuse absentee judges, as the Instrument of Governance (Regeringzformen) prescribed that four Councillors of the Realm were always to act as the Court’s assessors and that the Court’s Procedural Rules (hoffrätts processen) as its fundament were always to be followed.37 Later, the inspectors observed that on 14 October 1634, only six assessors had been present, and that they had proceeded to sentence a case even though the necessary quorum required the presence of eight judges. On other occasions, only six or even five judges had issued sentences, and in their final assessment, the inspectors insisted that the fiscus was to have all absentees fined according to the Court’s statutes, even the Councillors of the Realm, unless they had been sent on special and important missions by the Royal Majesty.38 According to the Codex Rationum, did the Court remedy this criticism in the following year? 36 RPACR, p. 164. For fines for absentee judges, see Rättegångs Process (1615), in: Schmedeman (ed.), Kongl. Stadgar, pp. 145 f. 37 RPACR, p. 165. 38 RPACR, pp. 172 and 182.

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First of all, the number of assessors was supposed to be 16 plus the president (president+4+6+6) in the 1634 Instrument of Governance. Rather, the names listed in the Codex Rationum of 1636 indicate that the Court had 15 assessors. Three of these, including the President, were first-class assessors who were also Councillors of the Realms. There were six noble second-class assessors and six third-class assessors. There may have been two more judges at the Svea Court of Appeal to fill the numbers: first-class assessor Åke Axelsson [Natt och Dag] (1594 – 1655), at Svea 1633 – 1639,39 and second-class assessor Anders Grip (ca. 1587 – 1645), at Svea 1620 – 1645.40 However, they do not appear at all in the Codex Rationum of 1636. When we turn to the number of assessors present when sentencing in 1636, we can observe that the number of assessors was never lower than eight, and ordinarily much higher. The median was eleven judges while the average was roughly 10.5. Obviously, the Court did its best to comply with its own norms and to learn from the critique levelled against it. However, several sessions were held with no first-class assessors present, which reflects the continuous multitasking of the Councillors of the Realm. There was only one meeting in which fourteen assessors participated, and that was the extraordinary session together with the Council of the Realm that dealt with the forfeiture of a fief and lands of a leading Swedish aristocrat (see more below). There was no meeting where all fifteen were simultaneously present. If we look at the attendance rates per classes of assessors, we notice that, as a rule, the commoner assessors formed the most assiduous group especially during the autumn term. The noble assessors demonstrate great variation: Isak H ­ indersson and Ivar Nilsson formed the foundation of the court, being present at almost every session both during the summer and autumn terms, while both Åke Hansson Soop and Svante Horn were absent during the whole autumn term, probably attending to official business outside the capital. President Gabriel Oxenstierna was seldom present at the sessions, being probably occupied by other official business in the inner circle of the Council of the Realm. This corresponds to the seventeenth-century practice at the Göta Court of Appeal. The multitasking of the Swedish aristocrats as Councillors of the Realm and on diplomatic missions explains the absenteeism to a large degree even here.41 However, Vice President Karl Horn was a relatively frequent attendee. As Rudolf Thunander has observed, “it 39 A. Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter samt embets- och tjenstemän 1614 – 1898: ­Biografiska anteckningar, Eksjö tryckeriaktiebolag, Eksjö 1899, p. 34; Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 5, p. 406. 40 Anjou, Kongl. Svea Hofrätts presidenter, pp. 57 f.; Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 3, p. 266. 41 Rudolf Thunander, Hovrätt i funktion: Göta hovrätt och brottmålen 1635 – 1699. Rätts­ historiskt bibliotek, 49, The Olin Foundation, Lund 1993, pp. 28 f.

Chart 1: Attendance Rates per Class of  Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636 Assessors ‐ Summer Session 1636

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Summer Session 1636  16 14 12 10 8 6 4 2 0

15 June 15 June 16 June 20 June 20 June 21 June 22 June 22 June 28 June 28 June

1 July

4 July

5 July

7 July

10 July

Chart 2: Attendance Rates per Class of  Assessors ‐ Autumn Session 1636 1st Class

2nd Class

11 July

11 July

3rd Class

Fig. 1  Attendance Rates per Class of Assessors — ​Summer Session. Autumn Session 1636 14 12 10 8 6 4 2 0

13 Oct.

13 Oct.

22 Oct.

31 2 Nov. 3 Nov. 3. 5 Nov. 5 Nov. 5 Nov. 7 Nov. 7 Nov. 8 Nov. 8 Nov. 9 Nov. 9 Nov. 11 11 12 12 12 14 15 Oct. Nov. Nov. Nov. Nov. Nov. Nov. Nov. Nov. 1st Class

2nd Class

3rd Class

Fig. 2  Attendance Rates per Class of Assessors — ​Autumn Session.

is rather the vice-presidents who left their imprint on the daily work” of the Swedish seventeenth-century appellate courts.42 Absent assessors still were a persisting problem at the Svea Court later in the century as well as at the Göta Court of Appeal.43 As can be expected, there were absences in cases in which the judges themselves were interested parties. In the case involving property issues between assessor and Councillor of the Realm Matthias Soop and lieutenant colonel Anders Wats, neither Soop himself nor his brother Åke Hansson Soop sat in the composition of the assessors adjudicating the case. This lead to the sentence being issued without any first-class assessors present.44 Also, Assessor Erik Andersson 42 Thunander, Hovrätt i funktion, p. 28. 43 Jägerskiöld, “Hovrätten under den karolinska tiden”, pp. 239 – 249; Thunander, Hovrätt i funktion, pp. 36 f. 44 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, 5v–6v.

Mia Korpiola Chart 3: Attendance Rates per Assessors

360

30 25 20 15 10 5 0

Summer

Autumn

Fig. 3  Attendance Rates per Assessor.

was involved in litigation against President Nils Birgersson of Gothenburg and, as a result, stepped down from the judges’ bench for that case.45 The same applied if close relatives of the judges were litigants. In a case in which Klas Kristersson Horn, the brother of the assessors Karl and Svante Horn, was the plaintiff, both Horns were absent from the composition of the court in the session in which the sentence was decided upon.46 When the Court of Appeal decided another case that had been appealed from the lagman’s court in Western Gothia, adjudicated by the vice lagman (Sw. underlagman) Åke Hansson Soop in 1630, both assessor Soop himself and his brother Matthias absented themselves. Both had been present when the Court decided on another case earlier that day.47 In the Swedish system, an appeal was called a legal wager (vad) against a lower court’s judgement, and a sum of money was placed as a bet. This made the lower court in some sense a party in the appeal. According to the 1615 Procedural Rules of the Svea Court of Appeal, each cause was to have two referendary judges, who summarized it for their colleagues. When the cause was being decided, these referendaries were to ask their colleagues’ opinions and reasoning on both facts and law. After this, all the other assessors were asked. If the votes were equal, “the opinion of those who had the best reasons and the President favoured” was to prevail.48 However, in our cases, voting was extremely rare, and normally, there was only one referendary assessor.49 45 46 47 48 49

RA, SH , HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 10r–6v. RA, SH , HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 8v–9r. RA, SH , HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 7v–8v, cf. ibid., fols. 7r–7v.

Rättegångs Process (1615), in: Schmedeman (ed.), Kongl. Stadgar, pp. 160 f. In one case (RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 9r–10r), both Svante Horn and Erik Olaj had been appointed assessors.

Chart 4: Referendary Assessors Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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Referendary Assessors 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

Summer

Autumn

Fig. 4  Referendary Assessors.

As can easily be perceived from the table below, the third-class assessors tended to be appointed as referendary assessors, while Councillors of the Realm were excused of such duties. Apparently, when the Prosecutor General acted as plaintiff/prosecutor, no referendary was deemed necessary.50 I have not analysed here what types of causes the referendary assessors summarized for their colleagues. However, a bigger sample and an extension of Court of Appeal sources might show whether certain judges were considered to have special expertise in particular types of cases. In the 42 cases from 1636, 17 from the summer and 23 (25) from the autumn term, we can notice that the court tended to make its decisions unanimously. 29 cases of 40 were penned as being unanimous using the following phrase: “votes were here all unanimous for the afore-mentioned judgement”51. In addition, in one other­wise unanimous case, the Court’s President Gabriel Oxenstierna declined to vote and instructed that the sentence be drafted accordingly based on the voting judges.52 No voting was mentioned in three cases; they all seem to have been ex officio prosecutions by the Prosecutor General. Thus, we may perhaps presume unanimity in them.53 In six cases, the Codex Rationum suggests that unanimity was only reached after lengthier discussions: “votes became finally unanimous for the afore-mentioned judgement”54. Dissenting opinions were very rare. In 1636, only in 50 E. g., RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 30r–30v. 51 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, passim, e. g. “Vota wore her alle enhellige till bene:te dom.” 52 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fol. 31r: “Vota wore her alle eenhellige till bene:te doom, doch sadhe H. Nådhe H: Gabriel i thänne saken icke något sitt Votum, uthan befalte att domen skulle författas effter the Vota som falder wore […].” 53 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 17r–17v, 30r–30v and 30v–31r. 54 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 22r–22v: “Vota blefwe och her omsijdher enhellige till bene:te dom.” See also ibid., fols. 7v–8v, 23v–24r, 25v–26r, 28r–28v

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two cases were dissenting opinions expressed: once the referendary assessor Aegidius Girs dissented and once Daniel Sidenius.55

The Court’s Reasoning: References to Sources of Law As one of the functions of the Svea Court of Appeal was controlling that the first- or second-instance courts under its jurisdiction were following the law, one may assume that this meant that the court itself would give their reasoning in their decisions. This was not often the case, and occasionally it may have been unclear why the court had reached the decision it had reached. This was obviously necessary for control purposes. Although appeals against the decision of the royal appellate courts were not allowed, the monarch could grant a party the extraordinary benefit of revision. This could, however, require assessing whether the court had correctly applied the law.56 During the visitation of the court in 1636 it was discovered that, in occasional cases, the Court’s reasoning remained unclear, and it had to explain its practice. Occasionally, the inspectors were satisfied with the Court’s reasons, but they found especially in one individual cause, an inheritance dispute from Stockholm, that the Court had sentenced against a royal resolution from 7 June 1621 on a very similar issue. Even after the inspection, the Court had to explain why and on what “grounds and rationes” (Sw. skääll och) they had decided to uphold the sentence of the Stockholm town court. Judging by the many references to this case and from the severe tone of the record, it is easy to discover that the inspectors suspected this to be an injustice.57 Thus, in the final statement of the inspectors, they declared that the secretary of the Court of Appeal had to “conscientiously record the voting and the rationale of the voting of each assessor, and on pain of a suitable penalty, keep a special book on it”. Both pro and contra reasons were to be penned down.58

and 29v–30r. 55 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 4r–5r and 5r–5v. 56 Mia Korpiola, “A Safe Haven in the Shadow of War? The Founding and the Raison d’être of the New Court Based on Its Early Activity”, in: Mia Korpiola (ed.), The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period: Historical Reinterpretations and New Perspectives, pp. 55 – 108. Rättshistoriska studier, 26, The Olin Foundation, Stockholm 2014, pp. 71 – 80. 57 RPACR, pp. 172 – 177 and 184 f. 58 RPACR, pp. 175 (“huars och eens assessoris votum och voti rationes flijtigt att annotera, och der öffuer hålla een serdeles book”) and 184 (“anteckna och flijtig annotera huars och eens assessoris votum och voti rationes pro et contra”).

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

363

Since its first recorded sentence with its reasoning in the Codex Rationum on 15 June 1636, the court regularly used the expression: “the reasons were these” (Skälen worde thässe). Various arguments were then listed — ​sometimes also with specified reasons for certain points in the cause: for example, “Rationes for oath-taking for the Inventario” (“Rationes om Edhgången för Inventario”).59 The court’s reasoning usually assessed matters of fact and evidence in the cases. However, here we are considering its more special reasoning: references to laws, other norms, precedents and other pertinent authoritative sources. According to their judge’s oaths, the assessors of the Court were to base their sentences on “Swedish law, the statutes, agreements and decisions of the Realm, good and licit practices and customs”. In addition, all liberties and privileges were to be upheld.60 When we look at the Court’s reasoning on the basis of the 1636 Codex Rationum, we discover that direct references to Swedish written law, the medieval town law and the law of the countryside, were regular, but not frequent. In 1636, such references appear only in 13 cases out of 40, i. e. in less than a third of the cases. Eight of these were references to King Magnus Eriksson’s Town Law from the mid-fourteenth century,61 while four were to the 1442 Law of King Christopher of Bavaria, regulating the countryside.62 In one case, sections in both laws are being referred to.63 In addition to direct references to laws, the Court of Appeal also made indirect references to law in three cases by reasoning that the previous appealed sentence by a lower instance was correctly based on a certain chapter and section of the law. In one case, the previous sentence of the lower court was said to be based correctly on section 1 of the Chapter on Land,64 and in another, the Court observed that the “sentence of mayor and town council based on law, namely section 9 in the Chapter on Land”.65

59 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 1r–1v. 60 Rättegångs Process (1615), in: Schmedeman (ed.), Kongl. Stadgar, p. 146: “effter Sweriges Lagh, Rijksens Stadgar, Affhandlingar och Besluth, godhe loflige Bruk och Sedwaner”. 61 RA , SH , HA , A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 2r–2v, 4r–5r, 7r–7v, 8v–9r, 13v–14v, 18r–19r, 21v–22r and 26r–26v. 62 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 22v–23v, 23v–24r, 24v–25r and 28v–29r. 63 E. g., RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 1r–1v. 64 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 5v–6v. 65 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 29r–29v.

364

Mia Korpiola

Chapter on Land (Sw. Jordabalken)

referred to 10 times

Chapter on Inheritance (Sw. Ärvdabalken)

referred to 6 times

Chapter on Procedure (Sw. Tingsmålsbalken/Rådstugubalken)

referred to 3 times

Chapter on Buildings (Sw. Byggningabalken)

referred to 2 times

Chapter on Trade (Sw. Köpmålabalken)

referred to 2 times

Chapter on Marriage (Sw. Giftermålabalken)

referred to 1 time

Chapter on the King (Sw. Kungabalken)

referred to 1 time

Table 1  Chapters in the Swedish Laws and Times Referred to Them by the Court of Appeal.

As can be seen in Table 1, the Court referred the most to sections in the Chapter(s) on Land, which defined the lawful proceedings in selling, bartering or mortgaging land. When referring to certain sections of law, the Court could refer at the same time to different sections in the same chapter or to different chapters. Thus, the table does not indicate in how many cases the sections were mentioned, but rather the number of references to sections in the chapters. There are also some references to statute law. Endorsing the sentence of the lower court, the judges observed that the “lagman’s sentence is based on good grounds, namely Recess of Kalmar and […] old King Gustav’s statute.”66 Other statutes the Court used in its reasoning were the 1614 Ordinance of Judicial Procedure and the 1614 Ordinance of Trade.67 These brought the number of cases in which statute law was referred to to three. The law of Sweden, statutes and privileges in general were referred to in one case.68 In addition, basing its reasoning on the fact that monastic and ecclesiastical lands had become the property of the Swedish Crown by the Reformation in 1527, the assessors referred to King Gustav [Vasa]’s Chronicle.69 The Court referred four times to its previous practice, citing particular earlier cases and suggesting, if not developing precedents, at least a consciousness of consistency of its own legal practice.70 Yet, this development was not leading towards a more precedent-based legal culture and the diminution of the role of statute law. For example, the Council of the Realm that enjoyed expanded powers acting as the Regency government during the minority of child-queen 66 67 68 69

RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fol. 18r. RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 13v–14v and 4r–5r. RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 10v–12r. RA, SH , HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 24v–25r: “som finnes i höghlofligh

i åminnelse konungh Gustafz Crönika.” 70 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 1r–1v, 7v–8v, 17r–17v and 27r–28r.

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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Christina (r. 1632 – 1654) after the death of Gustav II Adolf at the Battle of Lützen observed in 1633 that the written law had precedence as a source of law vis-à-vis practice.71 Apart from references to Swedish law or statutes, the reasoning of the court in 1636 contained no direct references to any legal literature, the ius commune, or the Bible. That the Svea Court of Appeal did not regularly refer to the law in its Codex Rationum should not surprise us. Reasoning in its criminal sentences was probably even rarer. Rudolf Thunander, who has researched Svea’s younger sister court, the Göta Court of Appeal in Jönköping, has found references to the law or statutes only in less than one percent of the criminal cases resolved between 1635 – 1644. Neither did the Court cite the Law of Moses in its sentences, not even once. According to Thunander, this indicates how freely the Court deliberated its sentences in predominantly routine crimes.72 In research literature, Sweden has been considered a proto-legalistic country where references to the written law had a paramount position.73 In Sweden in the 1630s, there was hardly any domestic jurisprudence apart from a few commentaries circulating as manuscripts.74 Although it has been observed that the seventeenth century represented a period of intensified reception of Roman law and Continental doctrine through works of learned jurists, more recent research has modified such assessments. Swedish law remained the paramount legal source, and Continental jurists were not as frequently referred to in comparison with the Court of Appeal in Dorpat, established in 1630 in newly conquered Swedish Livonia.75 Therefore, we might conclude that, even if the sample of one year is not representative, it provides some support of the notion that the zenith of the reception of the ius commune in seventeenth-century Sweden was yet to come.

71 “[M]oste man mehra beskriffven lag än exempel achta”. 72 Thunander, Hovrätt i funktion, pp. 42 f. 73 Heikki Pihlajamäki, “Positivism before positivism? Royal statutes and early modern Swedish criminal law”, in: Georges Martyn/Anthony Musson/Heikki Pihlajamäki (eds.), From the Judge’s Arbitrium to the Legality Principle: Legislation as a Source of Law in Criminal Trials, Duncker & Humblot, Berlin 2012, pp. 169 – 188. 74 On Swedish legal literature before 1648 — ​or the lack of it, see Lars Björne, Patrioter och institutionalister: Den nordiska rättsvetenskapens historia 1, tiden före år 1815. Rättshistoriskt Bibliotek, 52, The Olin Foundation, Stockholm 1995, pp. 20 – 25 and 43 – 45. 75 E. g., Heikki Pihlajamäki, “The Court of Appeal as Legal Transfer: The Svea and Dorpar Courts Compared”, in: Mia Korpiola (ed.), The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period: Historical Reinterpretations and New Perspectives, Rättshistoriska studier, 26, The Olin Foundation, Stockholm 2014, pp. 217 – 260, here pp. 231 – 237.

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Mia Korpiola

Forfeiture of Sten (Axelsson) Leijonhufvud’s County: The Extraordinary “Political” Case of 1636 Count Sten (Axelsson) Leijonhufvud (1586 – 1645), also known as Lewenhaupt or Löwenhaupt, was half-German through his mother Sidonia von Daun, Countess of Falkenstein (1549 – 1588). His father, Count Axel Leijonhufvud (1554 – 1619) had forfeited his country of Raseborg in 1600 and lived largely in Alsace ever since because he had opposed King Charles IX’s accession to the Swedish throne. In 1608, Sten Leijonhufvud had been granted his father’s former county of Raseborg, and he had lived in Sweden for long periods since until the 1620s. Count Sten’s marriage to Countess Magdalena von Manderscheid-Virneburg (1574 – 1639), daughter of Count Joachim von Manderscheid and Countess Magdalena von Nassau-­ Wiesbaden, in 1606 strengthened his links with Germany. In 1615, he became the successor to the County of Manderscheid through his wife, which, as well as Leijonhufvud-­Löwenhaupt’s other German possessions, was confirmed by the King of Spain and the Holy Roman Emperor Ferdinand in 1624 and 1626 consecutively. In 1628, he married his eldest daughter Amalia (1607 – 1647) to Count Philipp ­Diedrich von Manderscheid-Kail (1596 – 1653). This alliance united two family lines, ­Manderscheid-Kail and Manderscheid-Schleiden. However, the groom was a general in the Habsburg army. This hardly ingratiated him with ­Sweden or King Gustav II Adolf.76 Catholicism was forbidden in Sweden, and Gustav II Adolf embarked for Germany in 1630 to participate in the Thirty Years’ War for the anti-Habsburg side, only to die in battle two years later.77 Indeed, we probably have partly the critical situation in Germany to think for the major political trial involving Count Sten Leijonhufvud-Löwenhaupt, who was still living on his and his wife’s estate in Germany. Sweden’s position in Germany was shaking despite the victory at Hessisch-Oldendorf in 1633. The Protestant 76 Gustaf Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 4, P. A. Norstedt Söners Förlag, Stockholm 1928, pp. 601 and 628. See also the very brief entries in Jan von Konow, Ätten Lewenhaupt: Från Sturemorden till D-dagen. Atlantis, Stockholm 2013, pp. 101 f. and 104 and Peter Neu, “Manderscheid, Herren”, Neue Deutsche Biographie, 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, pp. 13 f. 77 For the early years of the Swedish envolvement in the Thirty Years War, see e. g. Pekka Suvanto, Die Deutsche Politik Oxenstiernas und Wallenstein. Studia Historica, 9, Suomen Historiallinen Seura, Helsinki 1979, esp. pp. 28 – 46, 30 – 62 and 69 – 179; Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg: Europäische Katastrophe, Deutsches Trauma 1618 – 1648, Rowohlt, Berlin 2017, pp. 415 – 604; Michael Roberts, Gustavus Adolphus: A History of Sweden 1611 – 1632, 2, Longmans, Green and Co, London/New York/Toronto 1958, pp. 427 – 773; Leon Jespersen, “The Military Imperative”, in: E. I. Kouri/Jens E. Olesen (eds.), The Cambridge History of Scandinavia, 2, pp. 310 – 325. Cambridge University Press, Cambridge, esp. pp. 313 – 319; Cronholm, Trettioåriga kriget 1:1.

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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cause suffered a major calamity through the defeat at the Battle of Nördlingen in 1634, in which the Spanish troops had joined for the Catholic side. The Battle of Nördlingen proved a hard political and military blow and drove wedges in the anti-Imperial party. The Swedish aura of invincibility was gone, its German allies defected, and its power crumbled at the loss of its footholds in Southern Germany. At the same time, Sweden was facing an economic crisis because of crop failure during many consecutive years and ensuing famine. According to a famous quotation from December 1634, Sweden was nearly bankrupt: “We not only do not have a penny in savings, but have for our daily expenses landed ourselves in considerably debt […]. Of Sweden, half is desolated, and of Finland, a third, and the rest mostly enfeoffed, donated and sold.” In April 1635, Sweden negotiated an alliance with France, and the Swedish crown had a dire lack of funds.78 As Peter Wilson has observed, “[t]he situation looked desperate in 1635.”79 Not surprisingly, in 1635 the Crown lost patience for what they probably perceived as the double game of Count Sten, who had one foot in both camps. That year, Count Sten’s Swedish estates were seized.80 This may also have been connected to the death of his brother, Count Johan Casimir, in 1634. After this, his widow Sidonia Grip (1585 – 1652) started to advocate the cause of her four sons, some of which were still minor. She started proceedings at the Svea Court of Appeal, and the Court — ​unsure of how to act in the case — ​sent two assessors to consult the Council of the Realm. The Council answered through Matthias Soop that they would attend the court session. Consequently, both the Council of the Realm and the Svea Court of Appeal were convoked to an extraordinary meeting with exceptional attendance rates. All in all, twelve Councillors of the Realm (including three Councillors who were first-class assessors of the Svea Court of Appeal) as well as eleven second- and third-class assessors attended the joint session. At the end, the Crown Prosecutor (riksfiskal ) and Count Sten’s nephews acted as plaintiffs, while Leijonhufvud-Löwenhaupt himself remained absent.81 78 Peter H. Wilson, The Thirty Years War: Europe’s Tragedy. The Belknap Press, Cambridge Mass. 2009, pp. 512 – 527, 543 – 553 and 573 – 583; Münkler, Der Dreißigjährige Krieg, pp. 645 – 660; Cronholm, Trettioåriga kriget 1:1, passim, quotation on p. 190. 79 Wilson, The Thirty Years War, quotation on p. 574. 80 Elgenstierna, Den introducerade svenska adelns ättartavlor, 4, p. 628. 81 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 10v–12r; Petrén, “Hovrättens uppbyggnad”, p. 103. The attendee Councillors of the Realm were: Gabriel Gustavsson Oxenstierna, Jakob Delagardie, Karl Karlsson Gyllenhjelm, Gabriel Bengtsson Oxenstierna, Johan Skytte, Per Brahe (the younger), Matthias Soop, Johan Delagardie, Karl Bonde, Axel Banér, Erik Ryning and Klas Kristersson Horn. The attendee assessors were: Isak ­Hindersson, Åke Hansson Soop, Karl Horn, Ivar Nilsson, Svante Horn, Olof Nilsson, Karl ­Olofsson,

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Because of the political implications of this case, involving one of the leading families of Sweden, its reasoning was thorough. Count Sten’s list of sins and perfidies was long. He had failed to keep his written obligations to King Charles IX. He had not answered even special summons to court — ​apparently for the debts for which the incomes of his county had been impounded some years ago. Worse, he had not presented himself or offered his service to King Gustav II Adolf while the late King had been in Germany. The Codex Rationum accused Count Sten of having “constantly separated himself from his fatherland and his natural authorities” and “demonstrated contempt towards his fatherland and the Swedish nation”. In addition, he had married his daughter to a “Papist and an enemy to our religion and fatherland”82. The Codex Rationum also refers to “Swedish printed law, privileges of the nobility and the legitimate statutes and recesses of the country”, but without specifying them, as apparently Count Sten had neglected to provide cavalry service for his tax-exempt noble lands.83 The panel of judges considered that Count Sten had indeed turned his back to his fatherland, thereby forfeiting his landed property. The outcome of the case was that the Council and the Court of Appeal declared the Count’s Swedish County of Raseborg and inherited lands forfeited and granted them to his nephews who had remained loyal to the Swedish Crown. The County of Raseborg, in Leijonhufvud-Löwenhaupt possession since the 1560s, was granted to Count Sten’s nephew and future Swedish Field Marshal Gustaf Adolf (1619 – 1656), the eldest surviving son of Sten’s older brother Johan Casimir. In the Thirty Years’ War, the tide was turning. The Swedish plight had been relieved by the Treaty of Wismar, ratified by King Louis XIII of France on 11 May, confirming that France would pay its subsidy arrears of 60,000 thalers. In October 1636 the Battle of Wittstock, one of the major military encounters of the Thirty Years’ War, helped restore the Swedish cause.84

Erik Andersson, Erik Olaj, Daniel Sidenius, and Aegidius Girs, RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fol. 11v. 82 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fols. 11r–12r: “medh sitt stadiga afsÿndrer ifrå sitt Fädherneslandh, och sin naturlige öfwerheet noghsampt hoos sigh låtit see Fädherneslandhsens och then Swänske Nations föracht […] gifuit sin dotter i ächtenskap medh een papist och wår Religions sampt fedherneslandssens fiendhe.” 83 RA, SH, HA, A II a:1, Codex Rationum 1636 – 1638, fol. 12r: “mot Sweriges uttrychte lagh, Adelige Privilegier, och landsens loflige stadgar och Recesser.” 84 Cronholm, Trettioåriga kriget 1:1, pp. 529 – 607; Abraham Cronholm, Trettioåriga kriget och underhandlingarna i Tyskland från Gustaf II Adolphs död till Westfaliska fredsslutet: Historisk undersökning, 1:2. Z. Hæggströms förlagsexpedition, Stockholm 1877, pp. 98 – 117; Münkler, Der Dreißigjährige Krieg, pp. 667 – 679; Wilson, The Thirty Years War, pp. 579 – 583.

Decision-Making in the Svea Court of Appeal in 1636

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Conclusion An analysis of the Codex Rationum of 1636 demonstrates that the Svea Court of Appeal paid attention to the points of criticism raised at the inspection earlier that year. Even if there were many sessions in which no first-class assessor was present, the attendance rate never fell below eight. Thus, the Court always had the necessary quorum. The President of the Court of Appeal was seldom present, but Matthias Soop — ​whose absenteeism had been criticized during the visitation — ​was the most active of the first-class assessors. Generally, the third-class assessors attended most diligently the Court’s sessions, while the noble assessors present a more dissonant picture. A couple of second-class judges attended almost like clockwork, while others were away for the whole term. The task of acting as the referendary judge tended to fall largely to the third-class assessors in this sample, but certainly there were also noble judges with referendary tasks — ​only the Councillors of the Realm and the Court’s Vice-President would be unfettered by such obligations. President Gabriel Oxenstierna observed in 1636 at the Council of the Realm that sentencing was slow at the Svea Court of Appeal. Causes were “ventilated” or deliberated daily, but did not reach a decision because the young assessors were “new and unexperienced”, while the old were “effete and decrepit” (afflägze och decrepiti ).85 This criticism may be slightly unfair considering the countless absences and multitasking of Oxenstierna himself. However, the Codex Rationum certainly indicates that the Court was usually unanimous and attempted to reach a shared opinion through deliberations and discussion. Only twice were there dissenting votes. The Svea Court of Appeal referred regularly, but not often, to sources of law, notably to the Swedish medieval laws. The Court paid some attention to its own practice by occasionally referring to its earlier cases, but this had only a secondary position as a source of law. There were no references to legal literature or the ius commune, demonstrating the unchallenged role of the Swedish written laws as legal sources, while the influence of learned law was limited in Swedish appellate courts in the first tiers of the seventeenth century.

85 Quoted in Thunander, Hovrätt i funktion, p. 35.

371 Peter Oestmann

Entscheidungsfindung und Entscheidungsdarstellung am Reichskammergericht

Die größte Zahl von Reichskammergerichtsprozessen endete ohne förmliches Endurteil. Dies ist schon lange bekannt. Gerichtsentscheidungen über einen anhängigen Rechtsstreit waren also eher die Ausnahme als die Regel. Es ist aus methodischen Gründen schwierig, echte Urteilsquoten für frühneuzeitliche Gerichte zu ermitteln.1 Lässt man diese Bedenken einmal beiseite, kommt man für das Reichskammergericht auf einen Anteil von etwa 25 %. Die meisten Verfahren endeten also auf andere Weise und nicht durch abschließendes Urteil. Ein Beitrag zur Entscheidungsfindung und Entscheidungsdarstellung am Reichskammergericht läuft damit Gefahr, den Blick von der Regel auf die Ausnahme zu lenken und in die alte Urteilszentristik 2 zurückzuverfallen.3 Aber diese auf das Ende eines Verfahrens gerichtete Sicht kann leicht den Blick verzerren. Zunächst haben viele Zeitgenossen Endurteile und Zwischenurteile immer als Einheit angesehen. Vor allem die großen gedruckten Urteilssammlungen von Seyler und Barth aus dem 16. Jahrhundert 4 enthalten überwiegend Zwischenurteile.5 1 Tobias Schenk, Vom Reichshofrat über Cocceji zu PEBB§Y: Epochenübergreifende Überlegungen zu gerichtlichen Urteils- und Vergleichsquoten aus institutionengeschichtlicher Perspektive, in: ZRG Germ. Abt. 137 (2020), S. 91 – 233, hier S. 142 – 150. 2 Friedrich Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 69 (1961), S. 331 – 358, hier S. 331. 3 Der Aufsatz von Maria von Loewenich, Herstellung und Darstellung von Entscheidungen im Verfahren des Reichskammergerichts, in: Barbara Stollberg-Rilinger/André K ­ rischer (Hg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 44), Berlin 2010, S. 157 – 187, behandelt trotz des ähnlichen Titels deutlich andere Gesichtspunkte als mein Beitrag. Bei ihr geht es vor allem um die Darstellung von Autorität, Autonomie, Urteilsqualität und von Kontrolle. 4 Raphael Seiler, Camergerichts Bei unnd end urthail. (…) Die fürnembsten und herrlichsten an dem hochlöblichsten des heiligen Römischen Reichs in Deutscher Nation, Keyser­lichen Chammergericht, vom Jar 1495. biß auff das Jar 1570. (alles einschließlich) eröffnete Bey und Endurtheil: In zwey Theil verfasst, Frankfurt a. M. 1572; Raphael Seyler/Christian Barth, Urtheil Und Beschaydt Am Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht, 5 Bde., Speyer 1604/05. 5 Gute Auswertung bei Wolfgang Prange, Vom Reichskammergericht in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten

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Peter Oestmann

Die amtliche Urteilssammlung aus den Jahren 1800 bis 18046 fasst ebenfalls Endurteile, Zwischenurteile, Dekrete, Gemeine Bescheide und Plenarschlüsse zu einer einheitlichen Masse an Spruchmaterial zusammen. Die Tätigkeit des richterlichen Entscheidens war also keineswegs auf das Ende eines Prozesses beschränkt. Tatsächlich gab es sogar noch viel mehr Entscheidungssituationen, als die bereits ausgeweiteten Urteilssammlungen oder die zeitgenössischen Urteilsbücher vermuten lassen. Bereits im Extrajudizialstadium,7 also ganz am Anfang des Verfahrens noch vor der ersten Audienz, musste das Gericht entscheiden, wie es mit einer eingegangenen Supplikation oder Klage umgehen wollte. Wenn man gezielt das richterliche Entscheiden untersucht, ergibt sich gerade für den Beginn eines Rechtsstreits eine deutliche Weichenstellung. Der Unterschied von Mandatsprozessen und sonstigen Verfahrensarten betrifft gerade auch das richterliche Entscheidungshandeln und wirkt sich hier besonders aus. Bei Mandatsklagen erstrebten die Antragsteller vorläufigen und schnellen Rechtsschutz.8 Die einstweilige Verfügung, die das Gericht erlassen sollte, formu­ lierten die Kläger jeweils im Wortlaut vor, den hierfür maßgeblichen Sachverhalt, meistens mitsamt rechtlicher Würdigung, lieferten sie in ihren Supplika­ tionen ebenfalls. Das Gericht konnte sich also darauf beschränken, zu prüfen, ob es dem Antrag stattgab oder nicht. Falls die Angelegenheit aus der Sicht der Assessoren wirklich eilbedürftig war, folgte bereits hieraus, dass die richterliche Entscheidungsfindung ganz anders aussehen musste als in einem ordentlichen Reich 42), Köln/Weimar/Wien 2002, S. 9 – 56. 6 Reichskammergerichtskanzlei (Hg.), Vollständige Sammlung aller im Jahre [1800 – 1801] bey dem Höchstpreislichen Kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni, Wetzlar 1800/01; danach unter dem Titel: Sammlung aller im Jahre [1802 – 1804] bey dem höchstpreislichen kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Haupt- oder sonst eine praktische Ansicht gewährenden Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni; nebst fordersamster Bemerkung des Kammergerichtlichen Personale und der sich dabey von Zeit zu Zeit ergebenden Veränderung, Wetzlar 1802/04. 7 Zur Unterscheidung des kammergerichtlichen Judizial- und Extrajudizialstadium Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln/Wien 1981, S. 148 – 150; Filippo Ranieri, Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 17/I–II), Köln/Wien 1985, 1. Teilbd., S. 77. 8 Einzelheiten bei Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozess sine clausula des Reichshofrats (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 22), Köln/Wien 1990.

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­kontradiktorischen Zitationsprozess.9 Es bestand schlechthin nicht die Möglichkeit, umfangreiche und zeitraubende Relationen anzufertigen. Die übliche Bürokratie der ausufernden Schriftkultur war hier undenkbar. Es gab auch keine Prozessakten, lediglich dünne und schlanke Anträge. Auf der anderen Seite waren die vom Gericht erlassenen Mandate bis in die Zeit um 1700 umfangmäßig die längsten Entscheidungen des Gerichts überhaupt. Das lag daran, dass die klägerischen Narrationen in indirekter Rede in das Mandat eingefügt waren und die Mandatsformel erst ganz am Schluss die gerichtliche Entscheidung als ­solche anzeigte.10 Es ging hierbei nicht nur darum, ein Mandat zu erlassen oder nicht zu erlassen. Vielmehr waren verschiedene Abstufungen denkbar und kamen in der Praxis auch oftmals vor. So konnten die Assessoren bei beantragten Mandaten sine clausula lediglich ein Mandat cum clausula erlassen und auf diese Weise die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten verbessern.11 Sie konnten auch vor Erlass des Mandats dem Antragsgegner zunächst rechtliches Gehör gewähren und ein sog. Schreiben um Bericht erlassen. Für Mandatssupplikationen gegen Reichsunmittelbare war dies seit dem Jüngsten Reichsabschied vorgeschrieben,12 bei Klagen armer Parteien galt diese Regelung sogar schon länger.13 Außerhalb von Mandatsverfahren ging es ganz am Anfang eines Verfahrens um die Frage, ob man das Judizialverfahren eröffnen sollte. Zeitgenössisch sprach man zunächst davon, es werde Prozess erkannt.14 Später wurde der Sprachgebrauch moderner, und es hieß, es werde die Ladung oder Zitation erkannt.15 Es 9 Zur Zeitersparnis Peter Oestmann, Hexenprozesse am Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 31), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 73 – 75. 10 Oestmann, Hexenprozesse (wie Anm. 9), S. 89 – 91; ders., Die Rekonstruktion der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung des 16. und 17. Jahrhunderts als methodisches ­Problem, in: Anette Baumann/Siegrid Westphal/Stephan Wendehorst/Stefan Ehrenpreis (Hg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 15 – 54, hier S. 38 – 41. 11 Abgrenzungen beider Mandatsarten in der Reichskammergerichtsordnung von 1555, T. 2, Tit. XXIII, bei: Adolf Laufs (Hg.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 3), Köln/Wien 1976, S. 200 f. 12 § 105 JRA , bei: Johann Jacob Schmauss/Heinrich Christian von Senckenberg (Hg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, 4 Teile, Nachdruck Osnabrück 1967 der Ausgabe Frankfurt a. M. 1747, T. III, S. 600. 13 Deputationsabschied von Speyer 1600 § 9, in: Schmauss/Senckenberg, Neue ­Sammlung III (wie Anm. 12), S. 475. 14 Zeitgenössischer Sprachgebrauch etwa bei Noe Meurer, Practica von des Cammer GerichtsOrdnung und Proceß, Mainz 1584, T. 2, Bl. 65. 15 Beispiel bei Peter Oestmann, Ein Zivilprozeß am Reichskammergericht. Edition einer Gerichtsakte aus dem 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten

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ist unklar und nicht näher erforscht, w ­ elche Mühe sich die Gerichtsmitglieder in ­diesem Stadium des Rechtsstreits machten. Bestimmte Zulässigkeitsfragen hätte man jedenfalls sofort entscheiden können. Es spricht einiges dafür, hier nicht zu optimistisch zu sein. Oftmals ergingen nämlich erst nach längerem Verlauf von Streitigkeiten Prozessurteile mit dem Hinweis, eine Sache sei nicht an das Gericht „erwachsen“.16 Vermutlich war es einfacher, zunächst die Ladung zu erkennen und dann den Verlauf des Rechtsstreits abzuwarten. Falls das zutrifft, wären jedenfalls die Beratungen über eingegangene Ladungen unkompliziert und leicht gewesen. Klären könnte man diese Frage, wenn man gezielt nach Klagen oder Appellationen sucht, auf die keine Ladung erging. Das ist allerdings nicht einfach, weil genau in diesen Fällen keine Prozessakten angelegt wurden. Immerhin sind für die Jahre ab 1711, teilweise auch für den Zeitraum 1681 – 1687, Extrajudizialsenatsprotokolle erhalten,17 die hier weitere Hinweise liefern könnten. Nach dieser Eröffnungsphase eines Kammergerichtsprozesses waren die richter­ lichen Aufgaben stark begrenzt. Mit der Reproduktion der Ladung begann das Judizialverfahren mit seinen zahlreichen Audienzen. Viele Assessoren hatten kein Interesse, an diesen offenbar langweiligen Veranstaltungen teilzunehmen. Deswegen sank die Zahl der Teilnehmer kontinuierlich. Auf einer zeitgenössischen Darstellung einer Audienz sieht man vier Assessoren plus Kammerrichter bzw. Präsident.18 Die bekannten Bilder mit zwölf oder noch mehr Assessoren geben nicht die historische Wirklichkeit wieder.19 Manchmal waren wohl auch nur ein oder zwei Assessoren anwesend. In den Audienzen verkündete der Idee nach der Kammerrichter, in der Praxis eher ein Vertreter, zwar die Entscheidungen des Gerichts. Dies nahm aber nur den kürzeren Teil der Zeit in Anspruch. Den Hauptteil der Audienz beanspruchten die Rezesse der Anwälte, die mit oftmals abgelesenen Formelsätzen ihre Schriftsätze übergaben.20 Protokollführer hielten das alles genauestens fest. Das ausgedünnte Assessorenkollegium war mehr oder weniger nur Zuschauer. ­Gerichtsbarkeit im Alten Reich 55), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 51. 16 Beispiel zur Abweisung nach fünf Jahren bei Peter Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte im Alten Reich. Zuständigkeitsstreitigkeiten und Instanzenzüge (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 61), Köln/Weimar/Wien 2012, S. 322. 17 Bundesarchiv Bestand AR 1-II. 18 Friedrich Wilhelm Tafinger, Institutiones Iurisprudentiae Cameralis, 2. Aufl., ­Tübingen 1785, Titelblatt. 19 Schöne Bildbeschreibung bei Eric-Oliver Mader, Die letzten „Priester der Gerechtigkeit“. Die Auseinandersetzung der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Colloquia Augustana 20), Berlin 2005, S. 15. 20 Zahlreiche Vorgaben dazu in den Gemeinen Bescheides des Reichskammergerichts bei Peter Oestmann (Hg.), Gemeine Bescheide. T. 1: Reichskammergericht 1497 – 1805 (Quellen und

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Entscheidungssituationen konnten sich für die Assessoren in mehrfacher Hinsicht auch während des Judizialverfahrens ergeben. Oftmals ging es um bestimmte Anträge, die ein Prokurator im Namen der von ihm vertretenen Partei gestellt hatte. Ein Beispiel von 1749 zeigt, wie man sich das vorzustellen hat. In einem Appellationsprozess war der Appellat trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Deswegen beantragte der Prokurator der Appellantin das Rufen, um das Versäumnisverfahren einzuleiten.21 Zugleich hatte das Gericht der ersten Instanz die Abschrift der Prozessakte noch nicht herausgegeben. Daher beantragte der Appellant einen verschärften Kompulsorialbrief. Beide Anträge stammten vom 5. September. Das Gericht bereitete ein Zwischenurteil vor. Dafür wurde die Akte am 10. September komplettiert. Diese Zusammenstellung der eingegangenen Schriftsätze war allerdings eine Aufgabe der Kanzlei und nicht des richterlichen Personals. Jetzt geschah aber offenbar etwas Ungewöhnliches. Am selben Tag, also auch am 10. September, trat ein Vertreter des Beklagten in der Audienz auf. Deswegen vermerkte ein Proto­ kollführer, dass die Akte am Morgen („mane“) geschlossen wurde und noch am selben Mittwoch („Mercurii“) der appellatische Prokurator auftrat. Die gerichtliche Entscheidung, die vermutlich erst für den 13. September vorgesehen war,22 verkündete man deswegen drei Tage früher unmittelbar im Anschluss an die Sicherheitsleistung des Prokurators.23 Das Beispiel belegt nebenbei, dass kammergerichtliche Entscheidungen keineswegs immer am Anfang einer Audienz verkündet wurden, sondern je nach prozessualer Situation auch zwischendurch ergingen. Das Gericht traf drei Anordnungen. Es erkannte das gebetene Rufen und auch den Kompulsorialbrief. Die Entscheidung zum Rufen war inzwischen natürlich überflüssig, weil der Beklagte ja im selben Augenblick gerade in der Audienz aufgetreten war. Offensichtlich verkündete das Gericht also die zuvor schon schriftlich bereits festgelegte Formel des Zwischenurteils und war nicht in der Lage, sich so schnell auf die neue prozessuale Situation einzustellen. Ob wirklich ein Pedell in ­diesem Augenblick den anwesenden Beklagten förmlich ausrief, lässt sich kaum vorstellen. Bei beiden Entscheidungen vermerkt das Interlokut ausdrücklich, dass sie auf Antrag ergingen. Die dritte Anordnung gewährte dem Vertreter der Appellantin eine Sechswochenfrist, um den an den Lübecker Rat ergangenen Kompulsorialbrief in einer späteren Audienz zu reproduzieren. Hier heißt es, diese Frist sei von Amts wegen angesetzt.24 Es gab also am Reichskammergericht in beschränktem Umfang die Offizialmaxime, obwohl der Prozess ansonsten in starkem Maße von

21 22 23 24

Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63/1), Köln/Weimar/Wien 2013. Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 28. Streichung im Protokollbuch bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 28. Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 30. Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 31.

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der Parteiherrschaft geprägt war. Wie weit das Gericht von Amts wegen bestimmte Punkte entscheiden konnte oder musste und auf ­welche Art von Entscheidungen sich die Offizialmaxime bezog, ist unklar. Neuere Forschungen hierzu gibt es nicht.25 Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 sah ausdrücklich vor, dass die Beisitzer „macht und gewalt haben, auf anruffen der partheyen oder für sich selbst ex officio“ 26 Termine und Fristen zu verändern oder die Zahl der zulässigen Schriftsätze zu vergrößern. Mehr oder weniger konnte das Gericht also die Geschwindigkeit des Verfahrens auf diese Weise mitbestimmen und war nicht ausschließlich von den Parteien abhängig. Zwischenurteile ergingen zu ganz verschiedenen Fragen. Teilweise ging es um Tatsachen- bzw. Beweisfragen. Besonders anschaulich wird das in der Zeit vor 1654, als das Positionalverfahren 27 noch gebräuchlich war. Hier verurteilte das Gericht oftmals eine Seite, auf ganz bestimmte Artikel des Gegners zu antworten, oder nahm bestimmte Artikel als genugsam an. Auf diese Weise entschied das Gericht über den Umfang des streitigen Sachverhalts. Ex officio-Entscheidungen ergingen auch, wenn eine Seite prozessuale Obliegenheiten verletzt hatte. Wenn etwa ein Anwalt eine Vollmacht prüfen sollte und dies nicht tat, konnte das Gericht von Amts wegen die Vollmacht für anerkannt erklären.28 Vermutlich waren es also eher kleinere Fragen, die das Gericht ohne Anträge der Parteien entscheiden durfte. Wenn es um ein Endurteil ging, war der Aufwand für alle Beteiligten deutlich höher. Zunächst stellten die Parteien die Entscheidungsreife förmlich fest. Am Ende des Schriftsatzwechsels erklärten sie den sog. Beschluss der Sache.29 Teilweise geschah das in ausdrücklichen Konklusionsschriften, teilweise auch nur in den protokollierten Rezessen. Aber die Parteien erklärten förmlich, dass sie ein Urteil haben wollten. Diesem Zweck dienten auch die zahlreichen Sollizitationszettel, die Parteien, Anwälte, teilweise auch spezielle Sollizitanten an die Assessoren übergaben.30 Auf diesen kleinen handgeschriebenen Papierzetteln beantragten die 25 Kurzer Hinweis auf ein Spezialproblem im sog. Eremodizialverfahren bei Wolfgang Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 18), Aalen 1973, S. 272. 26 RKGO 1555, T. III/T. 38, bei Laufs, Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 11), S. 255. 27 Überblick bei Peter Oestmann, Art. Artikelprozess, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 313 f.; Georg Wilhelm Wetzell, ­System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Aufl., Leipzig 1878, S. 946 f. 28 Beispiel bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 43. 29 Begriffsdefinition bei Laufs, Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 11), S. 295; Dick, Entwicklung (wie Anm. 7), S. 173. 30 Umfassend Bengt Christian Fuchs, Die Sollicitatur am Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 40), Köln/Weimar/Wien 2002.

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Parteien ein sog. „fürderliches“ Urteil. Die Gerichtsmitglieder wussten also, dass die Parteien auf eine Entscheidung warteten. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen das Gericht trotz der Beschlüsse, Konklusionen und Sollizitationen untätig blieb. Wovon es abhing, ob das Gericht die beantragten Urteile erließ, ist unklar. Hierzu fehlen schriftliche Quellen, so dass man die internen Überlegungen zu d ­ iesem Punkt vermutlich nicht aufklären kann. Wenn ein Endurteil ergehen sollte, wählte der Kammerrichter oder sein Vertreter einen Assessor als Referenten aus. Dieser Referent erhielt die Prozessakte und nahm sie mit nach Hause. Deswegen enthält das Protokollbuch in diesen Fällen einen Completum-Vermerk.31 Jetzt war die Akte entscheidungsreif und förmlich zusammengestellt. Für die Relation, die der Referent anzufertigen hatte, gab es einen ganz gebräuchlichen Stil, an den sich die Gerichtsmitglieder auch hielten. Es begann mit dem Sachverhalt („species facti“), dann folgte die Prozessgeschichte („historia processus“), teilweise mit Zitaten aus den Schriftsätzen. Beweisfragen klärten sich in den Stationen „an probata“ und „an elisa“. Und dann folgte, typisch gemeinrechtlich, eine doppelte Lösung, einmal als „rationes dubitandi“, dann als „rationes decidendi“. Aus den „rationes decidendi“, aus den vom Referenten befürworteten Gesichtspunkten, folgte am Ende das Ergebnis. Deswegen enden die Relationen zumeist mit einem Tenorierungsvorschlag.32 Im 18. Jahrhundert änderte sich der Aufbau dieser Relationen. Die Rationes dubitandi und decidendi verschmolzen zu einem sog. Votum. Innerhalb des Votums ging es dann um einzelne Rechtsprobleme und nicht mehr um zwei entgegengesetzte Falllösungen.33 In derselben Weise arbeiteten auch die Richter am Oberappellationsgericht Lübeck im 19. Jahrhundert ihre Falllösungen aus.34 Die erneuerte Relationstechnik am Reichskammergericht war daher deutlich zukunftsgerichtet. Solche Relationen zu erstellen, konnte je nach Komplexität der Sache sehr aufwendig sein. In dem von mir vor einigen Jahren edierten Appellationsprozess in 31 Beispiel bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 43. 32 Zur Relationstechnik: Filippo Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997), S. 718 – 734; ders., Entscheidungsfindung und Begründungstechnik im Kameralverfahren, in: Peter Oestmann (Hg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 165 – 190. 33 Beispiel bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 519 – 520; etwas andere Begrifflichkeit bei Anette Baumann, Gedruckte Relationen und Voten des Reichskammergerichts vom 16. bis 18. Jahrhundert. Ein Findbuch (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 48), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 5. 34 Beispiel bei Peter Oestmann, Zur Gerichtspraxis im 19. Jahrhundert. Ein Schmuggeleiprozess am Oberappellationsgericht Lübeck, Wien/Köln/Weimar 2019, S. 278 – 386, 557 – 583, 658 – 675 und 736 – 768.

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einer Lübecker Erbrechtsangelegenheit umfasste die Relation mitsamt Votum in der handschriftlichen Fassung mehr als 100 Seiten.35 Es gab deswegen die Praxis, den Gerichtsmitgliedern einen Teil der Arbeit durch sog. Präokkupationslibelle abzunehmen. Darüber ist in der neueren Literatur fast nichts bekannt.36 Geschickte Anwälte stellten den Sachverhalt und seine rechtliche Bewertung so zusammen, dass die Referenten diesen Text eigentlich nur noch abzuschreiben brauchten. Angesichts der erheblichen Arbeitsersparnis bot dies den Parteien die Möglichkeit, praktisch selbst die Entscheidung des Falles auszuformulieren. Die Einzelheiten liegen völlig im Dunkeln. Rechtshistorisch interessant wäre es vor allem zu erfahren, ob die Präokkupationslibelle ausschließlich im Extrajudizialverfahren eines Prozesses überreicht wurden oder auch noch ­später im Judizialverfahren, wenn es um ein abschließendes Endurteil ging. Soweit sich dies aus den Akten des Reichskammergerichts erschließt, tauchen s­ olche Präokkupationslibelle in den förmlich erstellten Protokollbüchern nicht auf. Die Einzelheiten sind allein schon deswegen unklar. Offenbar stellte das Gericht diese Art von Schriftsätzen der Gegenseite nicht zu, und so wurden sie kein Teil der Akte. Jedenfalls verbleibt eine riesige Grauzone. In welchem Umfang gerichtliche Entscheidungen tatsächlich vom Gericht entworfen oder in der Praxis von den Parteien vorbereitet wurden, ist vollständig unbekannt. Dieses Zusammenspiel konnte man unterschiedlich bewerten. Am Reichshofrat gab es ab 1723 mehrere Gemeine Bescheide, die ­solche Präokkupationsmemorialien ausdrücklich verboten.37 Für das Reichskammergericht fehlen ­solche ausdrück­lichen Verbote. Der Wetzlarer Reichskammergerichtsadvokat Friedrich von Bostell behauptete 1780, präokkupatorische Vorstellungen ­seien für die „Aufrechterhaltung und Beförderung guter Justiz auch sehr nützlich“, und von den Gerichten würde darauf „in judicando würklich reflektirt“ 38. Das war gewagt. Wenige Seiten zuvor zitierte Bostell nämlich mehrere Kameralautoren wie Johann Stephan Pütter und Georg Melchior von Ludolff, die Präokkupationslibelle für glatt ­rechtswidrig hielten. Ludolff kannte angeblich sogar Fälle, in denen Anwälte bestraft worden waren, weil sie s­ olche Schriftsätze eingereicht hatten.39 Doch Bostell 35 Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 519 – 571. 36 Wenige Hinweise bei Anke Stein, Advokaten und Prokuratoren am Reichskammergericht in Wetzlar (1693 – 1806) als Rechtslehrer und Schriftsteller, Diss. jur. Würzburg 2001, S. 42, 67 – 70, 82 – 84 und 114. 37 Bei Peter Oestmann (Hg.), Gemeine Bescheide, T. 2: Reichshofrat 1613 – 1798 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63/II), Köln/Weimar/Wien 2017, Nr. 88, S. 347, Nr. 93, S. 359 und 367. 38 Friedrich J. D. von Bostell, Theoretisch-praktische Abhandlung von den präokkupatorischen Vorstellungen beym Kammergericht, 2. Aufl., Wetzlar 1780, § 27, S. 25. 39 Nachgewiesen bei Bostell, Abhandlung (wie Anm. 38), § 6, S. 4, Anm. c; unklarer Verweis, möglicherweise auf: Georg Melchior von Ludolf, De Jure Camerali ­Commentatio

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meinte, beim Kammergericht werde „täglich“ auf diese Schriftsätze hin entschieden, und deshalb ­seien sie nicht nur nicht verboten, sondern wegen ihres großen Vorteils auch „zu rechtfertigen“ 40. Ob man es hier mit einem neutralen Blick auf die Praxis richterlichen Entscheidens zu tun hat, erscheint zweifelhaft. Bostell war Advokat am Reichskammergericht und hatte eigenes wirtschaftliches Interesse, ­solche Präokkupationslibelle zu verfassen. Falls seine Äußerung zutrifft, müsste man die Leistung der Referenten sehr kritisch unter die Lupe nehmen. Denn wenn Präokkupationsschriften nach dem Beschluss der Sache an das Gericht gelangt sein sollten, liegen sie im Einklang mit den Spielregeln gerade d ­ ieses speziellen Verfahrensschrittes nicht in der Akte. Das Ausmaß, in dem Gerichtsmitglieder auf diese Weise beeinflusst wurden, lässt sich deswegen nicht feststellen. Es ist also kaum möglich, Bostells Äußerung zu bewerten. Jedenfalls tun sich hier Abgründe auf. In einem ungekannten Ausmaß haben möglicherweise Anwälte die richterlichen Urteile vorformuliert. Der Staatsrechtler Carl Friedrich Häberlin vertrat 1795 in einem Repertorium fast dieselbe Auffassung wie Bostell. Er meinte, Präokkupationslibelle s­eien vor allem im Eröffnungsstadium eines Prozess erfolgversprechend, wenn es darauf ankam, eine Ladung oder eine andere Entscheidung des Gerichts zu verhindern. Er ging davon aus, dass die Präokkupationslibelle in die Extrajudizialsenatsprotokolle einsortiert wurden, sah aber die Gefahr, dass die Arbeitsbelastung des Gerichts sogar stieg, wenn man diese Schriftsätze wie andere Eingaben ordnungsgemäß bearbeitete.41 Wie gesagt, bleibt hier vieles unklar. Die Einzelheiten solcher Präokkupationslibelle, gerade auch im Unterschied zu der offenbar anderen Einschätzung am Reichshofrat, könnten durchaus ein neues Licht auf die richterliche Praxis im Alten Reich werfen. War ein Fall entscheidungsreif und lag die Relation des Referenten inzwischen vor, begannen die Beratungen im Assessorenkollegium. In dem bereits erwähnten Appellationsprozess in einem Lübecker Erbrechtsfall dauerten sie vier Tage, nämlich vom 19. bis zum 22. Mai 1756.42 Sechs Assessoren nahmen daran teil. Am ersten Tag berichtete der Referent über den Sachverhalt und fasste einen Teil der erstinstanz­lichen Verhandlungen zusammen. Am zweiten Tag verlas der Referent seinen Extrakt der erstinstanzlichen Akte bis zum Ende und fuhr dann mit dem Bericht über die kammergerichtlichen Verhandlungen fort. Am dritten Tag begann er damit, sein Votum zu verlesen. Am vierten Tag beendete der Referent Systematica, Frankfurt a. M. 1719, Sectio 2 § 2, Nr. 27, S. 257. 40 Bostell, Abhandlung (wie Anm. 38), § 7, S. 4 f. 41 Carl Friedrich Häberlin, Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts, 4. Theil: P–R, Leipzig 1795, S. 220 – 223. 42 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 572 – 576.

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sein Votum. Dann erhielten die übrigen Senatsmitglieder die Gelegenheit, ihre Rechtsauffassungen zu äußern. Der Aktenauszug, den der Referent verlas, kann aus zeitlichen Gründen nicht mit der Prozessgeschichte der Relation identisch gewesen sein. Sachverhalt und Prozessgeschichte sind in der Relation nämlich ganz knapp gehalten, so dass die Lektüre keineswegs so lange gedauert hätte. Es gab also für die Senatsberatungen zwei Ausarbeitungen, nämlich einen umfangreichen Sachverhalt mitsamt Prozessgeschichte und ein Votum, das ausschließlich eigene rechtliche Überlegungen enthielt. Das erste Dokument ist verloren, das zweite befindet sich eingeheftet in den Senatsprotokollen. Diese Zweiteilung findet sich im 19. Jahrhundert ebenfalls am Oberappellationsgericht Lübeck. Dort verfassten die Richter eine Relation und ein Votum bzw. ein Gutachten, beides ungefähr gleich lang.43 Weshalb der kammergerichtliche Referent im hier untersuchten Fall den Sachverhalt und die Prozessgeschichte in einer Lang- und einer Kurzfassung ausarbeitete, ist unklar. Vielleicht benötigte man die Kurzfassung, falls man in den Senatsprotokollen einmal etwas nachschlagen wollte. Vielleicht erfolgte die Kurzfassung auch direkt in Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung. Der zuständige Referent, Assessor Summermann,44 scheint seine Relation jedenfalls Johann Ulrich von Cramer überlassen zu haben, der sie ­später mit nur geringen Änderungen in den „Wetzlarischen Nebenstunden“ veröffentlichte.45 Bei der Senatsberatung am vierten Tag meldeten sich alle übrigen fünf Assessoren zu Wort. Zumindest einige von ihnen scheinen gut vorbereitet gewesen zu sein. Jedenfalls zitierte Assessor Papius Artikel aus dem revidierten Lübecker Stadtrecht und berief sich auf einzelne Quadrangel und Anlagen der Prozessakte. Assessor Riedesel zitierte Literatur, Assessor Dünwaldt arbeitete mit einem Buch, das die Parteien anlässlich des Rechtsstreits hatten schreiben lassen. Und Assessor Pütz, der lediglich eine dreizeilige Äußerung von sich gab, verwies noch auf einen Rechtsgrundsatz, um den es vorliegend gehe.46 Quellenkritisch ist zu bemerken, dass bei den Senatsberatungen offensichtlich ein Protokollführer anwesend war. Ob wirklich jeder Assessor nur einmal das Wort ergriff, ob es schriftlich vorgefertigte mündliche Äußerungen gab, die einfach nur vorgelesen wurden, lässt sich nicht erkennen. Jedenfalls deutet das Protokoll auf einen eher statischen Verlauf der 43 Beispiel bei Oestmann, Gerichtspraxis (wie Anm. 34), S. 557 – 571 und 571 – 583. 44 Zu ihm Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich. T. II: Biographien, Bd. 2 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 36/II-2), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 1409 – 1426. 45 Johann Ulrich von Cramer, Ob und wie weit die volle Geburth vor der halben ein Vorrecht bey der Erbfolge habe, in: ders., Wetzlarische Nebenstunden, 6. Teil, Ulm 1757, S. 84 – 142. 46 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 573 – 575.

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Sitzung hin, wie Alexander Denzler es anhand der Visitationssitzungen ebenfalls gezeigt hat.47 Am Ende der Beratungen bemerkt das hier ausgewertete Protokoll, dass man einstimmig dem Referenten folge und das vorinstanzliche Urteil ändern wolle. Dieses Abstimmungsergebnis nennt den wesentlichen Halbsatz des Tenors, dass nämlich die fragliche Erbschaft zur Hälfte herauszugeben sei.48 Direkt im Anschluss folgt die Sententia, der Urteilstenor. Er enthält in ausführlicher Form das bereits zuvor getroffene Conclusum. Angesichts der formelhaften Sprache, aber auch der sorgfältigen Benennung der Parteien spricht viel dafür, dass dieser Tenor bereits schriftlich ausformuliert vorlag, bevor die Beratungen begannen. Sonst hätte es vermutlich zu viel Zeit gekostet, den Urteilstenor zu schreiben. Möglicherweise bereitete der Referent immer einen Tenor vor, der seinem eigenen Entscheidungsvorschlag folgte. Dann hätte der Senat nur dann einen neuen Tenor ausformulieren müssen, wenn er dem Referenten nicht gefolgt wäre. Wie oft ein Referent bei den Beratungen überstimmt wurde, ist nicht bekannt. Dies dürfte aber selten gewesen sein. Vielleicht stammt auch der gesamte Tenor von einem Protokollführer und war gar nicht Teil der Beratungen, auch wenn es im Senatsprotokoll so aussieht. Der ausformulierte Urteilstenor wurde jedenfalls sodann von einem Schreiber vom Senatsprotokoll ins Urteilsbuch übertragen 49 und ist deswegen doppelt überliefert. Im Prozessprotokoll ist dagegen für den 19. Mai, den Beginn der Senatsberatungen, lediglich ein Visum vermerkt, für den Tag der Urteilsfassung dann ein ExpeditumVermerk.50 Es scheint also so zu sein, dass der Expeditum-Vermerk auf eine gefällte Entscheidung und nicht unbedingt auf eine Urteilsverkündung abstellt. Denn ob im Anschluss an die Senatsberatungen am 22. Mai 1756 noch eine Audienz stattfand, in der man die Entscheidung öffentlich hätte verlesen können, steht nicht fest. Die Aufgliederung der Prozessmaterialien in die Prozessakte mitsamt Protokollbuch, Senatsprotokoll und Urteilsbuch war möglicherweise eine Besonderheit des Reichskammergerichts. Am Oberappellationsgericht Lübeck wanderten die Relationen nach den Beratungen in die Akte, wurden aber nicht offiziell quadranguliert und fehlen deshalb jeweils im Inhaltsverzeichnis. Auch die Urteile waren in Lübeck Teil der Akte, hier sogar mit Quadrangulierung.51

47 Alexander Denzler, Über den Schriftalltag im 18. Jahrhundert. Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776 (Norm und Struktur 45), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 127 – 135, 311 und 347. 48 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 575. 49 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 577. 50 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 44. 51 Beispiele bei Oestmann, Gerichtspraxis (wie Anm. 34), S. 85 und 278.

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An den Urteilen des Reichskammergerichts fällt ihre außerordentliche Schlichtheit auf. Im Senatsprotokoll und im Urteilsbuch ist lediglich das Datum vermerkt, dann folgt ganz schmucklos der Text des Tenors. Wenn nach einem Urteil der Rechtstreit noch weiterging, etwa nach einem Endurteil Vollstreckungsprobleme auftauchten oder Kostenfragen diskutiert wurden, findet sich der Tenor auch in den Protokollbüchern in der Prozessakte. Insbesondere enthält der Tenor weder den Namen des Kaisers noch den Namen des Gerichts. Auch fehlt am Ende der Hinweis „von Rechts wegen“. Neben diesen schlicht aufgeschriebenen Urteilen gab es Ausfertigungen für die Parteien. Ob sie immer ausgestellt wurden und gesondert anzufordern waren, ist unklar. Das Problem kann man gut erkennen, wenn Prozessparteien Entscheidungen des Reichskammergerichts im Druck veröffentlichten. Als Beispiel mag ein „Gegen-Bericht“ von 1682 dienen, der aus einem umfangreichen Rechtsstreit um die Verpfändung der Stadt Mölln stammt.52 In ­diesem einseitig geschrieben und parteiischen Heftchen im Umfang von etwa 60 Seiten zitiert der anonyme Verfasser ausführlich Entscheidungen des Reichskammergerichts, um seine Rechtsauffassung abzusichern. Die Mandate und Ladungen, auch ein Exekutionsmandat, werden jeweils im vollen Wortlaut zitiert, also mit allen Einleitungs- und Schlussformeln und auch mit der Kaisertitulatur. Die Urteile dagegen kommen genauso schlicht daher, wie sie im Urteilsbuch stehen. Es spricht also viel dafür, dass der Verfasser hierfür keine besonderen Langfassungen der Entscheidungen zur Hand hatte. Sonst hätte er sie zweifellos zitiert, denn die barocke Pracht hätte Eindruck gemacht und seiner Argumentation symbolisch zusätzliches Gewicht verliehen. Wenn die Parteien es wünschten, konnten sie sogar Prachtausfertigungen von Urteilen erhalten, die sie dann gesondert bezahlen mussten. So ließ sich die Domgemeinde in Wetzlar 1531 ein Urteil auf Pergament mit angehängtem Gerichtssiegel verewigen. Dieses Exemplar beginnt mit dem Namen des K ­ aisers und enthält eine ausführliche Hinleitung mit einer Erläuterung, warum es diese Ausfertigung überhaupt gibt.53 Sonstige, also schmucklose Ausfertigungen, konnten die Parteien gegen eine Gebühr bei der Kanzlei ebenfalls erhalten.54 Möglicherweise verzichteten viele Parteien auf diesen Aufwand und begnügten sich damit, wenn ihr Prokurator ihnen den Tenor mitteilte. Dieser Tenor 52 Abdruck Eines abgenöthigten gründlichen Gegen-Berichts/ Eintzig und allein aus denen an den Hochlöblichen Kayserl. Cammer-Gericht zu Speyer ergangenen publicirten und in Krafft Rechtens getretenen Urtheilen gezogen, Helmstedt 1682. 53 Beispiel bei Ingrid Scheurmann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, S. 140 f. 54 Oestmann, Gemeine Bescheide I (wie Anm. 20), S. 52.

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wurde in den Audienzen verlesen.55 Angesichts der ansonsten üblichen barocken Sprachfülle ist die Knappheit in der eigentlichen richterlichen Entscheidungs­ formel bemerkenswert. Trotzdem enthielt praktisch jedes Endurteil in seinem Tenor eine Wiederholung. Nach der Benennung der Parteien heißt es jeweils, es werde allem An- und Vorbringen nach zu Recht erkannt, dass etwas zu entscheiden sei, wie es hiermit entschieden werde. In dem Appellationsurteil von 1756 liest man, das erstinstanzliche Urteil sei zu reformieren, der Appellat sei schuldig, die Erbschaft zur Hälfte herauszugeben, und dazu sei er zu verurteilen. Unmittelbar darauf betont das Gericht: „als wir hiemit reformiren, schuldig erkennen und condemniren“ 56. Das Gericht sagt also zuerst, wie entschieden werden muss, und entscheidet dann. Das ist in dieser Doppelung natürlich keine Urteilsbegründung. Aber das Gericht wies mit seiner Formel ausdrücklich darauf hin, dass die Entscheidung so ergehen musste, wie sie erging. Der erste Halbsatz zeigte die Rechtslage an und sagte, was geschehen musste. Der zweite Halbsatz zog die Konsequenzen daraus und setzte die eigene Ankündigung um. Der erste Halbsatz war in die Zukunft gerichtet, der zweite ganz auf die Gegenwart bezogen. Diese Doppelung war langlebig und begegnet in ähnlicher Form noch am Oberappellationsgericht Lübeck im 19. Jahrhundert. Dort sagte man in Appellationsfällen, dass das vorige „Erkenntniß, wie hiemit geschieht, wiederum aufzuheben“ sei.57 In Lübeck verzichtete man auf die vollständige sprachliche Wiederholung, zeigte aber wie auch am Reichskammergericht ganz deutlich an, dass man seine eigene Entscheidung quasi gleich umsetzte. Vielleicht kann man hier von einem performativen Akt sprechen.58 Das Gericht findet heraus, wie entschieden werden muss, und genauso entscheidet es auch. Hier wäre es interessant, ob sich in Fällen der Aktenversendung andere Formulierungen finden. Denn die Juristenfakultäten konnten ihre Urteile ja nicht förmlich aussprechen, sondern mussten ihre Entscheidungen an die anfragenden Gerichte zurücksenden, damit diese sie dann im eigenen Namen verkünden konnten.59 Der Tenor des kammergerichtlichen Urteils von 1756 enthält außerdem die ganz 55 Dazu jetzt Maria von Loewenich, Amt und Prestige. Die Kammerrichter in der ständischen Gesellschaft (1711 – 1806) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 72), Wien/Köln/Weimar 2019, S. 80 f. 56 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 577. 57 Bei Oestmann, Gerichtspraxis (wie Anm. 34), S. 429 – 439. 58 Allgemeine Überlegungen bei Barbara Stollberg-Rilinger, Rituale (Historische Einführungen 16), Frankfurt a. M./New York 2013, S. 11 und 38. 59 Urteil der Wittenberger Juristenfakultät von 1530 ohne diese Doppelung bei Heiner Lück, Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation — Verfahren — Ausstrahlung, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 294. Systematische Untersuchungen zu ­diesem Punkt gibt es nicht.

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­ bliche Formel, es sei durch den Richter voriger Instanz übel geurteilt, wohl davon ü appelliert. Diese Formulierung findet sich auf Latein bereits in mittelalterlichen italienischen Prozessen.60 Das Gericht entschied also nicht nur über die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, sondern auch über das Verhalten des vorinstanzlichen Richters. Den Charakter des Rechtsmittels als Beschwerde über das Ausgangsgericht kann man hier noch sehr klar erkennen.61 Diese Formel war in anderen Verfahrensarten aber nicht nötig. Für die Exekution, also für die Befolgung des Urteils, setzte das Gericht in dem Fall von 1756 von Amts wegen eine Dreimonatsfrist.62 Die Dispositions- und Offizialmaxime waren also wieder miteinander verbunden. Ganz typisch ist die Einleitung mit dem Hinweis, es werde allem An- und Vorbringen nach entschieden. Das war die übliche Einleitung für Endurteile. Zwischenurteile enthalten diesen Hinweis dagegen nicht. Auf die eigenen Entscheidungsgründe wies das Gericht in der Urteilsformel geradezu floskelhaft nur bei den Prozesskosten hin. Die Gerichtskosten wurden aus bewegenden Ursachen 63 gegeneinander aufgehoben. Welches diese bewegenden Ursachen waren, sagte das Gericht nie. Es gab auch den Parteien die Gründe für die Kostenentscheidung nie bekannt. Bei den Senatsberatungen im hier untersuchten Fall hatte man sich tatsächlich über die Gründe für die Kostenregelung verständigt. Weil der Beklagte den erstinstanzlichen Rechtsstreit gewonnen hatte, verfolgte er jedenfalls eine vertretbare Rechtsauffassung und führte den Prozess nicht mutwillig.64 Bei der Hauptsacheentscheidung verzichtete das Reichskammergericht dagegen auf s­ olche ausdrücklichen Hinweise auf bewegende Ursachen in den Urteilsformeln in jedem Fall. Auch bei der Verkündung in der Audienz beschränkte sich das Kameralkollegium darauf, den bloßen Tenor zu verlesen. Mündliche Erläuterungen gegenüber den Parteien gab es nicht. Und in die Senatsprotokolle durften die Parteivertreter keine Einsicht nehmen. Möglicherweise gab es informelle Wege, wie geschickte Anwälte sich diese Informationen beschaffen 60 Susanne Lepsius, Dixit male iudicatum esse per dominos iudices. Zur Praxis der städtischen Appellationsgerichtsbarkeit im Lucca des 14. Jahrhunderts, in: Franz-Josef Arlinghaus u. a. (Hg.), Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters (Rechtsprechung. Materialien und Studien 23), Frankfurt a. M. 2006, S. 189 – 269. 61 Zur Übergangszeit Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 103 f. 62 Bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 577. 63 So auch im Urteil vom 22. Mai 1756, bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 577. 64 Hierzu die Relation von Summermann bei Oestmann, Zivilprozeß (wie Anm. 15), S. 571; ausführlicher zu der zeitgenössischen Diskussion Ulrich Falk, Consilia. Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (Rechtsprechung. Materialien und Studien 24), Frankfurt a. M. 2006, S. 117 – 130.

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konnten. Aber genau dies führt in eine Grauzone, die sich anhand von Quellen kaum erhellen lässt. Die Tenorierungen gab das Reichskammergericht ab dem Jahrgang 1800 in gedruckter Form jahrgangsweise heraus.65 Die Relationen flossen teilweise in die Entscheidungsliteratur ein. Manche Werke der Entscheidungsliteratur veröffentlichten sogar die Senatsberatungen, sogar mit Namensnennung der Autoren und Abstimmungsergebnissen.66 Einige Gerichtsmitglieder warfen Joachim Mynsinger in den Jahren nach 1563 vor, er habe mit seinen Observationen das Beratungsgeheimnis des Gerichts gebrochen und unzulässig Interna veröffentlicht.67 Tatsächlich veröffentlichte Mynsinger aber keinen einzigen Urteilstenor und auch keine Zeile aus den Senatssitzungen. In seinen Ausarbeitungen gibt es lediglich einzelne Hinweise auf kammergerichtliche Fälle, ansonsten handelt es sich um kleine Abhandlungen zu einzelnen Rechts­fragen. Andere Kameralautoren brachen dagegen ganz offen das Beratungsgeheimnis. Das gilt etwa für die Decisionen von Johannes Meichsner aus der Zeit um 1600,68 aber auch für das mehrbändige Werk des pseudonymen Adrian Gylmann.69 Weil es keine von Gerichts wegen bekanntgegebenen förmlichen Entscheidungsgründe gab, waren die Senatsprotokolle und die Relationen für die zeitgenössischen Juristen die beste Möglichkeit, sich über die Entscheidungsfindung des Kameralkollegiums zu informieren. Es gibt Hinweise darauf, dass die Parteien das Gericht teilweise um die Erläuterung eines Urteils baten. Offenbar war ­dieses Verfahren in der Frühzeit des Reichskammergerichts unbekannt, ist dann aber seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisbar.70 Hier bleibt aber vieles unklar. Diestelkamp hat in den 65 Vollständige Sammlung (wie Anm. 6). 66 Zusammenstellung bei Heinrich Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands. Charakteristik und Bibliografie der Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Ius Commune. Sonderheft 3), Frankfurt a. M. 1974. 67 Hierzu Egid Joseph Karl von Fahnenberg auf Burgheim, Litteratur des Kaiserlichen Reichskammergerichts, Wetzlar 1792, S. 33; David Georg Strube, Nebenstunden, 4. Theil, Hannover 1755, S. 213 – 219; knapper Hinweis auch bei Anette Baumann, Visitationen am Reichskammergericht. Speyer als politischer und juristischer Aktionsraum des Reiches (1529 – 1588) (Bibliothek Altes Reich 24), Berlin/Boston 2018, S. 34 und 44 f. 68 Johann Meichsner, Decisiones diversarum causarum in Cameral Imperiali iudicatarum adiunctis relationum actorum, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1603/06, auch mehrere spätere Auflagen. 69 Adrian Gylmann, Symphorematis Supplicationum, 6 Bde., Frankfurt a. M. 1601 – 1608; teilweise abweichende Titel der einzelnen Bände. 70 Bernhard Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen von Solms-Laubach, Köln/Weimar/

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Rechtsstreitigkeiten der Gemeinde Freienseen Anträge der Parteien auf Erläuterung eines Urteils gefunden. Er spricht sogar von Läuterungsurteilen. Die Belegstellen, soweit es sich um Entscheidungen aus der Sammlung von Seyler/Barth handelt, habe ich überprüft. Dort findet sich allerdings kein Hinweis auf die Leuteration.71 Vielmehr erließ das Gericht hier Anordnungen an die Parteien und an die Prokuratoren wie in zahlreichen gewöhnlichen Urteilen ebenfalls. Abschließend ist noch ein Hinweis auf die zahlreichen erhaltenen Dienstaufzeichnungen von Assessoren hinzuweisen. Es scheint ­solche Aufzeichnungen von deutlich mehr als 50 Assessoren zu geben. Diese Handakten mit eigenen Gutachten, teilweise auch in den Sitzungen geschriebenen Vermerken, können die Beratungen im Vorfeld eines Urteils weiter aufhellen. Soweit es sich um Relationen und Voten handelt, hätte man es mehr oder weniger lediglich mit einer Ausweitung der Quellenlage zu tun. Teilweise finden sich in diesen Unterlagen aber auch kurze Kommentare zum Verhalten von Kollegen in Audienzen. Genau dies sind Informationen, die sich in den Senatsprotokollen nicht entdecken lassen. Ein Findbuch von Anette Baumann von 2015 erschließt ­dieses Material.72 Anhand der Arbeiten von Regina Maria Sprenger und Steffen Wunderlich zu den Aufzeichnungen von Viglius von Aytta und Matthias Alber 73 wissen wir, wie wertvoll diese Quellen sind. Unsere Kenntnis über die richterliche Beratung und Entscheidungsfindung vor allem für das 16. und frühe 17. Jahrhundert wird sich in den kommenden Jahren vermutlich entscheidend verbessern. Dank der neu erschlossenen Quellen sind hier erhebliche Verfeinerungen des Forschungsstandes zu erwarten.

Wien 2012, S. 73, 76, 83 und 93. 71 Seyler/Barth, Urtheil Und Beschaydt (wie Anm. 5), Bd. V, S. 406 B; umfassend jetzt für den sächsischen Rechtskreis Volker Unverfehrt, Die sächsische Läuterung. Entstehung, Wandel und Werdegang bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 317/Rechtsräume 3), Frankfurt a. M. 2020. 72 Anette Baumann, Die Gutachten der Richter — Ungedruckte Quellen zum Entscheidungsprozess am Reichskammergericht (1524 – 1627) (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 43), Wetzlar 2015. 73 Regina Maria Sprenger, Viglius von Aytta und seine Notizen über Beratungen am Reichskammergericht 1535 – 1537 (Gerard Noodt Instituut. Rechtshistorische reeks nr. 13), Nijmegen 1988; Steffen Wunderlich, Das Protokollbuch von Mathias Alber. Zur Praxis des Reichskammergerichts im frühen 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 58), Köln/Weimar/Wien 2011.

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Wie das Gericht entscheidet Ein Beispiel aus der Praxis des englischen Court of Chancery in der Mitte des 18. Jahrhunderts

Die richterliche Entscheidung erscheint üblicherweise als individuelle Leistung. Tatsächlich aber beruhte sie ganz erheblich auf einer Reihe von Vorleistungen, die außerhalb des Gerichtssaals erbracht wurden. In meinem Beitrag stelle ich diese Vorleistungen am Beispiel des englischen Court of Chancery und an einem Prozess um Spielschulden in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor. Skizziert werden dabei zunächst der Court of Chancery und die auf die Annahme von Klagen spezialisierten Stellen, anschließend die inoffizielle Notizbuchführung des Lordkanzlers ­Hardwicke und drittens die Anlage und Nutzung von Handakten durch den barrister Charles Yorke. Entscheiden wird abschließend als eine selektive Praxis diskutiert, die sich als konkrete Arbeit mit Schriftobjekten sowie im Wechselspiel mit mündlichen Episoden darstellte. Entscheiden stellt sich damit als distribuierte und akkumulierende, von unterschiedlichen Akteuren vollzogene Aktivität dar. Zu sagen: „Das Gericht entscheidet“, ist daher nicht nur eine Metapher, sondern eine adäquate Beschreibung der Vorgänge, die zu einer Entscheidung hinführten. The judicial decision usually appears as an individual achievement. In fact, though, it was very much based on serial input from outside the courtroom. In this chapter, I present this input using the example of the English Court of Chancery and a gambling debts case in the mid-18th century. I will first give a brief outline of the Court of Chancery and its offices specialized on the filing of lawsuits. I will then look at the unofficial journaling of Lord Chancellor Hardwicke and the use of briefs by the barrister Charles Yorke. Finally, I will discuss decision-making as a selective practice, as a work with written objects as well as an interplay with oral episodes. Decision-making thus presents itself as a distributed and accumulating activity carried out by different actors. To say “the court decides” is therefore not only a metaphor, but also an adequate description of the process leading to a decision.

Das um 1725 von Benjamin Ferrers gefertigte Bild des Court of Chancery zeigt diesen bei einer Sitzung in der Westminster Hall. Das Kanzleigericht tagte hier in Sichtund Hörweite mit anderen Gerichten (King’s Bench, Court of Common Pleas, Court of Exchequer) sowie in Anwesenheit eines Publikums, das nicht nur bei den Prozessen zuschaute, sondern in der Westminster Hall auch seinen Geschäften nachging. Fluchtpunkt des Bildes aber sind die Richter, die auf der erhöhten Bank sitzen. Die Person, um die es im Folgenden gehen wird, Philip Yorke, sitzt hier bereits mit auf der Bank, in brauner Kleidung, denn er war 1725 noch kein Richter, sondern oberster Kronanwalt (attorney general). Yorke sitzt auf dem Bild zur Rechten von Lordkanzler Thomas Parker, Earl of Macclesfield. 1733 wurde Yorke zum chief justice of the King’s Bench und zugleich in den Adelsstand erhoben, er führte hernach den Titel eines Earl of Hardwicke. 1737 wurde er schließlich selbst Lordkanzler und damit zum Richter

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André Krischer Abb. 1  The Court of Chancery during the reign of George I, von Benjamin Ferrers, ca. 1725, National Portrait Gallery, London, Nr. 798.

des Court of Chancery, dem er bis 1756 vorsaß. Spätere Biographen rühmten den Lordkanzler Hardwicke nicht nur dafür, dass er die Equity-Gerichtsbarkeit reformiert und für wegweisende Urteile gesorgt hatte, sondern auch für die Würde, die er bei seiner Rechtsprechung ausstrahlte und die neben der Güte seiner Urteile für zusätzliche Akzeptanz sorgte. Sein Nachfolger Charles Pratt, Earl of Camden (1714 – 1794) erinnerte sich, dass seine Urteilsverkündungen ähnlich beliebt waren wie populäre Theateraufführungen.1 Der Rechtsreformer und Oberrichter William Murray, Earl of Mansfield (1705 – 1793) drückte das so aus: „When Lord Hardwicke pronounced his decrees, Wisdome herself might be supposed to speak“.2 Mit solchen und ähnlichen Aussagen, aber auch mit Bildern wie dem von ­Ferrers, wird die gerichtliche Entscheidung als eine individuelle richterliche ­Leistung 1 John Campbell, The Lives of the Lord Chancellors and Keepers of the Great Seal of England. From the Earliest Times till the Reign of King George IV, Vol. V, London 1846, S. 361. 2 George Harris, The Life of Lord Chancellor Hardwicke: With Selections from His Correspondence, Diaries, Speeches, and Judgements, Vol. III, London 1847, S. 559.

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b­ eobachtet und im Gerichtssaal verortet. Weder die Beobachtung noch die Verortung sind falsch, aber sie blenden aus, ­welche Vorleistungen nötig waren, damit ­solche Entscheidungen überhaupt gefällt werden konnten. Ich verstehe die Entscheidung dabei als Teil eines Prozesses des Entscheidens, der weit hinter die öffentliche Verhandlung zurückreicht und der als kollektiver und distribuierter Vorgang zu verstehen ist. Die Entscheidung verstehe ich als den expressiven Schlussakt d­ ieses Prozesses; sie ist ein kommunikatives und symbolisch-performatives Ereignis. Gerichtliche Entscheidungen werden verkündet, ausgesprochen und verschriftlicht. Sie bezeichnen sinnlich erfahrbare, sichtbare und hörbare Akte – und keine Denkvorgänge oder den Moment, in dem eine innere Regung in einen festen Entschluss mündete.3 Um eine so verstandene Entscheidung als performativer Akt wird es mir in d ­ iesem Beitrag aber nicht gehen.4 Vielmehr stehen andere, eher unspektakuläre Sequenzen des 3 Wer am Konzept der Entscheidung als einem kognitiven Akt festhält, muss allerdings erklären, wie ­solche Kognitionen beobachtet werden können. Diese Frage richtet sich vor allem an die Theorien rationaler Wahl. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht sind Entscheidungen immer soziale Konstrukte. Es lässt sich immer nur beobachten, wie über Entscheidungen geredet wird. Und wenn Entscheidungen getroffen werden, korrespondiert dieser Akt keineswegs punktgenau mit kognitiven Vorgängen, die beim Entscheiden natürlich eine wichtige Rolle spielen. Vgl. zur Unbeobachtbarkeit der richterlichen Entscheidung auch Benjamin Lahusen/Moritz Renner, Gespenster zweiter Ordnung, in: Gralf-Peter Calliess/Andreas Fischer-Lescano/Dan Wielsch/Peer Zumbansen (Hg.), Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, S. 69 – 82, hier S. 77 f. In den anglo-amerikanischen „legal studies“ ist die Gleichsetzung von Entscheidungen mit Vorgängen rationaler Wahl nicht unüblich, vgl. etwa John Drobak/Douglass C. North, Understanding Judicial Decision-Making. The Importance of Constraints on Non-Rational Deliberations, in: Washington University Journal of Law & Policy 26 (2008), S. 131 – 152. Was in der deutschen Rechtswissenschaft unter „Entscheidung“ verstanden wird – ein Denkakt, ein performativer Akt, ein schriftlicher Akt? – scheint noch eher ungeklärt zu sein. Gegen meinen Eindruck, dass ein mentalistisches Entscheidungsverständnis vorherrscht, hat Wolfgang Ernst (Oxford) auf der Wetzlarer Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist, Bedenken angemeldet. Allerdings zitiert Fabien Steinhauer in seiner Besprechung von Bruno Latours Studie über den französischen Staatsrat Christian ­Hillgruber mit den Worten „Als geistiges Phänomen ist Recht nicht sinnlich wahrnehmbar, kann nicht körperlich begriffen werden, sondern nur in seinem Sinn rechtlich eigentlich erfasst (oder eben verfehlt) werden“, Fabian Steinhauer, Unreine Rechtslehren. Bruno Latours Untersuchung zum Conseil d’Ètat und der neue Materialismus in den Rechtswissenschaften, in: Der Staat 56 (2017), S. 293 – 304, hier S. 294, Fn. 5. Ein derart „vergeistigtes“ Verständnis sorgt Steinhauer zufolge in den Rechtswissenschaften dafür, „sich über den metaphorischen Gehalt des Wortes ‚Begriff‘ oder über seine körperliche Umsetzung, zum Beispiel also über die Rolle der Hand und des Schreibzeugs, keine weiteren Gedanken zu machen“, ebd. 4 Es geht hier also nicht um symbolische Kommunikation und Selbstinszenierung vor Gericht im Allgemeinen oder um die Symbolik bzw. die rituell-performativen Dimensionen des Richtens

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Entscheidungsprozesses im Mittelpunkt. Ich werde zunächst Struktur und Verfahrensweise des englischen Kanzleigerichts im 18. Jahrhundert skizzieren und komme dann im zweiten Abschnitt auf eine richterliche Praxis zu sprechen, die bislang wenig beachtet wurde, nämlich das Führen von Notizbüchern. Ich möchte zeigen, dass Notizbücher in signifikanter Weise an der Herstellung der Entscheidungen beteiligt waren. Die Notizen bezogen sich dabei vor allem auf die Ausführungen der Anwälte (barristers), die dabei wiederum auf ihre Handakten (briefs) zurückgriffen. Nach den Notizbüchern werde ich daher diese Handakten im dritten Abschnitt als weitere Medien des Entscheidens vorstellen. Im vierten Abschnitt nutze ich dann diese empirischen Einsichten, um auf einer abstrakteren Ebene Entscheiden als eine selektive Praxis zu konturieren, die man sich nicht als individuelle Leistung, sondern als einen kollaborativen, auf verschiedene Medien und Materialitäten verteilten Vorgang vorstellen kann. Kurz gesagt: Ich möchte zeigen, wie im Wortsinn „das Gericht“ entscheidet. Als Beispiel dient mir dabei ein Anfang der 1750er-Jahre geführter Prozess um Spielschulden, der allerdings nur soweit gewürdigt wird, wie er dem übergeordneten Interesse an der Praxis des Entscheidens dient.

I.  Zur Verfahrensweise des Kanzleigerichts Obwohl es lange seinen Sitz in der Westminster Hall hatte, wie die höchsten Gerichte des Common Law auch, folgte das Kanzleigericht in materieller und formeller Hinsicht ganz eigenen Regeln.5 Seit dem Spätmittelalter wurde sein Zweck damit beschrieben, dass es den Rigorismus des Common Law durch eine und Urteilens im Besonderen, vgl. dazu u. a. die Beiträge in Reiner Schulze (Hg.), Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 51), Berlin 2011; Henning Grunwald, Courtroom to revolutionary stage. Performance and ideology in Weimar political trials, Oxford 2012. Speziell zur Performanz des Urteils und zum Verhältnis von Gerichtsöffentlichkeit und der Nicht-Öffentlichkeit der Rechtsfindung vgl. Benjamin Lahusen, Rechtspositivismus und juristische Methode. Betrachtungen aus dem Alltag einer Vernunftehe, Weilerswist 2011, S. 146 – 157; Lahusen/Renner (wie Anm. 3), S. 76, arbeiten heraus, dass die symbolisch markante Nicht-Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung im Verfahren vielleicht auch dazu dient, die „Würde des Gerichts“ zu ­schützen, v. a. aber verdeutlicht, dass nicht die Parteien, sondern ein Dritter den Streit entscheidet. Erst dieser Fluchtpunkt auf die richterliche Entscheidung und die damit verbundene Ungewissheit über deren Inhalt motiviert die Parteien zur Teilnahme am Verfahren. Um diese prozedurale Funktion der Entscheidung geht es hier aber ebenfalls nicht. 5 Im Unterschied zum Mittelalter ist der frühneuzeitliche Court of Chancery schlecht erforscht, vgl. ganz allg. John H. Baker, The Oxford History of the Laws of England, Vol. VI : 1483 – 1558, Oxford/New York 2002, S. 171 – 190; Dennis R. Klinck, Conscience, equity and the Court of Chancery in early modern England, Farnham/Burlington 2010.

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­ echtsprechung nach Billigkeit (equity) abmildern sollte. In juristischen LehrbüR chern aus dem 18. Jahrhundert heißt es, dass es im Kanzleigericht um den Geist, nicht um den Wortlaut der Gesetze ginge und die Entscheidungen daher für den Richter eine Gewissensache ­seien.6 Obwohl die Chancery auch in öffentlichen Sitzungen verhandelte, unterschied sie sich in ihrer Verfahrensweise doch markant von den Common-Law-Gerichten: So waren Zeugenverhöre, die im Mittelpunkt eines Straf- oder Zivilprozesses nach Common Law standen, zwar nicht ausgeschlossen, aber doch die absolute Ausnahme.7 Zeugenaussagen wurden in aller Regel schriftlich eingebracht und vorgelesen. Die Verhandlung bestand im Wesentlichen aus dem Verlesen solcher Depositionen und anderen, als beweiskräftig erachteten Dokumenten. Und während sonst Geschworene über die matters of fact entschieden, oblag hier sowohl der Tatsachen- als auch der Rechtsentscheid dem Richter. Grundsätzlich konnte jeder zivile Rechtsstreit vor das Kanzleigericht gebracht werden, wenn sich der Kläger in formelhafter Weise darauf berief, sonst keine Gerechtigkeit erlangen zu können. Nicht selten suchten Kläger hier ihr Glück, wenn sie anderswo nicht weitergekommen waren. Unter Umständen half ein Interlokut, also ein Zwischenentscheid des Kanzleigerichts, vor dem Court of Common Pleas weiter. Kurzum: Die Chancery gehörte zur Praxis der Infrajustiz, also der fl ­ exiblen Nutzung der vorhandenen Justizangebote.8 Genauso waren die am Kanzleigericht tätigen Juristen immer auch Common Lawyer, weswegen ihnen auch die Regel wichtig war, dass sich die Rechtsprechung nach Billigkeit dem Common Law unterzuordnen hatte. In der Praxis des 18. Jahrhunderts ging es vor allem um Grenzfälle, die in den Begrifflichkeiten und Formularen (writs) des Common Law nicht adäquat darstellbar waren. Darunter fielen etwa bestimmte Formen von Betrug. Vor allem und bei weitem drehten sich die Fälle der Chancery – gerade auch in der Zeit von Hardwicke – allerdings um trusts, also eine spezielle Form des Erbrechts, die dem 6 Joseph Harrison, The Accomplish’d Practiser in the High Court of Chancery, London 3 1750, S. 9. 7 Ders./John Griffith Williams, The Practice of the Court of Chancery. The 1st American from the last London Edition, Vol. I, Philadelphia 1807, S. 403. Wurden Zeugen bei den Verhandlungen angehört, dann wurden sie durch den Lordkanzler befragt, vgl. David Eryl Corbet Yale, Lord Nottingham’s „Manual of Chancery practice“ and „Prolegomena of chancery and equity“ (Cambridge studies in English legal history), Cambridge 1965, S. 62. 8 Dazu jetzt, allerdings am Beispiel des Strafrechts, Karl Härter, Konfliktregulierung im Umfeld frühneuzeitlicher Strafgerichte. Das Konzept der Infrajustiz in der historischen Kriminalitätsforschung, in: KritV 95 (2012), S. 130 – 144. Für Infrajustiz im Zivilrecht, allerdings am französischen Beispiel, vgl. Julie Hardwick, Family business. Litigation and the political economies of daily life in early modern France, Oxford 2009, S. 59 ff.

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ähnelte, was im ius commune als Fideikommiss bekannt war.9 Beim trust konnte der Erblasser oder Stifter die Nutzung des Vermögens stark regulieren. Konflikte entstanden typischerweise daraus, dass Töchter, Enkelinnen oder Nichten des Erblas­sers auf die Auszahlung von Erträgen pochten, wenn die üblicherweise privilegierten männlichen Nachkommen ausgestorben waren und das Vermögen dann auf einen Verwalter überging, oder aber daraus, dass der Erblasser den Nießbrauch an die Bedingung einer standesgemäßen Heirat knüpfte. Trusts waren in England zwar ein Oberschichten-, aber kein reines Adelsphänomen, so wie die ständische Ordnung hier durchlässiger war als auf dem Kontinent. Urteilskompetenz besaß am Kanzleigericht nur der Lordkanzler selbst. Er konnte bei Sitzungen allerdings vom master of the rolls vertreten werden, der im Namen des Kanzlers entscheiden konnte. Daneben gab es eine Reihe weiterer Amtsträger, nämlich elf andere masters of the Chancery, die ihnen unterstellten six clerks, denen wiederum eine Reihe von under-clerks zuarbeitete. Die masters und die six clerks nahmen die Klagen und andere, damit zusammenhängende Dokumente entgegen, registrierten, siegelten und stempelten sie. Nur registrierte Dokumente konnten bei den Verhandlungen berücksichtigt werden.10 Masters und six clerks initiierten auch die vom Gericht ausgehenden Aktivitäten wie Zeugenbefragungen oder eidesstattliche Erklärungen und fertigten die dafür notwendigen Formulare (Fragebögen [interrogatories], affidavits) an. Sie nahmen zudem an den Verhandlungen teil und konnten im Zweifelsfall bei Verfahrensfragen Auskunft erteilen. Das Büro der six clerks in der Chancery Lane galt als Dreh- und Angelpunkt des ganzen Verfahrens: „The Six Clerks, in whose Office all Proceedings upon Bill and Answers unto the very Decree, and in some Cases after Decrees are acted“.11 Es gab zudem vier Registratoren mit several deputy registers 12 sowie weitere Beamte (officers) für die Verwaltung von Vorladungen (subpoenas), eidesstattlichen Erklärungen (affidavits) und Zeugenbefragungen. Letztere wurden durch eigene Examinatoren vorgenommen, denen es auch oblag, Kopien der Depositionen anzufertigen und den six clerks zu übergeben. Falls der Lordkanzler, ein Master oder ein six clerk Zugriff auf die eigenen, bereits abgelegten Schriftbestände benötigten, also auf die in Rollen archivierten bills, Depositionen oder 9 Dazu Anja Amend-Traut, Zivilverfahren vor dem Reichskammergericht. Rückblick und Perspektiven, in: Friedrich Battenberg/Bernd Schildt (Hg.), Das Reichskammer­ gericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 57), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 125 – 156, hier S. 144. 10 Harrison/Williams, The Practice of the Court of Chancery (wie Anm. 7), S. 365. 11 Anon., The Practick Part of the Law: Shewing the Office of an Attorney, and a Guide for Solicitors in all Courts of Westminster, London 51724, S. 327. 12 Ebd., S. 328.

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Abb. 2 Die bill aus dem Fall Rawdon v. Shadwell mit der blauen Gebührenmarke links oben (und vergrößert in der Mitte) und der Registraturmarke auf der Rückseite, aus: The National Archives, London, C 12/1176/3.

Dekrete, dann erfolgte dieser Zugriff durch eigene clerks of the rolls.13 Zudem gab es Buchhalter, Boten (z. B. „to transmit divers things from the riding clerk, and the enrolment-office to the Chappel of the Rolls“) und Wachleute (usher, serjeant at arms, warden of the Fleet). Bei der Reformdebatte des 19. Jahrhunderts wurden die höheren Chargen (masters und six clerks) als Sinekuren kritisiert (tatsächlich verrichteten diese Amtsträger nur wenige Wochen im Jahr tatsächlich ihren Dienst), die Notwendigkeit der nachgeordneten Sachbearbeiter aber ausdrücklich unterstrichen. Das Verfahren lässt sich mit den zeitgenössischen Begriffen in insgesamt fünf Phasen einteilen: Pleading, evidence (Beweisaufnahme), hearing (Audienz, Hauptverhandlung), decree (Urteilsakt und seine Förmlichkeiten) und ggf. appeal, also die Revision vor dem Oberhaus. Die erste Phase, das pleading, erfolgte mit der Klage in Form einer Petition an den Lordkanzler. Diese sogenannte English bill sollte dem Grundsatz nach formlos sein, folgte im 18. Jahrhundert aber tatsächlich elaborierten Konventionen.14 Der Kläger (plaintiff) musste deswegen immer 13 Ebd. 14 Vgl. zum Ablauf des Verfahrens auf der Grundlage eines von Lordkanzler Nottingham in den 1670er-Jahren verfassten Manuals Yale (wie Anm. 7), S. 45. Yale geht davon aus, dass die Verfahrensweise auch noch zur Zeit Hardwickes praktiziert wurde. Zur R ­ ekonstruktion des idealtypischen Verfahrensablaufs habe ich daneben zeitgenössische Handbücher von Joseph Harrison, The Accomplish’d Practiser in the High Court of Chancery, Vol. II, London 11741; Harrison, The Accomplish’d Practiser in the High Court of Chancery (wie Anm. 6); Geoffrey Gilbert, The history and practice of the High Court of Chancery, London 1758; Robert Hinde, The Modern Practice of the High Court of Chancery, London 1786 verwendet; auch William Searle Holdsworth, A History of English Law, Vol. IX, London 1926, S. 335 – 371.

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die Dienste eines attorneys oder solicitors in Anspruch nehmen. Die bill enthielt nicht nur die Beschwerde, sondern in der Regel auch eine Reihe von Fragen an den Beklagten. Die in der bill geforderte Entschädigung wurde nicht genau spezi­ fiziert, denn diese nach Billigkeit festzulegen war ja gerade der Sinn des Entscheids durch den Lordkanzler. Offiziell anerkannt wurde die bill aber erst dann, wenn sie bei einem der six clerks auf Pergament eingereicht und von ­diesem mit double oneshilling stamps versehen wurde. Der six clerk trug die Klage daraufhin nach dem Schema plaintiff v. defendant in sein cause-book und anschließend in das general bill-book ein.15 Anschließend legte der Clerk die bill in eine Kladde. Mit dieser Ablage galt die bill als eingereicht (filed), und erst mit ­diesem filing war aus der Klage ein Fall geworden.16 Der Beklagte wurde nun durch einen writ of subpoena, also strafbewehrt, zu einer Antwort aufgefordert. Dazu musste er ebenfalls die Dienste eines solicitors in Anspruch nehmen, eine vom Rechtslaien selbst formulierte Antwort war nicht erlaubt.17 Hatte ein solicitor vom Beklagten ein Mandat erhalten, dann begab er sich in das Büro der six clerks und erwarb dort eine Kopie der bill. Anschließend musste er entscheiden, ob er die Klage aus formellen Gründen zurückweisen (demurrer) oder aber, was die Regel war, in der Sache darauf antworten (answer) sollte. Letzteres erfolgte unter Eid und unter Beantwortung der vom Kläger in der bill mitgeteilten Fragen. In London konnte sich der Beklagte dazu erneut ins Kanzleigericht begeben, außerhalb der Hauptstadt wurde eine Kommission mit der Einholung der answer beauftragt – was schon zu ­diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens hohe Kosten verursachte. Der Beklagte konnte auch eine eigene bill (cross bill) gegen den Kläger einreichen, so dass dieser genötigt war, seine bill zu modifizieren bzw. zu amendieren, was vom Beklagten eine Duplik erforderte, immer vermittelt über die Chancery und ggf. durch eine Kommission. Der Kläger konnte diese Kommission – gebührenpflichtig – auch in Anspruch nehmen, wenn er vom Beklagten die Herausgabe von Unterlagen verlangte, die wiederum Grund und Anlass zu weiteren Modifikationen seiner bill geben konnten. Diesen Austausch von bill und answers sowie die damit verbundenen Umstände nannte man, in Anlehnung an das Common Law, pleading. 15 Jeder der Six Clerks führte seine eigenen Amtsbücher, neben den cause books auch rule books (C173/38 – 43), in die er seine Verfügungen über den Verlauf der Vorverhandlung (Befragung von Zeugen, Publikation der Depositionen usf.) eintrug. 16 Diese Vorgänge wurden in den 1740er-Jahren in detaillierter Weise vom Six Clerk Samuel Reynardson in einem Manual mit dem Titel The method of filing and keeping bills, answers and depcons [depositions] niedergelegt. Das Manual ist abgedruckt in Edward Alexander Fry, Index of chancery proceedings (Reynardson’s division) preserved in the Public record office, 1649 – 1714, London 1903, S. xii–xv. 17 Hinde (wie Anm. 14), S. 257.

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Hatten sich die Anwälte auf einen Stand von Behauptung und Gegenbehauptung geeinigt, war also das pleading abgeschlossen, folgte als nächstes die Beweisaufnahme. Dabei wurden die von den Parteien genannten Zeugen auf der Grundlage von Fragebögen vernommen. Alternativ konnten auch eidesstattliche Erklärungen (affidavits) eingeholt werden.18 Die Fragebögen wurden von den Anwälten eingereicht. Da diese die Zeugen weder kannten noch persönlich je zu Gesicht bekamen, waren die Fragen sehr umfänglich und allgemein gehalten, um alle Eventualitäten und den Mangel an Rückfragemöglichkeiten abzudecken. In London wurden die Zeugen von den gerichtlichen examiners befragt.19 In der Provinz kam dazu erneut eine Kommission zum Einsatz, die in einem Gasthaus unterzubringen und deren Reise- und Unterkunftskosten zuzüglich eines Tagegelds übernommen werden mussten. Solche Befragungen konnten sich, je nach Anzahl der Zeugen, monatelang hinziehen und enorme Kosten verursachen. Die von den Kommissaren und den (vereidigten) Zeugen unterschriebenen Befragungsprotokolle – depositions genannt – wurden am Ende versiegelt an das Kanzleigericht gesandt. Eidesstattliche Erklärungen konnten direkt im affidavit publick office in der Chancery Lane abgeben werden, gegen eine Gebühr von zwölf Cent. Depositionen und affidavits wurden anschließend kopiert und den Parteien gegen Gebühr zugänglich gemacht, sofern keine Anträge auf weitere Befragungen gestellt oder Beschwerden eingereicht wurden. Erst der letzte Teil des Verfahrens, das hearing, erfolgte in öffentlicher Sitzung. Dabei anwesend waren neben dem Lordkanzler, den masters und six clerks auch Publikum, darunter meist Verfasser von law reports. Bis zum Verhandlungstermin vergingen Monate, in nicht wenigen Fällen sogar Jahre.20 Kläger und Beklagter konnten hier bei ihrem Prozess zuschauen, während sie dabei sonst kaum in Erscheinung traten. Die Verhandlungstermine wurden von den Registratoren koordiniert, die in ihren Amtsbüchern auch den Stand des jeweiligen Verfahrens dokumentierten und Kopien davon an die six clerks weiterleiteten.21 Die solicitors mussten hingegen im register-office nachschauen, für wann der Fall ihrer Mandanten zur Verhandlung angesetzt war.22 Man konnte den Beklagten mit einem subpoena zur Anhörung vorladen lassen, allerdings lag das Erscheinen auch in dessen Interesse, wollte er den Prozess nicht aufgrund einer Formalie verlieren. Insofern mussten auch er und sein Anwalt die Termine im Blick behalten. 18 Von den Examinatoren vernommen wurden nur die Zeugen, die in und um London lebten. Die Zeugen in der Provinz konnten affidavits abgeben oder aber vor Ort von den Friedensrichtern befragt werden. 19 Anon., The Practick Part of the Law (wie Anm. 11), S. 395. 20 Holdsworth, A History of English Law IX (wie Anm. 14), S. 339. 21 Harrison, The Practice of the Court of Chancery (wie Anm. 7), S. 412. 22 Hinde, The Modern Practice (wie Anm. 14), S. 412.

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Wie auch bei Common-Law-Prozessen wurden die Verhandlungen selbst nicht von den solicitors geführt, sondern von eigenen Prozessanwälten (barristers). Unter Lordkanzler Hardwicke handelte es sich bei den barristers um einen über Jahre hinweg konstanten Kreis an Personen, so dass die Verhandlungen z­ wischen Lordkanzler, Gerichtspersonal und Anwälten, die mal Kläger, mal Beklagte vertraten, einen überaus kollegialen Charakter aufwiesen.23 Anders als etwa bei den Strafprozessen in Old Bailey mussten sich die Juristen hier nicht gegenseitig etwas vormachen, der Bedarf an Justizdrama war sehr gering. Das änderte sich bis ins 19. Jahrhundert nicht wesentlich. Ein Beobachter notierte 1872: „In the Chancery Courts the counsel simply state the facts of the cases to the judge, and then proceed to argue them by reference to previously decided cases“.24 Mit dem Beginn von Hardwickes Amtszeit bis zu seiner Auflösung 1872 fanden die hearings nur noch in Ausnahmefällen in der Westminster Hall statt. Stattdessen tagte das Kanzleigericht seitdem in der Old Hall von Lincoln’s Inn, die auf einer Abbildung von 1810 zu sehen ist. Der Umzug war dem Umstand geschuldet, dass die akustische Situation in der Westminster Hall für nicht mehr erträglich erachtet worden war. Viele Zeitgenossen zweifelten aber, ob der Umzug in die Old Hall eine Verbesserung dargestellt habe.25 Im Spätmittelalter stand die Anhörung (hearing) im Zentrum des Verfahrens. Der Fall wurde dabei gewöhnlich an einem Tag erledigt. In der Frühneuzeit bildeten sich dagegen nicht nur ausufernde Vorverhandlungen aus. Es war auch nur schwer abzusehen, ob beim hearing eine Entscheidung fiel. Um zu belastbaren Zahlen zu kommen, habe ich aus Hardwickes Amtszeit zwei Vier-JahresBlöcke untersucht (1737 – 1740, 1753 – 1756). Denn in aller Regel wurden Fälle nicht in einem Jahr entschieden. Zwischen dem Einreichen der bill und einem wie auch immer gearteten Entscheid konnten vielmehr zwei oder mehr Jahre vergehen. Dass ein Fall über vier Jahre unentschieden blieb, war jedoch auch die Ausnahme. Es zeigte sich, dass rund 20 % der Fälle innerhalb von vier Jahren mit einem abschließenden Dekret (final decree) endeten. In den meisten Fällen 23 Mit „kollegial“ ist hier nicht die formale Struktur und die formale Entscheidungsweise eines Richtergremiums gemeint wie bei Wolfgang Ernst, Rechtserkenntnis durch Richter­ mehrheiten. „Group choice“ in europäischen Justiztraditionen, Tübingen 2016, S. 61 ff. et pass., sondern vielmehr ein bestimmter, informeller Interaktionsstil (üblicherweise im Kontext formaler Organisationen), der von wechselseitiger Achtung und Höflichkeit im Dienste der jeweiligen Zweckerfüllung geprägt ist, vgl. dazu Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 20), Berlin 5 1999, S. 314 ff. 24 Thomas Wemyss Reid/Charles Killowen, Briefs and Papers. Sketches of the Bar and the Press, London 1872, S. 122. 25 Ebd., S. 120 f.

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Abb. 3 Der Court of Chancery tagt unter dem Vorsitz von Lordkanzler Eldon (Amtszeit: 1807 – 1827). Das Bild wurde von Thomas Rowlandson für Rudolph Ackermanns dreibändiges Kompendium „Microcosm of London“ (1808 – 1810) geschaffen und dürfte um 1807/1808 entstanden sein. Das Kanzleigericht war 1737 unter Lordkanzler Hardwicke in die Old Hall von Lincoln’s Inn, also einer der vier, aus dem Spätmittelalter stammenden Anwaltskollegien (Inns of Court) gezogen. Obwohl Sir John Soane die Westminster Hall am Beginn der 1820erJahre für die Gerichtshöfe großzügig umbaute, tagte das Kanzleigericht bis zu seiner Auflösung 1875 überwiegend weiter in der Old Hall, Wikimedia.

(rund 50 %) erging ein Interlokut, also ein Zwischenurteil über die Rechtslage, aber nicht über die Sachlage (matters of fact), über die zu entscheiden dann einem Common-Law-Gericht und seinen Geschworenen überantwortet wurde. Das Kanzleigericht fungierte hier gewissermaßen als Lieferant von Rechtsgutachten, die von den Klägerinnen und Klägern im Sinne der Infrajustiz bei anderen Gerichten in Anschlag gebracht wurden. In 15 % der Fälle wurde die Klage abgewiesen (bill dismissed), was freilich auch als eine Entscheidung (nicht aber als Dekret) gewertet werden kann. 15 % der Fälle blieben allerdings auch unentschieden – sie wurden immer wieder vertagt, weil die Rechts- und Faktenlage unklar erschien. Teilweise wurden sie erst Jahre s­ päter entschieden, teilweise versandeten sie aber auch. Solange ein Dekret noch nicht in den rolls verzeichnet war, ließ es sich mit einer weiteren Petition anfechten, was zu einer Neuauflage des Prozesses führen konnte. Möglich war auch eine Berufungsverhandlung vor

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dem Oberhaus.26 Die Anfechtung von Entscheidungen war vor dem Kanzleigericht jedenfalls viel leichter als im Common Law.

II.  Richterliche Notizbücher als Quelle für die Praxis des Kanzleigerichts Der idealtypische Verfahrensverlauf lässt sich mit Hilfe der zeitgenössischen Handbuchliteratur gut erfassen. Aber wie lässt sich der Ablauf im Einzelfall rekonstruieren? Zwischen 1639 und 1875 wurden die verhandelten Fälle in nicht weniger als 4.776 (von archivarischer Seite so genannte) registrars‘ court or minute books protokolliert, allerdings auf einer eher abstrakten Ebene.27 Die Einträge zu einem Fall enthalten jeweils eine Zusammenfassung von bill und answer, Hinweise zu den Zeugenaussagen und ggf. das Dekret. Die minute books pressten jeden Fall damit unter ein bestimmtes Schema und erweisen sich auf diese Weise gerade nicht als variationssensible Protokolle des faktischen Verlaufs. Ebenso wenig wie bei Common-Law-Gerichten wurden die Verhandlungen beim Kanzleigericht im Wortlaut protokolliert. Zu den Akten genommen wurden die bill, die answer des Beklagten, die interrogatories, depositions und affidavits.28 Alle anderen Beweisstücke, die sogenannten exhibits, gingen an die Parteien zurück, die Registratoren verzeichneten in Amtsbüchern zudem Beschlüsse und Verfügungen (court orders). Der Wortlaut des abschließenden Dekrets – sofern eines erging – wurde in die final decree rolls eingetragen.29 Aus d ­ iesem Grund hatten die Registratoren den Verhandlungen beizuwohnen. Auch die Interlokute wurden in Rollen verzeichnet. Die Mehrzahl der Prozesse endete, wie erwähnt, zwar ohne Schlussdekret, allerdings durchaus mit einer Entscheidung zur Nicht-Entscheidung, der Abweisung der Klage, die ebenfalls zu registrieren war, aber nicht in den Rollen, sondern in den minute books. Eher knapp waren auch die law reports gehalten. Seit dem frühen 17. Jahrhundert von Publizisten mit kommerziellen Absichten aus ganz unterschiedlichen Quellen kompiliert und in den Druck gegeben, wurden in diesen reports zunächst Sachverhalt und Streitgegenstand skizziert und dann die richterliche Entscheidung mit der daraus folgenden Konsequenz wiedergegeben.30 Das reichte 26 Holdsworth, A History of English Law, Vol. IX (wie Anm. 14), S. 369. 27 The National Archives of the UK (TNA), C 37. 28 Allg. zur Überlieferung der Equity-Gerichtsbarkeit des Court of Chancery vgl. Henry Horwitz, A guide to Chancery equity records and proceedings 1600 – 1800 (Public Record Office handbook, no. 27), Kew (London) ²1998. 29 TNA, C 78 und C 79. Die Amtsbücher finden sich unter C 33 („Entry Books of Decrees and Orders“). 30 Michael Macnair, The nature and function of the early Chancery reports, in: Chantal Stebbings (Hg.), Law reporting in England (Proceedings of the Eleventh British Legal History Conference, Oxford 1993), London 1995, S. 123 – 132. Für das Common Law gab

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den Lesern der reports allemal, doch über die konkrete Praxis des Entscheidens besagt dies nur wenig. Doch wie kommt man an diese Praxis heran? Im Unterschied zu den Möglichkeiten, die sich Ethnographen in der Gegenwart eröffnen, z. B. einen gerichtlichen Entscheidungsprozess über verschiedene Stadien und Sequenzen hinweg unmittelbar direkt beobachten und beschreiben zu können, bleibt der Historiker auf Überreste und Einzelheiten angewiesen. Aber daraus lassen sich gleichwohl auch Erkenntnisse gewinnen. Nehmen wir z. B. noch einmal Ferrers Darstellung des Court of Chancery (Abb. 1): Auch wenn Bilder stets bestimmten Genres folgen und nie einfach Abbilder realer Vorgänge sind, offenbaren diese doch interessante Details aus der Praxis des Kanzleigerichts. Wir sehen nämlich beispielsweise, dass sich Lordkanzler Macclesfield Notizen macht. Aus praxistheoretischer Perspektive ist nun sowohl interessant, was in diesen Notizbüchern steht, wie auch der Umstand, dass sich ein Richter bei der Verhandlung Notizen machte. Macclesfield pflegte diese Gewohnheit durchaus nicht als Einziger. Richterliche Notizen sind jedoch, da sie nicht zu den offiziellen Akten gehören, nur in wenigen Fällen überliefert worden. Die note books von Lordkanzler John Scott, Earl of Eldon, (Amtszeit 1801 – 1827) sind über Umwege in die Bibliothek der Georgetown University gelangt, wo sie als Digitalisat zugänglich gemacht und erforscht werden.31 Hardwickes umfänglicher Nachlass wurde wiederum Ende des 19. Jahrhunderts vom British Museum angekauft und lagert heute in der British Library. Darunter befinden sich auch 25 note books, die er in seiner Zeit als Lordkanzler von 1737 bis 1756 geführt hatte.32 Über die ganze Zeit folgten Hardwickes Notizen einem bestimmten Schema: Unter dem Tagesdatum notierte er zunächst den Fallnamen nach dem Muster plaintiff v. defendant. Dann machte er sich Notizen von den Ausführungen der einzelnen Anwälte, teilweise mit der Wiedergabe wörtlicher Rede, v. a. aber mit besonderer Aufmerksamkeit für die von ihnen genannten, für den Fall als einschlägig gewerteten Präzedenzfälle und Gesetze. Im Unterschied zu den minute books glättete Hardwicke den Verhandlungsverlauf in seinen note books also nicht. Am Schluss notierte Hardwicke dann seinen Entscheid, aber nur im Falle von abschließenden Dekreten erfolgte diese Notiz ausführlicher und unter der Angabe von Gründen. es reports bereits ein Jahrhundert früher, vgl. dazu jetzt John H. Baker, Law Reporting in England 1550 – 1650, in: International Journal of Legal Information 45 (2017), S. 209 – 218, mit der älteren Literatur. 31 John Scott Eldon, Judicial Notes, 11 Bde., London 1801 – 1821 (URL: http://hdl.handle. net/10822/1042299 [16. 03. 2020]). Erste Forschungen auf der Grundlage dieser note books haben z. B. das Verhältnis von Common Law und Equity herausgearbeitet, vgl. Michelle Johnson/James Oldham, Law versus Equity—as Reflected in Lord Eldon’s Manuscripts, in: American Journal of Legal History 58 (2018), S. 208 – 226. 32 British Library, Add Ms 36045 – 36069.

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André Krischer Abb. 4  Eines von drei note books, in denen Philip Yorke 1719 als junger Anwalt seine Beobachtungen von Prozessen vor der King’s Bench notierte, British Library, Add Ms 36027.

Das in den note books aus seiner Zeit als Lordkanzler gängige Notations-Schema pflegte Hardwicke bzw. Philip Yorke in ähnlichen Büchern bereits, als er 1706 seine juristische Ausbildung im Büro des Anwalts Charles Selkeld begann, und er setzte diese Gewohnheit fort, nachdem er 1715 als Anwalt praktizierte.33

33 Philip C. Yorke, The life and correspondence of Philip Yorke, earl of Hardwicke, lord high chancellor of Great Britain, Vol. I, Cambridge 1913, S. 55; British Library, Add Ms 36025 – 36027.

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Die Notizen dokumentierten gerichtliche Verhandlungen, bei denen er als Zuschauer zugegen war, die er also zu Lernzwecken festhielt. Das war ein übliches Vorgehen, denn neben der Lektüre von Lehrbüchern 34 gehörte die schriftgestützte Beobachtung und Reflexion von Gerichtsverhandlungen zur Ausbildung der englischen Juristen in der Frühneuzeit.35 Sir Edward Coke, einer der Granden des Common Law, führte derartige Notizbücher bereits im späten 16. Jahrhundert.36 Die note books stehen damit auch für den Übergang der englischen Rechtskultur von einer weitgehend mündlichen zu einer ganz erheblich von Schriftmedien getragenen Praxis.37 In der neueren Wissensgeschichte wird der Gebrauch von Notizbüchern in Medizin oder Naturphilosophie zu den „paper technologies“ gezählt.38 Dabei wurde gezeigt, dass Notizbücher als „Gedankenspeicher“ nur unzureichend beschrieben sind. Denn Notizbücher speichern nicht nur Wissen. Sie sind vielmehr, auf unterschiedliche Art und Weise, aktiv daran beteiligt, neues Wissen hervorzubringen. Das Führen von Notizbüchern wurde zudem mit Experimenten verglichen: In beiden Fällen geht es nämlich darum, zu beobachten, wie

34 Vgl. im Überblick John H. Baker, English Law Books and Legal Publishing 1557 – 1695, in: ders. (Hg.), Collected Papers on English Legal History, Cambridge 2013, S. 647 – 679; Thomas W. Evans, Study at the Restoration Inns of Court, in: Jonathan A. Bush (Hg.), Learning the law. Teaching and the transmission of law in England, 1150 – 1900, London 1999, S. 287 – 302. 35 Zumal nach der Erosion der juristischen Studien in den Inns of Court in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dazu die Ausführungen von William Holdsworth, A History of English Law. Vol. XII, London 1938, S. 15 – 40. 36 John H. Baker, The legal profession and the Common Law. Histor. essays (History series 48), London 1986, S. 177 ff. Cokes note books waren die Grundlage für seine autoritativen Kommentare (reports). Solche Notizbücher umfassen allerdings nicht nur Prozessbeobachtungen, sondern auch Präzedenzfälle, rhetorische Muster (Allgemeinplätze), Exzerpte und anderes. 37 John H. Baker, Oral Instruction in Land Law and Conveyancing 1250 – 1500, in: ders. (Hg.), Collected Papers on English Legal History, Cambridge 2013, S. 255 – 269; bislang ging es aber v. a. um die Lese-, nicht um die Schreibpraxis, so z. B. bei John H. Baker, Readers and readings in the Inns of Court and Chancery (Selden Society supplementary series 13), London 2000; die Studenten der Inns of court füllten ihre note books auch mit Vorlesungsmitschriften und Exzerpten aus Literatur und Dichtung und behandelten diese wie Kostbarkeiten, vgl. Margaret McGlynn, Idiosyncratic Books and Common Learning. Readings on Statutes at the Inns of Court, in: Lorna Hudson (Hg.), The Oxford Handbook of English Law and Literature. 1500 – 1700, Oxford 2017, S. 41 – 60, hier S. 56. 38 Für die Rechtsgeschichte vgl. dazu auch die Studien von Regina Maria Sprenger, ­Viglius van Aytta und seine Notizen über Beratungen am Reichskammergericht 1535 – 1537, ­Nijmegen 1988; Anja Amend-Traut, Reformer, Gelehrter, Dichter. Zum 500. Geburtstag Joachim Mynsingers von Frundeck (1514 – 1588), in: Zeitschrift für Europäisches Privat­ recht 2014, S. 337 – 348.

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Abb. 5  Aus den note books des Lordkanzlers Hardwicke: Einträge zum Fall Rawdon v. Shadwell. Die Notizen umfassen in d ­ iesem Fall nur anderthalb Seiten. Andere Fälle konnten dagegen viel mehr ausführlicher dokumentiert werden. Aber Rawdon v. Shadwell war auch ein vergleichsweise leichter Fall. Die Notizen hierzu enden auf der rechten Seite im oberen Drittel mit dem unterstrichenen „Decreed“, British Library, Add Ms 36068, p. 32 f.

­ nterschiedliche Elemente und Positionen aufeinander reagieren, wenn man sie u konkret miteinander in Beziehung setzt.39 Einen derart experimentellen Charakter besaßen bei Hardwicke allerdings erst die jüngeren note books. Denn während Yorke in den älteren Notizbüchern tatsächlich nur dokumentierte, notierte er als Lordkanzler nicht nur Informationen, sondern überarbeitete diese auch zugleich, und zwar durch Unterstreichungen. Die Notizen wurden durch ­solche Markierungen in mehr oder weniger relevante Passagen unterteilt. Ob die Unterstreichungen direkt oder erst in einem zweiten 39 Volker Hess/J. Andrew Mendelsohn, Paper Technology und Wissensgeschichte, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 21 (2013), S. 1 – 10.

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Durchgang vorgenommen wurden, ist nicht zu klären. Fest steht allerdings, dass er diese Markierungen bei der laufenden Verhandlung vornahm und nicht in seinem von der Gerichtsöffentlichkeit abgetrennten Hinterzimmer. Denn in ­diesem Fall wie auch in aller Regel entschied Hardwicke unmittelbar, ohne sich zuvor zur Beratung zurückzuziehen.40 Damit fehlte im Kanzleigericht die für Gerichtsverfahren sonst typische und auch expressiv hervorgehobene Trennung von Verhandlung und Entscheidung.41 Im Kanzleigericht waren Stuhlurteile möglich und üblich – und die Notizbücher eine wichtige praktische Bedingung dieser Möglichkeit. Denn durch sie wurden begrenzte Wirklichkeitsabschnitte definiert, innerhalb deren nach Optionen und möglichen Entscheidungen gesucht werden konnte. Bevor ich mich näher auf die Notizen fokussiere, skizziere ich den dazu beispielhaft herangezogenen Fall Rawdon v. Shadwell, der am 22. und 23. April 1755 verhandelt wurde. Eingereicht worden war die Klage bereits im November 1752, bis zum hearing hatte es also, aus unterschiedlichen Gründen, dreieinhalb Jahre gedauert. Bei dem Fall ging es um die Frage, ob der Kläger, Arthur Rawdon, verpflichtet war, eine aus verbotenem Glücksspiel mit Thomas Shadwell stammende Schuldverschreibung (bond) einzulösen und ob die zwischenzeitlich bereits getilgten Schulden mit Zinsen zurückzuerstatten waren. Gespielt hatten Rawdon und Shadwell bereits im September 1742, als beide als Marineinfanteristen in Leeds einquartiert waren. Shadwell war damals Hauptmann (captain), Rawdon Leutnant, und die beiden galten als beste Freunde und Zechkumpane, bis es eben ums Geld ging. Rawdon war bei dem Spiel in einer Spelunke in Leeds noch minderjährig – ob er aber auch volltrunken war, wie er behauptete, ließ sich nicht mehr eindeutig nachweisen. Immerhin wissen wir, was gespielt worden war, nämlich Backgammon und lansquenet, also Landsknecht, ein seit dem 17. Jahrhundert populäres Kartenspiel. Rawdon hatte dabei an einem einzigen Abend nicht weniger als £1.160 an seinen Kameraden verloren – also ein Vermögen – und Shadwell zunächst £60 in bar gezahlt, ­später noch einmal £150. Für den Rest hatte er die Schuldverschreibung ausgestellt.42 So viel zum Fall. Kehren wir aber nun zur gerichtlichen Praxis und hier zur richterlichen Notizbuchführung zurück. Hardwicke notierte zunächst die Ausführungen des Kläger-Anwalts William Noel, dem es wichtig war, auf die Minderjährigkeit und die damit fehlende Geschäftsfähigkeit seines Mandanten zum Zeitpunkt des Spiels hinzuweisen: „End of Bill is to have a Note of Bond given by by pl [ain]t[iff] to d [e]f [endan]t . deliv.d up to be cancelled + so much money as has been already p[aid]d. thereupon may be refunded. […]. The money £ 1160 was 40 Yale (wie Anm. 7), S. 62. 41 Lahusen, Rechtspositivismus (wie Anm. 4), S. 148 ff. 42 Die Akten zu ­diesem Fall (bill, demurrer, answer) finden sich in TNA, C 12/1176/3.

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won by d [e]f [endan]t fro[m] pl [ain]t[iff] at play at one sitting, when pl [ain]t[iff] was under age […]. Diesen Umstand habe der Beklagte in seiner answer auch zugegeben. Zusätzlich zitierte Noel zwei Statuten („9 Anna c: 14 . made all conveyances or oth[er] Securities void“) und einen Präzedenzfall (­Woodroff v. Farnham) aus den law reports des Thomas Vernon (1654 – 1721).43 Am folgenden Verhandlungstag (23. April) argumentierte der zweite Kläger-Anwalt, Charles Yorke, ein Sohn Hardwickes,44 mit Verweis auf Rawdons Minderjährigkeit, warum dieser die Rückzahlung der bereits geleisteten Tilgungen verlangen könne, auch wenn dafür eine gesetzliche Frist von drei Monaten einzuhalten sei. Hardwicke notierte offenbar den Wortlaut seines Sohns (mit den Streichungen und Unterstreichungen im Original): „I admit acting according to the act is to 9 Anne is to be sued within 3 years months, + this is long eff [ect] of time. But, at the time of winning this money, the pl [ain]t[iff] was an inf [an]t, + that is a ground for maintaining a Bill for refunding the money paid.“ Die Anwälte des Beklagten wollten zwar kein Fehlverhalten ihres Mandanten und keinen Grund für die Rückerstattung der Schulden erkennen. Hardwicke sah das jedoch anders und urteilte ganz im Sinne der Kläger: Die Schuldverschreibung musste an Ort und Stelle ungültig gemacht werden, das bisher durch sie eingeforderte Geld war zu erstatten. Aus einer Mitschrift des am Fall unbeteiligten Anwalts Thomas Sewell (der von 1764 bis 1784 als master of the rolls fungieren sollte) kennen wir den Wortlaut des Urteils etwas genauer.45 Demnach berief sich Hardwicke bei seinem Entscheid auf das Gesetz von Königin Anne, nicht auf die Minderjährigkeit des Klägers. Allerdings hielt er es für begründungsbedürftig, wieso der Rückzahlungsanspruch trotz der Überschreitung der Dreimonatsfrist noch bestand. Demnach bezog sich diese Frist nur auf Zahlungen, die zum Zeitpunkt des Spiels geleistet, nicht aber auf ­solche, die für die Zukunft in Aussicht gestellt wurden. Insofern bekam Rawdon aber auch nur die £150, nicht aber auch die unmittelbar beim Spiel gezahlten £60 zurück. Wir sehen: Lordkanzler Hardwicke konzipierte seine Aufzeichnungen so, dass er sie auf Urteilsgründe absuchen konnte, von denen einige in die offizielle 43 Thomas Vernon, Cases argued and adjudged in the High Court of Chancery. Published from the Manuscripts of Thomas Vernon, Late of the Middle Temple, Esq; By order of the High Court of Chancery, Bd. 2, Dublin 1726, S. 291. 44 Schon die Zeitgenossen fragten sich, ob die Vater-Sohn-Konstellation im Kanzleigericht nicht ein Problem sei. Die Hardwicke-Biographen pochten aber darauf, dass sie Privates und Juristisches trennen konnten und der Lordkanzler seinen Sohn nicht anders behandelte als andere Anwälte auch. Dieser Eindruck entsteht zumindest bei der Sichtung der note books auch. 45 Sewells Manuskripte liegen in der Inner Temple Library. Die Mitschrift wurde ediert in 27. Eng. Rep., S. 179 f.

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­ rteilsbegründung einflossen und bei denen andere ausweislich seiner UnterstreiU chungen offenbar auf ihn überzeugend oder wichtig wirkten, ohne dass sie in seiner Urteilsbegründung eigens auftauchten. Wir wissen nicht, ob Hardwicke den von Anwalt Noel zitierten Fall Woodroff v. Farnham (1693) kannte, aber darin geht es um eine moralische Verurteilung des Glücksspiels („Gaming ought to be discouraged in all Cases“).46 Vom gleichen Geist war auch das Gesetz 9 Anne 19 getragen, dessen Zitat durch Noel Lordkanzler Hardwicke als buchstäblich entscheidend betrachtete. Die Minderjährigkeit Rawdons damals beim Spiel, auf die Charles Yorke insistiert hatte, kam Hardwicke zwar wichtig vor – das können wir wieder mit dem Verweis auf entsprechende Unterstreichungen so sagen –, offiziell thematisierte er den Umstand allerdings nicht. Gleichwohl lieferte ihm sein Sohn den Hinweis auf die eigentlich erhebliche Fristüberschreitung – und vielleicht kann man die Streichung von years als Indiz dafür nehmen, dass er eigentlich von einer viel längeren Frist ausgegangen war. Da es sich aber eben nur um eine Dreimonats­frist handelte, musste Hardwicke dann schon erklären, warum er ihre massive Überschreitung dennoch nicht berücksichtigen wollte.

III.  Die anwaltlichen Handakten Wenn also Beiträge der Anwälte buchstäblich entscheidend wirken konnten, dann ist es wichtig, sich auch über die Herkunft dieser Beiträge Klarheit zu verschaffen. Genauso wenig wie der Richter hatten auch die Anwälte vor Gericht nicht alles im Kopf, sondern vielmehr die wichtigsten Informationen in ihren Handakten, den briefs, dabei. Man kann die Anwälte mit diesen briefs sowohl bei Ferrers sehen, als auch auf der Abbildung der Old Hall von Lincoln’s Inn. Angelegt wurden die Handakten von den solicitors, die damit den jeweiligen Fall für den barrister kondensierten, so dass er damit vor Gericht operieren konnte. Obwohl sich die solicitors sichtlich bemühten, die Handakten gebrauchsfertig zu gestalten, etwa durch ausgefeilte Layouts, die für Übersichtlichkeit sorgen sollten, musste der barrister den brief zuvor immer noch durcharbeiten, was zu den wenig geliebten Tätigkeiten eines Anwalts gehörte. Charles Yorke, von dem eine ganze Reihe von briefs überliefert sind,47 beklagte sich immer wieder darüber, dass ihm die Bearbeitung 46 TNA, C 12/1176/3 (wie Anm. 42). 47 Wie bei den Notizbüchern hängt auch die Überlieferung der briefs vom Zufall ab – hier von dem Umstand, dass auch der Nachlass von Charles Yorke gepflegt und schließlich zu den Hardwicke Papers in die British Library gelangte. Die briefs von William Noel wurden dagegen nicht überliefert. Sie wären für den Fall Rawden v. Shadwell von großem Wert gewesen, so aber müssen wir uns mit dem brief des zweiten barrister Charles Yorke begnügen.

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André Krischer Abb. 6  Die erste Seite aus der Handakte (brief) für den barrister Charles Yorke im Fall, British Library, Add Ms 36186, fol. 1.

der vielen briefs kaum noch Zeit für gesellschaftliche Verpflichtungen lasse.48 Das änderte aber nichts an der Akribie, mit der er seine Handakten las und annotierte. Im Fall Rawdon v. Shadwell umfasste der brief sechs Seiten. Auf der ersten Seite hatte der solicitor White zunächst vermerkt, dass es sich um einen brief für den Klagevertreter handelte (for plt.) – wer das genau war, stand beim Anfertigen einer solchen Handakte nicht fest, war aber auch nicht wichtig – den am Kanzleigericht tätigen barristers und den dort ebenfalls praktizierenden Kronanwälten (attorney und solicitor general) war es gleich, ob sie eine Klage vertraten oder die Verteidigung übernahmen. Die Überschrift nannte auch die Namen von Kläger und Beklagtem und präfigurierte damit das Fallkürzel (Rawdon v. Shadwell). Schließlich wusste der barrister durch die Überschrift noch, dass die Klage am 11. November 1752 eingereicht worden war.

48 Campbell (wie Anm. 1), S. 377; Harris, The Life of Lord Chancellor Hardwicke (wie Anm. 2), S. 441.

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Im Textteil hatte der solicitor die erste Seite in vier Abschnitte unterteilt: Er skizzierte zunächst den Sachverhalt, dann die Forderung, drittens Hinweise zum Ablauf des pleadings und viertens die answer. Dieser Skizze zufolge hatte der Beklagte beim pleading zunächst einen Einwand (demurrer) vorgebracht,49 diesen dann aber zurückgezogen und stattdessen seine answer eingereicht. Diese kopierte White im Wortlaut auf die zweite Seite der Handakte. Von Seite drei bis sechs enthält der brief Zeugenaussagen, und zwar ausschließlich ­solche für den Beklagten. Charles Yorkes Interesse galt allerdings vor allem der ersten Seite des briefs, die er mit einigen Marginalien versah. Bei der ersten Randbemerkung datierte Yorke den Fall auf den 22. September 1742 und vermerkte (u. a.) „pl[ain]t[iff] Inf[an]t under 21“. Genau diesen Punkt fokussierte Yorke, wie gesehen, dann auch vor Gericht. Die Rückseiten des briefs wurden dagegen (offenbar) erst während des Prozesses für Notizen genutzt. Yorke notierte hier nicht nur genannte oder ihm einschlägig vorkommende Präzedenzfälle, sondern auch Ausschnitte des Prozessverlaufs, so etwa den Einwand der barristers der Gegenseite, dass die Rückerstattung von bereits geleisteten Geldzahlungen an Fristen gebunden sei, und seine Antwort darauf: Obj.) But Act 9 p. gives remedy […] for money […] paid at play; Ans.) That is, if may paid at the time, not if paid upon Notes or Securities given, which are void by the Statute.

Eben ­dieses Argument, dass sich diese Frist nur auf unmittelbar gezahlte Spielschulden und nicht auf Schuldverschreibungen erstrecke, griff Hardwicke in seiner Urteilsbegründung wieder auf.

IV.  Entscheiden als selektiver Prozess Die Ausführungen zu Struktur und Verfahren des Kanzleigerichts dienten dazu, den Prozess des juristischen Entscheidens genauer zu konturieren. Wie lässt sich dieser Prozess nun systematisch charakterisieren? Entscheiden mündet in Entscheidungen, zumindest war dies im englischen Recht der Fall, wo Entscheidungen normativ erwartet wurden und ihr Ausbleiben Kritik hervorrief. Auch das Kanzleigericht schnitt dabei, trotz seiner notorischen Schwerfälligkeit, immer noch ganz gut ab. Worauf aber gründeten diese Entscheidungen? Jedenfalls nicht nur auf der Hauptverhandlung. Genau auf diese Phase, die gekennzeichnet ist durch Präsenz und mündliche Interaktion, bezieht sich aber Niklas Luhmanns ­Theorie 49 Rawdon bzw. sein solicitor begründeten ihren Einwand damit, dass Glücksspiel ein strafbares Delikt sei und er deswegen keine Aussagen machen müsse, mit denen er sich selbst belaste.

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des Gerichtsverfahrens – und erweist sich damit als zu eingeschränkt.50 An seiner grundsätzlichen Einsicht über die entscheidungsbezogene Funktion von Verfahren ändert das aber grundsätzlich nichts: Demnach werden im Verfahren Alternativen sukzessive selektiert und absorbiert und damit der Raum des Möglichen, einem Trichter gleich, soweit verengt, dass es zur endgültigen Entscheidung am Ende nur noch ein kleiner Schritt ist. Innerhalb der Systemstrukturen eines Verfahrens vollzieht sich Entscheiden somit als Prozess der Komplexitätsreduktion durch selektive Schritte. Zugleich stiftet das Verfahren Sinn, seine Rituale, Routinen und auch sein „Gehäuse“ (also Gerichtssäle) erzeugen eine Rahmung, die dem Geschehen erst die Bedeutung von Entscheiden zuweist. In Verfahren werden Entscheidungen nicht nur hergestellt, vielmehr wird ihre Herstellung auch dargestellt. Mit Selektionen sind wiederum keine subjektiven Wahlhandlungen gemeint, keine inneren und mentalen Vorgänge, sondern vielmehr eine differenzerzeugende Operation.51 Man muss sich darunter ganz konkrete Kommunikationssituationen oder praktische Handlungsvollzüge am und mit schriftlichem Material vorstellen – kurzum: Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die ersten selektiven Schritte wurden lange vor dem hearing genommen, der Prozess des Entscheidens reichte weit dahinter zurück und umfasste bereits die Phasen von pleading und Beweisaufnahme. Im Grunde begann er in dem Moment, als Arthur Rawdon das Büro seines solicitors betrat und von seinem Anliegen berichtete. In der Kommunikationssituation d ­ ieses Klientengesprächs wurde selektiert, insofern dabei ­zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem differenziert wurde; der solicitor wollte vermutlich nicht die „ganze“ Geschichte hören, sondern nur das, was er im rechtlichen Sinne für erheblich hielt. Der Prozess des Entscheidens setzte sich fort, als der solicitor ­dieses Anliegen dann in juristische Formulierungen und Formalitäten übersetzte, also die English bill aufsetzte. Damit wurde aus einem sozialen Konflikt – womöglich hatten Rawdon und Shadwell schon länger über die Spielschulden gestritten – eine gerichtliche Klage. Während sich der soziale Konflikt vielleicht um Moral und Freundschaft drehte, war die Klage rechtlich codiert. Das heißt, sie war in einer auf Entscheidbarkeit z­ wischen Recht 50 Es geht allerdings nicht darum, die systemtheoretische Rechts- und Verfahrenslehre hinter sich zu lassen, sondern vielmehr darum, sie um Perspektiven aus der Praxis- sowie AkteurNetzwerk-Theorie zu ergänzen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es, dass Verfahren nicht umstandslos mit Interaktion gleichzusetzen, vgl. für eine erste derartige Relationierung des Verfahrens mit anderen Systemen (Interaktion, Organisation, Gesellschaft) Thomas Scheffer, Ethnographie mit System am Beispiel von Englischen Strafverfahren, in: René John/Anna Henkel/Jana Rückert-John (Hg.), Die Methodologien des Systems, Wiesbaden 2010, S. 141 – 160. 51 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen ­Theorie, Frankfurt a. M. 1984, S. 56 f.

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und Unrecht hin angelegten Sprache formuliert.52 Der Prozess schritt fort, als der solicitor die bill in das six clerk office brachte, wo sie registriert und ihrer weiteren Verwendung zugeführt wurde. Um es nun kurz zu machen: Der Prozess umfasste sämtliche Verfahrensschritte von pleading und evidence, er engagierte alle daran beteiligten Akteure, die Sachbearbeiter, die clerks, die Kommissare, die Zeugen und die höheren Chargen, obschon in unterschiedlicher Art und Weise und Intensität. Der Entscheidungsprozess war damit nicht identisch mit dem formalen Gerichtsverfahren, sondern ein soziales System eigener Art. Man sieht daran: Entscheiden war nicht die Leistung eines Akteurs, sondern vielmehr die Leistung einer Verbindung von Akteuren.53 Entscheiden war also ein sozialer und ein kommunikativer Prozess, kein innerlicher Denkvorgang, sondern ein „verkörpertes Denkhandeln“.54 Genaugenommen war es aber nicht nur ein sozialer, sondern ein sozio-materieller Vorgang.55 Denn „Materialitäten“ waren dabei in unverzichtbarer Weise beteiligt: Verschiedene Aufschreibe- und Dokumentationsmedien – die bills und answers, die Amtsbücher und Formulare, die Interrogatorien, Handakten und Notizbücher machten beim Entscheiden 52 Auf die Entscheidungsbezogenheit der juristischen Sprache verweist eindringlich Thomas-­Michael Seibert, Gerichtsrede. Wirklichkeit und Möglichkeit im forensischen Diskurs (Schriften zur Rechtstheorie 222), Berlin 2004, S. 143 f. Mit „Sprachen“ sind hier die spezifisch codierten Diskurse eines gesellschaftlichen Funktionssystems gemeint, insofern kann man z­ wischen juristischen, politischen, wissenschaftlichen oder ökonomischen Sprachen unterscheiden. 53 Ich variiere hier die Formulierung „Handeln ist nicht das Vermögen von Menschen, sondern das Vermögen einer Verbindung von Aktanten“ von Bruno Latour, aus: Ders., Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt a. M. 2000, S. 221. 54 Robert Schmidt, Soziologie der Praktiken. Konzeptionelle Studien und empirische Analysen, Berlin 2012, S. 170. 55 „Materialität“ gehört seit einigen Jahren zu den Aufmerksamkeitsschwerpunkten der histo­ rischen Forschung, vgl. im Überblick dazu Kim Siebenhüner, Things That Matter. Zur Geschichte der materiellen Kultur in der Frühneuzeitforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 42 (2015), S. 373 – 409; Marian Füssel, Die Materialität der Frühen Neuzeit. Neuere Forschungen zur Geschichte der materiellen Kultur, in: Zeitschrift für Historische Forschung 42 (2015), S. 433 – 463. Mit der Materialitätsperspektive kann man die Geschichte von Dingen meinen, oder aber akzentuieren, dass sich soziale Aktivitäten eben nicht auf sinnhafte Vorgänge, auf Kommunikation und Interaktion reduzieren lassen, sondern dabei immer, und zwar in unhintergehbarer Weise, Dinge im Spiel sind. Dieser Perspektive, die danach fragt, wie Materialität Handeln vermittelt und überhaupt erst möglich macht, bin ich verpflichtet, vgl. dazu Latour, Die Hoffnung der Pandora (wie Anm. 53), S. 222 ff.; Schmidt, Soziologie der Praktiken (wie Anm. 54), S. 62 – 69; Thomas Scheffer, Neue Materialismen, praxeologisch, in: Behemot. A Journal on Civilisation 9 (2016), S. 93 – 107.

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einen Unterschied, ­machten ­dieses überhaupt erst möglich. Diese „Medien der Rechtsprechung“ (Cornelia Vismann) speicherten den Stand des Verfahrens, sorgten für Übersichtlichkeit und für die Verknüpfung von Positionen, Aussagen, Behauptungen, Bewertungen und Zwischenentscheidungen. Sie vermittelten ­zwischen unterschiedlichen Sequenzen des Verfahrens, z­ wischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, und wirkten bereits auf diese Weise selektiv, zuspitzend und komplexitätsreduzierend – also entscheidend. Nicht alles, was mündlich (beim solicitor, bei der Befragung des Beklagten oder der Zeugen) artikuliert wurde, wurde verschriftlicht; nicht alles, was verschriftlicht war (z. B. im brief), wurde mündlich mobilisiert. Die Kommunikationsstruktur des Verfahrens, der (z. T. gesetzlich vorgeschriebene) Wechsel z­ wischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, ­zwischen unterschiedlichen medialen Formaten, war selbst ein Faktor und eine Ressource gerichtlichen Entscheidens. In materieller Hinsicht fußte der Prozess des Entscheidens also einerseits auf einer medial gemischten, andererseits aber auch auf einer räumlichen Infrastruktur. Man denkt dabei zuerst an den Gerichtssaal, leistete dieser doch einen ganz erheblichen Beitrag zur Situationsdefinition. Für das Entscheiden war er eine unverzichtbare Ressource, gerade weil er auch ungleiche Machtverhältnisse visualisierte und damit die Legitimation einer Entscheidung beförderte.56 Doch zu den Raumstrukturen gehörten nicht nur der Gerichtssaal als Schau- und Vorderbühne des Entscheidens, sondern auch Hinterbühnen wie die Amtsstuben der clerks. Neben dem six clerk office gab es an der Chancery Lane noch das registrars’office, das examiners’ office, das subpoena office und andere mehr. In diesen offices wurden die genannten Medien entgegengenommen, autorisiert, zwischengelagert und für die Verwendung vorbereitet und zugeteilt. Die Reformvorschläge, die ab dem späten 18. Jahrhundert bezüglich des Court of Chancery unterbreitet wurden, bezogen sich auch auf ­solche Raumstrukturen, und nicht nur auf das Verfahren im engeren Sinne. Dabei ging es nicht nur um die Lage der Büros, sondern auch um deren Ausstattung, also um Schreibtische oder Aktenschränke. Zum Prozess des Entscheidens gehörten zudem nicht allein gerichtsinterne Verrichtungen, sondern auch Beiträge, die extern erarbeitet wurden. Die Arbeit der Anwälte (solicitors, barristers) in ihren Büros und an ihren Akten waren die 56 Thomas Scheffer, Materialitäten im Rechtsdiskurs. Von Gerichtssälen, Akten und Fallgeschichten, in: Kent D. Lerch (Hg.), Recht vermitteln. Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht, Berlin 2005, S. 349 – 376; Thomas Scheffer, Adversarial case-making. An ethnography of English Crown Court procedure (International studies in sociology and social anthropology 116), Leiden/Boston 2010, S. 168 ff.; André Krischer, Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratsprozesse 1554 – 1848 (Verhandeln, Verfahren, Entscheiden), Münster 2017, S. 473 – 486.

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­ ichtigsten Beispiele dafür. Gerade die Arbeit der barristers an ihren briefs lieferten w die im Wortsinn entscheidenden Selektionsvorschläge, die beim hearing mobilisiert (auch dazu waren mediale und materielle Voraussetzungen nötig!), vom Richter angenommen und in Entscheidungen überführt werden konnten. Stellt man diese Faktoren in Rechnung, dann müsste man genau genommen nicht nur von einem Prozess, sondern vielmehr von einem Netzwerk des Entscheidens sprechen, im Sinne der Vernetzung von selektiven Leistungen und Beiträgen aus ganz unterschiedlicher Provenienz. Auch das richterliche Entscheiden Hardwickes lässt sich mit dieser soziomateriellen Perspektive besser erfassen, weil es sich in Wirklichkeit nicht als rein kommunikativer (und schon gar nicht als rein kognitiver) Akt darstellte, sondern vielmehr als eine körperlich fundierte (Schreiben!57) und interobjektive, mit den note books operierende Praxis. Diese Notizbücher waren nicht nur Gedankenspeicher, sondern ein Produktionsmittel beim Entscheiden. Auch das war natürlich eine Leistung, ganz zu schweigen von der Rolle, die der Richter auf der symbolisch-expressiven Ebene spielte und damit an der Legitimation der Entscheidung mitwirkte. Aber die Entscheidung war eben keine individuelle Leistung, sondern eine, die ganz erheblich auf Vorleistungen beruhte, die von anderen Akteuren teilweise in kleinteiliger und unscheinbarer Weise erbracht worden waren. Insofern ist es nicht nur in metaphorischer Weise möglich, zu sagen: Das Gericht hat entschieden.

57 Vgl. zur Körperfundierung des Schreibens Hilmar Schäfer/Larissa Schindler, ­Schreiben, in: Robert Gugutzer/Gabriele Klein/Michael Meuser (Hg.), Handbuch Körper­ soziologie, Bd. 2: Forschungsfelder und Methodische Zugänge, Wiesbaden 2017, S. 471 – 485, hier S. 474 ff.

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Zum richterlichen Selbstverständnis der Reichsgerichtsräte I.  Zuständigkeit des Reichsgerichts in Zivilsachen „Es ist ungemein reizvoll, der Rechtsprechung des Reichsgerichts in den letzten beiden Jahrzehnten des Gemeinen Rechts nachzugehen. Allgemeine Richtlinien, denen unser höchster Gerichtshof – wenn auch nur unbewußt – gefolgt wäre, aufzudecken […]“, stellte Wedemeyer 1 1930 zu Recht fest. Und hieraus Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Reichsgerichtsräte bei der Ausübung ihrer Rechtsprechungstätigkeit im Bereich des Zivilrechts vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ziehen, ließe sich ergänzen. Im Bereich des Zivilrechts war das Reichsgericht (wie heute der Bundesgerichtshof ) für Revision und Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der einzelstaatlichen Oberlandesgerichte zuständig, § 135 GVG. Der Rechtsmittelführer konnte also ausschließlich eine Rechtsverletzung rügen. In Betracht kam zunächst die Verletzung des – freilich noch spärlichen – Reichsrechts. Über die Zuständigkeit des Reichsgerichts für Rechtsverletzungen bei der Anwendung der Partikularrechte und des gemeinen Rechts hatte es in den 1870er-Jahren erhebliche Auseinandersetzungen gegeben. Zwar bestand überwiegend Einigkeit dahingehend, dass das Reichsgericht für Rechtseinheit zu sorgen habe. Darunter ließ sich aber die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung allein des Reichsrechts genauso verstehen wie darüber hinaus die einheitliche Anwendung der großen Partikularrechte in ihrem jeweiligen Geltungsbereich oder sogar die Erzeugung von Rechtseinheit im Deutschen Reich insgesamt, also über die Grenzen der einzelnen Rechtsmassen hinaus. Aus den vielen zeitgenössischen Diskussionsbeiträgen geht nicht eindeutig hervor, ­welche Form der Rechtseinheit der jeweilige Verfasser gemeint hat. Zurückhaltung war umso mehr angezeigt, als zu Beginn des Diskussionsprozesses die Verfassung des Deutschen Reichs keine Reichskompetenz für die Schaffung einer Zivilrechtskodifikation vorgesehen hatte. Wie sollte dann das Reich ein Gericht errichten können, das gleichsam durch die Hintertür Rechtsvereinheitlichung im Bereich des gesamten Zivilrechts betrieb? Gneist hatte schon auf dem 9. Deutschen Juristentag 1871 einen Vorschlag gemacht, der schließlich Grundlage der Gesetzgebung werden sollte: „Das künftige Reichsgericht ist zu konstituiren als höchster Gerichtshof nicht nur über die 1 Wedemeyer, Das Reichsgericht und das Gemeine Recht, S. 187.

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Reichsgesetzgebung sondern auch über das Geltungsgebiet des gemeinen Rechts, des preußischen Rechts, des rheinischen Rechts und der gleichbedeutenden allgemeinen Gesetze und Rechtsbildungen, die über die Bedeutung eines bloßen Provinzial- oder Lokalrechts hinausgehen“.2 Für die Revisibilität des Landesrechts bestimmte § 511 CPO schließlich: „Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Verletzung eines Reichsgesetzes und eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinauserstreckt, beruhe“. Vor dem Hintergrund dieser eng gefassten Zuständigkeit war dem Gericht offenbar nicht aufgetragen, für Rechtseinheit in Deutschland insgesamt zu sorgen. Der beschränkte Auftrag des Gerichts wird auch an der Geschäftsverteilung und der Besetzung der Spruchkörper des Reichsgerichts deutlich: Die Zuständigkeit der Senate war nämlich nicht etwa an Sachfragen ausgerichtet, sondern an Rechtsordnungen: Der erste Zivilsenat behandelte ausschließlich das ADHGB, der zweite Zivilsenat daneben französisches Recht, der dritte Zivilsenat gemeines Recht, bayerisches Recht, soweit nicht das BayObLG zuständig war, und württember­ gisches Recht, vierter und fünfter Zivilsenat waren ausschließlich mit preußischem Recht befasst. Alsbald trat ein sechster Senat hinzu. Diese Aufteilung war freilich auch dem Umstand geschuldet, dass ein Richter nicht alle revisiblen Rechte gleichermaßen auf hohem Niveau beherrschen konnte 3 und eine s­ olche Einteilung nach Rechten deshalb schlicht effektiver war als eine Einteilung nach Sachgebieten – ansonsten hätten die Richter „promiscue Fragen aus allen jenen verschiedenen Gebieten des Civilrechts behandeln“ 4 müssen. Rocholl 5 beklagte deshalb, man habe „für das Civilrecht statt eines Höchst­gerichts in Wirklichkeit sechs Höchstgerichte“ errichtet. Ob dies zutraf, welches Bild von Rechtseinheit die Reichsgerichtsräte vor Augen hatten und mit welchem Selbstverständnis sie ihre Rechtsprechungstätigkeit ausübten, lässt sich nur im Wege einer Rechtsprechungsanalyse ermitteln, denn es sind nur wenige Äußerungen der Räte zu dieser Frage überliefert.

2 Gneist, Verhandlungen des 9. Deutschen Juristentags, Bd. III, S. 366, genauso dann Verhandlungen des 10. Deutschen Juristentags, Bd. II, S. 192. 3 Lobe, Fünfzig Jahre Reichsgericht, S. 24. 4 Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. I, S. 1619 (Bähr). 5 Rocholl, Die Revision in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und ihre Grenzen, S. 286; kritisch auch: Stenglein, Das Reichsgericht im Jahre 1895, S. 26.

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II.  Zur Judikatur des Reichsgerichts in Zivilsachen 1.  Zurückdrängung von Partikularrechten durch Einheitsrecht Die Reichsgerichtsräte hatten die Einheitlichkeit der Anwendung des Reichsrechts sicherzustellen. Soweit bereits reichseinheitliches Recht bestand, wirkte d­ ieses allerdings nicht nur über die mit seinem Erlass unmittelbar verbundene legislative Abschaffung partikularer Rechtsnormen vereinheitlichend, sondern auch mittelbar durch die Judikatur des Reichsgerichts, das insbesondere konkurrierende Partikularrechte zurückdrängte.6 Das Reichsgericht unterstellte, der Reichsgesetzgeber wolle die durch ein Reichsgesetz betroffene Materie stets abschließend regeln, so dass konkurrierende partikularrechtliche Normen oder Ansprüche im gesamten Regelungsbereich nicht mehr in Betracht kommen könnten. Ein Reichsgericht, das so argumentiert, macht das Reichsrecht letztlich über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus zum rechtspolitischen Kampfinstrument gegen das fortgeltende Partikularrecht und nimmt eine gesetzgebergleiche Position ein. Dabei ging das Reichsgericht sogar soweit, zur Erreichung seines Zieles unter Zurückdrängung des im Rheinland geltenden französischen Rechts massive Gerechtigkeitslücken beispielsweise im Markenschutzrecht in Kauf zu nehmen.7 Entscheidend dürfte hier die politische Situation gewesen sein, vor deren Hintergrund die Urteile (es ging um den Schutz der bis heute bekannten Mineralwassermarke „Apollinaris“ 8 gegen Nachahmerprodukte) ergangen sind: Das französische Recht sollte vor dem Recht des jungen deutschen Reiches, das gerade im Begriff war, sich eine einheitliche Zivilrechtsordnung zu geben, zurücktreten.9 Hier, wie in vielen anderen Bereichen, ging diese nationale Rechtsvereinheitlichung auf Kosten des europäischen Entscheidungseinklangs, denn nicht nur das französische Recht, sondern etwa auch das österreichische Recht sah einen wesentlich weitergehenden Schutz als das deutsche Markenschutzgesetz vor. Die Rechtsprechung war aber nicht nur politisch orientiert. Das Reichsgericht wagte offenbar auch nicht, „durch Aufstellung von Schranken den soeben errungenen Grundsatz der Gewerbefreiheit wieder einzuengen“ und machte sich damit nicht zum Hüter des Wettbewerbs, sondern zum „Hüter der Unlauterkeit“.10 Erst 1909 schuf der Gesetzgeber Abhilfe. 6 M. Löhnig, Rechtsvereinheitlichung trotz Rechtsbindung, S. 18 ff. 7 E. Wadle, Das rheinisch-französische Deliktsrecht und die Judikatur des Reichsgerichts zum unlauteren Wettbewerb, S. 79 ff. 8 RGZ 1, 26 26 ff.; RGZ 3, 67 67 ff. 9 Vgl. dazu D. Klippel/G. Lies-Benachib, Der Schutz von Persönlichkeitsrechten um 1900. 10 A. Baumbach/W. Hefermehl, UWG. Einleitung UWG, Rn. 16.

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2.  Etablierung einer revisiblen einheitlichen Methode Eine nähere Betrachtung verdienen auch Methode, Arbeits- und Argumentationsweise der Reichsgerichtsräte. Sie fanden nicht nur zügig zu einem einheitlichen Stil beim Abfassen ihrer Entscheidungen, was angesichts der regional sehr unterschiedlichen Gewohnheiten keineswegs selbstverständlich war. Sondern sie entwickelten schnell auch Standards in Hinblick auf bestimmte Denkoperationen und fanden Wege, für deren Einhaltung durch die Untergerichte zu sorgen, indem sie die Einhaltung dieser Standards prüften und erforderlichenfalls ihre eigenen Schlüsse an die Stelle der untergerichtlichen Schlüsse stellten; ­solche einheitlichen Standards sorgen mittelbar wiederum für Vereinheitlichung auch auf inhaltlicher Ebene, weil zum Beispiel die Vorgänge der Ermittlung von Gewohnheitsrecht und der Auslegung von Rechtsnormen und Verträgen nicht inhaltsneutral sind. Zudem erweiterte das Gericht dadurch seine Möglichkeit inhaltlicher Einflussnahme, dass es juristische Denkoperationen als s­ olche für revisibel hielt und Fehler bei einer derartigen Operation Gesetzesanwendungsfehlern gleichstellte. Diese juristischen Denkoperationen waren methodische Werkzeuge, deren Anwendungsgebiet über den Geltungsbereich eines Partikularrechts hinausreichte, auch wenn dies für das jeweils einschlägige Sachrecht nicht der Fall war. Revisibel war beispielsweise der Vorgang der Ermittlung von partikularem Gewohnheitsrecht als solcher.11 Rechtsstreitigkeiten, für deren Entscheidung partikulare Rechtsgewohnheiten einschlägig sein konnten, gelangten auf diese Weise vor das Reichsgericht, das Rechtsvereinheitlichung betreiben konnte, indem es die Existenz partikularen Gewohnheitsrechts zugunsten der jeweils subsidiär geltenden größeren Rechtsmasse (in der Regel dem ius commune) nahezu stets ablehnte, ohne dabei eine konzise ­Theorie zu Fragen der Ermittlung von Existenz und Reichweite einer Rechts­ gewohnheit zu entwickeln. Vielmehr fand das Gericht von Fall zu Fall immer nur Argumente, die im vorliegenden Einzelfall das Vorliegen von Gewohnheitsrecht ausschlossen. Vieles spricht dafür, dass diese Vorgehensweise durch den Blick auf das Ergebnis gerichtet war. Revisibel war auch ein Verstoß gegen „allgemeine Auslegungsregeln“, selbst wenn die entscheidungserheblichen Normen nicht revisibel waren, weil das Gericht die Auslegung auf eine allgemeingültige materiell-rechtliche Grundlage zurückführte.12 Infolgedessen konnte das Reichsgericht 13 seine eigene Auslegung an die Stelle der Auslegung durch das Berufungsgericht setzen und den Rechtsstreit auf dieser 11 RGZ 2, 182 ff. 12 M. Löhnig, Rechtsvereinheitlichung trotz Rechtsbindung, S. 37 ff. 13 RGZ 5, 367 ff.

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Grundlage entscheiden; auch hier hat immer wieder die Auslegung partikularen Rechts in Richtung auf den gemeinrechtlichen Mainstream eine Rolle gespielt. Revisibel war nach Auffassung des Gerichts stets auch die Verletzung von Auslegungsregeln bei der Vertragsauslegung.14

3.  Gemeines Recht als Hebel zur Rechtsvereinheitlichung Die Anwendung und Fortentwicklung kleinerer, inhaltlich weniger eigenständiger oder lückenhafter Partikularrechte unterblieb immer wieder zugunsten der Anwendung übergeordneter gemeinrechtlicher Rechtsprinzipien. Die Partikularrechte wurden zum Teil schlicht übergangen, zum Teil als mit dem Gemeinen Recht identisch angesehen. Auf diese Weise wurden partikulare Besonderheiten etwa im Eherecht beseitigt. Die Revisibilität dieser partikularrechtlichen Normen konnte überhaupt erst durch die Behauptung ihrer Übereinstimmung mit Gemeinem Recht erreicht werden. Eine partikulare Rechtsnorm war ja grundsätzlich nur dann revisibel, wenn sich ihr Geltungsbereich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckte, was bei vielen Partikularrechten nicht der Fall war. Hierbei berief sich das Gericht selten auf das römischrechtlich geprägte ius commune, sondern recht häufig auf ein angebliches „gemeines deutsches Recht“ 15, mit welchem partikularrechtlich geregelte Rechtsinstitute identisch ­seien. Belege für die Existenz eines solchen gemeinen deutschen Rechts führte das Gericht in aller Regel nicht an. In der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts war es hochumstritten, ob es neben dem seit der Rezeption geläufigen gemeinen römischen Recht auch gemeines deutsches Recht gebe. Es kommt hier freilich nicht darauf an, ob es vor der Rezeption römischen Rechts in Deutschland tatsächlich gemeinsame germanische Rechtsüberzeugungen gegeben hat, so dass man deswegen von der Geltung eines Rechtssatzes in vielen Partikularrechten auf seine „Gemeinheit“ schließen dürfte, weil die Tatsache verbreiteter Geltung gleichsam als Spur einer germanischen Einheit zu betrachten war, und man einen solchen Rechtssatz dann jedenfalls subsidiär anwenden konnte. Es interessiert vielmehr allein, dass sich das Reichsgericht 16 zu der Auffassung bekannte, es existiere ein unmittelbar gewohnheitsrechtlich geltendes gemeines „Deutsches Privatrecht“, ohne sich jemals dazu einzulassen, auf ­welche Weise es mit dem „Deutschen Privatrecht“ gearbeitet hat. 14 RGZ 2, 379 ff. 15 Erstmals RGZ 1, 89. 16 Zum Beispiel RGZ 5, 403 ff.; RGZ 9, 189 ff.

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Folge dieser Revisibilität war wiederum, dass Veränderungen auch auf inhaltlicher Ebene tatsächlich erreicht werden konnten. Denn war die Identität einer ­solchen Norm mit gemeinem Recht behauptet, so dass die Norm schlicht als positiviertes gemeines Recht erschien, dann war es erstens möglich, diese Norm auch nach gemeinrechtlichen Grundsätzen zu behandeln, und zweitens möglich, dafür zu sorgen, dass Partikularrecht als positiviertes Gemeines Recht und ungeschriebenes Gemeines Recht möglichst übereinstimmten.

4.  Das Reichsgericht als Gesetzgeber Weil die wirtschaftliche Entwicklung und Integration im Deutschen Reich voranschritt, konnte und musste das Reichsgericht praeter legem das Recht effektiv fortentwickeln. Diese Fortentwicklung erfolgte über die Grenzen verschiedener Rechtsmassen hinaus inhaltlich einheitlich und oftmals unter Bruch mit den bisherigen Entwicklungslinien. Das Reichsgericht entwickelte hierzu in den ersten zwanzig Jahren seiner Tätigkeit verschiedene Instrumente, mit denen es selbst reichsweit rechtsschöpfend tätig werden konnte. Das Gericht behauptete beispielsweise das Vorliegen reichs­ weiten Gewohnheitsrechts oder Gemeinen Rechts, wenn es selbst Recht schuf, und diskreditierte gegenteilige Auffassungen als „abweichende Praxis“ oder schlicht „unzutreffend“.17 Außerdem beteiligte sich das Gericht am Gesetzgebungsdiskurs, indem es Regelungen aus BGB-Entwürfen bereits frühzeitig anwandte, so im Bereich des Pflichtteilsrechts, oder dem Gesetzgeber indirekt Empfehlungen gab, wie beispielsweise im Bereich des Schmerzensgeldes.18 Hier nahm das Gericht in zwei kontroversen Entscheidungen aus dem Jahre 188219 gegen die bislang gängige Auffassung und gegen die auch im Rheinland geläufige Praxis französischen Rechts die fünf Jahre s­ päter in den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgenommene restriktive Regelung vorweg. Die Judikatur des Gerichts erscheint hier dezidiert politisch. Auch im Bereich der exceptio doli generalis scheinen die Rechtsprechung des Reichsgerichts über die einzelnen Rechtsmassen hinaus und die Gesetzgebungsarbeiten sich gegenseitig bestärkt zu haben.20 17 Vgl. K. Luig, Rechtsvereinheitlichung durch Rechtsprechung in den Urteilen des Reichsgerichts von 1879 bis 1900 auf dem Gebiete des Deutschen Privatrechts, ZEuP 1997, S. 762 ff. 18 Dazu N. Kafitz, Der Kampf ums Schmerzensgeld im Vorfeld des BGB am Beispiel zweier Reichsgerichtsurteile aus 1882, Mannheim 2005. 19 RGZ 7, 295 ff.; RGZ 8, 117 ff. 20 H.-P. Haferkamp, Das BGB und seine Richter, S. 1 ff.

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Außerdem schuf das Reichsgericht praeter legem selbst Einheitsrecht, das den Bedürfnissen der fortschreitenden Industrialisierung genügen sollte, so etwa im Recht der Mobiliarsicherheiten. Die deutschen Partikularrechte kannten in der Mitte des 19. Jahrhunderts zumeist nur ein Besitzpfandrecht. Der Grund dafür liegt in der Möglichkeit des Missbrauchs besitzloser und damit publizitätsloser Pfandrechte zu Lasten des Rechts- und Kreditverkehrs. Die wirtschaftliche Entwicklung zur Zeit der Industrialisierung erzeugte jedoch einen immensen Bedarf an Verbraucher- und Produzentenkrediten. Die Mehrzahl der Bürger, Handwerker, kleinen Händler und Gewerbetreibenden verfügte jedoch über kein Grundeigentum und konnte Kreditgebern deshalb keine Grundpfandrechte als Sicherheiten bestellen. Eine Verpfändung wertvoller Mobilien schied aus, weil diese Gegenstände vielfach unentbehrlich waren und gerade bei Gewerbetreibenden oftmals die wirtschaftliche Grundlage des Gewerbes bildeten. Es bestand deshalb das Bedürfnis nach einer besitzlosen Mobiliarsicherheit zur Sicherung gegen konkurrierende Gläubiger. Mangels entsprechender gesetzlicher Regelung wurden deshalb Mobilien unter Vereinbarung eines Rückkaufrechts an den Kreditgeber verkauft und übereignet, der sie wiederum dem Kreditnehmer vermietete. Kaufpreis und Darlehensschuld wurden verrechnet, der Rückkaufpreis entsprach der Darlehensschuld, der Mietzins dem Darlehenszins. Das Reichs­ gericht 21 erkannte diese von der Rechtspraxis contra legem entwickelte (bis heute gängige) Sicherungsübereignung an.22 Auch im Bereich nachbarrechtlicher Nutzungskonflikte entwickelte das Gericht ein mit der gemeinrechtlichen Tradition brechendes einheitliches Instrumentarium, das es über die Schwelle des Jahres 1900 hinaus beibehielt und weiterentwickelte.23

III.  Von einem frischen Nationalgefühl beseelt… Verstanden sich die Reichsgerichtsräte nun als sechs Höchstgerichte in einem? Oder sahen sie sich als Akteure bei der inneren Reichsgründung, zu der sie durch ein Vorantreiben der Rechtsvereinheitlichung vor Schaffung eines einheitlichen Sachrechts beitragen konnten? Eindeutige Erwartungen waren schon auf dem 10. Deutschen Juristentag 1872 geäußert worden: Das Reichsgericht werde „die Rechtseinheit schon herbeizubringen wissen; [es] wird diese Klippen, die sich ihm entgegenstellen, schon zu beseitigen wissen“.24 21 22 23 24

RGZ 2, 168 ff.

M. Löhnig, Treuhand, Tübingen 2006, S. 13 ff. A. Thier, Das BGB und seine Richter, S. 407 ff. Verhandlungen des 10. Deutschen Juristentags, Bd. II, S. 196.

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Die kursorische Rechtsprechungsanalyse, die dringend durch eine Analyse nichtpublizierter Entscheidungen und möglicherweise erhaltener Verfahrensakten zu verbreitern wäre, zeigt, dass sich die Tätigkeit des Reichsgerichts nicht auf die Sicherung einer einheitlichen Anwendung des Reichsrechts oder der großen Partikularrechte beschränkte. Die Reichsgerichtsräte waren vielmehr darüber hinaus unmittelbar rechtsvereinheitlichend tätig. Nicht gesagt ist damit, die Reichsgerichtsräte hätten unter Verletzung der Gesetzesbindung der Judikative contra legem umfassend Rechtsvereinheitlichung betrieben. Ihre Arbeit beruhte auch keineswegs allein auf gemeinrechtlichen Fundamenten, auch wenn in der Literatur mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichts häufig das römische Recht als „supranationale, gewissermaßen unsichtbare Autorität“ 25, beruhend auf einer „einheitlichen Rechtshochkultur“ 26 beschworen wird. Jedoch nutzten die Räte die bestehenden Spielräume großzügig aus. Schnell entwickelte sich zudem eine gewisse Eigendynamik der Arbeit der Reichsgerichtsräte, wie etwa das zügige Eintreten einer Selbstreferentialität im Zitierverhalten unter Verzicht auf Nachweise aus der Judikatur anderer Obergerichte vor 1879 zeigt. Henrici, der Vorsitzende des III. Zivilsenats 27, deutete bereits 1886 in einem Aufsatz an, es habe sich trotz der unterschiedlichen Herkunft der Richterschaft sehr bald ein gemeinsames Selbstgefühl entwickelt. Dieses Selbstgefühl dürfte die Richter in ihrem gemeinsamen gemeinrechtsorientierten Vorgehen bestärkt haben. Die Reichsgerichtsräte waren nach der Reichsgründung überdies „von einem frischen Nationalgefühl beseelt“.28 Ihre Tätigkeit ­zwischen 1879 und 1899 erscheint in gewissen Grenzen als ein Vorgang selbst einheitliches Recht schöpfender Rechtsprechung. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind im Prozess der Rechtsvereinheitlichung nicht voneinander zu trennen. Sie sind vielmehr aufeinander bezogen, ergänzen sich und bedingen einander zugleich; beide schaffen auf unterschiedliche Weise Recht und stehen in Wechselwirkung zueinander. Freilich hängt vom „Rechtsquellenrang [der Rechtsprechung] im Gesamthaushalt der Rechtsquellen […] ihre Fähigkeit, Rechtseinheit generell oder partiell bewirken zu können, ab“.29

25 H. H. Seiler, Das Reichsgericht und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, S. 153. 26 J. Rainer, Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts bis zum Inkrafttreten des BGB. Ein Modellfall für den Europäischen Gerichtshof?, ZEuP 1997, S. 760. 27 P. C. Henrici, Das deutsche Reichsgericht, S. 1 ff. 28 U. Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Rechtsprechung. Anmerkungen aus der Sicht eines ehemaligen europäischen Richters, ZEuP 1997, S. 803. 29 H. Mohnhaupt, Rechtseinheit durch Rechtsprechung? Zu ­Theorie und Praxis gerichtlicher Regelbildung im 19. Jahrhundert in Deutschland, S. 125.

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Diese Fähigkeit war im 1871 gegründeten Deutschen Reich jedenfalls im Bereich des Zivilrechts stark ausgeprägt. Zum einen bestand eine erhebliche Rechtszersplitterung, wodurch das Gesetz als Rechtsquelle geschwächt wurde, zum anderen bestand ein starker Drang zur Schaffung von Rechtseinheit – der äußeren Reichsgründung sollte die innere Reichsgründung folgen und ein zersplittertes Zivilrecht genügte nicht mehr den Vorstellungen der Zeit. Überdies war das geltende Recht nicht stets der wirtschaftlichen Dynamik gewachsen. Reichsgerichtsrat a. D. Loebell 30 stellt 1898 rückblickend fest: „Noch ist das zweite Jahrzehnt nicht abgelaufen, seit durch die Reichs-Justiz-Gesetze unserem Volke die Einheit des gerichtlichen Verfahrens, durch die Begründung des Reichsgerichts – soweit dies vor dem Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetzbuchs möglich – auch eine gewisse Einheit des materiellen Rechts gewährt wurde“. Für ihn ist das Reichsgericht eine „Verkörperung unserer nationalen Einheit“. Und Hachenburg 31 zog zum 25. Geburtstag des Gerichts 1904 Bilanz: Zunächst habe das Reichsgericht die Partikularrechte konservativ angewandt, „es betrachtete sich als Erben der Vergangenheit, wenn auch cum beneficio inventarii“.32 Trotzdem: „Die künftige Einheit des ganzen Zivilrechts leuchtet schon durch, wenn das Reichsgericht in den Erkenntnissen aus dem preußischen Rechte sich auf eines seiner Urteile im Gebiete des gemeinen oder des französischen Rechts beizieht und so wechselweise bei anderen Urteilen. Ganz besonders wirkte die Einheit des obersten Gerichts auf die partikularen Rechte zurück in Fragen, die erst durch die Bedürfnisse der modernen Wirtschaft aufgeworfen wurden“.

Deutlich pathetischer formulierte Schulz 33 zum 50. Jubiläum des Reichsgerichts: „Im Vollgefühl der neu errungenen Einheit nach außen ging man daran, das Haus im Innern auszubauen“, obschon weder die Verfassung des Norddeutschen Bundes noch die Bismarck-Verfassung ein Reichsgericht überhaupt vorgesehen hatten. Die Reichsgerichtsräte dürften sich demnach nicht nur als Rechtsanwender, sondern auch als wichtige Arbeiter auf dieser Baustelle verstanden haben.

30 Loebell, Reichsgericht, Rechtswissenschaft und Tagespresse, S. 9 ff. 31 Hachenburg, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen, Sp. 880 ff., der das Recht der Sicherungsübereignung als Beispiel nennt. 32 Hachenburg, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen, Sp. 881. 33 Schulz, Leipzig und das Reichsgericht, S. 6.

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Autorenverzeichnis Anja Amend-Traut, Professorin für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht, Universität Würzburg Hans-Jürgen Becker, Professor für Bürgerliches Recht, Europäische Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, Universität Regensburg Ignacio Czeguhn, Professor für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische sowie vergleichende Rechtsgeschichte, Freie Universität Berlin Wolfgang Ernst, Regius-Professor für Civil Law, Universität Oxford/England Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof i. R., Karlsruhe, Baden-Baden John D. Ford, Professor für Civil Law, Universität Aberdeen/Schottland Mark Godfrey, Professor für Rechtsgeschichte, Universität Glasgow/Schottland Mia Korpiola, Professorin für Rechtsgeschichte, Universität Turku/Finnland André Krischer, Privatdozent für Geschichte Großbritanniens und des Commonwealth, Universität Münster Benjamin Lahusen, Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, Berlin Martin Löhnig, Professor für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, Universität Regensburg José Antonio López Nevot, Professor für Rechts- und Intitutionengeschichte, Universität Granada/Spanien Heiner Lück, Professor für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte, Universität Halle Peter Oestmann, Professor für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte, Universität Münster Antonio Sánchez Aranda, Professor für Rechts- und Institutionengeschichte, Universität Granada/Spanien Tobias Schenk, Erschließungsprojekt Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Akademie der ­Wissenschaften zu Göttingen, Österreichisches Staatsarchiv Abt. Haus-, Hof- und ­Staatsarchiv, Wien/Österreich Masaki Taguchi, Professor für Europäische Rechtsgeschichte, Universität Tokyo/Japan Simon Teuscher, Professor für Geschichte des Mittelalters, Universität Zürich/Schweiz

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Register Personenregister/Index of Names A Agamben, Giorgio  54 – 55, 65 Alber, Matthias  386 Alfons X.  164 – 166, 229 Alfons XI.  167 – 168, 173 Andersson, Erik  356, 359 Andlern, Franz Friedrich von  269 Anne, Queen  404 Archbishop of St. Andrews  221 Aytta, Viglius von  386 B Baker, John  216 Bamberg, Otto von  196 Bartenstein, Johann Christoph von  310 Barth, Christian  371, 386 Baumann, Anette  386 Beneventanus, Roffredus  201 Bermúdez de Pedraza, Francisco  231 Berthold, Bruder  135, 138 Birgersson of Gotheburg, Nils  360 Bodman, Rupert von  301, 318 Böhmer, Justus Henning  202 Borié, Ägyd von  314 Bostell, Friedrich von  378 – 379 Brainl, Karl Friedrich  253 Brunner, Otto  134 Budischin, Hans Jörg  200 C Campbell of Loudon, Hew  220 Cangrande della Scala  117 Carmer, Johann Heinrich von  63 Carpzov, Benedikt  81 Castillo de Bovadilla, Jerónimo  226 Christopher von Bayern, König  363 Christus, Jesus  72, 81 – 82, 276 Claudia Felicitas, Kaiserin  269 Clemens V.  183 Coke, Sir Edward  401 Colloredo, Rudolph von  254, 314, 326, 329 – 330, 332 – 334

Conring, Hermann  201 Cramer, Johann Ulrich von  380 Cromwell, Oliver  141 D Danckelmann, Eberhard von  310 Danckelmann, Friedrich Karl von  310 – 311 Deckherr, Johann  60 Denzler, Alexander  381 Díaz de Montalvo, Alonso  229 Diestelkamp, Bernhard  107, 385 Dietrichstein, Ferdinand von  268 – 269 Dietrichstein, Gundaker von  268 – 269 Dinges, Martin  243 Dorfner, Thomas  243 Duke of Monmouth  143 Duke of York  143 Duncan, Archibald Alexander McBeth  215, 217 Dünwaldt 380 Durantis, Guilelmus  201, 233 E Eleonora, Kaiserin  269 Endres, Rudolf  306 Erbach, Eberhard Schenk von  105 Eriksson, Magnus, King  363 Ernst, Wolfgang  244 Erwin, Holger  337 F Fehr, Hans  240, 273 Ferdinand I.  87, 251 Ferdinand II.  242, 263, 265 – 267, 289, 303, 315, 326, 340 Ferdinand III. 265 Ferdinand V.  163 Fernando IV. 229 Ferrariis, Johannes Petrus de  201 Ferrers, Benjamin  387 f., 399, 405 Friedrich I. Barbarossa  242 Friedrich Wilhelm I.  306 – 307, 323

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Register

Friedrich Wilhelm, Großer Kurfürst  61 Fuhrmann, Mathias  262 Fürstenberg, Frobenius Maria von  268 – 269 G Gardie, Johan De la  353, 356 Gerstlacher, Carl Friedrich  330 Girs, Aegidius (Eggert)  353, 356, 362 Gneist, Rudolf von  413 Grimm, Jakob  127 f. Gustav II. Adolf, König  350 f., 365 – 366, 368 Gylmann, Adrian  385 H Häberlin, Carl Friedrich  379 Hachenburg 421 Hagen, Johann Hugo von  320 Harding, Alan  214 Harrach, Ferdinand von  298, 320, 326, 329, 335 – 337, 346 Hartig, Anton Esaias von  310 – 313 Heinrich I., der Vogler  242 Heinrich IV. 177 Heinrich VII. 97 Heinrich von Kärnten  92 Henrici, P. C.  420 Herchenhahn, Johann Christian  289 Hilleprand von Prandau, Karl Ludwig  310 – 311 Hindersson, Isak  356, 358 Hirbodian, Sigirid  130 Högell, Johann Ambrosius  268 – 269 Hohenlohe, Graf von  298 Horn af Åminne, Karl  352, 356, 358, 360 Horn, Svante  356, 358, 360 Hostiensis 150 Hughes, Michael  242 Huschke, Philipp Eduard  65 Huyssen, Heinrich van  57 – 59, 61, 63 I Innozenz III., Papst  196, 233 Innozenz IV., Papst  198 Innozenz VIII., Papst  219 Isabella I.  163 J Jahns, Sigrid  242

Johann I.  170 – 171, 173 Johann II., Pfalzgraf  200 Johann von Luxemburg  77, 92 Johannes XXII., Papst  219 Joseph I.  269, 322 Joseph II.  254, 293, 297, 300, 314 – 315, 320, 327 – 330, 333 – 338, 340, 346 Julian 50 K Karl der Große  137 Karl IV.  98, 103, 105 – 106, 108 – 114, 120 – 125 Karl V.  72, 193 f., 261 Karl VI.  208, 242, 261, 266, 269, 293 – 294, 306, 309, 311 – 313, 315 – 316, 318 – 319, 321 – 323, 326 – 328, 338, 340, 343 Karl VII.  306, 314, 323 Kasimir III. der Große  88 Kaunitz, Wenzel Anton von  336 Kisch, Guido  86 Klüber, Johann Ludwig  270 Knorr von Rosenroth, Georg Christian  310 – 311 Koldin, Pavel Kristian von  93 Königsegg, Leopold Wilhelm von  268 – 269 Kroeschell, Karl  132 Kues, Nikolaus von  200 Kurfürst von Mainz  302, 326 – 327, 329 f., 334, 345 L Lamberg, Johann Maximilian von  268 – 269 Larrea, Juan Bautista  235 – 236 Lawrence, William  142 – 155, 158 – 159, 161 Lee, James  41 Lenin, Wladimir Iljitsch  305 Leopold I.  208, 241 – 242, 262, 266 – 267, 269 – 270, 274, 322 – 323 Leopold II.  253, 256, 261, 334, 337 Leyers, Peter  328, 336 – 337 Lindeman, Johann  80 Livius, Titus  54, 60 Loebell 421 Luca, Giovanni Battista de  211 Ludolff, Georg Melchior von  378 Ludwig IV.  98 – 99, 102 – 103, 105, 115 – 119, 125 Luhmann, Niklas  64, 278, 407 Lyncker, Nikolaus Christoph  281

Personenregister/Index of Names M Mansfield, William Murray, Lord  39 Maranta, Roberto  201 Maria Theresia  311 Marshall, John  39 Matienzo, Juan de  232 Maximilian II. 264 Meichsner, Johannes  385 Metsch, Johann Adolf von  309, 311, 326 Mohl, Benjamin Ferdinand  278, 294 Montecuccoli, Raimund von  268 – 269 Moser, Friedrich Karl von  258 – 259, 303 Murray, William, Earl of Mansfield  388 Mynsinger, Joachim  385 N Nassau, Adolf von  103, 113, 118 Neuffen, Berthold von  117, 119 Neugebauer, Wolfgang  323 Nilsson, Ivar  354, 356, 358 Nilsson, Olof  353 Nissen, Adolph  55, 65 Noel, William  403 – 405 Nörr, Knut Wolfgang  200, 278 Nostitz, Johann Hartwig von  268 – 269 O Obrecht, Ulrich  59 Oestmann, Peter  8, 138, 206, 242 Oettingen-Wallerstein, Ernst von, Graf  317 Oettingen-Wallerstein, Wolfgang IV. von, Graf  267 – 269, 310, 317 – 318 Olaj, Ericus  353, 356 Olofsson, Karl  353 Oppitz, Ulrich-Dieter  136 Oriano, Lanfraco de  201 Ortlieb, Eva  243, 271 Ossinski, Walerian  305 Oxenstierna, Gabriel Bengtsson  356 Oxenstierna, Gabriel Gustafsson  352 – 353, 355, 358, 361 P Papius 380 Parker, Thomas, Earl of Macclesfield  387, 399 Paulus 276 Paz, Cristóbal de  231 Petrus 276

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Philipp V.  163 Pius IV.  42, 211 Polster, Gert  243 Popplau, Kaspar  86 Portner, Johann Albrecht  303 – 304 Posse, Christer Axelsson  354 Posse, Christina  354 Pratt, Charles, Earl of Camden  388 Press, Volker  241, Pulgar, Hernando del  180, 182 Pütter, Stephan  244, 378 Pütz 380 R Ranieri, Filippo  225, 232 Rawdon, Arthur  393, 402 – 406, 408 Riedesel 380 Rissing-van Saan, Ruth  29 Roche Flavin, Bernard de la  226, 237 Rocholl, Carl  414 Rohrbach, Lena  136 Roosevelt, Franklin Delano  43 Rudolf I.  97, 102, 115 Rudolf II.  263, 265 S Saavedra Fajardo, Diego de  227 Sancho IV 229 Sanfelice, Giuseppe Maria  208 Savoyen, Eugen von, Prinz  307 – 308 Scheibe, Johann  80 Schellenberg, Theodore  248 Schmauß, Johann Jakob  327 Schönborn, Friedrich Karl von  273, 307, 309, 318 – 319 Schönborn, Lothar Franz, Kurfürst von Mainz von 307 Schönburg, Ernst von  103 Schulz, Hans  421 Schwarzenberg, Johann Adolf von, Fürst  268 – 269, 317 Scott, John, Earl of Eldon  399 Scott, William  222 Selkeld, Charles  400 Senckenberg, Heinrich Christian von  320 Seton of Parbroath, Andrew  221 – 222 Sewell, Thomas  404 Seyler, Raphael  371, 386

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Register

Shadwell, Thomas  393, 402 – 403, 406, 408 Sidenius, Daniel Nicolai  353, 356, 362 Sinzendorf, Karl Ludwig von  301 Sinzendorf, Philipp Ludwig von  307 Sixtus IV. 219 Sixtus V.  211 Skytte, Johan, Baron  356 Slavičkova, Pavla  92 Sonnenfels, Joseph von  41 Soop, Åke Hansson  352 – 353, 358 – 359 f. Soop, Matthias  353 – 354, 357, 359 – 360, 367, 369 Šouša, Jiři  92 Spiess, Karl-Heinz  130 Sprenger, Regina Maria  386 Starhemberg, Balthasar von  268 – 269 Starhemberg, Ernst Rüdiger von  268 – 269 Starhemberg, Gundaker von  307 Suárez de Paz, Gonzalo  230 – 231 Summermann 380 Svarez, Carl Gottlieb  63 Swerdlow 305

V Vasara-Aaltonen, Marianne  352 Vela de Oreña, José  235 – 237 Vernon, Thomas  404 Villadiego 234 Vismann, Cornelia  410

T Tancred von Bologna  197, 201 Thunander, Rudolf  358, 365 Thüngen, Dietz von  124 Trastámara, Heinrich II. von  169 Trautson, Johann Leopold von  307 Treitschke, Heinrich von  239 – 240, 308 Trump, Donald John  325

Y Yorke, Charles  404, 407 Yorke, Philip, Earl of Hardwicke  387 – 388, 391, 396 – 397, 399 – 400, 402 – 405, 407, 411 Young, Sir David  221

U Ubaldis, Baldus de  50 Urbach, Johannes  201

W Waldburg-Zeil, Sebastian Wunibald von  268 Wats, Anders  359 Weber, Max  246 Wedemeyer, Karl Konrad Werner  413 Wenzel  98 – 99, 103 – 104, 109 – 110, 112 – 114, 123 – 125 White 407 Wilson, Peter  367 Windischgrätz, Ernst Friedrich von  307, 318 Windischgrätz, Gottlieb von  298 Wucherer, Heinrich Bernhard von  310 – 312 Wunderlich, Steffen  386 Wurmbrand, Johann Wilhelm von  318 – 319, 326

Z Zinzendorf, Albrecht von  268 – 269

Ortsregister/Index of Places

Ortsregister/Index of Places A Aachen 113 Alcalá de Henares  167 – 168, 186 Aljubarrota 170 Alten-Stettin 68 Anhalt 309 Ansbach  307 – 309, 312 Aostatal  132 f. Aragon  226, 235, 238 Augsburg  106 – 107, 111, 198, 205, 207, 310 Australia  s. Australien Australien 22 Austria  s. Österreich Avignon 201 B Baltikum 297 Bamberg  106, 110, 113, 117, 199, 207, 209 Basel  111, 198 Bavaria  s. Bayern Bayern  124, 206 – 207, 283 Bayreuth  307 – 309, 312 Berchtesgaden 124 Berlin  307, 310 Böhmen  72, 87, 91 – 92, 124, 304, 307 Brandenburg  68, 121, 258 Brandenburg-Preußen  300, 307, 323, 332 Bremen 268 Breslau  68 – 69, 73, 88 Briviesca  170 – 171, 183 C Castile  s. Kastilien Chiemsee 205 Ciudad Real  180 – 181, 184 – 185, 187, 230 Coburg 68 Colmar 109 Cologne  s. Köln D Deutsche Schweiz  129 Deutschland  68, 232, 353, 366 – 367 Deventer 114 Dill 119 Dohna  68, 86 – 87 Donauwörth 250

Dorpat  s. Tartu E Edinburgh  141, 144, 151 Eichstätt  198 – 199, 205, 207 Eisenach 110 Elsass 297 England  16, 43, 141, 309, 392 Erfurt  111, 209 Estland/Estonia 351 F Finnland 367 France  s. Frankreich Frankfurt  56, 106, 109 – 110, 118 Frankreich  198, 226, 237, 367 f. Französische Schweiz  129 Freiberg 68 Freiburg 106 Freienseen 386 Freising  205, 207 G Galizien 182 Gelnhausen 105 Germany  s. Deutschland Göttingen 244 Granada  181, 193, 230, 236 Greifswald 353 Guadalajara 176 H Halberstadt 209 Halle  57, 68, 77 – 78, 244 Hamburg  268, 270 Heilsbruck 103 Herrenalb 118 I Islamabad 23 Italien/Italy  58, 297 J Jena  310, 352 Jönköping  351, 365 Jülich-Berg 206

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Register

K Kastilien  163 – 164, 170 – 173, 176 – 179, 182 – 194, 225 – 226, 229, 232 – 235, 237 Katalonien  226, 235 Kazimierz 90 Kleparz 90 Köln  57, 103, 106, 113, 201, 204, 208, 210 Konstanz 122 Krakau  68, 81, 88 – 91 Kulm 68 Kursachsen  s. Sachsen

Münster 210

L Laxenburg 335 Leeds 403 Leiden 352 Leipzig  20, 57 – 58, 68, 77 – 78, 80 – 82, 86 – 87 309 Leitmeritz  68, 91 – 92 Leuven  s. Löwen Leyden 310 Liège  s. Lüttich Litauen/Lithunia  90, 93 Litoměřice  s. Leitmeritz London  144, 146 Löwen 310 Lübeck  375, 377 – 381 383 Lüneburg 122 Lüttich 210 Lützen 365 Lyon 201

P Parbroath 222 Passau  109, 111, 196, 198 – 200, 205, 207 Pirna  77, 86 Polen/Poland  43, 81, 89 – 90 Portugal  170, 177 Prag 91 Preußen  61, 86, 212, 239, 309 Prussia  s. Brandenburg-Preußen, Preußen

M Madrid 230 Madrigal 178 Magdeburg  14, 68, 72 – 74, 78, 80, 82, 86, 88 – 90, 92, 94 Mainz  103, 112, 118, 198 – 199, 210, 293, 329 Mainz-Erfurt 199 Mallorca 235 Medina del Campo  178 Meißen 87 Metz 112 Mölln 382 Montrose 222 Mühlhausen 122 München 310 Munich  s. München

N Neumarkt 68 Nördlingen 367 Nortenberg 117 Nürnberg  113, 123 – 124, 298 O Olmütz 68 Österreich 304

R Regensburg  106, 109, 117, 200, 205, 207 – 208 Rostock 352 Rothenburg  101 – 103, 113 S Salamanca 236 Sachsen  80 – 82, 87, 93 Salzburg  205, 310 Saxony  s. Sachsen Schlesien 89 Schottland/Scotland  141, 213 – 214, 217 Schwäbisch Hall  99, 106 Schweden/Sweden  16, 270, 351, 365, 367 Schwedisches Livland/Swedish Livonia  365 Schweidnitz 74 Schweinfurt  106, 109 Segovia  171, 173, 176, 193 Sevilla  177, 181 – 182, 236 f. Spanien/Spain  16, 163, 180, 232, 270 Speyer  55 – 57, 64, 58 – 59, 102 – 104, 122, 210 Stockholm  350 – 351, 362 Straßburg  55 – 56, 58 – 60, 198, 201, 210 Südkorea 43

Ortsregister/Index of Places T Tartu 351 Tibbermure 221 Toledo  163, 177 – 178, 182 – 183 Toro 169 Trauttmansdorf 298 Trier  122, 198 Tübingen 353 U Uppsala  352 – 353 Ukraine  81, 93 USA 271 Utrecht  58, 310 V Valencia  226, 235 Valladolid  170, 179 – 180, 182, 187 – 188, 193, 232 Venedig/Venice 201 Verona 117 Vienna  s. Wien

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W Waadtland  132 – 133, 137 Walkenried 262 Weißenburg 119 Westminster  144, 146 – 147 Wetzlar  22, 57, 320, 378, 382 Wien  240 – 241, 253 – 254, 262, 268, 273, 284, 303, 310, 314 Wittenberg  68, 82 – 86, 352 Worms  106, 121 Würzburg  103, 121, 124, 198, 207, 210 Z Zamora 166 Zürich  109, 113, 120

432

Register

Sachregister/Index of Contents A Abschriften  74 – 75 absence  349 – 352, 355, 357, 359, 369 Abspracheverfahren 30 Abstimmung  13, 18, 76, 85, s. a. voting Acht  s. Reichsacht Adelsbank  87, 273, 285, 303 – 304, 312, 319, 326, 340, s. a. noble assessors Adjunkten 78 affidavits  392, 395, 398, s. a. Zeuge agenda  s. Tagesordnung Agent  281, 283, 290, 292, 333 Akten  13, 26 – 28, 56 – 57, 59, 72, 85, 188, 240 – 241, 245, 247 – 249, 254 – 255, 262, 264, 266, 270 – 271, 275, 283 – 285, 288 – 289, 293, 295, 297, 303, 308 – 309, 311, 313 – 314, 323 – 324, 334 – 335, 339, 341 – 343, 345, 373 – 375, 377 – 383, 386 – 387, 390, 398 – 399, 405 – 407, 409 – 410, 420 Aktenversendung  8, 76, 86, 383 Aktuar 85 Allegation  137, 146 – 151, 154, 159, 168, 174, 188, 221, 230 Alphabetisierung 128 Alte Schöppenordnung  79 Altes Testament  137 Amtsbuch  395, 398 Amtseid  70, 131 Amtsleute 132 Anciennität  267, 296, 299, 302, 313 ancillary statutes  220 Andachtsliteratur 139 Anfragen  71, 75 – 76, 79, 83 Anleite  96, 100, 106 – 107, 110 Anschlagsprotokoll 259 Anschreiben  73, 75 appeal  44, 49 – 50, 157, 349 – 365, 367 – 369, 393, s. a. Appellation Appellation  67, 87, 90, 107 – 108, 133, 205, 374 – 375, 377, s. a. appeal Approbation  254, 332, 344 arbitration  s. Schiedsgericht Arbitrium iudicis  225 – 226, 228 Archidiakon  196, 198, 210 Argumentationsweise 416

Assessor  84, 87, 197, 271, 309, 320, 351 – 353, 355 – 364, 367, 369, 372, 374, 377, 380, 386 Audiencia de Sevilla  236 Audiencia 176 Audienz  372, 374, 381, 383 – 384, 386 Auditoren  197, 211 Auftraggeber  75, 85 Aussage 132 avisandum  155 – 156, 158 f. B Bann  203, s. a. Reichsacht Bauern 127 Bayrisches Konkordat von 1583  206 Befangenheit 76 Beisitzer  s. Assessor Bergrecht 68 Bergschöffenstuhl 68 Berichterstatter  28, 34, s. a. Referent Berufungsverhandlung 397 Beschluss der Sache  376, 379 Beschlussverfahren  31 – 32 Beweis  26 – 27, 30, 131, 134, 174, 176, 183, 186, 188 – 192, 226, 298 – 299, 319, 376 – 377, 391, 393, 395, 398, 408 Bewidmung 88 Bibel 365 Bildung 132 Bischof/bishop  195 – 200, 204 – 205, 210 bischöfliche Wahlkapitulation  199 – 200, 207 Bistum  199, 204 – 205, 207 böhmische und österreichische Hofkanzlei  251 böhmischer Kanzler  269 böhmisches Appellationsgericht  251, 338 bolschewistische Partei  305 Bote  75, 85 briefs 405 brieve  148 ff., 216 f. Bundesgericht (Schweiz)  37, 40 Bundesgerichtshof  7, 15, 17 – 20, 24, 26, 29, 32, 34 Bundesverfassungsgericht  24, 34, 43 Bürger  132, 269, 285, 296 Bürgergemeinde 69 Bürgermeister  69, 78 – 80

Sachregister/Index of Contents Burggrafen  68, 70, 87, 105, 113 C calculus Minervae  45 Calvinismus 310 Chancery  144 – 145, 147 – 148, 151 – 154, 392, 395, 410 Chancillería de Ciudad Real  230 Chancillería de Granada  230 Chancillería  169 – 170, 180, 185, 193, 225, 230, 232, 236 choice theory  s. Entscheidungstheorie Codex Rationum  349 f., 354 – 358, 361, 363, 365, 368 – 369 collective decision-making  219 College of Justice  141 f., 148, 150, 152 – 153, 213 – 216, 218, 220, 222 – 223 collegiality  218 – 219 collegiate court  35, 40, 218, 221 Collegium Juridicum  85 common law  142, 144 – 146, 149 f., 152 – 153, 213, 215 – 217, 391, 401 common pleas  144 commoner assessors  353, 356, 358 Communis opinio  225 – 226, 228 Completum-Vermerk 377 Consejo Real  229 – 230, 236 consuetudines  s. Gewohnheitsrecht Correferent s. Korreferent Corte y Chancillería  163 Councillor of the Realm  351, 354, 357 – 359, 361, 367, 369 Cour de cassation  38, 48 court  s. Gericht criminal law  s. Strafrecht criminal procedure  s. Strafverfahren D decision making process  35, 37, 39, 41, 47 – 48, 218 – 219, s. a. Entscheidungsfindung Decisiones  229, 232, 235 – 237 Decretals  s. Dekretalen Dekret 398 Dekretalen  50, 233 denegation of justice  s. Justizverweigerung depositions 395 Deputation  267, 270, 275, 289, 305 – 309, 311, 313 – 317, 320, 323, 343 – 345

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Deputierter  309, 311 – 313, 343 Diebstahl 129 Dinggericht 127 Diözese  196, 199 – 200, 204 f. Directorium in publicis et cameralibus  251 Dispositionsmaxime 384 dissenting opinion  40 – 41, 350, 361 – 362 Dissertationes 235 Distributionsbuch 85 Domkapitel  199 f., 207 Donat 92 Dorf 127 Dorpat, Hofgericht/Court of Appeal  351, 365 Dreißigjähriger Krieg  262, 265, 283, 339 Duplik 75 E ecclesiastical courts  s. kirchliche Gerichtsbarkeit Ehegerichtsbarkeit 198 Ehre 23 Eid  79 – 80, s. a. oath Eingangsformel 92 Einstimmigkeit  31 – 32, 76, 79 Einzelrichter  197 – 198, 211 Einzelverhör 133 Emser Punktation von 1786  209 Endurteil  253, 281, 285, 292 – 293, 341 – 342, 371, 376, 384 Entscheidungsbegründung  s. reasoning, Urteilsbegründung Entscheidungsdarstellung 371 Entscheidungsfindung  8, 11 – 16, 35, 53, 79, 98, 127, 371, s. a. decision making process Entscheidungsliteratur 385 Entscheidungstheorie 35 Episkopalsystem 205 equity  144 – 147, 151 – 152 Erbe/Erbrecht  87, 129, 362, 364.391 Erinnerung 127 Erledigungsdruck 328 erste Instanz  90 Erzbischof  68 – 69, 105 – 106, 111 Erzkanzler  293, 302, 329, 331, 334, 345 evangelische Landesherrschaft  205 evidence  s. Beweis

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Register

Evidenzwert  245, 248 – 249, 251 – 252, 257, 264, 266, 269, 283, 293, 303, 308, 322, 324 – 325, 334 – 335, 339, 341 – 343 exceptio doli generalis  418 exchequer 144 Exekution  203, 252, 332, 348, 384, s. a. Anleite Expeditum-Vermerk 381 Extrajudizialsenatsprotokoll  374, 379 Extrajudizialstadium  372, 378 F faculty of law  s. Juristenfakultät Faltbrief 75 Fehlerquellen im Strafprozess  25 Fehlurteil 21 feudal law  s. Lehensrecht fiction  150 – 151 file  s. Akten final judgment  s. Endurteil Fiskal 333 Folter 22 forma sententiae  232 Formeltechnik 76 Formweistum 130 Fränkischer Reichskreis  307 Führerprinzip 324 Fürsten- oder Richterhut  81 G Gebühr/Buße  74, 80, 86 Gegenreformation 276 Geheime Konferenz  267, 270, 310 Geheimer Rat  260, 262 – 270, 279, 281, 287 – 288, 303 – 304, 310, 315 – 318, 322 – 323, 325 – 326, 332 – 333, 335 – 336, 340, 345 Geheimratssitzung  267, 269 – 270, 344 f. Geheimratswürde  267, 317, 340 geistliche Kommission  251 geistlicher Stand  71 gelehrte Juristen  78, 80, 87, 93, 299 Gelehrtenbank  83, 257, 269, 273, 280, 296 – 297, 300 – 303, 310 – 313, 317, 343, s. a. Adelsbank, Herrenbank Gemeiner Bescheid  282, 333, 372, 378 gemeines deutsches Recht  417 gemeines Recht  203 gemeines Sachsenrecht  80

Genehmigungsvorbehalt  249 – 251, 284, 292 – 293, 304, 316, 328, 330, 333, 338 – 339, 341 – 342, 344 – 345, 347 Generaldirektorium 251 Generalrichter 199 Generalvikar  199 – 200, 207 Gericht  7, 11 – 12, 14 – 15, 18, 20, 23, 32, 53, 56 – 59, 62 – 64, 67, 79, 83.84, 86, 88 – 89, 91, 94, 96, 101, 105, 107 f. – 109, 111, 113, 127, 131 Gerichtsbarkeit im Alten Reich  81, 94 – 96, 107 Gerichtsbarkeit  11 f., 17, 60 – 61, 67 – 68, 79, 81, 94 – 98, 100 – 103, 105, 107 – 108 Gerichtsbuch 90 Gerichtskosten 384 Gerichtslinde 131 Gerichtsöffentlichkeit 403 Gerichtsordnung  209 f. Gerichtsstandsprivileg  96, 105 – 109, 111, 113 – 114, 125 Gerichtsverfahren 132 Gerichtsverfassung  11, 19, 35, 53, 64, 68, 72, 78 – 81, 83, 87, 93, 198 German Constitutional Court  s. Bundesverfassungsgericht Geschäftsanfall  274, 279 – 280, 282, 284, 289 – 291, 297, 342 Geschäftsgang  240, 247 – 252, 256, 275 – 276, 283, 285 – 286, 292, 294, 315 – 317, 330, 339, 341, 344 Gesetz  13, 19, 26, 91 Gewaltenteilung  239, 272, 279, 299, 338, 341, 347 – 348 Gewalttaten 129 Gewohnheitsrecht  132 – 134, 416, 418 Glücksspiel 403 Göta Hovrätt/Court of Appeal  351, 358 – 359, 365 Gotteslästerung 22 Gravamina nationis Germanicae  203 Grundgesetz  18, 43 Grundherrschaft 127 Gründungsprivileg 77 Grußformel  75 – 76, 85 – 86 Gutachten  84, 380 H hallisch-magdeburgisches Recht  77

Sachregister/Index of Contents Handakte  386, 405 – 406, 409 Handel  28, 68 Hauptverhandlung  393, 407 Hausarchiv 240 Hausbuch 136 Heiliges Römisches Reich  195, s. a. Ortsregister/Deutschland Herrenbank  269, 273, 296, 299, 301 – 304, 309 – 313, 315, 317, 319, 326, 335, 340, s. a. Adelsbank Herzöge von Sachsen  80 f., 87 Hexerei 22 Hinterzimmer 403 Hochstift 240 Hofgericht  83 – 85, 95 – 114, 119, 125, 133 Hofkammer  251, 263, 265, 279, 307, 344 Hofkriegsrat  251, 263, 265, 269, 279, 307, 333, 344 Hofrichter  84, 96 – 98, 103 f., 110 – 113, 118 I Imperial Aulic Council  s. Reichshofrat imperial ban  s. Reichsacht Imperial Chamber Court  s. Reichskammergericht independence (of the judiciary)  s. Unab­ hängigkeit informell  291 f., 306, 313, 316, 326, 330, 336, 343 – 345, 347 Infrajustiz 391 Interdikt 203 interlocutory judgment  s. Zwischenurteil Internationaler Gerichtshof  45, 48 Interrogatorium 409 Ius commune  226, 365, 369, 416 – 417 J Jesuiten 276 judge  s. Richter judgment  s. Urteil, Spruch judicial tie  43 f. Judizialverfahren  373 ff., 378 Jüngster Reichsabschied  208, 373 Jurist  s. Rechtsgelehrte Juristenfakultät  76, 79 – 80, 83, 85 – 86, 383 jury  145 – 146, 151 – 153, 216 Justitium  s. Stillstand der Rechtspflege Justiziar  216 – 217

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Justiznutzung  243, 281 Justizreform 82 Justizverweigerung  278, 283, 294, 317, 319, 348 K Kabinett  250, 279, 315, 317 – 318, 323 – 326, 328 – 329, 332 – 336, 340, 345 Kabinettsjustiz  249 – 250, 259, 338 Kabinettskanzlei  250, 328 Kabinettsregierung  324 – 325, 336 kaiserliche Wahlkapitulation  208 Kalender 136 Kammer  37 – 39, 43 – 44, 48 Kammerrichter  276, 285, 374, 377 kanonisches Recht  150, 201 Kanzlei  74, 131, 250, 254, 286, 288, 375, 382, 387, 390 – 407 Kardinalskongregationen 211 katholische Landesherrn  205 King’s Bench  144 King’s Council  213 – 215, 223 kirchliche Gerichtsbarkeit  195 – 212 Klage  73, 75, 100 f., 103 – 114 kleindeutsch  239, 245, 308 kleiner Adel  132 Koblenzer Gravamina von 1769  209 Kodifikation  81, 93 Kollegialprinzip/Kollegium  35, 70, 78 – 79, 84 – 85, 246, 274 – 275, 305 – 306, 323, 343, 347 Kölner Nuntiatur  207 Kommissar 199 Kompilation 135 Kompulsorialbrief 375 Konfession  241, 250, 261, 276, 285, 311 königliches Kammergericht  97, 104, 114, 125 Königtum  89, 97, 99, 101 – 102, 105 Konklusionsschrift 376 Konsistorium  202, 205 Konzept  35, 65, 75, 80, 85 Konzil von Trient  210 Kopial 80 Korreferent  253, 260 – 261, 292, 334, s. a. Referent Korruption 300 Krakauer Obergericht  89 – 90 Kurfürst  81 f., 84, 100, 105 – 106, 108 Kurienreform von 1588  210 – 211 kurmainzisch 331

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Register

L Ladung  374, 382 Laie  21, 28, 79, 93, s. a. Schöffe Landesbistum 205 Landesherr  79 – 82, 87, 91, 93, 203 – 206 landesherrliches Kirchenregiment  205 – 206 Landgericht  100 ff. ländliche Rechtskultur  127 Landrecht 133 Landschaft 291 Läuterung 386 law of succession  s. Erbe/Erbrecht lay assessor/lay judge  s. Schöffe, Urteiler lead judge  38 – 39 f. Lehensrecht/Lehensgericht  87, 105, 239, 266, 272, 304, 307, 332 – 333, 337, 344, 346 Leipziger Schöffenspruchsammlung  81, 86 Leyes del Estilo  229 Liber Extra  196, 201 Liber Sextus  198, 201 Lincoln’s Inn  396 – 397, 405 Livre de Charlemagne  137 M Machtspruch  246, 249 – 250, 259, 277 – 278, 288, 294, 330, 333, 338, 345, 348 Magdeburger Recht  67 – 74, 76 – 77, 88 – 90, 92 – 93 Majestätssiegel  108 f., 112 – 114 Majority  35 – 52, s. a. Mehrheitsverhältnis Mandat/Mandatsprozess  253, 372 – 373, 382 Materialität 136 Mehrheit  8, 12 – 13, 35 – 52, 97, 115, 115, 169, 192, 211, 274, 295, 302, 305, 311, 316, 336, 343, s. a. majority Meißner Rechtsbuch  77 f., 92 Methode/method  23, 45, 47, 49, 51, 135, 142, 214, 216, 218, 243, 348, 416 Ministerialität  69 – 70 ministry  s. Kabinett Mitgliederschaft/Mitgliederzahl 70 Modernisierung des Rechts  128, 347 motivación de las sentencias  s. Urteilsbegründung Mündlichkeit  127, 129, 131, 408, 410 municipal law  s. Stadt/Stadtrecht

N Narration  77, 147, 373 Nebenverdienst 85 Neues Testament  137 niedere Gerichtsbarkeit  68 niedersächsischer Reichskreis  309 Nobilitierung 272 noble assessors  356, 358, 369, s. a. Adelsbank nordeuropäische Rechtsbücher  136 Notizen/Notizbuch  399, 401 – 403, 409 Nuntiaturgerichtsbarkeit  207 – 209 O oath of calumny  150 – 151, s. a. Eid Oberappellationsgericht Lübeck  377, 380 – 381, 383 Obergericht  89 – 91 Oberhaus 393 Oberhöfe  67 – 68, 87 – 88 Oberste Justizstelle  251 Obersthofkanzler 307 Obersthofmarschall 263 Obersthofmeister  263, 265, 269, 307, 318 Oberstkämmer 269 Obmann  115, 119, 124 Offizialat  198 – 200, 203 – 205, 207 Offizialmaxime  375, 384 Old Bailey  396 Old Hall  396, 405 oral legal culture  s. Mündlichkeit Ordenanzas de Alcalá de 1503  230 Ordinarius  80, 85 Ordo causarum  290 – 291 Ordo personarum  290 – 292 österreichische Hofkanzlei  263, 279, 308, 344 outlawry  s. Reichsacht P Papier  60, 74, 82 Parlement de Paris  152, 237 Parliament House  141 – 142, 144, 151 – 153 Parteiherrschaft 376 Partidas 235 Partikularrecht  203, 413, 415, 417, 419 f. – 421, s. a. statutes Pedell 375 peinliches Recht  s. Strafrecht Pergament 73

Sachregister/Index of Contents Pflichtteilsrecht 418 Pfründe  272, 312, 321, 338 Plenarschluss 372 Plenum  254 f., 260, 267, 274, 280, 285 – 286, 288 – 293, 299, 304, 307 – 309, 311, 315 – 316, 318, 330, 332, 336, 340, 342 – 345 Positionalverfahren 376 Post 85 Posteingang  248, 278 – 280, 282 – 283, 285, 342 Pragmatische Sanktion  321 Präokkupationslibelle  297, 378 – 379 Präsentatum  278, 282 – 284, 341 – 342 Präsenzliste  254 f., 268 – 269, 299, 322, 325, 328 Präsident  253, 256, 260 – 261, 263, 269, 272, 274 – 280, 283 – 287, 289 – 294, 296 – 305, 309, 311 – 314, 316 – 320, 322 – 323, 326 – 330, 333 – 336, 339 – 344, 374, s. a. presiding judge Präzedenzfall  399, 404, s. a. precedents precedents  44, 237, 350, 355, 363 – 364, s. a. Präzedenzfälle presiding judge  37 – 39, 45, 47, s. a. Präsident Preußisches Allgemeines Landrecht von 1620  61, 65 Primus Votans  296, 299 – 302, 311 private law  s. Zivilrecht Privileg/privilege  88, 91, 102 – 103, 106 – 108, 132, 221, 363 – 364, 368 privilegium fori  198 Privy Council  s. Geheimer Rat procedural law  35, 37, 45, 47, 154, 213, 216, 223, 351, 357, 360, s. a. Prozessrecht procedure/proceeding  s. Verfahren Professor  83, 85 Prokurator 375 Protestanten  239, 261, 285 Protokollführer  378, 380 Protonotar 85 Prozessakte  s. Akte Prozessrecht  163, 166, 176, 183, 186, 189, 195, 197, 200 – 201, 240, 248, 290, s. a. procedural law Prozessreform 186 Prozessurteil 374 Q Quadrangulierung 381 qualitative divergences  50 – 51 quorum  154, 161, 218, 357, 369

437

R rapporteur  38 – 40, 48, s. a. Referent Rat  69 – 72, 76 – 77, 79 – 80, 83, 86, 93, 103 Rationalität  23 – 25 ratione contractus  198 ratione peccati  197 ratione personae  197 ratione rerum  197 Ratsmitglied  69, 79, 93 Rautenschild  82, 84 Realpräsenz 276 Reasoning  349 – 350, 355, 357, 360, 362 – 365, 368, s. a. Urteilsbegründung reception  s. Rezeption rechtliches Gehör  373 Rechtsauskunft  73 – 74, 77 – 78 Rechtsbuch  77 – 78, 86, 92, 135 Rechtseinheit  413 – 414, 419 – 421 Rechtseinholung  88, 93, s. a. Aktenversendung, Oberhöfe Rechtsfindung  5, 67, 75, 90, 93 Rechtsfrage  19, 74 – 75, 77 – 79, 85 f., 92 Rechtsgelehrter  58, 78, 80, 168, 170, 177 – 178, 198 Rechtskenntnis  67, 76 Rechtskreis  5, 67, 71, 91 – 93 Rechtsmitteilung  5, 67, 69, 73, 92 – 93 Rechtsmittel  19 f., 29, 90 Rechtssammlung 129 Rechtssprüche  69 f. – 71, 73, 87, 89 Rechtsstaat  246, 313, 322, 338, 348 Rechtsverkündung 130 Rechtsweisung  5, 67, 74, 90, 93 Rechtszersplitterung 421 Rechtszug  19, 67, 69, 80, 89 Rechtsverweigerung  96, s. a. Justizverweigerung record  s. Akten Referat  261, 269, 291, 296, 299 – 301, 303, 307, 326, 332, 334 – 335, 339, 342, 346 Referent  211, 245, 253, 256, 260 – 261, 264, 269, 275, 285 – 297, 299 – 300, 302, 311, 313, 322, 325, 328, 333 – 334, 339 f. – 342, 345, 377 – 379, 381, s. a. rapporteur Referentengeheimnis 286 Reform des Prozessrechts  163, 209 Reformation  196, 201, 203 – 205, 209 Register  80, 85, 111

438

Register

Reichsabtei 204 Reichsacht  72, 96, 98, 100, 106, 112 Reichsbischof  195, 204 Reichsdeputation  306, 308 – 309, 311 – 313, 316, 319, 343 Reichsdeputationshauptschluss von 1803  212 Reichsexekution 250 Reichsfiskal 332 Reichsgericht  413 – 421 Reichshofgericht  95 – 98 Reichshofrat  6, 8, 14, 16, 57, 104, 208, 239, 378 f. Reichshofratsagent  259, 283, 289, 298 Reichshofratsordnung  249, 252 – 253, 256, 258, 260 – 261, 266, 269, 274 – 276, 280 – 281, 283, 286, 288 – 292, 298 – 299, 301, 305, 317, 331, 338 – 339, 345 Reichshofratspräsident  260 – 261, 263, 267, 277 – 278, 282, 287, 289, 301, 303, 307, 309, 314 – 315, 317 – 319, 325 – 326, 328, 331, 334 – 337, 340, 345 – 346 Reichshofratstürhüter 283 Reichshofratsvizepräsident  269, 309, 312, 335 Reichskammergericht  152, 208, 241, 243 – 244, 247, 256 – 257, 262, 266, 271, 276, 282, 285, 290 – 291, 302, 309 f., 320, 337, 371, 375, 378 – 379, 381 – 384 Reichskammergerichtsordnung von 1555  202, 376 Reichskanzlei  269, 274, 279, 309, 318, 320, 329, 331 – 336, 340, 343 – 345 Reichskonferenz  314, 334 Reichsstand  278, 283, 306, 308, 329, 336 – 337, 343, 347 – 348 Reichsstift 204 Reichstag  256, 310, 329 – 331, 344 Reichsvizekanzler  259 – 261, 263 – 264, 266, 268, 282 – 283, 291, 301, 306 – 307, 309, 311, 313 – 315, 318 – 320, 325 – 326, 329 – 331, 334, 340, 344 – 347 relatio iudicialis  s. Relation Relation  232, 253 f., 281, 286 – 287, 291 – 297, 306, 311, 328, 342, 373, 377, 379 – 381, 385 – 386 Religionsfrieden von 1555  204 Replik 75 Reproduktion 374 Reservatrechte  239, 337

Resolutionsprotokoll  254 f., 257 – 259, 264, 269, 279 – 280, 290, 293, 295, 297, 299, 314, 342 Restitutionsedikt 250 Revision  17, 20, 25, 27 – 33, 393 Rezeption  15, 55, 78, 80, 167, 186, 225, 246, 250, 365, 417 Rezess  374, 376 Richter  7, 11, 13 – 16, 18, 33 – 38, 40 – 41, 56, 58, 61, 63 – 64, 70, 79, 84, 96 – 100, 102 – 103, 105, 107 – 109, 112, 215 Roman Canon law  s. römisch-kanonisches Recht römisch-kanonisches Recht  36, 39 f., 142, 185, 197, 200 – 202, 213, 216 – 217, 250 Rota Romana  42, 197, 204 – 205, 211, 218, 237 Rufen 375 ruler  s. Landesherr S Sachsenspiegel/Saxon mirror  89, 91 f. Sächsisches Weichbild  78, 92 sächsisch-magdeburgisches Recht  67, 87, 89, 91 f., 94 Schadenszauber 22 Schiedsgericht/Schiedsrichter  5, 12, 95, 101, 105, 111, 114 – 121, 123 – 125, 130 Schlussformel  73, 76, 81, 92 Schmalkaldischer Krieg  82 Schöffe/Schöffengericht/Schöffenstuhl 14, 67 – 88, 91 – 93, 129, 214 Schreiben um Bericht  373 Schriftlichkeit  71, 408, 410 schriftlose Rechtsüberlieferung  s. Mündlichkeit Schuld  24 f. Schulden  129, 403 Schultheiß 68 Schulze  89 – 90 Schwabenspiegel 135 Schwert  82, 84 SED 249 segunda suplicación  171 Sejm 91 Senatsprotokoll  381, 384 – 386 Sendgericht  196, 210, s. a. kirchliche Gerichtsbarkeit Separation of powers  s. Gewaltenteilung

Sachregister/Index of Contents Septimanalrelation  328, 334 – 335 seriatim opinions  36, 38 session  214 – 220 sheriff  216 – 217 Sicherheitsleistung 375 Sicherungsübereignung 419 Siegel  71 f., 75 – 76, 81 – 84, 88, 91 f., 96, 114 sitting in banco  40 sitting in quorum  40 Sitzungszeit 79 Sollizitation  273, 280 ff., 286 f., 290 f., 376 sovereign  s. Landesherr Spruch  27, 70, 72 – 76, 79, 81 – 82, 84 – 88, 90, 92 – 93 Spruchkollegium  68, 79 – 80, 83 – 85, 93 Staatskanzlei 336 Stadt/Stadtrecht  67, 71, 73 – 74, 77, 80, 91 – 93, 129, 380 stagnancy of justice  s. Stillstand der Rechtspflege stante concluso  41, 47 – 48 Statuta Sabauda  132 Statutarrecht  s. Partikularrecht statutes  219 – 220, 222, s. a. Partikularrecht Stillstand der Rechtspflege  5, 8, 53 – 55, 57 – 58, 60 – 61, 63 – 65 Strafrecht  19, 21, 25, 28, 30 – 31, 34, 79 – 80 Strafverfahren  19 – 20, 25 – 26, 80 Stuhlurteil 403 stylus curiae  37, 225, 232, 238 stylus judicandi  211 stylus 226 sub poena  148, 151 Substituten 80 Sühne 80 suitors  214 – 216 summarisches Verfahren  203 summons  147 – 148, 150 – 151, 153, 157 Supplikation  168, 172, 174, 372 Svea Hovrätt  349 Swiss Federal Court  s. Bundesgericht sword  s. Schwert T Tagesordnung  248, 289 – 292, 299, 304, 341 – 342 Ten Commandments  s. Zehn Gebote Tenor  382 – 383

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Tochterstadt 88 torture  s. Folter transmission of files  s. Aktenversendung Transparenz  244, 249, 253, 341 Turku Hofgericht/Court of Appeal  351 Turnus 292 U U. S. Supreme Court  43 – 44 Umfrage  245, 256, 275, 277, 288, 295, 297, 299, 302 – 303, 311, 319, 343 Umschrift  82, 84, 91 Unabhängigkeit  240 – 241, 244 – 246, 248 – 249, 252, 258, 271, 277, 294, 296, 305, 313, 315 – 316, 318, 321, 337 – 339, 346 unanimous  222, 350, 357, 361, 369 Universalkirche  195, 203 f. Universidad de Salamanca  236 Universität  55, 59, 78, 81, 83, 86 Universität Wien  240, 284 Untervogt 68 Urbarium 131 Urkunde  96 – 103, 105, 107 – 114, 121 – 122, 124, 131 – 132, 138, 181, 248 Urteil  19, 26, 29, 35, 79, 84, 90, 97, 100, 103, 105, 109 – 110, 114, 131, 213, 215 – 217 Urteiler  11, 15, 68 – 69, 83, 90, 98 – 105, 109, 125 Urteilsbegründung  14 – 15, 19 – 20, 24, 30, 35, 89, 110, 182, 186, 188, 190, 225 – 226, 233 – 235, 244, 246, 254, 257 – 258, 343, 383 – 384, 404 – 405, 407, 421, s. a. reasoning Urteilsbuch 381 Urteilsform 86 Urteilsgeld 79 Urteilsquote 371 Urteilstenor  36, 281, 377, 381 – 385 Urteilsvorschlag 85 Usus modernus  242, 271 V Vasall  62, 87 Verfahren  7 f., 11, 14, 19, 21, 27, 31 – 32, 56, 67, 74, 76, 79, 81, 83, 85, 95 – 99, 101, 105, 107, 109 – 110, 112, 114, 129 Verfahrensautonomie  239 – 240 f., 245, 248, 253, 261, 264, 273, 277, 304, 308, 313, 315 – 316, 321 – 322, 337 – 338, 340 – 341, 343, 346 Verrechtlichungsprozess  242, 308, 347

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Register

Versäumnisverfahren 375 Verschriftlichung 128 vice…  s .Vize … Vier-Augen-Prinzip 33 Visitation 381 Vizekanzler  261, 269, 281, 300 – 302, 319, 322, 326 – 327, 329 – 335, 340, 345 – 346 Vizepräsident  268, 283, 296, 299, 301 – 302, 310, 318, 320 Vogt/Vogtei  68, 77, 89, 99, 127 Volksgerichtshof 246 Vollmacht 376 Vorabsprache  304, 306, 313, 316, 326, 330, 336, 343 – 345, 347 Vorverhandlung 396 Votenprotokoll  256 f., 302, 339 voting  39 ff., 47 f. – 49, 52, 220 – 222, 349 f., 355, 357, 360 – 362, s. a. Abstimmung Votum decisivum  277, 288 Votum  218, 222, 377, 379 – 380, 386 W Wahlkapitulation  200, 207 – 208, 252 – 253, 256, 261 – 262, 266, 294, 306, 314, 316, 322 – 323, 325, 331, 334, 337, 339 – 340 Waldfrevel 129 Weichbildrecht, Magdeburger  77

Weimarer Reichsverfassung von 1919  212 Weistum  73, 127 Weisung 130 Weltenrichter  72, 81 – 82 weltliches Hochgericht  204 Wergeld 80 Westminster Hall  141 – 144, 146 – 148, 151 – 153, 161, 387, 390, 396 – 397 Wiener Hofburg  244 Wiener Kongress  212 Wissen 132 witchcraft  s. Hexerei, Schadenzauber witness  s. Zeugen writ  147 – 148, 151, 153 Z Zehn Gebote  365 Zeugen  131, 392 Zitationsprozess 373 Zivilrecht  141 f., 150 Zulässigkeit 374 Zuständigkeit  197 – 198, 201, 203, 206 – 207, 211 Zwangsvergleich 281 zweite Supplikation  174, 176, 183, 185, 187 – 188 Zwischenurteil  371, 375, 384, 397 – 398