Untersuchungen zur stoischen Bedeutungslehre
 9783666252037, 352525203X, 9783525252031

Citation preview

HYPOMNEMATA 103

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/ Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 103

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

ANDREAS SCHUBERT

Untersuchungen zur stoischen Bedeutungslehre

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Günther Patzig

Die Deutsche

Bibliothek-ClP-Einheitsaufnahme

Schubert, Andreas: Untersuchungen zur stoischen Bedeutungslehre / Andreas Schubert. Göttingen; Zürich: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Hypomnemata; H. 103) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-525-25203-X NE:GT

Gefördert mit Hilfe von Forschungsmitteln des Landes Niedersachsen D7 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im S o m m e r s e m e s t e r 1990 von der Georg-Aug u s t - U n i v e r s i t ä t in Göttingen angenommen wurde. Ich danke dem Zweitgutachter, Prof. Dr. Jürgen Sprute, f ü r seine Mühe und f ü r klärende Gespräche noch " p o s t f e s t u m " , Prof. Dr. W o l f g a n g Carl f ü r Kritisches zu Aristoteles, Christopher Kirwan f ü r Belehrendes bei Überlegungen zu Augustin, den Herausgebern von "Hypomnemata" und Vandenhoeck & Ruprecht f ü r die Aufnahme der "Untersuchungen", der Studiens t i f t u n g des d e u t s c h e n Volkes f ü r alle U n t e r s t ü t z u n g bis zum " l e t z t e n e r n s t e n Schritt". In den Reigen f ü g t sich die Großzügigkeit, mit der der Fachbereich Historisch-Philologische W i s s e n s c h a f t e n der Georgia A u g u s t a die Drucklegung der Arbeit bedacht hat. Auf die Betreuung und das Beispiel von Prof. Julia Annas und Prof. Jonathan Barnes während eines Studienjahrs in O x f o r d geht die Anregung zu der U n t e r n e h m u n g zurück - " f o r what it is worth", wie man sagt. Ich danke ihnen sehr. "Bei" Prof. Dr. Günther Patzig ist diese Arbeit geschrieben worden. Die Dankbarkeit ihm gegenüber ist von besonderer Art und schwer faßbar. Ich h o f f e , er kann es erahnen.

Inhalt Einleitung

9

Erstes Kapitel: Die Identität des Lektons

15

a) D i e m e n t a l i s t l s c h e I n t e r p r e t a t i o n d e s L e k t o n s

. . .

b ) D a s L e k t o n a l s o b j e k t i v e r Sinn

Zweites Kapitel: Die Identität der unvollständigen Lekta und die stoischen "Fälle" Ia) D i e U n v o l l s t ä n d i g k e i t v o n L e k t a b)

15 38

57 57

Lekta und Ereignisse

68

IIa) Die p r o p o s i t i o n a l e Interpretation

des

Eigennamens

73

b)

Die Identität des stoischen Falls ("πτωσις")

c)

Das

σημαινόμενον

als

"Sinn"

79

substantivischer

Ausdrücke

103

Drittes Kapitel: Die Unkörperlichkeit der Lekta

110

Viertes Kapitel: Das Konzept des Lektons in seiner Genese und in der philosophischen Diskussion

131

a) D i e K o n z e p t u a l i s i e r u n g

des Lektons

durch

μετά&ασις b ) D i e L e k t a in d e r

131 philosophischen

Auseinandersetzung

141

Fünftes Kapitel: "ύπάρχειν" und "ύφίστασθοα" bei den Stoikern

149

Sechstes Kapitel: "Bedeutungslehre" bei Aristoteles und Augustinus und ihr Verhältnis zur stoischen Semantik

175

a) A r i s t o t e l e s , " D e I n t e r p r e t a t i o n e " 1

175

b) Augustinus, "De Dialectica" S

186

8

Inhalt

Siebentes Kapitel: Die stoische "Kategorienlehre" a) V o r b e m e r k u n g e n z u m G e g e n s t a n d der stoischen "Kategorienlehre" b ) D a s s t o i s c h e υποκείμενον c) D a s ποιου u n d die s t o i s c h e K o n z e p t i o n der Identität d) D i e K a t e g o r i e n d e s πως Ι χ ο ν u n d d e s προς tl πως Εχον

199 199 202 205 231

Appendix: Bemerkungen zu "ύπάρχειν" und "ύφίστασθαι" im philosophischen Schrifttum und im Corpus Hippocraticum

246

Abkürzungsverzeichnis

261

Bibliographie

263

Index nominum

275

Index locorum

278

Einleitung Die stoische Philosophie insgesamt — und hier insbesondere die stoische Logik — hat in den letzten Jahrzehnten eine radikale Neubewertung erfahren, die sich im Rahmen einer systematischen Auseinandersetzung mit der Hellenistischen Philosophie vollzogen hat. Heute, da Originalität und Feinsinn des Hellenistischen Philosophierens über einen engeren Kreis von Fachgelehrten hinaus bekannt geworden sind, wird schwerlich jemand dem harschen Urteil von P.Shorey (1938, S.19) beistimmen mögen: " T h e r e Is n o s u c h t h i n g a s a n i m p a r t i a l a n d o b j e c t i v e intei— pretation of Stoicism. The historian either likes or dislikes the Stoic pedantry, the pseudoscientlflc overelaboration splitting

of

logic,

distinctions

oversystematization

rhetoric,

and

of

the

terminology,

and grammar

superfluous imperfect

by

the

hall—

definitions,

science

of

the

the

an-

cients to give the appearance of consistency, the a b u s e allegory and fantastic etymology, the pantheism with commodations

to popular theology,

the jumble

of

incon-

g r u o u s and hastily collected erudition, the reiteration moral ness

commonplace, by

hyperbole,

the the

straining setting

up

for moral of

of acof

Impressive-

impractically

ideals only to whittle t h e m away by a casuistry o f

rigid

compro-

m i s e a n d t h e i n t e r p r e t a t i o n o f t h e i r t e r m s in a P i c k w i c k i a n sense."

Um die Besonderheit der stoischen Logik grob zu kennzeichnen, wird sie häufig als eine Aussagenlogik charakterisiert, die als ein Komplement der Prädikatenlogik des Aristoteles aufgefaßt werden könne. M.Frede (1974 a) hat gezeigt, daß eine derartige Verhältnisbestimmung mit Qualifikationen und Einschränkungen zu versehen ist. Unstreitig ist jedoch, daß sich die stoische Logik im weiten wie im engen Sinn (für die

10

Einleitung

Stoiker umfaßte die Logik ja ein weiteres Feld, als wir es heute dieser Disziplin zuordnen) mit den Bedeutungen von Sätzen, Lekta, und mit ihren Verhältnissen befaßt. In dieser Arbeit soll ein Beitrag zu einer Rekonstruktion der stoischen Bedeutungslehre geleistet werden, die in den grundlegenden Werken zur stoischen Logik von Mates und Frede nicht detailliert behandelt wird.1 Hierbei soll es nun nicht um den Versuch gehen, die stoischen Bestimmungen der einzelnen Typen von Lekta zu rekonstruieren und zu deuten; in dieser Hinsicht sind durch die ausgreifenden Analysen der genannten Autoren, insbesondere M.Fredes, und durch daran anschließende Untersuchungen von anderen ins einzelne gehende Ergebnisse erzielt worden. Ebenso wird diese Arbeit nicht auf die vielfach besprochenen Besonderheiten eingehen, die bestimmten Lekta, den Axiomata, im Vergleich zu ihren möglichen Entsprechungen in unseren semantischen Kategorien anhaften (die Qualifikation von Axiomata als vergänglich und als den Wahrheitswert wechselnd ). Das Augenmerk wird vielmehr auf die Bedeutungslehre in einem allgemeineren Verständnis gerichtet: Was faßten die Stoiker als Bedeutungen auf, als was faßten die Stoiker Bedeutungen auf, und welche systematischen Zusammenhänge (oder Spannungen) ergeben sich mit dieser Auffassung? Von welcher Grundlage aus konnte die stoische Konzeption von "Bedeutung" entwickelt werden, und wie ist ihre sachliche Bedeutung innerhalb des historischen Umfelds einzuschätzen? Welcher Art schließlich sind die Beziehungen zwischen der stoischen Bedeutungslehre und der stoischen Betrachtung des Seienden nach "Kategorien"? Zunächst wird es gelten, der Frage nachzugehen, ob die stoische Lektontheorie eine mentalistische Bedeutungslehre ist, wobei freilich erst die Bedeutung dieser Frage festzustel1 Mates dem

(19S3, S . l l - 2 6 ) g i b t e i n e n A b r i ß d e r L e k t o n t h e o r i e ,

allerdings

wichtige

Texte

und

damit

wichtige

in

Frage-

s t e l l u n g e n u n b e r ü h r t b l e i b e n . F r e d e (1974 b , S . l l f . )

verzich-

t e t a u s d r ü c k l i c h a u f die E i n b e z i e h u n g d e r s t o i s c h e n

Lekton-

l e h r e in s e i n e A r b e i t .

Einleitung

11

len ist, da in der Vergangenheit nicht hinreichend klar zwischen den hier zu Gebote stehenden Alternativen unterschieden worden ist. Eine ausführliche mental istische Deutung ist dem Lekton durch G.Nuchelmans (1973) innerhalb seiner Geschichte des Propositionsbegriffs in der Philosophie zuteil geworden. Seine Argumente sind auch von den Anhängern der entgegengesetzten Auffassung keiner kritischen Würdigung unterzogen worden, obwohl die der Lektontheorie von ihnen zugeschriebenen Verdienste um eine "fortschrittliche Semantik" nach Nuchelmans nur auf der Grundlage irriger Konstruktionen den Stoikern zugeschrieben werden können. Tatsächlich hat ja die stoische Lehre vom Lekton gelegentlich geradezu begeisterte Akklamation erfahren; K.Popper (1972, S.157) spricht in diesem Zusammenhang von der "marvellously subtle theory of language" der Stoiker, in der erstmals eine korrekte Beschreibung der Bestandteile einer "dritten Welt" gegeben werde. Angesichts derart tiefgreifender Divergenzen erscheint eine umfassende Analyse der hier relevanten Texte als die einzige Möglichkeit, zu einem verläßlichen Urteil in der Interpretation des Lektons zu gelangen. Im Anschluß daran soll die Differenzierung von Lekta in vollständige und unvollständige näher betrachtet werden, durch die das Spektrum der in der stoischen Bedeutungslehre erfaßten Entitäten erweitert zu werden scheint. Es ist freilich nicht unkontrovers, ob mit dieser Einteilung wirklich eine Erweiterung gegeben ist, d.h. ob neben den Entsprechungen von Sätzen auch Prädikate als Lekta gefaßt werden dürfen, und es ist ebenso umstritten, inwieweit die Bedeutungen nominaler Ausdrücke von den Stoikern als zur Lektontheorie gehörig betrachtet wurden. Die stoischen Philosophen rühmten sich der Kohärenz ihres Systems, und moderne Interpreten haben diesen Anspruch weitgehend als berechtigt eingeschätzt. Dieser Anspruch kann jedoch, wie mir scheint, nicht sinnvoll dahingehend interpretiert werden, daß mit dem Anzweifeln einer beliebigen philosophischen Aussage der Stoa alle übrigen ihrer philosophi-

12

Einleitung

sehen Ansichten angezweifelt würden (so die rhetorische Übertreibung in Ciceros "De Finibus", III 74). Der Kohärenzanspruch kann sich wohl eher auf die unitaristische Konzeption der Disziplinen berufen, in die sich die Philosophie gliedert wie ein Ei in Schale, Eiweiß und Dotter (s. z.B. D.L. VII 40), die freilich hierarchisch geordnet sind. Es ließe sich dann behaupten, daß nach Ansicht der Stoiker z.B ihre ethischen Auffassungen unhaltbar würden, wenn die Grundlagen ihrer Physik oder Logik erschüttert würden. Wenn nun auch dieser Anspruch kaum als plausibel erscheinen mag (eben wegen der hierarchischen Einteilung: der Umsturz der stoischen Ethik hätte keine Folgen für die Auffassung der fünf stoischen "Unbeweisbaren"), so muß es als bemerkenswert gelten, daß die Stoiker, die in das Zentrum ihrer Erklärung der Welt das Zusammenspiel materieller Prinzipien stellten, wichtige Entitäten als unkörperlich auffaßten. Die möglichen Grundlagen dieser Auffassung im Fall des Lektons sollen rekonstruiert werden, und damit einher gehen einige Vermutungen dazu, wie überhaupt die Stoiker zu der Konzeption des Lektons gekommen sein mögen. Von der sachlichen Frage nach der konzeptuellen Einpassung einer Entität wie des Lektons in das stoische System ist die Frage zu unterscheiden, ob den Stoikern auch das methodologische Instrumentarium zur Verfügung stand, diese Einpassung konsequent zu vollziehen: Es bedarf einer besonderen Terminologie, um konsistent über das "Sein des Nicht-Seienden" (denn das ist das Körperlose) reden zu können. Eine Untersuchung der Verwendung von "ύπάρχειν" und "ύφίστασθαι" bei den Stoikern soll zeigen, daß dieser Sachverhalt von den Stoikern erkannt worden ist und daß sie ihm Rechnung getragen haben. Eine in einer Appendix beigefügte umfassendere Analyse der Verwendung beider Termini versucht, das Eigentümliche und die Voraussetzungen der stoischen Leistung deutlich zu machen. 2 D i e A u f t e i l u n g in p h i l o s o p h i s c h e D i s z i p l i n e n i s t a u c h b e i a n d e r e n S c h u l e n zu f i n d e n ; d a s d e n S t o l k e r n E i g e n t ü m l i c h e ist die H e r v o r h e b u n g ihrer

Verbundenheit.

Einleitung

13

Es ist eins der Verdienste der jüngeren Auseinandersetzung mit der Hellenistischen Philosophie, den dialektischen Charakter der philosophischen Diskussion dieser Zeit deutlich gemacht zu haben. Den philosophischen Höhepunkt innerhalb dieser Diskussion stellt zweifellos die Auseinandersetzung um erkenntnistheoretische Fragen dar, und hier insbesondere um die Existenz einer wahrheitsverbürgenden Vorstellungsart ("φαντασία καταληπτική"). Von Spuren einer Auseinandersetzung um das stoische Lekton ist beklagenswert wenig auf uns gekommen — uns sind nicht die stoischen Antworten auf die skeptischen Einwände überliefert. Die Darstellung und Kritik der skeptischen Argumente machen die unterschiedlichen Argumentationsebenen sichtbar, auf denen sich die Skeptiker im Kampf gegen den Dogmatismus bewegten, und weisen zugleich auf quasi-dogmatische Prinzipien in den Schemata skeptischer Reaktionen. Es ist eine schwer zu beantwortende Frage, ob sich in der stoischen Philosophie Einflüsse (sei es durch Übernahme, Absetzung oder Weiterführung) des Aristoteles finden lassen, und diese Schwierigkeit erstreckt sich auch auf die stoische Bedeutungslehre. In den Bemerkungen zu Aristoteles und Augustin innerhalb dieser Arbeit soll zum einen hervorgehoben werden, daß, unangesehen einer wie immer gearteten Abhängigkeit von Aristoteles, mit der Lektontheorie eine in ihrer Art neuartige — und plausiblere — Antwort auf bereits bestehende Fragen gegeben wird. Zum anderen soll an den semantischen Lehren des Augustin deutlich gemacht werden, mit welcher Wirkungsmacht die aristotelische Auffassung selbst in einem so stark von stoischen Gedanken beeinflußten Werk wie "De Dialectica" fortbestehen und bestimmend für das Mittelalter werden konnte. Im abschließenden Kapitel über die stoische "Kategorienlehre" soll gezeigt werden, in welcher Weise die in ihr relevanten "Aspekte des Seienden" mit den stoischen Auffassungen von "Bedeutung" zusammenhängen. Das Augenmerk gilt 3 V g l . S a n d b a c h s (198S) e n t s c h i e d e n e n V e r s u c h , j e g l i c h e eines E i n f l u s s e s zu bestreiten.

Form

14

Einleitung

dabei insbesondere dem Verhältnis verschiedener Arten von substantivischen Termini zu jeweils in bestimmter Hinsicht betrachteten Referenzgegenständen. Dieses Verhältnis wird auch unter der Fragestellung betrachtet, wodurch überhaupt der stoische Begriff von "Gegenständlichkeit", der Konstitution und Identität von Gegenständen als der Voraussetzung dafür, auf bestimmte Weise bezeichnet werden zu können, charakterisiert ist.

(1) Die Identität des Lektons a) Die mentalistische Interpretation des Lektons In diesem Kapitel wollen wir uns der Frage zuwenden, was die Stoiker unter einem Lekton und insbesondere unter einem Axioma verstanden haben mögen. In der Diskussion dieses Problems lassen sich zwei Sichtweisen grundlegend voneinander unterscheiden: 1) Das Lekton überhaupt, wie das Axioma im besonderen, ist der subjektive Gedanke.1 2) Das Axioma ist ein "sensus objectivus", dem "Gedanken" Freges oder der "Proposition" Carnaps vergleichbar. 2

1 S o s c h o n S c h m i d t , 1839, S.20 f . ; v g l . z . B . N u c h e l m a n s . S.45-74,

Η ahm,

1977, S.S. 8;

Schenkeveld.

1984.

1973.

S.313,

324;

B a l d a s s a r r l , 1985. S.36, s . j e d o c h S.62; L ö b l , 1986, S.96, 99; s. a u c h B u r y s A n m . z u P . H . II 81 in d e r L o e b - A u s g a b e (1933). 2 So e t w a

B o c h e n s k i , 1947, S.39; n a c h d r ü c k l i c h

Mates.

1953,

S.19-26. A l s eine dritte, sollte

in g e w i s s e m

die A n s i c h t

genannt

Sinn vermittelnde sein, d a ß

zwar

die

" p l a t o n i s c h e n E n t i t ä t e n " s i n d , d o c h a l s objektive

Auffassung Lekta

keine

Inhalte

von

D e n k e n und Sprechen q u a Inhalte g e l t e n können (vgl. hierzu L o n g , 1971, S.97; G r a e s e r , 1978 a, S.97 f . ; L o n g / S e d l e y .

1987,

B d . l , S . 1 9 9 - 2 0 2 . ) . S i e t e i l t a l s o m i t d e r u n t e r 1) a n g e f ü h r t e n Position

die

folgenden

Voraussetzung

soll

das

einer

Geistesabhängigkeit.

Schwergewicht

auf

dieser Position liegen, d o c h im A n s c h l u ß verwiesen

werden, welche

Bedenken

der

soll knapp

auch

Im

Widerlegung darauf

gegenüber

einer

" s c h w ä c h e r e n " V e r s i o n eines M e n t a l i s m u s gUltig sind. Es

sei

(und

angemerkt,

damit

auch

daß die

der

hier

Widerstand

auch

vorgenommene

dieser

Partei

Kontrastierung)

g e g e n eine D e u t u n g d e r s t o i s c h e n L e h r e , die sie d e r Position Freges annähert, auf einer g e w i s s e n

Vereinfachung

beruht.

In F r e g e s A u f s a t z " U b e r S i n n u n d B e d e u t u n g " v o n 1892 i s t , w i e mir scheint, kein e i n d e u t i g e s

Bekenntnis

zur

Annahme

einer s p r a c h u n a b h ä n g i g e n E x i s t e n z d e s G e d a n k e n s zu finden. F r e g e s F o r m u l i e r u n g e t w a , e r v e r s t e h e ihn a l s d e n ven Inhalt (sc. des

Denkens),

der

"objekti-

f ä h i g ist, g e m e i n s a m

Ei-

16

Die I d e n t i t ä t d e s L e k t o n s

In der erstgenannten Deutung wird das stoische Lekton dem Aristotelischen "Gedanken" (νόημα) in einer mental istischen Auffassung angenähert. Innerhalb einer Argumentation zugunsten einer mentalistischen Interpretation des Lektons könnte auf eine Bemerkung des Simplicius (In Arist. Categ. p. 10,3—4 = FDS 703) verwiesen werden: Hiernach ist der Gegenstand der Aristotelischen Kategorienschrift weder in den lautlichen Bezeichnungen noch in den bezeichneten Gegenständen ("σημαινόμενα πράγματα"), sondern in den "λεγόμενα" zu sehen; diese und die Lekta nun sollen auch den Stoikern als "νοήματα" gegolten haben. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß es für eine direkte Identifikation des Lektons mit dem νόημα bei den Stolkern keinen weiteren Hinweis gibt, wie es uns überhaupt an stoischen Quellen mangelt, in denen "νόημα" erscheint.3 Weiter muß darauf hingewiesen werden, daß die antiken Kommentatoren des Aristoteles in ihrem Umgang mit der Terminologie anderer Philosophen nicht immer verläßliche Gewährsleute sind; wenn etwa hier den "λεκτά" die "λεγόμενα" an die Seite gestellt werden, läßt sich dies nicht durch stoische Zeugnisse verifizieren. Allgemein muß in diesem Zusammenhang darauf

g e n t u m v o n vielen zu s e i n " (ebd., S.46, A n m . S ) , scheint n u r die A b g r e n z u n g g e g e n ü b e r einer F a s s u n g d e r B e d e u t u n g a l s " s u b j e k t i v e s T u n d e s D e n k e n s " ( e b d . ) i m p l i z i e r e n zu s o l l e n . Die hier v e r m i ß t e E i n d e u t i g k e i t ist j e d o c h a u g e n f ä l l i g in e i n e m s p ä t e r e n W e r k F r e g e s w i e " D e r G e d a n k e " von 1918, in d e m h e r v o r g e h o b e n w i r d , daß d u r c h d a s F a s s e n o d e r D e n k e n d e s G e d a n k e n s d i e s e r nicht g e s c h a f f e n w i r d , s o n d e r n daß zu ihm, " d e r s c h o n v o r h e r b e s t a n d " , eine b e s t i m m t e Beziehung g e s c h a f f e n w i r d (ebd., S.44, A n m . 5 ) . Eine e i g e n t ü m l i c h z w i e s p ä l t i g e P o s i t i o n scheint d e n A u s f ü h r u n g e n M ü l l e r s (1943) z u g r u n d e z u l i e g e n . E r b e t o n t z u m einen die G e t r e n n t h e i t d e s L e k t o n s v o n g e i s t i g e n P r o z e s s e n (ebd., S.ll f f . , S.31 f f . ) , d e f i n i e r t j e d o c h d a s L e k t o n a l s " a l l e i n durch das Aussprechen existierender Sachverhalt" (ebd., S.38) u n d sieht die E x i s t e n z d e s e i n z e l n e n L e k t o n s in p s y c h i s c h e n V o r g ä n g e n b e g r ü n d e t (ebd., S.31 f f . ) . 3 V g l . den I n d e x zu S V F s.v.

Die m e n t a l i s t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n d e s L e k t o n s

17

verwiesen werden, daß die Parallelisierung mit der Aristotelischen Position für eine mentalistische Interpretation insofern belastet ist, als das Aristotelische "νόημα" in seinem Status seinerseits dem Fregeschen "Sinn" angenähert werden könnte. 4 In einer andersgearteten Rückführung wird versucht, das stoische πραγμα ("πραγμα" erscheint in den Definitionen bestimmter Lekta) als den "subjektiven Gedanken" aufzufassen; eine ausführliche Darlegung mit diesem Ziel findet sich bei Nüchel mans (1973) 5 "πραγμα" ist nun ein im Griechischen sehr vieldeutiges Wort, doch es ist ein rasch zu bemerkendes Hindernis für eine mentalistische Deutung, daß sich eine Verwendung von "πραγμα" im Sinn von "Gedanke" an keiner Stelle im griechischen Schrifttum nachweisen läßt. 6 So kann denn auch Nuchelmans selbst keinen Beleg für den von ihm geforderten Sinn beibringen. Nach seiner Konstruktion lassen sich drei Stadien der Differenzierung im Gebrauch von "πραγμα" unterscheiden: 1) Hier findet sich eine Opposition "σώμα" - "πραγμα", d.h. von Agent—Aktion / "Patient"— Passion. 2) Das πραγμα ist der Gedanke; in der Charakterisierung als "άσώματον" (den Stoikern galten die Lekta als eine der vier Klassen von Unkörperlichem, die sie anerkannten) rückt der Gesichtspunkt der Unkörperlichkeit vor dem der Kausalität in den Vordergrund. 3) Die Unterscheidung der Grammatiker von "σωμα" ("Träger von Eigennamen") und "πραγμα" ("Träger von Universalien"), die mit der stoischen Einordnung von — beispielshalber - "sapientia sapit" nur die Annahme des πραγμα als bloßen Gedankendings gemein hat. Freilich lassen sich für keine der hier aufgeführten Behauptungen Nachweise aus stoischen Texten erbringen. So können für die Kontrastierung von "σωμα" und "πραγμα" im Sinn von 4 V g l . h i e r z u S.183 f. 5 S. i n s b e s o n d e r e e b d . , S.65-67. 6 V B 1. LSJ s.v.

18

Die Identität des Lektons

1) lediglich Passagen bei den griechischen Grammatikern her7

~

angezogen werden, deren Verwendung von "πραγμα" wiederum, wie durch 3) bereits deutlich wird, nicht einheitlich ist. Für eine stoische Verwendung von "πραγμα" im Sinn von "Handlung" oder "Leiden" hingegen gibt es keinerlei Hinweis. Wenn nach dem Zeugnis des Clemens von Alexandria etwa Cleanthes die Prädikate "Χεκτά" genannt hat (Stromat. VIII 9, § 26,4 = FDS 763) und nach Stobaeus schon bei Zeno Wirkungen von Ursachen als unkörperlich gegolten haben (I, 138,15—16 = FDS 762), so fehlt doch hier noch ganz der Bezug auf das πραγμα, der erst dort nachweisbar ist, wo auch andere Gebilde als Prädikate "λεκτά" genannt werden (D.L.VII 64). Eine Schwierigkeit besonderer Art entsteht Nuchelmans dadurch, daß nach seiner Ansicht das Lekton seine Existenz in "νοεΐσθαι και λέγεσθαι" hat und verstanden werden sollte als "a thought expressed" (ebd., S.86 bzw. 71). Er ist somit zu einer Distinktion von λεκτόν und πραγμα genötigt, gegen die allein der Umstand spricht, daß z.B. die Lekta κατηγόρημα und πύσμα auch durch den Rekurs auf das πραγμα definiert werden (D.L.VII 64, 66), ohne daß als Bedingung hinzugesetzt würde, daß diese πράγματα ausgesprochen werden müssen. So kommt Nuchelmans denn auch an anderer Stelle zu dem Ergebnis, daß das Axioma "... is the lekton or pragma, the particular thought which precedes the words spoken and gives them a definite meaning" (ebd., S.84); freilich verträgt sich diese Auffassung nicht mehr mit seiner Herleitung des Wortes "λεκτόν". Wenn wir im weiteren davon absehen, daß auch für das Vorkommen von "πραγμα" im Sinn von "Gedanke" bei den Stoikern keine Indizien vorliegen, müssen wir dennoch auf das fehlerhafte Schlußverfahren hinweisen, mit dem ein Übergang von 1) zu 2) gerechtfertigt werden soll (ebd., S.55, 66): Hier

7 V g l . z . B . Scholia

in Dionys.

Thr. p. 2 1 5 , 2 8 - 3 0 : "... τ ο ΰ δέ ρ ή μ α -

τος LSLOV τό σημαίνειν π ρ α γ μ α · τ α δέ π ρ ά γ μ α τ α Sux τ ω ν πων κατορθ-οΰται. η ώς ε ν ε ρ γ ο ύ ν τ ω ν

η ύς

πασχόντων

w e i t e r ( e . g . ) A p o l l o n i u s D y s c o l u s , De synt.

ανθρώκτλ."-,

p.351,9-10.

s.

Die mentalistische Interpretation des Lektons

19

wird aus dem Sachverhalt, daß wir das πραγμα denkend erfassen (es ist unserem Erkenntnisvermögen nicht auf gleiche Weise zugänglich wie Materielles), darauf geschlossen, daß das Wort "λεκτόν" aufgefaßt werden könne "... as referring to that which is only (thought and) said" (ebd., S.5S). Die Fehlerhaftigkeit dieser Argumentation Hegt darin, daß daraus, daß eine Entität nur gedanklich erfaßt werden kann, gefolgert wird, diese Entität könne notwendig auch nur "in Gedanken" existieren. Daß es sich bei dem stoischen πραγμα um einen Gegenstand handelt, der nicht leicht faßbar zu sein scheint, wird auch mit Blick auf andere Deutungsversuche offenbar: So akzeptiert Schenkeveld (1984, S.313) grundsätzlich Nuchelmans' These, wonach "πραγμα" zunächst "an action or passion thought", dann auch das, "what is merely thought", bedeuten könne, doch er möchte eine engere Beziehung zwischen der letztgenannten Bedeutung und "the action/passion of the various speech acts" etablieren. Er behauptet, nach Nuchelmans' Konstruktion sei, im Gegensatz zur stoischen Auffassung, zum Beispiel für das προσαγορευτικόν πραγμα gefordert, daß es noch nicht in "the 'thing thought"' enthalten sei. Nach Schenkevelds Ansicht ist in allen vollständigen Lekta, die kein κατηγόρημα aufweisen, im πραγμα auch der Gedanke an den entsprechenden "speech act" enthalten. Er vertritt eine Auffassung der Lekta als "the action and things thought which are expressed in sentences" (ebd., S.324). Weder die grundsätzliche Übernahme von Nuchelmans' These noch der Vorschlag zu ihrer Verbesserung scheint überzeugend. Einerseits ist das Lekton, wie wir sehen werden, nicht wesentlich etwas Gedachtes, andererseits kann Nüchel mans nicht ohne weiteres vorgeworfen werden, die Komponente des sprachlichen Aktes bleibe in seiner Konzeption des Lektons als "thing thought" unberücksichtigt. Was Schenkevelds eigene Auffassung vom πραγμα anbelangt (die er selbst wohl als "anti-isomorphistisch" charakterisieren würde), so ist zunächst festzuhalten, daß nicht einsichtig ist, warum eine solche Spaltung der Wortbedeu-

20

Die Identität des Lektons

tung in den Definitionen verschiedener Lekta nötig und wie sie möglich sein sollte. Das sprechakt-theoretische Moment könnte auch mit der Annahme einer präzisen Isomorphie von Ausdruck und Bedeutung erhalten bleiben 8 ; wie andererseits "πραγμα" zugleich auf den Inhalt und den Sprechakt gehen können soll, ist schwer zu sehen. Das "Aussprechen des Gedankens an eine Handlung" wäre nicht die Handlung selbst; überdies scheint es doch, als werde das πραγμα von den Stoikern auch mit nominalen Ausdrücken in Verbindung gebracht,9 so daß eine derart spezielle Bedeutung von "πραγμα" für unseren Fall unverständlich sein müßte. Es seien hier noch einige Bedenken gegen die Einwendungen vermerkt, die Schenkeveld gegen die Isomorphie-Annahme in einem weiteren Verständnis vorbringt.10 Es ist unstreitig, daß allein aus der stoischen Lehre von der Anomalie oder auch von der Ambiguität11 gewisse Einschränkungen für eine Isomorphie-These erwachsen, insofern es nach dieser Lehre Fälle gibt, in denen keine eindeutige Ähnlichkeit zwischen der Form eines Ausdrucks und seiner Bedeutung festgestellt werden kann. So können auch λέξεις, denen vollständige Lekta (solche also, die durch einen Satz zum Ausdruck gebracht werden können) entsprechen, jeweils auf verschiedene πράγματα gehen, doch die von Schenkeveld angeführten Texte (ebd., S.325, 329-331) rechtfertigen nicht die

8 D a s 1st o f f e n s i c h t l i c h in F ä l l e n , in d e n e n eine Ä u ß e r u n g e t w a ein Z w e i f e l n - nicht n o t w e n d i g an j e m a n d a n d e r e n a d r e s s i e r t ist. In a n d e r e n F ä l l e n , e t w a b e i m B e f e h l e n , b l e i b t zu bedenken, o b das sprechakttheoretische M o m e n t als " z u r Bedeutung eines Ausdrucks gehörig" klassifiziert werden s o l l t e ; dies k ö n n t e nicht g e s c h e h e n , o h n e daß eine Kommunikationssituation e i n b e z o g e n w i r d , u n d diese w i e d e r u m k a n n a u c h rein "in G e d a n k e n " b e s t e h e n . 9 V g l . P l u t a r c h , De Stoic, repugn. Ю 4 8 A = L / S S8 Η ; D . L . V I I 43 f. ΙΟ V g l . z u d i e s e r w e i t e r e n F a s s u n g , n a c h d e r n u r irgendeine Strukturähnlichkeit zwischen einem A u s d r u c k und seiner B e d e u t u n g b e s t e h t , P i n b o r g , 1975, S.95 f. 11 V g l . hierzu D.L. V I I 62; F D S 632-649.

D i e m e n t a l i s t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n ties L e k t o n s

21

Annahme, daß in ihnen eine Verschiedenheit von Sprechakten deutlich werde. So etwa läßt sich aus dem Umstand, daß ein stoisches Beispiel für eine Zweifelsfrage (D.L. VII 68) auf Grund der Ausdrucksform auch als Satzfrage klassifiziert werden könnte, noch nicht einmal schließen, daß es sich hier um verschiedene πράγματα handelt; es könnte auch ein Verhältnis der Unterordnung vorliegen. Auch ein anderer Passus (Plutarch, De Stoic, repugn. 1037 D-Ε = FDS 909), der häufig genannt wird, wenn den Stoikern eine Lehre von Sprechakten zugeschrieben werden soll, kann nicht für das Beweisziel in Anspruch genommen werden. Es heißt hier, daß nach Auffassung der Stoiker diejenigen, die etwas verbieten, eine Sache sagen, eine andere verbieten und wieder eine andere befehlen: "b γ α ρ λ έ γ ω ν μή κΧέψτις λ έ γ ε ι μεν α ύ τ ό τούτο μή κλέψτις r \ г ' / > \ у 12 * γορεύει δέ κ λ έ π τ ε ι ν προστάττεί. δέ μή κ λ έ π τ ε ι ν . "

άπα-

Wiederum scheint es mir nicht gesichert, daß hier verschiedene πράγματα unterschieden werden. Es spricht nichts gegen die Vermutung, daß die Stoiker Befehl und Verbot als äquivalent betrachtet haben, zumal in unserer Aufzählung vollständiger Lekta ein άπαγορευτικόυ nicht eigens genannt wird. Die Heranziehung unseres Passus für eine "stoische Theo13

* *

rie der Sprechakte" beruht vielleicht auf einer Uberinterpretation. Es ist konstitutiv für jede Sprechakt-Theorie, daß in ihr der Handlungscharakter hervorgehoben wird, den Äußerungen haben. Aus der Plutarch-Stelle läßt sich kein Indiz dafür entnehmen, daß die linguistische Ebene verlassen würde. Ein speziellerer Unterschied zwischen der stoischen Position und dem, was heute als "Sprechakt-Theorie" bezeichnet wird, besteht darin, daß nach moderner Auffassung ver12 " D e r

nämlich,

der

sagt

'Stiehl

nicht",

der

sagt

ebendles,

'Stiehl nicht', e r v e r b i e t e t a b e r , zu s t e h l e n , u n d e r b e f i e h l t , nicht zu s t e h l e n . " 13 V g l .

z.B.

den

entsprechenden

Abschnitt

der

FDS.

" S p r e c h a k t e u n d die s o g e n a n n t e n M o d i d e s V e r b s " .

4.3.3.:

22

Die Identität des Lektons

schiedene Sprechakte eine Konstante haben, die je unterschiedlich verwandt wird: 14 Hiernach liegt z.B. in der Frage "Beißt Fido den Briefträger?" und der Behauptung "Fido beißt den Briefträger" der gleiche Sachverhalt zugrunde, mit dem nur in unterschiedlicher Weise verfahren wird. Eine solche Konstante kennen die Stoiker nicht. In dem πραγμα, als das die verschiedenen vollständigen Lekta gekennzeichnet werden, ist die je besondere Verwendung stets 13 einbeschlossen; es ist kein Sachverhalt. Unsere Überlegungen zum stoischen πραγμα bedürfen besonderer Berücksichtigung, wenn wir jene Stellen betrachten, wo in der Diskussion von Unkörperlichem die Formulierung "κατ' έπίνοιαν" gebraucht wird. So behauptet Proclus in einer Differenzierung der Platonischen Zeitauffassung von der der Stoiker und der Peripatetiker: "...

οι μεν ( s c . οί ά π ο της Σ τ ο ά ς )

κ α τ ' έπίνοιαν ψιλήν

αυτόν

σ υ ν ι σ τ ά ν τ ε ς ά μ ε ν η ν ό ν κ α ί ε γ γ ι σ τ α τ ο υ μή δ ν τ ο ς (εν γ α ρ ?fv τ ω ν παρ' αύτοΐς

ασωμάτων

6 χρόνος,

α

δή καταπεφ^όνηται.

παρ'

αύτοΐς ώς ... έν έπίΛίοίαις υ φ ι σ τ ά μ ε ν α ψιλαΐς) κ τ λ . "

Hier also scheint sich eine Gleichsetzung von "κατ' έπίνοιαν" und "εν έπινοίαις" zu finden, wie sie auch etwa von LSJ (s.v.) akzeptiert wird. Es ist demgegenüber festzustellen, daß dies Zeugnis sich nicht gut mit dem in Einklang bringen läßt, was 14 S. S e a r l e , 1969, S . 2 2 - 2 6 ; v g l . a u c h F r e g e , " D e r G e d a n k e " ,

S.34

f . ; L e w i s , 1946, S . 4 8 - 5 5 . 15 C o n t r a M U l l e r , 1943, S.36 f., d e s s e n zwei Sachverhalten den

Ergebnissen

Unterscheidung

f U r die v o l l s t ä n d i g e n

fuhrt;

so

soll

bei

Lekta zu

der

von je absur-

Äußerung

eines

B e f e h l s ein π ρ α γ μ α die S i t u a t i o n sein, die d i e s e n B e f e h l

er-

fordert. 16 "... i n d e m Überlegung

diese als

(sc. die kraftlos

von der und

Stoa)

sie

sehr nah am

gemäß

bloßer

Nicht-Seienden

a u f f a ß t e n (die Z e i t g a l t ihnen n ä m l i c h als eine d e r

unkör-

p e r l i c h e n E n t l t ä t e n , die v o n i h n e n v e r a c h t e t w e r d e n , d a sie ... b l o ß in d e r Ü b e r l e g u n g b e s t ü n d e n ) e t c . " ( P r o c l u s , In Tim.

p. 95,7-15 = F D S 716).

Plat.

23

Die mentalistische Interpretation des L e k t o n s

uns weiter über die stoische Theorie der Zeit überliefert ist. Proclus' Darstellung ist singular und scheint — auch in der Distinktion von "μή ov" und "άσώματον" — idiosynkratisch. 17 Allgemein gilt natürlich, daß ein vom Denken abhängiges Sein des Unkörperlichen schwer vereinbar wäre mit der Unterscheidung der ασώματα von den έννοήματα, den Universalien, für die bekanntlich nach den Stoikern eine solche Abhängig1A keit besteht. Zur Erklärung des Mißverständnisses ist es erwägenswert, ob die Formulierung "κατ' έπίνοιαν" hier nicht eher eine "Verfahrens-" denn eine Seinsweise bezeichnen könnte: Nur aufgrund mentaler Operationen kann die Existenz des Unkörperlichen erkannt werden. Mit dem Schluß von der angegebenen Verfahrensweise auf die rein mentale Existenz läge dann eine nicht selten anzutreffende Konfusion vor (s.o., S.19). Es kann unser Vertrauen in eine mentalistische Lesart, die am eingehendsten von Nuchelmans (1973, S.45-74) entwickelt worden ist, nicht stärken, wenn aus dem schwierigen Passus über die Wirkungsmöglichkeit des Lektons bei Sextus (A.M. VIII 409) Argumente für eine solche Lesart beigebracht werden sollen: Nach Sextus versuchten die Stoiker, durch einen Vergleich zu erklären, wie Lekta als unkörperlich Vorstellungsgegenstände sein können: Wie der Turnlehrer den Schüler nicht nur zu den einzuübenden Bewegungen bringen kann, indem er ihn führt, sondern auch, indem er die Bewegungen vormacht, so können Vorstellungen von Lekta gebildet werden, ohne daß von diesen eine physische Reizung ausgehen müßte. Die Vorstellungen sollen auf Eigentätigkeit des Verstandes beruhen. Nuchelmans (ebd., S.53 f.) kommt hier zu dem Ergebnis, daß mit dem Turnlehrer-Beispiel verursachte und spontane Bewegungen mit verursachten und spontanen Vorstellungen parallelisiert werden sollen, wobei es spontane Vorstellungen etwa von Lekta gebe. Zu diesem Vorschlag muß zunächst be17 A u c h L o n g / S e d l e y , 1987, B d . 2 , S . 3 0 4 ( z u 51 F ) , z w e i f e l n der

Verläßlichkeit

von

Proclus'

Bericht;

vgl.

auch

s c h w i g , 1988, S.29; s . j e d o c h N u c h e l m a n s , 1973, S.54. 18 S. D . L . V I I 61.

an

Brun-

24

Die Identität d e s L e k t o n s

merkt werden, daß von Spontaneität im eigentlichen Sinn (nach dem der Ursprung der Vorstellungen nur im Vorstellenden selbst liegt) in unserem Passus nicht die Rede ist. Das Vergleichsmoment in der Beziehung der nicht körperlich verursachten Bewegung auf die nicht körperlich verursachte Vorstellung ist vielmehr die Nachahmung, die beide ermöglicht und die Existenz und "Wahrnehmung" des Nachzuahmenden voraussetzt. Im weiteren ist natürlich die Behauptung, daß Vorstellungen Produkte geistiger Tätigkeit sein können, zu unterscheiden von der Aussage, daß Lekta derartige Produkte sind; sie werden hier vielmehr als Gegenstände von Vorstellungen zugrundegelegt. Die These: "... the lekton ... is nothing but a spontaneous product of thought" (ebd., S.55) entspricht dieser Unterscheidung, die zunächst anerkannt scheint (ebd., S.S4), nicht.19 Als Beweismittel gegen eine nicht-mentalistische Deutung 20 des Lektons wird gelegentlich eine Bemerkung bei Sextus angeführt (A.M. VIII 80), der zufolge das Lekton deshalb 21

seinen Namen trägt, weil es gesagt werden muß. Demgegenüber ist es allerdings wahrscheinlicher, daß Sextus hier sein Argument auf selbstgesetzte Voraussetzungen gründet. Die Form "λεκτόν" jedenfalls muß nicht besagen, daß ein Lekton etwas "Gesagtes" ist oder daß etwas, um ein Lekton sein zu können, gesagt werden muß. Die gegenteilige Behauptung stützt sich lediglich auf den Umstand, daß 19 V e r f e h l t i s t in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g

auch der Bezug

d i e μετάβασι,ς, d u r c h d i e n e u e V o r s t e l l u n g e n den:

Die

μετάβασις

ist,

wie

wir

im

gebildet

einzelnen

noch

auf

wUi— sehen

w e r d e n , nicht f U r d a s E r f a s s e n einzelner Lekta, s o n d e r n f U r das

Verständnis

dessen,

was

Lekta

Uberhaupt

s t ä n d i g " ( D . L . V I I 5 3 ) ; s c h l i e ß l i c h s i n d in u n s e r e m

sind,

"zu-

Abschnitt

L e k t a nicht i n s o f e r n G e g e n s t a n d d e r U n t e r s u c h u n g , als

sie

f ü r j e m a n d e n n e u s e i n k ö n n e n , s o n d e r n i n s o f e r n s i e Ubei— haupt a u f einen E m p f ä n g e r t r e f f e n . 20 V g l . N u c h e l m a n s , 1973, S.86; G r a e s e r , 1978 a, S.89; d a g e g e n d i e K n e a l e s , 1962, S.t56; L ö b l . 1986, S.95. 21 " π α ν τε λ ε κ τ ό ν ΧέγεσΦαι. 5εΓ, δ·9·εν κα£ τ α ύ τ η ς ετυχε της π ρ ο σ η γορίας κ τ λ . "

Die mental istische I n t e r p r e t a t i o n des L e k t o n s

"λεκτόν" von "λέγεσ&αι" abzuleiten ist, der jedoch auch ein Verständnis als "Sagbares" ermöglicht; sie ist ein erforderliches Moment für den bei Sextus folgenden Beweisgang mit dem Ziel, die Nicht-Existenz von Lekta zu erweisen: Sextus identifiziert hier, offensichtlich unzulässig, das Lekton mit der φωνή (A.M. VIII 80 ff.), und dies kann nur mittels der erwähnten Herleitung und der Vernachlässigung der stoischen Unterscheidung von "λέγειν" und "προφέρειν" (D.L. VII 57) geschehen. 22 Als eine stoische Definition von "λέγειν" bietet Sextus an: " λ έ γ ε ι ν ... έστι ... το την τ ο υ ν ο ο υ μ έ ν ο υ π ρ ά γ μ α τ ο ς

σημαντικήν

προφέρεσ-θαι φ ω ν ή ν κ τ λ . "

Diese Definition aber kann korrekt sein, ohne eine Identität der Gegenstände von λέγειν und προφέρεσ&οα zu implizieren. 24 22 A n d e r n o r t s drucke

und

(A.M.

I 76-78)

νοητά

als

stände der Grammatik mung

freilich

dem

stellt

Sextus

Bedeutungen

λεκτά

als

Aus-

als

Gegen-

gegenüber; er ordnet diese

Bestim-

alexandrlnischen

einander

Grammatiker

Chairis

zu. 23 " S a g e n i s t ... d a s A u s d r ü c k e n d e s L a u t e s , d e r d a s

gedachte

πραγμα bedeutet." ( A . M . VIII 80) 24 S. h i e r z u F D S 7 0 8 B ; E g l i , 1967. S.27 f . E g l i s i e h t h i e r e i n e G l e i c h s e t z u n g von "λέγειν" u n d "προφέρειν" u n d n i m m t daß es sich bei A . M . VIII 8 0 - 8 4 e b e n s o w i e bei d e r

an,

Parallel-

s t e l l e d e s s e l b e n B u c h e s (130-136) u m e i n e a r g u m e n t a t i o

ad

h o m i n e m (Basilides) handelt. Die Definition von "λέγειν" an unserer Stelle jedoch wird den Stoikern schlechthin

zuge-

s p r o c h e n , u n d v o n B a s i l i d e s w i r d Ja n i c h t e t w a b e r i c h t e t , e r habe körperliche Lekta angenommen, habe

die

Existenz

von

Lekta

sondern es

bestritten.

(A.M.

heißt,

er

VIII

258).

W e i t e r ist d a r a u f h i n z u w e i s e n , daß im Z u s a m m e n h a n g

einer

a n d e r e n S t e l l e , an d e r d i e s e s A r g u m e n t v o r g e b r a c h t w i r d (s. Р - Н . II 107 f f . ) , d i e E p i k u r e e r a l s G e g n e r d e r

Lektontheorle

n a m h a f t g e m a c h t w e r d e n . E s i s t a b e r u n w a h r s c h e in 1 ich, d a ß darauf gegen

ein die

Argument

folgen

Lektontheorle

Bedeutungslehre

richten

der

könnte, Stoiker,

wUrde,

wie

das

sich

sondern sie

von

gar

nicht

gegen den

eine

Epiku-

reern s e l b s t und von Basilides vertreten w o r d e n sein mag.

26

Die I d e n t i t ä t d e s L e k t o n s

Mit der Übersetzung von "λεκτόν" als "Gesagtes" stellte sich die schwerlich beantwortbare Frage, warum die Stoiker die Bedeutungshaftigkeit davon abhängig machen sollten, daß etwas gesagt wird; sie erkannten ja diese Eigenschaft auch dem Denken zu (vgl. z.B. A.M. VIII 70). Weiter wäre zu erwägen, ob der geforderten Übersetzung nicht eher das eindeutige "λεγόμενα" entspräche. Wenn wir schließlich berücksichtigen, daß verschiedene vollständige Lekta als πράγματα identifiziert werden, mit denen bestimmte Sprachfunktionen (Befehlen, Fragen usw.) ausgeführt werden, wenn sie ausgesprochen werden (D.L. VII 65 ff.), so wird klar, daß es nicht in der Bedeutung von "πραγμα" liegt, ausgesprochen zu werden. Die Stoiker hätten andernfalls z.B. die umstandslose Formulierung wählen können, daß mit einem bestimmten πραγμα gezweifelt werde. Ebensowenig können verwandte Einwände gegen eine nicht-mental istische Interpretation überzeugen, die sich auf die Herleitung von "αξίωμα" (D.L. VII 65 ) stützen, nach der es wiedergegeben werden könne als "what is claimed (to be true)". 5 Die so charakterisierten Entitäten aber, so wird das Argument fortgeführt, können nicht unabhängig existieren. Da das Axioma eben eine Art des Lektons ist, dürfen wir, wenn denn unser Verständnis des Terminus "Lekton" korrekt ist, auch die Eigenschaft, gesagt werden zu können, auf das Axioma übertragen, das demnach etwas ist, was - spezifischer - behauptet werden kann, und diese Qualifikation ("άποφαυτόν") ist ja auch Bestandteil von bei D.L. (ebd.) angeführten Definitionen des Axiomas. Zu den ersten modernen Verfechtern einer mental istischen Lesart zählt R.Schmidt (1839, S.20 f.), 26 der ebenfalls das stoische πραγμα als "cogitatum" verstanden wissen will. Mit den von ihm herangezogenen Texten scheint dieses Vorhaben schwerlich durchführbar: D.L. VII 57 bietet keinen Anhalt für eine mentalistische Interpretation; der Bezug auf Varro (L.L. VI 56 = FDS 512) ist in mehrfacher Hinsicht kritik25 V g l . hierzu u n d z u m F o l g e n d e n G r a e s e r , 1978 a, S.97. 26 V g l . die k r i t i s c h e n B e m e r k u n g e n v o n B a r n e s , 1986, S.144.

Die mentallstische Interpretation des Lektons

27

würdig: Nachdem Varro eine Unterscheidung Chrysipps von "fari" und "loqui" (dieses ist nur dem im Besitz seines entwickelten Logos befindlichen Menschen möglich) wiedergegeben hat, kommentiert er: " D e r j e n i g e a l s o redet, d e r jedes W o r t b e w u B t an seinen O r t setzt, und e r hat sich dann g e ä u ß e r t , w e n n e r das, w a s

er

im S i n n h a t t e , d u r c h R e d e n h e r v o r g e b r a c h t h a t . "

Mit dieser Auskunft freilich ist über den Status der Lekta nichts ausgemacht: Ganz abgesehen davon, daß es sich, wie bemerkt, um einen Kommentar des Varro handelt, ist erstens zu bedenken, daß das, was der Sprecher hier "im Sinn" hat, nicht als "Lekton" qualifiziert wird; zweitens ist es natürlich möglich, daß das Lekton gedacht wird, ohne jedoch gedacht werden zu müssen, um zu sein, was es ist. Wenn daher für Schmidt die Stoiker die Sprache wesentlich als Mittel verstehen, "...einen bestimmten Gedanken auszudrücken" (ebd., S.20), konzentriert er sich zu sehr auf θα den "psychophysiologischen" Aspekt, den die Sprache auch hat, vernachlässigt jedoch ganz die Verständigungsfunktion der Sprache, deren Erfordernisse dem Anschein nach bereits 29

von Aristoteles gesehen wurden (De Int. 1). Die hier vorgebrachten Einwände werden nicht dadurch widerlegt, daß, wie gesehen, "λέγειν" mit Bezug auf das "νοούμενου πραγμα" definiert wird. Es wird damit vielmehr deut-

27 " i s l o q u i t u r , q u i s u o l o c o q u o d q u e v e r b u m s c i e n s p o n i t , e t is t u m p r o l o c u t u s , q u o m in a n i m o q u o d h a b u l t e x t u l i t

to-

que ndo." 28 S o B a r n e s , 1986, S.144. 29 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g sion

(1985, S.74) d e s

sei auch auf I n w o o d s

Diskus-

P a s s u s bei V a r r o verwiesen.

interpretiert die R e d e g a b e , die - " n o t b a c k e d u p by

Inwood Lekta"

- v e r n u n f t l o s e n Tieren eignen kann, dahingehend, daß e r s t d e r M e n s c h i m V o l l b e s i t z s e i n e s L o g o s L e k t a bilden

kann

(meine H e r v o r h e b u n g ) . U n s e r e T e x t e e r f o r d e r n j e d o c h nicht m e h r , a l s d a ß d e r L o g o s d a z u in d i e L a g e v e r s e t z t , m i t d e r Sprache B e d e u t u n g zu

verbinden.

28

Die Identität des L e k t o n s

lieh, daß "πραγμα" für sich genommen nicht den Gedanken bezeichnet; für das Lekton ergibt sich nicht mehr, als daß es der Inhalt von solchem Sprechen, bei dem die Beziehung zu einer Bedeutung konstituiert wird, werden kann. In dieser Weise lassen sich auch Ausführungen bei Galen (De plac. Hippocr. et Plat. II 5,6—24 = FDS 450) interpretieren, der Argumente verschiedener Stoiker zugunsten der These präsentiert, daß die Stimme nicht vom Gehirn, sondern von der Gegend des Herzens ausgehe. Nach Diogenes von Babylon gilt demnach: " F e r n e r ist es aber auch wahrscheinlich, daß die Rede als eine s o l c h e ausgesandt wird, die von den B e g r i f f e n im D e n k v e r m ö g e n m i t Bedeutung v e r s e h e n und die w i e von V o r s t e l l u n g e n geprägt ist."

Chrysipp soll behauptet haben: " E s i s t a b e r w a h r s c h e i n l i c h , daß das d e r herrschende S e e l e n t e i l i s t , w o d i e in d e r R e d e e n t h a l t e n e n B e d e u t u n g e n a u f g e n o m m e n w e r d e n und w o die R e d e ihren U r s p r u n g hat."30

Die hier zitierten Stellen tragen nichts f ü r eine mentalistische Interpretation der stoischen Bedeutungslehre aus. Gegenstand der Darstellung ist, was es uns ermöglicht, bedeutungsvoll zu reden und bedeutungsvolle Rede zu ver-

30

D i o g e n e s v o n B a b y l o n : " κ α ί ά λ λ ω ς δέ πι-θ-ανόν υπό τ ω ν ε ν ν ο ι ώ ν έ ν σ ε σ η μ α σ μ έ ν ο ν τ ω ν έ ν ττί διανοίςρ κ α ι ο ί ο ν έ κ τ ε τ υ π ω μ ε ν ο ν έκπέμπεσθ-αι τ ο ν Χ ό γ ο ν κ τ λ . " ; C h r y s i p p : " ε ΰ λ ο γ ο ν δέ είς ο γ ί γ ν ο ν τ α ι . οΤς" in d i e s e m P a s s u s ( S t o b a e u s II, 9 7 , 2 2 - 9 8 , 6 = L / S 33 J): " P r e d i c a t e s

are 'correlates'

of

things,

seems, of describing their subsistence."

another

way,

it

72

Unvollständige Lekta und "Fälle"

ta. Indem sie neben ihrem Konzept der Handlungen aJs ασώματα gleichzeitig ein Konzept von Handlungen als materiellen Gegenständen vertreten, werden diese von der "propositionalen Sphäre" abgerückt. Auch wenn uns heute eine Gleichsetzung von "Peters Laufen" mit "der laufende Peter" als eine Kategorienverwechslung erscheinen muß, so nähert sich doch die stoische Konzeption durch die unmittelbare Bezugnahme auf einen Körper der korrekten Sichtweise; so können wir dem laufenden Peter dieselben Raum-Zeit-Koordinaten zuordnen wie seiner Handlung, während ein Sachverhalt kein räumliches Gebilde ist. Eine tiefergehende Durchdringung der Sachlage mag den Stoikern durch die verbreitete Ansicht verwehrt gewesen sein, etwas Körperliches bestehe stets im Raum und alles, was Raum einnehme, sei körperlich. Dieser Umkehrschluß aber gilt nur für Gegenstände, die als solche zu jedem Zeitpunkt ihres Bestehens einen bestimmten Raum einnehmen. Was die spezifische Lokalisierung der Handlung anbelangt (die den Bezug auf das Ganze dennoch nicht ausschließt, da das Hegemonikon ja eine dieses bestimmende Funktion ausübt), so dürfen wir mit Blick auf den herangezogenen Passus vermuten, daß folgende Fragestellung zugrundezulegen ist: Welche Rechtfertigung hat die Konzeption eines solchen "principale" angesichts der Verschiedenartigkeit der Organe, durch die Handlungen ausgeführt werden? Inwieweit kann der "führende Seelenteil", der doch auch bei dem Entschluß, spazierenzugehen, wirksam sein soll, wirklich führend sein, wenn Gehen doch eine Aktivität der Beine ist? Nach der Konzeption des Cleanthes ist diese Redeweise deshalb gerechtfertigt, weil das Hegemonikon gewissermaßen der Quellgrund ist, von dem ein Pneuma ausgesandt wird, das in den Beinen selbst die Bewegung verursacht. Chrysipps Ablehnung dieser These gründet sich wohl auf die Annahme einer stärkeren Verbindung von Hegemonikon und Handlung, wonach etwa die Versetzung des Hegemonikons in einen bestimmten Zustand identisch ist mit der entsprechenden Bewegung, deren Ende wiederum durch das Hegemonikon, nun in einem anderen Zustand, bestimmt ist.—

Die proposltlonale Interpretation des Eigennamens

73

Weder Teil eines Sachverhalts noch eine Handlung ist das Prädikat als σημαινόμενου, das jemandem zukommt (wenn wir denn diese bei Stobaeus - I, 106,5-23 = FDS 808 - Uberlieferte Redeweise den Stoikern zuschreiben dürfen); wenn es heißt, daß jemandem "das Spazierengehen" zukommt, besagt dies, daß er unter den Begriff eines Menschen fällt, der spazierengeht. Auf diese Bedeutung läßt sich natürlich auch das κατηγόρημα als Bestandteil von Sachverhalten reduzieren; "γράφει" soll anzeigen, daß jemandem das "γράφειν" zukommt.

II a) Die propositionale Interpretation des Eigennamens Eine der Interpretationen, nach denen auch unvollständige Lekta wahrheitsfähig sind, nimmt für sich in Anspruch, eine der besonders schwierigen Passagen zur Lektontheorie klären 29

zu können. In seiner Präsentation des stoischen Lektons als Wahrheitswert-Trägers (A.M. VIII 11 f.) scheint Sextus als Beispiel für etwas, von dem es ein Lekton gibt, "Dion" anzusehen. Es ist schwer zu sehen, inwieweit hier Wahrheitsfähigkeit gegeben sein soll. Folgende Deutungsmöglichkeiten bieten sich unmittelbar an: 1) Auch Eigennamen sind unvollständige Lekta. Sextus (oder seine Quelle) ist nicht daran interessiert, ein Beispiel für ein wahrheitsfähiges Lekton zu geben, sondern es soll verdeutlicht werden, was überhaupt ein Lekton ist; zu diesem Zweck wird ja auch das "Dreigespann" der stoischen Sprachtheorie herangezogen. 2) Die Berichterstattung ist irreführend; die Unterscheidung ist wohl eher für einen Satz wie "Dion geht spazieren" getroffen worden, wie es auch durch einen Passus bei Seneca (Epist. 117,13 = FDS 892) nahegelegt wird. 30 3) Die Nennung von "Dion" ist zu verstehen als Kürzel für eine

29 V g l . D e t e l . 1980, S.284 f . 30 V g l . ζ . B. F r e d e , 1977, S.6S; s. a u c h S a n d b a c h . 197S, S.96.

74

Unvollständige Lekta und "Fälle"

Aussage oder für ein sprachliches Gebilde, das einen proOj

positionalen Anspruch impliziert. Die zweite Möglichkeit scheint deshalb problematisch, weil Sextus an anderer Stelle wiederum schlicht "Dion" als Beispiel für ein Lekton nennt (A.M. VIII 75). Um die Plausibilität der unter 3) skizzierten Annahme zu erweisen, sind einige Passagen aus Piatons "Kratylos" (385 c—d, 431 a—b, 429 e) geltend gemacht worden, in denen die Äquivalenz der Äußerung eines Eigennamens mit der einer Aussage vorausgesetzt sein soll. "Dion" soll demnach als Anrede verstanden werden, "die einen Identitätssatz der Form 'Dieser Mensch (oder Gegenstand) ist Dion' impliziert bzw. die 32

elliptische Form eines solchen Identitätssatzes darstellt." Zur Berufung auf Piaton nun läßt sich folgendes feststellen: An der erstgenannten Stelle ist tatsächlich explizit von "wahren" bzw. "falschen" Namen die Rede, doch der präzise Sinn dieser Worte ist hier nicht leicht auszumachen. Bekanntlich geht es im "Kratylos" ja über sehr weite Strecken schlicht um die "Angemessenheit" oder "Richtigkeit" von Namen, und so kommt bereits P.Shorey (1933, S.567) in einer Anmerkung zu unserer Stelle zu dem Ergebnis: '"True' obviously here means 'right'." Man wird jedoch nicht sagen können, daß Piaton im zur Diskussion stehenden Passus diese Begriffe mit der wünschenswerten Klarheit unterschieden hätte. Dies fällt besonders auf, wenn es heißt: "ό λόγος δ' εστίν ό αληθής πότερον μεν δλος άληθ-ής, τά μόρια δ' αύτου ουκ αληθη;"33 Mit der hier suggerierten Antwort scheint die "Wahrheit" der Teile des Logos der des Logos gleichzeitig angenähert und doch von ihr unterschieden zu werden; analog geschieht es in den Ausführungen zur Falschheit (385 cl4). Zum einen soll zur Wahrheit eines Logos die Wahrheit seiner Teile vorausgesetzt sein, zum 31 V g l . L o n g . 1971, S.77, lOS; S.107, A n m . l l ; D e t e l , 1980, S.284. 32 V g l . D e t e l . 1980, S.284. 33 " I s t e s n u n a b e r z w a r m ö g l i c h , daß d e r w a h r e L o g o s a l s g a n z e r w a h r ist, seine T e i l e a b e r nicht w a h r sind?" (38S cl-2)

Die propositionale Interpretation des Eigennamens

75

anderen sind diese eben nur Teile des Logos, von dem es zunächst heißt, es sei wahrheitsfähig (385 b5). Da jedoch von dem wahren Logos gesagt wird, er sei derjenige, "8ς αν τα δντα λέγη ως εστίν" (385 b7), dürfte Piaton wohl auch hier nicht der Ansicht gewesen sein, dies sei überhaupt für Teile des Logos möglich, nämlich vom Seienden zu sagen, daß es ist (oder es so zu sagen, wie es ist). Ansonsten müßte jeder Logos aus Logoi bestehen, und wir gerieten in einen infiniten Regreß. Wir sollten daher auch an dieser Stelle als die "Wahrheit" eines Logos-Teils, und im besonderen des Namens, seine "Richtigkeit" ("όρθότης") ansehen, d.h. seine Verbindung mit dem Gegenstand, auf den er, sei es durch Naturbestimmung oder durch Herkommen, bezogen ist. Auch in dieser Interpretation allerdings ist die von Piaton geltend gemachte Beziehung eines w/f Logos zu seinen Teilen nicht gegeben; mit der Anerkennung der Falschheit des Satzes "Aristoteles ist kein guter Philosoph" etwa setzen wir nicht die "Unangemessenheit" des Namens "Aristoteles" voraus, und Elemente wahrer Logoi können Elemente falscher Logoi sein. Es ist nun korrekt, daß mit dem richtigen Gebrauch eines Namens unserer Stelle zufolge eine richtige Identifikation impliziert ist, doch es ist wohl zuviel mit der Behauptung gefordert, daß hier "das Aussprechen einzelner Namen (ονόματα) als wahr oder falsch gekennzeichnet wird" 3 4 ; ein Aussprechen wird gar nicht Gegenstand der Diskussion. Überdies gilt es, den Umstand zu berücksichtigen, daß die fragwürdige Qualifikation einzelner Satzteile wesentlich für Sokrates' Argumentationsziel ist: Hermogenes als Verfechter der Konventionalitätsthese soll dahin geführt werden, die Existenz "falscher" Namen zuzugestehen, und somit in einen Widerspruch zu seiner Grundannahme geraten. Auch für die zweite zitierte Stelle (431 a—b) gilt, daß hier nicht eigentlich die Wahrheit oder Falschheit von ονόματα diskutiert wird, sondern die der "Zuteilung" ("διανομή") "von Namen, die diese Eigenschaft vor der Zuordnung von "Bildern" im gewöhnlichen Sinn, die nur "richtig" ist, voraus hat 34 V g l . D e t e l , 1980, S.285, A n m . 3 3 .

76

Unvollständige Lekta und "Fälle"

(s. 430 d). Aus der Beschreibung des wahren und falschen Benennens geht nicht hervor, daß dabei schlicht gegenüber jemandem z.B. das Wort "Mann" bzw. "Frau" geäußert würde, sondern der Benennungsvorgang wird lediglich durch die Bedingung gekennzeichnet, daß aus ihm hervorgehen muß, welcher Name dem zu Benennenden zugeteilt wird: Nur so gewinnt die Auskunft Sinn, daß der Namensnennung die Ankündigung "Dies ist dein Name" vorausgeht (431 al). Auch mit dem, an dritter Stelle zitierten, an Kratylos gerichteten Gruß "χοαρε, ω ... Έρμόγενες" (429 еЗ—4) liegt, wie offensichtlich ist, kein Fall vor, in dem die bloße Nennung eines Eigennamens sich als wahrheitsfähig erweisen könn35

te, und in der impliziten Bewertung des Falls durch Sokrates ist wiederum nicht mehr impliziert, als daß — hier nach dem Maßstab der Konvention — ein unpassender Name gebraucht ist. Eine Berufung auf Piaton zum bezeichneten Zweck ist, wie sich gezeigt hat, mit einigen Schwierigkeiten belastet. Eine Schwierigkeit ganz allgemeiner Art, die sich der Herstellung der angenommenen Beziehung widersetzt, besteht damit, daß auch die Stoiker, die ja ausführliche etymologische Studien betrieben (s. FDS 650-680), zu der Ansicht gelangten, es gebe eine Richtigkeit von Namen, und diese dennoch nicht — nach unserem Wissen — als "wahr" oder "falsch" qualifizierten. Wir müssen uns, nachdem dieses Ergebnis erreicht ist, die Frage vorlegen, ob nicht — unabhängig von möglichen Vorgängern — eine "propositionale Interpretation" des Eigennamens von den Stoikern vertreten worden sein könnte. Zuvor ist zu bemerken, daß uns der Wortlaut der zu betrachtenden Passage (A.M. VIII 11 f.) nicht3b zur Annahme zwingt, der Eigenname könne für sich genommen einen Bezug zu Wahrheitsfähigkeit haben: Es findet sich dort keine direkte Auszeichnung des σημαινόμενον als wahrheitswertdefinit.

35 E s i s t h i e r a u c h z u b e r ü c k s i c h t i g e n , d a ß d i e S t o i k e r von w / f Vokativen sprachen. 36 V g l . d a g e g e n D e t e l . 1980, S . 2 8 4 , A n m . 1 2 .

nicht

Die propositionale I n t e r p r e t a t i o n des Eigennamens

77

Es gibt im weiteren systematische Gründe, die die Ablehnung einer "propositionalen Interpretation" des stoischen Eigennamens notwendig machen. Wir sahen bereits, daß der Eigenname dieser Interpretation gemäß die elliptische Form eines Identitätssatzes darstellt. Diese Annahme aber führt bereits zu Schwierigkeiten, wenn wir berücksichtigen, daß in unserem Beispiel der Mensch Dion als das in der Wirklichkeit Zugrundeliegende, das "τυγχάνον", bestimmt ist. Es ist nun schwer zu sehen, warum das τυγχάνον des oben zitierten Satzes "Dieser Mensch ist Dion" nicht ein Mensch sein soll, der nicht mit Dion identisch sein muß, da ja, wenn der Eigenname als die charakterisierte elliptische Form wahrheitsfähig ist, er auch falsch sein kann. Mit einem weiteren Einwand können wir darauf verweisen, daß den Stoikern offensichtlich an einer möglichst umfassenden und möglichst spezifischen Einteilung und Abgrenzung von Lekta gelegen war, so daß es unerklärlich wäre, wenn sie einen semantisch so bemerkenswerten Fall wie den der "propositionalen Interpretation" des Eigennamens nicht in den sprachtheoretischen Untersuchungen angeführt hätten, die auf uns gekommen sind. Ganz im Gegensatz zu dem, was nach dieser Interpretation erwartbar wäre, zeigt sich dort, daß selbst Gebilden, denen man wohl eher einen propositionalen Status zubilligen würde als den Eigennamen, die Zuschreibung von Wahrheitsfähigkeit versagt bleibt, wie im Fall des δμοιον άξιώματι, für das als Beispiel genannt wird (D.L. VII 67): "Wie 37

gleicht der Hirt den Priamossöhnen!" In keiner unserer Quellen findet sich ein Hinweis darauf, daß etwas anderes als ein Axioma (abgesehen von den Vorstellungen) oder etwas, in dem ein Axioma "versteckt" ist, wahrheitsfähig wäre. Das Axioma wird u.a. mit Hinweis auf

37 Hier ist die Unterscheidung von Frege, "Der Gedanke", S.3S, schlagend: Anders als bei A u s s a g e s ä t z e n gibt es fUr Sätze vom Typ unseres Beispielsatzes keine entsprechende Frage, auf die sie A n t w o r t e n sein könnten.

78

Unvollständige Lekta und "Fälle"

seine Vollständigkeit und seine Wahrheitsfähigkeit bestimmt. Keiner der Bedingungen kann der Eigenname als Ellipse einer Identitätsaussage genügen. Die Interpretation, die dies fordert und ihre Ablehnung der orthodoxen Deutung auch dadurch begründet, ist daher abzulehnen. Sie versucht, "das Problem des Eigennamens" zu lösen, indem sie es mit der Begründung verwandelt, die σημαινόμενα seien als "Äußerungen (einer bestimmten Person an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit)" aufzufassen. 30 Doch die σημαινόμενα sind gerade nicht "Äußerungen", und den Stoikern war nicht primär die Einordnung einzelner Sprechakte wichtig, sondern eine allgemeine Kategorisierung grammatischer und semantischer Phänomene. So bleibt denn auch für die diskutierte Auslegung die Frage unlösbar, inwiefern die Stoiker Eigennamen als Bezeichnungen von Qualitäten auffassen konnten 39 und wie dies mit einer "propositionalen Lesart" zusammenstimmen soll; das gleiche gilt mit Blick auf allgemeine Termini, die sich darüber hinaus nicht einem Verfahren unterziehen lassen, das sie zu elliptischen Identitätssätzen machen würde: Sie erscheinen nicht in den Benennungszusammenhängen, in denen Eigennamen erscheinen können. Was den Status von "Fällen" ("πτώσεις") anbelangt, so dürfen wir nun feststellen, daß sich die Annahme und Ausweitung auch des oben unter 3) genannten Interpretationsmodus verbietet. Es soll nunmehr versucht werden, im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung zu den stoischen πτώσεις auch zu einer Bewertung der verbleibenden Interpretationsalternative 1) zu gelangen.

38 S. D e t e l , 1980, S . 2 8 4 . 39 E i n e L ö s u n g w i r d v o n D e t e l , 1980, S . 2 8 S , m i t d e r tung

vorgeschlagen,

Eigennamen

Eigenschaften. Tatsächlich Eigenschaften.

jedoch

gälten

den

bezeichnen

Behaup-

Stoikern

als

Eigennamen

79

D i e I d e n t i t ä t d e s s t o i s c h e n " F a l l s " ("τττωσις")

b) Die Identität des stoischen Falls ("πτωσις") I Identität und Einordnung des stoischen "Kasus" gehören zu den besonders kontroversen Gegenständen der insgesamt kontroversen Auslegung der stoischen Lektontheorie. Der Mangel an eindeutigen Zeugnissen zur Terminologie ist daf ü r ebenso verantwortlich wie die Undeutlichkeit in Gehalt oder Verwendung mancher Beispiele. Wir wollen uns im folgenden der Frage zuwenden, was die πτώσις f ü r die Stoiker ist, insbesondere, ob sie als ein unvollständiges Lekton aufgefaßt werden kann, wie viele Kommentatoren angenommen h a b e n 4 0 . Daß die Zuordnung zum Bedeutungsbereich schon in der Antike nicht unumstritten war, lehrt ein Scholion zu einem Passus bei Dionysius Thrax (Scholia in Dionys. Thr. p. 230,34—36 = FDS 773), in dem der Scholiast ausdrücklich darauf hinweist, daß die fünf Fälle nicht den φωναί, sondern den σημαινόμενα zuzurechnen seien. Die Stelle gibt überdies Anlaß, auf einen weiteren kontroversen Gegenstand in der antiken Diskussion um die Fälle einzugehen: Während die Stoiker auch den Nominativ als einen Fall anerkannten und insgesamt fünf Fälle annahmen, verweigerten die Peripatetiker ihm diesen Status 4 1 : Ihrer Ansicht nach ist der Nominativ die Form, von der alle anderen abgeleitet sind; einzig bei diesen handele es sich daher um Fälle. Bei unserem heutigen Gebrauch des Wortes, mit dem wir auch den Nominativ bezeichnen, denken wir wohl selten darüber nach, was dabei worauf fallen (oder gefallen sein) mag. Für die Stoiker jedoch wird folgende Erklärung berich-

4 0 S. z . B . M a t e s , 1953, S.16 f . , 19 f., 24; "W. u n d M . K n e a l e . 1962, S.144, 149; W a t s o n ,

1966, S . 4 7 f . ; E g l i ,

1967, S.31;

Graeser,

1978 a. S.91; K e r f e r d , 1978, S.260 ( i m p l i z i t ) ; B a l d a s s a r r i , 198S, S.74, 82. 41 S. z . B .

Simplicius,

A m m o n l u s , In Arist.

In Arlst. De

S t e p h a n u s A l e x . , In Arist. 777.

Categ.

interpr. De

p . 37,7-18 = F D S

p. 4 2 , 3 0 - 4 3 , 2 4 = F D S interpr.

p . 10,20-11,S =

775; 776; FDS

во

Unvollständige Lekta und "Fälle"

tet, die den Einschluß des Nominativs begründen soll: Der Fall ist ein Fall, weil er "vom Gedanken in der Seele" herabgefallen ist. 42 Wenn wir das "νόημα Σωκράτους" äußern wollen, sprechen wir den Eigennamen "Sokrates" aus. Es ist offenkundig, daß wir diese Erklärung nicht ernstnehmen können. Sie setzt eine Beschränkung der Verwendung von "πτώσις" auf Geäußertes voraus, die für die Stoiker nicht nachweisbar ist. Es kommt hinzu, daß eine Begründung dieser Art für alle sprachlichen Ausdrücke geltend gemacht werden könnte, die zuvor "in unserer Seele" waren.43 Es könnte daher als aussichtsreicher erscheinen, sich in einer Untersuchung des stoischen Begriffs von "Fall" nicht so sehr auf die Frage, woher, als vielmehr, wohin etwas "fällt", zu konzentrieren. Eine Annahme, die hier diskutiert werden soll, ist: auf Dinge. Daß sie jedenfalls nicht gänzlich außerhalb des Horizonts antiker Betrachtungsweise liegt, wird deutlich, wenn wir Zeugnisse betrachten (Scholia in Dionys. Thr. p. 546,5-14 = FDS 780; op. cit. p. 383,5-24 = FDS 783; op. cit. p. 550,25—28 = FDS 784; op. cit. p. 548,27-30 = FDS 785), die uns Auskunft über die "Fall-Deutung" der stoisch beeinflußten Grammatiker Apollonius und Herodian geben: Demnach hielten sie u.a. den Nominativ für einen Fall, "weil er auf die Körper fällt" (FDS 784). Was überhaupt läßt die "πτώσις" als einen Begriff erscheinen, der für die Rekonstruktion der stoischen Bedeutungslehre interessant sein könnte? Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß — anders als unsere bisherige Redeweise vermuten lassen könnte — den uns überkommenen Texten zufolge die stoischen Kasus nicht schlicht das sind, was unserem Nominativ, Genetiv etc. entspräche — es wird niemals einfach von dem Kasus eines Wortes gesprochen. Plausibler

42 S. z . B . A m m o n i u s , In Arist.

De interpr.

p. 42,30-43,24 = F D S

776. 43 D i e s e s A r g u m e n t w u r d e auch v o n d e n P e r l p a t e t i k e m g e b r a c h t ; s . F D S 776 (= A m m o n i u s , In Arist.

De

interpr.

vorp.

4 2 , 3 0 - 4 3 , 2 4 ) . D i e E r k l ä r u n g w i r d v o n B r u n s c h w i g , 1984, S.6, akzeptiert.

Die I d e n t i t ä t des s t o i s c h e n " F a l l s " ("πτωοις ")

81

scheint dagegen die Annahme, daß es sich bei den stoischen Fällen um Nomina handeln könnte, die jeweils im Nominativ oder Genetiv etc. s t e h e n . 4 4 Mit dieser Ansicht bliebe der πτωσις ein besonderer Platz innerhalb einer Bedeutungstheorie verwehrt, da die Stoiker für das Bezeichnende auch über andere begriffliche Kategorisierungen, "δνομα" und "προσηγορία", verfügen: Als ονομα bzw. προσηγορία bezeichnet es jeweils eine individuelle bzw. eine allgemeine Qualität (D.L. VII 58): So sind dieser Interpretation gemäß die für eine Semantik der Nomina interessanten Entitäten die individuelle bzw. die allgemeine Qualität, insofern sie durch Kasus eines Eigennamens oder eines allgemeinen Terminus bezeichnet 45

werden. Entgegen dieser Interpretation nun lassen sich eine ganze Reihe von Argumenten zugunsten der These vorbringen, daß die πτοισεις selbst als "σημαινόμενα" (im Sinn von "Referenzgegenständen") von den Stoikern angesehen wurden. So wird in einem Verzeichnis der Schriften Chrysipps, das uns durch D.L. überliefert ist, ein Werk mit dem Titel "περί των πέντε πτώσεων" in der Abteilung genannt (VII 192), die überschrieben ist "λογικού τόπου περι τα πράγματα" (190). "πραγμα" nun ist, wie wir gesehen haben, einer jener Termini, die von den Stoikern zur Bezeichnung der Wortbedeutung verwendet werden, 4 6 und wenn "πτώσις" schlicht einen Ausdruck in einem bestimmten Fall bezeichnete, wäre unver44

S. fUr diese Annahme Z e l l e r , 1923, S . 9 0 , Anm.2; jUngst L o n g / S e d l e y . 1987, Bd.l, S . 2 0 0 . 45 So s c h e i n t Ja auch in einigen F ä l l e n die Rede vom " F a l l " a u f den Ausdruck zu gehen; s. D.L. VII 5 8 ; P.H. II 227; A.M. VIII 8 4 ; vgl. auch L / S 33 M. E s i s t a l l e r d i n g s f r a g l i c h , inwieweit diese S t e l l e n fUr den s t o i s c h e n W o r t g e b r a u c h in Anspruch g e n o m m e n werden dUrfen. 4 6 S. z.B. D.L. VII 6 4 f f . ; A.M. VIII 11 f . - Daher wUrde hier wohl kaum die πτωοις a l s σημαίνον einen Platz finden, und wir dUrfen v i e l l e i c h t e h e r e r w a r t e n , da£ in d i e s e m W e r k auch darüber R e c h e n s c h a f t g e g e b e n wurde, in w e l c h e r W e i s e verschiedene nominale A u s d r ü c k e a u f die v e r s c h i e denen πτώσεις Bezug nehmen.

82

Unvollständige Lekta und "Fälle"

ständlich, wie hier überhaupt die Fünfzahl kanonisch werden konnte. In dem bereits angeführten Text zum Status der Fälle als σημαινόμενα (Scholia in Dionys. Thr. p. 230,34—36 = FDS 773)47 hat der Scholiast ein verwandtes Argument vorzuweisen: Wären die Fälle φωναι, könnte ihre Anzahl nicht durchgängig auf fünf beschränkt sein, da sich Beipiele angeben lassen, in denen es für ein δνομα mehrere Formen "in" — so würden wir sagen — einem Kasus gibt (z.B. gibt es für "'Ατρείδης" mehrere Genetiv formen). Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Stoiker in ihren Definitionen sprachlicher Gebilde stets den Bedeutungsbereich zugrunde legen. Wenn daher in der Definition des Kategoremas die Verbindung desselben mit einer ορθή πτωσις als notwendig (und hinreichend) "προς αξιώματος γένεση" (D.L. VII 64) qualifiziert wird, ist es wohl angemessen, auch die πτώσις nicht dem Bereich des Ausdrucks zuzuordnen. Mit diesem Ergebnis stehen wir vor der Frage, ob wir die πτοήσεις den Prädikaten auch insofern gleichordnen müssen, als diese unvollständige Lekta sind. Für eine solche Gleichstellung haben, wie erwähnt, nicht wenige Autoren plädiert. Sie haben allerdings nicht die Möglichkeit, sich unmittelbar auf Texte zu beziehen, die ihre These stützen könnten: In keiner uns erhaltenen Quelle ist der Fall als "unvollständiges Lekton" bezeichnet worden. Ein möglicher Begründungsweg mit dem beschriebenen Ziel kann in folgender Weise charakterisiert werden: Die stoischen 48

Fälle sind unkörperlich. Innerhalb des von den Stoikern als unkörperlich Anerkannten aber lassen sich die Fälle nur den Lekta zuordnen. Für eine Charakterisierung des Kasus als "unkörperlich" läßt sich lediglich eine Passage bei Clemens v.Alexandria anführen (Stromat. VIII 9, § 26,1-5 = FDS 763). Zum einen behauptet Clemens hier in der Auflösung eines bekannten 47 V g l . o b e n S.79. 4 8 V g l . z u r U n k ö r p e r l i c h k e i t v o n F ä l l e n G r a e s e r , 1978 a, S.91: " ' π τ ω σ ι ς ' Is d e f i n i t e l y c o n c e i v e d o f real".

as

something

incorpo-

Die I d e n t i t ä t d e s s t o i s c h e n " F a l l s " ("πτώσις")

83

Sophismas ("Du sagst 'Haus', also geht ein Haus durch deinen Mund."), daß das, was hier "gesagt" wird, die "άσώματον ουσα πτώσις" sei. Es spricht jedoch wenig dafür, 4 9 daß diese Kennzeichnung als stoisch anzusehen ist, denn wenn kurz zuvor als weitere Beispiele für Fälle "τέμυεσθαι" und "τό ναυν γίνεσθαι" genannt werden, ist eindeutig, daß "πτώσις" hier nicht in stoischem Sinn gebraucht wird, und es wird gleichzeitig deutlich, aus welchem Grund Clemens in diesem Zusammenhang auf Übereinstimmung in der Ansicht hinweist, die Fälle seien unkörperlich: Das, was er hier "Fall" nennt, ist auch nach stoischer Lehre unkörperlich. Für die angenommene Unkörperlichkeit der πτώσις von, z.B., "οικία" hingegen läßt sich ein anderer Grund geltend machen: Qualitäten wurden vielfach als unkörperlich betrachtet, und es ist eine plausible Annahme, daß πτώσεις mit Qualitäten in Verbindung zu bringen • л so sind. Es läßt sich darüber hinaus vielleicht auch ein Grund für die hier festgestellte Abweichung von den Stoikern in bezug darauf, wovon überhaupt Fälle angesetzt werden, angeben. Wir sahen bereits, daß die Grammatiker Apollonius und sein Sohn und Schüler Herodian einen offenbar neuen Weg zur Begründung der Ansicht beschritten, auch der Nominativ sei ein Fall. Neu war dieser Weg nun vielleicht nicht insofern, als von ihnen die Frage gestellt wurde, worauf der Fall falle; dazu jedenfalls finden sich keine kritischen Anmerkungen bei den Kommentatoren. Neu aber ist die Berufung auf ein "γενικόν ονομα", von dem der Fall herunterfalle (Ammonius, In Arist. De interpr., nota critica ad p. 43,19 = FDS 776; Scholia in Dionys. Thr. p. 546,3-14 = FDS 780; op. cit. p. 230,24-30 = FDS 781; op. cit. p. 231,20-27 = FDS 782; op. cit. p. 383,5-24 = FDS 783; op. cit. p. 550,25-28 = FDS 784). Bereits für die antiken Kommentatoren si war die Natur dieses Gattungsnamens

49 V g l . j e d o c h G r a e s e r , 1978 a, S.86. 50 V g l . a u c h F r e d e , 1977, S.63 f f . ; s. F D S 859 (= Simplicius, In Arist. Categ., p. 209,10-12) z u r A u s n a h m e s t e l l u n g der S t o i k e r in d e r A u f f a s s u n g v o n Q u a l i t ä t e n . 51 V g l . die Kritik d e s A m m o n i u s (s.o., F D S 776).

84

U n v o l l s t ä n d i g e Lekta und "Fälle"

dunkel. Möglicherweise handelt es sich um eine Weiterentwicklung platonischer Gedanken; das einzelne verdankt auch hier seine Aussagbarkeit einer "höheren Instanz". Unsere Texte sind auch nicht eindeutig in bezug auf die Frage, ob der skizzierte Begründungsansatz ausschließlich oder ob er auch für den Nominativ geltend gemacht wurde. Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist wohl, daß Apollonius und Herodian die obliquen Fälle als Fälle in derivativem Sinn betrachteten, da einerseits die Annahme eines je verschiedenen "Gattungsnamens" für die einzelnen Fälle nicht sehr plausibel erscheint (die Qualifikation als "γενικόν" wäre dann ganz unverständlich) und andererseits, wiederum einem Scholiasten zufolge, die beiden Grammatiker den Nominativ als Kasus im eigentlichen Sinn auffaßten (FDS 780 = Scholia in Dionys. Thr. p. 546,5-14). Ein gegen sie erhobener Vorwurf (FDS 776 = Ammonius, In Arist. De interpr. p. 42,30—43,24) besagt, daß sie kein für das Nomen spezifisches Merkmal angegeben hätten und es daher möglich sei, auch die Grundformen anderer Wortarten, etwa der Verben ("θέματα των ρημάτων"), als Fälle anzusehen. Apollonius und Herodian waren in etwa Zeitgenossen des Clemens, und beide stammten aus Alexandria, das nur Herodian für längere Zeit verließ. Ein alexandrinischer Gelehrter mit Clemens' Interessen war mit ihren Lehren sicherlich vertraut, und sein erweiterter Kasus-Begriff mag aus dem Versuch resultieren, ihre Annahme konsequent weiterzuführen (oder aus der Übernahme dieses Versuchs). Als eine für ihre These besonders gewichtige Passage wird von den Interpreten, die auch den Fall als unvollständiges Lekton verstehen wollen, gewöhnlich A.M. VIII 11 f. erwähnt: Hier könnte es ja so scheinen, als werde "Dion" als ein Fall genannt, für den es ein Lekton gibt. Die Sachlage ist jedoch komplizierter, da ja das Lekton hier im Zusammenhang einer Diskussion darüber Erwähnung findet, was wahrheitsfähig sein mag. "Dion" nun ist offensichtlich kein Beispiel für etwas, was w/f ist, und wir sahen im vorhergehenden (S.73 ff.), daß der nächstliegende Versuch, das W o r t zu einem solchen Gebilde zu machen, erfolglos bleiben muß.

D i e I d e n t i t ä t d e s s t o i s c h e n " F a l l s " ("πτωσις")

85

Auch eine Identifikation der Bedeutung von "Dion" als Eigenname, wie sie unter 1) vorgestellt wurde (S.73), ist nicht haltbar. Es wurde bereits festgestellt, daß in keiner unserer Quellen der Fall als unvollständiges Lekton genannt wird; ein Passus, wie er sich bei Philo findet, der wohl auf Vollständigkeit der Aufzählung abzielt, scheint im Gegenteil einen Einschluß des Falls in die Lekta unmöglich zu machen: Hiernach handelt es sich bei den unvollständigen Lekta um Prädikate, 52

innerhalb deren weitere Distinktionen möglich sind. Wir können uns nun im weiteren fragen, inwiefern die Kennzeichnungen des unvollständigen Lektons einen solchen Einschluß notwendig machen könnten, so etwa die Bestimmung bei D.L. (VII 63): "ελλιπή μεν ουν έστι τά άναπάρτιστον έχοντα τήυ έκφοράν κτλ." Auch dies jedoch ist nicht f ü r die zur Diskussion stehende Auffassung als Beweismittel tauglich, denn die unvollständigen Lekta werden hier insofern definiert, als sie unvollständig sind; der Begriff des "Lektons" ist bereits vorausgesetzt (und wird ja auch wenig zuvor im selben Paragraphen bestimmt). Der Satz besagt nicht "Das, was eine unabgeschlossene Äußerungsform hat, ist ein unvollständiges Lekton", sondern "Das Lekton, das eine unabgeschlossene Äußerungsform hat, ist ein unvollständiges Lekton." Auf die genannte Bestimmung folgt nach kurzem (ebd.) die Bemerkung, daß in die unvollständigen Lekta die Kategoremata gesetzt seien. Zwar t r i f f t es zu, daß — wie in den f o l genden Ausführungen der gleichen Form zum Axioma deutlich ist — nur eines von mehreren möglichen Inklusionsverhältnissen mit dieser Formulierung bezeichnet sein mag, doch nichts weist darauf, daß hier die πτωσις ihren Platz hätte; vielmehr liegt hier wohl wiederum eine Verwendung von "κατηγόρημα" in einem engen Sinn vor, wie ja auch durch das vorhergehende Beispiel ("γράφει") nur ein bestimmter Prädikat-Typ exemplifiziert ist. Der zitierte Satz wird allenfalls 5 2 D e a g r . 141 (= F D S 6 9 5 ) : " π ά λ ι ν δε τ ω ν α τ ε λ ώ ν ( s c . α σ ω μ ά τ ω ν ) αί εις τ ά λ ε γ ό μ ε ν α κ α τ η γ ο ρ ή μ α τ α κ α ι σ υ μ β ε β η κ ό τ α κ α ι δ σ α τούτων έ λ ά τ τ ω διαιρέσεις προσεχεΓς."

86

Unvollständige Lekta und "Fälle"

darauf hinweisen, daß zu den unvollständigen Lekta auch Prädikate in einem "weiteren" Verständnis gehören. Es ist ein schwerwiegender Mangel aller Interpretationen, die den Fall als unvollständiges Lekton begreifen wollen, daß nicht deutlich gemacht wird, was eine unkörperliche Bedeutung von Nomina bei den Stoikern sein könnte. Es ist unstreitig, daß in gewissem Sinn als σημαινόμενα von Nomina Qualitäten verstanden werden und daß nach stoischer Auffassung Qualitäten (von Körperlichem) körperlich sind. Eine plausible Erklärung dazu, wie diese Qualitäten als Lekta unkörperlich S3

sein sollen, ist bislang nicht vorgeschlagen worden und wird überhaupt schwerlich zu finden sein. II Freilich begegnet auch die Annahme, bei den stoischen Fällen handele es sich um körperliche Qualitäten, einigen Widerständen. Diese erklären sich sicherlich auch durch den Umstand, daß damit der stoische Begriff eines "Falls" sehr weit von dem entfernt scheint, was wir heute unter "Fall" verstehen, während es andererseits zutage liegt, daß unser Kasussystem auf die Stoiker zurückführbar ist. Bei einer Betrachtung dieser Art muß allerdings z.B. ebenfalls berücksichtigt werden, daß etwa die Platonische Idee etwas sonderbar anderes ist als die Möglichkeiten des Verstehens von "Idee", die sich seit der Neuzeit herausgebildet haben, erwarten lassen würden, und daß doch diese neuen Verstehensmöglichkeiten auch auf Platonischen Bestimmungen fußen (etwa der als "νοητόν"; ursprünglich ist "εΓδος" ja mit sinnlicher Wahrnehmung verbunden). Für ein angemessenes Verständnis der stoischen πτωσις ist vom Interpreten die gleiche Rigorosität gefordert, die es auch angesichts der stoischen Differenzierung von Lekta und den ihnen zugehörigen sprachlichen Gebilden zu beobachten gilt. Auch hier muß es ja die Verwunderung des Kommentators erregen, daß das, was er als

S3 P i n b o r e e t w a (1975, S.80 f.) b e h a u p t e t g l e i c h z e i t i g , die πτώσεις a l s Q u a l i t ä t e n seien " B e d e u t u n g e n " u n d unkörpei— lieh.

Die Identität des s t o i s c h e n " F a l l s " ("πτωσις")

87

sprachliche Ausdrucksform qualifizieren würde, von den Stoikern zunächst als Lekton verstanden wird (über das freilich auf die sprachliche Äußerungsform geschlossen werden kann). Wir werden uns im weiteren um eine Klärung der Frage bemühen müssen, welche Beziehung die Qualität als σημαινόμενου zu ihrem Träger und zu dem, was sie bezeichnet, hat. Qualitäten sind für die Stoiker etwas, was Gegenstände haben; Simplicius berichtet uns, daß sie von den Stoikern auch "έκτά" genannt wurden (In Arist. Categ. p. 214,26-27 = FDS 853). Die Gegenstände innerhalb des sprachbezogenen Dreiergefüges, das die Stoiker annehmen, werden "τυγχάνοντα" genannt, und es hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß dieser Ausdruck nicht als Bezeichnung von etwas schlicht "Existierendem" oder dem "jeweiligen Gegenstand von Rede" 54 zu verstehen ist, sondern daß das Existierende insofern be~

55

zeichnet ist, als es eine πτωσις erlangt : So berichtet Simplicius (In Arist. Categ. p. 209,13 = FDS 860): "τάς πτώσεις τευκτάς από του τυγχάνεσθαι (sc. έκάλουν)"; von Clemens erfahren wir, daß der Fall etwas ist, das der Gegenstand erlangt (Stromat. VIII 9, § 26,5 = FDS 763), und ein für unser Verständnis der πτωσις besonders wichtiger Text liegt vor mit einer Passage bei Stobaeus (II, 136,21—137,6 = FDS 316), die hier in Gänze zitiert sei: " τ ά έ ν ν ο ή μ α τ ά φ α σ ι μήτε τ ι ν ά εΓναι μήτε π ο ι ά , ώ σ α ν ε ι δέ τ ι ν α κ α ι ώ σ α ν ε ι π ο ι α φ α ν τ ά σ μ α τ α ψυχής· τ α ύ τ α δέ υπό τ ω ν α ρ χ α ί ω ν ιδέας π ρ ο σ α γ ο ρ ε ύ ε σ θ α ι .

των

γαρ

κατά

τά

έννοήματα

ύποπι-

π τ ό ν τ ω ν εΓναι τ ά ς ιδέας, οΓον άν-3-ρώπων, ί π π ω ν , κ ο ι ν ό τ ε ρ ο ν ε ι πείν π ά ν τ ω ν τ ω ν ζ