Untersuchungen über die Chronologie der Ziegelstempel der Gens Domitia
 9783111462202, 9783111095141

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Der Brief des jüngeren Plinius über die Familienangelegenheiten der Domitier
II. Die Familie der Domitier: Cn. Domitius Afer, Cn. Domitius Lucanus, Co. Domitius Tullus, Domitia Cn. f. Lucilla, Domitia P. f. Lucilla
III. Die chronologischen Daten
IV. Die Ziegelstempel der Domitier
V. Die Ziegelstempel der Domitierliberten
VI. Uebersichtstafel der Domitierstempel

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UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE CHRONOLOGIE DER

ZIEGELSTEMPEL DER GENS DOMITIA

UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE CHRONOLOGIE DER

ZIEGELSTEMPEL DER GENS DOMITIA

WILHELM HENZEN ZUR FEIER SEINES LXX GEBURTSTAGES IN D A N K B A R E R

VEREHRUNG

GEWIDMET

VON

HEINRICH DRESSEL

BERLIN DRUCK UNI) V E R L A G VON G E O R G

188G

REIMER

ANNOS POST

S E P T V A G E S I M Y M FAVSTOS F E L I C E S TIBI

I n h a l t . Seite

Kinleitung I. II.

1

Der Brief des j ü n g e r e n P l i n i u s ü b e r die F a m i l i e n a n g e l e g e n h e i t e n der Domitier . Die F a m i l i e der Domitier:

3

Cn. P o m i t i u s A f e r , Cn. Domitius L u c a n u s , Cn. Do-

niitius Tullus, Domitia Cu. f. Lucilla, Dooiitia P. f. Lucilla

6

III.

Die chronologischen Daten

IV.

Die Ziegelstempel der Domitier

19

Die Ziegelstempel der Domitierliberten

48

l'ebersichtstafel der Domitiersteinpel

55

V. VI.

Ii»

Einleitung. Die Zeitbestimmung einer der wichtigsten und zahlreichsten Serien der römischen Ziegelstempel, die man gemeinhin mit dem Namen der Domitierstempel bezeichnet, liegt noch so sehr im Dunkeln, dass es sich wohl der Mühe verlohnt, dieselbe einmal auf breiter Grundlage und, soweit es die heute zu Gebote stehenden Mittel zulassen, erschöpfend zu

erforschen.

An Material dazu fehlt es nicht; es kommt nur darauf an, die bisher in wirrem Durcheinander liegenden Fäden mit geduldiger Hand auszuziehen, sie übersichtlich zu ordnen und umsichtig zu verwerthen, sowie die mit dieser Arbeit verknüpften Vor- und Nebenuntersuchungen richtig zu führen. Für die letzteren liegen wohl einige Arbeiten vor, die sich genau genommen auf eine einzige zurückführen lassen, diejenige Marini's über die Genealogie der älteren und jüngeren Domitia Lucilla; doch sie befassen sich fast ausschliesslich mit der Person der beiden Frauen

und

ihrer nächsten Ver-

wandten, sowie mit ihren Beziehungen zu einander, ohne für die eigentliche Frage nach der Zeitbestimmung der aus ihren

Fabriken

gegangenen Ziegel irgend welche genauere Anhaltspuncte zu liefern. in der umfangreichen Publication

der Domitierstempel,

hervorAuch

welche Descemet

unlängst veranstaltet hat, ist für die Chronologie dieser Monumente überaus wenig geschehen, und die wenigen darauf bezüglichen Angaben sind zum Theil auch so ungenau oder unrichtig, dass der topographischen Forschung, der doch dergleichen Arbeiten hauptsächlich zu Gute kommen sollen, wahrlich kein Nutzen daraus erwachsen kann. Unsere Untersuchung knüpft sich ein Mal an Personen, welche sämmtlich der Geschichte angehören: zunächst an den berühmten Rechtsanwalt aus Nemausus Cn. Domitius Afer und seine beiden Adoptivsöhne Lucanus und Tullus; im weiteren Verlaufe an zwei Frauen, au Domitia Cn. f. Dressel,

Untersuchungen.

X



2



Lucilla, Tochter des Lucanus und zugleich Adoptivtochter ihres Oheims Tullas, und an Domitia P. f. Lucilla, die Tochter der eben genannten und Mutter des nachmaligen Kaisers Marc Aurel. In zweiter Linie haben wir es mit einer langen Reihe einfacher Liberten und Sclaven der vorgenannten Domitier zu thun, deren uuberühmte Namen jedoch auf unzähligen Ziegelstempeln die Jahrhunderte überdauert haben. Alle diese Personen haben theils als Besitzer grossartiger Ziegeleien, theils als Pächter, Werkfiihrer oder Arbeiter in denselben länger als ein Jahrhundert hindurch eine ungeheure Menge Backsteine geliefert, und zwar gerade zu einer Zeit, in welcher die Bauthätigkeit in Rom in voller Blüthe stand. Daher kommt es, dass wir die mit ihren Namen versehenen Ziegel in so vielen antiken Gebäuden vorfinden, und eben weil sie so vielfach vorkommen, ist es für die römische Topographie von hoher Wichtigkeit, wenn sie gerade diese Series der Ziegelstempel chronologisch verwerthen kann1). Wie weit es gelungen ist und noch gelingen könnte, die Puñete zu gewinnen, welche für die Zeitbestimmung der Domitierstempel erforderlich sind, ob die gewonnenen festen Puñete genügen, alle Zweifel über die Chronologie zu beseitigen oder auch nur einige der vielen bisher unentschiedenen Fragen zu klären, die Antwort darauf ist in den folgenden Blättern enthalten. ') Ob und wie die Ziegelstempel für die chronologische Bestimmung eines Gebäudes nützen können, darüber habe ich einige Andeutungen im Bull. d. Istit. 1885 S. 108 f. gegeben.

I.

Der Brief des jüngeren Plinius über die Familienangelegenheiten der Domitier.

Die Grundlage für die Voruntersuchungen zu unserer Arbeit bildet ein an Rufinus gerichteter Brief des jüngeren Plinius (VIII, 18), ein Brief, der zu den interessantesten der Sammlung gehört und der in feinen Zügen und mit ebenso lebendigen wie sicher wahrheitsgetreuen Farben eine ganz eigenartige Familienepisode aus den höheren Stünden des kaiserlichen Roms schildert. Wir werden uns mit demselben um so eingehender zu beschäftigen haben, als er die alleinige Quelle für so mancherlei Einzelheiten ist, welche für die Beurtheilung der nicht ganz einfachen Familienverhältnisse der gens Domitia von besonderer Wichtigkeit sind, und stellen zunächst die uns am meisten interessirenden Abschnitte hier zusammen, einige wörtlich aus Plinius, andere, des besseren Verständnisses wegen mit Erläuterungen versehen und etwas weiter aasgeführt. Die Personen, welche Plinius in seinem Briefe erwähnt, sind ein Mal Cn. Domitius Afer und seine beiden Adoptivsöhne Lucanus und Tullus nebst ihrem leiblichen Vater, dessen Name wahrscheinlich Sex. Titius war; dann Curtilius Mancia, Schwiegervater des Lucanus, und Domitia Cn. f. Lucilla, die einzige Tochter desselben Lucanus; ferner die Gattin des Tullus, deren Namen wir nicht kennen; endlich die Enkel und eine Urenkelin des Tullus. Die Veranlassung des Schreibens ist der eben erfolgte Tod des Cn. Domitius Tullus und das von ihm hinterlassene Testament: ganz Rom spricht nur von dem todten Tullus und von seinen letzten Verfügungen, alle Stadtneuigkeiten sind gleichsam in diesem einen Thema aufgegangen (Plinius § 11). Doch übergehen wir die lebhaften Erörterungen, welche die Gemüther der Hauptstadt so eifrig beschäftigten, auch die gehässigen Ausfälle der enttäuschten Erbschleicher, die den reichen Tullus in 1*



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seinen letzten Lebensjahren umstellt hatten (§ 2. 3), und wenden wir uns zu den Hauptpuncten des Plinianischen Berichts. „Dem Bruderpaar Lucanus und Tullus war es gleichsam vom Schicksal bestimmt, gegen den AVillen derer reich zu werden, durch die sie es wurden. Hatte doch Domitius Afer, der sie an Kindes Statt angenommen, ein vor 18 Jahren abgefasstes Testament hinterlassen, welches er später so sehr missbilligte, dass er den Vater derselben zum Concurs brachte. Merkwürdig war jenes Mannes Härte, merkwürdig das Glück dieser Beiden: die Härte des Domitius Afer, dass er den aus der Reihe der Bürger stiess, mit welchem er gemeinschaftliche Kinder besass; das Glück der Beiden, dass derjenige, der ihnen den Vater genommen hatte, für sie an die Stelle des Vaters trat" (§ 5. 6). In der Folgezeit heirathete Lucanus, der eine der beiden Brüder, eine Tochter des Curtilius Mancia und bekam aus dieser Ehe eine Tochter, welche Plinius zwar nicht namentlich erwähnt, die aber ohne Zweifel jene Domitia Cn. f. Lucilla ist, die uns späterhin noch viel beschäftigen wird. Zwischen Lucanus und seinem Schwiegervater Mancia müssen indessen Differenzen ausgebrochen sein, welche zu einem gänzlichen Zerwürfnisse führten, denn „Curtilius Mancia setzte aus Hass gegen seinen Schwiegersohn Domitius Lucanus die Tochter desselben, seine Enkelin, unter der Bedingung zur Erbin ein, dass sie aus der väterlichen Gewalt entlassen würde" (§ 4). Durch einen geschickten Zug verstand es Lucanus, seiner Tochter die Erbschaft zu erhalten, ohne seine hausväterlichen Rechte über sie zu verlieren. Denn er entliess zwar das Mädchen aus seiner väterlichen Gewalt, veranlasste aber zugleich seinen Bruder Tullus, den Oheim des Mädchens, dieses an Kindes Statt anzunehmen: „so wurde der Wille des Testators umgangen, und Tullus, der mit seinem Bruder in Vermögensgemeinschaft lebte, brachte das aus der väterlichen Gewalt entlassene Mädchen durch den Adoptionsbetrug in dessen Gewalt wieder zurück, und zwar um ein grosses Vermögen reicher als zuvor" (§ 4). Diese Brüder waren in der That vom Schicksal ausersehen, gegen den Willen derer reich zu werden, durch die sie es wurden! Als Lucanus starb, hinterliess er ein Testament, welches durchaus correct war; denn er überwies damit die Erbschaft nicht der eigenen Tochter, sondern seinem Bruder Tullus, der diese Tochter in einem entscheidenden Momente adoptirt hatte. So befand sich denn beim Tode des Lucanus in der Hand des überlebenden Bruders Tullus ein dreifaches Vermögen, welches insgesammt seiner an Kindes Statt angenommenen Nichte Domitia Cn. f. Lucilla zuzufallen bestimmt war: „die Erbschaft des Afer mit alle dem, was Lucanus und



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sein Bruder Tullus hinzuerworben hatten, sollte auf die Tochter des Lucanus übergehen, da dieser seiuen Bruder Tullus zum Universalerben bestellt hatte" (§ 7). Und in der That, als Tullus sein Leben beschloss, „setzte er die von seinem Bruder gezeugte und von ihm selbst an Rindes Statt angenommene Tochter zur Erbin ein" (§ 2). Auch seine Angehörigen gingen nicht leer aus, denn „seine Enkel bedachte er mit vielen und bedeutenden Legaten, seine Urenkelin gleichfalls . . ., allen Verwandten, einem jeden nach seinem Verdienste, erwies er sich erkenntlich, auch seiner Gattin: diese erhielt die anmuthigsten Landsitze und eine bedeutende Summe Geldes" (§ 2. 7. 8). So dankbar wir Plinius für seine eingehende Schilderung sein müssen und für die Einzelheiten, die wir durch ihn über diese Familienereignisse erfahren, ebenso sehr müssen wir es bedauern, dass er einfach von Enkeln und von einer Urenkelin des Tullus spricht, ohne uns ihre Namen zu nennen: ein unklarer Punct, der uns veranlassen wird, noch ein Mal darauf zurückzukommen. Weniger empfinden wir den Ausfall bei der Gattin des Tullus; ihr Name freilich bleibt unbekannt, aber wir erfahren dafür doch manches über sie, das zu wissen für uns nicht unwichtig ist. „Sie war eine treffliche Gattin, eine mit vieler Geduld ausgerüstete Frau, die sich um ihren Mann um so verdienter gemacht hatte, je mehr sie getadelt wurde, ihn geheirathet zu haben. Denn man fand es nicht ganz recht, dass sie, eine Frau aus berühmter Familie, von ehrenwerthem Charakter, schon bejahrt, seit langer Zeit Wittwe und einst Mutter, einem reichen Greise in die Ehe gefolgt war, welcher durch Krankheit derart zerrüttet war, dass er selbst einer Frau hätte widerwärtig werden müssen, die er noch in jüngeren Jahren und als rüstiger Mann heimgeführt hätte. Denn an allen Gliedern gekrümmt und gelähmt, genoss er seine grossen Reichthümer nur mit den Augen, und konnte sich sogar auf seinem Lager nicht anders als mit Hülfe Anderem bewegen . . . Dennoch lebte er, und er wünschte auch zu leben, hauptsächlich weil ihn seine Gattin aufrecht erhielt, welche die Schuld, eine solche Ehe eingegangen zu haben, durch ihre Hingebung in Ruhm verwandelt hatte" (§ 8—10). Der Brief schliesst mit einigen Bemerkungen, welche geeignet sind, von den ungeheuern Reichthümern des Tullus eine ungefähre Vorstellung zu geben. „Man erwartet die Versteigerung" sagt Plinius; und die Ungeduld und Spannung der kauflustigen Geldmänner auf diese Versteigerung war in der That eine berechtigte. Wusste man doch, dass Tullus Kunstschätze und Kostbarkeiten aller Art förmlich aufgespeichert hatte, er, der



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„so reich war, dass er die ausgedehntesten Gärten an demselben Tage, an welchem er sie gekauft, mit zahlreichen und überdies altertümlichen Statuen hätte ausschmücken können: so viel herrliche Kunstwerke hatte er in seinen Magazinen, ohne sie besonders zu beachten" (§ 11).

II.

Die Familie der Donntier: Cn. Domitius Afer, Cn. Domitius Lucanus, Co. Domitius Tullus, Domitia Cn. f. Lucilla, Domitia P. f. Lucilla

Der erste in der Reihe der bei unserer Untersuchung in Betracht kommenden Domitier, der berühmte Rechtsanwalt aus Nemausus CNDOMITIVS AFER, wird uns von allen am wenigsten beschäftigen. Denn als Ziegeleibesitzer spielt er eine nur untergeordnete Rolle — wir haben nur wenige Stempel, auf denen sein Name erscheint —, und aus seinem durch litterarische Zeugnisse hinreichend bekannten Leben interessiren uns nur diejenigen Facta, welche die Fortentwicklung seiner Familie betreffen. Wie aus der chronologischen Aufeinanderfolge der von Tacitus (Ann. XIV, 19) erzählten Begebenheiten hervorgeht, starb Domitius Afer i. J. 59 n. Chr. Durch ein Testament, das er 18 Jahre vor seinem Tode verfasste, also i. J. 42, setzte er zwei Knaben, Lucanus und Tullus, die Söhne eines sonst nicht bekannten Mannes, dessen Name Sex. Titius gewesen sein dürfte'), zu seinen Erben ein (S. 4), und allem Anschein nach fällt die von Plinius bezeugte und bei Gelegenheit des Testaments erwähnte Adoption der beiden Brüder durch Domitius Afer mit der Abfassung dieses Testaments zusammen oder dürfte ihr wenigstens unmittelbar vorhergegangen sein. Die Beweggründe, welche Domitius Afer veranlassten, die Söhne jenes Mannes an Kindes Statt anzunehmen, kennen wir nicht und sie sind auch für unsere Zwecke ziemlich gleichgültig; doch darf aus Rücksicht auf die richtige Reihenfolge der Thatsachen hier nicht unerwähnt bleiben, dass die Angabe Descemet's (inscriptions doliaires de la gens Domitia S. 3) irrthümlich ist, Afer habe gleichsam aus Reue, den Vater der beiden Jünglinge durch die Proscription zu Grunde gerichtet zu haben, die Adoption erst nach dem Tode desselben und nach der Confiscation seiner Güter vorgenommen. Denn aus Plinius (§ 5. 6) geht klar hervor, dass zur Zeit der ') Vgl. die Inschrift Wilmanns 1148.



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Abfassung des Testaments und der damit in Zusammenhang stehenden Vollziehung der Adoption Titius noch lebte: e r s t s p ä t e r bereute Afer diesen Schritt und stürzte den Vater seiner Adoptivkinder durch die Proscription ins Verderben. Die beiden Adoptivsöhne des Afer, CN- DOMITIVS LVCANVS und CN- DOMITIVS TVLLVS — jener war der ältere, wie sich aus Martial IX, 51 v. 4 ergiebt, und die Ziegelstempel bestätigen das insofern, als wir die Brüder hier stets in der Reihenfolge L u c a n u s et T u l l u s erwähnt finden — lebten in der Folge in bestem Einvernehmen mit einander, ein seltenes Beispiel brüderlicher Eintracht, wie das besonders aus Martial hervorgeht, der sie IX, f>l und auch sonst mit Oastor und Pollux vergleicht, ein Vergleich, der sicher nicht dichterischer Schmeichelei seine Entstehung verdankt, sondern gewiss der Wahrheit entspricht. Zeugen doch für das einträchtige Zusammenhalten die von Plinius erwähnten Familienereignisse in glänzender Weise. Ihre Eintracht erstreckt sich auf Alles, selbst auf Besitz und Vermögen, denn zwischen ihnen besteht völlige Gütergemeinschaft: Plinius spricht das ausdrücklich aus, wenn er den einen Bruder dem andern gegenüber als consors f r a t e r bezeichnet, und zahlreiche Ziegelstempel mit ihrer oft wiederkehrenden Angabe On. On. L u c a n i et T u l l i oder blos d u o r u m D o m i t i o r u m liefern uns dafür den sichersten Beweis. Den glänzenden Vermögensverhältnissen der beiden Brüder entsprach ihre öffentliche Laufbahn vollkommen. Zwei in Fuligno gefundene Inschriften, welche d e c u r i o n u m d e c r e t o den Patronen Lucanus und Tullus errichtet worden waren, nennen uns den c u r s u s b o n o r u m der beiden Brüder (Wilmanns n. 1148. 1149). CN- DOMITIVS LVCANVS, der ältere der beiden Adoptivsöhne des On. Domitius Afer, heirathete — das Jahr wird nicht überliefert — eine *

Tochter des Curtilius Mancia') (Plinius § 4), deren Name zwar nicht genannt wird, aber wohl Ourtilia gewesen sein dürfte. Aus dieser Ehe entspross eine Tochter (PI. § 2. 4). Auch ihren Namen verschweigen die litterarischen Quellen; wie sich jedoch im weiteren Verlaufe der Untersuchung zeigen wird, unterliegt es keinem Zweifel, dass diese Tochter des Lucanus Domitia On. f. Lucilla hiess. Die alte und doch ewig neue Geschichte vom Unfrieden zwischen ') Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies der i. J . 54 uder 55 consul suffectus gewesene T. Curtilius Mancia (vgl. Hen'zen im Bull. d. Istit. 1877 S. 48).



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Schwiegereltern und Schwiegersohn tritt uns auch in diesem Familienkreise entgegen; es ist hier der Schwiegervater, welcher störend in die Verhältnisse eingreift. Seinem Groll gegen Lucanus gab Mancia besonders in seinem Testamente Ausdruck: er verfugte nämlich, dass seine Enkelin Domitia Cn. f. Lucilla ihn nur unter der Bedingung beerben solle, dass Lucanus sie aus seiner väterlichen Gewalt entliesse. Als er diese testamentarische Verfügung traf, hatte Mancia freilich eines übersehen — das sich bis zur Gütergemeinschaft erstreckende gute Einvernehmen zwischen Lucanus und seinem Bruder Tullus; und so war es für den Schwiegersohn leicht, klüger als sein Schwiegervater zu sein. Denn er entliess die Tochter aus seiner väterlichen Gewalt, um sie zur Erbschaft gesetzlich zu befähigen, veranlasste aber gleichzeitig seinen Bruder Tullus das Mädchen zu adoptiren (PI. § 2 . 4 ) . Damit war die testamentarische Bedingung, wenn auch ganz und gar nicht im Sinne des Testators ( c i r c u m s c r i p t o t e s t a m e n t o ) , erfüllt worden, und die Tochter blieb sammt der reichen gross väterlichen Erbschaft, wenn auch nicht dem Gesetze nach, so doch factisch in der Gewalt des Lucanus. In diesem Sinne sind jedenfalls die Worte des Plinius aufzufassen c o n s o r s f r a t e r [ T u l l u s ] in f r a t r i s [ L u c a n i ] p o t e s t a t e m e m a n c u p a t a m f i l i a m a d o p t i o n i s f r a u d e r e v o c a v e r a t . Denn dass dem Gesetz nach nicht mehr Lucanus, sondern der Adoptivvater Tullus die väterliche Gewalt über Domitia Lucilla hatte, darf nicht bezweifelt werden und ergiebt sich auch aus der Form, unter welcher Lucanus bei seinem Tode der Tochter sein Vermögen vermachte. Er setzte statt ihrer seinen Bruder zum Universalerben ein (PI. § 7), und so durchaus rechtlich zu verfahren, dürfte ihm nicht schwer gefallen sein, konnte er doch gewiss sein, dass sein treuer Bruder der Nichte das väterliche Erbtheil nicht schmälern würde. Das Todesjahr des Cn. Domitius Lucanus ist uns nicht überliefert. Doch lässt sich, da Martial dem Todten ein Epigramm (IX, 51) gewidmet hat, mit grosser Wahrscheinlichkeit dafür das Jahr 93 n. Chr. ansetzen, fast mit Sicherheit aber fällt sein Tod zwischen 93 und 94. Dieser Zeitansatz hängt zwar lediglich von der Richtigkeit der chronologischen Forschung über die Abfassung des neunten Buchs des Martial ab (vgl. Friedländer, Sittengeschichte III S. 385); sie beruht aber auf so guter Grundlage, dass wir uns wohl auf ihre Resultate verlassen dürfen. CN- DOMITIVS TVLLVS, den jüngeren unter den beiden Adoptivsöhnen des Domitius Afer, haben wir in seinen intimen Beziehungen zu seinem Bruder Lucanus und als Adoptivvater seiner Bruderstochter bereits kennen gelernt.



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Erst in seinem Greisenalter (PI. § 8), und wahrscheinlich nur wenige Jahre vor seinem Ende, entschloss er sich zur Ehe mit einer aus berühmter Familie stammenden Frau, deren Namen wir zwar nicht kennen, die aber der Schilderung des Plinius zufolge ein tugendsames Weib und eine treffliche Gattin war.

Auch sie stand damals in höheren Jahren, mit a e t a t e

d e c l i v i s bezeichnet sie Plinius, war bereits seit langer Zeit Wittwe und hatte in ihrer ersten Ehe Kinder gehabt.

Ob sie den an allen Gliedern

gelähmten Tullus ohne jede Rücksicht auf seinen ungeheuren Reichthum geheirathet hatte, wird sich schwer entscheiden

lassen: die Welt hat

es

ihr jedenfalls übel vermerkt, dass sie mit einem „reichen Greise" sich verband.

Aber

der Welt

Tadel wusste sie durch Beharrlichkeit

in der

treuesten Pflege des Gatten sicli zum Ruhme zu wenden, und er, der kranke Greis, fand das Leben begehrenswerth, da

ein edles Weib seinen ge-

brochenen Körper stützte und seinen gedrückten Geist hob. Dass damals im Hause des Tullus gar mancher ein- und ausging, der eine Erbschaft sich zu erschleichen hoffte, ist, wie nun einmal die römischen Verhältnisse waren, ganz natürlich; und eine wie gute Gelegenheit bot der an sein Lager gefesselte und mitunter wohl auch sich langweilende Greis,

bei welchem

witzige LTnterhaltung

sich so unverfänglich anbringen Hessen!

und Liebesdienste

aller

Art

Die Erbschleicher hatten sich ein-

gefunden, und fast hatte es den Anschein, als ob sie Erfolge davontragen sollten (PI. § 2) — da starb Tullus, und das Testament nannte als Haupterbin seine Nichte Domitia Cn. f. Lucilla, die er dereinst auf seines Bruders Veranlassung adoptirt hatte.

Seine treue Gattin, seine Enkel, eine Urenkelin,

sämmtliche Verwandte erhielten ein jeder nach seinem Verdienste reiche Legate; die Erbschleicher hatten das Nachsehen. Nicht anders als es bei Lucanus der Fall war, sind wir auch für das Todesjahr des Tullus lediglich auf eine chronologische Schlussfolgerung angewiesen ; sie betrifft die Abfassungszeit des Plinianischen Briefes, der, wie wir gesehen haben, unmittelbar nach dem Ableben des Tullus geschrieben wurde.

Die Forschung hat auch diesmal uns vorgearbeitet, und es scheint,

dass wir mit hinreichender Sicherheit das Jahr 108 n. Chr. — sei es nun die Mitte, sei es die zweite Hälfte desselben 1 ) — als das Todesjahr des Tullus annehmen dürfen. Bevor wir uns zu dem letzten Abschnitte dieses Capitels wenden, ') Vgl. Mommsen iin Hermes III (18G9) S. 5 1 ; Plinii epist. libris observata S . 32.

Gemoll,

de temporum ratione in



10



müssen wir die gar zu allgemein gehaltene Angabe des Plinius betreffs der Enkel und einer Urenkelin des Tullus näher ins Auge fassen. Da ist nun gleich zu bemerken, dass die „Urenkelin" erst mit der neuesten Textredaction des Plinius entstanden und an die Stelle eines „Urenkels" getreten ist, denn statt des vom Mediceus überlieferten p r o n e p t e m las man früher nach der Aldina des Jahres 1508 p r o n c p o t e m . Der feine, auf einem einzigen Buchstaben beruhende graphische Unterschied, und der eigenthümliche Zustand, in welchem sich die handschriftliche Ueberlieferung des achten Buchs der Episteln befindet, fordern dazu auf, der einen Lesart nicht ohne weiteres den Vorzug vor der andern zu geben. An der Richtigkeit der ganzen Notiz zu zweifeln liegt durchaus kein Grund vor, denn Plinius erwähnt dieses verwandtschaftliche Verhältniss an zwei Stellen: ein Mal wird Tullus als „Vater, Grossvater, Urgrossvater" bezeichnet (§ 3), das andere Mal erfahren wir, dass er „die Enkel und eine Urenkelin" in seinem Testament mit Legaten bedachte (§ 2). Vater ist Tullus insofern, als er seine Nichte an Kindes Statt angenommen hatte, und diese Nichte kennen wir; es fragt sich also nur noch, wer seine Enkel waren, wer seine Urenkelin oder, wenn wir die alte Lesart gelten lassen wollen, wer der Urenkel war. Schicken wir voraus, dass mit der allgemeinen Bezeichnung n e p o t e s nicht Enkel allein, sondern Enkel und Enkelinnen gemeint sein können; dass Tullus in seiner als kranker Greis mit einer bejahrten Wittwe geschlossenen Ehe sicher keine eigenen Kinder hatte, und dass die Stiefenkel, d. h. die Nachkommenschaft der Kinder, welche seine Frau in erster Ehe gehabt hatte (Plinius § 8), hier auszuschliessen sind, da Plinius nicht von Stiefenkeln des Tullus spricht — so können n e p o t e s nur die Kinder seiner Adoptivtochter Domitia Cn. f. Lucilla sein. Eines dieser Kinder können wir ohne Schwierigkeit nachweisen, es ist Domitia P. f. Lucilla, die Mutter des nachmaligen Kaisers Marc Aurel, also eine Enkelin. Es bleibt demnach mindestens noch ein Kind, und zwar ein Enkel, zu ermitteln übrig. Von einem solchen wissen wir nichts 1 ). Wir sind daher genöthigt anzunehmen, dass die Adoptivtochter des Tullus ausser der eben genannten Tochter auch einen uns unbekannten Sohn geboren habe; und wenn dieser muthmassliche Enkel des

') W e n n Borghesi (oeuvres III S. 4 7 ) , welcher bei der Prüfung des Plinianischen Briefs auf diese Enkel k o m m t , den P . Calvisius Tullus unter die Enkel des Cn. Domitius Tullus rechnet, so versah er sich dabei nicht nur um eine ganze Generation, sondern auch in dem verwandtschaftlichen Verhältniss; denn Calvisius war der Schwiegersohn des Domitius Tullus.



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Tullus auch im Stammbaum des Kaisers Marc Aurel (Capitolinus, Marcus 1) nicht erwähnt wird, wo er als nächster Verwandter des Kaisers, und zwar als Oheim mütterlicherseits, hätte angeführt werden müssen, so kann das fuglich dadurch erklärt werden, dass er in früher Jugend starb. Die Urenkelin (oder den Urenkel) des Domitius Tullus dürfen wir nun freilich nicht in der Nachkommenschaft dieser Enkel suchen, weil wir sonst mit der Chronologie in Collision gerathen (vgl. den Stammbaum der Domitierfamilie auf S. 18), und die Existenz dieses von Plinius ausdrücklich bezeugten Enkelkindes zwingt uns, von der Adoptivtochter des Tullus ausser der einen nachweisbaren Generation noch eine zweite von der Ueberlieferung nicht erwähnte ausgehen zu lassen, d. h. wir müssen annehmen, dass Domitia Cn. f. Lucilla zwei Mal verhoirathet war und aus ihrer ersten Ehe Kinder oder wenigstens ein Kind gehabt habe, durch welches sie noch vor dem Tode ihres Adoptivvaters Grossmutter wurde. Durch diese Combination, die am besten der Stammbaum auf S. 18 zur Anschauung bringt, würden wir auch am einfachsten den zuvor gesuchten Enkel des Tullus gewinnen und könnten damit den supponirten Sohn der Domitia aus z w e i t e r Ehe entbehren. Der Kreis der Personen, um die sich unsere Untersuchung bewegt, hat sich enger und enger gezogen, wir werden uns jetzt nur noch mit den beiden Frauen zu beschäftigen haben, welche den Namen Domitia Lucilla führten, die eine die Tochter des Cn. Domitius Lucanus und darum Cn. f i l i a genannt, die andere die Tochter derselben aus ihrer Ehe mit P. Calvisius Tullus und daher mit P u b l i f i l i a bezeichnet. Der leichteren Unterscheidung halber werden wir in der Folge jene die ältere Domitia oder Domitia maior, diese die jüngere Domitia oder Domitia minor nennen. Es ist das Verdienst Marini's, in einer längeren Untersuchung über Domitia Lucilla (iscrizioni doliari S. 31 ff.) die bis dahin namenlos gebliebene Tochter des Cn. Domitius Lucanus mit der Domitia Cn. f. Lucilla auf einem seltenen und von Fabretti (inscr. S. 514 n. 192) falsch erklärten Ziegelstempel zweifellos richtig identificirt zu haben, wie denn überhaupt die beiden gleichnamigen Frauen, soweit sie aus der litterarischen Ueberlieferung bekannt sind, streng auseinander gehalten zu haben. Ein erster Versuch war ihm allerdings misslungen (Arvali S. 667 f.), da seine Forschung ihn noch nicht auf die ältere Domitia geführt hatte; doch seine zweite weit umfangreichere Untersuchung darüber ist als im wesentlichen vollkommen und abschliessend zu bezeichnen, wenn sie auch, wie so



manches bei Marini, allerlei

nicht

Abschweifungen

12

recht

an



übersichtlich

Klarheit

geordnet

eingebüsst

hat.

welche diesen Gegenstand wiederum behandelten,

ist

und durch

Alle

Späteren,

namentlich Borghesi in

seinem Aufsatz „figulina di Domizia Lucilla" (oeuvres I I I S. 35 ff.) und neuerdings Descemet in seinem leider so mangelhaften Buche stempel der gens Domitia,

über die Ziegel-

zehren nur von dem Material, welches Marini

zusammengetragen hatte, was ersterer dankbar zugesteht (a. a. 0 . S. 36), letzterer nicht.

W i e mancher Gelehrte

hat sich

aus dem bis noch vor

kurzem nur als Manuscript in der Vaticanischen Bibliothek

aufbewahrten

Buche Marini's

geholt,

eine

Notiz

und wohl auch

die verborgene Quelle zu nennen!

ganze

Seiten

ohne

Borghesi's Aufsatz ist genau genommen

nur eine neue Auflage der Marini'schen Untersuchung, besser angeordnet, hier und da auch wohl in die ungleich schönere Sprache Borghesi's übertragen ; was er von dem seinigen zusetzte, füllt kaum einige Seiten. A u f Descemet1« Leistungen werden wir später noch Gelegenheit finden zurückzukommen.

D O M I T I A C N - F- L V C I L L A ,

oder

die

ältere

Tochter des Cn. Domitius Lucanus und der Curtilia.

Domitia,

war

die

Bei Plinius, in dessen

Briefe sie eine bedeutende Rolle spielt, wird sie nicht anders als die Tochter des

Lucanus

genannt;

in

des Kaisers Marc Aurel, seits

hätte

aufgeführt

dem in

sein

bei Capitolinus erhaltenen

welchem können,

sie

als Grossmutter

geschieht

ihrer

Wenn wir trotzdem ihren Namen kennen, so ist das, deutet einen

wurde, mit

ein

Domitia

Verdienst

Marini's

Cn. f. Lucilla

(iscr.

bezeichneten

doliari Ziegel

keine

Stammbaum mütterlicherErwähnung.

wie bereits angeS. 35),

welcher

für

in

sie

An-

spruch nahm. Infolge der bekannten testamentarischen

Verfügung ihres Grossvaters

Curtilius Mancia aus der väterlichen Gewalt entlassen, wurde sie von ihrem Oheim Domitius Tullus adoptirt (S. 4 ) und erbte bei dessen Tode ein ungeheueres Vermögen, welches sich aus dem Nachlass des Domitius Afer, dem Vermächtniss ihres Grossvaters und dem Doppelvermögen ihres Vaters und ihres Oheims zusammensetzte (S. 4 f.).

Aus dem S. 11 angeführten Grunde

muss sie in der Folge zwei Mal verheirathet gewesen sein; das zweite Mal wurde sie die Gattin des P. Calvisius Tullus, den wir bei Capitolinus im Stammbaum des Kaisers Marcus als zweimaligen Consul bezeichnet Aus

dieser Ehe ging,

so viel wir wissen,

eine

einzige Tochter

finden. hervor,

die jüngere Domitia; doch dürfte sie auch noch einen Sohn gehabt haben (vgl. S. 11).



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Für die biographischen Notizen über die jüngere Domitia reicht unsere bisherige Quelle nicht mehr aus, denn im Briefe des Plinius wird sie nur ein einziges Mal und ganz flüchtig unter den im Testament des Domitius Tullus bedachten n e p o t e s erwähnt, und zwar ohne bei Namen genannt zu sein (vgl. S. 10). Nur dürftige Notizen über sie liefert uns der Stammbaum des Kaisers Marc Aurel bei Capitolinus; weniges findet sich anderswo zerstreut.

DOMITIA P- F- LVCILLA, oder die jüngere Domitia, war die Tochter der Domitia Cn. f. Lucilla und des P. Calvisius Tullus. Ueber ihren Namen kann nicht der geringste Zweifel sein; denn Domitia P. f. Lucilla heisst sie auf zahlreichen Ziegelstempeln, Domitia Lucilla bei Spartianus (Didius Julianus 1) und auf einer Kupfermünze von Nicaea Bithyniae, durch welche uns das Bildniss dieser Frau erhalten ist'), Lucilla nennt sie der eigene Sohn Marc Aurel ( S I I C W T Ó V Vili § 2i>) und Capitolinus (Marcus 6). Wenn sie trotzdem bei demselben Capitolinus im Stammbaum des Marcus den Namen D o m i t i a C a l v i l l a führt, so beruht das allem Anschein nach auf einem Irrthum, und die Ansicht Marini'» (iscr. doliari S. 33) trifft wohl das richtige, dass hier ein Versehen des Copisten vorliegt, der bei den Worten m a t e r D o m i t i a C a l v i l l a C a l v i s i i T u l l i b i s c o n s u l i s f i l i a durch das unmittelbar folgende Calvisii beirrt, Calvilla statt Lucilla schrieb. Andere, unter ihnen Eckhel (doct. num. VII S. 43), haben zwar gemeint, unsere Domitia könnte zwei Cognomina geführt haben, Calvilla Lucilla. Dagegen aber spricht sich Borghesi (oeuvres III S. 40) aus „imperocché entrambe quelle voci hanno la terminazione vezzeggiativa, che non soleva adoperarsi ') Die phototypische Abbildung ist nach einem Gipsabifuss der im Pariser Mnnzcabinct befindlichen Münze (Cohen VII S. .100 = III 3 S. 134) gemacht, welchen ich der freundlichen Vermittlung des llerrn Dr. W . Froehner verdanke.



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se non in quell'unico nome per cui una donna chiamavasi più comunemente" ; sollte sie indessen wirklich drei Namen gehabt haben, so könnten es nur Domitia Calva Lucilla gewesen sein. Meiner Ansicht nach kann in dem an sich nicht unmöglichen Falle eines dreifachen Namens nur an D o m i t i a C a l v i s i a L u c i l l a gedacht werden, und es wäre auch nicht undenkbar, dass im Text des Capitolinus ursprünglich eben diese Namen standen, welche ja ebenso gut wie die beiden anderen die Veranlassung zu einer assimilirenden Corruption werden konnten. Indess, die Conjectur Marini's ist immer noch die einfachste und wahrscheinlichste, und bei unserer Untersuchung kommt wenig darauf an, ob Domitia Lucilla ausser diesen beiden durch die Ziegelstempel und sonst bezeugten Namen noch einen dritten geführt hat. Die jüngere Domitia wurde mit Annius Verus vermählt, einem Sohne des zweimaligen Consuls und Stadtpräfecten gleichen Namens. Aus dieser Ehe entstammten zwei Kinder, und zwar der am 26. April des Jahres 121 geborene Catilius Severus, der nachmalige Kaiser Marc Aurel (Capitolinus, Marcus 1), später eine Tochter Annia Cornificia. Annius Verus starb, als er das Amt eines Prätors bekleidete (Capitolinus, ebenda), also ungefähr in seinem 30. Lebensjahre. Nach ihrer Vermählung mit Annius Verus konnte unsere Domitia der römischen Sitte gemäss auch D o m i t i a Lucilla Veri sich nennen, und diese Bezeichnung findet sich, gewöhnlich zu L u c i l l a Veri gekürzt, auf einer Anzahl von Ziegelstempeln : einige davon sind datirt und diese fallen merkwürdiger Weise alle in eine Zeit, in welcher Annius Verus schon längst gestorben sein musste, woraus wir entnehmen, dass Lucilla Veri in diesen Fällen nicht „Lucilla G e m a h l i n des Verus" bedeuten kann, sondern zunächst als „Lucilla W i t t w e des Verus" aufgefasst werden muss (vgl. dann S. 45). Ueber ihre Lebensdauer besitzen wir keine directen Nachrichten. Doch dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dass ihr Tod zwischen den Jahren 155/156 und 161 erfolgte. Denn der letzte bisher bekannte datirte Ziegelstempel mit ihrem Namen gehört in das Jahr 155 (wahrscheinlich giebt es auch einen aus dem Jahre 156, vgl. Borghesi, oeuvr. III S. 42), und andererseits ist durch Marini (iscr. doliari S. 34) und Ennio Quirino Visconti (iscriz. triopee S. 100 f.) nachgewiesen worden, dass sie das Jahr 161, in welchem ihr Sohn Augustus wurde, nicht erlebte. Die Gründe, dass unsere Domitia Lucilla nicht Augusta gewesen ist — und sie hätte es mit der Erhebung ihres Sohnes zum Kaiser werden müssen —, sind so überzeugend und schlagend, dass sie hier nicht nachgeprüft und wiederholt zu werden

— 15 — brauchen. Vielleicht liesse sich die Zeitgrenze noch etwas enger ziehen, und Domitia müsste bereits vor dem zu Anfang des Jahres 161 erfolgten Tode des Kaisers Antoninus Pius, also etwa i. J. 160 gestorben sein, falls in der von Marini zum Beleg dafür herangezogenen Stelle des Capitolinus (Marcus 7) „il quale dopo averci raccontato che Marco b o n o r u m m a t e r n o r u m p a r t e m U m m i d i o (Marini liest noch Mummio) Q u a d r a t o . . . t r a d i d i t aggiunge subito altra cosa avvenuta p o s t e x c e s s u m d i v i P i i " die Richtigkeit der chronologischen Aufeinanderfolge ohne weiteres angenommen werden könnte (vgl. dazu Borghesi, oeuvres III S. 41).

III. Die chronologischen Daten. Das in der bisherigen Untersuchung erzielte chronologische Ergebniss ist noch keineswegs ein vollständiges, noch manche Lücke bleibt auszufüllen, wollen wir nicht bei der Zeitbestimmung eines nicht geringen Theils der uns interessirenden Ziegelstempel fortwährend auf Ungewissheit und Zweifel stossen. Was sich mit Sicherheit ergeben hat oder mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit chronologisch hat bestimmen lassen, ist: der die das das

Tod des Cn. Domitius Adoption des Lucanus Todesjahr des Lucanus, Todesjahr des Tullus,

Afer, sicher 59 (S. 6); und Tullus, ungefähr 42 (S. 6); 93, oder doch wenigstens 93—94 (S. 8 ) ; 108 (S. 9);

das Todesjahr der jüngeren Domitia, zwischen 155/156 und 161 (S. 14). Dagegen kenneu wir weder das Geburts- und Todesjahr der älteren Domitia, noch das Geburtsjahr ihrer Tochter Domitia minor, auch die Zeit, in welcher die beiden Frauen sich verheiratheten, ist uns unbekannt. Zum Glück ist uns ein genau datirtes Factum überliefert, vermöge dessen sich, freilich unter gewissen Voraussetzungen, die uns noch fehlenden Daten annähernd richtig gewinnen lassen, ich meine das Geburtsjahr des Kaisers Marc Aurel. Nach Capitolinus (Marcus 1) wurde Catilius Severus, der Sohn der jüngeren Domitia und nachmalige Kaiser M. Aurelius Antoninus am 26. April des Jahres 121 geboren. Wir wissen zwar nicht, ob er das erste Kind war, welches der Ehe der jüngeren Domitia mit Annius Verus entspross, denn durch den Biographen erfahren w ir nur, dass dem Knaben später ein Mädchen, Aunia Cornificia, folgte; aber an sich ist es



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nicht unwahrscheinlich, und da wir von anderen zuvor geborenen Kindern nichts wissen, sind wir genöthigt, jenes für das erste zu halten. Unter der Voraussetzung also, dass Marc Aurel der erstgeborne Sohn der jüngeren Domitia war, und unter der weiteren Voraussetzung, dass die Frist, welche zwischen der Vermählung der Mutter und der Geburt des Knaben verstrich, eine normale war, müsste die Ehe zwischen der jüngeren Domitia und Annius Veras spätestens Mitte des Jahres 120 vollzogen worden sein.

Wenden wir ferner auf die jüngere Domitia das höchste

Durchschnittsalter der heirathenden Mädchen im alten Rom mit 15 Jahren an (vgl. Friedländer, Sittengeschichte I 1 S. 551) —

und Domitia minor

wird als reiches und, wie sich aus dem Münzbildniss ergiebt, schönes Mädchen gewiss nicht lange auf einen Mann zu warten gehabt haben —, so müsste sie ungefähr i. J . 105 geboren sein, mithin ihre Mutter Domitia maior sich mit P. Calvisius Tullus etwa i. J . 104 verheirathet haben. diese

Aus dem auf S. 11 angegebenen Grunde sind wir gezwungen, Ehe

der

älteren

Domitia

als

ihre

zweite

anzusehen;

und

da ihre erste Ehe zu einer Zeit stattgefunden haben müsste, dass ihr eine Enkelin noch vor dem Tode ihres Adoptivvaters, d. h. vor 108

geboren

werden konnte, so dürfte sie, stets unter den angedeuteten Voraussetzungen, sich zum ersten Male etwa i. J . 90 verheirathet haben.

Die ältere Domitia

würde somit ungefähr i. J . 75 geboren sein. Bis auf das Todesjahr der älteren Domitia, für dessen Bestimmung uns vorläufig jeder Anhalt fehlt, hätten wir also alle uns noch fehlenden Daten gewonnen.

Dass diese

Wahrheit entsprechen können,

nur bis zu einem gewissen Grade ergiebt sich

aus der ganzen,

wissen Voraussetzungen abhängigen Berechnungsweise.

der

von ge-

Allem Anschein

nach dürfte jedoch der Fehler kein allzugrosser sein, und wenn wir für einen jeden dieser Ansätze, welche j a alle die s p ä t e s t e Z e i t g r e n z e bezeichnen sollen, einen Spielraum von etwa zwei bis drei Jahren aufwärts annehmen, so möchten wir damit der Wahrheit so nahe kommen, als es unter den gegebenen Umständen möglich ist.

Für zwei unserer Ansätze

sind wir in der Lage, eine Art Prüfung auf ihre Richtigkeit vornehmen zu können, und auch diese wollen wir nicht unversucht lassen: sie betrifft das Jahr, in welchem P. Calvisius Tullus und Annius Verus sich verheiratheten. Vom P. Calvisius Tullus, dem Gemahl der älteren Domitia, wissen wir, dass er i. J . 109 (oder 110) zum ersten Mal Consul war.

Erreichte

er diese Würde im normalen Alter, so musste er damals im 33. Lebens-

-

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-

jähre gestanden haben (Mommsen, Staatsrecht I * S. 555).

Da wir nun als

Zeitgrenze für seine Vermählung das Jahr 104 (bezüglich 102 — 1 0 4 ) gefunden hatten

(S. 16),

müsste er

demnach im Alter von 28

2 6 — 2 8 ) Jahren sich'verheirathet haben,

(bezüglich

und dieses Alter ist nach römi-

schen Verhältnissen ungefähr das normale (vgl. Friedländer, Sittengeschichte I 4 S. 4 4 8 f.). Ferner wissen wir aus Capitolinus, dass Annius Yerus starb, während er das Amt eines Prätors bekleidete, der Tod ereilte ihn also mit grösster Wahrscheinlichkeit im 30. Lebensjahre. jüngeren Domitia werden

Aus

seiner

zwei Kinder genannt,

kurzen Ehe mit der

ein Sohn

der

spätere

Kaiser Marc Aurel, am 26. April 121 geboren, und eine jüngere Tochter Annia Cornificia: mithin könnte der Tod des Annius Vcrus frühestens im J . 122 erfolgt sein, und in diesem Falle fiele seine Geburt in das Jahr 93. Nehmen wir a n ,

dass er sich im normalen Alter verheirathete ( 2 5 Jahre

für den senatorischen Stand),

so ergübe sich für seine Vermählung mit

Domitia Lucilla das Jahr 118.

Als späteste Zeitgrenze

hatten wir dafür

das J a h r 120 angesetzt (S. 16), und auch dieser geringe Unterschied von zwei Jahren verschwindet, wenn wir Annius Verus nicht unmittelbar nach der Geburt seines zweiten Kindes sterben lassen, sondern erst ein bis zwei Jahre darauf.

Fügen

wir schliesslich

Annius Verus ( 9 3 bezüglich 9 5 ) ,

hinzu,

dass die Geburtsjahre

seines Bruders (etwa 9 4 ) ' )

des

und seiner

Schwester (etwa 1 0 3 — 1 0 6 ) s ) eine Stufenfolge bilden, welche für die Geburt dreier Geschwister eine durchaus wahrscheinliche ist, so ergiebt sich, dass auch in diesem Falle die Gegenprobe unseren auf S. 16 gewonnenen Zeitansätzen nicht widerspricht. Wie Notizen

kommt

es nun aber,

dass Descemet

über die Domitierfamilie

(inscriptions

Theil zu ganz anderen Resultaten

gelangt ist,

Daten (Tod des Afer,

Tullus)

wesentlichen; Marini's hat,

Lucanus,

es sind eben die früheren,

und Borghesi's,

welche

Descemet

in seinen biographischen doliaires S. 131 f.) als wir?

Für

zum-

die

ersten

sind die Abweichungen

keine

allgemein gehaltenen

Ansätze

aus diesen einfach

entlehnt

ohne die neueren Hülfsmittel, d. h. die Arbeiten über die Chrono-

logie der Schriften Martial's und des jüngeren Plinius, dafür zu benutzen. ') M. Annius Libo bekleidete i. J . 128 das Consulat, war also unter der Voraussetzung einer normalen Carriere ungefähr 9 4 — 9 5 geboren. s ) Annia Galeria Faustina, die Gemahlin des Kaisers Antoninus Pius, dürfte, als sie i. J . 141 starb, etwa 3 5 — 3 8 Jahre alt gewesen sein, wenn die Münzbilder nicht trügen, und somit zwischen 103 und 10G geboren sein.

Drossel,

Untersuchungen.

2

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