Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht: Menschenrechtliche Vorgaben bei der Implementierung und Durchsetzung der Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten [1 ed.] 9783428540365, 9783428140367

Gegenstand der Untersuchung ist eine rechtsvergleichende Betrachtung von menschenrechtlichen Vorgaben betreffend die Unt

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Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht: Menschenrechtliche Vorgaben bei der Implementierung und Durchsetzung der Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten [1 ed.]
 9783428540365, 9783428140367

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 19

Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht Menschenrechtliche Vorgaben bei der Implementierung und Durchsetzung der Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten

Von Alena Hartwig-Asteroth

Duncker & Humblot · Berlin

ALENA HARTWIG-ASTEROTH

Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by RiLG Prof. Dr. Kai Ambos

Band / Volume 19

Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht Menschenrechtliche Vorgaben bei der Implementierung und Durchsetzung der Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten

Von Alena Hartwig-Asteroth

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-14036-7 (Print) ISBN 978-3-428-54036-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84036-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Philipps-Universität Marburg im Frühjahr 2012 als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE), in Marburg. Meinem Doktorvater, Herrn Safferling, gilt mein aufrichtiger und zutiefst empfundener Dank. Er hat mir nicht nur die Möglichkeit zur Promotion eröffnet und mir den persönlichen Freiraum zur Arbeit daran gegeben, sondern war stets für konstruktive Gespräche bereit und hat mir in jeder Hinsicht eine umfassende Unterstützung zuteilwerden lassen. Mein herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dieter Rössner für die freund­ liche Unterstützung und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ich danke außerdem Herrn Prof. Dr. Kai Ambos und dem Verlag Duncker & Humblot für die unkomplizierte Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Die Dissertation entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Völkerstrafprozessrecht – International Criminal Procedure“. Daher gilt mein Dank der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Förderung des Projektes und meiner Arbeit. Zudem danke ich der FAZIT-Stiftung für die großzügige Bewilligung eines Druckkostenzuschusses. Tiefer Dank gebührt meinen Freunden und Kollegen des Lehrstuhls und des Forschungs- und Dokumentationszentrums für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) in Marburg. Auch hier gab es jederzeit ein „offenes Ohr“, Gesprächsbereitschaft sowie fachliche und moralische Unterstützung in jeder Phase der Arbeit. Durch dieses Miteinander ist die Zeit der Promotion für mich unvergesslich geworden. Vor allem aber möchte ich meiner Familie danken. Meinen Eltern bin ich zutiefst dankbar für alles, was sie mir auf meinen Lebensweg mitgegeben haben. Ihnen und meinen beiden Geschwistern danke ich für die uneingeschränkte Unterstützung, den soliden Rückhalt und die Ermutigungen in schwierigen Phasen der Arbeit. Durch das beständige Vertrauen, das sie mir entgegenbringen, habe ich gelernt, dass man immer an seinen Aufgaben wächst. Meinem Mann Christian möchte ich besonders danken − für seine liebevolle Geduld, seine Ruhe und Gelassenheit, die er mir auch nach so vielen gemein­ samen Jahren unermüdlich nahebringt, und seinen Halt. Ohne ihn und seinen Opti­mismus wäre die Phase der Promotion sehr viel schwieriger gewesen. Alena Hartwig-Asteroth

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . 26 1. Der Verfahrensablauf an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Das Verfahren zur Inhaftierung von Angeklagten auf Grundlage eines Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Die vorläufige Inhaftierung von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Das Ersuchen um vorläufige Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Überstellung und vorläufige Inhaftierung am Sitz des Tribunals . . . . 30 cc) Exkurs: Rechtsverletzungen während der vorläufigen Inhaftierung im Gewahrsamsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Der Verfahrensablauf am Internationalen Strafgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Das Verfahren zur Inhaftierung von Personen auf Grundlage eines Haft­ befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Das Ersuchen um vorläufige Festnahme einer Person . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . 37 1. Die Frage einer Bindungswirkung der Menschenrechte und einschlägiger Rechtsprechung auf der Ebene internationaler Strafgerichtshöfe . . . . . . . . . . 39 a) Praktische Schwierigkeiten der internationalen Strafgerichtsbarkeit . . . . 40 b) Der Einfluss der Menschenrechte auf die Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Der Einfluss der Menschenrechte auf den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 d) Fazit: Der Einfluss der Menschenrechte auf internationale Strafgerichte 51 2. Der personelle Geltungsbereich der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Die Terminologie der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Der Begriff der strafrechtlichen „Anklage“ in der EMRK und dem IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Der „suspect“ am JStGH und RStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 d) „Persons during an investigation“ am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Das Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme . . . . . . . . . . . . 65 a) Das Unterrichtungsrecht in der EMRK und im IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Rechtliche Grundlagen des Unterrichtungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Inhalt und Umfang der Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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Inhaltsverzeichnis cc) Die zeitlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 dd) Die Anforderungen an Sprache und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Das Unterrichtungsrecht am JStGH und RStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Die rechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Inhalt und Formalitäten der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Bewertung: Das Unterrichtungsrecht an den Ad-hoc-Tribunalen . . . 72 c) Das Unterrichtungsrecht im Römischen Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Die rechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Inhalt und Formalitäten der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Bewertung: Das Unterrichtungsrecht am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Das Recht auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Das Recht auf richterliche Vorführung in der EMRK und im IPbpR . . . . 78 aa) Vorführung vor einen Richter oder eine andere ermächtigte Person . 78 bb) Der Inhalt der Vorführung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Das Erfordernis der „unverzüglichen“ Vorführung . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Das Recht auf richterliche Vorführung am JStGH und RStGH . . . . . . . . 82 aa) Die richterliche Vorführung bei vorläufiger Inhaftierung . . . . . . . . . 82 bb) Die richterliche Vorführung bei regulärer Inhaftierung . . . . . . . . . . . 85 (1) Die Vorführung vor einen Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Der Gegenstand der richterlichen Überprüfung . . . . . . . . . . . . . 85 (3) Das Erfordernis der „unverzüglichen“ Vorführung . . . . . . . . . . . 86 cc) Bewertung: Richterliche Vorführung an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . 87 c) Das Recht auf richterliche Vorführung am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Der Ablauf des Verfahrens im Gewahrsamsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Der Verfahrensablauf nach der Überstellung der Person an den IStGH 89 cc) Bewertung: Vorführung vor einen Richter am IStGH . . . . . . . . . . . . 90 5. Der Anspruch auf ein Urteil bzw. Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Der Anspruch auf ein Urteil bzw. Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist nach der EMRK und dem IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Nationale Entscheidungen als Grundlage der Überprüfung . . . . . . . . 92 bb) Beginn und Ende der maßgeblichen „Frist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Die Beurteilung der „Angemessenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (1) Die Vorgehensweise der menschenrechtssprechenden Gremien . 95 (2) Die „geeigneten“ und „hinreichenden“ Gründe . . . . . . . . . . . . . 96 (3) Die besondere Sorgfalt bei der Verfahrensführung . . . . . . . . . . . 97 (4) Die Beweislast bei der Rüge der unangemessenen Dauer der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Inhaltsverzeichnis

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dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Der Anspruch auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung vor dem JStGH und dem RStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Die rechtlichen Grundlagen an den Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Gegenüberstellung der Regelungen mit menschenrechtlichen Vorgaben – Der Bezugspunkt des Beschleunigungsgebotes . . . . . . . . . . . . 102 (1) Unterscheidung nach dem Wortlaut: Unangemessene Verzögerung – angemessene Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Unterscheidung nach dem Sinn und Zweck: Unangemessene Verzögerung – angemessene Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft 104 (1) Die zweistufige Prüfung als vorgeschlagene Ausgangslage . . . . 104 (2) Kriterien für die Beurteilung der „Angemessenheit“ . . . . . . . . . 105 (3) Die Beweislast bei der Rüge einer Verfahrensverzögerung . . . . . 109 (4) Die Konsequenzen der Feststellung einer unangemessenen Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (5) Die praktische Handhabung des Angemessenheitskriteriums . . . 113 dd) Der zeitliche Geltungsbereich der Beschleunigungsmaxime . . . . . . . 115 ee) Die Beschleunigungsmaxime bei vorläufiger Inhaftierung . . . . . . . . 115 ff) Bewertung: Besondere Verfahrensbeschleunigung für Untersuchungshäftlinge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Der Anspruch auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Die rechtliche Grundlage der allgemeinen Beschleunigungsmaxime am IStGH: Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. als Ausprägung gebotener Beschleunigung bei Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Der Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. . . . . . . . 119 (2) Die Feststellung der unangemessenen Haftdauer aufgrund einer schuldhaften Verzögerung durch den Ankläger nach Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (a) Inhaltliche Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit 120 (b) Die „unentschuldbare Verzögerung“ durch den Ankläger . . 122 (3) Der maßgebliche Zeitraum für die Beurteilung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (4) Die Ermessensentscheidung der Kammer als Rechtsfolge von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (5) Das Verhältnis von Art. 60 Abs. 4 I­StGH-St. und Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (6) Das Verhältnis von Art. 60 Abs. 4 I­StGH-St. und Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

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Inhaltsverzeichnis cc) Die Beschleunigungsmaxime in Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. im Hinblick auf eine Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 dd) Bewertung: Grundsätze der Verfahrensbeschleunigung am IStGH . . 128 6. Das Recht, nicht willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten zu werden 130 a) Der Schutz gegen willkürliche Festnahme oder Inhaftierung in den Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Die Bezugspunkte des Willkürverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Der Begriff der „Willkür“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Ausprägungen des Willkürverbots in Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR . . 132 b) Der Schutz gegen willkürliche Festnahme oder Inhaftierung an den Adhoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Menschenrechtskonforme Auslegung zwecks Etablierung eines Schutzes vor willkürlichem Freiheitsentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Die Festnahme und Inhaftierung auf regulärer Basis . . . . . . . . . . 134 (2) Die vorläufige Festnahme und Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (3) Die praktische Umsetzung durch die Tribunale . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Bewertung des Willkürschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Der Schutz gegen willkürlichen Freiheitsentzug vor dem IStGH . . . . . . . 137 aa) Der Geltungsbereich von Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. . . . . . . . . . 137 bb) Inhaltliche Vorgaben von Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. . . . . . . . . . 138 cc) Bewertung des normierten Willkürverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Die Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Menschenrechtliche Vorgaben für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Die Vorgaben der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Die Vorgaben für die Anordnung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . 144 (1) Der „hinreichende Verdacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Die Verhinderung der Begehung einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . 148 (3) Die Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Vorgaben für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft . . . . . . . 152 (1) „Geeignete“ und „hinreichende“ Gründe für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (a) Anhaltender „hinreichender Verdacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (b) Fortdauernde Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (c) Fortdauernde Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (d) Die Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr . . . . . . . . . . . . . . 155 (e) Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . 155

Inhaltsverzeichnis

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(f) Die Schwere der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (g) Die Erfordernisse der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (h) Weitere Kriterien zur Beurteilung der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (i) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Die „besondere Sorgfalt“ bei der Verfahrensführung . . . . . . . . . 161 cc) Der Grundsatz des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft . . . 163 dd) Der Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips unter Berücksichti­ gung methodischer Aspekte im Hinblick auf die Anwendung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Die Vorgaben der Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Die Voraussetzungen für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Unter­ suchungshaft im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die Systematisierung der materiellen Bedingungen der Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Die Systematisierung der Haftgründe an den Ad-hoc-Tribunalen . . . 179 bb) Die Systematisierung der Haftgründe am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . 181 cc) Fazit in Bezug auf die Systematisierung der Haftgründe . . . . . . . . . . 182 b) Die Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen der Vereinten Nationen 183 aa) Die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft am JStGH und RStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) Die Anordnung von Untersuchungshaft: Der „prima facie case“ . 184 (2) Die vorläufige Inhaftierung von Beschuldigten nach Regel 40bis ­JStGH-VBO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Die (vorläufige) Entlassung aus der Untersuchungshaft an den Adhoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Das ehemalige Erfordernis der „exceptional circumstances“ . . . 192 (2) Das Erfordernis fortdauernden Tatverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (3) Die Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (4) Die „Gefährdung von Opfern, Zeugen oder anderen Personen“ . 200 (5) Das neue Erfordernis der „humanitären Gründe“ – Die Änderung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO im Oktober 2011 . . . . . . . . . . . . 203 (6) Die Anhörung des Gaststaates und des Aufnahmestaates . . . . . . 206 cc) Übergeordnete formelle Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (1) Die Verteilung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Das richterliche Ermessen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO . . . . . . . 212 (3) Die Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft (Regel-Ausnahme-Verhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (4) Der Einfluss der Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

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Inhaltsverzeichnis dd) Versuch einer Dogmatisierung – Menschenrechtskonformität der Auslegung und Anwendung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO? . . . . . . . . . 221 (1) Die Ebene der Legitimität von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO . . . . . 222 (2) Die Ebene der konkreten Anwendung von Regel 65 (B) JStGHVBO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (3) Bewertung der Überprüfung der Menschenrechtskonformität . . 230 ee) Die Auflagenpraxis der Tribunale bei vorläufigen Haftentlassungen 230 ff) Fazit: Die Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . . . . . 231 c) Die Untersuchungshaft am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) . . . 233 aa) Die Anordnung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (1) Die „reasonable grounds to believe“ als Ausprägung des Tat­ verdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (2) Die Notwendigkeit der Festnahme als Maßstab („appears necessary“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (3) Die Haftgründe des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. . . . . . . . . . . 240 (a) Die Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (b) Die Verdunkelungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (c) Die Gefahr der Wiederholung von Verbrechen . . . . . . . . . . . 242 bb) Die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (1) Rechtliche Grundlagen der Prüfung und Entscheidung über eine Aufrechterhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (2) Die Haftvoraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Fortdauernder hinreichender Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . 245 (b) Die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung als Maßstab („appears necessary“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (c) Die Haftgründe im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (aa) Die Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (bb) Die Verdunkelungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (cc) Die Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (dd) Die vorläufige Entlassung aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (d) Fazit zu den Haftvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 cc) Übergeordnete formelle Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (1) Die Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (2) Die Rechtsfolge der Beurteilung der Haftvoraussetzungen . . . . . 259 (3) Der Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft (Regel-Ausnahme-Verhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (4) Der Einfluss der Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (5) Die Untersuchung der Menschenrechtskonformität unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeits- und Wesensgehaltsaspekten 267

Inhaltsverzeichnis

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(a) Die Ebene der Legitimität der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (b) Die Ebene der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (c) Fazit im Hinblick auf die Menschenrechtskonformität . . . . . 271 (6) Die Anhörung des Gaststaates und des Aufnahmestaates . . . . . . 271 dd) Die Möglichkeit zur Anordnung von Auflagen bei vorläufigen Haftentlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 ee) Fazit: Die Untersuchungshaft am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Zusammenfassung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Das Erfordernis des Tatverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Das Vorliegen von Haftgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Formelle Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung . . . . . . . . 284 1. Das Recht auf richterliche Haftprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Die Vorgaben der Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR . . . . . . . . . . 284 aa) Die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung als Maßstab der Haftprüfung . 285 bb) Das Verfahren der Haftprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 cc) Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit „innerhalb kurzer Frist“ 287 b) Das Recht auf richterliche Haftprüfung an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . 288 aa) Die inhaltliche Anerkennung des Rechts auf gerichtliche Haftprüfung 288 bb) Die Ausgestaltung und Durchsetzungsmöglichkeiten einer Haftprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Grundsätze eines Haftprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 dd) Feststellungen für eine Haftprüfung an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . 292 ee) Sonderfall: Der erneute Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Das Recht auf richterliche Haftprüfung vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . 294 aa) Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 bb) Der ordnungsgemäße Erlass des Haftbefehls als Prüfungsgegenstand 295 cc) Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft als Gegenstand der Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (1) Die Möglichkeiten zur Einleitung einer Haftprüfung . . . . . . . . . 296 (a) Die Haftprüfung auf Betreiben der Vorverfahrenskammer . . 296 (b) Die Haftprüfung auf Antrag des Anklägers oder der inhaftierten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (2) Der Gegenstand der richterlichen Haftprüfung . . . . . . . . . . . . . . 299 (3) Der Maßstab für die richterliche Haftprüfung . . . . . . . . . . . . . . . 300 (4) Die Rechtsfolgen der Haftprüfung nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. 303 (5) Die geltenden Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 dd) Bewertung des Haftprüfungsrechts am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

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Inhaltsverzeichnis 2. Möglichkeiten der Opferbeteiligung in Bezug auf Fragen der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Die bisherige Stellung des Opfers vor internationalen Strafgerichten . . . 307 b) Die Beteiligungsrechte von Opfern vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Die Stellung des Opfers vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 bb) Die Zulassung als Opfer vor dem Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 cc) Die Voraussetzungen der Opferbeteiligung im Haftprüfungsverfahren 310 dd) Der grundlegende Konflikt zwischen dem Sinn der Opferbeteiligung und dem Zweck von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 ee) Gefahren für die Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten . . . . . 316 c) Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 V. Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Vorschläge im Hinblick auf die Rechte des Untersuchungshäftlings . . . . . . . 320 2. Vorschläge bezüglich der Voraussetzungen und Grundsätze zur Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Die Rechtslage an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Die Rechtslage am Internationalen Strafgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Vorschläge in Bezug auf sonstige Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

C. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz a. E. am Ende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEMR a. F. alte Fassung Alb. L. Rev. Albany Law Review Am. Crim. L. Rev. American Criminal Law Review AMICC American NGO Coalition for the International Criminal Court Am. J. Comp. L. American Journal of Comparative Law Am. J. Int’l L. American Journal of International Law American University International Law Review Am. U. Int’l. L. Rev Am. U. L. Rev. American University Law Review Anm. d. Verf. Anmerkung der Verfasserin AO Abgabenordnung APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte ARIEL Austrian Review of International and European Law Art. Artikel Australian Yearbook of International Law Aust. YB Int’l L. AVR Archiv des Völkerrechts Berkeley J. Int’l L. Berkeley Journal of International Law BGBl. Bundesgesetzblatt BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen British Yearbook of International Law Brit. YB Int’l L. Brook. J. Int’l L. Brooklyn Journal of International Law bspw. beispielsweise Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE bzw. beziehungsweise Covenant on Civil and Political Rights CCPR Chicago-Kent Law Review Chi.-Kent L. Rev. Chin. J. Int’l L. Chinese Journal of International Law Clev. St. L. Rev. Cleveland State Law Review C. M. L. Rev. Common Market Law Review Colum. Hum. Rts. L. Rev. Columbia Human Rights Law Review Colum. J. Transant’l L. Columbia Journal of Transnational Law Comm. L. World Rev. Common Law World Review Conn. J. Int’l L. Connecticut Journal of International Law Crim. L. & Philos. Criminal Law and Philosophy Crim. L. Forum Criminal Law Forum Crim. L. Q. Criminal Law Quarterly Crim. L. Rev. Criminal Law Review Denver J. Int’l L. & Pol’y Denver Journal of International Law and Policy das heißt d. h.

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Abkürzungsverzeichnis

Doc. Document Duke J. Comp. & Int’l L. Duke Journal of Comparative and International Law ECCC Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia ECHR European Convention on Human Rights EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Kommission für Menschenrechte EKMR EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Engl. Englisch Europäische Rechtsakademie ERA et al. und andere EU Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuGRZ Eur. Hum. Rts. L. Rev. European Human Rights Law Review Eur. J. Crime Crim. L. Crim. Just. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice European Journal of International Law Eur. J. Int’l L. Eur. L. Rev. European Law Review Fla. J. Int’l L. Florida Journal of International Law Fordham Int’l L. J. Fordham International Law Journal GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Ga. J. Int’l & Comp. L. Georgia Journal of International and Comparative Law Geo. L. J. Georgetown Law Journal GG Grundgesetz Halbs. Halbsatz Harv. Int’l L. J. Harvard International Law Journal Hervorhebung durch Verfasserin Hervorh. d. Verf. Houst. J. Int’l L. Houston Journal of International Law Howard L. J. Howard Law Journal HRC Human Rights Committee HRRS Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Hum. Rts. L. J. Human Rights Law Journal Human Rights Law Review Hum. Rts. L. Rev. Hum. Rts. Q. Human Rights Quarterly Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften HuV-I ICC International Criminal Court International Covenant on Civil and Political Rights ICCPR ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda ICTY International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia i. d. F. in der Fassung IGH Internationaler Gerichtshof ILSA International Law Students Association ILSA J. Int’l & Comp. L. ILSA Journal of International and Comparative Law Ind. L. J. Indiana Law Journal Int’l & Comp. L. Q. International and Comparative Law Quarterly Int’l Crim. Just. Rev. International Criminal Justice Review Int’l Crim. L. Rev. International Criminal Law Review Int’l J. Evidence & Proof International Journal of Evidence and Proof

Abkürzungsverzeichnis

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Int’l Lawyer The International Lawyer Int’l Legal Persp. International Legal Perspectives Int’l Legal Prac. International Legal Practitioner IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Irish Stud. L. Rev. Irish Student Law Review I. R. R. C. International Review of the Red Cross ISCRL International Society for the Reform of Criminal Law ISPI Istituto per gli Studi di Politica Internazionale Internationaler Strafgerichtshof IStGH IStGHG IStGH-Gesetz JA Juristische Arbeitsblätter Journal of Armed Conflict Law J. Armed Conflict L. J. Conflict & Security L. Journal of Conflict and Security Law J. Int’l Crim. Just. Journal of International Criminal Justice Journal of International Law and International Relations J. Int’l L. & Int’l Rel. Journal of Law and Society J. L. & Soc’y JStGH Jugoslawienstrafgerichtshof JZ Juristenzeitung Law & Ethics Hum. Rts. Law and Ethics of Human Rights Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals Law and Practice of International Courts and Tribunals Leiden J. Int’l L. Leiden Journal of International Law lit. litera Liverpool L. Rev. Liverpool Law Review Loy. L. A. Int’l & Comp. L. Rev. Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review Mich. J. Int’l L. Michigan Journal of International Law Modern L. Rev. Modern Law Review MPYUNL Max Planck Yearbook of United Nations Law m. w. N. mit weiteren Nachweisen N. C. J. Int’l L. & Com. Reg. North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation Neth. Int’l L. Rev. Netherlands International Law Review Neth. YB Int’l L. Netherlands Yearbook of International Law New Engl. L. Rev. New England Law Review NJW Neue Juristische Wochenschrift Nordic J. Int’l L. Nordic Journal of International Law Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ Nw. J. Int’l Hum. Rts. Northwestern Journal of International Human Rights N. Y. U. J. Int’l L. & Pol. New York University Journal of International Law and Politics N. Y. U. L. Rev. New York University Law Review OHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights Okla. L. Rev. Oklahoma Law Review Pace Int’l L. Rev. Pace International Law Review RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Regent U. L. Rev. Regent University Law Review Rg Rechtsgeschichte

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Abkürzungsverzeichnis

RIW Recht der internationalen Wirtschaft RPE Rules of Procedure and Evidence RStGH Ruandastrafgerichtshof S. Afr. J. Crim. Just. South African Journal of Criminal Justice S. Afr. J. Hum. Rts. South African Journal on Human Rights School of Criminology, International Criminal Law and SCIP Psychology of Law SCSL Special Court for Sierra Leone Stanford Journal of International Law Stan. J. Int’l L. St. Louis U. Pub. L. Rev. Saint Louis University Public Law Review St. Louis-Warsaw Transatlantic L. J. Saint Louis-Warsaw Transatlantic Law Journal StPO Strafprozessordnung StV Strafverteidiger Supp. Supplement Texas Law Review Texas L. Rev. Transnat’l L. & Contemp. Probs. Transnational Law and Contemporary Problems u. a. und andere UCLA University of California, Los Angeles UCLA J. Int’l L. & For. Aff. UCLA Journal of International Law and Foreign Affairs U. N. United Nations University of Kansas Law Review Univ. of Kansas L. Rev. US United States Va. J. Int’l L. Virginia Journal of International Law Va. L. Rev. Virginia Law Review VBO Verfahrens- und Beweisordnung Vereinte Nationen VN VwGO Verwaltungsgerichtsordnung Wisc. Int’l L. J. Wisconsin International Law Journal Wisc. L. Rev. Wisconsin Law Review WVK Wiener Vertragsrechtskonvention Yale J. Int’l L. Yale Journal of International Law YB Int’l Hum. L. Yearbook of International Humanitarian Law ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z. B. zum Beispiel ZIS Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW

A. Einleitung Die Untersuchungshaft ist einer der schwersten Eingriffe in das Recht auf Freiheit einer Person. Während das Konzept der Freiheitsentziehung einer Person zu Zwecken der Sicherstellung der Durchführung eines Verfahrens bereits seit mehreren Jahrhunderten existiert,1 ist die Durchsetzung des Gedankens, diesen Eingriff in eines der wichtigsten Güter des Menschen an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen, erheblich jünger. Mit der Entwicklung und Implementierung von nahe­zu weltweit gültigen Menschenrechtsstandards sowie der Einrichtung eines globalen Menschenrechtsschutzes im letzten Jahrhundert sind die Weichen für den grundlegenden Schutz des Rechts auf Freiheit gestellt worden. Die enge Verbindung zwischen dem Recht auf Freiheit in seiner Ausprägung durch die menschenrechtlichen Gewährleistungen und dem Bereich des Strafrechts besteht seit jeher. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Institut der Untersuchungshaft zu.2 Zu dem Zweck der Durchführung eines Strafverfahrens kann dem Betreffenden bereits in dessen Vorfeld die Freiheit entzogen werden. Gerade bedingt durch die Schwere des Eingriffs einerseits, und die fundamentale Bedeutung des Rechts auf Freiheit andererseits, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff gerechtfertigt, mithin menschenrechtskonform ist. Im Kern geht es hierbei um eine Abwägung wider­ streitender Interessen, namentlich dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und dem Freiheitsinteresse des Betroffenen.3 Diese Gedanken beanspruchen traditionell für nationale Strafverfahren Geltung. Auch die Konzeptionierung eines global anerkannten Menschenrechtsstandards ist auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger zugeschnitten. Parallel zu dieser Ebene des Zusammenspiels strafrechtlicher Verfahren und spezieller menschenrechtlicher Gewährleistungen auf der nationalen „Mikroebene“ haben in den vergangenen Jahrzehnten bedeutsame Entwicklungen auf einer völkerrechtlichen „Makroebene“ stattgefunden.

1

Schubarth, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, S. 57 f. So für das im deutschen Grundgesetz verankerte Recht auf Freiheit BVerfG, Beschluss vom 19. März 2001, 2 BvR 1286/01, Rn. 16 („überwiegende Belange, zu denen die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung gehören“). 3 BVerfG, Beschluss vom 19. März 2001, 2 BvR 1286/01, Rn. 16 („Ein vertretbarer Ausgleich des Widerstreites dieser für den Rechtsstaat wichtigen Grundsätze lässt sich im Bereich des Rechtes der Untersuchungshaft nur erreichen, wenn den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt der wirksamen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten wird.“). 2

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A. Einleitung

Dem Gedanken eines universell geltenden Strafrechts (im Sinne eines Völkerstrafrechts) wurde erstmals in Nürnberg zur Durchsetzung verholfen. Nachdem sich die Idee einer strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechern nach dem Ersten Weltkrieg durch die Schaffung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit nicht effektiv durchsetzen konnte,4 ist die „Geburtsstunde“ des Völkerstrafrechts auf den Beschluss des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg vom 08. August 1945 zu datieren.5 Erstmals wurde ein Gericht geschaffen, welches Verstöße des Einzelnen gegen Normen des Völkerrechts strafrechtlich sanktioniert. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Ausgangspunkt der Entstehung und Realisierung von Völkerstrafrecht markierte in der darauf folgenden Entwicklung den Anfang. Nach der Errichtung des Internationalen Militärtribunals für den Fernen Osten in Tokio im Januar 1946 dauerte es gleichwohl nahezu 50 Jahre, bis mit der Einrichtung des Internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) 6 durch die Vereinten Nationen im Jahr 1993 an diese anfänglichen Entwicklungen des Völkerstrafrechts angeknüpft wurde. Kurze Zeit darauf erfolgte die Einrichtung des Internationalen Tribunals für Ruanda (RStGH),7 wobei dieses als „Zwillingsgericht“8 zum Jugoslawien-Strafgerichtshof vor allem in institutioneller Hinsicht mit letzterem verschränkt ist. Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) 9 kennzeichnet den Höhepunkt der bisherigen Entwicklung des Völkerstrafrechts. Den jahrzehntelangen Bemühungen um die Schaffung eines solchen ständigen internationalen Strafgerichts wurde am 01. Juli 2002 mit dem In-Kraft-Treten des am 17. Juli 1998 verabschiedeten Römischen Statuts zum Durchbruch verholfen. Geschaffen wurde eine internationale Strafgerichtsbarkeit, die zwar von einer Vielzahl an Staaten getragen, zugleich aber mit hohen Anforderungen und Erwartungen sowie einer eben solchen Vielzahl an Problemen konfrontiert wird.10 In vielerlei Hinsicht bestehen solche Probleme in Bezug auf die praktische Durchführung von Völkerstrafrecht in Gestalt eines Völkerstrafprozessrechts. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ein solches Verfahrensrecht nicht gänzlich als Fortentwicklung einer Rechtstradition begriffen werden kann, sondern 4

Neubacher, S. 306 f. Ferner zur Geschichte des Völkerstrafrechts s. unter anderem Ahlbrecht; Meernik/King, in: Int’l Crim. L. Rev. 1 (2001), 343, 347 ff. 5 Werle, Rn. 14 („Geburtsurkunde“); Eser, in: Courakis, S. 345 („Ausgangspunkt einer echten internationalen Strafgerichtsbarkeit“); Safferling, in: Rg 14 (2009), 148, spricht vom Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als „Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte“. 6 Im Folgenden: „JStGH“ für den Jugoslawienstrafgerichtshof (engl. International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia bzw. ICTY). 7 Im Folgenden: „RStGH“ für den Ruandastrafgerichtshof (engl. International Criminal Tribunal for Rwanda bzw. ICTR). 8 Vitzthum, S. 558. 9 Im Folgenden: „IStGH“ für den Internationalen Strafgerichtshof (engl. International ­Criminal Court bzw. ICC). 10 Hunt, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 56, 58.

A. Einleitung

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sich vielmehr als „einzigartiger Kompromiss“11 darstellt, mit der Bemühung, ein eigenes, internationales Strafverfahrensrecht zu schaffen. Doch auch im Bereich des Völkerstrafprozessrechts haben im Laufe der Jahre erhebliche Entwicklungen stattgefunden.12 Von erheblicher Relevanz in der Praxis der internationalen Strafgerichte ist die Untersuchungshaft. Ebenso wie im nationalen Bereich besteht auch hier ein enger Zusammenhang zwischen dem Gedanken, die Durchführung eines solchen Völkerstrafverfahrens zu sichern, und der Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft unter Zurückstellung des Freiheitsinteresses des Beschuldigten.13 Dies gilt gerade vor dem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Schwere der Verbrechen und deren Ausmaß. So sind die Vertragsstaaten des Römischen Statuts darin übereingekommen, dass diejenigen Verbrechen, „welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ und „den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen“, wirksam verfolgt werden sollen.14 Das Interesse an einer effektiven Strafverfolgung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher wird im Bereich des Völkerstrafrechts durch die Weltöffentlichkeit bekundet.15 Diesem Interesse gegenüber steht die Rechtsposition des Beschuldigten im Allgemeinen, und speziell in diesem Zusammenhang dessen Freiheitsinteresse. Die Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte und hiermit die zunehmende Bedeutsamkeit des Rechts auf Freiheit zeitigen auch hier einen Einfluss und haben zu erheblichen Fortschritten im Bereich des Untersuchungshaftrechts vor internationalen Strafgerichten beigetragen. Während weder Nürnberg noch Tokio in Ermangelung dahingehender Vorschriften einen geeigneten Präzedenzfall boten,16 sieht das Regelwerk der Ad-hoc-Tribunale die Möglichkeit einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft vor. Obgleich der eher rudimentären Verankerung des Gedankens, die Möglichkeit einer solchen Entlassung überhaupt in Betracht zu ziehen bzw. in Betracht ziehen zu müssen, ist eine Entwicklung gegenüber Nürnberg und Tokio nicht zu verkennen. Wie in manch anderer Hinsicht auch, ist es in den rechtlichen Grundlagen des IStGH gegenüber denjenigen des JStGH und RStGH durch die Einführung grundlegender Vorschriften diesbezüglich zu weiteren Neuerungen gekommen. Die rechtlichen Herausforderungen für internationale Strafgerichte sind gleichwohl zahlreich. Sie müssen den Spagat schaffen zwischen der Wahrung der Rechte 11

Kreß, in: J. Int’l Crim. Just. 1 (2003), 603, 604. Byrne, in: Conn. J. Int’l L. 25 (2010), 243, spricht in diesem Zusammenhang von den Ver­ fahren vor dem IStGH als „dritter Inkarnation“ einer internationalen Strafverfahrenspraxis nach Nürnberg und Tokio, sowie den Ad-hoc-Tribunalen der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. 13 Mit der Bezeichnung des „Beschuldigten“ bzw. „Angeklagten“ sind gleichermaßen männliche und weibliche Personen gemeint; eine nähere Differenzierung erfolgt nicht. 14 So die Präambel des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. 15 Beresford, in: Am. J. Int’l L. 96 (2002), 628, 630. 16 Dazu Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1117 f. 12

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A. Einleitung

des Beschuldigten einerseits und ihrer besonderen Stellung als internationale Strafgerichte andererseits, eingerichtet zu dem Zweck der Verfolgung schwerster Verbrechen zur Wiederherstellung von Frieden und Gerechtigkeit. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe wird gerade im Bereich der Untersuchungshaft deutlich. Der Tatsache, dass die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges gewissen rechtlichen Anforderungen genügen muss, kann sich nicht verschlossen werden. Gleiches gilt für bestimmte Gewährleistungen, die der betreffenden Person zustehen. Auf der anderen Seite gestatten weder die Statuten der Ad-hoc-Tribunale, noch dasjenige des IStGH die Durchführung eines Verfahrens in Abwesenheit des Angeklagten.17 Aufgrund der oftmals exponierten Stellung und der zahlreichen, auch internationalen, Kontakte der Angeklagten steht beispielsweise zu befürchten, dass dieser sich im Fall einer vorläufigen Entlassung aus der Haft dem Verfahren durch Flucht entzieht. Hierdurch würden heftigste Reaktionen der internationalen Gemeinschaft hervorgerufen, die Schwere und das Ausmaß der Verbrechen vor Augen, nicht zuletzt auch seitens der zahlreichen Opfer.18 Hinzu kommt, dass internationale Strafgerichte, gleich einem „Kopf ohne Körper“,19 über keinen eigenen Vollzugsapparat verfügen, sondern in jeglicher Hinsicht auf die Kooperation von Staaten angewiesen sind. Diese prekäre Situation hat in der Praxis dazu beigetragen, dass nur in einer sehr geringen Anzahl von Fällen Personen vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Die Voraussetzungen und Umstände dieser Handhabung werden in der vorliegenden Arbeit noch genauer zu untersuchen sein. Bei einer fortdauernden Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft kann es zu Spannungen im Hinblick auf die Rechte des Inhaftierten kommen. Besondere Besorgnis gilt diesbezüglich der mehrere Jahre andauernden Untersuchungshaft vor dem Hintergrund des Rechts auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist.20 In der vorliegenden Arbeit geht es nun darum, die Voraussetzungen der Untersuchungshaft vor praktizierenden internationalen Strafgerichten, namentlich dem JStGH und dem RStGH als Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen, sowie dem IStGH, zu untersuchen. Sowohl die theoretischen Grundlagen als auch deren Umsetzung in der Praxis sollen gemessen werden an international anerkannten Men-

17 s. nur Art. 63 Abs. 1 IStGH-St.; ferner Shraga/Zacklin, in: Eur. J. Int’l L. 5 (1994), 360, 376 f.; Brown, in: Brook. J. Int’l L. 24 (1999), 763, 777 ff. 18 Dahingehende Reaktionen erfolgten bereits im August 2009, als die zuständige Vor­ verfahrenskammer des IStGH im Verfahren gegen Bemba dessen vorläufige Entlassung aus der Haft anordnete. Die Berufungskammer hingegen entschied am 02. Dezember 2009, dass die Untersuchungshaft weiterhin aufrecht erhalten werden solle. Zu einer Entlassung Bembas aus der Haft kam es demnach nicht. 19 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 322, stellt den Vergleich an zu einem „Kopf ohne Hände“. 20 Dazu Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 13 ff., unter Hinweis auf eine durchschnittliche Haftdauer von fünf Jahren vor dem JStGH.

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schenrechtsstandards des IPbpR21 und der EMRK22 im Hinblick auf das Recht auf Freiheit, die auch auf der Ebene des Völkerstrafrechts einen gewissen Einfluss zeitigen. Hierzu gehören neben den materiellen Voraussetzungen der Untersuchungshaft diverse formelle Grundsätze, sowie besondere Gewährleistungen im Zusammenhang mit der Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft. Außen vor soll hingegen die Einbeziehung diverser Regularien bleiben, welche die nähere Ausgestaltung der Inhaftierung regeln. Bei Betrachtung der Untersuchungshaft auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit darf deren Untersuchung in Bezug auf den JStGH und den RStGH nicht fehlen. Obgleich diesen beiden Tribunalen in mittlerweile absehbarer Zeit nur noch eine rechtshistorische Bedeutung zukommen wird, entbehren sie jedoch in der Entwicklung des Völkerstrafrechts als erste internationale Strafgerichte nach Nürnberg und Tokio nicht einer doch erheblichen Bedeutung. Dabei soll es nicht nur auf die fortschrittlichen Entwicklungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegenüber den Vorläufer-Tribunalen der Vereinten Nationen ankommen. Vielmehr haben sich im Laufe der Jahre sowohl am JStGH als auch am RStGH signifikante Änderungen in der Rechtslage und deren Anwendung in der Rechtsprechung ergeben, die ebenfalls Berücksichtigung finden. Vorab soll in kursorischer Weise der Ablauf des Verfahrens betreffend die Untersuchungshaft sowohl an den Ad-hoc-Tribunalen als auch am IStGH dargestellt werden (I.). Im Anschluss hieran erfolgt eine Betrachtung der menschenrechtlichen Gewährleistungen der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR und der jeweiligen Rechtslage und Praxis an internationalen Strafgerichten (II.). Im dritten Teil der Arbeit werden die materiellen Voraussetzungen einer solchen Inhaftierung sowie formelle Grundsätze und Leitprinzipien untersucht, wiederum im Hinblick auf die menschenrechtlichen Vorgaben (III.). Hierauf folgend soll neben der Möglichkeit einer Haftprüfung die Frage der Opferbeteiligung an Haftfragen thematisiert werden (IV.), bevor in einem letzten Kapitel konkrete Lösungs- bzw. Verbesserungsvorschläge vorgelegt werden (V.).

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Art. 9 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft Zwecks der Bewahrung von Übersichtlichkeit soll zunächst der Ablauf des Verfahrens betrachtet werden, welches zu der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft der betreffenden Person am Sitz des jeweiligen Gerichtes führt. Die rechtlichen Grundlagen zur Festnahme, Überstellung und Inhaftierung der Person sollen kontextuell dargestellt werden. Dabei sind neben den Statuten auch die Verfahrens- und Beweisordnungen der Gerichte als maßgebliches Instrumentarium zur rechtlichen Regelung der Untersuchungshaft zu berücksichtigen. 1. Der Verfahrensablauf an den Ad-hoc-Tribunalen Sowohl am JStGH als auch am RStGH1 ist der Ankläger die einzige Instanz, der die Einleitung von Ermittlungen obliegt. Ermittlungen werden unter anderem mit dem Ziel eingeleitet, zu deren Abschluss einen Beschuldigten identifizieren zu können, auf den bestimmte Verdachtsmomente als mutmaßlichen Täter hindeuten. a) Das Verfahren zur Inhaftierung von Angeklagten auf Grundlage eines Haftbefehls Die erste Möglichkeit, einer Person zwecks strafrechtlicher Verfolgung habhaft zu werden, besteht über den Erlass eines richterlichen Haftbefehls. Nach Abschluss der Ermittlungen arbeitet der Ankläger eine Anklageschrift aus, sofern nach seinem Dafürhalten ausreichend Beweise für den Verdacht der Begehung eines Verbrechens vorliegen, und übermittelt diese zwecks richterlicher Bestätigung an den Kanzler, vgl. Regel 47 (B) JStGH-VBO.2 Dieser leitet die Anklageschrift und das dazugehörige Begleitmaterial an den zuständigen Richter weiter, Regel 47 (D) JStGH-VBO. Gemäß Art. 19 Abs. 1 JStGH-St., Regel 47 (E) 1 Die Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien, „JStGH“ (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, ICTY), sowie für Ruanda, „RStGH“ (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR). 2 Verfahrens- und Beweisordnung, „VBO“ (Rules of Procedure and Evidence, RPE). Im Folgenden wird lediglich nach der Verfahrens- und Beweisordnung des JStGH zitiert, da diejenige des RStGH dieser entspricht. Bei Abweichungen wird auf die Unterschiede hingewiesen.

I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft

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J­ StGH-VBO muss dieser davon überzeugt sein, dass ein „prima facie case“3 vorliegt, um die Anklageschrift bestätigen zu können. Nur in dem Fall, dass der Ankläger einen solchen „prima facie case“ glaubhaft machen kann und die Anklage durch den Richter bestätigt wird, ist der Erlass eines Haftbefehls möglich, Art. 19 Abs. 2 JStGH-St., Art. 18 Abs. 2 RStGH-St., Regel 47 (H) ­­JStGH-VBO. Ein solcher Haftbefehl ist durch den Ankläger zu beantragen. Das auf diesen Antrag folgende Procedere wird durch Regel 55 ­JStGH-VBO bestimmt. Eine zertifizierte Kopie des Haftbefehls wird zusammen mit einer Kopie der Anklage und einer Belehrung über die Rechte des Angeklagten an diesen oder an den Staat übermittelt, in dessen Territorium sich der Angeklagte (mutmaßlich) aufhält, Regel 55 (C), (D) ­JStGH-VBO.4 Regel 56 J­ StGH-VBO verdeutlicht in diesem Zusammenhang die Kooperationspflicht der Staaten.5 Nach der Festnahme des Angeklagten durch den jeweiligen Staat ist dieser dort zu inhaftieren und die Überstellung an das Tribunal zu arrangieren, Regel 57 ­JStGH-VBO. Ist die Überstellung an das Tribunal erfolgt, so ist der Angeklagte gemäß Regel 62 ­JStGH-VBO unverzüglich der Verfahrenskammer oder einem Richter dieser Kammer vorzuführen, um formal angeklagt zu werden. Regel 64 ­JStGH-VBO sieht im Anschluss an die Überstellung die zwingende Unterbringung in Untersuchungshaft vor. Der Angeklagte kann nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf Anordnung der Kammer hin vorläufig aus der Haft entlassen werden, Regel 65 (A), (B) J­ StGH-VBO.6 Dabei lautet Regel 65 (B) J­ StGH-VBO als für die Untersuchungshaft maßgebende Vorschrift: „Release may be ordered at any stage of the trial proceedings prior to the rendering of the final judgment by a Trial Chamber only after giving the host country and the State to which the accused seeks to be released the opportunity to be heard and only if it is satisfied that the accused will appear for trial and, if released, will not pose a danger to any victim, witness or other person. The existence of sufficiently compelling humanitarian grounds may be considered in granting such release.“

Sofern diese Erfordernisse nicht gegeben sind, ist die Untersuchungshaft aufrecht zu erhalten.7 3

Zur näheren inhaltlichen Bestimmung dieses Terminus s. B. III. 2. b) aa) (1). Auf die Möglichkeiten, Angeklagte durch UN-Friedenstruppen festnehmen zu lassen, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden. Dazu Gaeta, in: Eur. J. Int’l L. 9 (1998), 174 ff.; Kalinauskas, in: Univ. of Kansas L. Rev. 50 (2002), 383, 404 ff.; Frulli, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 351 ff. 5 Zu dieser Verpflichtung s. Harhoff, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 571, 579 ff.; Stroh, in: MPYUNL 5 (2001), 249, 253 ff.; Gamarra/Vicente, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 627 ff. 6 Ein Einzelrichter kann, im Gegensatz zur Rechtslage am IStGH, keine wirksame Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft treffen, vgl. Mundis/Gaynor, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 879, 894. 7 Die Relevanz der Entscheidung über eine vorläufige Haftentlassung lässt sich in prozessualer Hinsicht auf vier verschiedene Ebenen eines Verfahrens verteilen, dazu Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 9 f. 4

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

b) Die vorläufige Inhaftierung von Personen In der Praxis der Tribunale ebenso relevant wie problematisch ist die vorläufige Festnahme und anschließende Inhaftierung von Personen, gegen die (noch) kein ordentlicher Haftbefehl vorliegt. Zumeist entbehrt es in diesen Fällen der richterlich bestätigten Anklage. Unter bestimmten, eine besondere Dringlichkeit erfordernden Umständen ist die Anklagebehörde den Verfahrensordnungen zufolge mit der Befugnis ausgestattet, noch während der Phase der Ermittlungen um die Festnahme einer Person zu ersuchen. Der entsprechende Verfahrensablauf ist in den Regeln 40, 40bis ­JStGH-VBO normiert. Während Regel 40 ­JStGH-VBO die Möglichkeit eines Festnahmeersuchens als vorläufige Maßnahme vorsieht, normiert Regel 40bis ­JStGH-VBO das Procedere zur Überstellung und weiteren Inhaftierung der Person am Sitz des Tribunals. aa) Das Ersuchen um vorläufige Festnahme Regel 40 (i) ­JStGH-VBO beinhaltet die weitreichende Kompetenz der Anklagebehörde, in dringenden Fällen („in the case of urgency“) einen Staat ersuchen zu können, einen „suspect“8 oder Angeklagten vorläufig festzunehmen, Regel 40 (i) ­JStGH-VBO.9 Wann ein solch dringender Fall vorliegt, ist nicht näher definiert. Aus der Zusammenschau mit Art. 19 JStGH-St., Art. 18 RStGH-St. ergibt sich aber, dass ein dringender Fall dann vorliegt, wenn die richterliche Bestätigung der Anklage mit darauf folgendem Erlass eines Haftbefehls nicht abgewartet werden kann. Dies ist der Fall, wenn es gilt, die Flucht der Person, die Verletzung oder Einschüchterung eines Opfers oder Zeugen, oder die Zerstörung von Beweis­ material zu verhindern.10 Da Regel 40 J­StGH-VBO im Zusammenhang mit Regel 39 J­ StGH-VBO und dem Abschnitt über die Regelung der Ermittlungen steht, dient die vorläufige Inhaftierung vornehmlich dem Erfolg der Ermittlungen.11 Bis auf die Dringlichkeit sind keine weiteren Voraussetzungen für das Ersuchen um vorläufige Festnahme ersichtlich. Kritisch wird in dieser Hinsicht angemerkt, dass der erforderliche Verdachtsgrad nicht normiert ist.12 Nicht nur aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der Norm, sondern auch bedingt durch die freie Handhabe des Anklägers ohne richterliche Kontrolle in dieser Hinsicht, wird ferner die Vereinbarkeit mit international anerkannten menschenrechtlichen Standards in 8

Zur begrifflichen Klärung s. B. II. 2. c). Regel 40 (A) (i) RStGH-VBO. Die Erweiterung des Wortlautes von Regel 40 (i) ­JStGH-VBO auf den Angeklagten bedeutet, dass der Ankläger auch zwischen der Bestätigung der Anklage und dem Erlass des Haftbefehls in dringenden Fällen selbstständig die Festnahme der Person ersuchen darf. Zu weiteren Unterschieden s. sogleich. 10 Morris/Scharf, An Insider’s Guide to the ICTY, S. 196; Sharp, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 411, 442. 11 van Heeck, S. 295. 12 Bassiouni/Manikas, S. 874; Gallant, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 557, 583. 9

I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft

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Zweifel gezogen.13 Diese Bedenken betreffen neben dem Schutz vor willkürlicher Inhaftierung beispielsweise auch das Recht auf Vorführung vor einen Richter. Da der Staat dem Ersuchen des Anklägers gegenüber kein materielles Prüfungsrecht innehat und durch die Kooperationspflicht nach Art. 29 JStGH-St., Art. 28 RStGH-St. gebunden ist,14 müssten die so entstehenden Lücken in Bezug auf den Schutz der Person durch das Verfahrensrecht der Tribunale geschlossen werden. Zumindest in diesem Abschnitt des Verfahrens finden sich aber keine dementsprechenden Regelungen. Letztendlich ist problematisch, dass auch der Verfahrensablauf nach erfolgter Festnahme der Person nicht geregelt ist. Erst Regel 40bis ­JStGH-VBO befasst sich mit dem weiteren Verfahrensablauf; der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird allerdings nur durch einen Antrag des Anklägers auf Überstellung und vorläufige Inhaftierung am Sitz des Tribunals ausgelöst. So obliegt auch der weitere Fortgang des Verfahrens der Entscheidungsfreiheit des Anklägers. Abschließend sollen einige Unterschiede in der Verfahrens- und Beweisordnung des RStGH erwähnt werden. Im Gegensatz zur VBO des JStGH ist am RStGH die Überstellung und vorläufige Inhaftierung auch nach Regel 40 RStGHVBO möglich. Dies ist für den Fall geregelt, dass seitens des ersuchten Staates erhebliche Hindernisse vorliegen, die es den staatlichen Behörden nicht ermöglichen, die Person zu inhaftieren oder alle zur Verhinderung ihrer Flucht erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, Regel 40 (B) RStGH-VBO. In einer solchen Situation kann der Ankläger bei dem zuständigen Richter eine Verfügung auf Überstellung und vorläufige Inhaftierung am Sitz des Tribunals beantragen. Um den Anwendungsbereich inhaltlich noch von einer solchen Verfügung nach Regel 40bis RStGH-VBO trennen zu können, ist in Bezug auf Regel 40 (B) RStGH-VBO davon auszugehen, dass es sich um ein beschleunigtes Verfahren aufgrund besonderer Dringlichkeit handelt. Auch sind im Gegensatz zu Regel 40bis RStGH-VBO keine weiteren Voraussetzungen normiert, an die der Erlass einer solchen Verfügung zu knüpfen wäre. Einziges Erfordernis ist in diesem Zusammenhang, dass der jeweilige Staat das Bestehen von Hindernissen in Bezug auf die Inhaftierung geltend macht. Ferner sieht für einen solchen Fall der beschleunigten Überstellung und vorläufigen Inhaftierung am Sitz des Tribunals Regel 40 (C) RStGH-VBO die Geltung der Rechte aus Regel 42 RStGH-VBO und das Recht auf Beantragung einer gerichtlichen Überprüfung der Geschehnisse vor. Zuletzt beinhaltet Regel 40 (D) RStGH-VBO die Maßgabe an den Ankläger, innerhalb eines Zeitraumes von 20 Tagen nach Überstellung der Person an das Tribunal eine Anklageschrift zu verfassen, andernfalls ist der Inhaftierte zu entlassen. Auch diese Vorgabe trägt dem beschleunigten Charakter des Verfahrens Rechnung. Wenn schon die Voraussetzungen im Vergleich zu Regel 40bis RStGH-VBO erheblich herab­gesetzt 13

Gallant, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 557, 584; ausführlich dazu van Heeck, S. 295 ff. Harhoff, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 571, 575; s. dazu auch die tabellarische Übersicht bei Sharp, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 411, 447. 14

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

und diesbezüglich keine weiteren Erfordernisse zu erfüllen sind, muss im Gegenzug auch im Rahmen besonderer Restriktivität innerhalb eines kurzen Zeitraumes Klarheit über die Anklage oder Entlassung des Betreffenden aus der Haft ­bestehen. bb) Überstellung und vorläufige Inhaftierung am Sitz des Tribunals Kommt der jeweilige Staat dem Ersuchen nach und verhaftet die betreffende Person, sieht Regel 40bis ­JStGH-VBO in einem nächsten Schritt die Überstellung und vorläufige Inhaftierung am Sitz des Tribunals vor. Diese Vorschrift ist darauf ausgerichtet, eine Verfügung zur Überstellung und vorläufigen Inhaftierung in der Detention Unit des Tribunals zu erwirken. Der Ankläger kann eine solche Verfügung erst dann beantragen, wenn er zuvor ein Ersuchen nach Regel 40 J­StGH-VBO an den Staat gestellt hat, oder die betreffende Person bereits aus anderen Gründen im Gewahrsamsstaat inhaftiert ist, Regel 40bis (B) (i) J­ StGH-VBO. Problematisch ist, dass der Ankläger in Bezug auf die Beantragung einer Regel 40bis ­JStGH-VBO entsprechenden richterlichen Verfügung freie Handhabe hat, da diese fakultativer Natur ist.15 In diesem Umstand zeigen sich erneut die weitreichenden Befugnisse der Anklagebehörde.16 Die andere Alternative wäre, dass der Ankläger schlicht die richterliche Bestätigung der Anklage abwartet. Ist der Betreffende im Gewahrsamsstaat inhaftiert, obliegt es jedenfalls der Anklagebehörde des Tribunals, die weiteren Schritte einzuleiten. Nach der Festnahme der Person kann der Ankläger nach Regel 40bis JStGHVBO die richterliche Verfügung in Bezug auf die Überstellung und vorläufige Inhaftierung des Betreffenden am Sitz des Tribunals beantragen. Gibt der zuständige Richter diesem Antrag statt, wird zugleich dahingehend verfügt, den Zeitraum der Inhaftierung nach der Überstellung auf höchstens 30 Tage zu beschränken, Regel 40bis (D) ­JStGH-VBO.17 Nach Ablauf dieser 30 Tage kann die Haftperiode zunächst um weitere 30 Tage verlängert werden, sofern dies die Umstände der Ermittlungen erfordern, Regel 40bis (D) J­StGH-VBO.18 Ist auch dieser Zeitraum verstrichen, ist eine erneute Verlängerung um 30 Tage letztmalig möglich. Als Bedingung für diese letzte Verlängerung sieht Regel 40bis (D) J­ StGH-VBO vor, dass „spezielle Umstände“ diese erfordern müssen.19 Insgesamt ergibt sich damit ein Zeitraum von maximal 90 Tagen, in dem die Person auf vorläufiger Basis inhaftiert bleiben darf. Liegt nach Ablauf dieser Frist keine richterlich bestätigte An 15

Vohrah, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 489; van Heeck, S. 297. Ryngaert, S. 26. 17 Regel 40bis (C) RStGH-VBO. 18 Regel 40bis (F) RStGH-VBO. Allerdings wird diese Verlängerung nicht an eine solche Voraussetzung geknüpft. 19 Regel 40bis (G) RStGH-VBO. Auch diesbezüglich ist keine Bedingung für die Verlängerung vorgesehen. 16

I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft

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klage und infolge dessen auch kein Haftbefehl vor, so ist der Inhaftierte zwingend zu entlassen oder den nationalen Behörden zu übergeben.20 Diese Rechtsfolge liegt nicht im Ermessen des Tribunals. Damit verfolgt diese Vorschrift den Zweck, den zeitlichen Rahmen zu beschränken, in dem eine Person, ohne angeklagt zu werden, inhaftiert werden darf. Dem Antrag des Anklägers auf Überstellung und vorläufige Inhaftierung hat eine vorläufige Anklage und eine Zusammenfassung des Beweismaterials beizuliegen, Regel 40bis (A) ­JStGH-VBO. Der Erlass der Verfügung durch den Richter ist gemäß Regel 40bis (B) J­StGH-VBO an drei Voraussetzungen gebunden: (1) Der Ankläger muss den Staat bereits um vorläufige Festnahme nach Regel 40 ­JStGH-VBO ersucht haben, oder die Person ist aus anderem Grund bereits im Gewahrsamsstaat inhaftiert, (2) es muss eine zuverlässige und folgerichtige Beweismittelsammlung bestehen,21 die darauf hindeutet, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Tribunals unterliegendes Verbrechen begangen haben könnte, und (3) der Richter erachtet die vorläufige Inhaftierung als erforderlich, um die Flucht des Betreffenden, die Verletzung oder Einschüchterung von Opfern oder Zeugen oder die Zerstörung von Beweismaterial zu verhindern, oder sofern die Inhaftierung zu Zwecken der Durchführung der Ermittlungen anderweitig erforderlich erscheint.22 Erlässt der Richter die beantragte Verfügung, kommt es daran anschließend zur Überstellung und vorläufigen Inhaftierung am Sitz des Tribunals. cc) Exkurs: Rechtsverletzungen während der vorläufigen Inhaftierung im Gewahrsamsstaat Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein letzter Aspekt. In dem eben beschriebenen Procedere der vorläufigen Festnahme, Überstellung und Inhaftierung beinhaltet lediglich Regel 40bis ­JStGH-VBO die Garantie bestimmter Gewährleistungen für die inhaftierte Person (den „suspect“). Diese gelten dem Wortlaut der Regel zufolge allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Überstellung an das Tribunal. Im Übrigen, also im Hinblick auf die Inhaftierung im Gewahrsamsstaat im Anschluss an das Ersuchen nach Regel 40 ­JStGH-VBO, ist die betreffende Person insofern schutzlos gestellt, als dass die Verfahrensordnungen keine Gewährleistungen beinhalten und sich der Ablauf des Verfahrens nach nationalem Recht richtet.23 Hier kann es aber insbesondere dadurch zu Friktionen kommen, dass die nationalen Behörden nach wie vor dem Tribunal gegenüber verpflichtet sind. So können die Rechte, die ein Untersuchungshäftling nach dem Recht des jeweiligen Staates hätte, oftmals nicht ohne weiteres gewahrt und umgesetzt werden, so bei 20

Regel 40bis (H) RStGH-VBO. Die Übersetzung des englischen Wortlautes ist übernommen aus van Heeck, S. 299. 22 Für nähere Erläuterungen hierzu s. B. III. 23 Vohrah, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 489. Zur Auslegung von Regel 40bis JStGHVBO in diesem Zusammenhang s. Harhoff, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 571, 576 ff. 21

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

spielsweise das Recht auf vorläufige Haftentlassung. In dem beschriebenen Zeitraum zwischen Festnahme und Überstellung kann es demnach zu erheblichen Rechtsverletzungen kommen, denen nach dem Wortlaut der Verfahrensordnungen keine Abhilfe geschaffen werden kann. Die Lösung dieses Problems wird nicht einheitlich gehandhabt. Einigkeit besteht zumindest dahingehend, dass die betreffende Person in diesem Zeitraum nicht schutzlos gestellt sein darf. Zwecks einer Lösung dieses Problems hat zunächst die Berufungskammer in einer Entscheidung im Fall Barayagwiza mittels einer Hilfskonstruktion die Regeln 40, 40bis RStGH-VBO entsprechend ausgelegt.24 Grundsätzlich seien diese beiden Vorschriften im Zusammenhang zu lesen und restriktiv zu interpretieren.25 Es könne nicht sein, dass die zeitlichen Beschränkungen der Regel 40bis RStGH-VBO durch eine extensive Anwendung und Auslegung von Regel 40 RStGH-VBO unterlaufen würden. Der Sinn hinter der Festlegung bestimmter Zeiträume für das weitere Vorgehen betreffend die Inhaftierung am Tribunal ist nach Ansicht der Kammer auf das Verfahren im Gewahrsamsstaat zu erstrecken. Zur Begründung dessen wurde angeführt, dass der jeweilige Staat mit der Festnahme im Auftrag des Tribunals gehandelt habe. Es könne nicht rechtens sein, dem Betreffenden bestimmte Gewährleistungen zu versagen, nur weil er noch nicht an das Tribunal überstellt worden sei und demnach Regel 40bis RStGH-VBO keine Geltung beanspruche. Vielmehr sei der Inhaftierte in dem Fall, dass der Gewahrsamsstaat als „Erfüllungsgehilfe“ des Tribunals handelt und den „suspect“ inhaftiert, bei Verzögerungen und sich hieraus ergebenden Rechtsverletzungen so zu stellen, als befände er sich in der Detention Unit des Tribunals.26 Die Berufungskammer erstreckt demnach den Anwendungsbereich von Regel 40bis RStGH-VBO über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auf den Zeitraum vor der Überstellung und leitet hieraus entsprechende Rechte des „suspect“ ab.27 Einen anderen Weg, der aber letztendlich zum gleichen Ziel führt, hat die Berufungskammer im Fall Kajelijeli eingeschlagen.28 Regel 40bis RStGH-VBO ist nicht entgegen dem Wortlaut auf die Zeitspanne vor der Überstellung an das Tribunal angewandt worden, sondern lediglich deren – eben bereits erwähnter – Sinn und Zweck. Sicher ist demnach, dass bestimmte menschenrechtliche Gewährleistungen auch in dieser Phase der Ermittlungen für den „suspect“ gelten müssen. Die Geltung dieser Gewährleistungen wird nun aus einem Zusammenspiel der Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999. s.  dazu auch das Sondervotum von Richter Shahabuddeen unter 4. 25 Barayagwiza (Fn. 24), Rn. 46. 26 Die Berufungskammer in Barayagwiza (Fn. 24), Rn. 56 ff., bedient sich zu diesem Zweck der Doktrin des so genannten „detainer process“. 27 Barayagwiza (Fn. 24), Rn. 67. Den Verstoß gegen den Wortlaut von Regel 40bis RStGHVBO hat auch Richter Shahabuddeen in seinem Sondervotum stark kritisiert. 28 Kajelijeli (ICTR-98-44A), Appeals Chamber, Judgment, 23. Mai 2005; s. dazu Mundis/ Gaynor, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 1134, 1143 ff. 24

I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft

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Verpflichtungen von kooperierendem Staat und dem Ankläger hergeleitet.29 Während der ersuchte Staat originär den Menschenrechten verpflichtet ist (sei es aus Gewohnheitsrecht, Vertragsbindung oder aufgrund der nationalen Gesetze), obliege dem Ankläger eine Sorgfaltspflicht dahingehend, die Rechte des „suspect“ bzw. Angeklagten im Rahmen der Ausübung seiner Tätigkeit zu wahren („prosecutorial duty of due diligence“). Das Verhalten des Anklägers als Organ des Tribunals und Initiator des Verfahrens dürfe nicht zu einer Rechtsverletzung im Vorfeld der Überstellung an das Tribunal führen.30 Das Tribunal sieht sich mithin in der Verpflichtung, die Rechte des „suspect“ im Vorfeld der Überstellung zu wahren.31 Unabhängig von der Frage der Feststellung einer Rechtsverletzung ist die Frage der Rechtsfolge. Für eine Kompensation erlittener Rechtsverletzungen kommt es hauptsächlich darauf an, welches Organ diese Rechtsverletzung zu verschulden hat. So wird eine folgenträchtige Verletzung der Rechte aus Regel 40bis JStGHVBO scheinbar nur dann angenommen, wenn diese Rechtsverletzung durch Verzögerungen auf Seiten der Anklagebehörde zustande gekommen ist.32 Betroffen waren mit dem Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme und dem Recht auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter solche Gewährleistungen, die mit einem zügigen Fortschreiten des Verfahrens seitens der Anklagebehörde hätten gewahrt werden können. In den Verfahren gegen Barayagwiza und Kajelijeli hat die jeweilige Berufungskammer die Rechtsverletzung des „suspect“ im Gewahrsamsstaat anerkannt. Die sich daran anschließende Frage der Kompensation für die erlittene Rechtsverletzung ist hingegen nicht zugleich auch mit der Feststellung einer solchen Rechtsverletzung geklärt.33 2. Der Verfahrensablauf am Internationalen Strafgerichtshof Die rechtlichen Grundlagen des IStGH sind detaillierter ausgestaltet als diejenigen der Tribunale und aus diesem Grund nicht mit dem Vorwurf der Lückenhaftigkeit konfrontiert. Doch Unterschiede ergeben sich auch auf inhaltlicher Ebene.34 Die bedeutendste Abweichung zum Regelwerk des JStGH oder RStGH stellt 29

Kajelijeli (Fn. 28), Rn. 220. Kajelijeli (Fn. 28), Rn. 220 ff., 231 ff. 31 Kajelijeli (Fn. 28), Rn. 223. Vgl. hierzu auch die Begründung der Berufungskammer in der Entscheidung im Fall Barayagwiza. Hier ist ebenfalls eine solche Verantwortung des Tribunals angenommen worden (Fn. 24), Rn. 56 ff. 32 Kajelijeli (Fn. 28), Rn. 231 ff.; Semanza (ICTR-97-23), Appeals Chamber, Decision, 31. Mai 2000, Rn. 104. 33 Dazu Naymark, in: J. Int’l L. & Int’l Rel. 4 (2008), 1 ff., sowie Michels, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 1 ff., für unrechtmäßige Inhaftierungen. 34 Ausführlich zum Ablauf des Verfahrens Sluiter, in: Loy. L. A. Int’l & Comp. L. Rev. 25 (2003), 605, 616 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung Guariglia, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 235 f. 30

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

zum einen der Umstand dar, dass am IStGH der Erlass eines Haftbefehls losgelöst ist von der Bestätigung der Anklage. Zum anderen reichen die Befugnisse des Anklägers nicht derart weit, um die Festnahme einer Person ohne zuvor erfolgte richterliche Kontrolle zu ersuchen. Das Modell der vorläufigen Festnahme und Inhaftierung, wie soeben im Zusammenhang mit den Tribunalen erläutert, ist nicht in die rechtlichen Grundlagen des IStGH übernommen worden. a) Das Verfahren zur Inhaftierung von Personen auf Grundlage eines Haftbefehls Ist der Ankläger im Zuge der Ermittlungen oder nach deren Abschluss zu der Überzeugung gelangt, dass gegen eine Person der Verdacht besteht, dass diese ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat, so beantragt er den Erlass eines Haftbefehls bei der Vorverfahrenskammer. Die Erfordernisse eines solchen Antrages beinhaltet Art. 58 Abs. 2 IStGH-St. Der Ankläger hat unter anderem darzulegen, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls vorliegen. Diese Voraussetzungen, die für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft maßgebend sind, enthält Art. 58 Abs. 1 IStGH-St. „At any time after the initiation of an investigation, the Pre-Trial Chamber shall, on the application of the Prosecutor, issue a warrant of arrest of a person if, having examined the application and the evidence or other information submitted by the Prosecutor, it is satisfied that: (a) There are reasonable grounds to believe that the person has committed a crime within the jurisdiction of the Court; and (b) The arrest of the person appears necessary: (i) To ensure the person’s appearance at trial, (ii) To ensure that the person does not obstruct or endanger the investigation or the court proceedings, or (iii) Where applicable, to prevent the person from continuing with the commission of that crime or a related crime which is within the jurisdiction of the Court and which arises out of the same circumstances.“

Neben dem Verdachtserfordernis hat die Anklagebehörde den Grund darzulegen, aus dem sie die Festnahme der Person für notwendig i. S. v. Art. 58 Abs. 1 lit. b) IStGH-St. hält. Gelangt die Vorverfahrenskammer zu der Überzeugung, dass (1) der Verdacht der Begehung eines Verbrechens besteht und (2) die Festnahme der Person bedingt durch das Vorliegen eines Haftgrundes nach Art. 58 Abs. 1 lit. b) IStGH-St. notwendig erscheint, so erlässt sie einen Haftbefehl. Im Gegensatz zu den VN-Tribunalen ist der Erlass eines Haftbefehls demnach nicht an die Bestätigung der Anklage geknüpft, sondern erfolgt aufgrund einer eigenständigen Prüfung. Der Inhalt eines solchen Haftbefehls ergibt sich aus Art. 58 Abs. 3 IStGH-St.

I. Der Ablauf des Verfahrens im Hinblick auf die Untersuchungshaft

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Auf der Grundlage dieses Haftbefehls kann der Gerichtshof einen Staat um die Festnahme und Überstellung der Person ersuchen, Art. 58 Abs. 5, Art. 89 Abs. 1 IStGH-St. Der Inhalt dieses Ersuchens bemisst sich anhand von Art. 91 IStGH-St. Die Vollstreckung des Haftbefehls als dessen praktische Durchführung obliegt den Mitgliedstaaten und stellt den wohl wichtigsten Teil der Rechtshilfe dar.35 Das Verfahren betreffend die Festnahme im Gewahrsamsstaat ist in Art. 59 ­­IStGH-St. und Regel 117 IStGH-VBO normiert. Bereits während der Inhaftierung im Gewahrsamsstaat hat die festgenommene Person das Recht, eine vorläufige Entlas­­ sung aus der Haft bis zur Überstellung zu beantragen, Art. 59 Abs. 3 IStGH-St. Dabei legt Art. 59 Abs. 4 ­IStGH-St. den Prüfungsmaßstab für diese Entscheidung fest und verdeutlicht, dass es den nationalen Behörden nicht zusteht, über den ordnungsgemäßen Erlass des Haftbefehls zu befinden. Ein diesbezüglicher Antrag der betreffenden Person ist direkt an die Vorverfahrenskammer zu richten, Regel 117 Abs. 3 IStGH-VBO. Solange die Person im Gewahrsamsstaat inhaftiert ist, obliegt die Entscheidung über eine solche vorläufige Haftentlassung den zuständigen Behörden. Der Gerichtshof kann in Bezug auf einen solchen Antrag der inhaftierten Person zwar Empfehlungen aussprechen, Art. 59 Abs. 5 ­IStGH-St., Regel 117 Abs. 4 IStGH-VBO. Die zuständigen Behörden sind gleichwohl nicht an diese Empfehlungen gebunden. Ist der Gewahrsamsstaat seiner Verpflichtung aus dem Festnahme- und Überstellungsersuchen nachgekommen und die inhaftierte Person an den Gerichtshof überstellt, ist die Vorverfahrenskammer für das weitere Haftverfahren zuständig. Die Person hat das Recht, ihre vorläufige Haftentlassung bis zur Haupt­ verhandlung zu beantragen, Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St., und muss dahingehend gemäß Art. 60 Abs. 1 ­IStGH-St. belehrt worden sein. Ein solcher Antrag kann frühestens im Rahmen der ersten Vorführung vor die Vorverfahrenskammer gestellt werden, Regel 118 Abs. 1 IStGH-VBO. Anträge, die nach diesem Zeitpunkt gestellt werden, müssen in Schriftform erfolgen, wobei die Vorverfahrenskammer nach Regel 118 Abs. 3 IStGH-VBO eine mündliche Anhörung festsetzen kann. Die Entscheidung über einen solchen Antrag befasst sich inhaltlich mit der Frage, ob die in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. genannten Voraussetzungen der Überzeugung der Vorverfahrenskammer zufolge weiterhin vorliegen, vgl. Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Nach der ersten Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft soll die Vorverfahrenskammer diese gemäß Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO in Abständen von höchstens 120 Tagen überprüfen. Gelangt die Vorverfahrenskammer zu der Überzeugung, dass im Rahmen der ersten Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. nicht vorliegen, ist die inhaftierte Person mit oder ohne Auflagen vorläufig aus der Haft zu entlassen. Eine Regelung zu den Auflagen trifft Regel 119 IStGH-VBO. Eine Modifizierung der bisherigen Entscheidung ist in spä 35 Behrens, in: HuV-I 11 (1998), 144, 146; Ambos, in: NJW 1998, 3743, 3746; Cryer/Bekou, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 441, 450; Wei, S. 131.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

teren Haftprüfungsentscheidungen ebenso erforderlich, wenn die Kammer nach Art. 60 Abs. 3 I­StGH-St. zu dem Ergebnis gelangt, dass veränderte Umstände vorliegen. Nach der Anhörung zur Bestätigung der Anklagepunkte („confirmation hearing“) geht die Befugnis zur Durchführung von Haftprüfungen auf die (Haupt-) Verfahrenskammer über, vgl. Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. Zeitlich betrachtet können Haftprüfungen auch dann stattfinden, wenn die Hauptverhandlung bereits begonnen hat.36 b) Das Ersuchen um vorläufige Festnahme einer Person Ebenso wie auch die Ad-hoc-Tribunale erkennt das ­IStGH-St. in Art. 92 die Möglichkeit einer vorläufigen Festnahme an. Im Gegensatz zu den Vorläufertribunalen hat die Vorverfahrenskammer nach dem Römischen Statut in einem solchen Fall den Haftbefehl jedoch bereits erlassen. Allein das Überstellungsersuchen mit den hierzu erforderlichen Unterlagen liegt noch nicht vor. Indem der Haftbefehl auch die Grundlage eines solchen Ersuchens ist, greifen die Bedenken, die in Bezug auf die Rechtslage an den VN-Tribunalen und die richterliche Kontrolle von Festnahmen erhoben wurden, gerade nicht. Art. 92 ­IStGH-St. dient dazu, in dringenden Fällen das aufwendige Procedere um ein offizielles Überstellungsersuchen vorläufig zu umgehen. Zum Schutz der inhaftierten Person sieht Regel 188 IStGH-VBO vor, dass das Ersuchen mit den dazugehörigen Dokumenten innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme vorzulegen ist.37

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Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the „Decision on Applications for Provisional Release“ of 27 June 2011, 16. August 2011, Rn. 43 ff. Vgl. zudem B. IV. 1. c) cc). 37 Dazu Cryer/Bekou, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 441, 453.

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft Die Grundlage jedes rechtsstaatlichen Verfahrens beinhaltet die Garantie bestimmter menschenrechtlicher Gewährleistungen für den Beschuldigten.1 Auf Verstöße gegen Normen, deren Einhaltung in der betreffenden Gesellschaftsordnung unverzichtbar erscheint, soll der grundlegenden Idee des Strafrechts zufolge mit einer angemessenen Reaktion begegnet werden. Diese Aufgabe fällt originär dem Staat zu, indem er den staatlichen Strafanspruch, der gegen den Täter entstanden ist, durchsetzt. Im Rahmen des Verfahrens zur Verwirklichung dieser Zielsetzung steht der mutmaßliche Täter als ein mit Rechten und Pflichten versehenes Prozesssubjekt in dessen Mittelpunkt. Für den Beschuldigten bedeutet die Verhängung von Strafe und, sofern dieser sich in Untersuchungshaft befindet, auch bereits das Verfahren unter anderem eine vollständige Zurückstellung seiner Freiheitsinteressen zugunsten des öffentlichen Interesses. Die dem Betroffenen durch die Menschenrechte und durch die verfassungsmäßig verbürgten Rechte zugeschriebenen Gewährleistungen stellen das Gegengewicht zur Pflicht des Staates dar, den Strafanspruch durchzusetzen und eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Diese derart verankerte Werteordnung führt dazu, dass der Beschuldigte gegenüber den Eingriffsbefugnissen des Staates nicht schutzlos gestellt ist. Ferner ist sie von erheblicher Bedeutung dafür, dass es letztendlich zu einem rechtsstaatlichen Verfahren kommen kann, gemessen an den Werten, die die Verfassung vermittelt, und durchgeführt anhand der geltenden Gesetze. Die Menschenrechte formulieren dabei einen international anerkannten Standard, dessen Wahrung und Umsetzung zur Gewährleistung eines solch rechtsstaatlichen Verfahrens und hier vor allem zur konkreten Ausformung der Rechte des Beschuldigten beiträgt. Schon mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 19482 wurde der erste Meilenstein für einen universellen Schutz der Menschenrechte gesetzt.3 Obwohl als solche nicht rechtlich 1 Einleitend wird der Begriff des „Beschuldigten“ umfassend für den von einem Straf­ verfahren Betroffenen gebraucht und soll vorerst keine begriffliche Differenzierung zur Bezeichnung des „Angeklagten“ enthalten. Zur näheren Differenzierung s. unten B. II. 2.  2 Universal Declaration of Human Rights, Res. 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen, U. N. Doc. A/810. Zur Bedeutung Samnøy, in: Alfredsson/Eide, S. 5 ff. 3 Der Grundstein für den Menschenrechtsschutz auf nationaler Ebene wurde bereits sehr viel früher gelegt. Dies belegen die „English Bill of Rights“ (1689), die „Virginia Bill of Rights“ (1776) in Nordamerika, sowie die Menschen- und Bürgerrechtserklärung in Frankreich („Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“, 1789). Schon Monate vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde als erstes staatenübergreifendes Instrument die Amerikanische Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen („American Declaration of the Rights and Duties of Man“) durch die Nationen Amerikas auf der Neunten Inter-Amerikanischen Konferenz im Mai 1948 beschlossen, AG/RES. 1591 (XXVIII-O/98).

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

bindend, ist diese Erklärung als internationales Programm mit einem hohen politischen und moralischen Gewicht versehen und bereitete als Maßstab für ein anzuwendendes Ideal die Grundlage für die Etablierung zahlreicher verbindlicher Menschenrechtsabkommen. Aufbauend auf der AEMR wurden in den Jahren nach deren Verabschiedung sowohl globale als auch regionale Schutzvorschriften in Form von Konventionen zum Zweck der Etablierung einer Werteordnung geschaffen. Hatte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte den Zweck, den Inhalt von Menschenrechten mittels der Aufstellung einer „internationalen Ordnung“ zu beschreiben und diesen überhaupt erst eine Kontur zu verleihen, dienten diese späteren völkerrechtlichen Abkommen der näheren Ausformung der dort verbürgten Garantien unter der zusätzlichen Schaffung eines eigenen Rechtsschutzsystems zur Überwachung und Durchsetzung derselben. Auf internationaler Ebene waren die Vereinten Nationen als internationale Organisation der Aufgabe gegenübergestellt, ein verbindliches Werk zum Zwecke des Schutzes der Menschenrechte zu schaffen.4 Bereits in der Präambel und in Art. 1 der VN-Charta wurde sich dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte verschrieben. Gleichwohl dauerte es bis zum 16. Dezember 1966, bis mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)5 ein erster internationaler Vertrag über den Schutz der Menschenrechte verabschiedet werden konnte. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist die bedeutendste menschenrechtliche Konvention der Vereinten Nationen und wesentliches Kernstück des internationalen Menschenrechtsschutzes.6 Einige Jahre zuvor waren bereits auf regionaler Ebene Entwicklungen zu verzeichnen. Die Bestrebungen, den Menschenrechten durch eine vertragliche Kodifizierung Verbindlichkeit und Gültigkeit zu verleihen, waren in Europa von früherem Erfolg geprägt als die Bemühungen im Rahmen der Vereinten Nationen.7 Mit der Verabschiedung und Unterzeichnung der EMRK durch den Europarat im Jahre 1950 wurde ein völkerrechtliches Vertragswerk geschaffen, welches die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in ein regionales Schutzsystem trans 4 Es galt, die Prinzipien der AEMR entsprechend den Zielen der Vereinten Nationen in rechtlich verbindliche multilaterale Abkommen zu fassen, vgl. Helle/Kohonen, in: Alfredsson/Eide, S. 736; Sieghart, S. 25. 5 International Covenant on Civil and Political Rights, GV Res. 2200/A (XXI), U. N. Doc. A/6316 (1966). 6 Zusammen mit dem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ebenfalls vom 16. Dezember 1966, und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 bildet der IPbpR mit seinen zwei Zusatzprotokollen die so genannte International Bill of Human Rights. s. dazu auch Lawson/Bertucci/Wiseberg, xxi ff.; Meron, Human Rights Law Making in the United Nations, S. 131 ff.; Hankel, in: APuZ 42 (2006), 3, 6; sowie zum Verhältnis von IPbpR und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Steiner/Alston/Goodman, S.  151 ff. 7 Dazu ausführlich Amann, in: Ind. L. J. 75 (2000), 809, 825 ff.

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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formierte und die Stellung des Individuums durch die Möglichkeit einer Individualbeschwerde entscheidend stärkte.8 Gerade diese Unterwerfung unter eine übernationale Rechtskontrolle zum Schutz der konventionsmäßig garantierten Rechte und Freiheiten festigte die Idee einer verbindlichen und durchsetzbaren staatenübergreifenden Werteordnung. Zur EMRK traten im Laufe der Jahre weitere regionale Konventionen hinzu. Zu nennen sind hier die Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 (AMRK) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Afrikanische Charter der Menschenrechte und der Rechte der Völker der vormaligen Organisation für Afrikanische Einheit (OAU, nunmehr Afrikanische Union) vom Juni 1981. Aus diesen Konventionen ergibt sich theoretisch eine nahezu weltweite Anerkennung der Menschenrechte und daraus hervorgehend ein System globalen Menschenrechtsschutzes.9 In der Praxis wird diesem allerdings eine eher begrenzte Effektivität zugeschrieben, was auch aus der oftmals mangelnden Durchsetzbarkeit der verbürgten Garantien resultiert – dies zumindest, was die internationale Ebene anbelangt, auf der die Möglichkeiten des Individuums, seine Rechte völkerrechtlich durchzusetzen, nach wie vor begrenzt sind.10 1. Die Frage einer Bindungswirkung der Menschenrechte und einschlägiger Rechtsprechung auf der Ebene internationaler Strafgerichtshöfe Sämtliche in diesen Abkommen festgelegten Garantien sind unter Zugrundelegung eines rechtsstaatlichen Verständnisses Repräsentanten für fundamentale Systemwerte und daher für den traditionellen Rechtsstaat unverzichtbar.11 So, wie die Menschenrechte im innerstaatlichen Recht Geltung beanspruchen und Beachtung finden müssen,12 müsste dies auch auf internationaler Ebene gelten, wobei die Relevanz und Notwendigkeit eines umfassenden Menschenrechtsschutzes insbesondere im Bereich des internationalen Strafrechts hervorsticht. Gerade im Hinblick auf die Verbringung in Untersuchungshaft als schwerster Eingriff in die 8 Der EGMR selbst bezeichnet die EMRK als „a constitutional instrument of European public order“, s. EGMR, Loizidou ./. Türkei, Serie A Nr. 310, Rn. 75. 9 Dieses Prinzip wurde bekräftigt durch die „Wiener Erklärung“ als Ergebnis der World Conference on Human Rights von 1993, vgl. Volger, S. 220; Nowak, International Human Rights Regime, S. 59. 10 Koenig, S. 88 f.; Fassbender, in: APuZ 46 (2008), 3, 7; Gareis, in: Gareis/Geiger, S.  32 ff.; Donnelly, in: International Organization 40 (1986), 599, 609. 11 Schreckenberger, in: Kaufmann/Mestmäcker/Zacher, S. 494. 12 Ausgehend vom nationalen Recht, welches im Lichte nationaler Verfassungsgarantien und der Menschenrechte der verschiedenen Abkommen zu interpretieren ist, vgl. Gollwitzer, Einf. Rn. 67.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Freiheit des Betroffenen ist ein Kern an Gewährleistungen zum Schutz des Inhaftierten unerlässlich.13 In diesem Zusammenhang haben die Menschenrechte als grundlegende moralische, ethische, politische und rechtliche Parameter vor allem im Bereich des Völkerstrafprozessrechts mit der zunehmenden Institutionalisierung des Völkerstrafrechts an Bedeutung gewonnen. a) Praktische Schwierigkeiten der internationalen Strafgerichtsbarkeit Die Entstehung einer internationalen Strafjustiz hat das Konzept der Menschenrechte und vor allem dasjenige der Rechte des Angeklagten neuen Herausforde­ rungen unterworfen.14 Diese Herausforderungen sind bedingt durch die dem internationalen Strafrecht immanenten Besonderheiten.15 Das Völkerstrafrecht kann nur mit Hilfe seiner Durchsetzungsmechanismen leben.16 Im Gegensatz zu nationalen Gerichten verfügen internationale Strafgerichte zunächst nicht über einen eigenen Polizeiapparat.17 In erheblichem Maße und in vielerlei Hinsicht abhängig von der Kooperation einzelner Staaten,18 hat dieser Umstand Auswirkungen insbesondere auf die Festnahme und die Überstellung von Beschuldigten an den jeweiligen ersuchenden Strafgerichtshof. Dies mag als größte rechtliche und tatsächliche Beschränkung gelten, welcher der Gerichtshof unterworfen ist.19 Doch auch für den Fall der vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft müssen die notwendigen Ressourcen zur Überwachung und notwendigenfalls erneuten Festnahme durch den jeweiligen aufnehmenden Staat garantiert werden.20 Zum Zweiten weisen Verfahren vor internationalen Strafgerichten eine immense Kom-

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Friman, in: Fischer/Kreß/Lüder, S. 203. Dimitrijević/Milanović, in: Gridmheden/Ring, S. 149. 15 Die verschiedenen Spannungsfelder im Zusammenhang mit internationaler Strafgerichts­ barkeit werden aufgezeigt von Damaška, in: Chi.-Kent L. Rev. 83 (2008), 329, 331 ff. Ausführlich (bezogen auf den JStGH) Johnson, in: Int’l Legal Persp. 10 (1998), 111, 113 ff. 16 Triffterer, in: Hankel/Stuby, S. 170; Penrose, in: Am. U. Int’l L. Rev. 15 (1999–2000), 321, 363 f. 17 Sunga, S. 300 ff.; Cassese, in: Eur. J. Int’l L. 9 (1998), 2, 10, 12; Greenwood, in: ­­MPYUNL 2 (1998), 97, 106; kritisch Farer, in: Hum. Rts. Q. 22 (2000), 90, 109 ff., 115 ff. 18 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 322, überträgt in diesem Zusammenhang die Worte Kerns auf das Völkerstrafjustizsystem, indem er veranschaulichend internationale Strafgerichte als „Kopf ohne Hände“ bezeichnet (Kern, Gerichtsverfassungsrecht, S. 227, für das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei). Ähnlich Swaak-Goldman, in: Leiden J. Int’l L. 10 (1997), 215, 217 („like a giant who has no arms and legs“). Vertiefend Wäspi, in: NJW 2000, 2449, 2451 ff., sowie speziell für den IStGH Blattmann/Bowman, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 711, 722 f. 19 So Burke-White, in: Harv. Int’l L. J. 49 (2008), 53, 65; Sloan, in: Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals 4 (2005), 491, 492 („Achilles’ heel of international criminal justice“); dahingehend auch Rinoldi/Parisi, in: Lattanzi/Schabas, S. 341, sowie Penrose, in: Am. U. Int’l L. Rev. 15 (1999–2000), 321, 358 ff. 20 Wald/Martinez, in: May et al., S. 235; McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 229. 14

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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plexität auf,21 die sich von der rein faktischen Situation her bis hin zu den zu ermittelnden und später zu erhebenden Beweisen erstreckt.22 Mit dem Umfang der Ermittlungen mehren sich auch die Schwierigkeiten, denen ein solches Strafverfahren ausgesetzt ist, so dass es einer erheblichen Dauer bedarf, um ein solches Verfahren zum Abschluss zu bringen. Eine weitere Besonderheit ist die ausschließliche Befassung mit schwersten Verbrechen und der gleichzeitigen Zielsetzung, die strafrechtliche Verfolgung auf die „Hauptverbrecher“ zu beschränken.23 Hinzu kommt, dass solche Strafverfahren sich auf Verbrechen beziehen, die in vergangenen oder noch anhaltenden Konflikten begangen wurden. Somit erweitert sich die Zielsetzung von Strafverfahren um die Möglichkeit, zur geschichtlichen Wahrheitsfindung24 und in gewissem Maße zur Wiederherstellung der Geltungskraft fundamentaler rechtlicher Prinzipien und unter anderem auch zur Versöhnung beizutragen.25 Für den Fall noch anhaltender Konflikte stellt der Aspekt der Sicherheit von Opfern und Zeugen im Rahmen der Ermittlungen ein weiteres zu bewältigendes Problem dar.26 In der Zusammenschau erfordern es diese Umstände, die Frage aufzuwerfen, inwieweit existierende Menschenrechtsdokumente eine Bindungswirkung entfalten bzw. tatsächlich entfalten können. Gerade aufgrund der eben genannten Besonderheiten wird die Geltungskraft der Menschenrechte auf der Ebene internationaler Strafjustiz teilweise in einem relativierten Verhältnis gesehen. Das bestehende System der Menschenrechte sei an Staaten und deren nationale Gerichtsbarkeit gerichtet. Die menschenrecht­ lichen Standards, die in diesem Zusammenhang entwickelt worden seien, könnten

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Harhoff, in: Nordic J. Int’l L. 69 (2000), 53, 58 f. Zu den Herausforderungen der Ermittlungen und Strafverfolgung am RStGH s. Jallow, in: Decaux/Dieng/Sow, S. 437 ff. Ausführlich zum IStGH Blattmann/Bowman, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 711, 724 ff. 22 Vor allem zu sprachlichen Problemen s. Rutledge, in: Regent U. L. Rev. 16 (2003–2004), 151, 152, 163 ff. 23 Kritisch hierzu Osiel, in: Hum. Rts. Q. 22 (2000), 118 ff., und McCormack, in: Alb. L. Rev. 60 (1997), 681, 726 ff. (zur Einrichtung der Ad-hoc-Tribunale). 24 Turner, in: Va. J. Int’l L. 48 (2008), 529, 539 ff.; Ohlin, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 14 (2009), 77, 95 ff. 25 Safferling, in: ARIEL 4 (1999), 126, 159; Pocar, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 304, 307; Ohlin, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 14 (2009), 77, 103 ff.; dazu auch Maogoto, in: Nordic J. Int’l L. 73 (2004), 187, 201 ff. Diese letzten Aspekte beinhalten für die Geltung der Menschenrechte auf einer internationalen Ebene keine Besonderheiten, da grundsätzlich jedem Angeklagten, ungeachtet der Taten, die er begangen haben mag, sowie seiner Stellung und der gesellschaftlichen Situation, diese Rechte zukommen müssen. Zu den Zielen internationaler Strafverfahren s. Cryer/Friman, S. 18 ff.; Henham, S. 17 ff.; Schneider, in: Gareis/ Geiger, S. 89; van Zyl Smit, in: Hum. Rts. L. Rev. 2 (2002), 1, 10; Damaška, in: Chi.-Kent L. Rev. 83 (2008), 329, 331, und ausführlich Harmon/Gaynor, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 683, 692 ff., sowie Klamberg, in: Nordic J. In’l L. 79 (2010), 279, 284 ff. 26 Harhoff, in: Nordic J. Int’l L. 69 (2000), 53, 59 f.; Møse, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 920, 937; Blattmann/Bowman, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 711, 723 f.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

nicht ohne Weiteres auf die Ebene internationaler Strafverfahren übertragen werden, da der Kontext ein völlig anderer sei.27 Bevor die Frage der Bindungswirkung erläutert werden soll, gilt es, einige grundlegende Überlegungen anzustellen. Prinzipiell wird durch die Menschenrechte eine internationale Werteordnung hergestellt. Für diese durch diverse Abkommen und deren praktische Durchsetzung etablierte Werteordnung gilt zweierlei. Zum einen ist sie als internationale Ordnung mit universellem Charakter zu verstehen.28 Zum anderen ist zugleich zu bedenken, dass dieses universell geltende Menschenrechtsregime lediglich einen Mindeststandard an Werten zu vermitteln sucht. Geprägt durch diesen Gedanken der Subsidiarität29 ist der Gewährleistung von bestimmten Rechten in einem anderen Zusammenhang der Vorrang einzuräumen, sofern diese über den menschenrechtlichen Mindeststandard hinausgehen.30 So darf der Standard, den die Menschenrechtspakte festsetzen, zwar jederzeit überschritten, aber keinesfalls unterschritten werden. b) Der Einfluss der Menschenrechte auf die Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen Die durch die Vereinten Nationen errichteten Ad-hoc-Tribunale31 kennen weder in ihren Statuten noch in ihren Verfahrens- und Beweisordnungen32 eine Vorschrift, in der ausdrücklich das zugrundezulegende und anzuwendende Recht niedergelegt ist.33 Eine explizite Bindung an die betreffenden Dokumente und die Rechtsprechung der jeweiligen Spruchkörper besteht mithin nicht.

27 Dimitrijević/Milanović, in: Gridmheden/Ring, S. 150. Mit Verweis auf die dem unterschiedlichen Kontext geschuldete variierende Ausgestaltung der Verfahrensgarantien Gallant, in: Crim. L. Forum 14 (2003), 317, 324. Anders hingegen Lagodny, in: ZStW 113 (2001), 800, 823 f. 28 Otto, in: Colum. Hum. Rts. L. Rev. 29 (1997), 1 ff.; Brems, S. 4 ff.; Flood, S. 18 ff.; Tomuschat, S. 58 ff.; Lenhart, S. 15 ff.; umfassend Hastrup; kritisch Donnelly, in: Hum. Rts. Q. 29 (2007), 281 ff. 29 Carozza, in: Am. J. Int’l L. 97 (2003), 38, 56 ff.; Fedorova/Sluiter, in: Human Rights and International Legal Discourse 3 (2009), 9, 17 f. Den Zusammenhang mit staatlicher Souveränität verdeutlicht Bassiouni, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 3 (1993), 235, 240 ff. 30 Deutlich Besselink, in: C. M. L. Rev. 35 (1998), 629, 632 („…the better standard must prevail.“), 657 f. 31 Die Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien, „JStGH“ (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, ICTY), sowie für Ruanda, „RStGH“ (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR). 32 Verfahrens- und Beweisordnung, „VBO“ (Rules of Procedure and Evidence, RPE). 33 s. zu teils unterschiedlichen Auffassungen über die anzuwendenden Rechtsquellen ­Fedorova/Sluiter, in: Human Rights and International Legal Discourse 3 (2009), 9, 19. Generell kritisch zur Rechtsanwendung durch die Tribunale Bantekas, in: Int’l Crim. L. Rev. 6 (2006), 121 ff.

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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So schien in der anfänglichen Tätigkeit des JStGH keine rechte Klarheit zu herrschen, welcher Art das Verhältnis zu den menschenrechtlichen Vertragswerken wie der EMRK oder dem IPbpR, und auch deren Auslegung durch die zuständigen Organe, eigentlich sein sollte.34 Deutliche Worte fand erstmals die Berufungskammer in einer Entscheidung im Verfahren gegen Tadić, welche unter anderem die Rechtmäßigkeit der Einrichtung des Tribunals zum Gegenstand hatte, indem auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und auf das Erfordernis der Konformität mit international anerkannten Menschenrechten hingewiesen wurde.35 In späteren Entscheidungen wurde auch durch den RStGH in deutlicherem Maße darauf erkannt, dass Entscheidungen zu den menschenrechtlichen Gewährleistungen zwar keine bindende Wirkung im strengen Sinne entfalten, ihnen aber gleichwohl ein verbindlicher und anwendbarer Charakter beigemessen wird.36 Nach diesen anfänglichen „Schwierigkeiten“ haben die internationalen Menschenrechtsstandards im Rahmen der richterlichen Anwendung und Auslegung der Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen Anerkennung gefunden. Gleiches gilt für die Entscheidungen der menschenrechtlichen Supervisionsgremien. Es besteht also Einigkeit dahingehend, dass die Tribunale überhaupt einer Bindung an menschenrechtliche Standards unterliegen. Auf die Frage, wie diese Bindungswirkung zu konstruieren ist, sind theoretisch verschiedene Antworten denkbar.37 Vorab ist allerdings festzuhalten, dass sich eine solche bindende Wirkung nicht ausschließlich auf der Basis formaler bzw. dogmatischer Argumente gründen lässt, sondern stets auch wertende Aspekte mit einfließen müssen.38 Zum einen kann der Standpunkt vertreten werden, dass die Ad-hoc-Tribunale als internationale Tribunale grundsätzlich einer „internationalen Rechtsordnung“

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Tadić (IT-94-1), Trial Chamber, Decision on the Prosecutor’s Motion Requesting Protective Measures for Victims and Witnesses, 10. August 1995, Rn. 27. Dazu Swaak-Goldman, in: Leiden J. Int’l L. 10 (1997), 215, 219; Kamardi, S. 142 ff.; McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 194; sowie Fedorova/Verhoeven/Wouters, S. 9 f. 35 Tadić (IT-94-1), Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 02. Oktober 1995, Rn. 45 („For a tribunal such as this one to be established according to the rule of law, it must be established in accordance with the proper international standards; it must provide all the guarantees of fairness, justice and evenhandedness, in full conformity with internationally recognized human rights instruments.“). 36 Delalić (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on the Motions by the Prosecution for Protective Measures for the Prosecution Witnesses Pseudonymed „B“ through „M“, 28. April 1997, Rn. 27 („Similarly, decisions on the provisions of the International Covenant on Civil and Political Rights („ICCPR“) and the European Convention on Human Rights („ECHR“) have been found to be authoritative and applicable.“); Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999, Rn. 40; Klamberg, in: Nordic J. Int’l L. 79 (2010), 279, 287. 37 Dazu Zahar/Sluiter, S. 277 ff. 38 Dahingehend auch van Heeck, S. 87, der darauf verweist, dass eine diesbezügliche „­exakte dogmatische Begründung“ noch ausstehe.

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(„international legal order“) unterworfen sind,39 wobei der internationale menschenrechtliche Standard Bestandteil dieser Rechtsordnung ist.40 Diese Gewährleistungen können als allgemeine Rechtsgrundsätze41 oder als Völkergewohnheitsrecht42 anerkannt sein und entfalten auf diese Art eine Bindungswirkung für Völkerrechtssubjekte.43 Da diese Überlegungen internationale Organisationen betreffen, denen die Tribunale nicht zugeordnet werden können, ist auf die Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen als internationale Organisation zu rekurrieren. Die Tribunale leiten demnach entsprechende Verpflichtungen als Organe der Vereinten Nationen von denjenigen Verpflichtungen ab, denen ihrerseits die Vereinten Nationen unterliegen, wozu auch die Achtung der internationalen Rechtsordnung gehört.44 Als Nebenorgane des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen sowohl der JStGH als auch der RStGH in der völkerrechtlichen Verpflichtung, die Menschenrechtsdokumente zu achten und den daraus hervorgehenden Rechten des Angeklagten zur Durchsetzung zu verhelfen. Diese Verpflichtung besteht zunächst für die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthaltenen Gewährleistungen,45 welche als Dokumente der Vereinten Nationen ein wesent 39 Kupreškić et al. (IT-95-16), Trial Chamber, Judgment, 14. Januar 2000, Rn. 539; BurkeWhite, in: Mich. J. Int’l L. 25 (2004), 963, 970 f. 40 Dupuy, in: European Journal of Legal Studies 1 (2004), 1, 3 f.; Buchanan, in: Legal Theory 14 (2008), 39, 68; Akhavan, in: Am. J. Int’l L. 90 (1996), 501; dahingehend auch Edwards, in: Yale J. Int’l L. 26 (2001), 323, 333. 41 Grundlegend zur Anerkennung der Menschenrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze vgl. Simma/Alston, in: Aust. YB Int’l L. 12 (1988), 82 ff.; ferner Safferling, in: Renzikowski, S. 159. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dem IPbpR s. Kaufman Hevener/Mosher, in: Int’l & Comp. L. Q. 27 (1978), 596 ff. 42 Barayagwiza (Fn. 36), Rn. 40 (Verständnis des IPbpR als Teil des Völkerrechts; die regionalen Menschenrechtsabkommen, wie die EMRK und AMRK, seien hingegen Beweis für Völkergewohnheitsrecht); Kajelijeli (ICTR-98-44A), Appeals Chamber, Judgment, 23. Mai 2005, Rn. 209; Bos, in: Fordham Int’l L. J. 22 (1998), 229, 234 . 43 Dazu Zahar/Sluiter, S. 277 f.; Gradoni, in: Leiden J. Int’l L. 19 (2006), 847, 852 f. Zu den praktischen Schwierigkeiten Sluiter, in: New Engl. L. Rev. 37 (2003), 935, 938. 44 Dazu Fedorova/Sluiter, in: Human Rights and International Legal Discourse 3 (2009), 9, 20 ff.; Gradoni, in: Leiden J. Int’l L. 19 (2006), 847, 850 f.; Acquaviva, in: Leiden J. Int’l L. 20 (2007), 613, 617 f. 45 So beispielsweise deutlich Tadić (IT-94-1), Appeals Chamber, Appeals Judgment on Allegations of Contempt Against Prior Counsel, Milan Vujin, 27. Februar 2001, S. 3 („Considering moreover that Article 14 of the International Covenant reflects an imperative norm of international law to which the Tribunal must adhere …“) und S. 4 („Considering however that it is the duty of the International Tribunal to guarantee and protect the rights of those who appear as accused before it …“); sowie Rutaganda (ICTR-96-3), Appeals Chamber, Judgment, Dissenting Opinion of Judge Pocar, 26. Mai 2003, der darauf hinweist, dass der IPbpR als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen deren Ansichten im Hinblick auf die dort niedergelegten Prinzipien zum Ausdruck bringt, und dass die Intention des Sicherheitsrates, in Einklang mit diesem Menschenrechtsdokument zu handeln, eindeutig zum Ausdruck gekommen ist in dem Report des Generalsekretärs vom 03. Mai 1996 (Fn. 47). Dazu Zahar/Sluiter, S. 277; Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, S.  515 f.

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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liches Kernstück des internationalen Menschenrechtsschutzes bilden. An diese fundamentalen Texte sind die Tribunale über ihre Eigenschaft als Nebenorgan des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen unmittelbar gebunden.46 Zum anderen wird im Zusammenhang mit der Frage der Bindungswirkung auch häufig rekurriert auf eine Erklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, in welcher die Bedeutung der Achtung menschenrechtlicher Standards hervorgehoben wurde. Er führte für den JStGH aus, dass das Tribunal unzweifelhaft international anerkannte Standards betreffend die Rechte des Angeklagten in allen Verfahrensstadien vollumfänglich zu respektieren habe.47 Dieser oft zitierte, gleichwohl nicht rechtlich bindende, Kommentar hat faktisch eine mittelbare Bindung an die Menschenrechte zur Folge.48 Er gilt in gleichem Maße für das Ruanda-Tribunal.49 Aufschluss über die Herkunft der Bindung gibt die Erklärung hingegen nicht. Für die Rechtsprechung des EGMR sowie des Menschenrechtsausschusses gilt, dass diese in ihrer Funktion, die Menschenrechte anzuwenden und ihnen hierdurch zu näherer Ausgestaltung zu verhelfen, keine unmittelbare Bindungs­ wirkung entfaltet. Die Tätigkeit an sich sowie die Zielsetzung der Tribunale unterscheidet sich von den Verfahrenssituationen, mit denen der EGMR und auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen konfrontiert werden. Den Erwägungen des JStGH, die Gedanken des Opfer- und Zeugenschutzes in Abwägung mit den Rechten des Angeklagten zu bringen, ist grundsätzlich zuzustimmen. Allerdings dürfen mit dieser Begründung die Menschenrechte (hier in Form 46 Dazu Mégret/Hoffmann, in: Hum Rts. Q. 25 (2003), 314, 316 ff.; Dannenbaum, in: Harv. Int’l L. J. 51 (2010), 113, 134 ff.; Paust, in: Harv. Int’l L. J. Online 51 (2010), 1, 2 ff. Fedorova/ Sluiter, in: Human Rights and International Legal Discourse 3 (2009), 9, 21, führen diesbezüglich auch Art. 1 Abs. 3 VN-Charta zusätzlich an, um die Verbindlichkeit dieser Menschenrechtsstandards zu betonen. Angreifbar ist diese Argumentation hingegen mit der Erwägung, dass die Menschenrechte ausgerichtet seien auf eine Geltung auf nationaler Ebene. Dass dieser Standard auch innerhalb der Organisation auf einer internationalen Ebene zu gelten hat, ist damit noch nicht gesagt. Die Präambel der Vereinten Nationen sowie die Art. 1, 2 VNCharta sind in dieser Hinsicht wenig ausdrucksstark formuliert. Andererseits ist es unter wertenden Aspekten schlicht undenkbar, dass sich eine Vielzahl von Staaten mit einer gewissen Werteordnung zusammenschließt, um eine internationale Organisation zu gründen, und diese Organisation in ihren Standards hinter diejenigen ihrer Mitgliedstaaten zurückfällt. Diese Überlegungen sollen jedoch nur als theoretischer Anreiz dienen, um die oben aufgestellte Behauptung, eine dogmatisch saubere Lösung sei nicht möglich, zu bekräftigen. 47 Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), S/25704 vom 03. Mai 1996, Rn. 106. Hierzu führt Sloan, in: Leiden J. Int’l L. 9 (1996), 479, 481, aus, dass der Verweis auf den IPbpR lediglich den Mindeststandard darstelle, den die Tribunale zu berücksichtigen hätten, da die Formulierung „internationally recognized standards regarding the rights of the accused“ über den Internationalen Pakt hinausgehe. Ebenso Nikolić (IT-94-2), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion Challenging the Exercise of Jurisdiction by the Tribunal, 09. Oktober 2002, Rn. 110 („… absolute minimum standards applicable.“). 48 Zahar/Sluiter, S. 277; Affolder, in: Mich. J. Int’l L. 19 (1998), 445, 478. 49 Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, S. 513 f.

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der Rechte des Angeklagten) nicht auch in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung der jeweiligen Organe umgangen bzw. deren Geltungs- und Wirkungsbereich eingeschränkt werden.50 Trotz des Umstandes, dass die Tribunale die Notwendigkeit sehen, ihre Regelungen in dem ihnen eigenen, einzigartigen Kontext auszulegen, und auch die Rechte der Verfahrensbeteiligten innerhalb des eigenen rechtlichen Rahmens zur Abwägung zu bringen, bleibt die Rechtsprechung des EGMR oder des Menschenrechtsausschusses nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Insbesondere dient die Bezugnahme auf die Rechtsprechung der jeweiligen Spruchkörper der Definition und Aufklärung bzw. Verdeutlichung bestimmter menschenrechtlicher Grundsätze und Konzepte, die in den Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen zwar enthalten, dort aber nicht weiter spezifiziert sind.51 Ebenso wird das betreffende case-law zwecks Unterstützung und Bekräftigung einer bestimmten Argumentationsrichtung von den Tribunalen zugrunde gelegt.52 Demnach vollführen die Tribunale in einer Art „freiwilligem Rückgriff“ eine fakultative Bindung entsprechender Urteile und berücksichtigen diese bei der Auslegung und Anwendung der Statuten.53 Im Ergebnis besteht Einigkeit dahingehend, dass die Tribunale an menschenrechtliche Standards (zuvörderst in der Gestalt, welche diese durch die Vereinten Nationen erhalten haben) gebunden sind und der Verpflichtung unterliegen, diese zu wahren. Denn gerade ein Gericht, welches sich der Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen verschreibt, muss in der Pflicht stehen, diejenigen Menschenrechte, die dem strafrechtlich zu Verfolgenden zustehen, selber zu achten und durchzusetzen. Die Begründung dieses Ansatzes gestaltet sich um einiges schwieriger. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine saubere dogmatische Lösung nicht möglich ist. Mit einzubeziehen sind demnach auch immer wertende Gesichtspunkte, die im Endeffekt dazu führen, dass es keine andere denkbare Möglichkeit gibt, außer, die Tribunale selber diesen Standards zu unterwerfen. Dabei ist auch die Rechtsprechung der menschenrechtlichen Supervisions­ gremien von immenser Bedeutung. Zwar ist der Kontext ein anderer; eine Kon 50 Zum Spannungsfeld zwischen den Rechten des Angeklagten und Opfer- und Zeugenschutzerwägungen Safferling, in: Renzikowski, S. 175 ff.; Swaak-Goldman, in: Leiden J. Int’l L. 10 (1997), 215, 219; Momeni, in: Howard L. J. 41 (1997), 155 ff.; sowie Tadić (Fn. 34), Separate Opinion of Judge Stephen on the Prosecutor’s Motion Requesting Protective Measures for Victims and Witnesses, 10. August 1995. 51 Vertiefend Cassese, in: Bergsmo, S. 31 ff. 52 Cassese, in: Bergsmo, S. 38 ff.; Nimaga, in: Hoffmann-Holland, S. 118. 53 Tadić (IT-94-1), Appeals Chamber, Judgment, 15. Juli 1999, Rn. 44; Kamardi, S. 148; Katz Cogan, in: Yale J. Int’l L. 27 (2002), 112, 117. Zu Abweichungen von der Rechtsprechung des EGMR im Hinblick auf Freiheitsentziehungen und Voraussetzungen einer vorläufigen Haftentlassung s. beispielsweise Šainović & Ojdanić (IT-99-37-AR65), Dissenting Opinion of Judge David Hunt on Provisional Release, 30. Oktober 2002, Rn. 76. Zur Vorsicht im Hinblick auf die (vorschnelle) Übernahme von in Menschenrechtsentscheidungen getroffenen Erkenntnissen mahnt die Hauptverfahrenskammer in Kunarać, Kovać & Vuković (IT-96-23-T & IT 96-23/1-T), Trial Chamber, Judgment, 22. Februar 2001, Rn. 471.

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formität der Situationen findet sich allerdings auch auf nationaler Ebene nicht. Die menschenrechtlichen Standards müssen ständig vor dem Hintergrund der jeweiligen Gegebenheiten einer Situation zur Anwendung gelangen, so dass für die Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit nichts anderes gilt. So, wie sich die Gerichtsbarkeit in den einzelnen Staaten unterscheidet, gilt dies auch im Verhältnis von nationaler zu internationaler Ebene. Letztendlich müssen die Kammern bei der Anwendung und Auslegung bestimmter Gewährleistungen die besondere Situation und den Kontext der Tribunale sowie die Relevanz von Opfer- und Zeugenschutzaspekten in die Abwägung mit einfließen lassen.54 Sofern man sich aber den Charakter der Menschenrechte als Mindeststandard vergegenwärtigt, wird deutlich, dass die Tribunale nicht hinter diesen zurückfallen dürfen. Um eine Konformität mit dem international anerkannten Standard herzustellen, muss den Vorschriften der Tribunale nötigenfalls im Wege menschenrechtskonformer Aus­ legung zu einer entsprechenden Anwendung verholfen werden.55 c) Der Einfluss der Menschenrechte auf den IStGH Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs56 enthält insofern eine Neuerung gegenüber den Statuten der Ad-hoc-Tribunale, als sich dort mit Art. 21 ­IStGH-St. zunächst überhaupt eine Vorschrift findet, welche Regelungen zum anwendbaren Recht beinhaltet. Aufgestellt wird hiermit eine Normhierarchie, welche – unter Modifizierung von Art. 38 IGH-Statut57 – die Quellen des Völkerstrafrechts darlegen soll.58 Im Rahmen dieser hierarchischen Ausgestaltung stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung der Menschenrechte. Zunächst ist anzumerken, dass eine unmittelbare Bindungswirkung nicht besteht bzw. bestehen kann, da der IStGH weder Vertragspartei der EMRK noch des IPbpR ist.59 Ausdrückliche Erwähnung finden die Menschenrechte im Rahmen dieser Vorschrift zwar in Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St., der besagt, dass „die Anwendung und 54

So auch Piragoff/Clarke, S. 370. Dazu van Heeck, S. 87. 56 Internationaler Strafgerichtshof, „IStGH“ (International Criminal Court, ICC). 57 Art. 38 IGH-Statut beinhaltet eine (nicht abschließende) Auflistung der Quellen des Völkerrechts, s. dazu Vitzthum, S. 56 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 48 ff. 58 McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Art. 21 Rn. 1; Edwards, in: Yale J. Int’l L. 26 (2001), 323, 371. Zur geschichtlichen Entwicklung der Vorschrift Saland, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 213. Allgemein zu den Quellen des Völkerstrafrechts s. Bassiouni, International Criminal Law, Vol. I, S. 3 ff. 59 In Anlehnung an die Diskussion um einen Beitritt der EU zur EMRK wäre u. U. auch ein Beitritt des IStGH zu den Menschenrechtspakten denkbar. Nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist die EU nun – im Gegensatz zu vorher – zum einen mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet (Art. 47 EU) und daher als internationale Organisation zu betrachten, zum anderen ist in Art. 6 Abs. 2 EU explizit der Beitritt zur EMRK vorgesehen. 55

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Auslegung des Rechts nach diesem Artikel […] mit den international anerkannten Menschenrechten vereinbar sein“ muss. Hiermit ist jedoch noch keine Aussage über eine eventuell bindende Wirkung getroffen. Das anzuwendende Recht findet sich in Art. 21 Abs. 1 ­IStGH-St. In der dortigen Unterteilung wird zwar nicht explizit auf die Menschenrechtstexte verwiesen. Dies muss jedoch nicht zwingend bedeuten, dass die EMRK und der IPbpR von der Anwendung auf Verfahren vor dem IStGH ausgeschlossen sind. Während Art. 21 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. die Reglementierungen des Internationalen Strafgerichtshofs (in Form des Statuts, der Verfahrens- und Beweisordnung sowie der Sondervorschriften der „Elements of Crimes“) in der Anwendungshierarchie an die erste Stelle stellt, beinhalten die lit. b) und c) einen anwendbaren rechtlichen Rahmen, der über die gerichtseigenen Normen hinausgeht und sich auf eine internationale bzw. nationale Ebene erstreckt. Zunächst bezieht Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. „anwendbare Verträge sowie die Grundsätze und Regeln des Völkerrechts“ in den Anwendungsbereich mit ein. Verwirrend mag vor diesem Hintergrund der Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. erscheinen, der von „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ spricht und auf den ersten Blick eine eindeutige Abgrenzung zu lit. b) vermissen lässt.60 Dabei liegt die Vermutung nahe, dass schlichtweg der Begriff des „Völkergewohnheitsrechts“ in lit. b) vermieden werden sollte, um nicht den Eindruck zu erwecken, man begründe die Strafbarkeit mit bloßem Gewohnheitsrecht statt mit niedergeschriebenen, festgelegten Rechtssätzen. In einem ersten Schritt zu einem aufgeklärten Verständnis von Art. 21 Abs. 1 ­IStGH-St. kann man demnach die „Regeln des Völkerrechts“ in lit. b) als Verklausulierung von „Völkergewohnheitsrecht“ begreifen.61 Legt man ferner für Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. eine – dem Wortlaut zufolge gebotene – rein völkerrechtliche Betrachtungsweise an, so können mit dem zweiten Begriff der „Grundsätze des Völkerrechts“ nur die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ gemeint sein, wie sie auch in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-St. als Quelle des Völkerrechts angeführt werden.62 Bei näherer Betrachtung von Art. 21 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. wird deutlich, dass hinter dem Wortlaut nur die Intention stehen kann, eine dritte Ebene in den Anwendungsbereich für Verfahren vor dem Gerichtshof einzuführen: die nationale Ebene. Die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ in lit. c) verweisen demnach auf generelle Prinzipien, die in einzelstaatlichen Rechtsordnungen zur Lösung strafrechtlicher Probleme herangezogen werden und in die nationale Strafrechtsdogmatik Einzug erhalten haben. Unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses wird der Unterschied zu lit. b) und der dortigen Wortwahl deutlich. Während 60 Dies vor allem, da sich der Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. des gleichen Terminus der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ bedient, wie Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-St. 61 Pellet, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1070 ff.; McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Art. 21 Rn. 13. 62 Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 41; Caracciolo, in: Lattanzi/Schabas, S. 227. Anders Werle/Jessberger, S. 57. Zur Unterscheidung zwischen den „general principles of law“ und den „general principles of international law“ s. Raimondo, S. 41 f.

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lit. b) die völkerrechtliche Ebene beschreibt und das anwendbare Recht neben den anwendbaren Verträgen auf das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Völkerrechts erstreckt, beschreibt lit. c) diejenigen Rechtsprinzipien, die auf nationaler Ebene für das Strafrecht von Bedeutung sind und auf die sich der IStGH im Einzelfall – sofern das eigene Regelwerk und auch die völkerrechtlichen Instrumentarien im konkreten Fall keine Lösung bieten – berufen kann. Im Anschluss an diese Klärung bleibt weiterhin die Frage nach der Einordnung der Menschenrechte in diese Hierarchie. Weder die EMRK noch der IPbpR fallen unter die Alternative der „anwendbaren Verträge“ in Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St., da (wie oben bereits erwähnt) der IStGH keine Vertragspartei ist.63 Teilweise wird eine Bindung an die Menschenrechte und eine Verpflichtung zu deren Achtung über die Einordnung des IStGH als internationale Organisation vorgenommen.64 Nach dem hier zugrundeliegenden Verständnis sind die Menschenrechte nicht als Völkergewohnheitsrecht zu begreifen, sondern als allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne des Völkerrechts.65 Damit sind sowohl die Individualrechte der EMRK als auch diejenigen des IPbpR auf Verfahren vor dem IStGH über Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. anwendbares Recht. Über die Einordnung als allgemeine Rechtsgrundsätze hinaus enthält Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St. die ausdrückliche Verpflichtung des Gerichtshofes, das nach Art. 21 ­IStGH-St. anwendbare Recht in Übereinstimmung mit international anerkannten Menschenrechten anzuwenden und auszulegen.66 Schon die Präambel 63 In Abweichung hiervon werden die Menschenrechtspakte von Degan, in: Chin. J. Int’l L. 4 (2005), 45, 80, als nach Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. anwendbare Verträge klassifiziert. 64 Fedorova/Sluiter, in: Human Rights and International Legal Discourse 3 (2009), 9, 20 f. Zur Bindung internationaler Organisationen an die Menschenrechte s. Alston, in: Alston, S. 9, 46. 65 Auf die – umstrittene – rechtliche Natur der Menschenrechte soll hier nicht weiter eingegangen werden. Für ein Verständnis der Menschenrechte als allgemeine Rechtsprinzipien s. Simma/Alston, in: Aust. YB Int’l L. 12 (1988), 82 ff. und Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 26 f. Einen Überblick bietet Dimitrijević, S. 28 ff. Für eine Einordnung der Menschenrechte als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts s. hingegen Cassese, S.  393 ff.; Shaw, S. 275; Meron, Customary International Law, S. 79 ff.; Schachter, S. 335 ff.; Cunningham, in: Int’l & Comp. L. Q. 43 (1994), 537, 542; Verhoeven, in: Neth. YB Int’l L. 33 (2002), 3, 14. Zum Einfluss von Menschenrechtspakten auf das Völkergewohnheitsrecht s. Weisburd, in: Ga. J. Int’l & Comp. L. 25 (1996), 99, 109 ff., 112 ff. 66 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to Article 19 (2) of the Statute of 3 October 2006, 14. Dezember 2006, Rn. 37: „Human Rights underpin the Statute; every aspect of it, including the exercise of the jurisdiction of the Court. Its provisions must be interpreted and more importantly applied in accordance with internationally recognized human rights; first and foremost, in the context of the Statute, the right to a fair trial, a concept broadly perceived and applied, embracing the judicial process in its entirety.“ Ferner Delmas-Marty, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 2, 3. Shep­ pard, in: Int’l Crim. L. Rev. 10 (2010), 43, 46, spricht in diesem Zusammenhang von einer „quasi-constitutional provision“.

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des Römischen Statuts deutet auf den Schutz der Menschenrechte als einen das Statut tragenden Wert hin.67 Im Gegensatz zu Abs. 1 und der Frage nach einer Bindungswirkung der Menschenrechte verfolgt Art. 21 Abs. 3 I­ StGH-St. ein rein methodisches Ziel, indem er eine Verpflichtung zur menschenrechtskonformen Auslegung aufstellt.68 Dies bedeutet, dass sämtliche Vorgehensweisen und Anwendungen der in Abs. 1 benannten Rechtsquellen in einem letzten Schritt mit einer menschenrechtskonformen Auslegung abzuschließen sind. Die Rechtsprechung der menschenrechtlichen Supervisionsgremien wird durch den IStGH ebenso zugrunde gelegt, wie durch die Ad-hoc-Tribunale. Die Menschenrechte erfahren ihre konkrete Ausgestaltung erst durch deren Anwendung in der Judikatur des EGMR bzw. des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen. Somit ist diese Rechtsprechung zum einen von Bedeutung für die Menschenrechte als nach Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. anwendbares Recht. Zum anderen tragen diese Rechtsprechungsorgane dazu bei, internationalen menschenrechtlichen Standards eine Form zu verleihen bzw. diese zu konkretisieren, so dass auch im Rahmen der Interpretationsdiktion nach Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St. auf diese Rechtsprechung als Bestandteil dieser Standards zurückzugreifen ist.69 In Art. 21 ­IStGH-St. und den einschlägigen konkreten Gewährleistungen kommt das Bestreben der Verfasser des Römischen Statuts zum Ausdruck, höchstmög­ liche Standards zum Schutz der Beschuldigten und Angeklagten einzuführen.70 Doch auch über Art. 21 ­IStGH-St. hinaus besteht für den IStGH eine zwingende Verpflichtung zur Herstellung der Konformität mit den Menschenrechten. Diese ergibt sich nach Safferling sowohl aus der Stellung eines Internationalen Strafgerichtshofs den nationalen Staaten gegenüber, als auch aus der Natur der Menschenrechte.71 In den Art. 55, 64 Abs. 2, 66, 67 des I­StGH-St. finden sich sodann konkrete Gewährleistungen. Insbesondere Art. 67 ­IStGH-St. beruht – wie schon Art. 21 JStGH-St. und Art. 20 RStGH-St. – auf Art. 14 IPbpR. Im Gegensatz zu seinen „Vorgängern“ reicht Art. 67 ­IStGH-St. in mancherlei Hinsicht jedoch über den 67

So Duffy, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 11 (2001), 5, 15. Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Practices of Witness Familiarisation and Witness Proofing, 08. November 2006, Rn. 10 („In this regard, the Chamber considers that prior to undertaking the analysis required by article 21 (3) of the Statute, the Chamber must find a provision, rule or principle that, under article 21 (1) (a) to (c) of the Statute, could be applicable to the issue at hand.“); Safferling, in: Renzikowski, S. 160; Arsanjani, in: Am. J. Int’l L. 93 (1999), 22, 29; Ciampi, in: Politi/Gioia, S. 105. Pellet, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 1080, räumt den Menschenrechten ausdrücklich eine Vorrangstellung gegenüber dem sonstigen anwendbaren Recht ein. Kritisch hierzu Verhoeven, in: Neth. YB Int’l L. 33 (2002), 3, 14 f. 69 Kritisch Sheppard, in: Int’l Crim. L. Rev. 10 (2010), 43, 52 ff. 70 Dazu Friman, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 248. Die letztendliche Unbestimmtheit dieses Standards wird kritisiert von Sheppard, in: Int’l Crim. L. Rev. 10 (2010), 43, 48 ff. 71 Ausführlich Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 39 ff. 68

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einen Mindeststandard normierenden menschenrechtlichen Vertragstext hinaus.72 Zusätzlich finden sich auch an anderen Stellen des Römischen Statuts Vorschriften, deren Inhalt entweder auf die Menschenrechte zurückzuführen ist oder teilweise auch bis dato nicht kodifizierte Rechte enthält.73 d) Fazit: Der Einfluss der Menschenrechte auf internationale Strafgerichte In Anlehnung an den oben zunächst geäußerten Gedanken, die menschenrechtlichen Standards könnten nicht ohne Weiteres auf die Ebene des internationalen Strafrechts übertragen werden, ist zu bemerken, dass dieser Ansicht nicht un­eingeschränkt zu folgen ist. Es ist offensichtlich, dass sich die Situation internationaler Strafgerichtshöfe in deutlichem Maße von derjenigen der nationalen Strafjustiz unterscheidet. Dies zeigt allein schon der Umstand, dass Opfer- und Zeugenschutzaspekte verstärkt in die Rechtsanwendung mit einbezogen werden. Dieser Aspekt kommt sowohl in Art. 20 Abs. 1 JStGH-St., Art. 19 Abs. 1 RStGHSt. als auch in Art. 64 Abs. 2 ­IStGH-St. zum Ausdruck, welche die Verfahrens­ kammern zu einer fairen Verfahrensführung unter voller Wahrung der Rechte des Angeklagten anhalten, unter gleichzeitiger gebührender Berücksichtigung des Schutzes der Opfer und Zeugen. Auf der anderen Seite hingegen besteht gerade auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit das Bedürfnis, menschenrechtskonform zu handeln – und dies nicht nur bezogen auf völkerrechtliche Verbrechen, welche schwere Menschenrechtsverletzungen zum Gegenstand haben, sondern auch und erst recht auf der verfahrensrechtlichen Ebene, wenn es um die Menschenrechte geht, die dem strafrechtlich zu Verfolgenden zustehen. Der Angeklagte hat ein Recht auf ein faires Verfahren, ungeachtet der Ausgestaltung desjenigen Spruchkörpers, vor dem er sich zu verantworten hat.74 Es wäre nicht nachvollziehbar, auf der einen Seite die Achtung der Menschenrechte aufrecht erhalten zu wollen, indem die schwersten aller Verbrechen vor internationalen Gerichten verfolgt werden, auf der anderen Seite aber darüber zu befinden, dass dem Angeklagten selber bestimmte Menschenrechte nicht zustehen – gleich, aus welchen 72 Sadat, S. 251. Dies gilt gleichwohl nicht in einem umfassenden Sinne. Kritik, basierend auf der (vermeintlichen) Unvollständigkeit der Angeklagtenrechte, wird unter anderem hervorgebracht von Blakesley, in: Am. Crim. L. Rev. 36 (1999), 223, 236 f., sowie Gallant, in: Int’l Lawyer 34 (2000), 21 ff., und Caianiello/Illuminati, in: N. C. J. Int’l L. & Com. Reg. 26 (2001), 407, 435. 73 So auch Schabas, in: Triffterer, Art. 67 Rn. 2, der an dieser Stelle die Vermutung aufstellt, dass die Intention von Art. 67 ­IStGH-St. statt in einer bloßen Normierung bereits kodifizierter Rechte in der (Weiter-)Entwicklung teilweise auch neuer Rechte liege, die noch nicht in den Menschenrechtstexten verankert seien. 74 Dazu auch Knoops, Theory and Practice, S. 22, mit Verweis auf Stanišić (IT-0369-AR65.1), Appeals Chamber, Decision on Prosecution’s Appeal Against Decision Granting Provisional Release, 03. Dezember 2004, Rn. 27.

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Erwägungen heraus.75 Dieser Gedankengang muss als selbstverständlich betrachtet werden.76 Die Menschenrechte beeinflussen das Völkerstrafrecht demzufolge auf doppelte Art und Weise, indem sie einerseits den materiellen Gehalt des internationalen Rechtsgüterschutzes ausmachen und zum anderen die Durchsetzung dieses Menschenrechtsschutzes wiederum der Geltung der Menschenrechte unterwerfen.77 Die Durchsetzung des Rechtsgüterschutzes ist demnach ihrerseits beschränkt durch die Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten bzw. Angeklagten und die ihm im Verfahren zustehenden Menschenrechte, die seine Position vor Gericht stärken. Darüber hinaus gibt es als zusätzliche Besonderheit internationaler Strafgerichtsbarkeit für die Urteile internationaler Strafgerichte keine über­ wachende Revisionsinstanz, die ein Gegengewicht darstellen könnte.78 Vor diesem Hintergrund besteht die dringende Notwendigkeit der Umsetzung menschenrechtlicher Standards, und zwar auch in ihrer Ausprägung, die sie durch die jeweiligen Rechtsprechungsorgane erfahren. In dieser Hinsicht ist das Römische Statut den Statuten der Tribunale einen erheblichen Schritt voraus. Während sich für die Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen eine unmittelbare Bindung an die Menschenrechte vor allem in Gestalt des IPbpR als Nebenorgan des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergibt, beinhaltet das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zum einen eine Anwendungsbindung der Menschenrechtsdokumente nach Art. 21 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. als allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts und zum anderen eine Interpretationsbindung nach Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St.79 Was die Rechtsprechung des EGMR und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen anbelangt, ist zunächst deren Funktion als An 75 Zur Bedeutsamkeit der Durchführung eines für den Angeklagten fairen Verfahrens auch für die Wahrnehmung eines internationalen Straftribunals nach außen hin sei hier auf die Aussage des früheren Chefanklägers des JStGH und RStGH, Richard Goldstone, verwiesen: „There is no question that history will judge the Tribunals for the former Yugoslavia and Rwanda on the fairness or unfairness of their proceedings. Whether there are convictions or whether there are acquittals will not be the yardstick. The measure is going to be the fairness of the proceedings.“ Goldstone, Address before the Supreme Court of the US, 1996 CEELI Leadership Award Dinner (02. Oktober 1996), zitiert bei Ellis, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 519, 526. Dieser Gedanke wird unterstrichen durch die frühe Erkenntnis des Chefanklägers der Vereinigten Staaten bei den Nürnberger Prozessen, Robert H. Jackson, im Hinblick auf Gerechtigkeitserwägungen als Ziel internationaler Strafgerichtsbarkeit: „We must never forget that the record on which we judge these defendants today is the record on which history will judge us tomorrow. To pass these defendants a poisoned chalice is to put it to our own lips as well.“ (Opening Statement for the Prosecution at Nuremberg, Blaue Reihe, Bd. II, S. 101). Ferner Holthuis, in: Int’l Legal Prac. 27 (2002), 41, 44; Ohlin, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 14 (2009), 77, 110; Kittichaisaree, S. 287. 76 Deutlich Lagodny, in: ZStW 113 (2001), 800, 823 („Es versteht sich eigentlich von selbst, dass ein Gericht, das schwerste Menschenrechtsverletzungen bestrafen können soll, im menschenrechtlichen Glashaus sitzt.“), sowie Hoven, in: Hoffmann-Holland, S. 137 f., und Stapleton, in: N. Y. U. J. Int’l L. & Pol. 31 (1999), 535, 548. 77 Eingehend dazu Safferling, in: Renzikowski, S. 154 ff. 78 Dazu Zappalá, S. 13 f.; Gradoni, in: Leiden J. Int’l L. 19 (2006), 847, 867 ff.; Kingsbury, S. 11. 79 Safferling, in: Renzikowski, S. 158, 160.

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wendungs- und Auslegungsorgan der Menschenrechtspakte hervorzuheben. Die in der EMRK und dem IPbpR normierten Gewährleistungen erhalten in der Jurisdiktion der beiden Organe ihre Gestalt. Obgleich keinerlei Pflicht zur Berücksichtigung dieser Art der Ausgestaltung besteht, erfolgt in vielen Fällen ein fakultativer Rückgriff auf diese Urteile, welche gleichsam Bestandteil der Ausformung international anerkannter menschenrechtlicher Standards sind. Unter dem Einfluss der Idee der Menschenrechte finden sich konkrete Gewährleistungen für den Angeklagten vor allem in Art. 20 Abs. 1, 21 JStGH-St., Art. 19 Abs. 1, 20 RStGHSt. und Art. 64 Abs. 2, 66, 67 ­IStGH-St. Maßgeblich ist letztendlich, dass ein Verständnis des Konzepts der Menschenrechte zugrunde gelegt wird, welches dieses nicht als statisches Instrument begreift. Wenn der EGMR sich auf die EMRK als „living instrument“ bezieht,80 ist diese Konzeptionalisierung auch auf die völkerstrafrechtliche Ebene übertragbar. So, wie es im nationalen Kontext auf die Umstände der jeweiligen Situation ankommt, sind diese auch im Bereich des Völkerstrafrechts maßgeblich. Durch den eingangs beschriebenen Grundsatz der Subsidiarität der Menschenrechte wird diese intendierte Flexibilität bekräftigt. Menschenrechtliche Gewährleistungen als Mindestmaßstab erfordern keine absolute Konformität der Verfahrensweisen auf nationaler und internationaler Ebene.81 Unerlässlich ist hingegen eine Anpassung des jeweiligen Verfahrens zu dem Zweck, nicht von dem besagten Mindeststandard abzuweichen, um so den Spagat zwischen den menschenrechtlichen Vorgaben und den Besonderheiten auf völkerstrafrechtlicher Ebene zu bewältigen. In Anlehnung an den (1) universellen und (2) subsidiären Charakter der Menschenrechte muss ein letzter Aspekt verdeutlicht werden. Die internationale Werteordnung in Form der Menschenrechte und deren Ausgestaltung durch die jeweilige Rechtsprechung kann auf der Ebene des Völkerstrafrechts lediglich zu Zwecken der Etablierung eines Gesamtsystems zugrunde gelegt werden. Es geht bei der Frage der Bindung an die Menschenrechte nicht um die Einführung oder Erweiterung der Kontrollebene menschenrechtssprechender Gremien. Vielmehr steht die Anpassung eines Systems an den international anerkannten menschenrechtlichen Standard im Vordergrund, wobei dieses völkerstraf(prozess)rechtliche System einer Gesamtbetrachtung unter Zugrundelegung der Menschenrechte und einschlägiger Rechtsprechung zu unterziehen ist. Trotz der gegebenen Besonderheiten und der spezifischen Umstände der internationalen Strafgerichtsbarkeit können die Menschenrechte – und in diesem Zusammenhang insbesondere die Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten – als konstituierende Werteordnung betrachtet werden. Wird nun dahingehend argumentiert, dass die Menschenrechte 80 EGMR, Tyrer ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 26, Rn. 31; Loizidou ./. Türkei, Serie A Nr. 310, Rn. 71. s. auch Plowden/Kerrigan, S. 165; Letsas, in: Eur. J. Int’l L. 15 (2004), 279, 298 ff.; Mowbray, in: Hum. Rts. L. Rev. 5 (2005), 57, 60 ff. 81 Dazu auch Daams, S. 40; Defrancia, in: Va. L. Rev. 87 (2001), 1381, 1384; Siebert, in: Irish Stud. L. Rev. 11 (2003), 29, 32; McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 193 ff., sowie Piragoff/ Clarke, S. 372.

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nicht ohne Weiteres in ihrer konkreten Ausgestaltung auf Völkerstrafverfahren übertragen werden können, so muss zumindest im Wege menschenrechtskonformer Auslegung diese Konformität hergestellt werden.82 Die Übereinstimmung mit den Grundgedanken der internationalen Werteordnung ist ein zwingendes Erfordernis. Insbesondere von Relevanz ist die Achtung der Menschenrechte für denjenigen, dem die Freiheit entzogen wurde und der den Beginn seines Verfahrens sowie dessen Ablauf in Untersuchungshaft erwartet. Aufgrund der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit ist es unerlässlich, diese Maßnahme strengen Restriktionen zu unterwerfen. Dies gilt nicht nur in Zusammenhang mit den Voraussetzungen von Untersuchungshaft, sondern auch mit der Geltung spezieller menschenrechtlicher Gewährleistungen, die den Inhaftierten schützen sollen. 2. Der personelle Geltungsbereich der Menschenrechte Die menschenrechtlichen Gewährleistungen, die überwiegend in den Statuten der internationalen Strafgerichte normiert sind, stehen nicht nur dem Angeklagten zu, sondern beanspruchen schon auf früherer Ebene Geltung. Speziell für den Bereich der Untersuchungshaft ist dieser Umstand von erheblicher Relevanz, da der Untersuchungshäftling zumindest zu Beginn des Freiheitsentzuges oftmals noch nicht angeklagt ist. Die zutreffende Bezeichnung des jeweiligen Status hängt dabei von dem Verfahrensrecht derjenigen Institution ab, welche die Strafverfolgung betreibt. Für das Römische Statut gilt, dass hier elementare Rechte auch „lediglich“ beschuldigten Personen zuteil werden.83 Die maßgebende Vorschrift ist Art. 55 ­IStGH-St., welcher die Rechte von Personen während der Ermittlungen normiert. Während der erste Absatz grundsätzlich alle Personen berechtigt, die von den Ermittlungen in jeglicher Form betroffen sind, statuiert der zweite Absatz zusätz­ liche Rechte („… that person shall also have the following rights …“) speziell für

82 Dazu Dimitrijević/Milanović, in: Gridmheden/Ring, S. 167; Robinson, in: Eur. J. Int’l L. 11 (2000), 569, 572 f.; für die Rechtsprechung des EGMR s. Cassese, in: Bergsmo, S. 25. So kann beispielsweise im Rahmen der Beschleunigungsmaxime von konkreten Vorgaben durch die Praxis des EGMR oder des Menschenrechtsausschusses abgewichen werden, solange der Grundgedanke der Menschenrechte aufrecht erhalten wird und die hierzu entwickelten Grundsätze in der Praxis der internationalen Strafgerichtshöfe ihren Niederschlag finden. Hierzu Caflish, in: Hum. Rts. L. J. 23 (2002), 1, 3. 83 So Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to Article 19 (2) of the Statute of 3 October 2006, 14. Dezember 2006, Rn. 37: „Where fair trial becomes impossible because of breaches of the fundamental rights of the suspect or the accused by his/her accusers, it would be a contradiction in terms to put the person on trial.“

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Personen, die unter dem Verdacht stehen, ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen zu haben. Auch an den Ad-hoc-Tribunalen wird grundsätzlich zwischen den Rechten von Angeklagten und Beschuldigten unterschieden.84 Bevor im Einzelnen auf spezifische Gewährleistungen von Untersuchungshäftlingen und deren Ausgestaltung an internationalen Strafgerichten eingegangen werden kann, bedarf es einiger begrifflicher Klärungen. Sollen die „rights of the suspect“ und „rights of the accused“ erörtert werden, muss Klarheit dahingehend bestehen, wie „suspect“ und „accused“ in diesem Kontext zu verstehen sind und wie diese Begriffe im Hinblick auf die unterschiedlichen Verfahrensstadien voneinander getrennt werden können. Dabei soll zunächst ein Exkurs zur deutschen Strafprozessordnung einen Überblick über die dort geltenden Begrifflichkeiten bieten, an denen sich später zu Zwecken der Einheitlichkeit orientiert werden soll. a) Die Terminologie der Strafprozessordnung In der deutschen Rechtspraxis lassen sich gleich mehrere Begriffe ausmachen, die den Status der betreffenden Person von Beginn der Ermittlungen an bis hin zu einem rechtskräftigen Urteil bezeichnen. Zeitlich frühester Status in der für die Strafverfolgung relevanten Terminologie ist derjenige des „Verdächtigen“. Ein Verdächtiger ist eine Person, gegen den bestimmte Verdachtsmomente einer Straftat vorliegen.85 Verdichten sich diese Verdachtsmomente zu einem personenbezogenen Anfangsverdacht, liegt zumindest die materielle Voraussetzung für eine Beschuldigung vor. Ein Anfangsverdacht ist nach § 152 Abs. 2 StPO bedingt durch das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, die die Beteiligung des Betroffenen an einer Straftat möglich erscheinen lassen.86 Der Verdächtige wird allerdings formell erst dann zum Beschuldigten, wenn die Staatsanwaltschaft Maßnahmen mit dem erkennbaren Ziel ergreift, gegen ihn strafrechtlich vorzugehen (sog. Inkulpationsakt).87 Demnach muss neben den bloßen Tatverdacht ein Willensakt der Strafverfolgungsbehörden treten, der darauf gerichtet ist, das Strafverfahren gegen den Verdächtigen als Beschuldigten zu betreiben. Beschuldigter ist folglich derjenige, gegen den das Verfahren als den für die Straftat Verantwortlichen betrieben wird.88 Den Strafverfolgungsbehörden steht bei 84

Vgl. Regel 42 ­JStGH-VBO, Regel 42 RStGH-VBO: „Rights of suspects during investigation“. Eine Bestimmung der Termini „accused“ und „suspect“ findet sich in Regel 2 (A) ­JStGH-VBO, Regel 2 (A) RStGH-VBO. 85 Kühne, Rn. 320; Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 163b Rn. 9. Zur Abgrenzung vom „Beschuldigten“ s. Haas, S. 74; Rogall, in: SK-StPO, Vor 133 Rn. 11 ff. 86 BGH, NStZ 1994, 499, 500; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4; Kindhäuser, § 4 Rn. 10. 87 BGH NStZ 1997, 398; BGHSt 51, 367, 370 ff.; Roxin/Schünemann, § 25 Rn. 10. Anders hingegen Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 137 Rn. 4 m. w. N. 88 Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, Einl. Rn. 85; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 Rn.  15 ff.

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der Beurteilung des Tatverdachtes ein Beurteilungsspielraum zu.89 Dies gilt mithin auch für die Entscheidung, aufgrund des bestehenden Tatverdachtes gegen den Verdächtigen, weitere Maßnahmen einzuleiten, die eben diesen Willen der Strafverfolgungsbehörde (Ermittlung nunmehr gegen den Betroffenen als Beschuldigten) nach außen hin kundtun. In der Beschuldigteneigenschaft vereinigt sich somit der auf einer rechtlichen Verpflichtung gründende Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörde als subjektives Element mit der nach außen wirkenden Manifes­ tation dieses Willens als objektivem Element.90 Über diese doch recht spezifische Kennzeichnung des Beschuldigten „im enge­ ren Sinne“ hinaus gilt der Begriff des „Beschuldigten“ zugleich auch als Oberbegriff für den allgemein von einem Strafverfahren Betroffenen und qualifiziert diejenige Person, die das Objekt staatlicher Strafverfolgung darstellt.91 Dies verdeutlicht § 157 StPO, der die Unterfälle des Beschuldigten in verschiedenen Stadien des Verfahrens benennt. So ist Angeschuldigter derjenige, gegen den nach § 170 Abs. 1 StPO die öffentliche Klage erhoben ist, somit der Beschuldigte im Zwischenverfahren. Angeklagter ist hingegen nach § 157 StPO der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO beschlossen ist. Von der StPO wird zwar dem Beschuldigten, nicht aber auch dem Verdächtigen das Recht auf die Gewährleistung bestimmter Verfahrensgarantien zugeschrieben. Diese finden sich – für den Beschuldigten „im enge­ ren Sinne“ – hauptsächlich in den §§ 136, 136a, 137 und 168c Abs. 2 StPO, welche die Rechte eines Beschuldigten bei Vernehmungen (vor allem im Hinblick auf die erste Vernehmung) sowie Regelungen zur Wahl eines Verteidigers beinhalten. Weitere Rechte finden sich für den Angeklagten beispielsweise in den §§ 230, 244 Abs. 3, 4, 257 Abs. 1, 258 Abs. 1 StPO. Demnach beinhaltet die StPO eine eindeutige begriffliche Differenzierung zwischen den Stadien des „Beschuldigten“ und des „Angeklagten“, wobei jeweils eine konkrete Zuweisung bestimmter Gewährleistungen erfolgt.

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BGH NStZ 1990, 446, 447; 1992, 294, 295; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 17. In Anlehnung an den Rechtsgedanken von § 397 Abs. 1 AO ist für die Begründung der Beschuldigteneigenschaft ausreichend, dass Maßnahmen angeordnet werden, die erkennbar darauf abzielen, gegen jemanden wegen einer Straftat vorzugehen und die üblicherweise nur gegen Beschuldigte zulässig sind. Dazu Roxin/Schünemann, § 25 Rn. 11; Meyer-Goßner, Einl. Rn. 76. 91 BGHSt 26, 367, 371; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 157 Rn. 1; Peters, S. 202. 90

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b) Der Begriff der strafrechtlichen „Anklage“ in der EMRK und dem IPbpR Was die Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte anbelangt, sind hier im speziellen Art. 6 EMRK und Art. 14 IPbpR als Kernvorschriften für elementare Verfahrensrechte relevant, deren Hauptanliegen es ist, den Zugang zu einem unabhängigen Gericht und ein faires, an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiertes Verfahren zu sichern. Gerade bei diesen Verfahrensgarantien kommt es darauf an, den Anwendungsbereich möglichst klar zu umreißen. Sowohl die EMRK als auch der IPbpR verwenden in dem hier in Rede stehenden Kontext den Begriff der Entscheidung über die gegen eine Person erhobene „strafrechtliche Anklage“ („In the determination […] of any criminal charge […]“). Vor dem Hintergrund des Erfordernisses einer grundsätzlichen Abgrenzung von dem Status eines „Beschuldigten“ und dem eines „Angeklagten“ stellt sich die Frage, ob eine solche Differenzierung auch den Menschenrechtspakten immanent ist, bzw. ob der Begriff der „Anklage“ in Art. 6 EMRK und Art. 14 IPbpR zugleich auch suggeriert, dass damit nur der streng im strafrechtlichen Sinne „Angeklagte“ gemeint sein kann. Während eine genaue Bestimmung des Begriffs der strafrechtlichen Anklage an dieser Stelle vernachlässigt werden kann, da es sich bei den hier relevanten Konstellationen um solche aus dem Bereich eines Strafverfahrens handelt, soll vielmehr kurz auf den Begriff der „Anklage“ eingegangen werden.92 Dieser unterliegt einer autonomen Interpretation im Sinne der Konvention bzw. des Paktes.93 Durch eine autonome Begriffsbestimmung, losgelöst von der Rechtstradition der Mitgliedstaaten, soll verhindert werden, dass der Geltungsbereich von Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR zur Disposition des nationalen Gesetzgebers steht.94 Die Auslegung des Begriffs der „strafrechtlichen Anklage“ erfolgt somit nicht im Sinne der förmlichen Anklageerhebung gemäß dem jeweiligen nationalen Recht. Ausgehend von dieser Prämisse versteht der EGMR den Begriff der „Anklage“ zum einen als die offizielle Benachrichtigung des Betroffenen durch die zuständige Behörde, dass gegen ihn der Verdacht der Begehung einer Straftat bestehe.95 Hiervon erfasst sind zum anderen auch sämtliche weiteren Maßnahmen, die einen solchen Vorwurf beinhalten bzw. nahelegen und die Situation des Verdächti 92 Ausführlich hierzu Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 56 ff., und Esser, S. 55 ff., 81 ff. 93 EGMR, Deweer ./. Belgien, Serie A Nr. 3, Rn. 42; König ./. Deutschland, Serie A Nr. 27, Rn. 88; Imbrioscia ./. Schweiz, Serie A Nr. 275, Rn. 36; Adolf ./. Österreich, Serie A Nr. 49, Rn. 30; Schilling, Rn. 358. Zur autonomen Interpretation durch den EGMR s. auch ­Matscher, in: MacDonald/Matscher/Petzold, S. 70 ff. Zum IPbpR s. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 14 Rn. 21. 94 EGMR, Engel u. a. ./. Niederlande, Serie A Nr. 22, Rn. 81; Öztürk ./. Deutschland, Serie A Nr. 73, Rn. 49 (beide in Bezug auf die „strafrechtliche“ Anklage). 95 EGMR, Deweer ./. Belgien, Serie A Nr. 35, Rn. 46; Foti ./. Italien, Serie A Nr. 56, Rn. 52; Escoubet ./. Belgien, Urteil vom 28.10.1999, Rn. 34 („Official notification by the competent authority of an allegation that he has committed a criminal offence“).

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gen gleichermaßen wesentlich beeinflussen.96 Zu solchen Maßnahmen zählen beispielsweise die Festnahme sowie weitere strafprozessuale Zwangsmaßnahmen;97 die Aufnahme polizeilicher (vorbereitender) Ermittlungen ist hingegen nicht ausreichend, solange es sich nicht um eine offizielle Ermittlungsmaßnahme handelt.98 Eine Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK auf das Ermittlungsverfahren selbst ist wiederum durchaus möglich.99 Gleiches gilt für die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 14 IPbpR: auch hier ist nicht auf den Zeitpunkt der formellen Anklageerhebung nach nationalem Recht abzustellen, sondern vielmehr darauf, ob die staatlichen Aktivitäten die Situation der betreffenden Person deutlich berühren.100 Erforderlich ist mithin eine Relevanz der ermittlungstechnischen Tätigkeit im Hinblick auf ein späteres Strafverfahren. Dem Betroffenen stehen die in Art. 6 EMRK und Art. 14 IPbpR verbrieften Rechte somit nicht erst nach dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu, sondern beanspruchen bereits zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt Geltung. Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass der Begriff der „Anklage“ nicht im Sinne der formellen Anklage nach nationalem Recht auszulegen ist, sondern zumindest der Schutz der Verfahrensgarantien zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem 96 EGMR, Eckle ./. Deutschland, Serie A Nr. 51, Rn. 73; Serves ./. Frankreich, Reports 1997-VI, Rn. 42; Hozee ./. Niederlande, Reports 1998-III, Rn. 43, 45; Deweer ./. Belgien, Serie A Nr. 35, Rn. 46; Foti ./. Italien, Serie A Nr. 56, Rn. 52 („Whilst „charge“ […] may in general be defined as „the official notification given to an individual by the competent authority of an allegation that he has committed a criminal offence“, it may in some instances take the form of other measures which carry the implication of such an allegation and which likewise substantially affect the situation of the suspect.“). 97 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 19; Vendittelli ./. Italien, Serie A Nr. 239-A, Rn. 21. 98 Der EGMR (Eckle ./. Deutschland, Serie A Nr. 51, Rn. 74) spricht diesbezüglich von „preliminary investigation“. Es kommt jedoch darauf an, wer diese Untersuchung durchführt. In früheren Entscheidungen erachtete er eine gerichtliche Voruntersuchung als ausreichend, um den Schutzbereich von Art. 6 EMRK zu eröffnen, s. Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 7, 18. Dazu auch Stavros, S. 54 ff. 99 EGMR, Imbrioscia ./. Schweiz, Serie A Nr. 275, Rn. 36 („pre-trial proceedings“). Für die Garantien des Art. 6 Abs. 3 EMRK gilt dies nur in eingeschränktem Umfang, so dass bspw. das Recht auf einen Verteidiger nach Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK zwar im Ermittlungsverfahren Geltung beansprucht (hierzu Meyer-Ladewig, Art. 6 Rn. 91a m. w. N.), andere Garantien hingegen wiederum nicht. Hierzu führte der EGMR in Salduz ./. Türkei, Urteil vom 27.11.2008, Rn. 50, 54, aus, dass die Garantien des Art. 6 EMRK, und hier insbesondere des Abs. 3, durchaus auch schon während des Ermittlungsverfahrens relevant werden könnten, wenn andernfalls die Fairness des Strafverfahrens, welches seinen Rahmen durch vorhergehende Ermittlungen erhält und somit die Bedeutung dieses Ermittlungsstadiums für das spätere Verfahren offensichtlich ist, durch ein anfängliches Versäumnis ernsthaft beeinträchtigt werde. Bei Art. 14 Abs. 3 IPbpR ist der zeitliche Rahmen für die Anwendbarkeit enger gesteckt und das Ermittlungsverfahren ist von dessen Geltungsbereich teilweise ausgenommen, vgl. HRC General Comment No. 32 (Article 14), CCPR/C/GC/32, 23. August 2007, Rn. 31 zu Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR. Nach Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 33, kann es richtigerweise immer nur auf das jeweilige in Rede stehende Recht ankommen. 100 Noor Muhammad, in: Henkin, S. 145 f.; Nowak, CCPR-Commentary, Art. 14 Rn. 22.

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nach deutschem Recht vom „Beschuldigten“ gesprochen wird. Sowohl nach dem Verständnis des „Angeklagten“ in den Menschenrechtsabkommen und des „Beschuldigten“ in der deutschen StPO wird vom Erfordernis einer offiziellen Mitteilung der Beschuldigung oder ähnlich wirkender Maßnahmen ausgegangen, um den Anwendungsbereich von speziellen Verfahrensrechten für den Betroffenen zu eröffnen. Zusätzlich ist das Vorliegen eines Tatverdachtes erforderlich, welcher überhaupt erst den Anlass zu einer offiziellen Mitteilung bietet. Nach deutschem Recht ist das Vorliegen eines Anfangsverdachtes gemäß § 152 Abs. 2 StPO erforderlich, welches gleichsam als Auslöser einer späteren Beschuldigung dient und den Wechsel vom „Verdächtigen“ zum „Beschuldigten“ einleitet. Ebenso ist nach dem Verständnis von EMRK und IPbpR der Tatverdacht der Träger des Vorwurfs, der dem nunmehr Beschuldigten gegenüber geäußert oder auf andere Weise zum Ausdruck gebracht wird. Solange dies jedoch unterbleibt, reicht der bloße Tat­ verdacht nicht aus, um die Beschuldigteneigenschaft zu begründen und auch den Anwendungsbereich der Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR zu eröffnen. Auf der Suche nach einer handhabbaren Begriffsbestimmung kann insoweit festgestellt werden, dass sich die StPO, die EMRK sowie der IPbpR von ihrem Geltungsbereich her gleichen: auf die Garantien des Art. 6 EMRK und Art. 14 IPbpR kann sich zumindest der „Beschuldigte“ berufen, wobei sich das Verständnis dieses Begriffs als einheitlich darstellt. Sodann muss jedoch die Frage gestellt werden, ob dieses Verständnis auch auf den Bereich des Völkerstraf(prozess)rechts übertragen werden kann. Die Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen der internationalen Gerichte sprechen bei der Zuweisung bestimmter verfahrensrelevanter Rechte von „suspect“ und „accused“. Im Folgenden sollen diese beiden Begriffe näher untersucht werden, mit dem Ziel, der Einheitlichkeit und des besseren Verständnisses halber eine Zuordnung zu den im deutschen Straf­ prozessrecht gebräuchlichen Bezeichnungen zu ermöglichen. c) Der „suspect“ am JStGH und RStGH Während die Reglementierungen des IStGH keine Regelungen enthalten, in denen der Status der betreffenden Person näher bestimmt wird, lassen sich in Regel 2 (A) ­JStGH-VBO101 Definitionen der Termini „accused“ und „suspect“ nach dem jeweiligen Verständnis der Tribunale finden. Danach ist Angeklagter „a ­person against whom one or more counts in an indictment have been confirmed in accordance with Rule 47“. Regel 47 ­JStGH-VBO betrifft die Bestätigung der Anklageschrift durch einen Richter des Tribunals, was dazu führt, dass im Fall einer Bestätigung Haftbefehl gegen die in der Anklageschrift bezeichnete Person erlassen wird und dass der „suspect“ den Status eines „accused“ haben soll, 101 Im Folgenden wird lediglich nach der Verfahrens- und Beweisordnung des JStGH zitiert, da diejenige des RStGH dieser entspricht. Bei Abweichungen wird auf die Unterschiede hingewiesen.

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Regel 47 (H) (ii) ­JStGH-VBO.102 Mit einer solchen Umschreibung des Begriffs des „accused“ lässt sich feststellen, dass der „accused“ an den Tribunalen dem „Angeklagten“ der deutschen StPO entspricht.103 Hingegen findet sich in Regel 2 (A) ­JStGH-VBO eine Definition des „suspect“ als „a person concerning whom the Prosecutor possesses reliable information which tends to show that the person may have committed a crime over which the Tribunal has jurisdiction“. Diesbezüglich fällt ein Vergleich mit der Terminologie des deutschen Strafprozessrechts schon um einiges schwerer. Kernelement für den Wechsel zum Status eines „suspect“ ist dieser Definition zufolge das Vorliegen von „reliable information“.104 Auch, wenn die Person in Untersuchungshaft an den Tribunalen regelmäßig bereits angeklagt ist, gebietet doch das Erfordernis einer einheitlichen Begriffs­ bestimmung und die Möglichkeit einer lediglich vorläufigen Festnahme nach Regel 40bis ­JStGH-VBO die Klärung des Status eines „suspect“. Wortwörtlich betrachtet könnte der „suspect“ sowohl mit dem Begriff des „Verdächtigen“, als auch mit dem des „Beschuldigten“ übersetzt werden; auf die Relevanz einer solchen Unterscheidung für die Stellung des Betroffenen wurde bereits weiter oben hingewiesen. Die von der Verfahrens- und Beweisordnung vorgegebene Definition lässt ebenso wenig eine klare Zuordnung erkennen. Vor allem das Merkmal der „reliable information“ ist kein klar umrissenes Kriterium, da ein Mindest­ standard für solch eine „verlässliche“ Information nicht gegeben sein kann. Bei einem Vergleich des Wortlauts von Regel 47 ­JStGH-VBO mit dem Verständnis des Begriffs des „Beschuldigten“, das der deutschen StPO sowie den Menschenrechtspakten zugrunde liegt, fällt zunächst auf, dass die Definition der Tribunale für einen „suspect“ lediglich auf den Tatverdacht an sich abstellt. Eine Manifestation des Willens nach außen hin, ein Strafverfahren gegen den Betreffenden als Beschuldigten zu betreiben, ist nicht ausdrücklich erforderlich. Dies könnte sich gleichwohl mit den Umständen erklären lassen, unter denen die Tribunale operieren, bzw. mit der Art und Weise ihrer Tätigkeit, die nicht mit nationalen Gerichten vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund mag ein Akt der Kundgabe der Strafverfolgungsabsicht auch überflüssig erscheinen. Allein das Abstellen auf den bloßen Tatverdacht begründet jedoch noch kein Verständnis des „suspect“ bloß im Sinne eines Verdächtigen.

102 Regel 47 (H) ­JStGH-VBO: „Upon confirmation of any or all counts in the indictment, […] (ii) the suspect shall have the status of an accused.“ 103 Man könnte zwar aufgrund der vielmals verwiesenen Parallelität zwischen Art. 21 JStGH-St., Art. 20 RStGH-St., die die Rechte des Angeklagten statuieren, und Art. 14 IPbpR annehmen, dass der Begriff des „accused“ ebenso auszulegen sei wie derjenige der „­criminal charge“, welcher den Geltungsbereich der Rechte von Art. 14 IPbpR eröffnet, und dass demnach der Schutz durch diese Vorschriften auch auf den Beschuldigten zu erstrecken sei. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Statuten und Verfahrens- und Beweis­ ordnungen, im Gegensatz zum IPbpR, klare Vorschriften dahingehend enthalten, ab welchem Zeitpunkt die betreffende Person „Angeklagter“ ist. 104 Russell-Brown, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 8 (2003), 127, 137.

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Doch auch, wenn man sich nicht nur den Wortlaut der Definitionen vergegenwärtigt, sondern den Inhalt einer genaueren Untersuchung unterzieht, ergeben sich kleine Unterschiede. So sieht die Definition in der StPO für das Vorliegen eines Anfangsverdachtes „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ vor. Die Verfahrens- und Beweisordnungen des JStGH und RStGH sprechen hingegen von „reliable information“ bzw. „verlässlicher Information“. Begibt man sich nun auf die Suche nach Synonymen für diese beiden Adjektive, so bleibt festzustellen, dass „zureichend“ mit „ausreichend“ und „genug“ gleichzusetzen ist, wohingegen „­reliable“ bzw. „verlässlich“ mit „zuverlässig“ oder „glaubwürdig“ ersetzt werden kann. Ergebnis dieser Suche wäre der Gedanke, dass sich der deutsche „Anfangsverdacht“ dem Wortlaut nach eher auf die Quantität an Informationen bezieht, wohingegen es bei der „reliable information“ eher auf die Qualität der Information anzukommen scheint. Hiermit sei jedoch nicht zugleich die Behauptung aufgestellt, dass es sich bei den beiden Begrifflichkeiten um unterschiedliche handelt – ganz im Gegenteil. Denn die Qualität und Quantität von Anhaltspunkten oder Informationen sind unweigerlich miteinander verknüpft und stehen dort in einem engen Zusammenhang, wo es um die strafrechtliche Verfolgung bestimmter Personen geht. Im Idealfall haben die Anhaltspunkte Quantität und Qualität aufzuweisen, so dass vor diesem Hintergrund der Verdachtsgrad, der an den Tribunalen einen „suspect“ ausmacht, mit dem für den Beschuldigtenstatus notwendigen Anfangsverdacht gleichzusetzen ist. Ein Verständnis des „suspect“ als „Beschuldigten“ legt letztendlich auch die Systematik der einzelnen Regeln nahe. Zwar lässt sich weder in den Statuten der Tribunale noch in deren Verfahrens- und Beweisordnungen ein Zusammenhang der Eigenschaft als „suspect“ mit bestimmten verfahrenstypischen Schritten (so beispielsweise die Vernehmung „als Beschuldigter“) erkennen oder herleiten. Der Begriff des „suspect“, sowie schon der Beginn des Schutzes durch die ihm zugestandenen Rechte, ist vollkommen losgelöst von einem bestimmten Zeitpunkt oder bestimmter Handlungen der ermittelnden Personen.105 In Teil 4 der Verfahrens- und Beweisordnung, der Regelungen zu den Ermittlungen enthält, werden dem „suspect“ jedoch bestimmte Rechte zugeschrieben, die während der Ermittlungen zu achten sind, und es werden Reglementierungen zur vorläufigen Inhaftierung getroffen. Dies sagt allerdings nichts darüber aus, ob der Status als „­suspect“ nun eher mit demjenigen eines Verdächtigen oder eines Beschuldigten vergleichbar ist. Die Ähnlichkeit mit einem Beschuldigten ist aber naheliegend. Eine Übersetzung des „suspect“ anhand dessen mit „Verdächtigem“ würde lediglich erklären, warum man zu der Auffassung gelangt, die Gewährleistungen in

105

Kritisch hier – zu Recht – auch Falvey, in: Fordham Int’l L. J. 19 (1995), 475, 492, der anmerkt, dass Vorschriften, die den Zeitpunkt regeln, zu dem der Betreffende „suspect“ wird und demnach einer Belehrung über seine Rechte bedarf, in den Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen der Tribunale gänzlich fehlen.

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Regel 42 J­ StGH-VBO würden weiter reichenden Schutz bieten als der Standard, den internationale Menschenrechtsübereinkommen beinhalten.106 Als problematisch innerhalb dieses Systems der Rechte des „suspect“ und „­accused“ wird angesehen, dass es aufgrund der zugrunde liegenden Definition allein dem Ankläger obliege, über die Anwendbarkeit der schützenden Rechte zu entscheiden.107 Dadurch, dass der Status eines „suspect“ von dem Vorliegen verlässlicher Information abhinge, liege es allein im Ermessen des Anklägers, ob dem Betreffenden dieser Schutz zukomme. Ganz bestreiten mag man dies nicht. Zwar ist es in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition nicht anders: auch hier hängt – übertragen auf die StPO – die Eigenschaft des Betroffenen als Beschuldigter und somit der Geltungsbereich der Beschuldigtenrechte von der Handhabung durch die Strafverfolgungsbehörden ab. Zunächst muss die betreffende Person überhaupt tatverdächtig sein, um sich nach entsprechender und in der Regel nachfolgender Mitteilung auf seine Rechte berufen zu können. Allerdings stellt sich hier, im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Rechtsraum, die Rolle des Anklägers bzw. Staatsanwaltes auch anders dar. Die Staatsanwaltschaft ist von Gesetzes wegen dazu verpflichtet, auch entlastende Umstände zu ermitteln. Eine solche Pflicht wird dem Ankläger an den Tribunalen, dessen Rolle angelehnt ist an das anglo-amerikanische Rechtssystem, gerade nicht zuteil.108 Für eine nähere Bestimmung des hier entscheidenden Begriffs der „verlässlichen Information“ ist die Funktion des Anklägers gleichwohl weniger relevant. Dem Ermessen des Anklägers kommt letztendlich eine erhebliche Bedeutung zu, wobei die Entscheidung über das Vorliegen von „verlässlicher Information“ eine einheitliche Anwendung allerdings geradezu unmöglich mache.109 In den Statuten der Tribunale finden sich – bis auf Art. 18 Abs. 3 ­­JStGH-St., Art. 17 Abs. 3 RStGH-St.110 – keine Vorschriften, die Rechte für „suspects“ ge­­ währleisten. Zwar postulieren die Art. 21 J­StGH-St. und Art. 20 RStGH-St. Rechte für den Angeklagten, diese finden jedoch auf einen „suspect“ keine Anwendung.111 Hingegen enthalten die Regeln 42, 43 ­JStGH-VBO einen relativ klei 106

So Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 358. Zappalá, S. 50 f.; Russell-Brown, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 8 (2003), 127, 140. 108 Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 79; May/Wierda, 10.17. 109 Zappalá, S. 50, der einen solch weiten Ermessensspielraum für unangemessen befindet, S. 51. 110 Delalić (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on the Motion on the Exclusion and Restitution of Evidence and other Material seized from the Accused Zejnil Delalić, 09. Oktober 1996, Rn. 7. Dieser Entscheidung zufolge findet das Recht auf Rechtsbeistand in Art. 18 Abs. 3 ­JStGH-St., Art. 17 Abs. 3 RStGH-St. seinen Ausdruck in Regel 42 ­JStGH-VBO („Subrule 42(A)(ii) and Sub-rule 42(B) are based on the rights of a suspect enshrined in Article 18(3) of the Statute of the International Tribunal.“). s. auch Ackermann/O’Sullivan, S. 140. 111 Delalić (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on the Motions for the Exclusion of Evidence by the Accused, Zejnil Delalić, 25. September 1997, Rn. 36. Kritisch zur schwach ausgeprägten Position des Beschuldigten Buisman, in: Haveman/Kavran/Nicholls, S. 175 ff. Die 107

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nen Katalog verfahrensrelevanter Garantien, auf die sich der „suspect“ zu seinem Schutz berufen kann. Als ein Problem im Rahmen des Anwendungsbereichs von Regel 42 ­JStGH-VBO wird angesehen, dass die dort verbrieften Rechte lediglich im Fall einer Befragung durch den Ankläger zur Anwendung kommen („A suspect who is to be questioned by the Prosecutor …“). Dies beschränkt den Geltungsbereich zwar erheblich, da nur spezifische Situationen erfasst werden; ein Rückschluss auf eine nähere Bestimmung des Begriffs des „suspect“ lässt sich gleichwohl hieraus nicht ziehen. Eine weitere Schutzvorschrift stellt Regel 40bis ­JStGH-VBO dar, die eine bestimmte Verfahrensweise für das Procedere bei vorläufiger Inhaftierung des „suspect“ beinhaltet. Näheren Aufschluss dahingehend, ob der „suspect“ eher dem Verdächtigen oder dem Beschuldigten vergleichbar ist, bieten diese Vorschriften allerdings nicht. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass eine eindeutige Bestimmung des Begriffs des „suspect“ und vor allem eine Übertragung auf die in der StPO gebräuchlichen Begrifflichkeiten nicht möglich ist. Der „suspect“ erfährt naturgemäß einen geringeren Schutz als der Angeklagte, die ihm zugestandenen Rechte sind nicht derart ausgeprägt. Nichtsdestotrotz sind die Rechte, die einer Person dem jeweiligen Status nach zugestanden werden, eng miteinander verwoben, da die Rechte des „suspect“ nicht nur seine Rolle während der Ermittlungen bestimmen, sondern auch die Rechte des Angeklagten beeinflussen können und letztere darauf aufbauen.112 Der Einfachheit und vor allem der Einheitlichkeit halber wird deshalb im Folgenden der Begriff des „suspect“ in Anlehnung an die StPO mit dem des „Beschuldigten“ übersetzt. Der Ankläger ist zwar nicht verpflichtet, über die jeweilige Stellung der betreffenden Person zu unterrichten, er hat sie jedoch über die ihr zustehenden Rechte zu belehren. Das macht den Betreffenden de facto zu einem Beschuldigten nach deutschem Rechtsverständnis. Klarstellend sei angemerkt, dass die vor den Ad-hoc-Tribunalen strafrechtlich zu verfolgende Person regelmäßig bereits angeklagt ist, sofern es um Vorgänge in Zusammenhang mit Untersuchungshaft geht. Der Haftbefehl wird gemäß den Art. 19 Abs. 2 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 2 ­RStGH-St. erst nach der Bestätigung der Anklageschrift durch den zuständigen Richter erlassen. Lediglich im Fall einer vorläufigen Festnahme nach Regel 40bis ­JStGH-VBO ist der Betreffende noch Beschuldigter.

Vorschrift des Art. 21 J­ StGH-St. sei hingegen nicht lediglich auf das gerichtliche Verfahren in Form der Hauptverhandlung beschränkt, Ambos, in: Leiden J. Int’l L. 15 (2002), 155, 158, da hier im Gegensatz zum IStGH nicht zwischen Vorverfahren und Hauptverfahren differenziert werde. 112 Wladimiroff, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 419, 428; Bassiouni, Introduction to Inter­national Criminal Law, S. 646.

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d) „Persons during an investigation“ am IStGH Das Bedürfnis dahingehend, auch einem „suspect“ bestimmte Rechte zuzu­ gestehen, wurde am Internationalen Strafgerichtshof von der Erwägung getragen, dass Rechte des Angeklagten während des Hauptverfahrens eine erheblich geringere Bedeutung hätten, wenn nicht auch schon zu einem früheren Zeitpunkt dem Betreffenden in gewissem Maße Gewährleistungen zur Seite stünden, um dessen Position zu schützen.113 Die Rechtsposition eines Angeklagten ist in bestimmtem Umfang von den Rechten eines „suspect“ abhängig und baut zum Teil darauf auf. Letztendlich muss aber dem Status nach, in dem sich die betreffende Person befindet, unterschieden werden, da die Gewährleistungen, die einem „suspect“ zustehen, vom Ausmaß her trotz alledem hinter den Rechten eines späteren Angeklagten zurückbleiben. Eine solche Unterscheidung ist im Römischen Statut mit Art. 55 getroffen worden, welcher einer „Mini-Menschenrechtskonvention“114 gleichkommt. Bemerkenswert ist, dass sich im Gegensatz zu den Tribunalen weder im Statut noch in der Verfahrens- und Beweisordnung des IStGH der Begriff des „­suspect“ findet. Stattdessen wurde die Umschreibung der „Personen während der Er­ mittlungen“ gewählt. Durch die Vermeidung des Terminus „suspect“ wollte man zum einen eine frühzeitige Kriminalisierung des Betroffenen vermeiden und zum anderen eine Reihe von Problemen umgehen, die mit der genauen Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem die jeweilige Person „suspect“ wird, zusammengehangen hätten.115 Eine nähere Begriffsbestimmung im Sinne einer ausdrücklichen Definition findet sich jedoch – im Gegensatz zu Regel 2 (A) ­JStGH-VBO – in den Reglementierungen des IStGH nicht. Zudem hat die nunmehr gewählte Formulierung zur Folge, dass auch andere Personen außer dem „suspect“, wie Opfer oder Zeugen, die während der Ermittlungen in den Fokus der Strafverfolgungsbehörde geraten, sich nach Art. 55 Abs. 1 ­IStGH-St. auf bestimmte Rechte berufen können. Diese Rechte müssen durch den Ankläger gewahrt werden, wie Regel 111 Abs. 2 IStGH-VBO verdeutlicht. Eine explizite Pflicht zur Belehrung seitens des Anklägers lässt sich zwar nicht finden. Es ist aber gleichwohl aus dem hinter der Vorschrift stehenden Gedanken der Rückschluss zu ziehen, dass Rechte nur dann effektiv ausgeübt werden können, wenn man zuvor überhaupt von deren Existenz und Geltung in Kenntnis gesetzt wurde. Art. 55 Abs. 2 ­IStGH-St. hingegen ist anwendbar auf Personen, gegen die Verdachtsgründe bestehen („Where there are grounds to believe…“), dass sie ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen habe. 113

1994 ILC Draft Statute, Kommentar zu Art. 26, Rn. 6. Hall, in: Triffterer, Art. 55 Rn. 1. 115 Zappalá, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1181, 1182, Fn. 3. Zappalá spricht die Befürchtung aus, dass gerade durch diese vage Umschreibung zusätzlich Unklarheiten geschaffen werden. 114

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Diese Umschreibung deckt sich mit der Definition des Begriffs des „suspect“ an den Ad-hoc-Tribunalen und geht über die faktische Stellung eines bloßen Verdächtigen hinaus. Auch hier ist folglich der bloße Tatverdacht ausreichend, um die Eigenschaft als „suspect“ zu begründen. An einen Inkulpationsakt wird nicht angeknüpft. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass der Ankläger am IStGH anders als an den Tribunalen der zumindest theoretischen Verpflichtung unterliegt, auch entlastende Umstände zu ermitteln, Art. 54 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. An der – wie weiter oben dargelegt kritisierten – Befugnis des Anklägers, über den Anwendungs­ bereich der Rechte eines „suspect“ zu entscheiden, ändert dies zwar nichts, ebenso wenig wie an der Unbestimmbarkeit des Vorliegens der „Verdachtsgründe“, welche die Rechte nach Art. 55 Abs. 2 ­IStGH-St. auslösen. Jedoch ist auf eine differenziertere Entscheidung des Anklägers zu hoffen, in der sowohl belastende als auch entlastende Umstände zugrunde gelegt werden. Anwendbar sind die statuierten Rechte erst in dem Fall, dass eine Vernehmung des Betreffenden durch einen Angehörigen einer Strafverfolgungsbehörde unmittelbar bevorsteht. Hierbei wird der vernehmenden Person die Pflicht zur Belehrung über diese Rechte auferlegt. Zum „accused“ wird die betreffende Person mit der Bestätigung der Anklage nach Art. 61 Abs. 7 ­IStGH-St. (der sog. „confirmation of the charges“). Insofern lässt sich für den IStGH festhalten, dass die Begrifflichkeiten ebenso definiert und zu verstehen sind wie für den JStGH und den RStGH. Aus diesem Grund sind die „Personen während der Ermittlungen“ nach Art. 55 Abs. 2 ­IStGH-St. der Einheitlichkeit halber als „Beschuldigte“ im Sinne der deutschen Strafprozessordnung anzusehen. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. 3. Das Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme Als erste Gewährleistung ist im Folgenden das Recht der festgenommenen Person, über die Gründe der Festnahme unterrichtet zu werden, genauer zu betrachten. Aufgrund des Zusammenhangs und der Parallelen zwischen dem Recht des Inhaftierten auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme und dem Recht des Beschuldigten, über Art und Grund der Beschuldigung unterrichtet zu werden, und des Bezuges, den beide Rechte zueinander haben, soll auch die zuletzt genannte Gewährleistung in die Betrachtung mit einbezogen werden.

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a) Das Unterrichtungsrecht in der EMRK und im IPbpR aa) Rechtliche Grundlagen des Unterrichtungsrechtes Grundsätzlich hat der Beschuldigte das Recht, über Art und Grund der Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht findet sich in Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK sowie Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR wieder und ist eng mit dem Recht des Beschuldigten auf eine effektive Vorbereitung der Verteidigung verknüpft. Ohne genaue Kenntnis dessen, was Art und Grund der vorgebrachten Beschuldigung ausmacht, ist eine effektive Verteidigung nicht möglich.116 Ein ähnliches Recht findet sich in Art. 5 Abs. 2 EMRK, Art. 9 Abs. 2 IPbpR. Hierdurch wird dem Untersuchungshäftling bzw. der unlängst festgenommenen Person das Recht zugesprochen, über die Gründe der Festnahme und der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Ziel dieser Garantie ist hauptsächlich, dem Betroffenen die Durchführung eines Haftprüfungsverfahrens zu ermöglichen.117 Er soll Gelegenheit bekommen, in substantiierter Art und Weise von der ihm in Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR zugestandenen Möglichkeit zur Beantragung einer Haftprüfung Gebrauch machen zu können. Zu diesem Zweck ist eine genaue Kenntnis von den Gründen der Festnahme unerlässlich. Als weitere Zielsetzung wird mancherorts unter Zugrundelegung der Tatsache, dass eine Verhaftung mit darauf folgender Untersuchungshaft eine doch erhebliche Veränderung der Lebensumstände mit sich bringt und einen gravierenden Einschnitt darstellt, der Aspekt der Rechtssicherheit für die betreffende Person angeführt.118 Schon aus Gründen der Menschlichkeit, das heißt, um den Zustand der Unsicherheit und das Gefühl, der Willkür anderer Personen ausgeliefert zu sein, zu mildern bzw. zu beenden, müsse verlangt werden, den Festgenommenen so bald wie möglich über die Gründe für diesen Eingriff zu informieren. bb) Inhalt und Umfang der Gewährleistung Was den notwendigen Inhalt sowie den Umfang der Unterrichtung anbelangt, so finden sich im Wortlaut der Art. 5 Abs. 2 EMRK, Art. 9 Abs. 2 IPbpR im Ge 116 Dijk/Hoof u. a., S. 464; Sieghart, S. 298; Stavros, S. 168 („… Art. 6 (3) (b) provides a yardstick against which to measure the adequacy of the information conveyed to the accused“). So auch EGMR, Pélissier u. Sassi ./. Frankreich, Reports 1999-II, Rn. 54: „… the right to be informed of the nature and cause of the accusation must be considered in the light of the accused’s right to prepare his defence.“ 117 Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 25; Trechsel, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 230; sowie der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in Campbell ./. Jamaica, Communication No. 248/1987, U. N. Doc. CCPR/C44/D/248/1987, 07. April 1992, Rn. 6.3. 118 Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 456, der an dieser Stelle von einem „humanitarian goal“ spricht, welches zusätzlich durch die genannten Vorschriften verfolgt werde.

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gensatz zu demjenigen der Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR keine näheren Angaben. Im Hinblick auf die zuletzt genannte Gewährleistung ist in Anbetracht der anstehenden ersten Vernehmung der Beschuldigte „in allen Einzelheiten über Art und Grund“ der Beschuldigung zu unterrichten. Hingegen lässt sich feststellen, dass bei dem Recht des Untersuchungshäftlings anscheinend keine derartige Belehrung in allen Einzelheiten erfolgen muss. Die Informationen, die der Beschuldigte nach Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK zu erhalten hat, müssen umfassender und detaillierter sein, als diejenigen, deren Mit­teilung er nach Art. 5 Abs. 2 EMRK, Art. 9 Abs. 2 IPbpR verlangen kann.119 Dieser Unterschied lässt sich jedoch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zielsetzung dieser beiden Gewährleistungen erklären. Dabei beschreibt der „Grund“ der Beschuldigung („cause“) in Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR die Pflicht zur Mitteilung derjenigen Verhaltensweisen, die dem Beschuldigten zur Last gelegt werden und folglich den Gegenstad des Vorwurfs ausmachen. Im Gegensatz hierzu ist das Erfordernis der Unterrichtung über die „Art“ der Beschuldigung („nature“) darauf gerichtet, dass dem Beschuldigten gegenüber eine rechtliche Bewertung der ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen zu erfolgen hat.120 Doch obwohl die Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 9 Abs. 2 IPbpR ihrem Wortlaut zufolge keine Unterrichtung „in allen Einzelheiten über Art und Grund“ der Festnahme vorsehen, sind dem Festgenommenen gleichwohl die tatsächlichen und rechtlichen Gründe des Freiheitsentzuges sowie die gegen ihn vorgebrachte Beschuldigung darzulegen.121 Der bloße Hinweis auf die rechtliche Grundlage der Festnahme ist unzureichend.122 Ebendies gilt für den generellen Hinweis, eine bestimmte strafbare Handlung begangen zu haben.123 Insofern hat auch in Ermangelung einer ausdrücklichen Normierung eine Unterrichtung über „Art und Grund“ des Freiheitsentzuges stattzufinden. Der Umfang dieser Unterrichtung bemisst sich anhand der Erfordernisse des Anspruchs auf eine gerichtliche Haftprüfung. Es muss zwar keine Mitteilung in allen Einzelheiten dem Inhaftierten gegenüber 119 Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rn. 175; Nowak, CCPR-Commentary, Art. 14 Rn. 46. s. auch EKMR, Nielsen ./. Dänemark, Appl. No. 343/57, 15. März 1960, S. 51. 120 EGMR, Pélissier u. Sassi ./. Frankreich, Reports 1999-II, Rn. 51 („Article 6 § 3 (a) of the Convention affords the defendant the right to be informed not only of the cause of the accusation, that is to say the acts he is alleged to have committed and on which the accusation is based, but also the legal characterisation given to those acts. That information should, as the Commission rightly stated, be detailed.“). 121 EGMR, van der Leer ./. Niederlande, Serie A Nr. 170-A, Rn. 41; X ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 46, Rn. 66; Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 25; Unfried, S. 41; Murdoch, S. 66. 122 EGMR, Murray ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 300-A, Rn. 76; Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 40. 123 HRC, Leopolda Buffo Carballal ./. Uruguay, Communication 33/1978, U. N. Doc. CCPR/ C/12/D/33/1978, 08. April 1981, Rn. 12 („subversive activities“); Alba Pietraroia ./. Uruguay, Communication 44/1979, U. N. Doc. CCPR/C/12/D/44/1979, 09. April 1981, Rn. 13.2 („subversive association“ und „conspiracy to violate the Constitution, followed by acts preparatory thereto“).

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erfolgen. Er ist allerdings derart zu informieren, dass er ohne Weiteres einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges stellen kann.124 Auf die Mitteilung bestimmter Beweismittel kommt es dabei nicht an, so dass auch die Aushändigung einer Kopie des Haftbefehls ausreichend ist.125 Aus diesen Ausführungen und dem Hinweis auf eine ebenfalls zu erfolgende Mitteilung in Bezug auf die gegen die betreffende Person erhobene Beschuldigung lässt sich ersehen, dass sich die Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 9 Abs. 2 IPbpR sowie die Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR durchaus ähneln und letztendlich der Unterschied darin liegt, dass sie verschiedenen Zielsetzungen unterliegen und, hierdurch bedingt, bei letzteren die Information detaillierter und spezifisch bezogen auf die Beschuldigung mitgeteilt wird. cc) Die zeitlichen Vorgaben Eine Zeitspanne gleich einer Frist, innerhalb derer die Unterrichtung über Art und Grund der Freiheitsentziehung zu erfolgen hat, ist – zumindest in der EMRK – nicht ausdrücklich festgelegt. Eine genaue Definition dessen ist auch nicht möglich. Als Anhaltspunkt dient lediglich der Ausdruck „promptly“, welcher sich sowohl in der EMRK als auch im IPbpR findet. An dieser Stelle sei jedoch auf einen Unterschied zwischen den Texten der EMRK und des IPbpR hingewiesen. Während Art. 5 Abs. 2 EMRK sich lediglich des Wortes „promptly“ bedient und hierdurch zum Ausdruck bringt, dass sowohl die Unterrichtung über die Gründe des Freiheitsentzuges als auch die vorgebrachte Beschuldigung unverzüglich zu erfolgen hat, findet im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 IPbpR eine Zweiteilung statt. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 IPbpR besagt deutlich, dass die Mitteilung über die Gründe der Festnahme „at the time of arrest“, d. h. bei der Festnahme selber, zu erfolgen hat, wohingegen die betreffende Person „promptly“, also unverzüglich, von der gegen sie erhobenen Beschuldigung in Kenntnis zu setzen ist.126 Was also die Mitteilung der Gründe für den Freiheitsentzug anbelangt, trifft der IPbpR zum einen eine deutliche Aussage im Hinblick auf den Moment, zu dem diese Unterrichtung zu erfolgen hat, und veranschlagt zum anderen die Mitteilung zu einem früheren Zeitpunkt als die EMRK. Aus der gewählten Formulierung „promptly“ bzw. „unverzüglich“ lässt sich ersehen, dass die Unterrichtung binnen möglichst kurzer Zeit zu erfolgen hat. Zumindest eine kurze Verzögerung wird vom Wortlaut der Vorschrift her nicht zu beanstanden sein, wenngleich auch eine Unterrichtung ohne jegliche Verzöge­

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Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 458; Harris/O’Boyle u. a., S. 129. EGMR, Lamy ./. Belgien, Serie A Nr. 151, Rn. 32. 126 Dazu Nowak, CCPR-Commentary, Art. 9 Rn. 35 f.; Cook, in: Frankowski/Shelton, S. 13. Eine Rechtsprechungsübersicht zur Judikatur des Menschenrechtsausschusses bieten Joseph/ Schultz/Castan, Rn. 11.25 ff. 125

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rungen in deutlicherem Maße dem Gedanken der Garantie gerecht würde.127 Zudem gebietet es der Grundsatz der Verfahrensfairness, den Beschuldigten so frühzeitig und umfassend wie möglich über die Vorwürfe in Kenntnis zu setzen. Die Fairness eines Verfahrens bemisst sich anhand des gesamten Verfahrensablaufs und bezieht demnach die Rechtspositionen des Beschuldigten mit ein.128 Jedenfalls muss dem EGMR zufolge die Mitteilung nicht bei Durchführung der Festnahme stattfinden, sondern kann, sofern dem Kriterium der Unverzüglichkeit noch Rechnung getragen ist (wobei es jeweils auf den Einzelfall ankommt), auch im Zuge der ersten Vernehmung erfolgen.129 dd) Die Anforderungen an Sprache und Form Als weiteres Erfordernis ist durch Art. 5 Abs. 2 EMRK die Unterrichtung in einer dem nunmehr Beschuldigten verständlichen Sprache vorgesehen. Art. 9 Abs. 2 IPbpR enthält keinen entsprechenden Passus, da man der Ansicht war, dies würde zugleich den Zeitpunkt der Mitteilung der Gründe für die Festnahme verzögern.130 Zumindest die Information, die nach dem Wortlaut der Vorschrift „unver­züglich“ mitgeteilt werden muss, hat in einer dem Betroffenen verständlichen Sprache zu erfolgen. Dies wird man mangels ausdrücklicher Regelung im IPbpR auch für die Mitteilung der Gründe der Festnahme verlangen können, da dem Beschuldigten anderenfalls die Belehrung kaum hilfreich sein wird. Ferner ist der Beschuldigte mittels einer einfachen, nicht-technischen Sprache in Kenntnis zu setzen,131 um sicherzugehen, dass ihm sowohl die Gründe des Freiheitsentzuges als auch die Beschuldigung an sich verständlich geworden sind. Dieser muss die Unterrichtung und die in ihr vorgebrachte Beschuldigung tatsächlich verstehen können, so dass es nicht ausreicht, dass er die Information lediglich empfängt bzw. zur Kenntnis nimmt.132 127 Dies gilt vor allem im Hinblick auf Gründe der Rechtssicherheit. Doch auch in Bezug auf den Zweck der Vorschrift, eine gerichtliche Haftprüfung durch den Inhaftierten zu ermög­ lichen, ist eine unverzügliche Mitteilung unverzichtbar. Esser, S. 440, stellt für Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK darauf ab, dass man eine sofortige Unterrichtung zwar nicht verlangen könne, die Benachrichtigung sich allerdings aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Willkürschutzes am Kriterium der Kurzfristigkeit zu orientieren habe. Dies lässt sich ebenso auf Art. 5 Abs. 2 EMRK übertragen. 128 Wladimiroff, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 428 f. 129 EGMR, Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 40; Murray ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 300-A, Rn. 72; Dikme ./. Türkei, Reports 2000-VIII, Rn. 53, und Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 38. 130 Dazu Nowak, CCPR-Commentary, Art. 9 Rn. 36. Allerdings ist es auch möglich, die Unterrichtung unter Umständen kurzfristig aufzuschieben und alsbald nachzuholen. Auch dann würde die Mitteilung noch als „bei der Festnahme“ erfolgt anzusehen sein, s. Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 5 MRK Rn. 92. 131 EGMR, Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 40. 132 Jayawickrama, S. 551; Trechsel, in: StV 1992, 187, 190.

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Eine bestimmte Form der Mitteilung sehen die menschenrechtlichen Normen hingegen nicht vor. Die Unterrichtung kann sowohl mündlich als auch schriftlich, beispielsweise durch Aushändigung einer Kopie des Haftbefehls, geschehen, sofern dieser die notwendigen Angaben enthält und der Beschuldigte in der Lage ist, das Schriftstück auch zu verstehen. Ein Recht auf Aushändigung eines Schrift­ stückes hat der Betreffende jedoch nicht.133 ee) Bewertung Insgesamt verfährt der EGMR im Hinblick auf die Art und Weise der Mit­ teilung recht großzügig. In seiner Praxis hat er das Recht aus Art. 5 Abs. 2 EMRK teilweise auch dann als gewahrt angesehen, wenn eine ausdrückliche Information des Betroffenen gänzlich unterblieben ist.134 So wurde es als ausreichend für das Vorgehen im Einklang mit dem Unterrichtungsrecht erachtet, wenn sich dem Festgenommenen die Gründe des Freiheitsentzuges aus den Umständen seiner Festnahme bzw. aus der Durchführung der ersten Vernehmung mit hinreichender Sicherheit erschlossen haben.135 Eine solche Handhabung stellt sich jedoch als sehr bedenklich dar. Denn selbst wenn es dem Festgenommenen möglich wäre, aus den Umständen Rückschlüsse auf die Gründe der Festnahme und die Beschuldigung zu ziehen, so zielt Art. 5 Abs. 2 EMRK nach wie vor darauf ab, dem Betroffenen dazu zu verhelfen, die Rechtmäßigkeit der Haft mittels eines entsprechenden Antrages überprüfen zu lassen. Zu diesem Zweck ist erforderlich, dass er zuvor über die Gründe in Kenntnis gesetzt wurde und demnach den Antrag möglichst fundiert gestalten kann. Dieses Ziel wird verfehlt, sofern man sich darauf verlässt, dass der Inhaftierte an die notwendigen Informationen über Rückschlüsse aus den Umständen oder der Vernehmung gelangt.

133 Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 25; EGMR, Bordovskiy ./. Russland, Urteil vom 08.02.2005, Rn. 56; Saadi ./. Frankreich, Urteil vom 11.07.2006, Rn. 51. 134 Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 386; Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 5 MRK, Rn. 96. 135 EGMR, Tanli ./. Türkei, Reports 2001-III, Rn. 166 („It cannot be inferred […] that he was not able, from the context, to deduce with sufficient certainty the grounds for his de­ tention.“); Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 41 („There is no ground to suppose that these interrogations were not such as to enable the applicants to understand why they had been arrested. The reasons why they were suspected of being terrorists were thereby brought to their attention during their interrogation.“); Egmez ./. Zypern, Reports 2000-XII; für die Berücksichtigung von Sonderwissen s. H. B. ./. Schweiz, Urteil vom 05.04.2001, Rn. 48 f. Kritisch hierzu Trechsel, in: StV 1992, 187, 190.

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b) Das Unterrichtungsrecht am JStGH und RStGH aa) Die rechtlichen Grundlagen An den Tribunalen gestaltet sich die Rechtslage derart, dass es weder in den Statuten noch in den Verfahrens- und Beweisordnungen eine Vorschrift gibt, die eine solche Unterrichtungspflicht der Anklagebehörde dem Beschuldigten gegenüber während der Ermittlungen ausdrücklich vorsieht. Lediglich Art. 21 Abs. 4 lit. a) ­JStGH-St., der vom Wortlaut her Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR entspricht, sieht eine solche Pflicht dem Angeklagten gegenüber vor. Diese Vorschrift bezieht sich allerdings nicht auf den Zeitpunkt des Freiheitsentzuges und damit nicht auf das Recht, über dessen Gründe informiert zu werden. Eine offensichtlich mit den Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 9 Abs. 2 IPbpR korrespondierende Vorschrift gibt es demnach nicht.136 Gleichwohl wird – zumindest für den Regelfall, dass die Festnahme nach der Bestätigung der Anklageschrift erfolgt – Art. 20 Abs. 2 J­ StGH-St. als Pendant zu Art. 9 Abs. 2 IPbpR erachtet.137 Neben Art. 20 Abs. 2 J­StGH-St. ist Regel 55 J­StGH-VBO die zentrale Vorschrift für die Rechte von festgenommenen Personen. In Regel 55 (C) ­JStGH-VBO ist normiert, dass jeder Haftbefehl, der an nationale Behörden mit der Bitte um Vollstreckung weitergereicht wird, eine Kopie der Anklageschrift sowie eine Aufstellung der Rechte des Angeklagten zu enthalten habe. Nach Regel 55 (E) ­JStGH-VBO ist der Kanzler angehalten, die jeweilige Behörde anzuweisen, die Anklageschrift und die Aufstellung der Rechte bei der Festnahme („at the time of arrest“) dem Festgenommenen in einer ihm verständlichen Sprache vorzulesen. Die Anklageschrift beinhaltet nach Regel 47 (C) ­JStGH-VBO eine Auflistung der Fakten, die den vorgebrachten Beschuldigungen zugrundeliegen, sowie der Verbrechen, derer der Festgenommene angeklagt ist. Auch für den Fall einer nur vorläufigen Festnahme sind Regelungen zur Unterrichtung des Betreffenden vorhanden. Diese vorläufigen Maßnahmen richten sich nach den Regeln 40, 40bis ­JStGH-VBO. Nach Regel 40bis (A) J­ StGH-VBO übermittelt der Ankläger ein Ersuchen um vorläufige Festnahme, welches durch den Kanzler an den zuständigen Richter weitergegeben wird, und legt in diesem Ersuchen die vorläufige Beschuldigung dar. Für den Fall, dass der Richter diesem Antrag stattgibt, wird das Ersuchen ergänzt um eine Begründung des Richters sowie einer Aufstellung der Rechte des Beschuldigten nach den Regeln 40bis, 42, 43 ­JStGH-VBO, vgl. Regel 40bis (C) ­JStGH-VBO. Für die Vollstreckung durch nationale Behörden ordnet Regel 40bis (E) J­ StGH-VBO die entsprechende Geltung 136

Dazu Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 11. Kovačević (IT-97-24), Appeals Chamber, Decision Stating Reasons for Appeals Chamber Order of 29 May 1998, 02. Juli 1998, Rn. 36 („Article 20, sub-paragraph 2 of the Statute of the International Tribunal is analogous to Article 9(2) of the ICCPR, requiring, however, that the person be ‚immediately informed of the charges against him‘.“). 137

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der Regeln 55 (B) – 59bis ­JStGH-VBO an, und überträgt somit das Vorgehen nach Regel 55 (E) ­JStGH-VBO auf die Fälle, in denen noch keine Anklageschrift vorliegt und die Festnahme vorläufig erfolgt. bb) Inhalt und Formalitäten der Unterrichtung Vom Inhalt her ist auch der aufgrund eines Haftbefehls Inhaftierte zum einen über die Gründe der Festnahme und zum anderen über die Art und den Grund der Beschuldigung zu unterrichten. Indem dies bei der Festnahme zu geschehen hat, bestehen keine Unklarheiten in Bezug auf den Zeitpunkt der Mitteilung. Die Information ist in einer dem Betreffenden verständlichen Sprache weiterzugeben. Gleichwohl gibt es keine Vorschrift, die dem Angeklagten zusichert, eine Kopie des Haftbefehls in einer ihm verständlichen Sprache ausgehändigt zu bekommen.138 Die Anklageschrift und die Aufstellung der Rechte kann dem Betreffenden entweder vorgelesen oder ihm nach Regel 55 (F) J­StGH-VBO zur Lektüre überreicht werden, sofern er des Lesens mächtig ist.139 Im Hinblick auf eine nachträgliche Änderung der Anklage hat der JStGH entschieden, dass eine Mitteilung mit deren Inhalt dem Angeklagten gegenüber nicht erfolgen muss.140 Maßgeblich für die Wahrung des Unterrichtungsrechts sei somit allein der Zeitpunkt der Festnahme. Für das Recht auf Darlegung der Haftgründe, welches seinem Umfang nach hinter demjenigen auf Unterrichtung über Art und Grund der Beschuldigung zurücksteht, hat der RStGH entschieden, dass eine Zeitspanne von elf Monaten den vorgegebenen Maßstäben nicht entspricht.141 Zur Beurteilung dessen wurde die Anwendung der einschlägigen Vorschriften der EMRK (Art. 5 Abs. 2) und des IPbpR (Art. 9 Abs. 2) in der Rechtsprechung des EGMR und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen herangezogen. cc) Bewertung: Das Unterrichtungsrecht an den Ad-hoc-Tribunalen Vergleicht man diese Ausführungen mit den Vorgaben durch menschenrechtliche Abkommen, so fällt auf, dass trotz Ermangelung einer ausdrücklich an den Wortlaut der Menschenrechtspakte angelehnten Vorschrift die Maßstäbe, vor al 138

Vohrah, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 498. Anders als nach den Vorschriften über den Haftbefehl, normiert Regel 47 (G) JStGHVBO, dass dem Angeklagten die Anklageschrift in einer ihm verständlichen Sprache ausgehändigt werden soll. Gleiches gilt nach Regel 55 (C) ­JStGH-VBO für die Auflistung der Angeklagtenrechte. 140 Kovačević (Fn. 137), Rn. 36. s. auch Separate Opinion of Judge Shahabuddeen, der letztendlich aber ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass es für die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft und deren Überprüfung nicht auf die nachträgliche Änderung der Anklageschrift ankommen könne. 141 Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999, Rn. 85. 139

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lem durch die Verfahrens- und Beweisordnung, ziemlich eng gesetzt sind. Durch die Zusammenschau verschiedener Vorschriften ergibt sich ein Schutzkonzept, welches idealerweise bei der Festnahme selbst ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt gilt. Gleichwohl soll sich das Gericht nachträglich von der Wahrung der Rechte des Angeklagten überzeugen, Art. 20 Abs. 3 ­JStGH-St. Diese Forderung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Gewährleistungen der Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen für die Festnahme im Gewahrsamsstaat Geltung beanspruchen; ungeachtet der dort normierten Beschuldigten- oder Angeklagtenrechte sollen für den Betreffenden die ihm vor dem Tribunal zustehenden Rechte uneingeschränkt gelten.142 An den Tribunalen wird die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens erkannt und auch hier der vornehmliche Zweck darin gesehen, dass der Beschuldigte bzw. Angeklagte Kenntnis über die Gründe des Freiheitsentzuges sowie Art und Grund der vorgebrachten Beschuldigung haben muss, um die ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit wahrzunehmen, die Rechtmäßigkeit seiner Untersuchungshaft überprüfen zu lassen. Dies soll zu Ausgewogenheit zwischen den Interessen des Anklägers daran, die Haft aufrecht zu erhalten, und den Interessen des Untersuchungshäftlings, diese gerade zu beenden, beitragen.143 Die weitere, auch durchaus für dieses Recht anerkannte Zielsetzung, zu einer möglichst effektiven Verteidigung beizutragen,144 wird wohl eher für das in Art. 21 Abs. 4 lit. a) ­JStGH-St. normierte Recht gelten, mit Blick auf das Verfahren umfassend über Art und Grund der Beschuldigung unterrichtet zu werden. c) Das Unterrichtungsrecht im Römischen Statut aa) Die rechtlichen Grundlagen Im Römischen Statut beinhaltet Art. 55 Abs. 2 lit. a) ­IStGH-St. als Kernvorschrift für Beschuldigtenrechte eine derartige Unterrichtungspflicht für die vernehmende Institution. Der Wortlaut besagt, dass eine Person, gegen die der Verdacht besteht, ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen zu haben, das Recht hat, vor der Vernehmung darüber belehrt zu werden. In Anbetracht dieser Formulierung ist die Frage zu stellen, ob durch diese Norm eine den Menschenrechten inhaltlich gleichwertige Gewährleistung für den Beschuldigten geschaffen wurde. Ein Unterschied zu den Ad-hoc-Tribunalen besteht zunächst insofern, als am IStGH der Erlass eines Haftbefehls unabhängig von der Bestätigung der Anklageschrift zu beurteilen ist. Letztere erfolgt als Abschluss des „confirmation

142

Gallant, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 557, 570, 572 ff.; Furuya, in: Neth. Int’l L. Rev. 47 (2000), 111, 121 f. 143 Kajelijeli (ICTR-98-44A), Appeals Chamber, Judgment, 23. Mai 2005, Rn. 229. 144 Barayagwiza (Fn. 141), Rn. 80.

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h­ earing“ nach Art. 61 Abs. 7 I­StGH-St. und ist somit losgelöst von einem zuvor erlassenen Haftbefehl durch die Vorverfahrenskammer nach Art. 58 ­IStGH-St. Eine vom Wortlaut her über die menschenrechtlichen Vorgaben der Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR hinausgehende Gewährleistung findet sich in Art. 67 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St., der das allgemeine Recht des Angeklagten normiert, über Art, Grund und Inhalt der Beschuldigung unterrichtet zu werden. Diese Norm ist dem Wortlaut zufolge an den Angeklagten gerichtet (bzw. für den Beschuldigten nach Überstellung an den IStGH145) und daher in ihrem Geltungsbereich zeitlich gesehen nach hinten verlagert. Art. 55 Abs. 2 ­IStGH-St. kommt als dessen „Parallelvorschrift“ im Ermittlungsverfahren zu einem früheren Zeitpunkt für den Beschuldigten zur Anwendung. So fragt sich, ob in An­ betracht des unterschiedlichen Wortlautes der beiden Vorschriften tatsächlich von demselben Gewährleistungsgehalt gesprochen werden kann, bzw. ob ein solches Recht auf Unterrichtung auch durch den Beschuldigten geltend gemacht werden kann. Im Hinblick auf den Zweck des in Art. 55 I­StGH-St. zum Ausdruck gebrachten Rechtes kann festgestellt werden, dass diese Unterrichtung zunächst dazu dient, die betreffende Person davon in Kenntnis zu setzen, dass ihr die Begehung eines bestimmten Verbrechens zum Vorwurf gemacht wird und sie mithin als Beschuldigter anzusehen ist. Dem Betroffenen soll hierdurch unter anderem die Ernsthaftigkeit der Situation vor Augen geführt werden, ebenso wie er dazu angehalten werden soll, einen Verteidiger zu beauftragen.146 Man kann jedoch auch Ansätze einer Unterrichtungspflicht über Art und Grund der Beschuldigung in Art. 55 Abs. 2 lit. a) ­IStGH-St. erkennen. Dem Wortlaut zufolge ist der Beschuldigte mit den Verdachtsmomenten zu konfrontieren und somit über die jeweiligen Vorwürfe zu informieren. Dies dient dem Beschuldigten und seinem Rechtsbeistand zugleich, sich frühzeitig auf die Verteidigung vorbereiten zu können. In Anlehnung an das zuvor Ausgeführte kann folglich konstatiert werden, dass zumindest dem Wortlaut nach eine Unterrichtung dahingehend erfolgt, die vorgeworfenen Verbrechen und deren tatbestandsmäßige Einordnung mitzuteilen. So ist jedenfalls die Art der Beschuldigung („nature“) Gegenstand der Unterrichtungspflicht. Ausdrücklich fehlt in Art. 55 Abs. 2 lit. a) ­IStGH-St. der Hinweis an die vernehmende Institution, auch über den Grund der Beschuldigung („cause“) in Gestalt der relevanten Fakten unterrichten zu müssen und dem Beschuldigten auf diese Weise mitzuteilen, auf welchen Verhaltensweisen seinerseits der geäußerte Verdacht basiert. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte in diesem doch frühen Stadium des Verfahrens durch Art. 55 ­IStGH-St. mit vergleichsweise umfangreichen Rechten ausgestattet wird. So kann es nicht durch den Zweck dieser Vorschrift gedeckt sein, den Grund der Beschuldigung vor dem Beschuldigten zu verbergen, zumal die Befragung durch den Ankläger oder nationale Behörden gerade auf die Fakten abzielen dürfte, die 145

Vgl. Regel 121 Abs. 1 IStGH-VBO. Hall, in: Triffterer, Art. 55 Rn. 11.

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dem vorgeworfenen Verbrechen zugrunde liegen und dieses konkretisieren. Eine Mitteilung über den Grund der Beschuldigung ist vor diesem Hintergrund ge­ radezu unerlässlich, wobei diese allerdings letztendlich in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung der praktischen Handhabung durch die vernehmende Person vorbehalten bleibt. Kann man den Inhalt der Unterrichtungspflicht nach Art. 55 ­IStGH-St. noch auf den Grund der Beschuldigung erweitern, so gilt dies jedoch keinesfalls zugleich auch für die verbleibenden Elemente, mit denen die Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK, Art 14 Abs. 3 lit. a) IPbpR diese Garantie vervollständigen und ihr einen umfassenden Charakter verleihen. Vor allem Vorgaben in Bezug auf das Fristerfordernis und die Sprache fehlen gänzlich, ebenso wie Angaben zum Umfang der mitgeteilten Information („in detail“). Zudem muss gefragt werden, ob die Schöpfer des Römischen Statuts eine solch weitreichende Bedeutung der Vorschrift unter Einbringung von menschenrechtlich vorgesehenen Aspekten überhaupt intendiert haben. Zumindest in den Entwürfen lassen sich hierzu keine Anhaltspunkte finden. Die aktuelle Fassung von Art. 55 ­IStGH-St. divergiert in teilweise recht erheblichem Maße von früheren Entwürfen.147 Gerade der Entwurf des Preparatory Committee von 1996 sieht ausdrücklich ein solches Recht auf Unterrichtung des Beschuldigten über die Vorwürfe vor und orientiert sich dabei am Wortlaut der menschenrechtlichen Gewährleistungen.148 Es zeigt sich, dass Art. 55 I­ StGH-St. die einzige Vorschrift darstellt, die es dem Beschuldigten ermöglicht, frühzeitig über Art und Grund der Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Da Art. 55 Abs. 2 ­IStGH-St. die Rechte eines Beschuldigten in Anbetracht der anstehenden ersten Vernehmung beinhaltet, wird speziell für den Fall des inhaftierten Beschuldigten keine Aussage bezüglich einer Pflicht zur Mitteilung der Gründe des Freiheitsentzuges, wie sie Art. 5 Abs. 2 EMRK, Art. 9 Abs. 2 IPbpR entsprechen würde, getroffen. Dass der Festgenommene ein solches Recht hat, lässt sich eher aus einer Zusammenschau verschiedener Vorschriften ersehen.

147

Vgl. nur Art. 26 Abs. 6 ILC Draft Statute 1994, wobei die International Law Commission hiermit einen eher kurzen Katalog an Rechten des Beschuldigten vorgelegt hat. Ganz im Gegensatz hierzu der Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Vol. 2, U. N. Doc. A/51/22 (1996), S. 116 ff., welcher eine umfassende Aufstellung an Rechten des Beschuldigten beinhaltet. 148 Report of the Preparatory Committee (Fn. 147), S. 117. Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 121, weist zu Recht darauf hin, dass trotz des gegenüber dem ILC Draft Statute von 1994 fortschrittlicheren Wortlautes der Vorschrift gleichwohl der Hinweis auf die Unterrichtung über „cause and grounds“ der Beschuldigung fehlt.

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bb) Inhalt und Formalitäten der Unterrichtung Zunächst kann der Gerichtshof ein Ersuchen an einen Staat nach Art. 89, 91 I­StGH-St. stellen. Dieses Ersuchen hat die Festnahme und Überstellung einer Person zum Gegenstand, gegen die von der Vorverfahrenskammer nach Art. 58 IStGH-St. ein Haftbefehl erlassen wurde. Dabei enthält der Haftbefehl nach ­ Art. 58 Abs. 3 ­IStGH-St. den Namen sowie weitere Angaben zur Person, eine Bezugnahme auf die jeweiligen Verbrechen, derentwegen die Überstellung ersucht wird, und eine Darstellung des Sachverhaltes. Somit sind im Haftbefehl die vorgeworfenen Verhaltensweisen sowie deren rechtliche Bewertung dargelegt. Das Ersuchen an einen Staat enthält nach Art. 91 Abs. 2 I­ StGH-St. eine Beschreibung der gesuchten Person, eine Abschrift des Haftbefehls und weitere Unterlagen, Erklärungen oder Informationen, die das Überstellungsverfahren ermöglichen sollen. Sofern die betreffende Person durch die Behörden des ersuchten Staates verhaftet wurde, hat sie ein Recht auf Aushändigung einer Abschrift des Haftbefehls.149 Dabei ergibt sich aus den Regeln 117 Abs. 1, 187 IStGH-VBO, dass dem Festgenommenen bestimmte Dokumente in einer ihm verständlichen Sprache zugänglich gemacht werden müssen. Diese sind eine Abschrift des Haftbefehls sowie eine Aufstellung bestimmter Vorschriften des Römischen Statuts. Nach der Überstellung des Inhaftierten an den Gerichtshof sieht Vorschrift 186 Abs. 2 lit. b) der Geschäftsordnung der Kanzlei150 vor, dass dem Betreffenden auch zu dem Zeitpunkt seiner Ankunft in der Detention Unit unter anderem eine Abschrift des Haftbefehls sowie eine Aufstellung seiner Rechte ausgehändigt wird.151 Die Vorverfahrenskammer ist nach Art. 60 Abs. 1 I­ StGH-St. dazu verpflichtet, sich zu ver­ sichern, dass die festgenommene Person über ihre Rechte nach dem Römischen Statut belehrt wurde, sowie davon, dass sie über die ihm zur Last gelegten Verbrechen in Kenntnis gesetzt wurde. Die Vorverfahrenskammer müsste sich demnach davon überzeugen, dass der Betreffende eine Abschrift des Haftbefehls sowie eine Aufstellung seiner Rechte erhalten hat. Das genaue Vorgehen bei der Festnahme selber bleibt der ausführenden Behörde des jeweiligen Mitgliedstaates überlassen.152 Nach der Ergreifung der Person durch die staatlichen Behörden ist diese einem nationalen Richter vorzuführen. Dieser vergewissert sich, dass sich 149 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-­ Pierre Bemba Gombo against the Decision of Pre-Trial Chamber III entitled „Decision on Application for Interim Release“, 16. Dezember 2008, Rn. 26. 150 Regulations of the Registry, ICC-BD/03-01-06-Rev.1 vom 25. September 2006. 151 Vorschrift 31 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Gerichtshofs (Regulations of the Court, ICC-BD/01-02-07 i. d. F. vom 18. Dezember 2007) sieht vor, dass die Abschrift des Haft­ befehls dem Betreffenden persönlich ausgehändigt wird. 152 s. dazu Art. 89 Abs. 1 ­IStGH-St., der auf das im innerstaatlichen Recht vorgesehene Verfahren Bezug nimmt und somit zum Ausdruck bringt, dass es für die Festnahme und Überstellung auf die nationalen Rechtsvorschriften ankommt. Für die Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 88 ­IStGH-St. in das deutsche Recht vgl. § 13 Abs. 2, 3 IStGHG, welcher vorsieht, dass dem Verfolgten im Fall einer vorläufigen Festnahme deren Gründe mitzuteilen sind und ihm – sofern vorhanden – der Überstellungshaftbefehl unverzüglich bekannt zu geben ist.

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der Haftbefehl des Gerichtshofs auf die betreffende Person bezieht und die Rechte des Festgenommenen bei der Verhaftung in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht respektiert wurden.153 Gleichwohl ist hierbei zu berücksichtigen, dass sich der Verweis auf das innerstaatliche Recht auf dasjenige Verfahren bezieht, welches eingeführt wurde, um die Vorgaben des Römischen Statuts umzusetzen.154 Dies geht zurück auf Art. 88 I­StGH-St., wonach die Staaten entsprechende Verfahren einzuführen haben, um die Durchführbarkeit von Maßnahmen nach dem Römischen Statut zu gewährleisten. Wird die Person aufgrund eines Ersuchens um vorläufige Festnahme nach Art. 92 ­IStGH-St. verhaftet, existiert zwar noch kein Haftbefehl, dessen Abschrift dem Betroffenen ausgehändigt werden kann. Gleichwohl hat das Ersuchen eine Darstellung der Verbrechen und der zugrundezulegenden Tatsachen zu enthalten, sowie eine Erklärung über das Vorliegen eines Haftbefehls. Statt der Abschrift des Haftbefehls wären konsequenterweise diese Dokumente der jeweiligen Person zu übergeben. Schließlich handelt es sich auch hierbei um Schriftstücke, die es ermöglichen, den Festgenommenen ausreichend zu informieren. Mit Aushändigung der Abschrift des Haftbefehls in einer dem Beschuldigten verständlichen Sprache ist sichergestellt, dass dieser über die Gründe des Freiheitsentzuges zum einen und über Art und Grund der Beschuldigung zum anderen in Kenntnis gesetzt wird. Ein Zeitpunkt für die Aushändigung der Dokumente ist nach den Vorschriften des Gerichtshofs vorgesehen für den Moment, in dem der Gerichtshof über die Festnahme der Person informiert wird (Regel 117 Abs. 1 IStGH-VBO), sowie für das erstmalige Erscheinen der betreffenden Person in Den Haag (Art. 60 Abs. 1 ­IStGH-St., Vorschrift 186 Abs. 2 lit. b) der Geschäftsordnung der Kanzlei). cc) Bewertung: Das Unterrichtungsrecht am IStGH Dadurch, dass der festgenommenen Person das Recht auf Aushändigung einer Abschrift des Haftbefehls zugestanden wird, besteht für sie die Möglichkeit, sich über die Gründe des Freiheitsentzuges und über die vorgebrachte Beschuldigung zu informieren. Die Dokumente müssen in einer ihr verständlichen Sprache zur Verfügung gestellt werden. Im Gegensatz zu den Menschenrechten ist im Römischen Statut eine bloß mündliche Unterrichtung nicht vorgesehen. Festzuhalten bleibt, dass für die Untersuchungshaft Reglementierungen aufgenommen wurden, die eine Information des Häftlings über die Gründe des Freiheitsentzuges vorsehen. Auch, wenn dies nicht mit derselben Deutlichkeit geschieht, mit der diese Gewährleistung in der EMRK oder im IPbpR enthalten ist, so lässt sich aus der 153

Art. 59 Abs. 2 ­IStGH-St. El Zeidy, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 448, 453; Furuya, in: Neth. Int’l L. Rev. 47 (2000), 111, 132; a. A. Rinoldi/Parisi, in: Lattanzi/Schabas, S. 349. 154

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Zusammenschau verschiedener Vorschriften gleichwohl ein grundlegender, den Menschenrechten entsprechender Schutz für den Inhaftierten erkennen. 4. Das Recht auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter a) Das Recht auf richterliche Vorführung in der EMRK und im IPbpR Aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPbpR ergibt sich als weitere fundamentale Gewährleistung das Recht des Festgenommenen, nach der Festnahme unverzüglich einem Richter vorgeführt zu werden. Sinn und Zweck einer solchen Vorführung ist es, eine unabhängige und unparteiliche Kontrolle der Untersuchungshaft zu ermöglichen und durch ein gericht­ liches Verfahren von Amts wegen die betreffende Person vor willkürlicher und ungerechtfertigter Inhaftierung zu bewahren.155 Die Vorschrift bezieht sich lediglich auf Freiheitsentziehungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK, bzw. auf den Vorwurf strafbarer Handlungen nach Art. 9 Abs. 3 IPbpR. aa) Vorführung vor einen Richter oder eine andere ermächtigte Person Dabei sieht der Wortlaut vor, dass die betreffende Person einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden muss. Während der Begriff des „Richters“ keine Schwierigkeiten bei dessen Verständnis bereiten dürfte, bedarf es bei der „gesetzlich ermächtigten Person“ hingegen näherer Ausführungen. Obwohl beide Behördenkategorien nicht identisch sind, erfüllen sie gleichwohl den Menschenrechts­texten zufolge ähnliche Aufgaben, so dass den Vertragsstaaten eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Einsetzung der jeweiligen Institution verbleibt.156 Erforderlich ist jedenfalls, dass die ermächtigte Person Voraussetzungen erfüllt, die für den Festgenommenen jeweils bestimmte Garantien gegen eine willkürliche und ungerechtfertigte Inhaftierung beinhalten.157 Sie muss demnach Unabhängigkeit gegenüber 155

HRC, Kulomin ./. Ungarn, Communication No. 521/1992, U. N. Doc. CCPR/C/56/D/ 521/1992, 01. August 1996, Rn. 11.2, Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 386; Harris/O’Boyle u. a., S. 132; Jayawickrama, S. 404; Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 45 (der Betroffene soll innerhalb kürzester Zeit „dem Schutz der richterlichen Gewalt“ unterstellt werden). 156 EGMR, Schiesser ./. Schweiz, Serie A Nr. 34, Rn. 27. 157 EGMR, Schiesser ./. Schweiz, Serie A Nr. 34, Rn. 31; Nikolova ./. Bulgarien, Reports 1999-II, Rn. 49; De Jong, Baljet und van den Brink ./. Niederlande, Serie A Nr. 77, Rn. 47; Murdoch, in: Eur. L. Rev. 1998, 23. Ausführlich zu den Begrifflichkeiten auch Esser, S. 263 ff. Nach Trechsel, in: StV 1992, 187, 193, komme es für die gesetzlich ermächtigte Person darauf an, ob diese ein Interesse an der Verhaftung hat. Der Festgenommene müsse unter den Schutz eines Beamten gestellt werden, der kein Interesse an dessen Verhaftung habe, um den Zwecken des Art. 5 Abs. 3 EMRK gerecht zu werden.

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der Exekutive und den Parteien aufweisen, sowie bestimmte Anforderungen in formeller und materieller Hinsicht erfüllen.158 Als formelles Erfordernis im Hinblick auf das Verfahren an sich muss die ermächtigte Person den Vorgeführten persönlich hören. In materieller Hinsicht müssen die Umstände, die für oder gegen eine Inhaftierung sprechen, abgewogen werden, und es ist nach richterlichen Kriterien über das Vorliegen von Gründen, welche die Haft rechtfertigen, zu befinden und im Falle des Nichtvorliegens die sofortige Freilassung anzuordnen. Auch der Richter muss die Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in sich vereinigen, um die Zwecke des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPbpR verwirklichen zu können. An dem Erfordernis der Unabhängigkeit (der Verfahrensbeteiligten) fehlt es zumindest dann, wenn es sich bei der jeweiligen Institution um eine Person handelt, die nicht bloß eine anfängliche Unter­ suchungsfunktion ausübt, indem sie über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft entscheidet, sondern auch die Möglichkeit der Wahrnehmung von Aufgaben der Strafverfolgungsbehörde im weiteren Verlauf des Verfahrens besteht.159 bb) Der Inhalt der Vorführung von Amts wegen Was die Vorführung an sich anbelangt, so ist diese aufgrund ihres gerichtlichen Charakters160 bestimmten verfahrensrechtlichen Standards unterworfen. Zunächst ist anzumerken, dass die Vorführung der betreffenden Person nicht von einem entsprechenden Antrag abhängt, sondern von Amts wegen zu erfolgen hat.161 Dies hat zum einen den Grund, dass andernfalls die Natur des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK (selbiges gilt für Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPbpR) verändert würde und eine Abgrenzung zu Art. 5 Abs. 4 EMRK, bzw. Art. 9 Abs. 4 IPbpR, nicht mehr möglich wäre.162 Zum anderen wäre die Zweckbestimmung der Gewährleistung gefährdet, die 158 Zu diesen Kriterien EGMR, Schiesser ./. Schweiz, Serie A Nr. 34, Rn. 31; Van der ­Sluijs, Zuiderveld und Klappe ./. Niederlande, Serie A Nr. 78, Rn. 41; Duinhof und Duijf ./. Nieder­ lande, Serie A Nr. 79, Rn. 32; HRC, Kulomin (Fn. 155), Rn. 11.3, sowie Dijk/Hoof u. a., S. 372. 159 EGMR, Huber ./. Schweiz, Serie A Nr. 188, Rn. 42; Brincat ./. Italien, Serie A Nr. 249A, Rn. 20; Yankov ./. Bulgarien, Reports 2003-XII, Rn. 166; Murdoch, in: Eur. L. Rev. 1998, 23. Zur Abkehr des EGMR vom Urteil Schiesser (dort kam es nach Ansicht des Gerichtshofs noch darauf an, ob der Beamte tatsächlich an der späteren Strafverfolgung mitwirkt, und nicht auf die bloße Möglichkeit dieses Umstandes) s. Trechsel, in: StV 1992, 187, 193. 160 EGMR, Schiesser ./. Schweiz, Serie A Nr. 34, Rn. 30 („… procedure of judicial nature.“); De Jong, Baljet und van den Brink ./. Niederlande, Serie A Nr. 77, Rn. 51 und Van der ­Sluijs, Zuiderveld und Klappe ./. Niederlande, Serie A Nr. 78, Rn. 46 („… judicial control …“); Brannigan und McBride ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 258-B, Rn. 58 („… judicial character …“). 161 EGMR, De Jong, Baljet und van den Brink ./. Niederlande, Serie A Nr. 77, Rn. 51; ­Sabeur Ben Ali ./. Malta, Urteil vom 29.06.2000, Rn. 29; Unfried, S. 44; Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 387. 162 EGMR, Aquilina ./. Malta, Reports 1999-III, Rn. 49; Niedbala ./. Polen, Urteil vom 04.07. 2000, Rn. 50.

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den Festgenommenen durch diese unabhängige richterliche Prüfung vor willkürlicher Haft schützen soll und gleichzeitig einen Schutz des Inhaftierten vor Misshandlungen beinhaltet.163 Im Hinblick auf den Inhalt der Vorführung sind die beiden wesentlichen Aspekte bereits im Zusammenhang mit den Anforderungen an die ermächtigte Person genannt worden. Formell ist eine persönliche und tatsächliche Anhörung der vorgeführten Person erforderlich. Zudem müssen sämtliche Umstände, die für oder gegen eine weitere Inhaftierung sprechen, in Betracht gezogen und gegeneinander abgewogen werden, wobei der Richter die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haft selbst nachzuprüfen hat. Sodann ist eine rechtlich verbindliche Entscheidung über die Freilassung oder weitere Inhaftierung der Person zu treffen. Gegenstand der Vorführung ist somit die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung.164 In Abgrenzung zur Entscheidung nach Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR geht die Vorführung gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPbpR dieser zeitlich voraus. Diese einmalige165 Haftprüfung von Amts wegen unterscheidet sich jedoch inhaltlich betrachtet nicht von einer zu einem späteren Zeitpunkt durch Antrag möglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung. cc) Das Erfordernis der „unverzüglichen“ Vorführung Ferner hat die Vorführung des Festgenommenen vor einen Richter unverzüglich zu erfolgen. Eine bestimmte Zeitspanne ist dafür in den Menschenrechts­texten nicht vorgesehen, maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles.166 Gleichwohl ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Schutzzweck dieser Gewährleistung, d. h. der Schutz des Häftlings vor ungerechtfertigter und willkürlicher Inhaftierung, sowie vor Misshandlungen in der Haft, aufrechterhalten werden muss. Die Be 163 EGMR, Aksoy ./. Türkei, Reports 1996-VI, Rn. 76; Kurt ./. Türkei, Reports 1998-III, Rn. 123; Dikme ./. Türkei, Reports 2000-VIII, Rn. 66; Aquilina ./. Malta, Reports 1999-III, Rn. 49. 164 Harris/O’Boyle u. a., S.  133 f.; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 506 f.; Esser, S. 273. Dazu auch der EGMR in Schiesser ./. Schweiz, Serie A Nr. 34, Rn. 31 („… obligations of reviewing the circumstances militating for or against detention, of deciding, by reference to legal criteria, whether there are reasons to justify detention and of ordering release if there are no such reasons.“); Aquilina ./. Malta, Reports 1999-III, Rn. 47 („In other words, Article 5 § 3 requires the judicial officer to consider the merits of the detention.“). Es findet also keine bloß formelle Überprüfung des Haftbefehls und der Inhaftierung statt, sondern eine materielle Rechtmäßigkeitsprüfung. 165 EGMR, Graužinis ./. Litauen, Urteil vom 10.10.2000, Rn. 25 („The Court considers that the applicant’s complaint that in the course of several months following his arrest he was not brought repeatedly before a judge falls to be examined under Article 5 § 4 of the Convention. In these circumstances, the Court finds that Article 5 § 3 does not include a right to be brought repeatedly before a judge.“). 166 EGMR, De Jong, Baljet und van den Brink ./. Niederlande, Serie A Nr. 77, Rn. 52; K ­ oster ./. Niederlande, Serie A Nr. 221, Rn. 24; Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 51; Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 111.

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urteilung der Unverzüglichkeit muss im Lichte dieser Zwecksetzung erfolgen, so dass das Maß an Flexibilität im Hinblick auf die Auslegung der Vorschrift ein eher Geringes ist.167 Der Begriff der Unverzüglichkeit beschreibt zudem im Vergleich zu anderen zeitlichen Vorgaben („angemessene Frist“, „ohne unangemessene Verzögerung“) eine kürzere Zeitspanne, die wenige Tage nicht überschreiten darf.168 Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung einen Zeitraum von zwei Tagen als noch mit Art. 5 Abs. 3 EMRK vereinbar angesehen,169 und auch der Menschenrechtsausschuss weicht von der zeitlichen Vorgabe nur weniger Tage nicht ab und hat eine Verzögerung von vier Tagen bis zur Vorführung für unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 IPbpR erklärt.170 Zwar können auch besondere Umstände die zulässige Frist verlängern. Gleichwohl darf es dabei nicht dazu führen, dass die Verfahrensgarantie in ihrem Kerngehalt eine ernsthafte Schwächung zum Nachteil der Person erfährt.171 In Bezug auf die Besonderheiten des Einzelfalles finden sich in der Praxis des EGMR insbesondere Inhaftierungen mit verzögerter Vorführung im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen terroristischer Straftaten172 oder Militärstrafverfahren,173 wobei diese Umstände für sich genommen nicht ausreichend sind, um die anerkannte Frist von höchstens zwei Tagen konventions­ konform zu verlängern. 167

EGMR, Brogan ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 145-B, Rn. 58; T. W. ./. Malta, Urteil vom 29.04.1999, Rn. 42; Jayawickrama, S. 406. 168 HRC, Stephens ./. Jamaica, Communication No. 373/1989, U. N. Doc. CCPR/C/55/D/ 373/1989, 25. Oktober 1995, Rn. 9.6, sowie General Comment No. 8 (Article 9), 30. Juni 1982, Rn. 3; EGMR, E. ./. Norwegen, Serie A Nr. 181-A, Rn. 64; Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 51. 169 EGMR, Graužinis ./. Litauen, Urteil vom 10.10.2000, Rn. 25; dazu auch Grabenwarter, S. 161. 170 HRC, Freemantle ./. Jamaica, Communication No. 625/1995, U. N. Doc. CCPR/C/68/D/ 625/1995, 28. April 2000, unter 7.4. Für weitere Judikatur des Menschenrechtsausschusses Joseph/Schultz/Castan, Rn. 11.31 f. 171 Esser, S. 276; EGMR, Brogan ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 145-B, Rn. 59; McKay ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 03.10.2006, Rn. 31. 172 EGMR, Brogan ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 145-B, Rn. 61 f. Der Gerichtshof erkennt zwar an, dass es bei Inhaftierungen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu Verzögerungen kommen kann. Im vorliegenden Fall wurde allerdings die Zeitspanne von vier Tagen und sechs Stunden als Verletzung von Art. 5 Abs. 3 EMRK erachtet („The undoubted fact that the arrest and detention of the applicants were inspired by the legitimate aim of protecting the community as a whole from terrorism is not on its own sufficient to ensure compliance with the specific requirements of Article 5 para. 3.“). Dazu ausführlich auch Tanca, in: Eur. J. Int’l L. 1 (1990), 269, 273 f. Ebenso EGMR, Brannigan und McBride ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 258-B, Rn. 37 (kürzeste Haftzeit: vier Tage und sechs Stunden); Aksoy ./. Türkei, Reports 1996-VI, Rn. 78 (14 Tage); Demir ./. Türkei, Reports 1998-VI, Rn. 52 (zwischen 16 und 23 Tagen). Dem EGMR zufolge ist ein genereller Verweis auf die Schwierigkeiten im Kampf gegen den Terrorismus keine ausreichende Rechtfertigung für eine erhebliche Verzögerung. 173 Hierbei sind die Besonderheiten des militärischen Lebens und der Militärgerichtsbarkeit zu berücksichtigen, s. EGMR, De Jong, Baljet und van den Brink ./. Niederlande, Serie A Nr. 77, Rn. 52; Koster ./. Niederlande, Serie A Nr. 221, Rn. 25 („demands of military life and justice“).

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b) Das Recht auf richterliche Vorführung am JStGH und RStGH Für die Tribunale ist wiederum zwischen dem Verfahren im Gewahrsamsstaat und dem Verfahren nach Überstellung der Person an das Gericht zu differenzieren. Weder die Statuten noch die Verfahrens- und Beweisordnungen treffen Regelungen in Bezug auf das Verfahren im Gewahrsamsstaat, da den Tribunalen kein Einfluss auf die Ausgestaltung nationalen Rechts zukommt. Auf welche Art und Weise ein Staat das Festnahmeersuchen eines internationalen Tribunals ausführt, bleibt allein dessen staatlicher Souveränität vorbehalten, ebenso wie die Um­setzung der Verpflichtungen, denen er nach dem Völkerrecht unterworfen ist. Für die Regelung des Verfahrensablaufs nach erfolgter Überstellung an das jeweilige Tribunal lässt sich ebenso wenig eine Normierung des Rechts auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter zu dem Zweck der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges finden, wie durch die menschenrechtlichen Vorgaben intendiert. Dies bedeutet hingegen nicht, dass eine richterliche Vor­ führung vollständig unterbleibt. Für die geltenden Regelungen ist danach zu unterscheiden, ob es sich um eine vorläufige oder eine reguläre Inhaftierung (basierend auf dem Erlass eines ordentlichen Haftbefehls) handelt. aa) Die richterliche Vorführung bei vorläufiger Inhaftierung Im Hinblick auf das einleitende Verfahren nach Überstellung der betreffenden Person vor einem internationalen Tribunal selbst sieht Regel 40bis (F) JStGHVBO174 für den Fall einer vorläufigen Festnahme und Inhaftierung lediglich vor, dass der Beschuldigte ohne Verzögerung („without delay“) einem Richter vorzuführen ist. Zuständig im Hinblick auf eine solche Vorführung ist gemäß Regel 40bis (F) J­ StGH-VBO entweder der Richter, der die Verfügung bezüglich der vorläufigen Inhaftierung und der Überstellung erlassen hat, oder ein anderer Richter derselben Hauptverfahrenskammer. Im Rahmen dieser Vorführung kommt es nicht zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von Amts wegen, wie sie durch die Menschenrechte in Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR intendiert ist. Der Wortlaut von Regel 40bis (F) J­ StGH-VBO sieht lediglich vor, dass sich der Richter der Wahrung der Beschuldigtenrechte versichern soll. Falls ein Verstoß gegen diese Rechte vorliegt, besteht für das Tribunal die Möglichkeit, diesen festzustellen und

174

Für den RStGH ist diese Regelung in Regel 40bis (J) RStGH-VBO getroffen.

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gegebenenfalls zu kompensieren.175 Darüber hinaus findet sich weder in den Statuten noch in den Verfahrens- und Beweisordnungen ein Hinweis darauf, dass der Beschuldigte zu dem Zweck vorgeführt und angehört werden soll, eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges von Amts wegen vorzunehmen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Sobald die im Haftbefehl bezeichnete Person an das Tribunal überstellt ist, sieht Regel 64 ­JStGH-VBO eine obligatorische Inhaftierung vor („shall“). Für den Fall einer nur vorläufigen Inhaftierung gilt Regel 64 ­JStGH-VBO über Regel 40bis (H) ­JStGH-VBO176 entsprechend. Das Recht der betreffenden Person, einen Antrag auf Haftprüfung zu stellen, sowie das Recht auf Durchführung dieser Überprüfung, bleiben davon unberührt. Was die Rechte des Beschuldigten anbelangt, so hat sich der Richter zu­mindest davon zu überzeugen, dass diese nach der Überstellung an das Tribunal gewahrt wurden. In Ermangelung der Festlegung eines zeitlichen Rahmens für die „unverzüg­ liche“ Vorführung ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. In Anlehnung an die Praxis in Bezug auf die Menschenrechte ist beispielsweise im Verfahren gegen Kabiligi eine Verzögerung von 27 Tagen als Verletzung seines Rechtes auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter angenommen worden.177 Im Fall ­Barayagwiza wurde auch bei einem Zeitraum von 20 Tagen, statt der ursprünglich angenommenen 96 Tage, auf eine Verletzung der Beschuldigtenrechte erkannt.178 Zugleich ist jedenfalls durch den RStGH anerkannt, dass dieser auch Verantwortung für den Beschuldigten und eine Wahrung seiner Rechte trägt, sofern sich dieser noch im Gewahrsamsstaat befindet.179 Nach Ansicht der Berufungskammer ergibt sich für den Beschuldigten auch während seiner Inhaftierung im Gewahrsamsstaat aufgrund menschenrechtlicher Vorgaben das Recht, unverzüglich

175

In Kajelijeli hat die Berufungskammer unter anderem einen Verstoß gegen das Recht auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter im Gewahrsamsstaat festgestellt, Kajelijeli (ICTR-98-44A), Appeals Chamber, Judgment, 23. Mai 2005, Rn. 251. Aufgrund der Vielfältigkeit der Verstöße wurde erwogen, dies bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, Rn. 255 des Urteils. 176 Bzw. Regel 40bis (L) RStGH-VBO. 177 Bagosora et al. (ICTR-98-41), Trial Chamber, Judgment and Sentence, 18. Dezember 2008, Rn. 91. 178 Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 31. März 2000, Rn. 62. 179 Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999, Rn. 54 ff.; Kajelijeli (Fn. 175), Rn. 223 („… the Appeals Chamber recalls the words of Judge Vohrah, which, although made in relation to the status of an accused, apply to suspects as well: if an accused is arrested or detained by a state at the request or under the authority of the Tribunal even though the accused is not yet within the actual custody of the Tribunal, the Tribunal has a responsibility to provide whatever relief is available to it to attempt to reduce any violations as much as possible.“).

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einem Richter vorgeführt zu werden.180 Dieser sei dazu berufen, den Beschuldigten von der bevorstehenden Überstellung sowie von den Vorwürfen in Kenntnis zu setzen. Er habe unter anderem die Identität der festgenommenen Person sowie deren Gesundheitszustand festzustellen und auf Wunsch des Betreffenden eine Person zu benachrichtigen. Der Richter im Gewahrsamsstaat sei allerdings keinesfalls dazu berufen, eine nähere Prüfung des Sachverhalts vorzunehmen oder gar die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung auf der Grundlage des Ersuchens des Tribunals in Frage zu stellen. Diese Befugnis wird dem nationalen Richter mit der Begründung aberkannt, dass er in Ermangelung eines ordentlichen Haftbefehls keine Kenntnis der Umstände haben könne, die eine Inhaftierung erforderlich machten. Vielmehr liege die Verantwortung hierfür bei dem zuständigen Richter des Tribunals.181 Der Berufungskammer des RStGH zufolge liege Sinn und Zweck der richterlichen Vorführung im jeweiligen Gewahrsamsstaat in der Information des Beschuldigten über die Vorwürfe, der Feststellung der Identität, der Sicherstellung der Wahrung der Beschuldigtenrechte und darin, dem Beschuldigten eine Möglichkeit zu geben, Beschwerden zu erheben.182 Eine mögliche Form der Haftprüfung stellt, wenn auch nicht unverzüglich nach der Überstellung der Person an das Tribunal, Regel 40bis (D) ­JStGH-VBO183 dar. Hiernach ist auf Antrag des Anklägers hin im Fall einer vorläufigen Inhaftierung in einem zeitlichen Abstand von 30 Tagen über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges zu verhandeln. Die Haft kann nur dann aufrechterhalten werden, sofern nach einer mündlichen Anhörung der Parteien der zuständige Richter der Ansicht ist, eine Verlängerung der vorläufigen Inhaftierung sei für weitere 30 Tage aus Gründen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen geboten. Nach Ablauf dieser Frist kann auf Antrag des Anklägers ein weiteres und letztes Mal die Haftzeit um 30 Tage verlängert werden, sofern besondere Umstände dies erfordern. Ist auch diese Zeitspanne verstrichen, ohne dass bis dahin eine Anklageschrift und ein ordentlicher Haftbefehl gegen den Beschuldigten vorliegen, so ist dieser aus der Haft zu entlassen, bzw. den Behörden des ursprünglich ersuchten Staates zu übergeben. Demnach lassen sich zumindest für eine vorläufige Inhaftierung nach den Regeln 40, 40bis ­JStGH-VBO zeitliche Beschränkungen der Haft von jeweils 30 Tagen (und höchstens 90 Tagen) feststellen, nach deren Ablauf eine Anhörung erfolgt, sich der Beschuldigte äußern kann und der Richter unter Einbeziehung der gesamten Umstände eine Entscheidung über einen weiteren Freiheitsentzug trifft. Gleichwohl stellt dies weder eine unmittelbare Kontrolle der Haft von Amts we 180

Kajelijeli (Fn.175), Rn. 230 f., wobei im vorliegenden Fall eine Zeitspanne von 85 Tagen zwischen der Festnahme und der Vorführung als unvereinbar mit den Reglementierungen des Tribunals und international anerkannten menschenrechtlichen Standards angesehen wurde. Zwar würden die Regeln 40, 40bis RStGH-VBO selber keine zeitlichen Vorgaben enthalten. Ein solcher Zeitraum von – mindestens – 85 Tagen überschreite aber jedenfalls das zulässige Maß. 181 Dazu Kajelijeli (Fn. 175), Rn. 221. 182 Kajelijeli (Fn. 175), Rn. 232. 183 Regel 40bis (F)-(H) RStGH-VBO.

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gen noch einen Schutz vor ungerechtfertigter Inhaftierung dar, so dass den Vorgaben internationaler Menschenrechte durch eine solche zeitliche Beschränkung nicht entsprochen wird. bb) Die richterliche Vorführung bei regulärer Inhaftierung Anders gestaltet sich das Verfahren hingegen in den Fällen, in denen von vornherein ein ordentlicher Haftbefehl, basierend auf einer Anklageschrift, gegen den nunmehr Angeklagten vorliegt. Der Verfahrensablauf nach der Überstellung, die so genannte erste Erscheinung des Angeklagten („initial appearance of the accused“), ist in Regel 62 ­JStGH-VBO normiert, welche auf den Art. 19, 20 ­JStGH-St., Art. 18, 19 ­RStGH-St. aufbaut. Auch hier ist vorgesehen, dass der Angeklagte ohne Verzögerung184 vor der Hauptverfahrenskammer erscheint. (1) Die Vorführung vor einen Richter Zunächst muss der Präsident des Tribunals nach Regel 62 (A) ­JStGH-VBO den Fall einer bestimmten Hauptverfahrenskammer zuweisen. Die Vorführung hat vor diese Kammer oder einen Richter derselben zu erfolgen. Dabei kommt es im Gegensatz zu Regel 40bis (F) J­ StGH-VBO nicht darauf an, ob dies derselbe Richter oder ein Richter derselben Kammer ist, wie derjenige, der auch über die Bestätigung der Anklage und den Erlass des Haftbefehls nach Art. 19 Abs. 1, 2 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1, 2 ­RStGH-St. entschieden hat. (2) Der Gegenstand der richterlichen Überprüfung Regel 62 (A) J­StGH-VBO beinhaltet unter anderem die Zwecksetzung dieser ersten richterlichen Vorführung. Auch bei dem Erscheinen des Angeklagten vor der Hauptverfahrenskammer geht es, konträr zu den Menschenrechten, nicht um eine etwaige Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft von Amts wegen. Vielmehr verfolgt Regel 62 ­JStGH-VBO den Zweck einer ersten Anhörung, wobei es hauptsächlich um die formelle Anklage der betreffenden Person und ein mögliches Schuldeingeständnis („guilty plea“) geht. Für den Angeklagten soll hierdurch der Aufbau einer zeitigen und dadurch möglichst effektiven Verteidigung 184 Ab welcher Zeitspanne von einer Verzögerung gesprochen werden kann, wird von den Umständen des Einzelfalles abhängen, da weder in Regel 62 ­JStGH-VBO noch in den Menschenrechten eine Präzisierung dieser Angabe erfolgt, s. Semanza (ICTR-97-20-A), Appeals Chamber, Decision, 31. Mai 2000, Rn. 105. Eine Verzögerung von wenigen Tagen führt allerdings in Übereinstimmung mit der Praxis des EGMR und des Menschenrechtsauschusses der Vereinten Nationen noch nicht zu einer Verletzung dieser Gewährleistung. So auch Richter Jorda in Simić et al. (IT-95-9), Transcript, 30. September 1998, S. 194 f.

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sichergestellt werden.185 Daneben soll zugleich festgestellt werden, ob die Rechte des Angeklagten gewahrt wurden. Dies gilt in der Rechtsprechung des RStGH nicht nur für das in Regel 62 (A) (i) ­JStGH-VBO ausdrücklich genannte Recht auf einen Verteidiger, sondern auch speziell für weitere Rechte, die dem Angeklagten während seiner Untersuchungshaft zustehen.186 Diesbezüglich gilt für den regulären Freiheitsentzug aufgrund eines ordentlichen Haftbefehls nichts anderes, als für die vorläufige Inhaftierung nach Regel 40bis (F) ­JStGH-VBO. Die Tatsache, dass ein ordentlicher Haftbefehl vorliegt und der Betreffende bereits den Status eines Angeklagten innehat, stellt den originären Anwendungsbereich von Regel 64 ­JStGH-VBO dar. Somit ist der Angeklagte nach seiner Überstellung zwingend in Untersuchungshaft unterzubringen, ohne die Rechtmäßigkeit dieses Freiheitsentzuges einer vorherigen Prüfung zu unterziehen. Die fehlende Haftprüfung von Amts wegen könnte sich an dieser Stelle allerdings damit erklären lassen, dass im Fall der Anwendung von Regel 62 J­ StGH-VBO das Gericht die betreffende Person bereits angeklagt hat. Dies bedeutet, dass der Ankläger einen entsprechenden Antrag gestellt hat, woraufhin die Umstände durch das Gericht selber geprüft wurden. So könnte man argumentieren, dass der zugrundeliegende Sachverhalt und hiermit die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges aufgrund der bereits vorliegenden Anklage einer ausreichenden Prüfung unterzogen wurden. (3) Das Erfordernis der „unverzüglichen“ Vorführung In den Reglementierungen der Ad-hoc-Tribunale finden sich keine Vorgaben betreffend den zeitlichen Rahmen einer solchen richterlichen Vorführung. Regel 62 (A) J­ StGH-VBO sieht lediglich eine richterliche Vorführung „ohne Verzögerung“ („without delay“) vor. Vielmehr ist, wie auch nach den Menschenrechts­ pakten und der diesbezüglichen Rechtsprechung, auf den Einzelfall abzustellen und anhand von dessen Umständen eine Beurteilung vorzunehmen. Hauptsächlich wird das Kriterium der „Unverzüglichkeit“ in der Rechtsprechung des RStGH problematisiert. Bei Betrachtung dieser Verfahren fällt auf, dass teils erhebliche Zeiträume zwischen der Überstellung und dem ersten Erscheinen vor einem Richter liegen. Insgesamt variieren die Zeitspannen stark, so dass vereinzelt die Vorführung bereits am Tag der Überstellung,187 einen oder zwei

185

Barayagwiza (Fn. 179), Rn. 70. Kajelijeli (Fn. 175), Rn. 250 („There are other purposes for an initial appearance apart from entering a plea including: reading out the official charges against the accused, ascertaining the identity of the detainee, allowing the Trial Chamber or Judge to ensure that the rights of the accused while in detention are being respected, giving an opportunity for the accused to voice any complaints, and scheduling a trial date or date for a sentencing hearing, in the case of a guilty plea, without delay.“). 187 Pauline Nyiramasuhuko (ICTR-97-21-AR72). 186

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Tage später188 stattfindet, häufig aber von mindestens drei bis vier Wochen auszugehen ist.189 Auch gibt es Fälle, in denen der Termin der ersten Anhörung erst Monate nach der Überstellung folgt. In den wenigsten dieser Fälle ist eine Verzögerung der Art festgestellt worden, dass der zeitliche Rahmen nicht mehr als „unverzüglich“ erachtet werden kann.190 Oftmals jedoch bleibt diese Feststellung ohne weitere Folgen. So führte die Berufungskammer in Semanza aus, dass nicht jede Verzögerung zu einer Verletzung der Angeklagtenrechte führe, sondern letztere anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen sei.191 So ist eine Rechtsverletzung in den Fällen abzulehnen, in denen der Angeklagte selber oder sein Verteidiger zur Verzögerung beigetragen,192 oder der Betreffende keinen Schaden erlitten hat.193 cc) Bewertung: Richterliche Vorführung an den Ad-hoc-Tribunalen Letztendlich bleibt festzuhalten, dass zumindest für den Fall einer vorläufigen Inhaftierung die Verpflichtung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft von Amts wegen eindeutig fehlt. Doch auch für den Fall einer Inhaftierung aufgrund eines ordentlichen Haftbefehls ist aufgrund der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen zu beanstanden, dass eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieses Eingriffs von Amts wegen nicht vorgesehen ist und infolgedessen nicht stattfindet. Die existierenden Vorschriften sind zur Verwirklichung der hinter Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR stehenden Zielsetzung nicht ausreichend und bergen für den Beschuldigten bzw. den Angeklagten zumindest vorerst die Gefahr eines unrechtmäßigen Freiheitsentzuges. c) Das Recht auf richterliche Vorführung am IStGH Die an dieser Stelle für den Internationalen Strafgerichtshof relevanten Vorschriften sind diejenigen der Art. 59, 60 ­IStGH-St. sowie Regel 121 Abs. 1 ­IStGH-VBO.

188 Michel Bagaragaza (ICTR-05-86); Callixte Nzambonimana (ICTR-98-44); Athanase Seromba (ICTR-2001-66). 189 André Ntagerura (ICTR-96-10A); Joseph Kanyabashi (ICTR-96-15); Elie Ndayambaje (ICTR-96-8). Eine Übersicht über die Daten der Angeklagten findet sich auf der Homepage des RStGH (www.unictr.org) unter „Cases“ – „Status of Detainees“. 190 So beispielsweise in Rwamakuba (ICTR-98-44C), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion Concerning the Illegal Arrest and Illegal Detention of the Accused, 12. Dezember 2000, Rn. 36 (167 Tage); Kajelijeli (Fn. 175), Rn. 248, 250 (211 Tage). 191 Semanza (Fn. 184), Rn. 107 (89 Tage). 192 Semanza (Fn. 184), Rn. 108. 193 Rwamakuba (Fn. 190), Rn. 44.

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aa) Der Ablauf des Verfahrens im Gewahrsamsstaat Für das Verfahren im Gewahrsamsstaat sieht Art. 59 Abs. 2 ­IStGH-St. vor, dass die Person nach ihrer Ergreifung der zuständigen Justizbehörde im Gewahrsamsstaat vorzuführen ist. Diese stellt in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht fest, dass sich der Haftbefehl auf die vorgeführte Person bezieht, sie entsprechend einem ordnungsgemäßen Verfahren festgenommen wurde und ihre Rechte geachtet wurden.194 Obschon primär das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof nach der Überstellung der Person von Relevanz ist, bedarf es gleichwohl auch im Hinblick auf das Verfahren im Gewahrsamsstaat einiger kurzer Ausführungen. Mit dem „Recht dieses Staates“ („the law of that State“) ist wohl das Recht gemeint, das erlassen wurde, um den Verpflichtungen durch das Römische Statut nachzukommen.195 Ferner stellt sich die Frage, ob der nationale Richter im Verhältnis zum IStGH dazu befugt ist, auch die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges zu überprüfen. Für die Beantwortung der Frage kommt es darauf an, wie der Terminus des „ordnungsgemäßen Verfahrens“ („proper process“) in Art. 59 Abs. 2 lit. b) ­IStGH-St. auszulegen ist.196 Hier wird man ohne Probleme annehmen können, dass es auf die Implementierung des Römischen Statuts in die Rechtsordnungen der Vertragsstaaten ankommt und die Formulierung in Art. 59 I­ StGH-St. jedenfalls so weit reicht, dass bei Erlass entsprechender nationaler Vorschriften eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit mit umfasst ist. Festzuhalten bleibt insoweit, dass es für Inhalt und Umfang der Vorführung vor den nationalen Richter letztendlich auf das Recht des jeweiligen Vertragsstaates ankommt, welches dieser in Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Römischen Statut eingeführt hat. Die Vorgaben, die von Art. 59 Abs. 2 I­ StGH-St. aufgestellt werden, sind jedenfalls nicht so streng gefasst, als dass eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges durch einen nationalen Richter von vornherein ausgeschlossen wäre.197 Was die Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit anbelangt, ist anzumerken, dass Art. 59 Abs. 4 ­IStGH-St. ohnehin die Befugnis zur Überprüfung der Voraussetzungen für den Erlass des Haftbefehls durch den nationalen Richter ausschließt. Dies verdeutlicht auch Regel 117 Abs. 3 IStGH-VBO, welche festlegt, dass die Vorverfahrenskammer auf Antrag des Inhaftierten über die Ordnungsmäßigkeit 194 Ein solches Bedürfnis zum Schutz der Individualrechte in diesem Stadium ist im Regelwerk der Ad-hoc-Tribunale nicht vorhanden, Sluiter, in: Loy. L. A. Int’l & Comp. L. Rev. 25 (2003), 605, 622 f. Mit den Rechten, deren Achtung festzustellen ist, sind die Menschenrechte gemeint, wie sie über Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St. in das Statut Einzug erhalten, Ciampi, in: Politi/Gioia, S. 104. 195 El Zeidy, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 448, 453. Für die Darstellung einer anderen Ansicht El Zeidy, Fn. 18. Ebenso Hall, in: Triffterer, Art. 59 Rn. 7, der feststellt, dass das nationale Recht notwendigerweise mit dem Römischen Statut und internationalem Recht vereinbar sein müsse. 196 Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Auslegung s. El Zeidy, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 448, 454. 197 El Zeidy, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 448, 454 f. („It could be argued, therefore, that the meaning is broad enough to carry with it all unlawful means of deprivation of liberty.“).

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und das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls entscheidet. Gleichwohl unterscheidet sich die Rechtslage zu den Tribunalen, da auch unter Einbeziehung dieses Ausschlusses größere Zugeständnisse an nationale Justizbehörden gemacht werden. So ist beispielsweise im deutschen Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGHG)198 in § 14 Abs. 5 S. 1 IStGHG dem Richter die Möglichkeit vorbehalten, bei Bedenken seinerseits gegen die Aufrechterhaltung der Haft die Staatsanwaltschaft des zuständigen Oberlandesgerichts zu benachrichtigen, um eine Entscheidung des Oberlandesgerichts herbeizuführen. Gegenstand dieser Entscheidung kann trotz alledem lediglich die formelle Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges sein, da § 16 Abs. 2 IStGHG nochmals auf die Geltung von Art. 59 Abs. 4 ­IStGH-St. und die beschränkte Überprüfungsbefugnis hinweist. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass der nationale Richter immerhin die Möglichkeit hat, Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Haft herbeizuführen, und dies aus dem Anlass eigener Bedenken heraus. An den Tribunalen hingegen besteht weder die Möglichkeit, im Gewahrsamsstaat eine vorläufige Haftentlassung zu gewähren, noch kann der Richter aus eigenem Antrieb, ohne Antrag des Inhaftierten, gegen die Aufrechterhaltung der Haft tätig werden. bb) Der Verfahrensablauf nach der Überstellung der Person an den IStGH Nach der Überstellung an den Gerichtshof ist die Person gemäß Regel 121 Abs. 1 IStGH-VBO unverzüglich („promptly“) der Vorverfahrenskammer vorzuführen, welche bereits den Haftbefehl erlassen hat,199 um ein Datum für die mündliche Anhörung zur Bestätigung der Anklagepunkte festzusetzen. Es findet sich keine mit den Regeln 40bis (F), 62 (A) ­JStGH-VBO vergleichbare Regelung, die vorsieht, dass sich auch der zuständige Richter am Gerichtshof der Wahrung der Rechte des Beschuldigten zu vergewissern hat. Art. 60 Abs. 1 ­IStGH-St. normiert eine Pflicht der Vorverfahrenskammer, sich davon zu überzeugen, dass der Beschuldigte über die ihm zur Last gelegten Verbrechen sowie über die Rechte nach dem Statut belehrt wurde. Dies umfasst jedoch keinesfalls den Inhalt einer richterlichen Vorführung, wie sie von den Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR vorgesehen ist. Besondere Erwähnung findet in Art. 60 Abs. 1 ­IStGH-St. die Belehrung über das Recht des Beschuldigten, die vorläufige Haftentlassung zu beantragen. Es wird folglich von der Vorverfahrenskammer die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung nicht geprüft, sondern es findet auf entsprechenden Antrag des Betroffenen eine Überprüfung dahingehend statt, ob eine weitere Inhaftierung 198 IStGH-Gesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2144). Dazu Kreß/MacLean, in: Kreß/ Broomhall et al., S. 136 ff. 199 Dazu Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Appeals Chamber, Judgment in the Appeal by Mathieu Ngudjolo Chui of 27 March 2008 against the Decision of Pre-Trial Chamber I on the Application of the Appellant for Interim Release, 09. Juni 2008, Rn. 10.

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noch zu rechtfertigen ist. Somit ist auch am IStGH – sofern ein Haftbefehl zwecks Ergreifung der betreffenden Person ausgestellt wurde – die Untersuchungshaft zunächst zwingende Folge der Überstellung an den Gerichtshof. Näheres regelt Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Darüber hinaus legt Regel 118 Abs. 1 IStGH-VBO den Zeitpunkt für einen solchen Antrag fest, der entweder in der ersten Anhörung nach der Überstellung mündlich oder zu einem späteren Zeitpunkt in Schriftform (Regel 118 Abs. 3 IStGH-VBO) gestellt werden kann. Das Gericht ist zu einer periodischen Haftprüfung (in einem zeitlichen Abstand von höchstens 120 Tagen) angehalten, wie sie durch Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. und Regel 118 Abs. 2 IStGHVBO vorgesehen ist.200 Das Kriterium der „unverzüglichen“ Vorführung ist bislang nicht inhaltlich konkretisiert. Anzumerken ist in dieser Hinsicht lediglich, dass die Vorführung nach Regel 121 Abs. 1 IStGH-VBO bei den bisher an den Gerichtshof überstellten Personen zügig, innerhalb weniger Tage, stattgefunden hat.201 cc) Bewertung: Vorführung vor einen Richter am IStGH Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Rechtslage am Internationalen Strafgerichtshof in den Konsequenzen derjenigen an den Tribunalen gleicht. Die richterliche Vorführung hat keinesfalls den Zweck, die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zu überprüfen, sondern vordergründig ist – für die erste Anhörung am Internationalen Strafgerichtshof – die Festsetzung eines Zeitpunktes für die Anhörung zur Bestätigung der Anklagepunkte und die Belehrung über das Recht des Inhaftierten, die vorläufige Haftentlassung zu beantragen. Eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen erfolgt nicht. Ebenso wenig kommt es durch den nationalen Richter zu einer solchen Überprüfung, da ihm zumindest in Bezug auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls die erforderliche Befugnis fehlt. Zwar wird den nationalen Institutionen durch das Römische Statut ein größerer Spielraum belassen als durch die Statuten der Tribunale. Dies rührt zum einen daher, dass das Verhältnis von IStGH und den Vertragsstaaten geprägt ist durch ein höheres Maß an vertrags 200 Der vorgesehene Zeitraum von 120 Tagen beschreibt hierbei nur die maximale Zeitspanne, die ohne Überprüfung verstreichen darf. Anträge auf Überprüfung können durch den Ankläger und den Inhaftierten jederzeit unabhängig von dieser Frist gestellt werden. Dies stellte auch die Einzelrichterin der Vorverfahrenskammer im Verfahren gegen Bemba fest, s. Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber II, Decision on Application for Interim Release, 14. April 2009, Rn. 29 ff. Der Ankläger hatte den eher aussichtslosen Einwand vorgebracht, die Verteidigung könne keinen Antrag auf vorläufige Haftentlassung vor Ablauf der Frist von 120 Tagen stellen. Dem widersprach die Einzelrichterin Trendafilova: „… the ­Single Judge is of the view that the Prosecutor misinterpreted these provisions and that the Defence had the right to submit its application at any time, no matter the proximity between the date of the previous review and the date of filing a new application.“ (Rn. 32). 201 Der Zeitraum betrug zwischen einem und fünf Tagen.

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staatlicher Souveränität. Zum anderen bekommt der nationale Gesetzgeber Gelegenheit, bei der Implementierung des Römischen Statuts in nationales Recht den Behörden eine bessere Handhabe zu verschaffen, die wiederum von den Vorgaben des Statuts gedeckt ist. Gleichwohl führt dies nicht dazu, dass nationale Instanzen dazu berechtigt wären, einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs zu überprüfen, jedenfalls nicht, was dessen materielle Rechtmäßigkeit anbelangt. In formeller Hinsicht können die nationalen Richter durchaus dazu berufen sein, auch auf eigene Bedenken hin ohne entsprechenden Antrag tätig zu werden, wobei es diesbezüglich in der Praxis wohl auch auf die Empfehlung des Gerichtshofes ankommen wird. Nach der Überstellung sieht das System des IStGH mit der Anhörung zur Bestätigung der Anklage eine Überprüfung von deren Inhalt und mithin auch der Grundlage für die Haftgründe vor.202 Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung findet nur auf Antrag hin statt und bezieht sich ausschließlich auf die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Eine Instanz bzw. die Möglichkeit zur Überprüfung der ursprünglichen Anordnung des Freiheitsentzuges gibt es hingegen nicht. 5. Der Anspruch auf ein Urteil bzw. Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft a) Der Anspruch auf ein Urteil bzw. Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist nach der EMRK und dem IPbpR Die Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR enthalten neben dem Recht des Inhaftierten auf eine unverzügliche richterliche Vorführung auch einen Anspruch auf ein Urteil (so dem Wortlaut der EMRK zufolge) bzw. auf ein Gerichtsverfahren (nach dem Vertragstext des IPbpR) innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung.203 Diese Gewährleistung betrifft einen der zentralen Problemkomplexe, wenn es um Untersuchungshaft geht und stellt in diesem Zusammenhang die in der Praxis bedeutsamste Garantie der Menschenrechtskonventionen dar.204 Hinter der Einführung dieser Gewährleistungen steht die Überlegung, dass zum 202 Zeitlichen Beschränkungen unterliegt die Durchführung dieses „confirmation hearing“ insofern, als die Anhörung innerhalb einer angemessenen Frist („within a reasonable time“) stattzufinden hat, Art. 61 Abs. 1 ­IStGH-St. Dadurch findet, anders als an den Ad-hoc-Tribunalen, letztendlich eine inhaltliche Überprüfung der Anklage „von Amts wegen“ statt. 203 Der Hinweis auf den unterschiedlichen Vertragstext in den geltenden Fassungen von EMRK und IPbpR bezieht sich lediglich auf die deutschen Übersetzungen. Der englische Wortlaut („shall be entitled to trial within a reasonable time“) der beiden Artikel ist jedoch identisch. 204 Schädler, in: Karlsruher Kommentar, StPO, Art. 5 Rn. 22, Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 34.

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einen diejenige Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig zu gelten hat, und zum anderen, dass jede Freiheitsentziehung eine Maßnahme mit Ausnahmecharakter sein muss.205 Sie verfolgen das Ziel, die vorläufige Entlassung aus der Haft sicherzustellen, sofern die Aufrecht­erhaltung der Freiheitsentziehung nicht mehr als angemessen erachtet werden kann, und zeigen als besondere Ausprägung des Beschleunigungsgebotes für Strafverfahren einen Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR auf.206 Gleichwohl ist im Hinblick auf den Bezugspunkt die Gewährleistung der Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR von derjenigen in Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR zu trennen, wobei erstere strengeren Anforderungen unterliegt.207 Es wäre demnach verfehlt, die Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR als Vorschriften anzusehen, die den Inhalt der Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR speziell für Untersuchungshäftlinge gewährleisten. Die Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR beinhalten die Verpflichtung, dass der Fortgang des Verfahrens in Haft­sachen mit besonderer Sorgfalt zu betreiben ist und erweisen sich als eigenständige Bestimmungen,208 welche eine von den Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR unabhängige Wirkung entfalten. Der Terminus der „Angemessenheit“ in Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR bezieht sich nicht wie Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR auf das Strafverfahren, sondern allein auf die Untersuchungshaft.209 aa) Nationale Entscheidungen als Grundlage der Überprüfung Im Hinblick auf den Gegenstand der Beurteilung verweist der EGMR auf den innerstaatlichen Rechtsweg und auf bereits ergangene Entscheidungen bezüglich der auf einen Konventionsverstoß hin zu untersuchenden Inhaftierung vor nationalen Gerichten, welche als Grundlage der Beurteilung dienen sollen.210 Demnach 205

OHCHR, Human Rights in the Administration of Justice, S. 190. Darüber hinaus sind auch die Auswirkungen auf den Betroffenen bedeutsam, s. Galand-Carval, in: St. Louis-­ Warsaw Transatlantic L. J. 1996, 109, 111. 206 Esser, S. 281 f.; Unfried, S. 45; Renucci, S. 64; Harris/O’Boyle u. a., S. 143 („This ‚reasonable time‘ guarantee in Article 5 (3) overlaps with that in Article 6 (1), which applies to all accused persons, whether in detention or not.“); Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 118; ebenso Joseph/Schultz/Castan, Rn. 11.36. 207 Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 114; Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 34; Harris, in: Brit. YB Int’l. L. 44 (1970), 87, 101. Zu einer ausführlichen Gegenüberstellung von Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 1 EMRK Galand-Carval, in: St. Louis-Warsaw Transatlantic L. J. 1996, 109, 115 ff. 208 EGMR, Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 9, Rn. 5; Dijk/Hoof u. a., S. 374; Edel/­ Eissen, S. 47 Fn. 266. 209 Joseph/Schultz/Castan, Rn. 11.36; Fenwick, S. 55; Upadhyay, S. 25. 210 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 12; dazu auch Dijk/Hoof u. a., S. 376; Reindl, S. 122.

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obliegt es zuvörderst staatlichen Gerichten, sicherzustellen, dass im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft eine angemessene Zeitspanne nicht überschritten wird. Um dies zu gewährleisten, sind die Gerichte dazu angehalten, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung alle Umstände zu prüfen, die für und gegen das Vorliegen eines solchen Erfordernisses des öffentlichen Interesses sprechen, welches ein Abweichen von dem in Art. 5 EMRK aufgestellten Grundsatz rechtfertigt, und diese Umstände in den Entscheidungen über eine Haftentlassung darzulegen. Diese Darlegung stellt in einem späteren Verfahren vor dem EGMR im Wesentlichen – zusammen mit den durch den Beschwerdeführer substantiiert vorgetragenen Tatsachen – die Entscheidungsgrundlage dar, anhand derer der Gerichtshof eine eventuelle Verletzung von Art. 5 Abs. 3 EMRK bemisst.211 In Stögmüller führte der EGMR aus, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung einer Verletzung zum einen gerade auf die Gründe rekurrieren müsse, die nationale Gerichtsinstanzen dazu veranlasst haben, eine Entscheidung in Abweichung von den Grundsätzen des Art. 5 EMRK zu treffen, sowie zum anderen auch den unbestrittenen Vortrag des Beschwerdeführers in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen hätte. Auf dieser Grundlage habe der Gerichtshof sodann frei darüber zu entscheiden, ob eine Fortdauer der Untersuchungshaft noch als angemessen erachtet werden könne.212 Maßgeblich für die Beurteilung durch den EGMR sind sämtliche in der Sache ergangenen Entscheidungen staatlicher Gerichte.213 Darüber hinaus sind die Gründe für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft in jeder Entscheidung der nationalen Instanzen substantiiert darzulegen. Stereotype Formulierungen genügen ebenso wenig wie bloße Wiederholungen.214 Dies allein führt jedoch noch nicht zur Feststellung eines Konventionsverstoßes durch den EGMR. Darüber hinaus ist anzumerken, dass der soeben beschriebene Ansatz, Begründungen, die zwar auf nationaler Ebene der weiteren Legitimierung der Untersuchungshaft zu-

211 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 5; Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 35; Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 74; Labita ./. Italien, Reports 2000IV, Rn. 152. 212 EGMR, Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 9, Rn. 3; Muller ./. Frankreich, Reports 1997-II, Rn. 35; Jėčius ./. Litauen, Reports 2000-IX, Rn. 93; Kudla ./. Polen, Reports 2000XI, Rn. 110 – NJW 2001, 2694; Erdem ./. Türkei, Reports 2001-VII, Rn. 39 – NJW 2003, 1439; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254, Rn. 30. 213 Esser, S. 291, Fn. 252 m. w. N.; Jacobs/White/Ovey, S. 114. 214 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 52; Mansur ./. Türkei, Serie A Nr. 319-B, Rn. 55; Kalashnikov ./. Russland, Reports 2002-VI, Rn. 116; Dijk/Hoof u. a., S. 379, und Wallace, in: Int’l Crim. Just. Rev. 16 (2006), 240, 258, mit weiteren Beispielen. Esser, S. 291, zufolge lassen sich aus dieser Aussage konkrete Dokumentations- und Dar­ legungspflichten der Justizbehörden für die nationalen Strafverfahren entnehmen. Auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen stellt bei der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auf das Erfordernis konkreter Begründungen ab, s. HRC, C ./. Australien, Communication No. 900/1999, U. N. Doc. CCPR/C/76/D/900/1999, 13. November 2002, Rn. 8.2.

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grunde gelegt wurden, in Entscheidungen der Gerichte jedoch nicht ausgeführt wurden, auch nicht zu berücksichtigen, durch den EGMR nicht konsequent verfolgt wird.215 bb) Beginn und Ende der maßgeblichen „Frist“ Die für die Beurteilung einer angemessenen Dauer der Untersuchungshaft ausschlaggebende Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschuldigte festgenommen wird.216 Für das Ende der Frist können verschiedene Zeitpunkte in Erwägung gezogen werden,217 wobei dem EGMR zufolge der Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils maßgeblich ist218 – sofern nicht bereits zuvor eine Entlassung aus der Haft erfolgte. Für den IPbpR kommt es nach der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses ebenfalls auf das erstinstanzliche Urteil an, und nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils.219

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So führte der EGMR in der Sache Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 79, aus, dass zwar die Fluchtgefahr des Betreffenden in lediglich einer Entscheidung erwähnt wurde und nähere Ausführungen in später ergangenen Entscheidungen durchaus wünschenswert ge­ wesen wären, der Gerichtshof gleichwohl zu der Überzeugung gelangte, dass das Risiko einer Flucht während der gesamten Dauer der Untersuchungshaft bestand. In Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 60, stellte der EGMR bereits fest, dass ein solches Versäumnis seitens der staatlichen Instanzen nicht allein schon zu einem Konventionsverstoß führen könne, wenn auch eine ausführliche Begründung wünschenswert gewesen wäre. 216 Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 116; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 518; Sieghart, S. 153; s. auch das Schaubild bei Fawcett, S. 97. 217 s. dazu Esser, S. 285 ff. 218 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 5, 9; B ./. Österreich, Serie A Nr. 175, Rn. 36–38; Muller ./. Frankreich, Reports 1997-II, Rn. 34; Dijk/Hoof u. a., S. 376. Kritisiert wird dies von Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 519 f. 219 Dazu HRC, Shalto ./. Trinidad and Tobago, Communication No. 447/1991, U. N. Doc. CCPR/C/53/D/447/1991, 26. April 1995; Dinstein, in: Henkin, S. 133. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 9 Rn. 45, Fn. 105, legt sich für die englische Fassung auf die Anklageerhebung fest, für andere sprachliche Fassungen wiederum erst auf die gerichtliche Aburteilung. Allerdings argumentiert er mit der englischen Fassung von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPbpR, der sich auf „persons awaiting trial“ bezieht und der Wortlaut demnach tatsächlich eher für ein Fristende mit Erhebung der Anklage spricht. Für den hier maßgeblichen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPbpR wird auf den Unterschied zu Art. 5 Abs. 3 EMRK aufmerksam gemacht, der sich, wie weiter oben bereits angemerkt, in der deutschen Übersetzung niederschlägt. Nowak weist darauf hin, dass im Gegensatz zum „Urteil“ in der deutschen Fassung von Art. 5 Abs. 3 EMRK seiner Ansicht nach davon auszugehen ist, dass die Garantie lediglich für die Untersuchungshaft während der gerichtlichen Voruntersuchung gelte und somit das Fristende mit der Anklageerhebung zusammenfalle.

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cc) Die Beurteilung der „Angemessenheit“ Im Zuge ihrer langjährigen Praxis haben sich sowohl der EGMR als auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen häufig mit dieser Gewähr­ leistung und der Konturierung des Kriteriums der „Angemessenheit“ ausein­ andersetzen müssen. (1) Die Vorgehensweise der menschenrechtssprechenden Gremien Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen stellt für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft keine dezidierten Kriterien auf, sondern trifft eine Bewertung anhand der Umstände des Einzelfalles.220 Im Gegensatz hierzu hat der EGMR für die Beurteilung der Frage, ob die Dauer der Untersuchungshaft die Grenze der Angemessenheit überschritten hat, einen bestimmten Beurteilungsmaßstab aufgestellt. Die Fortdauer der Haft eines Beschuldigten ist nur dann angemessen, wenn die hierfür angeführten Gründe „geeignet und hinreichend“ („relevant and sufficient“) sind und die Strafverfolgungsbehörden die erforderliche besondere Sorgfalt („special diligence“) bei der Durchführung des Verfahrens zugrunde gelegt haben. Die von der Kommission vorgeschlagene Beurteilungsmethode, die Angemessenheit einer fortdauernden Haft anhand von sieben Kriterien zu überprüfen, lehnte der EGMR in Wemhoff ab.221 Auch versteht der Gerichtshof die Angemessenheit – anders als die Kommission – nicht in einem bloß zeitlichen Sinn.222 Da es hierfür allein auf die Umstände des Einzelfalles ankommt und eine abstrakte Beurteilung nicht möglich ist,223 können keine starren Zeiträume festgelegt werden, bei deren Verstreichen die Garantie des Art. 5 Abs. 3 EMRK verletzt wäre. Ausgangspunkt der Prüfung ist vielmehr, dass die andauernde Inhaftierung nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und aufgrund konkreter Anhaltspunkte ein zwingendes Erfordernis öffentlichen Interesses besteht, welches auch unter Beachtung der Unschuldsvermutung dem Grundsatz der Achtung der persönlichen Freiheit in Art. 5 EMRK vorgeht.224 Es findet demnach eine 220

HRC, Fillastre ./. Bolivien, Communication No. 336/1988, U. N. Doc. CCPR/C/43/D/ 336/1988, 05. November 1991, Rn. 6.5; Teesdale ./. Trinidad und Tobago, Communication No. 677/1996, U. N. Doc. CCPR/C/74/D/677/1996, 15. April 2002, Rn. 9.3. 221 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 11, 12. Zu den Kriterien der Kommission vgl. die „Auffassung der Kommission“ im Urteil Wemhoff, Rn. 2; ebenso in Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 2. 222 Dazu EGMR, W ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 30. 223 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 10; Scott ./. Spanien, Reports 1996VI, Rn. 74; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 54; Čevizović ./. Deutschland, Urteil vom 29.07.2004, Rn. 37 – NJW 2005, 3125. 224 EGMR, W ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 30; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 152; Kudla ./. Polen, Reports 2000-XI, Rn. 110 – NJW 2001, 2694; s. auch Esser, S. 290.

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Abwägung statt zwischen dem öffentlichen Interesse einerseits und dem Recht des Betroffenen auf persönliche Freiheit andererseits.225 (2) Die „geeigneten“ und „hinreichenden“ Gründe In Anlehnung an das soeben Ausgeführte ist als inhaltliches Kriterium für die Angemessenheit einer fortdauernden Untersuchungshaft zunächst der hinreichende Tatverdacht, dass die festgenommene Person eine Straftat begangen hat, erforderlich. Obschon dieser eine Bedingung sine qua non für die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung darstellt, ist er nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne für sich genommen nicht mehr ausreichend. Vielmehr müssen weitere Gründe hinzugetreten sein, die eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigen bzw. gerechtfertigt haben. Die Gründe, welche die Haftfortdauer grundsätzlich rechtfertigen können, sind Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr, Wiederholungsgefahr, Fluchtgefahr und die Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wobei auch die Schwere der Straftat und Erfordernisse der Ermittlungen eine Rolle spielen können.226 Ferner müssen diese Gründe kontinuierlich während der fortdauernden Untersuchungshaft vorliegen,227 da andernfalls bei deren Wegfall die weitere Inhaftierung nicht mehr angemessen wäre. Die Haftgründe, die von den staatlichen Gerichten zwecks Aufrechterhaltung der Inhaftierung angeführt wurden, müssen geeignet und hinreichend hierfür sein.228 Dabei beschreibt das Merkmal der „Geeignetheit“ das Vorliegen eines Umstandes bzw. Haftgrundes an sich, der für die Rechtfertigung der aufrecht erhaltenen Untersuchungshaft nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles „hinreichend“ sein muss. Ist dies nicht der Fall, so ist schon aus diesem Grund eine Verletzung des Rechtes aus Art. 5 Abs. 3 EMRK gegeben.229 Dabei gilt, dass umso mehr Anhaltspunkte und Beweise nötig sind, um die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung zu recht­ fertigen, je länger die Untersuchungshaft andauert.230

225 Murdoch, in: Int’l & Comp. L. Q. 42 (1993), 494, 511; Unfried, S. 46, und Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 518, der von einer Abwägung der Interessen des Häftlings mit den Interessen an einer effektiven Strafverfolgung spricht. 226 Für Ausführungen zu den Haftgründen ist aufgrund der größeren Sachnähe zu verweisen auf B. III. 1. a) bb) (1). 227 EGMR, Ringeisen ./. Österreich, Serie A Nr. 13, Rn. 108; Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 39, 51; Fenwick, S. 56. 228 Der EGMR stellt diese beiden Begriffe („relevant and sufficient“) als „Schwelle“ auf, bei deren Unterschreitung der Inhaftierte zwingend zu entlassen ist. 229 Esser, S. 290; Murdoch, in: Int’l & Comp. L. Q. 42 (1993), 494, 511. 230 Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 389; Murdoch, in: Int’l & Comp. L. Q. 42 (1993), 494, 512; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 123 (mit dem Hinweis, dass die „Haftgründe im Verlaufe der Zeit im Verhältnis zum Recht auf Freiheit weniger gewichtig“ werden).

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(3) Die besondere Sorgfalt bei der Verfahrensführung Sind hingegen die von den nationalen Instanzen angeführten Haftgründe geeignet und hinreichend, ist in einem zweiten Schritt die Art der Verfahrensführung zu überprüfen. Ein Beschuldigter, der sich in Untersuchungshaft befindet, hat in Abgrenzung zum allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR einen Anspruch darauf, dass sein Fall vorrangig und mit besonderer Beschleunigung bearbeitet wird und hiermit ein Recht auf eine besonders zügige Verfahrensführung.231 Der Gerichtshof muss sich demnach davon überzeugen, dass die staatlichen Behörden eine „besondere Sorgfalt“ („special diligence“) bei der Durchführung des Verfahrens angewendet haben,232 um dieser Gewährleistung Rechnung zu tragen. Auf der anderen Seite erfährt der Anspruch dadurch eine Einschränkung, dass die Beschleunigung des Verfahrens nicht zu qualitativen Mängeln bei der Aufklärung des Sachverhaltes führen darf. Das Recht des Inhaftierten auf beschleunigte Behandlung darf „den Bemühungen der Richter, die maßgeblichen Tatsachen vollen Umfangs aufzuklären und sowohl der Verteidigung als auch der StA [Staatsanwaltschaft, Anm. d. Verf.] alle Möglichkeiten einzuräumen, ihre Beweismittel vorzubringen, nicht entgegenstehen“.233 Das Recht des Inhaftierten auf besondere Beschleunigung des Verfahrens darf somit nicht den Grundsätzen einer ordentlichen Verfahrensführung234 zuwiderlaufen. Für die Beurteilung der Einhaltung der besonderen Sorgfalt seitens der Behörden kommt es auf verschiedene Faktoren an. Von Bedeutung hierbei sind zum einen die Komplexität des Verfahrens, zum anderen die Organisationsstruktur der staatlichen Gerichte und Ermittlungsbehörden, sowie das Verhalten des Beschuldigten.235

231 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 17; Jacobs/White/Ovey, S. 117; ­Esser, S. 301. 232 EGMR, Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 10; Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 35; Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241, Rn. 84; Herczegfalvy ./. Österreich, Serie A Nr. 244, Rn. 71; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 30; Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 74. 233 EGMR, Čevizović ./. Deutschland, Urteil vom 29.07.2004, Rn. 47 – NJW 2005, 3125. Ebenso EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 17; Toth ./. Österreich, Serie A Nr. 224, Rn. 77; Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241, Rn. 102; Erdem ./. Deutschland, Reports 2001-VII, Rn. 46 – NJW 2003, 1439. 234 EGMR, W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 42; van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 72; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 67 (jeweils „must not hinder the courts to carry out their tasks with proper care“); Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 12 („proper administration of justice“). 235 Für eine detaillierte Darstellung dieser Kriterien s. B. III. 1. a) bb) (2).

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(4) Die Beweislast bei der Rüge der unangemessenen Dauer der Untersuchungshaft Ein weiterer Umstand, welcher der Klärung bedarf, ist die Frage der Beweislast. Im Zusammenhang mit den Menschenrechten liegt diese grundsätzlich bei dem jeweiligen Staat. Der Staat trägt die Erklärungs- und Beweislast dafür, dass die Haftdauer angemessen ist und nicht auf Phasen längerer Untätigkeit beruht.236 Der EGMR prüft sodann, ob die von den nationalen Gerichten angegebenen Gründe tatsächlich die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft notwendig erscheinen lassen. Sofern der Staat diese Notwendigkeit nicht ausführt und mit stichhaltigen Argumenten belegt, wird die Frage der Angemessenheit der Inhaftierung im Sinne des Untersuchungshäftlings entschieden.237 Werden durch den Staat diverse Gründe angeführt, obliegt es dem inhaftierten Beschuldigten, sich mit diesen Ansichten auseinanderzusetzen und möglichst zu entkräften. Aus diesem Grund kommt es neben der Begründung des einzelnen Staates für die Entscheidung des EGMR auch maßgeblich auf den Vortrag des Antragstellers an. dd) Zusammenfassung Abschließend ergibt sich bei dem Versuch, die soeben erläuterte Vorgehensweise des EGMR für die Beurteilung der Dauer der Untersuchungshaft zusammenzufassen, Folgendes: Ausgangspunkt ist die Frage, ob die Inhaftierung durch ein ausreichendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Nur, wenn die Haft aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist, kann sie als angemessen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR erachtet werden und geht dem Grundsatz der Achtung der persönlichen Freiheit vor. Gegenstand der Beurteilung sind sämtliche in der Sache ergangenen und substantiiert darzulegenden Entscheidungen nationaler Gerichte, sowie der Vortrag des Beschwerdeführers. Auf dieser Grundlage entscheidet der EGMR sodann über die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft. Inhaltlich beurteilt der Gerichtshof ein rechtfertigendes öffentliches Interesse zunächst anhand des Vorliegens von Haftgründen. Diese müssen geeignet und hinreichend sein, um die Aufrechterhaltung der Inhaftierung zu rechtfertigen. Neben dem hinreichenden Tatverdacht müssen weitere Gründe hinzutreten, die zum einen derart erheblich sein müssen, dass sie grundsätzlich ein öffentliches

236

Dazu Kolb, in: Hum. Rts. L. J. 21 (2000), 348, 364 („The burden of proof for showing that the delay was reasonable lays on the State. If it does not present a valid reason, the case will be resolved in its disfavor.“). 237 Esser, S. 291 f.; Kolb, in: Hum. Rts. L. J. 21 (2000), 348, 364.

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Interesse an der Haft begründen, und zum anderen ausreichen müssen, um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft im konkreten Einzelfall weiterhin zu legitimieren. Liegen jeweils geeignete und hinreichende Haftgründe vor, so ist in einem zweiten Schritt die Art der Verfahrensführung durch die innerstaatlichen Behörden zu überprüfen. Diese müssen das Verfahren mit besonderer Sorgfalt betrieben haben, um sicherzustellen, dass dem Anspruch des Inhaftierten auf eine vorrangige Bearbeitung seines Falles mit besonderer Beschleunigung entsprochen wird. Hierbei darf nicht zugleich den Grundsätzen einer ordentlichen Verfahrensführung widersprochen werden. Die Faktoren, die in diese Beurteilung einfließen, sind neben der Komplexität des Verfahrens und der Organisationsstruktur der staatlichen Behörden auch das Verhalten des Beschuldigten. Steht letztendlich fest, dass erstens die Haftgründe geeignet und hinreichend für die Inhaftierung sind und dass die staatlichen Behörden zweitens das Ver­ fahren mit besonderer Sorgfalt betrieben haben, so ist ein öffentliches Interesse begründet, welches die Aufrechterhaltung der Haft zum Nachteil des Grund­satzes der persönlichen Freiheit sowie auch der Unschuldsvermutung zu rechtfertigen vermag. b) Der Anspruch auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung vor dem JStGH und dem RStGH Im Gegensatz zur besonderen Normierung einer speziellen Beschleunigungsmaxime für Untersuchungshaft durch die Menschenrechte enthalten die Reglementierungen der Tribunale lediglich ein allgemeines Recht des Angeklagten auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung. Dieses findet sich in Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St. und Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. Darüber hinaus halten zwar auch die Art. 20 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 19 Abs. 1 ­ StGH-St. zu einer zügigen Verfahrensführung an. Diese stellen jedoch kein R Recht des Angeklagten dar, sondern beinhalten vielmehr eine Verpflichtung der Strafkammern, einen zügigen Verfahrensablauf zu gewährleisten.238 Zusammen betrachtet werden die Art. 20, 21 ­JStGH-St. (sowie die Art. 19, 20 ­RStGH-St.) auch als die „fair trial-Vorschriften“ des Statuts bezeichnet.239 238 So auch Wladimiroff, in: McDonald/Swaak-Goldman, S. 440; Robinson, in: Eur. J. Int’l L. 11 (2000), 569, 583; Bonomy, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 348, 351, und Farrell, in: S. Afr. J. Hum. Rts. 19 (2003), 99, 105, welche von einer „obligation“ bzw. „duty“ der Richter der jeweiligen Strafkammern sprechen, das Verfahren zügig durchzuführen. 239 Ackermann/O’Sullivan, S. 122; Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 2. M. a. W. finden sich die Rechte, auf die Art. 20 Abs. 1 J­ StGH-St. verweist, in Art. 21 J­ StGH-St., welcher den Mindeststandard für ein faires Verfahren darlegt, s. Bassiouni/Manikas, S. 934; Kerr, S. 94; Sloan, in: Leiden J. Int’l L. 9 (1996), 479, 481.

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aa) Die rechtlichen Grundlagen an den Tribunalen In den eben genannten Vorschriften spiegeln sich grundlegende Prinzipien internationaler Menschenrechtskodifikationen wider.240 Als Ausfluss dieser Prinzipien verfolgen die Normen zuvörderst den Zweck, grundlegende Interessen des Angeklagten zu schützen.241 Speziell auf die Situation des Untersuchungshäftlings übertragen dürfte wohl im Vordergrund stehen, den Inhaftierten nicht über eine unangemessene Zeitspanne hinweg der belastenden Situation einer Untersuchungshaft auszusetzen und ungerechtfertigt in seinem Recht auf persönliche Freiheit zu beschränken. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine vorläufige Haftentlassung nur in vergleichsweise wenigen Fällen gewährt wird, mag es verwundern, dass als Recht im eigentlichen Sinne somit lediglich der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz der Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St. und Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. verbleibt, welcher sich auf das gesamte Verfahren bezieht.242 Speziell für Beschuldigte oder Angeklagte in Untersuchungshaft gibt es kein solches ausdrückliches Recht, obwohl die Normierung eines solchen in Anbetracht der nach Regel 64 J­ StGH-VBO obligatorischen Anordnung von Untersuchungshaft zu erwarten gewesen wäre. Vielmehr wird der Beschleunigungsgrundsatz in den Art. 21 Abs. 4 lit. c) J­ StGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. einheitlich betrachtet und in seinem Geltungsbereich auf die Untersuchungshaft erstreckt. Bedingt durch die generelle Anordnung von Untersuchungshaft an den internationalen Tribunalen fließt der Aspekt der gebotenen Beschleunigung bei fortdauernder Untersuchungshaft in die Bewertung der Dauer des gesamten Verfahrens mit ein. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht allzu verwunderlich, dass die ausdrückliche Normierung 240 Kovačević (IT-97-24), Trial Chamber, Decision on Prosecutor’s Request to File an Amended Indictment, 05. März 1998, Rn. 8 („These Articles reflect the general principles found in international human rights law.“). 241 Lahiouel, in: May et al., S. 198, führt hierzu die drei grundlegenden Interessen des Angeklagten an, die der Beschleunigungsgrundsatz im herkömmlichen Sinne zu schützen beabsichtigt: (1) Der Angeklagte soll nicht über eine unangemessen lange Zeitspanne hinweg im Zweifel über sein Schicksal bleiben oder an den Folgen eines Strafverfahrens leiden. Dies sei zugleich die wichtigste Zielsetzung dieser Gewährleistung. (2) Die Rechte des Angeklagten sollen im Hinblick auf den Aufbau und das Betreiben einer effektiven Verteidigung gesichert werden, da das Verstreichen einer allzu großen Zeitspanne zum Verlust entlastenden Beweismaterials führen kann. (3) Der Glaube der Öffentlichkeit in die Effektivität der Rechtspflege bzw. des Rechtssystems soll bekräftigt werden durch zügige Verurteilungen. Dies sei insbesondere von Relevanz für den JStGH (aber wohl auch für den RStGH, Anm. d. Verf.), da das Tribunal Frieden in das jeweilige Krisengebiet bringen solle. Ausführlich dazu auch Farrell, in: S. Afr. J. Hum. Rts. 19 (2003), 98, 99, sowie Whiting, in: Harv. Int’l L. J. 50 (2009), 323, 330 f., mit den zusätzlichen Argumenten, dass speziell eine schnelle Verfolgung von Kriegsverbrechen abschreckend wirken kann und erhebliche Verzögerungen auch zu einem längeren Leiden der Opfer dieser Verbrechen führen können. 242 Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 521; May/Wierda, S. 278; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 647.

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einer gebotenen besonderen Beschleunigung für fortdauernde Untersuchungshaft fehlt: Die angemessene Dauer der Untersuchungshaft ist aufgrund ihres geradezu regelmäßigen Charakters anhand der Dauer des gesamten Verfahrens zu bemessen. Für den Fall, dass sich ein Verfahren über eine erhebliche Zeitspanne erstreckt, ist gleichzeitig auch die Untersuchungshaft von längerer Dauer. Als Begründung für die doch teilweise erhebliche Dauer der Verfahren – und somit auch der Untersuchungshaft – werden die besondere Schwierigkeit und die Komplexität der Fälle vor internationalen Tribunalen angeführt.243 Teilweise wird auch die Ausgestaltung des Verfahrensablaufs vor den Tribunalen mit anglo-amerikanischem Charakter für die Dauer der Verfahren angeführt, welche den Parteien die Sammlung und Einführung von Beweismitteln in den Prozess auferlegt.244 Aus diesen Gründen kann es als ernst zu nehmendes Anliegen der Tribunale angesehen werden, die Verfahren so zügig wie möglich durchzuführen, da lange Verfahren zu weiteren Verzögerungen in der Abfolge der Prozesse führen und dies wiederum eine länger andauernde Untersuchungshaft – gleich einem „Dominoeffekt“ – für weitere Inhaftierte mit sich bringt.245 Diese Zielsetzung konfligiert wiederum mit den Umständen, unter welchen internationale Tribunale ihre Tätigkeit ausüben, so dass in diesem Spannungsfeld beide Positionen in Ausgleich zu bringen sind.246 Zu dem Zweck der allgemeinen Verfahrensbeschleunigung sind die Richter der Kammern im Laufe der Jahre und im Zuge diverser Änderungen der Verfahrens- und Beweisordnungen mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet worden, unter deren Ausübung den Verfahren zu einer möglichst zügigen Beendigung verholfen werden soll.247 Exemplarisch ist an dieser Stelle auf 243 Dazu Ackermann/O’Sullivan, S. 440; Møse/Aptel, in: Vohrah et al., S. 549 ff.; Harmon, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 377; Pocar, in: Law & Prac Int’l Cts. & Tribunals 5 (2006), 89, 94, sowie ausführlich Whiting, in: Harv. Int’l L. J. 50 (2009), 323, 327, 335 ff. Möglichkeiten zu Beschleunigung schlägt Higgins, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 394, 396 ff., vor. 244 Langer, in: Am. J. Comp. L. 53 (2005), 835, 872; Bonomy, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 348, 350; Hemptinne, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 402, 405. Kritisch hingegen Ambos, in: Int’l Crim. L. Rev. 3 (2003), 1, 30. 245 Dixon/Khan/May, 8–109; May/Wierda, S. 279; Report of the Expert Group, U. N. Doc. A/54/634, S. 18. Whiting, in: Harv. Int’l L. J. 50 (2009), 323, 327 ff., 340 ff., weist darauf hin, dass eine lange Verfahrensdauer vor allem im Hinblick auf die Schwere, Natur und den Kontext der Verbrechen nicht lediglich negativ zu sehen sei. Kritisch auch Fairlie, in: Int’l Crim. L. Rev. 4 (2004), 243, 300. Schomburg/Wild, in: ERA-Forum 5 (2004), 533, 538, sprechen nicht zu Unrecht von der schwierigsten Verpflichtung, welche die Tribunale zu erfüllen haben. 246 Dazu Robinson, in: Eur. J. Int’l L. 11 (2000), 569, 572. 247 Eine kurze Darstellung des Verfahrensablaufes unter Hinweis auf die verschiedenen vorgesehenen zeitlichen Limitierungen findet sich bei Lahiouel, in: May et al., S. 200 f. Für weitere Beispiele und Entwicklungen s. Robinson, in: Eur. J. Int’l L. 11 (2000), 569, 580 ff.; ­Harmon, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 377, 378 ff.; Hemptinne, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 402, 406; Jones/Powles, 8.5.50 ff. Langer, in: Am. J. Comp. L. 53 (2005), 835, 874 ff., spricht in diesem Zusammenhang von „managerial judging“. Allgemein zu Bemühungen der Beschleunigung der Verfahren, bspw. zur Einführung der ad litem-Richter oder der Etablierung einer Vorverfahrensphase s. Bourgon, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 526, 527 ff. Boas, in: Crim. L. Forum 12 (2001), 41, 45, spricht diesbezüglich von einer Obsession des JStGH, Verfahren zügig zum Ende zu bringen.

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Regel 65ter ­JStGH-VBO hinzuweisen, welche mit der nachträglichen Einführung eines so genannten „Vorverfahrensrichters“ („pre-trial judge“) zur Verfahrens­ beschleunigung beitragen soll.248 bb) Gegenüberstellung der Regelungen mit menschenrechtlichen Vorgaben – Der Bezugspunkt des Beschleunigungsgebotes Nun stellt sich die Frage, ob trotz dieses Umstandes die Rechtsposition eines Untersuchungshäftlings mit den menschenrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen ist. Zunächst ist ausgehend vom Wortlaut der Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR zum einen und der Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR zum anderen zu bemerken, dass die Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. mit Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR übereinstimmen. Dieser beinhaltet das Recht jedes Angeklagten, dass gegen ihn ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung ergehen muss. Hingegen sehen die Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR, aber auch Art. 6 Abs. 1 EMRK, vor, dass der Betreffende ein Recht auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist hat. (1) Unterscheidung nach dem Wortlaut: Unangemessene Verzögerung – angemessene Frist Vom Wortlaut her unterscheiden sich diese Vorschriften darin, dass einerseits ein Recht auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung („without ­undue delay“) und andererseits ein Recht auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist („within a reasonable time“) besteht. Zumindest, was den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte anbelangt, kann ausgehend von dessen Wortlaut eine klare Trennung gezogen werden zwischen der allgemeinen Beschleunigungsmaxime, die für das gesamte Verfahren Geltung beansprucht, und dem Recht auf besondere Beschleunigung speziell für Untersuchungshäftlinge. Diese Differenzierung anhand des bloßen Wortlautes entfällt in den Statuten der Tribunale, da die Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. auf dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR beruhen. Um gleichwohl eine Unterscheidung in Anbetracht der verschiedenen Geltungsbereiche des Beschleunigungsgrundsatzes herbeizuführen, haben sich die Strafkammern die Konzeption der „angemessenen Frist“ zu eigen gemacht, sofern das Anliegen des Beschuldigten oder Angeklagten die vorläufige Haftentlassung betrifft,

248

Dazu Boas, in: Crim. L. Forum 12 (2001), 167, 172 ff.; Mundis, in: Leiden J. Int’l L. 14 (2001), 367, 371 ff.; Bonomy, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 348, 352 ff.; Harmon, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 377, 384 ff. Diese Regelung findet sich lediglich in der Verfahrens- und Beweisordnung des JStGH, hingegen nicht in derjenigen des RStGH.

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und lassen bei Angelegenheiten nach der ersten Erscheinung vor dem Gericht („initial appearance“) die Grenze der „unangemessenen Verzögerung“ in die Beurteilung mit einfließen.249 (2) Unterscheidung nach dem Sinn und Zweck: Unangemessene Verzögerung – angemessene Frist Daneben lassen sich die Begrifflichkeiten der „angemessenen Frist“ und einer „unangemessenen Verzögerung“ auch von einem weiteren Aspekt her unterscheiden. Es lässt sich wohl sagen, dass die „angemessene Frist“ einen strengeren Rahmen vorgibt als die „unangemessene Verzögerung“. Abhängig vom jeweiligen Einzelfall deutet das Erfordernis einer „angemessenen Frist“ auf eine straffe und zügige Verfahrensführung hin, wohingegen bei einer „unangemessenen Verzögerung“ eher die Konsequenz der Verfahrensführung im Vordergrund stehen dürfte. Wie der Begriff der „Frist“ bereits zum Ausdruck bringt, gibt es je nach den Umständen des einzelnen Falles eine bestimmte zeitliche Grenze, bei deren Überschreitung davon gesprochen werden kann, dass die Zeitspanne nicht mehr angemessen ist. Hingegen kommt es bei einer „unangemessenen Verzögerung“ nicht maßgeblich darauf an, ob ein bestimmter zeitlicher Rahmen eingehalten wird, sondern eher darauf, ob es an einer konsequenten Verfahrensführung mangelt. Als Parameter für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft ist das Erfordernis einer „angemessenen Frist“ spezieller als das der „unangemessenen Verzögerung“. Zappalá weist darauf hin, dass an den Tribunalen die Schwierigkeit bestehe, diese beiden Gewährleistungen voneinander zu trennen, zumal sich die Beschuldigten bzw. Angeklagten üblicherweise in Untersuchungshaft befänden.250

249

Dazu Zappalá, S. 117. Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 521, weist darauf hin, dass dieser Differenzierung grundsätzlich keine allzu große Bedeutung zuzumessen sei. Das Recht auf eine Verurteilung ohne „unangemessene Verzögerung“ gelte allerdings erst ab Erhebung der Anklage und komme dann nicht zur Anwendung, wenn der Inhaftierte erst Jahre später angeklagt werde. 250 Zappalá, S. 117 und Fn. 144, wobei sich Zappalá an dieser Stelle vor dem Hintergrund der „practice of almost automatic pre-trial detention“ für die Notwendigkeit eines „trial within a reasonable time“ ausspricht, um somit das Erfordernis der „angemessenen Frist“, welches nach den Menschenrechten für die Untersuchungshaft gilt, auch auf die Rechtslage an den Tribunalen zu übertragen. Anderer Auffassung nach spielt der sprachliche Unterschied in der praktischen Anwendung dieser Gewährleistung keine Rolle, s. Amnesty International, Fair Trials Manual, POL 30/02/98, S. 115.

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cc) Die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft Anknüpfend an die oben erwähnte Praxis der Tribunale, für Verfahren betreffend die Untersuchungshaft auf das Erfordernis der „angemessenen Frist“ abzustellen, und für weitere Angelegenheiten auf dasjenige der „unangemessenen Verzögerung“, verweist der JStGH in Blaškić für die Beurteilung der Dauer der Untersuchungshaft auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze.251 Hierzu gehöre das Recht des Angeklagten auf ein Urteil ohne übermäßige Verzögerung, also innerhalb einer angemessenen Zeitspanne, wie sich dies aus Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St. und Art. 5 Abs. 3 EMRK ergebe. (1) Die zweistufige Prüfung als vorgeschlagene Ausgangslage Sodann drängt sich die Frage auf, wie bei der Beurteilung der Frage, ob das Recht des Betreffenden auf ein beschleunigtes Verfahren gewahrt wurde, vorzugehen ist. Lahiouel rekurriert in diesem Zusammenhang auf eine zweistufige Prüfung. In einem ersten Schritt müsse der Zeitraum der Inhaftierung übermäßig („excessive“) erscheinen, bevor es zu einer Beurteilung der Angemessenheit der Untersuchungshaft kommen könne,252 d. h. es wird die Frage gestellt, ob es überhaupt zu einer „Verzögerung“ gekommen ist. Ausgehend von dieser Feststellung schließe sich in einem zweiten Schritt die Prüfung an, ob diese übermäßige Dauer als „unangemessen“ anzusehen sei. Die Länge des Verfahrens, sowie der Grund und eine mögliche Rechtfertigung der Verzögerung seien zusammen zu beurteilen. Essentiell für die Bewertung der Angemessenheit ist demnach nicht nur die Zeitspanne an sich, sondern erst eine Betrachtung im Zusammenhang mit den Gründen von möglichen Verzögerungen, die zu einer Rechtfertigung dieser Verzögerungen führen können.253 Ein ähnlicher Ansatz findet sich vereinzelt in Entscheidungen der Ad-hocTribunale.254 In der Rechtsprechungspraxis scheint jedoch überwiegend die zweite Stufe bedeutsam zu sein. Es finden sich keine expliziten Ausführungen dazu, die

251

Blaškić (IT-95-14), Trial Chamber, Order Denying a Motion for Provisional Release, 20. Dezember 1996 („Considering that the Judges […] must examine the consequences of a period of preventive detention […] in light of the general principles of law …“). 252 Lahiouel, in: May et al., S. 199. 253 Lahiouel, in: May et al., S. 199. 254 Kovačević (IT-97-24), Appeals Chamber, Decision Stating Reasons for Appeals Chamber’s Order of 29 May 1998, 02. Juli 1998, Rn. 32; Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motion by Radoslav Brđanin for Provisional Release, 25. Juli 2000, Rn. 28; Šešelj (IT-03-67), Trial Chamber, Decision on Oral Request of the Accused for Abuse of Process, 10. Februar 2010, Rn. 15 m. w. N.

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Dauer der Untersuchungshaft einer Bewertung dahingehend zu unterziehen, ob diese als übermäßig zu erachten ist.255 Zwar wird teilweise von einer Verzögerung gesprochen und separat hiervon deren Angemessenheit beurteilt. Ausführungen finden sich hingegen lediglich zu der Frage, ob die Dauer der Untersuchungshaft noch als angemessen angesehen werden kann; der Umstand einer Verzögerung wird nicht ausdrücklich hergeleitet. In Anlehnung an die eben dargestellte zweistufige Vorgehensweise sollte zu Zwecken der Präzisierung und Strukturierung gleichwohl eine solche Prüfung erwogen werden. Dies würde den Umgang mit der Rüge unangemessener Verfahrensdauer gerade vor dem Hintergrund der oftmals beschriebenen Schwierigkeiten der Tribunale erleichtern, da manche Rügen bereits auf der ersten Ebene ausscheiden würden. Legt man hierbei die aus dem deutschen Recht bekannte Grundrechtsdogmatik256 hilfsweise zu dem Zweck der Verdeutlichung zugrunde, ergeben sich für die exakte Verortung der beiden Prüfungsebenen folgende Parallelen: Die Feststellung, dass die Dauer des Verfahrens „übermäßig“ ist und es mithin zu einer Verzögerung im Verfahrensablauf kam, entspricht dem „Eingriff“ in den Schutzbereich des Rechts auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung. Die zweite Ebene, also die Frage der Angemessenheit der soeben festgestellten Verzögerung, betrifft die Frage der „Rechtfertigung“ dieses Eingriffs. Nur für den Fall, dass die Verzögerung in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles nicht als angemessen erachtet werden kann, liegt eine Verletzung der Rechte des Untersuchungshäftlings vor. Ist hingegen keine Feststellung dahingehend getroffen worden, dass die Verzögerung unangemessen sei, unterliegt der Eingriff (in Form der übermäßigen Verzögerung) der Rechtfertigung und ist daher nicht zu beanstanden. (2) Kriterien für die Beurteilung der „Angemessenheit“ Im Hinblick auf die Beurteilung der Angemessenheit fällt zunächst auf, dass im Vergleich zur Rechtsprechung des EGMR keine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung an sich stattfindet. Es wird nicht mit der Maßgabe auf mögliche Haftgründe verwiesen, dass diese geeignet und hinreichend seien, um überhaupt die Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Die Inhaftierung eines Angeklagten sei aufgrund des ergangenen Haftbefehls von vornherein als rechtmäßig zu erachten, da der Erlass des Haftbefehls wiederum durch die Bestätigung der Anklage 255 In einzelnen Entscheidungen werden „excessive“ und „unreasonable“ synonym verwendet, vgl. Blaškić (Fn. 251); Haradinaj et al. (IT-04-84), Appeals Chamber, Decision on Lahi Brahimaj’s Interlocutory Appeal against the Trial Chamber’s Decision Denying his Provi­ sional Release, 09. März 2006, Rn. 22 f.; Rwamakuba (ICTR-98-44C), Trial Chamber, Decision on Defence Motion for Stay of Proceedings, 03. Juni 2005, Rn. 26. 256 In der Form von einem Eingriff in den Schutzbereich und dessen möglicher Recht­ fertigung; dazu Pieroth/Schlink, Rn. 222 ff., 263 ff.; Epping, Rn. 38 ff.

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schrift legitimiert sei.257 Die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft wird demnach getrennt von der grundsätzlichen Frage der Rechtfertigung der Inhaftierung bewertet.258 Es sei darauf hingewiesen, dass es zu diesem Zweck auch an den Tribunalen keine starre zeitliche Grenze gibt, bei deren Überschreitung die Dauer der Untersuchungshaft als unangemessen anzusehen wäre. Einigkeit besteht dahin­ gehend, dass jede Verzögerung vielmehr anhand der Umstände des Einzel­falles zu beurteilen ist.259 Im Rahmen der Klärung dieser Frage sollen folgende Kriterien zu berücksichtigen sein: (1) die tatsächliche Dauer der Untersuchungshaft, (2) die Dauer der Untersuchungshaft im Verhältnis zur Natur des Verbrechens, (3) die physischen und psychologischen Konsequenzen der Haft auf den Häftling, (4) die Komplexität des Falles und der Ermittlungen, sowie (5) die Durchführung des gesamten Verfahrens. Dies galt zumindest dem JStGH zufolge in einer Entscheidung im Verfahren gegen Blaškić von 1996.260 Später wurden teilweise andere bzw. weitere Kriterien angeführt, so beispielsweise als ausdrückliche Faktoren das Verhalten des Angeklagten sowie der handelnden Behörden,261 der Umstand ungerechtfertigter Untätigkeit,262 die ausreichende Zuweisung finanziel-

257 Brđanin (IT-99-36-T), Trial Chamber, Decision on Motion by Momir Talić for Provisional Release, 28. März 2001 („The detention of an accused person is justified in accordance with the Tribunal’s procedures by the issue of the arrest warrant, which in turn is justified by the review and confirmation of the indictment which is served.“), unter Verweis auf Trial Chamber, Decision on Motions by M. Talić (1) to dismiss the Indictment, (2) for Release, and (3) for Leave to reply to Response of Prosecution to Motion for Release, 01. Februar 2000, Rn. 21 („According to the Tribunal’s ‚procedures […] established by law‘, therefore, the only actions by the Tribunal which are necessary to justify the detention of the accused are the review and the confirmation of the indictment and the issue of the arrest warrant. Article 19.2 of the Tribunal’s Statute makes it clear that it is the review and confirmation of the indictment which justifies the issue of the arrest warrant.“). 258 Dies erklärt sich vielleicht auch dadurch, dass – wie weiter unten noch ausgeführt werden wird – die Länge der Untersuchungshaft lediglich ein Faktor unter mehreren ist, der bei der Frage der Gewährung einer vorläufigen Haftentlassung in das Ermessen der entscheidenden Kammer mit einfließt. Der bestehende Tatverdacht sowie Haftgründe sind ebenfalls relevant, allerdings nicht im Hinblick auf die Frage der Angemessenheit der Dauer der Unter­ suchungshaft, sondern bei der Ermessensentscheidung über eine vorläufige Haftentlassung. 259 Mrđa (IT-02-59), Trial Chamber, Decision on Darko Mrđa’s Request for Provisional Release, 15. April 2002, Rn. 42; Karemera (ICTR-98-44-AR73), Appeals Chamber, Decision on Prosecutor’s Interlocutory Appeal Against Trial Chamber III Decision of 8 October 2003 Denying Leave to File an Amended Indictment, 19. Dezember 2003, Rn. 13, unter Verweis auf eine Entscheidung der Berufungskammer des JStGH im Fall Kovačević; Popović et al. (IT-05-88), Trial Chamber, Decision on Drago Nikolić’s Request for Provisional Release, 09. November 2005, Rn. 29. 260 Blaškić (IT-95-14), Trial Chamber, Order Denying a Motion for Provisional Release, 20. Dezember 1996. 261 Wobei sich diese Aspekte auch unter „(5) Durchführung des gesamten Verfahrens“ der zuerst genannten Kriterien subsumieren ließen. 262 Mrđa (Fn. 259), Rn. 42 („… no unjustified inertia …“).

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ler Mittel,263 die Dauer der Verzögerung,264 sowie – sofern vorhanden – der Schaden für den Angeklagten265 oder, für den Fall einer durch den Ankläger beabsichtigten Klageänderung, die Pünktlichkeit dieses Antrages.266 Ausdrücklich nicht zu den zu berücksichtigenden Kriterien gehört die Zwecksetzung der Tribunale.267 Folglich lässt sich feststellen, dass die Angemessenheit – wenn überhaupt – anhand einzelner Kriterien bewertet wird268 und jeweils von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Die Beurteilung anhand von einzelnen Kriterien stellt jedoch keine einheitliche Praxis dar. Teilweise wird in den Entscheidungen generell darauf verwiesen, dass – gemessen am Verhältnismäßigkeitsprinzip – die Dauer der Untersuchungshaft nicht unangemessen bzw. unverhältnismäßig sei.269 Ebenso werden Verfahrensverzögerungen vereinzelt am Grundsatz eines „fair trial“ bemessen, da das Recht eines Angeklagten auf eine zügige Verfahrensführung Bestandteil 263 Mrđa (Fn. 259), Rn. 42 („… no lack of adequate budgetary appropriations for the administration of criminal justice“). 264 Mugiraneza (ICTR-99-50-AR73), Appeals Chamber, Decision on Prosper Mugiraneza’s Interlocutory Appeal from Trial Chamber II Decision of 2 October 2003 Denying the Motion to Dismiss the Indictment, Demand Speedy Trial and for Appropriate Relief, 27. Februar 2004 („… the length of the delay …“). Der JStGH hat die in dieser Entscheidung angeführten Kriterien in Perišić aufgrund der Vergleichbarkeit dieser beiden Fälle übernommen und zur Beurteilung der – hier – „unangemessenen Verzögerung“ herangezogen, Perišić (IT-04-81-PT), Trial Chamber, Decision on Motion for Sanctions for Failure to Bring the Accused to Trial Without Undue Delay, 23. November 2007, Rn. 12 f. 265 Mugiraneza (Fn. 264), wobei im Rahmen dieser Beurteilung das oben unter (3) genannte Kriterium einfließen dürfte. 266 Karemera (Fn. 259), Rn. 15 („In assessing whether delay resulting from the Motion would be „undue,“ the Trial Chamber correctly considered the course of proceedings to date, including the diligence of the Prosecution in advancing the case and the timeliness of the Motion.“). 267 Mugiraneza (Fn. 264): „… the Trial Chamber erred in considering the factor of the fundamental purpose of the Tribunal in its determination of whether the delay was undue“. Dazu auch Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 121 f. 268 In Entscheidungen neueren Datums sind folgende fünf Kriterien als maßgeblich erachtet worden: (1) Die Dauer der Verzögerung, (2) die Komplexität des Verfahrens, (3) das Verhalten der Parteien, (4) das Verhalten der jeweiligen Behörden und (5) der Schaden für den Angeklagten, s. nur Perišić (Fn. 264), Rn. 12; Mugiraneza (ICTR-99-48), Trial Chamber, Decision on Prosper Mugiraneza’s Fourth Motion to Dismiss Indictment for Violation of Right to Trial Without Undue Delay, 23. Juni 2010. 269 Popović et al. (Fn. 259), Rn. 29 („The Trial Chamber thus considers that the length of pre-trial detention of the Accused at present is proportional to the circumstances of the case …“); Milošević (IT-98-29), Trial Chamber, Decision on Second Defence Motion for Provisional Release, 09. Februar 2006 („Considering that in light of the case-law of the Tribunal the Chamber must assess the length of pre-trial detention according to the principle of proportionality …“; „… the length of pre-trial detention cannot be considered excessive or unreasonable when there has been no significant delay in the proceedings.“) sowie auch Mrđa (Fn. 259), Rn. 43 („The Trial Chamber therefore concludes that the pre-trial detention of the accused is still proportional in its narrowest sense: this measure is suitable, necessary and its degree and scope remain in a reasonable relationship to the envisaged target.“).

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des Prinzips der Verfahrensfairness sei.270 Eine wichtige Rolle im Rahmen der Beurteilung kommt grundsätzlich auch der Rechtsprechung des EGMR und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zu. So wird beispielsweise in einer Entscheidung im Fall Perišić die Angemessenheit der Dauer eingehend anhand von einzelnen Kriterien unter stetem Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR untersucht.271 In anderen Fällen hingegen erfolgt ein pauschaler Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR oder des Menschenrechtsausschusses, ohne aber diese Entscheidungen im Einzelnen in die Beurteilung mit einzubeziehen. In solchen Entscheidungen der Tribunale wird die Angemessenheit lediglich mit dem Hinweis bejaht, dass die Dauer der Untersuchungshaft noch nicht die Zeiträume überschritten habe, die dem EGMR oder dem Menschenrechtsausschuss zufolge in Einzelfällen als zulässig erachtet wurden.272 Ein weiterer Faktor, der vereinzelt angeführt wird und in die Bewertung mit einfließt, ist die besondere Situation der Tribunale. Allein die Tatsache, dass die Fälle vor den Tribunalen sehr komplex sind273 und in erheblicher Entfernung vom eigentlichen Krisengebiet eingerichtet wurden, deutet bereits auf eine längere Dauer der gesamten Verfahren vor Gericht hin und ist angesichts der menschenrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen.274 Zu berücksichtigen seien auch die besonderen Umstände, unter denen die Tribunale operieren, so beispielsweise die Unfähigkeit zum Vollzug von Haftbefehlen, sofern der dort Bezeichnete nicht vor Gericht erscheint.275 270

Kovačević (Fn. 254), Rn. 31; Karemera (Fn. 259), Rn. 14 („Kovacevic stands for the principle that the right of an accused to an expeditious trial under Article 20(4)(c) turns on the circumstances of the particular case and is a facet of the right to a fair trial.“). 271 Perišić (Fn. 264), Rn. 16 ff., 20 ff., sowie auch Blaškić (Fn. 251). 272 Mrđa (Fn. 259), Rn. 43 („Here, the duration of Mr. Mrdja’s pre-trial detention to date has not yet exceeded those periods which the European Court of Human Rights or the Human Rights Committee has found to be reasonable for comparable cases of comparable weight in comparable circumstances.“); Krajišnik (IT-00-39), Trial Chamber, Decision on Momčilo Krajišnik’s Notice of Motion for Provisional Release, 08. Oktober 2001, Rn. 15 („It is noted, however, that the European Court of Human Rights has found that extensive periods of pretrial detention may be reasonable.“) und Rn. 22, oder Nyiramasuhuko (ICTR-97-21), Trial Chamber, Decision on the Motion for Separate Trials, 08. Juni 2001, Rn. 23 f. In Fällen, in denen ohne weitere Begründung bloß auf die Zeiträume verwiesen wird, die nach den Menschenrechten als angemessen erachtet werden können, ist eine Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalles – trotz teils vorherigem Verweis der Kammer auf die Notwendigkeit dieses Vorgehens – nicht gegeben. 273 Die Ermittlungen sowie die sich daran anschließende Strafverfolgung sind faktisch, rechtlich und politisch äußerst komplex, s. Cryer/Friman, S. 358. 274 Ademi (IT-01-46), Trial Chamber, Order on Motion for Provisional Release, 20. Februar 2002, Rn. 26 („The complexity of the cases before the Tribunal and the fact that the Tribunal is located at great distance from the former Yugoslavia means that pre-trial proceedings are often lengthy. This issue may need to be given particular attention in view of the provisions of Article 9(3) of the ICCPR and Article 5(3) of the ECHR.“). 275 Brđanin & Talić (Fn. 254), Rn. 27 („The Tribunal’s inability to execute arrest warrants upon persons in the former Yugoslavia to whom provisional release has been granted if they do not appear for trial has to be considered …“).

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Hieraus folgt, dass die Tribunale eben aufgrund dieser besonderen Umstände von einem anderen zeitlichen Rahmen ausgehen müssen, was die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens und somit auch der Untersuchungshaft anbelangt, und somit auch länger andauernde Zeitspannen der Untersuchungshaft als gerechtfertigt ansehen könnten. Diesbezüglich wird auch in wiederholtem Maße der Hinweis gegeben, dass die Praxis in nationalen Jurisdiktionen oder auch am EGMR unterschieden werden müsse von derjenigen der Tribunale.276 Dies ändert jedoch letztendlich nichts an dem Umstand, dass die bestehenden menschenrechtlichen Standards und die hierzu in der Praxis entwickelten Grundsätze als zwingendes Erfordernis – zumindest im Wege der menschenrechtskonformen Auslegung – Berücksichtigung finden müssen. (3) Die Beweislast bei der Rüge einer Verfahrensverzögerung In Anlehnung an die Ausführungen zur Frage der Beweislastverteilung im Zusammenhang mit den Menschenrechten ist festzustellen, dass eine solche Vor­ gehensweise grundsätzlich auch für die Tribunale übernommen worden ist. Demnach kommt es für die Entscheidung einer Kammer darauf an, ob der Vortrag des Verteidigers denjenigen des Anklägers zu entkräften vermag. Begründet dieses Vorbringen berechtigte Zweifel an der Darstellung des Anklägers, so entscheidet das Gericht zugunsten der Verteidigung.277 Die vermeintlich konsequente Einhaltung dieses Grundsatzes mag jedoch teilweise verwundern und auch zu miss­lichen Ergebnissen führen. So ist beispielsweise in Perišić die durch die Verteidigung gerügte unangemessene Verzögerung des Verfahrens abgelehnt worden, da diese die angeblichen Verzögerungen bedingt durch das Verhalten der An­ 276 Blaškić (Fn. 251); Brđanin & Talić (Fn. 254), Rn. 26 („… but care should be taken that too great a reliance [on the decisions of the European Court of Human Rights, Anm. d. Verf.] is not placed upon them as defining what is a reasonable length of pre-trial detention in an international criminal court or tribunal rather than in particular domestic jurisdictions in ­Europe.“); Milošević (Fn. 269), wobei die zuständige Kammer ausführte, dass sich zwar die grundlegenden rechtlichen Strukturen innerhalb der EMRK von denjenigen des Tribunals unterscheiden, die zugrundezulegenden Prinzipien – wie hier das Recht auf Freiheit – an beiden Gerichten aber die gleichen seien. 277 Dazu Kayishema & Ruzindana (ICTR-95-1), Appeals Chamber, Judgment, 01. Juni 2001, Rn. 113, sowie Rutaganda (ICTR-96-3), Appeals Chamber, Judgment, 26. Mai 2003, Rn. 172, 177 (Rn. 172: „The Appeals Chamber recalls that at the trial stage, the Trial Chamber limited itself to assessing the evidence presented by the parties. The Prosecutor must always prove the existence of the facts charged as well as the accused’s responsibil­ity therefor. The Defence, for its part, must produce evidence before the Chamber in support of its claims that the crimes charged cannot be imputed to the accused because of his alibi. However, in that case, the burden of proof is not shouldered by the Defence. It is merely required to produce evidence likely to raise reasonable doubt regarding the case of the Prosecution.“).

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klagebehörde nicht ausreichend nachgewiesen habe.278 Bezogen auf ein solches Vorbringen der Verteidigung, dass die Anklagebehörde das Verfahren verzögert habe, stellt sich jedoch die Frage, wie die Verteidigung Umstände nachweisen soll, die zum Tätigkeitsfeld der Anklagebehörde gehören und in deren Abläufe sie keinerlei Einblick hat. Für solche Fälle scheint eine Lösung in Abweichung von dem oben genannten Grundsatz geboten, da vorliegend die Beweislast von der Verteidigung rein faktisch nicht getragen werden kann. Hierzu bieten sich zwei Lösungsmöglichkeiten an. Einerseits könnte es in Situationen der vorliegenden Art ausreichen, die Verteidigung eine substantiierte Darlegung der Verzögerung seitens der Anklagebehörde vornehmen zu lassen, mit der Folge, dass sich die Beweislast umkehrt und es nunmehr der Anklagebehörde obliegt, den Vorwurf einer Verzögerung zu entkräften.279 Die zweite Möglichkeit bestünde darin, der Verteidigung nach substantiierter Darlegung der Vorwürfe Zugang zur Anklagebehörde und Einsicht in deren Verfahrensabläufe und Unterlagen zu gewähren. In diesem Fall müsste die Verteidigung den Beweis einer Verzögerung selber auf Grundlage der Einsicht in sämtliche Unterlagen der Anklagebehörde erbringen.280 Da 278 Perišić (Fn. 264), Rn. 29 („Therefore, the Chamber … holds that the Defence has not established the existence of a failure to bring the Accused to trial without undue delay.“). Weitere Fälle, in denen sich diese Konsequenz widerspiegelt, finden sich in Nyiramasuhuko (ICTR-97-21), Trial Chamber, Decision on the Prosecutor’s Request for Leave to Amend the Indictment, 10. August 1999, Rn. 21 (in Bezug auf eine beabsichtigte Änderung der Klageschrift, wobei die Verteidigung die befürchtete Verfahrensverzögerung – nach Ansicht der Kammer – nicht ausreichend dargelegt hat), sowie in Bizimungu et al. (ICTR-99-50), Trial Chamber, Decision on Prosper Mugiraneza’s Application for a Hearing or Other Relief on his Motion for Dismissal for Violation of his Right to a Trial Without Undue Delay, 03. November 2004, Rn. 33 (hier in Bezug auf den Schaden, den der Angeklagte durch eine Dauer der Untersuchungshaft von vier Jahren, sechs Monaten und 28 Tagen erlitten habe). 279 Für einen solchen Fall der Beweislastumkehr ist beispielhaft auf das deutsche Modell der Produzentenhaftung zu verweisen. Dazu führte der BGH im sog. „Hühnerpest“-Urteil aus, dass für einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB in der Regel der Geschädigte das Verschulden des Schädigers darzulegen und zu beweisen habe. Jedoch hinge „die Möglichkeit dieses Nachweises der subjektiven Voraussetzungen erheblich davon ab, inwieweit der Geschädigte den objektiven Geschehensablauf in seinen Einzelheiten“ aufklären könne (BGHZ 51, 91, 104). Dies sei aber „vor allem dann mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft, wenn es um Vorgänge geht, die sich bei der Herstellung des Produkts im Betriebe abgespielt“ hätten. Parallel zu der hiesigen Konstellation, dass es der Verteidigung in Ermangelung detaillierter Einblicke in die Vorgänge der Anklagebehörde nicht möglich sein dürfte, eine schuldhafte Verzögerung tatsächlich zu beweisen, ließe sich mit einer solchen Begründung die Beweislast umkehren und auf die Seite der Anklage verlagern. Ausführlich zur Darlegungs- und Beweislast des Produzenten s. Hager, in: Staudinger, BGB, § 823 Rn. F 43 ff., sowie Baumgärtel, in: JA 1984, 660 ff., und Schmidt-Salzer, in: NJW 1992, 2871 f. 280 Im Hinblick auf diese Lösungsmöglichkeit ließe sich ein Vergleich ziehen zum Modell der Produzentenhaftung in den USA. Dort wird versucht, die Überlastung des Geschädigten mit der Führung des Fehlerbeweises und dessen Beweisnot dadurch auszuräumen, dass ihm im Vorfeld des Verfahrens das Recht eingeräumt wird, Tatsachen aus der Sphäre des Be­ klagten eigenständig zu erforschen. Im Rahmen dieser sog. „pre-trial discovery“ wird dem Kläger die Beweisführung damit erleichtert, dass er Einblicke in die Geschehensabläufe des Produzenten erhält und sich somit durch gerichtliche Offenlegung der Akten der Gegenseite

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letztere Alternative mit weiteren Problemen verbunden sein dürfte, ist in Anlehnung an die zuerst genannte Möglichkeit eine Beweislastumkehr vorzuschlagen, sofern die Verteidigung eine Verfahrensverzögerung seitens der Anklagebehörde substantiiert darzulegen vermag.281 (4) Die Konsequenzen der Feststellung einer unangemessenen Haftdauer Die Feststellung überlanger Verfahrensdauer bzw. der Unangemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft im Einzelfall kann – theoretisch – zu einer vorläufigen Haftentlassung führen.282 Jedenfalls ist dies ein Faktor, der in die Ermessensentscheidung der Kammer darüber, ob der Inhaftierte nun in Konsequenz eines entsprechenden Antrages seinerseits vorläufig zu entlassen ist, mit einfließt.283 Die Kammern selber erkennen an, dass die Möglichkeiten, eine unangemessen lange Dauer der Untersuchungshaft zu kompensieren, begrenzt sind. In Ljubičić wurde dem Angeklagten in Anbetracht von über drei Jahren und sieben Monaten in Untersuchungshaft, wobei der Termin für den Beginn der Hauptverhandlung noch nicht genau feststand, eine mildere Maßnahme als Untersuchungshaft in Form von Hausarrest zugestanden.284 Angesichts der Entscheidung in Blaškić dürften sich die nötigen Beweise vom Beklagten beschafft. Ihm werden hierdurch in erheblichem Ausmaß Informations-, Einsichts- und Prüfungsrechte gewährt. s. dazu Pfeifer, S. 205 f. Ausführlich zum „pre-trial discovery“-Verfahren Mentz, in: RIW 1981, 73 ff., und von Hülsen, in: RIW 1982, 225 ff. Zu den möglichen Schwierigkeiten für den Kläger im Rahmen dieses Modelles s. Hare/Gilbert, in: American Journal of Trial Advocacy 12 (1989), 413 ff. (zu Verzögerungen durch die Gegenseite insbesondere S. 426 ff.). 281 Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn Zeugen vorhanden sind, die ohne Probleme geladen und gehört werden können, oder wenn sich der Angeklagte kooperationsbereit zeigt, diese Bereitschaft aber nicht genutzt wird, um das Verfahren in seinem regulären Gang fortzusetzen. 282 Generell sei anzumerken, dass es in den rechtlichen Grundlagen der Tribunale keine explizite Regelung gibt, die im Fall der Verletzung der Beschuldigten- bzw. Angeklagtenrechte eine Möglichkeit zur Kompensation vorsieht. Hierzu Beresford, in: Am. J. Int’l L. 96 (2002), 628 ff.; Acquaviva, in: Leiden J. Int’l L. 20 (2007), 613, 620 ff., 632; Michels, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 1, 6 f. 283 Krajišnik (Fn. 272), Rn. 22 („The Trial Chamber considers the length of pre-trial detention to be an important factor in the exercise of discretion in determining an application for provisional release.“); Mrđa (Fn. 259) Rn. 41, mit Verweis auf Ademi (Fn. 274), Rn. 26; Milošević (Fn. 269), Separate Opinion of Judge Antonetti. In früheren Entscheidungen hätte die Dauer der Untersuchungshaft das damals noch geltende Erfordernis der „außergewöhn­ lichen Umstände“ erfüllen können, Delalić (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release Filed by the Accused Zejnil Delalić, 25. September 1996, Rn. 30. 284 Ljubičić (IT-00-41), Trial Chamber, Decision on Second Application for Provisional ­Release, 26. Juli 2005, Rn. 34 („However, the Trial Chamber considers that in this case, in view of the substantial period of time spent in pre-trial detention, a more lenient measure than pre-trial detention in the United Nations Detention facilities may be more appropriately applied to the Accused, such as his placement under house arrest.“).

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die Möglichkeiten zur Kompensation mit einer solchen Hafterleichterung vorerst erschöpft haben, da die Kammer in diesem Fall die Modifizierung der Haftbedingungen – und hiermit eine Erleichterung von den üblichen Auswirkungen einer Inhaftierung auf den Angeklagten – unter anderem als Begründung dafür anführte, dass die Dauer der Freiheitsentziehung das angemessene Maß noch nicht überschritten habe.285 Obwohl die Belastungen für den Angeklagten mit einer solchen Hafterleichterung nicht vollkommen aufgehoben sind und sich die Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit fortsetzt, könnte man ein solches Zugutehalten von Haftmodifizierungen im Hinblick auf den vom EGMR gewählten Weg der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nachvollziehen. Den schlussendlich konsequentesten Weg in Form der Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft ist bis dato noch keine Verfahrenskammer gegangen.286 Neben der Einbeziehung der Dauer der Untersuchungshaft in das Ermessen bei der Entscheidung über eine vorläufige Haftentlassung kann die Verfahrensdauer noch in einem anderen Zusammenhang berücksichtigt werden. Gemeint ist hiermit die Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung aufgrund mannigfacher oder schwerer Verletzungen der Angeklagtenrechte nach der so genannten „abuse of process doctrine“. Konsequenz dieser Entscheidung wäre ebenfalls eine Ent­ lassung des Inhaftierten, allerdings beruhend auf einer anderen Entscheidungsgrundlage als der Ermessensausübung im Rahmen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO. Der „leading case“ in diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung der Berufungskammer im Verfahren gegen Jean-Bosco Barayagwiza vor dem RStGH.287 Die Kammer legte dar, dass nur eine Rechtsverletzung derartigen Ausmaßes eine solche Konsequenz nach sich ziehen könne, wenn (1) ein für den Angeklagten faires Verfahren nicht mehr möglich ist, in der Regel bedingt durch Verfahrensverzögerungen, und (2) wenn das Verfahren gegen den Angeklagten geschädigt

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Blaškić (Fn. 251): „Considering that the modification of the conditions of detention granted to the accused in part relieve the usual effects of incarceration. […] Considering, therefore, that the preventive detention of the accused does not exceed the reasonable time period …“ 286 Dazu auch Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 611. Dünnwald, S. 50, erachtet eine Entlassung wegen Verletzung der Beschleunigungsmaxime vor dem Hintergrund mangelnder Staatenkooperation als nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegend. Der schluss­ endlichen Konsequenz einer solchen Entscheidung würde aber auch dieses Defizit nicht abträglich sein. 287 Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999. In dieser Entscheidung sprach sich die Berufungskammer aufgrund mannigfacher Verletzungen der Rechte Barayagwiza’s (unter anderem wegen der Dauer des bisherigen Verfahrens) als Konsequenz dessen für eine Einstellung des Verfahrens sowie die Entlassung aus, s. Rn. 106. Die Bestätigung der Anklageschrift wurde verworfen. Bevor es allerdings zur tatsächlichen Entlassung kam, konnte der Ankläger wegen des Vorliegens neuer Tatsachen erfolgreich die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen; Appeals Chamber, Decision, 31. März 2000. Dazu Momeni, in: ILSA J. Int’l & Comp. L. 7 (2000–2001), 315, 320 ff.

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ist durch Umstände, die dem Gerechtigkeitssinn des Tribunals zuwiderlaufen.288 Des Weiteren wies die Berufungskammer darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, welche Institution des Tribunals für die Rechtsverletzung verantwortlich sei.289 Die Möglichkeit, auf eine Verfahrensverzögerung mit Konsequenzen zu reagieren, beschränkt sich demnach nicht lediglich auf durch den Ankläger verursachte Verzögerungen. Gleichwohl beziehen sich die meisten Rügen in der Praxis auf mutmaßliche Verzögerungen durch die Anklagebehörde als Initiator des Verfahrens.290 Vor allem die Zusammenführung mehrerer Verfahren („joinder of ­accused“) und die Änderung der Anklage stellen häufig einen Ansatzpunkt dar.291 Aber auch auf Seiten des Angeklagten werden Verzögerungstaktiken festgestellt, die oftmals mit der Wahl des Verteidigers zusammenhängen.292 Strebt der Angeklagte die Feststellung einer Verletzung seiner Rechte nach der „abuse of process doctrine“ an, obliegt ihm die Beweislast.293 Dieser Umstand dürfte unter anderen dazu beitragen, dass die Aussichten einer tatsächlichen Verfahrenseinstellung äußerst gering sind. (5) Die praktische Handhabung des Angemessenheitskriteriums Grundsätzlich wird die Dauer der Untersuchungshaft für angemessen be­funden. Die Zeitspannen divergieren je nach Zeitpunkt der Antragstellung durch die Verteidigung, so dass abhängig von den Umständen des Einzelfalles eine Untersuchungshaft von sechseinhalb Monaten Dauer294 ebenso angemessen sein kann wie die Dauer von 20 Monaten,295 von drei Jahren und sieben Monaten, da im Fall Ljubičić eine ausdrückliche Feststellung der Unangemessenheit gleichwohl nicht erfolgte, oder auch von vier296 oder annähernd fünf Jahren.297

288 Barayagwiza (Fn. 287), Rn. 75, 77; Karadžić (IT-95-5/18-I), Appeals Chamber, ­Decision on Karadžić’s Appeal on Trial Chamber’s Decision on Alleged Holbrooke Agreement, 12. Oktober 2009, Rn. 45. 289 Barayagwiza (Fn. 287), Rn. 73; Šešelj (Fn. 254), Rn. 20. 290 Dem Ankläger wird in diesem Zusammenhang eine besondere Sorgfaltspflicht auf­erlegt („duty of prosecutorial due diligence“), s. Barayagwiza (Fn. 287), Rn. 99. Ferner Bagosora (ICTR-96-7), Trial Chamber, Decision on the Prosecution Motion for Adjournment, 17. März 1998, Separate Opinion of Judge Yakov Ostrovsky on the Prosecution’s Motion for ­Adjournment, Rn. 9 f. 291 So bspw. in Bagosora (Fn. 290); Kovačević (Fn. 254); Rwamakuba (Fn. 255). Dazu auch Møse/Aptel, in: Vohrah et al., S. 554. 292 Kajelijeli (ICTR-98-44A), Appeals Chamber, Judgment, 23. Mai 2005, Rn. 244, 247. 293 Dazu Akayesu (ICTR-96-4), Appeals Chamber, Judgment, 01. Juni 2001, Rn. 340. 294 Kovačević (Fn. 254), Rn. 27. 295 Brđanin & Talić (Fn. 254), Rn. 26. 296 Nyiramasuhuko (Fn. 272), Rn. 21, 26. 297 Kanyabashi (ICTR 96-15-T), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion for the Provisional Release of the Accused, 21. Februar 2001.

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Die Verzögerungen sind auf verschiedene Faktoren zurückzuführen.298 Neben der Zusammenführung verschiedener Verfahren299 oder einer Änderung der Anklageschrift300 sind es hauptsächlich die besondere Komplexität der Verfahren und die Fülle an Beweismaterial,301 welche den Beginn der Hauptverhandlung bzw. deren Abschluss hinauszögern. Neben der Anklagebehörde ist gerade auch auf Seiten der Verteidigung eine hohe Anzahl an Anträgen zu verzeichnen, deren Be­arbeitung naturgemäß Zeit beansprucht.302 Mit diesen Feststellungen ist gleichwohl noch keine Aussage über die Angemessenheit dieser Verzögerungen getroffen worden. Häufig steht der Ankläger als Initiator für mögliche grundlegende Änderungen im Verfahrensablauf, wie beispielsweise einer Änderung der Anklage, im Mittelpunkt der Beurteilung, ob eine Verzögerung noch angemessen ist.303 Dies belegt der Ausspruch der Kammern, dass eine unangemessene Verzögerung dann angenommen wird, wenn sich die Anklagebehörde durch die Verzögerung einen taktischen Vorteil zu verschaffen sucht.304 Für den seltenen Fall, dass die Dauer der Untersuchungshaft als unangemessen beurteilt wird, bringt diese Feststellung kaum praktische Konsequenzen mit sich.305 Ein derart großes Gewicht, als dass im Rahmen der Ermessensausübung der Kammer eine vorläufige Haftentlassung ausgesprochen wird, kommt der Dauer der Untersuchungshaft in der Rechtsprechungspraxis nicht zu.

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Ausführlich Lahiouel, in: May et al., S. 202 ff. Nyiramasuhuko (Fn. 272), Rn. 23; Popović et al. (Fn. 259), Rn. 29. Dazu auch 5th Annual Report of the ICTR to the United Nations, 02. Oktober 2000, U. N. Doc. A/55/435 – S/2000/927, Annex II und III. 300 Kovačević (Fn. 254); Karemera (Fn. 259). Ferner Boas, S. 29 ff. 301 Perišić (Fn. 264); Šešelj (Fn. 254). In Bezug auf diesen Umstand ist die Hauptverfahrenskammer nach Art. 20 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 19 Abs. 1 ­RStGH-St. berufen, Maßnahmen zur Beschleunigung solcher „mega-trials“ zu ergreifen, s. Prlić et al. (IT-04-74), Trial Chamber, Decision on Adoption of New Measures to Bring the Trial to an End within a Reasonable Time, 13. November 2006, Rn. 16 ff. 302 Dazu Report of the Expert Group to Conduct a Review of the Effective Operation and Functioning of the ICTY and the ICTR, 22. November 1999, U. N. Doc. A/54/634, Rn. 70 ff. 303 Karemera (Fn. 259), Rn. 15. Hier ging es um eine grundlegende Änderung der Anklage und, für den Fall der Stattgabe des Antrags des Anklägers, die Folgen für den weiteren Verfahrensablauf. 304 Dazu Kovačević (Fn. 254), Rn. 32 („Delay which is substantial would be undue if it occurred because of any improper tactical advantage sought by the prosecution.“); Karemera (Fn. 259), Rn. 20; beide Entscheidungen beziehen sich auf den Antrag einer Änderung der Anklage. 305 Ndayambaje (ICTR-98-42), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion for the Provisional Release of the Accused, 21. Oktober 2002, Rn. 23 („A lengthy detention does not constitute in itself good cause for release.“), dazu auch Kanyabashi (ICTR-96-15), Appeals Chamber, Decision, 13. Juni 2001. 299

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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dd) Der zeitliche Geltungsbereich der Beschleunigungsmaxime Was den zeitlichen Geltungsbereich der Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. anbelangt, so erstreckt sich dieses Recht des Angeklagten auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung auf alle Stadien des Verfahrens, beginnend im Vorverfahren und mit einem Ende in der Berufungsphase.306 Über den genauen Zeitpunkt, ab dem diese Gewährleistung dem Angeklagten als Recht zusteht, lässt sich allerdings diskutieren. Hierbei sind zwei Möglichkeiten denkbar. Die erste Möglichkeit bestünde darin, den Moment der Festnahme als entscheidend anzusehen. Diese Lösung würde an die menschenrechtliche Praxis anknüpfen. Zum anderen wäre es auch denkbar, den Zeitpunkt der Überstellung an das Tribunal als zeitlichen Beginn der Geltung zu verstehen. Bedenkt man, dass die Verhaftung und die Konfrontation mit dem strafrechtlichen Vorwurf als Vorgänge im Gewahrsamsstaat dem Einfluss der Tribunale weitestgehend entzogen sind, so bliebe lediglich letztere Variante. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Festnahme in der Regel auf Ersuchen des Anklägers hin erfolgt. Selbst wenn die Person bereits in einem anderen Zusammenhang verhaftet worden sein sollte, obliegt jedoch dem Tribunal eine gewisse Verantwortung ab dem Zeitpunkt, zu dem der Ankläger gegen die Person im Hinblick auf ein mögliches Verfahren vor dem Tribunal vorgeht. Demnach ist die Angemessenheit der Dauer des Verfahrens ab dem Zeitpunkt zu bemessen, zu welchem der Angeklagte festgenommen wurde.307 Als Ende der Geltung der Gewährleistung ist von dem endgültigen Urteil mit Strafausspruch auszugehen,308 da es sich bei Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. schließlich um eine Gewähr­ leistung handelt, die das gesamte Verfahren betrifft. ee) Die Beschleunigungsmaxime bei vorläufiger Inhaftierung Hat die Person noch nicht den Status eines Angeklagten, sondern ist im Zuge einer vorläufigen Festnahme als Beschuldigter anzusehen, so gilt der Be­ schleunigungsgrundsatz der Art. 21 Abs. 4 lit. c) ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 4 lit. c) ­RStGH-St. streng genommen nicht. Dass dem Beschuldigten eine solch elementare Gewährleistung nicht zuteil wird, kann als „unfair“ erachtet werden. Man könnte zwar mit Regel 40bis (D) J­ StGH-VBO und dem dort festgelegten zeitlichen Rahmen von höchstens 90 Tagen argumentieren, die ein Beschuldigter vorläufig inhaftiert bleiben darf, ohne dass weder eine Anklage noch ein Haftbefehl vorliegt. So könnte man zu der Auffassung gelangen, dass der Beschuldigte aufgrund 306

Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 620, 647. Rwamakuba (Fn. 255), Rn. 24; Pandurević & Trbić (IT-05-86), Appeals Chamber, ­Decision on Vinko Pandurević’s Interlocutory Appeal against the Trial Chamber’s Decision on Joinder of Accused, 24. Januar 2006, Rn. 21. 308 Lahiouel, in: May et al., S. 200.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dieser zeitlichen Restriktion keiner speziellen Beschleunigungsmaxime bedürfe. Andererseits kann aufgrund der gebotenen Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalles auch bei einer Zeitspanne von höchstens 90 Tagen die Dauer der vorläufigen Untersuchungshaft für unangemessen befunden werden. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Schutz für den Beschuldigten lückenhaft ausgestaltet ist, da sich das Gebot besonderer Beschleunigung nicht auf diese Situation erstreckt. ff) Bewertung: Besondere Verfahrensbeschleunigung für Untersuchungshäftlinge? Insgesamt erfährt das Recht auf eine angemessene Dauer der Untersuchungshaft eine Wahrnehmung als „Scheinkonstrukt“. Es wird zwar als Recht des Angeklagten anerkannt, ist aber als solches nicht ausdrücklich normiert, sondern fließt aufgrund der zunächst obligatorischen Anordnung von Untersuchungshaft in das Recht auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung mit ein. Für den auf einer vorläufigen Basis inhaftierten Beschuldigten existiert dieses Recht nicht. Zum Zweiten fällt auf, dass die teils erhebliche Dauer von Untersuchungshaft der Rechtfertigung zugänglich gemacht wird, indem fast pauschal als Beurteilungskriterien für die Angemessenheit die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zugrunde gelegt werden. Mit einem Verweis auf die Schwere und Natur der Verbrechen, sowie der Umstände, unter denen das Tribunal seine Aufgaben zu erfüllen versucht, der Komplexität der Fälle und der Schwierigkeiten im Rahmen der Ermittlungen lässt sich auch eine über Jahre hinweg andauernde Untersuchungshaft für angemessen befinden. Das Recht auf ein zügiges Verfahren scheint zwar einen hohen Stellenwert in der Gerichtsorganisation einzunehmen.309 So ist durchaus das Bestreben zur Beschleunigung der Verfahrensabläufe erkennbar. Jedoch konnten auch diverse Bemühungen, wie die Einführung von ad litemRichtern, der erheblichen Verfahrensdauer bislang keine Abhilfe schaffen. Doch selbst, falls eine Verzögerung als unangemessen zu erachten ist, gilt für den – seltenen – Fall dieser Anerkennung, dass eine solche nicht zur Entlassung der Person aus der Haft führt. Vielmehr kommt es zu einer anderen Art von Kompensation in Form der Anordnung von Hausarrest als weiterer Möglichkeit des Freiheitsentzuges oder zur Herabsetzung des Strafmaßes.310 Demzufolge wird anerkannt, dass eine überlange Dauer der Untersuchungshaft zwar in die Entscheidung der Kammer über die Möglichkeit einer vorläufigen Haftentlassung als Faktor im Rahmen der Ermessensausübung mit einfließt, als Kriterium aber alleine nicht 309 Farrell, in: S. Afr. J. Hum. Rts. 19 (2003), 99, 114; Fairlie, in: Int’l Crim. L. Rev. 4 (2004), 243, 297 f. 310 So wurde beispielsweise für den Fall von Jean-Bosco Barayagwiza auf eine zeitige Freiheitsstrafe von 35 Jahren statt einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe erkannt, s. Judgment, 03. Dezember 2003, Rn. 1106 f.

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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ausreichend ist, um in der Konsequenz eine Entlassung aus der Untersuchungshaft zu bedingen. Auf der anderen Seite sind auch kollidierende Rechte mit zu berücksichtigen, die der möglichen vorläufigen Entlassung eines Angeklagten entgegenzusetzen sind. Als solche sind vor allem die Rechte von Opfern311 und Zeugen, sowie die Interessen der internationalen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Neben dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit, deren Geltung die Tribunale beanspruchen, widerspricht allerdings auch die Unschuldsvermutung als weiterer Parameter der Konzeption einer exzessiven Untersuchungshaft. Während die Unschuldsvermutung auf die Berücksichtigung eines eher allgemeinen Aspekts in dem Problemfeld der Untersuchungshaft hinausläuft, verschärft sich die Situation jedoch zusehends, sobald die Feststellung getroffen wird, dass die Untersuchungshaft tatsächlich bereits für einen unangemessen langen Zeitraum aufrecht erhalten wurde. Sofern also der Angeklagte bzw. sein Verteidiger nicht zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen hat, sondern diese Verzögerung auf das Verhalten anderer Institutionen zurückzuführen ist, kann in Konsequenz des soeben Ausgeführten lediglich eine vorläufige Haftentlassung die Folge sein. c) Der Anspruch auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung vor dem IStGH Auch in den Rechtsgrundlagen des IStGH ist das Recht auf ein beschleunigtes Verfahren verankert. Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. beinhaltet vom Wortlaut her zunächst für den Angeklagten das Recht auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung und ist somit deckungsgleich mit dem Text von Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR. Darüber hinaus finden sich diverse Vorschriften, die ihrem Inhalt nach daran ausgerichtet sind, zu einer zügigen Verfahrensführung anzuhalten.312 Spe­ ziell für eine Person in Untersuchungshaft ist neben dem allgemeinen Recht auf ein beschleunigtes Verfahren nach Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. zusätzlich Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. von Relevanz. Dieser enthält zum einen das Recht des Inhaftierten, nicht für einen unangemessen langen Zeitraum ohne entsprechende Konsequenzen inhaftiert zu sein, sofern diese Unangemessenheit auf Verzögerungen durch die Anklagebehörde zurückzuführen ist; zum anderen kommt die Verantwortung der Vorverfahrenskammer zum Ausdruck, zu einer zügigen Ver 311 In Bezug auf die Rechte der Opfer sehen sowohl der IStGH als auch die ECCC in Kambodscha als hybrides Gericht weitgehende Opferbeteiligungsmöglichkeiten vor. Zu diesen Möglichkeiten gehört im Hinblick auf die Untersuchungshaft das Recht von Opfern, aktiv am Haftprüfungsverfahren teilzunehmen, vgl. B. IV. 2. b). 312 So beispielsweise Art. 64 Abs. 2, 3 lit. a) ­IStGH-St. sowie die Regeln 84, 91 Abs. 3 lit. b), 101, 117 Abs. 3, 118 Abs. 1, 121 Abs. 6, 132 Abs. 2, 156 Abs. 4 IStGH-VBO. Allgemein zu den Problemen im Zusammenhang mit einer beschleunigten Verfahrensführung s. War Crimes Research Office, Expediting Proceedings at the International Criminal Court, Juni 2011.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

fahrensführung anzuhalten.313 Während diese Verpflichtung der Vorverfahrens­ kammer hier lediglich – und bedauerlicherweise – auf Verzögerungen durch die Anklagebehörde beschränkt wird, findet sich für die Hauptverfahrenskammer in Art. 64 Abs. 3 lit. a) ­IStGH-St. die umfassendere Verpflichtung, alle Parteien des Verfahrens zu einer zügigen Durchführung desselben anzuhalten. aa) Die rechtliche Grundlage der allgemeinen Beschleunigungsmaxime am IStGH: Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. Die grundlegende Verankerung des Rechtes auf ein Urteil ohne unangemessene Verzögerung findet sich in Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. Für den Fall, dass ein Haftbefehl gegen die betreffende Person erlassen wurde, folgt wie an den Ad-hocTribunalen die Untersuchungshaft zwingend der Überstellung an den Gerichtshof.314 Hieraus erklärt sich das – bei strenger Betrachtung auffallende – Fehlen einer den Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR entsprechenden Beschleunigungsmaxime speziell für Untersuchungshäftlinge. Insofern gilt auch für den Internationalen Strafgerichtshof, dass die Länge des Verfahrens zugleich mit der Dauer der Untersuchungshaft verbunden ist und es aus diesem Grund unter Umständen auch keiner speziellen Normierung bedarf.315 Art. 67 ­IStGH-St. – und hiermit die in Abs. 1 lit. c) verankerte Beschleunigungsmaxime – gilt gemäß Regel 121 Abs. 1 IStGH-VBO ab dem Zeitpunkt, zu dem die betreffende Person an den Gerichtshof überstellt und einem Richter vorgeführt wurde. bb) Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. als Ausprägung gebotener Beschleunigung bei Untersuchungshaft Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. bildet das Kernstück derjenigen Vorschriften, die zu einer zügigen Verfahrensführung anhalten.316 Zu letzteren zugehörig und vor allem im Zusammenhang mit Untersuchungshaft von Relevanz ist Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. Zwar ist diese Norm von ihrem Inhalt her nicht mit den men 313 Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 21; Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), ­ ppeals Chamber, Judgment in the Appeal by Mathieu Ngudjolo Chui of 27 March 2008 A against the Decision of Pre-Trial Chamber I on the Application of the Appellant for Interim Release, 09. Juni 2008, Rn. 14. 314 Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Vorverfahrenskammer eine Ladung an die betreffende Person ergehen lässt. Mit der Ladung können zwar ebenfalls nach Art. 58 Abs. 7 ­IStGH-St. freiheitsbeschränkende Maßnahmen verbunden sein, hiervon ist der Freiheits­ entzug allerdings ausdrücklich ausgenommen. 315 Zu weiteren Ausführungen oben, B. II. 5. b). 316 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the decision of Pre-Trial Chamber I entitled „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, 13. Februar 2007, Rn. 98.

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schenrechtlichen Vorgaben gleichzusetzen. Ihr kommt allerdings eine zentrale Bedeutung zu, wenn es um die Dauer von Untersuchungshaft und Verzögerungen im Verfahrensablauf geht. (1) Der Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. Obwohl Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. von seiner Formulierung her eher die Vor­ verfahrenskammer zu verpflichten sucht, als dass ein Recht des Inhaftierten normiert wird, scheint hierdurch die Lücke, die durch das Fehlen einer speziellen Beschleunigungsmaxime entstanden ist, bei genauer Betrachtung geschlossen zu werden. Durch diese Vorschrift wird zumindest verdeutlicht, dass die Person in Untersuchungshaft einen Anspruch auf ein beschleunigtes Verfahren hat und dass sein Freiheitsentzug nicht von unangemessener Dauer sein darf. Da sich in den Reglementierungen der Ad-hoc-Tribunale kein Pendant zu einer solchen Vorschrift findet, wird hierdurch zugleich die Fortschrittlichkeit des Römischen Statuts in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebracht. Übertragen auf die Ebene der Menschenrechte handelt es sich bei Art. 60 Abs. 4 I­StGH-St. um die Normierung des Gebotes, bei der Durchführung des Verfahrens eine „besondere Sorgfalt“ („special diligence“) anzuwenden. Bedauerlicherweise ist der Anwendungsbereich der Vorschrift zum einen dem Wortlaut nach beschränkt auf den Zeitraum vor der Hauptverhandlung („prior to trial“), und zum anderen auf unentschuldbare Verzögerungen durch die Anklagebehörde. Weitere Verfahrensbeteiligte und deren Handhabung in der Verfahrensführung sind nicht der diesbezüglichen Aufsicht der Vorverfahrenskammer unterworfen. Zumindest aber die Anklagebehörde wird durch Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. dazu angehalten, unentschuldbare Verzögerungen zu vermeiden. Zieht man hilfsweise die Parallele zur deutschen Grundrechtsdogmatik,317 wird die Ausgestaltung von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. als restriktive und strenge Regelung deutlich. Zu Zwecken der Einheitlichkeit und Verdeutlichung der jeweiligen Unterschiede wird auch hier für die Ebene des „Grundrechtseingriffs“ auf das Kriterium einer „Verzögerung“ abgestellt. Diese Ebene wird bislang in der Rechtsprechung nicht thematisiert, da lediglich auf die „Dauer der Untersuchungshaft“ insgesamt abgestellt wird. Die Haftdauer steht allerdings in Zusammenhang mit der Frage der „Unangemessenheit“, welche nach dem oben zugrundegelegten Schema die Ebene der „Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs“ darstellt. Es bleibt also dabei, dass sich der Frage einer Verzögerung nicht gewidmet wird, sondern dass umgehend die Frage der Angemessenheit gestellt wird.318 Zusätz 317 So schon B. II. 5. b) cc) (2): Dem „Eingriff“ entspricht die Feststellung einer Verzögerung, wohingegen die Beurteilung der Angemessenheit dieser Verzögerung die Frage der „Rechtfertigung“ betrifft. 318 Das bedeutet, dass die Rechtfertigung eines Eingriffs thematisiert wird, ohne vorher einen Eingriff explizit festgestellt zu haben.

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lich ist eine weitere Stufe in das Schema einzufügen: diejenige der „unentschuld­ baren Verzögerung seitens des Anklägers“. Diese Einschränkung verbleibt ohne entsprechendes Pendant. Der soeben beschriebene Maßstab ist strenger als derjenige, der durch die Menschenrechte vorgesehen ist. Denn neben der dem Beschleunigungsgrundsatz immanenten Beurteilung der Angemessenheit, die auch hier nach bekannten Kriterien stattfindet,319 sind an die Verzögerung nur dann Rechtsfolgen nach Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. zu knüpfen, wenn diese zusätzlich unentschuldbar durch die Anklagebehörde verursacht wurde. (2) Die Feststellung der unangemessenen Haftdauer aufgrund einer schuldhaften Verzögerung durch den Ankläger nach Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. Die Prüfung, ob es durch eine schuldhafte Verzögerung des Anklägers zu einer unangemessenen Haftdauer gekommen ist, vollzieht sich der Rechtsprechungspraxis zufolge in zwei Schritten.320 In einem ersten Schritt beurteilt die Vorverfahrenskammer, ob die Dauer der Untersuchungshaft „unangemessenen“ ist. Die zeitlichen Beschränkungen für die Dauer der Untersuchungshaft, wie sie in den Vorläufern des Römischen Statuts verankert waren,321 sind letztendlich nicht in das Statut übernommen worden. Die Beurteilung der Angemessenheit richtet sich somit auch hier nach diversen Kriterien. Wurde die Unangemessenheit im Posi­ tiven festgestellt, ist zweitens die Frage zu erläutern, ob dieser Umstand durch eine schuldhafte Verzögerung der Anklagebehörde verursacht wurde. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass auf eine mögliche Verzögerung durch den Ankläger nicht mehr einzugehen ist, wenn schon die Dauer der Untersuchungshaft nicht für un­ angemessen befunden wird.322 (a) Inhaltliche Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit Für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft sind keine differenzierten Kriterien erkennbar. Zwar wird vereinzelt in Anträgen 319

s. dazu B. II. 5. c) bb) (2) (a). Diese Vorgehensweise ist nicht zu verwechseln mit den Ausführungen zu der vorgeschlagenen „zweistufigen Prüfung“ im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Tribunalen, s. B. II. 5. b) cc) (1). Anders als dort ist nach Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. die Dauer der Untersuchungshaft insgesamt der Frage zu unterziehen, ob diese unangemessen ist. Die Verzögerung wird sodann erst im Hinblick auf die Handhabung durch die Anklagebehörde bedeutsam. Dazu Lubanga (Fn. 316), Rn. 124. 321 Khan, in: Triffterer, Art. 60 Fn. 49 mit weiteren Hinweisen. 322 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Review of the „­Decision on the Conditions of the Pre-Trial Detention of Germain Katanga“, 18. August 2008, S. 13. 320

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der Verteidigung über Art. 21 Abs. 3 ­IStGH-St. auf die Vorgehensweise des EGMR verwiesen,323 oder aber seitens der Anklagebehörde das „Interesse der Gerechtigkeit“324 bzw. die spezifischen Kriterien des EGMR325 angeführt. Diese Beurteilungsmaßstäbe finden sich allerdings in Entscheidungen der jeweils zuständigen Verfahrenskammer nicht wieder. So wird hier – wie auch an den ­Ad-hoc-Tribunalen – lediglich darauf abgestellt, dass die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft nicht abstrakt beurteilt werden könne, sondern abhängig sei von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles.326 Stark betont wird in diesem Zusammenhang die Komplexität der Verfahren vor dem Gerichtshof, welche zwecks Beurteilung der Angemessenheit berücksichtigt werden müsse.327 Dies gelte – entgegen der Auffassung der Verteidigung328 und unter Verweis auf die Rechtsprechung des JStGH und des RStGH – trotz des Umstandes, dass internationale Strafverfahren grundsätzlich komplex seien. Darüber hinaus wird teilweise auch die Feststellung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft mit der Begründung versehen, dass die Dauer der Untersuchungshaft im konkreten Einzelfall noch nicht per se als unangemessen beurteilt werden könne.329 Dies erinnert an den pauschalen Verweis der Ad-hoc-Tribunale, der EGMR habe bereits längere Zeitspannen der Untersuchungshaft für angemessen befunden, und entbehrt jeglicher Begründung. Ein weiteres Beispiel für die fehlende Einheitlichkeit in der Rechtsprechung der Kammern stellt die bereits oben erwähnte Entscheidung im Fall gegen Katanga und Ngudjolo Chui dar, die Angemessenheit anhand einer Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und dem Recht auf persönliche Freiheit des Einzelnen zu bewerten.330 So reicht für die Angemessenheit bereits aus, dass das Verfahren in Übereinstimmung mit dem durch die Reglementierungen vorgegebenen zeitlichen Rahmen abgelaufen ist.331 323

So beispielsweise in Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Request for Further Information Regarding the Confirmation Hearing and for Appropriate Relief to Safeguard the Rights of the Defence and Thomas Lubanga Dyilo, 20. September 2006, Rn. 38–45. 324 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Prosecution’s Response to the Defence Request for Interim Release, 09. Oktober 2006, Rn. 7. 325 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Prosecution’s Submissions on the Pre-Trial Detention of Thomas Lubanga Dyilo in Light of the Appeals Chamber’s Judgment of 21 October 2008, 31. Oktober 2008, Rn. 17. 326 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Application for the Inte­r im Release of Thomas Lubanga Dyilo, 18. Oktober 2006, S. 7. 327 Lubanga (Fn. 326), S. 7; ders. (Fn. 316), Rn. 123. 328 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Defence Appeal Against the „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, 26. Oktober 2006, Rn. 43 f. 329 So beispielsweise Lubanga (Fn. 316), Rn. 122. 330 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Second Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 19. November 2008, Rn. 19; Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Second Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, 11. Juni 2007, S. 7. Das öffentliche Interesse wird in diesen Fällen begründet mit dem Vorliegen von Haftgründen (Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr). 331 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 322), S. 13.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Letztendlich können der Beurteilung der Angemessenheit keine anderen Kriterien zugrundeliegen als diejenigen der Komplexität des Verfahrens sowie der Schwierigkeit des Falles. Auf das Verhalten der Beteiligten, wie in der Rechtsprechung des EGMR, kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen, da es auf die Handhabung zumindest durch die Anklagebehörde erst im Verlauf des nächsten Abschnittes ankommt. Für die Frage der Angemessenheit bleibt es bei den benannten Kriterien, so dass es für die Beurteilung hauptsächlich auf Verhältnis­ mäßigkeitserwägungen ankommt. (b) Die „unentschuldbare Verzögerung“ durch den Ankläger Sollte eine unangemessene Dauer der Untersuchungshaft durch die Vorverfahrenskammer festgestellt worden sein, muss diese zusätzlich auf einer unentschuldbaren Verzögerung durch den Ankläger beruhen. Eine „Verzögerung“ bedeutet in diesem Zusammenhang das Versäumnis, den Verfahrensablauf zügig voranzutreiben.332 Maßgeblich für die Bewertung einer Verzögerung ist zunächst, dass es um Vorgänge geht, die im Verantwortungsbereich der Anklagebehörde liegen. Hat der Ankläger keinen Einfluss auf den Vorgang, der zu der Verzögerung geführt hat, so liegt dies außerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. Unter einer unentschuldbaren Verzögerung wird eine Verzögerung verstanden, bei der es keine vernünftige Erklärung für das Verhalten gibt, das zu dieser Verzögerung geführt hat.333 Dieser Terminus wird teilweise als zu unbestimmt kritisiert, so dass sich nicht klar definieren ließe, wann eine Verzögerung als unentschuldbar anzusehen sei.334 Die Maßgabe der „vernünftigen“ Erklärung lässt sich allerdings als graduelles Differenzierungskriterium begreifen, wovon alle Umstände, die einer sachlichen Rechtfertigung zugänglich sind, erfasst sein sollen.335 Bei genauer Betrachtung ist dieses Kriterium demnach nicht zu unbestimmt, sondern bringt schlichtweg zum Ausdruck, dass ein sachlicher Grund336 für das Verhalten der Anklagebehörde gegeben sein muss. 332 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 313), Rn. 14 („… delay in this context signifies a failure to take timely steps to move the judicial process forward, as the ends of justice may demand.“). 333 Lubanga (Fn. 325), Rn. 28 („A delay is inexcusable if there is no reasonable excuse, explanation or justification for the conduct that caused the delay.“). 334 Dazu Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 19. 335 Die Schwelle zur Verwirklichung dieses Kriteriums ist durch ein solches Verständnis recht niedrig angesetzt. Zur Veranschaulichung kann in diesem Zusammenhang hilfsweise auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Drei-Stufen-Theorie zu Art. 12 GG verwiesen werden, bei welcher auf der ersten Stufe der Berufsausübungsregelungen „vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls“ ausreichen, um den Eingriff zu rechtfertigen. Bei der Bestimmung dieser „vernünftigen Erwägungen“ ist auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte abzustellen; die Schwelle für eine Rechtfertigung ist demnach eher niedrig, vgl. BVerfGE 7, 377, 405 f. 336 Vgl. auch Black’s Law Dictionary zu „inexcusable neglect“ („Unjustifiable neglect; ­neglect that implies more than unintentional inadvertence.“).

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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Die Aufgabe der näheren Konkretisierung fällt den Richtern am IStGH zu. Dabei ist darauf zu achten, den Maßstab für eine solche unentschuldbare Verzögerung nicht allzu streng auszugestalten. Da Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. auch eine Disziplinierungsfunktion zukommt, würde dieses Ziel bei zu hohen Voraussetzungen verfehlt. (3) Der maßgebliche Zeitraum für die Beurteilung der Angemessenheit Die Zeitspanne, die bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft zugrunde gelegt wird, beginnt mit der Überstellung des Betreffenden an den Gerichtshof.337 Dies gilt zumindest dann, wenn die Inhaftierung im Gewahrsamsstaat vor der Überstellung an den Gerichtshof nicht in Zusammenhang mit dem späteren Verfahren vor dem IStGH steht.338 Andernfalls ist wie auch an den Ad-hoc-Tribunalen auf den Zeitpunkt der Festnahme abzustellen. Für das Ende des Geltungsbereichs dieser Vorschrift sieht Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. selbst vor, dass (1) nur die Vorverfahrenskammer erwähnt wird und (2) nur der Zeitraum vor Beginn der Hauptverhandlung mit umfasst sein soll („prior to trial“). Demnach gilt Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. zumindest bis zur Entscheidung über die Bestätigung der Anklage. Im Anschluss hieran sieht Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. die Bildung einer für den Fall zuständigen Hauptverfahrenskammer vor, welche das Verfahren anstelle der Vorverfahrenskammer fortführt. Da die Hauptverfahrenskammer aber gemäß Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. jede Aufgabe der Vorverfahrenskammer wahrnehmen kann, ist es jedenfalls vertretbar, den Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. bis zum Beginn der Hauptverhandlung zu er­strecken. Schließlich kann es auch in diesem Zeitraum zu Verzögerungen kommen, gegen die der nunmehr Angeklagte zu schützen ist. (4) Die Ermessensentscheidung der Kammer als Rechtsfolge von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. Als rechtliche Folge einer unentschuldbaren Verzögerung seitens der Anklagebehörde sieht Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. die mögliche Entlassung des Betroffenen aus der Haft vor. Diese Entscheidung liegt dem Wortlaut der Vorschrift zufolge – ebenso wie die Entscheidung, ob die Entlassung mit oder ohne Auflagen 337

Lubanga (Fn. 326), S. 7. Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. T ­ homas Lubanga Dyilo against the Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to Article 19 (2) of the Statute of 3 October 2006, 14. Dezember 2006, Rn. 42, 44. Die Vorgänge im Gewahrsamsstaat können lediglich dann relevant sein, wenn sie zu­gehörig sind zum „process of bringing the appellant to justice for the crimes that form the subjectmatter of the proceedings before the Court“ (Rn. 44). 338

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zu erfolgen hat – im Ermessen des Gerichts („shall consider“). Im Gegensatz zu Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR beinhaltet Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. somit eine restriktiver ausgestaltete Rechtsfolge. Gleichwohl fällt auf, dass für den allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz nach Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. keine entsprechende Rechtsfolge vorgesehen ist.339 Es bliebe hier lediglich ein allgemeiner Anspruch auf Entschädigung nach Art. 85 Abs. 1 ­IStGH-St. für eine unrechtmäßige Inhaftierung. (5) Das Verhältnis von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. und Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Für das Verhältnis von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. zu Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. und den Bedingungen für die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Unter­ suchungshaft nach Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. betont der Gerichtshof, dass die beiden Absätze von Art. 60 ­IStGH-St. unabhängig voneinander zu betrachten sind. Hiermit ist gemeint, dass die Vorverfahrenskammer auch dann eine vorläufige Haftentlassung in Betracht ziehen soll, wenn zwar die Haftgründe nach Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. weiterhin vorliegen, die Anklagebehörde den Fortgang des Verfahrens aber unentschuldbar verzögert hat.340 Dies hat zur Folge, dass die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft nicht einer derartigen Prüfung zu unterziehen ist, wie sie der EGMR praktiziert. Vielmehr kommt es für die Frage, ob das Verfahren aufgrund von Verzögerungen seitens der Anklagebehörde in Konsequenz dessen eine unangemessene Dauer aufweist, allein auf das Kriterium der „unentschuldbaren Verzögerung“ („inexcusable delay“) an. Das Vorliegen von Haftgründen nach Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St., auf die Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. Bezug nimmt und die beispielsweise der EGMR in einem ersten Schritt prüft, ist für die Beurteilung dieser Frage irrelevant. Dies führt auch die Anklagebehörde als logische Konsequenz des bestehenden Systems der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft und vorläufiger Haftentlassungen an, da bei einem Wegfall der Voraussetzungen nach Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. der Inhaftierte bereits auf Grund dessen entlassen werden müsse.341 Streng genommen ist somit das Vorliegen von Haftgründen für die Beurteilung der Angemessenheit an sich irrelevant. Die Kammer hat sich im Vorfeld der Prüfung nach Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. aber anzunehmender Weise gleichwohl davon zu überzeugen, dass die Haftgründe weiterhin 339

Dies deckt sich allerdings, möchte man den Wortlaut einem Vergleich mit den Menschen­ rechten unterziehen, mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. c) IPbpR und dem dort normierten allgemeinen Beschleunigungsgebot. 340 Lubanga (Fn. 316), Rn.120; Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision Concerning Observations on the Review of the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 24. Januar 2008, S. 2. 341 So Lubanga (ICC-01/04-01/06), Prosecution’s Response to Defence Appeal Against the ‚Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire Thomas Lubanga Dyilo‘, 01. No­ vember 2006, Rn. 19 f.

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vorliegen, ansonsten könnte die weitere Prüfung einer eventuellen Haftentlassung auf Grundlage von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. bereits entfallen. Grundsätzlich sei das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. aber nicht als Bedingung im strengen Sinne für die Feststellung einer Verzögerung im Sinne von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. zu verstehen. Der Grundsatz, dass die Haftgründe für die Frage der unangemessenen Dauer irrelevant seien, ist jedoch zu relativieren. In einer späteren Entscheidung im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo Chui hat die Vorverfahrenskammer unter Verweis auf den EGMR für die Beurteilung der Angemessenheit eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Grundsatz der persönlichen Freiheit zugrundegelegt.342 Maßstab für das „öffentliche Interesse“ seien jedoch diejenigen Umstände, auf die die Kammer an vorheriger Stelle Bezug nahm, um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu begründen. Bei genauer Betrachtung ergibt sich hieraus letztendlich eine Berücksichtigung der Haftgründe bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft. Zwar fließen diese nicht explizit in die Bewertung mit ein, allerdings sind sie als Faktor im Rahmen der Abwägung über das Merkmal des „öffentlichen Interesses“ relevant. Insofern lässt sich die Unabhängigkeit der beiden Absätze im Rahmen von Art. 60 ­IStGH-St. zwar aufrecht erhalten. Das Gericht kommt jedoch bei dieser Vor­gehensweise nicht umhin, bei der Beurteilung der Angemessenheit die Haftgründe mit einzubeziehen. (6) Das Verhältnis von Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. und Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Auch im Verhältnis zu Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. ist Abs. 4 als unabhängig anzusehen: Während sich Abs. 3 auf einen speziellen zeitlichen Abschnitt bezieht und eine Pflicht zur Überprüfung in regelmäßigen Abständen normiert sowie diese Entscheidung in Kontext setzt zu einem vorhergehenden Beschluss, ist bei Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. der gesamte Zeitraum der Untersuchungshaft in die diesbezüglich allumfassende Beurteilung mit einzubeziehen.343 Hierzu führt Richter Pikis in einem Sondervotum aus, dass auch Art. 60 Abs. 4 I­StGH-St. im Lichte international anerkannter Menschenrechte auszulegen und anzuwenden sei und dem Gericht die vorrangige Pflicht auferlege, das Vorverfahren dahingehend zu überwachen und Verzögerungen abzuwenden.344

342

Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 322), S. 12. Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision Concerning Observations on the Review of the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 09. Juli 2008, S. 4. 344 Lubanga (Fn. 316), Separate Opinion of Judge Georghios M. Pikis, Rn. 22. 343

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cc) Die Beschleunigungsmaxime in Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. im Hinblick auf eine Einstellung des Verfahrens Mit dem Beginn des Hauptverfahrens gegen den Angeklagten wird die Gewährleistung aus Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. insbesondere im Hinblick auf eine Einstellung des Verfahrens345 zunehmend relevant. Am 13. Juni 2008 ordnete die Hauptverfahrenskammer im Verfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo die Einstellung des Verfahrens für unbestimmte Zeit an. Anlass war das Versäumnis der Anklagebehörde, potentiell entlastendes Beweismaterial an die Verteidigung zu übermitteln. Aufgrund dieser Verfahrenseinstellung hat die zuständige Hauptverfahrenskammer am 02. Juli 2008 entschieden, Lubanga vorläufig aus der Haft zu entlassen. Zwar würde sich durch die Einstellung des Verfahrens das Vorliegen von Haftgründen nach Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. nicht ändern, gleichwohl könne die Untersuchungshaft in einem solchen Fall nicht mehr mit der Begründung aufrecht erhalten werden, die Anwesenheit des Angeklagten vor Gericht sichern zu wollen. Im Fall der Verfahrenseinstellung liefe eine fortdauernde Untersuchungshaft auf eine rein präventive Maßnahme in Form der Verhinderung der Begehung weiterer Verbrechen hinaus, da die rechtfertigende Grundlage für die weitere Inhaftierung weggefallen sei.346 In der darauffolgenden Entscheidung der Berufungskammer entschied diese jedoch, dass – auch im Hinblick auf das Recht des Angeklagten, innerhalb einer angemessenen Zeit verurteilt zu werden – unterschieden werden müsse zwischen einer vorläufigen, bedingten Verfahrenseinstellung (wie im vorliegenden Fall) und einer endgültigen Verfahrenseinstellung. Für ersteren Fall sei der Gerichtshof nicht auf Dauer daran gehindert, seine Gerichtsbarkeit über die angeklagte Person auszuüben, so dass die Haftentlassung des Betreffenden nicht zwingende Konsequenz sei.347 Die Kammer habe lediglich dafür Sorge zu tragen, dass das Recht des Angeklagten auf ein beschleunigtes Verfahren nicht verletzt werde. Auf der Grundlage dessen, dass die Hauptverfahrenskammer die Vorläufigkeit der Verfahrenseinstellung nicht berücksichtigt habe, lehnte die Berufungskammer eine vorläufige Haftentlassung Lubangas mit obiger Begründung ab. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht auch bei einer vorbehaltlichen Einstellung des Verfahrens – immerhin auf unbestimmte Zeit – eine vorläufige Haftentlassung in Betracht zu ziehen wäre.348 Jede Verfahrenseinstellung, gleich welcher Art, hat zur Folge, dass das Verfahren gegen den Angeklagten nicht weiter 345

„Stay of proceedings“. Lubanga (ICC-01/04-01/06), Trial Chamber, Decision on the Release of Thomas Lubanga Dyilo, 02. Juli 2008, Rn. 30, 34. 347 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecutor Against the Decision of Trial Chamber I entitled „Decision on the Release of Thomas Lubanga Dyilo“, 21. Oktober 2008, Rn. 37. 348 Dazu auch Lubanga (Fn. 347), Dissenting Opinion of Judge Georghios M. Pikis, Rn.  13 ff. 346

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betrieben und somit verzögert wird. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass, wie im vorliegenden Fall, das Verfahren aus Gründen der Fairness gegenüber dem ­Angeklagten unterbrochen wurde. Indem man sich gegen eine vorläufige Haftentlassung ausspricht, verlängert man den Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen, ohne dass dieser verantwortlich für die Vorgänge ist, oder gar einen Einfluss auf sie auszuüben vermag. Des Weiteren ist der Sinn und Zweck von Untersuchungshaft, welcher in der Sicherung der Anwesenheit des Angeklagten vor Gericht liegt, bei einer solchen Unterbrechung des Verfahrens nicht mehr gewährleistet. Dies gilt gerade auch für den Fall, in dem das Verfahren auf eine unbestimmte Zeit eingestellt wurde. Es mag zwar in der Zukunft weiter betrieben werden, allerdings muss ein aktueller Bezug gewährleistet sein zwischen dem Grund der Inhaftierung und ihrem Zweck. Soll die Haft bezwecken, dass das Verfahren gegen den Angeklagten durchgeführt werden kann, so fehlt dem Gericht die Berechtigung zur weiteren Inhaftierung, wenn dieser Zweck – sei es auch nur vorübergehend – außer Kraft gesetzt ist. Die Aufrechterhaltung käme einer rein präventiven Haft gleich, für welche jegliche rechtliche Grundlage fehlt. Die Untersuchungshaft kann zwar aus bestimmten Gründen (wie sie in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. zu finden sind) aufrecht erhalten werden. Entfällt jedoch deren Zwecksetzung in Form der Durchführung des Strafverfahrens, kann und darf es aus menschenrechtlicher Perspektive gesehen keine andere Folge geben, als den Angeklagten vorläufig aus der Haft zu entlassen. Dies gebietet zum einen das Beschleunigungsgebot. Zum anderen hat der Angeklagte streng genommen bis zu einem rechtskräftigen Urteil immerhin als unschuldig zu gelten; ein Grundsatz, der bei einer solchen Praxis ebenfalls nicht mehr als unverletzt angesehen werden kann. Zudem besteht neben dem Recht des Angeklagten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist zusätzlich nach Art. 64 Abs. 2 I­StGH-St. die Verpflichtung des Gerichts, dafür Sorge zu tragen, dass das Verfahren zügig und fair betrieben wird.349 Weder die eine noch die andere Vorgabe dürfte durch die Aufrecht­ erhaltung der Untersuchungshaft erfüllt werden.350 Bereits zwei Jahre später hatte sich die Hauptverfahrenskammer erneut mit der Entscheidung über eine Entlassung Lubangas aus der Untersuchungshaft aufgrund einer Einstellung des Verfahrens351 auseinanderzusetzen. In einer mündlichen Entscheidung vom 15. Juli 2010 befanden die Richter dahingehend, dass die 349 In seiner abweichenden Meinung führt Richter Pikis diesbezüglich aus, dass die Formulierung „zügig“ („expeditious“) sogar einen strengeren Maßstab setze als das Beschleunigungsgebot selber, Rn. 15. 350 Richter Pikis spricht für den vorliegenden Fall von einem Widerspruch in sich, wenn das Verfahren zügig durchgeführt werden soll, nachdem es zu einer vorläufigen Einstellung kam, bedingt durch die Unmöglichkeit, ein faires Verfahren zu gewährleisten. Lubanga (Fn. 347), Dissenting Opinion of Judge Georghios M. Pikis, Rn. 15. 351 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Trial Chamber, Redacted Decision on the Prosecution’s Urgent Request for Variation of the Time-Limit to Disclose the Identity of Intermediary 143 or Alternatively to Stay Proceedings Pending Further Consultations with the VWU, 08. Juli 2010.

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zuvor ergangene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens in der Konsequenz die Entlassung Lubangas aus der Haft nach sich ziehe, und begründeten dies mit derselben Argumentation wie bereits am 02. Juli 2008.352 Der Unterschied zur ersten Verfahrenseinstellung lag in dem Umstand begründet, dass das Verfahren in der Entscheidung vom 08. Juli 2010 unbedingt eingestellt wurde.353 Die Berufungskammer lehnte daraufhin am 08. Oktober 2010 zwar erneut die Entlassung von Lubanga aus der Haft ab. Allerdings wurde in dieser Entscheidung die Verfahrenseinstellung insgesamt aufgehoben, und damit auch die Grundlage für die Entscheidung zur Entlassung des Angeklagten.354 Die Bedeutsamkeit der Länge des bisherigen Verfahrens sei dabei nicht übersehen worden.355 Die obige Argumentation in Bezug auf die Notwendigkeit einer Entlassung aus der Untersuchungshaft gilt für die Situation unbedingter Verfahrenseinstellungen in gleichem Maße. dd) Bewertung: Grundsätze der Verfahrensbeschleunigung am IStGH In der Gesamtbetrachtung lässt sich für den Internationalen Strafgerichtshof feststellen, dass auch hier noch Klärungsbedarf besteht. Von Relevanz ist an dieser Stelle zunächst, dass es zwei Vorschriften gibt, die für den Beschuldigten bzw. Angeklagten in Untersuchungshaft von Bedeutung sind, und deren Anwendungsbereiche sich teilweise überschneiden. Hauptsächlich zur Anwendung gelangt Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. mit der Rüge, der Ankläger habe das Verfahren schuldhaft verzögert. Diese Vorschrift gilt für das Vorfeld der Verhandlung zur Bestätigung der Anklage, wobei sie relativ häufig dazu Anlass für die Verteidigung gibt, die vorläufige Haftentlassung des Beschuldigten zu beantragen. Bis dato wurde 352 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Transcript ICC-01/04-01/06-T-314-ENG vom 15. Juli 2010, S. 21, Zeile 7 ff. 353 Die Berufungskammer hatte am 21. Oktober 2008 die Entlassung Lubangas wegen der Verfahrenseinstellung als „conditional stay“ abgelehnt. Richter Fulford verdeutlichte am 15. Juli 2010, dass es sich diesmal gerade nicht um eine bedingte, sondern eine unbedingte Verfahrenseinstellung („unconditional stay of proceedings“) handele, vgl. Lubanga (Fn. 352), S. 10, Zeile 4 ff.; S. 20, Zeile 22 ff. 354 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Prosecutor against the Oral Decision of Trial Chamber I of 15 July 2010 to release Thomas Lubanga Dyilo, 08. Oktober 2010. Die Berufungskammer argumentierte dahingehend, dass die Verfahrenseinstellung das „essential element“ der Entscheidung zur Entlassung Lubangas aus der Haft gewesen sei; die Rücknahme der Verfahrenseinstellung bedinge demzufolge auch die Entscheidung zur Entlassung aus der Haft, vgl. Rn. 24. Weitergehende Ausführungen durch die Berufungskammer erfolgten nicht. 355 Lubanga (Fn. 354), Rn. 25. Die Berufungskammer rekurriert hier auf die unveränderte Argumentation der Hauptverfahrenskammer, welche die Bedeutsamkeit des Zusammenspiels einer – nunmehr – unbedingten Verfahrenseinstellung, der Unklarheit der Fortführung des Verfahrens sowie der bisherigen Verfahrensdauer deutlich hervorgehoben hat, s. Lubanga (Fn. 352), S. 21, Zeile 19 ff. Weitere Ausführungen der Berufungskammer zu diesem Aspekt folgten hingegen nicht.

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jedoch kein solches Vorbringen positiv entschieden, wobei regelmäßig schon die Unangemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft verneint wurde. Spätestens jedoch könnte der Umstand verneint werden, dass der Ankläger das Verfahren unentschuldbar verzögert habe. Für eine solche Feststellung reicht es bereits, dass die Anklagebehörde das Verfahren entsprechend den Vorschriften des Römischen Statuts betrieben hat. In Ermangelung zeitlicher Fristen für die Vorgehensweise bis zur Bestätigung der Anklage dürfte es schwierig sein, eine solche unentschuldbare Verzögerung tatsächlich zu begründen. Darüber hinaus beinhaltet Art. 67 Abs. 1 lit. c) ­IStGH-St. das Recht des Angeklagten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist. Diese Gewährleistung gilt ab dem Zeitpunkt der Überstellung des Beschuldigten an den Gerichtshof bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Für diese beiden wohl wichtigsten Vorschriften zur Beschleunigung des Verfahrens in Zusammenhang mit Untersuchungshaft gilt der gleiche Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit. Jedoch ist bis auf die Einsicht, dass es hierfür auf die Umstände des konkreten Einzelfalles ankommt und die Beurteilung nicht in einem rein abstrakten Sinne vorgenommen werden darf, keine einheitliche Vorgehensweise etabliert worden. Die weiteren Kriterien unterscheiden sich teils von Fall zu Fall erheblich. Erforderlich wäre jedoch eine Einheitlichkeit in der Rechtsprechung der verschiedenen Kammern zu dem Zweck, klare Linien hervorzuheben und einem nachvollziehbaren Muster folgen zu können. Ein pauschaler Verweis auf die lediglich wenige Monate andauernde Untersuchungshaft und – in Schlussfolgerung dessen – die Feststellung der Angemessenheit dieser Zeitspanne erscheint folglich verfehlt, da abhängig vom jeweiligen Einzelfall auch eine vergleichsweise kurze Dauer der Untersuchungshaft unangemessen sein kann. Generell kann die menschenrechtskonforme Umsetzung dieser Gewährleistungen in der Praxis des IStGH eher als problematisch angesehen werden, wie vor allem auch das Zusammenspiel mit einer Verfahrenseinstellung im Fall Lubanga verdeutlicht haben sollte. Positiv ist hingegen anzumerken, dass diese Gewährleistungen einen eigenen Geltungsbereich aufweisen und – dies gilt zumindest für Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. – eigenständig geltend gemacht werden können. Im Gegensatz hierzu ist an den Ad-hoc-Tribunalen eine Rüge der Dauer der Untersuchungshaft immer in Verbindung zu sehen mit einem Antrag auf vorläufige Haftentlassung, nicht speziell aus Anlass eventueller Verfahrensverzögerungen, sondern im Zusammenspiel mit den grundlegenden Voraussetzungen für eine vorläufige Haftentlassung. In diesen Fällen wird die Frage einer unangemessenen Dauer der Untersuchungshaft als Faktor in die allgemeine Entscheidung mit einbezogen, wohingegen beispielsweise in Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. explizit die Möglichkeit einer vorläufigen Entlassung, losgelöst von dem Vorliegen von Haftgründen, normiert ist.

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6. Das Recht, nicht willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten zu werden a) Der Schutz gegen willkürliche Festnahme oder Inhaftierung in den Menschenrechten Als weitere Gewährleistung des Beschuldigten besteht ein menschenrechtlicher Schutz vor willkürlicher Festnahme sowie Inhaftierung. aa) Die Bezugspunkte des Willkürverbotes Das Recht auf Freiheit und Sicherheit ist kein absolutes Recht, so dass es unter bestimmten Voraussetzungen legalen Beschränkungen unterworfen ist.356 Das Recht, nicht willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten zu werden, flankiert zusammen mit den normierten Voraussetzungen rechtmäßiger Freiheitsentziehungen die zulässigen Beschränkungen.357 Während dieses Recht ausdrücklich in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 IPbpR normiert ist,358 kommt es als Garantie in Art. 5 EMRK nicht in derartiger Deutlichkeit zum Ausdruck. Gleichwohl wird die Freiheit von Willkür als in Art. 5 Abs. 1 EMRK verankert verstanden und auf diesem Weg als Menschenrecht impliziert.359 Art. 5 Abs. 1 EMRK normiert die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung und beinhaltet somit als Garantie für Freiheit und Sicherheit einen Schutz vor willkürlichen Beeinträchtigungen dieses Rechtsgutes. Das Willkürverbot weist einen Bezug zu beiden Komponenten der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR auf. Bezogen auf das Recht der persönlichen Freiheit soll das Verbot willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen eine Gewährleistung dahingehend treffen, dass Freiheitsentziehungen auf gesetzlicher Grundlage zu erfolgen haben, welche bestimmten Standards genügen müssen und diesen entsprechend angewendet werden.360 Im Hinblick auf das Recht auf Sicherheit, welchem zwar keine eigenständige Bedeutung zugemessen und welches nur im Zusam 356 Cook, in: Frankowski/Shelton, S. 7 f.; Arai-Takahashi, S. 10; allgemein Nowak, International Human Rights Regime, S. 56 ff. 357 Dazu Bassiouni, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 3 (1993), 235, 259. 358 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte von Art. 9 Abs. 1 IPbpR und dem dort enthaltenen Begriff der „Willkür“ s. Hassan, in: Denver J. Int’l L. &Pol’y 3 (1973), 153 ff. 359 EGMR, Engel u. a. ./. Niederlande, Serie A Nr. 22, Rn. 58; Winterwerp ./. Niederlande, Serie A Nr. 33, Rn. 37; Sieghart, S. 139; Esser, S. 203; Cook, in: Frankwoski/Shelton, S. 8; Londras, in: J. Conflict & Security L. 12 (2007), 223, 239 („highly specific statement of the right to be free from arbitrary detention“). 360 EGMR, Quinn ./. Frankreich, Serie A Nr. 311, Rn. 47; Manzoni ./. Italien, Reports 1997-IV, Rn. 21; Riera Blume u. a. ./. Spanien, Reports 1999-VII, Rn. 28; Harris/O’Boyle u. a., S. 97; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 407.

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menhang mit dem Recht auf Freiheit verstanden wird,361 wird das Willkürverbot gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit relevant: Erst der Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Inhaftierung gewährleistet auch die Sicherheit einer Person.362 bb) Der Begriff der „Willkür“ Zum Verständnis des Begriffs der „Willkür“ und des Verhältnisses zu einem widerrechtlichen Freiheitsentzug gilt zunächst, dass der Terminus der „Willkür“ im Sinne von „Ungerechtigkeit“ zu verstehen ist und daneben Elemente der Un­ berechenbarkeit, Unvernünftigkeit, Unangemessenheit und mangelnder Rechtsstaatlichkeit enthält.363 Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist mitprägend für diesen Begriff.364 Indem die „Willkür“ einem solchen Verständnis unterliegt, ist die „willkürliche Freiheitsentziehung“ in einem weiteren Sinne zu verstehen als die „unrechtmäßige Freiheitsentziehung“.365 Dieses übergeordnete Verständnis von „Willkür“ wird damit begründet, dass die Willkür eher außerhalb statt innerhalb des Gesetzes anzusiedeln ist. 361 Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 1; Murdoch, S. 16; Dijk/Hoof u. a., S.  344 f.; Reindl, S. 22 ff.; Jacobs/White/Ovey, S. 103. Der EGMR bezieht sich in Bozano ./. Frankreich, Serie A Nr. 111, Rn. 54, explizit auf das Recht auf Sicherheit, zieht daraus allerdings keine weiteren Konsequenzen. Im Gegensatz hierzu räumt der Menschenrechtsausschuss dem „Recht auf Sicherheit“ eine über das „Recht auf Freiheit“ hinausgehende Bedeutung ein. Art. 9 Abs. 1 IPbpR schütze das Recht auf Sicherheit ungeachtet eines eventuellen Zusammenhangs mit formalen Freiheitsentziehungen und sei auch anwendbar auf nicht inhaftierte Personen, s. HRC, Delgado Paez ./. Colombia, Communication No. 195/1985, U. N. Doc. CCPR/C/39/D/195/1985, 12. Juli 1990, Rn. 5.5; Dias ./. Angola, Communication No. 711/1996, U. N. Doc. CCPR/ C/68/D/711/1996, 18. April 2000, Rn. 8.3, sowie Jayawardena ./. Sri Lanka, Communication No. 916/2000, U. N. Doc. CCPR/C/75/D/916/2000, 02. Oktober 2002, Rn. 7.3. 362 Fawcett, S. 70; Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 32; Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 7; Harris/O’Boyle u. a., S. 103; Trechsel, in: EuGRZ 1980, 514, 518. 363 HRC, van Alphen ./. Niederlande, Communication No. 305/1988, U. N. Doc. CCPR/C/39/ D305/1988, 15. August 1990, Rn. 5.8; Nowak, CCPR-Commentary, Art. 9 Rn. 29 m. w. N. Eine Arbeitsgruppe des OHCHR, Fact Sheet No. 26 („The Working Group on Arbitrary Detention“), trifft diesbezüglich weitergehende Differenzierungen und unterscheidet drei Kategorien, in denen eine Freiheitsentziehung willkürlich ist („A) When it is clearly impossible to invoke any legal basis justifying the deprivation of liberty; B) When the deprivation of liberty results from the exercise of the rights or freedoms guaranteed by articles 7, 13, 14, 18, 19, 10 and 21 of the Universal Declaration of Human Rights and, insofar as States parties are concerned, by articles 12, 18, 19, 21, 22, 25, 26 and 27 of the International Covenant on Civil and Political Rights; C) When the total or partial non-observance of the international norms relating to the right to a fair trial, spelled out in the Universal Declaration of Human Rights and in the relevant international instruments accepted by the States concerned, is of such gravity as to give the deprivation of liberty an arbitrary character“). 364 HRC, A ./. Australien, Communication No. 560/1993, U. N. Doc. CCPR/C/59/D/560/1993, 30. April 1997, Rn. 9.2.; Jayawickrama, S. 380. 365 Joseph/Schultz/Castan, 11.10; Jayawickrama, S. 377.

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Neben diesen begrifflichen Differenzen unterscheiden sich „Willkür“ und „Rechtswidrigkeit“ bezogen auf Art. 5 Abs. 1 EMRK, Art. 9 Abs. 1 IPbpR auch in struktureller Hinsicht. Als Gewährleistungen bezogen auf die Freiheit und Sicherheit einer Person enthalten diese beiden Vorschriften als Sinn und Zweck auch einen Schutz vor willkürlichem Verhalten. Um Willkür zu vermeiden, beinhalten sie gewisse Anforderungen an jeden Freiheitsentzug („auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“, „rechtmäßig“, „aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens“). Die Erfüllung dieser Merkmale entscheidet wiederum darüber, ob eine Festnahme oder Inhaftierung als rechtmäßig oder rechtswidrig anzusehen ist. Indem das Willkürverbot als Zweckgedanke über diesem System zulässiger Freiheitsbeschränkungen steht, ist es strukturell im Gefüge des menschenrechtlichen Schutzes der persönlichen Freiheit auf einer anderen Ebene anzusiedeln als die notwendigen Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung. Schlussfolgerung dessen ist, dass jeder willkürliche Freiheitsentzug unrechtmäßig ist.366 Weiterhin können die Ausführungen zu der Annahme verleiten, dass umgekehrt auch jeder rechtswidrige Freiheitsentzug willkürlich sei.367 Dies könnte zumindest vor dem Hintergrund gelten, dass der Begriff der „Willkür“ umfassender zu begreifen ist als derjenige der „Rechtswidrigkeit“. Diese Annahme ist jedoch zu relativieren: Zwar ist jeder willkürliche Freiheitsentzug unrechtmäßig, umgekehrt ist aber nicht zugleich auch jeder rechtswidrige Freiheitsentzug willkürlich. Willkürliches Verhalten ist somit eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für einen rechtswidrigen Freiheitsentzug. cc) Ausprägungen des Willkürverbots in Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR Eine erste Ausprägung des Verbotes willkürlicher Verhaftung und Inhaftierung findet sich durch den Verweis der menschenrechtlichen Vorschriften selber auf das nationale Recht. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK regelt, dass die Freiheit „nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden“ dürfe und dieser

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EGMR, Winterwerp ./. Niederlande, Serie A Nr. 33, Rn. 39; Ashingdane ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 93, Rn. 44; Riera Blume u. a. ./. Spanien, Reports 1999-VII, Rn. 38 („Having held that it [the applicant’s detention, Anm. d. Verf.] was arbitrary and hence unlawful for the purposes of Article 5 § 1 of the Convention …“). Zum Verhältnis der Begriffe „Willkür“ und „Rechtmäßigkeit“ bzw. „Rechtswidrigkeit“ s. auch Cook, in: Frankowski/­ Shelton, S. 8. 367 So beispielsweise eine Eingabe der neuseeländischen Menschenrechtskommission zum „Sentencing and Parole Reform Bill“ vom 24. April 2009, die unter 4.6 darauf verweist, dass der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zufolge jeder rechtswidrige Freiheitsentzug zugleich auch willkürlich sei, mit Hinweis auf ein Urteil des neuseeländischen Supreme Court in der Sache Manga ./. Attorney General, CIV SC 13/04, S.  8 f.

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Freiheitsentzug „rechtmäßig“ sein müsse.368 Art. 9 Abs. 1 Satz 3 IPbpR bestimmt, dass Freiheitsentziehungen zu beschränken seien auf „gesetzlich bestimmte[n] Gründe[n] und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens“. Neben einem Verweis sowohl auf das materielle als auch auf das prozessuale Recht der Staaten, soll diese Formulierung auch verdeutlichen, dass jegliche Art von Freiheitsentzug mit der Zielsetzung der Gewährleistungen in Einklang stehen muss sowie nicht willkürlich sein darf.369 Zum Zweiten wird für eine Freiheitsentziehung auf Grundlage von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK das Vorliegen eines „hinreichenden Verdachts“ gefordert, welcher als weitere Konkretisierung der Voraussetzungen für eine rechtmäßige Festnahme und Inhaftierung den wohl wichtigsten Bestandteil des Schutzes gegen willkürliche Verhaltensweisen der staatlichen Organe bildet370 – neben den alternativen Erfordernissen der Wiederholungs- bzw. Fluchtgefahr. Während Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK diese Voraussetzungen explizit vorsieht, findet sich eine solche Konkretisierung im Vertragstext des IPbpR nicht. Hingegen hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen den Umfang des Schutzes vor Willkür durch Art. 9 Abs. 1 IPbpR in seiner Rechtsprechung näher ausgestaltet. Über das herkömmliche Erfordernis der „Rechtmäßigkeit“ hinaus wird der Schutz vor Willkür ferner dadurch manifestiert, dass der Freiheitsentzug angemessen („reasonable“) und erforderlich („necessary“) sein muss. Das Kriterium der Erforderlichkeit bezieht sich hierbei auf die Verhinderung der Flucht des Beschuldigten, sowie die Verdunkelung oder Wiederholung von Straftaten.371 Somit werden mittels dieser „bemerkenswerten Materialisierung des Willkürschutzes“372 letztendlich ähnliche Kriterien für die Untersuchungshaft etabliert, wie sie ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK zu finden sind. b) Der Schutz gegen willkürliche Festnahme oder Inhaftierung an den Ad-hoc-Tribunalen Für die Ad-hoc-Tribunale lässt sich zunächst festhalten, dass weder das Regelwerk des JStGH noch dasjenige des RStGH ausdrücklich eine Gewährleistung vorsieht, die vor willkürlicher Freiheitsentziehung schützt. Eine rechtliche Ver 368 Insbesondere die auf diese Einschränkung folgende Auflistung der Fälle an zulässigen Freiheitsentziehungen verdeutlicht den Schutz vor Willkür, vgl. Londras, in: J. Conflict & ­Security L. 12 (2007), 223, 239. 369 Dazu EGMR, Benham ./. Vereinigtes Königreich, Reports 1996-III, Rn. 40; Steel ./. Vereinigtes Königreich, Reports 1998-VII, Rn. 54. 370 Esser, S. 223; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 423. Für nähere Ausführungen zum Erfordernis des „hinreichenden Tatverdachts“ s. B. III. 1. a) aa) (1). 371 HRC, van Alphen ./. Niederlande, Communication No. 305/1988, U. N. Doc. CCPR/C/39/ D305/1988, 15. August 1990, Rn. 5.8; Mukong ./. Kamerun, Communication No. 458/1991, U. N. Doc. CCPR/C/51/D/458/1991, 10. August 1994, Rn. 9.8; A ./. Australien, Communication No. 560/1993, U. N. Doc. CCPR/C/59/D/560/1993, 30. April 1997, Rn. 9.2. 372 So Hoffmeister, S. 294.

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ankerung in den Statuten oder Verfahrens- und Beweisordnungen ist somit nicht existent. Da für die Ad-hoc-Tribunale keine Möglichkeit besteht, die Konformität mit den Menschenrechten bei einer Verhaftung oder Inhaftierung im Gewahrsamsstaat zu überprüfen,373 soll in diesem Zusammenhang auch lediglich auf die Frage eines gleichwohl etablierten Willkürschutzes nach Überstellung der betreffenden Person an das Tribunal eingegangen werden. aa) Menschenrechtskonforme Auslegung zwecks Etablierung eines Schutzes vor willkürlichem Freiheitsentzug Da sich keine ausdrückliche Regelung findet, müssen die existenten Vorschriften zwecks der Konformität mit den Menschenrechten die Fähigkeit aufweisen, einen Schutz vor willkürlichen Verhaltensweisen zu bieten.374 (1) Die Festnahme und Inhaftierung auf regulärer Basis Den Maßstab für die ordnungsgemäße Ausstellung eines Haftbefehls und das weitere Procedere beinhalten die Regeln 47, 55, 59bis ­JStGH-VBO. Regelungen betreffend die auf einen solchen Haftbefehl folgende reguläre Untersuchungshaft finden sich in den Regeln 64, 65 ­JStGH-VBO. Da für den Fall einer solchen Vorgehensweise des Anklägers (d. h. Erlass des Haftbefehls durch einen Richter nach Prüfung der durch den Ankläger eingereichten Anklageschrift) nach Überstellung des Angeklagten zwingend Untersuchungshaft folgt, finden sich in Regel 64 ­JStGH-VBO keine separaten Voraussetzungen für den Entzug der persönlichen Freiheit. Regel 65 J­StGH-VBO enthält lediglich detailliertere Voraussetzungen für eine vorläufige Haftentlassung. Demnach liegt der Schwerpunkt des Interesses hier auf Regel 47 (B) ­JStGH-VBO, welcher die Bedingungen für die Ein­ reichung der Anklageschrift durch den Ankläger vorsieht. Erfährt diese richter­ liche Bestätigung, kann nach Art. 19 Abs. 2, 20 Abs. 2 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 2, 19 Abs. 2 ­RStGH-St. Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen werden, wobei dieser allein ausreichend ist, um die Untersuchungshaft zu rechtfertigen.375 Vor 373 Karemera (ICTR-98-44-I), Trial Chamber, Decision on the Release of the Accused, 10. Dezember 1999, Rn. 4.3.1; Nzirorera (ICTR-98-44-T), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion Challenging the Legality of the Arrest and Detention of the Accused and Requesting the Return of Personal Items Seized, 07. September 2000, Rn. 27; Starr, in: N. Y. U. L. Rev. 83 (2008), 693, 724; Gordon, in: Colum. J. Transnat’l L. 45 (2007), 635, 672 ff. 374 Für Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft s. B. III. 2. b). 375 Dazu Brđanin und Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motions by Momir Talić (1) to Dismiss the Indictment, (2) for Release, and (3) for Leave to Reply to Response of Prosecution to Motion for Release, 01. Februar 2000, Rn. 21.

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aussetzung für die Einreichung der Anklageschrift ist der hinreichende Verdacht („­reasonable grounds“), dass der – zu diesem Zeitpunkt noch – Beschuldigte ein der Gerichtsbarkeit des Tribunals unterfallendes Verbrechen begangen hat. (2) Die vorläufige Festnahme und Inhaftierung Für die vorläufige Anordnung von Untersuchungshaft enthält Regel 40bis JStGH-VBO strenge Reglementierungen, was das nähere Vorgehen und die Zeitspanne der lediglich vorläufigen Inhaftierung anbelangt. Zunächst sieht Regel 40 (A) (i) ­JStGH-VBO vor, dass der Ankläger in dringenden Fällen einen Staat ersuchen darf, einen Beschuldigten festzunehmen, ohne dass zuvor ein Haft­befehl durch einen Richter erlassen werden müsste. Maßstab hierfür ist die Definition eines Beschuldigten in Regel 2 (A) ­JStGH-VBO, welcher das Vorliegen verlässlicher Informationen vorsieht.376 Demnach ist für einen Freiheitsentzug ohne das Vorliegen eines Haftbefehls erforderlich, dass es sich zum einen um eine „dringende“ Angelegenheit handelt und dass es sich bei der betreffenden Person zum anderen um einen „Beschuldigten“ handelt. Ferner besagt Regel 40bis (B) (ii), (iii) J­StGH-VBO für die darauf folgende Überstellung des Beschuldigten an das Tribunal, dass für die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges verlässliches Material vorliegen muss, welches darauf hindeutet, dass der Beschuldigte ein entsprechendes Verbrechen begangen hat und eine vorläufige Inhaftierung zwecks Vermeidung von Flucht, der Einschüchterung von Zeugen, der Zerstörung von Beweismaterial oder aus anderen ermittlungstechnischen Gründen erforderlich ist.377 Aufgrund der lediglich vorläufigen Untersuchungshaft finden sich in Regel 40bis (D) ­JStGH-VBO strenge Anforderungen für den zeitlichen Rahmen dieser Inhaftierung.

376 Hierzu führte der RStGH in Kajelijeli (ICTR-98-44-I), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion Concerning the Arbitrary Arrest and Illegal Detention of the Accused and on the Defence Notice of Urgent Motion to Expand and Supplement the Record of 8 December 1999 Hearing, 08. Mai 2000, Rn. 32, aus, dass entgegen der Ansicht der Verteidigung keine „probable cause“ vorliegen müsse, sondern „verlässliche Informationen“, wie sich über die Regeln 40 (A) (i), 2 (A) ­JStGH-VBO ergebe. Grundlegend zum Verfahren gegen Kajelijeli und der Frage einer willkürlichen Festnahme und Inhaftierung seiner Person s. Russel-Brown, in: UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 8 (2003), 127, 137 ff. 377 Regel 40bis (B), (ii), (iii) ­JStGH-VBO: „The Judge shall order the transfer and provisional detention of the suspect if the following conditions are met: […] (ii) after hearing the Prosecutor, the Judge considers that there is a reliable and consistent body of material which tends to show that the suspect may have committed a crime over which the Tribunal has jurisdiction; and (iii) the Judge considers provisional detention to be a necessary measure to prevent the escape of the suspect, injury to or intimidation of a victim or witness or the destruction of evidence, or to be otherwise necessary for the conduct of the investigation.“

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(3) Die praktische Umsetzung durch die Tribunale Mit der Darlegung dieser rechtlichen Voraussetzungen ist jedoch noch nichts über einen Schutz vor willkürlichen Verhaltensweisen gesagt. Zwar äußert sich der JStGH mitunter auch zu dieser Fragestellung. So hat die Hauptverfahrenskammer in Krnojelac festgehalten, dass eine Freiheitsentziehung willkürlich und somit rechtswidrig ist, wenn es an einer rechtlichen Grundlage zum einen für den ursprünglichen Freiheitsentzug und zum anderen für dessen Aufrechterhaltung mangelt.378 Allerdings ging es hierbei um die „Freiheitsentziehung“ als Variante der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 5 lit. e) ­JStGH-St., welches die Ausführungen in einen anderen Kontext stellt. Lediglich im Rahmen eines argumentum a maiore ad minus läge die Vermutung nahe, dass dies auch auf Verhaftungen und Inhaftierungen durch den JStGH bzw. den RStGH selber zu übertragen wäre. Einer solchen Argumentation zufolge wäre jede Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft willkürlich, sofern die oben genannten Voraussetzungen nicht (mehr) vorlägen. Allerdings hätte diese Betrachtungsweise wiederum zur Folge, dass jede rechtswidrige Festnahme oder Inhaftierung zugleich auch willkürlich ist.379 Im Verfahren gegen Dokmanović wird diesbezüglich ausgeführt, dass ein gesetzmäßiger Freiheitsentzug nicht ungerecht, unvorhersehbar oder unverhältnismäßig sein könne.380 Ob eine Verhaftung willkürlich sei, könne lediglich anhand einer Vereinbarkeit mit dem gesetzlich festgelegten Verfahren festgestellt werden. Keine Willkür liege vor, wenn die Festnahme konform sei mit den Regelungen des Tribunals betreffend die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung. Nicht für die Festnahme an sich, sondern für die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung in Form der Untersuchungshaft gelte, dass der oben beschriebene Verfahrensablauf einzuhalten sei, um die Haft zu rechtfertigen. Zwecks dieser Rechtfertigung hat das Tribunal die Anklageschrift zu prüfen und zu bestätigen. Ist dies erfolgt, kann nach Art. 19 Abs. 2 J­ StGH-St., Art. 18 Abs. 2 ­RStGH-St. ein Haftbefehl beantragt und ausgestellt werden, welcher die Festnahme des Angeklagten sowie die Überstellung an das Tribunal rechtfertigt. Nach der Überstellung des Angeklagten sieht Regel 64 ­JStGH-VBO ausdrücklich eine obligatorische Inhaftierung vor, welche lediglich aufgrund einer Anordnung der zuständigen Kammer aufgehoben werden kann. Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft kann mithin schon dann nicht mehr willkürlich sein, wenn das Tribunal die Anklageschrift geprüft und bestätigt hat.381 Hierdurch wird das weitere Procedere in Gang gesetzt.

378

Krnojelac (IT-97-25), Trial Chamber, Judgment, 15. März 2002, Rn. 114. Diese Schlussfolgerung kann so allerdings nicht gezogen werden, s. B. II. 6. a) bb). 380 Dokmanović et al. (IT-95-13a-PT), Trial Chamber, Decision on the Motion for Release by the Accused Slavko Dokmanović, 22. Oktober 1997, Rn. 60 („Any deprivation of liberty provided for by law cannot be unjust, unpredictable, manifestly unproportional, discriminatory, or inappropriate to the circumstances of the case.“). 381 Dazu Brđanin und Talić (Fn. 375), Rn. 20 f. 379

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bb) Bewertung des Willkürschutzes Im Anschluss an diese Ausführungen bleibt festzuhalten, dass auch die Adhoc-Tribunale an der Formel festhalten, dass keine Willkür vorliegt, sofern das gesetzlich niedergelegte Verfahren eingehalten worden ist. Der ordnungsgemäße Verfahrensablauf findet sich in den Statuten sowie in den Verfahrens- und Beweisordnungen der Tribunale. Wird gegen diese Normierungen verstoßen, ist die Festnahme oder die weitere Inhaftierung rechtswidrig. Dies ist jedoch nicht per se mit einer willkürlichen Vorgehensweise gleichzusetzen. Vielmehr kommt es darauf an, ob es im konkreten Einzelfall um willkürliche Verhaltensweisen geht. Eine Gleichsetzung von Willkür und Rechtswidrigkeit kann dies jedoch nicht zugleich bedeuten. Eine solche Schlussfolgerung wäre verfehlt, da die Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung nicht ohne weiteres mit einer willkürlichen Verhaltensweise gleichgesetzt werden kann. Wie oben in Bezug auf die menschenrechtlichen Vorgaben bereits ausgeführt, ist die Willkür zwar eine hinreichende, aber keine notwenige Bedingung für die Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung. Im Ergebnis ist an der Feststellung festzuhalten, dass die ausdrückliche Normierung eines Willkürverbotes fehlt. Anders als in der EMRK, bei der das Willkürverbot als Sinn- und Zweckgedanke hinter Art. 5 Abs. 1 EMRK steht, findet sich an den Ad-hoc-Tribunalen kein entsprechender Schutz. Die bloße Gleichsetzung von Rechtswidrigkeit und Willkür vermag dem keine Abhilfe zu schaffen. c) Der Schutz gegen willkürlichen Freiheitsentzug vor dem IStGH Im Römischen Statut ist der Schutz vor willkürlicher Festnahme oder Inhaftierung in Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. normiert. aa) Der Geltungsbereich von Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. Art. 55 Abs. 1 I­StGH-St. gilt – zumindest unter systematischer Betrachtung mit Absatz 2 – für sämtliche Personen, die in Zusammenhang mit den Ermittlungen stehen, aber nicht unbedingt als Beschuldigte anzusehen sind. Es ist durchaus vorstellbar, dass während der Ermittlungen eine Reihe von Personen identifiziert werden kann, die mit den mutmaßlichen Verbrechen in Kontext stehen und in Bezug auf deren Involvierung es zunächst der Klärung bedarf, wie sich dieser Zusammenhang ausgestaltet. In einem solchen Fall ist der Schutz dieser Personen vor ungerechtfertigten Verhaltensweisen seitens der ermittelnden Organe von­nöten.382 Zeitlich gesehen ist der Anwendungsbereich von Art. 55 Abs. 1 ­IStGH-St. vom Wortlaut her beschränkt auf die Phase der Ermittlungen. Andererseits sei es aber 382

So Zappalá, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1182.

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auch denkbar, den Geltungsbereich auf andere Verfahrensstadien zu erstrecken, um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten.383 Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Geltung der Gewährleistungen von Art. 55 ­IStGH-St. eines Zusammenhanges mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Internationalen Strafgerichtshof bedarf. Dies verdeutlicht Abs. 1, indem er normiert, dass „bei Ermittlungen aufgrund dieses Statuts“ („In respect of an investigation under this Statute …“) Personen bestimmte Rechte zustehen. Dies hat zur Folge, dass für die Willkürlichkeit einer Freiheitsentziehung zunächst die Frage zu stellen ist, ob die Festnahme bzw. Inhaftierung im Zusammenhang mit Ermittlungen vor dem IStGH stattfand oder ob diese unabhängig hiervon durch die nationalen Behörden durchgeführt wurde. Sofern also die Freiheitsentziehung nicht auf eine Initiative des IStGH im Zuge von dessen Ermittlungen, sondern einzig auf das Bestreben der nationalen Behörden zurückzuführen ist, den Betreffenden zu inhaftieren, kommt Art. 55 ­IStGH-St. und den darin normierten Rechten keine Geltung und dem IStGH keine Kompetenz zu, die Rechtmäßigkeit dieses Freiheitsentzuges zu überprüfen.384 Sofern allerdings nationale Behörden aufgrund eines Haftbefehls des IStGH agieren, gelten die Gewährleistungen des Art. 55 ­IStGH-St. nicht bloß für die Anklagebehörde des Gerichtshofes, sondern in gleichem Maße auch für die nationalen Behörden des jeweiligen Gewahrsamsstaates.385 bb) Inhaltliche Vorgaben von Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. Inhaltlich gesehen orientiert sich Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. an Art. 9 Abs. 1 IPbpR. Während der erste Halbsatz eine willkürliche Festnahme oder Inhaftierung untersagt, legt der zweite Halbsatz den Maßstab für Freiheitsentziehungen in Form von den im Statut festgelegten Haftgründen und dem dort normierten Verfahren fest. Wenn auch teilweise beide Halbsätze als voneinander unabhän 383

Hall, in: Triffterer, Art. 55 Rn. 4. Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to Article 19 (2) (a) of the Statute, 03. Oktober 2006, S. 11. Ferner wird von den Vertretern der Opfer in einem Antrag vom 24. August 2006 ausgeführt, dass über die Vorgaben von Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. hinaus eine rechtswidrige Freiheitsentziehung nach nationalem Recht nicht zugleich eine willkürliche Inhaftierung nach Art. 55 ­IStGH-St. oder Art. 9 IPbpR darstelle, vgl. Lubanga (ICC-01/04-01/06), Observations of Victims a/0001/06, a/0002/06 and a/0003/06 Regarding the Challenge to Jurisdiction Raised by the Defence in the Application of 23 May 2006, 24. August 2006, Rn. 16. 385 Hall, in: Triffterer, Art. 55 Rn. 8; Lawyers Committee for Human Rights, Pre-Trial Rights in the Rules of Procedure and Evidence, International Criminal Court Briefing Series, Vol. 2 No. 3 (1999) unter II. Anders Lubanga (ICC-01/04-01/06), Defence Appeal against the Decision on the Defence Challenge to Jurisdiction of 3 October 2006, 26. Oktober 2006, Rn. 12. 384

II. Die Rechte des Untersuchungshäftlings in der Untersuchungshaft

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gig angesehen werden,386 kann eine strikte Trennung nicht vollzogen werden. Der Systematik in Art. 55 Abs. 1 ­IStGH-St. ist das Verständnis zugrunde zu legen, dass das im Römischen Statut festgelegte Verfahren mit den Gründen für eine Freiheitsentziehung den Maßstab für deren Rechtmäßigkeit zu bilden hat. Sofern Art. 55 Abs. 1 lit. d) 2. Halbs. ­IStGH-St. auf Gründe und das im Statut vorgesehene Verfahren verweist, wird kritisch angemerkt, dass sich keine nähere Konkretisierung der hierfür maßgeblichen Vorschriften findet.387 Die Gründe, die einen Freiheitsentzug rechtfertigen, finden sich in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. Diese Vorschrift sieht zum einen das Erfordernis eines Tatverdachts vor, dass die betreffende Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat, und zum anderen das Vorliegen bestimmter Haftgründe, die die Festnahme der Person notwendig erscheinen lassen. Art. 59 ­IStGH-St. trifft nähere Angaben zum Festnahmeverfahren im Gewahrsamsstaat. In der Verfahrens- und Beweisordnung beschreiben die Regeln 117 ff. IStGH-VBO das Verfahren im Hinblick auf Freiheitsentziehungen. Im Unterschied zu den Ad-hoc-Tribunalen gibt es am IStGH keine vorläufige Festnahme in dem Sinne, dass diese ohne das Vorliegen eines Haftbefehls erfolgt. Zudem ist der Erlass eines Haftbefehls – anders als am JStGH oder am RStGH – unabhängig von der Bestätigung der Anklageschrift und obliegt allein der Vorverfahrens­ kammer.388 Der oben beschriebenen Kritik durch Zappalá389 ist zuzugeben, dass Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. insofern unpräzise ist, als nicht auf die für das Verfahren relevanten Gründe verwiesen wird. cc) Bewertung des normierten Willkürverbotes Insgesamt zeigt sich durch diese Gewährleistung im Römischen Statut eine erhebliche Entwicklung gegenüber den Statuten der Ad-hoc-Tribunale. Das Recht, nicht willkürlich festgenommen oder inhaftiert zu werden, findet sich im Vertragstext wieder und sichert dem von der Freiheitsentziehung Betroffenen somit ein ausdrückliches Recht zu, welches vor willkürlichen Verhaltensweisen schützen soll. Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. trägt ferner dazu bei, den Maßstab für 386

Hall, in: Triffterer, Art. 55 Rn. 9. Daams, S. 48; Zappalá, S. 73. Diese Kritik wird mit der Begründung versehen, dass in anderen internationalen Instrumenten eine solche allgemeine Formulierung ausreichend sei, da diese einen Verweis auf eine Vielzahl nationaler Rechtsordnungen mit unterschied­lichen Regelungen zur Freiheitsentziehung enthalte. Etwas anderes gelte aber für das Römische Statut, da auf Verfahrensvorschriften innerhalb derselben Rechtsordnung zurückge­griffen werde. 388 Der Ankläger hat im Gegensatz zu den Ad-hoc-Tribunalen keine Möglichkeit, einen Staat um vorläufige Festnahme zu ersuchen, dazu Defrancia, in: Va. L. Rev. 87 (2001), 1381, 1408. 389 Zappalá, S. 73. 387

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Freiheitsentziehungen festzulegen, auch wenn sich kein expliziter Verweis auf weitere Vorschriften mit diesbezüglichem Inhalt findet. Gerade in der Anfangsphase eines strafrechtlichen Verfahrens kommt einem solchen Willkürverbot eine erhebliche Bedeutung zu. Art. 55 Abs. 1 I­ StGH-St. gilt zunächst für sämtliche Personen, die im Kontext zu den (anfänglichen) Ermittlungen stehen, aber – wie sich aus dem Wortlaut von Abs. 2 ergibt – in einem konkreteren Stadium des Verfahrens auch für den Beschuldigten. Folglich wird ein weit reichender Schutz für die betreffenden Personen postuliert, der in seiner Deutlichkeit beispielsweise über die EMRK hinausgeht. 7. Zusammenfassende Betrachtung Die Ausführungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass zunächst dem Beschuldigten sowie dem Angeklagten in einem Strafverfahren bestimmte verfahrensrechtliche Gewährleistungen zustehen müssen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer – wenn auch nur vorübergehenden – Unterbringung in Unter­ suchungshaft. Als erheblicher Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit eines jeden Einzelnen sind dem Inhaftierten spezielle Rechte zuzugestehen. Als Maßstab hierfür gelten die Menschenrechte, so wie sie in diversen Abkommen niedergeschrieben sind. Die derart aufgestellte internationale Werte­ordnung weist neben ihrer Relevanz für rein nationale Strafverfahren auch wichtige Auswirkungen auf den Bereich des internationalen Strafrechts auf. Neben der Kodifizierung der Menschenrechte in völkerrechtlichen Übereinkommen ist auch die Rechtsprechung der überwachenden Organe in Form des EGMR und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen von erheblicher Bedeutung für internationale Strafgerichte. Erst in der Judikatur dieser Institutionen kommt der genaue Inhalt der verbürgten Gewährleistungen zum Ausdruck. Durch die Anwendung der abstrakt formulierten Garantien auf den jeweiligen Einzelfall erhalten die Menschenrechte ihre konkrete Gestalt, so dass auch die jeweilige Rechtsprechung Bestandteil des international anerkannten Standards der Menschenrechte und somit der internationalen Werteordnung ist. An diese sind die internationalen Strafgerichte gebunden. Dies hat für den Untersuchungshäftling zur Folge, dass ihm auch für den Fall einer strafrechtlichen Verfolgung vor diesen internationalen Gerichten bestimmte menschenrechtliche Gewährleistungen zustehen müssen. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Betreffende – in Anlehnung an die deutsche Terminologie – bereits Angeklagter ist oder noch den Status eines Beschuldigten innehat. Für die Reglementierungen des JStGH bzw. RStGH sowie diejenigen des IStGH gilt im Rahmen dieser Darstellung, dass von der Terminologie her unterschieden wird zwischen den Begriffen des „Angeklagten“ und des „Beschuldigten“, um so vor allem den in der englischen Sprache gebräuchlichen Terminus des „suspect“ einheitlich zu übersetzen und den damit verbundenen Status zu verdeutlichen.

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Im Hinblick auf die Gewährleistungen, die dem Untersuchungshäftling zu­ stehen, ist zunächst das Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme anzuführen. Während die Menschenrechte auch in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung deutliche Vorgaben beinhalten, findet sich weder in den Statuten der internationalen Strafgerichte noch in deren Verfahrens- und Beweisordnungen eine entsprechende Vorschrift, die ausdrücklich vorsieht, dass der Festgenommene im unmittelbaren Anschluss an seine Verhaftung über die Gründe der Festnahme zu informieren ist. Zwar kann sowohl für die Ad-hoc-Tribunale als auch für den IStGH aus einer Zusammenschau diverser Verfahrensvorschriften das Erfordernis ersehen werden, den Betreffenden entsprechend in Kenntnis zu setzen, so dass dem Zweck der Gewährleistung ansatzweise entsprochen wird. Eine ausdrückliche Normierung dieser bedeutenden Garantie fehlt jedoch bislang. Man könnte freilich dahingehend argumentieren, dass die Verhaftung des per Haft­ befehl Gesuchten nicht durch die Gerichte selber, sondern durch Staaten vollführt wird und diese nicht den Reglementierungen des JStGH, RStGH oder ent­ sprechend dem IStGH unterliegen. Auf der anderen Seite ist jedoch zu verlangen, dass auch solche Festnahmen im Gewahrsamsstaat einem festgelegten Verfahren unterliegen müssen. Gerade vor dem Hintergrund, dass es entsprechende Vorschriften gibt, die den Verfahrensablauf im Anschluss an die Festnahme regeln, fällt das Fehlen einer an strengen Maßstäben orientierten Vorschrift ins Gewicht. Ebendies gilt auch für das Recht des Inhaftierten, unverzüglich einem Richter vorgeführt zu werden. Dem Zweck, den die Menschenrechte mit der Eta­blierung einer solchen Garantie verfolgen, wird auf der Ebene internationaler Strafgerichtsbarkeit nicht entsprochen. Soweit nach der EMRK und dem IPbpR hinter dieser Gewährleistung die Idee stand, eine Überprüfung der rechtmäßigen Anordnung der Untersuchungshaft „von Amts wegen“ vorzunehmen, wird diese für internationale Strafgerichte nicht umgesetzt. Vielmehr wird hier davon ausgegangen, dass die ursprüngliche Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls ausreichend sei, zumal die Unterbringung in Untersuchungshaft im Völkerstrafprozessrecht ohnehin zwingende Folge der Überstellung ist. Der Verpflichtung zur Überprüfung der Voraussetzungen der weiteren Inhaftierung sind die Kammern nur insofern unterworfen, als bereits über eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entschieden wurde. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Betreffende zwar nach seiner Überstellung an das jeweilige Gericht unverzüglich einem Richter vorzuführen ist. Vom inhaltlichen Aspekt her unterscheidet sich diese Vorführung aber erheblich von der Zwecksetzung, welche menschenrechtlich vorgesehen ist. Der Umstand, dass die Untersuchungshaft zwingend auf die Überstellung an das jeweilige Gericht folgt, bedingt wohl auch das Fehlen einer ausdrücklichen Beschleunigungsmaxime speziell für Untersuchungshäftlinge. Weder in den Reglementierungen des JStGH bzw. RStGH noch in denen des IStGH findet sich eine entsprechende Vorschrift. Diesbezüglich ist zwar anzumerken, dass aufgrund der obligatorischen Anordnung von Untersuchungshaft dieser Zeitraum in den An-

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

wendungsbereich des allgemeinen Grundsatzes fällt, ein Verfahren zügig durchzuführen. Gleichwohl differenzieren schon die entsprechenden Gewährleistungen in den menschenrechtlichen Abkommen zwischen dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz und der speziellen Beschleunigungsmaxime für die Unter­ suchungshaft. Des Weiteren fällt bei der Untersuchung der Ausgestaltung der beschleunigten Verfahrensführung als Rechtsgarantie auf, dass ein einheitlicher Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer von Untersuchungshaft fehlt. Es wird an internationalen Strafgerichten nicht – wie durch den EGMR oder den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen – auf die Haftgründe Bezug genommen und grundlegend geprüft, ob diese überhaupt noch vorliegen bzw. ausreichen, um die Untersuchungshaft aufrecht zu erhalten. Vielmehr wird die Dauer der Untersuchungshaft überwiegend separat von den Gründen für die Inhaftierung und deren Rechtfertigung betrachtet. Zuletzt wurde das Recht des Inhaftierten, nicht willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten zu werden, einer genaueren Betrachtung unterzogen. Für die ­Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen gilt diesbezüglich, dass eine Vorschrift, die ausdrücklich vor willkürlichem Freiheitsentzug schützt, gänzlich fehlt. Es kann lediglich versucht werden, anhand der bestehenden Vorschriften den Spielraum für eine Handhabe der Strafverfolgungsorgane möglichst eng zu ziehen und ein willkürliches Vorgehen dann auszuschließen, sofern dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren entsprochen wurde. Dies allein vermag jedoch keinen ausreichenden Schutz vor willkürlichen Verhaltensweisen zu bieten, da Willkür nicht per se mit der Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung gleichzusetzen ist. Hingegen findet sich in Art. 55 Abs. 1 lit. d) ­IStGH-St. ein ausdrücklicher Schutz vor willkürlicher Festnahme oder Inhaftierung. Das Römische Statut beinhaltet somit explizit eine der grundlegendsten Garantien für die von einer Freiheitsentziehung betroffene Person und verdeutlicht hiermit einmal mehr die Fortschrittlichkeit gegenüber den Statuten der Ad-hoc-Tribunale. Insgesamt postulieren die Statuten sowie die Verfahrens- und Beweisordnungen der internationalen Strafgerichte zu einem gewissen Maß einen Schutz für Untersuchungshäftlinge. Dieser Standard bleibt jedoch teils erheblich hinter demjenigen zurück, welcher als Werteordnung durch die Menschenrechte erhoben wird. Dies gilt gerade für die Ad-hoc-Tribunale, aber auch für das Römische Statut. In vielerlei Hinsicht bestünde Verbesserungsbedarf, insbesondere da die internationalen Strafgerichte die Achtung der menschenrechtlichen Standards versichern. Zwar darf nicht vergessen werden, dass diese Gerichte aufgrund ihrer Tätigkeit einer Reihe besonderer Umstände unterworfen sind. Allerdings dürfen diese Besonderheiten auch nicht zu einer Beschneidung der Rechte eines Untersuchungshäftlings führen. Das vorangehende Kapitel soll verdeutlichen, dass es diesbezüglich noch einiger Verbesserungen bedarf, um die Rechte des Untersuchungshäftlings auf einen menschenrechtlichen und auch erforderlichen Standard zu heben und so dem Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen wirksame Schutzmechanismen entgegenzusetzen.

III. Die Untersuchungshaft

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III. Die Untersuchungshaft Nachdem die dem Untersuchungshäftling zustehenden Rechte erörtert wurden, soll im folgenden Kapitel auf die Voraussetzungen für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft eingegangen werden. Dabei sind zum einen die materiellen Voraussetzungen der Untersuchungshaft für eine Analyse bedeutsam. Zum anderen sollen auch übergeordnete prozessuale Grundsätze eingehend erörtert werden, wie beispielsweise der Einfluss der Unschuldsvermutung oder die Verteilung der Beweislast. Ziel ist es, für die internationalen Strafgerichte die Frage der Konformität der Regelungen mit dem international anerkannten Menschenrechtsstandard zu klären. Dabei soll ein grundlegendes Verständnis der betreffenden Rechtslage im Völkerstrafrecht geschaffen, sowie Zusammenhänge zwischen einzelnen Grundätzen vor dem Hintergrund des Gesamtsystems erläutert werden. Zunächst sind diejenigen Vorgaben zu untersuchen, die die Menschenrechte beinhalten, um sodann auf die Rechtslage an internationalen Strafgerichten, namentlich den Ad-hoc-Tribunalen der Vereinten Nationen und dem IStGH, und deren praktische Handhabung einzugehen.

1. Menschenrechtliche Vorgaben für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft In einem ersten Schritt sind die Inhalte internationaler Menschenrechtsübereinkommen darzulegen, welche diese für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft vorsehen. Maßgeblich hierfür sind zunächst die Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR. Diese beiden Gewährleistungen beinhalten das Recht auf Freiheit und Sicherheit und normieren neben den Rechten des Beschuldigten in Untersuchungshaft auch die Voraussetzungen, unter denen eine solche überhaupt angeordnet werden darf. Die konkrete Ausgestaltung erfährt das Recht auf Freiheit indes erst in der praktischen Anwendung und Auslegung durch den EGMR und den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen als jeweilige rechtsprechende Organe. Darüber hinaus legen auch die Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR mit der Unschuldsvermutung einen Parameter fest, der für die Anordnung und Aufrecht­ erhaltung von Untersuchungshaft überaus relevant ist.

a) Die Vorgaben der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR Jegliche Form des Freiheitsentzuges muss mit Art. 5 EMRK bzw. Art. 9 IPbpR, welche den Schutz des Einzelnen vor willkürlicher und unrechtmäßiger Freiheitsentziehung bezwecken, in Einklang stehen. Aus diesem Grund beinhalten beide Gewährleistungen bestimmte Vorgaben sowohl in materiell-rechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Gerade vor dem Hintergrund des äußerst ein-

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

schneidenden Charakters der Untersuchungshaft als verfahrenssichernder Maßnahme ist eine Verankerung derjenigen Fälle, in denen die Freiheit entzogen werden darf, essentiell wichtig. Dies gilt sowohl für die Anordnung als auch für die Fortdauer der Untersuchungshaft. Keinesfalls außer Acht gelassen werden darf der Zweck von Untersuchungshaft, sobald es um diesbezügliche freiheitsentziehende Maßnahmen geht. Wie aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK hervorgeht, besteht die Zwecksetzung von Untersuchungshaft in der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, mithin in der Sicherung der Durchführung des Verfahrens.1 Die Anordnung oder Aufrecht­ erhaltung von Untersuchungshaft ist somit als Mittel zu verstehen, in bestimmten Fällen den Beschuldigten oder Angeklagten im Vorfeld des Verfahrens zu inhaftieren, damit dieser keine Möglichkeit hat, die Strafrechtspflege, d. h. die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, zu behindern. Es soll sichergestellt werden, dass das Strafverfahren gegen denjenigen, dem die Begehung einer Straftat zum Vorwurf gemacht wird, entsprechend durchgeführt werden kann. Sowohl bei Entscheidungen bezüglich der Anordnung als auch bei solchen im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sollte stets eine Orientierung an diesem Gedanken stattfinden, um Missbrauch und ungerechtfertigter Inhaftierung vor­ zubeugen. aa) Die Vorgaben für die Anordnung von Untersuchungshaft Für die Vorgaben zur Anordnung von Untersuchungshaft gilt es zu berücksichtigen, dass lediglich Art. 5 Abs. 1 EMRK detailliertere Angaben dazu enthält, in welchen Fällen die Freiheit überhaupt entzogen werden darf. Im Gegensatz hierzu gehen aus dem Wortlaut von Art. 9 IPbpR keine Gründe hervor, aus denen der nationale Gesetzgeber die Befugnis zur Entziehung der Freiheit herleiten kann. Art. 9 Abs. 1 IPbpR enthält lediglich einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt, der eine gesetzliche Normierung der Haftgründe und des entsprechenden Verfahrens verlangt. Art. 5 Abs. 1 EMRK beinhaltet hingegen eine abschließende Auflistung2 derjenigen Fälle, in denen der Entzug der Freiheit als Ausnahme zum Grundsatz der persönlichen Freiheit gestattet ist. Von besonderer Relevanz für strafrechtliche Verfahren ist hierbei Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK. Dieser beinhaltet Gründe für die Anordnung von Untersuchungshaft, bei deren Vorliegen eine Freiheitsentziehung zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde erfolgen darf. Neben dem „hinreichenden Verdacht“ ist der Freiheitsentzug zulässig in den Fällen, in denen begründeter Anlass zur Annahme der „Begehung einer Straftat“ und der 1

Dazu Harris/O’Boyle u. a., S.  146 ff. EGMR, Engel ./. Niederlande, Serie A Nr. 22, Rn. 57; Quinn ./. Frankreich, Serie A Nr. 311, Rn. 42. 2

III. Die Untersuchungshaft

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„Flucht“ besteht.3 Dogmatisch sind diese Gründe als Haftgründe ausgestaltet, so dass jeder dieser Faktoren für sich betrachtet bereits eine hinreichende Bedingung für die Anordnung von Untersuchungshaft darstellt.4 (1) Der „hinreichende Verdacht“ Zunächst benennt Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK den „hinreichenden Verdacht“ („reasonable suspicion“), dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat.5 Dieses Erfordernis des „hinreichenden Verdachts“ setzt das Vorhandensein von Tatsachen oder Informationen voraus, die einen objektiven Betrachter davon überzeugen können, dass die betreffende Person die Straftat begangen haben könnte.6 Hinter der Einführung einer solchen Schwelle des „hinreichenden“ Verdachts steht die Idee des Schutzes vor willkürlichem Freiheitsentzug. Die Tatsachen oder Informationen müssen dabei nicht derart mit Beweisen belegbar sein, als dass es für eine Anklageerhebung ausreichen würde. Andererseits genügen Hinweise ganz allgemeiner Art oder abstrakte Formeln zur Begründung der Verdachtsmomente nicht. Erforderlich ist vielmehr das Vorliegen spezifischer Fakten, welche eine ausreichende und objektive Grundlage für einen Verdacht begründen.7 Bei der Beurteilung dessen, ob der Verdacht ein „hinreichender“ ist, sind die

3

Für Art. 9 Abs. 1 IPbpR gilt, dass sich die Gründe für die Anordnung von Unter­ suchungshaft zwar nicht explizit aus dem Vertragstext ergeben. Gleichwohl bezieht sich auch der Menschenrechtsausschuss in seiner Rechtsprechung auf die Haftgründe der Flucht­ gefahr, sowie der Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr. Einer dieser Gründe müsse im jeweiligen Einzelfall vorliegen, da andernfalls die Freiheitsentziehung nicht als erforderlich („necessary“) erachtet werden könne. Vgl. dazu HRC, van Alphen ./. Niederlande, Communication No. 305/1988, U. N. Doc. CCPR/C/39/D/305/1988, 15. August 1990, Rn. 5.8; Mukong ./. Kamerun, Communication No. 458/1991, U. N. Doc. CCPR/C/51/D/458/1991, 10. August 1994, Rn. 9.8; A ./. Australien, Communication No. 560/1993, U. N. Doc. CCPR/ C/59/D/560/1993, 30. April 1997, Rn. 9.2. 4 Harris/O’Boyle u. a., S.  147 ff.; Dijk/Hoof u. a., S.  471 ff. 5 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Terminologie des „hin­ reichenden Verdachts“ um diejenige der deutschen Übersetzung der EMRK handelt. Es soll keine terminologische Gleichstellung mit dem Begriff des „hinreichenden Verdachts“ in der StPO hergestellt werden. Wie noch zu sehen sein wird, sind die beiden Begriffe inhaltlich anders konzeptioniert, so dass eine Vergleichbarkeit nur bedingt möglich ist. 6 EGMR, Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 32 („… a „reasonable suspicion“ presupposes the existence of facts or information which would satisfy an objective observer that the person concerned may have committed the offence.“); Erdagöz ./. Türkei, Reports 1997-VI, Rn. 51; K.-F. ./. Deutschland, Reports 1997-VII, Rn. 57; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 155; sowie Esser, S. 223 f., und Trechsel, in: StV 1992, 187, 188. 7 EGMR, Murray ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 300-A, Rn. 63 („sufficient facts or information which would provide a plausible and objective basis for a suspicion“). Ausführlicher hierzu und zur Abgrenzung von einem „subjektiven Ansatz“ s. Demko, in: HRRS 2004, 95, 97 f.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen.8 Der Haftgrund des „hinreichenden Verdachts“ muss sich auf die Begehung einer straf­baren Handlung beziehen. Maßstab für das Vorliegen einer Straftat ist das einschlägige nationale Recht.9 Ziel der Freiheitsentziehung soll schließlich sein, das Ermittlungsverfahren voranzubringen, indem sich der Verdacht erhärtet, oder als Ergebnis der Ermitt­ lungen den Verdacht auszuräumen. Für den Fall einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über eine gewisse Dauer hinweg ist anzumerken, dass der Haftgrund des „hinreichenden Verdachts“ für sich genommen nicht mehr ausreichend ist, um den Freiheitsentzug zu legitimieren. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Gründe, welche die Fortdauer der Untersuchungshaft zu rechtfer­ tigen vermögen.10 Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch an die Inhaftierung an sich – und nicht nur für die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung – Anforderungen zu stellen sind, die über das Vorliegen des bloßen „hinreichenden Verdachts“ hinausgehen. Vor dem Hintergrund, dass die Untersuchungshaft das Ziel verfolgt, die Durchführung des Verfahrens zu sichern, erscheint es nicht zweckdienlich, das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts der Begehung einer Straftat als Grund anzusehen, der für sich genommen die Anordnung von Untersuchungshaft zu rechtfertigen vermag. Durch den Verdacht allein ist die Durchführung des Hauptverfahrens noch nicht gefährdet. Zu einer Gefährdung kommt es erst dann, wenn beispielsweise der Betreffende versucht, sich der strafrechtlichen Verfolgung durch Flucht zu entziehen. Das Erfordernis des Tatverdachtes sollte mithin als notwendige, allerdings nicht auch als hinreichende Bedingung für Untersuchungshaft betrachtet werden. In Anlehnung an das der deutschen Strafprozessordnung zugrundeliegende Verständnis ist der Tatverdacht nicht als Haftgrund, sondern vielmehr als grundlegende, notwendige Voraussetzung dafür anzusehen, dass die Anordnung von Untersuchungshaft überhaupt in Frage kommt. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO verdeutlicht, dass die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten angeordnet werden darf, „wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht“. Der Tatverdacht ist also eine separate Voraussetzung für die Unterbringung in Untersuchungshaft, der unabhängig von einem bestimmten Haftgrund vorzuliegen hat. Neben der Flucht oder der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO) kennt die StPO die Haftgründe der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) und den 8 EGMR, Fox, Campbell und Hartley ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 182, Rn. 32; Trechsel, in: EuGRZ 1980, 514, 525, mit Verweis auf einen Entscheid der Kommission in der Sache Deutsch ./. Bundesrepublik Deutschland (B NR. 7033/75, Entscheid vom 12. Oktober 1977, unveröffentlicht). 9 Grabenwarter, S. 156; Schädler, in: Karlsruher Kommentar, StPO, Art. 5 MRK Rn. 9; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 72. 10 s. dazu B. III. 1. a) bb) (1).

III. Die Untersuchungshaft

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jenigen der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO). Darüber hinaus ist in § 112 Abs. 3 StPO der „Haftgrund“ des Verdachts eines Kapitaldelikts normiert. Hiernach soll Untersuchungshaft auch dann angeordnet werden dürfen, wenn zwar kein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO vorliegt, der Beschuldigte aber unter dem dringenden Tatverdacht steht, eine Katalogtat nach § 112 Abs. 3 StPO begangen zu haben. Letztendlich besagt diese Vorschrift, wie auch Art. 5 Abs. 1 lit. c) Alt. 1 EMRK, dass der Tatverdacht alleine für Untersuchungshaft ausreichend sein kann – wobei die StPO einen Bestand an Kapitaldelikten auflistet, um die Fälle, in denen allein der Tatverdacht hinreichende Bedingung ist, auf die schwersten Straftaten zu beschränken. Ungeachtet dieser inhaltlichen Eingrenzung auf Kapitaldelikte scheint die Rechtsstaatlichkeit von § 112 Abs. 3 StPO erheblichen Bedenken ausgesetzt, wenn dringender Tatverdacht ohne die Prüfung bzw. das Vorliegen weiterer Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft genügen soll.11 Das Bundesverfassungsgericht befasste sich in seinem Wencker-Beschluss vom 15. Dezember 1965 mit dieser Regelung. Das Gericht sah in diesem Beschluss die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO, und zwar dahingehend, dass § 112 Abs. 3 StPO in engem Zusammenhang mit dessen Abs. 2 zu sehen sei. Zusätzlich zum dringenden Tatverdacht der Begehung einer Katalogtat müsse der Haftgrund der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nach Abs. 2 hinzutreten, allerdings unter Lockerung der sonst strengen Voraussetzungen dieses Absatzes.12 Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen bleibt festzuhalten, dass das Verständnis des „hinreichenden Verdachts“ in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK als Haftgrund erheblichen Bedenken ausgesetzt ist. Der Tatverdacht sollte verstanden werden als Grundvoraussetzung, welche notwendig, aber nicht hinreichend für die Anordnung von Untersuchungshaft ist. Erforderlich ist das Hinzutreten eines speziellen Haftgrundes, durch dessen Vorliegen belegt werden soll, dass die Durchführung eines Strafverfahrens in Bezug auf die konkrete Straftat und die Sicherstellung der Strafvollstreckung ernsthaft gefährdet ist. Nur in einem solchen Fall kann die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft gerecht­fertigt sein.

11 Eine ersatzlose Streichung des Haftgrundes der Tatschwere infolge der Unvereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung befürworten Kühl, in: ZStW 100 (1988), 601, 637, sowie Wolter, in: ZStW 93 (1981), 452, 503. 12 BVerfGE 19, 342, 350. Das BVerfG führt zur Begründung an, dass „weder die Schwere der Verbrechen […] noch die Schwere der (noch nicht festgestellten) Schuld“ für sich alleine die Verhaftung des Beschuldigten rechtfertigen würden. Vielmehr müssten stets auch Umstände dahingehend vorliegen, „dass ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte“.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

(2) Die Verhinderung der Begehung einer Straftat Als zweiten Haftgrund führt Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK die Verhinderung der Begehung einer Straftat an. Dem Wortlaut zufolge darf auch in dem Fall der betreffenden Person die Freiheit entzogen werden, in dem der begründete Anlass „zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie [die Person, Anm. d. Verf.] an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“. Der bloße Wortlaut suggeriert, dass die Anordnung jeglicher Art von Präventivhaft, sei sie generell oder individuell, durch die EMRK gestattet ist. Zwar wird durch den Wortlaut nicht die Festnahme einer Person aus generalpräventiven Gründen gedeckt, die allgemein unter dem Verdacht steht, verbrecherische Handlungen begehen zu wollen.13 Dem eingangs in lit. c) auferlegten Zweck der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde muss auch im Rahmen dieses Haftgrundes entsprochen werden, wie der EGMR verdeutlichte.14 Darüber hinaus wäre das spezielle Beschleunigungsgebot des Art. 5 Abs. 3 EMRK entbehrlich, sofern ein Verfahren überhaupt nicht angestrebt würde, da es an einer konkreten Tat fehlt. Eine generalpräventive Inhaftierung aus allgemeinen Erwägungen heraus ist im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK nicht konventionskonform, so dass zumindest die Verhängung einer generellen Präventivhaft ausscheidet.15 Für den Fall, dass die Erwägungen, die zur Anordnung von Untersuchungshaft führen, nicht allgemeiner, sondern konkreter Art sind, wäre dem Konventionstext zufolge der Freiheitsentzug gerechtfertigt. Da diese zweite Alternative streng genommen unabhängig vom erstgenannten Haftgrund des „hinreichenden Verdachts“ zu sehen ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Anforderungen an diese konkreten Erwägungen unterhalb der Schwelle zum „hinreichenden Verdacht“ liegen müssen. Andernfalls würde eine begriffliche Trennung der Haftgründe keinen Sinn ergeben. Allerdings wäre bei einer solchen Betrachtungsweise der Anordnung präventiver Untersuchungshaft wiederum Tür und Tor geöffnet – dies jedenfalls, was die individuelle Präventivhaft anbelangt, bei der es um die Begehung einer bestimmten Tat geht. Bedenkt man, dass sich auch in einem solchen Fall die Gefährlichkeit der Person noch nicht in einer konkreten Straftat manifestiert hat, so steht dies im Widerspruch zum Grundgedanken des Art. 5 Abs. 1 EMRK. Dies gilt auch, sofern man von der im Wortlaut verhafteten Trennung vom „hinreichenden Verdacht“ absieht und fordert, dass sich der Verdacht gegen den Betreffenden ausreichend erhärtet haben muss, um so dem Vorwurf der Implementierung einer präventiven Haft zu entgehen. Der EGMR hingegen lässt konkrete Gründe, die im Rahmen polizeilicher Ermittlungen auf die Begehung einer konkreten und speziellen strafbaren Handlung 13

So Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 385. EGMR, Lawless ./. Irland, Serie A Nr. 3, Rn. 14; Jėčius ./. Litauen, Reports 2000-IX, Rn.  50 f. 15 Etwas anderes gilt für Art. 5 Abs. 1 lit. e) EMRK. 14

III. Die Untersuchungshaft

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schließen lassen, ausreichen.16 Der „begründete Anlass“ sei derart zu verstehen, dass – auch in Abgrenzung zur ersten Alternative von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK – hinreichende Gründe dafür vorliegen müssen, dass die betreffende Person eine strafbare Handlung begehen wird.17 Die Gefahr der Begehung einer Straftat müsse von den nationalen Justizbehörden einer genauen Prüfung unter­zogen werden.18 Die Möglichkeiten zur Auslegung dieses Haftgrundes beschränken sich in Anlehnung an die obigen Ausführungen darauf, dass sich die Gefährlichkeit der Person auf eine bestimmte Art und Weise manifestiert haben muss. Ist dies nicht der Fall, so besteht kein Bedürfnis dafür, die Durchführung eines Strafverfahrens mittels Untersuchungshaft sichern zu wollen. Die Gefährlichkeit einer Person kann sich zum einen dadurch manifestieren, dass der Betreffende bereits die Schwelle zum strafbaren Versuchsstadium überschritten hat. Zum anderen kann sich die Gefährlichkeit bereits in der Vergangenheit durch die Begehung einer anderen Straftat herausgestellt haben. Jede andere Handhabung würde zu einer Einführung der Präventivhaft führen. Dieses Ergebnis führt aber auch dazu, die in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK zugrundegelegte Systematik zu überdenken. Bereits im Zusammenhang mit dem „Haftgrund“ des „hinreichenden Verdachts“ ist darauf hingewiesen worden, dass der Tatverdacht keinen eigenständigen Haftgrund darstellen könne, sondern vielmehr Grundvoraussetzung für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft sei.19 Bedenkt man, dass auch der Haftgrund der „Begehung einer Straftat“ der Sicherung eines Verfahrens dienen soll, stellt sich die Frage, ob das Kriterium des Tatverdachts hier überhaupt unberücksichtigt bleiben kann – wie dies der Wortlaut nahe legt. Vielmehr stützen die obigen Ausführungen die Argumentation, dass der Tatverdacht als grundlegende Voraussetzung betrachtet werden müsse, da ohne einen bereits konkretisierten Verdacht die Absicht, ein Strafverfahren durchzuführen, überhaupt nicht absehbar wäre.20 Auch die zusätzlichen Garantien des Art. 5 Abs. 3 EMRK wären überflüssig, sofern nicht bereits in die Erwägungen zur Anordnung der Untersuchungshaft das Kriterium mit einfließt, ein Strafverfahren gegen den Betreffenden betreiben zu wollen. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Haftgrund der „Begehung einer Straftat“ nur in den Fällen zum Tragen kommt, in denen sich die Gefahr, die von der betreffenden Person ausgeht, konkret manifestiert hat. Der dem Wortlaut nach „begründete Anlass“ muss de facto die Schwelle eines konkreten Tatverdachtes 16

EGMR, Guzzardi ./. Italien, Serie A Nr. 39, Rn. 102; Ciulla ./. Italien, Serie A Nr. 148, Rn. 40. 17 EGMR, Eriksen ./. Norwegen, Reports 1997-III, Rn. 86 („substantial grounds for believing that he would commit further similar offences“). 18 Zu Einzelheiten, die in die Beurteilung der nationalen Behörden mit einfließen, s. EGMR, Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 9; Ringeisen ./. Österreich, Serie A Nr. 13, Rn. 108; sowie Esser, S. 230 ff., und Dijk/Hoof u. a., S.  355 ff. 19 Dazu B. III. 1. a) aa) (1). 20 So auch Reindl, S. 62 ff., und Kühne/Esser, in: StV 2002, 383, 386.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

überschreiten, da andernfalls dem Zweck von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK nicht mehr entsprochen würde. Hierdurch werden die im vorigen Punkt dargelegten Er­ wägungen insoweit gestützt, als sich auch unter diesem Aspekt der Tatverdacht vielmehr als Grundvoraussetzung für Untersuchungshaft, denn als Haftgrund darstellt. (3) Die Fluchtgefahr Als dritter Haftgrund wird in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK der Haftgrund der „Fluchtgefahr“ angeführt. Erforderlich ist, dass „begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie [die Person, Anm. d. Verf.] […] an der Flucht nach Begehung einer solchen [Straftat, Anm. d. Verf.] zu hindern“. Indem die Flucht an eine Straftat anknüpfen muss, die die Person begangen hat, wird zumindest im Rahmen dieser Alternative das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachtes als Voraussetzung impliziert. Durch diese Verbindung der ersten und dritten Alternative im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK geht die Eigenständigkeit der Fluchtgefahr als Haftgrund verloren und wird in der Funktion als solcher nahezu bedeutungslos. Gegenüber dem „hinreichenden Verdacht“ als normiertem Haftgrund kommt der Fluchtgefahr lediglich eine ergänzende Funktion zu. Dies wird im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 3 EMRK bedeutsam, da mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft der Tatverdacht allein nicht mehr als ausreichend erachtet wird, um diese aufrecht zu erhalten. Vielmehr müssen zusätzliche Gründe hinzutreten, welche die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigen. Einen solchen Grund stellt die Fluchtgefahr der inhaftierten Person dar.21 Unter Zugrundelegung des oben angedeuteten Verständnisses zum Verhältnis von „hinreichendem Verdacht“ und den (sonstigen) Haftgründen käme der Fluchtgefahr durchaus eine eigenständige Bedeutung zu. Da schon dem Wortlaut zufolge das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts notwendig erscheint, ließe sich hiermit die Argumentation stützen, dass der Tatverdacht als Grundvoraus­ setzung verankert ist. Der Fluchtgefahr würde somit ein eigenständiger Geltungsbereich zukommen und deren Regelung in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK nicht überflüssig. Denn auch, wenn Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK in Zusammenhang zu sehen ist mit Art. 5 Abs. 3 EMRK,22 so haben beide Regelungen doch unterschiedliche Anwendungsbereiche. Während Art. 5 Abs. 1 EMRK die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft normiert, betrifft die Regelung der in diesem

21 Unter Darstellung anderer Auffassungen zur Frage der Normierung des Haftgrundes der „Fluchtgefahr“ so im Ergebnis auch Reindl, S. 65 ff. 22 EGMR, Lawless ./. Irland, Serie A Nr. 3, Rn. 14; Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 4; Irland ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 25, Rn. 196; sowie Murdoch, S. 48, und Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 83.

III. Die Untersuchungshaft

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Zusammenhang bedeutsamen Garantie des Art. 5 Abs. 3 Halbs. 2 EMRK spe­ziell deren Aufrechterhaltung. Für die Frage der Beurteilung der Fluchtgefahr stellt der EGMR auf verschiedene Kriterien ab. So kann beispielsweise die hohe Straferwartung ein Indiz für die Feststellung der Fluchtbereitschaft sein. Allerdings reicht eine solche für sich genommen nicht aus, da sich die Fluchtbereitschaft einer Person mit zunehmender Haftdauer verringert.23 Erforderlich ist vielmehr das Hinzutreten weiterer Gründe, die auf die Fluchtbereitschaft der betreffenden Person schließen lassen. Maßgeblich sind in dieser Hinsicht die Umstände des Einzelfalles. Neben der Persönlichkeit des Betroffenen und seinem sittlichen Verhalten sind ferner sein Wohnsitz, seine Beschäftigung, seine Vermögenssituation, seine familiären Bindungen sowie die Beziehungen zu demjenigen Staat, welcher die Strafverfolgung betreibt, zu berücksichtigen.24 (4) Zusammenfassung In der Zusammenschau des bisher Ausgeführten ergeben sich für die An­ ordnung eines Freiheitsentzuges nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK folgende Voraussetzungen: Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK beinhaltet – abschließend – drei Haftgründe. Neben dem „hinreichenden Verdacht“ als erstem Haftgrund finden sich darüber hinaus die Begehungs- bzw. Wiederholungsgefahr als zweiter, sowie die Fluchtgefahr als dritter Haftgrund. Für das Verhältnis der drei Alternativen in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK zueinander gilt dem Wortlaut der EMRK und der Anwendung der Norm durch den EGMR zufolge, dass jeder Haftgrund für sich genommen ausreicht, um die Anordnung von Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Allerdings sei angemerkt, dass es nach dem hier zugrundegelegten Verständnis vorzugswürdig erscheint, den Tatverdacht nicht als selbstständigen Haftgrund zu betrachten, sondern vielmehr als grundlegende Voraussetzung. Zu dem Verdacht an sich müssen alternativ als Haftgründe im eigentlichen Sinne entweder die Begehungs- und Wiederholungsgefahr, oder die Fluchtgefahr treten. Eine genaue Betrachtung ergibt, dass sowohl die Begehungs- und Wiederholungsgefahr, wie auch die Fluchtgefahr aus strukturellen wie systematischen Gründen einen hinreichenden Verdacht be EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 14 („… while the severity of the sentence which the accused may expect in the event of conviction may legitimately be regarded as a factor encouraging him to abscond – though the effect of such fear diminishes as detention continues …“); Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 10; Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 11; B. ./. Österreich, Serie A Nr. 175, Rn. 44. 24 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 10; Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 8; aktueller Smirnova ./. Russland, Reports 2003-IX, Rn. 60, und Chraidi ./. Deutschland, Urteil vom 26. Oktober 2006, Rn. 40. Ausführlich zu den Kriterien auch Esser, S. 234. 23

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

reits implizieren. Funktional betrachtet können außerdem Widersprüchlichkeiten, die im Rahmen der herkömmlichen Auslegung auftreten, durch eine solche Aus­ legung vermieden werden. Das Vorliegen von Haftgründen ist nicht abstrakt zu bestimmen, sondern immer anhand der Umstände des Einzelfalles. Es müssen zureichende, konkrete und tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Haftgrundes gegeben sein. Maßstab nicht nur für die Bestimmung des Begriffs der „Straftat“, sondern auch für die eingangs in lit. c) erwähnte „Rechtmäßigkeit“, ist das nationale Recht. Die Anordnung von Untersuchungshaft aus den oben genannten Gründen kann nur dann auch gerechtfertigt sein, wenn die Begründung und das Verfahren dem jeweiligen nationalen Recht entsprechen. Die Vorgaben der EMRK sind daher als Mindeststandard zu begreifen, der in die innerstaatlichen Rechtsordnungen Einzug erhalten haben muss. bb) Vorgaben für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft Für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft gilt nach ständiger Rechtsprechung des EGMR, dass mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges eine Kumulation von Haftgründen erforderlich ist, um dessen Aufrechterhaltung zu rechtfertigen. Diese Haftgründe müssen geeignet und hinreichend („relevant and sufficient“) dafür sein, das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Haft im Verhältnis zum Grundsatz der persönlichen Freiheit überwiegen zu lassen. Diesbezüglich gilt, dass neben den hinreichenden Verdacht weitere Gründe hinzutreten müssen. Diese müssen zum einen geeignet sein, grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Haft zu begründen. Zum anderen müssen die Gründe hinreichend sein, um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft im konkreten Einzelfall weiterhin zu rechtfertigen. Die zusätzlichen Haftgründe sind nicht beschränkt auf diejenigen, die in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK angeführt sind, sondern gehen über diese hinaus. Neben dem Vorliegen von geeigneten und hinreichenden Haftgründen muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die nationalen Behörden das Ver­fahren gegen den Betroffenen mit besonderer Sorgfalt („special diligence“) betrieben haben. Für die Feststellung der sorgfältigen Verfahrensführung kommt es auf diverse Kriterien an, die in die Beurteilung mit einfließen müssen. Im Folgenden gilt es, zum einen die Haftgründe, sowie zum anderen diejenigen Kriterien darzustellen, die für die Beurteilung der sorgfältigen Verfahrensführung maßgeblich sind. Nur bei zureichender Prüfung dieser beiden Aspekte kann die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft als gerechtfertigt angesehen werden.

III. Die Untersuchungshaft

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(1) „Geeignete“ und „hinreichende“ Gründe für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft (a) Anhaltender „hinreichender Verdacht“ Unabdingbare Voraussetzung für die weitere Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges ist das Bestehen eines hinreichenden Verdachts. Während der „hinreichende Verdacht“ zumindest dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK zufolge für die Anordnung von Untersuchungshaft nicht notwendigerweise vorliegen muss, so ist er doch für deren Aufrechterhaltung conditio sine qua non.25 Der Verdacht allein wird jedoch nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne als nicht hin­ reichend erachtet, um die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Vielmehr müssen kumulativ weitere Haftgründe hinzutreten, die als geeignet und hinreichend erachtet werden können, um die Fortdauer der Untersuchungshaft zu rechtfertigen.26 Hierbei müssen die weiteren Gründe umso gewichtiger sein, je länger die Untersuchungshaft andauert.27 (b) Fortdauernde Wiederholungsgefahr Das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Begehung weiterer Straftaten ist einer dieser weiteren – wenngleich auch nicht unumstrittenen28 – Gründe, welche die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen vermögen. Zur inhaltlichen Ausgestaltung dieses Haftgrundes hat der EGMR ausgeführt, dass die behauptete Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falles, der Lebensgeschichte sowie des Charakters des Beschuldigten plausibel und die Haftfortdauer angemessen sein müsse. Aus früheren Verurteilungen dürfe nicht automatisch auf das Bestehen einer Wiederholungsgefahr geschlossen werden, wenn diese Straftaten weder in ihrer Art noch ihrem Grad der Schwere zufolge mit denjenigen Vorwürfen vergleichbar seien, die dem Inhaftierten in dem aktuell gegen ihn geführten Strafverfahren zur Last gelegt werden.29 Ein bloßer Verweis auf das Vorleben der Person vermag eine weitere Inhaftierung 25

EGMR, Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 9, Rn. 4; Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 55; Muller ./. Frankreich, Reports 1997-II, Rn. 35; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 54; Ilijkov ./. Bulgarien, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 77. 26 EGMR, Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241, Rn. 84; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 30; Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 74; I. A. ./. Frankreich, Reports 1998-VII, Rn. 102; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 153. 27 EGMR, P. B. ./. Frankreich, Urteil vom 01. August 2000, Rn. 30; Vaccaro ./. Italien, Urteil vom 16. November 2000, Rn. 37; Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 36; Unfried, S. 48. 28 Kritisch zur eher präventiven Art der Haft nach diesem Haftgrund sowie zu den Pro­ blemen der Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 526 m. w. N. 29 So der EGMR in Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 40. Im Umkehrschluss so auch Toth ./. Österreich, Serie A Nr. 224, Rn. 70, und B. ./. Österreich, Serie A Nr. 175, Rn. 44.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

nicht zu rechtfertigen.30 Kriterien, die für die Annahme sprechen, dass der Inhaftierte im Falle seiner Freilassung erneut Straftaten begehen werde, sind die über einen langen Zeitraum fortgesetzte Begehung von Straftaten, der enorme Schaden, den die Opfer erlitten haben und die Sozialschädlichkeit des Beschuldigten,31 sowie das Vorhandensein eines Netzwerkes an Kontakten, von dem der Inhaftierte ohne Weiteres Gebrauch machen könnte.32 (c) Fortdauernde Fluchtgefahr Der Haftgrund der Fluchtgefahr als grundlegendes Kriterium für die Beurteilung der Aufrechterhaltung der Inhaftierung darf nicht anhand bloßer Vermutungen beurteilt werden, sondern es müssen konkrete Fakten, bzw. nach Ablauf einer längeren Zeitspanne sogar zwingende Gründe für eine solche Annahme gegeben sein.33 Allein aus der Höhe der zu erwartenden Strafe dürfe kein Rückschluss gezogen werden auf die Absicht des Inhaftierten, sich dem Strafverfahren durch Flucht zu entziehen. Die Fluchtgefahr müsse beurteilt werden unter Bezugnahme auf eine Reihe anderer relevanter Faktoren, welche entweder das Bestehen einer Fluchtgefahr bestätigen oder deren Vorliegen als dermaßen geringfügig erscheinen lassen, dass eine weitere Inhaftierung nicht gerechtfertigt sein kann.34 Weitere Faktoren von Relevanz sind dabei der Charakter des Betroffenen, seine moralische Haltung, Umstände in Bezug auf Wohnsitz, Beruf, Vermögensverhältnisse, Familienbande sowie Bindungen jeglicher Art an das Land, in dem er verfolgt wird, und seine internationalen Kontakte.35 Als generell anzuwendenden Test für die Bestätigung der Annahme einer Fluchtbereitschaft ist im Fall Stögmüller das Erfordernis aufgestellt worden, dass diese Umstände in ihrer Gesamtheit die Annahme rechtfertigen, dass die Folgen und Risiken der Flucht gegenüber der fortdauernden Inhaftierung dem Betreffenden als das geringere Übel erscheinen müssen.36 30

Dazu EGMR, Muller ./. Frankreich, Reports 1997-II, Rn. 44. Speziell dazu, dass Arbeitslosigkeit und mangelnde familiäre Bindungen zur Bejahung der Wiederholungsgefahr nicht ausreichen s. Sulaoja ./. Estland, Urteil vom 15. Februar 2005, Rn. 64. 31 EGMR, Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 9. 32 So der EGMR in Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 58, wobei es hier um ein Netzwerk zur Unterstützung von Führern der Mafia ging. 33 EGMR, Kudla ./. Polen, Reports 2000-XI, Rn. 114. Deutlich geringere Anforderungen beinhalten hingegen die Urteile in Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 60, sowie Barfuss ./. Tschechien, Urteil vom 31. Juli 2000, Rn. 69 f. Kritisch hierzu Esser, S. 296 f. 34 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 43; Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241-A, Rn. 98; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 33; Muller ./. Frankreich, Reports 1997-II, Rn. 43. 35 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 10; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 33; Smirnova ./. Russland, Reports 2003-IX, Rn. 60; Becciev ./. Moldawien, Urteil vom 04. Oktober 2005, Rn. 58. 36 EGMR, Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 15.

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(d) Die Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr Die Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr ist nicht als Haftgrund für die Anordnung der Freiheitsentziehung in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK vorgesehen. Gleichwohl wird eine solche von dem Inhaftierten ausgehende Gefahr für die Beurteilung der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft für bedeutsam erachtet.37 Sie fließt daher in die Entscheidung über die Beurteilung der Angemessenheit der Haftdauer als weiterer Faktor ein. Sowohl die Gefahr der Unterdrückung von Beweismaterial und der Beeinflussung von Zeugen als auch das Risiko der Be­ einträchtigung der Ermittlungen stellt einen geeigneten und hinreichenden Grund für eine weitere Inhaftierung dar. Die Feststellung der Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr hängt maßgeblich von der Natur der Straftaten, der Komplexität des Verfahrens, sowie vom Ver­ halten des Betroffenen, vor allem während der Ermittlungen, ab.38 Der Beurteilung zugrundegelegt werden müssen konkrete Fakten; bloße abstrakte Begründungen zur Feststellung eines solchen Risikos reichen hierzu nicht aus.39 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die mögliche Gefahr der Verdunkelung oder Kollusion mit fortschreitender Dauer des Verfahrens verringert.40 Je weiter demnach das Verfahren fortgeschritten ist, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit der Unterdrückung von Beweismaterial oder der Beeinflussung von Zeugen. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen kann die Verdunkelungs- oder Kollusionsgefahr nach Abschluss der Ermittlungen schwerlich bzw. nicht mehr als eigenständiger Haftgrund erachtet werden, welcher die weitere Aufrechterhaltung der Inhaftierung zu rechtfertigen vermag. (e) Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Als weiteren Haftgrund, der lediglich im Rahmen der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von Bedeutung ist, hat der EGMR die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ erachtet. Es muss sich hierbei um eine bestimmte Straf 37

Ausführlich dazu Reindl, S. 68 ff., sowie Venier, S. 77 f. EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 14; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 36; I. A. ./. Frankreich, Reports 1998-VII, Rn. 110. 39 EGMR, Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 163; Richet ./. Frankreich, Urteil vom 13. Februar 2001, Rn. 64; Szeloch ./. Polen, Urteil vom 22. Februar 2001, Rn. 90 f.; exemplarisch hierzu Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 61. 40 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 39; Kemmache ./. Frankreich, Serie A Nr. 218, Rn. 54; Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 43; I. A. ./. Frankreich, Reports 1998-VII, Rn. 110; Vaccaro ./. Italien, Urteil vom 16. November 2000, Rn. 38. Ebendies gilt für den Fall, dass die Verhaftung und Inhaftierung des Beschuldigten erst mehrere Monate nach Beginn der Ermittlungen stattfindet. Diese Feststellung traf der EGMR in Ringeisen ./. Österreich, Serie A Nr. 13, Rn. 106, mit dem Hinweis, dass Ringeisen ausreichend Zeit gehabt hätte, Zeugen zu beeinflussen, wenn dies seine Absicht gewesen wäre. 38

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tat handeln, die aufgrund ihrer spezifischen Schwere und den dadurch hervorgerufenen Reaktionen in der Öffentlichkeit geeignet ist, Anlass zu sozialen Unruhen zu bieten.41 Unter Anführung dieser Begründung kann die Fortdauer der Inhaftierung in außergewöhnlichen Umständen zumindest für eine gewisse Zeitspanne gerechtfertigt werden, jedenfalls soweit die jeweilige nationale Rechtsordnung die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung als entsprechende Begründung anerkennt. Zwecks der Ansehung dieses Haftgrundes als „geeignet und hinreichend“ für die Begründung der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft hat der EGMR zwei Voraussetzungen aufgestellt.42 Zum einen müssen Tatsachen angeführt werden, aus denen sich ergibt, dass die Freilassung des Inhaftierten tatsächlich eine Störung der öffentlichen Ordnung hervorrufen würde. Rein abstrakte Begründungen reichen diesbezüglich nicht aus. Zum anderen ist die Fortdauer des Freiheitsentzuges nur insoweit gerechtfertigt, als die öffentliche Ordnung tatsächlich bedroht ist. Keinesfalls darf die weitere Inhaftierung dazu dienen, eine etwaige Freiheitsstrafe vorwegzunehmen. (f) Die Schwere der Straftat Auch die Schwere der Straftat kann als Faktor für die Beurteilung der Frage, die Untersuchungshaft weiterhin aufrecht zu erhalten, herangezogen werden. Allerdings gilt es an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass der Rechtsprechung des EGMR zufolge die Fortdauer der Inhaftierung nicht allein auf den Haftgrund der „Schwere der Straftat“ gestützt werden kann.43 Die vier grundlegenden Haftgründe, mittels derer die Versagung einer Haftentlassung ohne Weiteres begründet werden kann, wurden im Urteil Smirnova gegen Russland dargelegt.44 Die „Schwere der Straftat“ fand in diesem Zusammenhang keine Erwähnung. 41 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 51; Kemmache ./. Frankreich, Serie A Nr. 218, Rn. 52 („The Court accepts that, by reason of their particular gravity and public reaction to them, certain offences may give rise to a social disturbance capable of justifying pre-trial detention, at least for a time.“). 42 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 51; Kemmache ./. Frankreich, Serie A Nr. 218, Rn. 52; Tomasi ./. Frankfurt, Serie A Nr. 241-A, Rn. 91; I. A. ./. Frankreich, Reports 1998-VII, Rn. 104. Kritisch in diesem Zusammenhang Grote, in: Weissbrodt/Wolfrum, S. 706, der auf das Erfordernis einer restriktiven Interpretation dieses Haftgrundes hinweist. 43 EGMR, Jėčius ./. Litauen, Reports 2000-IX, Rn. 94; Ilijkov ./. Bulgarien, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 81; Olstowski ./. Polen, Urteil vom 15. November 2001, Rn. 78. 44 EGMR, Smirnova ./. Russland, Reports 2003-IX, Rn. 59 („The Convention case-law has developed four basic acceptable reasons for refusing bail: the risk that the accused will fail to appear for trial […]; the risk that the accused, if released, would take action to prejudice the administration of justice […] or commit further offences […] or cause public disorder [..].“). Dazu Bourgon/Cauvin, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 296, 304 f., und Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 527.

III. Die Untersuchungshaft

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In inhaltlicher Hinsicht können im Rahmen dieses Haftgrundes mehrere Erwägungen herangezogen und der Beurteilung zugrunde gelegt werden. So können die Existenz und Dauerhaftigkeit erheblicher Anzeichen für die Schuld einer Person,45 vor allem in Form der Schlüssigkeit der den Inhaftierten belastenden Beweise,46 ebenso in die Entscheidung mit einbezogen werden wie der starke Verdacht der Begehung der schweren Straftat47 und die Höhe der zu erwartenden Strafe.48 Die Kriterien der „Gefahr für die Gesellschaft“ und des „hohen Maßes an Sozialschädlichkeit“ hat der EGMR als zu allgemein gehalten erachtet, um das öffentliche Interesse zu begründen, welches notwendig für den weiteren Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen ist.49 Grundsätzlich ist die Einstellung des EGMR diesem von nationalen Instanzen oftmals angeführten Haftgrund gegenüber als kritisch und vorsichtig zu bewerten. Die „Schwere der Straftat“ ist vor dem Gerichtshof als ein Faktor unter mehreren anzusehen, der in die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft einfließt, sie aber niemals alleine zu rechtfertigen vermag. (g) Die Erfordernisse der Ermittlungen In einigen wenigen Urteilen des EGMR findet sich ein Rückgriff auf den Haftgrund der „Erfordernisse der Ermittlungen“ („requirements of the investigation“). Wenngleich die Erfordernisse der Ermittlungen auch eine Inhaftierung zu Beginn der Ermittlungen zu rechtfertigen vermögen, kann eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft hiermit nicht begründet werden. Vielmehr sind die Erfordernisse der Ermittlungen, wie auch das Kriterium der Tatschwere, lediglich als ein Faktor unter mehreren anzusehen, der in die entsprechende Entscheidung mit einfließt. Sofern die Komplexität der Ermittlungen eine Inhaftierung des Beschuldigten erfordert, darf eine Inhaftierung angeordnet werden, wenn andernfalls eine Störung oder Einflussnahme durch den Betreffenden zu befürchten wäre. Dabei verliert 45

EGMR, Kemmache ./. Frankreich, Serie A Nr. 218, Rn. 50; Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241-A, Rn. 89; Yăgcı und Sargın ./. Türkei, Serie A Nr. 319-A, Rn. 53; Mansur ./. Türkei, Serie A Nr. 319-B, Rn. 56. 46 EGMR, Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 63; Jėčius ./. Litauen, Reports 2000-IX, Rn. 94. 47 EGMR, Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 78 („strong suspicion“). Zunächst ließe sich bei einer solchen Formulierung ein Zusammenhang zum Haftgrund des „hinreichenden Verdachts“ vermuten. Allerdings ist der Verdachtsgrad ein anderer (nicht „reasonable“, sondern „strong“). Hinzu kommt, dass diese Erwägung des „starken Verdachts“ im Urteil mit der Begehung einer schweren Straftat in Zusammenhang gebracht wird. 48 EGMR, Ilijkov ./. Bulgarien, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 81; Olstowski ./. Polen, Urteil vom 15. November 2001, Rn. 78; Goral ./. Polen, Urteil vom 30. Oktober 2003, Rn. 68. Kritisch hierzu Fawcett, in: Andrews, S. 21. 49 EGMR, Olstowski ./. Polen, Urteil vom 15. November 2001, Rn. 78 („… the Court observes that the first and the last of these grounds [„the significant danger to society“ und „a heavy load of social harmfulness“, Anm. d. Verf.] are very general …“).

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dieser Haftgrund mit fortschreitender Dauer des (Ermittlungs-)Verfahrens zunehmend an Bedeutung.50 Die Risiken der Beeinträchtigung der Ermittlungen minimieren sich, sofern Zeugenaussagen aufgenommen und Beweismaterial gesichert wurde.51 Die staatlichen Justizbehörden trifft die Pflicht zur Darlegung der Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung. Abstrakt gehaltene, allgemeine und stereotype Formulierungen genügen dieser Pflicht nicht.52 Bei näherer Betrachtung ist die Eigenständigkeit dieses Kriteriums gegenüber dem Haftgrund der Verdunkelungs- und Kollusionsgefahr zu bezweifeln. Ferner hängt prinzipiell von diversen Kriterien ab, was die Ermittlungen erfordern. Diese Verknüpfung mit zusätzlichen Aspekten bedingt gerade den Zusammenhang zu anderen Haftgründen. Insbesondere die Schwere der Tat kann komplexe Ermittlungen erfordern. Hinzu kommen oftmals Aspekte der Gefahr einer Verdunkelung durch Störung oder Einflussnahme des Beschuldigten. Neben der Tatschwere kann somit auch die Verdunkelungsgefahr bedingen, dass die Ermittlungen im konkreten Fall von besonderer Art sind und eine Inhaftierung des Beschuldigten erfordern. Die Untersuchungshaft beruht in diesem Fall aber eher auf einer Vernetzung verschiedener Haftgründe, so dass die „Erfordernisse der Ermittlungen“ grundsätzlich zugleich auch im Zusammenspiel mit weiteren Haftgründen vorliegen. Für sich betrachtet sind die „Erfordernisse der Ermittlungen“ für die Frage der Aufrechterhaltung letztendlich von untergeordneter Bedeutung. (h) Weitere Kriterien zur Beurteilung der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft Neben den soeben erläuterten Haftgründen finden sich in Urteilen des EGMR diverse zusätzliche Kriterien. Diesen Aspekten ist zwar eine eher geringe Relevanz zuzuschreiben, gleichwohl greift der EGMR in seinen Ausführungen regelmäßig auf sie zurück. Dabei wird oftmals ein enger Zusammenhang mit anderen Haftgründen deutlich, so dass sich eine wechselseitige Beeinflussung der verschiedenen Haftgründe bzw. Kriterien erkennen lässt. Über die Kriterien der Höhe der zu erwartenden Strafe und der Zugehörigkeit zu einer organisierten kriminellen Gruppierung hinaus sind bereits bei der Frage, ob „geeignete“ und „hinreichende“ Haftgründe für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft vorliegen, die Komplexität des Verfahrens sowie Aspekte der 50 EGMR, Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 43; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 35. 51 So auch EGMR, Celejewski ./. Polen, Urteil vom 04. Mai 2006, Rn. 37 f., und Dudek ./. Polen, Urteil vom 4. Mai 2006, Rn. 36. 52 Dazu EGMR, Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 43; Demir u. a. ./. Türkei, Reports 1998-VI, Rn. 41, 52, und Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 163.

III. Die Untersuchungshaft

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Verfahrensführung bedeutsam. Die beiden zuletzt genannten Kriterien sind herkömmlich erst dann von Relevanz, wenn es auf einer zweiten Ebene um die Frage geht, ob die nationalen Behörden das Verfahren mit besonderer Sorgfalt („special diligence“) betrieben haben. Vereinzelt kommen sie jedoch bereits im Rahmen der Frage nach hinreichenden Haftgründen zum Tragen. Zunächst fließt die Höhe der zu erwartenden Strafe regelmäßig als Kriterium in die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft mit ein. Dabei wird zum einen Bezug genommen auf den Haftgrund der „Schwere der Straftat“.53 Die Höhe der zu erwartenden Strafe ist aber als einzelner Faktor auch von Bedeutung für die Beurteilung einer Flucht- oder Wiederholungsgefahr.54 Ebenso ist denkbar, dass die potenziell drohende hohe Strafe auch bei Überlegungen zum Haftgrund der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ mit einbezogen werden kann. Recht häufig findet sich bei den Begründungen zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ein Verweis auf die Zugehörigkeit zu einer organisierten kriminellen Gruppierung („member of an organised crime/criminal group“).55 Ob es sich dabei um die „Organisierte Kriminalität“ im herkömmlichen Sinne handeln muss, ist unklar. Jedenfalls mit Blick auf die Argumentation des EGMR ist dies abzulehnen. Vielmehr reicht scheinbar jedwede Gruppierung aus, die in organisiertem Maße Straftaten begeht. Dahinter steht die Überlegung, dass sich die Ermittlung der Fakten für die jeweiligen Behörden schwieriger gestaltet, sofern gegen mindestens ein Mitglied einer solchen Gruppierung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Ebendies gilt für die Feststellung der Verantwortlichkeit, sofern sich der Verdacht der Begehung einer Straftat gegen mehrere Mitglieder richtet. Um vor diesem Hintergrund zumindest Untersuchungshaft anordnen zu können, ist eine Involvierung in die „Organisierte Kriminalität“ nicht erforderlich – die genannten Schwierigkeiten bestehen im Hinblick auf jede organisierte Gruppierung. Der EGMR hat eine entsprechende Zugehörigkeit zumindest für die Anordnung von Untersuchungshaft zu Beginn des Verfahrens als ausreichenden Haftgrund erachtet.56 Zugleich führt er aus, dass unter gewissen Umständen sogar die Aufrechterhaltung der Inhaftierung mit einer solchen Begründung gerechtfertigt werden könne. Auch diesbezüglich gilt, dass die nationalen Justizbehörden konkrete Fakten zur Begründung anführen müssen. Neben den Schwierigkeiten im Hinblick auf die Ermittlungen besteht grundsätzlich auch ein hohes Risiko der Ver 53

s. B. III. 1. a) bb) (1) (f). EGMR, Tariq ./. Tschechien, Urteil vom 18. April 2006, Rn. 94; Michta ./. Polen, Urteil vom 04. Mai 2006, Rn. 49; Telecki ./. Polen, Urteil vom 06. Juli 2006, Rn. 34; Hilgartner ./. Polen, Urteil vom 03. März 2009, Rn. 33. 55 EGMR, Bąq ./. Polen, Urteil vom 16. Januar 2007, Rn. 62; Fešar ./. Tschechien, Urteil vom 06. April 2009, Rn. 52; Godysz ./. Polen, Urteil vom 28. April 2009, Rn. 25; Marzec ./. Polen, Urteil vom 09. Juni 2009, Rn. 32. 56 EGMR, Górski ./. Polen, Urteil vom 04. Oktober 2005, Rn. 58; Celejewski ./. Polen, Urteil vom 04. Mai 2006, Rn. 37. 54

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dunkelung, beispielsweise durch Beeinflussung von Zeugen. So kann die Zugehörigkeit zu einer solch organisierten Gruppierung auch ein Aspekt sein, der bei der Beurteilung der Haftgründe der Verdunkelungs- und auch der Fluchtgefahr relevant wird. Ebenso ist dieses Kriterium von Bedeutung im Rahmen der „Erfordernisse der Ermittlungen“, da durch die bloße Zugehörigkeit regelmäßig die Ermittlungen erschwert werden.57 Die Komplexität des Verfahrens ist scheinbar nicht nur auf der zweiten Ebene der Überprüfung der Angemessenheit der Dauer von Untersuchungshaft als Beurteilungskriterium heranzuziehen, sondern wird schon auf der ersten Ebene der „geeigneten“ und „hinreichenden“ Haftgründe in die Betrachtung mit einbezogen. So wird vereinzelt durch den EGMR angemerkt, dass die Komplexität des Verfahrens die fortdauernde Inhaftierung des Beschuldigten erfordern kann.58 Die diesbezüglich angeführten Kriterien sind die Art der Vorwürfe, die Anzahl der Angeklagten sowie das Ausmaß der Dokumentation.59 Allgemeine Hinweise auf die Komplexität des Falles reichen nicht aus, um die Aufrechterhaltung der Unter­ suchungshaft zu rechtfertigen. Dabei gilt auch hier, dass das Kriterium der Komplexität lediglich ein Faktor ist, den es bei der Entscheidung über die Fortdauer der Inhaftierung zugrunde zu legen gilt. So ist die Komplexität des Falles zum einen bedeutsam bei der Beurteilung der Frage einer Verdunkelungsgefahr. Zum anderen weist dieser Aspekt auch Bezüge zu den Haftgründen der „Schwere der Straftat“ sowie zu den „Erfordernissen der Ermittlungen“ auf. Letztendlich ist auch auf das in diesem Kontext oftmals angeführte Kriterium der „ordnungsgemäßen Verfahrensführung“ einzugehen, welches der EGMR teilweise für die ursprüngliche Anordnung von Untersuchungshaft als geeigneten und hinreichenden Haftgrund erachtet.60 Ebenso wie die Komplexität des Falles ist auch die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens eher auf der zweiten Ebene der Beurteilung der Angemessenheit im Rahmen der Frage nach einer sorgfältigen Verfahrensführung seitens der nationalen Behörden zu verorten. Gleichwohl führt der EGMR dieses Kriterium bereits als Faktor innerhalb der Frage nach „geeigneten“ und „hinreichenden“ Haftgründen an. Die Gefahr, dass der Beschuldigte einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf hindert, kann nicht abstrakt seitens der nationalen Behörden begründet werden, sondern erfordert sachliche

57 EGMR, Choumakov ./. Polen, Urteil vom 29. Juli 2008, Rn. 36; Dublas ./. Polen, Urteil vom 07. Oktober 2008, Rn. 27. 58 EGMR, Hilgartner ./. Polen, Urteil vom 03. März 2009, Rn. 34; Godysz ./. Polen, Urteil vom 28. April 2009, Rn. 29; Marzec ./. Polen, Urteil vom 09. Juni 2009, Rn. 36. 59 “… the Court’s attention has been drawn to the nature of the charges, the number of the accused and the voluminous documentation.“ 60 Exemplarisch hierzu der EGMR, G. K. ./. Polen, Urteil vom 20. Januar 2004, Rn. 84; ­Tariq ./. Tschechien, Urteil vom 18. April 2006, Rn. 93; Fešar ./. Tschechien, Urteil vom 06. April 2009, Rn. 51; Godysz ./. Polen, Urteil vom 28. April 2009, Rn. 26; Choumakov ./. Polen, Urteil vom 29. Juli 2009, Rn. 35.

III. Die Untersuchungshaft

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Beweise.61 Im Vordergrund steht das Bedürfnis, die Durchführung des Verfahrens zu sichern.62 So geht es vor allem um Fragen der Erlangung und Sicherstellung von Beweismaterial. Auch die Sicherung der Durchführung des Verfahrens kann als einzelnes Kriterium im Rahmen einer Art „Gesamtbetrachtung“ bei der Frage nach dem Vorliegen weiterer Haftgründe in Ansatz zu bringen sein. Für sich genommen reicht das Bedürfnis einer ordnungsgemäßen Verfahrensführung nicht aus, um eine fortdauernde Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft kann dieser Aspekt jedoch im Rahmen der Beurteilung der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr relevant werden, ebenso wie bei der Frage nach den Erfordernissen der Ermittlungen. (i) Fazit Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass es neben den „herkömmlichen“ Gründen für die Anordnung und vor allem für die Aufrechterhaltung von Unter­ suchungshaft eine Reihe an Kriterien gibt, die als zusätzliche Aspekte in die Be­ urteilung mit einfließen. So können diese Kriterien eine fortdauernde Inhaftierung zwar nicht per se und aus sich selbst heraus rechtfertigen. Da allerdings mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft auch die Gründe für deren Aufrechterhaltung umso gewichtiger sein müssen, können sie im Rahmen einer „Gesamtbetrachtung“ aller Umstände in Ansatz gebracht und derartig berücksichtigt werden. Zwar ist auch in diesem Zusammenhang zu beachten, dass diese Kriterien grundsätzlich mit zunehmender Dauer des Verfahrens und mithin der Unter­ suchungshaft an Bedeutung verlieren. Gleichwohl finden sie Berücksichtigung, wobei es hier jeweils auf die Umstände des einzelnen Falles ankommt. Das Zusammenspiel und die Verknüpfung der Kriterien miteinander dürften jedenfalls in den vorangehenden Ausführungen deutlich geworden sein. (2) Die „besondere Sorgfalt“ bei der Verfahrensführung Neben den geeigneten und hinreichenden Haftgründen, deren Vorliegen die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft bedingt, ist in einem zweiten Schritt die Art und Weise der Verfahrensführung maßgeblich. Den nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten obliegt im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR aufgrund des Eingriffs in das Recht auf Freiheit die Pflicht, das Verfahren gegen den inhaftierten Beschuldigten mit 61 EGMR, Becciev ./. Moldawien, Urteil vom 04. Januar 2006, Rn. 59 („The danger of the accused’s hindering the proper conduct of the proceedings cannot be relied upon in abstracto, it has to be supported by factual evidence.“). Ebenso Kreps ./. Polen, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 43; Dublas ./. Polen, Urteil vom 07. Oktober 2008, Rn. 29. 62 EGMR, G. K. ./. Polen, Urteil vom 20. Januar 2004, Rn. 84; Telecki ./. Polen, Urteil vom 6. Juli 2006, Rn. 34; Marzec ./. Polen, Urteil vom 09. Juni 2009, Rn. 33.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

besonderer Sorgfalt („special diligence“) zu betreiben.63 Der inhaftierte Beschuldigte bzw. Angeklagte hat einen Anspruch darauf, seinen Fall mit Vorrang und besonderer Beschleunigung behandelt zu sehen. Allerdings gilt insofern die Einschränkung, dass die Gerichte überhaupt in der Lage sein müssen, ihre Aufgaben mit der notwendigen Sorgfalt wahrzunehmen und den Grundsätzen einer ordentlichen Verfahrensführung zu entsprechen.64 Die Beurteilung dessen bemisst sich anhand der Kriterien der Komplexität des Falles, der Gerichtsorganisation bzw. des Verhaltens der Behörden sowie dem Verhalten des Beschuldigten.65 Prinzi­piell richtet sich die Überprüfung durch den EGMR auf die Feststellung ungerechtfertigter Verzögerungen und Phasen der Untätigkeit.66 Im Hinblick auf das Kriterium der Komplexität sind die Anzahl der Angeklagten, sowie die Vielzahl der zu hörenden Zeugen und der Umfang des Beweis­ materials in die Beurteilung mit einzubeziehen, ebenso wie die Verzweigungen der Vorfälle im In- und Ausland und die – ggf. serienmäßig begangene – Natur der Delikte.67 Was die Gerichtsorganisation und das Verhalten der staatlichen Behörden an­ belangt, so entspricht dieser Aspekt dem Kern der Frage einer sorgfältigen Verfahrensführung. Wie bereits festgestellt, soll sich die Überprüfung durch den EGMR grundsätzlich darauf beziehen, dass es nicht zu ungerechtfertigten Verzögerungen und Phasen der Untätigkeit kommt. Das Verfahren kann nur mit der erforderlichen besonderen Sorgfalt betrieben worden sein, wenn sich speziell die nationalen Behörden keine unnötigen Verzögerungen zu Schulden kommen lassen. Dahinter steht der Gedanke, dass der Beschuldigte aufgrund von Vorgängen, auf die er keine Einflussmöglichkeit hat, nicht über einen unangemessenen Zeitraum in Untersuchungshaft festgehalten werden darf. So dürfen Verfahrensverzögerungen nicht auf einem Personalmangel, auf dem Fehlen von Sachmitteln oder auf einer übermäßigen Arbeitsbelastung der nationalen Behörden und gerichtlichen Instanzen beruhen.68 63

EGMR, Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 36; Tomasi ./. Frankreich, Serie A Nr. 241-A, Rn. 84; Herczegfalvy ./. Österreich, Serie A Nr. 244, Rn. 71; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 153. 64 EGMR, Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 12 („proper administration of ­justice“); Toth ./. Österreich, Serie A Nr. 224, Rn. 77; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 42; Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 72 („must not hinder the efforts of the courts to carry out their tasks with proper care“). 65 Für eine ausführliche Darstellung dieser Kriterien s. Esser, S. 301 ff. 66 Chatzivassiliou, in: ERA-Forum 5 (2004), 499, 517; s. a. EGMR, W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 42. 67 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 17; Matznetter ./. Österreich, Serie A Nr. 10, Rn. 12; B. ./. Österreich, Serie A Nr. 175, Rn. 45; Van der Tang ./. Spanien, Serie A Nr. 321, Rn. 75; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 66 f., sowie auch Dörr, in: Grote/ Marauhn, Kap. 13 Rn. 69. 68 EGMR, W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 42; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 67.

III. Die Untersuchungshaft

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Auch das Verhalten des Beschuldigten ist bei der Beurteilung einer sorgfältigen Verfahrensführung zu berücksichtigen. Zwar ist der Beschuldigte nicht zur Kooperation mit den nationalen Behörden verpflichtet. Er hat allerdings die Konsequenzen seines Verhaltens zu tragen, sofern sich dieses nachteilig auf den Gang des Verfahrens auswirkt.69 Wenn also der Beschuldigte übermäßig von – auch offensichtlich unbegründeten – Rechtsmitteln Gebrauch macht und damit zu einer Verzögerung des Verfahrens beiträgt, wird hierdurch die Dauer der Unter­ suchungshaft nicht unangemessen, da es sich diesbezüglich nicht um Säumnisse der nationalen Behörden handelt. cc) Der Grundsatz des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft Ein weiterer wichtiger Bestandteil der menschenrechtlichen Gewährleistungen zum Schutz vor übermäßigem Freiheitsentzug ist der Grundsatz des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft.70 Ausdrücklich ist dieser in Art. 9 Abs. 3 IPbpR normiert, der besagt, dass es „nicht die allgemeine Regel sein [darf], dass Personen, die eine gerichtliche Aburteilung erwarten, in Haft gehalten werden“. Obwohl Art. 5 Abs. 3 EMRK nicht eigens von einem Ausnahmecharakter spricht, so wird vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck dieser Gewährleistung von einem solchen ausgegangen.71 Die weitere Inhaftierung kann nur im Fall ihrer Angemessenheit aufrecht erhalten werden. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt,72 kann sich diese nur aus den dem jeweiligen Einzelfall zugrunde liegenden besonderen Umständen ergeben. Um den fortdauernden Freiheitsentzug als angemessen und somit rechtmäßig zu erachten, muss im Rahmen einer Abwägung das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft das Recht auf Freiheit des Betroffenen überwiegen. Innerhalb einer solchen Abwägung ist auch dem Gehalt der Unschuldsvermutung ausreichend Rechnung zu tragen. Das öffentliche Interesse, welches die Angemessenheit einer weiteren Inhaftierung zu begründen vermag, ist bedingt durch das Vorliegen geeigneter und hinreichender Haftgründe, sowie durch eine sorgfältige Verfahrensführung seitens der staatlichen Institutionen. Sofern eines dieser Elemente nicht (mehr) vorliegt, überwiegt bei besagter Abwägung das Recht auf Freiheit des Inhaftierten. Folge dessen ist, dass eine weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht 69 EGMR, Clooth ./. Belgien, Serie A Nr. 225, Rn. 43; Herczegfalvy ./. Österreich, Serie A Nr. 244, Rn. 72; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 42; Scott ./. Spanien, Reports 1996VI, Rn. 83; kritisch Esser, S. 304 ff. 70 Grote, in: Weissbrodt/Wolfrum, S. 704, verdeutlicht, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, diesen Grundsatz umzusetzen: (1) Durch Normierung strenger Voraussetzungen, unter denen einer Person überhaupt die Freiheit entzogen werden kann, oder (2) mittels Sicherstellung, dass die inhaftierte Person schnellstmöglich aus der Haft entlassen wird, sobald die Gründe für den Freiheitsentzug nicht mehr vorliegen. 71 EGMR, Ilijkov ./. Bulgarien, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 84 m. w. N. 72 s. B. II. 5. a) cc).

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mehr als „angemessen“ angesehen werden kann und mithin der Rechtmäßigkeit entbehrt. Für diesen Fall sehen sowohl Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Halbs. 2 EMRK als auch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 IPbpR die Entlassung des Betreffenden aus der Untersuchungshaft vor.73 Doch auch, wenn die Erfordernisse geeigneter und hinreichender Haftgründe einerseits, sowie die besondere Sorgfalt bei der Durchführung des nationalen Verfahrens andererseits weiterhin vorliegen, kann das Recht auf Freiheit im Rahmen einer Abwägung mit dem öffentlichen Interesse überwiegen. Dies ist dann der Fall, wenn der übergreifende Zweck von Art. 5 Abs. 3 EMRK, der in Zusammenschau mit Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK zu betrachten ist, auch durch mildere Maßnahmen verwirklicht werden kann. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK soll als Ziel der Untersuchungshaft die Vorführung der betreffenden Person vor die zuständige Gerichtsbehörde gesichert werden. In diesem Kontext verdeutlicht auch der letzte Satz der Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR, dass mildere Maßnahmen als die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft angeordnet werden können, sofern sie eben diesem Ziel in gleichem Maße dienlich sind. Den staatlichen Justizbehörden obliegt prinzipiell die aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz resultierende74 Pflicht, weniger einschneidende Maßnahmen als die Fortdauer der Untersuchungshaft in Betracht zu ziehen.75 Sofern es also um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft geht und ein öffentliches Interesse an der weiteren Inhaftierung vorliegt, müssen sich die nationalen Gerichte mit der Frage auseinandersetzen, ob der grundsätzliche Zweck von Untersuchungshaft nicht auch mit alternativen, milderen Maßnahmen zu erreichen ist. Im Rahmen dieser Erwägungen steht den nationalen Gerichten ein Ermessensspielraum zu („kann“). Dieses Ermessen bezieht sich sowohl auf die Frage, ob (1) die Vorführung des Beschuldigten vor die zuständige Justizbehörde auch im Fall einer Entlassung gewährleistet ist, die (2) unter Umständen mit der Leistung einer Sicherheit verbunden werden kann, als auch (3) auf die Art und den Umfang der Sicherheit, sofern nach Ansicht der staatlichen Stellen die Erbringung einer solchen erforderlich ist.

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Für diesen Fall betonte der EGMR in Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 4, dass das Recht auf ein Urteil innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Entlassung dem Gericht keine Wahl lasse. Für die Entlassung spreche eine Vermutung. Sofern also die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht mehr als angemessen erachtet werden kann, ist zwingende Folge dessen die vorläufige Entlassung des Inhaftierten. Ebenso Jabloński ./. Polen, Urteil vom 21. Dezember 2000, Rn. 83 f.; McKay ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 03. Oktober 2006, Rn. 41. 74 So Dörr, in: Grote/Marauhn, Kap. 13 Rn. 61. 75 EGMR, Ilowiecki ./. Polen, Urteil vom 04. Oktober 2001, Rn. 63; Choumakov ./. Polen, Urteil vom 29. Juli 2008, Rn. 39; Fešar ./. Tschechien, Urteil vom 06. April 2009, Rn. 53. Als solche „weniger einschneidenden Maßnahmen“ sind neben der Entlassung gegen Leistung einer Sicherheit auch polizeiliche Meldepflichten, die Aushändigung des Reisepasses oder ähnliches zu verstehen, Meyer-Ladewig, Art. 5 Rn. 36b; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 532, und EGMR, Stögmüller ./. Österreich, Serie A Nr. 9, Rn. 15.

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Gleichwohl stellt sich in Einzelfällen dieses Ermessen als gebundene Entscheidung dar, so dass der Beschuldigte zwingend aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss. Insbesondere für den Fall, dass die Untersuchungshaft lediglich wegen der Fluchtgefahr des Beschuldigten in Betracht kommt, beansprucht die Entlassung gegen die zweckdienliche Leistung einer Sicherheit Vorrang vor der Aufrechterhaltung der Inhaftierung.76 Für diese Konstellationen gilt, dass das öffentliche Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Beschuldigten zwar gleichwohl besteht, aber bereits die Entlassung gegen Leistung einer Sicherheit dem Zweck von Art. 5 Abs. 1 lit. c), Abs. 3 EMRK gerecht zu werden vermag. Aus diesen Überlegungen ergibt sich der Grundsatz des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft. So ist zunächst speziell im Hinblick auf die EMRK, welche den Ausnahmecharakter nicht ausdrücklich im Wortlaut beinhaltet, jede Vorgabe einer zwingenden Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft mit Art. 5 Abs. 3 EMRK schlichtweg unvereinbar.77 Ebendies gilt für Regelungen im nationalen Recht, welche die Entlassung gegen Leistung einer Sicherheit kategorisch ausschließen.78 Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen betont den Ausnahmecharakter in deutlicherem Maße als der EGMR, indem er tatsächlich primär von einer Entlassung gegen Leistung einer Sicherheit auszugehen scheint. Hiervon macht er nur in den Fällen eine Ausnahme, in denen ein „klassischer“ Haftgrund höchstwahrscheinlich vorliegt und dieser Umstand eine Inhaftierung erfordert.79 Zur konkreten Ausgestaltung der Sicherheitsleistung ist zunächst anzu­merken, dass der Umfang der Sicherheit eine ausreichende Garantie dafür bieten muss, dass die Vorführung des Beschuldigten vor die zuständige Justizbehörde ge­ sichert wird. Art und Höhe der Sicherheit richten sich demzufolge allein nach dem Sicherungszweck,80 wobei die Sicherheitsleistung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein adäquates Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks darstellen muss.81 In denjenigen Fällen, in denen der einzige Haftgrund in der Fluchtgefahr des Beschuldigten besteht, muss sich demnach die Erwägung einer Sicherheitsleistung danach bemessen, dass sich der Betreffende nach seiner Ent 76 EGMR, Wemhoff ./. Deutschland, Serie A Nr. 7, Rn. 15; Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 46. 77 EGMR, Ilijkov ./. Bulgarien, Urteil vom 26. Juli 2001, Rn. 84. 78 EGMR, Caballero ./. Vereinigtes Königreich, Reports 2000-II, Rn. 18–21; S. B. C. ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 19. Juni 2001, Rn. 22 f. 79 HRC, W. B. E. ./. Niederlande, Communication No. 432/1990, U. N. Doc. CCPR/C/46/D, 23. Oktober 1992, Rn. 6.3; M. und B. Hill ./. Spanien, Communication No. 526/1993, U. N. Doc. CCPR/C/59/D/526/1993, 02. April 1997, Rn. 12.3. Als „klassische“ Haftgründe werden in diesem Zusammenhang Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr und Wiederholungsgefahr bezeichnet. 80 Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPBPR, Rn. 119. 81 Chatzivassiliou, in: ERA-Forum 5 (2004), 499, 517; Esser, S. 307 f.

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lassung gegen eine Flucht entscheidet.82 Ferner ist zu bedenken, dass eine finanzielle Sicherheitsleistung keine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens garantieren, sondern die Durchführung des Verfahrens sichern soll.83 Die zu leistende Sicherheit darf sich demnach nicht an dem entstandenen Schaden orientieren, sondern ist nach Maßgabe der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Verfahrenssicherung, festzusetzen. Grundsätzlich sind somit, sofern die Sicherheit in Form eines Geldbetrages geleistet werden soll, alle Besonderheiten des konkreten Einzelfalles in die Überlegungen zur Festsetzung des Betrages mit einzubeziehen. Die Höhe der Sicherheit hat sich daher an der Person des Beschuldigten, seinen Vermögensverhältnissen, sowie der Beziehung zu denjenigen Personen zu orientieren, die eventuell eine Sicherheit stellen können.84 Die Sicherheit muss allerdings nicht zwingend finan­ zieller Art sein. Hier zeigt sich konkret, dass die Anordnung und vor allem die Aufrecht­ erhaltung von Untersuchungshaft über einen längeren Zeitraum hinweg aufgrund der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit äußerst restriktiv zu handhaben sind. Die nationalen Gerichte sind der Pflicht unterworfen, zu prüfen, ob sich die Sicherung der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Beschuldigten nicht auch mit anderen, weniger einschneidenden Maßnahmen erreichen lässt. Nur für den Fall, dass die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EMRK, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 IPbpR und damit die „Angemessenheit“ der fortdauernden Inhaftierung weiterhin vorliegen, und die Durchführung des Strafverfahrens nur durch die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sichergestellt werden kann, ist auch tatsächlich von der Rechtmäßigkeit des anhaltenden Freiheitsentzuges auszugehen. dd) Der Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips unter Berücksichtigung methodischer Aspekte im Hinblick auf die Anwendung der EMRK Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bzw. Übermaßverbot ist einer der grund­ legenden Pfeiler im Rahmen der Frage nach der Legalität einer (zunächst staat­ lichen) Maßnahme. Als ursprünglicher Grundsatz des deutschen Rechts,85 hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip neben dem europäischen auch Einzug erhalten in 82 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 14; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 33; Iwanczuk ./. Polen, Urteil vom 15. November 2001, Rn. 66. 83 Dijk/Hoof u. a., S.  380 f.; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 132; Unfried, S. 53; ebenso der Menschenrechtsausschuss in seinen Concluding Observations gegenüber Argentinien, U. N. Doc. CCPR/C/79/Add. 46 vom 05. April 1995, Rn. 14. 84 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 14; W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 33. 85 Dazu grundlegend Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 107 ff.

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den anglo-amerikanischen Rechtsraum und ist mittlerweile ein international an­ erkannter und geltender Grundsatz.86 Neben dem EGMR rekurriert auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen für die Auslegung des IPbpR auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip.87 Nach dem Schema der aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten „Grundrechtsprüfung“ in Gestalt von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf dieser letzten Ebene als „Grenze grundrechtsbeschränkender Maßnahmen“88 in Gestalt einer so genannten „SchrankenSchranke“89 bedeutsam. Dies gilt auch im übertragenden Sinne für die Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Prüfung einzelner Gewährleistungen der EMRK: Insbesondere für Gewährleistungen, die keine expliziten Schranken vorsehen, wie Art. 5 EMRK, gilt, dass Beschränkungen ein legitimes Ziel verfolgen, sowie die Verhältnismäßigkeit wahren und den Kerngehalt der Gewährleistung vor Aushöhlung bewahren müssen.90 Als strukturelles Konzept setzt sich dieser Grundsatz zusammen aus den Prinzipien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit, sowie der Verhältnismäßigkeit „im engeren Sinne“ bzw. der Angemessenheit.91 Kurzum beinhaltet das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Kern die Frage, ob der Zweck einer Maßnahme die Mittel heiligt.92 Der Beschränkung einer bestimmten Rechtsposition aufgrund entgegenstehender Interessen oder Prinzipien steht somit die Verhältnismäßigkeit als Korrektiv gegenüber. Insbesondere von Relevanz ist dies im Bereich der Verfassungs- bzw. Menschenrechte.93 Es wird zum Ausdruck gebracht, dass persönliche Rechte – zumeist – keine absolute Geltung beanspruchen, deren Beschränkung ihrerseits aber in dem Sinne limitiert ist, dass der Eingriff verhältnismäßig sein muss.94 Kann die Verhältnismäßigkeit der eingreifenden Maßnahme

86 Dazu Lord Hoffmann, in: Ellis, S. 107; Stone Sweet/Mathews, in: Colum. J. Transnat’l L. 47 (2008), 72, 74. 87 HRC, General Comment No. 27 (Article 12), CCPR/C/21/Rev.1/Add.9, 02. November 1999, Rn. 13 ff.; General Comment No. 31, CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, Rn. 6. In beiden Allgemeinen Bemerkungen erfolgt zugleich ein Verweis auf den Kernbereichsschutz. 88 Albrecht, S. 89. 89 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 S. 2 Rn. 46. 90 EGMR, Mathieu-Mohin and Clerfayt ./. Belgien, Serie A Nr. 113, Rn. 52; Merten/ Papier, § 150 Rn. 25 (Verhältnismäßigkeit als „genereller Prüfstein jeglicher Einschränkung der Konventionsrechte“). Grundlegend auch von Bernstorff, in: Der Staat 50 (2011), 165 ff. 91 Alexy, S. 66; Nowak, International Human Rights Regime, S. 60; Vranes, in: AVR 47 (2009), 1, 11. 92 Nolte, in: Modern L. Rev. 57 (1994), 191, 193. 93 Zur dogmatischen Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der EMRK s. Graben­ warter, S. 110 ff. Neben der EMRK gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch für die Anwendung des IPbpR, s. Jayawickrama, S. 189; Fitzpatrick, S. 60; Sun, in: Chin. J. Int’l L. 6 (2007), 17, 29. 94 Besselink, in: C. M. L. Rev. 35 (1998), 629, 641; Barak, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 1, 6; Gardbaum, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 78, 81 ff.

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nicht festgestellt werden, so gilt diese als rechtswidrig und das betreffende Recht als verletzt.95 Die Verhältnismäßigkeit ist neben mehr oder minder expliziten Ausprägungen in der Konvention selber96 als „implizites“ Korrektiv mit dem Charakter eines „general principle of law“97 zu erachten. Allgemein gesprochen, ist nach Ansicht des EGMR grundsätzlich eine faire Balance herzustellen zwischen den Interessen der Gemeinschaft und dem Erfordernis, die Rechte des Einzelnen zu schützen.98 Die Herstellung dieser Ausgewogenheit sei der EMRK inhärent. Besondere Bedeutung kommt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab auch über den Zusammenhang mit unbestimmten Rechtsbegriffen zu. Hier dient es der Überprüfung, ob nationale Behörden ihren Entscheidungsspielraum („­margin of appreciation“), der ihnen als Ausdruck staatlicher Souveränität eingeräumt wird, bei der Auslegung eines solchen unbestimmten Rechtsbegriffs überschritten haben.99 Neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet der staatliche Beurteilungsspielraum seine Grenze im Kernbereichsschutz der menschenrechtlichen Gewährleistungen.100 Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit vollzieht sich dabei nicht stringent anhand der verschiedenen Ebenen (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit), sondern es wird lediglich – dogmatisch zu verorten auf der letzten Stufe der Angemessenheit bzw. der Verhältnismäßigkeit i. e. S. – eine Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorgenommen.101 So bietet beispielsweise Art. 5 Abs. 3 S. 2 EMRK mit dem Erfordernis der „angemessenen Frist“ 95

Speziell zum Recht auf Freiheit führte das BVerfG in E 19, 342, 347 f. aus: „Die Unter­ suchungshaft muß in Anordnung und Vollzug von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden; der Eingriff in die Freiheit ist nur hinzunehmen, wenn und soweit einerseits wegen dringenden auf konkrete Anhaltspunkte gestützten Tatverdachts begründete Zweifel an der Unschuld des Verdächtigen bestehen, andererseits der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann als dadurch, daß der Verdächtige vorläufig in Haft genommen wird.“ 96 So etwa die zweiten Absätze der Art. 8–11 EMRK oder Art. 15 EMRK, s. Harris/ O’Boyle u. a., S.  10 f.; Grabenwarter, S. 110 ff.; Cremona, in: Beyerlin, S. 323; Eissen, in: MacDonald/Matscher/Petzold, S. 125 ff. 97 Cremona, in: Beyerlin, S. 330 m. w. N.; Christoffersen, S. 35. 98 EGMR, Sporrong und Lönnroth ./. Schweden, Serie A Nr. 52, Rn. 69; Soering ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 161, Rn. 89 („… inherent in the whole of the Convention is a search for a fair balance between the demands of the general interest of the community and the requirements of the protection of the individual’s fundamental rights.“); Arai-Takahashi, S. 14, und Mowbray, in: Hum. Rts. L. Rev. 10 (2010), 289 ff. Zu dieser Zielsetzung im Völkerstrafrecht s. Siebert, in: Irish Stud. L. Rev. 11 (2003), 29, 30. 99 Dazu Prepeluh, in: ZaöRV 61 (2001), 771, 774. 100 Brems, in: ZaöRV 56 (1996), 240, 289. Zum Wesensgehalt s. sogleich. 101 EGMR, James u. a. ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 98, Rn. 50; Ezelin ./. Frankreich, Serie A Nr. 202, Rn. 52. Instruktiv zur theoretischen Begründung des Konzepts der Abwägung vgl. Alexy, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 20, 21 ff.

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Spielraum für eine solche Abwägung.102 Speziell im Hinblick auf die Freiheits­ entziehung ist dabei darauf abzustellen, ob das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft den Grundsatz der Achtung der persön­ lichen Freiheit überwiegt.103 Dieselbe Überlegung hat einzufließen, wenn es um die Anordnung von Untersuchungshaft nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK geht.104 Darüber hinaus sind Verhältnismäßigkeitserwägungen unter anderem bei der Bemessung der Sicherheitsleistung anzustellen.105 Im Hinblick auf die methodischen Grundlagen der Auslegung der EMRK sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der EGMR bei der Beurteilung einer Rechtsverletzung im Wege der so genannten „Gesamtabwägung“ vorgeht.106 Das Verfahren ist demnach als Ganzes zu betrachten und eine Konventionsverletzung dann gegeben, wenn als Ergebnis eines Abwägungsvorgangs der verschiedenen Belange und Aspekte das Verfahren insgesamt als „unfair“ zu erachten ist.107 Es erfolgt keine isolierte Betrachtung einzelner Vorgänge, sondern eine auf den gesamten Vorgang ausgerichtete Bewertung.108 Losgelöst vom häufigsten Anwendungsfall des Art. 6 EMRK und der Frage eines „fairen Verfahrens“, lässt sich die Gesamtabwägungslehre auch auf andere Gewährleistungen erstrecken. In diesem Zusammenhang, d. h. im Rahmen der Gesamtbetrachtung, kommen Verhältnismäßigkeitserwägungen zum Tragen. Als weitere „Schranken-Schranke“ ist, ähnlich zu Art. 19 Abs. 2 GG, ein „abwägungsresistenter Kernbereich“ zu beachten.109 Zum Schutz vor der inhalt­lichen Aushöhlung menschenrechtlicher Gewährleistungen durch übermäßige Beschränkungen110 verweist der EGMR darauf, dass die Abwägung dort ihre Grenze findet, wo der Wesensgehalt bzw. der Kern einer Gewährleistung betroffen ist.111 102

Renzikowski, in: IntKomm-EMRK, Art. 5 Rn. 253; Unfried, S. 46. Diese Phrase findet sich in einer Vielzahl von Urteilen, s. nur EGMR, W. ./. Schweiz, ­Serie A Nr. 254-A, Rn. 39; Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 74; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 54; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 152 („Continued detention can be justified in a given case only if there are specific indications of a genuine requirement of public interest which, notwithstanding the presumption of innocence, outweighs the rule of respect for individual liberty.“). 104 Reindl, S. 52. 105 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 14. 106 Dazu Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 36. 107 Speziell zu Art. 6 EMRK s. EGMR, Jalloh ./. Deutschland, Reports 2006-IX, Rn. 95 ff. m. w. N. Nach Schroeder, in: GA 2003, 293, 296, führt der EGMR mit der Gesamtabwägung eine „Beruhensprüfung“ im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO ein. 108 Nack, in: Hanack u. a., S. 372. 109 Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 36; Merten/Papier, § 150 Rn. 26. Klein, in: Dicke u. a., S. 393, sieht die Wesensgehaltsgarantie als „Instrument, um die Berufung der Staaten auf […] implizite[…] Schranken unter Kontrolle zu halten“. 110 So für Art. 19 Abs. 2 GG Hesse, S. 148 f. 111 EGMR, Brogan ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 145-B, Rn. 59: („Whereas promptness is to be assessed in each case according to its special features (…), the significance to be attached to those features can never be taken to the point of impairing the very 103

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Hierdurch implementiert der EGMR das „Verbot, das Recht bezüglich seiner allgemeinen Gewährleistung oder in der konkreten Anwendung zu einer bloß illusorischen oder theoretischen Rechtshülse zu denaturieren“112. Vergleichbar zum Verständnis von Art. 19 Abs. 2 GG ist darauf zu verweisen, dass die Gewährleistung in ihrer „Grundidentität“113 gewahrt bleiben muss. Greifbare, verallgemeinerungsfähige Kriterien gibt es für eine solche Kernbereichsbetroffenheit hingegen nicht.114 Auch ist das Verhältnis von Wesensgehaltsgarantie und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bislang nicht abschließend geklärt.115 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit soll davon ausgegangen werden, dass die Wesensgehaltsgarantie als eigenständige Rechtsprüfung neben den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz tritt. Zudem ist dem Kernbereichsschutz durch den EGMR ein absolutes Verständnis zugrundezulegen: Jede menschenrechtliche Gewährleistung hat einen Kern, der unter keinen Umständen angetastet werden darf.116 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist demzufolge als Korrektiv neben der Wesensgehaltsgarantie, ungeachtet der Ermangelung einer ausdrücklichen Normierung in den Menschenrechtskonventionen, von immenser Bedeutung. Grundsätzlich wird der Prozess der Abwägung verschiedener Interessen als Ausprägung von Verhältnismäßigkeitserwägungen durch den EGMR als der EMRK innewohnend erachtet. Dies gilt auch für Art. 5 EMRK. Sowohl bei der Anordnung als auch für die Frage der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft sind Öffentlichkeits­ interessen und das Recht auf Freiheit gegenüberzustellen und einer Abwägung, ausgerichtet am Zweck der Freiheitsentziehung, zu unterziehen. b) Die Vorgaben der Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR Nicht nur die Garantien der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR sind für den Unter­ suchungshäftling von essentieller Bedeutung. Auch die Art. 6 EMRK, Art. 14 IPbpR enthalten Gewährleistungen, die die Rechtsposition des inhaftierten Beschuldigten stärken. Dies gilt nicht nur für die Verfahrensgarantien des fair trialessence of the right guaranteed by Article 5 para. 3 (…), that is to the point of effectively negativing the State’s obligation to ensure a prompt release or a prompt appearance before a judicial ­authority.“). 112 Klein, in: Dicke u. a., S. 397. So hat der EGMR in Cruz Vargas u. a. ./. Schweden, Serie A Nr. 201, Rn. 99, betont, dass die Konventionsrechte auch in Ansehung möglicher Beschränkungen „praktisch und effektiv“ statt „theoretisch und illusorisch“ sein sollen. 113 Remmert, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 2 Rn. 41. 114 Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 36; Klein, in: Dicke u. a., S. 394. 115 Merten/Papier, § 147 Rn. 36; Klein, in: Dicke u. a., S. 395 ff. 116 Vgl. auch Stelzer, S. 286 f. Anders hingegen Christoffersen, S. 139, der der Wesensgehaltsdoktrin des EGMR ein relatives Verständnis zuschreibt. Danach ist der Wesensgehalt eines Grund- oder Menschenrechts für jeden Fall gesondert als Ergebnis eines Abwägungsvorgangs, d. h. durch Verhältnismäßigkeitserwägungen, zu bestimmen. Für eine Übersicht beider Positionen vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 2 Rn. 36 ff.; Alexy, S. 192 ff.

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Grundsatzes, die mit Beginn des Verfahrens ebenso für den Untersuchungshäftling gelten wie für jeden anderen Beschuldigten auch. Vielmehr ist in Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 IPbpR die Unschuldsvermutung normiert, welcher eine wesentliche Rolle im Rahmen der Handhabung von Untersuchungshaft und der Auslegung der entsprechenden Vorschriften zukommt. Im Folgenden soll dargestellt werden, inwiefern die Unschuldsvermutung mit der Untersuchungshaft und den Gewährleistungen der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR in Zusammenhang steht und welcher Einfluss ihr dabei konkret zukommt. Die Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 IPbpR beinhalten die Vorgabe, dass jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, „bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig“ zu gelten hat. Die Unschuldsvermutung ist vielmehr als „moralisches Prinzip“, denn als „Recht“ des Angeklagten zu verstehen, welches Bedeutung in jedem Verfahrensschritt und maßgeblich bei der Auslegung und Anwendung der Gesetze im Einzelfall erlangt.117 Im herkömmlichen Sinn ist die Unschuldsvermutung als Prinzip zu begreifen, welches die Verteilung der Beweislast regelt: es obliegt der Anklagebehörde, die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei zu beweisen.118 Neben den mannigfaltigen Auswirkungen auf andere Bereiche und Ebenen des Strafprozesses,119 ist die Unschuldsvermutung als Prinzip des gesamten Verfahrensrechts vor allem auch im Hinblick auf die Untersuchungshaft von erheblicher Bedeutung.120 In Bezug auf die Untersuchungshaft soll die Unschuldsvermutung verdeutlichen, dass auch der inhaftierte Beschuldigte vorerst als „unschuldig“ zu gelten hat und bietet somit einen Schutz vor willkürlichen oder übermäßigen Freiheitsentziehungen durch den Staat. Neben der eben beschriebenen „herkömmlichen“ Funktion der Unschuldsvermutung kommt hierin die zweite Schutzfunktion in Gestalt des Schutzes des Beschuldigten vor Eingriffen in seine Rechtsposition durch staatliche Zwangsmaßnahmen zum Ausdruck. Durch die Unschuldsvermutung wird nicht nur das Verbot einer Bestrafung im Vorfeld einer rechtskräftigen Verurteilung intendiert, sondern auch die Belastung eines Be-

117

So Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 31. Jayawickrama, S. 535; Rzepka, S. 49 f.; Harris, in: Int’l & Comp. L. Q. 16 (1967), 352, 370; Schwikkard, in: S. Afr. J. Crim. Just. 11 (1998), 396. 119 Einigkeit besteht dahingehend, dass die Geltung des Prinzips der Unschuldsvermutung nicht auf das Hauptverfahren beschränkt ist, sondern bereits in deren Vorfeld, d. h. im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zur Anwendung gelangt. s. hierzu Gollwitzer, Art. 6 MRK/ Art. 14 IPbpR, Rn. 126; Stavros, S. 67. Ashworth, in: Int’l J. Evidence & Proof 10 (2006), 241, 243, spricht in diesem Zusammenhang von zwei verschiedenen Geltungsebenen der Unschuldsvermutung. Einerseits gelte die Unschuldsvermutung im Hauptverfahren als Regel zur Verteilung der Beweislast. Andererseits beanspruche sie als Grundsatz für das Strafverfahren „im weiteren Sinne“ mit dem Inhalt Geltung, dass der Beschuldigte vor allem im Ermittlungsverfahren so behandelt werden müsse, als sei er unschuldig. Demzufolge wirke die Unschuldsvermutung diesbezüglich als Hemmnis für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen. Zu diesen beiden „Schutzfunktionen“ der Unschuldsvermutung auch Frister, S. 84 f. 120 Gropp, in: JZ 1991, 804, 811, bezeichnet die Untersuchungshaft als „eine Art ‚Seismograph‘ für die Respektierung der Unschuldsvermutung“. 118

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schuldigten mit Maßnahmen „strafähnlichen Charakters“ untersagt.121 Vor allem dem Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten steht die Unschuldsvermutung als Verkörperung des Prinzips „in dubio pro libertate“122 demnach zumindest auf einer abstrakten Ebene als Regulativ gegenüber. Grundsätzlich verstößt alleine die Anordnung von Untersuchungshaft nicht gegen die Unschuldsvermutung, da diese Maßnahme nicht die Schuld des Beschuldigten voraussetzt, sondern an das Erfordernis eines zumindest hinreichenden Verdachts anknüpft, wie Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK postuliert.123 Auch die EKMR hat sich dahingehend geäußert, dass die Untersuchungshaft nicht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung stehe, da letztere lediglich die offizielle Feststellung der Schuld des Betroffenen im Vorfeld eines rechtskräftigen Urteils ausschließen solle.124 Die Unschuldsvermutung beinhaltet die zulässigen Grenzen staatlicher Einflussnahme in die Eigenverantwortlichkeit eines Individuums während des gesamten Strafverfahrens. Nicht per se untersagt werden staatliche Maßnahmen, die bei Vorliegen eines entsprechenden Tatverdachts und sonstiger Hinweise ergriffen werden, um diesen Verdachtsmomenten nachzugehen,125 und keine milderen, gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen.126 Der Beschuldigte muss diejenigen staatlichen Maßnahmen gegen sich ergehen lassen, welche das geltende Recht zwecks eines gesetzlichen Nachweises der Schuld (oder Unschuld) zulässt. Dabei geht das Erfordernis des Tatverdachtes insofern mit der Unschuldsvermutung konform, als diese erst einen entsprechenden Verdachtsgrad voraussetzt, an den die staatlichen Maßnahmen anknüpfen können.127 Insbesondere die Unter­ suchungshaft dient gerade dem Zweck, ein Strafverfahren durchführen und hierdurch die Frage der Schuld des Beschuldigten klären zu können. Ihr soll dann eine begrenzende Wirkung zukommen, wenn der Eingriff in die Rechtsposition des Beschuldigten über dieses Ziel hinausgeht und eine Rechtfertigung des Freiheitsentzuges mit dem Zweck der Untersuchungshaft nicht mehr gewährleistet werden kann. So soll die vermutete Unschuld des inhaftierten Beschuldigten auch den 121 Frister, S. 89 ff.; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 6 MRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 118; Kühne, in: IntKomm-EMRK, Art. 6 Rn. 470. 122 Vgl. Golubok, in: Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals 9 (2010), 295, 301. 123 Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 179; Stuckenberg, S. 107; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rn. 170; Stavros, S. 67. 124 EKMR, Krause ./. Schweiz, Entscheidung vom 03. Oktober 1978, Rn. 3 a). 125 Kitai, in: Okla. L. Rev. 55 (2002), 257, 291; Ulsamer, in: Fürst/Herzog/Umbach, S. 1806; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 6 MRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 124. Mrozynski, in: JZ 1978, 255, 257, umschreibt dies treffend, indem er ausführt, dass die Unschuldsvermutung „ausschließlich die Durchführung eines Verfahrens garantieren, nicht aber dessen Ausgang in irgendeiner Weise prägen“ wolle. 126 Dazu Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 8. 127 Mrozynski, in: JZ 1978, 255, 256; ausführlich Kühne, in: IntKomm-EMRK, Art. 6 Rn. 469. Der „Tatverdacht“ als Anknüpfungspunkt widerspricht demnach nicht der Unschulds­ vermutung, sondern entspricht ihr gerade. Kühne führt hierzu das Argument an, dass die Vermutung der Unschuld bei einem Unverdächtigen „eine selbstverständliche und daher sinnlose Aussage“ sei.

III. Die Untersuchungshaft

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Ausgangspunkt bei der Frage einer Haftentlassung bilden, mit der Folge, dass gewichtige Gründe für die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft vor­ liegen müssen.128 Gleichwohl steht die Untersuchungshaft wenn nicht im Widerspruch, dann zumindest in einem „heiklen Spannungsverhältnis“ zum Prinzip der Unschuldsvermutung.129 Legt man die Unschuldsvermutung zugrunde, so ist Konsequenz dessen, dass die Untersuchungshaft trotz vieler Ähnlichkeiten nicht mit einer Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist und weder einen Akt der Bestrafung darstellen noch einen „strafähnlichen Charakter“ aufweisen darf. Während die Freiheitsstrafe auf eine rechtskräftige Verurteilung zurückgeht und der Verfolgung bestimmter Strafzwecke zu dienen versucht, beruht die Untersuchungshaft auf einem der zu Anfang dieses Kapitels ausgeführten Haftgründe. Auch von ihrer besagten Zwecksetzung her bestehen Differenzen zwischen der Freiheitsstrafe und der Untersuchungshaft.130 Dennoch vermögen die prinzipiellen Ähnlichkeiten zwischen Untersuchungshaft und Freiheitsstrafe der ersteren einen „bestrafenden Charakter“131 zuschreiben.132 So lässt sich zum einen die Untersuchungshaft in ihrem Vollzug nach außen hin kaum von der eigentlichen Strafhaft unterscheiden.133 Dies gilt ungeachtet einer Vielzahl internationaler Vorschriften, die eine unterschiedliche Behandlung von verurteilten und nicht verurteilten Inhaftierten vorsehen, so beispielsweise Art. 10 IPbpR,134 Regel 18.8 der Europäischen 128

Ashworth, in: Int’l J. Evidence & Proof 10 (2006), 241, 244. Albrecht, in: Donatsch/Forster/Schwarzenegger, S. 359; ähnlich Paeffgen, S. 55 f., und Ulsamer, in: Fürst/Herzog/Umbach, S. 1806. 130 Thaler, in: Wisc. L. Rev. 1978, 441, 450. Kritisch hierzu u. a. Seebode, S. 168 f., welcher der Untersuchungshaft oftmals general- und spezialpräventive Wirkungen zuschreibt. Albrecht spricht in diesem Zusammenhang von einer „charakteristischen Zweckentfremdung“ der Untersuchungshaft, s. Albrecht, in: Donatsch/Forster/Schwarzenegger, S. 361 f. 131 Stuckenberg, S. 106 („phänomenologisch von der Freiheitsstrafe kaum zu scheiden“); Hassemer, in: StV 1984, 38, 40 („Untersuchungshaft ist Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen“); Pernell, in: Clev. St. L. Rev. 37 (1989), 393, 403 („The very nature of detention bespeaks punishment“). Ablehnend hingegen Meyer, in: Jescheck/Vogler, S. 68 („Untersuchungshaft bleibt Untersuchungshaft und wird nicht zur Strafe“). 132 Im Zusammenhang mit dem Institut der Sicherungsverwahrung stellte der EGMR in einem Verfahren gegen Deutschland fest, dass diese nach aktueller Rechtslage und Praxis anhand bestimmter Merkmale nicht als Maßregel der Besserung und Sicherung, sondern vielmehr als Strafe einzuordnen sei, vgl. EGMR, M. ./. Deutschland, Nr. 19359/04, Urteil vom 17. Dezember 2009, Rn. 127 ff. Dabei lassen sich eine Vielzahl der durch den Gerichtshof angeführten Kriterien zugleich auch auf die Untersuchungshaft übertragen, so dass die Parallelen zwischen einer Freiheitsstrafe und der Unterbringung in Untersuchungshaft deutlich hervortreten. Der EGMR bestätigte diese Rechtsprechung in Haidn ./. Deutschland, Nr. 6587/04, Urteil vom 13. Januar 2011, Rn. 94. Dazu Klesczewski, in: HRRS 2010, 394, 400 ff. 133 Kubach, S. 18 f. mit Hinweis auf weitere praxisrelevante Schwierigkeiten, ebenso Bertel, in: Korinek/Kain, S. 30 ff. und Jehle, S. 179 ff. 134 Nowak, CCPR-Commentary, Art. 10 Rn. 1 ff., sowie Gollwitzer, Nach Art. 5 MRK/ Art. 10 IPbpR, Rn. 1 ff. Zur Relevanz dieser Differenzierung vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung s. auch U. N. – OHCHR, Human Rights and Prisons, S. 185 f. 129

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Gefängnisregeln,135 sowie Nr. 84 ff. der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen.136 Zum anderen zeitigt die Verbringung in Untersuchungshaft Konsequenzen auf den Inhaftierten, so dass der Freiheitsentzug im Vorfeld einer rechtskräftigen Verurteilung von diesem als Bestrafung empfunden wird.137 Während die Festnahme und Anordnung von Untersuchungshaft theoretisch die Frage der „Schuld“ nicht schon von vornherein beeinflussen sollen, besteht die Gefahr einer solchen Einflussnahme in der Praxis gleichwohl. In diesem Zusammenhang gilt es, der Unschuldsvermutung zufolge, zwar den Tatverdacht, der sich im Hinblick auf die betreffende Person manifestiert hat, zu verfolgen und in einem Strafverfahren zu bestätigen oder zu verwerfen. Er darf jedoch nicht im Sinne eines vorläufigen Urteils über die Schuld des Beschuldigten aufgefasst werden.138 Ferner kann gerade mit der (langjährigen) Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft eine Zuweisung von Schuld impliziert werden, welche die Unschuldsvermutung zu vermeiden sucht. Je länger die Untersuchungshaft andauert, umso größer ist die Gefahr einer Verletzung auch des Grundsatzes der Unschulds­ vermutung. Aufgrund dieser Überlegung ist das Prinzip der Unschuldsvermutung hauptsächlich für das Recht auf ein Urteil bzw. Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist nach Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR bedeutsam.139 Die Unschuldsvermutung kann allerdings nicht nur mit der Dauer der Unter­ suchungshaft konfligieren. Auch ein Teil der anerkannten Haftgründe lässt sich mit dem Grundsatz, dass jeder bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat, nur schwer in Einklang bringen. Dies gilt insbesondere für die Haftgründe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schwere der Straftat. Eine eindeutige Trennung der beiden Haftgründe stellt sich oftmals als schwierig heraus. Die Schwere der Straftat kann einerseits einen selbstständigen Haftgrund darstellen, andererseits ist sie als Kriterium bei der Beurteilung der Frage, ob die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eine weitere Inhaftierung des Beschuldigten erfordert, von Relevanz. Zu Recht wird diesbezüglich kritisiert, dass eine Untersuchungshaft, die auf der Schwere der Straftat beruht, de facto einer Bestrafung gleicht und hiermit gegen den Grundsatz der

135 „European Prison Rules“ vom 11. Januar 2006 (Committee of Ministers, Recommendation Rec(2006)2). 136 „UN Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners“ vom 30. August 1955. 137 Kain, in: Korinek/Kain, S. 70; Jehle, S. 180 f.; Thaler, in: Wisc. L. Rev. 1978, 441, 451 ff.; Kiselbach, in: Crim. L. Rev. 31 (1988), 168, 178. 138 Paeffgen, S. 55. Zu den nachteiligen Auswirkungen der Untersuchungshaft auf die Verteidigung des Angeklagten s. Kitai, in: Okla. L. Rev. 55 (2002), 257, 285 ff. 139 Diesbezüglich ist anzumerken, dass Art. 5 Abs. 3 EMRK als lex specialis Vorrang vor Art. 6 Abs. 2 EMRK beansprucht. Für den Fall, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht mehr als „angemessen“ erachtet werden kann und demzufolge Art. 5 Abs. 3 EMRK verletzt wurde, liegt zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK vor. Dazu Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 180 m. V. a. EGMR, Erdem ./. Deutschland, Reports 2001-VII, Rn. 49, und Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rn. 170.

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Unschuldsvermutung verstößt.140 Auch die Ausgestaltung der Untersuchungshaft als eine Art „Präventivhaft“ zur Verhinderung der Begehung weiterer Straftaten läuft der Zwecksetzung der Untersuchungshaft und demzufolge – in Ermangelung einer weiteren Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung dieser staatlichen Zwangsmaßnahme – der Unschuldsvermutung zuwider.141 In Anlehnung an diese Ausführungen stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Unschuldsvermutung, wenn es um Untersuchungshaft geht. Ist die Unschuldsvermutung tatsächlich ein Prinzip, welches die Anwendung von Untersuchungshaft zu beeinflussen vermag, oder steht sie als abstrakter und theoretischer Grundsatz vielmehr im Hintergrund der gängigen Praxis? Es fällt schwer, die Unschuldsvermutung als faktisches Korrektiv im Rahmen der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu betrachten. Der EGMR betont zwar in der gängigen Rechtsprechung zur angemessenen Dauer von Untersuchungshaft, dass das öffentliche Interesse an der weiteren Inhaftierung mit dem Recht auf persönliche Freiheit des Beschuldigten abzuwägen sei, und legt in diesem Zusammenhang auch die Unschuldsvermutung in die „Waagschale“.142 Gleichwohl kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Unschuldsvermutung bei der Frage einer Begrenzung der Anwendung von Untersuchungshaft als Mittel zur Verfahrenssicherung kein allzu großes Gewicht eingeräumt wird. Dies verdeut­ lichen beispielsweise die Haftgründe der Schwere der Straftat, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Sie dienen nicht der Sicherung der Durchführung des Strafprozesses als eigent­ lichem Zweck der Untersuchungshaft, und beinhalten eine pönalisierende Konnotation. Dabei ist die Untersuchungshaft gerade streng von der Freiheitsstrafe zu trennen. Weder in ihrer Intensität, noch in ihrer Dauer dürfen jegliche Maßnahmen gegen den Beschuldigten den Charakter einer Strafe erhalten.143 Es scheint jedoch zweifelhaft, dass dieser Gedanke als Ausfluss der Unschuldsvermutung Berücksichtigung findet, wenn im Grundsatz gilt, dass zum einen die Dauer der 140

So Stevens, in: Eur. J. Crime Crim. L. Crim. Just. 17 (2009), 165, 177 ff. Kritisch in Bezug auf den in der deutschen Strafprozessordnung enthaltenen Haftgrund der besonderen Schwere der Straftat nach § 112 Abs. 3 StPO Paeffgen, S. 111 ff.; Wolter, in: ZStW 93 (1981), 453, 483 ff. 141 Hassemer, in: StV 1984, 38, 40 f.; Kitai, in: Okla. L. Rev. 55 (2002), 257, 285, 288; Jones, in: Comm. L. World Rev. 32 (2003), 399, 405. 142 EGMR, Letellier ./. Frankreich, Serie A Nr. 207, Rn. 35; W ./. Schweiz, Serie A Nr. 254A, Rn. 30; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 152; Kudla ./. Polen, Reports 2000-XI, Rn. 110; Chraidi ./. Deutschland, Urteil vom 26. Oktober 2006, Rn. 35. Gleichwohl verbindet der EGMR die derart eingesetzte Unschuldsvermutung nicht mit die Praxis der Untersuchungshaft begrenzenden Kriterien, so dass die konkreten Auswirkungen der Unschuldsvermutung und die Frage eines „schützenden Standards“ ungeklärt sind, s. Stevens, in: Eur. J. Crime Crim. L. Crim. Just. 17 (2009), 165, 170, und Gropp, in: JZ 1991, 804, 805. 143 Schubarth, Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, S. 28; Albrecht, in: Donatsch/Forster/Schwarzenegger, S. 358. Meyer, in: Jescheck/Vogler, S. 68, spricht sich diesbezüglich dagegen aus, dass ein strafprozessualer Eingriff überhaupt den Charakter von Strafe annehmen können soll.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Untersuchungshaft das zu erwartende Strafmaß nicht überschreiten darf,144 und zum anderen die in Untersuchungshaft verbrachte Zeitspanne bei der Festsetzung des Strafmaßes auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird.145 Die Unschuldsvermutung lässt sich in diesem Zusammenhang folglich eher als theoretisches Konzept begreifen, welchem auf die praktische Anwendung von Untersuchungshaft nur ein mäßiger Einfluss zugeschrieben werden kann. Zwar ist die Untersuchungshaft als „Konstrukt“ zur Verfahrenssicherung im jeweiligen Einzelfall erforderlich und mitunter einzig geeignet, die Durchführung des Strafprozesses gegen den Beschuldigten sicherzustellen. Bedenken bestehen lediglich im Hinblick darauf, dass die von Haberstroh beschriebene „Limitierungsfunktion der Unschuldsvermutung“146 in Bezug auf die Untersuchungshaft nicht (mehr) existent zu sein scheint. c) Zusammenfassende Betrachtung Insgesamt bleibt im Anschluss an diese Ausführungen festzuhalten, dass die Menschenrechte, auch in ihrer Anwendung durch die jeweils rechtsprechenden Organe, recht konkrete Vorgaben in puncto Untersuchungshaft vorsehen. Für die Anordnung einer Untersuchungshaft gilt es zunächst, das Vorliegen von Haftgründen zu berücksichtigen. Während Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK die Haftgründe des hinreichenden Verdachts, der Verhinderung der Begehung einer Straftat sowie die Fluchtgefahr explizit benennt, ergibt sich ein solches aus dem Text des Art. 9 IPbpR nicht. Nichtsdestotrotz rekurriert der Menschenrechtsausschuss bei Verfahren betreffend die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft auf die Haftgründe der Flucht-, Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr. Die in der Praxis am häufigsten auftretenden Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Hierin spiegelt sich die Relevanz des Rechts auf ein besonders beschleunigtes Verfahren nach den Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR wider. Neben den bereits die Anordnung von Untersuchungshaft legitimierenden Haftgründen werden im Hinblick auf die fortdauernde Inhaftierung weitere Begründungen angeführt. Diese 144 Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 180; Gropp, in: JZ 1991, 804, 808 (in Bezug auf das deutsche Strafprozessrecht). Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rn. 170, erachtet die Bemessung der Dauer der Untersuchungshaft im Verhältnis zur mutmaßlichen Strafe als unbedenklich. 145 EGMR, Neumeister ./. Österreich, Serie A Nr. 8, Rn. 10; Serie A Nr. 9, Rn. 40; Dzelili ./. Deutschland, Urteil vom 10. November 2005, Rn. 83 ff.; Chraidi ./. Deutschland, Urteil vom 26. Oktober 2006, Rn. 24 f.; Kiselbach, in: Crim. L. Rev. 31 (1988–1989), 168, 178. 146 Haberstroh, in: NStZ 1984, 289 ff. Ähnlich Gropp, in: JZ 1991, 804 ff. („verfahrenslimitierender Wirkungsgehalt der Unschuldsvermutung“). Pernell, in: Clev. St. L. Rev. 37 (1989), 393, spricht vom Wandel der Unschuldsvermutung zur „inconvenient technicality as opposed to a valued principle“.

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„geeigneten“ und „hinreichenden“ Gründe stehen einerseits im Sinne einer Wechselwirkung zueinander, sie bedingen und beeinflussen sich teilweise gegenseitig. Andererseits ist der Begründungsaufwand, um die Aufrechterhaltung als legitim erachten zu können, umso größer, je länger die Untersuchungshaft andauert. Dabei wird es nicht mehr als ausreichend befunden, die Legitimation der weiteren Inhaftierung lediglich auf einen Haftgrund zu stützen. Dies ist auf den Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips zurückzuführen, welches sowohl bei der Anordnung als auch bei der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft in Form einer Abwägung widerstreitender Interessen bedeutsam ist. In dem in der Rechtsprechung des EGMR tradierten System zur Beurteilung der Angemessenheit der Dauer von Untersuchungshaft ist neben dem Vorliegen geeigneter und hinreichender Haftgründe eine „besondere Sorgfalt bei der Verfahrensführung“ von Relevanz. So darf es nicht durch das Verhalten der staatlichen Institutionen zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens gekommen sein. Berücksichtigt werden müssen in diesem Zusammenhang ferner die Komplexität des Verfahrens sowie Verhaltensweisen des Beschuldigten, welche die Verzögerung ebenfalls bedingen können. Über diese Vorgaben hinaus gilt es stets zu beachten, dass die Untersuchungshaft nur die Ausnahme sein und nicht zur Regel werden darf. Dies hebt Art. 9 Abs. 3 IPbpR hervor, welcher dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ausdrücklich benennt. Hiermit eng verbunden ist die Frage einer vorläufigen Haftentlassung gegen Leistung einer Sicherheit. Abschließend ist die Bedeutung der Unschuldsvermutung hervorzuheben. Wenngleich ihr in der Praxis eine eher mäßige Bedeutung zugeschrieben werden kann, so beinhaltet sie doch einen der fundamentalen Grundsätze des Strafverfahrens. Bedauernswerterweise scheint der Unschuldsvermutung die ihr innewohnende limitierende Schutzfunktion abhanden gekommen zu sein. Somit verbleibt lediglich ein abstrahierter Grundsatz, dem – dessen ungeachtet – für die Untersuchungshaft als Regulativ bzw. Korrektiv in der praktischen Handhabung eine bedeutende Rolle zukommen muss. 2. Die Voraussetzungen für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht Nachdem die menschenrechtlichen Vorgaben für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft näher betrachtet wurden, soll nun der Fokus auf die völkerstrafrechtliche Ebene gerichtet werden. Die Schwierigkeiten internationaler Strafjustiz, auf die bereits in einem anderen Zusammenhang hingewiesen wurde,147 spiegeln sich im Institut der Unter­ 147

Dazu oben B. II. 1. a).

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suchungshaft wider. Dies gilt hauptsächlich vor dem Hintergrund des Umstandes, dass internationale Strafgerichte beschuldigte Personen nicht selber festnehmen können, sondern dabei auf die Kooperation von Staaten angewiesen sind.148 Im Hinblick auf die folgende Untersuchung sind die Reglementierungen an Internationalen Strafgerichtshöfen einer genauen Analyse zu unterziehen. Einzugehen ist hierbei auf die Statuten sowie die Verfahrens- und Beweisordnungen des JStGH, des RStGH (sofern und soweit sich diese von denen des JStGH unterscheiden) sowie des IStGH. Darüber hinaus ist über die theoretischen Grundlagen hinaus auf deren praktische Umsetzung einzugehen. Neben dem formellen, verfahrensmäßigen Rahmen, in den die Anordnung von Untersuchungshaft eingebettet ist, ist die Untersuchungshaft als schwerster Eingriff in die persönliche Freiheit eines nicht Verurteilten inhaltlichen Restriktionen unterworfen. Gerade, um einen übermäßigen und willkürlichen Freiheitsentzug zu vermeiden, ist die Untersuchungshaft mit dem Zweck der Sicherung der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Beschuldigten verknüpft. Die inhaltlichen Vorgaben für die Anordnung und auch Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft stehen in einem reziproken Verhältnis zu dieser Zwecksetzung und sind streng hieran ausgerichtet. Wie im Vorfeld zu sehen war, beinhalten die Menschenrechtspakte diese materiellen Bedingungen des Freiheitsentzuges „zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde“ (Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK) in Form von bestimmten Haftgründen, die dem eben benannten Zweck zu seiner Durchsetzung verhelfen sollen. Die Notwendigkeit, die Untersuchungshaft an materielle Voraussetzungen zu binden, besteht ebenso im Bereich des Völkerstrafrechts. Die Zwecksetzung von Untersuchungshaft kann auch für diese, von nationalen Strafverfahren losgelöste und in Teilen fundamental diverse, Ebene konstatiert werden. Demnach gilt es zu klären, welche materiellen Bedingungen das Völkerstrafrecht zu Zwecken der Sicherung der Durchführung eines Strafverfahrens gegen die betreffende Person durch Untersuchungshaft vorsieht. a) Die Systematisierung der materiellen Bedingungen der Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht Bevor mit der Darlegung und Analyse der im Völkerstrafrecht geltenden Haftgründe begonnen werden kann, ist zunächst Klarheit dahingehend zu schaffen, welche Haftgründe in diesem Kontext überhaupt anerkannt sind. Ferner soll der Frage nach der Einordnung des Tatverdachtes nachgegangen werden.

148

Harmon/Gaynor, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 403, 408 ff.

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aa) Die Systematisierung der Haftgründe an den Ad-hoc-Tribunalen Wie bereits festgestellt wurde, beinhalten weder die Reglementierungen des JStGH noch diejenigen des RStGH eine Vorschrift, welche explizit die Voraus­ setzungen der Untersuchungshaft normiert. Infolgedessen gilt es, den Blick auf einzelne Vorschriften zu richten und der Frage nachzugehen, ob Haftgründe aus diversen Regelungen extrahiert werden können. Bedingt durch den Umstand, dass Haftbefehle an den Ad-hoc-Tribunalen lediglich im Anschluss an die richterliche Prüfung und Bestätigung der Anklageschrift erlassen werden, lässt sich in den Statuten der einzige Anhaltspunkt für das Erfordernis materieller Bedingungen für die Anordnung der Untersuchungshaft in Art. 19 Abs. 1 S. 2 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 S. 2 ­RStGH-St. finden. Danach bestätigt der Richter die Anklageschrift nur, sofern der Ankläger einen „prima facie case“149 glaubhaft gemacht hat.150 Daraufhin kann der Haftbefehl erlassen werden, welcher im Falle der Festnahme und Überstellung des nunmehr Angeklagten an das Tribunal zur Untersuchungshaft führt. Letzteres ist in Art. 20 Abs. 2 ­JStGH-St., Art. 19 Abs. 2 ­RStGH-St. geregelt. Eben diese Formulierung des „prima facie case“ findet sich auch in Art. 18 Abs. 4 ­JStGH-St., Art. 17 Abs. 4 ­RStGH-St. für die Erstellung der Anklageschrift durch den Ankläger. Regel 47 (B) ­JStGH-VBO151 sieht hierfür das Erfordernis der „reasonable grounds“ vor und knüpft somit ebenfalls an den Tatverdacht an. Darüber hinaus beinhaltet lediglich Regel 65 (B) J­ StGH-VBO einen Anhaltspunkt, der auf die Geltung zusätzlicher Haftgründe schließen lässt. Streng genommen handelt es sich bei den dort normierten Gründen nicht um Haftgründe, sondern um Entlassungsgründe. Diese Regelung sieht vor, dass eine vorläufige Haftentlassung des Angeklagten nur in dem Fall zu erwägen ist, in dem die zuständige Kammer davon überzeugt ist, dass der Angeklagte zur Verhandlung erscheint und im Fall einer Entlassung keine Gefahr für Opfer, Zeugen oder andere Personen von dem Angeklagten ausgeht.152 Zwar lassen sich in dieser Formulierung die 149 In der amtlichen – gleichwohl nicht für die Auslegung verbindlichen – deutschen Übersetzung findet sich an dieser Stelle der Ausdruck der „hinreichenden Verdachtsgründe“. Was genau unter einem „prima facie case“ zu verstehen ist, ist an gegebener Stelle zu klären. Im Rahmen dieser Ausführung genügt vorerst die Feststellung, dass hiermit eine bestimmte Ausprägung des „Tatverdachts“ gemeint ist und die Statuten somit den Tatverdacht als Erfordernis für die Untersuchungshaft vorsehen. 150 Hierauf verweist auch Regel 47 (E) ­JStGH-VBO als entsprechende Vorschrift in der Verfahrens- und Beweisordnung („applying the standard set forth in Article 19, paragraph 1, of the Statute“). 151 Im Folgenden wird lediglich nach der Verfahrens- und Beweisordnung des JStGH zitiert, da diejenige des RStGH dieser weitgehend entspricht. Bei Abweichungen wird auf die Unterschiede hingewiesen. 152 Regel 65 J­ StGH-VBO: „Release may be ordered […] by a Trial Chamber […] only if it is satisfied that the accused will appear for trial and, if released, will not pose a danger to any victim, witness or other person. […].“

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herkömmlichen Begründungen für Untersuchungshaft, namentlich Flucht­gefahr und Verdunkelungsgefahr, ausmachen. Gleichwohl sind diese Gründe nicht – über den Tatverdacht hinaus – als kumulative Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft einzuordnen. Vielmehr handelt es sich hierbei um „negative“ Voraussetzungen für Erwägungen einer vorläufigen Haftentlassung. Bei den in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO zugrundegelegten Erfordernissen handelt es sich um solche, die lediglich im Rahmen der Frage einer Aufrechterhaltung der Unter­ suchungshaft bedeutsam sind. Demzufolge sind die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft beim Erfordernis des Tatverdachtes, wie dies in den diversen Regelungen der Ad-hoc-Tribunale vorgesehen ist,153 zu belassen. Anders gestaltet sich hingegen die Sachlage, sofern es um eine vorläufige Festnahme und Inhaftierung geht. Eine entsprechende Regelung hierzu findet sich in Regel 40bis ­JStGH-VBO, wobei Absatz (B) die näheren Voraussetzungen der richterlichen Anordnung einer Überstellung und vorläufigen Inhaftierung des Beschuldigten beinhaltet. Diesbezüglich sieht Regel 40bis (B) (ii) ­JStGH-VBO vor, dass der Richter bei der Entscheidung über diese Anordnung das Vorliegen stichhaltiger Beweise zu berücksichtigen hat, welche darauf hindeuten, dass der Beschuldigte ein der Gerichtsbarkeit des Tribunals unterliegendes Verbrechen begangen haben könnte.154 In Ermangelung einer richterlich bestätigten Anklageschrift gestaltet sich der Grad des erforderlichen Tatverdachts anders als im Fall einer regulären Inhaftierung. Gleichwohl ist die in diesem Absatz enthaltene Formulierung als Erfordernis eines – wenn auch eher schwach ausgestalteten – Tatverdachts zu begreifen. Darüber hinaus enthält Regel 40bis (B) (iii) ­JStGH-VBO weitere Vorgaben, die in kumulativer Hinsicht zu den eben genannten Verdachtsmomenten vorliegen müssen („and“). Der Richter muss die vorläufige Inhaftierung als erforderliche Maßnahme erachten, um die Flucht des Beschuldigten, die Verletzung oder Einschüchterung von Opfern und Zeugen, oder die Zerstörung von Beweismaterial zu verhindern, oder wenn es Erfordernisse der Ermittlungen gebieten. Hiermit normiert Regel 40bis ­JStGH-VBO die „klassischen“ Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr; ferner vermögen auch die „Erfordernisse der Ermittlungen“ eine vorläufige Inhaftierung zu rechtfertigen. Zudem wird durch die Art und Weise der Normierung in der Verfahrens- und Beweis­ ordnung verdeutlicht, dass die Haftgründe zusätzlich zum Erfordernis eines Tatverdachts gegeben sein müssen, und mitnichten der Tatverdacht für sich genommen als Haftgrund betrachtet werden kann. Folglich kann festgehalten werden, dass sich die Differenzierung an den Adhoc-Tribunalen nach einer „regulären“ und „vorläufigen“ Inhaftierung auch in 153

Zum vorgesehenen Grad des Tatverdachts s. B. III. 2. b) aa). Regel 40bis (B) (ii) ­JStGH-VBO: „… the Judge considers that there is a reliable and consistent body of material which tends to show that the suspect may have committed a crime over which the Tribunal has jurisdiction“. 154

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der Systematisierung der Voraussetzungen von Untersuchungshaft niederschlägt. Für das reguläre Verfahren, basierend auf der richterlichen Prüfung und Bestätigung der durch den Ankläger eingereichten Anklageschrift und dem darauf folgenden Erlass des Haftbefehls, muss lediglich ein entsprechender Tatverdacht gegeben sein – wobei anzumerken ist, dass sich der „prima facie“-Standard allein auf die Anklage bezieht. Hingegen ist für eine vorläufige Inhaftierung neben dem Tatverdacht als grundlegender Voraussetzung das Vorliegen zusätzlicher Haftgründe konstituierend. In Kumulation zum Tatverdacht müssen demnach die Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr bzw. „Erfordernisse der Ermittlungen“ eine Inhaftierung erfordern. bb) Die Systematisierung der Haftgründe am IStGH Im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs finden sich die Voraussetzungen zur Anordnung von Untersuchungshaft in Art. 58 I­ StGH-St. Anders als nach den Reglementierungen der Ad-hoc-Tribunale, sieht das Römische Statut den Erlass des Haftbefehls vor Bestätigung der Anklageschrift vor. Dies führt dazu, dass das Erfordernis eines „Tatverdachtes“ unabhängig von den Verdachtsmomenten zu prüfen ist, welche für eine Bestätigung der Anklageschrift sprechen, und dass die folgenden Voraussetzungen allein im Hinblick auf die Verbringung des Beschuldigten in Untersuchungshaft zu prüfen sind. Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. normiert, dass die Vorverfahrenskammer auf Antrag des Anklägers jederzeit nach Einleitung der Ermittlungen einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen kann. Als erste Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls müssen nach Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. „reasonable grounds to believe“155 dahingehend vorliegen, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat. Zusätzlich zu diesem Erfordernis des Tatverdachts gegen den Beschuldigten („and“) muss nach Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. die Festnahme der Person „notwendig“ erscheinen. Diese Notwendigkeit der Festnahme manifestiert sich anhand drei verschiedener Konstellationen, die alternativ vorliegen können („or“). Zum einen ist die Festnahme notwendig, um sicherzustellen, dass der Beschuldigte zur Verhandlung erscheint, Art. 58 Abs. 1 lit. b) (i) ­IStGH-St., womit der Haftgrund der „Fluchtgefahr“ umschrieben wird. Nach Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) ­IStGH-St. kann sich die Notwendigkeit der Festnahme auch aus dem Bedürfnis ergeben, sicherzustellen, dass der Beschuldigte die Ermittlungen oder das Gerichtsverfahren nicht behindert oder 155 In der amtlichen – gleichwohl nicht für die Auslegung verbindlichen – deutschen Übersetzung findet sich an dieser Stelle der Ausdruck des „begründeten Verdachts“. Was genau hierunter zu verstehen ist, ist an gegebener Stelle zu klären. Im Rahmen dieser Ausführung genügt vorerst die Feststellung, dass hiermit eine bestimmte Ausprägung des „Tatverdachts“ gemeint ist und das Römische Statut somit den Tatverdacht als Erfordernis für die Unter­ suchungshaft vorsieht.

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gefährdet. Im herkömmlichen Sinne ist dies als Haftgrund der „Verdunkelungsgefahr“ zu verstehen. Abschließend sieht Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) I­ StGH-St. vor, dass die Person festgenommen werden kann, um sie an der weiteren Begehung dieses Verbrechens oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens zu hindern, wobei dieser Haftgrund im Rahmen einer groben Kategorisierung dem­ jenigen der „Wiederholungsgefahr“ entspricht. Die vorläufige Festnahme, geregelt in Art. 58 Abs. 5 ­IStGH-St., unterscheidet sich in diesen Voraussetzungen nicht, da dem Normtext zufolge auch die vorläufige Festnahme auf der Grundlage des Haftbefehls ergeht.156 Insofern kann im Hinblick auf eine Systematisierung der Haftgründe am IStGH folgendes festgehalten werden: Der Tatverdacht ist im Römischen Statut nicht als Haftgrund normiert, sondern als eigenständige Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls. Dies bestätigt auch Art. 58 Abs. 7 ­IStGH-St., welcher für den Fall einer Ladung, anstelle eines Haftbefehls und darauf folgender Inhaftierung, ebenfalls das Erfordernis der „reasonable grounds to believe“ als Mindestvoraus­ setzung vorsieht. Bei der Frage, ob ein Haftbefehl gegen eine Person zu erlassen ist, ist kumulativ neben dem Tatverdacht als prinzipieller Voraussetzung die Notwendigkeit der Festnahme zu untersuchen. Im Rahmen einer Kategorisierung unter die bisher bekannten Haftgründe müssen diesbezüglich alternativ Flucht­ gefahr, Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr bei der betreffenden Person gegeben sein. cc) Fazit in Bezug auf die Systematisierung der Haftgründe Nach oberflächlicher Betrachtung derjenigen Vorschriften, welche die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft an internationalen Straf­ gerichten beinhalten, kann der Tatverdacht als von den übrigen Haftgründen separate Voraussetzung erachtet werden. Dies gilt zumindest für den IStGH, in dessen Statut die Separierung des erforderlichen Tatverdachts von den Haftgründen deutlich zum Ausdruck kommt. Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. sieht neben dem Erfordernis der „reasonable grounds to believe“ auf einer zweiten Ebene die Notwendigkeit der Festnahme vor. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus bestimmten Haftgründen. Durch die sprachliche Trennung im Rahmen von Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. wird betont, dass zusätzlich zu den „reasonable grounds to believe“ zumindest ein weiterer Haftgrund hinzutreten muss, um einen Haftbefehl und folglich die Inhaftierung zu legitimieren. Im Gegensatz hierzu rekurrieren die Reglementierungen der Ad-hoc-Tribunale für die Anordnung von Untersuchungshaft lediglich auf den Tatverdacht. Dies ist 156 Für die Unterscheidung zwischen vorläufiger und regulärer Inhaftierung am IStGH s. B. I. 2.

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dadurch bedingt, dass nach dem dort einschlägigen Recht der Erlass eines Haftbefehls ohne Weiteres der Bestätigung der Anklageschrift folgt. Insofern bezieht sich das Erfordernis dieses „prima facie case“ lediglich auf die richterliche Bestätigung der Anklageschrift. Weitere Haftgründe, die zusätzlich zum Tatverdacht vorliegen müssten, sind grundsätzlich nicht vorgesehen. Eine Ausnahme hierzu bildet das Verfahren der vorläufigen Festnahme. In diesem Zusammenhang sehen die Verfahrens- und Beweisordnungen der Tribunale in Regel 40bis (B) ­JStGH-VBO neben einem – zugegebenermaßen recht schwach ausgeprägten – Tatverdachtserfordernis zumindest einen zusätzlichen Haftgrund als konstituierende Voraussetzung für die Anordnung einer vorläufigen Inhaftierung vor. Abschließend kann demzufolge zweierlei festgehalten werden: (1) Der Tat­ verdacht ist unerlässliches Element der Anordnung von Untersuchungshaft. Als solches ist der jeweilige Verdachtsgrad nicht als spezifischer Haftgrund zu betrachten, sondern, hiervon losgelöst, eigenständige Voraussetzung jeder Inhaftierung; (2) sofern der Tatverdacht durch die Vorschriften der Gerichte zwar als notwendige, nicht aber als hinreichende Voraussetzung der Anordnung von Untersuchungshaft erachtet wird, müssen zusätzliche Haftgründe vorliegen. Weitestgehend lassen sich diese Haftgründe unter die bereits bekannten Haftgründe der Flucht-, Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr subsumieren. Im Folgenden sollen nun zum einen der Tatverdacht als konstituierendes Element der Anordnung von Untersuchungshaft, sowie darüber hinaus die benannten Haftgründe einer eingehenden Untersuchung und Analyse unterzogen werden.

b) Die Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen der Vereinten Nationen In den Statuten der Ad-hoc-Tribunale finden sich in den Art. 19 Abs. 2, 20 Abs. 2 J­ StGH-St. und Art. 18 Abs. 2, 19 Abs. 2 R ­ StGH-St. Angaben lediglich in Bezug auf die Anordnung von Untersuchungshaft. Nachdem der Richter die Anklage bestätigt hat, erlässt er infolgedessen einen Haftbefehl gegen den nunmehr Angeklagten („upon confirmation of the indictment“, Art. 19 Abs. 2 ­JStGH-St. und Art. 18 Abs. 2 ­RStGH-St.). Kraft dieses Haftbefehls soll der Angeklagte verhaftet und an das Tribunal überstellt werden. Während dies die einzigen Vorschriften sind, welche sich auf die Anordnung von Untersuchungshaft beziehen, finden sich in den Verfahrens- und Beweisordnungen der Tribunale Regeln in Bezug auf deren Aufrechterhaltung. Zunächst gilt es zu bedenken, dass die Unterbringung des Angeklagten in Untersuchungshaft nach dessen Überstellung an das Tribunal den Regelfall darstellt. Dies besagt ausdrücklich Regel 64 J­ StGH-VBO („Upon being transferred to the seat of the Tribunal, the accused shall be detained …“, Hervorh. d. Verf.). Sofern sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, kann er nur aufgrund der Anordnung einer Verfahrenskammer aus der Haft entlassen werden, Regel 65 (A) ­JStGH-VBO.

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Die Kernvorschrift bei der Frage einer (vorläufigen) Entlassung aus der Haft bzw. der Außervollzugsetzung des Haftbefehls ist Regel 65 (B) J­ StGH-VBO. Diese Vorschrift enthält die Voraussetzungen, die für die Erwägung einer vor­läufigen Entlassung aus der Haft erfüllt sein müssen. Neben einer prozessualen Komponente normiert Regel 65 (B) J­StGH-VBO zwei materielle Bedingungen, wobei diese drei Erfordernisse kumulativ vorliegen müssen. Zunächst muss in prozessualer Hinsicht eine Anhörung des Gaststaates157 sowie desjenigen Staates erfolgen, in den der Angeklagte entlassen zu werden ersucht. Materiell muss die Kammer zum einen zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte im Fall einer Entlassung vor Gericht erscheinen wird, d. h. dass er nicht fliehen wird, und zum anderen, dass er keine Gefahr für Opfer, Zeugen oder andere Personen darstellen wird. Die Ausgangslage für die Tribunale bemisst sich anhand diverser Überlegungen. Weder der JStGH noch der RStGH haben die Möglichkeit, Haftbefehle selber zu vollstrecken. Hieraus ergibt sich eine grundlegende Abhängigkeit von der Kooperation der Staaten. Diese Abhängigkeit wird auch bei der erforderlichen Überwachung von entlassenen Angeklagten deutlich. Allein diese beiden Umstände führen zu einer sehr vorsichtigen Handhabung in der Praxis vorläufiger Haftentlassungen.158 Im Rahmen der folgenden Ausführungen soll neben der Untersuchung der Voraussetzungen für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft am JStGH und RStGH auf spezielle Fragen in Zusammenhang mit Regel 65 (B) ­JStGH-VBO und auf die diesbezügliche Praxis der Rechtsprechung eingegangen werden. aa) Die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft am JStGH und RStGH (1) Die Anordnung von Untersuchungshaft: Der „prima facie case“ Nach den Ausführungen im Rahmen der Frage nach einer Systematisierung der Haftgründe, in deren Zusammenhang bereits Bezug genommen wurde auf das Kriterium des „Tatverdachts“, soll an dieser Stelle näher auf dieses Erfordernis eingegangen werden. 157 Der Gaststaat („host country“) des JStGH sind die Niederlande. Für Verhandlungen zu Haftentlassungen am RStGH ist Tansania als Gaststaat des Tribunals anzuhören. 158 Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1131 ff., führt diesbezüglich mögliche weitere Gründe für eine solche vorsichtige Handhabung an. Neben Reaktionen der Öffentlichkeit vermag auch eine gewisse „richterliche Unsicherheit“ die Unliebsamkeit einer Haftentlassung zu erklären. Die Entscheidung zur weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sei jedenfalls „foolproof“ und sicherer, als im Fall einer Entlassung das Risiko einer Flucht oder ähnlichem auf sich zu nehmen.

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Für den Erlass eines Haftbefehls sind explizit keine gesonderten Erfordernisse normiert. Vielmehr wird der hierfür erforderliche Verdachtsgrad über das Erfordernis eines „prima facie case“ im Rahmen der richterlichen Bestätigung der Anklage impliziert. Für eine reguläre Inhaftierung sind hierbei zunächst die Art. 19 Abs. 1 S. 2 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 S. 2 ­RStGH-St. maßgebend. Der Ankläger muss einen „prima facie case“ glaubhaft machen, bevor der Richter die Anklage bestätigt und in Folge dessen den Haftbefehl erlässt. Es stellt sich sodann die Frage, wie der Begriff des „prima facie case“ zu verstehen ist. In dem hier relevanten Zusammenhang wird diese Terminologie von den Art. 19 Abs. 1, 18 Abs. 4 J­ StGH-St., Art. 18 Abs. 1, 17 Abs. 4 ­RStGH-St. verwendet. Regel 47 (E) J­ StGH-VBO verweist als Konkretisierung in der Verfahrensund Beweisordnung auf den Standard in Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St. Gleichwohl findet sich weder in den Statuten noch in den Verfahrens- und Beweisordnungen eine Definition des „prima facie case“. Unklar ist insoweit, welcher Standard in Bezug auf den Verdachtsgrad diesem Terminus zugrunde gelegt werden muss. ­ StGH-St. kon­ Als Pendant zu Art. 18 Abs. 4 J­StGH-St., Art. 17 Abs. 4 R kretisiert Regel 47 (B) J­ StGH-VBO die Anforderungen, die in Bezug auf die Erstellung der Anklageschrift für den Ankläger gelten. Regel 47 (B) J­StGH-VBO beinhaltet jedoch nicht den Terminus eines „prima facie case“, sondern die Vorgabe, dass der Ankläger eine Anklageschrift zwecks Bestätigung einzureichen hat,159 sofern ausreichend Beweise auf „reasonable grounds“ dafür hindeuten, dass der Beschuldigte ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat.160 Da die Art. 18 Abs. 4 J­StGH-St., Art. 17 Abs. 4 ­RStGH-St. den Begriff des „prima facie case“ in demselben Zusammenhang verwenden wie Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. und Regel 47 (E) ­JStGH-VBO, wird teilweise davon ausgegangen, dass Regel 47 (B) ­JStGH-VBO mit dieser Formulierung den Maßstab des „prima facie case“ in Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 J­StGH-St. zu konkretisieren vermag.161 Eine solche Sichtweise ist aus zwei Gründen abzulehnen. Zum einen gilt es zu berücksichti 159 Die freie Handhabe des Anklägers in Gestalt des Ermessens ist in dieser Hinsicht erheblich beschränkt. Sofern der Ankläger davon überzeugt ist, dass ein prima facie case vorliegt, ist er verpflichtet, eine Anklageschrift einzureichen, vgl. Art. 18 Abs. 4 J­ StGH-St., Art. 17 Abs. 4 ­RStGH-St., Regel 47 (B) ­JStGH-VBO. Zwar kommt dies im Wortlaut der einschlägigen Vorschriften durch „shall“ zum Ausdruck, dies beinhaltet aber eine Bindung, welche einer Verpflichtung gleichkommt. Dazu Creta, in: Houst. J. Int’l L. 20 (1998), 381, 401 f.; Nsereko, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 124, 136; Côté, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 162, 165 m. w. N. Jallow, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 145, 148 f., betont hingegen das weitreichende Ausmaß des Ermessens des Anklägers. 160 Regel 47 (B) ­JStGH-VBO: „The Prosecutor, if satisfied in the course of an investigation that there is sufficient evidence to provide reasonable grounds for believing that a suspect has committed a crime within the jurisdiction of the Tribunal, shall prepare and forward to the Registrar an indictment for confirmation by a Judge, together with supporting material.“ 161 Richter Sidhwa in Rajić (IT-95-12-I), Review of the Indictment, 29. August 1995, ab­ gedruckt in Lauterpacht/Greenwood, International Law Reports, Bd. 108 (1998), S. 19.

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gen, dass ursprünglich lediglich Regel 47 (A) J­ StGH-VBO a. F. einen Hinweis auf den maßgeblichen Standard enthielt.162 Diese Regelung sah vor, dass der Ankläger davon überzeugt sein musste, dass „reasonable grounds“ für die Begehung eines Verbrechens durch den Beschuldigten vorlagen. Ein Verweis auf Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 R ­ StGH-St. war bis zur Regeländerung am 25. Juli 1997 im Rahmen dieser Vorschrift nicht existent. Bedingt durch die vollständige Änderung des Wortlautes von Art. 47 (E) ­JStGH-VBO und die Anpassung an den Wortlaut von Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit der damaligen Umschreibung in Regel 47 (A) ­JStGH-VBO die Konkretisierung eines „prima facie case“ und dessen Standard intendiert gewesen ist. Zum anderen ist zu bemerken, dass sich Regel 47 (B) ­JStGH-VBO – wie auch ursprünglich Regel 47 (A) ­JStGH-VBO a. F. – letztend­ StGH-St. bezieht und die Anlich auf Art. 18 Abs. 4 J­ StGH-St., Art. 17 Abs. 4 R forderungen für den Ankläger beinhaltet. Eine Bindung der Richter an den Inhalt von Regel 47 (B) J­ StGH-VBO kann nicht konstruiert werden. Demzufolge ist der Maßstab für die richterliche Bestätigung der Anklage aufgrund eines „prima ­facie case“ unabhängig von den Erfordernissen, die auf Seiten des Anklägers gelten, zu etablieren. Da der Standard, den Regel 47 (B) J­ StGH-VBO vorsieht, nicht auf den „prima facie case“ nach Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. übertragen werden kann, muss hierfür eine eigenständige Definition gefunden werden. Gemäß dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. muss der Ankläger aus richterlicher Sicht einen „prima facie case“ glaubhaft machen können. Der Wortlaut der Vorschrift liefert keine näheren Erkenntnisse zur Auslegung eines „prima facie case“. Der Terminus „prima facie“ entstammt dem Lateinischen und ist herkömmlich mit den Worten „auf den ersten Blick“ zu umschreiben. Im weiteren Sinne wird unter der Bezeichnung „prima facie“ der „Beweis ersten Anscheins“ bzw. die „Bewertung eines Falles anhand des ersten Anscheins“ verstanden.163 Doch auch unter Zugrundelegung der wörtlichen Bedeutung ist nicht zu ersehen, wie der Verdachtsgrad in Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 R ­ StGH-St. im Einzelnen ausgestaltet sein muss. Ein Rückschluss lässt sich nur dahingehend ziehen, dass der zuständige Einzelrichter die durch den Ankläger vorgelegten Beweismittel nicht eingehend auf ihre Qualität und Überzeugungskraft hin untersucht. Er lässt sich lediglich davon leiten, ob der Ankläger sein Vorbringen grundsätzlich mit unterstützendem Beweismaterial versehen hat und die Anklage somit fundiert erscheint. Welchem Zweck dies genügen und entsprechen muss, d. h. welche Schwelle im Hinblick auf einen Verdacht gegen den

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Regel 47 (A) J­StGH-VBO a. F. hatte anfänglich denselben Wortlaut wie die aktuelle Regel 47 (B) ­JStGH-VBO. 163 Zur Bedeutung des Begriffs „prima facie“ auch Richter Sidhwa in Rajić (Fn. 161), S. 12, und Hunt, in: May et al., S. 146.

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Beschuldigten für die richterliche Bestätigung der Anklageschrift besteht, wird jedoch nicht deutlich.164 Die amtliche deutsche Übersetzung rekurriert im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 J­ StGH-St. zwar auf den Begriff der „hinreichenden Verdachtsgründe“. Sie kann aber in Ermangelung ihrer Verbindlichkeit nicht ohne weiteres herangezogen werden und vermag demnach dem „prima facie case“ keine nähere inhaltliche Kontur zu verleihen. Der Standard, den ein „prima facie case“ etabliert, ist somit basierend auf dem reinen Wortlaut nicht ersichtlich und bleibt allein vor diesem Hintergrund weiterhin unklar. Aufschluss im Rahmen einer solchen Auslegung vermag eine geschichtliche Betrachtung zu geben. Vielfach wird auf die unterschiedlichen Bedeutungen des „prima facie case“ in Zusammenhang mit den tradierten Systemen des angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Rechtsraumes verwiesen.165 Die nationalen Standards lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf die internationale Makroebene übertragen. Der Standardisierung eines „prima facie case“ liegt kein allgemeingültiges Prinzip zugrunde. Zudem können für eine genaue Begriffs­ bestimmung keine fixen Parameter ausgemacht werden.166 Der „prima facie“Maßstab ist somit abhängig vom jeweiligen zugrundeliegenden Kontext. Weiterführende Erkenntnisse lassen sich aus dieser Feststellung für den Maßstab eines „prima facie case“ im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 J­StGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. allerdings nicht herleiten. Auch unter systematischen Gesichtspunkten können keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden. Wie eben bereits ausgeführt, lässt sich der Standard, den die Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St., Regel 47 (E) ­JStGH-VBO vorsehen, nicht ohne weiteres mit der in Regel 47 (B) ­JStGH-VBO zum Ausdruck kommenden Formulierung der „reasonable grounds“ gleichsetzen.167 Zwar könnte man dahingehend argumentieren, dass eine Einführung von zwei unterschiedlichen Maßstäben im Hinblick auf den für die Anklage und den Haftbefehl erforderlichen Verdachtsgrad nicht intendiert gewesen sein kann. Allerdings ist Regel 47 (E) J­ StGH-VBO bewusst mit einer anderen Wortwahl versehen worden. Hätten die Richter als zuständiges Gremium für Änderungen der Verfahrens- und Beweisordnungen eine Gleichsetzung beabsichtigt, hätten sie dies im Wortlaut von Regel 47 ­JStGH-VBO zum Ausdruck bringen können. Andererseits beziehen sich 164

Diesen Umstand bezeichnet Gallant, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 557, 578, als „substantial weakness“. 165 Ausführlich Richter Sidhwa in Rajić (Fn. 161), S. 12 ff., mit Erläuterungen zur geschichtlichen Entwicklung des Begriffs des „prima facie case“ im Völker(straf)recht. 166 So Richter Sidhwa in Rajić (Fn. 161), S. 17. 167 Dies bedeutet nicht, dass der Maßstab ein grundlegend anderer ist. Lediglich aufgrund der verschiedenen Bezugspunkte von Regel 47 (B) und Regel 47 (E) ­JStGH-VBO kann nicht von vornherein eine Gleichsetzung erfolgen. Für die inhaltlichen Vorgaben eines „prima facie case“ ist diese Differenzierung vorerst nicht bedeutend.

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die „reasonable grounds“ in Regel 47 (B) J­ StGH-VBO als Konkretisierung auf Art. 18 Abs. 4 ­JStGH-St., Art. 17 Abs. 4 ­RStGH-St., wobei letztere ebenfalls auf den Begriff des „prima facie case“ rekurrieren.168 Insofern könnte argumentiert werden, dass die Statuten des JStGH und des RStGH schließlich nicht zwei unterschiedliche Ausgestaltungen eines „prima facie case“ intendiert haben können. Während dieses Argument dafür spricht, den „prima facie case“ mit dem Vorliegen von „reasonable grounds“ gleichzusetzen, lässt sich eine eindeutige Schlussfolgerung aus der leicht verworrenen Systematik letztendlich nicht ziehen. Ebensowenig lässt sich aus den Reglementierungen der Ad-hoc-Tribunale, im Gegensatz zum IStGH,169 eine Systematisierung diverser Verdachtsgrade erkennen. Neben den „reasonable grounds for believing“ in Regel 47 (B), 61 (C) ­JStGH-VBO und dem „prima facie case“ in Art. 19 Abs. 1 J­StGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. findet sich lediglich in Regel 40bis (B) (ii) J­ StGH-VBO eine weitere vage Umschreibung. Regel 40bis (B) (ii) J­ StGH-VBO sieht die Überstellung und vorläufige Inhaftierung eines Beschuldigten vor, sofern Beweismaterial vorliegt „which tends to show that the suspect may have committed a crime“. Diese Formulierung bietet Anlass zum Rückschluss auf einen niedrigeren Standard als denjenigen eines „prima facie case“. Das Beweismaterial muss in einem solchen Fall die Tendenz aufweisen, zu zeigen, dass der Beschuldigte ein Verbrechen begangen haben könnte. Ein niedrigerer Verdachtsgrad ist vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass es bei Regel 40bis (B) (ii) ­JStGH-VBO um eine Maßnahme gegen einen Beschuldigten geht, wohingegen im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. über die Anklageerhebung entschieden werden soll. Anders betrachtet, geht es in Regel 40bis (B) (ii) J­ StGH-VBO um den Freiheitsentzug gerade gegenüber einem Beschuldigten. Während nach der Bestätigung der Anklageschrift ein Haftbefehl gegen den Betreffenden als Angeklagten ausgestellt wird, könnte man für die vorläufige Inhaftierung eines Beschuldigten einen zumindest gleichwertigen erforderlichen Verdachtsgrad, gleichsam als „Schwelle“, fordern. Dies scheint anhand des bloßen Wortlautes jedoch nicht der Fall zu sein. Somit bleibt vorerst festzuhalten, dass auch ein Vergleich der verschiedenen statuierten Verdachtsgrade keinen näheren Aufschluss über den genauen Standard eines „prima facie case“ bietet. Letztendlich verbleibt damit lediglich die Möglichkeit, den Begriff des „prima facie case“ in dem konkreten Zusammenhang nach seinem Sinn und Zweck auszulegen. Da es bei der Frage nach dem „prima facie“-Standard darum geht, ob der Beschuldigte zum Angeklagten wird, muss der zuständige Richter zumindest davon überzeugt sein, dass der Beschuldigte ein Verbrechen begangen hat. Diese 168 Dies hat Richter Sidhwa in Rajić (Fn. 161), S. 19, dazu veranlasst, den Begriff des „prima facie case“ im Zusammenhang mit dem Erfordernis der „reasonable grounds“ in Regel 47 (A) ­JStGH-VBO a. F. zu bestimmen („Reasonable grounds … point to such facts and circumstances as would justify a reasonable or ordinarily prudent man to believe that a suspect has committed a crime.“). Ablehnend Hunt, in: May et al., S. 137 ff. 169 s. dazu unten B. III. 2. c) aa) (1).

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Überzeugung darf sich nicht nur auf einen vagen Verdacht gründen, da anderenfalls die Gefahr der Willkür erheblich wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Richter nur für den Fall die Anklage bestätigt, in welchem dem Beschuldigten seiner Ansicht nach die Begehung des Verbrechens nachgewiesen werden kann. Der Richter kann diese Frage lediglich anhand des bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Beweismaterials bewerten. Wäre bei unterstellter konstanter Beweislage ein Freispruch wahrscheinlicher als eine Verurteilung, käme eine Bestätigung der Anklage nicht in Betracht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Richter bei Auswertung des Beweismaterials eine Verurteilung für wahrscheinlicher halten muss als einen Freispruch. Selbiges gilt selbstverständlich für den Ankläger, der das Beweismaterial im Vorfeld bewertet. Vorerst lässt sich also festhalten, dass der Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bestätigung der Anklageschrift aufgrund des vorliegenden Beweismaterials davon überzeugt sein muss, dass eine Verurteilung des (noch) Beschuldigten wahrscheinlich ist. Insofern käme der Standardisierung eines „prima facie case“ der deutsche Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“ am nächsten.170 Vor allem in der Rechtsprechung des JStGH gibt es unter den Richtern verschiedene Auffassungen über die Bedeutung eines „prima facie case“. Durch­ gesetzt hat sich diejenige Ansicht, die in einem „prima facie case“ einen glaubwürdigen Fall sieht, der, sofern er unwidersprochen durch die Verteidigung bliebe, eine ausreichende Grundlage zur Verurteilung des Angeklagten aufgrund der Anklage bieten würde.171 Neben dieser vorherrschenden Definition finden sich wei 170 Der Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“ in der deutschen Strafprozessordnung soll demnach als Pendant zum „prima facie case“ angesehen werden. Dies dient dem Zweck, die Begriffsbestimmung zu erleichtern und – sofern möglich – zu vereinheitlichen. Bedeutsam wird der Maßstab des „hinreichenden Tatverdachts“ unter anderem im Rahmen von § 203 StPO bei dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Der Angeschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig, wenn nach vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit seiner Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweisen besteht, so Schneider, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 203 Rn. 3. Hier kommt es ebenso wie am JStGH und am RStGH darauf an, ob sich sowohl die Tatbegehung als auch eine Verurteilung als wahrscheinlich darstellt. Ungeachtet der Unterschiede, die sich aus den Einflüssen der verschiedenen Rechtstraditionen ergeben (die durch das „civil law“ geprägte deutsche StPO im Gegensatz zum überwiegend auf dem „common law“ beruhenden J­ StGH-St. bzw. ­RStGH-St.), vermag der Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“, wie er in der StPO verankert ist, den Standard eines „prima facie case“ weitestgehend zu umschreiben. 171 „A prima facie case for the purpose of article 19, paragraph 1, is understood to be a credible case which would (if not contradicted by the Defence) be a sufficient basis to convict the accused on the charge.“ Richter McDonald in Marinić (IT-95-15-I), Trial Chamber, Deci­ sion on the Review of the Indictment, 10. November 1995, S. 3 m. V. a. Report of the International Law Commission on the Work of its 46 th Session, U. N. Doc. A/49/10 (1994), S. 48; Richter Hunt in Milošević (IT-02-54), Trial Chamber, Decision on Review of Indictment and Application for Consequential Orders, 24. Mai 1999, Rn. 4; Richter May in Milošević (IT-02-54), Trial Chamber, Decision on Review of Indictment, 22. November 2001, Rn. 14; Stanišić (IT-03-69-PT), Trial Chamber, Decision on Prosecution Motion for Leave to Amend the Amended Indictment, 16. Dezember 2005, S. 3; Safferling, Towards an International

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tere Ansätze, wobei teils lediglich eine abweichende Formulierung gewählt wird, der Inhalt hingegen überwiegend denselben Maßstab festlegt,172 aber teilweise auch ein etwas geringerer Standard als ausreichend erachtet wird.173 Im Anschluss an diese Ausführungen lässt sich dreierlei konstatieren: (1) Der „prima facie“-Standard lässt sich im Sinne der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung verstehen. Dem Ankläger muss Beweismaterial zur Verfügung stehen, welches auf die Begehung des Verbrechens durch den Beschuldigten hinweist. Von der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung muss der Richter für die Bestätigung der Anklageschrift überzeugt sein. (2) Maßgeblich ist, dass der durch den Ankläger vorgetragene Fall eine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung bieten würde. Das zu diesem Zweck vorgebrachte Beweismaterial muss nicht in einem absoluten Sinne überzeugend sein. Der Beweisstandard in Bezug auf die Bewertung, ob ein „prima facie case“ vorliegt, ist eher sekundär. Die Aus- und Bewertung der Beweise ist letztendlich Aufgabe der Verfahrenskammer. Für die Bestätigung der Anklageschrift kann es nur darum gehen, ob der Ankläger sein Vorbringen mit Beweismaterial zu stützen vermag, und ob diese Beweise eine ausreichende Grundlage zu einer Verurteilung bieten würden, sofern die Verteidigung diesen nichts entgegensetzen würde. Für einen „prima facie case“ ist lediglich die Quantität der Beweismittel bedeutsam, nicht hingegen deren Qualität.174 (3) Sofern man den „prima facie case“ als Vorliegen hinreichender Verdachtsgründe, vergleichbar zur Terminologie der StPO, versteht, muss selbiges für die Voraussetzungen zur Anordnung von Untersuchungshaft gelten. Bedingt durch die Verbindung zwischen der richterlichen Bestätigung der Anklageschrift und dem Erlass eines Haftbefehls, welche auf denselben Erfordernissen beruhen, ist die Schwelle für die Anordnung von Untersuchungshaft deutlich herabgesetzt. Criminal Procedure, S. 183; Akhavan/Meron et al., in: Am. U. Int’l L. Rev. 13 (1997), 1509, 1524 f.; Ivković, in: Stan. J. Int’l L. 37 (2001), 255, 278 Fn. 162. Ambos, in: Eur. J. Int’l L. 7 (1996), 519, 526, geht zwar von eben dieser Definition aus, vergleicht den Maßstab aber mit dem der deutschen Strafprozessordnung geläufigen Begriff des „dringenden Tatverdachts“. 172 Von seiner ursprünglichen Definition abweichend Richter Hunt in Milošević (IT-02-54), Trial Chamber, Decision on Application to Amend Indictment and on Confirmation of Amended Indictment, 29. Juni 2001, Rn. 3 („… whether there is evidence (if accepted) upon which a reasonable tribunal of fact could be satisfied beyond reasonable doubt of the guilt of the accused on the particular charge in question.“). Sowohl Hunt, Rn. 3, als auch May in Milošević (Fn. 171), Rn. 13, verweisen diesbezüglich auf den Inhalt der Definition, welcher sich nicht von demjenigen der herrschenden Ansicht unterscheidet. 173 Richter Orie in Mladić (IT-95-5/18-I), Trial Chamber, Order Granting Leave to File an Amended Indictment and Confirming the Amended Indictment, 08. November 2002, Rn. 26 („… on the condition that the prosecution evidence, if accepted and uncontradicted, sufficiently supports the likelihood of the accused’s being convicted by a reasonable trier of fact.“) mit ausführlicher Begründung. Vgl. auch Richter Sidhwa in Rajić (Fn. 161), S. 19, wobei der herabgesetzte Standard daher rührt, dass Sidhwa den „prima facie case“ mit den Erfordernissen der heutigen Regel 47 (B) ­JStGH-VBO gleichsetzt, welche sich aber an den Ankläger richtet. 174 Dazu Hunt, in: May et al., S. 146; ähnlich Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 183.

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Ein erhebliches Manko besteht demnach an den Ad-hoc-Tribunalen insofern, als keine gesonderten Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls und in dessen Folge die Verbringung in Untersuchungshaft normiert sind.175 Die Anordnung von Untersuchungshaft erschöpft sich in der Bestätigung der Anklageschrift und dem Erlass eines Haftbefehls. Zusätzliche Gründe, wie beispielsweise die Fluchtgefahr, sind diesbezüglich nicht von Belang. Im Ergebnis unterliegt die Anordnung von Untersuchungshaft somit nur geringfügigen Erfordernissen. Gleichwohl geht die Rechtslage an den Tribunalen mit den menschenrechtlichen Vorgaben insoweit konform, als auch dort der bloße „hinreichende Verdacht“ als ausreichend für die Anordnung von Untersuchungshaft erachtet wird.176 (2) Die vorläufige Inhaftierung von Beschuldigten nach Regel 40bis ­JStGH-VBO Im Gegensatz zur regulären Untersuchungshaft sind für den Fall der vorläufigen Inhaftierung spezifische Bedingungen festgeschrieben. Die Anklagebehörde muss zunächst Beweise vorlegen, die darauf hindeuten, dass der Beschuldigte ein Verbrechen begangen haben könnte, Regel 40bis (B) (ii) J­ StGH-VBO.177 Ferner muss der Richter nach Abs. (iii) davon überzeugt sein, dass die vorläufige Untersuchungshaft notwendig ist, um die Flucht des Beschuldigten, die Verletzung oder Einschüchterung von Opfern oder Zeugen, oder die Zerstörung von Beweismaterial zu verhindern, oder in anderer Weise notwendig für den Gang der Ermittlungen ist. Somit sind neben dem Erfordernis eines bestimmten Verdachtsgrades auch die herkömmlichen Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr normiert. Sie gelten einerseits bereits für die Anordnung der Untersuchungshaft als kumulative Voraussetzungen, und zum anderen ist der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr weiter gefasst als die Verdunkelungsgefahr im Rahmen der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.178 Darüber hinaus enthält Regel 40bis (B) (iii) ­JStGH-VBO mit dem letzten Haftgrund eine ziemlich offene Begründung für die Anordnung der Untersuchungshaft. Erklären lassen sich diese 175

Zwar ist dieses Verfahren direkter und einfacher, so Caianiello/Illuminati, in: N. C. J. Int’l L. & Com. Reg. 26 (2001), 407, 445 („straightforward“). Diese Geradlinigkeit ist allerdings nur zum Nachteil des Angeklagten möglich und aufgrund der Schwere des Eingriffs als kritisch zu erachten. 176 Vgl. nur Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK. Allerdings ist nach der hier vertretenen Ansicht die Systematik von Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK in Bezug auf dieses Erfordernis fragwürdig, s. dazu die Ausführungen unter B. III. 1 a) aa) (1). Anzumerken ist allerdings, dass der dort normierte Verdachtsgrad schwächer ausgeprägt ist als der prima facie case. Inhaltlich lassen sich die Begrifflichkeiten demnach nicht gleichsetzen. 177 Die an dieser Stelle von Gallant, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 557, 584, vorgebrachte Kritik in Bezug auf die Unbestimmtheit der Norm sowie die Missbrauchsgefahr durch den Ankläger ist mittlerweile durch diverse Regeländerungen überholt. 178 Regel 65 (B) J­ StGH-VBO beinhaltet im Gegensatz zu Regel 40bis (B) (iii) J­ StGH-VBO nicht die Zerstörung von Beweismaterial als möglichen Haftgrund.

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Differenzen zwischen regulärer und vorläufiger Untersuchungshaft anhand der zeit­lichen Beschränkung auf eine Höchstdauer von 90 Tagen und mit dem Argument der verschiedenen Verfahrensstadien. Während bei Regel 40bis ­JStGH-VBO die Durchführung der Ermittlungen gesichert werden soll, kommt es bei der regulären Untersuchungshaft auf die Sicherung der Durchführung des Verfahrens gegen den Angeklagten an. bb) Die (vorläufige) Entlassung aus der Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen Regel 65 (B) ­JStGH-VBO beinhaltet die Anforderungen, die an eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft gestellt werden. Wie Regel 64 ­JStGH-VBO explizit besagt, soll der Angeklagte grundsätzlich inhaftiert werden, so dass Regelungen bezüglich der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entbehrlich sind. Vielmehr ist nur der umgekehrte Fall geregelt, dass der Angeklagte seine Entlassung aus der Haft beantragt. Zu diesem Zweck sieht Regel 65 (B) J­StGH-VBO die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen vor. Zum einen muss in prozessualer Hinsicht eine Anhörung sowohl des Gaststaates als auch des Aufnahmestaates erfolgen. Zum anderen muss in materieller Hinsicht die zuständige Verfahrenskammer davon überzeugt sein, dass der Angeklagte (1) vor Gericht erscheinen wird und (2) im Falle seiner Entlassung keine Gefahr für Opfer, Zeugen oder andere Personen darstellen wird. Diese beiden Voraussetzungen lassen sich insoweit als „Haftgründe“ bezeichnen, als sie eine Ablehnung des Antrags des Angeklagten und daraufhin eine weitere Inhaftierung zur Folge haben, sofern sie nicht positiv festgestellt werden können. (1) Das ehemalige Erfordernis der „exceptional circumstances“ Regel 65 (B) ­JStGH-VBO hat als Kernvorschrift für die Frage der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls und damit einer vorläufigen Haftentlassung des Angeklagten im Laufe der Jahre einige Änderungen erfahren.179 Der größte Einschnitt ist in der Rechtsprechung des JStGH mit der Regeländerung im Jahre 1999 zu verzeichnen, in deren Zuge die Abschaffung des Erfordernisses der „excep­ tional circumstances“ in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO erfolgte. Dieselbe Änderung wurde für den RStGH im Mai 2003 eingeführt. Vor den Jahren 1999 bzw. 2003 gab es kaum Urteile, welche auf die weiteren Voraussetzungen neben dem damals noch vorherrschenden Erfordernis der „exceptional circumstances“ rekur 179 Zur geschichtlichen Entwicklung der Vorschrift s. Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1133 ff.

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rierten. Dies hatte seinen Grund darin, dass der Antrag des Angeklagten auf vorläufige Haftentlassung regelmäßig – bis auf wenige Ausnahmen –180 bereits an den „­exceptional circumstances“ scheiterte, bevor überhaupt auf die weiteren Voraussetzungen eingegangen werden konnte. Die „außergewöhnlichen Umstände“ waren vor den beiden weiteren geschriebenen Haftgründen die erste Voraussetzung, deren Vorliegen der Angeklagte zu beweisen hatte. Er musste die zuständige Kammer davon überzeugen, dass in seinem Fall „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, die seine Entlassung aus der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Schwierigkeiten, welche dies für den Angeklagten mit sich brachte, belegt die Rechtsprechungspraxis der Tribunale vor den Jahren 1999 bzw. 2003.181 Eine exakte Definition dieser „außergewöhnlichen Umstände“ gab es nicht,182 vielmehr war in diesem Zusammenhang – gleich einer Generalklausel oder eines Auffangtatbestandes – eine Vielzahl von Kriterien von Bedeutung. Insbesondere kam es, in einer Art Abwägung, neben einem fortdauernden hinreichenden Tatverdacht, der Schwere der Straftat und der Dauer der Untersuchungshaft auf den gesundheitlichen Zustand eines Angeklagten an.183 Streng genommen vermochte nur der schlechte gesundheitliche Zustand eines Angeklagten die Annahme „außergewöhnlicher Umstände“ zu bedingen („release for ­humanitarian reasons“). Dieses maßgeblich durch den JStGH geprägte Vorgehen wurde durch den RStGH schlicht als Maßstab übernommen,184 so dass sich eine entsprechende Rechtsprechungspraxis etablieren konnte. Dass sämtliche Vorbringen die jeweiligen Richter wenig zu überzeugen vermochten, belegt die Anzahl der bis 1999 bzw. 2003 stattgegebenen Entlassungen: Am JStGH wurden bis dahin zwei Angeklagte aufgrund ihres bedenkenswerten gesundheitlichen Zustan 180 Bis zur Regeländerung Ende des Jahres 1999 wurden am JStGH zwei Angeklagte aufgrund gesundheitlicher Gründe vorläufig aus der Haft entlassen, s. Đukić (IT-96-20), Trial Chamber, Decision Rejecting the Application to Withdraw the Indictment and Order for Provisional Release, 24. April 1996 (vertiefend de Waart, in: Leiden J. Int’l L. 9 (1996), 453) und Simić (IT-95-9/2), Trial Chamber, Decision on Provisional Release of the Accused, 26. März 1998. Darüber hinaus erfolgten kurzzeitige Entlassungen des Angeklagten Ćerkez aus der Untersuchungshaft aus familiären Gründen, Kordić & Ćerkez (IT-95-14/2), Trial Chamber, Order on Motion of the Accused Mario Ćerkez for Provisional Release, 14. September 1999, sowie des Angeklagten Josipović anlässlich einer Beerdigung, Kupreškić et al. (IT-95-16), Trial Chamber, Decision on the Motion of Defence Counsel for Drago Josipović, 06. Mai 1999. Vor der Regeländerung am RStGH im Mai 2003 gab es keine vorläufigen Entlassungen aus der Haft. 181 Sehr kritisch Rearick, in: Harv. Int’l L. J. 44 (2003), 577, 585 ff. 182 Bassiouni/Manikas, S. 915. 183 Cassese, in: Eur. Hum. Rts. L. Rev. 9 (1997), 329, 336 ff.; Wald/Martinez, in: May et al., S.  238 ff. 184 Bagosora (ICTR-96-7), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion for Release, 12. Juli 2002, Rn. 23. Allerdings wurden Entlassungen aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Angeklagten noch restriktiver gehandhabt als am JStGH, dazu Rutaganda (ICTR96-3), Trial Chamber, Decision on the Request Submitted by the Defence, 25. September 1996, sowie Decision on the Request Filed by the Defence for Provisional Release of Georges Rutaganda, 07. Februar 1997.

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des entlassen, am RStGH gab es bis 2003 überhaupt keine Entlassung aus der Untersuchungshaft. Regel 65 (B) J­ StGH-VBO wurde von den Richtern dahingehend verstanden, dass die Praxis vorläufiger Haftentlassungen gerade streng gehandhabt werden solle.185 Kurzum, durch dieses Erfordernis war es für einen Beschuldigten bzw. An­ geklagten nahezu unmöglich, vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Die „außergewöhnlichen Umstände“ setzten die Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft, die sich bereits in Regel 64 ­JStGH-VBO herauskristallisiert, konsequent fort. Dass dies in beachtlicher Weise gegen zuvor beschriebene Menschenrechte verstößt, ist offensichtlich.186 Aus diesem Grunde war die Modifizierung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO nicht nur begrüßenswert, sondern auch notwendig. (2) Das Erfordernis fortdauernden Tatverdachts Das Erfordernis des fortdauernden Tatverdachts wurde vor der Modifizierung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO lediglich als ein Faktor unter mehreren im Zusammenhang mit dem Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ geprüft. Eine tatsächliche Auseinandersetzung erfolgte jedoch nicht regelmäßig, sondern eher im Einzelfall. Sofern sie erfolgte, war sie wohl dem Versuch geschuldet, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Angeklagte keine Möglichkeit hat, gegen die Anklage mit rechtlichen Mitteln vorzugehen. Zu diesem Zweck wurden die Grundsätze des EGMR mit der Maßgabe herangezogen, dass der weiterhin bestehende Tatverdacht unerlässlich sei für die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.187 Es oblag demnach – wie auch sonst bei Regel 65 (B) ­JStGH-VBO – der Verteidigung, das Vorbringen der Anklage in Bezug auf das Bestehen des Tatverdachts im Rahmen der Bestätigung der Anklage zu bestreiten. Als Maßstab hierfür wurde auf Regel 47 (B) ­JStGH-VBO („reasonable grounds for believing“) rekurriert. Gleichzeitig dürfte dies wohl kaum mehr als ein Versuch gewesen sein, den mangelnden Einklang mit den Menschenrechten aus­ zugleichen. Deutlich signalisiert wurde zumindest auch die geringe Bereitschaft und Zurückhaltung dahingehend, tatsächlich in dieser Hinsicht von der Anklage 185

Aleksovski (IT-95-14/1), Trial Chamber, Decision Denying a Request for Provisional Release, 23. Januar 1998, S. 3 („As suggested by the words „exceptional circumstances“ and „only if it is satisfied…“, this rule must be very strictly applied.“), dazu auch Warbrick, in: J. Armed Conflict L. 3 (1998), 45, 58. 186 Anders sehen dies Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, S. 531, die dahingehend befinden, dass Regel 65 (B) RStGH-VBO (a. F.) mit Art. 9 Abs. 3 IPbpR in Einklang stehe. 187 Delalić et al. (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release Filed by the Accused Zejnil Delalić, 25. September 1996, Rn. 24; Kovačević (IT-97-24), Trial Chamber, Decision on Defence Motion for Provisional Release, 20. Januar 1998, Rn. 16. Dazu auch Cassese, in: Eur. Hum. Rts. L. Rev. 9 (1997), 329, 336.

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bestätigung abzuweichen.188 So vermochten es die Angeklagten nicht, die Vermutung zugunsten des Tatverdachts zu widerlegen.189 Nach der Regeländerung wurde das Fortbestehen des Tatverdachtes anscheinend nicht mehr als Erfordernis für die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erachtet. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass ein Instrumentarium zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft an den Tribunalen fehlt. Die Richter können sich ohne weiteres auf die anfängliche Bestätigung der Anklage berufen und erachten demnach den Tatverdacht als ge­geben. Der Antrag nach Regel 65 (B) J­ StGH-VBO beinhaltet für den Angeklagten lediglich die Möglichkeit, die Verfahrenskammer von bestimmten Gegebenheiten zu überzeugen, die seine vorläufige Entlassung als für das spätere Verfahren unbedenklich erscheinen lassen. Er bietet hingegen in Abweichung zu den menschenrechtlichen Mindeststandards keine Möglichkeit, gegen die Bestätigung der Anklage vorzugehen. (3) Die Fluchtgefahr Der „Haftgrund“ der Fluchtgefahr ist an den Ad-hoc-Tribunalen lediglich für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von Relevanz. Im Rahmen der Frage einer vorläufigen Haftentlassung muss nach Regel 65 (B) ­JStGH-VBO unter anderem sichergestellt sein, dass der Angeklagte für den Fall seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft zum Hauptverfahren vor Gericht erscheinen wird („… the accused will appear for trial …“). Hiermit wird der klassische Haftgrund der „Fluchtgefahr“ normiert,190 bei dessen Vorliegen der Antrag auf vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft abzulehnen ist. Die inhaltliche Ausgestaltung und mithin das Verständnis der Fluchtgefahr bleiben dabei den Richtern der Tribunale überlassen. Bis zur Änderung von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO im November 1999 (bzw. für den RStGH im Mai 2003) gab es nahezu keine Ausführungen zur Fluchtgefahr, da der Antrag des Angeklagten auf vorläufige Haftentlassung regelmäßig bereits zuvor an den „exceptional circumstances“ gescheitert ist. Nach der Regeländerung im Jahr 1999 vollzog sich zumindest am JStGH, wenn auch zunächst recht langsam, der Wandel.

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Wald/Martinez, in: May et al., S. 239. McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 213, und Cryer/Friman, S. 371. 190 Dieser erfährt nur eine andere systematische Verortung in den Verfahrens- und Beweisordnungen: Da Regel 65 (B) ­JStGH-VBO den „Sonderfall“ einer vorläufigen Entlassung normiert, ist das Erfordernis, dass der Angeklagte vor Gericht erscheint, kein „Haftgrund“ der „Fluchtgefahr“ im strengen Sinne, sondern vielmehr ein Entlassungsgrund. Der Blickwinkel ist lediglich ein anderer. Der Einheitlichkeit halber soll aber im Folgenden von „Fluchtgefahr“ gesprochen werden. 189

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Bei der Beurteilung der Frage, ob der Angeklagte im Falle seiner Entlassung vor Gericht erscheinen wird, müssen die Richter der zuständigen Verfahrens­ kammer eine Prognose in Bezug auf sein künftiges Verhalten abgeben. Dass eine solche Prognose nicht allein auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten erstellt werden kann, ist offensichtlich.191 Es müssen also mehrere Faktoren dieser Entscheidung zugrunde gelegt werden. In der Rechtsprechung haben sich diverse Kriterien herausgebildet, die bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zugrunde gelegt werden. Hauptsächlich kommt es – neben weiteren Faktoren –192 darauf an, ob sich (1) der Angeklagte freiwillig gestellt hat oder der Haftbefehl vollstreckt werden musste, (2) der Staat, in den der Inhaftierte entlassen zu werden ersucht, eine die Richter überzeugende Garantie abgegeben hat und ob (3) der Angeklagte selber überzeugende Garantien für seine Anwesenheit vor Gericht anbieten kann. Zu der Frage, ob sich der Angeklagte freiwillig dem Tribunal gestellt hat, ist anzumerken, dass am JStGH dieses Kriterium bis zur Regeländerung 1999 im Rahmen der „exceptional circumstances“ bedeutsam wurde, wenn auch explizit dieser Umstand für sich betrachtet nicht als ausreichend erachtet worden ist, um eine solche besondere Ausnahmesituation anzunehmen.193 Nach der Abschaffung des Erfordernisses der „exceptional circumstances“ ist dem Aspekt, dass sich der Angeklagte freiwillig gestellt hat, bei der Beurteilung der Fluchtgefahr größeres Gewicht beigemessen worden.194 Dies gilt freilich nur für diejenigen Fälle, in denen die Anklage veröffentlicht wurde. In den Fällen, in denen diese unter Verschluss gehalten wurde („sealed indictment“), kann es dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen, wenn sich dieser in Unkenntnis der Anklage nicht freiwillig dem Gericht gestellt hat. In solchen Fällen darf der Umstand, dass der Angeklagte verhaftet wurde, keine Berücksichtigung durch die Kammer finden.195

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Dazu Safferling, in: YB Int’l Hum. L. 5 (2002), 219, 248 f. Vertiefend dazu Gaynor, in: Doria et al., S. 188 ff. 193 Blaškić (IT-95-14), Trial Chamber, Order Denying a Motion for Provisional Release, 20. Dezember 1996; Kunarac (IT-96-23), Trial Chamber, Decision on Request for Provisional Release of Dragoljub Kunarac, 11. November 1999, Rn. 4 („It could even be said that indictees who know that they have been indicted, should voluntarily surrender themselves to the International Tribunal.“). In Delalić et al. (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release Filed by the Accused Hazim Delić, 24. Oktober 1996, wurde die freiwillige Überstellung andererseits als Faktor im Rahmen der Beurteilung der Fluchtgefahr angeführt, aber für bedeutungslos erachtet. 194 Simić (IT-95-9/2), Trial Chamber, Decision on Milan Simić’s Application for Provi­sional Release, 29. Mai 2000; Nshogoza (ICTR-07-91), Trial Chamber, Decision on Defence Motion for Provisional Release, 17. Dezember 2008, Rn. 12. 195 Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motion by Radoslav Brđanin for Provisional Release, 25. Juli 2000, Rn. 17. In Krajišnik (IT-00-39), Trial Chamber, D ­ ecision on Momčilo Krajišnik’s Notice of Motion for Provisional Release, 08. Oktober 2001, Rn. 20, hat die zuständige Verfahrenskammer die Problematik um eine solche „Anklage unter Verschluss“ im Rahmen der Beurteilung als neutralen Faktor bewertet. Gleichzeitig hat sie aber 192

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Ferner kommt es auch im Falle einer freiwilligen Überstellung für eine adäquate Gewichtung immer auf die jeweiligen Umstände an, so dass die Kammer im Einzelfall entscheiden muss, wie bedeutsam die freiwillige Überstellung letztendlich ist.196 Einen weiteren gewichtigen Umstand stellt die Garantie desjenigen Staates dar, in den der Angeklagte entlassen zu werden ersucht.197 Da die Tribunale nicht über einen eigenen Polizeiapparat verfügen, kommt es umso mehr auf die Kooperation mit Staaten an. Dies gilt zuvörderst für den Bereich der Festnahme eines Angeklagten. Aus diesem Grund sind zuverlässige Garantien von Staaten von elementarer Bedeutung, da nur in einem solchen Fall größtmögliche Sicherheit dahingehend vorherrschen kann, dass der Angeklagte tatsächlich vor Gericht erscheinen wird – sofern nötig durch Intervention des garantierenden Staates. Die Erklärungen müssen von Stellen abgegeben werden, welche die Behörden bzw. die Regierung des jeweiligen Staates repräsentieren.198 In den Anfangsjahren des JStGH gab es teils erhebliche Schwierigkeiten im Rahmen der Kooperation von Staaten mit dem Tribunal.199 Dies hatte zur Folge, dass Zusicherungen von Staaten die Richter nicht dahingehend überzeugen konnten, Angeklagte vorläufig aus der Haft zu entlassen.200 Das Gewicht, welches einer Staatengarantie im Einzelfall zukommt, bemisst sich anhand der grundsätzlichen

unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Verhaftung einen vom Angeklagten angestrebten Vergleich zu einem Fall abgelehnt, in welchem die Inhaftierte, Biljana Plavšić, unter Verweis auf ihre freiwillige Überstellung vorläufig aus der Haft entlassen wurde. In seiner abweichenden Meinung kritisiert Richter Robinson diesen Umstand zu Recht, da mit einer solchen Argumentation letztendlich keine neutrale Wertung erfolgt. Vielmehr gereicht der Umstand, dass sich der Angeklagte aufgrund der nicht veröffentlichten Anklage nicht freiwillig gestellt hat, diesem zum Nachteil. 196 So hat die Verfahrenskammer in einer Entscheidung gegen Nikolić der freiwilligen Überstellung des Angeklagten nur wenig Gewicht beimessen können, da sich dieser zuvor über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren auf der Flucht befunden hat, Popović et al. ­(IT-05-88), Trial Chamber, Decision on Drago Nikolić’s Request for Provisional Release, 09. November 2005, Rn. 20; ähnlich Pandurević (IT-05-86), Trial Chamber, Decision on Vinko Pandurević’s Application for Provisional Release, 18. Juli 2005, Rn. 18. s. auch Kordić ­(IT-95-14/2-T), Trial Chamber, Order on Application by Dario Kordić for Provisional Release Pursuant to Rule 65, 17. Dezember 1999. 197 Dazu Gaynor, in: Doria et al., S. 193 f. Auch, wenn eine solche Garantie theoretisch kein zwingendes Erfordernis für eine Entlassung darstellt, wird es praktisch keine Haftentlassung ohne eine entsprechende Staatengarantie geben, Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1165 f. 198 Nsengimana (ICTR-01-69-I), Trial Chamber, Decision on Nsengimana’s Motion for the Setting of a Date for a Pre-Trial Conference, a Date for the Commencement of Trial, and for Provisional Release, 11. Juli 2005, Rn. 18. 199 Dazu Bantekas/Nash, S. 517 ff. 200 Delalić et al. (Fn. 187), Rn. 32 (Bosnien-Herzegowina); Blaškić (Fn. 193) (Kroatien); Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motion by Momir Talić for Provi­ sional Release, 28. März 2001, Rn. 26 (Republik Srpska).

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Kooperationsbereitschaft mit dem Tribunal.201 Diese wird wiederum durch die Vollstreckung von Haftbefehlen und die Überstellung von Angeklagten an das Tribunal belegt. Wenn nun aber der Aufnahmestaat in einer Anhörung eine Zusage dahingehend erteilt, dass er bereit ist, den Angeklagten im Fall seiner Entlassung aufzunehmen und ihn nötigenfalls auch wieder zu verhaften, und der betreffende Staat in der Vergangenheit durch weitere Festnahmen und Überstellungen seine Kooperationsbereitschaft demonstriert hat, so dürfte dem durch die Tribunale häufig vorgebrachten Argument der fehlenden Vollstreckungsorgane keine Geltung mehr zukommen. Dieses Manko wäre in der Praxis durch die Zusicherung des bisher kooperationsbereiten Staates überwunden, so dass dieser für das Tribunal die Vollstreckung jeglicher Angelegenheiten in Bezug auf diesen Angeklagten übernehmen würde. Nichtsdestotrotz werden solche Zusagen mit Vorsicht und Skepsis behandelt. Genau geprüft wird, ob die Kooperationsbereitschaft über bloße „gute Absichten“ hinausgeht und mit Festnahmen und Überstellungen weiterer Angeklagter belegt werden kann.202 In den letzten Jahren hingegen hat sich gerade die Kooperationsbereitschaft der Staaten des ehemaligen Jugoslawiens gegenüber dem JStGH deutlich gebessert.203 Als dritter Faktor, welcher in die Beurteilung der Fluchtgefahr einfließt, sind persönliche Garantien des Angeklagten anzuführen. Zum einen ist denkbar, dass der Angeklagte Erklärungen von Dritten vorzuweisen vermag, welche das Tribunal zusätzlich von der Nicht-Existenz einer Fluchtgefahr überzeugen sollen.204 Zum anderen kann der Angeklagte selber auch eine persönliche Verpflichtungserklärung im Hinblick auf sein Erscheinen vor Gericht abgeben. Letzteren wird verständlicherweise mit Vorsicht begegnet, da es hierbei um die rein subjektive Erklärung des Betroffenen selbst geht.205 Mithin kann dies nicht als ausschlaggebender Faktor für die Entscheidung über das Vorliegen von Fluchtgefahr bezeichnet werden. Für den Fall, dass entsprechende Garantien vorliegen, können diese – sofern überzeugend – als zusätzliche Sicherheit betrachtet werden. Es fließen aber, nicht nur in Zusammenhang mit einer persönlichen Verpflichtungserklärung gegenüber dem Tribunal,206 sondern grundsätzlich, eine Reihe weiterer Kriterien in die Beurteilung der Fluchtgefahr mit ein. 201 Stanišić (IT-04-79), Appeals Chamber, Decision on Prosecution’s Interlocutory Appeal of Mićo Stanišić’s Provisional Release, 17. Oktober 2005, Rn. 21 f. 202 Dazu Krajišnik (Fn. 195), Rn. 18. 203 Vgl. Davidson, in: Am. U. L. Rev. 60 (2010), 1, 35. 204 Hadžihasanović (IT-01-47), Trial Chamber, Decision Granting Provisional Release to Enver Hadžihasanović, 19. Dezember 2001, Rn. 9; Haradinaj (IT-04-84), Trial Chamber, Decision on Ramush Haradinaj’s Motion for Provisional Release, 06. Juni 2005, Rn. 34. 205 Kunarac (Fn. 193), Rn. 7; Limaj et al. (IT-03-66), Trial Chamber, Decision on Haradin Bala’s Request for Provisional Release, 31. Oktober 2003, Rn. 29. Allerdings sind auch Fälle denkbar, in denen die Zusicherungen durch den Angeklagten vom Tribunal als glaubhaft erachtet werden, s. Ademi (IT-01-46), Trial Chamber, Order on Motion for Provisional Release, 20. Februar 2002, Rn. 30, 38. 206 Hierzu beispielsweise Brđanin & Talić (Fn. 200), Rn. 30.

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Zu diesen Kriterien gehören an erster Stelle die Schwere der Verbrechen und die Höhe einer entsprechenden Strafe.207 Obwohl die Verfahrenskammern auf den Grundsatz rekurrieren, dass lediglich eine mögliche hohe Haftstrafe die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen vermag, berücksichtigen sie gleichwohl den Umstand, dass die Dauer der drohenden Freiheitsstrafe den Angeklagten zur Flucht verleiten könnte.208 Weiterhin sind die Umstände der Verhaftung des Angeklagten209 sowie seine weitere Kooperationsbreitschaft mit der Anklagebehörde von Belang.210 Der gegebenenfalls zeitnahe Beginn des Hauptverfahrens wird ebenfalls als Kriterium zur Ablehnung einer vorläufigen Haftentlassung angesehen. Insbesondere von Relevanz ist in diesem Zusammenhang, dass die gesundheitlichen Gründe, welche vormals einzig das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ zu begründen vermochten, nun auch an dieser Stelle bedeutsam werden. So kann bei baldigem Beginn des Hauptverfahrens eine vorläufige Haftentlassung nur aus gesundheitlichen Gründen gerechtfertigt werden.211 Auch die persönliche Situation des Angeklagten mag je nach Einzelfall bedeutsam sein.212 Das Anbieten einer Sicherheitsleistung scheint nicht dem Usus zu entsprechen und wurde in der Vergangenheit abgelehnt.213 In späteren Entscheidungen sind die Verfahrenskammern dazu übergegangen, die für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevanten Faktoren einzeln aufzulisten.214 207

Ademi (Fn. 205), Rn. 25; Mrđa (IT-02-59), Trial Chamber, Decision on Darko Mrđa’s Request for Provisional Release, 15. April 2002, Rn. 35. 208 So unter anderem Haradinaj (Fn. 204), Rn. 29. 209 Delalić et al. (Fn. 187), Rn. 33 (Delalić gelang es, im Herbst 1992 trotz eines bereits sechs Monate bestehenden Haftbefehls, die Republik Bosnien und Herzegowina zu ver­ lassen. Ferner hatte er sich einen falschen Pass und gefälschte Reisedokumente besorgt); Mrđa (Fn. 207), Rn. 35 (Widerstand bei der Festnahme); Pandurević (Fn. 196), Rn. 18 (freiwillige Überstellung an das Tribunal, allerdings erst drei Jahre und drei Monate nach Anklageerhebung und entsprechendem Erlass eines Haftbefehls). 210 Krajišnik (Fn. 195), Rn. 21; Čermak & Markač (IT-03-73), Appeals Chamber, Decision on Interlocutory Appeal Against Trial Chamber’s Decision Denying Provisional Release, 02. Dezember 2004, Rn. 23; dazu Mundis/Gaynor, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 485, 498 ff. Kritisch zum Kriterium der Kooperationsbereitschaft mit der Anklagebehörde äußerte sich Richter Robinson in seiner abweichenden Meinung zur Entscheidung im Verfahren gegen Krajišnik (Fn. 195), Rn. 39. 211 Muvunyi (ICTR-00-55), Appeals Chamber, Decision on Appeal Concerning Provisional Release, 20. Mai 2009, Rn. 8; Karemera et al. (ICTR-98-44-AR65), Appeals Chamber, Decision on Matthieu Ngirumpatse’s Appeal Against Decision on Remand on Provisional Release, 08. Dezember 2009, Rn. 15. Ferner Wald/Martinez, in: May et al., S. 243 f.; Gaynor/Goy, in: J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 544, 573. 212 Ablehnend Mrđa (Fn. 207), Rn. 38. Anders Haradinaj (Fn. 204), Rn. 35 (Absicht einer Rückkehr in die Politik). Bis zur Änderung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO im Jahr 1999 waren, wenn überhaupt, lediglich gesundheitliche Gründe des Angeklagten selber von Belang. 213 Zu Regel 65 (B) ­JStGH-VBO a. F. vgl. Blaškić (Fn. 193) mit der Diktion der Verfahrens­ kammer, dass auch eine hohe Sicherheitsleistung nicht ausreiche, um das Erscheinen des entlassenen Angeklagten vor Gericht zu gewährleisten. Kritisch diesbezüglich Aronofsky, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 34 (2006), 17, 26. 214 Pandurević (Fn. 196), Rn. 12; Popović et al. (Fn. 196), Rn. 16.

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Im Rahmen einer Betrachtung der Rechtsprechung der Tribunale zum Haftgrund der Fluchtgefahr kann diesen Ausführungen zufolge konstatiert werden, dass vor allem nach der Regeländerung im November 1999 bzw. im Mai 2003 ein Umschwung erfolgt ist. Während die Fluchtgefahr bis zur Abschaffung des Erfordernisses der „exceptional circumstances“ quasi bedeutungslos war, findet in den Entscheidungen nach diesen Zeitpunkten in der Regel eine tiefer greifende Aus­ einandersetzung mit der Frage einer möglichen Flucht des Angeklagten statt. In die Bewertung mit einbezogen werden die jeweiligen Umstände des Einzelfalles. Neben den Garantien, die der Aufnahmestaat sowie der Angeklagte für sein Erscheinen anzubieten haben, werden die Umstände seiner Festnahme bzw. Überstellung an das Gericht berücksichtigt, ebenso wie die persönliche und familiäre Situation des Angeklagten. Darüber hinaus sind als Faktoren im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch die Schwere der Verbrechen sowie die Höhe der drohenden Strafe bedeutsam. Die Kooperationsbereitschaft des Angeklagten fällt ebenso ins Gewicht wie die zeitliche Nähe zum Beginn des Hauptverfahrens. Im Vergleich zur Rechtsprechung des EGMR legen die Tribunale teils andere Bewertungsmaßstäbe zugrunde. Allerdings sind auch Parallelen zu den dort maßgeblichen Kriterien erkennbar. Eventuelle Abweichungen sind den Umständen geschuldet, unter denen der JStGH und der RStGH operieren. So ist beispielsweise die moralische Haltung des Angeklagten an den Ad-hoc-Tribunalen praktisch weitgehend bedeutungslos. Der Einbeziehung der drohenden Strafhöhe aufgrund der Schwere der Verbrechen kommt im Vergleich zu menschenrechtlichen Maßstäben hingegen ein größeres Gewicht zu. Wenngleich auch diesbezüglich nicht mit vollkommen übereinstimmenden Parametern gearbeitet wird, so ist seit der Regeländerung doch eine deutlich differenziertere Auseinandersetzung mit den Gesamtumständen für die Beurteilung der Fluchtgefahr zu verzeichnen.

(4) Die „Gefährdung von Opfern, Zeugen oder anderen Personen“ Neben der Fluchtgefahr beinhaltet Regel 65 (B) ­JStGH-VBO eine zweite Voraussetzung, bei deren Vorliegen eine vorläufige Haftentlassung abzulehnen ist. Die zuständige Verfahrenskammer muss davon überzeugt sein, dass der Angeklagte keine Gefahr für Opfer, Zeugen oder andere Personen darstellen wird. Diese Gewissheit muss in Kumulation zu der Überzeugung vorliegen, dass der Angeklagte vor Gericht erscheinen wird. Der Prognosecharakter ist an dieser Stelle ebenso unvermeidbar wie derjenige der Beurteilung, aufgrund derer die Richter über das Vorliegen der Fluchtgefahr entscheiden. Dieser Entlassungsgrund spielt bei der Frage einer vorläufigen Entlassung in der Praxis eine eher sekundäre Rolle. Primär im Vordergrund steht die Beurteilung der Fluchtgefahr des Angeklagten. Die Verfahrenskammern selber mahnen bei der Beurteilung einer Gefahr für Opfer oder Zeugen zur Vorsicht. Bedingt

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durch die Gegebenheit der recht umfassenden Offenlegung („disclosure“) sind dem Angeklagten die Identitäten von Opfern und Zeugen regelmäßig bekannt. Zur gleichen Zeit sehen sich die Tribunale auch verpflichtet, eben diese Personengruppen zu schützen. Aus diesen beiden Erwägungen heraus dürfe nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Angeklagte im Fall seiner Entlassung eine Gefahr für Opfer oder Zeugen darstelle.215 In Bezug auf diesen Aspekt hat der RStGH die bestehenden Befürchtungen durch die Entwicklung exten­siver Zeugenschutzprogramme ausgeräumt.216 Indem die Identitäten der Zeugen oftmals bis 21 Tage vor Beginn des Hauptverfahrens geheim gehalten werden,217 wird diesbezüglichen Bedenken erheblich entgegengewirkt und diese maßgeblich reduziert. Ebenso wie im Hinblick auf die Fluchtgefahr liegt die Beweislast für den Nachweis, dass duch die Entlassung keine Gefahr für Opfer oder Zeugen entsteht, beim Angeklagten selber. Allerdings kommt ihm die Formulierung in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO („will not pose a danger“) eher zugute als im Rahmen des Haftgrundes der Fluchtgefahr. Sofern die Anklagebehörde es beim Vorbringen der Verteidigung belässt und selbst keine Ausführungen dahingehend vorträgt, dass der Angeklagte eine Gefahr für Opfer und Zeugen darstelle, wird die in Rede stehende Gefahr als nicht gegeben erachtet.218 Die Verfahrenskammern geben sich in diesem Zusammenhang nicht mit der bloßen oder auch erhöhten Möglichkeit („mere/heightened possibility“) zufrieden, dass der Angeklagte eine Gefahr für bestimmte Personen darstellen könnte.219 Allein der Umstand, dass dem entlassenen Angeklagten Einflussmöglichkeiten auf Opfer oder Zeugen zukommen, bedeute nicht, dass es tatsächlich zu einer Beeinflussung kommen werde. Mit dieser Begründung begegnen die Verfahrenskammern der Argumentation der Anklagebehörde,220 der zufolge eine Entlassung des Angeklagten nach erfolgter Offenlegung aus Opfer- und Zeugenschutzaspekten nicht mehr erfolgen könne. Die Ablehnung dieser Begründung durch die Verfahrenskammern erfolgt vollkommen zu Recht, da anderenfalls dem Angeklagten jede Möglichkeit genommen wäre, vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden.

215 Brđanin & Talić (Fn. 195), Rn. 19; ferner Gaynor, in: Doria et al., S. 196 f. Zum Er­ fordernis der Balance zwischen Opfer- und Zeugenschutzaspekten und Angeklagtenrechten Momeni, in: Howard L. J. 41 (1997), 155, 170 ff. 216 Dazu Rearick, in: Harv. Int’l L. J. 44 (2003), 577, 582. 217 Nsengimana (ICTR-01-69), Trial Chamber, Decision on the Prosecutor’s Motion for Protective Measures for Witnesses, 02. September 2002, Rn. 22 f. 218 Stanišić (Fn. 201), Rn. 27; Popović et al. (Fn. 196), Rn. 27. Dies kommt nahezu einer Beweislastumkehr gleich, vgl. Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1153. 219 Blaškić (IT-95-14), Trial Chamber, Decision Rejecting a Request for Provisional Release, 25. April 1996, S. 5; Brđanin & Talić (Fn. 195), Rn. 20. Anders entschied hingegen die Verfahrenskammer in Mrđa (Fn. 207), Rn. 39. 220 DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1437, bezeichnet die Einstellung der Ver­ fahrenskammern gegenüber der Argumentation der Anklagebehörde als geradezu „hostile“.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Vielmehr sind Beweise dahingehend erforderlich, dass es in der Vergangenheit zu Einschüchterungen gekommen ist oder dass spezifische Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Angeklagte zukünftig Opfer oder Zeugen bedrohen werde. Diesbezüglich werden auch vergangene Feindseligkeiten des Angeklagten im Verhältnis zu Opfern mit berücksichtigt.221 Weiterhin ist von Belang, inwieweit die Anklagebehörde mit ihren Ermittlungen fortgeschritten ist. Dieser Aspekt bezieht sich nicht nur auf Opfer oder Zeugen und deren Interessen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Gründe in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO nicht als abschließend verstanden werden, kommt unter dem Aspekt des Zusammenhangs mit dem „klassischen“ Haftgrund der Verdunkelungsgefahr beispielsweise auch die Zerstörung von Beweismaterial in Betracht.222 Obwohl Regel 65 (B) J­ StGH-VBO dem Wortlaut nach auf eine Gefährdung von Opfern und Zeugen abstellt, wird umfassend der Schutz der Rechtspflege als Anliegen erwogen.223 Die jeweilige Verfahrenskammer sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert, eine Abwägung zu treffen zwischen dem öffentlichen Interesse, insbesondere den Interessen der Opfer und Zeugen, und den Rechten des Angeklagten. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Anklagebehörde in solchen Fällen regelmäßig befürchtet, einen Ansehensverlust zu erleiden, verbunden mit Schwierigkeiten bei zukünftigen Ermittlungen, Opfer und Zeugen für die Teilnahme an einem Strafverfahren zu akquirieren.224 Allerdings kann der Umstand nicht verleugnet werden, dass zum einen die Verantwortung für die weitere Bereitschaft zur Aussage von Zeugen im Hauptverfahren der Anklagebehörde obliegt und zum anderen die Tribunale auch gegenüber den Rechten des Angeklagten verpflichtet sind. Insofern ist eine konsequente und stringent am Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO ausgerichtete Handhabung in Bezug auf diesen Entlassungsgrund anhand der eben skizzierten Grundsätze zu befürworten. Bedauerlicherweise wurde es versäumt, diese Regelung auf Beweise im Allgemeinen zu erstrecken. So vermag zwar die Gefahr der Beeinflussung von Opfern und Zeugen die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach sich ziehen. Die Gefahr der Zer­ störung belastenden Beweismaterials ist, dem bloßen Wortlaut zufolge, hiervon hingegen nicht erfasst.

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Delalić et al. (Fn. 187), Rn. 35. Ademi (Fn. 205), Rn. 22; Boškoski & Tarčulovski (IT-04-82), Trial Chamber, Deci­sion on Johan Tarčulovski’s Motion for Provisional Release, 18. Juli 2005, Rn. 19. Diese Auffassung wird insgesamt, soweit ersichtlich, von lediglich zwei Verfahrenskammern vertreten (Liu, El Mahdi und Orie, sowie Agius, Brydensholt und Eser). Dazu auch Knoops, Theory and Practice, S. 141. 223 Perišić (IT-04-81), Trial Chamber, Decision on Momčilo’s Perišić’s Motion for Provi­ sional Release, 09. Juni 2005; Pandurević (Fn. 196), Rn. 23. 224 Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on the Motion for Provisional ­Release of the Accused Momir Talić, 20. September 2002. 222

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(5) Das neue Erfordernis der „humanitären Gründe“ – Die Änderung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO im Oktober 2011 Mit Wirkung zum 20. Oktober 2011 haben die Richter des JStGH Regel 65 (B) J­StGH-VBO dahingehend geändert, dass nunmehr zusätzlich „humanitäre Gründe“ in die Entscheidung über eine vorläufige Entlassung aus der Haft mit einbezogen werden können.225 Diese Regeländerung geht zurück auf einen Umschwung in der Rechtsprechung der Berufungskammer durch Entscheidungen vom 11. März und 21. April 2008.226 Dort wurde als ungeschriebenes Kriterium das Vorliegen „überzeugender humanitärer Gründe“ für eine Haftentlassung verlangt („sufficiently compelling humanitarian grounds“).227 Zwar ist dieses Kriterium bereits in früheren Entscheidungen angeführt worden, allerdings ohne einen derart verbindlichen Charakter.228 In zeitlicher Hinsicht bestand für die Anwendbarkeit dieses zusätzlichen Erfordernisses insofern eine Einschränkung, als zunächst die Verfahrenskammer eine ablehnende Entscheidung nach Regel 98bis ­JStGH-VBO treffen musste („post Rule 98bis-stage“).229 Regel 98bis ­JStGH-VBO sieht vor, dass die Verfahrenskammer auf Antrag der Verteidigung während der laufenden Hauptverhandlung über einen Freispruch zu entscheiden hat, nachdem der Ankläger seinen „Fall“ („case“) einschließlich aller Beweismittel präsentiert und seine Argumente dargelegt hat.230 Zu diesem Zeit 225

Regel 65 (B) RStGH-VBO ist bislang nicht dahingehend geändert worden. Prlić et al. (IT-04-74-AR65.5), Appeals Chamber, Decision on Prosecution’s Consolidated Appeal against Decisions to Provisionally Release the Accused Prlić, Stojić, Praljak, Petković and Ćorić, 11. März 2008, Rn. 21; Prlić et al. (IT-04-74-AR65.7), Appeals Chamber, Decision on „Prosecution’s Appeal from Décision Relative à la Demande de Mise en Liberté Provisoire de L’Accusé Petković Dated 31 March 2008“, 21. April 2008, Rn. 17. Dazu auch Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 127 ff. 227 Auch, wenn die Berufungskammer in der Entscheidung vom 11. März 2008 in Rn. 17 auf die vermeintlich bisher dazu ergangene einschlägige Rechtsprechung verweist, ist in dieser Deutlichkeit das Erfordernis der „humanitären Gründe“ bislang nicht hervorgehoben worden. Dazu Prlić et al. (Fn. 226), 21. April 2008, Partly Dissenting Opinion of Judge Güney, Rn. 7. 228 Boškoski & Tarčulovski (IT-04-82), Appeals Chamber, Decision on Johan Tarčulovski’s Interlocutory Appeal on Provisional Release, 27. Juli 2007, Rn. 13 f., sowie O’Dowd, in: Klip/Sluiter, Vol. VII, 93 ff., und Margetts/Kappos, in: J. Int’l Crim. Just. 9 (2011), 1159, 1191 ff. 229 So musste beispielsweise Čermak keine humanitären Gründe darlegen, da sich das Verfahren zu dem maßgeblichen Zeitpunkt noch in der „pre-Rule 98bis“-Phase befand; vgl. ­Gotovina et al. (IT-06-90), Trial Chamber, Decision on Ivan Čermak’s Motion for Provi­ sional Release, 02. Dezember 2008, Rn. 13. 230 Diese Vorgehensweise ist zurückzuführen auf den Parteiprozess des anglo-amerikanischen Rechtsraums. Es obliegt jeweils den Parteien (Anklage und Verteidigung), die für sie maßgeblichen Umstände vorzutragen; auf diese beschränken sich die Richter bei der Urteilsfindung, vgl. Safferling, in: YB Int’l Hum. L. 5 (2002), 219, 248. Nach den „opening statements“ zu Beginn der Hauptverhandlung hat zunächst die Anklagebehörde Gelegenheit, ihre 226

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punkt hat die Verfahrenskammer zu entscheiden, ob die vorgebrachten Beweise für eine Fortsetzung des Verfahrens und eine damit einhergehende Verurteilung ausreichen können, oder ob das Vorbringen des Anklägers eine derart geringe Überzeugungskraft hat, dass der Angeklagte freizusprechen ist. Gleichwohl soll die Regel 98bis-Entscheidung nicht als eine „Vorverurteilung“ verstanden werden.231 Spricht sich die Verfahrenskammer für die Fortführung des Verfahrens aus, ergeht eine negative Entscheidung nach Regel 98bis ­JStGH-VBO. Da der Angeklagte aber nunmehr Kenntnis sämtlicher Beweismittel des „prosecution case“ habe, sei eine vorläufige Entlassung nach Ansicht der Richter strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen. Schließlich sei eine Entlassung nach der Regel 98bisEntscheidung über die Fortführung des Verfahrens in den Augen von Opfern und Zeugen nur schwer zu rechtfertigen.232 Aus diesem Grund ist bei einem erneuten Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft in einem späten Stadium des Verfahrens zusätzlich zu den geschriebenen Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO das Erfordernis der humanitären Gründe eingeführt worden. Dementsprechend hat der Angeklagte die Kammer zunächst davon überzeugen müssen, dass er weder fliehen noch Opfer oder Zeugen gefährden werde. Erst in dem hierdurch eröffneten Ermessensspielraum konnten die überzeugenden humanitären Gründe bedeutsam werden233 und die Waagschale in Richtung der Bewilligung einer vorläufigen Haftent­lassung neigen.234 So konnte eine Entlassung trotz humanitärer Gründe gleichwohl abgelehnt werden; umgekehrt war eine streng an den geschriebenen Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO orientierte Darlegung durch den Angeklagten für eine Entlassung nicht mehr ausreichend. Es mussten zwingend humanitäre Gründe hinzutreten.235 Beweismittel und Argumente darzulegen. An deren vollumfängliche und abschließende Präsentation schließt sich die Darlegung des „Falles“ der Verteidigung an. Zum Ablauf vgl. die Regeln 84 ff. ­JStGH-VBO. 231 Dazu Prlić et al. (IT-04-74), Trial Chamber, Decision on Slobodan Praljak’s Motion for Provisional Release, 21. April 2011, Rn. 23 m. w. N. 232 Prlić et al. (IT-04-74-AR65.24), Appeals Chamber, Decision on Jadranko Prlić’s Appeal against the Trial Chamber Decision on his Motion for Provisional Release, 08. Juni 2011, Rn.  9 m. w. N. 233 Prlić et al. (Fn. 226), 21. April 2008, Rn. 17. 234 Gotovina et al. (IT-06-90), Trial Chamber, Order Issuing a Public Redacted Version of the Confidential „Decision on Ivan Čermak’s Motion for Provisional Release Pursuant to ­Rules 54 and 65“ of 24 March 2010, 23. April 2010, Rn. 6 m. w. N.; Stanišić & Simatović (IT03-69), Trial Chamber, Decision on the Stanišić Defence Request for Provisional Release During the Adjournment in Proceedings, 07. September 2011, Rn. 7 („… a Chamber should not grant provisional release at the post-Rule 98 bis stage of the proceedings unless compelling humanitarian grounds are present that tip the balance in favour of allowing provisional release.“). 235 Ein anderes Verständnis legte die Berufungskammer (in teils anderer Besetzung) einer Entscheidung vom 23. April 2008 zugrunde, s. Prlić et al. (IT-04-74-AR65.6), Appeals Chamber, Reasons for Decision on Prosecution’s Urgent Appeal against „Décision Relative à la Demande de Mise en Liberté Provisoire de L’Accusé Pušić“ Issued on 14 April 2008, 23. April 2008, Rn. 15 („… that ‚sufficiently compelling’ humanitarian reasons […] can constitute a basis for resolving uncertainty and doubt in favour of provisional release.“).

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Vermochte der Angeklagte nicht, die Kammer vom Vorliegen der Voraussetzungen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO zu überzeugen, konnte gleichwohl aus humanitären Gründen eine kurzzeitige Entlassung aus der Haft angeordnet werden.236 Ist auf der Grundlage von humanitären Gründen eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet worden, so galt es zugleich zu beachten, dass die Dauer der Haftentlassung in einem angemessenen Verhältnis zu den Umständen, d. h. dem humanitären Grund der Entlassung, stand („temporary provisional release“).237 Der Umschwung in der Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Einführung dieses ungeschriebenen Merkmals der „humanitären Gründe“ – zu Recht – stark kritisiert worden.238 Mit der Regeländerung vom 20. Oktober 2011 ist das Kriterium der „suffi­ ciently compelling humanitarian grounds“ explizit in den Wortlaut von Regel 65 (B) J­StGH-VBO aufgenommen worden.239 Diese Änderung ist zurückzuführen auf die stetig zunehmende Kritik und fehlende Akzeptanz der Rechtsprechungslinie innerhalb der Richterschaft.240 Wie der neue Wortlaut von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO bereits verdeutlicht, können humanitäre Gründe bei der Entscheidung über eine vorläufige Haftentlassung berücksichtigt werden („The existence of sufficiently compelling humanitarian grounds may be considered in granting such release“, Hervorh. d. Verf.). Anders als die bisherige Praxis, geht der Wortlaut demnach nicht von einem zwingenden Erfordernis aus, das neben die Flucht- und Verdunkelungsgefahr tritt. Es bleibt folglich dabei, dass der Angeklagte die Kammer davon zu überzeugen hat, dass er weder fliehen noch Opfer und Zeugen gefährden werde; humanitäre Gründe können darüber hinaus im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden. Diese Handhabung zeichnet sich auch in der ersten, nach der Regeländerung 236 Milutinović et al. (IT-05-87), Trial Chamber, Decision on Lazarević Motion for Temporary Provisional Release, 10. Dezember 2008, Rn. 9 m. w. N. 237 Popović et al. (IT-05-88), Appeals Chamber, Decision on Consolidated Appeal against Decision on Borovčanin’s Motion for a Custodial Visit and Decisions on Gvero’s and Miletić’s Motions for Provisional Release During the Break in the Proceedings, 15. Mai 2008, Rn. 18, 32. 238 Vgl. nur Prlić et al. (Fn. 226), 21. April 2008, Partly Dissenting Opinion of Judge ­Güney; Popović et al. (Fn. 237), Partly Dissenting Opinion of Judge Liu; Stanišić & Župljanin (IT-08-91), Appeals Chamber, Decision on Mićo Stanišić’s Appeal against Decision on his Motion for Provisional Release, 29. August 2011, Dissenting Opinion of Judge Robinson; zudem Davidson, in: Am. U. L. Rev. 60 (2010), 1, 50 ff. 239 s. dazu ICTY Association of Defence Counsel, Memorandum from Michael Karnavas to Judge Agius, Proposed Amendment to Rule 65 (B), 14. Oktober 2011. 240 Zuletzt sprach sich Richter Liu mit deutlichem Unbehagen für die erneute Anwendung dieses ungeschriebenen Kriteriums aus, entschied aber gleichwohl im Sinne der gängigen Praxis. Seine Entscheidung trug zur Fortsetzung der mittlerweile etablierten Rechtsprechung bei und wendete somit eine sich abzeichnende Kehrtwende ab, s. Stanišić & Župljanin (Fn. 238), Declaration of Judge Liu, Rn. 2.

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ergangenen Entscheidung der Berufungskammer ab.241 Konsequenz dessen ist eine Herabsetzung der Anforderungen an Haftentlassungen in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens auf die „regulären Erfordernisse“ im Vergleich zu der seit 2008 etablierten Rechtsprechung. Das Vorliegen humanitärer Gründe sei keine „absolute Voraussetzung“ für die Anordnung einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft.242 Auf die oben dargelegte Praxis im Zusammenhang mit Entlassungen in späten Stadien eines Verfahrens ist auch der mit der Regeländerung einhergehende Zusatz „at any stage of the trial proceedings prior to the rendering of the final judgment“ zurückzuführen. Da sich die Richter ab dem Zeitpunkt der Regel 98bis-Entscheidung nur schwerlich zum Ausspruch von Entlassungen aus der Untersuchungshaft durchringen konnten, wurde zwecks einer Verschärfung der Voraussetzungen das ungeschriebene Erfordernis der „humanitären Gründe“ eingeführt. Um nun zu verdeutlichen, dass eine vorläufige Entlassung tatsächlich in jedem Verfahrensstadium vor dem Urteilsspruch möglich ist, wurde der Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO auch dahingehend geändert. Mit der Regeländerung nähert sich der JStGH wieder an den vor 2008 praktizierten Standard im Hinblick auf die Voraussetzungen der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft an. Wie von den Kritikern der Rechtsprechung der Berufungskammer deutlich hervorgehoben, verstieß die Einführung einer ungeschriebenen Voraussetzung gegen kodifizierte Menschenrechte. Mit dem neuen Wortlaut wird nunmehr verdeutlicht, dass zum einen Haftentlassungen in jedem Stadium eines Verfahrens ausgesprochen werden können. Zum anderen werden die „humani­ tären Gründe“ in ihrem Bedeutungsgehalt auf den Standard eines Aspekts im Rahmen der Ermessensausübung zurückgeführt. (6) Die Anhörung des Gaststaates und des Aufnahmestaates Neben den materiellen Bedingungen in Form der eben erläuterten Haft- bzw. Entlassungsgründe ist ein formelles Erfordernis vorgesehen. Bevor eine Entlassung des Angeklagten erwogen werden kann, muss sowohl dem Gaststaat des jeweiligen Tribunals als auch demjenigen Staat, in welchen der Angeklagte entlassen zu werden ersucht, die Möglichkeit gegeben worden sein, angehört zu werden. Was den Gaststaat anbelangt, müssen sowohl die Niederlande für den JStGH als auch Tansania für den RStGH die Möglichkeit zur Anhörung haben, sofern ein Tribunal die vorläufige Entlassung eines Angeklagten aus der Untersuchungs 241 Prlić et al. (IT-04-74-AR65.26), Appeals Chamber, Decision on Prosecution Appeal of Decision on Provisional Release of Jadranko Prlić, 15. Dezember 2011, Rn. 12. 242 Prlić et al. (Fn. 241), Rn. 12.

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haft erwägt. Der JStGH ist zwar auf dem Staatsgebiet der Niederlande angesiedelt, unterliegt jedoch nicht deren staatlicher Gewalt;243 selbiges gilt für den RStGH in Tansania. Das Erfordernis der Anhörung des Aufnahmestaates wurde später in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO aufgenommen.244 Dies gestaltet sich insofern als sinnvolle Regelung, als die Tribunale generell und insbesondere im Falle vorläufiger Haftentlassungen auf die Kooperation der Staaten angewiesen sind.245 Sofern einem entsprechenden Antrag des Angeklagten stattgegeben wird, ist die Entlassung grundsätzlich mit Auflagen verbunden. Diese erfordern eine ständige Kontrolle und Überwachung. Ebenso muss in dem Fall, dass sich der Angeklagte nicht an die Auflagen hält oder flieht, gewährleistet sein, dass der Aufnahmestaat Anstrengungen unternimmt, ihn erneut zu verhaften und an das Tribunal zu überstellen. Obgleich diese Möglichkeit zur Anhörung „lediglich“ ein prozessuales Erfordernis darstellt, kann der Angeklagte nicht entlassen werden, wenn diese sich nicht geboten hat. cc) Übergeordnete formelle Grundsätze Neben den eben skizzierten Voraussetzungen, die Regel 65 (B) ­JStGH-VBO vorsieht, herrschen weitere Prinzipien vor, die eher Verfahrensgrundsätze und Leitprinzipien darstellen, als dass sie die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft betreffen würden. Erwähnungsbedürftig in diesem Zusammenhang sind vier Aspekte, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen. Gewissermaßen den Ausgangspunkt stellt die Unschuldsvermutung als umfassendes Leitprinzip dar. So hat dieser Verfahrensgrundsatz einen prägenden Einfluss auf die übrigen Aspekte in Gestalt der Beweislastverteilung, des richter­ lichen Ermessens im Rahmen der Entscheidung über eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft, sowie des Grundsatzes, dass die Untersuchungshaft nicht zum Regelfall werden darf.

243 Zur näheren Regelung der Beziehung haben die Vereinten Nationen ein Abkommen mit den Niederlanden geschlossen, vgl. U. N. Doc. S/1994/848 vom 19. Juli 1994 und U. N. Doc. S/1994/848/Corr.1 vom 25. August 1994. Dazu auch Muller, S. 268 f. Speziell für Sicherheitsfragen betreffend die Haftanstalt des Tribunals gibt es ein gesondertes Abkommen zwischen dem niederländischen Justizministerium und dem Gericht, dazu Schutte, in: Clark/Sann, S.  223 f. 244 Am JStGH wurde Regel 65 (B) ­JStGH-VBO entsprechend in der Sitzung am 13. Dezember 2001 geändert. Der RStGH nahm dieses Erfordernis mit der Regeländerung vom 27. Mai 2003 auf, zeitgleich mit der Streichung der bis dahin geltenden Voraussetzung der „außer­ gewöhnlichen Umstände“. 245 Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 125, sehen dieses Erfordernis hingegen als bloße Formalität, wobei der Eindruck entsteht, als ob es für das Ziel dieser Regelung eher auf politische Befindlichkeiten als auf praktische Erwägungen ankäme.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Auf einer rein theoretischen Ebene ist die Unschuldsvermutung zunächst für den Grundsatz über das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Untersuchungshaft bedeutsam. Die Untersuchungshaft ist vor dem Hintergrund als Ausnahme zu betrachten, dass der Beschuldigte bzw. Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt wurde, soll die vermutete Unschuld dazu führen, dass der Freiheitsentzug mit dem Zweck der Untersuchungshaft kontinuierlich in Einklang steht.246 Anderenfalls muss zwingend auf mildere Mittel zurückgegriffen werden. Der Unschuldsvermutung kommt demnach – abstrakt betrachtet – diesbezüglich eine limitierende Funktion zu. Weiterhin beinhaltet die Unschuldsvermutung eine Darlegungs- und Beweislastregel dahingehend, dass die Anklagebehörde die Beweislast zu tragen hat. Es darf nicht dem Beschuldigten bzw. Angeklagten obliegen, das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen. Übertragen auf die Untersuchungshaft bedeutet dies, dass der Ankläger aufgrund der vermuteten Unschuld des Untersuchungshäftlings die Beweislast für die Rechtfertigung der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft zu tragen hat. Ferner zeitigt die Unschuldsvermutung auch einen Einfluss auf das richterliche Ermessen bei der Frage einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft. Sind die gesetzlichen Anforderungen für eine solche Entlassung erfüllt, kann eine Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges nicht mehr mit dem Zweck von Untersuchungshaft in Einklang stehen. In einem solchen Fall ist die Entlassung aus der Untersuchungshaft die zwingende Folge. Konsequenz dessen ist eine Reduzierung des richterlichen Ermessens auf eine gebundene Entscheidung, so dass die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft dem Grundsatz der Unschuldsvermutung entgegenstehen würde. Neben der Unschuldsvermutung als umfassendem Leitprinzip beeinflusst das so genannte „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ die Grundsätze der Beweislastverteilung und des richterlichen Ermessens. Soll die Untersuchungshaft als Ausnahme betrachtet werden, muss auch die Beweislast bei der Anklagebehörde liegen. Anderenfalls wäre der Untersuchungshäftling mit der überaus schwierigen Aufgabe konfrontiert, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Zweck von Untersuchungshaft auch mit milderen Mitteln erreicht werden könnte. Eine Umkehr der Beweislast erschwert die Handhabung von Untersuchungshaft als absoluten Ausnahmefall um ein vielfaches.247 Auch das richterliche Ermessen erfährt eine Beeinflussung durch das beschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis. Sofern die Voraussetzungen einer vorläufigen Entlassung gegeben sind, gebietet es dieser Grundsatz, das richterliche Ermessen zu beschränken. In einem solchen Fall kann letztendlich nur die Entscheidung zur vorläufigen Entlassung getroffen werden.

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Zur menschenrechtlichen Ausprägung s. B. III. 1. b). DeFrank hingegen bestreitet jeglichen Zusammenhang zwischen der Beweislastverteilung und des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Untersuchungshaft und vorläufiger Haft­ entlassung, DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1449 f. 247

III. Die Untersuchungshaft

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Im Anschluss an diese theoretischen Erwägungen zum wechselseitigen Verhältnis der einzelnen Aspekte sind die diesbezüglichen Reglementierungen der Tribunale sowie deren praktische Handhabung zu fokussieren. (1) Die Verteilung der Beweislast Zunächst ist in diesem Rahmen die Verteilung der Beweislast und der hierfür vorgesehene Beweisstandard zu untersuchen. Die Rechtsgrundlagen der Ad-hoc-Tribunale treffen keine explizite Regelung zur Frage der Beweislastverteilung. Doch auch in Ermangelung einer solchen ausdrücklichen Normierung spricht der Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO dafür, dem Angeklagten die Beweislast aufzubürden. Dieser besagt, dass die zuständige Kammer von der Unbedenklichkeit einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft zu überzeugen ist. Die Verfahrenskammer muss davon überzeugt sein, dass der Angeklagte vor Gericht erscheinen wird und keine Gefahr für Opfer, Zeugen oder andere Personen darstellen wird.248 Die Menschenrechte gehen bei der Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von einer vorläufigen Entlassung aus, sofern keine bedenklichen Gründe wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr entgegenstehen. Demzufolge muss die Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nachgewiesen werden, was dazu führt, dass naturgemäß die Beweislast nicht beim Untersuchungshäftling liegt. Bei den Tribunalen gestaltet sich die Situation genau umgekehrt: Grundsätzlich wird dem zugrundeliegenden System zufolge von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ausgegangen. Nur für den Fall, dass eine Entlassung unbedenklich erscheint, kann einem entsprechenden Antrag stattgegeben werden. Die Untersuchungshaft wird nicht weiter aufrecht erhalten, wenn keine Flucht- und Verdunkelungsgefahr besteht. Dieser Nachweis obliegt naturgemäß dem Angeklagten, da es sich hierbei qua Wortlaut um den Nachweis eines entlastenden bzw. dem Angeklagten zugutekommenden Umstandes handelt. Auch in der Rechtsprechung der Tribunale wird eine solche Verteilung der Beweislast grundsätzlich anerkannt.249 Soweit ist einhellige Meinung, dass der Angeklagte die Beweislast zu tragen habe.250 Eine solche Sichtweise stimmt zwar mit dem Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO überein. Dies ändert aber nichts 248

Dazu auch Falvey, in: Fordham Int’l L. J. 19 (1995), 475, 498. Für eine abweichende Meinung beispielsweise Krajišnik (IT-00-39), Trial Chamber, Decision on Momčilo Krajišnik’s Notice of Motion for Provisional Release, 08. Oktober 2001, Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 16 ff. 250 Jokić (IT-01-42/1), Trial Chamber, Order on Miodrag Jokić’s Motion for Provisional ­Release, 20. Februar 2002, Rn. 18; Limaj et al. (IT-03-66), Appeals Chamber, Decision on Fatmir Limaj’s Request for Provisional Release, 31. Oktober 2003, Rn. 40; Ljubičić (IT-0041), Trial Chamber, Decision on Second Application for Provisional Release, 26. Juli 2005, Rn. 17. 249

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an dem Umstand, dass eine solche Verteilung der Beweislast den menschenrecht­ lichen Gewährleistungen zuwider läuft. Wie bereits an anderer Stelle ausge­ führt,251 verstößt diese Praxis im Einklang mit den ihr zugrundeliegenden rechtlichen Grundlagen zum einen gegen die Unschuldsvermutung und zum anderen gegen den Grundsatz, dass Untersuchungshaft nicht den Regelfall darstellen darf.252 Lediglich die Handhabung des Haftgrundes der „Verdunkelungsgefahr“ bzw. der Gefahr der Gefährdung anderer lässt die Beweislast beim Ankläger vermuten. Überraschenderweise wird in dieser Hinsicht auf das sonst übliche restriktive Verständnis verzichtet und es der Anklagebehörde überlassen, das Risiko einer Gefährdung nachzuweisen.253 Die Verfahrenskammern müssten zumindest eine menschenrechtskonforme Auslegung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO dahingehend vornehmen, dass es dem Ankläger obliegt, die eine weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigenden Umstände nachzuweisen.254 Das Belassen der Beweislast beim Angeklagten wird jedoch mit dem sich regelmäßig wiederholenden Argument des fehlenden Polizeiapparates begründet.255 An dieser Stelle findet sich dieselbe Argumentation wie bei den Fragen des richterlichen Ermessens, der Verkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sowie des Einflusses der Unschuldsvermutung. Eine menschenrechtskonforme Auslegung bei der Frage der Beweislastverteilung würde Auswirkungen auf die übrigen formellen Grundsätze zeitigen und die Rechtsprechungspraxis merklich beeinflussen. Eine solche Änderung kann aber vor dem Hintergrund der Struktur der Rechtfertigungsversuche nicht als dring­ liches Anliegen der Kammern erachtet werden. Die durch die Regeländerung erfolgte Annäherung an die Konformität mit den Menschenrechten256 vermag in diesem Punkt nicht zu einer uneingeschränkten Gewährleistung der Garantie führen. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, ist derjenige des Beweisstandards. Dass der Angeklagte die Beweislast trägt, ist deutlich geworden. Der Klärung bedarf, welcher Maßstab dieser Beweislast zugrunde liegt. Weder die Statuten noch die Verfahrens- und Beweisordnungen enthalten eine Aussage über den anzuwendenden Beweisstandard. Der Wortlaut von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO enthält lediglich die Vorgabe, dass die Verfahrenskammer davon überzeugt sein muss, dass der Angeklagte vor Gericht erscheinen und keine 251

Dazu oben B. III. 2. b) cc). Dazu auch Richter Robinson in seiner abweichenden Meinung (Fn. 249), Rn. 24. 253 Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1153 ff. 254 Vereinzelt sind Ansätze menschenrechtskonformer Auslegung erkennbar. Zwar wird hierbei nicht ausdrücklich die Beweislast auf den Ankläger verlagert. Die Beweispflicht des Angeklagten wird jedoch als weniger streng und schwerwiegend empfunden. Dazu Hadžihasanović (IT-01-47), Trial Chamber, Decision Granting Provisional Release to Enver Hadžihasanović, 19. Dezember 2001, Rn. 11, 14; Ademi (IT-01-46), Trial Chamber, Order on Motion for Provisional Release, 20. Februar 2002, Rn. 19. 255 Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motion by Radoslav Brđanin for Provisional Release, 25. Juli 2000, Rn. 18. Ebenso McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 225. 256 So Zappalá, S. 95. 252

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andere Person gefährden wird. Kein Aufschluss wird darüber gegeben, was für eine solche Überzeugung erforderlich ist. Darüber hinaus sieht nur Regel 89 (A), (B) ­JStGH-VBO vor, dass Tribunale nicht an nationale Rechtsordnungen gebunden sind und bei fehlender Regelung im Sinne der Fairness, des Geistes des Statuts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze entscheiden sollen. An den überwiegend durch die anglo-amerikanische Rechtstradition geprägten Tribunalen257 erfolgt – unter Bezugnahme auf nationale Rechtsprechung –258 ein Rückgriff auf diejenigen Standards, die in diesen Rechtskreisen bedeutsam sind.259 Dies ist zum einen der für eine Verurteilung erforderliche zweifelsfreie Beweis („proof beyond a reasonable doubt“) und zum anderen der im Rahmen der Beweisführung zugrundegelegte Maßstab der Abwägung der Wahrscheinlichkeit („proof on the balance of probabilities“). Dieses Beweismaß der Wahrscheinlichkeit wird nach nahezu einhelliger Meinung260 auch dann angeführt, wenn der Angeklagte die Verfahrenskammer davon zu überzeugen hat, dass er im Fall seiner vorläufigen Entlassung vor Gericht erscheinen und keine Gefahr für andere Personen darstellen werde. Dass der zweifelsfreie Beweis als Maßstab der Ver­ urteilung vorbehalten bleibt und nicht auf andere Angelegenheiten übertragen werden kann, ist offensichtlich.261 Vereinzelt wird jedoch vertreten, dass es neben den Erwägungen zur Abwägung der Wahrscheinlichkeit und dem zweifelsfreien Beweis noch eine weitere Ebene gibt, die in Situationen wie der vorliegenden ein zusätzliches, zwischen den beiden anderen Ebenen liegendes Beweismaß anführt. So führt Richter Shahabuddeen zur Begründung dieser Aussage an, dass die Unterschiede zwischen nationalem Strafrecht und Völkerstrafrecht die Einführung eines weiteren Beweismaßes gebieten würden. Bei dessen Festlegung müsse der Unschuldsvermutung, der Schwere der Straftaten und der besonderen Umstände

257 Triffterer, in: Hankel/Stuby, S. 250; Langer, in: Am. J. Comp. L. 53 (2005), 835, 857 f.; Fairlie, in: Int’l Crim. L. Rev. 4 (2004), 243, 268 ff. Sehr deutlich wird in diesem Zusammenhang Arbour, in: Berkeley J. Int’l L. 21 (2003), 196, 209 („… the United States had basically hijacked the institution culturally. […] It was a common-law jurisdiction, and the way of doing business was very North American because the Americans were there from day one.“). 258 Strugar (IT-01-42), Trial Chamber, Decision Re the Defence Motion to Terminate Proceedings, 26. Mai 2004, Rn. 38. 259 Ausführlich hierzu Šainović et al. (IT-05-87), Appeals Chamber, Decision on Provi­ sional Release, 30. Oktober 2002, Separate Opinion of Judge Shahabuddeen, Rn. 26 ff.; ferner Gaynor, in: Doria et al., S. 187 f.; Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1136 ff., 1160 ff. 260 Delić (IT-04-83), Trial Chamber, Decision on Defence Request for Provisional Release, 06. Mai 2005; Milošević (IT-98-29/1), Trial Chamber, Decision on Defence Motion for Provisional Release, 13. Juli 2005, Rn. 4; Bagosora et al. (ICTR-98-41), Appeals Chamber, Decision on Aloys Ntabakuze’s Motion for Provisional Release and Leave to File Corrigendum, 02. September 2009, Rn. 16. 261 Stanišić & Simatović (IT-03-69), Trial Chamber, Decision on Provisional Release, 28. Juli 2004, Rn. 14 („However that burden is discharged not on proof beyond reasonable doubt, but on a lower standard.“).

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der Tätigkeit der Tribunale Rechnung getragen werden.262 In derselben Entscheidung im Verfahren gegen Šainović und Ojdanić führt sein Kollege Hunt diesbezüglich aus, dass es gerade keine weitere Ebene gäbe und dem Bedürfnis zur näheren Differenzierung auf der Ebene der Anwendung des jeweiligen Beweismaßes Rechnung getragen werden könne.263 Er spricht sich demnach für einen Spielraum im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsabwägung aus und setzt, je nach der Schwere des Umstandes, die Schwelle für die richterliche Überzeugung höher oder niedriger an. Letztendlich wird dem Unterschied zwischen den beiden Ansichten wohl lediglich auf der theoretischen Ebene Bedeutung zukommen. In der Praxis dürfte sich eine genaue Differenzierung zwischen der Anwendung dreier Beweismaßstäbe oder dem Rekurs auf die beiden herkömmlichen Standards mit der Option eines Spiel­raumes im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsabwägung eher als schwierig gestalten. Es darf wohl als offensichtlich erachtet werden, dass die Richter bei der Beurteilung der Frage der Überzeugung von den Umständen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO prinzipiell die Besonderheiten des jeweiligen Tribunals mit berücksichtigen werden. So bleibt es dabei, dass der Angeklagte die Kammer mindestens in Form der Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine vorläufige Haftentlassung zu überzeugen hat. Diese Aufgabe zu erfüllen wird ihm bereits schwer genug fallen.264 (2) Das richterliche Ermessen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO Doch selbst, wenn der Angeklagte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine vorläufige Haftentlassung überzeugend dargelegt hat und somit der Beweislast 262 Shahabuddeen erachtet eine bloße Wahrscheinlichkeitsabwägung als nicht ausreichend, da der Angeklagte in einem solchen Fall lediglich darlegen müsse, dass beispielsweise sein Erscheinen vor Gericht eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich sei. Genügen würde hierbei bereits, wenn die Chancen dafür bei 51 zu 49 stünden. Vor dem Hintergrund der zu berücksichtigenden besonderen Faktoren und Umstände sei es falsch, wenn sich das Tribunal an lediglich zwei Beweismaßstäbe binden würde. Er schlägt demnach ein weiteres Beweismaß in Form der Darlegung gewichtiger Gründe („substantial grounds“) vor; Šainović et al. (Fn. 259), Separate Opinion of Judge Shahabuddeen, Rn. 37 f., 41. 263 Während Shahabuddeen die Einführung eines zusätzlichen Beweismaßes für erforderlich erachtet, betrachtet Hunt die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines Umstandes als abhängig von dessen Art und Folgen. Diese würden notwendigerweise den Prozess, durch den eine Überzeugung herbeigeführt wird, beeinflussen. Je ernster der Umstand ist oder je schwerwiegender die Konsequenzen scheinen, umso schwieriger sei es, die Verfahrenskammer von einer Wahrscheinlichkeit zu überzeugen. Dazu Šainović et al. (Fn. 259), Dissenting Opinion of Judge David Hunt, Rn. 29. 264 Das für diese Überzeugung angesetzte Maß an Wahrscheinlichkeit wird über den Standard einer Chance von 51 zu 49 hinausgehen. Nicht nur, dass die Richter sämtliche äußeren Umstände in ihre Erwägungen mit einbeziehen; ferner muss der Angeklagte die Kammer neben dem Vorliegen der Voraussetzungen auch davon überzeugen, das ihnen zustehende Ermessen zugunsten einer vorläufigen Haftentlassung auszuüben.

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unter dem zugrundegelegten Beweismaß nachgekommen ist, kommt der Verfahrenskammer ein Ermessen in Bezug auf die endgültige Entscheidung zu. Dieses Ermessen geht deutlich aus dem Wortlaut von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO hervor („Release may be ordered …“). Die Entscheidungsfreiheit besteht dahingehend, einen Antrag des Angeklagten auf vorläufige Entlassung aus der Haft abzulehnen, obwohl die drei Voraussetzungen der Regel 65 (B) ­JStGH-VBO vorliegen. Dies indiziert zumindest der Wortlaut, welcher das „may“ als Ausdruck des Ermessens in Verbindung mit der Einschränkung „only“ setzt. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Voraussetzungen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO lediglich notwendig, für sich betrachtet allerdings nicht hinreichend für eine Entlassung sind. Ein Entscheidungsspielraum dahingehend, die vorläufige Entlassung auszusprechen, obwohl die Voraussetzungen von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO nicht vorliegen, ist vom Wortlaut her nicht gegeben. Daraus folgt, dass das eingeräumte Ermessen im Falle der Ausübung dem Angeklagten prinzipiell nur zum Nachteil gereichen kann.265 Trotz der in dieser Hinsicht eindeutigen gesetzlichen Vorgaben gibt es einige wenige Abweichungen hiervon. So wurden beispielsweise die Angeklagten Đukić und Simić, noch unter Geltung des Erfordernisses der „exceptional circumstances“, aus gesundheitlichen Gründen vorläufig aus der Haft entlassen.266 Dies wäre unter Zugrundelegung des Wortlautes von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO nicht möglich gewesen, da der Gesundheitszustand zwar einen außergewöhnlichen Umstand zu begründen vermochte, die übrigen Voraussetzungen aber nicht – jedenfalls nicht nachweislich – vorlagen. Auch spätere Entscheidungen lassen vermuten, dass das Ermessen nicht immer streng in die Richtung der Ablehnung trotz Vorliegen der Voraussetzungen verstanden wird.267 Für das nunmehr normierte Kriterium der „humanitären Gründe“ müssen die „tatbestandlichen“ Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO allerdings vorliegen, da diese erst bei der Ermessensausübung bedeutsam werden können.268 In der überwiegenden Zahl der Fälle wird das Ermessen derart verstanden, sich trotz Vorliegen der Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO gegen eine vorläufige Haftentlassung aus­sprechen zu können.269 265 Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1173 („worrisome picture“; „… the judges have truly made themselves the unrestrained masters of an accused person’s destiny …“). 266 Für nähere Angaben s. oben B. III. 2. b) bb) (1). Zum Zusammenhang mit der EMRK Bourgon, in: J. Int’l Crim. Just. 1 (2003), 555, 558 ff. 267 Anhaltspunkte für diese Vermutung finden sich beispielsweise in Brđanin & Talić (Fn. 255), Rn. 22 („It is not, in general, a discretion to grant the order notwithstanding that the applicant has failed to establish one or other of those two matters.“[Herv. d. Verf.]). 268 So bspw. die humanitären Gründe vor der Regeländerung im Oktober 2011, B. III. 2. b) bb) (5). 269 Anders lediglich Richter Robinson, der das „may“ als Ausdruck der grundsätzlichen Kompetenz der Verfahrenskammer versteht, dem Antrag auf vorläufige Entlassung aus der Haft stattzugeben. Die jeweilige Kammer müsse in dem Fall, dass die Voraussetzungen vorliegen, dem Antrag zwingend stattgeben, wobei nur sie die Kompetenz zu dessen Bewilligung habe. Krajišnik (Fn. 249), Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 27 f. Kritisch hierzu DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1454 ff.

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Im Rahmen dieser Ermessensausübung sind diverse Kriterien zu berücksichtigen. Hierbei ist zweierlei anzumerken. Zum einen scheint in der Praxis teilweise das Verständnis vorzuherrschen, die in Regel 65 (B) J­StGH-VBO angeführten Gründe für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft seien nicht abschließend. Es wird demnach auf zusätzliche Gründe rekurriert, die scheinbar per se eine weitere Inhaftierung rechtfertigen würden und notwendigerweise der Berücksichtigung bedürften.270 Hierunter wird beispielsweise die Zerstörung von Beweismaterial oder kollusives Verhalten mit flüchtigen Mit-Angeklagten verstanden. Auch dieser Umstand verdeutlicht die lediglich notwendige, nicht aber hinreichende Natur der normierten Voraussetzungen. Auch, wenn solche Verhaltensweisen ein potenzielles Risiko für die Durchführung des Verfahrens darstellen, darf die persönliche Freiheit den Menschenrechtsabkommen zufolge nur aus gesetzlich bestimmten Gründen entzogen werden.271 Aus Gründen des Schutzes vor Willkür und der Rechtssicherheit für den Inhaftierten müssen die Gründe des Freiheitsentzuges explizit im Gesetz geregelt sein. In diesem Zusammenhang kann den Kammern kein Ermessen zukommen, da Regel 65 (B) J­ StGH-VBO die Versagungsgründe einer vorläufigen Entlassung aus der Haft abschließend regelt.272 Zum anderen sind bestimmte Faktoren bedeutsam für die Ermessensausübung und werden bei der Frage der Versagung einer vorläufigen Haftentlassung herangezogen. Zu diesen Kriterien gehören vor allem die Dauer der Untersuchungshaft,273 die zeitliche Nähe zum Beginn des Hauptverfahrens, die Garantien, die bereits im Rahmen der Fluchtgefahr ausgeführt wurden, humanitäre Gründe, sowie Erwägungen des öffentlichen Interesses in Bezug auf eine Wiederholungsgefahr.274 Das öffentliche Ansehen des Tribunals kann nicht als ein solcher berücksichtigungsfähiger Aspekt verstanden werden.275 Im Wesentlichen sind dies dieselben Gründe, 270

Ademi (Fn. 254), Rn. 22; Boškoski & Tarčulovski (IT-04-82), Trial Chamber, D ­ ecision on Johan Tarčulovski’s Motion for Provisional Release, 18. Juli 2005, Rn. 19. Diese Auffassung wird insgesamt, soweit ersichtlich, von lediglich zwei Verfahrenskammern vertreten (Liu, El Mahdi und Orie, sowie Agius, Brydensholt und Eser). 271 Ein Problem wird in diesem Umstand hingegen nicht gesehen. Wie auch an anderen Stellen, werden die Gründe zur Ablehnung der vorläufigen Entlassung zum Nachteil des Angeklagten bedenkenlos erweitert. Dies geschieht – strukturell fehlerhaft, s. dazu B. III. 2. b) dd) – unter Verweis auf die Schwere der Straftaten und die institutionellen Besonderheiten der Tribunale. Die Argumentation geht dahin, aufgrund dieser Umstände die ungeschriebenen Gründe zur Ablehnung des Antrages ohne Weiteres als gegeben zu erachten und hierüber die Abweichung zu menschenrechtlichen Vorgaben zu rechtfertigen, so LaRosa, in: I. R. R. C. 321 (1997), 635. 272 Krajišnik (Fn. 249), Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 27. 273 Die Dauer der Untersuchungshaft wird lediglich im Rahmen der richterlichen Ermessenausübung relevant, s. Brđanin & Talić (Fn. 255), Rn. 24 ff.; McIntyre, in: Boas/Schabas, S.  228 f.; Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 611. 274 Im Einzelnen dazu McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 228; DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1439 ff.; Swoboda, in: GA 2006, 629, 634. 275 Zu Recht Hadžihasanović (Fn. 254), Rn. 13 („It [the Trial Chamber, Anm. d. Verf.] ­applies the law and is not mandated to „sending signals“.“); O’Dowd, in: Klip/Sluiter, Vol. VII, S. 94; Fairlie, in: Fordham Int’l L. J. 33 (2010), 1101, 1131. So aber Richter Agius

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die vor der Regeländerung an den Tribunalen im Rahmen der „exceptional circumstances“ zu berücksichtigen waren. Die Ermessensausübung der Verfahrenskammer kann bei entsprechendem Antrag Gegenstand der Überprüfung durch die Berufungskammer sein. Eine Verfahrenskammer übt dann ihr Ermessen fehlerhaft aus, wenn die Entscheidung zur Ablehnung einer vorläufigen Entlassung aus der Haft auf einer fehlerhaften Interpretation geltenden Rechts oder auf einem falschen Verständnis relevanter Fakten beruht, für die Ermessensausübung relevante Gesichtspunkte gar nicht berücksichtigt oder mit falscher Gewichtung in die Abwägung mit einbezogen wurden, oder für derart unangemessen oder ungerechtfertigt befunden wird, dass dies einen Missbrauch des Ermessens begründet.276 Neben den in Art. 25 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 24 Abs. 1 ­RStGH-St. normierten Gründen für Berufungsanträge (Rechtsirrtum oder Tatsachenirrtum) geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Verfahrenskammer den großzügig gesteckten Rahmen, innerhalb dessen ein angemessener und vernünftiger Dissens möglich ist, überschritten hat.277 Letztendlich stellt sich die Frage der Menschenrechtskonformität dieses Ermessens. Wie einleitend zu den prozessualen Grundsätzen bemerkt, fügt sich das richterliche Ermessen vor dem Hintergrund des lediglich notwendigen, aber nicht hinreichenden, Charakters der Voraussetzungen ohne Weiteres in das Dogma von Untersuchungshaft und vorläufiger Entlassung an den Tribunalen ein. Hierbei wird erneut gegen die menschenrechtlichen Gewährleistungen durch die Verfahrens- und Beweisordnungen verstoßen. Zum einen verstößt der Ermessensspielraum gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK, Art. 9 Abs. 1 IPbpR, welche vorgeben, dass die Freiheit nur auf Grundlage der gesetzlich vorgeschriebenen Gründe entzogen werden darf. Die Umsetzung dieser Garantie ist allein aus Gründen der Rechtssicherheit und der Vermeidung willkürlicher Entscheidungen zwingend erforderlich. Sofern aber die Voraussetzungen einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft gegeben sind, müsste demzufolge jegliche Entscheidungsfreiheit in dieser Hinsicht entfallen. Dies als Ausgangspunkt genommen, kollidiert das Ermessen zum anderen mit dem Grundsatz über das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Das Ermessen in Regel 65 (B) ­JStGH-VBO kann, wie gesehen, nur zum Nachteil des Angeklagten ausgeübt werden und führt unter Umständen zu einer Verin Haradinaj (IT-04-84), Trial Chamber, Decision on Defence Motion on Behalf of Ramush Haradinaj to Request Re-Assessment of Conditions of Provisional Release Granted 6 June 2005, 12. Oktober 2005, Dissenting Opinion of Judge Carmel Agius. 276 Pandurević & Trbić (IT-05-86), Appeals Chamber, Decision on Interlocutory A ­ ppeal from Trial Chamber Decision Denying Vinko Pandurević’s Application for Provisional Release, 03. Oktober 2005, Rn. 2; Boškoski & Tarčulovski (IT-04-82), Appeals Chamber, Decision on Johan Tarčulovski’s Interlocutory Appeal on Provisional Release, 27. Juli 2007, Rn. 4; Karemera et al. (ICTR-98-44-AR65), Appeals Chamber, Decision on Matthieu Ngirumpatse’s Appeal Against Trial Chamber’s Decision Denying Provisional Release, 07. April 2009, Rn. 4. 277 Šainović et al. (Fn. 259), Separate Opinion of Judge Shahabuddeen, Rn. 18.

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sagung vorläufiger Entlassungen aufgrund normfremder Erwägungen. Ebendies gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Ferner bleibt offen, wie das Ermessen mit dem Zweckgedanken von Untersuchungshaft in Einklang zu bringen ist. Geht man von der Prämisse aus, die Gründe seien abschließend geregelt, so fragt sich, welchen weiteren Gefahren begegnet werden muss, um die Durchführung des Verfahrens zu sichern, wenn die in Regel 65 (B) J­ StGH-VBO normierten Voraussetzungen bereits vorliegen.278 Man kann – wie gesehen – Regel 65 (B) J­StGH-VBO auch als „offenen“, nicht abschließend regelnden Tatbestand verstehen. Sofern aber weitere Risiken durch die Entlassung des Angeklagten zu befürchten sind, müssen diese ihren Niederschlag im Gesetz finden, um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Zuletzt stellt das Ermessen für den die Beweislast tragenden Angeklagten einen unwägbaren Faktor dar, welcher zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt und die Gefahr der Willkür birgt. Unter Berücksichtigung der bisherigen Praxis ist anzumerken, dass in der Regel dem Antrag auf vorläufige Entlassung stattgegeben wird, sofern die Kammer vom Vorliegen der Voraussetzungen überzeugt ist. Oftmals fließen die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden Aspekte bereits an früherer Stelle, etwa bei der Beurteilung der Fluchtgefahr, in die Bewertung mit ein. Entscheidungen, die in ihrer Form lediglich aufgrund von Ermessenserwägungen getroffen werden, sind eher die Ausnahme.279 In der Regel scheitert der Antrag des Angeklagten an den Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO, so dass es nicht mehr zur Ausübung des Ermessens kommt. Es bleibt zu konstatieren, dass das bestehende richterliche Ermessen unter diversen Gesichtspunkten gegen Menschenrechte verstößt. Um eine Konformität mit den menschenrechtlichen Vorgaben herzustellen, bleibt keine andere Möglichkeit, als „may“ durch „shall“ zu ersetzen, wie dies im Statut des IStGH normiert ist. Jedes andere Vorgehen läuft den Gewährleistungen der Menschenrechtsabkommen zuwider.

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So auch Rearick, in: Harv. Int’l L. J. 44 (2003), 577, 589. DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1461 f., scheint das Ermessen hingegen als durchaus positiv zu bewerten. Gerade in dem hiesigen Zusammenhang betont er die Flexibilität, auch unbenannte Faktoren in die Entscheidung mit einzubeziehen, die durch das Ermessen gegeben ist. 279 Prlić et al. (IT-04-74), Trial Chamber, Decision on the Accused Praljak’s Motion for Provisional Release, 02. Dezember 2008, Rn. 22, 23, 32; Šainović et al. (IT-05-86), Trial Chamber, Decision on Lazarević Motion for Temporary Provisional Release, 10. Dezember 2008; Gotovina et al. (IT-06-90), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release of Ivan Čermak, 27. Februar 2009, Rn. 10.

III. Die Untersuchungshaft

217

(3) Die Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft (Regel-Ausnahme-Verhältnis) Trotz des explizit in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPbpR vorgesehenen Grundsatzes, dass Untersuchungshaft den Ausnahmefall darstellen soll, wird dieses Prinzip durch die Vorgaben der Verfahrens- und Beweisordnungen sowie durch die Praxis der Tribunale in sein Gegenteil verkehrt. Nicht die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft, sondern die Entlassung aus der Haft stellt den Ausnahmefall dar. Für eine Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft spricht zunächst der Wortlaut von Regel 64 ­JStGH-VBO, welcher zwingend die Unterbringung in Untersuchungshaft vorsieht. Vor der Regeländerung 1999 bzw. 2003 wurde die Verkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses durch das Erfordernis der „außer­ gewöhnlichen Umstände“ und die dahingehende Beweislast des Angeklagten durch Regel 65 (B) ­JStGH-VBO deutlich.280 Dadurch, dass der Angeklagte das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu beweisen hatte, kam es nur im äußersten Ausnahmefall zu vorläufigen Entlassungen aus der Haft. Auch den Verfahrenskammern war diese überaus deutliche Verletzung menschenrechtlicher Standards durch eine Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft bewusst.281 Nach der Regeländerung und der Abschaffung des Erfordernisses der „außergewöhnlichen Umstände“ ist in der Praxis die Umkehr des in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPbpR enthaltenen Grundsatzes aufrechterhalten worden. Schon der bloße Wortlaut von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO spricht für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft als Regelfall und setzt somit den in Regel 64 J­ StGH-VBO verankerten Gedanken fort. Während in der Regel die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges explizit normiert sind, beinhaltet Regel 65 (B) J­ StGH-VBO im Gegensatz hierzu die Erfordernisse, die an eine vorläufige Entlassung zu stellen sind. Ausgangspunkt ist somit der umgekehrte Fall. Dass die Verfahrenskammer vom Vorliegen der Voraussetzungen einer vorläufigen Entlassung überzeugt werden muss, und nicht im Gegenteil von der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, indiziert eine Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft. Diesem Umstand könnte in der Praxis durch eine menschenrechtskonforme Auslegung Abhilfe geschaffen werden. Die Umkehr wird jedoch in der prak 280 Bassiouni/Manikas, S. 915. Zur ausführlichen Darlegung der Rechtfertigungsgründe, die hinsichtlich dieser Praxis angeführt wurden, s. Wald/Martinez, in: May et al., S. 234 ff. Die Zwecksetzung von Untersuchungshaft liegt in der Sicherung der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Angeklagten. Das ehemalige Erfordernis der „außergewöhnlichen Umstände“ kann mit dieser Zwecksetzung nicht in Verbindung gebracht werden, sondern stellte eine – zusätzliche – Hürde für den Angeklagten bei seinem Vorhaben dar, vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. 281 Delalić et al. (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release filed by the Accused Zejnil Delalić, 25. September 1996, Rn. 19; Aleksovski (IT-95-14/1), Trial Chamber, Decision Denying a Request for Provisional Release, 23. Januar 1998, S. 4.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

tischen Auslegung und Anwendung durch die Kammern der Tribunale fortgesetzt. Teilweise wird zwar davon ausgegangen, dass die Regeländerung tatsächlich eine adäquate Berücksichtigung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses mit sich gebracht hat.282 Die Verfahrenskammern gehen allerdings überwiegend davon aus, dass aufgrund der besonderen Gegebenheiten der Tätigkeit der Tribunale dieser Grundsatz schlichtweg nicht aufrecht erhalten werden kann.283 Maßgebend in diesem Zusammenhang ist auch, dass der Angeklagte zur Durchführung des Verfahrens zwingend anwesend zu sein hat; es gibt keine Möglichkeit eines trial in absentia.284 Vereinzelt wird dieses Ergebnis einer etwas differenzierteren Betrachtung unterzogen. So hat die Kammer im Verfahren gegen Hadžihasanović ausgeführt, dass die Menschenrechtsabkommen zwar Untersuchungshaft als Ausnahme vorsehen, diese aber über Regel 65 ­JStGH-VBO eine spezifische Anwendung, zugeschnitten auf den Zweck eines internationalen Tribunals, erfahren würden.285 Eine andere Kammer im Verfahren gegen Jokić sieht durch die Regeländerung weder eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, noch eine Konformität mit den Menschenrechten hergestellt.286 Vielmehr wird hier auf den konkreten Einzelfall abgestellt, ohne das Ergebnis als im Einklang mit einer Regel oder Ausnahme stehend bezeichnen zu müssen. Letztendlich ändert auch eine einzelfallbezogene Sichtweise nichts an dem Umstand, dass die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft in der Praxis der Tribunale den Regelfall darstellt. Zwar ist der zuletzt genannten Argumentation zuzugestehen, dass das Ergebnis eines solchen Entscheidungsprozesses sicherlich nicht davon abhängen darf, ob es inhaltlich zur übrigen Praxis passt. Gleichwohl muss der in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPbpR verankerte Grundsatz bei diesem Entscheidungsprozess gebührende Berücksichtigung finden und darf weder vernachlässigt noch verdrängt werden. Auch die von den Tribunalen angeführten Begründungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer solchen Abweichung vermögen nicht, die tatsächliche Praxis zu rechtfertigen. Die Untersuchungshaft und deren Aufrechterhaltung bemessen sich an gesetzlichen Vorgaben. Regel 65 (B) ­JStGH-VBO beinhaltet die Erfordernisse einer vorläufigen Entlassung aus der Haft. Mit der Erfüllung dieser Voraussetzungen dürfte hinreichend belegt sein, dass das Bedürfnis einer Aufrechterhaltung 282 Brđanin & Talić (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Motion by Momir Talić for Provisional Release, 28. März 2001, Rn. 17. Ebenso Bourgon, J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 526, 528; ähnlich Cryer/Friman, S. 370; DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1451, und Skilbeck, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 451, 456. 283 Kvočka et al. (IT-98-30/1), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release of Miroslav Kvočka, 02. Februar 2000; Brđanin & Talić (Fn. 255), Rn. 12. Einer solchen Praxis steht Richter Robinson in überzeugender Argumentation ablehnend gegenüber, Krajišnik (Fn. 249), Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 21. 284 Dazu Schabas, in: Sluiter/Vasiliev, S. 358 ff.; Mundis, in: Am. J. Int’l L. 94 (2000), 759, 760 ff. 285 Hadžihasanović et al. (Fn. 254), Rn. 7. 286 Jokić (Fn. 250), Rn. 17.

III. Die Untersuchungshaft

219

der Untersuchungshaft nachrangig gegenüber dem Recht auf persönliche Freiheit des Angeklagten ist. Liegen die gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen für eine Entlassung hingegen vor, so greift der Grundsatz des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft und der Angeklagte ist vorläufig aus der Haft zu entlassen. Dies entspricht als einzig mögliche Konsequenz auch der Unschuldsvermutung. Eine Begründung dahingehend, den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft anzuerkennen, ihn aber unter Hinweis auf die äußeren Umstände nicht umsetzen zu können, obwohl es im Einzelfall möglich wäre, ist nicht menschenrechtskonform. Der einzig gangbare Weg wäre eine menschenrechtskonforme Auslegung der Vorschrift, wie sie die Auslegungsregeln von Art. 31 Abs. 1 WVK vorsehen.287 Der bloße Rückgriff auf operationale Schwierigkeiten im Rahmen der internationalen Strafgerichtsbarkeit und, in dessen Konsequenz, eine Modifizierung des Anwendungsbereichs der menschenrechtlichen Vorgaben ist jedoch nicht mit einer solchen Auslegung zu vereinbaren. Letztendlich geht es – in Anlehnung an das Diktum der Kammer im Verfahren gegen Jokić – hierbei nicht um eine statistische Anpassung der Rechtsprechung. Vielmehr muss, diesem Grundsatz entsprechend, der Gedanke vorherrschen, dass es um eine Entscheidung geht, die sich daran ausrichtet, dass dem milderen Mittel der Vorrang zu gewähren ist, sofern die Voraussetzungen einer Entlassung vorliegen. Hierzu gehört als weniger einschneidende Maßnahme im Vergleich zur Untersuchungshaft auch die Leistung einer Sicherheit, welcher allerdings keine praktische Bedeutsamkeit zukommt. Die Berücksichtigung des Grundsatzes über den Ausnahmecharakter der Untersuchungshaft bleibt letztendlich in der Praxis der Tribunale regelmäßig außen vor. (4) Der Einfluss der Unschuldsvermutung Bereits im Rahmen der Ausführungen zur Unschuldsvermutung als menschenrechtliche Gewährleistung und eines der obersten Grundsätze eines strafrecht­ lichen Verfahrens ist deutlich geworden, dass der Unschuldsvermutung in Bezug auf Untersuchungshaft nicht der limitierende Stellenwert eines Korrektivs zukommt.288 Ebenso verhält es sich im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Tribunalen. Die Statuten weisen zwar jeweils in Art. 21 Abs. 3 ­JStGH-St., Art. 20 Abs. 3 ­ StGH-St. auf die Geltung der Unschuldsvermutung hin.289 Da der Untersuchungs­ R häftling regelmäßig Angeklagter ist, erstreckt sich der Geltungsbereich dieser 287

Hierzu Richter Robinson in Krajišnik (Fn. 249), Dissenting Opinion of Judge Patrick ­Robinson, Rn. 10 ff. 288 s. oben B. III. 1. b). 289 In diesem Zusammenhang wird in ständiger Rechtsprechung auf die Menschenrechtsabkommen und die Judikatur der jeweiligen Kontrollorgane verwiesen, s. Martić (IT-95-11), Trial Chamber, Decision on Second Motion für Provisional Release, 12. September 2005, Rn. 11; Ljubičić (Fn. 250), Rn. 16.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Vorschriften auch auf die Untersuchungshaft.290 Doch vor allem in Anlehnung an die zuvor erläuterten Punkte kann dem Prinzip der Unschuldsvermutung nicht ernsthaft ein reeller Einfluss auf die praktische Handhabung von Untersuchungshaft zugeschrieben werden. Weder die Umkehrung des Grundsatzes in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPbpR in eine Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft, noch die Verteilung der Beweislast vom Ankläger auf den Angeklagten vermag der Unschuldsvermutung gerecht zu werden. Der Stellenwert, welcher der Unschuldsvermutung in solchen Haftentscheidungen tatsächlich zukommt, scheint nicht eindeutig bestimmbar. Manche Verfahrenskammern schreiben der Unschuldsvermutung keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung zu, ob eine vorläufige Haftentlassung ausgesprochen werden soll.291 Andere hingegen sehen die Unschuldsvermutung als einen Faktor im Rahmen des richterlichen Ermessens, den es zu berücksichtigen gilt.292 Als grundlegende Rechtfertigung wird von den Verfahrenskammern das bereits bekannte Problem angeführt, dass dem Tribunal kein Vollzugspersonal im Sinne eines eigenen Polizeiapparates zur Verfügung steht. Es stellt sich aber die Frage, ob mit einem solchen Rückgriff auf die Besonderheiten der internationalen Strafgerichtsbarkeit vom Grundsatz der Unschuldsvermutung abgewichen werden kann.293 Eine solche Sichtweise hätte eine Teilung des Anwendungsbereiches der Unschuldsvermutung zur Folge. Sie würde in ihrer Gestalt als Menschenrecht die originäre Funktion des Schutzes des Individuums gegenüber dem Staat bedienen. Auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit käme diesem Prinzip eine modifizierte Bedeutung zu, welche sich durch die eben genannten Besonderheiten erklären ließe. Ein solcher Weg ist allerdings nicht gangbar. Die Tribunale sind gebunden an die originären menschenrechtlichen Standards und müssen diese auch auf der – zugegebenermaßen mit Schwierigkeiten verbundenen – Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit wahren.294 An diesem Kernbestand der Unschulds-

290

Im Hinblick auf Untersuchungshaft sollen auch die speziell eingeführten „Rules Governing the Detention of Persons Awaiting Trial or Appeal before the Tribunal or otherwise Detained on the Authority of the Tribunal“ der Geltung der Unschuldsvermutung Ausdruck verleihen, dazu Ambos, in: NStZ 1998, 123, 125 f. 291 Milutinović et al. (IT-05-87), Appeals Chamber, Decision on Interlocutory Appeal of Denial of Provisional Release During the Winter Recess, 14. Dezember 2006, Rn. 12. 292 Šainović et al. (IT-05-87), Trial Chamber, Decision on Third Defence Request for Provisional Release, 14. April 2005, Rn. 36. 293 Richter Robinson rekurriert mit einer solchen Begründung auf den Wandel der Unter­ suchungshaft zur Strafe: „The Tribunal cannot say: because I cannot arrest you if you are granted bail and breach the conditions of bail, you must stay in detention. To do that is to give pre-trial detention a penal character, which would clearly be wrong in the light of the fact that the accused has not been convicted.“ (Krajišnik (Fn. 249), Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 12). 294 So auch die Verfahrenskammer in Mrđa (IT-02-59), Trial Chamber, Decision on Darko Mrđa’s Request for Provisional Release, 15. April 2002, Rn. 27.

III. Die Untersuchungshaft

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vermutung vermag auch eine entsprechende Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten nichts zu ändern. Eine Handhabung und Auslegung des bestehenden Regelwerkes zugunsten von vorläufigen Haftentlassungen wäre die natürliche Folge der Berücksichtigung der Unschuldsvermutung.295 Dass die Unschuldsvermutung nicht die gebotene Beachtung erfährt, lässt sich demnach schon aus der Praxis der Tribunale ersehen. Um der Unschuldsvermutung überhaupt zur Geltung zu verhelfen, müsste zumindest das System dahingehend geändert werden, dass die Untersuchungshaft nicht den offensichtlichen Regelfall darstellt. Auch müsste der Ankläger die Beweislast zu tragen haben, sofern es um Entscheidungen bezüglich einer vorläufigen Haftentlassung geht. Ferner dürfte der Kammer kein Ermessen bei der Entscheidung zukommen; die Rechtsfolge müsste bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eindeutig bestimmt sein. Erst bei Erreichen eines solchen Ausgangspunktes wäre eine Aussage über den Wirkungsgehalt der Unschuldsvermutung möglich. Nach dem derzeitigen Stand lässt sich lediglich festhalten, dass eine gleichwie geartete Geltung der Unschuldsvermutung, die über bloß deklaratorische Zwecke hinausgeht, zumindest auf dieser Ebene des Verfahrens nicht festgestellt werden kann. dd) Versuch einer Dogmatisierung – Menschenrechtskonformität der Auslegung und Anwendung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO? Aufgrund des Befundes einer teils mangelnden Strukturierung der Urteile soll abschließend der Versuch einer Systematisierung vorgenommen werden. Hierbei geht es neben der Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses der Prüfung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO insbesondere um die dogmatische Zuordnung einzelner Argumentationsmuster. In dem Versuch, eine gewisse Grundordnung in die argumentativ oft schwer zu durchdringenden Entscheidungen der Tribunale zu bringen, ist zum Zweck der Veranschaulichung die Systematik des deutschen öffentlichen Rechts heranzuziehen und zunächst auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Ermächtigungsgrundlage und Einzelfallentscheidung hinzuweisen.296 Auf beiden Ebenen ist deren Rechtmäßigkeit als Voraussetzung unerlässlich. Eine explizite Ausein­ andersetzung mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsnorm erfolgt in der Praxis naturgemäß nicht, da die Vorschriften der Verfahrens- und Beweisord 295 Rearick, in: Harv. Int’l L. J. 44 (2003), 577; Gordon, in: Colum. J. Transnat’l L. 45 (2007), 635, 690. 296 Soweit im Folgenden die Begrifflichkeiten der „Ebene der Normauslegung“ (betreffend die Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage) und derjenigen der „Ebene der Norm­ anwendung“ (bezüglich der Rechtmäßigkeit der einzelfallbezogenen Maßnahme) verwendet werden, sind diese übernommen aus Katz, S. 333.

222

B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

nungen von den Richtern selber beschlossen werden. So sollen in diesem Zusammenhang zwecks einer deutlicheren Strukturierung diejenigen Argumente, die nicht per se der konkreten Anwendung zugeordnet werden können, sondern vielmehr eine Frage der Legitimität der Ermächtigungsnorm darstellen, identifiziert werden. Vor allem der stets wiederkehrende Hinweis auf die institutionellen und strukturellen Besonderheiten der Tribunale und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sollen eine eindeutige Verortung erfahren. Gerade der scheinbar unkoordinierte und wenig systematische Rekurs auf die Besonderheiten, mit denen sich die Tribunale konfrontiert sehen, erweckt durch die Handhabung in der Rechtsprechung den Eindruck eines prinzipiellen Rechtfertigungsarguments. Sei es im Rahmen der Fluchtgefahr, oder im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Ermessen; diese institutionellen Besonderheiten werden des Öfteren herangezogen, um eine Ablehnung des Antrags auf vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft zu begründen. Eine eindeutige Verortung dieser Argumentation innerhalb einer Art „schlüssigen Gesamtkonzepts“ geht jedoch aus den richterlichen Entscheidungen nicht hervor. (1) Die Ebene der Legitimität von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO Den Erwägungen in Bezug auf die strukturellen und institutionellen Besonderheiten internationaler Straftribunale kann lediglich im Rahmen der Legitimität der Vorschrift Bedeutung zukommen – nicht hingegen innerhalb der Ebene der konkreten Normanwendung. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Richter bei der Konzeptionierung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO eine Vorschrift einführen wollten, welche den bekannten Schwierigkeiten Rechnung trägt. Diese sind als generelle, abstrakte und vom konkreten Einzelfall losgelöste Erwägungen nur in diesem Rahmen bedeutsam. Schließlich ist Regel 65 (B) J­ StGH-VBO in der bekannten Form vor dem Hintergrund und in Kenntnis dieser besonderen Schwierigkeiten als derart „offene“ und aus Sicht des Angeklagten strenge Vorschrift konzipiert worden.297 Da man sich im Anschluss an die soeben gezogene Schlussfolgerung auf der Ebene der Rechtmäßigkeit von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO insgesamt bewegt, schließen sich an diese Überlegungen zwei weitere Gedankengänge an. Erstens stellt sich die Frage nach der grundlegenden und abstrakt zu betrachtenden Konformität der Vorschrift mit dem internationalen Menschenrechtsstandard. Sofern es um die Verortung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geht, ist zweitens anzumerken, dass bereits bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen sind. Sofern in menschenrechtliche Gewährleistungen eingegriffen wird, muss der Frage der Verhältnismäßigkeit 297

Dahingehend Zahar/Sluiter, S. 301.

III. Die Untersuchungshaft

223

besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Auf dieser Ebene der Rechtmäßigkeit der „Ermächtigungsgrundlage“ ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip den abstrakten Erwägungen des „Gesetzgebers“ als Korrektiv entgegenzuhalten. Vorab lässt sich somit zunächst konstatieren, dass das in den Urteilen wiederholt angeführte Verhältnismäßigkeitsprinzip streng genommen eine Doppelfunktion innehat. So wird dieser Grundsatz sowohl bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Einzelfallentscheidung als auch auf der übergeordneten abstrakten Ebene der Rechtmäßigkeit von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO relevant.298 Sofern es um das Zusammenspiel der Fragen von Menschenrechtskonformität und Verhältnismäßigkeit geht, ist hilfsweise auf das der deutschen Grundrechtsdogmatik zugrundeliegende Konzept der Grundrechtsprüfung (Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung) zurückzugreifen.299 Die voranstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass Regel 65 (B) ­JStGH-VBO als Ausgangsnorm für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft erhebliche Friktionen im Hinblick auf die menschenrechtlichen Gewährleistungen der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR aufweist. Während die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft den Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf persönliche Freiheit darstellt, ist in Anlehnung an die Terminologie der deutschen Grundrechtslehre Regel 65 (B) ­JStGH-VBO als Schranke der menschenrechtlichen Gewährleistungen im Rahmen der Rechtfertigung dieses Eingriffs zu verstehen. Regel 65 (B) J­ StGH-VBO ist somit für die vorliegenden Zwecke als Rechtsgrundlage zu begreifen, die dem Eingriffsvorbehalt der Art. 5 Abs. 1 EMRK, Art. 9 Abs. 1 IPbpR zufolge Eingriffe in die persönliche Freiheit zu legitimieren vermag.300 Sodann stellt sich jedoch im nächsten Schritt die Frage nach der Legitimität dieser Beschränkungsmöglichkeit („Schranken-Schranke“). Entsprechend der deutschen Grundrechtsdogmatik verfolgen Schranken-Schranken den Zweck, den Beschränkungsmöglichkeiten eines Grundrechts Grenzen zu setzen.301 Als wichtigste Schranken-Schranken ist vorliegend auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Gedanken der Wesensgehaltsgarantie zu rekurrieren.302 Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen bestehen abstrakt betrachtet zunächst keine Bedenken in Bezug auf deren Legitimität. Allerdings sind mit 298 Da die Rechtmäßigkeit der Vorschrift insgesamt überwiegend – zumindest nach der Regeländerung – nicht in Frage gestellt wird, bezieht sich der richterliche Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip immer auf die konkrete Entscheidung in Gestalt der Ablehnung oder Stattgabe des Antrages auf vorläufige Haftentlassung. 299 s. für das entsprechende Schema zu Art. 5 EMRK Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 70. 300 Mit dieser Aussage soll hingegen keine Wertung dahingehend getroffen werden, ob Regel 65 (B) ­JStGH-VBO tatsächlich die Anforderungen einer solchen Rechtsgrundlage im Sinne der Menschenrechtskodifikationen erfüllt. 301 So Pieroth/Schlink, S. 68. 302 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 S. 2 Rn. 46; Merten/Papier, § 150 Rn. 26.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dem gerichtlichen Ermessen als Rechtsfolge und der sich ergebenden Beweislastumkehr Grundsätze im Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO explizit angelegt, welche in ihrer Ausgestaltung einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellen. Anknüpfend hieran ist festzustellen, dass die normierten Voraussetzungen von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO der Realität nicht gerecht zu werden scheinen. So enthält diese Vorschrift nicht alle für eine Ablehnung der Haftentlassung wesentlichen Gründe. Indem lediglich auf notwendige, nicht aber auf hinreichende Kriterien innerhalb dieser Vorschrift abgestellt wird, ist im Rahmen des gerichtlichen Ermessens der Spielraum für richterliche Argumentation auf einer breiteren Basis, als vom Wortlaut vorgesehen, eröffnet. So fehlt beispielsweise jeglicher Hinweis auf die Gefahr der Zerstörung von Beweismaterial, welche die Durchführung des Hauptverfahrens erheblichen Risiken aussetzen würde. Insgesamt ließe sich durch die Einführung zusätzlicher Versagungsgründe in den Wortlaut von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO die offensichtliche Verkehrung des Regel-Ausnahme-Grundsatzes und der Beweislastumkehr relativieren.303 Auch das richterliche Ermessen würde hierdurch reduziert. Im Anschluss an die Überlegungen um die Problematiken von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO sind Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen. Dabei kommt es an dieser Stelle auf die Vorschrift von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO insgesamt an, losgelöst von deren konkreter Anwendung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Abweichung zu den menschenrechtlichen Vorgaben als verhältnismäßig und somit legitim erachtet werden kann. Regel 65 (B) J­StGH-VBO normiert eindeutig eine strenge, restriktive Handhabung vorläufiger Entlassungen aus der Untersuchungshaft in Abweichung von menschenrechtlichen Grundsätzen. In der Konsequenz ist diese Abweichung der regelmäßigen Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft dienlich. Die prozessualen Erschwernisse zulasten des Angeklagten sind nach wie vor ein probates Mittel und somit geeignet, um den Zweck der Durchführung des strafrechtlichen Verfahrens zu sichern. Zu bezweifeln ist aber, ob dieser Zweck nicht auch auf anderem Wege hätte erreicht werden können. Auf die Auswirkungen einer detaillierten Auflistung von Haft- bzw. Versagungsgründen ist bereits hingewiesen worden. Zudem fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit der Entlassung unter Auflagen, die in bestimmten Fällen als milderes Mittel zur Untersuchungshaft erwägenswert wäre, sofern die Zwecke der Untersuchungshaft gleichsam effektiv gesichert werden können. Im Rahmen der anschließend aufzuwerfenden Frage nach der Angemessenheit bzw. der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist zu untersuchen, ob die Maßnahme in ihrer Art und Intensität außer Verhältnis zu dem zu schützenden Rechtsgut steht (Zweck-Mittel-Relation).304 Geprägt ist die Prüfung der Angemessenheit 303

Zahar/Sluiter, S. 288 f. Katz, S. 108; Ipsen, S. 49.

304

III. Die Untersuchungshaft

225

von einer Abwägung der Schwere des Eingriffs mit dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe, wobei der Freiheitsanspruch der Person ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist.305 Lediglich an dieser Stelle, als Aspekt der Angemessenheit im Rahmen der Frage nach der Legitimität der Vorschrift, kann nun auf Erwägungen die institutionellen und strukturellen Besonderheiten betreffend zurückgegriffen werden.306 Allerdings ist fraglich, ob die offensichtliche Tendenz zur Abweichung von menschenrechtlichen Standards überhaupt mit diesen besonderen Umständen zu legitimieren ist. Immerhin handelt es sich bei der Untersuchungshaft um einen der schwersten Eingriffe in das Recht auf persönliche Freiheit. Diesem Recht steht das Bedürfnis nach strafrechtlicher Verfolgung derjenigen Personen gegenüber, die mutmaßlich für schwerste Verbrechen verantwortlich sind. Begleitumstand dieses Strafverfolgungsinteresses sind Schwierigkeiten in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit und effektive Handlungsweise internationaler Straftribunale. Vor allem die mangelnde Einflussmöglichkeit auf einen entlassenen Angeklagten wiegt schwer vor dem Hintergrund, dass Verfahren nur in Anwesenheit des vermeintlichen Täters durchgeführt werden können. Diesem Argument kann allerdings entgegengehalten werden, dass sich zumindest in den letzten Jahren die Kooperation mit Staaten vor allem auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens erheblich verbessert hat, dieser Umstand vom JStGH aber nur zögerlich gesehen und in den Entscheidungen umgesetzt wurde.307 Während es in nationalen Strafverfahren nur ausnahmsweise der Mitarbeit eines weiteren Staates bedarf, und bei Eintritt einer solchen Situation gleichwohl eine Bindung an die bestehende Rechtsordnung existiert, ist diese Abhängigkeit auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit ein unabänderlicher Bestandteil der dortigen Arbeit. Dies bedeutet jedoch nicht zugleich, dass von der internationalen Werteordnung in Form der Menschenrechte aufgrund dieser Tatsachengrundlage ohne Weiteres abgewichen werden kann. Die Effektivität internationaler Strafgerichtsbarkeit darf nicht um jeden Preis auf Kosten des Angeklagten gesteigert werden. In Ansehung unabdingbarer menschenrechtlicher Standards müssen Wege gefunden werden, beide Positionen miteinander zu vereinbaren, ohne die eine oder andere Seite übermäßig zu beschränken. Obwohl die Menschenrechte einerseits die Strafverfolgung legitimieren, haben sie andererseits eine limitierende Funktion, wenn es um die Rechte des Angeklagten geht.308 Es darf nicht sein, dass aufgrund von Umständen, die nicht im Einfluss­

305

BVerfGE 19, 342, 349; 20, 45, 49; 70, 297, 311. Diese Einordnung als Frage der Legitimität der Vorschrift scheint auch Nsereko, in: Crim. L. Forum 5 (1994), 507, 532, zu treffen. 307 s. zur Kooperationsbereitschaft der VN-Tribunale Neubacher, S. 399; Boas/Bischoff/ Reid/Taylor, S. 124. Zur anfänglich zögerlichen Kooperationsbereitschaft auf Staatenseite s. Greenwood, in: ­MPYUNL 2 (1998), 97, 107; Kalinauskas, in: Univ. of Kansas L. Rev. 50 (2002), 383, 399 f. 308 Safferling, in: Renzikowski, S. 154 f.; Neubacher, S. 399. 306

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

bereich des Angeklagten liegen, in dessen fundamentale Rechte in unverhältnismäßiger Art und Weise eingegriffen wird.309 Die Ad-hoc-Tribunale haben es versäumt, diese beiden Positionen in ihren jeweiligen Rechtstexten miteinander zu vereinbaren und dadurch das bestehende Spannungsfeld zu beseitigen. Wie nachfolgend für den IStGH noch festzustellen sein wird, gibt es durchaus Möglichkeiten, das Institut der Untersuchungshaft menschenrechtskonform auszugestalten. Die zuvor dargestellten Ergebnisse der Untersuchung bergen allerdings derart gravierende Nachteile für den Angeklagten, dass – gerade auch in Ansehung der Bedeutsamkeit des Rechts auf persön­ liche Freiheit – Regel 65 (B) ­JStGH-VBO in der bestehenden Form als unverhältnismäßige Abweichung zu den menschenrechtlichen Vorgaben zu erachten ist. Dieses Ergebnis wird bekräftigt durch eine weitere Rechtsprüfung, die neben dem Verhältnismäßigkeitsaspekt im Rahmen der Legitimität von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO als „Schranken-Schranke“ zu berücksichtigen ist. Wie bereits an anderer Stelle erörtert,310 ist mit dem EGMR davon auszugehen, dass den Gewährleistungen der EMRK ein unantastbarer Kernbereich innewohnt.311 Vergleichbar mit Art. 19 Abs. 2 GG herrscht auch auf der Ebene international anerkannter Menschenrechtspakte das Verständnis vor, dass jede Gewährleistung vor inhaltlicher Aushöhlung zu schützen ist und über einen Wesensgehalt verfügt, der un­antastbar ist und keiner Einschränkung unterliegen darf.312 Ferner ist dem Kernbereichsschutz ein absoluter Charakter zugrundezulegen, so dass der Wesensgehalt ab­ wägungsfrei jeden Eingriff von vornherein auszuschließen vermag. Der Verweis auf Schwierigkeiten bezüglich der praktischen Realisierbarkeit vorläufiger Haftentlassungen vermag nicht jegliche Beeinträchtigung wie selbstverständlich zu rechtfertigen. So kann nachvollzogen werden, dass aufgrund der Komplexität der Ermittlungen und der teils erheblichen räumlichen Distanz die Verfahren von längerer Dauer sind als im nationalen Bereich. Der Wesensgehalt der menschenrechtlichen Gewährleistungen muss jedoch unberührt bleiben. Indem aber allein durch den Wortlaut von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO die Untersuchungshaft zum Regelfall erhoben wird, ist gerade der Wesensgehalt des Rechts auf persönliche Freiheit betroffen. Es geht hierbei nicht um die konkrete Dauer der Untersuchungshaft313 oder wahlweise um die verzögerte Unterrichtung über die Gründe der Festnahme, sondern um das grundlegende Verständnis dieser Ge 309

s. auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 117 ff.; Buisman, in: Haveman/ Kavran/Nicholls, S. 181 ff. 310 s. B. III. 1. a) dd). 311 Dazu bereits oben, B. III. 1. a) dd). Ferner Iliopoulos-Strangas, in: RabelsZ 63 (1999), 414, 444 f. 312 Remmert, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 2 Rn. 14. 313 Diese ist allerdings bei Missachtung der durch den EGMR entwickelten Grundsätze auch bereits unter dem Aspekt der Verletzung des Kernbereichs für menschenrechtswidrig erklärt worden, vgl. EGMR, Brogan ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 145-B, Rn. 59 ff.

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währleistung, dass der Freiheitsentzug nicht zum Regelfall werden darf. Mit den Worten des EGMR wird der Gewährleistung des Rechts auf Freiheit hierdurch der „praktische und effektive“ Charakter genommen, so dass diese Menschenrechtsgarantie lediglich noch die Ausformung einer „theoretischen und illusorischen“ Idee darstellt.314 Hierzu darf es allerdings nicht kommen. (2) Die Ebene der konkreten Anwendung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO Bei einer näheren Betrachtung der Anwendungsebene von Regel 65 (B) JStGHVBO durch die Spruchpraxis gelangt man zu keinem wesentlich anderen Ergebnis als auf der Ebene der Normauslegung. Um eine Einzelfallentscheidung zu überprüfen, soll in methodischer Hinsicht erneut – wenigstens darstellerisch – auf die deutsche (Grundrechts-)Dogmatik zurückgegriffen werden, die sich im Wesentlichen im methodischen Ansatz europäischer und internationaler Gerichte wieder findet. Nunmehr ist auf Ebene der Rechtfertigung nach der Menschenrechts­ konformität der einzelfallbezogenen Ablehnung einer vorläufigen Entlassung zu fragen. An erster Stelle beziehen sich die Richter in ihren Entscheidungen auf menschenrechtliche Grundsätze. Im Rahmen einer stets wiederkehrenden Formulierung rekurrieren sie auf die Unschuldsvermutung, die in Art. 21 Abs. 3 J­ StGH-St., Art. 20 Abs. 3 R ­ StGH-St. verankert ist, sowie auf weitere internationale Standards. Neben dem IPbpR und der EMRK wird auch die diesbezügliche Rechtsprechung als Parameter angeführt.315 Wie bereits im vorigen Kapitel beschrieben, ist die ausnahmslose und unbeschränkte Geltung der Menschenrechte problematisch. Gleichwohl verlangt die Bindung internationaler Strafgerichte an die menschenrechtlichen Standards zumindest eine menschenrechtskonforme Auslegung der jeweils problematischen, in den Reglementierungen enthaltenen Vorschriften.316 314

Diese Begriffspaare prägte der EGMR unter anderem in Cruz Vargas u. a. ./. Schweden, Serie A Nr. 201, Rn. 99; Ait-Mouhoub ./. Frankreich, Reports 1998-VIII, Rn. 52. 315 Die Referenz auf die Menschenrechtsabkommen und die relevante Rechtsprechung ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Während einige Kammern von einer stärkeren Bindung auszugehen scheinen (bspw. Ljubičić (IT-00-41), Trial Chamber, Decision on Second Application for Provisional Release, 26. Juli 2005, Rn. 16: „in the light of“), kommt diese in anderen Entscheidungen in abgeschwächter Form zum Ausdruck (so Martić (IT-95-11), Trial Chamber, Decision on Second Motion für Provisional Release, 12. September 2005, Rn. 11: „must be considered alongside“). 316 Als Beispiel lässt sich hier das Problem der überlangen Verfahrensdauer anführen. Wie bereits gesehen, weicht die übliche Dauer der Strafverfahren, und mithin auch diejenige der Untersuchungshaft, in teils erheblichem Maße von der üblichen Dauer nationaler Strafverfahren ab. Vorrangig der Komplexität der Fälle und der Schwierigkeiten der Ermittlungen geschuldet, ist es schlichtweg nicht möglich, diese Zeitspanne auf ein „übliches“ Maß zu reduzieren. Gleichwohl müssen, wenn es um die Feststellung einer Verzögerung geht, diejenigen abstrakten Grundsätze aufrecht erhalten werden, welche der internationale Menschenrechts-

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Grundlegende Werte müssen aufrechterhalten und als Maßstab zur Orientierung betrachtet werden. Wie aus den voranstehenden Ausführungen hervorgeht, erhält Regel 65 (B) ­JStGH-VBO auch in der praktischen Anwendung keinen menschenrechtskonformen Charakter. An zweiter Stelle rekurrieren die Richter auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dieses ist als allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts317 ebenfalls im Rahmen der richterlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Betont wird, dass diesem Prinzip zufolge eine Maßnahme nur dann verhältnismäßig ist, wenn sie (1) geeignet und (2) erforderlich ist, sowie (3) Grad und Ausmaß der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zum beabsichtigten Zweck stehen.318 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich Erwägungen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich auf die Rechtsfolgenseite beziehen.319 Davon zu unterscheiden sind Überlegungen im Rahmen einer Abwägung verschiedener Umstände („balancing“), die der Beurteilung der Flucht- und Verdunkelungsgefahr durch die Kammer zuträglich sein sollen.320 Nach der Konzeption des EGMR ist – unter vergleich­baren Umständen – nationalen Behörden oder Gerichten ein Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) einzuräumen, der mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzips korreliert.321 In diesem Sinne ist der von den Richtern angenommene Einschätzungsspielraum hinsichtlich der prognostischen Beurteilung von Gefahren­

standard vorgibt. Allerdings kommt der überlangen Verfahrensdauer in der gerichtlichen Praxis wohl eher untergeordnete Bedeutung zu. Trotz teils erheblicher Dauer der Freiheits­ entziehung, s. dazu nur Rearick, in: Harv. Int’l L. J. 44 (2003), 577, ist bis dato kein Angeklagter deswegen aus der Untersuchungshaft entlassen worden, so Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 611. 317 Arai-Takahashi, S. 186; Fitzpatrick, S. 60; dazu auch Vranes, in: AVR 47 (2009), 1, 4. 318 s. beispielsweise Blagojević & Jokić (IT-02-60), Trial Chamber, Decision on Request for Provisional Release of Accused Jokić, 28. März 2002, Rn. 18 („Moreover, when interpreting Rule 65, the general principle of proportionality must be taken into account. A measure in public international law is proportional only when (1) it is suitable, (2) necessary and when (3) its degree and scope remain in a reasonable relationship to the envisaged target. Procedural measures should never be capricious or excessive. If it is sufficient to use a more lenient measure, it must be applied.“). 319 So wurde in Ljubičić (Fn. 315), Rn. 33 f., zwar der Antrag auf vorläufige Entlassung abgelehnt. Als mildere Maßnahme wurde von der Verfahrenskammer allerdings Hausarrest vorgeschlagen. 320 Mit dem Begriff des „balancing“ wird teils die Prüfung der Verhältnismäßigkeit „im engeren Sinne“ bzw. der Angemessenheit umschrieben. In diesem Kontext kann es sich zwar streng genommen nicht um Verhältnismäßigkeitserwägungen handeln, da diese der Rechtsfolgenseite zugeordnet werden. Allerdings ist auf die Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der Menschenrechte zu verweisen, in deren Zusammenhang die Verhältnismäßigkeit in Form der Abwägung unter anderem für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen wird. Zum Begriff „balancing“ s. Barak, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 1, 7 f.; Gardbaum, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 78, 81 ff., sowie zur geschichtlichen Entwicklung Bomhoff, in: Law & Ethics Hum. Rts. 4 (2010), 108, 124 ff. 321 Grabenwarter, S. 112; von Bogdandy/Bast, S. 696.

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situationen zu verstehen.322 Seine Grenzen findet der Beurteilungsspielraum neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auch in der Wesensgehaltsgarantie.323 Ein auffälliger Umstand ist der konstante Rückgriff auf die institutionellen und strukturellen Schwierigkeiten der Tribunale auf sämtlichen Ebenen der richter­ lichen Prüfung. Dies mag verwirren. Sowohl im Rahmen der materiellen Voraussetzungen, als auch innerhalb der Ermessensausübung rekurrieren die Richter erkennbar auf wiederkehrende Argumentationsschemata. Dabei sind diese Besonderheiten, wie oben gesehen, auf einer anderen Ebene, nämlich derjenigen der Normauslegung im Rahmen der Frage nach der Legitimität, bedeutsam. Als abstrakte, vom konkreten Einzelfall losgelöste Erwägungen können sie auf der Ebene der Normanwendung keine Berücksichtigung finden. Zwar kann man in diesem Kontext nicht von einem „Doppelverwertungsverbot“ im strengen Sinne324 sprechen. Jedoch erscheint es allzu repressiv und nicht legitim, dieselbe Argumentation an verschiedenen Stellen zwecks Begründung der Ablehnung des Antrages erneut anzuführen. Neben Verhältnismäßigkeitsaspekten und dem richterlichen Beurteilungsspielraum kommt nach der durch den EGMR angewandten Methodik der „Gesamtabwägung“ eine bedeutende Rolle zu. Demnach ist nicht die isolierte Betrachtung einzelner Aspekte für die Menschenrechtskonformität maßgebend, sondern vielmehr der gesamte Vorgang, also das Ergebnis (hier) der Entscheidungsfindung.325 Doch auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kann keine Menschenrechtskonformität der richterlichen Entscheidungen festgestellt werden. Dies verwundert bei strikter Anwendung von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO nicht; allerdings werden die dort vorhandenen Mängel auch nicht im Wege einer menschenrechtskonformen Auslegung beseitigt. Somit bleibt es auf der Ebene der Normanwendung, durch eine Perpetuierung der Verletzung des Kernbereichs der Gewährleistungsinhalte, bei den zuvor getroffenen Feststellungen in puncto Menschenrechtswidrigkeit.

322 Vgl. dazu auch BVerfGE 109, 133, 158 ff. (Unsicherheiten einer Prognose und die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Verhältnismäßigkeit bei der Sicherungsver­ wahrung). 323 Vgl. dazu oben B. III. 1. a) dd). 324 Hilfsweise kann hier das deutsche Strafzumessungsrecht herangezogen werden. § 46 III StGB lautet: „Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden“. Die Erwägungen im Hinblick auf die besondere Situation internationaler Strafgerichte beeinflussen und prägen die Ebene der Legitimität der Ermäch­ tigungsgrundlage. Als solche dürfen sie allerdings nicht erneut auf der Ebene der konkreten Anwendung der Norm herangezogen werden, sondern haben sich sozusagen „erschöpft“. 325 Vgl. dazu B. III. 1. a) dd).

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(3) Bewertung der Überprüfung der Menschenrechtskonformität Abschließend gilt dementsprechend, dass die Auseinandersetzung mit Regel 65 (B) ­JStGH-VBO auf zwei Ebenen erfolgt; derjenigen der abstrakten Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm und derjenigen der einzelfallbezogenen Anwendung. Diesbezüglich ist festgestellt worden, dass diese Norm in nicht zu recht­fertigender Weise gegen menschenrechtliche Gewährleistungen verstößt. Während die Beschneidung einzelner Ausprägungen des Rechts auf persönliche Freiheit unter Rekurs auf die institutionellen und strukturellen Besonderheiten an den Tribunalen legitimiert werden kann, gilt dies nicht für Eingriffe in den Wesensgehalt der Garantie. Dieser Eingriff ist nicht rechtfertigungsfähig und stellt einen Verstoß gegen international anerkannte Menschenrechtsstandards dar. Indem Regel 65 (B) ­JStGH-VBO die Untersuchungshaft zum Regelfall erhebt, wird in den besagten Wesensgehalt eingegriffen. Die Menschenrechtswidrigkeit der Vorschrift setzt sich auf der Anwendungsebene fort. Dabei wird im Rahmen der richterlichen Argumentation verkannt, dass die Schwierigkeiten im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Tribunale kein Kriterium sind, welches beliebig an verschiedenen Stellen zugrundegelegt werden kann, um die Ablehnung des Antrages zu begründen. Da diese Erwägungen lediglich die Legitimität der Vorschrift betreffen können, ist diese Praxis systematisch inkonsistent. ee) Die Auflagenpraxis der Tribunale bei vorläufigen Haftentlassungen Sofern dem Antrag des Angeklagten auf vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft stattgegeben wird, steht es der zuständigen Verfahrenskammer nach Regel 65 (C) J­ StGH-VBO frei, die Entlassung an bestimmte Auflagen zu knüpfen. Diese Auflagen richten sich ausschließlich an den Angeklagten.326 Dem Wortlaut der Vorschrift zufolge soll hierdurch zum einen das Erscheinen des Angeklagten vor Gericht sowie zum anderen sichergestellt werden, dass Opfer und Zeugen keiner Gefahr durch den Angeklagten ausgesetzt sind. Von dieser Möglichkeit des Ausspruchs von Auflagen wird prinzipiell Gebrauch gemacht. Wie der Wortlaut bereits indiziert, muss sowohl bei der erstmaligen Aussprache von Auflagen, als auch bei einer eventuellen späteren Modifizierung derselben, ein Bezug zu den Haftgründen und Zwecken von Untersuchungshaft bestehen. Gleichwohl scheinen sich die Verfahrenskammern zum Teil auch von – in dieser Hinsicht – sachfremden Erwägungen leiten zu lassen.327 Freiheitsbeschränkende Auflagen 326

Schutte, in: Clark/Sann, S. 216. Als oft zitiertes Beispiel lässt sich in diesem Zusammenhang das Verfahren gegen ­Ramush Haradinaj anführen. Dazu Swoboda, in: GA 2006, 629, 637 ff.; Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 612 ff., sowie Haradinaj (IT-04-84), Appeals Chamber, Decision on 327

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können hingegen nur dann als legitim erachtet werden, sofern sie als milderes Mittel zur Untersuchungshaft dieselben gesetzlich normierten Zwecke in gleich geeigneter Weise zu sichern vermögen. Zu den Auflagen, welche die Verfahrenskammern für „angemessen“ („appropriate“) im Sinne von Regel 65 (C) ­JStGH-VBO befinden, gehören Restriktionen in Bezug auf das Aufenthaltsgebiet, die Übergabe des Passes an die Behörden, die (elektronische) Überwachung durch lokale Behörden, sowie die Kooperation und die Pflicht zu regelmäßigen Rückmeldungen an selbige.328 ff) Fazit: Die Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen Möchte man die Handhabung der Untersuchungshaft durch die Tribunale kurz und prägnant zusammenfassen, ließe sich feststellen, dass eine Konformität mit den Menschenrechten trotz vorhandener Bemühungen329 nicht gewährleistet wird. Allerdings haben bereits die vorstehenden Ausführungen in Bezug auf unterschiedliche Aspekte verdeutlicht, dass eine differenziertere Betrachtung erforderlich ist, um die Handlungsweise der Ad-hoc-Tribunale zu beschreiben und ein­ zuordnen. Bis zur Regeländerung und der damit verbundenen Abschaffung des Erfordernisses der „außergewöhnlichen Umstände“ (im November 1999 am JStGH und im Mai 2003 am RStGH) wurde in erheblichem Maße gegen menschenrecht­ liche Grundsätze verstoßen. Die hierdurch erfolgte Änderung im Wortlaut brachte auch deutliche Konsequenzen in der Praxis mit sich. Gleichwohl kann der Vorwurf eines Verstoßes gegen menschenrechtliche Parameter nicht vollständig ausgeräumt werden. Trotz teils vorhandenem Optimismus über die Kehrtwende zumindest in der Rechtsprechung des JStGH,330 steht nach wie vor der vorerst theoretische Umstand im Vordergrund, dass Untersuchungshaft der Regelfall ist. Ausgehend von dieser in den Regeln 64, 65 (B) ­JStGH-VBO verankerten Prämisse herrschen bestimmte Grundsätze und Mechanismen vor, welche dieses Konzept in ein in sich schlüssiges System einbetten. Mit der Ansehung von Untersuchungshaft als Regel­fall einher geht die Verschiebung der Beweislast auf den Angeklagten, sowie die Ein­ räumung des richterlichen Ermessens. Auf der abstrakten Ebene von Regel 65 (B) Ramush Haradinaj’s Modified Provisional Release, 10. März 2006, Joint Dissenting ­Opinion of Judge Shahabuddeen and Judge Schomburg, Rn. 2 ff. 328 Ademi (IT-01-46), Trial Chamber, Order on Motion for Provisional Release, 20. Februar 2002; Šainović et al. (IT-05-87), Trial Chamber, Decision on Ojdanić for Temporary Provisional Release, 04. Juli 2007, Rn. 9; Bassiouni/Manikas, S. 915; Morris/Scharf, An Insider’s Guide to the ICTY, Vol. I, S. 239. 329 So Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 134. 330 So Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 624.

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J­StGH-VBO als Ermächtigungsgrundlage konnte festgestellt werden, dass diese Vorschrift menschenrechtswidrig ist. Im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen vermögen auch die institutionellen und strukturellen Schwierigkeiten die besondere Restriktivität der Norm nicht zu legitimieren. Im Hinblick auf einzelne Gesichtspunkte ließen sich zwar Abweichungen rechtfertigen. Zu einer Missachtung grundlegender Inhalte des Rechts auf Freiheit darf es hingegen nicht kommen. Dieses Ergebnis setzt sich auch auf der einzelfallbezogenen praktischen Ebene der Normanwendung fort. Eine vorläufige Entlassung ist nur auf entsprechenden Antrag des Betreffenden hin möglich. Da der Inhaftierte regelmäßig Angeklagter ist, wird davon abgesehen, das Vorliegen eines fortdauernden Tatverdachts zu prüfen. Was die „materiellen“ Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO anbelangt, kann überwiegend eine adäquate Auseinandersetzung mit den Umständen des einzelnen Falles konstatiert werden. Die Kriterien, die zwecks Beurteilung der Flucht- und Verdunkelungsgefahr aufgestellt wurden, entsprechen bis auf einige Besonderheiten denjenigen des EGMR. So lässt sich feststellen, dass das Problem der Konformität mit menschenrechtlichen Standards unter den gegebenen Umständen nicht auf Seite der materiellen Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO zu verorten ist. Problematisch sind vielmehr die eben erwähnten formellen Grundsätze, welche den Antrag des Untersuchungshäftlings umrahmen. So hat sich beispielsweise keine Möglichkeit etablieren lassen, das Problem der überlangen Verfahrensdauer in diesem Zusammenhang angemessen zu berücksichtigen. Wie bereits im vorigen Kapitel gesehen, kann es eine absolute und unein­ geschränkte Übereinstimmung mit den Menschenrechten auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit nicht geben. Es verbleibt damit aber zumindest die menschenrechtskonforme Auslegung der jeweiligen Vorschriften. Kann eine solche Auslegung aufgrund der eindeutigen Vorgaben jedoch nicht gewährleistet werden, muss eine Regeländerung in Erwägung gezogen werden. Eine solche wäre die einzige Möglichkeit, um Regel 65 (B) ­JStGH-VBO in Einklang mit international anerkannten menschenrechtlichen Parametern zu bringen. Dies gilt auch in Ansehung der Praxis der letzten Jahre, welche eine Annäherung an menschenrechtliche Standards verdeutlicht.331 Ungeachtet der materiellen Voraussetzungen (wobei hier zumindest die Einführung des fortdauernden Tatverdachts als weiteres Erfordernis erwägenswert wäre), kann Regel 65 (B) J­ StGH-VBO nur dann menschenrechtskonform ausgelegt werden, wenn der Ankläger die Beweislast trägt und die Entlassung zwingende Konsequenz für den Fall ist, dass die normierten Voraussetzungen erfüllt sind. 331 Swoboda, in: GA 2006, 628, 633, weist auf die für den JStGH seit 1999 deutlich ge­ stiegene Anzahl vorläufiger Entlassungen aus der Untersuchungshaft hin. Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang nicht eine bestimmte Quote an entlassenen Untersuchungshäftlingen für die Beurteilung der Menschenrechtskonformität entscheidend, sondern die jeweiligen rechtlichen Grundlagen.

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c) Die Untersuchungshaft am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Nach der Betrachtung und Untersuchung des Rechtsinstituts der Untersuchungshaft an den Ad-hoc-Tribunalen soll nun dessen Handhabung am Inter­nationalen Strafgerichtshof fokussiert werden. Ebenso wie im Rahmen der vorigen Ausführungen ist hierbei zwischen der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu differenzieren. aa) Die Anordnung von Untersuchungshaft Die zentrale Vorschrift für die Anordnung von Untersuchungshaft ist Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. Auf den ersten Blick sind drei Umstände ersichtlich, durch welche sich die Rechtslage am IStGH von derjenigen der Ad-hoc-Tribunale unterscheidet. Zum einen ist mit der Existenz von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. überhaupt eine Norm vorhanden, welche den Erlass eines Haftbefehls und die darauf folgende Verbringung in Untersuchungshaft an bestimmte Erfordernisse knüpft. Zum anderen sind Haftbefehl und Anklage separat zu betrachten und nicht in offensichtlicher Abhängigkeit der Voraussetzungen miteinander verbunden. Letztendlich bedingt es dieser Umstand, dass der Festgenommene noch kein Angeklagter ist, sondern den Status eines Beschuldigten innehat. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt,332 sieht Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. neben dem Tatverdacht in Gestalt der „reasonable grounds to believe“ in lit. b) vor, dass die Festnahme der Person notwendig erscheinen muss. Diese Notwendigkeit wird durch die Auflistung von drei Haftgründen konkretisiert, die alternativ – allerdings in Kumulation zum Tatverdacht – vorliegen müssen. (1) Die „reasonable grounds to believe“ als Ausprägung des Tatverdachts Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. sieht vor, dass die Vorverfahrenskammer einen Haftbefehl erlässt, sofern ihrer Ansicht nach „reasonable grounds to believe“ dafür vorliegen, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unter­ liegendes Verbrechen begangen hat. Die Untersuchung dieser Frage erfolgt dabei in zwei Schritten:333 Erstens müssen „reasonable grounds“ dafür gegeben sein, dass überhaupt Völkerrechtsverbrechen im Sinne von Art. 5 ­IStGH-St. begangen wurden; zum Zweiten müssen „reasonable grounds“ dahingehend vorliegen, dass der Beschuldigte für diese Verbrechen strafrechtlich verantwortlich ist.

332 333

s. oben, B. III. 2. a) bb). Dazu Burkhardt/Geneuss, in: ZIS 2009, 126, 129.

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Wie schon bei der Frage nach dem Maßstab eines „prima facie case“ bleibt auch hier zu klären, welchen Standard die „reasonable grounds“ vorsehen.334 Über Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. hinaus enthält insbesondere die Verfahrensund Beweisordnung des IStGH im Gegensatz zu derjenigen der Ad-hoc-Tribunale keine Konkretisierungen. Wenngleich auch die amtliche deutsche Übersetzung auf den Terminus des „begründeten Verdachts“ rekurriert, so gilt dasselbe wie für die deutsche Übersetzung des ­JStGH-St.: sie entfaltet aufgrund mangelnder Verbindlichkeit keine rechtliche Wirkung und kann demnach bei der Auslegung der „reasonable grounds“ nicht zugrunde gelegt werden. Im Folgenden gilt es sodann, zwei Umstände in die weitere Untersuchung mit einzubeziehen. Zum einen finden sich, anders als im Regelwerk der Ad-hoc-Tribunale, neben den „reasonable grounds“ noch weitere Verdachtsgrade im Rom-­ Statut, die sich bei der Auslegung des Standards der „reasonable grounds“ als hilfreich erweisen können. Zunächst spricht Art. 55 Abs. 2 I­ StGH-St. von „grounds to believe“.335 Eine weitere Ebene stellt Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. mit den hier in Frage stehenden „reasonable grounds to believe“ dar. Einen strengeren Standard sieht hingegen Art. 61 Abs. 7 I­ StGH-St. vor, welcher „substantial grounds to believe“ vorsieht, sofern es um die Frage der Bestätigung der Anklage geht. Für eine Verurteilung normiert Art. 66 Abs. 3 I­StGH-St. den Maßstab der Überzeugung „beyond reasonable doubt“. Betrachtet man diese vier Vorschriften und den jeweils in ihnen zum Ausdruck kommenden Maßstab, so wird ein Modell aus vier verschiedenen Stufen erkennbar. Die „grounds to believe“ sind kennzeichnend für die Eigenschaft einer Person als Beschuldigter und stellen den niedrigsten der normierten Verdachtsgrade dar. Im Gegensatz zu den bloßen „grounds to believe“ sieht die Normierung von „reasonable grounds to believe“ allein schon dem Wortlaut nach einen strengeren Maßstab vor. Für die Bestätigung der Anklage müssen hingegen bereits „substantial grounds to believe“336 gegeben sein, welche ihrerseits einen höheren Standard vorsehen als die „reasonable grounds“, zugleich aber einen niedrigeren Standard postulieren als Art. 66 Abs. 3 ­IStGH-St.337 334

Zu den Formulierungsvorschlägen und Überlegungen bei der Festlegung dieses Maßstabes bei den vorbereitenden Arbeiten im Vorfeld der Konferenz in Rom s. Shaw, in: J. Armed Conflict L. 3 (1998), 65, 73 f. 335 Art. 55 ­IStGH-St. richtet sich der Überschrift zufolge an „persons during an investigation“. Im vorigen Kapitel wurde allerdings aufgezeigt, dass die einheitliche Bezeichnung als „Beschuldigter“ in diesem Rahmen vorzugswürdig erscheint, s. B. II. 2. d). 336 Die Vorverfahrenskammern am IStGH definieren die „substantial grounds to believe“ folgendermaßen: „…it [the Prosecution] must offer concrete and tangible proof demonstrating a clear line of reasoning underpinning its specific allegations“. Dazu Lubanga (ICC01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, Rn. 39; Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the Confirmation of Charges, 30. September 2008, Rn. 65. 337 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision Pursuant to Article 61 (7) (a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15. Juni 2009, Rn. 28. Dazu auch Bohlander, S. 455 f., und Sadat, S. 231 Fn. 28. ­Fletcher, S. 16, bedient sich hier der anschaulichen Analogie zu einem Football-Feld, indem

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Doch nicht nur vom Wortlaut her ist der Standard „beyond reasonable doubt“ der Höchstmögliche. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist eindeutig, dass für eine Verurteilung kein vernünftiger Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen darf und dass dieser Maßstab dem höchsten Standard genügen muss.338 Eine vergleichende Betrachtung dieser verschiedenen Stufen ergibt, dass die „reasonable grounds to believe“ keinen allzu hohen Standard etablieren. Aufschluss über die inhaltliche Ausgestaltung der „reasonable grounds“ kann aus der eben erfolgten Einordnung nur in begrenztem Umfang gezogen werden. Primär ist zu berücksichtigen, dass das differenzierte System des I­StGH-St. eine solche grundsätzliche Einordnung überhaupt erst ermöglicht. Der zweite Umstand, auf den in diesem Zusammenhang verwiesen werden soll, ist der unterschiedliche Kontext, in welchem die „reasonable grounds“ am IStGH und der „prima facie case“ an den Tribunalen bedeutsam werden und analysiert werden sollen. An den Tribunalen ist der Erlass eines Haftbefehls lediglich dadurch bedingt, dass die Anklage bestätigt wird. Im Gegensatz hierzu sieht das Römische Statut eine Trennung vor zwischen dem Erlass eines Haftbefehls sowie der darauf folgenden Untersuchungshaft und der Bestätigung der Anklage. Letztere erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt als an den Tribunalen. Der Unterschied im Rahmen des Verfahrensablaufs ist ebenfalls als zusätzlicher Faktor bei der Bestimmung des Standards der „reasonable grounds“ zu berücksichtigen. Diesen Umstand hat auch Richterin Ušacka in einem Sondervotum im Verfahren gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Al Bashir betont und, unter Verweis auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Verfahrens, die Anwendbarkeit des für die Tribunale geltenden Maßstabes auf den IStGH abgelehnt.339 Festzuhalten bleibt zunächst, dass der Standard eines „prima facie case“ nicht ohne Weiteres auf die Vorgaben des ­IStGH-St. übertragen werden kann. Dies gilt auch insofern, als teilweise ein direkter Vergleich zwischen dem „prima facie case“ und den „reasonable grounds“ angestrebt wird, wobei letztere einen niedrigeren Maßstab vorgeben sollen.340 Auch, wenn die in Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. gewählte Formulierung dieselbe ist, wie sie Regel 47 (B) J­ StGH-VBO er die verschiedenen Verdachtsgrade unterschiedlichen Yard-Linien zuordnet. Die Einordnung der „reasonable grounds“ bei der 15-Yard-Linie scheint gleichwohl zu niedrig angesetzt zu sein. 338 In Bezug auf diesen Maßstab ist auf § 261 StPO zu verweisen, wobei es für den Begriff der „Überzeugung“ auf die „persönliche Gewissheit des Richters“ ankomme, s. Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 261 Rn. 2. Der Richter muss im konkreten Fall von der Wahrheit zweifelsfrei überzeugt sein. 339 Al Bashir (ICC-02/05-01/09), Pre-Trial Chamber, Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 04. März 2009, Separate and Partly Dissenting Opinion of Judge Anita Ušacka, Rn. 10. 340 So Fourmy, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1219 f. Anders Miraglia, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 489, 498.

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enthält, ist zum einen der Kontext der jeweiligen Vorschriften ein anderer und zum anderen wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Bedeutung des Wortlautes von Regel 47 (B) ­JStGH-VBO für die Auslegung des „prima facie case“ nicht eindeutig bestimmbar ist.341 Eine exakte Definition der „reasonable grounds“ findet sich in der bisher vorhandenen Rechtsprechung nicht. In Abgrenzung zu den „substantial grounds“ in Art. 61 Abs. 7 ­IStGH-St., welche einen recht strengen Maßstab setzen, müssen die „reasonable grounds“ dahinter zurückbleiben. Die Berufungskammer im Verfahren gegen Al Bashir hat diesbezüglich ausdrücklich betont, dass die „reasonable grounds“ keinen Beweisstandard erfordern dürften, der demjenigen für die Bestätigung der Anklage oder gar einer Verurteilung gleichstehe.342 Der durch die Vorverfahrenskammer erfolgten Gleichsetzung der „reasonable grounds“ mit dem Erfordernis der „reasonable suspicion“ in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK in Gestalt seiner Auslegung durch den EGMR hat sich die Berufungskammer angeschlossen.343 In dieser vorbereitenden Phase des Verfahrens müsse keine Eindeutigkeit dahingehend bestehen, dass die Person das Verbrechen tatsächlich begangen habe. Folglich ist davon auszugehen, dass die Kammern am IStGH die „­reasonable grounds“ als hinreichende Verdachtsgründe, vergleichbar zur Auslegung der Terminologie der EMRK, verstehen. Eine solche Sichtweise wird gestützt durch die rein systematische Stellung der „reasonable grounds“ zwischen den bloßen „grounds to believe“, welche als anfänglicher und recht schwach ausgeprägter Verdachtsgrad verstanden werden, und den „substantial grounds“, welche unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabes über den bloß hinreichenden Tat­verdacht hinauszugehen scheinen.344 Die für das Verfahren gegen Al Bashir zuständige Vorverfahrenskammer hat zwar in ihrer Entscheidung über den Haftbefehl darauf hingewiesen, dass das durch den Ankläger vorgelegte Beweis­material nur eine eindeutige Schlussfolgerung zulasten des Beschuldigten zulassen dürfe,

341

s. dazu oben, B. III. 2. b) aa) (1). Al Bashir (ICC-02/05-01/09), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Pro­ secutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir“, 03. Februar 2010, Rn. 30. 343 Al Bashir (Fn. 342), Rn. 31. Dazu auch Schabas, in: J. Int’l Crim. Just. 9 (2011), 609, 626 f. 344 Aufgrund der Ausführungen der verschiedenen Vorverfahrenskammern in Bezug hierauf ist die Annahme gerechtfertigt, dass die bloße Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte das Verbrechen begangen hat und aufgrund dessen verurteilt werden wird, nicht ausreichend ist. Die Vorverfahrenskammer im Lubanga-Verfahren rekurrierte auf den EGMR und dessen Auslegung von „substantial grounds“ im Sinne von „strong grounds for believing“, vgl. Lubanga (Fn. 336), Rn. 38. „[S]ufficiently compelling charges going beyond mere theory or suspicion“ seien Voraussetzung für die Bestätigung der Anklage (Rn. 37). Diese Anforderungen führen dazu, dass der hinreichende Verdacht dem Erfordernis der „substantial grounds“ nicht zu entsprechen vermag und aus diesem Grund für die Bestätigung der Anklage ein stärkerer Tatverdacht vorliegen muss. Dazu auch Miraglia, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 489, 494 ff. 342

III. Die Untersuchungshaft

237

um den Standard der „reasonable grounds“ zu erfüllen.345 Die Entscheidung wurde allerdings von der Berufungskammer insoweit aufgehoben, als dieser Maßstab über das Erfordernis der „reasonable grounds“ hinausgehe. Sofern gefordert würde, dass das Beweismaterial lediglich eine eindeutige Schlussfolgerung zulasse, würde man sich nicht mehr auf der Ebene des Standards der „reasonable grounds“ bewegen, sondern auf der höchsten Ebene in Gestalt der Überzeugung „beyond reasonable doubt“. Dies könne Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. nicht intendieren.346 Ferner ist fraglich, ob es der Anklagebehörde in diesem Stadium des Verfahrens überhaupt möglich wäre, solch hohe Anforderungen zu erfüllen.347 Zudem hat die Vorverfahrenskammer im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo Chui darauf verwiesen, dass es im Vorfeld des Hauptverfahrens kein „mini-trial“ oder ein „Verfahren vor dem Verfahren“ geben dürfe.348 Auch diese Ausführungen lassen den Schluss zu, dass die „reasonable grounds“ als hinreichende Verdachtsgründe, vergleichbar mit Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK, zu verstehen sind. Die Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls darf nicht als vorverlagerte Hauptverhandlung zweckentfremdet werden. Es müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betreffende Person eine Straftat begangen haben könnte. Zwar ist auch in diesem Zusammenhang eine gewisse Überzeugung im Sinne der Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung zu erwarten. Für Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. und den Erlass eines Haftbefehls muss diese Überzeugung allerdings noch nicht derart ausgeprägt sein, dass auch die Durchführung eines Verfahrens im Sinne von Art. 61 ­IStGH-St. als gesichert angesehen werden kann. Anderenfalls wäre die Anhörung zur Bestätigung der Anklage überflüssig.

345 Al Bashir (Fn. 339), Rn. 158 f.; dazu auch Burkhardt/Geneuss, in: ZIS 2009, 126, 137. Kritisch Ssenyonjo, in: Int’l & Comp. L. Q. 59 (2010), 205, 221. 346 Dazu Al Bashir (Fn. 342), Rn. 33. Richterin Ušacka ist mit dieser Begründung bereits von der Entscheidung der Vorverfahrenskammer abgewichen, s. Al Bashir (Fn.339), Separate and Partly Dissenting Opinion of Judge Anita Ušacka, Rn. 9. Auch andere Vorverfahrenskammern haben nicht darauf abgestellt, dass das Kriterium der „reasonable grounds“ nur dann erfüllt sein soll, sofern eine eindeutige Schlussfolgerung auf die Begehung der Tat durch den Beschuldigten möglich ist, s. nur Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), PreTrial Chamber, Decision on the Evidence and Information Provided by the Prosecution for the Issuance of a Warrant of Arrest for Germain Katanga, 06. Juli 2007, Rn. 57. 347 Al Bashir (ICC-02/05-01/09), Prosecution Document in Support of Appeal against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir“, 06. Juli 2009, Rn. 46. 348 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 336), Rn. 64. In dem zugrunde liegenden Dokument ging es zwar um den Verdachtsgrad in Art. 61 Abs. 7 I­StGH-St. und den Sinn und Zweck einer Anhörung zur Bestätigung der Anklage. Da Art. 61 Abs. 7 I­StGH-St. mit den „substantial grounds“ aber einen höheren Standard vorsieht als Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St., ist diese Argumentation erst recht auf die „reasonable grounds“ übertragbar. Demnach darf der Standard für den jeweiligen Verdachtsgrad nicht so hoch angesetzt werden, dass im Vorfeld des Hauptverfahrens bereits von einem „Verfahren“ im strengen Sinne gesprochen werden kann. s. auch Miraglia, in: J. Int’l Crim. Just. 6 (2008), 489, 496 f.; Ssenyonjo, in: Int’l & Comp. L. Q. 59 (2010), 205, 221.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Letztendlich kann für den Standard der „reasonable grounds“ in Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. konstatiert werden, dass dieser demjenigen des „hinreichenden Verdachts“ nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK entspricht.349 Diese Schlussfolgerung stellt auch die verbleibende Möglichkeit dar, sofern man die verschiedenen Verdachtsgrade einer näheren Betrachtung unterzieht. Der Rekurs, den die Kammern auf die Rechtsprechung des EGMR nehmen, und die Erkenntnis, dass keine endgültige Eindeutigkeit in Bezug auf die Frage der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten vorliegen kann und muss, sprechen für eine Einordnung der „reasonable grounds“ als hinreichenden Tatverdacht im vorgenannten Sinne. (2) Die Notwendigkeit der Festnahme als Maßstab („appears necessary“) Neben dem Erfordernis des hinreichenden Tatverdachts sieht Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. bestimmte Haftgründe vor, die zusätzlich gegeben sein müssen. Die Aufzählung der Haftgründe wird durch den Statutstext mit den Worten eingeleitet, dass die Verhaftung der Person für den Erlass eines Haftbefehls notwendig erscheinen muss („appears necessary“). Die Notwendigkeit der Festnahme ist die zweite Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls neben dem Erfordernis des Tatverdachts. Sie ergibt sich aus dem Vorliegen der nachfolgend aufgeführten Haftgründe und ist hierdurch bedingt. Dabei ist das Vorliegen eines Haftgrundes bereits ausreichend. Das Merkmal „necessary“ signalisiert als Ausprägung des Verhältnismäßigkeits­ prinzips eine abschließende Aufzählung der Haftgründe. Liegt im Umkehrschluss keiner der drei genannten Haftgründe vor, ist die Festnahme nicht notwendig und somit auch nicht rechtmäßig. Dies bedeutet zugleich eine Festlegung der Zwecke der Untersuchungshaft auf die Verhinderung einer möglichen Flucht, Verdunkelung oder Wiederholung von Verbrechen durch den Beschuldigten. Weitaus schwieriger ist das Wort „appears“ in diesem Zusammenhang zu verstehen. In den Reglementierungen lässt sich kein Hinweis darauf finden, wann die Festnahme notwendig erscheint. Ein dahingehender Maßstab ist nicht formuliert. Auch in den bisher ergangenen Entscheidungen über den Erlass von Haftbefehlen 349 Legt man ein solches Verständnis zugrunde, bedeutet dies zugleich, dass die „reasonable grounds“ einen anderen Maßstab postulieren als der „prima facie case“ an den Ad-hoc-Tribunalen. Während letzterer für die Erhebung der Anklage entscheidend ist und daher eher dem hinreichenden Tatverdacht im Sinne der StPO entspricht, sehen sowohl Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St., als auch Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK einen schwächeren Verdachtsgrad vor. Diese Feststellung gilt ungeachtet der begrifflichen Einheitlichkeit der deutschen Übersetzungen hinsichtlich der Verdachtsgrade, die von einem „hinreichenden“ bzw. „begründeten“ Verdacht ausgehen. Bei der Auslegung der Begrifflichkeiten ist der jeweilige Kontext der Norm mit zu berücksichtigen. Der Versuch einer starren Gleichsetzung der Verdachtsgrade unterschiedlicher Statutstexte ist nicht möglich und wäre vorliegend auch inhaltlich falsch.

III. Die Untersuchungshaft

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finden sich keine Angaben hierzu.350 Lediglich in einigen Entscheidungen betreffend die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. lassen sich Hinweise darauf finden, wie das Wort „erscheinen“ zu verstehen sein soll. Da Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. auf die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. verweist, lassen sich diese Feststellungen auf die Ebene der Anordnung von Untersuchungshaft übertragen. Demnach wird der Standard auf die bloße Möglichkeit bezogen, dass die Gefahr der Verwirklichung eines Haftgrundes besteht. Es geht, in den Worten der Kammern, um die Möglichkeit, und nicht um die Zwangsläufigkeit, eines zukünftigen Ereignisses.351 Notwendigerweise sind die Haftgründe im Rahmen einer Prognose zu beurteilen. Wie noch zu zeigen sein wird, lassen die Richter für die Annahme von Haftgründen teils Beweise mit nur geringem Beweiswert ausreichen.352 Nebenbei bemerkt, gilt dies für den umgekehrten Fall nicht.353 Im Rahmen der Beurteilung, ob die Verwirklichung eines Haftgrundes möglich ist, müsse es ferner nicht auf einen isolierten Faktor ankommen. Diese könne auf Grundlage aller relevanten Umstände getroffen werden.354 Letztendlich bleibt festzuhalten, dass der durch die Formulierung „appears n­ ecessary“ festgelegte und schließlich praktizierte Standard denkbar niedrig ist. Statt der im Maßstab höher anzusiedelnden „Wahrscheinlichkeit“ wurde hier der Standard einer bloßen „Möglichkeit“ etabliert. Der erhofften inhaltlichen Aus­ gestaltung durch das Gericht355 ist bislang nur unzureichend entsprochen worden.

350 Vgl. statt aller Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision Concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Thomas Lubanga Dyilo, 24. Februar 2006, Rn. 97 ff. 351 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Appeals Chamber, Judgment in the Appeal of Mathieu Ngudjolo Chui of 27 March 2008 against the Decision of Pre-Trial Chamber I on the Application of the Appellant for Interim Release, 09. Juni 2008, Rn. 21 („The question revolves around the possibility, not the inevitability, of a future occurrence.“). 352 Dies gilt insbesondere für die Frage der Aufrechterhaltung, s. unten B. III. 2. c) bb) (2) (c) (bb). 353 Gemeint ist an dieser Stelle das Vorbringen des Beschuldigten, dass er sich freiwillig gestellt hätte, wäre ihm die Gelegenheit hierzu gegeben worden. Die Einbeziehung dieses Argumentes in die Prognose wird mit dem Hinweis auf den Mangel an konkreten Beweisen als rein hypothetisch abgelehnt, s. Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo against the Decision of Pre-Trial Chamber III entitled „Decision on Application for Interim Release“, 16. Dezember 2008, Rn. 56. 354 Bemba (Fn. 353), Rn. 55. 355 Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 8 mit Fn. 31, wobei hier hauptsächlich das Merkmal „­necessary“ problematisiert wird.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

(3) Die Haftgründe des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. Im Rahmen der Haftgründe sind die Fluchtgefahr, die Verdunkelungsgefahr sowie die Wiederholungsgefahr zu unterscheiden.356 Dem Statutstext zufolge sind dies diejenigen Gründe, die eine Verhaftung notwendig erscheinen lassen. Während der Tatverdacht in Kumulation zu Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. vorliegen muss („and“), ist innerhalb der Ebene der Haftgründe die Alternativität aus­ reichend („or“). (a) Die Fluchtgefahr Die Fluchtgefahr ist in Art. 58 Abs. 1 lit. b) (i) ­IStGH-St. geregelt. Dem Wortlaut zufolge soll mit der Anordnung von Untersuchungshaft sichergestellt werden, dass die Person vor Gericht erscheint. Umgekehrt darf mit dieser Begründung lediglich dann die Festnahme, Überstellung und darauf folgende Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn anderenfalls die Gefahr der Flucht bestünde. Bei dieser Beurteilung handelt es sich, wie auch für die Ad-hoc-Tribunale gesehen, um eine prognoseartige Einschätzung des bestehenden Risikos. In der bisherigen Praxis können verschiedene Kriterien identifiziert werden, welche der Beurteilung und letztendlich auch der Begründung des Fluchtrisikos zugrunde gelegt werden. Diesen Kriterien zugehörig sind zunächst die internationalen Kontakte sowie die persönlichen Verhältnisse der betreffenden Person.357 Darüber hinaus ist, unter Rekurs auf die gesellschaftliche und politische Stellung, auch darauf abgestellt worden, welches Ausmaß an Möglichkeiten zur Einflussnahme – sei es poli­tischer oder militärischer Art – dem Betreffenden zukommt.358 Im Verfahren gegen Al Bashir betonte die zuständige Vorverfahrenskammer insbesondere, dass sich die Regierung des Sudan, mit Präsident Al Bashir an der Spitze, bisher geweigert habe, mit dem IStGH zu kooperieren und diesen als Institution vollständig ablehne. Unter diesen Umständen sei zu erwarten, dass der Erlass eines Haft­ 356

Im Gegensatz zu den Reglementierungen an den Ad Hoc-Tribunalen sind in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. die Haftgründe „positiv“ normiert. Sofern sie vorliegen, kann der Beschuldigte über den Haftbefehl in Untersuchungshaft verbracht werden. An den Tribunalen hingegen sieht Regel 65 (B) ­JStGH-VBO die Voraussetzungen einer Entlassung vor, so dass die dort niedergelegten Gründe eher als „negative“ Voraussetzungen der Untersuchungshaft und damit als Entlassungsgründe zu begreifen sind. 357 Bemba (ICC-01/05-01/08), Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, 09. Mai 2008, Rn. 123 („Taking into consideration […] his international contacts and his financial as well as professional background …“) und dieser Begründung folgend die Vorverfahrenskammer in der „Décision relative à la Requête du Procureur aux fins de deliverance d’un mandate d’arrêt à l’encontre de Jean-Pierre Bemba Gombo“, 10. Juni 2008, Rn. 87. 358 Bemba (Fn. 357), 10. Juni 2008, Rn. 89; Mbarushimana (ICC-01/04-01/10), Pre-Trial Chamber, Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Callixte Mbarushimana, 11. Oktober 2010, Rn. 47.

III. Die Untersuchungshaft

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befehls nach Art. 58 Abs. 1 lit. b) (i) I­ StGH-St. notwendig sei, um die Anwesenheit von Al Bashir vor Gericht sicherzustellen.359 Sofern die betreffende Person bereits in dem jeweiligen Staat inhaftiert ist, waren die Kammern der Ansicht, dass ihn bereits dieser Freiheitsentzug daran hindere, freiwillig vor dem IStGH zu erscheinen. Schon aus diesem Grund sei seine Verhaftung für die Anwesenheit vor Gericht notwendig.360 Diese letzte Begründung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass den Betreffenden die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr freiwilliges Erscheinen vor dem Gerichtshof zu erklären, sofern die Absichten des Anklägers im Hinblick auf sein Vorhaben (d. h. den Erlass eines Haftbefehls) öffentlich bekannt gemacht werden.361 In einem solchen Fall würde eine Ladung nach Art. 58 Abs. 7 ­IStGH-St. zum Erscheinen vor Gericht ausreichen.362 Im Verfahren gegen ­Mbarushimana hat die Vorverfahrenskammer eine Fluchtgefahr ferner damit begründet, dass der Beschuldigte Inhaber einer französischen Aufenthaltsgenehmigung sei und somit im Schengen-Raum ungehindert reisen könne.363 Die Ausführungen der Kammern im Hinblick auf die Fluchtgefahr erscheinen minimal. Größeres Gewicht scheint auf deren Beurteilung im Rahmen der Frage nach der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gelegt zu werden. Zunächst aber kommt es hauptsächlich darauf an, den Betreffenden festzunehmen und an den Gerichtshof überstellen zu lassen. Je nachdem, ob von den Umständen des Falles davon auszugehen ist, dass eine Ladung nicht ausreicht, ist Fluchtgefahr typischerweise anzunehmen und der Haftbefehl dementsprechend zu legitimieren. (b) Die Verdunkelungsgefahr Als weiterer Haftgrund ist in Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) I­StGH-St. die Verdunkelungsgefahr normiert. Dem Statutstext zufolge kann die Festnahme der Person notwendig erscheinen, „um sicherzustellen, dass sie die Ermittlungen oder das Gerichtsverfahren nicht behindert oder gefährdet“364. Es soll demnach gerade verhindert werden, dass der Beschuldigte Beweismaterial zerstört, Zeugen oder Opfer einschüchtert oder mit Komplizen zusammenwirkt (Kollusion) und hier 359

Al Bashir (Fn. 339), Rn. 228 ff. Harun & Kushayb (ICC-02/05-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the Prosecution Application under Article 58 (7) of the Statute, 27. April 2007, Rn. 133; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 346), Rn. 62. 361 Situation in Darfur, Sudan (ICC-02/05), Pre-Trial Chamber, Summary of the Prosecutor’s Application under Article 58, 20. November 2008, Rn. 10. 362 Eine Ladung nach Art. 58 Abs. 7 ­IStGH-St. wurde als ausreichend erachtet in den Fällen Abu Garda (ICC-02/05-02/09) sowie Banda & Jerbo (ICC-02/05-03/09). 363 Mbarushimana (Fn. 358), Rn. 47. Diese Argumentation ist vor allem vor dem Hintergrund der Einrichtung des Schengener Informationssystems (SIS) bedenklich und verwunderlich, mittels dessen die Durchführung bestimmter Maßnahmen, wie beispielsweise einer Fahndung, übergreifend im Schengen-Raum durchgeführt werden kann. 364 So die deutsche Übersetzung des ­IStGH-St. 360

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

durch die Durchführung der Ermittlungen, aber auch des gesamten Verfahrens, gefährdet. Ein eindeutiges Indiz, welches auf Verdunkelungsgefahr hinweist, ist gegeben, sofern der Beschuldigte bereits im Vorfeld des Haftbefehlserlasses und während der Ermittlungen Unterlagen über seine Tätigkeit hat verschwinden lassen und Druck auf Zeugen ausgeübt wurde.365 Allein die bloße Möglichkeit zu solchen Handlungen wird aber bereits unter Umständen zur Begründung der Verdunkelungsgefahr als genügend angesehen.366 Auch im Hinblick auf Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) ­IStGH-St. sind die Machtstellung der Person und deren Einflussmöglichkeiten bedeutsam.367 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Opfer oftmals mittellos und über ihren Aufenthaltsort leicht aufzufinden sind.368 Ferner ist für den bereits in einer staatlichen Haftanstalt Inhaftierten zu erwägen, ob eine Kontaktaufnahme in die „Außenwelt“ ohne weiteres möglich ist. Dies würde den Betreffenden in die Lage versetzen, Anweisungen an Komplizen weitergeben und hierdurch das Verfahren vor dem IStGH gefährden zu können.369 Der Haft­befehl, ausgestellt zu dem Zweck der Überstellung an den IStGH, führt in der Konsequenz zu einer Unterbindung solch kollusiven Verhaltens. Insgesamt nimmt auch die Verdunkelungsgefahr aufgrund der großen praktischen Relevanz neben der Fluchtgefahr einen bedeutsamen Stellenwert ein. (c) Die Gefahr der Wiederholung von Verbrechen Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) ­IStGH-St. sieht die Gefahr der Wiederholung von Verbrechen als dritten Haftgrund vor. Hiernach muss die Festnahme der Person notwendig erscheinen, „um sie gegebenenfalls an der weiteren Begehung dieses Verbrechens oder eines damit zusammenhängenden, der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens zu hindern, das sich aus den gleichen Umständen ergibt“370. Diese Vorschrift beinhaltet demzufolge zwei Varianten. Zum einen soll verhindert werden, dass die Person die Begehung des ihr zur Last zu legenden Verbrechens fortsetzt („continuing with the commission of that crime“, Hervorh. d. Verf.) und hierdurch noch weiteren Schaden herbeiführt. Zum anderen soll die Begehung weiterer Verbrechen verhindert werden, welche ebenfalls der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegen („or a related crime which is within the jurisdiction of the Court“). Die weiteren Verbrechen müssen allerdings aus denselben Umständen erwachsen wie dasjenige Verbrechen, welches 365

Harun & Kushayb (Fn. 360), Rn. 129 f.; Bemba (Fn. 357), 10. Juni 2008, Rn. 89. Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 346), Rn. 63; Al Bashir (Fn.339), Rn. 233. 367 Harun & Kushayb (Fn. 360), Rn. 128; Mbarushimana (Fn. 358), Rn. 48. 368 Bemba (Fn. 357), 10. Juni 2008, Rn. 88. 369 Harun & Kushayb (Fn. 360), Rn. 132; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 346), Rn. 63. 370 So die deutsche Übersetzung des ­IStGH-St. 366

III. Die Untersuchungshaft

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Anlass zu Überlegungen hinsichtlich des Erlasses eines Haftbefehls gegeben hat („arising of the same circumstances“). Dieses zusammenhängende Verbrechen müsste demnach demselben historischen Kontext entspringen.371 Aus den diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen lässt sich ersehen, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei der Anordnung von Untersuchungshaft von eher untergeordneter Bedeutung ist. Bis dato ist lediglich in den Entscheidungen über den Erlass des Haftbefehls gegen Al Bashir und Mbarushimana der Haftgrund des Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) ­IStGH-St. mitunter als Begründung herangezogen worden.372 In letzterer wurde die Wiederholungsgefahr mit der mutmaßlichen Führungsrolle des Beschuldigten und der Möglichkeit zur Organisation einer internationalen Kampagne und damit der erforderliche Beitrag zur Begehung weiterer Verbrechen begründet. bb) Die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft Im Anschluss an den Erlass eines Haftbefehls, die Festnahme und die Über­ stellung des Beschuldigten an den Gerichtshof ist für den weiteren Fortgang des Verfahrens die Frage der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft maßgeblich. Dieser Abschnitt stellt den in der Praxis bedeutsamsten Komplex dar. (1) Rechtliche Grundlagen der Prüfung und Entscheidung über eine Aufrechterhaltung Im Rahmen der Rechtsgrundlagen ist Art. 60 ­IStGH-St. von zentraler Bedeutung. Diese Vorschrift beinhaltet die Regelung über die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Dabei ist folgende Zweiteilung vorzunehmen: Während Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft nach dem erstmaligen Entlassungsantrag des Betreffenden regelt, bezieht sich Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. auf die später erfolgenden Haft­ prüfungsentscheidungen. Ein Antrag auf vorläufige Entlassung kann im Rahmen der erstmaligen richterlichen Vorführung mündlich gestellt werden. Auf diesen Zeitpunkt folgende Anträge sind in schriftlicher Form zu stellen, Regel 118 Abs. 3 IStGH-VBO. Ergeht ein solcher Antrag nach dem erstmaligen Erscheinen vor Gericht, sieht Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. als Parameter für die Prüfung vor, dass sich die Vorverfahrenskammer vom Vorliegen der in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. normierten Voraus­ setzungen zu überzeugen hat. Es gelten also weiterhin diejenigen Erfordernisse,

371 372

Hall, in: Triffterer, Art. 58 Rn. 15. Al Bashir (Fn.339), Rn. 235 f.; Mbarushimana (Fn. 358), Rn. 49.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

die bereits für den Erlass eines Haftbefehls vorliegen müssen. Lediglich die Perspektive sowie die zeitliche Komponente in Art 60 Abs. 2 I­ StGH-St. unterscheiden diese Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von derjenigen über die Anordnung. Abhängig vom Ergebnis der Beurteilung regelt Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. als Rechtsfolge die weitere Inhaftierung oder eine vorläufige Entlassung, mit oder ohne Auflagen. Der Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. wird hingegen erst ausgelöst bzw. eröffnet, sofern die Vorverfahrenskammer über den ersten Antrag der Verteidigung auf vorläufige Entlassung entschieden hat.373 Die Entscheidung des Gerichts nach Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. ist Gegenstand einer zukünftigen Haft­ prüfung nach Abs. 3 („review its ruling on the release or detention“), so dass die Anwendung letzterer Vorschrift davon abhängig ist, dass eine erste Haftentscheidung ergeht.374 Für den Fall, dass die Vorverfahrenskammer bei einer solchen Überprüfung der fortdauernden Untersuchungshaft veränderte Umstände („­changed circumstances“)375 feststellt, kann sie ihre bisherige Entscheidung ändern und eben diesen veränderten Umständen anpassen. Sinn und Zweck dieser Vorschriften ist in der Folge, sicherzustellen, dass sich eine Person lediglich dann in Untersuchungshaft befindet, sofern (1) die in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. normierten Voraussetzungen vorliegen, und dass dies (2) nur für den Zeitraum gilt, in welchem diese Erfordernisse auch tatsächlich gegeben sind.376 (2) Die Haftvoraussetzungen im Einzelnen Im Anschluss an diesen kurzen Blick auf die rechtlichen Grundlagen gilt es nun, die einzelnen Voraussetzungen zu untersuchen, welche das Statut für eine 373 Die Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls ist nicht als eine solche Entscheidung („ruling“) zu klassifizieren. Dazu Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision of Pre-Trial Chamber I entitled „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas L ­ ubanga Dyilo“, 13. Februar 2007, Rn. 95 ff. 374 So ist beispielsweise im Verfahren gegen Thomas Lubanga die erste Haftentscheidung recht spät ergangen. Ein Antrag der Verteidigung vom 23. Mai 2006 konnte nicht als ein solcher auf vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft erachtet werden, so dass auf einen erneuten Antrag vom 20. September 2006 hin die erste Entscheidung der Vorverfahrenskammer am 18. Oktober 2006 erging. Hingegen dauerte es im Verfahren gegen Ngudjolo Chui knapp eineinhalb Monate von der erstmaligen richterlichen Vorführung (11. Februar 2008) bis zu einem Antrag der Verteidigung (13. Februar 2008) und dementsprechend der ersten Haftentscheidung der Kammer am 27. März 2008. 375 Zu näheren Ausführungen bezüglich der Bedeutung „veränderter Umstände“ s. B. IV. 1. c) cc) (3). 376 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the P ­ owers of the Pre-Trial Chamber to Review proprio motu the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 18. März 2008, S. 9.

III. Die Untersuchungshaft

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Fortdauer der Untersuchungshaft vorsieht. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgegangen sein dürfte, sind die in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. normierten Voraussetzungen als grundlegende Parameter zu betrachten. Sie bilden den Maßstab sowohl für die erste Haftentscheidung der Vorverfahrenskammer nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St., als auch für die darauf folgenden Haftprüfungsentscheidungen nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. In letzteren müssen diese Voraussetzungen und die diesbezüglich in Erwägung gezogenen Umstände daraufhin untersucht werden, ob durch eine eventuelle Änderung der Umstände die in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. zugrundegelegten Haftgründe noch als gegeben erachtet werden können, oder ob eine Modifizierung der vorherigen Haftentscheidung zu erwägen ist. (a) Fortdauernder hinreichender Tatverdacht Inhaltlich muss aufgrund der Verweisung zunächst das Erfordernis des hinreichenden Tatverdachts für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ge­geben sein. Diesbezüglich ist zu differenzieren zwischen dem Zeitraum vor der Anhörung zur Bestätigung der Anklage und demjenigen danach. Im Rahmen des „con­ firmation hearing“ ist durch Art. 61 Abs. 7 ­IStGH-St. die Feststellung der „substantial grounds to believe“ durch die zuständige Vorverfahrenskammer vorgesehen. Da dieses Verdachtserfordernis auf einer höheren Stufe anzusiedeln ist, als die „­reasonable grounds to believe“ nach Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St.,377 wird die erste Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft unproblematisch und ohne weitere Begründung seitens der Kammern angenommen.378 Gleichwohl sollte bedacht werden, dass sich die Verdachtsmomente gegen die Person auch noch nach der Bestätigung der Anklage bedingt durch eine veränderte Sachlage ändern können. Aus diesem Grund darf es in der Begründung zur Feststellung des erforderlichen Verdachtsgrades nicht zu einem pauschalen Verweis auf vorhergehende Entscheidungen kommen. Vielmehr muss im Rahmen jeder Entscheidung das Vorliegen des zumindest hinreichenden Verdachts fest­gestellt werden. Doch auch für den Fall, dass die Anklage noch nicht bestätigt, und demnach auch kein dem Standard der „substantial grounds“ entsprechender Tatverdacht gegen den Betreffenden festgestellt wurde, erfolgen in Bezug auf diese Voraussetzung keine ausführlichen Erläuterungen. Vielmehr wird in der ersten Haft­ entscheidung gemäß Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. schlichtweg davon ausgegangen, 377

Zu den verschiedenen Verdachtsgraden s. oben B. III. 2. c) aa) (1). Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Review of the „Decision on the Application for the Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, 14. Februar 2007, S. 6; Katanga/ Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Second Review of the Decision on the Conditions of Detention of Germain Katanga, 12. Dezember 2008, Rn. 9. 378

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dass die Ausführungen im Rahmen der Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls weiterhin Geltung beanspruchen.379 In darauf folgenden Haftprüfungsentscheidungen nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. wird auf eine Auswertung der von den Parteien vorgebrachten Fakten und Beweise verwiesen, und sodann die Fortdauer des hinreichenden Verdachts festgestellt.380 Zumindest aber wird nicht ohne Weiteres die Begründung der Entscheidung über den Erlass des Haftbefehls zugrunde gelegt. (b) Die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung als Maßstab („appears necessary“) Da Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. auf Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. verweist, ist hiervon auch die Notwendigkeit des – in diesem Zusammenhang – weiteren Freiheitsentzuges als zweite grundlegende Voraussetzung der Inhaftierung erfasst. Für den Maßstab, der durch den Wortlaut gewählt wurde, ist aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung auf die dortigen Ausführungen zu verweisen.381 (c) Die Haftgründe im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft (aa) Die Fluchtgefahr Die Fluchtgefahr stellt im Zusammenhang mit der Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft den wohl bedeutendsten Haftgrund dar. Wie an den ­Ad-hoc-Tribunalen haben sich diverse Kriterien etabliert, anhand derer die Möglichkeit einer Flucht der Person beurteilt werden soll. Die Kriterien, die auch bei der Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls bedeutsam sind, decken sich weitgehend mit denjenigen im Rahmen der Frage nach der Fortdauer der Inhaftierung, wobei letztere um einige zusätzliche Aspekte erweitert werden. In einer Entscheidung der Berufungskammer im Verfahren gegen Jean-Pierre Bemba Gombo sind die bedeutsamsten Kriterien einzeln und nacheinander aufgeführt worden.382 An erster Stelle stehen dabei die Schwere der Verbrechen und 379 s. nur Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the Conditions of Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 21. April 2008, S. 6 („… continues to be fulfilled insofar as there are still reasonable grounds to believe …“); Bemba (ICC-01/0501/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 20. August 2008, Rn. 52. 380 So beispielsweise Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 14. April 2009, Rn. 40. 381 s. oben B. III. 2. c) aa) (2). 382 In diesem Urteil lehnte die Berufungskammer die Entscheidung der Einzelrichterin vom 14. August 2009, Bemba vorläufig aus der Haft zu entlassen, ab; vgl. Bemba (ICC-01/05-

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die Dauer der drohenden Haftstrafe. Darüber hinaus wird neben der politischen und beruflichen Einbindung sowie den internationalen Kontakten hauptsächlich auf die finanzielle Situation der Person, die Kooperationsbereitschaft mit dem Gerichtshof, das bisherige Verhalten in der Haftanstalt und auf die familiären Bindungen rekurriert. Die Schwere der Verbrechen und, daraus resultierend, die Höhe der zu erwartenden Strafe ist regelmäßig der erste Aspekt, welcher bei der Beurteilung der Fluchtgefahr Erwähnung findet.383 Je schwerer die Verbrechen, umso schwerwiegender seien auch die Konsequenzen einer Verurteilung, wobei die Möglichkeit einer Flucht proportional zu der zu erwartenden Höhe der Strafe ansteige.384 Das Risiko einer Flucht würde zunächst mit der Verhaftung ansteigen, zumal der Betreffende zu diesem Zeitpunkt erstmalig mit den Vorwürfen und dem Ausmaß der möglichen Haftstrafe konfrontiert werde.385 Im Hinblick auf den Stellenwert der Schwere der Verbrechen bei der Beurteilung der Fluchtwahrscheinlichkeit herrscht, in Übereinstimmung mit der menschenrechtlichen Praxis, Einigkeit dahingehend, dass dieser Umstand nicht isoliert in die Betrachtung mit einbezogen werden darf. Die Schwere der Verbrechen ist vielmehr als ein Faktor unter mehreren zu betrachten und im Rahmen der einzelfallabhängigen Gesamtabwägung sämtlicher Umstände in Ansatz zu bringen.386 Allerdings sei die Relevanz dieses Kriteriums nicht zu unterschätzen.387 Ferner kommt es im weiteren Verlauf des Verfahrens darauf an, ob die Anklage­ punkte bereits im so genannten „confirmation hearing“ durch die Vorverfahrens­ kammer bestätigt wurden. Diesbezüglich wird davon ausgegangen, dass mit der

01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecutor against Pre-Trial Chamber II’s „Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa“, 02. Dezember 2009. Die Entscheidung zur vorläufigen Entlassung Bembas hat erhebliches Aufsehen erregt, war sie doch die erste Entscheidung dieser Art in der zugegebenermaßen relativ kurzen Geschichte des IStGH. 383 s. nur Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Application for Interim Release, 18. Oktober 2006, S. 5 f.; Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), ­Pre-Trial Chamber, Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo Chui, 27. März 2008, S. 7 f. 384 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Appeals Chamber, Judgment in the Appeal by Mathieu Ngudjolo Chui of 27 March against the Decision of Pre-Trial Chamber I on the Application of the Appellant for Interim Release, 09. Juni 2008, Rn. 21. 385 Bemba (Fn. 380), Rn. 47. 386 Lubanga (Fn. 373), Rn. 136; Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa, 14. August 2009, Rn. 59. 387 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Fourth Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 10. Juli 2009, Rn. 12.

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Bestätigung der Anklage eine erhöhte Bereitschaft zur Flucht einhergeht.388 Dies gelte umso mehr bei einem zeitnahen Beginn der Hauptverhandlung,389 und erst recht, sollte die Hauptverhandlung bereits begonnen haben.390 Das Vorhandensein internationaler Kontakte der Person ist ebenfalls in die Erwägungen mit einzubeziehen.391 Dieses Netzwerk könnte dem Betreffenden im Falle einer Flucht ebenso behilflich sein wie seine vorherige gesellschaftliche und politische Stellung und demzufolge seine Einflussmöglichkeiten.392 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beschuldigte bereits versucht hat, dieses Netzwerk an Kontakten zu nutzen. Schließlich enthielte die Beurteilung der Fluchtgefahr notwendigerweise Elemente einer Prognose.393 Das bloße Bestehen eines solchen Netzwerkes ist demnach ausreichend, um als weiterer Faktor in die Beurteilung mit einzufließen. Auch die finanziellen Ressourcen einer Person sind bedeutsam.394 Als weiterer persönlicher Umstand wurden im Verfahren gegen Bemba seine familiären Bindungen – zu seinen Gunsten – berücksichtigt.395 Ferner können auch Auffälligkeiten im Vorfeld der Festnahme des Beschuldigten herangezogen werden. So kann von Bedeutung sein, dass die Person bereits vorher Fluchtversuche unternommen hat,396 oder Planungen im Hinblick auf eine Reise in das Ausland bekannt wurden.397 Dem Einwand des Beschuldigten, er wäre freiwillig vor dem IStGH erschienen, hätte er die Möglichkeit dazu gehabt, wird keine Bedeutung beigemessen.398 Eine solche scheinbar intendierte frei­ willige Überstellung wird als rein hypothetischer Umstand erachtet.

388 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Second Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 19. November 2008, S. 7; Bemba (Fn. 382), Rn. 70. 389 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Fifth Review of the De­ cision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 04. November 2009, Rn. 12; Trial Chamber, Fifth Review of the Pre-Trial Chamber’s Decision Concerning the PreTrial Detention of Germain Katanga, 19. November 2009, Rn. 26. 390 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the „Decision on Applications for Provisional Release“ of 27 June 2011, 16. August 2011, Rn. 55. 391 Lubanga (Fn. 373), Rn. 136; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 383), S. 8. 392 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-­ Pierre Bemba Gombo against the Decision of Pre-Trial Chamber III entitled „Decision on Application for Interim Release“, 16. Dezember 2008, Rn. 55. 393 Lubanga (Fn. 373), Rn. 137. 394 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 16. Dezember 2008, Rn. 36; ebenso Bemba (Fn. 382), Rn. 74. 395 Bemba (Fn. 386), Rn. 68; relativierend hingegen die Berufungskammer in ihrem Urteil vom 02. Dezember 2009 (Fn. 382), Rn. 86. 396 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 383), S. 8. 397 Bemba (Fn. 379), Rn. 58. Konkret ging es in diesem Fall um Reisepläne in die USA, welche nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts sind. Die Argumentation der Vorverfahrenskammer wurde von der Berufungskammer am 16. Dezember 2008 (Fn. 392) bestätigt, Rn. 55. 398 Lubanga (Fn. 373), Rn. 138; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 383), S. 8.

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Grundsätzlich wird zudem die generelle Kooperationsbereitschaft mit dem Gerichtshof in Ansatz gebracht. Dem Inhaftierten ist es zugute zu halten, wenn er sich während der Zeit der Untersuchungshaft ordnungsgemäß verhält.399 Es kann dem Beschuldigten jedoch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er bei bestimmten Anhörungen, betreffend die Bestätigung der Anklage, nicht anwesend ist.400 Zuletzt sind auch bei Entscheidungen über die Fortdauer der Untersuchungshaft am IStGH spezifische Garantien von Relevanz. Dabei müssen die Garantien in der Erwartung der Kammern von einigem Gewicht sein. Dieses Erfordernis wird begründet mit der Schwere der Verbrechen und der zu erwartenden Strafhöhe.401 In der Sache handelt es sich dabei hauptsächlich um Garantien von eventuellen Aufnahmestaaten. Insbesondere die Zusicherung verlässlicher Garantien von Staaten hat sich in der Vergangenheit als problematisch herausgestellt. Sowohl im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo Chui, als auch im Verfahren gegen Bemba ist der Mangel an zuverlässigen Garantien in die Beurteilung der Fluchtgefahr mit eingeflossen.402 Diesem Umstand kommt vor allem vor dem Hintergrund eine gesteigerte Relevanz zu, als die Kammern eine Entlassung in den Heimatstaat ablehnen.403 Aber auch einige europäische Staaten stehen der Aufnahme eines eventuell vorläufig zu entlassenden Beschuldigten ablehnend gegenüber.404 Sofern sich allerdings kein geeigneter Aufnahmestaat findet, ist es überflüssig, eine vorläufige Entlassung überhaupt in Betracht zu ziehen.405 Bedauerlicherweise ist bislang 399

Bemba (Fn. 386), Rn. 64, sowie ders. (Fn. 382), Rn. 80. So die Hauptverfahrenskammer im Verfahren gegen Germain Katanga, in Katanga/ Ngudjolo Chui (Fn. 378), Rn. 11. Die Opfervertreter haben in diesem Verhalten Katangas die mangelnde Bereitschaft des Beschuldigten gesehen, mit dem Gerichtshof zu kooperieren. Die Kammer lehnte diese Argumentation ab. 401 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Fourth Review of the PreTrial Chamber’s Decision Concerning the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 21. Juli 2009, Rn. 17. 402 Dazu Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Third Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 17. März 2009, Rn. 8; Bemba (Fn. 380), Rn. 48 f. Im Verfahren gegen Bemba ist die zuständige Einzelrichterin hingegen vier Monate später zu einem anderen Schluss gekommen (Fn. 386), Rn. 88. 403 Dies geschieht zum einen vor dem Hintergrund der bisherigen politischen Stellung der Beschuldigten sowie deren Einflussmöglichkeiten, und zum anderen sowohl im Hinblick auf die anhaltende instabile Lage in den betreffenden Regionen, als auch aus Opfer- und Zeugenschutzerwägungen heraus. 404 Dazu Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Public Report of the Registrar on the Execution of the Decision Inviting Observations on the Defence’s Application for Interim Release of Germain Katanga, 06. März 2008, mit der in Annex 1 enthaltenen negativen Antwort der Niederlande. Ebenso, betreffend das Verfahren gegen Ngudjolo Chui, Report of the Registrar on the Execution of the Decision Inviting Observations on the Defence’s Application for Interim Release, 28. Februar 2008 mit den Anhängen 1–4. 405 Dahingehend unter anderem die Verteidigung von Germain Katanga, Defence Obser­vations on the Detention of Germain Katanga, 19. März 2009. So erging die dritte Haftprüfung nicht etwa auf Antrag der Verteidigung. Vielmehr hat die Verteidigung einen solchen Antrag vor dem Hintergrund der ablehnenden Staatenhaltung als überflüssig erachtet (Rn. 6: „sees no practical purpose“) und das Procedere der Haftprüfung zu Recht als „hollow exercise“ (Rn. 5) bezeichnet. 400

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keine Lösung gefunden worden, die Kooperationsbereitschaft von Staaten in dieser Angelegenheit zu steigern. So wirkt sich auf den Untersuchungshäftling ein Umstand nachteilig aus, für den dieser keine Verantwortung trägt oder auch tragen kann. Während die Haltung der Kammern, den Beschuldigten nicht zurück in seinen Heimatstaat entlassen zu wollen, nachvollzogen werden kann, scheint jedoch der übrige Umgang mit diesem Problem bedenklich. Als zusätzliches Problem können sich die Anforderungen gestalten, die nach Auffassung der Kammern an eine Staatengarantie zu stellen sind.406 Im Hinblick auf persönliche Garantien stellen diese in der Rechtsprechung der Verfahrenskammer im Fall Bemba zwar einen „veränderten Umstand“ („changed circumstance“) im Sinne von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. dar.407 Zugleich wurde die Zusicherung Bembas nicht als derart bedeutsam und gewichtig erachtet, als dass eine vorläufige Entlassung aus der Haft ausgesprochen werden konnte, wobei dies vordergründig auch der mangelnden Überprüfbarkeit der Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt geschuldet ist.408 Vielmehr wurde die Zusicherung als Faktor in die Abwägung zur Beurteilung der Fluchtgefahr mit einbezogen.409 Insgesamt lässt sich eine zumeist differenzierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kriterien, die derartig auch durch den EGMR oder den Menschenrechtsausschuss zugrunde gelegt werden, erkennen. Während die Haftprüfungsentscheidungen im Verfahren gegen Lubanga oftmals noch eine ausführliche Begründung vermissen ließen,410 hat sich dieser Umstand in den darauf folgenden Verfahren gewandelt. Die Notwendigkeit einer Gesamtabwägung der verschiedenen Faktoren und deren Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelfall werden regelmäßig betont. Solange allerdings keine Lösung für den Mangel an Kooperationsbereitschaft innerhalb der Staatengemeinschaft gefunden werden kann, scheint auch am IStGH eine Begründung der Aufrechterhaltung der Haft, die sich in Teilen auf die institutionellen und strukturellen Schwierigkeiten stützt, Einzug zu erhalten. Zwar kann nicht bestritten werden, dass der IStGH in Bezug auf die Kooperationsbereitschaft mit einem Problem konfrontiert ist. Wie allerdings schon im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Tribunalen ausgeführt, darf die Situation internationaler Strafgerichte nicht als Rechtfertigung dafür angeführt werden, die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft zu befürworten. Der Verteidigung Germain Katangas zufolge werden richtigerweise nur wenige Anträge auf eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft eine reelle Aussicht auf Erfolg haben, solange diesem Umstand keine Abhilfe geschaffen wird.411 406

Insbesondere zum Verfahren gegen Bemba s. B. III. 2. c) cc) (6). Dazu im Vierten Kapitel, B. IV. 1. c) cc) (3). 408 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the „Demande de Mise en ­Liberté Provisoire de M. Jean-Pierre Bemba Gombo afin d’accomplir ses Devoirs Civiques en République Démocratique du Congo“, 02. September 2011, Rn. 19, 22. 409 Bemba (Fn. 408), Rn. 20. 410 Dies bemerkte auch die Berufungskammer in Lubanga (Fn. 373), Rn. 136. 411 So die Verteidigung von Germain Katanga (Fn. 405). 407

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(bb) Die Verdunkelungsgefahr Über den Verweis in Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. ist ferner der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr in Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) ­IStGH-St. für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft bedeutsam. Auch in diesem Zusammenhang haben sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs diverse Kriterien herausgebildet, welche bei der Beurteilung und späteren Entscheidung über die Fortdauer der Inhaftierung zugrunde zu legen sind. Ebenso wie im Rahmen der Beurteilung der Fluchtgefahr, ist auch die Verdunkelungsgefahr prognoseartig einzuschätzen. Zu diesem Zweck stellen die Kammern häufig darauf ab, ob der Beschuldigte bzw. Angeklagte, insbesondere im Zusammenhang mit der Anhörung zur Bestätigung der Anklage, Kenntnis über die Identität von Zeugen erlangt hat.412 Nachteilig für den Beschuldigten kann es sich auch auswirken, wenn bereits Zeugen bedroht oder gar getötet wurden.413 Doch selbst, wenn es in der Vergangenheit nicht zu Vorfällen dieser Art gekommen ist, wird auf die rein abstrakte Möglichkeit der Einflussnahme ab­gestellt. Ausgehend vom Wortlaut in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. („appears ­necessary“), wird die bloße Möglichkeit zur Beeinflussung von Zeugen als Aspekt angeführt, der per se gegen eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft spricht.414 Auch in diesem Zusammenhang wird auf die Mittellosigkeit der Opfer abgestellt und auf die geringen praktischen Schwierigkeiten, diese Opfer aufzufinden.415 Dabei scheint ausreichend zu sein, dass die Möglichkeit der Beeinflussung abstrakt durch eine Tätigkeit der Unterstützer des Betreffenden besteht.416 Im Verfahren gegen Bemba hat die Einzelrichterin hingegen den Standpunkt vertreten, dass eine generelle Besorgnis nicht ausreiche, um den Standard der „Möglichkeit“ zu erfüllen, sondern dass vielmehr eine spezifische Handlung oder das Verhalten des Inhaftierten nachweislich auf eine solche Einflussnahme hindeuten müsse.417 Von Bedeutung ist diesbezüglich auch die Stabilität der jeweiligen Region, mit der der Beschuldigte bzw. Angeklagte in Verbindung zu bringen ist. So ist in einer 412

Bspw. Lubanga (Fn. 383), S. 6; Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo Chui“, 23. Juli 2008, S. 10 („for the purpose of the confirmation hearing“); dies. (Fn. 378), Rn. 13 („during the confirmation hearing“). 413 Lubanga (Fn. 383), S. 6; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 383), S. 9. 414 Bemba (Fn. 392), Rn. 67 („… the question revolves around a possibility. […] the Appellant continues to have the means to influence witnesses.“). Relativierend hingegen die Entscheidung der Einzelrichterin im Verfahren gegen Bemba (Fn. 386), Rn. 73. 415 Bemba (Fn. 394), Rn. 38. 416 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 379), S. 7. 417 Bemba (Fn. 386), Rn. 72. In diese Richtung auch Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 388), Rn. 15, wobei die Hauptverfahrenskammer hier trotz dem explizit erwähnten Mangel an spezifischen Informationen das Risiko einer möglichen Beeinflussung als gleichwohl existent erachtet hat.

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Vielzahl von Entscheidungen darauf hingewiesen worden, dass eine Entlassung des Betreffenden nicht erwogen werden kann, da die Situation in der jeweiligen Region – vorwiegend in der Demokratischen Republik Kongo – nach wie vor unbeständig und instabil sei. Anderenfalls sei die Sicherheit von Opfern und Zeugen erheblich gefährdet.418 Sofern keine positive Veränderung der Sicherheitslage und des gesamten Kontextes eintrete, müsse die Untersuchungshaft aufrechterhalten werden.419 Dabei sei es irrelevant, an welchem Ort sich der Entlassene aufhalte.420 Also selbst in dem Fall, dass der Betreffende in ein anderes Land entlassen werden würde, wird dem Umstand seiner Entlassung ein derart großer Einfluss zu­geschrieben, dass diese einer Gefahr der Verdunkelung nicht entbehren kann. Allein durch die Entlassung des Beschuldigten bzw. Angeklagten könne ein derartiger Druck auf Zeugen ausgeübt werden, dass diese sich möglicherweise zu einer Änderung ihrer Aussage veranlasst sehen würden.421 Anknüpfend an den oben genannten Aspekt der Beeinflussung durch Unterstützer des Beschuldigten bzw. Angeklagten, kommt es im Hinblick auf die Verdunkelungsgefahr auf dessen (vorwiegend politische) Stellung und Machtposition an. Während also das Merkmal des verbleibenden Einflusses im Verfahren gegen Ngudjolo Chui im Rahmen der Fluchtgefahr in Ansatz gebracht wurde, kommt dieser Aspekt beispielsweise im Fall Katanga bei der Begründung der Verdunkelungsgefahr zum Tragen.422 Auch im Zusammenhang mit der möglichen Beeinflussung von Zeugen sind demnach das Netzwerk des Inhaftierten, seine An­ hängerschaft und seine Machtstellung von Relevanz. Insgesamt wird am IStGH in dieser Hinsicht ein strengerer Maßstab angelegt, als an den Ad-hoc-Tribunalen. Während dort die bloße Möglichkeit zur Beeinflussung von Zeugen nicht als ausreichend erachtet wurde, um mit dieser Begründung die Untersuchungshaft aufrechtzuerhalten, betonen die Richter des IStGH, dass es gerade um eine solche Möglichkeit ginge. Dies geht soweit, dass vereinzelt der bloße Akt der vorläufigen Entlassung als Gefährdung angesehen wird. Orientieren sich die IStGH-Richter des Öfteren auch an der Rechtsprechung des JStGH, gibt es in diesem Punkt eine signifikante Abweichung zum Nachteil des Angeklagten. Letztendlich gilt diesbezüglich dieselbe Feststellung, wie sie bereits im Rahmen der Fluchtgefahr getroffen wurde: Mit diesem strengen Ansatz ist es kaum denkbar, dass ein Antrag Aussicht auf Erfolg haben wird. Der Maßstab für die Fest Lubanga (Fn. 378), S. 6 („… that the situation in the Democratic Republic of Congo still appears volatile; and that therefore his release may lead to the grave endangerment of the security of victims and witnesses …“); Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Review of the „Decision on the Conditions of the Pre-Trial Detention of Germain Katanga“, 18. August 2008, S. 11; dies. (Fn. 402), Rn. 8. 419 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 383), S. 9 („… the security situation and context remained the same …“). 420 Bemba (Fn. 392), Rn. 68 m. w. N. 421 Bemba (Fn. 394), Rn. 41. 422 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 379), S. 7 f.; ebenso Bemba (Fn. 394), Rn. 38. 418

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stellung der Verdunkelungsgefahr ist, beruhend auf dem Statutstext, der die bloße Möglichkeit suggeriert, in dessen Auslegung zu niedrig angesetzt. Es wird zwar teilweise auf mangelnde Informationen seitens der Anklagebehörde oder Opfervertreter hingewiesen, allerdings scheint dies der oft unzureichenden Beurteilung der Verdunkelungsgefahr zum Nachteil des Inhaftierten nicht abträglich zu sein.423 Es wird gleichwohl dahingehend befunden, dass das Risiko der Beeinflussung von Zeugen besteht. In Teilen sind die oben dargelegten Kriterien durchaus geeignet, die Gefahr einer Verdunkelung zu beurteilen. Gerade anhand dieses Haftgrundes wird das Konfliktpotential zwischen Opfer- und Zeugenschutzaspekten und der Rechtsposition des vermeintlichen Täters schwerster Verbrechen besonders deutlich. Gleichwohl darf es nicht zu einer pauschalisierten Anwendung des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr kommen, da anderenfalls die Gefahr bestünde, die Untersuchungshaft zum Regelfall zu erheben. Vielmehr müssen Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung ersichtlich sein. So scheint es verfehlt, einen Rückschluss von der Kenntnis über die Identität von Zeugen auf deren generelle Gefährdung zu ziehen. Ebendies gilt für die regelmäßig mit einem gewissen Einfluss ver­ bundene gesellschaftliche und politische Stellung der Inhaftierten. Auch die Vermutung, allein durch den Umstand der vorläufigen Entlassung werde bereits ein über­mäßiger Druck auf Zeugen ausgeübt, scheint zu weitläufig. Dies sind Kriterien, die pauschal jedem der Beschuldigten bzw. Angeklagten vor dem IStGH entgegen gehalten werden können. Letztendlich könnte diesem Ergebnis nur dann Abhilfe geschaffen werden, sofern der Maßstab für die Feststellung der Verdunkelungsgefahr auf ein konkretisierteres Maß angehoben würde. Abstrakte und allgemeine Begründungen würden in einem solchen Fall nicht mehr ausreichen, um eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft zu versagen. So ist beispielsweise durch den EGMR für die Verdunkelungsgefahr oder die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ festgestellt worden, dass bloße abstrahierte Begründungen nicht ausreichend seien. Dieser Maßstab ist auf die Handhabung von Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) ­IStGH-St. zu übertragen. (cc) Die Wiederholungsgefahr Zuletzt kann gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) ­IStGH-St. die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auf eine drohende Wiederholungsgefahr gestützt werden. Wie bereits bei der Frage der Anordnung, kommt diesem Haftgrund auch im Zu 423

Anders lediglich ein Urteil der Berufungskammer im Verfahren gegen Ngudjolo Chui. Hier rekurrierte die Kammer auf die unzureichende Begründung der Verdunkelungsgefahr durch die Vorverfahrenskammer und sah auf dieser Basis den Haftgrund in Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) ­IStGH-St. als nicht erwiesen an; Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 384), Rn. 26 f.

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sammenhang mit der Aufrechterhaltung der Inhaftierung eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Bislang ist die Wiederholungsgefahr lediglich in einer Entscheidung im Fall Bemba thematisiert worden.424 Dabei stellte die Einzelrichterin darauf ab, dass die Situation in der Zentralafrikanischen Republik stabil sei und keine Hinweise auf die Gefahr der Begehung von Verbrechen vorlägen. Insofern lassen sich keine dezidierten Kriterien ausmachen, welche zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr herangezogen werden. Unter Rückgriff auf die Kriterien, die der EGMR mit diesem Haftgrund verbunden hat,425 könnte man auch hier auf die über einen langen Zeitraum fort­ gesetzte Begehung von Straftaten, den enormen Schaden auf Seiten der Opfer, die Sozialschädlichkeit des Inhaftierten sowie auf sein Netzwerk an Kontakten rekurrieren. Anhand dieser Faktoren ließe sich auch auf der Ebene des Völkerstrafrechts die Wiederholungsgefahr beurteilen. Allerdings wäre unerlässlich, dass ein strengerer Maßstab angelegt würde, als die bloße Möglichkeit der erneuten Begehung von Straftaten. Vielmehr müssten konkrete Hinweise darauf hindeuten, dass der Beschuldigte bzw. Angeklagte im Falle seiner vorläufigen Entlassung erneut Straftaten begehen werde. Dass ihm – abstrakt betrachtet – die hierzu notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, darf nicht als ausreichend erachtet werden. Ebendies gilt für die Kriterien der Begehung von Straftaten über einen längeren Zeitraum hinweg sowie für den Schaden auf Seiten der Opfer. Diese Faktoren sind in Strafverfahren vor internationalen Strafgerichten typischerweise durch den zugrundeliegenden Sachverhalt gegeben, so dass auch diesbezüglich eine Anpassung an die völkerstrafrechtliche Ebene erfolgen müsste. (dd) Die vorläufige Entlassung aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ Über die in Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. normierten Haftgründe hinaus haben die Kammern im Verfahren gegen Bemba eine Möglichkeit herausgearbeitet, mittels derer der Beschuldigte oder Angeklagte ungeachtet der explizit geregelten Voraussetzungen für die Untersuchungshaft vorläufig entlassen werden kann. Die „außergewöhnlichen Umstände“ bzw. „humanitären Gründe“ sind nicht als Haft-, sondern vielmehr – entgegen der Systematik der diesbezüglichen Regelungen im Normenwerk des IStGH – als Entlassungsgrund zu verstehen. Auf diesem Wege sind bislang kurzzeitige Haftentlassungen ermöglicht worden. 424 Bemba (Fn. 386), Rn. 76. In allen anderen Haftentscheidungen wurde von Ausführungen bezüglich Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) I­ StGH-St. abgesehen, da bereits auf das Vorliegen von Flucht- oder Verdunkelungsgefahr befunden wurde und aus diesem Grund keine Notwendigkeit mehr bestand, auf den Aspekt der Wiederholungsgefahr einzugehen. 425 Dazu oben B. III. 1. a) bb) (1) (b).

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Die Kammern leiten die Möglichkeit zur Anordnung kurzzeitiger Haftentlassungen aus humanitären Gründen aus den ihr gemäß Art. 64 Abs. 6 lit. f) IStGHSt. innewohnenden Befugnissen her.426 Bemba ist auf dieser Grundlage bislang zwei Mal kurzzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen worden, um der Beerdigung von nahen Angehörigen beizuwohnen.427 Diese Art der kurzzeitigen und kurzfristigen Entlassung für den Tag der Beerdigung ist zu unterscheiden von der Möglichkeit, im Rahmen der Haftprüfung gemäß Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. dahingehend zu argumentieren, dass das Erfordernis der „changed circumstances“428 aufgrund von humanitären Gründen erfüllt sei.429 Durch kurzzeitige Haftentlassungen aufgrund von außergewöhnlichen Umständen wird dem Untersuchungshäftling ermöglicht, für einen kurzen Zeitraum, ungeachtet der vorliegenden Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft, das Detention Centre zu bestimmten Anlässen zu verlassen. Diese Möglichkeit ist restriktiv zu handhaben, da die Voraussetzungen der weiteren Inhaftierung unverändert vorliegen. Beispielsweise ist eine 17 Stunden dauernde Reise in den Kongo mit dem Zweck der persönlichen Registrierung für Wahlen als potentieller Kandidat nicht als ein solch außergewöhnlicher Umstand anerkannt worden.430 (d) Fazit zu den Haftvoraussetzungen Im Gegensatz zu den Ad-hoc-Tribunalen ist mit Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. eine klare Regelung geschaffen worden, anhand derer sich die Beurteilung der Fortdauer des Freiheitsentzuges zu orientieren hat. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang, die Kriterien für die erstmalige Anordnung auch bei der Frage der Aufrechterhaltung zugrunde zu legen. Denn nur, wenn sich die Umstände, welche die Vorverfahrenskammer ursprünglich zum Erlass eines Haftbefehls veranlasst haben, nicht geändert haben und fortbestehen, kann die weitere Inhaftierung gerechtfertigt sein. 426

Bemba (Fn. 390), Rn. 51. Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Public Redacted Version of ICC-01/0501/08-437-Conf, Decision on the Defence’s Urgent Request Concerning Mr. Jean-Pierre Bemba’s Attendance of his Father’s Funeral, 03. Juli 2009, Rn. 9; Trial Chamber, Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-1099-Conf, Decision on the Defence Request for Mr. Jean-Pierre Bemba to Attend his Stepmother’s Funeral, 12. Januar 2011, Rn. 13. 428 Dazu B. IV. 1. c) cc) (3). 429 Die Verteidigung Bembas argumentierte dahingehend, dass sich der Gesundheitszustand von Bembas Großmutter erheblich verschlechtert habe und demzufolge eine Änderung der persönlichen Umstände eingetreten sei, welche eine Entlassung aus der Haft bedinge. Die Verfahrenskammer lehnte den Antrag im Rahmen des ihr durch Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. eingeräumten Ermessens ab, vgl. Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the Review of Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to the Appeals Judgment of 19 November 2010, 17. Dezember 2010, Rn. 33. 430 Bemba (Fn.390), Rn. 69. 427

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Was die Handhabung der existierenden Normen betrifft, ist bedauerlicherweise der Maßstab für die Feststellung der Fortdauer von Haftgründen nicht allzu hoch angesetzt. Dies ist bedingt durch die Auslegung der Worte „appears necessary“ in lit. b) als Vorsehung einer bloßen Möglichkeitsprognose seitens der Kammern. In Konsequenz dessen werden oftmals kaum substantiierte Begründungen zu der Frage angeführt, ob tatsächlich eine der normierten Gefahren vom Betreffenden ausgeht. Über den Rekurs auf Indizien und Gegebenheiten, die zumeist der Situation eines Angeklagten vor internationalen Strafgerichtshöfen immanent sind, wird die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft angeordnet. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang eine strengere Handhabung des Maßstabes in lit. b) sowie eine differenziertere Auswertung der dem Gericht bekannten Fakten. cc) Übergeordnete formelle Grundsätze Neben den materiellen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gibt es ferner Grundsätze, die zum einen die Ausgestaltung des Verfahrensablaufs beeinflussen, zum anderen aber auch das generelle Verständnis der rechtlichen Regelung von Untersuchungshaft vor dem Internationalen Strafgerichtshof prägen. Das wechselseitige Verhältnis, welches zwischen diesen Grundsätzen besteht, wurde bereits im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Tribunalen aufgezeigt. Die dortigen Ausführungen sind auf den IStGH übertragbar.431 An den Ad-hoc-Tribunalen galten diese Grundsätze nur in einem beschränkten Maße; anders gestaltet sich hingegen die Rechtslage am IStGH. (1) Die Beweislastverteilung Zunächst ist in diesem Zusammenhang die Verteilung der Beweislast zu erörtern. Für die Frage der Anordnung von Untersuchungshaft im Rahmen des Erlasses eines Haftbefehls steht der Ankläger in der Pflicht, einen entsprechenden Antrag zu stellen und ausreichend Beweismaterial vorzulegen. Nur, wenn sich für die Vorverfahrenskammer auf dieser Grundlage ein hinreichender Verdacht und das Vorliegen eines der Haftgründe ergibt, kann der Haftbefehl erlassen werden, Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. Für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gilt, ebenso wie im Rahmen der Reglementierungen an den Ad-hoc-Tribunalen, dass sich weder im Statut noch in der Verfahrens- und Beweisordnung des IStGH eine explizite Regelung dahin-

431

s. die Ausführungen zu B. III. 2. b) cc).

III. Die Untersuchungshaft

257

gehend findet. Ausschlaggebend ist auch hier der Wortlaut der relevanten Normen. Sowohl Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St., als auch dessen Abs. 3 sprechen zwar lediglich von einer „Überzeugung der Vorverfahrenskammer“ („If the Pre-Trial Chamber is satisfied …“). Anders als Regel 65 (B) J­StGH-VBO normiert aber Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. die Voraussetzungen der Untersuchungshaft positiv. Es wird demnach nicht der Fall geregelt, dass eine Entlassung unter bestimmten Bedingungen angeordnet werden kann, sondern umgekehrt von der Situation ausgegangen, dass nur unter bestimmten Bedingungen eine Inhaftierung möglich ist. Dies entspricht auch der Ausgangslage in den Menschenrechtspakten. Durch den Verweis in Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. gilt selbiges auch für die Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Indem nun für die weitere Inhaftierung neben dem hinreichenden Verdacht zumindest ein Haftgrund nachgewiesen werden muss, ergibt sich aus der Systematik der Vorschriften eine eindeutige Beweislast des Anklägers. Diese wird teilweise in der Rechtsprechung des Gerichts bestätigt und auch umgesetzt.432 In den Haftprüfungsentscheidungen, die nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. zu erfolgen haben, liegt die Beweislast ebenfalls beim Ankläger.433 Letztendlich scheinen jedoch auch in Ansehung dieser recht eindeutigen theoretischen Grundlagen in der Praxis Schwierigkeiten und Unklarheiten in Bezug auf deren Umsetzung zu bestehen. Im System der Grundlagen für Untersuchungshaft zwischen den Art. 58 Abs. 1, 60 Abs. 2, 60 Abs. 3 ­IStGH-St. wird zwar nicht bestritten, dass der Ankläger die Beweislast zu tragen hat.434 Faktisch nähert sich die Praxis jedoch einer Beweislastumkehr. Aus der Perspektive des Anklägers besteht eine Verpflichtung seinerseits dahingehend, die Vorverfahrenskammer im Rahmen des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls nach Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. zu überzeugen. Bei einer auf die Überstellung der Person folgenden Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. müsste er dieser Beweislast theoretisch ein weiteres Mal entsprechen, indem er die Vorverfahrenskammer davon überzeugt, dass die Gründe nach Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. weiterhin vorliegen. Doch neben dem Ankläger beziehen sich auch die Vorverfahrenskammern in den jeweiligen Entscheidungen regelmäßig auf den Erlass des Haftbefehls und die in der hierzu ergangenen Entscheidung angeführten Gründe. Verkannt wird hierbei, dass für die 432 Grundlegend Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the Powers of the Pre-Trial Chamber to Review proprio motu the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 18. März 2008, S. 6 f., 12. Ferner dies., Pre-Trial Chamber, Decision concerning Observations on the Review of the Pre-Trial Detention of Mathieu Ngudjolo Chui, 17. Juni 2008, S. 4; sowie Müller, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 589, 621. 433 Ryngaert, S. 57. 434 Zwar sah sich die Anklagebehörde anfangs nicht eindeutig in der Position derjenigen Institution, welche die Beweislast zu tragen hat, Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/0402/07), Prosecution’s Observations on the Defence’s Application for Interim Release, 22. Februar 2008, Rn. 12. Dies hat sich in der weiteren Entwicklung jedoch geändert, s. dies., Prosecution’s Observations on the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 03. März 2008, Rn. 19.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Zwecke von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. eine erneute Beurteilung aller zugrunde­ liegenden Umstände vonnöten ist, um über die Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entscheiden zu können.435 Indem eine solche erneute Beurteilung nicht erfolgt, sondern hauptsächlich auf bereits bekannte Begründungen verwiesen wird, kommt es de facto zu einer Umkehr der Beweislast.436 Die Vorverfahrenskammern gehen in Entscheidungen nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. von der weiteren Erforderlichkeit der Untersuchungshaft aus, es sei denn, der Inhaftierte kann dies widerlegen.437 Durch dieses Verständnis sieht sich der Beschuldigte in der Position, Gründe vorzubringen, welche die Erforderlichkeit der weiteren Inhaftierung widerlegen. Dies widerspricht dem Zweckgedanken von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. und der hierdurch intendierten Ausgangslage einer erneuten Bewertung der Situation durch die Vorverfahrenskammer. Gleichzeitig muss an einen Verstoß der Gewährleistung von Art. 67 Abs. 1 lit. i) I­StGH-St. gedacht werden, wonach dem Angeklagten weder eine Umkehr der Beweislast noch eine Widerlegungspflicht auferlegt werden darf.438 Ähnlich gestaltet sich die Situation bei Haftprüfungsentscheidungen im Rahmen von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Maßgebliches Kriterium in diesem Zusammenhang sind die veränderten Umstände („changed circumstances“). Auch in diesem Zusammenhang wird von einem weiteren Vorliegen der Erforderlichkeit der Inhaftierung ausgegangen. Erneut steht der Beschuldigte bzw. Angeklagte in der Pflicht, darzulegen, dass veränderte Umstände eingetreten sind, sofern er eine Entlassung anstrebt. Die Begründungen dafür, dass keine Änderung der Umstände eingetreten ist, sind oftmals rudimentär. Vor allem in den ersten Haftprüfungsentscheidungen im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo Chui wird mitunter bloß auf frühere Entscheidungen verwiesen oder diese passagenweise zitiert.439 Neben der Schwere der Verbrechen und der Kenntnis über die Identität von Opfern und Zeugen kommen in späteren Entscheidungen die Argumente hinzu, dass die Anklagepunkte mittlerweile bestätigt wurden und dass die Haupt-

435

Dazu Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo against the Decision of Pre-Trial Chamber III entitled „Decision on Application for Interim Release“, Dissenting Opinion of Judge Georghios M. Pikis, 16. Dezember 2008, Rn. 26. 436 Knoops, Theory and Practice, S. 150; Bekou, in: ISRCL 2006, 1, 4. 437 So beispielsweise in Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Appeals Chamber, Judgment in the Appeal by Mathieu Ngudjolo Chui of 27 March 2008 against the Decision of Pre-Trial Chamber I on the Application of the Appellant for Interim Release, 09. Juni 2008, Rn. 24; Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 20. August 2008, Rn. 52. 438 Die Gewährleistungen in Art. 67 I­ StGH-St. gelten auch für den Beschuldigten, vgl. Regel 121 Abs. 1 IStGH-VBO. Dazu Fernández de Gurmendi/Friman, in: YB Int’l Hum. L. 3 (2000), 289, 300. 439 So beispielsweise in der Entscheidung Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), PreTrial Chamber, Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo Chui“, 23. Juli 2008.

III. Die Untersuchungshaft

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verhandlung alsbald beginne.440 Auch in den Stellungnahmen der Anklage findet sich keine andere Argumentation, vielmehr wird auch hier auf zuvor eingereichte Stellungnahmen verwiesen.441 Positiv fällt zumindest im Verfahren gegen Bemba auf, dass die Entscheidungen der Kammern ausführlichere Begründungen enthalten. Hierdurch wird deutlich, dass es in diesem Zusammenhang zum einen auf die Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten, und zum anderen auf eine Abwägung sämtlicher Faktoren ankommt.442 Doch auch hier wird betont, dass es der Verteidigung obliegt, die Gründe zu widerlegen, auf deren Grundlage die Kammer bzw. der Einzelrichter zu einer Entscheidung gelangt.443 Letztendlich steht somit die Verteidigung in der Pflicht, nachzuweisen, dass veränderte Umstände vorliegen und somit eine Entlassung des Beschuldigten bzw. Angeklagten folgen muss. (2) Die Rechtsfolge der Beurteilung der Haftvoraussetzungen Art. 60 Abs. 2, 3 ­IStGH-St. sehen verschiedene Rechtsfolgen für die Beurteilung der Haftvoraussetzungen innerhalb der jeweiligen Anwendungsbereiche der Vorschriften vor. Dabei ist neben den einzelnen Regelungen auch danach zu differen­ zieren, ob das Vorliegen der Haftvoraussetzungen positiv festgestellt werden konnte. Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St.beinhaltet die Rechtsfolgen der Beurteilung der Haftvoraussetzungen nach dem erstmaligen Entlassungsantrag des Beschuldigten. Dem Wortlaut zufolge bleibt die Person weiterhin in Haft, wenn die Vorverfahrenskammer vom Vorliegen der Voraussetzungen überzeugt ist; andernfalls wird die Person aus der Haft entlassen.444 Der Wortlaut beinhaltet, was in der Praxis 440 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Review of the „Decision on the Application for the Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, 14. Februar 2007, S. 6; Katanga/ Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Third Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 17. März 2009, Rn. 8. 441 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Prosecution’s Observations on the Review of the Pre-Trial Detention of Mathieu Ngudjolo Chui, 02. Juli 2008, Rn. 8; dies., Prosecution’s Observations on the Pre-Trial Detention of Mathieu Ngudjolo Chui, 12. Oktober 2009, Rn. 5. 442 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on the Application for Interim Release, 16. Dezember 2008, Rn. 34; ders., Pre-Trial Chamber, Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa, 14. August 2009, Rn. 57. 443 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 14. April 2009, Rn. 40 („The Defence failed to refute the grounds on the basis of which the Single Judge made her previous determination that the requirements of article 58(1) re­ mained valid.“). So auch Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 130; Golubok, in: Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals 9 (2010), 295, 305 f. 444 Dieser Wortlaut ist aus der deutschen Übersetzung des ­IStGH-St. übernommen. In der englischen Fassung wird die Rechtsfolge durch das Wort „shall“ hinreichend zum Ausdruck gebracht.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

zweifelsfrei anerkannt ist: Die Entscheidung über die Fortsetzung der Inhaftierung oder die vorläufige Entlassung steht nicht zur Disposition der zuständigen Kammer.445 Anders als an den Ad-hoc-Tribunalen wird dem Gericht in diesem Zusammenhang kein Ermessensspielraum eingeräumt. Die Anordnung der vorläufigen Entlassung ergibt sich zwingend aus der Feststellung, dass die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. nach der Überzeugung der Vorverfahrens­ kammer nicht mehr vorliegen. Wie schon durch den Wortlaut von Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. angedeutet, handelt es sich bei den Haftvoraussetzungen insgesamt um abschließende446 und somit zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft hinreichende – im Gegensatz zu notwendigen – Erfordernisse. Etwas verwunderlich erscheint der Umstand, dass auch dann Auflagen angeordnet werden können, wenn in Bezug auf die Person offensichtlich weder Fluchtoder Verdunkelungs-, noch Wiederholungsgefahr prognostiziert werden kann.447 Diese zugegebenermaßen unglückliche Formulierung sollte dahingehend verstanden werden, diejenigen Auflagen anzuordnen, welche notwendig sind, um die in Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. zum Ausdruck gebrachten Zwecke als milderes Mittel zu sichern. Daraus ergibt sich, dass zum Verständnis dieser Regelung Verhältnismäßigkeitserwägungen in Ansatz gebracht werden können. Anders ist die Situation bei der regelmäßigen Haftprüfung durch den Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. geregelt. Da dieser in seinem Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. zu trennen ist,448 kann die dort normierte Rechtsfolge nicht schlicht übertragen werden. Tatsächlich beinhaltet der Wortlaut eine Ermessensregelung („may“). Die Kammer kann ihre Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft (sowie über die Haftentlassung oder die Auflagen) ändern, wenn sie überzeugt ist, dass veränderte Umstände dies erfordern. Betrachtet man zunächst die Konstellation, in der aufgrund veränderter Umstände die Haftvoraussetzungen entfallen sind, steht der Kammer dem Wortlaut zufolge ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen zu. Es kann jedoch von den Verfassern des Römischen Statuts nicht intendiert gewesen sein, die Rechtsfolge einer Haftprüfung vollkommen in das Ermessen der Kammer zu stellen, sofern die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft weggefallen sind. Die „veränderten Umstände“ können einige oder auch alle Fakten betreffen, auf welchen die Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. be 445 Dazu grundlegend Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision of Pre-Trial Chamber I entitled „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, 13. Februar 2007, Rn. 134. 446 Dazu B. III. 2. c) aa) (2). 447 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-­ Pierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 27 June 2011 entitled „Decision on Applications for Provisional Release“, 19. August 2011, Rn. 55; sowie Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 9. 448 s. oben B. III. 2. c) bb) (1).

III. Die Untersuchungshaft

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ruhte.449 Die Ermessensregelung mag für den Fall der Änderung einiger Fakten adäquat sein, als in Reaktion hierauf die Haftbedingungen oder Auflagen modifiziert werden können. Wenn allerdings aufgrund einer eingetretenen Änderung der Umstände die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. nicht mehr erfüllt sind, ist jedoch kein Ermessen anzunehmen. Insofern ist der Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. korrigierend auszulegen und im Sinne einer gebundenen Entscheidung zu verstehen. Die Annahme eines Ermessensspielraumes würde dem Grundgedanken von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. zuwiderlaufen. Diese Norm soll zusammen mit Regel 118 IStGH-VBO sicherstellen, dass sich eine Person nur dann in Untersuchungshaft befindet, wenn (1) die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. erfüllt sind und (2) dies auf den Zeitraum beschränkt ist, zu dem diese Erfordernisse tatsächlich vorliegen.450 Demgemäß ist auch in der bislang einzigen Entscheidung, die Untersuchungshaft auf der Grundlage einer Haftprüfung nicht weiterhin aufrecht zu erhalten, im Fall Bemba von der zuständigen Einzelrichterin die Entlassung als zwingende Konsequenz angesehen worden.451 Für den Fall, dass im Rahmen der Haftprüfung nach Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft hingegen festgestellt wurde, hat sich in der jüngsten Rechtsprechung im Verfahren gegen Bemba die Annahme eines zusätzlichen Ermessensspielraumes herauskristallisiert. Auch, wenn die in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. normierten Risiken vorliegen, steht der zuständigen Kammer ein Ermessen dahingehend zu, ob gleichwohl eine Entlassung unter Auflagen erfolgen kann.452 Hierdurch unterscheidet sich Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. demnach grundlegend von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St., der ein solches Ermessen gerade nicht vorsieht. Im Rahmen der Ermessensausübung hat sich die Kammer mit den Fragen auseinanderzusetzen, ob und in welchem Ausmaß die Anordnung von Auflagen im Fall einer Entlassung aus der Haft die Risiken des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. verringern kann, und ob der festgestellte Grad der Abschwächung dieser Risiken eine Entlassung unter Auflagen verlangt.453 Streng genommen liegt in dieser Konstellation ein „doppeltes Ermessen“ vor, das der zuständigen Kammer zusteht. Zum einen besteht, wie eben ausgeführt, ein Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, ob die Person trotz Vorliegen der Voraussetzungen einer weiteren Inhaftierung unter Auflagen aus der Untersuchungshaft zu entlassen ist. Zum anderen ist der hie­ 449 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecu­ tor against Pre-Trial Chamber II’s „Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa“, 02. Dezember 2009, Rn. 60. 450 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 432), 18. März 2008, S. 9. 451 Bemba (Fn. 442), 14. August 2009, Rn. 77. 452 Bemba (Fn. 447), Rn. 55. 453 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the 26 September 2011 Decision on the Accused’s Application for Provisional Release in Light of the ­Appeals Chamber’s Judgment of 19 August 2011, 27. September 2011, Rn. 35.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

rüber entscheidenden Kammer bereits auf der Vorstufe zu dieser Frage ein Ermessen dergestalt eingeräumt, dass überhaupt die Erwägung einer Entlassung unter Auflagen zur Disposition der Richter gestellt ist.454 Liegen die Voraussetzungen der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft vor, hat die Kammer demnach zunächst darüber zu entscheiden, ob eine Entlassung unter Auflagen überhaupt erwogen werden soll. Im Fall einer diesbezüglich positiven Entscheidung hat sich die Kammer auf der nunmehr nachgelagerten Stufe mit den oben aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen und zu klären, ob eine Entlassung unter Auflagen als milderes Mittel geeignet erscheint, die Zwecke von Untersuchungshaft ebenso effektiv durchzusetzen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist das Ermessen des Gerichts bezüglich der Frage, ob überhaupt eine Entlassung unter Auflagen zu erwägen ist, eingeschränkt: Sobald ein Staat seine Bereitschaft und Fähigkeit dem Gerichtshof gegenüber signalisiert, eine Person im Fall ihrer vorläufigen Entlassung aufzunehmen und für die Durchsetzung der Auflagen Sorge zu tragen, hat sich die zuständige Kammer mit der Frage einer vorläufigen Entlassung unter Auflagen auseinanderzusetzen.455 Diese Einschränkung des Ermessens gilt hingegen nur für die „Vorstufe“ und nicht für die eigentliche Frage, ob eine Entlassung unter Auflagen zu erfolgen hat. Ferner gilt es zu berücksichtigen, dass die obigen Ausführungen im Hinblick auf ein Ermessen der Kammer nur für den Fall gelten, dass „veränderte Umstände“ im Sinne von Art. 60 Abs. 3 I­StGH-St. vorliegen, diese aber gleichwohl nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft entfallen. Liegen demzufolge keine „veränderten Umstände“ vor, kann eine Entlassung unter Auflagen keinesfalls erwogen werden, da in diesem Fall der Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. entgegensteht und kein Ermessensspielraum eröffnet wird. Es ist in dieser Konstellation bei der gebundenen Entscheidung der weiteren Inhaftierung zu bleiben. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei der Regelung der Rechtsfolgen um eine an der Unschuldsvermutung, dem Regel-Ausnahme-Grundsatz und am Verhältnismäßigkeitsprinzip456 orientierte Vorgabe handelt. Können die Haftvoraussetzungen nicht in dem nach Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. erforderlichen Maße nachgewiesen werden, bleibt als einzige Konsequenz die vorläufige Entlassung. Dies 454 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the 19 December 2011 Decision on the „Requête de Mise en Liberté Provisoire de M. Jean-Pierre Bemba Gombo“, 03. Januar 2012, Rn. 16 ff. 455 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment in the Appeal of Mr. JeanPierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 2 September 2011 entitled „Decision on the ‚Demande de Mise en Liberté de M. Jean-Pierre Bemba Gombo afin d’accomplir ses Devoirs Civiques en République Démocratique du Congo‘“, 09. September 2011, Rn. 39. 456 Dies bedeutet nicht, dass an dieser Stelle Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen wären, sondern bezieht sich lediglich auf die Ausgestaltung der Rechtsfolgen in der Form, dass zwingend auf ein milderes Mittel zurückzugreifen ist.

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gilt explizit sowohl für Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St., als auch für die Haftprüfung nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. im Wege einer korrigierenden Auslegung, sofern sich die Umstände derart verändert haben, dass die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. nicht mehr als gegeben erachtet werden können. Als „milderes Mittel“ im Vergleich zur Untersuchungshaft können in diesem Zusammenhang Auflagen angeordnet werden, die nach Ansicht der Kammer die Wahrung der mit der Untersuchungshaft verfolgten Zwecke weiterhin sicherstellen. Insbesondere ist auch die Annahme eines Ermessensspielraumes für den Fall, dass die Voraussetzungen einer weiteren Inhaftierung vorliegen, vor dem Hintergrund der soeben genannten Grundsätze als positiv zu bewerten. Auf diesem Wege wird nicht nur der Unschuldsvermutung, sondern gerade auch dem Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft sowie Verhältnismäßigkeitserwägungen in hinreichendem Maße Rechnung getragen. Allein die Annahme eines Ermessensspielraumes bei der Frage, ob überhaupt eine Entlassung unter Auflagen erwogen werden soll, ist zweifelhaft. Insgesamt handelt es sich somit um Regelungen bzw. eine Handhabung der Rechtsfolgen entsprechend den menschenrechtlichen Gewährleistungen, welche zudem einen deutlichen Gegensatz zur Handhabung an den Ad-hocTribunalen darstellen. (3) Der Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft (Regel-Ausnahme-Verhältnis) Schließlich ist auf den Grundsatz über das Regel-Ausnahme-Verhältnis von (vorläufiger) Entlassung und Untersuchungshaft einzugehen. Bereits im Report der International Law Commission ist das Bestreben zum Ausdruck gekommen, den Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft mit dem Regelwerk des künftigen Internationalen Strafgerichtshofs zu wahren.457 Zugleich wurde aber schon damals auf die schlichte Notwendigkeit einer Inhaftierung hingewiesen, die sich in manchen Fällen allein schon aufgrund der Schwere der Verbrechen ergäbe.458 Ferner ist auch am IStGH, ebenso wie an den Ad-hoc-Tribunalen, kein Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten möglich.459 Zunächst ist für die Festnahme im Gewahrsamsstaat mit Art. 59 Abs. 4 I­ StGH-St. festzuhalten, dass der obige Grundsatz zumindest in dieser Vorschrift nicht umgesetzt wird. Mit dem Haftbefehl des Gerichts geht die Anordnung von Untersuchungshaft einher. Die Inhaftierung wird bis zur Überstellung aufrecht er 457 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-Sixth Session, U. N. Doc. A/49/10, Art. 28 Rn. 3, Art. 29 Rn. 3; dazu auch Safferling, Towards an International Criminal Procedure, S. 148 f. 458 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-Sixth Session, U. N. Doc. A/49/10, Art. 28 Rn. 3, Art. 29 Rn. 3. 459 Dazu Friman, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 255 ff.; sowie Brown, in: Brook. J. Int’l L. 24 (1999), 763 ff.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

halten, es sei denn, dass „dringende und außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine vorläufige Haftentlassung rechtfertigen“.460 Diese Formulierung beinhaltet eine Vermutung zugunsten von Untersuchungshaft.461 Für die Vorschriften des Art. 60 Abs. 2, 3 I­ StGH-St. kann der Regelungsinhalt von Art. 59 Abs. 4 I­StGH-St. in Ermangelung einer ähnlichen Ausdrucksweise nicht ohne weiteres übertragen werden. Vielmehr steht in diesem Zusammenhang das oben erwähnte Bestreben der International Law Commission in Form der Achtung des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft im Vordergrund. Dieser Grundsatz wird auch in der Praxis der Kammern unzweifelhaft anerkannt.462 Ungeachtet dessen bleibt gleichwohl die Frage zu klären, ob sich nicht doch über die zugrundeliegenden Vorschriften ein Regelcharakter der Untersuchungshaft ergibt.463 In der Verfahrens- und Beweisordnung des IStGH finden sich im Hinblick auf diese Frage keine weiteren Anhaltspunkte. Ausschlaggebend ist demnach zunächst Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. mit dem Verweis auf Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. Zwar normiert Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. die Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung positiv und beinhaltet die Haftgründe in abschließender Weise. Gleichwohl regelt Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. in Bezug auf diese Erfordernisse die Rechtsfolge in endgültiger Form. Die Person soll inhaftiert bleiben, wenn die Kammer zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. weiterhin vorliegen; und dass umgekehrt die vorläufige Entlassung zu erfolgen hat, sofern dies nicht der Fall ist. Einerseits bedeutet dies den Ausschluss jeglichen Ermessens im Hinblick auf die Rechtsfolge, und somit auch den Ausschluss sachfremder Erwägungen und Rechtssicherheit für den Inhaftierten. Andererseits ist ein Bestandteil des aus den Menschenrechten hervorgehenden Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft jedoch die zwingende Erwägung milderer Maßnahmen. Auch in dem Fall, dass die Haftgründe weiterhin vorliegen, muss demnach erwogen werden, ob der Zweck der Untersuchungshaft nicht auch mit milderen Mitteln erreicht werden kann. Auf den ersten Blick scheint es, als ob dieser durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich gebotene Aspekt in der durch Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. vorgegebenen strengen Differenzierung fehlt. Allerdings gilt es, bei einem streng normtheoretischen Verständnis den Verweis auf das Kriterium der „Notwendigkeit“ der Inhaftierung in die Betrachtung mit einzubeziehen. Hieraus ergibt sich dogmatisch die Möglichkeit der Kammern zur Erwägung milderer Mittel, wenn sie zu der Überzeugung gelangt, dass die Untersuchungshaft nicht zwingend notwendig sei, um den in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. normierten Ri 460

Vgl. Art. 59 Abs. 4 ­IStGH-St. Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 8; Schabas, International Criminal Court, S. 263. 462 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 432), 18. März 2008, S. 6; Bemba (Fn. 442), 16. Dezember 2008, Rn. 31. 463 Dies vertreten Knoops, International Criminal Tribunals, S. 112; Gordon, in: Colum. J. Transnat’l L. 45 (2007), 635, 692. 461

III. Die Untersuchungshaft

265

siken wirksam zu begegnen. Die weitere Inhaftierung, gestützt auf Art. 60 Abs. 2 Satz 2 ­IStGH-St., ist demnach theoretisch nur für den Fall zwingend, dass die Haft für notwendig erachtet wird, mithin keine milderen Mittel erwogen werden können. Dies impliziert die Ausgestaltung des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft. In der Spruchpraxis ist allerdings durch die Herabsetzung des Maßstabes der Wendung „appears necessary“ die Untersuchungshaft wiederum zum Regelfall erhoben worden: durch die geringen Anforderungen, die an diese Einschränkung gestellt werden, ist per se davon auszugehen, dass die Zwecke des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. nicht auch durch mildere Mittel in Gestalt von Auflagen erreicht werden können. Die Möglichkeit der Anordnung von Auflagen nach Regel 119 IStGH-VBO kommt aufgrund dieser Rechtsprechung nur dann zum Tragen, wenn das Gericht im Rahmen der Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. nicht davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für eine weitere Inhaftierung noch gegeben sind. Der Rekurs auf mildere Mittel und die Umsetzung des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft ist somit in der Praxis in diesem Verfahrensstadium versperrt. Anders gestaltet sich die Rechtslage hingegen, wie eben im Rahmen der Ausführung zu den Rechtsfolgen gesehen, im Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Aufrechterhaltung ist das Erfordernis der „changed circumstances“. Falls diese nach der Einschätzung des Gerichts gegeben sind, ist der Kammer ein nach Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. zu bemessender Ermessensspielraum eingeräumt: Führen die veränderten Umstände dazu, dass die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. entfallen, ist die Person aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Wird hingegen festgestellt, dass trotz des Vorliegens veränderter Umstände die Erfordernisse von Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. gleichwohl gegeben sind, kann die Kammer eine Entlassung unter Auflagen erwägen.464 Somit besteht die theoretische Möglichkeit, die Zwecke der Untersuchungshaft mit milderen Mitteln durchzusetzen. Hierdurch wird auch dem Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft Rechnung getragen. Im Anschluss an diese Überlegungen kann festgehalten werden, dass im Zusammenspiel der verfahrenstechnischen Grundsätze erhebliche Entwicklungen im Vergleich zum JStGH oder dem RStGH zu verzeichnen sind. Allerdings gilt diese Feststellung nicht in vollem Umfang für die Umsetzung der menschenrechtlichen Vorgabe, dass die Untersuchungshaft von einem absoluten Ausnahmecharakter geprägt sein soll. Deutlicher als bei Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St., tritt der Regelcharakter von Untersuchungshaft auf nationaler Ebene durch Art. 59 Abs. 4 ­IStGH-St. zu Tage. Während die erstgenannte Vorschrift streng genommen die Anordnung milderer Mittel – wenn auch implizit – ermöglichen würde, fehlt es in der Praxis an einer entsprechenden menschenrechtskonformen Auslegung. 464

Bemba (Fn. 447), Rn. 55, 82, 85.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Wünschenswert wäre eine ausdrückliche Klarstellung im Wortlaut der Vorschrift. Die Untersuchungshaft ist diesbezüglich demnach eher von einem „relativen“, als von einem absoluten Ausnahmecharakter geprägt. Etwas anderes gilt hingegen für Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Ist der Wortlaut der Vorschrift auch nicht eindeutig, wurde die Möglichkeit zur Anordnung milderer Mittel in der Rechtsprechung deutlich hervorgehoben. Hierdurch wird die Konformität mit den menschenrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft als einem der elementarsten Ausprägungen des Rechts auf Freiheit ohne Einschränkungen hergestellt. (4) Der Einfluss der Unschuldsvermutung Der Grundsatz der Unschuldsvermutung ist in Art. 66 ­IStGH-St. verankert. Dabei enthält Abs. 1 die „klassische“ Form der Unschuldsvermutung insofern, als nach dieser Norm jeder bis zum gesetzlichen Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat. Die Fortschrittlichkeit und Erweiterung dieser Vorschrift gegenüber der Regelung an den Tribunalen und in Teilen auch den Menschenrechten465 manifestiert sich nicht lediglich anhand der Erweiterung des Anwendungsbereichs durch den Wortlaut auf Beschuldigte („Everyone“). Während Abs. 2 deutlich besagt, dass die Beweislast für den Nachweis der Schuld des Angeklagten beim Ankläger liegt, legt Abs. 3 den für eine Verurteilung erforderlichen Beweisstandard fest. So sticht die Unschuldsvermutung im Römischen Statut nicht nur durch ihre regulative Eigenständigkeit deutlich hervor, die sich darin manifestiert, dass sie nicht zwischen den Rechten des Angeklagten eingestellt ist, sondern in einer eigenen Vorschrift den Angeklagtenrechten vorgeht, sondern auch durch ihre Ausführlichkeit.466 Ferner besagt Art. 67 Abs. 1 lit. i) I­ StGH-St. für beweisrechtliche Fragen, dass dem Angeklagten weder eine Umkehr der Beweislast noch eine Widerlegungspflicht auferlegt werden darf. Gerade in dieser Vorschrift wird der erhebliche Unterschied zur Rechtslage an den Ad-hoc-Tribunalen erkennbar.467 Den gesetzlich verankerten Ausprägungen der Unschuldsvermutung ist demnach nichts hin­ zuzufügen. Im Hinblick auf die oben erläuterten Grundsätze begegnen die in Teilen faktische Umkehr der Beweislast sowie der „relative“ Ausnahmecharakter von Unter-

465

Dazu Stahn/Sluiter, S. 462, und Buisman, in: Haveman/Kavran/Nicholls, S. 216. Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Vorschrift Schabas, in: Triffterer, Art. 66 Rn. 3 ff., und Baum, in: Wisc. Int’l L. J. 19 (2001), 197, 203 f. 467 Man denke in diesem Zusammenhang daran, dass es nach der dortigen Rechtslage dem Angeklagten obliegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO vorliegen. Zappalá, S. 94, spricht in diesem Zusammenhang von einer probatio diabolica. 466

III. Die Untersuchungshaft

267

suchungshaft gleichwohl Bedenken, die durch ihre Ausgestaltung nicht vollumfänglich der zu vermutenden Unschuld entsprechen. Was den Einfluss der Unschuldsvermutung in der Praxis anbelangt, ist bemerkenswert, dass diesem Grundsatz in den entsprechenden Entscheidungen eine eher untergeordnete Bedeutung beigemessen wird.468 Der Charakter dieses Grund­ satzes als Prinzip mit größerer theoretischer als praktischer Bedeutung wird also beibehalten. Dies mag aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass vielmehr auf die für die Untersuchungshaft konkreteren Grundsätze über das Regel-AusnahmeVerhältnis oder die Beweislastverteilung rekurriert wird. Demnach ist die Unschuldsvermutung als allgemeines Leitprinzip und Ursprung bestimmter Grundsätze zu verstehen, welches in den verschiedenen relevanten Bereichen diverse Ausprägungen zeitigt. Ein Einfluss auf Erwägungen im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft, d. h. im Rahmen der prognoseartigen Beurteilung, kann ihr jedoch nicht zugeschrieben werden. Dies hat die Verfahrenskammer im Fall Bemba deutlich zum Ausdruck gebracht.469 (5) Die Untersuchung der Menschenrechtskonformität unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitsund Wesensgehaltsaspekten Im Römischen Statut kommt das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Hinblick auf die Regelung der Untersuchungshaft explizit zum Ausdruck.470 Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. sieht vor, dass die Festnahme der Person notwendig („necessary“) erscheinen muss, um bestimmten Gefahren für die Durchführung des Strafverfahrens von vornherein effektiv zu begegnen. Gleiches gilt über den Verweis in Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. für die Fortdauer der Untersuchungshaft; auch diese muss bedingt durch das Vorliegen zumindest eines Haftgrundes notwendig erscheinen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip entfaltet in verschiedener Hinsicht Auswirkungen in den einschlägigen Statutsnormen. Anstelle eines Haftbefehls ist der Ankläger darauf zu verweisen, eine Ladung als „milderes Mittel“ zu beantragen, sofern keiner der Haftgründe nach Ansicht der Vorverfahrenskammer greift.471 Ferner dient die Formulierung in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. auch dazu, den abschließenden Charakter der Haftgründe zu verdeutlichen und somit die Möglichkeiten der Freiheitsentziehung auf ein bestimmbares Maß festzu­ 468 Eine der wenigen Entscheidungen, in denen die Unschuldsvermutung Erwähnung findet, ist diejenige in Bemba (Fn. 442), 14. August 2009, Rn. 37. 469 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the Review of the Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo Pursuant to Rule 118 (2) of the Rules of Procedure and Evidence, 1. April 2010, Rn. 33. 470 Fernández de Gurmendi/Friman, in: YB Int’l Hum. L. 3 (2000), 289, 305. 471 Dazu van Heeck, S. 311; Fourmy, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1219.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

legen. Darüber hinaus schließt Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. eine Ermessensentscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus und zwingt hierdurch zum Rückgriff auf ein milderes Mittel, sofern die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. nicht mehr gegeben sind. Noch weiter geht in diesem Kontext das Normverständnis von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., der einen Ermessensspielraum auch dann eröffnet, wenn die Haftvoraussetzungen trotz veränderter Umstände weiterhin gegeben sind. Hiermit zusammen hängt auch die Pflicht der Kammern zur Überprüfung der Haftvoraussetzungen in einem zeitlichen Abstand von höchstens 120 Tagen, vgl. Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGHVBO. Eine der wichtigsten Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips in nationalen Rechtsordnungen besteht zudem in der (zusätzlichen) Beschränkung der Dauer von Untersuchungshaft.472 Die einschlägige Vorschrift im Statut stellt Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. dar. In dessen Rahmen kann das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Abwägung im Zusammenhang mit der Beurteilung der „Angemessenheit“ der Verzögerung von Relevanz sein. In Anlehnung an die obige Dogmatisierung im Zusammenhang mit Regel 65 (B) ­JStGH-VBO473 ist für den IStGH festzustellen, dass dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auch hier eine Doppelfunktion zukommt. (a) Die Ebene der Legitimität der Normen Auf der übergeordneten Ebene der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrund­ lagen wird der Einfluss dieses Prinzips an diversen Stellen deutlich. Zum einen ist Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. derart konzipiert, dass die Haftgründe erschöpfend normiert und damit neben lit. a) als abschließende Kriterien für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft ausgestattet sind. Konsequenz dessen ist als Rechtsfolge eine gebundene Entscheidung. Zum anderen ist die Beweislast explizit auf der Seite des Anklägers verankert. In genereller Hinsicht belegen dies neben einer Zusammenschau der Art. 58 Abs. 1, 60 Abs. 2 ­IStGH-St. auch die Art. 66 Abs. 2, 67 Abs. 1 lit. i) ­IStGH-St. Gleichwohl muss in der Praxis auf eine strikte Einhaltung dieses Grundsatzes geachtet werden, da es in der bisherigen Rechtsprechung nicht immer zu einer einheitlichen Umsetzung kam. Die entsprechenden Grundlagen sind jedoch im Römischen Statut verankert. Letztendlich erfährt auch der Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft eine andere Konzeption als an den Ad-hoc-Tribunalen. Wenn auch nicht explizit, so impliziert doch Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. die Möglichkeit, in menschenrechts-

472 So beispielsweise im deutschen Recht, vgl. BVerfGE 20, 45, 49 f.; BVerfG, 2 BvR 170/06, Beschluss vom 16. März 2006, Rn. 25; sowie Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Rn. 55. 473 Grundsätzlich ist für die folgende Darstellung auf die entsprechenden Ausführungen zu den Ad-hoc-Tribunalen zu verweisen, dazu B. III. 2. b) dd).

III. Die Untersuchungshaft

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konformer Weise trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von Untersuchungshaft auf mildere Mittel zurückzugreifen. Ebendies gilt für Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Der zweite Satz dieser Vorschrift verweist auf die Voraussetzungen nach Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. und mithin zugleich auf das Erfordernis der „Notwendigkeit“ der Inhaftierung. Dies impliziert unter dem Gesichtspunkt des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft (in Zusammenschau mit Art. 60 Abs. 2 Satz 3 ­IStGH-St.) zugleich die Möglichkeit, Auflagen als mildere Mittel erwägen zu können. Nur, wenn die Kammer von dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. überzeugt ist, soll die Untersuchungshaft aufrechterhalten werden. Liegt eine dahingehende Über­ zeugung nicht vor, besagt Art. 60 Abs. 2 Satz 3 I­ StGH-St. sinngemäß, dass Auflagen als milderes Mittel angeordnet werden können, um den verbleibenden Risiken des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St., unterhalb der Schwelle der Notwendigkeit der Inhaftierung, zu begegnen. Da die „Notwendigkeit“ als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Anordnung milderer Mittel auf Ebene der Erforderlichkeit erfasst, und Art. 60 Abs. 2 Satz 3 ­IStGH-St. dies nochmals verdeutlicht, bestehen im Hinblick auf die Legitimität der Vorschrift keine Bedenken. (b) Die Ebene der Normanwendung Auch auf der Ebene der Normanwendung bestimmt das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Form der Abwägung maßgeblich die praktische Handhabung der Vorschriften betreffend die Untersuchungshaft. Zunächst stehen die Richter bei der Entscheidung über die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft generell in der Verpflichtung, die ihnen vorliegenden Fakten vor dem Hintergrund des jeweiligen Falles gegeneinander abzuwägen und ihnen ihr Gewicht beizumessen.474 Neben der Abwägung betreffend die Entscheidung über das Vorliegen von Haftgründen, insbesondere der Fluchtgefahr,475 und dem Abwägungsvorgang, der im Verfahren gegen Lubanga aufgrund der Einstellung des Verfahrens vorgenommen wurde,476 sind Fragen der Abwägung hauptsächlich im Zusammenhang mit der Angemessenheit der Dauer von Untersuchungshaft bedeutsam. Zugrunde­ gelegt wird bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Zeitspanne das durch 474 So die Einzelrichterin im Verfahren gegen Bemba, s. Bemba (Fn. 442), 14. August 2009, Rn. 38; dahingehend auch Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 437), Rn. 26. Obwohl in diesen Entscheidungen lediglich der Bezug zur Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft hergestellt wird, kann für die Frage der Anordnung nichts anderes gelten, als dass auch hier eine umfassende Betrachtung unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu erfolgen hat. 475 Bemba (Fn. 443), Rn. 46, 49 f.; ders. (Fn. 449), Rn. 77 f., 83. 476 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Trial Chamber, Decision on the Release of Thomas Lubanga Dyilo, 02. Juli 2008, Rn. 33; Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecutor against the Decision of Trial Chamber I entitled „Decision on the Release of Thomas ­Lubanga Dyilo“, 21. Oktober 2008, Rn. 42.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

den EGMR geprägte Erfordernis der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung und dem Recht der Person auf Freiheit.477 Erstmals im Verfahren gegen Lubanga eingeführt, findet sich in späteren Entscheidungen der Kammern des IStGH des Öfteren ein Verweis auf diese Phrase, die das Erfordernis einer umfassenden Abwägung bei der Frage der Angemessenheit vorsieht.478 So wird deutlich, dass neben der übergeordneten Ebene der Rechtmäßigkeit der Vorschriften auch in der praktischen Anwendung auf Verhältnismäßigkeitserwägungen und das Erfordernis einer umfassenden Abwägung in menschenrechtskonformer Weise rekurriert wird. Problematisch auf der Ebene der Normanwendung ist hingegen die Umsetzung einzelner, in den rechtlichen Grundlagen verankerter Grundsätze. Dies gilt vor allem im Hinblick auf das Verständnis von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Die Auslegung dieser Vorschrift hat gezeigt, dass auch dort, neben Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., der Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft seinen Niederschlag findet. Bedenklich ist allerdings die zuvor thematisierte Praxis der Kammern, den Maßstab des Kriteriums „appears necessary“ in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. derart herabzusetzen, dass nahezu regelmäßig, unter bereits geringen Voraussetzungen, die Inhaftierung notwendig erscheint. De facto kommt es hierdurch zu einer Verkehrung des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft zum Regelfall – denn wird die weitere Inhaftierung für notwendig erachtet, entfällt zugleich die Möglichkeit, auf mildere Mittel zu rekurrieren. Dieser recht niedrig angesetzte Maßstab findet auch keine Rechtfertigung. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das in dem Merkmal der „Notwendigkeit“ seinen Niederschlag findet, wird durch die richterliche Spruchpraxis ausgehebelt. Hierdurch wird übermäßig in das Recht auf Freiheit der Person eingegriffen. Insbesondere ist diese praktische Handhabung bereits unter dem Aspekt nicht legitim, als der Ausnahme­charakter von Untersuchungshaft zum absolut geschützten Kernbereich der menschenrechtlichen Gewährleistung gehört. Ebendies gilt für die in den entsprechenden Entscheidungen anklingende Umkehr der Beweislastverteilung. Unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitsaspekten und dem Wesensgehaltsgedanken darf es nicht dazu kommen, dass in 477 EGMR, W. ./. Schweiz, Serie A Nr. 254-A, Rn. 39; Scott ./. Spanien, Reports 1996-VI, Rn. 74; Contrada ./. Italien, Reports 1998-V, Rn. 54; Labita ./. Italien, Reports 2000-IV, Rn. 152. 478 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Second Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, 11. Juni 2007, S. 7 („… in ­assessing the reasonableness of the detention the Chamber shall outweigh the genuine re­ quirement of public interest with the rule of respect for individual liberty …“); Katanga/ Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Second Review of the Decision on the Conditions of Detention of Germain Katanga, 12. Dezember 2008, Rn. 16; Fifth Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 04. November 2009, Rn. 14.

III. Die Untersuchungshaft

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der Praxis auf der Ebene der Normanwendung grundlegende Prinzipien, die zudem in den rechtlichen Grundlagen ihren Niederschlag gefunden haben, unberücksichtigt bleiben bzw. in ihr Gegenteil verkehrt werden. (c) Fazit im Hinblick auf die Menschenrechtskonformität Im Ergebnis lässt sich somit die Verhältnismäßigkeit der entsprechenden Regelungen der Art. 58 Abs. 1, 60 Abs. 2–4 I­ StGH-St. feststellen. Einzig in der praktischen Umsetzung können vereinzelt Mängel dahingehend konstatiert werden, dass eine menschenrechtskonforme Auslegung durch die Kammern nicht durchgehend erfolgt. Dies begründet zugleich eine Gefahr für die Durchsetzung der durch die Menschenrechtskodifikationen gewährleisteten Rechte. Im Übrigen wird auf der Ebene der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage in Abwägung mit den institutionellen und strukturellen Schwierigkeiten ein Mittelweg gesucht, der das Recht auf Freiheit nicht unverhältnismäßig gegenüber den Zwecken von Untersuchungshaft und denjenigen der internationalen Strafrechtspflege einschränkt. Ein solcher Mittelweg ist im Römischen Statut gefunden worden. Auf der Ebene der Normanwendung sind Verhältnismäßigkeitserwägungen vor allem im Rahmen einer Abwägung einzelner Umstände bei der Frage der Angemessenheit der Dauer von Untersuchungshaft bedeutsam. Darüber hinaus muss in der praktischen Umsetzung auf die menschenrechtskonforme Aus­ legung der rechtlichen Grundlagen geachtet werden. (6) Die Anhörung des Gaststaates und des Aufnahmestaates Als weiteres Erfordernis einer vorläufigen Entlassung aus der Untersuchungshaft sehen Regel 119 Abs. 3 IStGH-VBO sowie Regel 51 der Geschäftsordnung des Gerichtshofs479 vor, dass die Richter sowohl den Gaststaat als auch den Aufnahmestaat um Stellungnahmen ersuchen sollen. Für das Erfordernis der Anhörung der Niederlande als Gaststaat des IStGH gelten dieselben Erwägungen, die bereits im Zusammenhang mit den VN-Tribunalen angestellt wurden. Für die Ein- und Ausreise (vorläufig) entlassener Personen ist die Mitwirkung des Gaststaates unerlässlich, Regel 185 Abs. 1 IStGH-VBO. Aus diesem Grund ist in Art. 47 des „Headquarters Agreement“480 die Unterstützung durch die Niederlande in solchen Fragen festgelegt. 479

Regulations of the Court (ICC-BD/01-02-07) in der Fassung vom 14. Juni 2007 und 14. November 2007. 480 Headquarters Agreement between the International Criminal Court and the Host State (ICC-BD/04-01-08) in der Fassung vom 7. Juni 2007. Der Abschluss eines „Headquarters

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Im Hinblick auf die Stellungnahme des Aufnahmestaates hat die zuständige Einzelrichterin im Verfahren gegen Bemba die Ansicht vertreten, dass auch in Ermangelung der positiven Zusage eines Staates auf eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft als Ergebnis der Haftprüfung erkannt werden könne.481 Die Berufungskammer hingegen sah es als zwingendes Erfordernis einer vorläufigen Haftentlassung, dass Klarheit in Bezug auf den aufnehmenden Staat bestehe, und führte dies als einen unter weiteren Gründen an, um die Entscheidung der Einzelrichterin aufzuheben.482 Demzufolge ist die Zusage eines Aufnahmestaates als formelle Voraussetzung einer vorläufigen Haftentlassung zu erachten.483 Eine solche Handhabung ist allerdings nicht unproblematisch. Schließlich liegen der Erfüllbarkeit dieser Voraussetzung Umstände zugrunde, die der Untersuchungshäftling nicht zu beeinflussen vermag.484 Der richtige Weg für die Praxis wäre, über die Kooperationsverpflichtung in Art. 86 ­IStGH-St. sicherzustellen, dass ein Aufnahmestaat zur Verfügung steht. Anderenfalls würde, sofern die übrigen Voraussetzungen einer Entlassung vorlägen, die Inhaftierung auf sachwidriger Grundlage fortgesetzt. Im Verfahren gegen Bemba sind die Anforderungen thematisiert worden, die, sollte sich ein Staat zur Aufnahme bereit erklären, an diese Zusage nach Auffassung der Kammern zu stellen sind. Anknüpfend an die oben genannte Entscheidung der Berufungskammer im Hinblick auf das Erfordernis bestehender Klarheit über den aufnehmenden Staat, wurde seitens der Verfahrenskammer ein recht strenger Maßstab angesetzt.485 Hierdurch drängte sich der Eindruck einer zusätzAgreement“ wurde in Art. 3 Abs. 2 ­IStGH-St. entsprechend vorgesehen. Dazu Strijards, in: Triffterer, Art. 3 Rn. 5, 19 ff.; Kleffner, in: Hallers/Joubert/Sjöcrona, S. 6 f.; Corell, in: von Hebel/Lammers/Schukking, S. 181 ff. Zur Position der Niederlande als Gaststaat des IStGH s. Sluiter, in: J. Int’l Crim. Just. 2 (2004), 158, 172 ff.; Bevers/Blokker/Roording, in: Leiden J. Int’l L. 16 (2003), 135, 147 ff. 481 Bemba (Fn. 442), 14. August 2009, Rn. 88. Bemba hatte beantragt, in einen der in der Überschrift aufgeführten Staaten entlassen zu werden. 482 Bemba (Fn. 449), Rn. 106 ff. 483 Dabei hat die Verfahrenskammer in Bemba deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Zusage konkret sein und belegt werden müsse. Die theoretische Möglichkeit der Aufnahmebereitschaft reiche nicht aus, um dieses Erfordernis zu erfüllen. Vgl. Bemba (ICC01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the Review of Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to the Appeals Judgment of 19 November 2010, 17. Dezember 2010, Rn. 45. 484 Dazu auch Golubok, in: Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals 9 (2010), 295, 307 f. 485 Zunächst lehnte die Verfahrenskammer im Dezember 2010 ein dahingehendes Vor­ bringen der Verteidigung mit der Begründung ab, die bloße Verfügbarkeit verschiedener Staaten, die bereit zur Aufnahme seien, sei nicht konkret genug und stelle lediglich die hypothetische Möglichkeit zur Aufnahme dar, vgl. Bemba (Fn. 483), Rn. 45. Nachdem Bemba daraufhin die konkrete Zusage eines Staates (um welchen Staat es sich hierbei handelt, wurde bislang nicht öffentlich bekannt gegeben) vorlegte, entschied die Verfahrenskammer, dass auch dies nicht ausreiche; vielmehr müsste durch den potentiellen Aufnahmestaat konkret belegt werden, welche Auflagen dieser zu erfüllen fähig und willens sei, vgl. Bemba (ICC01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the „Decision on Applications for Provisional Release“ of 27 June 2011, 16. August 2011, Rn. 59.

III. Die Untersuchungshaft

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lichen Hürde für den Angeklagten auf. Der strenge Ansatz wurde später durch die Berufungskammer mit deutlichen Worten relativiert.486 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Berufungskammer im Ver­ fahren gegen Bemba bedeutet dies für die Anhörung des Aufnahmestaates folgendes: Zunächst muss Klarheit dahingehend bestehen, welcher konkrete Staat sich dazu bereit erklärt, den Untersuchungshäftling im Fall einer Entlassung aus der Haft aufzunehmen. Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung aber auch betont worden, dass keinesfalls ein Anspruch auf Entlassung in diesen Staat bestehe, sondern dass diese Frage in das Ermessen der entscheidenden Kammer gestellt sei.487 Um diese Ermessensentscheidung treffen zu können, muss die zuständige Kammer jedoch ausreichende Kenntnis der Umstände und Auflagen haben, die der jeweilige Staat zu erfüllen willens und fähig ist.488 Grundsätzlich hat die Kammer dafür Sorge zu tragen, dass ihr diese Informationen zur Verfügung stehen. Falls sich also der betreffende Staat nicht zu den möglichen Auflagen äußert, hat sie diesen um eine entsprechende Stellungnahme zu ersuchen. Diese Verpflichtung besteht hingegen nicht, sofern sich der potentielle Aufnahmestaat bereits hierzu geäußert hat.489 Zudem ist Regel 119 Abs. 3 IStGH-VBO dahingehend zu ver­ stehen, dass die Verfahrenskammer einen Staat erst dann um eine Stellungnahme zu ersuchen hat, wenn überhaupt eine Entlassung unter Auflagen erwogen wird.490 Entscheidet die Verfahrenskammer aufgrund des ihr eingeräumten Ermessens demnach, eine vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft unter Auflagen überhaupt nicht zu erwägen, muss sie auch nicht dafür Sorge tragen, dass ihr für eine „informierte Entscheidung“ ausreichend Informationen des potentiellen Aufnahmestaates zur Verfügung stehen.

486 Die Berufungskammer verdeutlichte, dass es nicht dem Aufnahmestaat, sondern der zuständigen Kammer obliege, über die möglichen Auflagen zu entscheiden. Die Verfahrens­ kammer unterlag nach Ansicht der Berufungskammer der Verpflichtung, eine entsprechende Stellungnahme des aufnahmewilligen Staates einzuholen, so Bemba (Fn. 447), Rn. 53, 55. Die Berufungskammer verdeutlichte somit, dass entsprechende Defizite nicht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt werden könnten. 487 Bemba (Fn.447), Rn. 55. 488 Bemba (Fn.447), Rn. 55 („It only means that the Chamber must seek information that would enable it to make an informed decision on the matter.“). 489 Die Kammer muss demnach nur unter drei Voraussetzungen den jeweiligen Staat um weitere Informationen ersuchen, vgl. dazu Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 26 September 2011 entitled „Decision on the Accused’s Application for Pro­ visional Release in Light of the Appeals Chamber’s Judgment of 19 August 2011“, 15. Dezember 2011, Rn. 35 („They [the obligations, Anm. d. Verf.] are only triggered when: (a) the Chamber is considering conditional release; (b) a State has indicated its general willingness and ability to accept a detained person into its territory; and (c) the Chamber does not have sufficient information before it regarding the conditions of release to enable it to make an informed decision.“). 490 Bemba (Fn.447), Rn. 82.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dd) Die Möglichkeit zur Anordnung von Auflagen bei vorläufigen Haftentlassungen Die Art. 60 Abs. 2–4 ­IStGH-St. verdeutlichen, dass die Entlassung einer Person aus der Untersuchungshaft unter Auflagen angeordnet werden kann („with or without conditions“). Zunächst sieht Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. die Anordnung von Auflagen für den Fall vor, dass zwar die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gemäß Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. nicht mehr vorliegen, indes die in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. dargelegten Risiken für den Fall einer Entlassung wohl nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Einen weiteren Ansatz hat die Rechtsprechung im Verfahren gegen Bemba für Haftprüfungsentscheidungen nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. entwickelt. Danach können zum einen Auflagen angeordnet werden, wenn – wie im Fall von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. – die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. nicht mehr vorliegen, gleichwohl aber die Verwirklichung der dort beschriebenen Risiken zu befürchten ist. In diesem Fall können Auflagen mit der Entlassung angeordnet werden, um die Realisierung der Risiken zu verringern bzw. aus­zuschließen. Zum anderen besteht nach Ansicht der Rechtsprechung die Möglichkeit, „unter angemessenen Umständen“ („in appropriate circumstances“) Auflagen anzuordnen, die nicht per se darauf ausgerichtet sind, Risiken zu minimie­ren491 – und streng genommen losgelöst von dem Bezug zu Art. 58 Abs. 1 lit. b) IStGH-St. sind. Ferner hat die Berufungskammer in Bemba deutlich hervorgehoben, dass Auflagen auch als milderes Mittel im Vergleich zu einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft angeordnet werden können. In diesem Fall liegen die Voraus­setzungen des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. zwar weiterhin vor. Die zuständige Verfahrens­ kammer kann allerdings auf die Anordnung von Auflagen zurück­greifen, die ihrer Ansicht nach geeignet sind, die mit der Untersuchungshaft verfolgten Zwecke ebenso effektiv zu erfüllen.492 Die Verfahrenskammer hat sich sodann mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Auflagen die Risiken des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. auf ein akzeptables Maß verringern können, und ob dieser Grad der Minimierung die Entlassung unter Auflagen verlangt.493 491 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Pro­ secutor against Pre-Trial Chamber II’s „Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa“, 02. Dezember 2009, Rn. 105. Die Berufungskammer spricht diesbezüglich von einer „two-tiered examination“, als deren Resultat eine richterliche Entscheidung getroffen wird. Ferner unlängst Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 27 June 2011 entitled „Decision on Applications for Provisional Release“, 19. August 2011, Rn. 55. 492 Bemba (Fn. 491), 19. August 2011, Rn. 55. 493 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the 26 Septem­ber 2011 Decision on the Accused’s Application for Provisional Release in Light of the ­Appeals Chamber’s Judgment of 19 August 2011, 27. September 2011, Rn. 34 f., 37.

III. Die Untersuchungshaft

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Mit diesem Ansatz sieht die Rechtsprechung die Möglichkeit vor, den der Anordnung von Auflagen zugedachten Zweck zu verwirklichen – nämlich in der Funktion als milderes Mittel zur Untersuchungshaft trotz Vorliegens von deren Voraussetzungen. Im Hinblick auf die möglichen Auflagen beinhaltet Regel 119 IStGH-VBO einen Katalog derselben. Wie bereits durch den Wortlaut des Chapeaus indiziert („including the following“), erfolgt mit der dortigen Normierung keine abschließende Aufzählung.494 Vielmehr offeriert Regel 119 Abs. 1 lit. a) – h) IStGH-VBO richtlinienartig diverse freiheitsbeschränkende Auflagen.495 Verstößt die Person gegen eine oder mehrere der angeordneten Auflagen, kann die Vorverfahrens­ kammer auf eigene Initiative oder auf Antrag durch die Anklagebehörde einen Haftbefehl ausstellen, Regel 119 Abs. 4 IStGH-VBO.496 Die in Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO normierten Auflagen sind im Wesentlichen inhaltsgleich mit denjenigen, die durch die VN-Tribunale auf der Grundlage von Regel 65 (C) J­ StGH-VBO angeordnet wurden. Dabei geht die Auflagenpraxis der Tribunale inhaltlich noch über Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO hinaus.497 Da diese Vorschrift jedoch keine abschließende Regelung enthält, ist auch in der Handhabung durch den IStGH eine extensive Anordnung freiheitsbeschränkender Auflagen zu erwarten. Bislang ist einziger Beispielsfall hierfür das Verfahren gegen Bemba. Dieser hatte im Vorfeld zwanzig persönliche Garantien für den Fall seiner vorläufigen Entlassung angeboten,498 welche die Auflagen nach Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO umfassten und auch in teils erheblichem Maße über den Standard hinausgingen, den die Ad-hoc-Tribunale praktizieren.499 Da die Berufungskammer die Entscheidung der Einzelrichterin aufgehoben hat, gibt es bislang noch kein praktisches Beispiel für die Handhabung in der Anordnung von Auflagen am IStGH. Auch die im Verfahren gegen Bemba nachfolgend angebotenen Staatengarantien vermögen kein anderes Bild zu zeichnen. Diejenigen Auflagen, de 494

Friman, in: Lee, The International Criminal Court, S. 520. Friman/Fernández de Gurmendi, in: YB Int’l Hum. L. 3 (2000), 289, 305. 496 Obwohl Regel 119 IStGH-VBO aufgrund der Systematik lediglich die Vorverfahrens­ kammer erwähnt, stehen der Hauptverfahrenskammer nach der Entscheidung über die Bestätigung der Anklage dieselben Möglichkeiten zur Verfügung, vgl. Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. 497 So sind beispielsweise die Pflichten, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden, keinen Kontakt zu weiteren Angeklagten aufzunehmen, mit niemandem über das Verfahren zu sprechen oder unangekündigte Kontrollbesuche der lokalen Behörden zu akzeptieren, angeordnet worden; vgl. Ademi (IT-01-46), Trial Chamber, Order on Motion for Provisional Release, 20. Februar 2002, Rn. 40; Haradinaj et al. (IT-04-84), Trial Chamber, Decision on Ramush Haradinaj’s Motion for Provisional Release, 06. Juni 2005, Rn. 53. 498 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on the Interim Release of JeanPierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa, 14. August 2009, Rn. 95. 499 Bemba hatte unter anderem angeboten, sich täglich bei den lokalen Behörden zu melden, sich überwachen zu lassen, für die Kosten aufzukommen, die dem jeweiligen Staat durch die Aufnahme seiner Person entstünden, und sich nötigenfalls unter Hausarrest stellen zu lassen. 495

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ren Durchsetzung durch den potentiellen, bislang unbekannten, Aufnahmestaat dem Gerichtshof zugesichert wurde, waren extensiv angelegt und gingen über den Wortlaut von Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO hinaus.500 Wertungsmäßig hat die Möglichkeit zur Anordnung von Auflagen in der jüngeren Rechtsprechung ein menschenrechtskonformes Gepräge erhalten. Kritikwürdig und zweifelhaft erscheint jedoch die denkbare Anordnung von Auflagen in den Fällen, in denen festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen für die weitere Inhaftierung nicht mehr vorliegen. Ebenso scheint der zweite Ansatzpunkt der so genannten „two-tiered examination“501 bedenklich, d. h. die Anordnung von Auflagen losgelöst von jeglichen Erwägungen im Hinblick auf die Untersuchungshaft. Freiheitsbeschränkende Auflagen können lediglich angeordnet werden, sofern sie als milderes Mittel zur Untersuchungshaft dieselben Zwecke in gleich geeigneter Weise sichern können. Mit der Feststellung, dass die Voraussetzungen der Inhaftierung nicht mehr vorliegen, entfällt zugleich die Legitimation für Eingriffe in die Freiheit der Person. Hat die Kammer dahingehend be­funden, dass keine Haftgründe und somit keine Notwendigkeit besteht, weiterhin in die Freiheit des Beschuldigten bzw. Angeklagten einzugreifen, muss dies ebenso für weniger einschneidende Maßnahmen als den vollständigen Entzug der Bewegungsfreiheit gelten. ee) Fazit: Die Untersuchungshaft am IStGH Im Ergebnis ist für den IStGH festzustellen, dass im Römischen Statut, der Verfahrens- und Beweisordnung, sowie im Rahmen der praktischen Anwendung in vielerlei Hinsicht eine Umsetzung der menschenrechtlichen Vorgaben erfolgt. Dies gilt neben der Normierung der materiellen Voraussetzungen von Unter­ suchungshaft ebenso für übergeordnete formelle Leitprinzipien. Mit den Art. 58 Abs. 1, 60 Abs. 2–4 ­IStGH-St. sind explizite Regelungen getroffen worden, welche die Untersuchungshaft als eigenständiges rechtliches Institut begreifen und an deren Anordnung und Aufrechterhaltung bestimmte Voraussetzungen gestellt werden. In Bezug auf diese Voraussetzungen werden die Kritikpunkte, die im Hinblick auf die Rechtslage in der EMRK anzumerken waren, überwunden, indem beispielsweise als grundlegendes Erfordernis der hinreichende Verdacht der Begehung einer Straftat normiert ist. Von diesem sind die abschließend aufgezählten Haftgründe zu differenzieren. Für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft beinhaltet Art. 60 ­IStGH-St. ein festgelegtes Regelungssystem, in welchem zwischen der ersten Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gemäß Art. 60 Abs. 2 I­StGH-St. und den darauf folgenden Haftprüfungsentscheidungen im Sinne von Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. zu unter 500 501

Vgl. nur Bemba (Fn. 493), Rn. 13. Dazu Fn. 491.

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scheiden ist. Darüber hinaus ist in Art. 60 Abs. 4 I­ StGH-St. ausdrücklich eine Beschleunigungsmaxime vorgesehen, die in Fällen unentschuldbarer Verzögerungen durch den Ankläger zu einer Entlassung aus der Untersuchungshaft führen kann. Trotz einzelner Ansatzpunkte für Kritik ist zumindest eine menschenrechtskonforme Auslegung der jeweiligen Vorschriften stets möglich, wobei hiermit keine Aussage über deren praktische Umsetzung getroffen werden soll. Bezüglich der Ausführungen der Kammern ist zu beanstanden, dass die Begründungen der einzelnen Entscheidungen in Teilen recht kurz ausfallen. Hierbei ist vor allem das Erfordernis des fortdauernden Tatverdachts zu erwähnen, welcher mittels einer eher rudimentär anmutenden Argumentation als gegeben er­achtet wird. Für die Ausführungen zu den Haftgründen gilt, dass die ersten Entscheidungen im Verfahren gegen Lubanga oftmals schlüssige Begründungen vermissen ließen, sich dieser Umstand aber in späteren Entscheidungen sowie in den folgenden Verfahren gegen Katanga, Ngudjolo Chui und vor allem im Fall Bemba geändert hat. Die Einführung menschenrechtlicher Vorgaben in das Normenwerk setzt sich mit Konstanz auch in den übergeordneten Leitprinzipien im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft fort. So ist dem Rom-Statut zufolge die Beweislast durch den Ankläger zu tragen und die Entscheidung über eine weitere Inhaftierung oder die Entlassung liegt nicht im Ermessen der zuständigen Kammer. Im Rahmen von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. kommt, wenn auch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit, aber immerhin konträr zu Art. 59 Abs. 4 I­StGH-St., der Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft zum Ausdruck. Stärker und in Übereinstimmung mit menschenrechtlichen Vorgaben beansprucht der Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft hingegen Geltung im Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Ferner erfährt die Unschuldsvermutung zwar eine ausdrucksstarke statutsmäßige Verankerung, jedoch eine geringe praktische Relevanz. Zuletzt haben Verhältnismäßigkeitserwägungen gezeigt, dass für den IStGH ein Mittelweg gefunden wurde zwischen den Besonderheiten von internationalen Strafgerichten auf der Ebene der Makrokriminalität und dem dringenden Bedürfnis zur Wahrung menschenrechtlicher Inhalte. Einzig die praktische Um­setzung dieser Grundlagen gibt Anlass zu Bedenken. Obgleich dieser Mittelweg als bedeutsame Weiterentwicklung in der Geschichte internationaler Strafgerichtsbarkeit zu betrachten ist, müssen diese Normen zwingend auch in der praktischen Handhabung ihren menschenrechtskonformen Charakter beibehalten.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

3. Zusammenfassung und Stellungnahme In einer abschließenden Zusammenfassung und Stellungnahme sollen die in diesem Kapitel herausgearbeiteten Ergebnisse zu den internationalen Strafgerichten und die eingangs erörterten menschenrechtlichen Standards gegenübergestellt werden. Neben dem Erfordernis des Tatverdachts sind die Haftgründe sowie die erörterten formellen Grundsätze jeweils vergleichend zu betrachten.

a) Das Erfordernis des Tatverdachts Der Tatverdacht, zunächst gleich, in welcher konkreten Ausgestaltung, ist notwendiges Element einer jeden Freiheitsentziehung in Form von Untersuchungshaft. Er stellt den Konnex dar zwischen einer begangenen Straftat und der Anordnung sowie Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft, welche letztendlich die Durchführung des Strafverfahrens im Hinblick auf eben diese Straftat sichern soll. Der vorgesehene Verdachtsgrad ist darüber hinaus als Schwelle für die Anordnung von Untersuchungshaft zu begreifen. So ist vorerst nicht entscheidend, dass der Verdacht der Begehung einer Straftat besteht, sondern im Hinblick auf die Inhaftierung kommt es maßgeblich darauf an, wie stark ausgeprägt ein solcher ist. Nur für den Fall, dass sich dieser Verdacht, dem jeweils geltenden Maßstab entsprechend, konkretisiert und spezifiziert hat, ist die jeweils vorgesehene Schwelle überschritten, so dass der Tatverdacht als erste Voraussetzung für die Anordnung von Untersuchungshaft diese bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen zu rechtfertigen vermag. Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass sowohl an den Ad-hoc-Tribunalen, als auch am IStGH das Vorliegen des Tatverdachts grundlegende Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls und damit für die Anordnung von Untersuchungshaft ist. Während Art. 58 Abs. 1 lit. a) ­IStGH-St. diesen Standard ausdrücklich normiert („reasonable grounds“), beziehen sich Art. 19 Abs. 1 ­JStGH-St., Art. 18 Abs. 1 ­RStGH-St. auf die richterliche Bestätigung der Anklage. Diese ist allerdings unabdingbare Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls. Ist demnach der zuständige Richter zu der Überzeugung gelangt, dass der Ankläger einen „prima facie case“ glaubhaft gemacht hat, sind an den Erlass eines Haftbefehls keine zusätzlichen Voraussetzungen geknüpft. Betrachtet man die Vorschriften in ihrem jeweiligen Kontext, gelangt man zu der Erkenntnis, dass das Römische Statut im Rahmen einer Gesamtbetrachtung letztendlich strengere Voraussetzungen normiert als die Statuten der Tribunale. Das I­ StGH-St. regelt explizit die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls und differenziert zwischen der Anordnung von Untersuchungshaft (durch den Erlass eines Haftbefehls) und der hiervon vollständig unabhängigen Bestätigung der Anklage, welche in einem separaten Verfahrensabschnitt stattfindet. Hingegen ist an den Tribunalen der Erlass eines Haftbefehls nur dann möglich, sofern der Richter die An-

III. Die Untersuchungshaft

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klage bestätigt hat. In einem solchen Fall ist allerdings die Anordnung von Untersuchungshaft nicht durch das Vorliegen weiterer Voraussetzungen bedingt. Dieser recht rudimentäre Ansatz mag damit verbunden sein, dass Untersuchungshaft an den Tribunalen den offensichtlichen Regelfall darstellt. Zwar ist auch am IStGH die Verbringung in Untersuchungshaft gängige Praxis, allerdings basierend auf der Grundlage eines differenzierteren Regelwerkes. Dies belegen die unterschiedlichen Maßstäbe insbesondere für den Erlass eines Haftbefehls und die Bestätigung der Anklage. Auch bei letzterer ist in Art. 61 Abs. 7 ­IStGH-St. ein gesonderter Maßstab normiert, der über denjenigen eines „prima facie case“ hinausgeht. Unter Zugrundelegung der terminologischen Schwierigkeiten, den in den jeweiligen Statuten vorgesehenen Standard begrifflich handhabbar zu machen, ist eine einheitliche Bezeichnung des „prima facie case“ und der „reasonable grounds to believe“ nicht möglich. Bedenken begegnet in Bezug auf die EMRK der Umstand, dass dieses bloße Verdachtserfordernis für die Anordnung von Untersuchungshaft auszureichen scheint. Im Ergebnis gleicht dies der Rechtslage am JStGH und RStGH, da dort der Haftbefehl als bloßer „Annex“ zur Bestätigung der Anklage verstanden wird und sich keine darüber hinausgehende Regelung für die Anordnung von Untersuchungshaft findet. Anders ist die Rechtslage hingegen für den IStGH, da mit Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. eine Regelung getroffen wurde, die (1) die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls eigenständig normiert, und (2) gemäß lit. a) das Erfordernis hinreichenden Tatverdachts von den kumulativ erforderlichen Haftgründen separiert. Die Systematik des Römischen Statuts reicht in diesem Punkt über diejenige der EMRK hinaus und stellt eine dem Sinn und Zweck von Untersuchungshaft entsprechende Lösung dar. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der verschiedenen Normen unterschiedlicher Statuten mag verwirrend erscheinen, dass die oftmals gleichlautende Übersetzung dieselbe Bedeutung der Begriffe suggeriert. Dem ist nicht so. Vielmehr kommt es auf den Kontext an, in dem die unterschiedlichen Normen verankert sind. So lässt sich der „prima facie case“ eher mit dem „hinreichenden Tatverdacht“ der StPO gleichsetzen. Die „reasonable grounds to believe“ des Römischen Statuts entsprechen hingegen dem Erfordernis der „reasonable suspicion“ in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK und postulieren im direkten Vergleich einen niedrigeren Standard als der „prima facie case“. Maßgeblich ist schlichtweg die mit dem jeweiligen Verdachtsgrad verbundene Bedeutung unter Berücksichtigung der kontextuellen Verortung. Für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft gilt, dass das Erfordernis des Tatverdachts von eher untergeordneter Bedeutung ist. Dies gilt sowohl für die EMRK, als auch für die internationalen Strafgerichte. Während jedoch in den Entscheidungen der Tribunale keine diesbezüglichen Ausführungen erfolgen, verweisen die Richter am IStGH zwar auf das Ergebnis vorausgegangener Entschei-

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dungen, behalten sich aber – sofern die Anklage noch nicht bestätigt wurde – eigenständige Begründungen vor. b) Das Vorliegen von Haftgründen Nach dem dieser Arbeit zugrundegelegten Verständnis müssen neben dem Tatverdachtserfordernis zusätzlich Haftgründe vorliegen, durch die das Bedürfnis zum Ausdruck kommt, primär Untersuchungshaft anzuordnen bzw. diese weiterhin aufrecht zu erhalten. Für die Anordnung von Untersuchungshaft ist die Regelung des Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. in jeglicher Hinsicht maßgebend. Für die Fortschrittlichkeit gegenüber dem JStGH und dem RStGH gilt diese Aussage insofern, als dort die Anordnung von Untersuchungshaft an die Bestätigung der Anklage gebunden ist und der Erlass eines Haftbefehls keinen gesonderten Voraussetzungen unterliegt. Doch Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. reicht in seinem Inhalt auch über die menschenrecht­ lichen Vorgaben hinaus. Zunächst wird deutlich, dass zusätzlich zum Tatverdacht zumindest ein Haftgrund vorliegen muss. Dies geht insbesondere aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK gerade nicht hervor. Für den Haftgrund der Fluchtgefahr wird sowohl für den EGMR als auch am IStGH hauptsächlich auf den persönlichen Hintergrund der betreffenden Person abgestellt. Neben der Fluchtgefahr ist in Art. 58 Abs. 1 lit. b) (iii) ­IStGH-St. der Haftgrund der Wiederholungsgefahr normiert. Dessen Formulierung ist differenzierter und konkreter gestaltet als die „Verhinderung der Begehung einer Straftat“ in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK und daher nicht dem Vorwurf ausgesetzt, die Anordnung von Präventivhaft zu legitimieren. Letztendlich beinhaltet Art. 58 Abs. 1 lit. b) (ii) I­ StGH-St. mit der Verdunkelungs­gefahr einen Haftgrund, der in der EMRK nicht vorgesehen ist. Der Mindeststandard, den die Menschenrechte in dieser Hinsicht vorsehen, wird somit durch die Regelung im Römischen Statut übertroffen. Für die praktische Anwendung gilt, dass durch die Kammern des IStGH vorwiegend dieselben Kriterien zugrunde­gelegt werden, wie durch den EGMR. Wie in der praktischen Umsetzung der Menschenrechte, so liegt auch in den Entscheidungen internationaler Strafgerichte der Schwerpunkt auf der Thematik der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft. Bei einem Vergleich der Faktoren, welche von den Gerichten als eine Fluchtgefahr begründend erachtet wurden, fällt bemerkenswerterweise auf, dass diejenigen Faktoren, denen an den Ad-hoc-Tribunalen das größte Gewicht beigemessen wurde, am IStGH von eher unter­geordneter Bedeutung sind. Während es für den JStGH und den RStGH maßgeblich darauf ankommt, ob sich der Angeklagte freiwillig gestellt hat und verlässliche Staatengarantien sowie persönliche Garantien abgegeben wurden, liegt hingegen am IStGH der Schwerpunkt der Beurteilung auf den persönlichen Umständen des Beschuldigten bzw. Angeklagten. Von Bedeutung sind an allen Gerichten ferner die Schwere der Verbrechen, die zu erwartende Strafhöhe, die Kooperationsbereit-

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schaft des Betreffenden, die Umstände der Festnahme sowie die zeitliche Nähe zum Beginn der Hauptverhandlung. Insgesamt findet am IStGH eine differenziertere Beurteilung statt, indem neben der politischen und beruflichen Situation auch internationale Kontakte und die finanzielle Situation der Person mit größerem Gewicht einfließen und somit ein Schwerpunkt auf den persönlichen Verhältnissen des Untersuchungshäftlings liegt. Im Rahmen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr – oder der Gefahr der Gefährdung anderer, wie dies in Regel 65 (B) J­ StGH-VBO normiert ist – kommt der Konflikt zwischen Opfer- und Zeugenschutzaspekten und den Rechten des Angeklagten deutlich zum Ausdruck. In ungewohnt extensiver Auslegung befinden die Tribunale, dass allein die abstrakte Möglichkeit zur Einflussnahme nicht ausreiche, um auf dieser Grundlage die Entlassung abzulehnen. Insbesondere der Konflikt mit der verfahrenstypischen Offenlegung von Opfer- und Zeugenidentitäten wird zugunsten des Angeklagten entschieden. Anders hingegen stellt sich die Praxis am IStGH dar, in der eine Lösung zulasten des Beschuldigten bzw. Angeklagten praktiziert wird. So ist insbesondere die Kenntnis über die Iden­tität von Opfern und Zeugen, bedingt durch die Offenlegung und auch die Anhörung zur Bestätigung der Anklage, nach Ansicht der Kammern ein Grund, auf das Vorliegen von Verdunkelungsgefahr zu befinden. Generell wird am IStGH in diesem Zusammenhang abgestellt auf die abstrakte Möglichkeit der Einflussnahme, wobei auch etwaige Unterstützer der betreffenden Person in die Beurteilung mit einbezogen werden. Ferner ist neben der Stabilität der jeweiligen Region und der allgemeinen Sicherheitslage auch die frühere gesellschaftliche und politische Stellung des Beschuldigten bzw. Angeklagten von Bedeutung. Insgesamt ergibt sich hieraus eine strengere Handhabung durch die Kammern des IStGH, konträr zur Praxis der Ad-hoc-Tribunale. Von mäßiger Bedeutung in den bisherigen Entscheidungen des IStGH ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Bislang sind keine dezidierten Kriterien erkennbar, aufgrund derer dieser Haftgrund inhaltlich beurteilt werden könnte. Im Vergleich zur Rechtsprechung des EGMR ist anzumerken, dass sich die Kriterien des IStGH mit denjenigen decken, die der EGMR für die Beurteilung der Fluchtgefahr zugrundelegt. Maßgeblich hierbei sind zuvörderst Umstände aus dem persönlichen Umfeld des Betreffenden. Sowohl der JStGH als auch der RStGH stellen vordergründig auf andere Aspekte ab. Die primäre Ausrichtung der Entscheidungen der Tribunale an staatlichen oder persönlichen Garantien mag damit zusammenhängen, dass Regel 65 (B) J­ StGH-VBO von der Entlassung ausgeht und dahingehend formuliert ist, dass die Kammer davon überzeugt sein muss, dass der Angeklagte vor Gericht erscheint. Im Hinblick auf die Verdunkelungsgefahr, bzw. die Gefahr der Gefährdung anderer Personen, steht auch der EGMR auf dem Standpunkt, dass dieser Umstand nicht anhand der abstrakten Möglichkeit beurteilt werden kann, sondern vielmehr auf konkrete Fakten abzustellen ist. Insoweit ist die Handhabung an den Ad-hoc-Tribunalen mit der Ausgestaltung

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des Rechts auf Freiheit konform. Anders hingegen der IStGH, der, wie gesehen, diesbezüglich in Abweichung von der Rechtsprechung des EGMR einen strengeren Maßstab zugrunde legt. Dies geschieht zum Nachteil der inhaftierten Person. Diesbezüglich müsste vielmehr auf konkrete Anhaltspunkte bei der Gefahr der Verdunkelung abgestellt werden. Die weiteren Gesichtspunkte, die der EGMR bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft berücksichtigt, finden sich vereinzelt in den Ausführungen zu den Haftgründen wieder. Dies gilt vor allem für die Schwere der Verbrechen und die Höhe der zu erwartenden Strafe. Insgesamt kann somit für einen Vergleich der Argumentationsmuster konstatiert werden, dass die hier maßgeblichen internationalen Strafgerichte, insbesondere der IStGH, zumeist auf diejenigen Kriterien Bezug nehmen, die der EGMR als „geeignet“ und „hinreichend“ für eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erachtet hat. Insgesamt ist mit Art. 58 Abs. 1 I­ StGH-St. eine Vorschrift geschaffen worden, die sowohl gegenüber den VN-Tribunalen als auch gegenüber den menschenrechtlichen Gewährleistungen des Rechts auf Freiheit von Fortschrittlichkeit geprägt ist. Selbiges gilt, bis auf einzelne Ausnahmen, für die praktische Anwendung. So unterliegt beispielsweise der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr in Abweichung von der Rechtsprechung des EGMR einer allzu strengen und restriktiven Beurteilung durch den IStGH, die zulasten des Inhaftierten gereicht. Im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen von Untersuchungshaft wird der IStGH vorwiegend der aus Art. 21 ­IStGH-St. resultierenden Bindung an international anerkannte menschenrechtliche Standards gerecht. Dies gilt nicht in demselben Umfang für die Tribunale. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls sind mit dem bloßen Erfordernis der Bestätigung der Anklage denkbar niedrig. Das Verständnis von Untersuchungshaft als Regelfall zeichnet sich in diesem Umstand bereits ab. Was Regel 65 (B) J­ StGH-VBO anbelangt, ist die Normierung von Entlassungsgründen, anstelle von Haftgründen, unter menschenrechtlichen Aspekten in rein materieller Hinsicht nicht zu be­ anstanden. Gleichwohl fehlen Erwägungen im Hinblick auf eine wiederholte Begehung von Verbrechen, die sich zumindets in Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK findet. Ferner ist der „Haftgrund“ der Gefährdung anderer Personen zu eng und birgt bereits die Gefahr, dass auch ungeschriebene Aspekte in die Beurteilung mit ein­ bezogen werden.

c) Formelle Grundsätze Schon vorab kann konstatiert werden, dass der Rechtsprechung der menschenrechtlichen Supervisionsgremien in diesem Zusammenhang die größte Bedeutung zukommt. Während sich in den Entscheidungen der internationalen Strafgerichte kaum ein Verweis auf die vor allem durch den EGMR entwickelten Kriterien zur

III. Die Untersuchungshaft

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Beurteilung der Haftgründe finden lässt, wird dieser Bezug häufiger für die Handhabung der erörterten Leitprinzipien hergestellt. Aus einer Zusammenschau dieser Grundsätze resultiert kurzum eine Menschenrechtswidrigkeit von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO und der entsprechenden Praxis, wohingegen die Reglementierungen für den IStGH menschenrechtskonform sind. Bei einer bloßen Gegenüberstellung auf einer theoretischen Ebene ergibt sich für die Tribunale, dass hier der Angeklagte die Beweislast zu tragen hat, der Kammer auch bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Ermessen im Hinblick auf die vorläufige Entlassung zusteht, die Untersuchungshaft eindeutig als absoluter Regelfall in den Reglementierungen verhaftet ist, die Unschuldsvermutung zwar normiert, aber aufgrund der vorangehenden Grundsätze in dieser Hinsicht ohne Geltungskraft ist und Regel 65 (B) J­StGH-VBO sowie deren Anwendung im Ergebnis der Verhältnismäßigkeit entbehrt. Am IStGH liegt gemäß der Systematik des Statuts die Beweislast beim Ankläger, die Entscheidung über eine vorläufige Entlassung steht bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen nicht zur Disposition der Kammer, die Unschuldsvermutung findet in Art. 66 ­IStGH-St. eine deutlichere Ausprägung als an den Tribunalen und gar den Menschenrechtstexten, und auch die Verhältnismäßigkeit der bestehenden Regelungen ist gegeben. Auch wird, vor allem geprägt durch die Rechtsprechung der Kammern, dem Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft entsprochen. So ergibt sich eine umfassende Gegensätzlichkeit in dem normierten Regelwerk zwischen den Ad-hoc-Tribunalen und dem IStGH. Dieser Eindruck wird in der Praxis der Gerichte relativiert. Für die Tribunale setzt sich die Menschenrechtswidrigkeit der theoretischen Grundlagen fort, da diese, bis auf die Unschuldsvermutung, strikt angewendet werden. Am IStGH besteht aber beispielsweise im Hinblick auf die Beweislastverteilung die Gefahr einer faktischen Beweislastumkehr. Auch der Unschuldsvermutung kommt zumindest explizit in den Entscheidungen kaum praktische Relevanz zu. Zwar werden das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie der Grundsatz, dass die Kammer kein Ermessen im Hinblick auf die Rechtsfolge der Haftprüfung haben, konsequent umgesetzt und in die Beurteilung mit einbezogen. Die oben erwähnte Gegensätzlichkeit spiegelt sich allerdings in der praktischen Anwendung der Normen nicht mit derselben Deutlichkeit wider. Im Ergebnis gilt für den IStGH als permanenten Strafgerichtshof, dass in der praktischen Anwendung der für sich betrachtet menschenrechtskonformen Vorschriften streng darauf geachtet werden muss, diese Konformität mit menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht aus Praktikabilitätserwägungen heraus zu gefährden. Im Übrigen finden sich im Römischen Statut Regelungen mit aus menschenrechtlicher Perspektive nicht zu beanstandendem Inhalt, die in teils erheblichem Maße über den Standard hinausgehen, der bis dahin auf völkerstraf(prozess) rechtlicher Ebene zugrundegelegt wurde.

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IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung In einem letzten Abschnitt soll das Recht auf Haftprüfung als rein verfahrensrechtliche Gewährleistung fokussiert sowie Fragen der Opferbeteiligung erörtert werden. Gerade die Opferbeteiligung in internationalen Strafverfahren hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.1 Vor allem sind aber Fragen im Hinblick auf das Haftprüfungsrecht für den von einem Freiheitsentzug Betroffenen überaus relevant. 1. Das Recht auf richterliche Haftprüfung a) Die Vorgaben der Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR Zunächst ist erneut auf die diesbezüglichen menschenrechtlichen Gewähr­ leistungen und deren konkrete Inhalte einzugehen. Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 9 Abs. 4 IPbpR spiegeln die aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammende Doktrin des „habeas corpus“2 wider und garantieren jeder inhaftierten Person das Recht, ein Verfahren einzuleiten, in welchem ein Gericht die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung überprüft. Vorab ist festzuhalten, dass das Verfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR eigenen Voraussetzungen unterliegt.3 Bedingt durch die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Abs. 4 von den Abs. 1 der jeweiligen Gewährleistungen, kann das hier darzustellende Recht auch dann verletzt sein, wenn den Anforderungen, die an dieses Verfahren zu stellen sind, nicht entsprochen wurde – ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung entsprechend den Abs. 1 der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR.4 Speziell für Untersuchungshaft tritt das Recht auf Haftprüfung neben die nach Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR durchzuführende Haftprüfung von Amts wegen. Kommt das Gericht in seiner Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist, sehen die Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR die Entlassung aus der Haft vor. 1

s. nur Safferling, in: ZStW 122 (2010), 87 ff. Farbey/Sharpe, S. 148 ff.; May, in: Crim. L. & Philos. 4 (2010), 249, 256 f. Zur Bedeutung und Geschichte des „writ of habeas corpus“ s. Riedel, S. 165 ff.; Londras, in: J. Conflict & Security L. 12 (2007), 223, 244 ff.; Stuckenberg, in: JZ 2009, 85, 87 f. 3 Esser, S. 338, spricht in dieser Hinsicht von der Aufwertung des Haftprüfungsrechts zu einem Haftprüfungsverfahrensrecht. 4 EGMR, De Wilde, Ooms und Versyp ./. Belgien, Serie A Nr. 12, Rn. 73; Kolompar ./. Belgien, Serie A Nr. 235-C, Rn. 45; Renzikowski, in: IntKomm-EMRK, Art. 5 Rn. 275; Reindl, S. 192. 2

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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aa) Die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung als Maßstab der Haftprüfung Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die Rechtmäßigkeit der Freiheits­ entziehung. Der Begriff der „Rechtmäßigkeit“ nach Abs. 4 unterliegt demselben Verständnis wie im Rahmen von Abs. 1. Dies ist bedingt durch das einheitliche Verständnis von Art. 5 EMRK bzw. Art. 9 IPbpR als umfassende Gewähr­leistung.5 Es sind sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen der Haft in die Prüfung einzubeziehen, so dass eine Überprüfung der für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Voraussetzungen vorgenommen werden kann.6 Hierdurch kommt auch die Eigenständigkeit der Gewährleistungen der Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR gegenüber den anderen Verbürgungen der Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR zum Ausdruck. Beachtlich in diesem Rahmen ist dem EGMR zufolge neben dem anwendbaren innerstaatlichen Recht auch der Wortlaut der Konvention, die in ihr enthaltenen allgemeinen Rechtsprinzipien und der Zweck des jeweils in Frage kommenden Eingriffsvorbehalts nach Art. 5 Abs. 1 EMRK.7 Die Beweislast im Rahmen dieser Überprüfung liegt bei den nationalen Behörden; sie müssen den Nachweis für die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung erbringen.8 Mit den Abs. 4 dieser Normen soll dem Inhaftierten die Möglichkeit gegeben werden, den originären Freiheitsentzug sowie dessen Aufrechterhaltung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dieser Anspruch entsteht immer dann, wenn die Entscheidung über die Inhaftierung einer Verwaltungsbehörde oblag.9 Wurde die Inhaftnahme hingegen durch ein Gericht angeordnet, hat der Inhaftierte das Recht auf Haftprüfung, wenn die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges von veränder­ lichen Umständen abhängt.10 Dies ist insbesondere für Freiheitsentziehungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK bedeutsam, da sich sowohl der Tatverdacht, als auch die übrigen Haftgründe während der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft ändern können. 5 Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 476; Murdoch, S. 86; Joseph/ Schultz/Castan, Rn. 11.60. 6 Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 148. 7 EGMR, Van Droogenbroeck ./. Belgien, Serie A Nr. 50, Rn. 48; E. ./. Norwegen, Serie A Nr. 181-A, Rn. 50; Thynne, Wilson und Gunnell ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. ­190-A, Rn. 68. 8 EGMR, Hutchison Reid ./. Vereinigtes Königreich, Reports 2003-IV, Rn. 71. 9 EGMR, Engel u. a. ./. Niederlande, Serie A Nr. 22, Rn. 77; Luberti ./. Italien, Serie A Nr. 75, Rn. 31. 10 EGMR, X. ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 46, Rn. 50; Iribarne Pérez ./. Frankreich, Serie A Nr. 325-C, Rn. 30. Ursprünglich ging der EGMR mit der so genannten „­doctrine of incorporation“ davon aus, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Haft bereits in der gerichtlichen Entscheidung enthalten, d. h. inkorporiert, und mithin entbehrlich sei. Diese Rechtsprechung zur Inkorporationstheorie hat im Laufe der Zeit Lockerungen erfahren, so dass nunmehr auch bei gerichtlicher Anordnung der Haft unter bestimmten Umständen eine gerichtliche Haftprüfung stattzufinden hat. Ausführlich zur Entwicklung der diesbezüglichen Judikatur des EGMR s. Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 468 ff.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Anknüpfend an diese Feststellung ist für die Untersuchungshaft das Recht auf in angemessenen Abständen zu wiederholende Haftprüfungen von immenser Bedeutung. Ausschlaggebend für diese Überlegung ist der Umstand, dass nachträglich Umstände eintreten können, welche die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung betreffen.11 Gegenstand einer solchen wiederholten Haftprüfung ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit unter Einbeziehung der durch den Inhaftierten vor­gebrachten veränderten Umstände. bb) Das Verfahren der Haftprüfung Die Haftprüfung findet nur auf entsprechenden Antrag des Inhaftierten hin statt, und kann ab dem Zeitpunkt, zu dem der Person die Freiheit faktisch ent­ zogen wurde, ersucht werden.12 Über die nähere Ausgestaltung des daraufhin folgenden Verfahrens zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit sind im Wortlaut der Abs. 4 keine Angaben enthalten. So wurde im Laufe der Jahre in der Rechtsprechung vornehmlich des EGMR ein so genanntes „Haftprüfungsverfahrensrecht“13 entwickelt und die Aufrechterhaltung bestimmter Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK auf das Verfahren der Haftprüfung übertragen. Hiervon erfasst sind nicht alle Garantien des Art. 6 EMRK, es muss jedoch, bedingt durch den schwerwiegenden Eingriffscharakter von Freiheitsentziehungen, die Gewährleistung grundlegender Garantien sicher­ gestellt sein.14 Die konkreten Verfahrensgarantien sind dabei abhängig von der Art und dem Zweck des Freiheitsentzuges nach Art. 5 Abs. 1 EMRK und sollen an diesen angepasst sein.15 So ist neben anderen grundlegenden Verfahrens­ garantien16 für eine Inhaftierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) EMRK insbesondere eine mündliche Anhörung erforderlich.17

11

EGMR, Winterwerp ./. Niederlande, Serie A Nr. 33, Rn. 55; X. ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 46, Rn. 51; Reindl, S. 192. 12 Renzikowski, in: IntKomm-EMRK, Art. 5 Rn. 279 f.; Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 466. 13 Esser, S. 338. 14 EGMR, De Wilde, Ooms und Versyp ./. Belgien, Serie A Nr. 12, Rn. 78; Winterwerp ./. Niederlande, Serie A Nr. 33, Rn. 60; Schöps ./. Deutschland, Reports 2001-I, Rn. 44. 15 EGMR, Bouamar ./. Belgien, Serie A Nr. 129, Rn. 57; Wassink ./. Niederlande, Serie A Nr. 185-A, Rn. 30; Dijk/Hoof u. a., S. 504; Trechsel, in: EuGRZ 1980, 514, 530. 16 Hierzu gehört zuvörderst die kontradiktorische Ausgestaltung des Verfahrens unter Einbeziehung der Grundsätze eines fair trial. Neben den Informations- und Mitteilungspflichten der zuständigen staatlichen Stellen hat der Inhaftierte das Recht auf Akteneinsicht, auf rechtliches Gehör und auf anwaltlichen Beistand. Eingehend Esser, S. 342 ff., sowie Renzikowski, in: IntKomm-EMRK, Art. 5 Rn. 288 ff. Ähnliches gilt für den IPbpR, s. Joseph/Schultz/ Castan, Rn. 11.53 ff. 17 EGMR, Sanchez-Reisse ./. Schweiz, Serie A Nr. 107, Rn. 51; Nikolova ./. Bulgarien, Reports 1999-II, Rn. 58.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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cc) Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit „innerhalb kurzer Frist“ Die Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 IPbpR sehen vor, dass die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges „innerhalb kurzer Frist“ bzw. „unver­züglich“ („speedily“ bzw. „without delay“) zu ergehen hat. Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt der Antragstellung und endet mit der gerichtlichen Entscheidung.18 Für die Frage, ob die jeweilige Zeitspanne dem Erfordernis der „kurzen Frist“ entspricht, kommt es auf die Art des Freiheitsentzuges sowie die Umstände des Einzelfalles an.19 Die Notwendigkeit der konkreten und nicht abstrakten Bestimmung der Frist erinnert an Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 3 IPbpR. Im Vergleich dieser beiden Vorschriften ist die Vorführung vor einen Richter als dringlicher anzusehen als die Entscheidung im Rahmen der Haft­ prüfung, so dass die Frist bei letzterer als länger zu erachten ist als diejenige für die richterliche Vorführung.20 Maßgeblich für die Beurteilung des Zeitraums bis zur Entscheidung als konventionsgemäß sind, ähnlich wie bei der Prüfung des Kriteriums der „Angemessenheit“, die Komplexität des Sachverhalts, die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der für die Entscheidung relevanten Tatsachen sowie auch das Verhalten der inhaftierten Person.21 Das Gebot der Beschleunigung aufgrund der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit ist ständig zu achten. Verzögerungen im Verfahrensablauf sind unbedingt zu vermeiden und das Verfahren muss mit der nötigen Sorgfalt betrieben werden. Tendenziell wird mit einem Zeitraum von bis zu einem Monat noch der Konvention entsprochen;22 je nach Einzelfall hat der EGMR aber bereits Zeitspannen von neun23 oder 17 Tagen24 als konventionswidrig erachtet. Die Ausführungen zur Kürze der Frist gelten nicht nur für erstmalige, sondern auch für wiederholte Haftprüfungen. Bei letzteren kommt es für die Bewertung der Zeitspanne auch darauf an, inwieweit die inhaftierte Person neue Umstände vorbringt und wie viel Zeit deren Überprüfung in Anspruch nimmt. Wiederholte 18

Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, S. 491; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 5 Rn. 150. 19 EGMR, Sanchez-Reisse ./. Schweiz, Serie A Nr. 107, Rn. 55; Hutchison Reid ./. Vereinigtes Königreich, Reports 2003-IV, Rn. 66; HRC, Torres ./. Finnland, Communication No. 291/1988, U. N. Doc CCPR/C/38/D/291/1988, 05. April 1990, Rn. 7.3. 20 EGMR, E. ./. Norwegen, Serie A Nr. 181-A, Rn. 64; Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 128; Esser, S. 364. 21 Reindl, S. 212; Harris/O’Boyle u. a., S. 195. 22 Eine tabellarische Übersicht findet sich bei Trechsel, Human Rights in Criminal Pro­ ceedings, S. 492 f. Der Menschenrechtsausschuss handhabt das dortige Kriterium der „Unverzüglichkeit“ nicht allzu streng und hat auch teils Zeitspannen von drei Monaten als mit dem Pakt vereinbar angesehen, die er zwar als „zu extensiv“ empfand, aber keine näheren Angaben zu den Gründen der Verzögerung hatte, s. HRC, Torres ./. Finnland, Communication No. 291/1988, U. N. Doc CCPR/C/38/D/291/1988, 05. April 1990, Rn. 7.3. 23 EGMR, Gündogan ./. Türkei, Urteil vom 10. Februar 2002, Rn. 27. 24 EGMR, Kadem ./. Malta, Urteil vom 09. Januar 2003, Rn. 44 f.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Haftprüfungen können nur in „angemessenen Abständen“ beantragt werden.25 Auch für die Frage, welche Zeitspanne als „angemessen“ anzusehen ist, sind die Umstände des einzelnen Falles maßgebend.26 Für Untersuchungshaft wurde der Zeitraum von einem Monat vor dem Hintergrund als angemessen befunden, dass die Natur von Untersuchungshaft möglichst kurze Intervalle erfordere.27 Der nationale Gesetzgeber kann hingegen Vorschriften einführen, die den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen gerichtlichen Haftprüfungen normieren oder gar nach einer bestimmten Zeitspanne eine automatische Haftprüfung vorsehen und somit das Antragserfordernis umgehen. Diese Überprüfung muss mit dem nationalen Recht sowie mit dem Ziel von Art. 5 EMRK vereinbar sein und ist somit dezidierten Maßstäben unterworfen.28 b) Das Recht auf richterliche Haftprüfung an den Ad-hoc-Tribunalen Weder die Statuten noch die Verfahrens- und Beweisordnungen der VN-Tribunale sehen ausdrücklich das Recht eines Inhaftierten vor, eine richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft zu beantragen. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung des JStGH und RStGH anerkannt, dass dem Angeklagten ein solches Recht auf Haftprüfung zusteht. Rekurriert wird in diesem Zusammenhang durch die überwiegend in der Tradition des „common law“ verhafteten Tribunale stets auf die im anglo-amerikanischen Rechtsraum verbreitete Doktrin des „habeas corpus“. aa) Die inhaltliche Anerkennung des Rechts auf gerichtliche Haftprüfung Diesbezüglich hat der RStGH mit einer Entscheidung der Berufungskammer im Verfahren gegen Jean Bosco Barayagwiza die „Vorreiterrolle“ übernommen.29 Neben dem Verweis auf den hinreichend in den rechtlichen Grundlagen zum Ausdruck kommenden Gedanken, dass eine inhaftierte Person die Möglichkeit haben muss, Akte der inhaftierenden Institution gerichtlich überprüfen zu lassen, wird Bezug genommen auf die Verankerung dieser Gewährleistung in den 25

EGMR, Winterwerp ./. Niederlande, Serie A Nr. 33, Rn. 55; X. ./. Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 46, Rn. 52; Luberti ./. Italien, Serie A Nr. 75, Rn. 32. 26 Harris/O’Boyle u. a., S. 188; Gollwitzer, Art. 5 MRK/Art. 9 IPbpR, Rn. 129. 27 EGMR, Bezicheri ./. Italien, Serie A Nr. 164, Rn. 21. 28 EGMR, Koendjbiharie ./. Niederlande, Serie A Nr. 185-B, Rn. 27 („… such review must comply with both the substantive and procedural rules of the national legislation and moreover be conducted in conformity with the aim of Article 5: to protect the individual against arbitrariness, in particular with regard to the time taken to give a decision.“); Herczegfalvy ./. Österreich, Serie A Nr. 244, Rn. 75. 29 Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, Decision, 03. November 1999. Dazu auch Boas/Bischoff/Reid/Taylor, S. 113 ff.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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Menschen­rechten als fundamentale Garantie.30 Auch hier gilt, dass neben der Feststellung einer materiell-rechtlichen Verletzung in Gestalt der tatsächlichen Unrecht­mäßigkeit der Freiheitsentziehung eine Verletzung dieser Gewährleistung ferner in formeller Hinsicht gegeben sein kann, wenn das mit dem Antrag auf Haftprüfung verbundene Verfahren missachtet wird.31 In den nachfolgenden Verfahren am RStGH, und ebenso am JStGH, wird auf die Gewährleistung des „habeas corpus“ Bezug genommen und diese materiell als Völkergewohnheitsrecht anerkannt.32 Die prozessualen Möglichkeiten, eine solche Haftprüfung zu beantragen, bestehen für den Inhaftierten entweder nach Regel 72 oder nach Regel 73 ­JStGH-VBO.33 bb) Die Ausgestaltung und Durchsetzungsmöglichkeiten einer Haftprüfung Gegenstand und Maßstab der richterlichen Haftprüfung auf einen „habeas corpus“-Antrag hin ist die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges. Eine Verletzung anderer fundamentaler Rechte kann, im Gegensatz zu manch nationaler Aus­ prägung der „habeas corpus“-Doktrin, nicht Gegenstand einer dahingehenden richterlichen Prüfung sein.34 Lediglich für den Fall, dass der Antrag der Verteidigung in einem anderen rechtlichen Rahmen gestellt wird, ist auch die Verletzung weiterer fundamentaler Gewährleistungen Gegenstand der Überprüfung. Was die eben erwähnten prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten anbelangt, wird der Antrag überwiegend als ein solcher entsprechend Regel 73 ­JStGH-VBO behandelt.35 Zwar hat es Bestrebungen von Angeklagten gegeben, auf Grundlage von Regel 72 A (i), D (i) J­StGH-VBO die Gerichtsbarkeit des Tribunals in Bezug auf die betreffende Person abzulehnen. Diese Anträge sahen in der Begründung vor, dass für eine Bestätigung der Anklage, an welche die Festnahme und 30 Barayagwiza (Fn. 29), Rn. 88 („… the notion that a detained individual shall have r­ ecourse to an independent judicial officer for review of the detaining authority’s acts is wellestablished by the Statute and Rules. Moreover, this is a fundamental right and is enshrined in international human rights norms …“). 31 Barayagwiza (Fn. 29), Rn. 89. 32 Simić et al. (IT-95-9), Trial Chamber, Decision on Motion for Judicial Assistance to be Provided by SFOR and Others, Separate Opinion of Judge Robinson, 18. Oktober 2000, Rn. 2; Milošević (IT-02-54), Trial Chamber, Decision on Preliminary Motions, 08. November 2001, Rn. 38. 33 Im Folgenden wird lediglich nach der Verfahrens- und Beweisordnung des JStGH zitiert, da diejenige des RStGH dieser entspricht. Bei Abweichungen wird auf die Unterschiede hingewiesen. 34 Kanyabashi (ICTR-96-15), Trial Chamber, Decision on the Defence Extremely Urgent Motion on Habeas Corpus and for Stoppage of Proceedings, 23. Mai 2000, Rn. 28. Anders aber unter Verweis auf diese Entscheidung und im Gegensatz zu deren eindeutigem Wortlaut Knoops, in: Klip/Sluiter, Vol. VI, S. 217. 35 Zur Differenzierung Nikolić (IT-94-2), Appeals Chamber, Decision on Notice of ­Appeal, Dissenting Opinion of Judge Shahabuddeen, 09. Januar 2003, Rn. 11 ff.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Untersuchungshaft anknüpfen, keine ausreichende Grundlage durch das vorliegende Beweismaterial geschaffen wurde. Anträge solcher Art wurden in der Regel umgedeutet in Anträge gemäß Regel 73 (A) ­JStGH-VBO,36 da in der Praxis der Tribunale die endgültige Feststellung der Gerichtsbarkeit mit der Bestätigung der Anklage einhergeht. Indem die Anklage mit dem sie stützenden Beweismaterial im Falle ihrer Bestätigung allein auf der Grundlage, dass dieses Material nicht ausreichend sei, keiner weiteren rechtlichen Überprüfungsmöglichkeit unterliegt, ist auch die Möglichkeit, auf dieser Grundlage die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges anzuzweifeln, nach überwiegender Ansicht nicht gegeben.37 Für den Fall der richterlichen Bestätigung der Anklage ist sowohl die Anklage mit dem unterstützenden Beweismaterial, als auch die Frage der Gerichtsbarkeit des Tribunals nicht weiter überprüfbar oder angreifbar. Faktisch bleibt demzufolge Regel 73 ­JStGH-VBO als prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit eines solchen „habeas corpus“-Antrages. Andere Kammern hingegen versuchen, diese „Verkettung“ von zugrunde­ liegendem Beweismaterial, der Bestätigung der Anklageschrift und der Frage der Gerichtsbarkeit mittels einer Anknüpfung an das Erfordernis des „hinreichenden Verdachts“ zu durchbrechen, um auf diesem Wege eine Menschenrechtskonformität herzustellen.38 Die Überprüfbarkeit der Beweise, die der Anklage zugrunde­ liegen, ergebe sich aus der Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der weiteren Inhaftierung festzustellen. Es wird demnach nicht die Gerichtsbarkeit des Tribunals in Frage gestellt, sondern die Rechtmäßigkeit der fortdauernden Untersuchungshaft auf Grundlage der Anklage mit dem zugrundeliegenden Beweismaterial. Letztendlich besteht weder nach der ersten, noch nach der zweiten Vorgehensweise die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung voll­umfänglich zu überprüfen. Sobald nach Art. 19 ­JStGH-St., Art. 18 ­RStGH-St. die Anklage durch einen Richter bestätigt wurde, bedeutet dies zugleich die Rechtmäßigkeit der Festnahme und der sich daran anschließenden Inhaftierung. In Anlehnung an die im Rahmen der Menschenrechte früher vertretene Inkorporationstheorie ist 36 So Brđanin (IT-99-36), Trial Chamber, Decision on Petition for a Writ of Habeas Corpus on Behalf of Radoslav Brđanin, 08. Dezember 1999, Rn. 7; Rwamakuba (ICTR-98-44C), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion Concerning the Illegal Arrest and Illegal Detention of the Accused, 12. Dezember 2000, Rn. 14. Die Anwendbarkeit von Regel 72 RStGHVBO als Grundlage eines Haftprüfungsantrages wurde, nach damaliger Rechtslage, bestätigt in Barayagwiza (Fn. 29), Rn. 71, und Semanza (ICTR-97-20), Appeals Chamber, Decision, 31. Mai 2000, Rn. 70. 37 Dazu vertiefend McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 208 ff. Deutlich so auch Talić (IT-9936/1), Trial Chamber, Decision on Motion for Release, 10. Dezember 1999, Rn. 17, wobei die Verfahrenskammer in dieser Entscheidung ein Recht auf Haftprüfung gänzlich ablehnte, mit der Begründung, dass eine richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Haft bereits mit der Entscheidung über die Bestätigung der Anklage erfolgt sei. 38 Delalić et al. (IT-96-21), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release Filed by the Accused Zejnil Delalić, 25. September 1996, Rn. 24; Kovačević (IT-97-24), Trial Chamber, Decision on Defence Motion for Provisional Release, 20. Januar 1998, Rn. 16.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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mit der Bestätigung der Anklage zugleich auch die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges festgestellt. Der Angeklagte hat somit keine Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit, die Anklage oder die Inhaftierung auf der Grundlage anzugreifen, dass er eine unzureichende Beweislage rügt. Lediglich im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft kann jedenfalls mit der an zweiter Stelle dargestellten Ansicht das nach Regel 47 (B) J­ StGH-VBO durch den Ankläger eingereichte Begleitmaterial daraufhin überprüft werden, ob es die Fortdauer der Inhaftierung legitimiert. Eine weitergehende Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges gibt es für einen festgenommenen und inhaftierten Angeklagten nicht. Dieser trägt auch hier wieder die Beweislast, so dass es an der betreffenden Person liegt, die Vermutung für die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft, die mit der Bestätigung der Anklage und dem Erlass des Haftbefehls einhergeht, zu widerlegen.39 Zu diesem Zweck ist für die Haftprüfung zusätzliches Beweismaterial zuzulassen. Maßgeblich sind die Tatsachen und Umstände zum Zeitpunkt der Überprüfung.40 Schlussendlich bleibt es dabei, dass die Haftprüfung sich lediglich auf die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft eines Angeklagten beziehen kann. Die Umstände, die zum ursprünglichen Freiheitsentzug geführt haben, sind aufgrund der richterlichen Bestätigung der Anklage einer weiteren Überprüfung entzogen. cc) Grundsätze eines Haftprüfungsverfahrens Der Antrag auf Haftprüfung kann sowohl vor als auch nach der richterlichen Bestätigung der Anklage gestellt werden.41 Ersteres gilt, sofern der Betreffende in Ermangelung eines ordentlichen Haftbefehls noch auf vorläufiger Basis entsprechend der Regeln 40, 40bis ­JStGH-VBO inhaftiert ist. Erfasst ist hiervon allerdings nur der Zeitraum, in welchem der Freiheitsentzug aufgrund der Beschuldigteneigenschaft im Hinblick auf ein Verfahren vor dem Tribunal stattfindet. Der denkbar früheste Zeitpunkt ist demnach die Festnahme und Inhaftierung auf einen Antrag des Anklägers nach Regel 40 (i) ­JStGH-VBO hin, da dem Betreffenden erst ab diesem Moment im Zusammenhang mit einem Verfahren vor dem Tribunal die Freiheit entzogen wird. Für Anträge betreffend den Freiheitsentzug auf rein natio­ nalrechtlicher Grundlage ist das Tribunal naheliegender Weise nicht zuständig.42 39

McIntyre, in: Boas/Schabas, S. 212 f.; Knoops, International Criminal Tribunals, S. 168. Delalić et al. (Fn. 38), Rn. 24; Kovačević (Fn. 38), Rn. 16. 41 Ist der Fall nicht bereits einer Hauptverfahrenskammer zugewiesen, ist nach Regel 28 (C) ­JStGH-VBO der Antrag an einen so genannten „duty Judge“ zu richten. 42 Knoops, International Criminal Tribunals, S. 170, spricht von der „‚pre-provisional measures‘ phase“. In Rwamakuba (Fn. 36), Rn. 23, 27, wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass sich die beschriebene Situation von derjenigen unterscheidet, in der sich der Beschuldigte in der „constructive custody“ des Tribunals befindet; s. auch Barayagwiza (Fn. 29), Rn. 54 ff., und Sluiter, in: New Engl. L. Rev. 37 (2003), 935, 941 ff. 40

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Einigkeit besteht dahingehend, dass entsprechend der Ausgestaltung der menschenrechtlichen Gewährleistungen eine Entscheidung innerhalb kurzer Zeit nach erfolgter Anhörung ergehen muss.43 Anderenfalls führt dies zu einer Verletzung dieses Rechts.44 Als Folge einer solchen Verletzung wurde im Verfahren gegen Barayagwiza, bedingt durch die Zusammenschau mannigfaltiger Verstöße gegen die Rechte des Antragstellers, zunächst dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet. Grundsätzlich wird bei der Verletzung von Angeklagtenrechten im Falle eines Schuldspruchs aber auf eine Reduzierung des Strafmaßes erkannt.45 Dies kann in Bezug auf das Recht der Haftprüfung allerdings nur für die Verletzung des Haftprüfungsverfahrens gelten. Sollte in materieller Hinsicht die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung nicht festgestellt werden können, müsste, den Menschenrechten entsprechend, die Entlassung des Inhaftierten folgen. Es ist ferner davon auszugehen, dass ein solcher Antrag auf Haftprüfung bei Vorliegen neuer bzw. veränderter Umstände auch wiederholt werden kann. Darauf deutet zumindest eine Entscheidung im Verfahren gegen Semanza hin.46 Darüber hinaus hatten sich die Kammern der Tribunale nicht mit dieser Frage aus­ einanderzusetzen. dd) Feststellungen für eine Haftprüfung an den Ad-hoc-Tribunalen Abschließend ist festzuhalten, dass das Recht auf eine richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zwar in Gestalt der menschenrechtlichen Gewährleistungen durch die Kammern der Tribunale inhaltlich anerkannt ist. Diese Feststellung gilt umfänglich bis auf den Umstand der Verteilung der Beweislast, die hier einmal mehr beim Angeklagten liegt. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings bei den prozessualen Möglichkeiten, dieses Recht auch tatsächlich durchzusetzen. Für den Inhaftierten ist es nahezu unmöglich, die Umstände, die zu dessen Freiheitsentzug geführt haben, einer richterlichen Überprüfung zu unterziehen, die über diejenige im Rahmen der Bestätigung der Anklage hinausgeht. Auch die Unklarheiten bezüglich der wiederholten Beantragung einer Haft­ prüfung oder die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser fundamentalen Garantie tragen dazu bei, dass diese Gewährleistung, trotz ihrer Anerkennung, eher n­ ebulös 43

Semanza (Fn. 36), Rn. 113 („without delay“); Cryer/Friman, S. 372. Dazu Barayagwiza (Fn. 29), Rn. 89 („…the right to be heard on the writ is an entirely separate issue from the underlying legality of the initial detention. In the present case, the Appellant’s right was violated by the Trial Chamber because the writ was filed but was not heard.“). 45 So später die Berufungskammer in Barayagwiza (ICTR-97-19), Appeals Chamber, ­Decision, 31. März 2000, Rn. 75; ferner dazu Starr, in: Geo. L. J. 97 (2009), 1509 ff. 46 Semanza (ICTR-97-20), Trial Chamber, Decision on the Defence Motion for a Judgment of Acquittal, 27. September 2001, Rn. 22; Knoops, in: Klip/Sluiter, Vol. VI, S. 218. 44

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statt klar umrissen ausgestaltet ist. Diese Missstände in Bezug auf die Ausprägung und Durchsetzungsmöglichkeiten ließen sich mit einer ausdrücklichen Verankerung im Regelwerk der Tribunale beseitigen. ee) Sonderfall: Der erneute Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft Eine weitere Möglichkeit für den Angeklagten, die Voraussetzungen von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO im Hinblick auf seine Person überprüfen zu lassen, besteht darin, einen erneuten Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft zu stellen. Im Gegensatz zum Special Court for Sierra Leone ist diese Möglichkeit in der Verfahrens- und Beweisordnung der Ad-hoc-Tribunale nicht explizit geregelt,47 gleichwohl in der Rechtsprechung der Gerichtshöfe anerkannt.48 Es müssen demnach „veränderte Umstände“ („change in circumstances“) vorliegen, um eine erneute Auseinandersetzung der Kammer mit den Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO zu rechtfertigen.49 Die veränderten Umstände müssen ferner „wesentlich“ („material“) sein, was anhand einer Gegenüberstellung der bisher in die Entscheidung einbezogenen und der vorgebrachten „veränderten“ Umstände festgestellt werden kann.50 Erwägt die Kammer die Entlassung aus der Untersuchungshaft aufgrund eines entsprechenden Antrages erneut, bedeutet dies, dass in einem umfassenden Sinn de novo eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO, anhand der zugrundeliegenden Fakten, zu erfolgen hat.51 Hierbei ist der Angeklagte in einem „doppelten Sinn“ beweisbelastet: zum einen obliegt es ihm, das Gericht davon zu überzeugen, dass veränderte Umstände eine erneute Prüfung erfordern; zum anderen hat er wiederum die Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO darzulegen.52 47 Regel 65 (C) SCSL-VBO macht einen erneuten Antrag auf Entlassung aus der Haft explizit von dem Vorliegen veränderter Umstände („material change in circumstances“) abhängig. 48 Boškoski & Tarčulovski (IT-04-82), Trial Chamber, Decision Concerning Renewed Motion for Provisional Release of Johan Tarčulovski, 17. Januar 2007, Rn. 9, sowie Tochilovsky, S.  678 m. w. N. 49 Ojdanić (IT-99-37), Trial Chamber, Decision on General Ojdanić’s Fourth Application for Provisional Release, 14. April 2005, Rn. 6 („Since this is not the Accused’s first application, he must also satisfy the Trial Chamber that there has been a material change in circumstances since the last application such as to justify reconsideration of its previous decision.“). 50 Boškoski & Tarčulovski (Fn. 48), Rn. 22; Popović et al. (IT-05-88-AR65.3), Appeals Chamber, Decision on Interlocutory Appeal of Trial Chamber’s Decision Denying Ljubomir Borovćanin Provisional Release, 01. März 2007, Rn. 12. 51 Stanišić & Župljanin (IT-08-91), Trial Chamber, Decision Granting Mićo Stanišić’s Request for Provisional Release, 18. November 2011, Rn. 15. 52 Dazu Martić (IT-95-11), Trial Chamber, Decision on Second Motion for Provisional Release, 12. September 2005, Rn. 16; Limaj et al. (IT-03-66), Trial Chamber, Decision on Defence Renewed Motion for Provisional Release of Fatmir Limaj, 26. Oktober 2005, Rn. 8.

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Veränderte Umstände, die eine erneute Beurteilung der Haftsituation anhand des Maßstabes von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO erfordern, können in verschiedenen Situationen eintreten. Vor allem sind der Beginn der Hauptverhandlung53 und eine Entscheidung der Kammer nach Regel 98bis ­JStGH-VBO54 hierfür von Bedeutung. Allgemein lässt sich wohl von einer gewichtigen Veränderung der Umstände sprechen, wenn die neuen Fakten geeignet sind, die bisherige Beurteilung der Voraussetzungen von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO zu ändern. Um beispielsweise die Legitimität der Untersuchungshaft weiterhin aufrecht zu erhalten, hat eine neue Entscheidung zu ergehen, um zu statuieren, dass auch unter Einbeziehung der veränderten Umstände die Voraussetzungen von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO vorliegen. Die Regel 98bis-Entscheidung ist ein solch gewichtiger Umstand, der eine Neubewertung erfordert. Im Anschluss an die Beendigung der Präsentation der Beweismittel durch den Ankläger kann die Kammer nach einem Antrag der Verteidigung auf Freispruch entscheiden, das Verfahren fortzusetzen und mithin den Antrag abzulehnen. Eine solche Ablehnung ist sodann bei der erneuten Beurteilung der Flucht- und Verdunkelungsgefahr zu berücksichtigen.55 Dabei kommt es mit Richter Schomburg nicht so sehr darauf an, dass eine solche Regel 98bis-Entscheidung keine „Vorverurteilung“ darstellt, sondern vielmehr darauf, ob die konkrete Entscheidung, den Antrag auf Freispruch abzulehnen, Auswirkungen auf eine mögliche Bereitschaft zur Flucht oder zur Gefährdung von Zeugen und Opfern haben kann.56 Der Antrag, aufgrund veränderter Umstände erneut über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft zu entscheiden, ist zielorientierter und effektiver, als die Überprüfung der bisher ergangenen Entscheidungen im Sinne eines habeas corpus-Antrages. Ähnlichkeiten zum IStGH bestehen dahingehend, als auch dort eine Abänderung des bisherigen Ausspruchs zur Untersuchungshaft auf der Grundlage veränderter Umstände erfolgen kann. c) Das Recht auf richterliche Haftprüfung vor dem IStGH Im Gegensatz zu den Ad-hoc-Tribunalen beinhalten die rechtlichen Grundlagen des IStGH eine ausdrückliche Verankerung der richterlichen Haftprüfung. 53 Gotovina et al. (IT-06-90), Trial Chamber, Decision on Motion for Provisional Release of Ivan Čermak, 14. März 2008, Rn. 11. 54 Schomburg, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 8 (2009), 1, 9. 55 Prlić et al. (IT-04-74-AR65.5), Appeals Chamber, Decision on Prosecution’s Consolidated Appeal against Decisions to Provisionally Release the Accused Prlić, Stojić, Praljak, Petković and Ćorić, 11. März 2008, Rn. 19 f. 56 Dazu Prlić et al. (IT-04-74-AR65.6), Appeals Chamber, Reasons for Decision on Prosecution’s Urgent Appeal against „Décision Relative à la Demande de Mise en Liberté Provisoire de L’Accusé Pušić“ Issued on 14 April 2008, 23. April 2008, Dissenting Opinion of Judge Schomburg, Rn. 5.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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aa) Rechtliche Grundlagen Es sind diverse Rechtsgrundlagen für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges normiert. Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Festnahme bestimmt Regel 117 Abs. 3 IStGH-VBO, dass der Haftbefehl auf der Grundlage angefochten werden kann, er sei nicht entsprechend der Vorgaben des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. erlassen worden. Soll Gegenstand der Überprüfung hingegen die fortdauernde Inhaftierung sein, wird das Vorgehen bestimmt durch Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., Regel 118 Abs. 2, 3 IStGH-VBO. bb) Der ordnungsgemäße Erlass des Haftbefehls als Prüfungsgegenstand Regel 117 Abs. 3 IStGH-VBO bezieht sich ausdrücklich nur auf den ordnungsgemäßen Erlass eines Haftbefehls in Übereinstimmung mit den Vorgaben von Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. Entsprechend der in Art. 59 I­StGH-St. zum Ausdruck kommenden Vorgehensweise bei Festnahmeersuchen steht es der national zuständigen Behörde nicht zu, diesen ordnungsgemäßen Erlass zu prüfen.57 Der Geltungsbereich dieser Vorschrift ist keiner ausdrücklichen zeitlichen Beschränkung unterworfen. Da Regelungsgegenstand von Regel 117 IStGH-VBO die Haft im Gewahrsamsstaat ist, kann ein solcher Antrag bereits dann gestellt werden, wenn der Beschuldigte noch nicht an den IStGH überstellt wurde.58 Eine Möglichkeit, Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Festnahme geltend zu machen, gibt es jedoch nicht, da sich diese nach dem Recht des jeweiligen Staates richtet. In einem umfassenden Sinne gilt, dass Rechtsverletzungen während der In­ haftierung erst dann als von der Gerichtsbarkeit des IStGH erfasst erachtet werden können, wenn diese nach Erlass des Haftbefehls geschehen sind. Insofern argumentiert der IStGH ebenso wie die Ad-hoc-Tribunale dahingehend, dass sonstige Rechtverletzungen vor dem IStGH nur geltend gemacht werden können, wenn sie zeitlich in eine Phase fallen, zu der sich der Beschuldigte auf Geheiß des Gerichtshofs in Haft befunden hat.59 57 Röben, in: ­MPYUNL 7 (2003), 513, 539, verweist in diesem Zusammenhang auf die Befugnis zur Überprüfung der „externen Rechtmäßigkeit“ („external legality of the arrest“) der Festnahme, nicht hingegen diejenige der „internen“. Letztere bleibt dem IStGH vorbehalten. Die Prüfung der externen Rechtmäßigkeit richtet sich nach Art. 59 Abs. 2 ­IStGH-St., wobei in lit. b) das „ordnungsgemäße Verfahren“ gemeint ist, welches gemäß Art. 88 I­ StGH-St. von den Vertragsstaaten einzuführen ist. 58 Vgl. Friman, in: Lee, The International Criminal Court, S. 516. Anders hingegen El Zeidy, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 448, 459, der auf den Zeitpunkt der Überstellung an den Gerichtshof abstellt. 59 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to Article 19 (2) (a) of the Statute, 03. Oktober 2006, S.  9 f. („… concerted action between the Court and DRC authorities.“); kritisch Radosavljevic, in: Liverpool L. Rev. 29 (2008), 269, 278 f.

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Es bleibt letztendlich bei dem in Art. 59 Abs. 4 I­ StGH-St. zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls dem IStGH vorbehalten bleibt. Möchte der Beschuldigte gegen diesen vorgehen, kann er diesen nach Regel 117 Abs. 3 IStGH-VBO schriftlich anfechten. In Übereinstimmung mit der Idee einer zügigen Vorgehensweise, auch im Sinne von Rechtssicherheit, hat die Vorverfahrenskammer ohne Verzögerung („without delay“) über den Antrag zu entscheiden. cc) Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft als Gegenstand der Überprüfung Für die Fortdauer der Untersuchungshaft sehen Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. und Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO eine richterliche Haftprüfung vor. (1) Die Möglichkeiten zur Einleitung einer Haftprüfung Zunächst sind dabei die verschiedenen Möglichkeiten zu untersuchen, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der anhaltenden Inhaftierung zu initiieren. Entsprechend dem Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. und Regel 118 Abs. 2 IStGHVBO hat die Vorverfahrenskammer eine Pflicht zur Prüfung in regelmäßigen Abständen sowie ferner auf Antrag des Anklägers oder der betreffenden Person. (a) Die Haftprüfung auf Betreiben der Vorverfahrenskammer Zunächst bringt Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. zum Ausdruck, dass die Vorverfahrenskammer ihre Entscheidung im Hinblick auf die weitere Inhaftierung oder die Entlassung der Person regelmäßig überprüfen soll. Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO konkretisiert das Merkmal der „Regelmäßigkeit“ dahingehend, als dass dort ein Zeitraum von höchstens 120 Tagen festgelegt wird,60 nach dessen Ablauf eine erneute Haftprüfung stattzufinden hat. Entsprechend diesen Vorschriften kann die Vorverfahrenskammer proprio motu eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft einleiten, ohne dass vorher ein Antrag durch den Inhaftierten gestellt wurde.61 Sofern die Vorverfahrenskammer in Ansehung des Ablaufs der 120 Tage seit der letzten Haftentscheidung eine Haftprüfung beabsichtigt, werden die Verfahrensbeteiligten zur Abgabe einer Stellungnahme bzw. ihrer Beobachtungen aufgefordert. 60

Dazu Friman, in: Fischer/Kreß/Lüder, S. 205. Die Durchführung der Haftprüfung kann von der Vorverfahrenskammer auch auf einen Einzelrichter derselben übertragen werden, s. Art. 39 Abs. 2 lit. b) (iii) I­StGH-St., Regel 7 IStGH-VBO. 61

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Ursprünglich bedurfte es für die Möglichkeit der Einleitung einer Haftprüfung proprio motu einer Ausgangsentscheidung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. So war die Berufungskammer im Verfahren gegen Lubanga der Ansicht, dass der Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. erst dann eröffnet wäre, sofern zuvor eine Entscheidung über die weitere Inhaftierung nach Abs. 2 ergangen sei.62 Gleich einem „trigger mechanism“ muss demnach die Verteidigung einen Antrag auf Haftentlassung stellen, über den gemäß Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. zu entscheiden ist. Diese (erste) Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft stellt die Grundlage für darauf folgende Haftprüfungsentscheidungen dar. In Lubanga vertrat die Berufungskammer die Ansicht, dass eine Haftprüfung nicht stattfinden könne, ohne dass vorher nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. entschieden worden sei. Im Zuge einer Weiterentwicklung in der Rechtsprechung hat sich diese Sichtweise im Verfahren gegen Katanga geändert. Diesbezüglich ist in Entscheidungen der Vorverfahrenskammer ein Prüfungsrecht hergeleitet worden, ohne dass zuvor ein Antrag der Verteidigung eingereicht wurde, welcher eine Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. herbeigeführt hat.63 Die jeweilige Einzelrichterin setzte sich in Abkehr von den rechtlichen Vorgaben und der bisherigen Rechtsprechung über den Wortlaut der Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO zugunsten der Rechte des Beschuldigten hinweg.64 Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Sie verfolgt den Zweck, eine Überprüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft auch dann sicherzustellen, wenn sich die Verteidigung, wie in dem zugrundeliegenden Verfahren, noch nicht in der Lage sieht, einen Antrag auf Haftentlassung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. zu stellen.65 Die Überprüfung findet in dem in Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO niedergelegten zeitlichen Abstand von höchstens 120 Tagen statt. Die Frist von 120 Tagen beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte Entscheidung über die weitere Inhaftierung oder Entlassung ergangen ist, bzw. nach der Rechtsprechung im Verfahren gegen Katanga auch schon zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte nach seiner Überstellung am IStGH inhaftiert ist. 62

Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision of Pre-Trial Chamber I entitled „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, 13. Februar 2007, Rn. 94 ff. 63 Katanga/Ngujolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision Concerning Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 21. Februar 2008, S. 6 f.; Decision on the Powers of the Pre-Trial Chamber to Review proprio motu the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 18. März 2008, S. 7 ff. 64 Diese beiden Vorschriften beziehen sich ausdrücklich auf ein „ruling on the release or detention“. Eine solche „Entscheidung“ kann es hingegen nur geben, wenn zuvor über einen Antrag des Inhaftierten auf Entlassung nach Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. entschieden wurde. Der Haftbefehl ist nicht als ein solches „ruling“ zu erachten, Lubanga (Fn. 62), Rn. 94 ff. Indem nun im Katanga-Verfahren gleichwohl eine Haftprüfung durch die Kammer initiiert wurde, obwohl die Verteidigung noch keinen ersten Antrag auf Entlassung gemäß Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. gestellt hat, geschieht dies zugunsten der Rechte des Beschuldigten und entgegen dem Wortlaut der relevanten Normen. 65 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 63), 18. März 2008, S. 9.

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Dabei ist die Pflicht der Vorverfahrenskammer zur gebotenen Durchführung regelmäßig stattfindender Haftprüfungen beschränkt auf den Zeitraum vor dem Beginn der Hauptverhandlung. Nachdem die Verfahrenskammer im Anschluss an die Anhörung zur Bestätigung der Anklage („confirmation hearing“) die Aufgaben der Vorverfahrenskammer übernommen hat, Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St., endet diese Pflicht mit dem Beginn der Hauptverhandlung.66 (b) Die Haftprüfung auf Antrag des Anklägers oder der inhaftierten Person Die zweite Möglichkeit, eine Haftprüfung herbeizuführen, besteht in einem Antrag, der entweder durch den Ankläger oder durch die inhaftierte Person zu stellen ist. Dabei verdeutlicht der Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. und Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO, dass diese Antragsmöglichkeiten keiner zeitlichen Beschränkung unterliegen („at any time“). Der normierte zeitliche Abstand von höchstens 120 Tagen gilt demnach nur für Haftprüfungen, welche die Vorverfahrenskammer proprio motu durchführt.67 Gleichwohl hat die Vorverfahrenskammer im Verfahren gegen Bemba einen Ermessensspielraum dahingehend angenommen, dass die Entscheidung über die Zulassung des Antrages der Verteidigung auf Haftprüfung im Ermessen der Kammer liegt.68 Daraus lässt sich schließen, dass eine Haftprüfung auf Antrag der Verteidigung streng genommen nicht jederzeit durchgeführt wird, sondern dass die Kammer für die Zulassung des Antrages vielmehr von einer Änderung der Umstände ausgehen können muss. Zumindest muss die Möglichkeit einer solchen Veränderung bestehen, um einen solchen Antrag als substantiiert zu erachten. So wäre zwar die Zulassung eines Haftprüfungsantrages unter recht strenge Voraussetzungen gestellt, sofern man eine anzunehmende Änderung der jeweiligen Umstände als Erfordernis zugrundelegt. Andererseits wird diese Restriktion dadurch entschärft, dass man die bloße Möglichkeit einer solchen Änderung und mithin der hinreichenden Substantiierung ausreichen lässt.69 66 Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the Review of Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to the Appeals Judgment of 19 November 2010, 17. Dezember 2010, Rn. 26. 67 So auch Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 14. April 2009, Rn. 31. Der Ankläger hatte versucht, dem Antrag der Verteidigung mit dem Argument zu begegnen, dass noch keine 120 Tage seit der letzten Haftentscheidung vergangen seien. 68 Bemba (Fn. 67), Rn. 32. 69 Eine solche Sichtweise ist – zur Veranschaulichung – in Anlehnung an die Möglichkeitstheorie, die für den Nachweis der Klagebefugnis im deutschen Verwaltungsprozessrecht angeführt wird, zu befürworten. Danach kommt es allein darauf an, ob die (durch den Kläger) geltend gemachte Rechtsverletzung möglich ist. Diese Frage und damit auch die Klagebefugnis

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Auf Antrag des Angeklagten sind Haftprüfungen auch nach dem Eintritt in die Hauptverhandlung möglich. Obgleich in diesem Stadium keine Pflicht der Hauptverfahrenskammer mehr besteht, Haftprüfungen proprio motu in einem Abstand von spätestens 120 Tagen durchzuführen, hat sie auf entsprechenden Antrag des Angeklagten hin über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu entscheiden. Dahingehend hat die Verfahrenskammer in Bemba aufgrund einer Zusammenschau der Vorschriften der Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGHVBO („at any time“), sowie des Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. befunden.70 Dies ermöglicht es dem Angeklagten, auch nach Beginn der Hauptverhandlung die Aufrechterhaltung seiner Inhaftierung überprüfen zu lassen. (2) Der Gegenstand der richterlichen Haftprüfung Gegenstand der richterlichen Entscheidung im Rahmen einer solchen Über­ prüfung ist gemäß Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. und Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO die „Entscheidung über die Haftentlassung der Person oder die weitere Aufrechterhaltung der Haft“ („ruling on the release or detention of a person“). Diese Formulierung bezieht sich zunächst auf diejenige Entscheidung, die auf den Antrag der Verteidigung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. hin ergangen ist, und mithin auf die erste Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Inhaftierung nach Überstellung der Person an den Gerichtshof.71 Lediglich im Verfahren gegen Katanga ist die Vorverfahrenskammer hiervon abgewichen, da auch nach mehreren Monaten kein Antrag auf Haftentlassung durch die Verteidigung gestellt wurde. Zum Schutze der Beschuldigtenrechte wurde hier vom eindeutigen Wortlaut der Vorschriften abgewichen und für eine Haftprüfung proprio motu auf die vorhergehende Entscheidung nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. verzichtet.72 Bei darauf folgenden Überprüfungen ist auf die „Grundentscheidung“ nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. unter Einbeziehung in der Zwischenzeit ergangener ist zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können, vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 42 Rn. 67. Dies lässt sich auf die hier angesprochene Situation übertragen: es bedarf lediglich eines Mindestmaßes an Substantiierung, so dass die Möglichkeit einer Rechtsverletzung aufgrund unrechtmäßigen Freiheitsentzuges nicht offensichtlich und von vornherein ausgeschlossen sein darf. 70 Bemba, (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Public Redacted Version of the „Decision on Applications for Provisional Release“ of 27 June 2011, 16. August 2011, Rn. 43 ff. 71 Diesbezüglich hat die Berufungskammer in Lubanga (Fn. 62), Rn. 94 ff., eine Aus­legung anhand des Wortlautes, der Systematik und der Teleologie von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. vorgenommen mit dem Ergebnis, dass mit dem „ruling“ nur die Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. gemeint sein kann, nicht hingegen allein der Haftbefehl. Dieser Auslegung zustimmend und überzeugend auch Lubanga (Fn. 62), Separate Opinion of Judge Georghios M. Pikis, Rn. 15. 72 Dazu bereits oben, B. IV. 1. b) bb).

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Haftprüfungen abzustellen, so dass Ausgangspunkt der neuen Haftprüfungsentscheidung primär die zuletzt in dieser Sache ergangene Entscheidung ist.73 Aus diesem Grund besteht insofern eine Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf die zu überprüfenden Haftgründe. Eine Kammer verstößt gegen Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., wenn sie ihrer Entscheidung Erwägungen zu Haftgründen zugrundelegt, die zum einen in den vorhergehenden Entscheidungen nicht thematisiert wurden und zum anderen keine dahingehende Berechtigung finden, dass sich Umstände geändert haben.74 Das Argument, die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ohne diesbezügliche Anhaltspunkte auf eine breitere rechtliche Basis stellen zu wollen, ist nicht tragfähig. (3) Der Maßstab für die richterliche Haftprüfung Zu prüfen ist, ob eine Veränderung der Umstände die Aufrechterhaltung, Modifizierung oder Beendigung der Untersuchungshaft erfordert, Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Dies soll „im Lichte der Erfordernisse von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St.“ geschehen.75 Der Maßstab für diese Prüfung liegt demnach in der Frage begründet, ob die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St., wie in Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. normiert, weiterhin vorliegen und somit die Aufrechterhaltung der Inhaftierung rechtfertigen.76 Dies bedeutet nicht, dass eine Überprüfung der Voraussetzungen der Inhaftierung „ab initio“ erfolgen soll.77 Vielmehr ist im Zuge einer „summarischen Prüfung“ zu untersuchen, ob sich Umstände, welche die vorheri 73 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-­ Pierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 28 July 2010 entitled „­Decision on the Review of the Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to Rule 118 (2) of the Rules of Procedure and Evidence“, 19. November 2010, Rn. 46 ff. 74 Im Verfahren gegen Bemba begnügte sich die zuständige Verfahrenskammer nicht mit Ausführungen zur Fluchtgefahr, sondern stützte die Versagung einer vorläufigen Entlassung, entgegen den vorherigen Haftprüfungsentscheidungen (vor allem der in Bezug genommenen Entscheidung vom 17. Dezember 2010), zusätzlich auf den Haftgrund der Verdunkelungs­ gefahr, vgl. Bemba (Fn. 70), Rn. 62. Die Berufungskammer erteilte diesem Vorgehen eine Absage mit der Begründung, dass die Verdunkelungsgefahr zuletzt Gegenstand der Haft­ prüfung vom 14. April 2009 gewesen sei und mithin Ausführungen zu diesem Haftgrund nur zulässig seien, sofern dies veränderte Umstände erfordern, so Bemba (ICC-01/05-01/08), ­Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 27 June 2011 entitled „Decision on Applications for Provi­ sional Release“, 19. August 2011, Rn. 72 f. 75 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecutor against Pre-Trial Chamber II’s „Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa“, 02. Dezember 2009, Rn. 58. 76 Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on Application for Interim Release, 16. Dezember 2008, Rn. 32; sowie ders. (Fn. 73), Rn. 52. 77 Bemba (Fn. 73), Rn. 53.

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gen Entscheidungen begründeten, verändert haben oder ob sich neue Umstände ergeben haben, die eine Auswirkung auf die Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. zeitigen. Es müssen sich demnach für Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. veränderte Umstände feststellen lassen, deren Vorliegen im Lichte der Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. zu beurteilen ist.78 Dies zeigt, dass gerade keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit anhand der ursprünglichen Voraussetzungen der Inhaftierung erfolgen soll.79 Hierin manifestiert sich auch der Unterschied zu den menschenrechtlichen Vorgaben, da in dieser Hinsicht in den Grundlagen des Internationalen Strafgerichtshofs keine „überwachende“ oder „kontrollierende“ Instanz im Sinne eines Haftprüfungsrechts geschaffen werden sollte.80 Im Zusammenhang mit dieser Überprüfung ist auf die Beobachtungen und Stellungnahmen zurückzugreifen, welche die Verfahrensbeteiligten im Vorfeld eingereicht haben. Diese sind unter Berücksichtigung der Tatsachen und Beweismaterialien, die der Kammer vorliegen, zu betrachten.81 Dabei genügt es für eine angemessene Haftprüfung nicht, dass sich die Kammer im Rahmen ihrer Prüfung lediglich auf die von der Verteidigung vorgebrachten Aspekte beschränkt, vielmehr sind die Eingaben des Anklägers mit denjenigen der Verteidigung ab­ zuwägen.82 Die Kernfrage besteht nach dem oben Gesagten darin, ob veränderte Umstände („changed circumstances“) eine Abänderung der bisherigen Entscheidungen und dem Status der Person als Untersuchungshäftling erfordern. Das Erfordernis der „veränderten Umstände“ verlangt entweder eine Veränderung einiger oder sämtlicher Tatsachen, die eine frühere Entscheidung über die weitere Inhaftierung gestützt haben, oder neue Tatsachen, welche eine Modifizierung der bisherigen Entscheidung erfordern.83 In welchem Ausmaß eine Veränderung von Umständen erfolgen muss, um eine Entlassung oder Modifizierung der Haftbedingungen herbeizuführen, ist nicht eindeutig bestimmt. Auch die Ausführungen der Kammern weichen diesbezüglich in Teilen voneinander ab. Während überwiegend auf wesentliche, grundle 78

Bemba (Fn. 74), 19. August 2011, Rn. 85. Khan, in: Triffterer, Art. 60 Rn. 12 (mit Fn. 39). 80 Dies erinnert, wie auch an den Ad-hoc-Tribunalen, an die im Zusammenhang mit den Menschenrechten entwickelte „Inkorporationsdoktrin“. Die gerichtliche Entscheidung über die Inhaftierung beinhaltet dieser Konzeptionierung zufolge zugleich auch die Prüfung von deren Rechtmäßigkeit. 81 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Fifth Review of the PreTrial Chamber’s Decision Concerning the Pre-Trial Detention of Germain Katanga pursuant to Rule 118 (2) of the Rules of Procedure and Evidence, 19. November 2008, Rn. 18; Bemba (Fn. 67), Rn. 40. 82 Bemba (Fn. 73), Rn. 52. 83 Bemba (Fn. 75), Rn. 60 („The requirement of ‚changed circumstances’ imports either a change in some or all of the facts underlying a previous decision on detention, or a new fact satisfying a Chamber that a modification of its prior ruling is necessary.“). 79

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gende bzw. erhebliche Veränderungen abgestellt wird,84 gibt es auch weniger deutliche Entscheidungen, die einen scheinbar niedrigeren Maßstab zugrunde legen.85 Im Verfahren gegen Lubanga finden sich gar selten Hinweise auf das Merkmal der „veränderten Umstände“ in den Haftprüfungsentscheidungen; dort wurde regelmäßig eine äußerst knappe Beurteilung nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. vorgenommen.86 Die Entwicklung dieses Merkmals vollzieht sich demnach hauptsächlich anhand der Verfahren gegen Katanga, Ngudjolo Chui und Bemba. Vorwiegend bedeutsam sind hierbei die Umstände in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen der Untersuchungshaft nach Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. Im Hinblick auf die Zusicherung von Kooperation durch einen Aufnahmestaat als formelle Voraussetzung87 kann festgehalten werden, dass diese höchstens in Kumulation zu Veränderungen im Rahmen der materiellen Erfordernisse relevant werden kann. Dies bedeutet, dass allein der Umstand, einen zur Aufnahme der Person bereiten Staat gefunden zu haben, noch nicht ausreicht, um „veränderte Umstände“ im Sinne von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. zu begründen. Vielmehr ist allein diese Zusage von nachrangiger Bedeutung.88 Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalles.89 84 In diesem Zusammenhang wird häufig vom Erfordernis eines „material“ oder „substantial change“ gesprochen, vgl. Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo Chui“, 23. Juli 2008, S. 9; Bemba (ICC-01/05-01/08), Pre-Trial Chamber, Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa, 14. August 2009, Rn. 69; ders., Trial Chamber, Decision on the Review of the Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to Rule 118 (2), 28. Juli 2010, Rn. 39. In Bemba (ICC-01/05-01/08), Trial Chamber, Decision on the Review of the Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to Rule 118 (2), 01. April 2010, Rn. 29, wird dieser Maßstab als „necessary threshold“ erachtet. Ähnliche, dahingehende Formulierungen finden sich mit dem Erfordernis eines „significant change“ in Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 81), Rn. 12, sowie Trial Chamber, Fifth Review of the Pre-Trial Chamber’s Decision Concerning the Pre-Trial Detention of Germain Katanga pursuant to Rule 118 (2) of the Rules of Procedure and Evidence, 19. November 2009, Rn. 24. 85 Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Trial Chamber, Second Review of the Decision on the Conditions of Detention of Germain Katanga, 12. Dezember 2008, Rn. 9 („no notable change“); Third Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 17. März 2009, Rn. 8 („no marked change“); Fourth Review of the Pre-Trial Chamber’s Decision Concerning the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 21. Juli 2009, Rn. 16 („not changed noticeably“); Fifth Review of the Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo, 04. November 2009, Rn. 9 („not changed to any appreciable extent“). 86 Dies gilt zumindest für die Haftprüfungsentscheidungen vom 09. Oktober 2007, vom 01. Februar 2008 und vom 29. Mai 2008. 87 Zur Begründung dieser Annahme s. B. III. 2. b) bb) (6) und B. III. 2. c) cc) (6). 88 So die Entscheidungen Bemba (Fn. 84), 01. April 2010, Rn. 32, und ders. (Fn. 84), 28. Juli 2010, Rn. 38. 89 Bemba (Fn. 70), Rn. 60. Für die Anforderungen, die seitens des IStGH an die Erklärung eines Aufnahmestaates gestellt werden s. B. III. 2. c) cc) (6).

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(4) Die Rechtsfolgen der Haftprüfung nach Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. Die möglichen Rechtsfolgen der Haftprüfungsentscheidung nach Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. sind bereits an anderer Stelle eingehend analysiert worden.90 Der Vollständigkeit halber sollen die wichtigsten Grundsätze erneut zusammengefasst werden. Der Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. sieht mit der Formulierung „may“ einen Ermessensspielraum der entscheidenden Kammer vor. Es sind drei verschiedene Konstellationen in Bezug auf dieses richterliche Ermessen zu unterscheiden: Kommt das Gericht erstens zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Untersuchungshaft aufgrund veränderter Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Ermessensspielraum dahingehend zu verstehen, dass die Entlassung aus der Untersuchungshaft im Sinne einer „gebundenen Entscheidung“ zwingende Konsequenz ist. Liegen zweitens zwar veränderte Umstände vor, deren Beurteilung im Lichte von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. aber nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft entfallen, ist den Richtern ebenfalls ein Ermessensspielraum eingeräumt. Hierdurch wird die Erwägung milderer Mittel in Form von Auflagen im Vergleich zur Untersuchungshaft ermöglicht. Die Verfahrens­ kammer in Bemba geht von einem doppelten Ermessen aus: Zunächst steht die Beantwortung der Frage im Ermessen der Kammer, ob überhaupt eine Entlassung unter Auflagen zu erwägen ist. Erst danach stellt sich die Frage, ob die inhaftierte Person unter Auflagen vorläufig aus der Haft zu entlassen ist. Im Rahmen der Ermessensentscheidung zur Beantwortung der zweiten Frage ist zu erwägen, ob und in welchem Ausmaß Auflagen die Risiken des Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. verringern können, und ob in der Folge eine Entlassung unter Auflagen zwingend verlangt wird. Die Ermessensentscheidung auf der „Vorstufe“, ob eine Entlassung unter Auflagen überhaupt zu erwägen ist, entfällt nur, wenn ein Staat bereits seine Aufnahmebereitschaft signalisiert hat – in diesem Fall ist zwingend eine Ent­ lassung unter Auflagen zu erwägen. Sofern drittens das Vorliegen veränderter Umstände nicht festgestellt werden konnte, wird auch kein Ermessensspielraum eröffnet. In diesem Fall bleibt es bei der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. (5) Die geltenden Verfahrensgrundsätze Neben dem in Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO geregelten Erfordernis, dass eine Haftprüfung im Abstand von höchstens 120 Tagen zu ergehen hat, sind keine wei 90

s. dazu B. III. 2. c) cc) (2).

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teren Fristen normiert. So findet sich auch keine Regelung in Bezug auf die Zügigkeit der Entscheidung einer Kammer nach Eingehen eines Antrages auf Haftprüfung, wohingegen in Regel 118 Abs. 1 IStGH-VBO festgelegt ist, dass die erste Haftentscheidung ohne Verzögerung („without delay“) zu ergehen hat. In Anlehnung an den allgemeinen Gedanken einer beschleunigten Verfahrensführung ist aber auch bei darauf folgenden Haftprüfungen von dem Gebot einer zügigen Entscheidung auszugehen.91 Nach der Anhörung zur Bestätigung der Anklage und der Zuweisung des Verfahrens zu einer Hauptverfahrenskammer kann diese bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Aufgaben der Vorverfahrenskammer wahrnehmen, Art. 61 Abs. 11 ­IStGH-St. Dabei ist eine wechselnde Besetzung der Kammern der Befähigung zur Durchführung der Haftprüfung nicht abträglich.92 Ursprünglich wurde die Auffassung vertreten, dass die Möglichkeit einer Haftprüfung zeitlich betrachtet mit dem Beginn der Hauptverhandlung ende.93 Dies ergibt sich zunächst auch aus der Überschrift und Stellung von Art. 60 ­IStGH-St. innerhalb des Römischen Statuts („Initial proceedings before the Court“). Im Verfahren gegen Bemba musste sich die Verfahrenskammer erstmalig mit der Frage auseinandersetzen, ob die Reglementierungen des IStGH eine Rechtsgrundlage für Haftprüfungen nach Beginn der Hauptverhandlung beinhalten.94 Unter Hinweis auf die diesbezüglich maßgeblichen Vorschriften der Art. 60 Abs. 3, 61 Abs. 11 I­StGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO und einer Auslegung des Wortlautes wurde eine solche Rechtsgrundlage bejaht. Haftprüfungen seien „at any time“ vorgesehen (Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St., Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO), wobei die Verfahrenskammer in die Stellung der Vorverfahrenskammer nach Art. 61 Abs. 11 I­ StGH-St. eintrete. Lediglich das Erfordernis einer nach spätestens 120 Tagen vorzunehmenden Haftprüfung sei hiervon ausgenommen.95 Letztendlich hat somit der Angeklagte auch während der laufenden Hauptverhandlung das Recht, seine Inhaftierung auf einen entsprechenden Antrag hin überprüfen zu lassen. Im Hinblick auf die Form des Antrages auf Haftprüfung enthält Regel 118 IStGH-VBO nähere Angaben. Dabei ist nur für den Antrag auf eine erste Haftentscheidung nach Überstellung der Person an den Gerichtshof zwingend die Schriftform vorgesehen, Regel 118 Abs. 3 IStGH-VBO. Die Haftprüfung kann auch mündlich beantragt werden. Es liegt im Ermessen der zuständigen Kammer, ob bei jeder Haftprüfung eine Anhörung durchgeführt wird. Zwingend vorgesehen ist eine solche Anhörung in Bezug auf die Inhaftierung der Person zumindest einmal jährlich, Regel 118 Abs. 3 IStGH-VBO a. E. 91 Für die Hauptverfahrenskammer ergibt sich dieses Beschleunigungsgebot explizit aus Art. 64 Abs. 2 ­IStGH-St. 92 Bemba (Fn. 73), Rn. 56. 93 Bemba (Fn. 84), 01. April 2010, Rn. 25; ebenso ders. (Fn. 84), 28. Juli 2010, Rn. 30 („­during the entirety of the pre-trial proceedings“). 94 Bemba (Fn. 70), Rn. 43 ff. 95 Bemba (Fn. 70), Rn. 46.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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Ungeachtet der Durchführung einer solchen Anhörung sind vor jeder Entscheidung über die Haftprüfung durch die Kammer schriftliche Stellungnahmen des Anklägers und des Beschuldigten bzw. Angeklagten einzuholen, Regel 118 Abs. 3 Satz 3 IStGH-VBO. Diese Obliegenheit ist als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu erachten und für die inhaftierte Person entsprechend bedeutsam. Jüngst hat die Berufungskammer im Verfahren gegen Bemba einen reversiblen Verfahrensfehler der Hauptverfahrenskammer dahingehend angenommen, dass diese über die Aufrechterhaltung der Haft entschieden hat, ohne zuvor dem Angeklagten Gelegenheit gegeben zu haben, zu allen für die Entscheidung relevanten Aspekten Stellungnahmen abzugeben.96 Der Angeklagte müsse die Möglichkeit haben, die Kammer in ihrer Haftprüfungsentscheidung durch entsprechendes Vorbringen in seiner Stellungnahme noch beeinflussen zu können.97 Dies be­ deutet, dass in der Praxis streng darauf zu achten ist, dass die inhaftierte Person Gelegenheit hatte, zu den einzelnen Aspekten Stellung zu nehmen. Bei der Beurteilung dessen, ob veränderte Umstände vorliegen, welche der weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegenstehen, sind auch die im vorigen Kapitel untersuchten formellen Grundsätze von Bedeutung.98 Von besonderer Relevanz ist an dieser Stelle die Frage der Beweislastverteilung. Wie bereits zuvor erörtert,99 hat der Ankläger die Beweislast für das weitere Vorliegen der Haftbedingungen zu tragen.100 Im Hinblick auf die Haftprüfung bedeutet dies, dass der Ankläger die Gründe für die Aufrechterhaltung der Haft nicht erneut darzulegen hat; vielmehr trägt er umgekehrt die Beweislast dafür, zu zeigen, dass sich die Umstände nicht verändert haben.101 Vereinzelt wird hingegen auch von einer Widerlegungspflicht der Verteidigung ausgegangen. Indem der Verteidigung aber auferlegt wird, das Vorliegen „veränderter Umstände“ darzulegen und die Schlussfolgerung der Kammer in Bezug auf die notwendige Aufrechterhaltung der Haft zu widerlegen,102 wird zugleich in der Praxis die Gefahr einer Beweislastumkehr geschaffen.103

96 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. JeanPierre Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 26 September 2011 entitled „Decision on the Accused’s Application for Provisional Release in Light of the Appeals Chamber’s Judgment of 19 August 2011“, 15. Dezember 2011, Rn. 67. 97 Bemba (Fn. 96), Rn. 64 ff., unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung des EGMR. 98 Beispielsweise Bemba (Fn. 84), 14. August 2009, Rn. 59, 69. 99 Dazu B. III. 2. c) cc) (1). 100 s. nur Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision Concerning Observations on the Review of the Pre-Trial Detention of Germain Katanga, 09. Juli 2008, S. 4. 101 Bemba (Fn. 73), Rn. 51 („In this regard, the Appeals Chamber wishes to clarify that while it is correct that the Prosecutor does not have to re-establish circumstances that have a­ lready been established, he must show that there has been no change in those circumstances.“). 102 Dahingehend Bemba (Fn. 67), Rn. 40; ders. (Fn. 84), 28. Juli 2010, Rn. 38. 103 Kritisch hierzu Golubok, in: Law & Prac. Int’l Cts. & Tribunals 9 (2010), 295, 305 f.

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dd) Bewertung des Haftprüfungsrechts am IStGH Grundsätzlich ist zunächst begrüßenswert, dass das Recht auf Haftprüfung Einzug erhalten hat in das Normenwerk des IStGH. Gemessen an den menschenrechtlichen Vorgaben stellt sich das Haftprüfungsrecht gleichwohl nicht als eine solch vollkommen eigenständige Garantie dar. Die begrenzten Möglichkeiten, Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Festnahme geltend zu machen, sind der besonderen Situation des Internatio­nalen Strafgerichtshofs zuzuschreiben. Insoweit besteht eine Parallele zu den Ad-hocTribunalen, welche im selben Maße auf die Kooperation von Staaten angewiesen sind. Für die Aufrechterhaltung der Inhaftierung am Gerichtshof besteht eine Abweichung zu den Menschenrechten insoweit, als hier lediglich einmalig in der Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft entschieden wird. Diese Entscheidung gilt fortan als Grundlage für spätere Haftprüfungen nach Art. 60 Abs. 3 I­ StGH-St. In diesen späteren Entscheidungen wird die Rechtmäßigkeit der Haft jedoch nicht einer erneuten Prüfung unterzogen, sondern gemessen am Maßstab der Ausgangsentscheidung daraufhin beurteilt, ob aufgrund veränderter Umstände von diesem Votum abzuweichen ist. Der Charakter der Ausgestaltung als „überwachende“ Instanz fehlt – beabsichtigterweise – an dieser Stelle. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt sich zeitlich gesehen auf den Zeitraum, der seit der letzten Entscheidung vergangen ist. Dabei wird im Rahmen dieser Entscheidung nicht die Annahme zugrundegelegt, dass die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung erneut festzustellen ist. Vielmehr wird von dem umgekehrten Fall ausgegangen, in welchem die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft aufgrund der Ausgangsentscheidung per se gegeben ist und dies nur durch eine grundlegende Veränderung der Umstände revidiert werden kann. Insofern muss auch der Ankläger die Voraussetzungen der Inhaftierung nicht de novo darlegen. Vielmehr muss er im Sinne einer „Negativprüfung“ nachweisen, dass sich die Umstände gerade nicht verändert haben und die Grundannahme von der Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Haft aufrechterhalten bleiben kann. Kritikwürdig ist hingegen, dass es durch die Rechtsprechung zu einer faktischen Beweislastumkehr kommt und mithin der Beschuldigte bzw. Angeklagte das Vorliegen „veränderter Umstände“ nachzuweisen hat. Trotz dieser Kritik ist die Einführung einer Haftprüfung als Weiterentwicklung im Bereich des Völkerstrafrechts zu erachten. Die bisherigen Entscheidungen zeigen, dass die Kammern das Recht auf Haftprüfung bzw. ihre Obliegenheit, eine solche durchzuführen, durchaus ernst nehmen. So zeugen vor allem die Entscheidungen im Verfahren gegen Katanga von einer konstanten Aktivität des Gerichts dahingehend, eine solche Haftprüfung im Abstand von 120 Tagen durchzuführen. Sichergestellt ist hierdurch die periodisch wiederkehrende Auseinandersetzung mit veränderlichen Umständen des Einzelfalles, anhand derer die Aufrecht­

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erhaltung der Untersuchungshaft oder eine Änderung des bisherigen Status zu bemessen ist. Ebenso sind grundlegende Parameter für das Haftprüfungsrecht im Verfahren gegen Bemba entwickelt worden. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Auslegung der inhaltlichen Anforderungen der einschlägigen Vorschriften, sowie die möglichen Rechtsfolgen einer solchen Haftprüfungsentscheidung. 2. Möglichkeiten der Opferbeteiligung in Bezug auf Fragen der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft vor dem IStGH Ein Novum in der Geschichte des Völkerstrafrechts ist die Rolle des Opfers in Strafverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof. War die Stellung der Opfer bislang auf völkerstrafrechtlicher Ebene sämtlichen anderen verfahrensrechtlichen Belangen und Beteiligten untergeordnet, änderte sich dies mit Inkrafttreten des Römischen Statuts.104 Anknüpfend an die Präambel ist im Statut erstmals die aktive Beteiligung von Opfern an verschiedenen Stellen ausdrücklich vorgesehen.105 Die mit der Schaffung von Beteiligungsrechten verbundene Möglichkeit der Partizipation in Haftprüfungsverfahren soll hier nun näher untersucht werden. a) Die bisherige Stellung des Opfers vor internationalen Strafgerichten Schon im Rahmen der Verfahren in Nürnberg und Tokio im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg gab es keine Möglichkeiten für Opfer, sich im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als solches aktiv am Verfahren zu beteiligen. Gleiches gilt sowohl für den JStGH als auch für den RStGH, wobei die Gründe hierfür unterschiedlicher Art sind.106 Nach dem dort vorherrschenden Verständnis kommt dem Opfer vielmehr die Rolle eines Zeugen zu.107 Lediglich im Hinblick auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit unterscheidet sich der Opferzeuge von anderen Zeugen.108 Die graduellen Unterschiede der Rechtslage am RStGH zu derjenigen am JStGH109 fallen dabei kaum ins Gewicht. Darüber hinaus gibt es für Opfer höchs 104

Zur Entwicklung des Opferstatus im Völkerstrafrecht Schabas, in: International Criminal Law: Quo Vadis?, 505 ff.; Corrie, S. 2 ff.; Mekjian/Varughese, in: Pace Int’l L. Rev. 17 (2005), 1, 7. 105 Für einen Überblick s. van Boven, in: von Hebel/Lammers/Schukking, S. 86 f. 106 Corrie, S. 4 f. 107 Näher dazu Chifflet, in: Boas/Schabas, S. 75 ff.; Rydberg, in: Kaptein/Malsch, S. 131 ff.; Safferling, in: ZStW 115 (2003), 352, 365 ff.; SáCouto/Cleary, in: Transnat’l L. & Contemp. Probs. 17 (2008), 73, 80 f. 108 Safferling, in: ZStW 115 (2003), 352, 365; van Boven, in: von Hebel/Lammers/Schukking, S. 80 f. Zur Abwägung von Zeugenschutzaspekten mit den Angeklagtenrechten vor dem JStGH s. Mumba, in: May et al., S. 361 ff. 109 So wird vereinzelt auf geringe partizipatorische Rechte der Opfer vor dem RStGH hin­ gewiesen, Mekjian/Varughese, in: Pace Int’l L. Rev. 17 (2005), 1, 15; Cohen, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 37 (2009), 351, 356.

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tens die (unbefriedigende) Möglichkeit zur Beteiligung über die Abgabe einer Stellungnahme als amicus curiae.110 Jedenfalls bleibt es dabei, dass bis zur Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs dem Opfer keine dieser Eigenschaft entsprechende besondere Stellung eingeräumt wurde. b) Die Beteiligungsrechte von Opfern vor dem IStGH Durch die Einführung entsprechender Vorschriften in das Regelwerk des IStGH hat sich der Status von Opfern von der bloßen Zeugenrolle hin zu einem aktiven Teilnehmer am Strafverfahren verändert. Zuvörderst ist hier auf Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. sowie Regel 85 IStGH-VBO hinzuweisen, welche als „Generalklauseln“ ein allgemeines Beteiligungsrecht und dessen Voraussetzungen beinhalten. Während sich die Zulassung eines Opfers zu einem Verfahren nach der Opferdefinition in Regel 85 (a) IStGH-VBO richtet, kann den zugelassenen Opfern die Beteiligung nach Art. 68 Abs. 3 I­StGH-St. gestattet werden. In einer Reihe grundlegender Entscheidungen ist die Stellung des Opfers anhand dieser Vorschriften aufgegriffen und entwickelt worden.111 Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. ermöglicht den Opfern, ihre Auffassungen und Anliegen in für geeignet befundenen Verfahrensabschnitten vorzutragen. Konkret ergibt sich hieraus auch das Recht von Opfern, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in dieser Form am Haftprüfungs­ verfahren beteiligt zu werden. aa) Die Stellung des Opfers vor dem IStGH In Abkehr von der Rechtslage an den Ad-hoc-Tribunalen hat die Ansehung der Stellung des Opfers im Völkerstrafverfahren bedingt durch eine andere Rollenzuschreibung und Rechtsposition deutliche Änderungen erfahren. Aufgrund der nunmehr gegebenen Möglichkeiten, aktiv am Verfahren zu partizipieren, ist das Opfer zum Teilnehmer am Strafverfahren avanciert. In dieser Rolle als Teilnehmer erschöpft sich zugleich auch die rechtliche Stellung der Opfer. Sie stellen de jure keine zusätzliche Anklageinstitution dar und bleiben rechtlich betrachtet hinter dem Status einer „civil party“ zurück.112 Ihr Status ist an­ 110

Vgl. Heikkilä, S. 155 ff. Dazu Chung, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 6 (2008), 459, 466 ff.; Guhr, in: ZIS 2008, 367 ff. 112 Safferling, in: ZStW 122 (2010), 87, 106; Friman, in: Sluiter/Vasiliev, S. 215. Anders ist dies an den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC). Die Opfer können sich dort als zusätzliche Partei des Verfahrens an diesem beteiligen, vgl. Rule 23 Abs. 1 lit. a) der Internal Rules. Instruktiv zur Opferbeteiligung bei Haftentscheidungen Nuon Chea (002/19-09-2007-ECCC/OCIJ), Pre-Trial Chamber, Decision on Civil Party Participation in Provisional Detention Appeals, 20. März 2008, Rn. 35 ff.; dazu Turner, in: Am. J. Int’l L. 103 (2009), 116 ff. 111

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erkanntermaßen nicht mit demjenigen der Verteidigung oder der Anklagebehörde gleichzusetzen.113 Doch auch im Hinblick auf diese Rollenzuschreibung werden dem Sinngehalt der Opferbeteiligung teils weitreichende Auswirkungen beigemessen. So hat die Vorverfahrenskammer im Verfahren gegen Lubanga der Opferbeteiligung gleichwohl eine die Anklagebehörde unterstützende Funktion zugeschrieben.114 Im Rahmen einer solchen Sichtweise liegt die Vermutung nahe, dass die Stellung von Opfern de facto über die zugewiesene Rolle der Beteiligung am Verfahren hinausgeht. Dies würde allerdings in Konflikt mit dem Grundsatz der Waffengleichheit sowie der Balance in der Rollenverteilung zwischen Anklagebehörde und Verteidigung geraten,115 zumal in den rechtlichen Grundlagen des IStGH nichts auf eine derartige Stellung des Opfers hindeutet. Ferner liegt das Ausmaß der tatsäch­ lichen Befugnisse sowie der näheren Modalitäten der Beteiligung im Ermessen der Kammer und ist nicht im Sinne einer autonomen Rechtsposition zu verstehen.116 Letztendlich bleibt es bei der Verankerung der Stellung von Opfern als Teil­ nehmer, und nicht als Partei, des Verfahrens. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, ist bereits diese Rollenzuschreibung, wenngleich als Neuerung zu erachten, im Spannungsfeld zum Beschuldigten bzw. Angeklagten nicht in jeglicher Hinsicht unproblematisch. bb) Die Zulassung als Opfer vor dem Gerichtshof Um die Beteiligungsrechte wahrnehmen zu können, ist zunächst die Zulassung als Opfer gemäß Regel 89 IStGH-VBO erforderlich.117 Kurz sei erwähnt, dass Opfer neben der Zulassung zu einem Fall und mithin einem konkreten Straf­ verfahren auch die Zulassung zu einer Situation im Rahmen der Vorermittlung des 113

Jorda/Hemptinne, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1405; Corrie, S. 17 f.; Greco, in: Int’l Crim. L. Rev. 7 (2007), 531, 535. Auch weist die Berufungskammer deutlich auf die jeweilige Rollenverteilung und den Unterschied zwischen Parteien des Verfahrens und den Opfern hin, Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Judgment on the Appeals of the Prosecutor and the Defence against Trial Chamber I’s Decision on Victims’ Participation of 18 January 2008, 11. Juli 2008, Rn. 93. Kritisch Friman, in: Leiden J. Int’l L. 22 (2009), 485, 500. 114 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Pre-Trial Chamber, Decision on the Arrangements for Participation of Victims a/0001/06, a/0002/06 and a/0003/06 at the Confirmation Hearing, 22. September 2006, S. 5 („… the victims may participate […] by presenting their views and concerns in order to help contribute to the prosecution of the crimes from which they ­allegedly have suffered …“). 115 Doak, in: J. L. & Soc’y 32 (2005), 294, 298; SáCouto/Cleary, in: Transnat’l L. & Contemp. Probs. 17 (2008), 73, 85; Friman, in: Sluiter/Vasiliev, S. 220. 116 Dazu unten B. IV. 2. b) cc). 117 Vertiefend zu den rechtlichen Rahmenbedingungen Safferling, in: ZStW 115 (2003), 352, 374 ff.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Anklägers beantragen können.118 In Bezug auf die Untersuchungshaft ist lediglich die Zulassung zu einem bestimmten Fall bedeutsam. Dabei muss in jedem Verfahrensabschnitt erneut dargelegt werden, dass die Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. erfüllt sind. Die Eigenschaft als Opfer muss hingegen nur einmal festgestellt werden.119 Für eine Beteiligung im Rahmen von Beschwerden gegen sonstige Entscheidungen nach Art. 82 I­ StGH-St. muss jedoch ein gesonderter Antrag gestellt werden, auch wenn das Opfer bereits für den jeweiligen Verfahrensabschnitt zugelassen wurde. In einem solchen Fall besteht kein „automa­tisches Recht“ auf Beteiligung.120 cc) Die Voraussetzungen der Opferbeteiligung im Haftprüfungsverfahren Im Zusammenhang mit Untersuchungshaft wird die Beteiligung von Opfern erstmals im Vorverfahren relevant. Zwar sieht Regel 118 IStGH-VBO als Grundnorm für Haftprüfungen die Opferbeteiligung nicht explizit vor. Gerade der Wortlaut von Abs. 3 suggeriert, dass eine Beteiligung von Opfern in diesem Teil des Strafverfahrens gerade nicht vorgesehen ist. Diese Annahme, die sowohl für die ursprüngliche Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft als auch für spätere Haftprüfungen Geltung beansprucht, ist in diversen anfänglichen Entscheidungen im Verfahren gegen Lubanga widerlegt worden.121 118

Dies hatte erstmals die Vorverfahrenskammer in der Situation Demokratische Republik Kongo entschieden, Situation in the Democratic Republic of the Congo (ICC-01/04), PreTrial Chamber, Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of VPRS 1, VPRS 2, VPRS 3, VPRS 4, VPRS 5 and VPRS 6, 17. Januar 2006. Dazu die Entscheidungsbesprechung von Hemptinne/Rindi, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 342 ff.; kritisch Guhr, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 109, 118 ff. 119 Safferling, in: ZStW 122 (2010), 87, 106 f. 120 Speziell für die Beschwerde gegen eine Haftentscheidung Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Decision on the Participation of Victims in the Appeal in the Trial Chamber I’s Oral Decision of 15 July 2010 to Release Thomas Lubanga Dyilo, 17. August 2010, Rn. 15 m. w. N. Folgende vier Kriterien müssen für die Beteiligung erfüllt sein: (1) Anerkennung der Opfereigenschaft im Verfahren, (2) die persönlichen Interessen müssen durch den Gegenstand der Beschwerde betroffen sein, (3) die Beteiligung muss in Bezug auf den Verfahrensabschnitt für geeignet befunden werden und (4) die Art und Weise der Beteiligung darf die Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigen oder damit unvereinbar sein. 121 Nachdem drei Opfer von der Vorverfahrenskammer am 28. Juli 2006 zunächst nach Regel 85 lit. a) IStGH-VBO für das Verfahren gegen Thomas Lubanga zugelassen wurden, erfolgte am 22. September 2006 beispielsweise die Aufforderung an die Opfer durch die zuständige Einzelrichterin, den Antrag der Verteidigung auf vorläufige Haftentlassung zu erwidern; Pre-Trial Chamber, Decision Establishing a Deadline in Relation to the Defence Request for the Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo, 22. September 2006. Mit der Begründung, dass dieser Antrag die „persönlichen Interessen“ der Opfer beeinträchtige, ist inzident über Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. die Opferbeteiligung im Hinblick auf Haftentscheidungen gestattet worden. Im konkreten Fall war die ursprüngliche Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. Gegenstand der richterlichen Entschei-

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Die erste Voraussetzung für jedwede Form der Beteiligung besteht grundsätzlich in der Anerkennung der Opfereigenschaft. Die hierfür darzulegenden Kriterien beinhaltet Regel 85 (a) IStGH-VBO mit einer Definition des Terminus „Opfer“.122 Wurde die Opfereigenschaft für den jeweiligen Fall anerkannt, besteht diese Anerkennung für die übrigen Verfahrensstadien grundsätzlich fort. Allein die Anerkennung der Opfereigenschaft reicht jedoch nicht für die faktische Beteiligung aus. Erfüllt ein Antragsteller die Kriterien der Opferdefinition, richten sich die weiteren Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung nach den Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. Eine Entscheidung über dessen Er­ fordernisse erfolgt anhand des jeweiligen Einzelfalles.123 Diese Grundnorm in Gestalt einer lex generalis sieht für die Teilnahme an einem bestimmten Abschnitt des Strafverfahrens vor, dass die persönlichen Interessen der Opfer betroffen sein müssen. Sind die persönlichen Interessen betroffen, können Opfer ihre Anliegen und Auffassungen vortragen, bzw. durch einen rechtlichen Vertreter vortragen lassen. Ein einheitliches Verständnis der „persönlichen Interessen“ zeichnet sich in der Rechtsprechung der verschiedenen Kammern bislang nicht ab. Während die Tendenz bei den Vorverfahrenskammern und Verfahrenskammern dahin geht, dieses Merkmal extensiv auszulegen, legt die Berufungskammer restriktivere Maßstäbe zugrunde.124 Praktisch bedeutet dies, dass im Rahmen eines extensiven Verständnisses die persönlichen Interessen der Opfer grundsätzlich betroffen sind, und die einzige Möglichkeit der Einschränkung der Beteiligung die in Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. vorgesehene Limitierung in Form der Beeinträchtigung der Angeklagtenrechte darstellt.125 Die Berufungskammer hingegen stellt bislang bei der Beurdungsfindung (Entscheidung vom 18. Oktober 2006). Richtungsweisend aber ist vor allem die Entscheidung der Berufungskammer vom 13. Februar 2007, welche die Beteiligung von Opfern in der Berufung gegen die Haftentscheidung vom 18. Oktober 2006 gestattete; Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision of PreTrial Chamber I entitled „Décision sur la Demande de Mise en Liberté Provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, 13. Februar 2007, insbesondere Rn. 8, 54. 122 Regel 85 lit. a) IStGH-VBO: „For the purposes of the Statute and the Rules of Procedure and Evidence: (a) ’Victims’ means natural persons who have suffered harm as a result of the commission of any crime within the jurisdiction of the Court; […]“. Vertiefend zur Opfer­ definition Safferling, in: ZStW 115 (2003), 352, 367 ff.; Baumgartner, in: I. R. R. C. 90 (2008), 409, 417 ff. 123 Nsereko, in: Crim. L. Forum 21 (2010), 399, 405, mit ausführlichen Nachweisen. 124 Eingehend dazu Trumbull, in: Mich. J. Int’l L. 29 (2008), 777, 797 ff.; Cohen, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 37 (2009), 351, 368 ff.; Guhr, in: Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), 109, 116 f. 125 Die Betroffenheit der Interessen ergibt sich demzufolge bereits aus der Anerkennung der Opfereigenschaft. Derjenige, der Opfer eines Verbrechens geworden ist, habe automatisch ein persönliches Interesse an Ermittlungen und dem Strafverfahren im Hinblick auf dieses Verbrechen. Dazu Situation in the Democratic Republic of the Congo (Fn. 118), Rn. 63; Situation in Uganda (ICC-02/04), Pre-Trial Chamber, Decision on Victims’ Applications for Participation a/0010/06, a/0064/06 to a/0070/06, a/0081/06 to a/0104/06 and a/0111/06 to a/0127/06, 10. August 2007, Rn. 9.

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teilung der Betroffenheit persönlicher Interessen auf den jeweiligen Einzelfall ab und nimmt keine pauschale Betrachtung vor. Beispielsweise sind die persön­lichen Interessen betroffen, wenn der Schutz von Opfern mit einer Entscheidung der Sache nach zusammenhängt, oder wenn es um Wiedergutmachung für die Opfer geht.126 Ausgehend von der strengeren Auslegung ist einhellige Meinung, dass die Interessen der Opfer in Haftprüfungsentscheidungen grundsätzlich betroffen sind. Begründet wird dies generell mit einer potentiellen Gefährdung der Sicherheit der Opfer, einer Gefahr für die Ermittlungen und den damit zusammenhängenden Opferbelangen, aber auch anderen Aspekten wie der Außendarstellung des Gerichtshofs.127 Dabei ist bereits fraglich, ob das zuletzt genannte Kriterium überhaupt geeignet ist, als Maßstab im Rahmen einer solchen Beurteilung herangezogen zu werden. Die Besorgnis in Bezug auf die Sicherheit der Opfer spiegelt sich auch in Regel 119 Abs. 3 IStGH-VBO wider. Bedingt durch diesen Umstand kann ferner bezweifelt werden, ob die persönlichen Interessen der Opfer bereits in Bezug auf die Entscheidung nach Regel 118 IStGH-VBO betroffen sind.128 Die Entscheidung über freiheitsbeschränkende Auflagen ist strukturell auf einer anderen Ebene angesiedelt als diejenige nach Art. 60 Abs. 2, 3 I­StGH-St., Regel 118 IStGH-VBO.129 Streng genommen sind die Interessen der Opfer erst dann betroffen, wenn die Kammer sich für die vorläufige Entlassung des Inhaftierten ausspricht. Nur in diesem Fall kommen Überlegungen bezüglich der Gefährdung der Sicherheit der Opfer zum Tragen. Ausgeschlossen werden soll über die Auflagen nach Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO ein potentielles Restrisiko, wenn die Kammer die Entlassung im Übrigen als im Hinblick auf Art. 58 Abs. 1 I­StGH-St. unbedenklich erachtet. Aus dieser Sichtweise heraus lässt sich auch die explizite Nennung der Opfer in Regel 119 Abs. 3 IStGH-VBO erklären. Darüber hinaus gehende persönliche Interessen im Sinne von Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. an der eigentlichen Entscheidung über die weitere Aufrechterhaltung der Haft sind in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung nicht ersichtlich. 126 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Appeals Chamber, Decision of the Appeals Chamber on the Joint Application of Victims a/0001/06 to a/0003/06 and a/0105/06 concerning the „­Directions and Decision of the Appeals Chamber“ of 2 February 2007, 13. Juni 2007, Rn. 28 m. w. N. 127 Lubanga (Fn. 121), 13. Februar 2007, Rn. 54; Trial Chamber, Decision on the Release of Thomas Lubanga Dyilo, 02. Juli 2008, Rn. 15 f., 33; Appeals Chamber, Decision on the Participation of Victims in the Appeal, 06. August 2008, Rn. 10. 128 Unterstützend wird in diesem Zusammenhang verwiesen auf Lubanga (Fn. 126), Rn. 28 („More generally, an assessment will need to be made in each case as to whether the interests asserted by victims do not, in fact, fall outside their personal interests and belong instead to the role assigned to the Prosecutor.“), sowie Lubanga, Defence Observations of the 12 Applications for Participation as Victims, 07. März 2008, Rn. 8. 129 Dazu Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Judgment on the Appeal of the Prosecutor against Pre-Trial Chamber II’s „Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa“, 02. Dezember 2009, Rn. 105 („two-tiered examination“).

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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Werden die persönlichen Interessen der Opfer gleichwohl als betroffen erachtet, ist das Gericht verpflichtet, das Vorbringen der Auffassungen und Anliegen in für geeignet befundenen Verfahrensabschnitten zu gestatten. Als zusätzliche Einschränkung sieht Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. vor, dass die Beteiligung die Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigen oder damit unvereinbar sein darf. Ferner kann aufgrund des Passus, dass der Verfahrensabschnitt für geeignet befunden werden muss, wiederum nicht per se von einem vollumfänglichen Beteiligungsrecht ausgegangen werden. Die Modalitäten der Beteiligung in Form prozessualer Rechte bleiben dem Ermessen der Kammer vorbehalten.130 Grundsätzlich werden den Opfern umfassende Rechte im Hinblick auf ihre Beteiligung zuerkannt,131 denen auch im Haftprüfungsverfahren einige Bedeutung zukommt. Die Opfer dürfen regelmäßig Beobachtungen und Stellungnahmen abgeben, die von der Kammer zu berücksichtigen sind,132 wobei auch hier die nähere Ausgestaltung sowie der Bezugspunkt der Eingaben im Ermessen der jeweiligen Kammer liegen.133 Ferner haben sie Zugang zur Verfahrensakte und ein Recht auf Anwesenheit bei Anhörungen, an denen sie sich auch mündlich beteiligen können.134 Über die mögliche Beteiligung an Haftprüfungen hinaus sieht Regel 119 Abs. 3 IStGH-VBO ausdrücklich vor, dass Opfer für den Fall der vorläufigen Entlassung des Inhaftierten vor der Auferlegung oder Änderung freiheitsbeschränkender Auflagen um eine Stellungnahme erbeten werden sollen („the Pre-Trial Chamber shall seek the views“). Dies ist eine Konkretisierung der allgemeinen Vorschrift des Art. 68 Abs. 3 I­StGH-St. durch die Verfahrens- und Beweisordnung.135 Insgesamt sind damit die Befugnisse der Opfer recht ausgeprägt und umfassend ausgestaltet. In den bisher durchgeführten Haftprüfungen haben sich die Opfer, kaum überraschend, stets dafür ausgesprochen, die Inhaftierung des Beschuldigten bzw. Angeklagten weiterhin aufrecht zu erhalten. 130

Vgl. Regel 89 Abs. 1 IStGH-VBO. Ferner Katanga/Ngudjolo Chui (ICC-01/04-01/07), Pre-Trial Chamber, Decision on the Set of Procedural Rights Attached to the Procedural Status of Victim at the Pre-Trial Stage of the Case, 13. Mai 2008, Rn. 53 und 127 ff.; SáCouto/ Cleary, in: Transnat’l L. & Contemp. Probs. 17 (2008), 73, 91; Stahn/Olásolo/Gibson, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 219, 236. 131 Dazu Greco, in: Int’l Crim. L. Rev. 7 (2007), 531, 541 ff.; Pena, in: ILSA J. Int’l & Comp. L. 16 (2010), 497, 504 ff. 132 Lubanga (Fn. 127), 2. Juli 2008, Rn. 33. 133 Bemba (ICC-01/05-01/08), Appeals Chamber, Decision on the Participation of Victims in the Appeal against the „Decision on the Review of the Detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo pursuant to Rule 118(2) of the Rules of Procedure and Evidence“ of Trial Chamber III, 18. August 2010, Rn. 10. 134 Katanga/Ngudjolo Chui (Fn. 130), Rn. 127 ff. (Rn. 140: „… the right to attend all public and closed session hearings convened in the proceedings leading to the confirmation hearing, as well as in all public and closed sessions of the confirmation hearing.“). 135 Näher dazu Fernández de Gurmendi/Friman, in: Doria et al., S. 815.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

dd) Der grundlegende Konflikt zwischen dem Sinn der Opferbeteiligung und dem Zweck von Untersuchungshaft Bevor die mögliche Verletzung der Rechte der inhaftierten Person untersucht wird, soll vorab die Frage aufgeworfen werden, ob auf einer abstrakten Ebene die Beteiligung von Opfern deren Zwecksetzung nach überhaupt mit dem Ziel von Untersuchungshaft vereinbar ist. Der Sinn und Zweck der Beteiligung von Opfern lässt sich nicht eindeutig fest­ legen.136 Neben der Wiedergutmachung durch Reparationen137 und der Möglichkeit, „ihre Geschichte zu erzählen“138 bzw. „ihnen eine Stimme zu verleihen“139 geht es grundlegend um den Gedanken von Gerechtigkeit für die Opfer in Form eines persönlichen aktiven Beitrages zum Strafverfahren gegen den vermeint­ lichen Täter.140 Ziel der Untersuchungshaft ist es hingegen, die Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen. Allein aus der subjektivierten Zwecksetzung heraus, die Interessen der Opfer zu schützen bzw. durchzusetzen, ließe sich keine Vereinbarkeit zwischen dem Sinn von Opferbeteiligung und demjenigen der Untersuchungshaft herstellen. Als Begründung dient die Überlegung, dass die Untersuchungshaft einzig legitimiert ist durch das öffentliche Interesse der Gemeinschaft als Ganzes, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen.141 Das Interesse von Opfern an der Verurteilung des vermeintlichen Täters darf in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Vielmehr ist bedingt durch die Eigenart der Untersuchungshaft als schwerster Eingriff in die Freiheit des Betreffenden eine objektive Herangehensweise vonnöten.142 Eine solche Objektivität kann von Seiten der Opfer naturgemäß nicht gewährleistet werden. Rekurriert man in diesem Zusammenhang auf die Einschätzung der Vorverfahrenskammer in Lubanga,143 der Opferbeteiligung käme die Funktion der Unterstützung der Anklagebehörde zu, würde dies zugleich eine Abkehr von der rein subjektiv motivierten Durchsetzung von Opferinteressen bedeuten. Mittels 136

Friman, in: Leiden J. Int’l L. 22 (2009), 485, 500; McGonigle, in: Fla. J. Int’l L. 21 (2009), 93, 144 f. 137 Jorda/Hemptinne, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1407; Heikkilä, S. 146 f. 138 Safferling, in: ZStW 122 (2010), 87, 102; Haslam, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 327 ff.; War Crimes Research Office, Victim Participation before the International Criminal Court, S. 16 ff. 139 Burkhardt, S. 56; Baumgartner, in: I. R. R. C. 90 (2008), 409, 410; Human Rights Watch, Courting History, S. 178. 140 Donat-Cattin, in: Triffterer, Art. 68 Rn. 8; Zappalá, S. 221; Sautner, S. 287 ff.; Bock, in: ZStW 119 (2007), 664, 672. 141 Dazu BVerfGE 19, 342, 348 (Urteil vom 15. Dezember 1965). 142 Safferling, Amicus Curiae Concerning Criminal Case File No. 002/19-09-2007-ECCC/ OCIJ (PTC01), 20. Februar 2008, S. 6. 143 s. Lubanga (Fn. 114), S. 5.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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der Zuschreibung einer Funktion als anklageähnliche Institution würde sich zumindest die tatsächliche Beteiligung von Opfern an Haftprüfungsentscheidungen erklären lassen.144 Der Konflikt mit dem Grundsatz der Waffengleichheit lässt sich an dieser Stelle gleichwohl nicht leugnen. Den Opfern darf nicht die Funktion einer solchen anklageähnlichen Institution zugeschrieben werden, da dies einer Überschreitung der ihnen und ihrer Beteiligung vorschriftsmäßig zugedachten Stellung gleichkäme. Zudem ist es nicht möglich, die im Hinblick auf Untersuchungshaft erforderliche objektive Beurteilung der Notwendigkeit des weiteren Freiheitsentzuges unter Zugrundelegung offensichtlich persönlich geprägter Zielsetzungen vorzunehmen. Auch ist durchaus denkbar, dass sich die Interessen von Opfervertretern und der Anklagebehörde widersprechen.145 Zu einer Vermischung der verschiedenen Institutionen darf es aufgrund der strikt zu trennenden Aufgabenbereiche nicht kommen.146 Sofern es also diesbezüglich zwingend bei der Durchsetzung subjektiver opfereigener Interessen bleibt, ist festzuhalten, dass dieses Bedürfnis mit der Zwecksetzung, die Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen, nichts gemein hat. Letztendlich geht es auch in diesem Zusammenhang darum, verschiedene Interessen in Ausgleich zu bringen und eine vorsichtige Balance herzustellen.147 Bedenken bestehen dahingehend, als durch die Beteiligung von Opfern aufgrund von Konflikten mit den Rechten des Inhaftierten, so vor allem mit der Unschuldsvermutung,148 eine solche Ausgewogenheit nicht hergestellt werden kann.149 Zum einen wird die objektive und unbeeinflusste Sichtweise, welche hier aufgrund der Schwere des Eingriffs in die Freiheit des Betreffenden erforderlich ist, durch das subjektivierte Anliegen der Opfer gefährdet. Zum anderen sieht sich der Beschuldigte bzw. Angeklagte bei Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Inhaftierung mit einer zusätzlichen Instanz konfrontiert, die sogar in Teilen andere Interessen verfolgt als die Anklagebehörde. Zwar ist fraglich, welches Gewicht den Eingaben der Opfer konkret beigemessen werden kann. Allerdings widerspricht allein schon der Umstand, dass Opfer beteiligt werden, dem Zweck­ gedanken sowohl der Untersuchungshaft als auch demjenigen der Opferbeteiligung. Die Zielsetzungen dieser beiden Maßnahmen sind nicht miteinander vereinbar. Zumindest im Hinblick auf die Untersuchungshaft kann eine Balance zu

144

Dazu Safferling, in: ZStW 122 (2010), 87, 109. Stahn/Olásolo/Gibson, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 219, 221; Jouet, in: St. Louis U. Pub. L. Rev. 26 (2007), 249, 275; McGonigle, in: Fla. J. Int’l L. 21 (2009), 93, 137 ff.; Pena, in: ILSA J. Int’l & Comp. L. 16 (2010), 497, 501 f. 146 Cohen, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 37 (2009), 351, 374 f. 147 So Zappalá, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 137, 140. Ferner Mekjian/Varughese, in: Pace Int’l L. Rev. 17 (2005), 1, 30 f.; McDermott, in: Eyes on the ICC 5 (2008), 23, 47. Chung, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 6 (2008), 459, 518 ff., stellt diesbezüglich ein Scheitern der Kammern fest. 148 s. dazu sogleich. 149 Dazu auch Damaška, in: Chi.-Kent L. Rev. 83 (2008), 329, 333 ff. 145

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

Zwecken des Ausgleichs verschiedener Interessen nicht hergestellt werden. Im Ergebnis ist die Partizipation von Opfern an Haftentscheidungen bereits aus diesen Erwägungen heraus als verfehlt zu erachten. ee) Gefahren für die Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten Als Grenze der Opferbeteiligung nach Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. gilt, dass die Rechte des Angeklagten durch eben diese Beteiligung nicht beeinträchtigt werden dürfen. Bei einem Konflikt zwischen Angeklagtenrechten und Opferbeteiligung ist ersteren demnach der Vorrang einzuräumen.150 Auch hieraus ergibt sich, zumindest theoretisch, die untergeordnete Stellung des Opfers gegenüber der An­ klagebehörde und der Verteidigung. Was die Verletzung der Rechte speziell einer inhaftierten Person durch die Beteiligung von Opfern anbelangt, besteht erhebliches Konfliktpotential im Hinblick auf die Unschuldsvermutung und das Gebot beschleunigter Verfahrensführung. Nicht nur führt die Beteiligung von Opfern bereits im Vorverfahren zu erheblichen Verzögerungen des Verfahrensablaufs.151 Gerade vor dem Hintergrund, dass Untersuchungshaft keine vorverlagerte Strafhaft sein darf und es um die Inhaftierung einer als unschuldig zu erachtenden Person geht, ist ein anderer Maßstab potenzieller Interessen zugrundezulegen. Ferner besteht durch die Beteiligung von Opfern die Gefahr der Beeinträchtigung der Objektivität und Unabhängigkeit der Anklagebehörde.152 Sicherlich schlägt sich im ­IStGH-St. das begründete Interesse von Opfern nieder, aktiv am Strafverfahren mitzuwirken. Da die Inhaftierung jedoch losgelöst ist von Überlegungen zur definitiven Schuld oder Unschuld des Beschuldigten bzw. Angeklagten, sollten Opfer in dieser Hinsicht von der Möglichkeit zur Beteiligung ausgeschlossen werden. Im Rahmen von Haftentscheidungen geht es unter Beurteilung der in Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. niedergelegten Voraussetzungen primär um die Frage, ob das Vorliegen von Haftgründen die weitere Inhaftierung bedingt, da für den Fall einer Entlassung oder sonstiger Modifizierung des Freiheitsentzuges die Durchführung des Verfahrens als nicht mehr gesichert erachtet werden kann. Spricht sich die Kammer für eine Entlassung des Beschuldigten bzw. Angeklagten aus, dann aus dem Grund, dass aus Sicht der Kammer keine dahingehende Gefahr durch den Betreffenden besteht. Diejenige Institution, die das Interesse an der Strafverfolgung durchsetzt, ist die Anklagebehörde. Aufgrund des Ausnahme 150

Zappalá, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 137, 143 ff. Zu den möglichen Spannungsfeldern Damaška, in: Chi.-Kent L. Rev. 83 (2008), 329, 332 ff. 151 Jorda/Hemptinne, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1414 f.; Stahn/Olásolo/Gibson, in: J. Int’l Crim. Just. 4 (2006), 219, 223; Burkhardt, S. 236. 152 Schabas, International Criminal Court, S. 355; McDermott, in: Eyes on the ICC 5 (2008), 23, 35; Baumgartner, in: I. R. R. C. 90 (2008), 409, 433.

IV. Das Recht auf Haftprüfung und die Möglichkeit der Opferbeteiligung

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charakters von Untersuchungshaft und der Unschuldsvermutung ist diese mit der Beweislast behaftet. Im Hinblick auf die Untersuchungshaft ist nach dem soeben Gesagten die Einbeziehung eines weiteren Verfahrensteilnehmers verfehlt. Es ist kein rechtlich begründetes Interesse ersichtlich, welches die Opferbeteiligung bei Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Haft zu legitimieren vermag. Diese Überlegungen gelten selbst dann, wenn der tatsächliche Einfluss solcher Opfereingaben bestritten und als geringfügig bis nicht existent eingestuft werden mag.153 Allein die Anerkennung und Beteiligung von Opfern in jeglicher Hinsicht eines Verfahrens „von der ersten Stunde an“ ist geeignet, eine Art „Vorurteil“ zu kreieren;154 ein Umstand, welcher sich aufgrund der Unschuldsvermutung strikt verbietet. Neben der Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung führt die Beteiligung von Opfern auch zu Verzögerungen im Verfahrensablauf. Die Teilnahme von Opfern kann allerdings nur gestattet werden, wenn keine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes zu befürchten ist.155 Die besondere Bedeutung eines beschleunigten Verfahrens für den Untersuchungshäftling ist bereits hervor­gehoben worden.156 Zwar sind im Regelwerk des IStGH unter Voraussicht dieser Problematik Mechanismen enthalten, diesem Umstand entgegenzuwirken.157 Es mag jedoch bezweifelt werden, ob diese Möglichkeiten ausreichen, um eine Konformität mit der Beschleunigungsmaxime herzustellen. Zumindest erfordert die Beteiligung von Opfern eine erhöhte Zahl an Eingaben und Anträgen,158 welches von vornherein eine längere Dauer des Verfahrens bedeutet. Gerade im Zusammenhang mit Untersuchungshaft kann es zu Friktionen kommen. Aus diesen Überlegungen folgt, dass in Bezug auf die Untersuchungshaft eine ausgewogene Balance zwischen den Rechten des Betroffenen und den Beteiligungsmöglichkeiten von Opfern nicht hergestellt werden kann. Lässt man Opfer an Haftprüfungen teilnehmen, geschieht dies zum Nachteil des Inhaftierten.

153

Jouet, in: St. Louis U. Pub. L. Rev. 26 (2007), 249, 259; McGonigle, in: Fla. J. Int’l L. 21 (2009), 93, 125. 154 So Trumbull, in: Mich. J. Int’l L. 29 (2008), 777, 823. Jouet, in: St. Louis U. Pub. L. Rev. 26 (2007), 249, 272 ff., sieht diesen Konflikt mit der Unschuldsvermutung im Hinblick auf das Strafverfahren unabhängig von der Untersuchungshaft bereits in dem Akt der bloßen An­erkennung von Opfern. Kritisch im Hinblick auf die Rechtslage an den ECCC äußert sich Turner, in: Am. J. Int’l L. 103 (2009), 116, 121 f. 155 Zu Recht Zappalá, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 137, 146. 156 Dazu ausführlich B. II. 5. c). 157 So beispielsweise Regel 90 Abs. 2 IStGH-VBO, der zu Effektivitätszwecken die Zusammenfassung mehrerer Opfer in Gruppen vorsieht. Dazu Bock, in: ZStW 119 (2007), 664, 675. 158 Dazu Lubanga (ICC-01/04-01/06), Defence Observations Relative to the Proceedings and Manner of Participation of Victims a/0001/06 to a/0003/06, 04. September 2006, Rn. 25; Johnson, in: ILSA J. Int’l & Comp. L. 16 (2010), 489, 495.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

c) Zusammenfassende Betrachtung Auch, wenn die neuartige Stellung von Opfern auf der Ebene des Völkerstrafrechts im Zusammenhang mit dem IStGH als fortschrittliche Errungenschaft betrachtet werden kann,159 wird die Implementierung und Durchsetzung der Opferbeteiligung im Strafverfahren durchaus kontrovers diskutiert.160 Zumindest die Unbestimmtheit der rechtlichen Ausgestaltung führt dazu, dass die Grenzen der Opferbeteiligung nicht eindeutig festgelegt werden können.161 Durch Vorschriften, die dem Normanwender einen beträchtlichen Spielraum im Hinblick auf die Anwendung und Ausgestaltung belassen, kommt es zu Konflikten mit anderen Mechanismen des Strafverfahrens, in deren Rahmen die Beteiligung von Opfern schlichtweg als verfehlt zu erachten ist. Ein solcher Mechanismus ist die Untersuchungshaft. Diese Sichtweise lässt sich anhand verschiedener Aspekte begründen. Zum einen ist dargelegt worden, dass das für eine Beteiligung über Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. erforderliche Kriterium der Betroffenheit „persönlicher Interessen“ im Rahmen von Haftprüfungsentscheidungen nicht erfüllt ist. Vielmehr sind die Bedenken von Opfern gegen eine Entlassung des Inhaftierten erst auf der zweiten Stufe der Frage nach möglichen Auflagen von Relevanz. Geht man indes davon aus, dass allein die Entscheidung über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. die persönlichen Interessen der Opfer tangiert, lassen sich weitere Argumente gegen eine Beteiligung von Opfern anführen. Zunächst ist auf den erörterten Konflikt hinzuweisen, der zwischen dem Ziel von Opferbeteiligung und der Zwecksetzung von Untersuchungshaft besteht. Da die Opfer keine zusätzliche Partei im Strafverfahren darstellen, ist ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rein subjektiver Natur. Dies widerspricht dem Sinn von Untersuchungshaft, mittels objektiver Betrachtung und Beurteilung potenzieller Risiken die Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen. Als letzter und gewichtiger Grund spricht die Beeinträchtigung der Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten gegen eine Beteiligung. Dieser Umstand wird in Art. 68 Abs. 3 ­IStGH-St. als Einschränkung der Beteiligung von Opfern angeführt und kommt im Hinblick auf die Untersuchungshaft zum Tragen. Nicht nur steht die Partizipation von Opfern an Haftprüfungsentscheidungen, unabhängig vom jeweiligen Stadium des Verfahrens, der Unschuldsvermutung entgegen. Auch sind erhebliche Verzögerungen zu befürchten, die nicht mit dem Recht des Inhaftierten auf eine beschleunigte Verfahrensführung vereinbar sind. Im Ergebnis ist zwar die Implementierung von Möglichkeiten der Opferbeteiligung in den Rechtsgrundlagen des IStGH nicht gänzlich abzulehnen. Es besteht 159 Van Boven, in: von Hebel/Lammers/Schukking, S. 88 („happy illustration […] of a healthy cross-fertilization of several legal systems and cultures“); Mekjian/Varughese, in: Pace Int’l L. Rev. 17 (2005), 1, 15 („important innovation in international justice“). 160 Instruktiv hierzu Zahar/Sluiter, S. 75 f.; Chung, in: Nw. J. Int’l Hum. Rts. 6 (2008), 459, 496 ff., 514 ff.; Trumbull, in: Mich. J. Int’l L. 29 (2008), 777; 802 ff.; Corrie, S. 9 ff. 161 Kritisch hierzu Zappalá, in: J. Int’l Crim. Just. 8 (2010), 137, 141.

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aber schlichtweg die Gefahr, dass das Strafverfahren durch extensive Opferbeteiligungsmöglichkeiten überfrachtet wird und sich im Rahmen einer Zweckentfremdung den Opferinteressen zum Nachteil der Rechtsposition des Beschuldigten bzw. Angeklagten unterwirft. Diese Erwägungen führen letztendlich dazu, die Möglichkeit der Beteiligung an Haftprüfungsentscheidungen aus den genannten Gründen als verfehlt zu erachten.

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V. Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge Abschließend soll versucht werden, die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in konkrete Lösungsansätze zu fassen. Hierbei sind auch die Ad-hoc-Tribunale und ihr Beitrag zur Entwicklung des Völkerstraf(prozess)rechts nicht außen vor zu lassen, ungeachtet des Umstandes, dass ihnen in absehbarer Zeit lediglich eine rechtshistorische Bedeutung zuzumessen sein wird.

1. Vorschläge im Hinblick auf die Rechte des Untersuchungshäftlings Aus dem Vergleich der Rechtslage an internationalen Strafgerichten mit den menschenrechtlichen Vorgaben hat sich ergeben, dass die in Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR enthaltenen Gewährleistungen nur in unzureichend kodifiziertem Maße auf die völkerstrafrechtliche Ebene übertragen worden sind. Es konnte festgestellt werden, dass die in den rechtlichen Grundlagen internationaler Strafgerichte mit bestimmten Gewährleistungen verankerte Intention in Teilen von derjenigen abweicht, welche in den Menschenrechtstexten zur Einführung solcher Vorschriften motivierte. Diese Feststellung muss nicht zwingend auf die Einführung eines bestimmten Kataloges an Rechten für Beschuldigte und Angeklagte hinauslaufen. Es genügt, dass ähnlich dem Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme aus der Zusammenschau verschiedener Vorschriften ein den menschenrechtlichen Anforderungen entsprechender Schutz hergeleitet werden kann. Insbesondere in Bezug auf das Recht zur unverzüglichen Vorführung vor einen Richter fehlt die Verknüpfung mit der besonderen menschenrechtlichen Zwecksetzung einer zusätzlichen Instanz zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haft. Was die Beschleunigungs­ maxime anbelangt, fehlt eine solche speziell für Untersuchungshaft an den Tribunalen gänzlich, wohingegen am IStGH mit Art. 60 Abs. 4 ­IStGH-St. zumindest vor Beginn der Hauptverhandlung eine Regelung getroffen wurde. Negativ ist in dieser Hinsicht allerdings anzumerken, dass diese insgesamt strengen Voraussetzungen unterliegt und Schwierigkeiten bezüglich der praktischen Durchsetzung bestehen. Um diese Restriktivität zum Nachteil des Beschuldigten aufzuheben, wäre zunächst empfehlenswert, den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht bloß auf Verzögerungen seitens der Anklagebehörde zu beschränken. Die teils mangelnde Umsetzung der menschenrechtlichen Gewährleistungen ist, zumindest an den Tribunalen, in erheblichem Maße auf die Konzeption von Untersuchungshaft als Regelfall zurückzuführen. Mit diesem Verständnis lässt sich die eher untergeordnete Rolle der Rechtsposition des Inhaftierten erklären, so dass aus dieser Perspektive schlichtweg kein Bedürfnis zur Normierung spezieller Gewährleistungen ersichtlich ist. Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haft von Amts wegen ist mit einer solchen Sichtweise ebenso überflüssig wie

V. Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge

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eine Beschleunigungsmaxime speziell für Untersuchungshaft. Würde man davon Abstand nehmen, die Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten als Selbstverständlichkeit zu erachten, würde das Bedürfnis zur Schaffung „inhaftiertenbezogener“ Regelungen entstehen und die untersuchten Gewährleistungen könnten, menschenrechtlichen Standards entsprechend, eingeführt und umgesetzt werden. 2. Vorschläge bezüglich der Voraussetzungen und Grundsätze zur Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft Im Hinblick auf die Voraussetzungen und Grundsätze der Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft ist im Schwerpunkt auf den IStGH einzugehen. Die Menschenrechtswidrigkeit der Theorie und Praxis an den VN-Tribunalen wurde deutlich aufgezeigt, so dass unter Hinweis auf die beschränkte zeitliche Existenz dieser Institutionen einige kurze Anmerkungen genügen sollen. Für den IStGH ist darauf hinzuweisen, dass die existierenden Normen zwar menschenrechtlichen Standards entsprechen, den Richtern aber bei der praktischen Anwendung einen Spielraum bezüglich der Auslegung belassen. Die Vorschläge zielen somit lediglich auf eine deutlichere Ausgestaltung der Vorschriften ab, um praktische Schwächen der menschenrechtskonformen Anwendung zu überwinden. a) Die Rechtslage an den Ad-hoc-Tribunalen Insgesamt sind die Anforderungen, die seitens des Regelwerkes von JStGH und RStGH an einen derart schweren Eingriff in die persönliche Freiheit einer Person gestellt werden, denkbar niedrig. Für die Anordnung hätte es zunächst einer separaten Regelung bedurft, die den Erlass eines Haftbefehls loslöst von der Bestätigung der Anklage durch einen Richter. Neben dem bloßen hinreichenden Tat­ verdacht müssten weitere Erfordernisse in Gestalt von Haftgründen hinzutreten, die einen Freiheitsentzug rechtfertigen. Für die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft bedarf es nach den Erkenntnissen dieser Arbeit einer Umformulierung von Regel 65 (B) ­JStGH-VBO. Entgegen dem Verständnis dieser Norm durch Richter Robinson liegt die Problematik nicht allein in der Auslegung und Anwendung durch die Richter begründet.1 Vorgeschlagen wird somit folgende Formulierung:

1 Krajišnik (IT-00-39), Trial Chamber, Decision on Momčilo Krajišnik’s Notice of ­Motion for Provisional Release, 08. Oktober 2001, Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson.

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B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

„The continued detention may be ordered by a Trial Chamber only if the Prosecutor has shown that the accused will not appear for trial or, if released, will pose a danger to any ­victim, witness or other person.“

Der von DeFrank nahegelegte Vorschlag2 ließe sich ebenso mit einer leichten Abwandlung annehmen: „Release shall be granted by a Trial Chamber only after hearing from the host country and if the Prosecutor fails to demonstrate that the accused will not appear for trial and, if released, will pose a danger to any victim, witness or other person.“

Die Beweislast würde bei einer solchen Wortwahl eindeutig bei der Anklage­ behörde liegen. Das richterliche Ermessen auch bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Haftentlassung wäre ausgeschlossen. Auf die Achtung des Ausnahmecharakters von Untersuchungshaft deutet der Wortlaut des ersten Vorschlages hin; in demjenigen von DeFrank ist der bisherige Regelcharakter von Untersuchungshaft durch eine menschenrechtskonforme Anwendung seitens der Kammern abzuwenden. Wie bereits angedeutet, muss in dieser Hinsicht ein Wechsel der Perspektive erfolgen, um dem Grundsatz über das Regel-Ausnahme-Verhältnis vollumfänglich Geltung zu verschaffen. Mit einer Änderung des Wortlautes ließe sich zumindest die Übereinstimmung mit den menschenrechtlichen Standards in Teilen in die rechtlichen Grundlagen einführen. b) Die Rechtslage am Internationalen Strafgerichtshof Es wurde bereits mehrfach die Fortschrittlichkeit des IStGH in den recht­lichen Grundlagen gegenüber den VN-Tribunalen betont. Gleichwohl gibt es einige Aspekte, in deren Hinsicht auch hier Verbesserungsbedarf besteht. Im Hinblick auf die Anordnung von Untersuchungshaft ist die Vorschrift des Art. 58 Abs. 1 ­IStGH-St. positiv hervorgehoben worden. Lediglich der Standard, der in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. durch die Formulierung „appears ­necessary“ bestimmt wird, ist für einen solch schweren Eingriff vergleichsweise niedrig. Hier wäre eine umsichtige Handhabung in der Praxis wünschenswert. Dieses Anliegen setzt sich bei der Frage nach der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft fort. Zwar sind dem Römischen Statut zufolge auch hier das Erfordernis hinreichenden Verdachts sowie das Vorliegen von Haftgründen konstitutiv für die weitere Inhaftierung. Allerdings drängt sich in Teilen der Eindruck auf, diese Voraussetzungen würden durch die richterliche Spruchpraxis aufgeweicht. Dies gilt vor allem für den hinreichenden Tatverdacht sowie für die Verdunkelungsgefahr, welche zum Nachteil für den Betroffenen zu strengen Maßstäben unterliegt. 2

DeFrank, in: Tex. L. Rev. 80 (2002), 1429, 1457 („Release may be granted by a Trial Chamber only after hearing from the host country and if the Prosecutor fails to demonstrate that the accused will not appear for trial and, if released, will pose a danger to any victim, ­witness or other person.“, Hervorh. d. Verf.).

V. Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge

323

Praktische Probleme bestehen ferner bezüglich des Grundsatzes der Beweislastverteilung. Während der Wortlaut des Römischen Statuts eindeutig die Anklagebehörde als die beweisbelastete Institution ansieht, ist in der praktischen Umsetzung eine Beweislastumkehr zu befürchten. Eine solche ist unbedingt zu vermeiden. Ebendies gilt auch für den Grundsatz über den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft. Obwohl dieser implizit in den Vorschriften der Art. 60 Abs. 2, 3 ­IStGH-St. enthalten ist, so würde eine deutliche, ausdifferenzierte Regelung für mehr Klarheit sorgen. Für einen Überblick an milderen Mitteln können die in Regel 119 Abs. 1 IStGH-VBO aufgeführten möglichen Auflagen herangezogen werden. Denkbar wäre eine Unterscheidung nach verschiedenen Haftgründen, wie sie beispielsweise in § 116 StPO vorgesehen ist. Ist die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft allein durch Fluchtgefahr legitimiert, könnten in geeigneten Fällen Auflagen wie z. B. Hausarrest, Meldepflichten oder die Abgabe sämtlicher Reisedokumente als milderes Mittel herangezogen werden. Für die Beurteilung dessen, ob diese Auflagen ausreichen, um die mit der Untersuchungshaft verfolgten Zwecke zu sichern, kommt es wiederum auf eine Prognose an. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der Formulierung der „hinreichend begründeten Erwartung“ dafür entschieden, diese Beurteilung dem Maßstab der „großen Wahrscheinlichkeit“ zu unterwerfen.3 Eine solche Möglichkeit der Anordnung milderer Mittel als Haftersatz könnte folgendermaßen formuliert werden: „(1) Instead of ordering the continued detention of the person, the Pre-Trial Chamber shall set one or more conditions restricting liberty, if it is satisfied by way of a sufficiently substantiated expectation that the person’s appearance at trial can be ensured by less severe measures, such as: (a) The person must not travel beyond territorial limits set by the Pre-Trial Chamber without the explicit agreement of the Chamber; (b) The person must reside at a particular address as specified by the Pre-Trial Chamber; (c) The person may be instructed to report at certain times to the Pre-Trial Chamber, or to a specific office designated by the Chamber; (d) The person may be instructed not to leave the place of residence except under surveillance; (e) The person must supply the Registrar with all identity documents, particularly his or her passport; (f) The person must post bond or provide real or personal security or surety.

3

Dazu Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 116 Rn. 10.

324

B. Untersuchungshaft im Völkerstrafrecht

(2) Instead of ordering the continued detention of the person, the Pre-Trial Chamber shall set one or more conditions restricting liberty, if it is satisfied by way of a sufficiently substantiated expectation that the risk of the person obstructing or endangering the investigation or the court proceedings can be prevented by less severe measures, such as: (a) The person must not go to certain places or associate with certain persons as specified by the Pre-Trial Chamber; (b) The person must not contact directly or indirectly victims or witnesses. (3) Instead of ordering the continued detention of the person, the Pre-Trial Chamber shall set one or more conditions restricting liberty, if it is satisfied by way of a sufficiently substan­ tiated expectation that the risk of the commission of further crimes by the person can be prevented by less severe measures, such as: (a) The person must reside at a particular address as specified by the Pre-Trial Chamber; (b) The person may be instructed to report at certain times to the Pre-Trial Chamber, or to a specific office designated by the Chamber; (c) The person must post bond or provide real or personal security or surety.“

Durch diese Regelung soll deutlich zum Ausdruck kommen, dass die Vorverfahrenskammer der Verpflichtung unterliegt, mildere Mittel anstelle von Untersuchungshaft anzuordnen, wenn die hinreichend begründete Erwartung besteht, dass diese die gleiche Eignung zur Erfüllung der Zwecke von Untersuchungshaft aufweisen. Zugleich müsste der Wortlaut von Art. 60 Abs. 2 ­IStGH-St. geändert werden, um eine dahingehende Anpassung zu Verdeutlichungszwecken zu schaffen: „If the Pre-Trial Chamber is satisfied that the conditions set forth in article 58, paragraph 1, are met, the person may continue to be detained. If it is not so satisfied, the Pre-Trial Chamber shall release the person.“

Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. steht in seinem aktuellen Wortlaut der Konzeptionierung von Auflagen als milderes Mittel zur Haft nicht entgegen. Die Probleme, die sich über die Menschenrechtskonformität der abstrakten Normen hinaus ergeben, bestehen in der praktischen Anwendung derselben. Es ist darauf zu achten, dass der in Art. 58 Abs. 1 lit. b) ­IStGH-St. vorgesehene Standard des „appears necessary“ nicht zu niedrig angesetzt wird, sondern eine Rückbesinnung auf die intendierte Restriktivität und die Schwere dieses Eingriffs erfolgt. Ferner dürfen praktische Schwierigkeiten, welche die Kooperation von Staaten betreffen, im Rahmen des Haftgrundes der Fluchtgefahr nicht zum Nachteil des Inhaftierten ausgelegt werden. Auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr unterliegt einer für die betreffende Person sehr strengen Auslegung und Anwendung. Zudem ist die Beweislast dringend beim Ankläger zu belassen. Eine strenge Interpretation der Vorschriften darf nicht dazu führen, dass der Inhaftierte Darlegungspflichten auferlegt bekommt. Auch muss der geltende Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft neben der rechtlichen Verankerung in der Praxis eine

V. Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge

325

deutlichere Geltung erfahren. Somit besteht die Gefahr des Widerspruchs zu international anerkannten menschenrechtlichen Standards weniger in einer unzureichenden oder mangelhaften Rechtslage, sondern vielmehr in deren praktischer Anwendung. 3. Vorschläge in Bezug auf sonstige Verfahrensfragen Schlussendlich verbleiben mit dem Recht auf Haftprüfung und der Frage der Opferbeteiligung zwei letzte Aspekte. Am JStGH und RStGH gibt es keine diesbezüglichen Vorschriften. Während die Opferbeteiligung auch in der richterlichen Praxis nicht existiert, ist das Recht des Inhaftierten auf eine gerichtliche Haftprüfung zumindest inhaltlich als Völkergewohnheitsrecht anerkannt. Gleichwohl ist es für den Betreffenden schwierig, diese Gewährleistung auch praktisch durchzusetzen. Aus diesem Grund ist die Einführung einer dahingehenden Vorschrift anhand der menschenrechtlichen Vorgaben unerlässlich. Der fehlenden Möglichkeit zur Beteiligung von Opfern in Haftfragen ist nichts hinzuzufügen. Im Regelwerk des IStGH sind wiederum Vorschriften zu beiden Aspekten enthalten. Um den Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft bereits statuts­ mäßig deutlich zu verankern, müsste bereits aus dem Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. hervorgehen, dass in jeder Haftprüfungsentscheidung erneut durch den Ankläger umfassend dargelegt werden muss, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit zur weiteren Inhaftierung ergibt. Folgende Formulierung an Stelle von Art. 60 Abs. 3 ­IStGH-St. würde dies gewährleisten: „The Pre-Trial Chamber shall periodically satisfy itself that the conditions in article 58, paragraph 1, are still met, and may do so at any time on the request of the Prosecutor or the person.“

Hieran würde sich aus Gründen der Homogenität der Vorschriften die Formulierung zu Art. 60 Abs. 2 I­ StGH-St. anschließen müssen. Ebenso müsste der Wortlaut von Regel 118 Abs. 2 IStGH-VBO geändert werden: „The Pre-Trial Chamber shall satisfy itself that the conditions for the detention of a person in accordance with article 60, paragraph 3, are still met at least every 120 days and may do so at any time on the request of the person or the Prosecutor.“

Ferner sieht das I­ StGH-St. für Opfer die Möglichkeit vor, sich unter bestimmten Voraussetzungen am Verfahren zu beteiligen. Diese Beteiligungsmöglichkeiten sind in der Praxis der Kammern auch auf das Haftverfahren übertragen worden. Da nicht die Opferbeteiligung generell, sondern lediglich die Partizipation von Opfern speziell an diesem Aspekt des Verfahrens zuvor abgelehnt wurde, müsste dementsprechend eine Änderung in der Rechtsprechung der Kammern erfolgen.

C. Schlussfolgerung „There is no question that history will judge the Tribunals for the former Yugoslavia and Rwanda on the fairness or unfairness of the proceedings. Whether there are convictions or whether there are acquittals will not be the yardstick. The measure is going to be the fairness of the proceedings.“ (Richard Goldstone)1

Dieses Zitat des früheren Chefanklägers am JStGH und RStGH hebt die Bedeutsamkeit und den hohen Stellenwert der Wahrung der Rechte des Angeklagten bzw. Beschuldigten vor internationalen Strafgerichten, wie sie durch die Menschenrechte als nahezu allgemeingültiger Standard konzipiert sind, deutlich hervor. Eng verbunden mit dem Konzept von (prozeduraler) Gerechtigkeit,2 ist sowohl die theoretische Verankerung der verschiedenen Gewährleistungen in den Rechtsgrundlagen als auch deren praktische Umsetzung für die Verwirklichung der Zielsetzung internationaler Strafgerichte,3 deren Wahrnehmung durch die Weltöffentlichkeit und mithin deren Glaubwürdigkeit4 essentiell. Obwohl die Gewährleistung verbindlicher menschenrechtlicher Standards zwingend ist, besteht Einsicht dahingehend, dass diese auf der Makroebene des Völkerstrafrechts nicht in demselben Maße umgesetzt werden können, wie auf nationaler Ebene. Gerade für diesen Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit ist zu berücksichtigen, dass die Menschenrechte naturgemäß keinem starren Verständnis unterliegen können, sondern immer in dem jeweiligen Kontext ihrer Geltung und Anwendung zu betrachten sind.5 Gleichwohl ist eingangs festgestellt worden, dass es durch internationale Strafgerichte nicht zur Unterschreitung eines bestimmten Mindeststandards kommen darf; nötigenfalls ist der praktischen Umsetzung eine menschenrechtskonforme Auslegung zugrunde zu legen. Gerade das Institut der Untersuchungshaft verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis zur Gewährleistung schützender Garantien des Betreffenden und dem besonderen Kontext, in dem internationale Strafgerichte tätig sind. So können sich 1 Address before the Supreme Court of the US, 1996 CEELI Leadership Award Dinner (02. Oktober 1996), zitiert bei Ellis, in: Duke J. Comp. & Int’l L. 7 (1997), 519, 526. 2 Cassese, in: Eur. Hum. Rts. L. Rev. 9 (1997), 329, 333; Meernik/King, in: Int’l Crim. L. Rev. 1 (2001), 343, 354 f.; Findlay, in: Int’l Crim. L. Rev. 2 (2002), 237, 251. 3 First Annual Report of the ICTY, U. N. Doc. A/49/342, 29. August 1994, Rn. 15; Stapleton, in: N. Y. U. J. Int’l L. & Pol. 31 (1999), 535, 543, 549; Meernik/King, in: Int’l Crim. L. Rev. 1 (2001), 343, 354 f. 4 Momeni, in: ILSA J. Int’l & Comp. L. 7 (2000), 315, 324; Nice/Vallières-Roland, in: J. Int’l Crim. Just. 3 (2005), 354, 379. 5 So versteht der EGMR die EMRK als „living instrument“, vgl. Loizidou ./. Türkei, Serie A Nr. 310, Rn. 71. Ferner Findlay, in: Int’l Crim. L. Rev. 2 (2002), 237, 246; Piragoff/Clarke, in: International Criminal Law: Quo Vadis?, 363, 370.

C. Schlussfolgerung

327

zwar auf der Makroebene des Völkerstrafrechts die Parameter für die im Rahmen von Untersuchungshaft grundlegende Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse einerseits, und dem Strafverfolgungsinteresse andererseits, verschieben. Die Grenze ist allerdings dann erreicht, wenn der Kernbestand einer Gewährleistung zu unterlaufen werden droht und mithin die Geltung eines menschenrechtskonformen Mindeststandards nicht mehr gewährleistet werden kann. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Frage nach der Menschenrechtskonformität des Instituts der Untersuchungshaft vor internationalen Strafgerichten gewesen, gleichermaßen betreffend die theoretische Verankerung und deren praktische Umsetzung. Als Maßstab sind die Art. 5 EMRK, Art. 9 IPbpR sowie die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zugrundegelegt worden. Hantiert man zu Zwecken einer grundsätzlichen Konzeptionalisierung mit den Parametern der „Existenz einer entsprechenden Vorschrift“ und deren „Umsetzung“ durch internationale Strafgerichte, ergeben sich für ein Gesamtbild verschiedene Kombinationsmöglichkeiten derselben. So existiert kein starres Konzept, welches sich einer menschenrechtskonformen Handhabung von Untersuchungshaft verschließt oder eine solche gänzlich beinhaltet. Vielmehr beruht die Institutionalisierung von Untersuchungshaft im Vergleich zu den Menschenrechten auf Heterogenität. So gehen beispielsweise die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft am IStGH in ihrem Maßstab über die menschenrechtlichen Vorgaben hinaus und werden auch dementsprechend in der Praxis gehandhabt. Rekurriert man hingegen auf die Untersuchung der Beweislastverteilung, so ergeben sich diesbezüglich Probleme in der praktischen Umsetzung der doch eindeutigen Vorschriften. Aber auch in Ermangelung expliziter Regelungen können menschenrechtliche Gewährleistungen einen Weg in die Praxis finden. So ist das Recht auf Haftprüfung in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale anerkannt, obwohl es weder in den Statuten, noch in den Verfahrens- und Beweisordnungen Erwähnung findet. Selbiges gilt für das Recht des Beschuldigten bzw. Angeklagten, über die Gründe der Festnahme unterrichtet zu werden. Eine dahingehende Praxis ergibt sich sowohl am JStGH und RStGH, als auch am IStGH lediglich aufgrund einer Zusammenschau diverser Regelungen, die in der Folge einen den Menschenrechten entsprechenden Schutz gewährleisten. Letztendlich hat die vorliegende Untersuchung ergeben, dass einige Aspekte, die zum elementaren Kernbestand des Rechts auf Freiheit gehören, auf der Ebene der internationalen Strafgerichtsbarkeit in Gestalt der VN-Tribunale gänzlich fehlen. Dies betrifft zuvörderst den fundamentalen Grundsatz, dass die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft nicht den Regelfall darstellen darf, sondern als Ausnahme anzusehen ist. Nach einer differenzierteren Betrachtung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ist unter Zugrundelegung dieser Parameter die Rechtslage und Praxis am IStGH als Höhepunkt des bisherigen Entwicklungsprozesses im Völkerstrafrecht zu erachten. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der materiellen Voraussetzungen von Untersuchungshaft sind gegenüber dem JStGH und RStGH er-

328

C. Schlussfolgerung

hebliche Fortschritte zu verzeichnen. Ebendies gilt für die Regelung und Umsetzung formeller Verfahrensprinzipien, die zum einen in den Rechtsgrundlagen des IStGH eine den menschenrechtlichen Standards entsprechende Regelung erfahren und auch, bis auf wenige Einschränkungen, demgemäß umgesetzt werden. Die positive Entwicklung ist hingegen nicht nur im Vergleich der Ad-hoc-Tribunale hin zum IStGH deutlich zu erkennen. Auch innerhalb der Rechtslage und vor allem der Rechtsprechung der jeweiligen Institutionen haben sich im Laufe der Jahre signifikante Änderungen ergeben. Exemplarisch ist diesbezüglich für den JStGH und RStGH an die Änderungen von Regel 65 (B) J­ StGH-VBO zu denken. Für den IStGH sind die Entwicklungen in der Rechtsprechung des Verfahrens gegen Lubanga hin zu nachfolgenden Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo Chui sowie insbesondere im Fall Bemba hervorzuheben. Mit der Einrichtung der beiden Ad-hoc-Tribunale hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „in unsichere Gewässer begeben“.6 Die Notwendigkeit zur Entwicklung im Rahmen eines Lernprozesses liegt dabei naturgemäß nahe.7 Wünschenswert wäre hingegen gerade in Bezug auf die Untersuchungshaft eine stärkere Entwicklung hin zur Konformität mit international anerkannten Menschenrechtsstandards, bzw. von vornherein eine andere Ausgestaltung der Ausgangslage gewesen. Zwar kann man weder dem JStGH noch dem RStGH vorwerfen, sich nicht in ausreichendem Maße mit diesen Standards auseinanderzusetzen. Beide Tribunale gehen jedoch vor dem Hintergrund ihrer besonderen Situation von einer anderen Prämisse aus und erachten somit die dargelegten Abweichungen als legitim. Insbesondere die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit haben gezeigt, dass ein solches Verständnis im Hinblick auf die Menschenrechte nicht haltbar ist. Den in der Arbeit aufgezeigten Mängeln, die Menschenrechtskonformität von Theorie und Praxis betreffend, kann durch die beschriebenen Lösungsansätze begegnet werden. Diese stellen nach Ansicht der Verfasserin eine Möglichkeit dar, zumindest die theoretische Ebene der Rechtsgrundlagen und, ausgehend hiervon, die Praxis menschenrechtskonform auszugestalten. Dies gilt in besonderem Maße für den IStGH. Gerade vor dem Hintergrund, dass den Ad-hoc-Tribunalen alsbald nur noch eine rechtshistorische Bedeutung zuzumessen sein wird, erscheint es wichtig, aus den Fehlern der Vorläufertribunale zu lernen. Die dargestellten Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge sind jedoch nicht als „der Weisheit letzter Schluss“ zu erachten. Mit ihnen soll versucht werden, 6 Report of the Expert Group to Conduct a Review of the Effective Operation and Function­ ing of the International Tribunal for the Former Yugoslavia and the International Criminal Tribunal for Rwanda, U. N. Doc. A/54/634, 22. November 1999, S. 12 Rn. 15 („it embarked upon unchartered waters“). 7 Ebd. („… creation […] of prosecutorial and judicial organs almost inevitably presented issues either unforeseen or not fully appreciated, issues that would unfold only through the often costly process of trial and error.“).

C. Schlussfolgerung

329

den Spagat zwischen der menschenrechtskonformen Ausgestaltung des Instituts der Untersuchungshaft und den Besonderheiten der Makroebene des Völkerstrafrechts darzustellen. Allein hierdurch, d. h. durch die Änderung der Rechtsgrundlagen unter Anpassung auch von deren praktischer Handhabung, wird dieser Spagat allerdings schwerlich zu bewerkstelligen sein. Gleichzeitig gilt es, die Kooperationsbereitschaft der Staatengemeinschaft zu fördern und zu fordern. Gerade die Vertragsstaaten des IStGH sind in ein auf gegenseitigen Rechten und Pflichten beruhendes Vertragsverhältnis mit dem Gerichtshof eingetreten. Dies bedeutet im Hinblick auf das Recht auf Freiheit des Untersuchungshäftlings, dass seitens der Staatengemeinschaft grundsätzlich die Bereitschaft bestehen muss, auf der praktischen Ebene der menschenrechtskonformen Handhabung dienlich zu sein. Der IStGH als permanente Institution sollte sich nach nunmehr zehnjähriger Tätigkeit die Bedeutsamkeit der Wahrung menschenrechtlicher Standards gerade in der praktischen Umsetzung als Mahnung gereichen lassen. Diese ist neben den theoretischen Grundlagen als Fundament für die Menschenrechtskonformität von Untersuchungshaft mit dem Recht auf Freiheit unabdingbar. Notwendig ist allerdings zugleich die dahingehende Bereitschaft zur Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft als „verlängerter Arm“ internationaler Strafgerichtshöfe. Da auf der Makroebene des Völkerstrafrechts die internationalen Strafgerichtshöfe als „Judikative“ von einer entsprechenden Bereitschaft der Staatengemeinschaft als „Exekutive“ abhängen, wird der eben thematisierte Spagat idealerweise durch ein Zusammenwirken zu bewerkstelligen sein. Dies ändert hingegen nichts an dem Umstand, dass zuvörderst die internationalen Strafgerichte für die Praktizierung von Untersuchungshaft in Übereinstimmung mit international anerkannten Menschenrechten verantwortlich sind. Die Freiheit der Person darf nicht von rein praktischen Erwägungen abhängen, sondern deren Einschränkung ist stets an den dargestellten menschenrechtlichen Standards zu messen. Diese Erkenntnis spiegelt sich in den Worten des ehemaligen Präsidenten des JStGH, Richter Patrick Robinson, wider: „A judicial body cannot rely on peculiarities in its system to justify derogations from the rule of respect for individual liberty.“8

8 Krajišnik (IT-00-39), Trial Chamber, Decision on Momčilo Krajišnik’s Notice of ­Motion for Provisional Release, 08. Oktober 2001, Dissenting Opinion of Judge Patrick Robinson, Rn. 12.

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Sachverzeichnis Abwägung –– balancing 228 –– Gesamtabwägung  169, 229 –– Haftgründe  250, 259, 269 –– margin of appreciation  228 –– Rechtsgüter-  21, 46, 121, 125, 163 f., 170, 202, 270 –– Verhältnismäßigkeit  166 ff., 177 Abwesenheit − Verfahren in  24, 218, 263 accused  59 f., 65 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte  37 f. allgemeine Rechtsgrundsätze  44, 49, 52 Anfangsverdacht  55, 59, 61 Angeklagter  56, 59 Anhörung von Staaten 184, 192, 206 f., 271 f. –– Aufnahmestaat  198, 207, 273 –– Gaststaat 271 Ankläger/Anklagebehörde  26, 28 f., 33 f., 62, 64 f., 110, 114, 122, 135, 171, 181, 185 f., 190, 257 Anklage 26 ff., 34, 57 f., 63, 65, 71, 89 f., 179, 181, 183, 185 f., 234 Antrag auf Entlassung  35, 68, 89, 192, 207, 213, 243, 250, 286, 291, 293, 295 f., 298 f., 304 Auflagen  207, 230 f., 260 ff., 265, 273, 274 ff., 303, 312 Aufrechterhaltung der Haft –– geeignete und hinreichende Gründe siehe dort –– Haftgründe  153 ff., 192 ff., 243 ff. –– Kumulation von Haftgründen 152, 181, 240 –– Methodik der Menschenrechte  166 ff. Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung siehe Haftgründe Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft  92, 163 ff., 217 ff., 263 ff., 270, 277 –– Leistung einer Sicherheit  165, 177, 219

–– weniger einschneidende Maßnahmen  164, 269, 276 außergewöhnliche Umstände siehe exceptional circumstances Beschleunigungsgrundsatz  91 ff., 99 ff., 117 ff. –– Angemessenheit 95 ff., 104 ff., 113 f., 120 ff. –– besondere Sorgfalt siehe dort –– Beurteilungsgrundlage  92 ff., 123 –– Beweislast  98, 109 f. –– Ermessen  123 f. –– Frist  94, 102 f. –– geeignete und hinreichende Gründe  96 –– Geltungsbereich 115 –– Rechtsfolgen  111 f. –– Verfahrenseinstellung  126 ff. –– Verzögerung  114, 122 –– vorläufige Inhaftierung  115 –– Zweck  91 f. Beschuldigter  37, 55 f., 59, 62 –– Rechte  53, 316 besondere Sorgfalt bei der Verfahrensführung  95, 97, 161 f., 177 –– Beurteilung 162 –– Gerichtsorganisation  97, 99, 119, 162 –– Komplexität  158 f., 162 –– Verhalten des Beschuldigten  163 Besonderheiten internationaler Strafverfahren  40 f. Beweislast –– bei Verdunkelungsgefahr  210 –– bei Verfahrensverzögerung  98, 109 ff. –– Beweislastumkehr  258, 266, 283 –– Beweisstandard 209 –– des Angeklagten  209 f., 291 f. –– des Anklägers  256 ff., 277, 305 –– Haftgründe  201, 209 –– Rechtsverletzung 113 –– und Ausnahmecharakter  208, 217, 231 –– und Unschuldsvermutung  171, 208, 220, 266

356

Sachverzeichnis

confirmation of charges 36, 65, 73 f., 91, 245, 298 Dauer internationaler Strafverfahren 108 f., 112, 226 Detention Unit  30, 32, 76

101,

Erfordernisse der Ermittlungen siehe Haftgründe Ermessen  62, 111, 123 f., 164 f., 208, 212 ff., 224, 260 ff., 265, 273, 303 Menschenrechtskonvention Europäische (EMRK) 25, 38, 47, 49, 53, 57, 59, 152, 167, 168, 226 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 45, 50, 52 f., 140 exceptional circumstances  192 ff., 196, 200, 213 Festnahme –– Ersuchen  28, 30, 35 f., 71, 76 –– regulär  27, 35, 40, 68, 71, 82, 115, 133, 134, 136, 138 f., 263 –– vorläufig 31, 71, 77, 115, 135, 180, 182 Fluchtgefahr –– Beurteilungskriterien  151, 196 ff., 240 f., 246 ff. –– Entwicklung 195 –– Fortdauer  154, 246 ff. –– Prognose  196, 240, 248 –– und Sicherheitsleistung  165 Freiheitsinteresse  23, 37 geeignete und hinreichende Gründe  95 f., 99, 152 ff. Gefährdung anderer Personen 200  ff., 281 f. –– Beweislast 201 –– Opfer- und Zeugenschutzaspekte  201 f. –– Prognose 200 –– Zerstörung von Beweismaterial  202 Gesamtabwägung siehe Abwägung Grundsätze des Völkerrechts  48 habeas corpus  284, 288 f. Haftbefehl  26 f., 34 f., 63, 71, 73, 76 f., 85, 134, 139

Haftgründe –– Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung  155 f., 174 f. –– Erfordernisse der Ermittlungen  157 f. –– Fluchtgefahr siehe dort –– humanitäre Gründe siehe dort –– Schwere der Straftat  156 f., 174 f. –– Systematisierung –– Verdunkelungsgefahr siehe dort –– Wiederholungsgefahr siehe dort Haftprüfung –– Antrag  286, 297 ff. –– Beweislast  257 f., 305 –– Ermessen  260 f., 303 –– Frist  287, 299, 303 ff. –– habeas corpus siehe dort –– Haftprüfungsverfahren  286, 291 f. –– Opferbeteiligung  310 ff. –– Rechtmäßigkeit der Haft  285 –– und Auflagen  274 –– und Staatengarantie  272 –– und Unterrichtungsrecht  66 –– veränderte Umstände 244, 260, 285, 300 ff. –– von Amts wegen  80, 86, 284 –– vorläufige Inhaftierung  84 –– wiederholte  245 f., 260, 284, 299 f. –– zusätzlicher Ermessensspielraum  261 ff. humanitäre Gründe –– Kurzzeitige Entlassung  205 –– Entwicklung  203 ff. –– Ermessen 205 –– Regel  98bis-Entscheidung  203 f., 206, 294 –– Regeländerung 203 Inhaftierung –– regulär  86, 133, 134, 185 –– vorläufig  28 ff., 188, 191 International Bill of Human Rights  38 Internationale Rechtsordnung  43 f. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) 25, 38, 47, 49, 57, 59 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) 22, 25, 89, 261, 301, 306 f. IStGH-Gesetz 89 Jugoslawienstrafgerichtshof (JStGH) 22, 25, 26, 44, 184, 192 f., 197 f., 206, 307

Sachverzeichnis Kompensation  33, 112, 116 Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten  200, 247, 249 Kooperationspflicht  27, 29 margin of appreciation  168, 228 –– Grenzen 229 Menschenrechte  37 ff., 52, 140 –– Gesamtabwägung siehe Abwägung –– Limitierungsfunktion 225 –– living instrument  53 –– Mindeststandard  42, 47, 152 –– Natur  49 f. –– Subsidiarität  42, 53 –– Werteordnung  37, 42, 44, 53 Menschenrechtsausschuss  45, 50, 52 f., 140 Menschenrechtskonforme Auslegung  47, 50, 54, 227, 232 mildere Mittel  208, 265, 269 Notwendigkeit der Festnahme –– Maßstab  238 f. –– Prognose 239 –– und Haftgründe  238 –– Verhältnismäßigkeitsprinzip 238 Nürnberg  22 f., 307 öffentliche Ordnung siehe Haftgründe öffentliches Interesse  98 Opfer –– Beteiligungsrechte 313 –– persönliche Interessen  312 –– rechtliche Stellung im Verfahren  308 f. –– Zulassung als  309 f. Opferbeteiligung –– Entwicklung  307 f. –– Funktion  314 f. –– Interessenausgleich  315 f. –– Stellungnahmen 313 –– und Auflagen  312 –– und Rechte des Angeklagten  316 f. –– Zweck 314 Opfereigenschaft  311 ff. Präventivhaft  148 f., 175, 280 prima facie case  27, 179, 184 ff., 235, 279

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Rechtsfolgen richterlicher Prüfung 212 ff., 259 ff. Regeln des Völkerrechts  48 reliable information  60 f. Ruandastrafgerichtshof (RStGH) 22, 25, 26, 44, 184, 192 f., 206, 307 Schwere der Straftat siehe Haftgründe Sicherheitsleistung siehe Ausnahmecharakter Staatengarantie  197 f., 250, 275, 280 –– Kooperationsbereitschaft  198, 250 Staatsanwaltschaft 62 stay of proceedings  126 ff. suspect  31 f., 59 ff., 64 Tatverdacht 55 f., 59 f., 65, 96, 146 f., 149, 151, 153, 172, 179 ff., 181 f., 184 ff., 189, 233 ff., 245 Tokio  22 f., 307 Überstellung  27 ff., 35 f., 76, 82, 85 f., 88 f., 141 Unschuldsvermutung  117, 171 ff., 208, 219 ff., 266 f., 316 f. Unterrichtungsrecht  65 ff., 71 ff., 73 ff. –– Menschenrechte  66 ff. –– Umfang  67, 72, 74 f. –– Zeitpunkt  68 f., 72, 76 –– Zweck 67 veränderte Umstände Verdächtiger  55 f., 59 f. Verdunkelungsgefahr 155, 158, 180, 182, 191, 202, 210, 241 f., 251 ff., 281 Vereinte Nationen  22, 37 f., 44, 52 Verhältnismäßigkeitsprinzip  131,  164 f., 166 ff. –– Entwicklung  166 f. –– general principle of law  168 –– Gesamtabwägung 169 –– Inhalt  167 f., 228 –– margin of appreciation  168 –– mildere Mittel  270 –– Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage  222 ff., 268 ff. –– Schranken-Schranke  167, 223

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Sachverzeichnis

–– und Haftgründe  238, 260, 262 f. –– und Wesensgehaltsgarantie  169 f. Verhinderung der Begehung einer Straftat  148 ff., 280 Verzögerung durch die Anklagebehörde  110, 114 Völkergewohnheitsrecht  44, 48 f. Vorführung vor einen Richter 78 ff., 82 ff., 87 ff. –– bei vorläufiger Inhaftierung  82 f. –– gesetzlich ermächtigte Person  78 f. –– im Gewahrsamsstaat  84, 88 –– Inhalt  79 f. –– nach der Überstellung  84, 85, 89

–– Zeitpunkt  80 f., 83, 86, 90 –– Zweck  78, 84 Wesensgehaltsgarantie  169 f., 223, 226 Wiederholungsgefahr 96, 147, 153 f., 175, 242 f., 253 f., 280 f. Willkürverbot –– Bezugspunkt  130 f. –– Definition  131 f. –– Festnahme  134 f., 139 –– vorläufige Inhaftierung  135 Zweck der Untersuchungshaft  21, 127, 143 f.