Untersuchungen zu Verschuldung und Deflation [1 ed.] 9783428496730, 9783428096732

Anknüpfend an die länderübergreifende Rezession Ende der achtziger Jahre, beschäftigt sich die Autorin mit den Auswirkun

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Untersuchungen zu Verschuldung und Deflation [1 ed.]
 9783428496730, 9783428096732

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GABRIELE KASTEN

Untersuchungen zu Verschuldung und Deflation

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann f

Heft 504

Untersuchungen zu Verschuldung und Deflation Von

Gabriele Kasten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kasten, Gabriele: Untersuchungen zu Verschuldung und Deflation / von Gabriele Kasten. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Volkswirtschaftliche Schriften ; H. 504) Zugl: Hamburg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09673-8

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-09673-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorbemerkung Die vorliegende A r b e i t , die v o m Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der U n i v e r s i t ä t H a m b u r g als Dissertation angenommen wurde, wäre sicher nicht ohne den Einfluß einer Reihe von Personen entstanden, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichen D a n k sagen möchte. Zuerst möchte ich meinen verehrten akademischen Lehrer Herrn Prof. D r . D r . H a r a l d Scherf nennen, der m e i n wissenschaftliches aber auch intellektuelles Interesse weit über den Gegenstand der A r b e i t hinaus geweckt hat. Ferner g i l t m e i n D a n k insbesondere H e r r n Prof. D r . Heinz Rieter für wertvolle Hinweise u n d Anregungen bei der Ü b e r a r b e i t u n g des M a n u s k r i p tes. Einen entscheidenen I m p u l s erhielt die A r b e i t durch einen Forschungsaufenthalt an der U n i v e r s i t y of C a m b r i d g e . Ich danke Herrn D r . Jochen Runde für die E i n l a d u n g u n d die persönliche B e t r e u u n g i n dieser anregenden Zeit. Desweiteren danke ich meinen Kollegen a m I n s t i t u t für S t a t i stik u n d Ö k o n o m e t r i e , insbesondere Frau D r . P r i v . - D o z . K i r s t e n R a i f u n d Frau D r . I r e n e - K a t h a r i n a Herzog, für hilfreiche K o m m e n t a r e u n d Verbesserungsvorschläge. Bei der aufwendigen F o r m a t i e r u n g des Skriptes s t a n d m i r dankenswerterweise Herr D r . Oliver Perschau m i t R a t zur Seite. N i c h t zuletzt m ö c h t e ich an dieser Stelle meine D a n k b a r k e i t gegenüber meinen E l t e r n u n d meiner G r o ß m u t t e r z u m Ausdruck bringen. W e n n auch i h r Einfluß auf die konkrete Ausgestaltung dieser A r b e i t weniger u n m i t t e l b a r e r A r t war, so war ihre U n t e r s t ü t z u n g über die Jahre hinweg doch alles andere als gering. Ich w i d m e diese A r b e i t daher meiner M u t t e r u n d d e m A n d e n k e n an meinen Vater.

R o t t e r d a m , i m Sommer 1999

Gabriele

Kasten

Inhaltsverzeichnis Α.

Problemstellung

13

Β.

Begriffliche K o n z e p t i o n des Vermögens, der Schulden u n d der Deflation

15

I.

II.

III.

IV. C.

Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

15

1.

Konträre Auffassungen zum Begriff des Vermögens

15

2.

Das Konzept des Volksvermögens

18

3.

Der einzelwirtschaftliche Vermögensbegriff

19

4.

Alternative Methoden zur Bewertung des Vermögens

21

5.

Liquidität als Eigenschaft von Vermögensobjekten

23

Definition und Abgrenzung des Schuldbegriffes

26

1.

Ökonomische Abgrenzung der Schulden

26

2.

Illiquidität als Eigenschaft von Schuldtiteln

28

3.

Kreditbeziehungen als Schuldbeziehungen

28

Abgrenzung verschiedener Definitionen der Deflation

29

1.

Definition des Phänomens der Deflation

29

2.

Das Vorgehen der Bank of England als Beispiel zur Unterscheidung verschiedener Preisindizes

32

Begriffliche Bestimmung der Schulden-Deflation

34

Einige typische E n t w i c k l u n g e n von Schulden-Deflationen ..

37

I.

Die Große Depression in den Vereinigten Staaten von Amerika

38

II.

Immobilienpreise und Aktienkurse in ausgewählten Ländern in den achtziger und neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts

42

1.

Die Entwicklung der Aktienkurse

42

2.

Die Entwicklung der Preise für Wohnimmobilien

44

3.

Die Entwicklung der Preise für Gewerbeimmobilien

46

4.

Der Immobilienmarkt in Deutschland

48

III.

Auswirkungen der Schulden-Deflation auf das Verhalten der privaten Haushalte

52

Inhaltsverzeichnis

8

1.

IV.

52

2.

Das Phänomen des »negative equity«

56

3.

Das Konsumverhalten der privaten Haushalte

57

Einflüsse der Schulden-Deflation auf das Verhalten der Unternehmen 1. 2.

V. D.

Die Entwicklung der Schulden und der Zinszahlungen der Unternehmen Auswirkungen der Verschuldung auf das Investitionsverhalten der Unternehmen

60 60 61

Auswirkungen von Schuldenkrisen auf das Verhalten von Banken

66

Theoretische Untersuchungen zur Schulden-Deflation seit d e m A u s b r u c h der G r o ß e n Depression

70

I.

Der quantitätstheoretische Deflation von Fisher

Erklärungsansatz

der

Schulden71

1.

Fishers Beschreibung der Schulden-Deflation

71

2.

Kritische Anmerkungen zu Fishers Theorie der SchuldenDeflation

73

II.

Ein Modell der Schulden-Deflation

77

III.

Der liquiditätstheoretische Ansatz von Mishkin

82

IV.

E.

Die Entwicklung des Vermögens und der Schuld der privaten Haushalte

1.

Das Konzept der Liquiditätshypothese

82

2.

Eine empirische Untersuchung der Bilanzeffekte für die Nachkriegsperiode

85

3.

Eine empirische Untersuchung der Bilanzeffekte für die Große Depression

86

Kings Interpretation der Schulden-Deflation als Phänomen der Realen Konjunkturzyklen

87

1.

Schulden-Deflation - ein reales Phänomen?

87

2.

Kings Modellierungsansatz einer Schulden-Deflation als Ausbreitungsmechanismus: ein Modell des »precautionary saving« mit distributiven Schocks

90

3.

Die Struktur mikroökonomischer Konsumfunktionen

93

4.

Die Umverteilung des Vermögens

94

5.

Das Konzept der makroökonomischen Konsumfunktion . . .

95

E i n z e l p r o b l e m e : M a k r o ö k o n o m i s c h e Folgen von Deflation u n d Verschuldung I.

100

Redistributive Wirkungen einer Deflation

100

1.

Bedingungen für das Eintreten von Deflationen

100

a)

101

Die monetäre Komponente

Inhaltsverzeichnis b)

Die reale Komponente

104

c)

Bemerkungen zur Preisbildung

105

2.

VerteilungsWirkungen einer Deflation

3.

Einige modelltheoretische Überlegungen

109

4.

Der Deflationsprozeß in einer offenen Volkswirtschaft

115

a)

Die Auswirkungen einer Deflation bei festen Wechselkursen

116

Die Auswirkungen einer Deflation bei flexiblen Wechselkursen

119

Die Schuldner-Gläubiger-Beziehung in der Schulden-Deflation .

121

b) II.

1.

Einkommens- und Schulden-Deflation

2.

Die Gläubiger-Schuldner-Hypothese

123

3.

Der Schuldner-Gläubiger-Transfer unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Vermögensportfolios

125

Auswirkungen einer Umverteilung des Vermögens zwischen Schuldnern und Gläubigern auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage

126

4.

III.

in

einer 121

a)

Unterschiede in den Ausgabenneigungen

127

b)

Verlängerung des wirtschaftlichen Abschwungs

128

c)

Versuch einer empirischen Verifizierung

130 131

1.

Vermögen als Bestandteil des Einkommens

131

2.

Die Auswirkungen des »housing equity withdrawal« auf die Konsumausgaben

135

Empirische Arbeiten zum Zusammenhang des »housing equity withdrawal« und der Konsumausgaben

137

Die Bedeutung des Kredites für die Schulden-Deflation

141

1.

Die Besonderheiten des Kreditmarktes

141 142

2.

Bedeutung des Bankkredits

3.

Die Existenz von Kreditrationierung

143

4.

Die Informationsasymmetrie auf dem Kreditmarkt

144

5.

Die Auswirkung der Kreditrationierung auf die ökonomische A k t i v i t ä t

147

6.

V.

Vermögensumverteilungen

Vermögen und Konsum

3. IV.

107

Die Kreditkontraktion im wirtschaftlichen Abschwung

149

a)

Der Kreditrückgang durch Vorgänge in der Güterwelt

151

b)

Der Rückgang des Kreditvolumens durch kredittechnische Operationen

152

Finanzkrisen im Kontext asymmetrischer Informationen

153

1.

153

Begriffliche Bestimmung der Finanzkrise

10

F.

G.

Inhaltsverzeichnis 2.

Der Verlauf einer Finanzkrise

154

3.

Der »lender of last resort« - Interventionen, die einen Schulden-Deflationsprozeß verhindern

156

Einige grundsätzliche B e m e r k u n g e n z u m V e r h ä l t n i s von I n flation u n d D e f l a t i o n

160

Schlußbetrachtung

168

Literaturverzeichnis

170

Sachwortregister

178

Tabellenverzeichnis C.l C.2

Konsolidierte Bilanz des Haushaltssektors in den Vereinigten Staaten von Amerika

39

Wirtschaftsdaten der Großen Depression in den Vereinigten Staaten von Amerika

40

C.3

Entwicklung des Marktes für Gewerbeimmobilien

47

C.4

Entwicklung der Büromieten in Deutschland

49 50

C.5

Büroflächen in Deutschland 1995

C.6

Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten der privaten Haushalte

54

C.7

Persönlich verfügbares Einkommen der privaten Haushalte

55

C.8

Reale Konsumausgaben in ausgewählten Industrieländern

58

C.9

Veränderung des Anteils der Unternehmensschulden am Bruttoinlandsprodukt

61

C.10

Veränderung des Anteils der Zinszahlungen am Bruttoinlandsprodukt

62

C.ll

Ausrüstungsinvestitionen

63

C.12

Kurzfristige und langfristige Zinssätze

65

C.13

Gewinne der Geschäftsbanken vor Abzug der Steuern

68

Abbildungsverzeichnis C.l

Entwicklung ausgewählter Aktienpreisindizes

43

C.2

Entwicklung ausgewählter Hauspreisindizes

45

E.l

Sequenz der Ereignisse im Verlauf einer Finanzkrise

157

Α. Problemstellung Nachdem i m Gefolge der monetaristischen R e v o l u t i o n , nach » T h a t c h e r Reagan-Economics« i n A u s t r a l i e n u n d Neuseeland, p l ö t z l i c h auch i n Europa u n d J a p a n hartnäckige Rezessionen beobachtet wurden, tauchte i n der Wirtschaftspresse, aber auch i n seriösen wirtschaftswissenschaftlichen Journalen, die Rede v o n der Deflation wieder auf. I n begrifflich unsauberer Form, aber doch n a c h d r ü c k l i c h wurde auf die drohenden Gefahren einer Deflation hingewiesen. Zuvor war das T h e m a Deflation fast vier Jahrzehnte aus der theoretischen u n d wirtschaftspolitischen L i t e r a t u r verschwunden. Rückblickend können w i r n u n sagen, daß diese M i ß a c h t u n g das Resultat einer günstigen K o m b i n a t i o n ökonomischer u n d politischer U m s t ä n d e i n der Zeit nach d e m Zweiten W e l t k r i e g war, i n der die inflatorischen Bewegungen die E r i n n e r u n g an Deflationen fast v o l l s t ä n d i g überdeckten. Offenbar entsann m a n sich Ende der achtziger Jahre wieder an Keynes' Analyse eines Deflationsprozesses i n den zwanziger Jahren, den » E c o n o m i c Consequences of M r . C h u r c h i l l « : M a n sprach u n d schrieb von » E c o n o m ic Consequences of M r s . T h a t c h e r « oder von » E c o n o m i c Consequences of M r . Reagan«. W i e d e r aufgetaucht sind auch Vorstellungen zur SchuldenDeflation nach d e m V o r b i l d von I r v i n g Fisher. A b e r wenn m a n die einschlägige L i t e r a t u r genauer analysiert, b e m e r k t m a n schnell große Unsicherheiten über die Phänomene, die einen Begriff von Deflation charakterisieren sollen, der Sprachgebrauch ist alles andere als einheitlich. I n der vorliegenden A r b e i t w i r d der Versuch u n t e r n o m m e n , den unübersichtlichen L i t e r a t u r b e f u n d systematisch zu klären. Dazu werden zunächst i m ersten K a p i t e l die begrifflichen G r u n d l a g e n gelegt, die für die weitere Analyse k o n s t i t u t i v sind. Dies erscheint notwendig, d a sich unter den gekennzeichneten U m s t ä n d e n i m Z u s a m m e n h a n g m i t Deflationsfragen allm ä h l i c h eine ganze Reihe von B e h a u p t u n g e n , Ansichten u n d Redewendungen herausgebildet haben, die bei der B e u r t e i l u n g der Schulden-Deflation verwendet werden, ohne daß ihnen irgendeine volkswirtschaftliche Erkenntnis zugrunde liegt. Welche schädlichen Folgen hieraus für das W i r t s c h a f t s leben entstehen können, w i r d sofort k l a r , wenn m a n bedenkt, wie stark die modernen kapitalistischen Volkswirtschaften auf I m p o n d e r a b i l i t ä t e n reagieren u n d i n ihren E n t w i c k l u n g e n d u r c h S t i m m u n g e n beeinflußt werden.

14

Α. Problemstellung

I m zweiten K a p i t e l werden einige typische E n t w i c k l u n g e n i n Deflationsprozessen vorgeführt. Die w o h l bekanntesten Beispiele reiner Deflationen ereigneten sich w ä h r e n d der Großen Depression, aber japanische Erfahrungen m i t deflationären Bewegungen des allgemeinen Preisniveaus Ende der achtziger Jahre zeugen auch heute von der A k t u a l i t ä t dieses Phänomens. Sie geben A n l a ß zu einer erneuten Auseinandersetzung m i t den redistribut i v e n W i r k u n g e n einer D e f l a t i o n i n V e r b i n d u n g m i t Schulden. D a b e i w i r d deutlich, daß G l ä u b i g e r u n d Schuldner von Preissenkungsbewegungen i n charakteristischer u n d unterschiedlicher Weise getroffen werden, wobei für Haushalte, U n t e r n e h m e n , B a n k e n jeweils gesonderte Mechanismen wirken. K a p i t e l 3 präsentiert einen Ü b e r b l i c k über die G r u n d i d e e n u n d Strukturen der verschiedenen, z u m T e i l sich ergänzenden, z u m T e i l m i t e i n a n der konkurrierenden theoretischen Ansätze zur E r k l ä r u n g der SchuldenDeflation u n d ihrer Ursachen. A u f diese Weise soll ein Ü b e r b l i c k über die wichtigsten herrschenden T h e o r i e n u n d ihre gedanklichen H i n t e r g r ü n d e i m K o n t e x t der Schulden-Deflation geliefert werden. Es geht hier nicht d a r u m , die diversen T h e o r i e n i n a l l ihren V a r i a n t e n u n d Verästelungen zu präsentieren; das Ziel ist v i e l m e h r , einige repräsentative T h e o r i e n darzustellen, die die essentiellen Elemente u n d Unterschiede der verschiedenen Ansätze i n Erscheinung treten lassen. D a b e i w i r d die große Nähe dieser T h e o r i e n zur K o n j u n k t u r t h e o r i e i m allgemeinen u n d i m besonderen deutlich. Deshalb werden i m vierten K a p i t e l aus makroökonomischer Perspektive mögliche K o n s t e l l a t i o n e n gesondert untersucht, die sich aus einem Zusammenspiel von Schuld u n d Deflation ergeben: i m M i t t e l p u n k t stehen dabei r e d i s t r i b u t i v e W i r k u n g e n der Schulden-Deflation u n d deren Folgen für die V o l k s w i r t s c h a f t , insbesondere für den wirtschaftlichen Abschwung. M i t Hilfe dieses theoretischen Werkzeuges entsteht die M ö g l i c h k e i t , a k t u elle Probleme fallweise besser, d a differenzierter, analysieren zu können. Es zeigt sich i m fünften K a p i t e l , daß m a n m i t der Vorstellung, Deflationen könnten wie inverse I n f l a t i o n e n behandelt werden, nicht weit k o m m t , da sich die Kausal- u n d W i r k u n g s k e t t e n als zu verschieden erweisen. Keynes D e n k e n t w i c k l u n g von den » E c o n o m i c Consequences of the Peace« (1919), i n denen er sprach, daß es kein sichereres M i t t e l zur Unterh ö h l u n g der kapitalistischen Gesellschaft als die I n f l a t i o n gäbe, zu den » E c o n o m i c Consequences o f M r . C h u r c h i l l « , i n den er verheerende W i r kungen eines Deflationsprozesses notiere, schließlich zur »General T h e o r y « von 1936, i n der er die Rezession - die so oft m i t Deflationsprozessen gekoppelt ist - als die eigentlichen Zerstörer der kapitalistischen Gesellschaft u n d ihrer politischen u n d wirtschaftlichen Freiheit b e s t i m m t e , ist angesichts der Resultate der vorgelegten A n a l y s e n nicht mehr überraschend.

Β . B e g r i f f l i c h e K o n z e p t i o n des V e r m ö g e n s , der Schulden u n d der Deflation O b w o h l die S c h u l d e n - D e f l a t i o n 1 seit d e m Ersten W e l t k r i e g ein schwerwiegendes ökonomisches u n d soziales P r o b l e m darstellt, g i b t es bis heute keine von allen R i c h t u n g e n der N a t i o n a l ö k o n o m i e anerkannte Definition. N i c h t zuletzt ist dies die Folge der Vorherrschaft neoklassischer T h e o r i e b i l d u n g i n der zweiten H ä l f t e dieses Jahrhunderts. Ohne den Erklärungsgeh a l t neoklassischer T h e o r i e für b e s t i m m t e reale Phänomene zu bestreiten oder i n Frage zu stellen, ist i h r Erkenntniswert für monetäre Phänomene stark eingeschränkt: i n einer modernen Geldökonomie gehen den real w i r t schaftlichen Vorgängen oft monetäre H a n d l u n g e n voraus. Bevor w i r uns d e m heutigen S t a n d der Theorie der Schulden-Deflation u n d ihrer empirischen Evidenz zuwenden, erscheint es i n bezug auf spätere Überlegungen angebracht, einige generelle Betrachtungen z u m Begriff des Vermögens, der Schulden u n d der Deflation an den B e g i n n unserer Ausführungen zu stellen. Sie sollen vor a l l e m Elemente u n d Beziehungen betonen, die später eine gewisse Rolle spielen werden.

I . D e f i n i t i o n u n d A b g r e n z u n g verschiedener Vermögenskonzeptionen 1. K o n t r ä r e A u f f a s s u n g e n z u m B e g r i f f des V e r m ö g e n s Bislang besteht unter den N a t i o n a l ö k o n o m e n keineswegs E i n i g k e i t darüber, was unter Vermögen zu verstehen ist. Daß dabei die Ausformungen eines Vermögensbegriffes die verschiedensten I n t e r p r e t a t i o n e n erfahren haben, braucht allein deshalb nicht zu verwundern, d a der Streit, was un1 In der vorliegenden Arbeit wird der englische Begriff »Debt Deflation« mit dem deutschen Wort »Schulden-Deflation« übersetzt. Indes: Der Ausdruck »Deflation« wird im deutschen Sprachgebrauch nicht einheitlich verwendet: zum einen bezeichnet er eine nicht näher spezifizierte Abnahme von zum Beispiel Schulden, zum anderen beschreibt er einen Rückgang nicht näher bestimmter Preise. W i r verstehen im folgenden unter dem deutschen Begriff »Schulden-Deflation« nicht die Abnahme der Schulden, sondern Schulden in Verbindung mit Preisrückgängen.

Β . Begriffliche Konzeptionen

16

ter Vermögen zu verstehen ist, seit über 300 Jahren w ä h r t 2 u n d die wissenschaftliche »Freiheit der Begriffsbildung« j a b e k a n n t l i c h nur d u r c h die B e d i n g u n g eingeschränkt w i r d , daß die Definitionen der Begriffe für die A u f s t e l l u n g i n f o r m a t i v e r T h e o r i e n geeignet sein müssen. Die weiteste A u s l e g u n g des Vermögensbegriffes

findet

sich i n der von

G o l d s m i t h als »hedonistisch« bezeichneten K o n z e p t i o n , wie sie beispielsweise d e m Begriff der » n a t i o n a l e n P r o d u k t i v k r ä f t e « bei Friedrich oder den frühen A r b e i t e n von K u z n e t s

4

List3

zugrundeliegt. Der hedonistische

Vermögensbegriff u m f a ß t schlechthin alles, was zur V e r m e h r u n g des W o h l standes einer Person oder einer N a t i o n b e i t r ä g t : »The wealth of a nation consists of all its productive resources - those aspects of environment, natural and manmade, which contribute to the production of goods and services that men want ... Wealth is composed of myriad types of tangible, human and non-human, embodying varying intangible characteristics, and the term is also used to cover financial claims.« 5 Der Begriff b e i n h a l t e t also auch Vermögenselemente wie Boden, Bodenschätze, H u m a n k a p i t a l aber auch das K l i m a . 6 Das andere E x t r e m , die sogenannte materielle K o n z e p t i o n , beschränkt den Vermögensbegriff auf das reproduzierbare Vermögen, das heißt, auf die produzierten P r o d u k t i o n s m i t t e l . Dieser materielle Vermögensbegriff deckt sich i m übrigen weitgehend m i t d e m Vermögensbegriff der heutigen Systeme Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen u n d entspricht d e m d o r t i g e n Anlage- u n d Vorrats vermögen. N a t ü r l i c h lassen sich gegen beide Definitionen gleichermaßen begründete Einwände erheben. Gegen den hedonistischen Ansatz läßt sich vorbringen, daß er wenig o p e r a t i o n a l ist. Was n ü t z t einem Ö k o n o m e n ein theoretisch durchdachter u n d sinnvoller Begriff, wenn er für die ökonomischen Fragen unserer Zeit p r a k t i s c h ü b e r h a u p t nicht zu verwenden ist? Der materielle Vermögensbegriff hingegen w i r f t zwar bewertungstechnisch weniger Pro2

Die letzte große Auseinandersetzung, was unter Vermögen zu verstehen ist, erfolgte in Deutschland im Jahr 1926 auf einer Tagung des Vereins für Socialpolitik (vgl. Diehl (Hrsg.) (1926), S. 1 ff.). Wenn sie schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht weiter geführt wurde, so liegt der Grund nicht in einem mangelnden Interesse. Vielmehr rückte die Analyse des Einkommenskreislaufes zunehmend in den Mittelpunkt des wirtschaftwissenschaftlichen Interesses und verdrängte die Vermögensbetrachtungen. 3

Vgl. List (1928), S. 351.

4

Vgl. Kuznets (1938), S. 1 ff.

5

Goldsmith (1950), S. 11.

6

Vgl. Schmidt (1972), S. 36 f. Uber die sehr umfangreiche Literatur zu diesem Thema informiert Merkle (1968), S. 1 ff.

I. Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

17

bleme auf, schließt aber ökonomisch wichtige P r o d u k t i o n s f a k t o r e n , wie den Boden, aus. E i n für unsere Zwecke brauchbarer Vermögensbegriff liegt sicher zwischen diesen beiden E x t r e m e n . Angelehnt an Höpker-Aschoff 7 wollen w i r unter Vermögen die Herrschaft über G ü t e r , die sogenannte Verfügungsgewalt, verstehen. Zwei Elemente spielen für diese, i m folgenden zu konkretisierende Vermögensdefinition, eine wesentliche Rolle: 1.

Z u m Vermögen sollen keine freien, sondern nur wirtschaftliche G ü t e r zählen. Nach Stackelberg verstehen w i r unter freien G ü t e r n diejenigen, die » i n Mengen vorhanden u n d verfügbar [sind], die über jeden faktischen Bedarf h i n a u s g e h e n « 8 . A m Beispiel des U m w e l t f a k t o r s L u f t , die heute bereits eine wichtige S t a n d o r t b e d i n g u n g darstellt, zeigt sich allerdings, wie p r o b l e m a t i s c h der Begiff des freien Gutes geworden ist.

2.

I m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m Vermögen muß eine S u b j e k t - O b j e k t Beziehung erkennbar sein. Der Begriff des Vermögens ist - u m es m i t W e y e r m a n n zu sagen - eine sozioökonomische Kategorie u n d unterscheidet sich v o m Begriff des K a p i t a l s , d e m i m Sinne einer A k k u m u l a t i o n von G ü t e r n dieser personelle Bezug fehlt.

I n seinen erkenntnistheoretischen A b h a n d l u n g e n über den Vermögensbegriff w i r d W e y e r m a n n noch deutlicher: »Vermögen i m sozioökonomischen Sinn ist ein unter d e m Gesichtspunkt der Tauschkraft gedanklich zusammengefaßter K o m p l e x dauerbarer W i r t s c h a f t s g ü t e r . « 9 Bei dieser Definition, die i m V e r l a u f der A r b e i t noch eine gewisse Rolle spielen w i r d , sind zwei Aspekte besonders w i c h t i g : Erstens die Tauschwertfunktion u n d zweitens die Dauerhaftigkeit der Vermögensgüter. Die i n der Tauschwertfunkt i o n enthaltene K a u f k r a f t u n d die D a u e r h a f t i g k e i t der G ü t e r sind beides zwar notwendige, aber für sich alleine genommen noch keine hinreichenden Bedingungen für den Vermögenscharakter eines Gutes. Beispielsweise besitzen dauerhafte K o n s u m g ü t e r , wie U h r e n oder Kleidungsstücke, zwar einen Gebrauchswert, aber i n der Regel keinen Tauschwert. Andererseits gehören A u t o m o b i l e oder b e s t i m m t e Möbelstücke durchaus z u m Vermögen eines Haushaltes. W i r können also festhalten, daß dauerhafte K o n sumgüter, die einen Tauschwert besitzen u n d jederzeit monetisiert werden können, z u m Vermögen zählen.

7

Vgl. Höpker-Aschoff

8

Stackelberg

9

Weyermann (1916), S. 194.

2 Kasten

(1939), S. 17.

(1948), S. 3.

Β . Begriffliche Konzeptionen

18

U n d so können w i r die Liste von G ü t e r n , deren Vermögenscharakter zumindest diskussionswürdig ist, beliebig weiterführen. Unweigerlich t a u c h t i n diesem Z u s a m m e n h a n g auch die Frage auf, ob die Leistungsfähigkeit des Menschen sowie sein A r b e i t s - u n d Denkvermögen unter den ö k o n o m i schen Vermögensbegriff f ä l l t . G r u n d s ä t z l i c h w i r d der Vermögenscharakter des H u m a n k a p i t a l s nicht angezweifelt, doch schließen w i r uns der Ansicht Jostocks an, nach der es ganz unerfindlich ist, »was d a m i t gewonnen sein soll, wenn die G e s a m t b e v ö l k e r u n g i n einer Riesensumme d e m Sachvermögen zugeschlagen w i r d « 1 0 .

2. D a s K o n z e p t des V o l k s v e r m ö g e n s D a m i t sind w i r an den A u s g a n g s p u n k t unserer Überlegungen zurückgekehrt u n d müssen n u n entscheiden, welcher Vermögensbegriff uns oper a t i o n a l erscheint. Daß hierbei nicht i m m e r die L o g i k , sondern oft reine Zweckmäßigkeiten i m V o r d e r g r u n d stehen, zeigt sich schon bei der A b grenzung des Volksvermögens. W i c h t i g ist, einen K a t a l o g an Vermögenstatbeständen zusammenzustellen, der g e m e i n h i n als das Volksvermögen akzeptiert w i r d . Insbesondere Erhebungsschwierigkeiten zwingen uns allerdings zu einer eher kasuistischen Festlegung dessen, was w i r unter d e m Volksvermögen verstehen wollen. Nach S c h m i d t 1 1 entspricht das Volksvermögen der S u m m e des reproduzierbaren u n d nichtreproduzierbaren Sachvermögens sowie der i m m a t e r i e l len Vermögensaktiva als A u s d r u c k einseitiger Rechte, zuzüglich der Forderungen an ausländische W i r t s c h a f t s e i n h e i t e n u n d abzüglich der Schulden an ausländische W i r t s c h a f t s e i n h e i t e n . 1 2 N a t ü r l i c h läßt sich vortrefflich darüber streiten, ob das Volksvermögen überhaupt eine sinnvolle Größe ist. U n e i n i g k e i t herrscht insbesondere darüber, ob i m m a t e r i e l l e W e r t e z u m Volksvermögen zählen, wenn sie nur einseitige Rechte verkörpern, ohne daß reale Leistungen d a h i n t e r s t e h e n . 1 3 Einen konkreten Vorschlag zur B e s t i m m u n g des Volksvermögens bietet 10

Jostock (1944), S. 34.

11

Vgl. Schmidt (1972), S. 46.

12

D a innere Forderungen und Schulden einer Volkswirtschaft nicht in die Berechnung des Volksvermögens eingehen, müssen wir bei der Bestimmung des Volksvermögens einen Informationsverlust bezüglich der Verteilung des Geld- und Sachvermögens sowie der Schulden auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte in einer Volkswirtschaft in Kauf nehmen. Für eine genaue Darstellung der Vermögensrechnung der Wirtschaftseinheiten in einer Verkehrswirtschaft siehe Schneider (1956), S. 23 ff. 13 Für eine Diskussion, ob beispielsweise - wie von Goldsmith gefordert - Wasserrechte, die einseitige Rechte darstellen oder finanzielle Ansprüche, wie Rentenansprüche an

I. Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

19

das Konzept der Vereinten N a t i o n e n . 1 4 I m System of N a t i o n a l Accounts w i r d das Vermögen aus d e m reproduzierbaren u n d d e m nichtreproduzierbaren Vermögen, d e m finanziellen Vermögen, d e m i m m a t e r i e l l e n Vermögen u n d den W e r t b e r i c h t i g u n g e n berechnet. Es scheint fast überflüssig zu erwähnen, daß ein so umfangreiches Vermögenskonzept große Probleme a u f w i r f t u n d oft über die Vermögensstatistiken einzelner Länder hinausgeht. Nach wie vor sind die Vermögensstatistiken i m Verhältnis zu den Volkseinkommensrechnungen, wie sie i n den heutigen Systemen V o l k s w i r t schaftlicher Gesamtrechnungen p r a k t i z i e r t werden, wenig entwickelt u n d k a u m i n t e r n a t i o n a l v e r g l e i c h b a r . 1 5 Erst m i t d e m wieder zunehmenden Interesse an »Stock-aspects« i n der ökonomische Theorie, wie beispielsweise i n der Schulden-Deflation, erhebt sich erneut die Forderung an die a m t l i che S t a t i s t i k , eine gesamtwirtschaftliche Vermögensstatistik aufzustellen. Bei allen Anstrengungen dürfen w i r nicht vergessen, daß es sich bei jeder volkswirtschaftlichen S t a t i s t i k u m ein gesetztes System von Definitionen gesamtwirtschaftlicher Größen h a n d e l t , deren theoretische K o n z e p t i o n keineswegs u n u m s t r i t t e n ist.

3. D e r e i n z e l w i r t s c h a f t l i c h e

Vermögensbegriff

Bei unseren bisherigen Überlegungen sind w i r stillschweigend von der I d e n t i t ä t zwischen d e m einzelwirtschaftlichen u n d d e m gesamtwirtschaftlichen Vermögensbegriff ausgegangen. Dies ist allerdings eine unzulässige Vereinfachung, d a die tatsächlichen Vermögens Verhältnisse i n einer Volkswirtschaft durch ein Netz von Forderungen u n d Schulden bzw. Verbindlichkeiten überdeckt sind. W e n n die Unterscheidung zwischen d e m einzelwirtschaftlichen u n d d e m gesamtwirtschaftlichen Vermögensbegriff zur D e b a t t e steht, taucht n a t ü r lich die Frage auf, ob auch Forderungen einen Bestandteil des Vermögens darstellen; b e k a n n t l i c h entspricht i n einer geschlossenen Volkswirtschaft jeder Forderung auch eine Schuld. Jedes W i r t s c h a f t s s u b j e k t , das Forderungen gegen ein anderes u n t e r h ä l t besitzt eine m i t t e l b a r e Verfügungsgewalt über G ü t e r . Es kann diese Verfügungsgewalt auch d a n n ausüben, wenn es nicht letzter G l ä u b i g e r oder letzter Schuldner i m volkswirtschaftlichen Sinne ist, sondern nur ein Zwischenglied darstellt. A l l e i n die Tatsache, daß

die Sozialversicherungen, zum Vermögensbestand einer Volkswirtschaft gehören, verweisen wir auf Schmidt (1972), S. 46 f. 14 15

Vgl. United Nations (1993), S. 287 ff.

Eine eingehende Untersuchung der statistischen Möglichkeiten für eine Volksvermögensrechnung in der Bundesrepublik Deutschland unternimmt Schmidt (1971), S. 1 ff.

Β. Begriffliche Konzeptionen

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ein W i r t s c h a f t s u b j e k t Forderungen besitzt, ohne notwendigerweise letzter Gläubiger zu sein, ist v o l k s w i r t s c h a f t l i c h von Bedeutung: Der Besitz von Forderungen, insbesondere v o n kurzfristigen Forderungen, bedeutet potentielle K a u f k r a f t u n d beeinflußt einerseits den U m f a n g der P r o d u k t i o n u n d andererseits die Bewegung der P r e i s e 1 6 . W e n n w i r also v o m Vermögen einer W i r t s c h a f t s e i n h e i t , i m Sinne der Verfügungsgewalt über G ü t e r sprechen, so müssen w i r streng g e n o m m e n zwischen dem wirtschaftlichen u n d d e m juristischen Vermögen unterscheiden: 1.

E i n W i r t s c h a f t s s u b j e k t besitzt eine echte Verfügungsgewalt über Vermögensbestände. Es ist juristischer E i g e n t ü m e r dieses Vermögens derart, daß dieses E i g e n t u m auch durch juristisches E i g e n t u m ausgeübt w i r d . I n der m a t e r i e l l e n K o n z e p t i o n des Vermögensbegriffes k o m m t das juristische Vermögen i m Sach- bzw. Real vermögen z u m Ausdruck.

2.

E i n W i r t s c h a f t s s u b j e k t g i b t sich m i t einem Vermögensanspruch zufrieden u n d ist wirtschaftlicher Besitzer nicht näher b e s t i m m t e r Teile des Real Vermögens. Beispielsweise begründet eine A k t i e oder eine O b l i g a t i on einen A n s p r u c h auf das B r u t t o v e r m ö g e n eines anderen W i r t s c h a f t s subjektes.

W ä h r e n d allerdings die Forderung des Obligationenbesitzers einen kont r a k t b e d i n g t e n A n s p r u c h auf eine feste Verzinsung des geliehenen Geldbetrages g i b t , stellt die Forderung des Aktienbesitzers einen A n s p r u c h auf einen T e i l des von Periode zu Periode variierenden Gewinnes einer A k t i engesellschaft d a r . 1 7 Versuchen w i r , ein Resümee zu ziehen: Einzelwirtschaftlich betrachtet sind Forderungen ein Vermögensbestandteil, u n d V e r b i n d l i c h k e i t e n stellen entsprechend negatives Vermögen dar. Der hier verwendete v o l k s w i r t schaftliche Begriff des Vermögens, i m Sinne u n m i t t e l b a r e r u n d m i t t e l b a r e r Verfügungsgewalt über G ü t e r , i m p l i z i e r t eine Unterscheidung i n j u r i s t i sches u n d wirtschaftliches E i g e n t u m . Daher ist er wesentlich weiter gefaßt als der betriebswirtschaftliche u n d der i n i h m verwandte juristische Beg r i f f . 1 8 Die Tatsache, daß die juristischen E i g e n t ü m e r der Bestandteile des Vermögens nicht i m m e r m i t ihren wirtschaftlichen E i g e n t ü m e r n identisch sind, gehört zu den Wesensmerkmalen einer modernen G e l d W i r t s c h a f t . 1 9 16

Vgl. Höpker-Aschoff

17

Vgl. Schneider (1956), S. 32 f.

18

Vgl. Stobbe (1984), S. 12.

19

Vgl. Schneider (1956), S. 36.

(1939), S. 22.

I. Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

21

4 . A l t e r n a t i v e M e t h o d e n z u r B e w e r t u n g des V e r m ö g e n s Die verschiedenen Vermögenskomplexe sind nur vergleichbar, wenn sie ökonomische Werte darstellen. Wer sich m i t d e m Vermögensbegriff beschäftigt, w i r d also zwangsläufig m i t d e m Bewertungsproblem konfrontiert. G r u n d s ä t z l i c h bieten sich j e nach Fragestellung drei Bewertungsprinzipien an: erstens die B e w e r t u n g zu Kostenwerten, zweitens die B e w e r t u n g zu Ertragswerten u n d d r i t t e n s die B e w e r t u n g zu Marktpreisen. 20 Die B e w e r t u n g zu Kostenwerten, d.h. Anschaffungskosten, empfiehlt sich i m m e r d a n n , wenn die Analyse des Produktionsprozesses (Schätzung von P r o d u k t i o n s f u n k t i o n e n , E r m i t t l u n g von Kapitalkoeffizienten usw.) i m Vordergrund steht. W ä h r e n d diese M e t h o d e i m Falle produzierter P r o d u k t i o n s m i t t e l , bei denen sich die Herstellungskosten leicht e r m i t t e l n lassen, einfach zu h a n d h a b e n ist, entstehen ernste Probleme bei jenen G ü t e r n , wie beispielsweise L a n d u n d Bodenschätze, die niemals i n einem W i r t schaftsprozeß produziert wurden. Die B e w e r t u n g zu Ertragswerten sollte dagegen d a n n erfolgen, wenn die enge V e r b i n d u n g zwischen E i n k o m m e n s s t r ö m e n u n d Vermögensbeständen betont werden soll. Der W e r t des Vermögens b e s t i m m t sich d a n n als das zukünftige diskontierte, d.h. abgezinste E i n k o m m e n . Angelehnt an die oben dargelegte B e g r i f f s b e s t i m m u n g bedeutet das: Vermögen ist der heutige W e r t der z u k ü n f t i g e n Verfügungsgewalt über G ü t e r 2 1 u n d begründet einen A n s p r u c h auf zukünftiges E i n k o m m e n . Die weitverbreitete Vorstellung, Häuser, G r u n d s t ü c k e u n d Maschinen seien Sachvermögen, ist z u m i n dest ungenau, d a Häuser, die weder M i e t e n noch Verkaufserlöse erzielen, sowie Fabriken, die weder G e w i n n e noch Veräußerungserlöse aufweisen, einen Vermögenswert von N u l l haben. Entsprechend dieser Bewertungsvorschrift k a n n eine E r h ö h u n g des Vermögens also zwei Ursachen haben: Z u m einen kann sich der E i n k o m m e n s s t r o m , der aus den Vermögensgegenständen erwartet w i r d , verstärkt haben, z u m anderen kann der Diskontierungszinsfuß, m i t d e m diese Ströme abgezinst werden, gesunken sein. Der B e t r a g »Vermögen« ist nach dieser Bewertungsvorschrift also nichts anderes, als ein zusammengefaßter Ausdruck für zukünftige E i n k o m m e n s ströme, die die E i g e n t ü m e r dieses Vermögens als zukünftiges E i n k o m m e n erwarten oder auf die sie einen A n s p r u c h erheben.

20

Die Literatur zu der Bewertung des Vermögens ist umfangreich. Umfassend informiert beispielsweise die Arbeit von Gerster (1964), S. 1 ff. insbesondere S. 41 ff. 21

Vgl. Engels / Sablotny / Zickler (1974), S. 29 und S. 32.

Β . Begriffliche Konzeptionen

22

Die B e s t i m m u n g des Vermögens zu Ertragswerten stößt z u m einen bei der Festlegung des K a p i t a l i s i e r u n g s f a k t o r s 2 2 u n d z u m anderen bei der Erm i t t l u n g des Ertragswertes, wenn das Vermögen wie i m Beispiel der Verkehrswege, der K i r c h e n oder K u l t u r g ü t e r keine Erträge a b w i r f t , auf erhebliche Schwierigkeiten. Legen w i r unseren B e t r a c h t u n g e n j e d o c h einen zukunftsorientierten Vermögensbegriff zugrunde, der den W e r t des Vermögens aus den Angebotsu n d Nachfrageverhältnissen ableitet, so erfolgt die B e w e r t u n g des Vermögens zu Marktpreisen. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich i m m e r d a n n , wenn die V e r t e i l u n g des Vermögens nach d e m volkswirtschaftlich letzten Eigner nachgewiesen werden soll. Gegen die B e w e r t u n g zu Marktpreisen, läßt sich jedoch einwenden, daß nur ein kleiner T e i l der Vermögenswerte tatsächlich a m M a r k t gehandelt w i r d u n d daß für eine Reihe v o n Vermögensobjekten keine M ä r k t e existieren, geschweige denn Angebots- u n d Nachfragekurven. W i r wollen an dieser Stelle nicht für die eine oder andere Bewertungsvorschrift plädieren. L e t z t l i c h ist es eine Frage des Untersuchungszieles, welchen Bewertungsmaßstab w i r anlegen: W e n n w i r beispielsweise das I m mobilienvermögen der p r i v a t e n Haushalte abschätzen wollen, d a n n ist uns nicht m i t einer Bewertungsvorschrift gedient, die auf den Anschaffungskosten basiert. Beispielsweise k a n n eine alte V i l l a aus der Jugendstilzeit, die nach den Abschreibungsregeln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung längst den A b g ä n g e n angehört u n d i n diesem Sinne einen Buchwert von N u l l ausweist, durchaus noch einen hohen M a r k t w e r t besitzen. A n der B e w e r t u n g des Vermögens zeigt sich deutlich, daß es nicht eine, allen analytischen Verwendungen angemessene, D e f i n i t i o n »Vermögen« g i b t . Was w i r als Vermögen bezeichnen, h ä n g t nicht nur von der A u s w a h l der Wirtschaftsgüter, sondern auch von der W a h l des B e w e r t u n g s k r i t e r i u m s ab. So s t i m m e n beipielsweise Ertragswert u n d M a r k t w e r t desselben Vermögensobjektes nicht notwendigerweise überein. D a der Ertragswert eines Vermögensobjektes der S u m m e seiner, m i t einem Kalkulationszinssatz auf einen Stichtag abdiskontierten, Nettoerträge entspricht, spielen i n d i v i d u elle E r w a r t u n g e n über z u k ü n f t i g e wirtschaftliche Ereignisse eine entscheidende Rolle bei der Bewertung. Folglich e r m i t t e l t jedes Wirtschaftssub22 In seinen Jahresgutachten 1973 und 1974 ermittelt der Sachverständigenrat den Kapitalisierungsfaktor in Form einer sogenannten Realrendite, die er als den Quotienten des Bruttoeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, abzüglich eines fiktiven Unternehmerlohnes und des Nettoanlagevermögens zu Wiederbeschaffungspreisen, zuzüglich der Vorratsbestände zu Buchwerten bestimmt. Er weißt darauf hin, daß die Realrendite in ihrer absoluten Höhe nicht zu interpretieren ist, sondern nur in ihrer zeitlichen Veränderung (Sachverständigenrat (1973), S. 56 f.).

I. Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

23

j e k t seinen eigenen s u b j e k t i v e n Ertragswert für ein Vermögensobjekt, der durchaus v o m M a r k t w e r t abweichen kann.

5. L i q u i d i t ä t als E i g e n s c h a f t v o n V e r m ö g e n s o b j e k t e n Erst die B e w e r t u n g so unterschiedlicher Vermögenskomplexe wie Bodenschätze, Fabrikanlagen, Grundstücke, Maschinen oder I m m o b i l i e n macht sie für den Ö k o n o m e n vergleichbar u n d addierbar. Eine andere M ö g l i c h k e i t , die einzelnen Vermögensobjekte m i t e i n a n d e r i n Beziehung zu setzen, bietet deren Liquiditätseigenschaft. W i e b e i m Vermögen richtet sich auch bei der L i q u i d i t ä t die B e g r i f f s b e s t i m m u n g nach d e m jeweiligen P r o b l e m . Besteht das P r o b l e m aus der Frage nach der a p r i o r i W i r k u n g des Geldes auf die Nachfrage nach G ü t e r n - u n d d a m i t auf die Beschäftigung, das Volkse i n k o m m e n u n d das Preisniveau - u n d w i r d dieser Einfluß durch die Eigenschaft des Geldes als Zahlungs- u n d W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l erzielt, so besitzt diese Eigenschaft nicht nur das G e l d sondern auch das Vermögen. Die einzelnen Vermögensbestände, sofern sie d e m G e l d als Zahlungsu n d W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l »nahe« stehen, sind neben d e m Geld ebenfalls Träger von L i q u i d i t ä t . 2 3 Der so konzipierte L i q u i d i t ä t s b e g r i f f ist also geldbezogen: G e l d zeichnet sich nach Hicks d u r c h eine absolute L i q u i d i t ä t (»perfect m o n e y n e s s « 2 4 ) aus; andere G ü t e r besitzen diese » G e l d q u a l i t ä t « nur i n einem geringeren M a ß e 2 5 . Welche anderen Vermögensobjekte sind n u n als geldnah anzusehen u n d d a m i t i n den Vermögensbegriff einzuschließen? Bei der Festlegung der Vermögensobjekte, die als L i q u i d i t ä t s t r ä g e r gelten können, schließen w i r von vorneherein die menschlichen A k t i v a aus. Es erscheint uns wenig zweckmäßig, dieses H u m a n v e r m ö g e n z u m Gegenstand von L i q u i d i t ä t s ü b e r l e g u n g e n zu machen. Dagegen k o m m e n alle anderen Vermögensbestände i n Betracht, die sowohl d e m K r i t e r i u m der Tauschbarkeit als auch der D a u e r h a f t i g k e i t genügen. Ist ein Vermögensobjekt liquide, d a n n m u ß es entsprechend unserer Definition eine Geldnähe i m Sinne der Z a h l u n g s m i t t e l n ä h e aufweisen. Dabei bezeichnen w i r m i t d e m T e r m i n u s Z a h l u n g s m i t t e l n ä h e die kurzfristige 2 3 Der Begriff der Liquidität, wie wir ihn hier benutzen, geht auf Keynes zurück. Schon in seiner Abhandlung »Vom Gelde« definiert er Liquidität im Sinne der Geldnähe von Vermögensobjekten. Nach seiner Vorstellung sind liquide Aktiva jene Vermögensobjekte, die »kurzfristigrealisierbar« sind, »mit großer Sicherheit und ohne Verlust« (vgl. Keynes (1930), S. 67; deutsche Übersetzung S. 348 f.). 24

Hicks (1946), S. 163 ff.

25

Vgl. Veit (1948), S. 20

24 Realisierbarkeit

Β. Begriffliche Konzeptionen eines Vermögensobjektes, die zwei K o m p o n e n t e n e n t h ä l t :

Erstens die I n f o r m a t i o n s k o s t e n , d.h. die Kosten der Monetisierbarkeit oder L i q u i d i e r b a r k e i t eines A k t i v u m s i n G e l d u n d zweitens die T r a n s f o r m a t i onskosten, d.h. die Kosten, die bei der U m w a n d l u n g des A k t i v u m s i n G e l d anfallen. 26 Der Monetisierbarkeitsgrad eines Vermögensobjektes hängt einerseits v o m V o l l k o m m e n h e i t s g r a d des M a r k t e s u n d andererseits v o m Vollständigkeitsgrad der K o n k u r r e n z ab. W i r d das betreffende Vermögensobjekt auf einem M a r k t gehandelt, der v o l l k o m m e n ist u n d auf d e m zugleich vollständige K o n k u r r e n z herrscht, d a n n ist es v o l l s t ä n d i g l i q u i d i e r b a r . Beispielsweise besitzen Wertpapiere, die an der Börse zugelassen sind, insofern einen hohen L i q u i d i e r b a r k e i t s g r a d , als daß sie - n a t ü r l i c h abhängig von der Menge - jederzeit zu einem b e s t i m m t e n Preis verkauft werden können. I n der R e a l i t ä t liegt hingegen i n den meisten Fällen nicht nur unvollständige K o n k u r r e n z , sondern auch ein unvollkommener M a r k t vor, wie beispielsweise der M a r k t für Sachvermögen (Gebrauchtwagen, Häuser, Grundstücke). So b e d i n g t beispielsweise der Verkauf eines Hauses große Transformations- u n d I n f o r m a t i o n s k o s t e n u n d steht daher d e m G e l d i m Sinne der Z a h l u n g s m i t t e l n ä h e weniger nahe als Wertpapiere. Doch selbst, wenn ein A k t i v u m v o l l s t ä n d i g mobilisierbar ist, fallen b e i m Verkauf Transformationskosten an. Betrachten w i r beispielsweise ein W e r t papier, das an der Börse gehandelt w i r d u n d für das vollständige K o n k u r r e n z herrscht, d a n n verursacht die U m w a n d l u n g eines Wertpapieres effektive Kosten i n F o r m von Maklergebühren. Diese beiden Liquiditätselemente (unterschiedliche Höhe an Informations- u n d Transformationskosten) beziehen sich auf die kurzfristige Realisierbarkeit von Vermögensobjekten, d.h. ihre F ä h i g k e i t , in das Z a h l u n g s m i t t e l G e l d u m g e w a n d e l t zu werden. Je geringer die Informations- u n d Transformationskosten sind, ein bestimmtes A k t i v u m i n Geld umzutauschen, desto l i q u i d e r ist es, d.h., u m so näher steht es d e m Geld, bei d e m ü b e r h a u p t keine I n f o r m a t i o n s - u n d Transformationskosten anfallen. Die andere K o m p o n e n t e des Liquiditätsbegriffes bezieht sich auf die Eigenschaft der A k t i v a , als W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l zu dienen. M i t d e m etwas schwerfälligen T e r m i n u s » W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l n ä h e « bezeich26

Vgl. Ciaassen (1980), S. 49 ff. Neben den Begriffen »Informations-« und »Transformationskosten« wird in der Literatur der Begriff der » Transaktionskosten « verwendet. Verstehen wir unter letzterem die Kosten, die beim Kauf oder Verkaufeines Gutes anfallen, so stellen die Transformationsund Informationskosten einen speziellen Fall der Transaktionskosten dar, nämlich die Transaktionskosten, die beim Verkauf eines Vermögensobjektes gegen Geld entstehen.

I. Definition und Abgrenzung verschiedener Vermögenskonzeptionen

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nen w i r die sichere, verlustfreie Realisierung eines Vermögensobjektes. Das Geld stellt i n Zeiten der G e l d w e r t s t a b i l i t ä t das sicherste Wertaufbewahr u n g s m i t t e l dar. Andere A k t i v a erfüllen die F u n k t i o n der Wertaufbewahrung weniger, sie sind dementsprechend weniger liquide u n d stehen d e m Geld als sicherstem W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l weniger nahe. Die Wertsicherheit eines Vermögensobjektes h ä n g t indessen davon ab, inwieweit es durch z u k ü n f t i g e Preisänderungen der Gefahr von W e r t m i n derungen ausgesetzt ist. Diese, i m Sinne der W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l n ä he verstandene L i q u i d i t ä t , bezieht sich auf die Sicherheit bzw. Unsicherheit der z u k ü n f t i g e n W e r t e der A k t i v a . Z u k ü n f t i g e Preisänderungen können e i n m a l den W e r t des A k t i v u m s selbst betreffen, u n d d a m i t seinen zukünftigen K a p i t a l wert v e r ä n d e r n 2 7 . Diese Unsicherheit hinsichtlich des K a p i t a l w e r t e s ist bei den verschiedenen Vermögensobjekten unterschiedlich hoch. W ä h r e n d der K a p i t a l w e r t des Geldes (nicht zu verwechseln m i t dem Realwert) stets gleich seinem N o m i n a l w e r t ist u n d nicht durch Preisbewegungen verändert werden kann, variiert der K a p i t a l w e r t der übrigen A k t i v a m i t der Veränderung ihrer Preise. Finanz- u n d Sachaktiva werden gegenüber d e m G e l d zu »imperfect moneyness« degradiert. U n t e r diesem Aspekt w i r d G e l d also z u m Träger höchster L i q u i d i t ä t i m Sinne des besten W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l s , alle anderen A k t i v a erfüllen diese L i q u i d i t ä t s eigenschaft nur zu einem geringeren G r a d . Andererseits können sich die z u k ü n f t i g e n Preisänderungen aber auch auf das allgemeine Preisniveau beziehen u n d den z u k ü n f t i g e n Realwert der einzelnen Vermögensobjekte berühren. W i e w i r i m folgenden sehen, können w i r Realwertänderungen nicht isoliert von K a p i t a l w e r t ä n d e r u n g e n untersuchen. A u s diesem G r u n d können w i r die Geldnähe einzelner Vermögensobjekte i m Sinne der W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l n ä h e nur schwer m i t e i n a n der vergleichen. I n Zeiten inflationärer Preisbewegungen büßen die Finanza k t i v a einen Verlust ihres Realwertes ein. Je nach erwarteter Inflationsrate verliert das Geld, das i m Fall der G e l d w e r t s t a b i l i t ä t als Träger höchster L i q u i d i t ä t das beste Zahlungs- u n d W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l darstellte, seine absolute Liquiditätseigenschaft u n d w i r d i m Vergleich zu anderen Vermögensobjekten zu einem weniger l i q u i d e n A k t i v u m . I n A b h ä n g i g k e i t von der K a p i t a l w e r t e n t w i c k l u n g können andere A k t i v a , wie beispielsweise Sachaktiva, die F u n k t i o n der W e r t a u f b e w a h r u n g besser ausüben. Werden dagegen anhaltende deflationäre Preisbewegungen erwartet, erhöht sich der Realwert der F i n a n z a k t i v a , während der Realwert der A k t i e n u n d Sachaktiva, j e nach der E n t w i c k l u n g ihres K a p i t a l w e r t e s , variiert. 2 7

Der Begriff des Kapitalwertes, wie wir ihn hier verstehen, darf nicht mit dem sogenannten Ertragswert, als das zukünftige abgezinste Einkommen (siehe Seite 21), verwechselt werden.

Β . Begriffliche Konzeptionen

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Zusammenfassend können w i r i m Ergebnis festhalten, daß i m Falle von allgemeinen inflationären u n d deflationären Geldwertschwankungen A k t i en u n d Sachaktiva i n b e s t i m m t e n Fällen als ideale Wertaufbewahrungsm i t t e l angesehen werden können. Geld, das vorher als Träger höchster L i q u i d i t ä t das beste Zahlungs- u n d W e r t a u f b e w a h r u n g s m i t t e l darstellte, verliert seine absolute Liquiditätseigenschaft u n d w i r d i m Vergleich zu anderen Vermögensobjekten zu einem weniger l i q u i d e n A k t i v u m . M i t dieser Spezifizierung der L i q u i d i t ä t s e l e m e n t e wurde n a t ü r l i c h nur eine formelle B e g r i f f s b e s t i m m u n g der L i q u i d i t ä t i m Sinne der Geldnähe von Vermögensobjekten vorgenommen. D a das L i q u i d i t ä t s p h ä n o m e n z u m großen T e i l i n der u n v o l l s t ä n d i g e n Voraussicht bzw. der Unsicherheit begründet ist, u n d die B e w e r t u n g dieser Unsicherheit von den E r w a r t u n g e n der einzelnen W i r t s c h a f t s s u b j e k t e a b h ä n g t , kann es ein objektives L i q u i d i t ä t s m a ß nicht geben. Es ist daher nur von Fall zu F a l l a n h a n d der gegenwärtigen w i r t s c h a f t l i c h e n S i t u a t i o n u n d der allgemeinen E r w a r t u n g e n zu entscheiden, ob einige Vermögensobjekte liquider als andere Vermögensobjekte sind, die diese »geldnahen« Eigenschaften nicht besitzen.

I I . D e f i n i t i o n u n d A b g r e n z u n g des Schuldbegriffes 1. Ö k o n o m i s c h e A b g r e n z u n g d e r S c h u l d e n W i e w i r i m vorhergehenden A b s c h n i t t schon bei der D e f i n i t i o n des einzelwirtschaftlichen Vermögensbegriffes angedeutet haben - u n d wie w i r i m folgenden noch ausführlich zeigen werden - b l e i b t der Vermögensbegriff ohne die E i n f ü h r u n g eines ökonomischen Schuldbegriffes u n v o l l s t ä n d i g : »The rise of income and the accumulation of wealth are one aspect of economic growth: the corollary, where budgets are unbalanced, is the accumulation of debt and financial assets.« 28 . Daß heute z u m Schuldbegriff die verschiedensten Interpretationsansätze vorliegen, versetzt nicht w i r k l i c h i n Erstaunen, d a sich Überlegungen z u m Schuldbegriff i n vielen Bereichen der abendländischen Geistesgeschichte finden. Schuld k a n n i n verschiedenen Zusammenhängen sehr weit gefaßt werden u n d es ist n i c h t n o t w e n d i g , auf die vielen diffizilen D e t a i l p r o b l e m e u n d Meinungsverschiedenheiten i n den jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen einzugehen. I n der Volkswirtschaftslehre findet die moralphilosophische Diskussion des Schuldbegriffes vorwiegend i n der W i r t s c h a f t s e t h i k 28

Gurley / Shaw (1955), S. 517.

II. Definition und Abgrenzung des Schuldbegriffes

27

s t a t t , die w i r allerdings nicht weiter ausführen. F ü r uns h a t die B e h a n d l u n g der Schuldverhältnisse hier nur i n s t r u m e n t a l e n C h a r a k t e r , es geht u m die I m p l i k a t i o n ansteigender Schulden auf die deflatorische Preisentwicklung. Eine D e f i n i t i o n des Begriffes Schuld zu formulieren, der zur K l ä r u n g u n d B e s t i m m u n g der j e w e i l i g e n Begriffselemente d i e n t , ist nicht leicht. Angelehnt an die zivilrechtliche Begriffsbildung i n der J u r i s p r u d e n z 2 9 verstehen w i r ganz allgemein unter Schuld eine V e r b i n d l i c h k e i t , die die Verpflichtung zu einer Leistung i n einem spezifizierten Z e i t r a h m e n eines Schuldverhältnisses e n t h ä l t . M i t einem derart a b s t r a k t e n Schuldbegriff können w i r n a t ü r l i c h noch nicht viel anfangen. Es empfiehlt sich daher, den Begriff des Schuld Verhältnisses näher zu untersuchen. E i n Schuldverhältnis stellt eine Beziehung zwischen mindestens zwei W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n dar, kraft derer der Gläubiger berechtigt ist, v o m Schuldner eine Leistung zu fordern u n d der Schuldner verpflichtet ist, diese L e i s t u n g zu erbringen. Andere Definitionen fügen noch weitere M e r k m a l e h i n z u , wie beispielsweise die Existenz gesellschaftlicher u n d juristischer S a n k t i o n e n bei N i c h t e r f ü l l u n g der eingegangenen Schuldverpflichtung. Entscheidend ist jedoch, daß i m Unterschied z u m Vermögensbegriff, b e i m Schuldbegriff eine S u b j e k t - S u b j e k t - B e z i e h u n g vorliegt. F ü r die ökonomische Analyse ist entscheidend, daß das sogenannte Verpflichtungsgeschäft, d.h. das Versprechen auf E r f ü l l u n g der Schuld, u n d das Verfügungsgeschäft, d.h. die tatsächliche E r f ü l l u n g der Schuld, zeitmäßig auseinander fallen. Daher ist die E r f ü l l u n g der Schuld grundsätzlich unsicher. DELS bedeutet, daß einerseits z u m Z e i t p u n k t des Verpflichtungsgeschäftes die K e n n t n i s der ökonomischen S i t u a t i o n a m späteren Z e i t p u n k t des Verfügungsgeschäftes fehlt u n d andererseits jede N i c h t e r f ü l l u n g einer Schuldverpflichtung w i e d e r u m den Abschluß neuer Verpflichtungsgeschäfte gefährdet u n d d a m i t die z u k ü n f t i g e ökonomische A k t i v i t ä t beeinträchtigt. E i n für uns brauchbarer Schuldbegriff m u ß nicht nur darüber A u s k u n f t geben, was w i r i n Z u k u n f t unter einem Schuldverhältnis verstehen wollen. V i e l m e h r m u ß er auch zur K l ä r u n g des abstrakten Begriffs der Schuld beitragen. U n t e r Schuld i m ökonomischen Sinn verstehen w i r i m folgenden die i n der B i l a n z eines Wirtschaftssubjektes oder einer N a t i o n ausgezeichne29

W i e sich § 241 des Bürgerlichen Gesetzbuches entnehmen läßt, ist das Schuldverhältnis ein Rechtsverhältnis, »in dem sich zwei oder mehrere Personen als einander zu bestimmten Leistungen berechtigt und verpflichtet gegenüberstehen«. I m engeren Sinn beschränkt sich das Schuldverhältnis in seinen Wirkungen auf Gläubiger und Schuldner. D e m Forderndürfen des Gläubigers (Forderung) entspricht auf der Seite des Schuldners das Leistensollen (Verbindlichkeit) (vgl. Teichmann (1990), S. 2).

28

Β . Begriffliche Konzeptionen

ten u n d i n Geldeinheiten gemessenen Verbindlichkeiten. Die Aufgliederung der Passivseite einer B i l a n z spiegelt die vielfältigen Schuldverhältnisse einer W i r t s c h a f t s e i n h e i t oder einer N a t i o n wider. I m Unterschied z u m Vermögen stellt sich hier nicht die Frage nach der B e w e r t u n g der Schuld, d a der ( N o m i n a l - ) W e r t einer Schuld - zumindest i m ökonomischen Sinn identisch m i t d e m Rückzahlungsbetrag ist.

2. I l l i q u i d i t ä t als E i g e n s c h a f t v o n S c h u l d t i t e l n Der I l l i q u i d i t ä t g r a d einer Schuld umschreibt nicht nur den T a t b e s t a n d , daß n a t ü r l i c h die Schuldner den RückZahlungsverpflichtungen ihrer Schulden n a c h k o m m e n müssen. V i e l m e h r müssen diese Rückzahlungsverpflichtungen zu festgelegten Z e i t p u n k t e n erfüllt werden. Sind n u n alle S c h u l d t i t e l m e h r oder weniger illiquide? Bei der B e s t i m m u n g des I l l i q u i d i t ä t s g r a d e s der S c h u l d t i t e l sind zwei E x t r e m f ä l l e denkbar: Entweder m u ß der Schuldner seine Schulden sofort zurückzahlen, seine Schuld ist d a n n v o l l k o m m e n i l l i q u i d e , oder seine Rückzahlungsverpflichtungen liegen weit i n der Z u k u n f t , so daß eine I l l i q u i d i t ä t für die betreffenden S c h u l d t i t e l p r a k t i s c h nicht vorhanden ist. Zwischen diesen beiden E x t r e m f ä l l e n liegt gewöhnlich der I l l i q u i d i t ä t s g r a d des überwiegenden Teils der Verbindlichkeiten. Normalerweise ist ein S c h u l d t i t e l umso i l l i q u i d e r , j e geringer seine Restlaufzeit ist. I l l i q u i d i t ä t u n d Laufzeit der S c h u l d t i t e l stehen d a n n i n einer reziproken Beziehung zueinander. W i e w i r bereits gesehen haben, g i l t ein ähnlicher Z u s a m m e n h a n g für den L i q u i d i t ä t s g r a d der Forderungstitel: hinsichtlich ihres K a p i t a l w e r t e s ist i h r L i q u i d i t ä t s g r a d umso geringer, j e langfristiger die Wertpapiere sind. Tatsächlich ist es aber keineswegs zwingend, daß ein S c h u l d t i t e l umso i l l i q u i d e r ist, j e näher sein F ä l l i g k e i t s t e r m i n r ü c k t . So g i b t es eine Reihe von kurzfristigen Verbindlichkeiten, die de facto langfristig sind, d a sie ohne Schwierigkeiten refinanziert werden können.

3. K r e d i t b e z i e h u n g e n als S c h u l d b e z i e h u n g e n Z u j e d e m Z e i t p u n k t liegt über d e m Volksvermögen ein Netz von Forderungen, das b e w i r k t , daß juristische u n d wirtschaftliche E i g e n t ü m e r nicht i m m e r die gleichen Personen sind. Ü b e r a l l d o r t , wo eine solche T r e n n u n g zwischen d e m j u r i s t i s c h e n u n d d e m wirtschaftlichen E i g e n t ü m e r gegeben ist, liegt eine sogenannte Kreditbeziehung vor:

I I I . Abgrenzung verschiedener Definitionen der Deflation

29

»Kreditbeziehungen sind ... nur da vorhanden, wo die Güter nicht im Besitz des >wahren< Eigentümers sind, wo ein Schuldner die Güter besitzt (und auch das juristische Eigentum hat) und der wahre Eigentümer sich mit einer Forderung gegen den besitzenden Schuldner begnügt.« 3 0 Der Begriff des Schuldverhältnisses findet i n der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie seine K o n k r e t i s i e r u n g i m Begriff der Kreditbeziehung. Jede K r e d i t b e z i e h u n g stellt ein Schuldverhältnis dar, aber nicht jedes Schuldverh ä l t n i s ist u m g e k e h r t auch eine K r e d i t b e z i e h u n g . Die Menge aller K r e d i t beziehungen i n einer V o l k s w i r t s c h a f t zu einem Z e i t p u n k t bezeichnet auch die volkswirtschaftliche K r e d i t v e r f l e c h t u n g . 3 1 Eine i m m e r stärkere K r e d i t v e r f l e c h t u n g ist Ausdruck einer intensiveren A r b e i t s t e i l u n g zwischen W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n , die sparen (Überschußeinheiten) u n d W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n , die investieren (Defiziteinheiten). Gleichzeitig k o m m t eine stärkere T r e n n u n g zustande zwischen den W i r t schaftssubjekten, die das Real vermögen der W i r t s c h a f t als E i g e n t ü m e r besitzen, u n d den W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n , die das Real vermögen als U n t e r nehmer verwalten. Eine zunehmende K r e d i t Verflechtung i n einer Volkswirtschaft fördert i m allgemeinen das W i r t s c h a f t s w a c h s t u m , kann es von einem b e s t i m m t e n M o m e n t an aber auch l ä h m e n . U n t e r d e m Gesichtspunkt einer rückläufigen wirtschaftlichen A k t i v i t ä t stellt sich für uns die Frage, i n w i e w e i t der K r e d i t u n d eine entwickelte K r e d i t t e c h n i k i m s t a n d e sind, die A r t , Menge u n d V e r t e i l u n g der i n einer Volkswirtschaft p r o d u z i e r t e n G ü t e r zu beeinflussen. 3 2 Diese Frage - die P r o d u k t i o n , A l l o k a t i o n u n d D i s t r i b u t i o n betreffend - stellt das Ziel unserer weiteren Untersuchung dar.

I I I . A b g r e n z u n g verschiedener D e f i n i t i o n e n der Deflation 1. D e f i n i t i o n des P h ä n o m e n s d e r D e f l a t i o n W i e b e i m Begriff des Vermögens g i b t es i n den Wirtschaftswissenschaften auch hinsichtlich der genauen D e f i n i t i o n u n d A b g r e n z u n g des Begriffs

30

Hopker-Aschoff

31

Vgl. Stobbe (1984), S. 66.

(1939), S. 14.

32 Vgl. Hahn (1930), S. 8. Etwa zur gleichen Zeit wie Hahn untersuchte auch Schumpeter, die Folgen der Kreditgewährung der Banken für den Bestand und die Verteilung der Güter in eine Volkswirtschaft (vgl. Schumpeter (1926), S. 140 ff.).

Β . Begriffliche Konzeptionen

30

der Deflation keine Ü b e r e i n s t i m m u n g . 3 3 A n f ä n g l i c h d o m i n i e r t e n unter den Beschreibungen des Phänomens jene, die auf die W ä h r u n g eines Landes bezogen waren. So versteht beispielsweise Haberler unter Deflation den monetären Vorgang der K o n t r a k t i o n der Geldmenge oder der v o l k s w i r t schafltichen K r e d i t s u m m e . »Die Ausdrücke >Expansion< und >Kontraktion< werden manchmal im rein montären Sinne einer Expansion oder Kontraktion von Geld oder Kredit gebraucht ... Für den rein monetären Aspekt werden wir gewöhnlich die Ausdrücke >Inflation< und >Deflation< gebrauchen.« 34 D e m n a c h ist D e f l a t i o n ein R ü c k g a n g der Geldmenge oder der K r e d i t s u m me i n einer V o l k s w i r t s c h a f t . 3 5 A l l e r d i n g s muß der Kontraktionsprozeß eine gewisse Persistenz aufweisen; ein einmaliges Sinken der Geld- oder der Kred i t m e n g e rechtfertigt noch n i c h t die Rede von einer Deflation. I n »Prosper i t ä t u n d Depression« verwendet Haberler den Begriff der Deflation d a n n auch i m Sinne eines a l l m ä h l i c h e n Sinkens der monetären Nachfrage, d.h. der Gesamtheit der g e t ä t i g t e n Ausgaben für K o n s u m u n d Investitionen i n einer Periode. »Die Deflation im Sinne eines allmählichen Abnehmens der Gesamtnachfrage nach Gütern, ausgedrückt in Geld, spielt im Kontraktionsprozeß eine wichtige Rolle.« 3 6 W ä h r e n d weitgehend E i n i g k e i t über die Beobachtung u n d die Beurteil u n g konkreter deflationärer Prozesse i n den jeweiligen L ä n d e r n herrscht, besteht bezüglich der W a h l der Geldmenge u n d der K r e d i t s u m m e keineswegs Ü b e r e i n s t i m m u n g . So erfolgte z u m Beispiel die A b g r e n z u n g der Kred i t m e n g e z u m B a n k k r e d i t nicht i m m e r m i t der wünschenswerten K l a r h e i t . Die weiteste V e r b r e i t u n g fand die Charakterisierung der Deflation als ein andauernder R ü c k g a n g des Preisniveaus einer V o l k s w i r t s c h a f t . 3 7 Entsprechend dieser K l a s s i f i k a t i o n w i r d ein Prozeß als Deflation bezeichnet, wenn die Änderungsrate des Preisniveaus über einen längeren Z e i t r a u m hinweg negativ ist. I n der L i t e r a t u r 'wird zudem der Versuch u n t e r n o m m e n , den Definitionsbereich für den T e r m i n u s Deflation auf sinkende, aber positive 33

Vgl. Feldsieper

34

Haberler (1964), S. 269 n.; deutsche Übersetzung S. 258 n.

(1980), S. 133.

35

Zur Beschreibung dieses Vorganges wählt Hahn den exakteren Begriff der »Gelddeflation« und führt aus: » W i r sprechen von Gelddeflation, wenn die Banken und Zentralbanken ihre Ausleihungen einschränken, so daß Bank- und Bargeld vernichtet oder aus der Zirkulation gezogen wird.« (Hahn (1954), S. 130.) 36

Haberler (1964), S. 323; deutsche Übersetzung S. 308.

37

Vgl. Feldsieper

(1980), S. 133.

I I I . Abgrenzung verschiedener Definitionen der Deflation

31

W a c h s t u m s r a t e n des Preisniveaus zu erweitern. Zweifelslos handelt es sich auch hier u m eine F o r m der Deflation, die j e d o c h genauigkeitshalber als Disinflation

bezeichnet werden sollte.

N u n liegt das charakteristische M e r k m a l eines durch Deflation verursachten Preisrückganges gerade d a r i n , daß er sehr ungleichmäßig Preise für Ströme u n d Bestände erfaßt. Eine D e f i n i t i o n der Deflation i m Sinne des Sinkens eines allgemeinen Preisniveaus scheint uns daher eine unzulässige E i n s c h r ä n k u n g des Begriffs. W i r wollen i n Z u k u n f t auch d a n n von einer Deflation sprechen, wenn nicht alle Preise, sondern nur die Preise einzelner, als w i c h t i g angesehener G ü t e r g r u p p e n einer Volkswirtschaft, wie beispielsweise I m m o b i l i e n oder A k t i e n , a n h a l t e n d sinken. Indes, der Vorschlag, einzelnen Preisen zur Geldwertmessung den Vorzug zu geben, geht bis weit i n das 19. J a h r h u n d e r t zurück. Beispielsweise repräsentierte für T h o m a s Tooke hauptsächlich der Getreidepreis bzw. der Weizenpreis die K a u f k r a f t des Geldes o b w o h l die Indexrechnung bereits zur Verfügung s t a n d . 3 8 Dies ist auch plausibel, wenn w i r bedenken, daß zu jener Zeit B r o t das wichtigste N a h r u n g s m i t t e l für die M e h r h e i t der Bevölkerung d a r s t e l l t e . 3 9 Angesichts dieser Tatsache stellt sich die Frage, was ü b e r h a u p t unter d e m Preisniveau einer V o l k s w i r t s c h a f t zu verstehen sei. Keynes bestreitet i n diesem Z u s a m m e n h a n g die Existenz eines allgemeinen Preisniveaus als Ausdruck für die K a u f k r a f t des Geldes: »There is no moving but unique centre, to be called the general price level ... There are various, quite definite, conceptions of price-levels of composite commodities appropriate for various purposes and inquiries ...« 4 0 U m die relative B e d e u t u n g der einzelnen Preise sowie ihrer positiven u n d negativen Veränderungen i m H i n b l i c k auf den Untersuchungsgegenstand zu berücksichtigen, müssen unterschiedliche Preisindices konstruiert und angewandt werden. T r o t z d e m findet i m m e r wieder der Versuch s t a t t , einen i n seiner Gütererfassung breiten u n d von einer V i e l z a h l von W i r t schaftssubjekten als bedeutsam angesehenen Preisindex zu konstruieren u n d für die Begriffe I n f l a t i o n u n d Deflation zu n o r m i e r e n . 4 1

38

Vgl. Tooke / Newmarch (1858), S. 94.

39

Vgl. Rieter (1997), S. 87.

40

Keynes (1930), S. 76; deutsche Übersetzung S. 69.

41

Eine ausführliche Diskussion der Probleme, die bei der Konstruktion von Preisindices auftreten, findet sich bei Keyrtes undZierke. Vgl. Keynes (1930), S. 47 ff.; deutsche Übersetzung S. 45 ff. und Zierke (1970), S. 21 ff.

Β . Begriffliche Konzeptionen

32

Vor d e m Zweiten W e l t k r i e g bevorzugte m a n den Index der Großhandelspreise zur C h a r a k t e r i s i e r u n g des Preisniveaus einer Volkswirtschaft, d a er eine große A n z a h l von Wirtschaftsbereichen erfaßt u n d besonders beweglich ist. Daneben erwog m a n einen Preisindex für das B r u t t o s o z i a l p r o d u k t wegen seiner noch größeren Repräsentanz zur Kennzeichnung der Preisentw i c k l u n g . L e t z t e n d l i c h setzte sich j e d o c h der Preisindex der K o n s u m g ü t e r bzw. der Lebenshaltung für ausgewählte Verbrauchergruppen zur K e n n zeichnung von Inflations- u n d Deflationsprozessen durch. Der G r u n d liegt z u m einen i n der B e d e u t u n g des letzten K o n s u m s als Ziel jeden W i r t s c h a f tens: » A n index number of the purchasing power of money should include, directly or indirectly, once and once only, all the items which enter into final consumption (as distinct from an intermediate productive process) ... (I — π)Rq u n d 0 < 1 — π < 1 folgt daraus das Ergebnis

M i t anderen W o r t e n : das E i n k o m m e n der Unternehmer s i n k t i m Z e i t a b l a u f m i t einer größeren R a t e als π. Unsere Überlegung zeigt, daß die U n t e r n e h m e r e i n k o m m e n als residualb e s t i m m t e Profite umso stärker i m Deflationsprozeß zurückgehen, j e höher das k o n t r a k t b e s t i m m t e E i n k o m m e n aus Vermögenstiteln ist u n d j e unvollständiger es den A r b e i t g e b e r n gelingt, ein fallendes Preisniveau durch geringere Lohnsätze zu kompensieren. W ä h r e n d die Bezieher fester E i n k o m m e n ihren A n t e i l a m n o m i n e l l e n V o l k s e i n k o m m e n beständig ausweiten u n d d a m i t als Gewinner aus einer deflationsinduzierten E i n k o m m e n s u m verteilung hervorgehen, stehen die passiv agierenden Unternehmer als die eigentlichen Verlierer dar, die es nicht vermochten, ihren A n t e i l a m Volkse i n k o m m e n durch aktives V e r h a l t e n ex ante zu sichern. E i n solches einfaches formales M o d e l l k a n n n a t ü r l i c h nur das wiedergeben, was w i r zuvor hineingesteckt haben. Das ist neben d e m Unternehmeru n d A r b e i t n e h m e r v e r h a l t e n ein konstantes R e a l p r o d u k t u n d eine konstante A n z a h l an Beschäftigten; der A r b e i t s m a r k t existiert praktisch nicht. A n sich ist aber einsichtig, daß insbesondere i n einem Deflationsprozeß das reale S o z i a l p r o d u k t nicht fixiert ist. A n a l y t i s c h ergeben sich aber schnell große Probleme, wenn i n einem M o d e l l Depression u n d Deflation gemeinsam behandelt werden. V o r a l l e m ist die Frage, zu welchen Teilen ex ante Angebotsüberschüsse zu sinkender P r o d u k t i o n u n d fallendem Preisniveau führen, f o r m a l außerordentlich schwierig zu erfassen. W i r wollen uns d a m i t helfen, daß w i r unseren Überlegungen ein M o d e l l neoklassischer Provenienz m i t einer C o b b - D o u g l a s - P r o d u k t i o n s f u n k t i o n zugrunde legen. N i c h t eine mangelnde Nachfrage f ü h r t hier zu einem Rückgang der Beschäftigung, sondern die, auf G r u n d des gesunkenen Preisniveaus, rückläufige G r e n z p r o d u k t i v i t ä t der A r b e i t erzwingt die Anpassung der Beschäftigung nach unten. I n einer geschlossenen Volkswirtschaft bezeichne Y t n das N o m i n a l - u n d Y t r das reale S o z i a l p r o d u k t . Die P r o d u k t i o n erfolgt m i t Hilfe der beiden P r o d u k t i o n s f a k t o r e n A r b e i t u n d K a p i t a l , wobei Lt den Arbeitseinsatz u n d K t den K a p i t a l e i n s a t z i n der Periode t bezeichne. Die technischen M ö g lichkeiten werden d u r c h die C o b b - D o u g l a s - P r o d u k t i o n s f u n k t i o n (E.3)

Y t T = KfLf,

a,ß = konst.

0 < α, β < 1

I. Redistributive Wirkungen einer Deflation

113

angegeben. Die F u n k t i o n besitzt konstante Skalenerträge, d.h. a + ß = 1, u n d genügt d e m neoklassischen Ertragsgesetz, d.h. sie besitzt p o s i t i v abnehmende partielle G r e n z p r o d u k t e . D a r ü b e r hinaus nehme i m Sinne einer Deflation das Preisniveau m i t einer konstanten Rate π ab, Pt^Poe-* 1,

Po — i

Das nominelle V o l k s e i n k o m m e n Y T N einer Periode w i r d aufgespalten i n das E i n k o m m e n aus V e r m ö g e n s t i t e l n RT, das A r b e i t n e h m e r e i n k o m m e n AT u n d das U n t e r n e h m e r e i n k o m m e n i / t : Y TN

=

AT+U T

=

WT-LT

+ RT + UT + RT

wobei analog z u m obigen M o d e l l RT = RO u n d w t = u>o konstant sind. I m Unterschied z u m neoklassischen M o d e l l , i n d e m alle verfügbaren A r beitskräfte beschäftigt werden u n d die G r e n z p r o d u k t i v i t ä t der A r b e i t den zugehörigen Lohnssatz b e s t i m m t 2 0 , wählen i n unserem M o d e l l die Unternehmer den Arbeitseinsatz LT so, daß das W e r t g r e n z p r o d u k t der A r b e i t dem n o m i n e l l fixierten Lohnsatz wq entspricht: Ig-

K?ßLf- l.P t

= —

Wo

Ferner nehmen w i r an, daß der K a p i t a l e i n s a t z K T i m Z e i t a b l a u f unverändert bleibt u n d Anpassungen an das gesunkene Preisniveau nur über Beschäftigungsänderungen erfolgen. A u s einem Vergleich des Wertgrenzproduktes der A r b e i t i n der Periode t m i t d e m W e r t g r e n z p r o d u k t der A r b e i t i n der Ausgangsperiode t = 0

"J:

= KßLr-Po =

D a P T < Pq u n d 0 < β < 1 g i l t : (E.5) 20

Vgl. Solow (1956), S. 68.

8 Kasten

Wo

1 1 4 E .

Makroökonomische Folgen von Deflation und Verschuldung

Daraus folgt, daß die Beschäftigung i m Z e i t a b l a u f a b n i m m t . Wegen p o s i t i v abnehmender Grenzerträge des Faktors A r b e i t geht auch das R e a l p r o d u k t aus Gleichung (E.3) zurück. A l s nächstes ist zu fragen, wie sich bei einem gesunkenen N o m i n a l p r o d u k t das Verhältnis der L o h n e i n k o m m e n zu den G e w i n n e i n k o m m e n verändert hat. Werden die P r o d u k t i o n s f a k t o r e n m i t ihren G r e n z p r o d u k t e n e n t l o h n t , d a n n errechnen sich die F a k t o r e i n k o m m e n als das P r o d u k t der jeweiligen P r o d u k t i o n s e l a s t i z i t ä t m i t d e m n o m i n e l l e n S o z i a l p r o d u k t . F ü r das L o h n e i n k o m m e n erhalten w i r At

= ßY t n

u n d für das G e w i n n e i n k o m -

n

men U t + Rt =