Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens [1 ed.] 9783666403989, 9783525403983

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Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens [1 ed.]
 9783666403989, 9783525403983

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Nils Koerber

Unternehmensnachfolge Die Kunst des ­Loslassens

Nils Koerber

Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens Mit 29 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: wavebreakmedia/Shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40398-9

Inhalt

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Eine Art von Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Wertschätzung des Firmenfeuers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreise der Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig . . . . . . . . . . . . . . . . Feuer und Asche – Werte weitergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns . . . . . . . . . . . .

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2 Klonschaf Dolly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Mich gibt es nur einmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Was braucht die Firma in der Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3 Fülle der Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung der Übergabefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Weg ist vorgezeichnet. Wirklich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116 133 144 152

4 Neues Feuer entfachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie es nicht geht – die drei Klassiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie es geht – praktische Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Loslassen zum Loslaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was passiert, wenn nix passiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Eine Einladung (… zur Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Rückblick und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Ausblick und Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Ran an die Arbeit! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Geleitwort »Wann übergibt er mir jetzt endgültig das Zepter? Wann bin ich endlich die Chefin, die Alleinverantwortliche und Ansprechpartnerin für die Mitarbeiter? Wir hatten doch vereinbart, dass er sich mit spätestens 72 Jahren aus dem Operativen zurückzieht und die Geschäftsführung niederlegt. Ich verstehe ihn nicht. Er ist jetzt 75 Jahre und kommt jeden Tag in den Betrieb, macht seine Rundgänge, macht Termine mit den Mitarbeitern, nimmt an allen Meetings teil. Nicht, dass das schon genug wäre. Er macht auch manchmal einfach meine Entscheidungen rückgängig, ohne es mit mir abzusprechen, entlässt neue Mitarbeiter wieder oder erhöht Gehälter entgegen meinen Vereinbarungen. Ich frage mich, ob er es mir am Ende nicht zutraut, den Betrieb allein zu führen?« Diese oder ähnliche zweifelnde Fragen höre ich oft von Nachfolgern. Sie fühlen sich manchmal sogar gezwungen, die Gretchenfrage zu stellen: Du oder ich? Es scheint, als wäre dies bei den meisten Übergaben fast schon systemimmanent. Meine langjährige Beratungstätigkeit für Fami­ lien­unternehmen und meine eigene Geschichte in fünfter Generation einer Unternehmerfamilie zeigen mir, wie schwierig es für die Übergeber ist, nicht mehr im operativen Geschäft des Familien­ unternehmens tätig zu sein und es in die Hände der nächsten Generation zu geben. Auch in unserer Unternehmerfamilie gab es Sollbruchstellen für die Familie und das Unternehmen aufgrund der Übergabe. Mein Großvater war ein großartiger Unternehmer und eine charismatische Persönlichkeit. Er konnte gut zuhören und erfolgreiche Unternehmensgeschichte schreiben. Was er allerdings nicht so wirklich gut konnte, war, sein Lebenswerk, sein Ein und Alles, loszulassen und es in die Hände der nächsten Generation zu geben. Er wollte sich auch im hohen Alter noch partout nicht aus dem Operativen zurückziehen und ist jeden Tag in die Firma gekommen. Das von der nächsten Generation als mangelndes Vertrauen in die eigene Führungskompetenz interpretierte Verhalten führte zu großen Konflikten sowohl in Bezug auf die Unternehmensführung, die Mitarbeiter als auch innerhalb der Familie. Die Statistik zeigt, dass 70 Prozent der Übergaben von der ersten zur zweiten Geleitwort

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Generation scheitern und in der dritten Generation nur 10 Prozent erfolgreich sind. Es scheint der Schlüssel für eine erfolgreiche Übergabe zu sein, wie hoch die Bereitschaft des Übergebenden ist, sein Lebenswerk an die Nachfolgerin, den Nachfolger abzugeben, wie gut sich der Übergebende von seinem Lebenswerk emanzipieren und trennen kann. Die Bindung an das Familienunternehmen, die Ängste vor dem Verlust des Ansehens in der Gesellschaft und der Familie, des Sinns in ihrem Leben und eventuell sogar Existenzängste sind oft die Ursachen für den Übergebenden, nicht loslassen zu können. Deshalb ist bei den Gründen für eine gescheiterte Übergabe des Familienunternehmens, laut einer Studie der deutschen Unternehmerbörse, über 80 Prozent das Nicht-Loslassen des Seniors. Hinter die Kulissen geschaut, bedeutet die Übergabe für den Übergebenden, dass er in seiner persönlichen Entwicklung an einem Punkt ist, sich mit der Angst vor Leere und Machtverlust und dem Schmerz des Abschieds auseinanderzusetzen. Deshalb braucht es auf der persönlichen Ebene die klare Entscheidung dafür, wirklich bereit zu sein, loslassen zu wollen. Um die Entscheidung eindeutig treffen zu können, benötigt es meistens eine Phase der Selbstreflexion und Klärung. Bin ich bereit, mit mir ins »Gewissensgericht« zu gehen, um die individuellen Ängste, die die Übergabe gefährden, zu bearbeiten und zu überwinden? Dazu benötigt es zum einen die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben, das heißt, man konfrontiert sich mit sehr existenziellen Themen, wie Macht und Kontrolle abzugeben und damit der Endlichkeit des eigenen Lebens ins Auge sehen zu müssen. Wichtig ist zu prüfen, was man braucht, um die Bereitschaft für diesen Schritt zu entwickeln. Zum Beispiel das Bild für ein erfülltes und erfüllendes Leben in der Phase nach der Übergabe. Zum anderen ist notwendig, für sich zu klären, ob man den Mut hat, diesen Schritt in eine ungewisse Zukunft zu gehen, sich auf eine vollkommen neue Situation einzulassen, die anders ist als das unternehmerische Risiko. Die Frage ist: Bin ich flexibel und kann mich auf etwas Neues einstellen? Bin ich in der Lage, eine neue Lebensperspektive einzunehmen? Habe ich den Mut, in eine neue Lebenssituation einzutauchen, in dem man auf sich und seine sozialen Kon8

Geleitwort

takte gestellt ist, die man eventuell während der Zeit der operativen Aufgaben nicht so stark gelebt hat? Der Vollständigkeit wegen möchte ich an der Stelle ergänzen, dass die Übergabe ein Prozess von mindestens zwei Beteiligten ist. Loslassen gelingt besser, wenn die Übernehmende sich ihrer Sache ebenso sicher ist, sie die Entscheidung bewusst für sich getroffen hat, bereit zu sein, die Verantwortung für den Betrieb zu übernehmen, und sich den Aufgaben zu stellen. Für jeden Menschen ist es schwierig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und sich auch unangenehme Fragen stellen zu müssen. Dies ist aber wichtig. Denn um richtig sagen zu können, wo ich hinwill, muss ich erst wissen, wo ich stehe. Und im Fall des Familienunternehmers sind Fragestellungen nicht nur auf die eigene Person bezogen, sondern auch auf das Unternehmen und die Familie. Diesen Statusbericht zu erstellen und die Zukunftsvorstellung festzulegen, unter Einbeziehung der zu erwartenden Herausforderungen, sollte frühzeitig erfolgen, damit Sie gut loslassen können und der Generationswechsel gelingt. Das Erlernen der Kunst des Loslassens ermöglicht Ihnen für Ihr Unternehmen, Ihre Familie, Ihren Nachfolger/Ihre Nachfolgerin und schlussendlich für Sie selbst, das Beste für die Zukunft herauszuholen und für alle Sicherheit zu schaffen. Ich würde gern damit schließen und alle ermutigen, sich auf die Weisheit vom Dalai Lama einzulassen: »Bewerte deine Erfolge daran, was du bereit bist loszulassen.« Beatrice Rodenstock Geschäftsführende Gesellschafterin Rodenstock – Gesellschaft für Familienunternehmen mbH

Geleitwort

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Eine Art von Vorwort Loslassen öffnet Horizonte, das ist die Kernthese dieses Buches, die ich Ihnen hier anhand meiner Unternehmer­ geschichte nahebringen möchte. Außerdem schauen wir uns den aktuellen Nachfolgemarkt an sowie eine interessante Studie aus Helsinki. Ich war neun Jahre alt, als ich merkte, dass bei uns zuhause etwas auffallend anders läuft. Während bei meinen Kumpels am Nachmittag Vater und manchmal auch Mutter von der Arbeit nachhause kamen, kam bei uns die Arbeit mit Vater und Mutter nachhause. An dieser Stelle ein Wort in Sachen Genderkorrektheit. Ich war sieben Jahre alt, also schrieben wir das Jahr 1973. Der Gesetzgeber regelte im BGB: »Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.« Der Ehemann musste noch unterschreiben, dass seine Frau arbeiten darf, das änderte sich erst 1977. (Anders übrigens in der DDR, dort verlangte das Familiengesetz ab 1966, dass die Ehepartner ihre Verbindung so gestalten, »daß die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann«.) War es bei meinen Kumpels also eher wahrscheinlich, dass die Mutter zuhause blieb und »den Haushalt in eigener Verantwortung« führte, war unsere Mutter gleichwertig in der unternehmerischen Verantwortung. Ich habe früh gelernt, Frauen in Führungspositionen als selbstverständlich zu sehen. Deswegen verstehe ich gut, dass eine echte Gleichberechtigung der Geschlechter (keine Gleichmacherei) nicht auf dem Papier aufhören darf. Wenn »man« immer nur das generische Maskulinum als den Normalfall setzt, dann sieht und begreift unser Gehirn dies auch als Normalfall. Daher ist es sinnvoll, alle Leser*innen und Autor*innen für eine geschlechtergerechte Sprache zu sensibilisieren. Trotzdem habe ich mich in diesem Buch im Sinne der Lesbarkeit dagegen entschieden, zumal das Gros der Übergeber in Familienunternehmen männlich ist. Das Gros der Nachfolger übrigens leider auch immer noch. Wobei sich die Zahlen langsam und glücklicherweise ändern und ich jeden Leser ermutigen möchte, eine weibliche Nachfolge in Betracht zu ziehen. Ich bin nicht überzeugt davon, dass die Zukunft weiblich ist, wie Margarete ­Mitscherlich 1987 schrieb. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft auch weiblich ist. Den Herausforderungen der schnellen, komplexen, globalen und volatilen Wirtschaft können wir am besten vereint entgegentreten, Kompetenzen bündeln und nicht gegeneinander aufwiegen. Eine Art von Vorwort

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Die Arbeit unserer Eltern, also unser Einrichtungshaus, blieb eigentlich nie vor der Tür, nicht am Feierabend, nicht am Wochenende, im Urlaub schon gar nicht. Die Firma war ein Familienmitglied, saß beim Frühstück und beim Abendessen mit am Tisch, machte sich auf dem Sofa breit, wenn wir »Derrick« guckten, und griff beherzt in die Chipstüte. Wer, wie meine beiden Geschwister und ich, in eine Unternehmer­ familie hineingeboren wird, lernt früh, mit dem Familienmitglied Firma vertraut zu sein. Die Firma gehörte genauso selbstverständlich zu meinem kindlichen Umfeld wie der Nachbar, der sich immer über unsere lauten Spiele beschwerte, oder die Kindergärtnerin, in die ich heimlich verknallt war. Ich denke, Sie werden mir zustimmen: Wirklich trennen lassen sich die verflochtenen Bestandteile des Wortes »Familienunternehmen« nicht – es gibt nur beide oder keines. Schließlich war die Firma auch Gründungsmitglied unserer Familie und schon vor uns Kindern da. Meine Eltern hatten nach dem Krieg das Einrichtungshaus gegründet und sehr erfolgreich geführt. Dann kamen wir drei Kinder: mein Bruder, meine Schwester und ich, der Lütte, wie man bei uns im Norden sagt. Quasi von der Wiege aus wurden wir liebevoll an die Nachfolge herangeführt. Wir haben das, was die Eltern taten, immer sehr positiv wahrgenommen. So wurde nie hinterfragt, zumindest von mir nicht, dass wir Geschwister später auch unseren Part im Familienunternehmen einnehmen werden. Wir stimmten unsere beruflichen Ausbildungen sowohl untereinander als auch mit den Anforderungen der Firma und zuletzt mit unseren Neigungen ab. Handwerklich, künstlerisch und kaufmännisch, von allem etwas – wir waren ja zu dritt. Dann ging es schneller als erwartet. Zunächst war 1979 mein ältester Bruder gefragt. Diese klassische Thronfolge ist übrigens eine Tradition, die in Studien und Umfragen immer wieder totgeredet wird, obwohl sie im Mittelstand quicklebendig ist. So auch damals bei uns, Familie Koerber: Der Vater kränkelte und der Älteste musste ran, durfte sich ganz klassisch vom Verkäufer in die Geschäftsführung hocharbeiten. Und als er 1988 da »oben« angekommen war, hat er sich desillusioniert und schweren Herzens wieder verabschiedet. Nachdem er mit sämtlichen dringend nötigen V ­ eränderungen – Einführung einer EDV, Marketingideen (»Wir überzeugen mit Qualität, 12

Eine Art von Vorwort

nicht mit Werbung«) oder Vorstellungen für einen neuen Führungsstil – gegen den Holzkopf unseres (geliebten) Vaters rannte, nahm er frustriert ein gutes Angebot aus einer anderen Branche an. Weg war er. Er war enttäuscht, dass unser Vater ihm nicht vertraute. Er wollte es anders machen, natürlich, aber doch immer im Sinne der Familie und der Firma. Unser Vater wiederum war wütend und enttäuscht – warum verlässt ihn sein Sohn in der Stunde der Not? Ich beendete zu der Zeit mein BWL-Studium in Köln und hatte große Pläne. Ins Ausland wollte ich, schauen, wie Engländer, Franzosen und Araber sich einrichten. Ich wollte Ideen sammeln, um diese später, irgendwann, in den elterlichen Betrieb einzubringen. Eines Abends dann war »Vaddern« am Telefon: »Nils, du musst jetzt den Laden übernehmen, lass uns nicht hängen, deine Schwester will nicht.« Ich fasse es kurz – nach einer Bedenkzeit habe ich eingewilligt. Rückblickend würde ich sagen, dass mein jugendlich aufgeblähtes Ego den Verstand besiegt hat. Mit 25 schon Geschäftsführer im eigenen Unternehmen? Gestaltungsfreiraum, Einfluss und Verantwortung? Das reizte mich sehr. Meine Bedingung war allerdings, dass mein Vater das Unternehmen sofort verlässt. Das meinte ich aus dem Scheitern meines Bruders klug abgeleitet zu haben. Klug? Wie dumm von mir, wer verzichtet schon freiwillig auf 40 Jahre Erfahrung und Autorität? Nun, ich habe es getan und der Vater ist gegangen, es blieb ihm nichts anderes übrig, er wollte das Unternehmen in der Familie halten, koste es, was es wolle. Ihn hat es viel gekostet, weiß ich im Nachhinein, denn er hatte sich den Abschied natürlich anders vorgestellt. Die Mutter blieb als stille, kreative Autorität im Unternehmen. Alles lief gut, die Firma wuchs über die Jahre beständig. Irgendwann haben auch mein Vater und ich die nach seinem Rausschmiss eingetretene Sprachlosigkeit überwunden und die Verbindung wiedergefunden. Rückblickend weiß ich, dass wir juristisch, steuerlich, wirtschaftlich und emotional jedes Fettnäpfchen mitgenommen haben, das sich uns darbot. Wir sind schlecht beraten worden und haben viel zu wenig miteinander gesprochen. Zumindest nicht über die wichtigen Dinge. Heute, 55 Jahre alt, kokettiere ich bei meinen Vorträgen manchmal mit 55 Jahren Nachfolgeerfahrung. Die größte Lernkurve entEine Art von Vorwort

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steht aus eigener Erfahrung und im Nachhinein bin ich dankbar, dass die Dinge liefen, wie sie meistens laufen – anders, als man denkt. Als ich Ende 30 war, stand ich persönlich und beruflich am Schei­ de­weg. »So geht es nicht weiter, das mache ich nicht den Rest meines Lebens«, der Gedanke kam plötzlich und er ging nicht mehr weg. Es folgte ein harter Schnitt und der Beschluss, die kleine Firmengruppe zu beenden, zu liquidieren, aufzugeben, zu beerdigen. So viele Wörter für eine Tatsache: Ich wollte auf allen Ebenen abschließen und neu anfangen. Irgendwann, nachdem sich der ganze von mir aufgewirbelte Staub verzogen hatte, konnte ich wieder durchatmen. Freier als vorher. Ich hatte losgelassen! Jetzt konnte etwas kommen, das wirklich meins ist. So wurde KERN geboren: ein Beratungsunternehmen für Unternehmensnachfolge, das von Anfang an die emotionalen Aspekte in den Mittelpunkt gestellt hat. Mittlerweile sind wir an über 25 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz präsent. Warum finden wir bei KERN die »emotionalen Aspekte« so wichtig für alle Arten der Nachfolgeregelung? Weil sie entscheidend sind. Eine Unternehmensnachfolge ist etwas, das die meisten nur einmal im Leben erleben. Zugleich ist es etwas Hochemotionales, weil zwei Liebesbeziehungen aufeinandertreffen: zum einen die familiäre Liebe – sehr komplex, das muss ich niemandem erzählen, wir alle haben eine Familie (auch wenn der Familienbegriff mittlerweile ein ganz anderer ist). Zum anderen die unternehmerische Liebe – noch komplexer, das ist mittlerweile sogar wissenschaftlich bewiesen. Unternehmer haben zu ihrem »Baby« – ihrer Firma – eine ganz besondere Beziehung. Sie lässt sich mit der Liebe von Eltern zu ihrem Kind vergleichen, wie eine Studie der Universität Helsinki1 gezeigt hat: Fotos von der Firma aktivierten in Versuchen per Magnetresonanztomografie dieselben Hirnareale wie Fotos des eigenen Kindes. Wie also sollte man eine Nachfolge regeln, ohne diese beiden Lieben zu beachten, die meist eine hochemotionale und damit auch hochexplosive Kombination bilden? Wie sollte man den Übergang meistern, ohne hinterher jahrelang zerbrochenes Porzellan aufkehren zu müssen? Ich jedenfalls bin froh, dass unter den oben geschilderten Umständen unser familiäres Band der Liebe zwar immer wieder arg gespannt war, aber nie gerissen ist. Und ich bin 14

Eine Art von Vorwort

froh, dass es, anders als bei uns damals, heute nicht nur KERN gibt, sondern eine ganze Reihe guter, kompetenter Berater und Institute, die sich damit beschäftigen, Unternehmensnachfolgen zu begleiten und das Porzellan unbeschädigt in der Vitrine zu halten. Nötig ist diese Nachfolgebegleitung mehr denn je, der Nachfolgemarkt wird immer schwieriger. »Tausende Unternehmer ohne Nachfolger!« titelte die F.A.Z.2 2017 und berief sich auf eine aktuelle Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). So viele Betriebsinhaber wie noch nie mussten die Suche nach einem Nachfolger erfolglos beenden, heißt es. Die Studie des DIHK3 zeigt: Während sich vor zehn Jahren noch fast doppelt so viele Übernahmeinteressierte an die IHK wandten, sind jetzt die Übergeber deutlich in der Mehrzahl, die über die IHK nach einem Nachfolger suchen.

Quelle 4: nach DIHK-Nachfolgereport, 2018, S. 7

Den Hauptgrund für diese Änderung sieht der DIHK laut F.A.Z. bei der Alterung der Gesellschaft: »Immer mehr Unternehmer erreichen das Ruhestandsalter. Derweil seien die Jahrgänge der 25Eine Art von Vorwort

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bis 45-­Jährigen geschrumpft, aus denen die Leute stammen, die am Aufbau einer selbstständigen Existenz interessiert seien.« Es gibt aber laut DIHK weitere Gründe, die den Übergang er­­ schwe­ren. So bestätigt die Studie meine Erfahrung und damit die These dieses Buches: Ein gutes Drittel der Altinhaber verhindert den Übergang, weil sie »emotional nicht loslassen« können. 41 Prozent der Seniorunternehmer fordern auch deshalb einen überhöhten Kaufpreis. 42 Prozent kämen zu spät zur Beratung. Auf Seiten der Kaufinteressenten gebe es 40 Prozent mit Finanzierungsproblemen, trotz derzeit günstiger Konditionen. Auch unterschätzen 40 Prozent die Anforderungen an eine Übernahme. Nackte Zahlen, die verbergen, wie viel Sprengstoff in jedem ein­ zelnen dieser aufgezählten Posten stecken kann, wenn es sich nicht um eine Statistik, sondern um die eigene Nachfolge, um das eigene Unternehmen und vielleicht um die eigenen Kinder dreht. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) nennt noch weitere Gründe, die den Nachfolgemarkt in Deutschland belasten. »Zum einen ist die globale Finanzkrise der Jahre 2008/2009 zu nennen, die zu erheblichen Umsatz- und Gewinneinbrüchen bei einem erheblichen Teil der Unternehmen geführt hat.«5 Das sind Wertverluste, die die Nachfolge erschweren. Zum anderen sei die Zahl der Unternehmen in Deutschland stetig gewachsen – es gibt also immer mehr zu übergeben. Zumal auch nicht jeder Unternehmer wartet, bis er alt und grau ist, um einen Nachfolger zu suchen. In einer immer schnelleren, disruptiven Wirtschaft wird eine Idee zum Start-up und dieses wiederum nach einigen Jahren verkauft. So ist viel mehr Bewegung im Markt, was den Überblick und damit die Nachfolge nicht unbedingt einfacher macht. Anders als beim DIHK zeigen Berichte des IfM Bonn übrigens keine aktuelle Nachfolgelücke und prognostizieren, dass im Zeitraum zwischen 2018 und 2022 rund 150.000 Unternehmen mit etwa 2,4 Millionen Beschäftigten zur Übergabe anstehen, weil ihre Eigentümer aus persönlichen Gründen aus der Geschäftsführung ausscheiden. Die letzte Hochrechnung der KfW geht dagegen von 511.000 Unternehmen aus, die in den Jahren 2018 bis 2022 eine Übergabe planen.6 Die immense Differenz dieser Zahlen entsteht, laut Studie des IfM Bonn, weil die KfW geplante Nachfolgen abfragt, während das IfM Bonn versucht, tatsächliche Übergaben zu ermitteln. 16

Eine Art von Vorwort

Und irgendwo in diesem Zahlenhaufen versteckt sich etwas ganz Besonderes, ein Juwel: Ihr Unternehmen. Vielleicht verbunden mit 30  Jahren Engagement und Begeisterung, aber auch mit 30  Jahren Unsicherheit, geprägt durch die (Ein-)Sicht, dass Unternehmer sein auch verantwortlich sein bedeutet. Und jetzt sollen Sie das alles abgeben. Aber wer fängt es auf, wenn Sie loslassen? Die Kinder? Die familieninterne Nachfolgelösung war schon bei unserer Familie der Königsweg und ist es heute immer noch. Aber sind die Kinder wirklich geeignet? Die junge Generation ist heute so ganz anders drauf, oder? Unternehmerpersönlichkeiten, wie Sie und ich sie kennen, sollten extrovertiert und offen sein, ihre Meinung durchsetzen können. Wenn daraus »Ecken und Kanten« entstehen und die Verträglichkeit etwas leidet, ist das egal. Schließlich tragen wir ja auch Verantwortung. Die jungen Leute sind viel verträglicher, am Konsens orientiert, passen sich der gegebenen Situation und der Meinung anderer an und sind kooperativ, tolerant und weitaus weniger konfrontativ.7 Können das Unternehmerpersönlichkeiten sein? Auf jeden Fall. In dem Maße, in dem sich die »Jugend von heute« verändert hat, hat sich auch das Unternehmertum gewandelt. Die harte Hand gibt es nicht mehr, Hierarchien bröckeln, Entscheidungen stehen auf einem breiten Fundament, Mitbestimmung boomt. Ein ideales Beschäftigungsfeld für kooperative Menschen! Wenn, und nur wenn, wir es schaffen, deren Lust auf Unternehmertum zu wecken. Wie das gelingen kann? Das werden wir uns in den folgenden Kapiteln genauer anschauen, aber eines habe ich hoffentlich jetzt schon anhand meiner Geschichte vermitteln können: Wenn Sie nicht loslassen, kann niemand übernehmen. Solange Sie festhalten, steht ein Nachfolger mit leeren Händen da. Wenn Sie nicht darauf vertrauen, dass es Ihre Kinder gut machen, auch (oder gerade) weil sie es ganz anders machen, dann wird das familiäre Band der Liebe immer mehr anspannen. Irgendwann reißt es. Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch eine Lanze brechen für all die Unternehmer, die sich mit dem Loslassen so schwertun. Vielleicht gibt es auch den einen oder anderen Nachfolger, dem dieses Buch in die Hände fällt. Dann wird er durch die Lektüre ein Verständnis dafür entwickeln, wie grausam es ist, das warme, vertraute Umfeld zu verlassen. Es ist egal, ob das unternehmerische Verhalten Eine Art von Vorwort

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von Erfolgen oder manchmal auch von Misserfolgen gekrönt war, das Unternehmersein hat eine Identität und ein wärmendes Feuer geschaffen, beides müssen Firmeninhaber jetzt hinter sich lassen. Wer sein Unternehmen an einen Nachfolger übergibt, wagt den mutigen Schritt ins Dunkel. Ich möchte daher besonders die Nachfolger, die dieses Buch lesen, einladen, Ihre(n) Vorgänger zu unterstützen, indem Sie durch Dankbarkeit und Offenheit die unternehmerische Leistung honorieren, gelebte Werte anerkennen und weitertragen. Und Ihnen, liebe Inhaber, gebe ich noch Folgendes mit auf den Weg: Es ist Ihr Leben, nutzen Sie es. Sie allein können die Nachfolge lösen und damit genau die Werte sichern, die Sie im Laufe eines unternehmerischen Lebens aufgebaut haben. Wenn das Unternehmen bis heute erfolgreich war, was Sie selbst durch Ihr Engagement geschaffen haben, warum sollte es dann Ihr Nachfolger nicht schaffen, eine ebenso glorreiche Zukunft zu gestalten? Ein neues Feuer wartet auf Sie und wir beide werden es mit diesem Buch gemeinsam entfachen.

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Eine Art von Vorwort

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  Wertschätzung des Firmenfeuers

Über das Feuer, die Frage nach dem Warum und die Tatsache, dass Sie etwas ganz Besonderes sind Draußen schüttet es, der Regen schlägt gegen die Fenster. Drinnen sitze ich dann am liebsten mit meiner Familie am Kaminfeuer. Meistens schimmert der Wein rot und satt in den Gläsern, der Geruch von Holz und Harz macht die Luft schwer, es liegt eine Atmosphäre von Ruhe und Gelassenheit auf unseren Gesprächen, wie sie nur die Wärme eines brennenden Kamins schaffen kann. Das Feuer ist seit Jahrtausenden Sinnbild für einen Ort, an dem man sich in einer sicheren Gemeinschaft versammelt, um Geschichten zu teilen. Wir sitzen im verbindenden Kreis um eine wärmende und nährende Quelle, Heldengeschichten werden erzählt, Richtungen gezeigt, Werte gesetzt. Am Feuer konnte der Jäger mit stolzgeschwellter Brust seine Beute präsentieren und allen anderen klarmachen, wo er sie gefunden hatte: Dort gibt es mehr davon, geht selber hin! Wo ist Wasser, wo wird es gefährlich, wo lauert der Säbelzahntiger? Nur am Lagerfeuer gab es »latest news«. Die Geschichten der Alten vermittelten den Jungen, worauf es ankam. Die Geschichten der Jungen boten den Alten Gelegenheit zu staunen oder nachsichtig die Köpfe zu schütteln. Schon lange bevor es eine Schrift gab, bevor Gesetze aufgeschrieben wurden oder ein Gesellschaftsvertrag uns Regeln auferlegte, markierte das Feuer den Ort, an dem Geschichten sowohl Information als auch Orientierung boten. Ein Ort, an dem ein Wert vermittelt und eine Gemeinschaft gestärkt wurde. Daran hat sich heute, tausende Jahre später, nichts geändert. Noch immer sitzen wir am Lagerfeuer und fühlen eine besondere, nährende Qualität der Gemeinschaft. Ich liebe die archaische Vorstellung des Feuers als Sinnbild für Unternehmertum. Das Firmenfeuer ist es, dass Sie als Unternehmer entfacht und weitergetragen haben. Denn auch ein Unternehmen bietet all das, was ein Lagerfeuer bietet: Sicherheit und Schutz, es wärmt durch Gemeinschaft, es nährt durch Verdienst. Allerdings ist es viel Wertschätzung des Firmenfeuers

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zu kurz gesprungen, wenn wir als Unternehmer sagen, dass es auf den Verdienst ankommt, wir hauptsächlich einen monetären Nutzen aus der Unternehmung ziehen oder gezogen haben. Dieser Aspekt ist nur ein Teil des großen Ganzen und nicht einmal der relevanteste. Wir haben viel mehr aus dem Unternehmen gezogen, das Firmenfeuer hat unsere Identität geprägt: All das, was Sie als Person, als Persönlichkeit ausmacht, hat Ihnen das Firmenfeuer beschert – Ihre gesamte Entwicklung in sozialer oder intellektueller Hinsicht, Ihre Identität als Familienunternehmer. Alles, was Sie sagen, was Sie tun, passiert Ihnen, während Sie das Feuer hüten und weiter anfachen. Den meisten von uns mag es nicht bewusst sein, aber die Firma hat unsere Entwicklung befeuert und dafür gesorgt, dass wir heute sind, was und wer wir sind. Eine Unternehmerpersönlichkeit kann man vielleicht durch bestimmte Aus- und Weiterbildungen stärken, aber vor allem wächst sie mit dem Verhalten, mit dem unternehmerischen Handeln, dem Übernehmen und Übertragen von Verantwortung. Verbunden damit ist auch eine Aufgabenstellung, die Sie als Unternehmer angenommen haben. Als Hüter des Firmenfeuers sind Sie Vorbild und Mentor, gleichermaßen in der Firma wie in der Familie. Sie stiften soziale Bindungen und profitieren zugleich davon, zeigen Integrität und leben ein Miteinander. Ich kenne viele Unternehmer, die sich gerade in Stunden der Not mit ihren Mitarbeitern verbunden fühlen. Sei es eine Krankheit oder ein Todesfall – Unternehmer nehmen Anteil am Leben und Leid ihrer Mitarbeiter. In Familienunternehmen mit beständig loderndem Firmenfeuer geht es fast nie anonym zu, so zumindest habe ich es als Unternehmer immer erlebt und erlebe es auch heute in meinen Beratungen so. Deswegen ist für mich das Feuer das perfekte Symbol für unternehmerisches Handeln: Es symbolisiert gemeinschaftliches Leben, es verbindet, zieht uns eng zusammen, damit wir gemeinsam von seinem Schutz und seiner Wärme profitieren können. Seltener als Autofahrer, die E10 tanken

Sie haben mit Ihrem Unternehmen über Jahrzehnte so ein Feuer am Brennen gehalten, an dem nicht nur Sie sich genährt haben, sondern auch Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter und deren Familien. Diese Leis20

Wertschätzung des Firmenfeuers

tung und diesen gesellschaftlichen Wert gilt es zu sehen und zu honorieren. Denn mit dieser Lebensleistung gehören Sie zu einer privilegierten Minderheit, sind ein besonderer Leistungsträger. Sie haben etwas auf sich genommen, was nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der beruflich Tätigen schafft. Zumindest bei uns Deutschen, wo die Risikofreude noch nie besonders ausgeprägt war. Die weitaus meisten Menschen arbeiten hierzulande als abhängig Beschäftigte. Gemäß BMAS (siehe Abbildung) waren im Jahr 2016 gerade einmal zehn Prozent der Erwerbstätigen selbstständig. Damit können Sie sich einreihen in die Autofahrer mit Seltenheitsgrad, die an der Tankstelle tatsächlich den Rüssel mit dem E10-Biosprit8 nutzen: sehr seltene Art, extrem gefährdet. Noch trüber wird das Bild des Unternehmertums in Deutschland, wenn man von den Selbstständigen die Solopreneure, also die Selbstständigen ohne Mitarbeiter, abzieht. Dann sind es noch etwas über vier Prozent in Deutschland, die unternehmerische Verantwortung für andere übernehmen und tragen. Im globalen Vergleich hinken wir weit hinterher  – Deutschland ist nicht gerade bekannt als das Land, in dem Menschen leichten Herzens und frohen Mutes ein Unternehmen gründen oder ­übernehmen. Ist es eine historische oder gesellschaftliche Prägung,

Quelle 9: nach Forschungsbericht BMAS, 2018, Maier und Ivanov, S. 14 Wertschätzung des Firmenfeuers

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Bürokratie oder ein bisschen von beidem? Während die USA als das Eldorado der Selfmade-Unternehmer gelten, sind wir hier vorsichtig – oder feige? Umso mehr gilt es, Ihren Mut zu würdigen. Sie haben Verantwor­ tung übernommen und etwas geschafft, das nur wenige im Leben erreichen. Ihre Leidenschaft, Ihre Motivation und vielleicht sogar eine bestimmte Mission haben Sie langfristig motiviert, all das zu lernen und weiterzugeben, was für die Umsetzung des unternehmerischen Handelns (und damit für den Umsatz) wesentlich ist. Der goldene Kreis – frag nach dem Warum

Bevor (und damit) wir verstehen, warum wir loslassen sollen, schau­en wir uns doch einmal an, warum wir festhalten. Und was. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Party. Man steht so rum, das Glas in der Hand und unterhält sich. Sie schauen sich die Gäste an, lernen jemanden kennen und es folgt im Gespräch irgendwann die obligatorische Frage: »Und, was machst du so?« Und dann erzählen Sie – von Ihrem Unternehmen, von den Produkten, vielleicht ein bisschen von der Historie und von den aktuellen Herausforderungen. Was man halt so erzählt, wenn man auf Interesse stößt und interessant sein möchte. Und dann stellt Ihr Gegenüber plötzlich eine seltsame Frage: »Und warum? Warum tust du das?« Ich glaube nicht, dass viele Partygäste hier spontan eine Antwort abrufbar haben. Ja, warum eigentlich …? Hätten Sie eine? Spannend, oder? Wir wissen, was wir tun, und wir wissen zumeist auch, wie wir es tun. Wir kennen unsere Ausbildung, unsere Laufbahn, wir können (vielleicht) von unseren Fähigkeiten erzählen, aber: Warum tun wir das, warum sind wir Unternehmer? Und auf das Unternehmen bezogen: Warum produziert und leistet es genau das, was es leistet? Warum kommen die Mitarbeiter jeden Tag dorthin, warum leisten sie, was sie leisten? Sollte die Frage nach dem »Warum« nicht eigentlich ganz oben stehen, statt nur Teil eines Partygesprächs zu sein? Sie ist es, die über Motivation und Innovation entscheidet – darüber, ob Sie jeden Tag freudig beginnen oder sich zur Arbeit schleppen. Darü­ber, ob Kunden nur etwas kaufen, weil es oben im Regal liegt und billig ist, oder ob sie einen Wert kaufen – ein »Darum«. 22

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»Menschen kaufen nicht, was man macht, sie kaufen, warum man etwas macht.« Das ist eine der Thesen, die Simon Sinek10 in seinem Buch »Start with Why« (Deutsch: »Frag immer erst: warum«) vertritt. Der US-amerikanische Journalist, Autor und Redner beginnt das Buch mit der Geschichte über den ersten Motorflug. Warum waren es die Gebrüder Wright mit ihrer Fahrradwerkstatt, die den ersten erfolgreichen Flug absolvieren konnten? Warum nicht Samuel P. Langley, obwohl er die besseren Forscher und Ingenieure hatte, mehr Budget und Material? Warum ist Apple Jahr für Jahr so viel innovativer als andere IT-Unternehmen? Sie alle haben doch Zugriff auf die gleichen Informationen und Ressourcen? Warum war es gerade Martin Luther King, der zum Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde? Es gab Millionen andere, die wegen ihrer Hautfarbe ebenso diskriminiert wurden. Sinek sagt, dass diese Persönlichkeiten und Unternehmen eines gemeinsam haben: Sie ticken anders als der Rest der Welt. Ihr Denken und Handeln startet mit einem starken Warum, nicht mit dem Wie oder dem Was. Um diese andere Denkweise zu erklären, hat Sinek den »golden circle«, den goldenen Kreis, entwickelt. In ihm sind das Warum, das Wie und das Was in konzentrischen Kreisen angeordnet. Er erläutert, dass die meisten Menschen oder Unternehmen vom äußeren Kreis – dem Was – zum inneren Kreis – dem Warum – kommunizieren. Innovative, motivierende und damit erfolgreiche Unternehmen oder Unternehmer machen es anders: Ihr Ausgangspunkt aller Überlegungen ist das Warum. Das Warum ist der Kern des Unternehmertums – ganz nah an unserer Persönlichkeit. Hier wird entschieden, ob wir etwas als wertvoll erachten oder nicht, ob wir einen Sinn sehen. Das Warum beeinflusst unsere Gefühle: unsere Motivation, unsere Kaufentscheidungen oder unsere Vision. Das Warum ist die Kreisebene des menschlichen Verhaltens, der Überzeugungen. All das wird nur am Rande beeinflusst von rationalen Überlegun­ gen, die wir entsprechend im äußeren Kreis finden: die »hard facts«, das Produkt, die Zahlen, die Daten. Oder Ausbildung, Karriere, Kompetenzen. Diese Ebene ist mit der Ratio des Menschen verbunden. In der Mitte des Kreises liegt das Wie: Es beschreibt die Art und Weise, wie wir etwas tun, wie wir führen, produzieren und verkaufen, wie wir unsere Leistung erbringen. Wertschätzung des Firmenfeuers

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Simon Sinek führt aus, dass durch die Motivation aus dem in­­ ne­­ren Kreis Inspiration entsteht. Inspirierte Unternehmen zeigen offensiv, woran sie glauben und warum sie tun, was sie tun. Sie realisieren einen inneren Zweck, haben klare Werte und geben ihrem unternehmerischen Wirken einen expliziten Sinn. Das ist es, was sie motiviert, tagtäglich Großartiges zu leisten. Durch diese Schaffenskraft mit Herz und Seele werden die Gefühle der Menschen angesprochen – die der Mitarbeiter, die der Kunden. Während herkömmliche Unternehmen großartige Produkte produzieren können, mit perfektem Styling und coolen Gadgets, verkaufen die anderen ein Lebensgefühl. Durch das Warum entsteht der Sinn des Handelns, daraus ergeben sich das Was und das Wie. Damit beeinflusst die Definition des Warums übrigens auch maßgeblich die Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Intrinsisch – also durch einen Sinn – motivierte Mitarbeiter sind in den heutigen komplexen Zeiten besonders wichtig. Durch ihr eigenverantwortliches Handeln helfen sie Organisationen dabei, mit komplexen Problemen umzugehen.

Quelle 11: nach »The golden circle«-Buch von Simon Sinek

Ein Warum ist nicht nur erforderlich, um dem Unternehmen einen Sinn zu geben. Jeder Unternehmer benötigt es, um sich selbst und andere zu inspirieren. In einem TEDx-Vortrag sagt Sinek (sinngemäß): Martin Luther King hielt die »Ich habe einen Traum«-Rede, nicht die »Ich habe einen Plan«-Rede. Sonst hätten ihm wahrscheinlich nicht 250.000 Menschen zugehört. Wir folgen inspirierenden Persönlichkeiten wie Martin Luther King nicht, weil wir müssen, son24

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dern, weil wir wollen. Wir kaufen inspirierende Produkte nicht, weil sie griffbereit auf Augenhöhe liegen oder nur einen Klick vom Warenkorb entfernt sind. Für solche Produkte klappern wir sogar ganz analog die Läden ab. Das Warum, der Sinn, macht den Unterschied. Endlich Wochenende

Starte mit dem Know-why, das Know-how kommt von allein. Mit diesem Satz konfrontiere ich neue Mitarbeiter und Partner, die bei der Unternehmensgruppe KERN einsteigen möchten. Mir ist es ex­ trem wichtig, dass jeder von ihnen mir ein Warum nennen kann. Warum wollen sie Unternehmensnachfolgen begleiten? Trotzdem ist mir natürlich klar, dass es den Menschen mehrheitlich sehr schwerfällt, ein Warum in ihrem Leben zu definieren. Noch schwerer ist es, wenn sie schon in beruflichen Situationen oder in einem festen Lebensplan etabliert sind. Die meisten von uns wissen und hinterfragen gar nicht, warum sie etwas machen, freuen sich nur auf »endlich Wochenende«. Ich finde das schade, denn diese »sinnlos« vertane Zeit verbraucht viel unserer kostbaren Energie, unserer Lebenszeit. Wenn wir Woche für Woche nur tun, was wir tun müssen, und nie nach dem Warum fragen, dann ist es doch ein bisschen so, als würden wir gar nicht richtig leben? Wir leben für das Wochenende, für das Morgen – für den Ruhestand? Aber was dann? Was machen wir, wenn uns der Rahmen des »Ich bin Unternehmer« plötzlich fehlt? Haben wir im Ruhestand plötzlich einen Sinn, dem wir folgen können, oder wird uns der Wunsch nach Flucht – nach »endlich Wochenende« – auch hier verfolgen? Nur ist das Wochenende plötzlich kein Ziel mehr, da jeder Tag ein freier Tag ist. Ein Warum zu definieren, muss vielleicht gar kein großes Ding sein. Manchmal reicht es schon zu sagen: »Ich mach das, weil es für meine Familie wichtig ist.« Auch ein kleines Warum bietet einen Halt, eine Orientierung, einen Sinn. Viel wichtiger, als den »Knallersinn« zu finden, ist es, sich überhaupt mit der Frage zu beschäftigen – sowohl für das Selbstverständnis als Unternehmer und Mensch als auch (und gerade) für das Unternehmen und den Prozess der Nachfolge.

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Ich bin, also mache ich

Zugegeben, es ist eher selten, dass die Frage nach dem Warum auf einer Party gestellt wird. Deswegen hatte ich Sie weiter oben gebeten, nicht so schnell abzuwinken, als es um den Wert dessen ging, was Sie geschaffen haben und immer noch schaffen. Und deswegen greife ich die Frage nach dem Warum hier auf, denn es ist die wesentliche Frage, wenn wir uns mit dem Loslassen beschäftigen wollen. Wenn Sie das Warum in Ihrem Leben und Wirken nicht geklärt haben, dann wird auch das Warum der Nachfolge schwierig werden. Ihr Selbstverständnis als Unternehmer wird auch den Prozess des Loslassens bestimmen und deswegen werden wir jetzt beginnen, das ans Tageslicht zu holen, was Sie und Ihre Familie all die Jahrzehnte vielleicht nur unbewusst geleistet haben. Wir schauen uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels genau an, welchen Einfluss Sinn und Werte auf das Handeln und damit auch auf das Loslassen haben. Wir finden ein Warum, denn sonst können die tollsten Was und Wie im Nachfolgeprozess angeführt und entwickelt werden, sie werden aber alle nicht funktionieren. Ach, das war mir nie so wichtig

Finden Sie es nicht interessant, dass den meisten Unternehmern ihre unternehmerischen Tugenden und Qualitäten gar nicht bewusst sind? Wir erbringen tagtäglich Höchstleistungen, gehören zu einer absoluten Minderheit von circa vier Prozent der Erwerbstätigen, die es geschafft haben, ein Unternehmen so aufzustellen, dass es ihnen, ihrer Familie und ihren Mitarbeitern ein nährendes und wärmendes Feuer bietet. Wir sollten diese Leistung viel stärker in unser Bewusstsein überführen, damit das unbewusste »Wurschteln« zu einem bewussten Schaffen wird. Ich lade Sie (und alle Familienmitglieder und vielleicht auch Mitarbeiter) hiermit zur Reflexion ein: Werden Sie sich klar darüber, was Sie da tun. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass es sehr erleichternd ist, sich Klarheit zu verschaffen, sich sozusagen geografisch zu verorten. Wenn ich meine Koordinaten kenne, dann weiß ich, wo ich bin, und es wird klarer, wo ich hinlaufen könnte. 26

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Die Optionen kommen dabei aus dem diffusen Nebel ins Licht der Straßenlaterne. In welche Richtung weisen meine Koordinaten? Was macht mich jetzt gerade aus – als Mensch, als Unternehmer? Und in welche Richtung kann und soll es von hier aus gehen? Wenn Sie für sich Ihren Standort bestimmt haben und dann die jüngere Generation übernimmt (oder auch jemand von außen kommt), dann haben Sie mit diesen Koordinaten ein wertvolles Fun­ da­ment geschaffen! Sie als Übergeber können mithilfe der Stand­ ortbestimmung dem Übernehmer das bestehende System klarmachen. Sie können es gemeinsam hinterfragen: Bleiben das unsere Koordinaten, können wir uns darauf verlassen? Gibt es neue Ko­or­ dinaten, an denen wir unseren Weg ausrichten können oder müssen? Und Sie können sicher sein, dass es neue Koordinaten geben wird. Schlagworte wie Digitalisierung oder Disruption geistern durch die Medien. Auch wenn wir als Unternehmer sehr gut wissen, dass die heutige Zeitung morgen nur noch für den Fisch reicht, sollten wir diese Themen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Unsere Wirtschaft wird sich weiter verändern, und schneller, als sie das bisher getan hat. Der Handlungs- und Entscheidungsrahmen für Unternehmen wird immer globaler und komplexer. Alles ist mit allem verbunden. Wohin die Reise geht, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur ahnen, nicht wissen. Was wir wissen: Technologie wird eine wichtige Rolle spielen, denn alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Technische Neuerungen könnten schon morgen dafür sorgen, dass Ihre Produkte, Ihre Dienstleistungen, so wie sie jetzt sind, nicht mehr gebraucht werden. Das bedeutet Disruption. Und in diesem schnellen, beweglichen, unsicheren und komplexen Umfeld sind die Unternehmen glasklar im Vorteil, die ihre Koordinaten kennen. Denn durch eine klare Standort­ bestimmung wird es möglich zu erkennen, wohin die Reise geht. Ein Versicherungsmakler kann resignieren, weil Algorithmen und Portale seine Dienstleistung übernehmen. Er kann sein Unternehmen an den Nagel hängen und angeln gehen. Oder er macht eine Standortbestimmung, fragt sich, was er da genau tut und warum trotz der Portale immer noch Menschen zu ihm kommen. Er erarbeitet sich seine Koordinaten und wird feststellen: Die Menschen kommen nicht zu mir, weil sie schnell und günstig irgendWertschätzung des Firmenfeuers

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eine Versicherung haben wollen. Sie wollen das, was sie im Internet nicht bekommen: eine fundierte Beratung sowie die Sicherheit, im Schadensfall schnell und unbürokratisch durch ein bekanntes Gesicht Hilfe zu erhalten. Sie wollen keine 15 Wahloptionen, sondern einen authentischen Menschen, der einen Rat gibt, auf den man vertrauen kann. Wenn der Makler dann feststellt, dass er das alles nicht bieten kann, kann er ja trotzdem noch angeln gehen. Petri Heil! Was ich mit diesem Beispiel zeigen will: Mit den richtigen Koordinaten hat jeder Unternehmer die Möglichkeit, sich durch Sinn und Werte eine breite Handlungsbasis zu schaffen, von der aus er und jeder seiner Mitarbeiter verstehen kann, was der Zweck des Unternehmens ist. Das allererste Mal

»Ich soll also meine Koordinaten bestimmen, hat der Koerber gesagt. Der hat leicht reden!« Warum fällt eine Stärken-Schwächen-­Analyse womöglich Ihnen als Unternehmern schwerer? Ich habe eine Vermutung: Anders als die übrigen 90 Prozent der Erwerbstätigen hatten Sie es noch nie nötig, sich und anderen Ihre Stärken bewusst zu machen. Sie haben nie ein Bewerbungsgespräch aus Bewerbersicht führen müssen, nie ein Stärken-Schwächen-Profil ausarbeiten müssen, nie einem Personaler die dämliche Frage »Was würden Sie als Ihre größte Schwäche bezeichnen?« beantworten müssen. Sie waren einfach immer Sie selbst, ohne sich erklären zu müssen – eine Unternehmerpersönlichkeit. Das ist so selbstverständlich, dass Sie nie darü­ber nachgedacht haben. Aber warum gerade Sie? Wie sind Sie dahin gekommen, wo Sie jetzt sind? Warum sind genau Sie einer von den 4,4 Prozent, die unternehmerische Verantwortung erfolgreich übernommen haben? Ist es Ihre »Unternehmerpersönlichkeit«? Und was ist das eigentlich ganz genau: eine Unternehmerpersönlichkeit? Gibt es eine bestimmte Persönlichkeit, mit der man oder frau als Unternehmer erfolgreich sein kann? Und wenn ja, wie sähe die wohl aus? Verschiedene Studien scheinen darauf hinzuweisen, dass bei erfolgreichen Unternehmern einige Persönlichkeitsmerkmale besonders stark ausgeprägt sind: Durchhaltevermögen, Flexibilität, 28

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Risikobereitschaft, Eigenmotivation, soziale Kompetenz und Leidenschaft, heißt es dort, seien Merkmale erfolgreicher Unternehmer. Ich halte diese Vorstellung einer »Unternehmerpersönlichkeit« für überholt und glaube, wir sollten damit aufräumen. Für mich ähnelt diese Vorstellung der ewig unbeantworteten Frage nach Henne versus Ei: Hatte ich schon eine hohe soziale Kompetenz, bevor ich Unternehmer wurde, oder habe ich sie mir angeeignet, weil ich Unternehmer bin? Wir haben gesehen, dass das Firmenfeuer Werte prägt. Genauso prägt es Persönlichkeiten, so zumindest sehe ich es. Sie sind einfach eine Unternehmerpersönlichkeit. Das »etwas unternehmen« hat Sie geprägt, genauso wie Sie Ihr Unternehmen prägen und durch Ihre Rolle Richtungsgeber und Vorbild gleichermaßen sein können. Deswegen ist es wichtig, die Koordinaten zu kennen und säuberlich zu trennen: Welche Koordinaten sind Ihre als Mensch, welche die des Unternehmens? Denn am Scheidepunkt der Nachfolge werden sich die Wege trennen: Sie und das Unternehmen bewegen sich in ganz unterschiedliche Richtungen. So ist es im Zweifel sogar schädlich, im Nachfolgeprozess nach einer Unternehmerpersönlichkeit zu suchen. Und noch schädlicher ist es, wenn nicht sogar absolut tödlich: nach einer Persönlichkeit zu suchen, die Ihnen gleicht. Überlegen Sie mal, wie die Welt damals aussah, als Sie die Firma gegründet oder übernommen haben. Sie waren vielleicht ein pfiffiger Ingenieur mit einer guten Idee, aus der in 30 oder mehr Jahren nun ein lukratives Unternehmen gewachsen ist, das Familie und Mitarbeiter ernährt. Aber jetzt? Muss Ihr Nachfolger auch ein Ingenieur sein? Die Entwicklung ist gemacht, die Idee ist da, der Wert ist geschaffen. Vielleicht benötigt die Firma jetzt eher einen geschickten Vertriebler, der das Vorhandene weiter ausbaut und neue Märkte erschließt? Oder einen genialen Netzwerker, der den Herausforderungen der Digitalisierung durch Informationsvorsprung und gemeinschaftliches Handeln entgegentritt? Die Dinge haben sich geändert, seit Sie das Ruder übernommen haben. Deswegen ist es falsch, Ihren Nachfolger anhand dessen auszuwählen, was Sie ausmacht. Die richtige Frage ist: Was braucht die Firma für eine Führungspersönlichkeit, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein? Wenn es für Sie zum Beispiel essenziell war, der englischen Sprache mächtig zu sein, da die USA Ihr wichtigster Wirtschaftspartner Wertschätzung des Firmenfeuers

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waren, könnte sich ein Nachfolger sehr gut im großen und wachsenden asiatischen Wirtschaftsraum auskennen. Dort, glaubt man den Zahlen, liegt die Zukunft. Unternehmerische Verantwortung – Lebensglück?

Sie haben ein Warum in Ihrem Leben gehabt, das Ihnen Glück, Erfüllung und Zufriedenheit geboten hat? Es ihnen leicht gemacht hat, jeden Tag aufzustehen und zu tun, was getan werden muss? Der Gedanke »endlich Wochenende« kam bei Ihnen eher selten vor, nehme ich an. Wahrscheinlicher war die Überlegung: »Blöde Wochenenden und Feiertage, kann man die nicht irgendwie abschaf­ fen? Es gibt so viel zu tun.« Das Feuer des Unternehmertums hat Sie über Jahrzehnte getragen und genährt. Sie waren privilegiert, das zu tun, was Sie gut können und was Ihrer Persönlichkeit entspricht. Sie schöpfen aus dem Vollen und sind es gewohnt, von einem Sinn getragen zu werden. Bitte bedenken Sie diese Ausgangslage, wenn es darum geht, Ihre Zeit nach der Übergabe zu planen. Sie sind sozusagen sinnverwöhnt und das wird sich nicht ändern, weil plötzlich ein knallgrüner Rasenmähertraktor in der Einfahrt glänzt. Und wenn Ihnen beim Lesen dieses Kapitels immer bewusster geworden ist, dass Sie rückblickend keinen Sinn finden können? Wenn Ihnen aufgegangen ist, dass familiäre Verpflichtungen oder preußische Tugenden Sie all die Jahre bei der Stange gehalten haben? Hurra! Fantastisch. Jetzt ist Ihre Chance, jetzt öffnet sich die Tür scheunentorweit und Sie können genau das tun, was Sie sich bisher nie getraut haben. Damit wir uns richtig verstehen – ich sage nicht, dass es falsch war, was Sie gemacht haben. Ganz im Gegenteil: Sie haben sich den Herausforderungen gestellt und eine Aufgabe übernommen, die Ihnen vielleicht durch ein Erbe oder ein Lebensschicksal übertragen wurde. Sie haben die Umstände akzeptiert und ein Unternehmen fortgeführt – wahrscheinlich sogar erfolgreich. Auf jeden Fall mit Disziplin und Verantwortungsgefühl. Das ist eine Leistung, die ich honoriere und die Sie selbst hoch wertschätzen sollten. Sie haben das Feuer weitergetragen und können nun entspannt mit Freude einen Ruhestand genießen, in dem sich Ihre Wünsche und Vorstellungen für das Leben erfüllen können. 30

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In unseren Stabwechselseminaren treffen meine Kollegen und ich sowohl auf Unternehmer, die Erfüllung und Lebensglück im unternehmerischen Wirken gefunden haben, als auch auf solche, deren Handeln eher von Verantwortung und Disziplin geprägt war. Ich bin immer wieder überrascht, dass es häufiger die Letzteren sind, die sich mit dem Loslassen schwerer tun. Wobei – bin ich wirklich überrascht? Wer sein Leben dankenswerterweise in den Dienst des Unternehmens gestellt hat, sich im Zeichen von Disziplin und Verant­ wortung über Jahrzehnte zurückgenommen hat, gerade für den wird es unglaublich schwer sein, loszulassen. Wenn der feste Rahmen der Verpflichtung den Sinn gebildet hat, dann wird die verpflichtungs­ lose Zeit vor allem von Unsicherheit geprägt sein. Hier gilt es zu lernen, wie eine Offenheit für Neues entstehen kann, wie wir im weiteren Verlauf des Buches sehen werden. Umgekehrt wird ein Unternehmer, der mit Sinn und Eroberergeist vorangeeilt ist, diese Neugierde vielleicht auch auf den neuen Lebensabschnitt übertragen können. Für beide Unternehmerpersönlichkeiten jedoch gilt: Denken Sie sich nicht weg, denken Sie sich nicht überflüssig. Sie sind der Grund für den Erfolg des Unternehmens und Sie haben jedes Recht, dafür zu sorgen, dass das Firmenfeuer in Ihrem Sinn weitergegeben wird. Aber Sie haben eigentlich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, dafür zu sorgen, denn: Erfolgreiche Nachfolge sichert Werte, Nichtstun zerstört sie. Zurück zum Kamin

Kehren wir gedanklich zurück zur Kapitelanfangssituation: zum Kaminfeuer, an einem regnerischen Abend, gemeinsam mit der Familie. An einem solchen Abend könnte eine Tochter vielleicht erstmals die Frage stellen: »Papa, Mama, wer soll eigentlich den Laden mal übernehmen, ihr seid ja nicht mehr die Jüngsten?« Wow. Ein Stimmungs-Booster, die nächste Fahrt geht rückwärts. Schnallen Sie sich an. Was passiert dann? Werden die Eltern die Frage ernsthaft aufgreifen und es entwickelt sich eine fruchtbare Diskussion? Wunderschöne Vorstellung, aber nicht wahrscheinlich. Oder wird das Thema unwirsch beiseite gewischt: »Also echt, Sofie, das gehört nicht Wertschätzung des Firmenfeuers

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hierher und außerdem tust du gerade so, als wären wir schon senil, nicht mehr ganz auf der Höhe! Was erlaubst du dir eigentlich?« Eines ist sicher – die Frage nach der Nachfolge lässt keinen Unternehmer kalt, zumindest meiner langjährigen Erfahrung nach. Hier kann die Reaktion der Eltern natürlich bezeichnend sein: Bleibt es ein einigermaßen entspannter Kaminabend oder brennt hinterher nicht nur der Kamin, sondern (im übertragenen Sinn) die Bude? Nachfolge ist ein heißes Thema, um mal beim Bild zu bleiben. Warum es gerade in Familienunternehmen die Gemüter so schnell erhitzt, haben zwei Forscher der Harvard-Universität in den 80er Jahren herausgefunden.

Kreise der Kollision Von der Brisanz der Schnittmenge, von Taucheranzügen sowie Dreiteilern; dazu der Rat, sich ab und zu einen anderen Stuhl zu suchen »Auf die Schnittmengen müsst ihr euer Augenmerk richten, hier wird es interessant«, sagte vor langer Zeit mein Mathematiklehrer. Was hat Mathematik damit zu tun, dass es in Familienunternehmen so oft kracht? Eine Menge. Familienunternehmen bestehen aus unterschiedlichen Kreisen, die sich wechselseitig beeinflussen und über ihre Schnittmengen eng miteinander verknüpft sind. Die Brisanz resultiert aus der – so die Definition von »Schnittmenge« – Gleichzeitigkeit der Zugehörigkeit zu zwei oder mehreren dieser Kreise. Was per se nicht so schlimm wäre, ich kann ja prima gleichzeitig Fan von Werder Bremen und Vater sein, wo ist das Problem? Das Problem ist real und wissenschaftlich belegt. Es entsteht, weil die verschiedenen Systeme unterschiedlichen Funktionslogiken folgen und jeweils hochgradig identitätsstiftend sind durch die im jeweiligen System eingenommene Rolle. Als Unternehmer identifiziere ich mich mit meiner Rolle, als Vater ebenfalls. Gleichermaßen tun es die Kinder – als Sohn und Mitarbeiter, als Tochter und Gesellschafterin. Okay, richtig, es ist auch identitätsstiftend, Fan von Werder Bremen zu sein. Ich merke schon, Sie sind noch nicht überzeugt. 32

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Das 3-Kreise-Modell

Modelle sind immer überzeugungskräftig – erst recht, wenn sie aus Harvard kommen: Bereits in den 1980er Jahren haben Renato Tagiuri und John Davis an der Harvard Business School ein einfaches 3-Kreise-Modell über das Zusammenspiel von Familie, Unternehmen und Eigentumsverhältnissen (Gesellschaftern) entwickelt.12

Quelle: Konfliktpotenzial nach dem »3-Kreise-Modell«, Tagiuri & Davis, 1996

Schauen wir uns das Modell ein bisschen genauer an bzw. die Aussagen, die Tagiuri und Davis daraus ableiten: Wir alle agieren in unterschiedlichen Kreisen oder Systemen, sind zum Beispiel Mutter (Familie), Managerin (Unternehmen) und Aktionärin (Eigentum). Normalerweise haben diese Systeme wenige oder keine Schnittmengen und so können wir ziemlich konfliktfrei zwischen ihnen hin- und herwechseln, den Ärger mit der Kollegin im besten Fall vor der Haustür abschütteln und die Schulprobleme des Sohnes auf den Nachmittag verschieben. Oder den Werder-Schal nach der fünften Niederlage in Folge wütend verbrennen und trotzdem ein liebevoller Vater bleiben. Aber wie ist das bei Familienunternehmen? Hier sind mehrere Systeme gleichzeitig aktiv. Wenn Vater das Haus verlässt und in die Firma geht, stößt er dort trotzdem auf Frau und Sohn, allerdings in den Rollen als Vertriebsleiterin und Produktionschef. Ergo: Große Überschneidungen der Identitäten passieren zwangsläufig und da es in den Schnittmengen interessant wird, ist das Konfliktpotenzial vorprogrammiert oder (in Wissenschaftsdeutsch) systemimmanent. Kreise der Kollision

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Was ist eigentlich ein Familienunternehmen?

Das IfM Bonn13 definiert Familienunternehmen als diejenigen Un­ter­ nehmen, bei denen die Eigentums- und Leitungsrechte in der Person des Unternehmers bzw. dessen Familie vereint sind. Genauer heißt es, dass »bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50 Prozent der Anteile eines Unternehmens halten« und »diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören«. Grundsätzlich sind es eher die kleinen bis mittleren Unternehmen, die von Familien kontrolliert werden. Diese haben einen großen Anteil (über 90 Prozent) an den privatwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland. Familienunternehmen – oder Unternehmerfamilien – sind also Sys­teme, in denen verwandtschaftlich verbundene Menschen als Ei­gen­tümer von (einem) Unternehmen über Generationen hinweg unternehmerische Verantwortung tragen. Hier verbinden sich die Systeme, die unsere Gesellschaft normalerweise trennt: private Familie, unternehmerisches Handeln, wirtschaftliches Eigentum. Diese Verbindung betrifft alle Mitglieder der Familie: Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Vor allem in der Frage der Nachfolge, des Generationswechsels, ist der Lärm oft groß, denn diese Frage kann das Aufwachsen, die Erziehung und Sozialisation der Kinder immens beeinflussen. Nicht nur durch die Nachfolgefrage hat das Unternehmen Einfluss auf die Kindheit und Jugend der Unternehmerkinder. Es sitzt wie ein weiteres Kind immer mit am Tisch, quatscht mit und prägt viele, vielleicht die meisten Entscheidungen, die in der Familie getroffen werden. Im Zweifel wird sich alles nach ihm ausrichten, denn dieses Kind hat eine Sonderposition. In der KPMG-Studie »Auf ewig verbunden«14 heißt es, dass der Zusammenhalt innerhalb der Familie groß ist. Der Bezug zum Unternehmen allerdings sei stärker. Überrascht uns das wirklich? Ich selbst habe das in meiner Familie jedenfalls so erlebt. Obwohl wir feste Urlaubstermine hatten, die sich an den Schulferien orientieren mussten, wurde die Abreise schon fast zwangsläufig wegen aktueller Firmenereignisse verschoben, es gehörte einfach zum Urlaub dazu. Immer war im Unternehmen etwas wichtiger, entscheidend, musste noch erledigt werden. Gut – meine Eltern haben das Problem elegant gelöst, denn wir hatten 34

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eine Ferienwohnung und konnten damit die An- und Abreise frei gestalten. Was wiederum eine unternehmerische Fähigkeit ist, oder? Lösungen zu finden, Situationen nicht als »ist eben so« hinzunehmen, sondern zu versuchen, einen gangbaren Kompromiss zu finden. Das fand ich gut. Als ebenso gut und wichtig habe ich es empfunden, dass unsere Eltern es geschafft haben, uns Kindern einen positiven Bezug zum Unternehmen zu vermitteln. Dafür bin ich ihnen jetzt noch sehr dankbar. Natürlich, es war eine hohe zeitliche Belastung und ja, manchmal musste das System »Familie« hintenanstehen (okay, nicht nur manchmal, sondern oft). Trotzdem haben sie es geschafft, uns die Freude weiterzugeben, die sie täglich begleitet hat. Das halte ich für wesentlich: Wer Feuer weitergeben will, muss Freude weitergeben. Da muss jeder Unternehmer für sich in den Spiegel schauen – »Was lebe ich vor, wie erfülle ich meine Rolle?« Eine gelingende Nachfolge ist in hohem Maße vom (bewussten) Rollenverständnis aller Akteure abhängig, von der Kommunikation der Familienmitglieder, von ihren Einstellungen und Werten. Patriarchisches Verhalten in der Familie wird schnell zum unternehmerischen Konflikt, ein mieses Geschäftsjahr wird immer die familiäre Situation belasten.

Quelle 15: nach »Das kommt in den besten Familien vor«, von Schlippe, S. 32 Kreise der Kollision

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Ein Taucheranzug im Meeting

Das Wesen eines Familienbetriebs ist nur aus der Verknüpfung der drei Systeme Familie, Unternehmen und Eigentum heraus zu verstehen. Die Schnittmengen zwischen den Kreisen sind die Quellen des Konflikts und der Missverständnisse. Hier prallen die Funktionen, Rollen, Erwartungen und Einstellungen aus den verschiedenen Welten aufeinander. Unternehmerfamilien sind permanent mit den Funktionslogiken aller drei Kreise konfrontiert. Sie wechseln wahrscheinlich ständig zwischen den Erwartungen der Familienrolle und den Ansprüchen der Unternehmerrolle hin und her, obwohl Sie sich dessen (meistens) nicht bewusst sind. Wie anstrengend! Es ist, als ob Sie hundert Mal am Tag den Anzug wechseln würden – und im Zweifel tragen Sie dann im entscheidenden Moment den falschen Anzug: beispielsweise den Taucheranzug im Meeting oder den Dreiteiler am Grill. Denn die Anzüge und die Situationen, sprich die Funktionslogiken der Systeme, passen nicht zusammen. Während es in der Familie um Bindung und Zugehörigkeit geht, verlangt das

Quelle 16: nach »Das kommt in den besten Familien vor«, von Schlippe, S. 32

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System Firma nach Entscheidung und Entscheidungskommunikation und der Bereich Eigentum bildet eine juristische Basis für Recht und Unrecht. Um das Konfliktpotenzial zu verdeutlichen: Versuchen Sie mal, eine juristische Basis von Recht und Unrecht im Kinderzimmer zu etablieren. Fazit: Die Logiken der Kreise sind in sich stimmig, passen aber in den Schnittmengen nicht zusammen. Auf der einen Seite steht die Familie, auf der anderen Seite das Unternehmen. Beide sind nach ganz unterschiedlichen Maßstäben und Werten ausgerichtet. Geborgenheit und Liebe treffen auf die Gesetze der Marktwirtschaft. Verschiedene Rollen entstehen, verschiedene Interessenlagen. Wie soll es da nicht »krachen«? Man ist geneigt zu sagen: Gut, dass es nicht schlimmer ist. Um die Brisanz zu zeigen, können wir uns die logischen Unterschiede der Systeme verdeutlichen, indem wir uns fragen: • Wie komme ich in dieses System rein?/Wie wieder heraus? • In welcher Währung wird gezahlt? • Wie sind die Entscheidungskriterien? Entscheidet man in der Familie allgemein danach, dass es allen möglichst gut geht, werden die Entscheidungen in Unternehmen im Sinne der Wirtschaftlichkeit getroffen. Dem Lohn im Unternehmen in Form von Gehalt oder Karriere steht die Liebe oder Bindung in der Familie gegenüber. Anerkennung ist dabei eine interessante Schnittmenge – was passiert, wenn meine Leistung im Unternehmen nicht anerkannt wird, mit mir in meiner Rolle als Sohn oder Mutter? Bin ich als Mutter eine Niete, weil ich einen Rechenfehler in der GuV (Gewinn-und-Verlust-Rechnung) gemacht habe? Bin ich unternehmerisch ein Vollversager, weil den Kindern meine Spagetti Bolognese nicht schmecken? Natürlich nicht, werden Sie sagen. Trotzdem ist Anerkennung schwierig aufzuteilen und es gelingt nur mit Übung und hoher Bewusstheit, eine Person, die man privat nicht besonders leiden kann, in ihrer beruflichen Leistung wertzuschätzen. Andere Frage: Wie komme ich in eine Firma? Durch einen Anstel­ lungsvertrag. Und wie werde ich Teil einer Familie? Durch Geburt, Heirat oder (seltener) Adoption. Wie komme ich wieder raus? Durch Kündigung aus der Firma. Und aus der Familie? Äh – gar nicht. Hier können Sie das Feld nicht einfach verlassen à la: »Sorry, Leute, war Kreise der Kollision

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nett mit euch. Ich kündige und suche mir eine neue Familie.« Sie sind eingebunden in ein generationenübergreifendes Lebenswerk, in seine Geschichten, seine (Un-)Gerechtigkeiten, Loyalitäten und Konflikte. Generell beruht das System Familie viel stärker auf Emotionen als das System Unternehmen. Und so passiert es immer wieder, dass diese Emotionen überschwappen. Wer das versteht, hat viel gewonnen. Nicht nur im Bereich der Nachfolgeregelung. Setzen Sie sich auf einen anderen Stuhl

In einer mir bekannten Firma, nennen wir sie Friede & Sohn, gibt es zwei geschäftsführende Gesellschafter: Vater und Sohn. Beide sind seit einigen Jahren im Unternehmen und haben ihre eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereiche. Im Rahmen dieser Verant­ wortung kommt der Vater eines sonnigen Morgens zum Sohnemann (Verzeihung, kommt der eine Gesellschafter zum anderen Gesellschafter) und spricht: »Lieber Peter, morgen kommt die große Einkaufskommission aus Asien. Da steckt ein riesiger Abschluss hinter, sorge bitte dafür, dass die Lager tipptopp aussehen. Danke.« Puh, langweilige Geschichte, denken Sie jetzt? Was soll daran spannend sein? Da muss etwas erledigt werden im Sinne der Firma, um einen dicken Fisch an Land zu ziehen. Warum erzählt der Koerber uns das? Nun, ich erzähle das, weil diese bis dahin langweilige Geschichte so eskaliert, dass die beiden Gesellschafter, Vater und Sohn, bei uns landen. Gemeinsam mit ihnen landet die Frage bei uns: Was ist da passiert und wie können wir es zukünftig verhindern? Was ist da passiert? Kurz gesagt: Die beiden haben ihre Rollen, ihre Anzüge, gewechselt. Sie haben Schritt für Schritt nacheinander das System, in dem sie agieren, getauscht, ohne sich dessen bewusst zu sein. Während also der eine Gesellschafter dem anderen Gesellschafter eine vermeintlich unternehmerische Botschaft im Rahmen der Aufgabenbereiche übermittelt (»Sorge bitte dafür, dass die Lager aufgeräumt sind, sonst wird das nix mit dem Auftrag«), klingt diese Aufforderung des Vaters in den Ohren des Sohnes eher wie: »Sorge bitte dafür, dass dein Zimmer aufgeräumt ist, sonst wird das nix mit dem Fernsehen heute Abend.« Und wie reagiert ein Sohn auf so eine Ansage? Patzig, logisch. »Du kannst mich mal, mach’s doch selbst.« 38

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Und wie »muss« dann zwangsläufig ein Vater reagieren, wenn der Sohn patzig wird? Laut. Sehr laut. Und dann? Stehen sich plötzlich nicht mehr zwei gleichrangige Gesellschafter gegenüber in einer angemessenen Kommunikation über einen neuen Kunden, sondern zwei Familienmitglieder in einem lautstarken und emotionalen Streit als Gipfel eines jahrzehntelang schwelenden Konflikts. Um sich diese Rollenwechsel innerhalb der Unternehmerfamilie bewusst zu machen, kann es hilfreich sein, bildsprachlich mit Stühlen, Hüten oder (wie im Beispiel oben) Anzügen zu arbeiten. Auf welchem Stuhl sitze ich gerade, wenn ich bestimmte Dinge sage: Ist es der Firmenstuhl oder der Familienstuhl? Welchen Anzug habe ich beispielsweise an, wenn ich meine Frau bitte, bei privaten Terminen nicht immer so vergesslich zu sein, oder meinem Sohn sage, dass er seine Mitarbeiter »nicht im Griff« hat? Den Taucheranzug oder den Dreiteiler? Immer wenn Sie als Unternehmer sprechen, sind Sie gleichzeitig Familienmitglied. Das ist die Krux mit der Schnittmenge. Sie sind immer und gleichzeitig Mitglied aller Systeme. Immer wenn Sie angesprochen werden, müssten Sie sich eigentlich fragen: »Wen meint er oder sie gerade? Den Vater oder den Unternehmer?« Die Fragen, die sich ergeben, lauten: • In welcher Rolle werde ich gerade angesprochen? • In welcher Rolle handle/spreche ich gerade? Okay, verstanden, sagen Sie als lösungsorientierter Unternehmer und reiben sich die Hände. Eine Herausforderung, prima. Was kann ich tun? Gibt es da eine Checkliste, einen 5-Punkte-Plan? Her damit! Leider nein. Trotzdem kann ich Sie beruhigen, weil Sie den wichtigsten Schritt schon getan haben: Sie haben die Brisanz erkannt, die das 3-Kreise-Modell mit sich bringt. Und Sie werden sich demnächst ab und zu fragen: Aus welcher Rolle heraus spreche ich gerade? Und Sie werden ganz bestimmt mit Ihrer Familie darüber sprechen und gehen damit einen weiteren Schritt, um den Fallen in den Schnittmengen zu entgehen: Eine offene Kommunikation ist die einzige Möglichkeit, sich des unbewussten Drucks der verschiedenen Rollen und Systeme zu entziehen.

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Du warst schon immer blöd!

Aus den verschwimmenden Grenzen der Systeme resultiert eine große Unsicherheit, weil die Beteiligten sich nie sicher sein können, wie eine Situation gerade zu verstehen ist. Was ist die Botschaft hinter der Botschaft, die ich gerade höre? Sie kennen wahrscheinlich das Eisberg-Modell der Kommunikation: Wie bei einem Eisberg ist auch bei unserer Kommunikation nur ein verschwindend geringer Teil der Botschaft direkt wahrnehmbar, das sind Zahlen, Daten und Fakten. Der weitaus größere Teil – und meistens der essenzielle – wird versteckt auf der Beziehungsebene übertragen. Er »schwingt nur so mit« und man muss sich anstrengen, diesen Teil der Botschaft zu erkennen und vor allem richtig zu interpretieren. Wir alle kommunizieren, sobald wir die Sachebene verlassen (also 99 Prozent der Zeit), nicht nur im Hier und Jetzt. Hinter unserer Kommunikation steht immer unsere ganze Geschichte, stehen Erlebnisse, Erfahrungen und Erwartungen, die unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen. Das hat tiefe Auswirkungen sowohl auf unsere Aussagen als auch auf die Art und Weise, wie wir Aussagen interpretieren. Der Satz »Sie haben ja schon wieder den roten Knopf gedrückt!« kann Lob und Tadel gleichermaßen sein. Es kommt auf den Kontext an. Nur: Wer bestimmt den Kontext? Der Sender, der den Satz ausspricht? Oder der Empfänger, der ihn hört und verstehen muss? Letztlich ist die Reaktion des Empfängers ausschlaggebend, egal, aus welchem Kontext der Sender gesprochen hat, wie wir am Beispiel von Familie Friede gesehen haben. Und wenn der Empfänger aufgrund seiner Erfahrungen und Erlebnisse den Kontext anders wählt, als der Sender ihn gemeint hat, dann läuft die Kommunikation so richtig schön schief. Bei Familie Friede hat sich in der Beratung herausgestellt, dass in der Kindheit oftmals die Mutter nicht durchsetzungsstark gewesen war, die Kinder ihr – natürlich liebevoll pubertierend – auf der Nase herumgetanzt sind. Daher musste abends, wenn der Vater nachhause kam, »eine Ansage« gemacht werden. Und die war meistens mit Sanktionsandrohungen verbunden: »Es gibt Fernsehverbot, wenn nicht bis zum Abendessen das Zimmer aufgeräumt ist.« Eine solche Sanktionsandrohung hatte der Sohn/Gesellschafter gedanklich im 40

Wertschätzung des Firmenfeuers

Ohr (»Wenn das Lager nicht aufgeräumt ist, wird das nix mit dem Auftrag«) und daher sofort die Rolle gewechselt. Er war plötzlich wieder der patzige Sohnemann, der vom Vater in die Wahl zwischen Pest und Cholera (Aufräumen oder Nichtfernsehen) gedrängt wurde. Ohne das Wissen um diese Vorgeschichte bleibt der Konflikt un­ver­ständlich. Und so geschieht es mit fast allen Konflikten in Fa­­ mi­­lienunternehmen, in Unternehmerfamilien. Ohne das Bewusstmachen der Hintergründe bleiben Kommunikation und Konflikt unverständlich. Da können plötzlich Streitigkeiten aus der Kindheit aufbrechen, von denen man meinen sollte, dass sie keinen Einfluss auf das Handeln und Entscheiden »vernünftiger« Erwachsener haben (»Du warst schon immer blöd«). Haben sie leider doch. Auch Erwartungen spielen eine wesentliche Rolle: Was erwartet meine Frau von mir, meine Kinder, meine Mitarbeiter? Nur, wenn keiner diese Gefühle oder Erwartungen ausspricht und alle sie nur denken oder meinen zu verstehen – was dann? Einerseits sieht das alles wie ein riesiges Fettnäpfchen aus. Andererseits haben Sie einen gewaltigen Bonus: Sie sind eine Familie. Sie teilen die meisten Erlebnisse. Wenn nicht Sie, wer sonst sollte dann die Erwartungen, Erfahrungen und Erlebnisse (er-)kennen, aus deren Kontext heraus gerade agiert wird? So hat alles zwei Seiten: Weil Sie eine Unternehmerfamilie sind, ist es fast unmöglich, konfliktfrei zu leben. Aber weil Sie eine Unternehmerfamilie sind, kann es auch viel einfacher sein, die Konflikte zu lösen. Konflikte vernichten Werte

»Der größte Wertvernichter im Familienunternehmen ist der Streit«, wird Unternehmensberater Brun-Hagen Hennerkes im Buch »Die Fa­mi­lienstrategie« von Kirsten Baus zitiert.17 »Wer Streit vom Fami­ lien­­unternehmen fernhalten will«, so Hennerkes weiter, »muss zwischen Maßnahmen der Streitvermeidung und Maßnahmen der Streitbeseitigung unterscheiden«. Ich stimme ihm zu und möchte nochmals die Brisanz betonen: Nach meiner Erfahrung scheitern fast 90 Prozent aller innerfamiliären Nachfolgen an den ungelösten emotionalen Fragen. Kommunikation näher zu beleuchten ist daher eines der wichtigsten Ziele der Nachfolgesicherung, für die Streitvermeidung und für die Streitbeseitigung. Wir alle müssen lernen, Kreise der Kollision

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unsere Bedürfnisse zu erkennen und zu äußern. Wir müssen verstehen, dass diese Bedürfnisse bei jedem in der Familie verschieden sind, was aber auch, zwangsläufig, wichtig und gut so ist. Sprechen wir zum Beispiel über eines der Grundbedürfnisse: Sicherheit. Das Sicherheitsbedürfnis ist in der Nachfolgesituation sowohl bei der »alten« als auch bei der »jungen« Generation vorhanden. Spannend ist dabei nur, dass es ganz unterschiedlich interpretiert wird. Die »Alten« verstehen unter Sicherheit, dass ihr Unternehmen in ihrem Sinne weitergeführt wird, dass es den Mitarbeitern gut geht und dass für sie selbst finanzielle Sicherheit für den neuen Lebensabschnitt vorhanden ist. Die »Jungen« wollen Sicherheit aus der Zusage oder sogar Garantie für Gestaltungsfreiräume. Ergo: Aus einem eigentlich gleichen Bedürfnis entstehen ganz andere Prioritäten, ganz andere Wege, aber das Ziel »Erhalt des Unternehmens« bleibt ein gemeinsames. Es ist meist sehr befreiend für beide Seiten, wenn sie erkennen, dass ihre Bedürfnisse so verschieden gar nicht sind. Diese Erkenntnis verbindet und kann in einem Wust aus Missverständnissen ein kleinster gemeinsamer Nenner (kgN) dafür sein, ein Anfang und eine Basis zu sehen: So unterschiedlich sind wir ja gar nicht, auch wenn unsere Strategien anders sind. Sehen Sie? Hier begegnet uns, mit dem kgN, schon wieder die Mathematik. Ich sagte ja bereits, dass sie wichtig ist, um Familienunternehmen zu verstehen.

Inhalt und Sinn Im Fokus: Sie, Schafe und ein Dackel sowie Mitarbeiter, die anders sein sollten als der Rest der Welt Wenn man das so liest mit diesen Kreisen der Kollision und den unvermeidlichen Konflikten – warum tun wir uns das dann eigentlich an? Es hätte doch so schön sein können: 40-Stunden-Woche (oder weniger), ab und zu eine nette Beförderung mit ein bisschen mehr Geld, sechs Wochen Urlaub und jemand anderes, der den Kopf für alles hinhält. Keine Schnittmengen zwischen Familie und Unternehmen, ich kann jeden Tag beim Verlassen der Firma aufhören, an meinen Job zu denken. Ach, herrlich, oder? 42

Wertschätzung des Firmenfeuers

Nicht wirklich. Menschen mit Unternehmergeist – wie Sie und ich – bekommen bei diesem Versprechen von Sicherheit und Bestän­ digkeit wahrscheinlich ein Taubheitsgefühl in den Füßen. Sicher und beständig klingt für uns nach einschränkend und langweilig. Warum also sollte ich mein Potenzial verschwenden? Ich habe ein Feld entdeckt, in dem meine Ideen gefragt sind, in dem ich gefragt bin, ich kann Probleme lösen, vielleicht die Welt besser machen. Dafür verzichte ich gern auf die vermeintliche Komfortzone einer 40-Stunden-Woche. Gewohnte Abläufe, ein fixes Gehalt und die Möglichkeit, die Gedanken an den Job jeden Tag beim Verlassen der Firma an den Nagel zu hängen? Das ist nichts für Sie, weil Sie eine »unterneh­ mende Persönlichkeit« sind. Ihre fokussierte innere Haltung, Ihre kraftvollen Werte und gefestigten Überzeugungen mögen Familie und Mitarbeiter manchmal an den Rand der Verzweiflung treiben – aber genau sie sind es, die Sie ausmachen. Es ist die Art und Weise, wie Sie mit den Herausforderungen des Lebens umgehen. (Bitte bedenken Sie, dass nicht alle Menschen so sind, und das ist gut so!) Ganz egal welche Höhen und Tiefen Sie in den letzten Jahrzehnten durchlebt haben: Das Unternehmen und Ihr unternehmerisches Wirken haben Ihnen Halt gegeben sowie Inhalt und Sinn für Ihr Verhalten. Sie haben ein Firmenfeuer geschaffen oder übernommen, es beständig lodern und wachsen lassen sowie sich selbst und andere daran genährt. Was hat das Firmenfeuer Ihnen gegeben?

Dauer-Kaminfeuer

Wertschätzung, soziale Verbindung und monetäre Vorteile auf der einen Seite, Hoffnungen, Wünsche und Ängste auf der anderen. Es ist ein wichtiger oder sogar der wichtigste Teil Ihrer Entwicklung, von dem Sie und alle anderen, die um das Firmenfeuer sitzen, profitieren: Die Familie und alle Menschen, die mit dem Unternehmen in Verbindung stehen, also Mitarbeiter, deren Familien, ganz allgemein Inhalt und Sinn

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»Stakeholder«, bilden den Kreis um das Feuer, das nicht nur »Nahrung« bietet, sondern auch Bindung und Zusammenhalt erzeugt. Das ist etwas ganz Besonderes, das Sie immer wieder geben konnten und nehmen durften. Anders gesagt: Es gab etwas, wofür Sie täglich aufgestanden sind, das wenig mit Geld und viel mit Motivation zu tun hatte – oder mit Verantwortungsgefühl? Motivation? Ich tue, was getan werden muss

Die Motivationen für unternehmerisches Handeln sind ganz unterschiedlich. Ist es Neugier, Verantwortungsgefühl, die Suche nach Anerkennung, das große Ganze (der Zweck der Existenz) oder einfach »nur« Geld? Was auch immer es ist: Sie handeln eigenverant­ wortlich und proaktiv, Sie treffen Entscheidungen, gehen bewusst Risiken ein und beschäftigen sich ebenso bewusst mit Chancen. Sie haben durch das Firmenfeuer Einfluss auf Menschen und die Gesellschaft – ist das nicht ein tolles Gefühl? Machen Sie sich das bewusst. Jetzt. Und dann immer öfter. Sie sind etwas ganz Besonderes. Ein Unternehmer, einer von nur vier Prozent der Erwerbstätigen, der all das eben Erwähnte täglich tut. Warum wir tun, was wir tun

Unternehmercoach Stefan Merath sagt »Unternehmersein ist die geilste Lebensform der Welt!« und beantwortet die Frage nach dem Warum des Unternehmerwerdens mit wenigen Motiven, die er im­­ mer wieder feststellt: • Der Wunsch nach Unabhängigkeit oder Freiheit, der gerade dann wächst, wenn man für einen unfähigen Chef arbeitet. (Was ist das eigentlich?) • Das Gefühl, etwas besser machen zu können. • Geld oder der Wunsch, den eigenen Wert besser zu verkaufen. • Die Herausforderung. • Verantwortung gegenüber der Familie in der Nachfolge.18 Der Wunsch, etwas Eigenes zu machen, geht quer durch demografische und soziale Schichten. Allerdings stellte die Zeitschrift 44

Wertschätzung des Firmenfeuers

»Wirtschaftswoche«19 2014 fest, dass immer mehr Gründer aus der Arbeitslosigkeit kommen. International sei Frust das Hauptmotiv für die Unternehmensgründung, heißt es in diesem Artikel, der auf eine Studie20 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) verweist, die belegt, dass der Erfolg eines jungen Unternehmens stark von den Gründungsmotiven abhängt. »Je stärker die eigene Geschäftsidee, das Besetzen einer Marktlücke oder der Wunsch, sein eigener Chef zu sein, im Vordergrund stehen, desto ausgeprägter ist der Erfolg der neuen Unternehmen. Wer hingegen ausschließlich aus der Not he­raus, die Arbeitslosigkeit beenden zu müssen, ein Unternehmen gründet, dessen unternehmerischer Erfolg steht unter deutlich schlechteren Vorzeichen«, heißt es. Inhalt und Sinn, Motivation und Werte machen erfolgreich. Eigent­ lich ist das nichts Neues, allerdings geht uns dieser Antrieb im Alltag oft verloren. Schnell geht es weniger um allgemeine Werte/Wertvorstellungen und mehr um Geldsummen, darum, den Laden am Laufen zu halten. Dann geht es nicht mehr um Motivation, sondern um Projekte, die »gerockt« werden müssen, um 150 E-Mails im Posteingang und um die Sorgen/Nöte der Mitarbeiter bzw. Familienmitglieder. Die einzige Freiheit bestünde oft lediglich in der Entscheidung, ob man seine 14-Stunden-Tage von 6 bis 20 oder von 8 bis 22 Uhr macht, sagt Stefan Merath21. Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit

Also stelle ich, nach diesen allgemeinen Ausführungen, jetzt Ihnen die Frage: Warum tun Sie das, was Sie tun? Ist der Traum, den Sie einmal hatten, noch lebendig? Oder sind die »Kreise der Kollision« und ihre Rollen zum normalen Handlungsrahmen geworden, aus dem Sie nicht ausbrechen können, weil Sie sich darüber identifizieren? Warum stelle ich Ihnen diese unangenehme Frage? Vermeintlich ist es wurschtegal, warum Sie das jahrzehntelang gemacht haben, wichtig ist doch, dass Sie jetzt aufhören müssen, es zu machen. Aufhören dürfen? Ich stelle Ihnen hier – und im Folgenden noch öfter – die Frage nach Ihrer Motivation und nach Ihren unternehmerischen Werten, Inhalt und Sinn

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weil ich Sie zur Selbstreflexion einladen möchte. Ich möchte, dass Sie erkennen, was für große Eigenschaften, was für Stärken (aber auch Schwächen) Sie in sich tragen. Ich halte es für wesentlich, dass Sie sich Ihre Stärken und Schwächen bewusst machen, damit Sie verstehen, dass das mächtige Firmenfeuer, das durch Sie und für Sie so viele Jahre gebrannt hat, nicht durch einen Tischgrill zu ersetzen ist. Sie haben von Anfang an nicht nur Verantwortung für andere übernommen, sondern auch für sich selbst – und das ist es, worauf es bei der Selbstreflexion im Hinblick auf eine gelingende Nachfolge ankommt: Eigenverantwortung als Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Eben nicht zu sagen: »Du bist schuld, ändere du dich.« Sondern zu fragen: »Was können wir ändern, damit es anders geht?« Nicht reflexhaft im Anderen den Schuldigen zu suchen, sondern in erster Linie stark auf sich selbst zu blicken und seine Geschicke in die Hand zu nehmen. Wenn ich Sie hier dazu einlade, Ihre Stärken und Schwächen zu erkennen, dann ist mir bewusst, wie schwierig das ist. Wir als Unternehmer sind es gewohnt, im großen Rahmen zu denken und eher Prozesse oder Produkte zu optimieren als uns selbst. Eigene Schwächen? Selbst wenn ich die hätte – dagegen muss man doch ankämpfen, oder? Stärken werden jedoch als selbstverständlich angesehen. Was dabei vergessen wird: Mit jeder Stärke geht immer eine Schwäche einher, jedes Verhalten ist in einem bestimmten Kontext sinnvoll, in einem anderen total sinnlos. Beispielsweise ist Ihre unternehmerische Entscheidungsfreude und Schnelligkeit für eine starke Führungspersönlichkeit sinnvoll. Aber daraus ergibt sich automatisch die Unfähigkeit, sich lange, tief und gründlich mit einem Thema, einer Idee auseinanderzusetzen. »So, hab ich verstanden, prima, weiter, nächstes Thema.« Haben Sie vielleicht schon öfter die Bitte »Denk doch noch mal in Ruhe darüber nach« gehört? Es ist megaspannend, sich bewusst anzuschauen, welchen Einfluss unsere durch das Unternehmersein geprägte Persönlichkeit auf unser Leben bis jetzt hatte und in Zukunft haben wird. Welche Schwächen werden vielleicht im Hinblick auf ein neues Feuer zu stärken? Und wie wirkt sich unser Blick darauf, wie ein Unternehmer zu sein hat, auf die Wahl eines Nachfolgers aus? Was wäre, wenn seine Stärken und Schwächen ganz andere wären als meine? Und was wäre, wenn die Zukunft der Firma genau die benötigt? 46

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Eigenverantwortung – jetzt wollen das alle haben

Das klassische Bild eines Unternehmers, wie wir es bis hierher gezeichnet haben, ist ein Bild von persönlicher Stärke, von Verantwortung, Entscheidungskraft und Selbstwirksamkeit. Als Unternehmer lag es in unserer Verantwortung, in der Früh die Schäflein auf die Weide zu führen und sie tagsüber beisammenzuhalten. Abends mussten wir aufpassen, dass der Wolf fernbleibt. Wir sind die Schäfer und lieben unsere Schafe, jedes einzelne, und die Verantwortung für sie ist uns lieb und teuer. Damit sind wir bei einem Bild von Führung, das propagiert: Einer geht vor, die anderen folgen. Diese unternehmerische Schäferrolle ist historisch gewachsen und basiert auf der Systematik unserer Gesellschaft und der Gesellschaftsform des 19. und 20. Jahrhunderts. Durch ihre militärische Prägung und Durchstrukturierung brachte die Industrialisierung sowohl Rationalismus und klare hierarchische Strukturen als auch die Verehrung des Prinzips von Ursache und Wirkung mit sich. Über allem steht die Theorie (ob im Kolonialismus oder in der Unternehmensführung), dass einige wenige Persönlichkeiten dazu beschaffen sind voranzugehen und die große Menge, die Schafe, folgt. Und jetzt? Beginnen wir langsam zu verstehen, dass in einer globalen, technologisch aufstrebenden und immer schneller werdenden Welt andere Abhängigkeiten gelten. Weder das Prinzip von Ursache und Wirkung noch das Bild des Schäfers und seiner Herde haben länger Gültigkeit. Mit der historisch gewachsenen Vorstellung einer Führung, die auf den persönlichen Eigenschaften des Führenden und dem Eifer bzw. der Folgsamkeit der Geführten beruht, wird gerade gründlich aufgeräumt. Jetzt geht es darum, das unternehmerische Prinzip der Eigenverantwortung auf alle Mitarbeiter auszuweiten, um mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) umzugehen. Durch VUKA bekommt Führung eine neue Dimension – sie muss Zukunft gestalten auf Basis höchster Unsicherheit. Aus diesem hohen Anspruch entwickelt sich eine neue Führungskultur, die auf Teilhabe, Transparenz und – eben erwähnter – Eigenverantwortung basiert. Autoritäre Leadership-Modelle sind out. So weit sind wir Inhalt und Sinn

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uns, glaube ich, einig. Die eigentliche Frage ist: Wie finden wir uns als Unternehmer, die wir noch mit dem unternehmerischen Denken des 20. Jahrhunderts groß (und erfolgreich) geworden sind, in der neuen Unternehmenskultur wieder? Autonomie, Spaß und »Sinn« würden sich heutzutage unsere Mitarbeiter wünschen, heißt es in vielen Studien. Brüllen wir also jetzt »Eigenverantwortung, ätsch!« und lassen die Schafe allein? Sollen sie doch selbst gucken, wie sie auf die Weide finden und mit dem Wolf klarkommen? Mit meinen Leuten geht das nicht

Wahrscheinlich haben Sie diesen Satz schon oft, wenn nicht gesagt, dann zumindest gedacht. Immer wenn Ihre Tochter, Ihr Sohn oder ein Mitarbeiter zu Ihnen kam und etwas von »mehr Eigenverantwortung« erzählt hat, dann haben Sie die Idee dahinter sehr wohl verstanden. Sie sind ja nicht blöd! Sie verstehen, dass Unternehmen, in denen Mitarbeiter mit Sinn, Spaß und Eigenverantwortung agieren, in der neuen Weltordnung erfolgreicher sind, sein müssen. Weil Komplexität und das Auflösen unserer industriellen UrsacheWirkungs-Gläubigkeit dazu führen, dass jeder Mitarbeiter an jeder Stelle selbst und ad hoc Einschätzungen und Entscheidungen treffen muss. Das ist alles sehr interessant und völlig logisch. Nur, mit Ihren Leuten geht das eben nicht. Keine Ahnung, warum. Keine Ahnung? Bernd Geropp, Geschäftsführercoach, sagt: »Je­ de Führungskraft hat nach zwei bis drei Jahren die Mitarbeiter, die sie verdient.«22 Könnte es also vielleicht – nur ein winziges bisschen – an Ihnen liegen, wenn Ihre Mitarbeiter auf eine starke Hand angewiesen sind, damit der Laden läuft? Könnte es tatsächlich Ihr eigenes Bild von Ihrer Unersetzbarkeit und Entscheidungsallmacht sein, das gemäß der selbsterfüllenden Prophezeiung (die schauen wir uns in Kapitel 2 genauer an) dazu führt, dass keiner außer Ihnen Entscheidungen trifft? Aus einer starken Führung wird schnell ein Prinzip, dem alle folgen, weil sie daran glauben. Sie selbst als Unternehmer und daher auch alle Familienmitglieder und Mitarbeiter gehen davon aus, dass Sie die Fäden in der Hand halten müssen. Und weil das so ist, macht der Chef die Ansage 48

Wertschätzung des Firmenfeuers

und die anderen folgen – das ist einfach, daran kann man sich gewöhnen. Dazu ein Beispiel, das zeigt, wie stark hierarchisches Denken noch in Familienunternehmen verankert ist: Vater (Gesellschafter) und Sohn (Gesellschafter) sitzen gemeinsam bei einem wichtigen Kunden und sind an einem entscheidenden Punkt der Vertragsverhandlung angekommen. Sie haben – warum auch immer – ihren Hund, einen Dackel, dabei. Da die ganze Angelegenheit sich länger hinzieht als erwartet, wird der Dackel unruhig und der Vater fordert den Sohnemann auf: »Geh mal mit Waldi Gassi.« Und was passiert? Sohn und Hund dackeln gemeinsam ab. Das passiert, wenn die »starke Hand« im Familienunternehmen nicht in Frage gestellt wird. (Und der arme Sohn wird, Gesellschafter hin oder her, bei diesem Kunden natürlich nie wieder ein Standing haben, die Erde ist verbrannt.) Was lernen wir daraus? Der Hanseat sagt »Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken« und ich mag diesen Satz sehr. Wenn Sie Eigenverantwortung von Ihren Mitarbeitern erwarten, müssen Sie selbst die Verantwortung für Ihr Handeln übernehmen, was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass Sie loslassen müssen. Und Sie müssen sich darüber bewusst werden, dass und warum das Loslassen so schwierig ist. Sie verabschieden sich ein Stück von Ihrer Identität, Ihrer Rolle als Unternehmer. Hier sind wir wieder bei den Stärken und den Schwächen: Die Stärke der Verantwortungsübernahme geht einher mit der Schwäche, nicht loslassen zu können, Verantwortung auch mal zu übergeben. Alles hat zwei Seiten. Konkret, wie hätte der Senior-Dackelpapa anders reagieren können? Zum Beispiel, indem er um zehn Minuten Pause bittet, um gemeinsam mit dem Sohn und Waldi eine kleine Runde zu drehen. So hätte man sich austauschen können als Gesellschafter auf Augenhöhe (!). Oder er hätte fragen können, ob jemand aus dem Kundenunternehmen vielleicht ganz kurz mit Waldi rausgehen könnte … Wo ein Wille ist, ist immer ein Gebüsch, auch für Waldi! Wesentlich sind der Wille und ein wachsendes Grundvertrauen in die Entscheidungen und Fähigkeiten seiner Mitarbeiter. Solange Sie morgens der Erste im Unternehmen sind und abends der Letzte, der geht, ist der Handlungsspielraum für Entscheidungsübernahme Inhalt und Sinn

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nicht vorhanden. (»Wenn ich das mal nicht tue, brennt morgens noch das Licht in der Produktion und die Alarmanlage ist nicht scharf!«) Anders gesagt: Wenn Sie, der Firmeninhaber, den Weg nicht vorausgehen, über gelebte Werte und vorbildliches Verhalten Motivation fördern, zu Entscheidungen ermutigen und zulassen, dass die eigenen Entscheidungen konsequent hinterfragt werden können, wird jede Änderung nur für innovativ grasende Schafe sorgen. Die beim ersten kleinen Fragezeichen doch wieder zum »Boss« rennen. Weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass er es natürlich »anders gemacht hätte«, wenn sie dann schon mal entschieden haben. Das haben wir immer so gemacht, ist doch prima

Unternehmer müssen lernen, was gefragt ist, wenn Erfahrungswissen und Entscheidungskompetenz nicht mehr ausreichen. Was sich verändert: Sie sind plötzlich als Mensch gefragt, nicht als Rolle in einem System. Diese Authentizität kann überfordern und deswegen ist es gut, dass mit der Nachfolge eine neue, andere Persönlichkeit samt Stärken und Schwächen ins Spiel kommt. Vielleicht jemand, der gemeinsam mit Ihnen und mit allen Mitarbeitern ein neues Führungsverständnis und Werte entwickelt, an die sich alle, wirklich alle, halten müssen. Dann ist Unternehmertum keine Rolle mehr, sondern nur noch ein Diskussionsangebot, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden. Fazit: Gutes oder schlechtes Verhalten (wenn wir in diesen Kategorien denken wollen) Ihrer Mitarbeiter spiegelt Ihr Verhalten und Ihre Denkweise wider. Wenn Sie also den kritischen Gedanken »Mit meinen Leuten geht das nicht« in sich tragen, dann wird die Nachfolge deutlich erschwert. Zum einen, weil autoritär geführte Unternehmen nicht zukunftsfähig sind und damit auch nicht werterhaltend. Und zum anderen – ja: Wenn schon Ihre Mitarbeiter Ihre Genialität nie erreichen konnten, wie soll das dann ein Nachfolger schaffen? Der kann ja nur scheitern (und auch das haben Sie natürlich schon wieder vorher gewusst).

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Wertschätzung des Firmenfeuers

Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig Von den Gemeinsamkeiten zwischen Bäcker und Werbeagentur; der grüne vs. rote Knopf eines Unternehmers Im letzten Kapitel haben wir uns angeschaut, was eine Unternehmerpersönlichkeit prägt, wie ein Mensch ist – oder wird –, wenn er unternehmerisch tätig ist. Wir haben von Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung gesprochen, von Entscheidern, die mit Schnelligkeit und Stärke agieren. Unternehmer, so scheint es, sind Supermänner. Immer? Wie ist das eigentlich mit Selbstzweifeln? Darf ein Unternehmer an sich und seinem Verhalten zweifeln? Klar, er muss es sogar. Ich jedenfalls tue es oft, wie geht es Ihnen? Zögern, zaudern und zweifeln wird oft mit Schwäche gleichgesetzt. Der starke Unternehmer zweifelt nicht, er weiß, was er zu tun und zu lassen hat – so wird es uns doch immer gesagt, oder? Ich glaube, dass Zweifel sehr wichtig sind, denn sie helfen mir dabei, meine Wahrheit und meine Werte gelegentlich auf den Prüfstand zu stellen. Eine gesunde Portion Skepsis gegenüber eigenen und erst recht gegenüber fremden Einflüsterungen ist ein Korrektiv, das keinem Unternehmer fehlen darf. Deswegen ist es gut, sein Verhalten regelmäßig zu hinterfragen, oder – noch besser – von guten Freunden oder der Familie hinterfragen zu lassen. Zweifel öffnen einen Möglichkeitenraum aus »Was stattdessen« oder »Was denn noch« und erweitern damit unseren Handlungsund Entscheidungsspielraum. Sie sind nicht dazu gemacht, uns aufzuhalten. Sie möchten uns nur zeigen, dass es noch andere Optionen gibt. Zweifel lassen uns neue Wege entdecken und wenn wir diese gehen, dann mit Überzeugung, denn wir haben sie gewählt. Wir sind nicht aus Bequemlichkeit den automatischen Weg des Erfahrungswissens gegangen, sondern bewusst den neuen Weg, den der Weiterentwicklung und Neuausrichtung. Der Zweifel ist ein Impuls, verschiedene Möglichkeiten abzuwägen und bewusst zu entscheiden, anstatt in einer unbewussten Einbahnstraße stecken zu bleiben.

Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig

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Hätte, hätte, Fahrradkette

Zweifel sind essenziell, wenn sie dazu dienen, unser Handeln zu steuern. Allerdings gibt es eine Variante des Selbstzweifels, von der ich dringend abrate. Das ist die Kategorie, die meistens mit »Hätte …«, »Wäre …« oder »Wenn doch …« anfängt. Deshalb möchte ich Ihnen an dieser Stelle etwas anbieten, das gleichermaßen für den Blick zurück als auch für den Blick in die Zukunft wichtig ist: Sie können den Zweifel als Freund und als Anlass, ab und zu innezuhalten, wahrnehmen. Was Sie dabei nicht tun sollten: Ihr Wirken als Unternehmer anzweifeln. Die Fragen »Habe ich alles richtig gemacht?« oder »Hätte ich lieber …?« bleiben besser außen vor. In jedem Fall können Sie an der Vergangenheit eh nix mehr ändern, Sie leben jetzt. Entscheidend ist etwas anderes: Sie haben etwas gemacht, Sie haben gehandelt, wo andere nur die Hand aufgehalten hätten. Sie haben Entscheidungen getroffen, wo andere mit den Schultern gezuckt hätten. Und Sie haben unternehmerische Verantwortung übernommen, wo andere lieber in dritter Reihe geblieben sind. Deswegen haben Sie alles richtig gemacht. Ich setze noch eins drauf: Sie haben es nicht nötig, sich für Ihr unternehmerisches Wirken und Dasein zu rechtfertigen. Fragen wie »Warum tust du dir das an?« oder zweifelhafte Späße wie »Weißt du eigentlich noch, wie deine Frau aussieht?« – ja, diese Sprüche kennen wir zur Genüge. Danke schön, liebe Kumpel, für eure hoffentlich ehrliche Sorge um uns. Aber mal Hand aufs Herz: Sinnhaftigkeit, Überzeugungen und Werte sind positive Attribute des Unternehmertums. Damit einher gehen Engagement, Interesse und Begeisterung. Zusammengenommen sind das bedeutende Bausteine des unternehmerischen Lebens. Sie können und dürfen in Ihrer Arbeit vorkommen. Arbeit darf Spaß machen und wesentlicher Inhalt unseres Lebens sein. Dafür müssen wir uns nicht rechtfertigen. Es ist sogar elementar wichtig, als Unternehmer engagiert zu sein sowie soziale, gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgaben zu übernehmen. Das passiert nicht nebenher, während einer 40-Stunden-­ Woche. Das Firmenfeuer trägt ein Unternehmer in sich (oder eben nicht), es lässt sich nicht an- und ausknipsen wie eine Stehlampe. Es 52

Wertschätzung des Firmenfeuers

brennt – und Sie brennen auch: leidenschaftlich, für Ihre Ideen, Ihre Aufgabe, für Ihr Unternehmen. Sie haben Werte geschaffen

Als Unternehmer sind Sie ein Entscheider und Beeinflusser im wirtschaftlichen und ganz besonders im menschlichen Kontext. Sie haben materielle und immaterielle Werte geschaffen, haben sich selbst und anderen Sinn gegeben. All dies machen wir Unternehmer uns viel zu selten und viel zu wenig bewusst. »Das ist doch selbstverständlich«, werden Sie jetzt vielleicht sagen und abwinken. Bleiben Sie noch einen Augenblick hier, bitte. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, was Sie geschafft und geschaffen haben. Denn Sie sollen es ja jetzt loslassen. Einen Kieselstein loslassen, das ist einfach. Aber einen Diamanten? Ihre Wertvorstellungen sind auf den Betrieb übergegangen, Sie haben ihn geprägt. Und jetzt loslassen? Kann jemand anderes diese Werte verstehen, sie so gut umsetzen wie Sie? Nur wenn wir verstehen, was wir einem Nachfolger übergeben sollen und/oder wollen, können wir beginnen zu begreifen, warum so viele Unternehmensübergaben scheitern. Es liegt an der hohen emotionalen Bindung, die Sie und Ihre Familie mit dem Unternehmen und durch das Unternehmen eingegangen sind. Das ist kein »Ding«, was Sie da loslassen sollen, es ist ein Wert, der Ihr Leben bestimmt und Ihrem Dasein Sinn gegeben hat. Mit diesem Verständnis wird es für Unternehmer und für Nachfolger einfacher zu erkennen, warum das Loslassen ein schwieriger Prozess ist, wahrscheinlich einer der Schlüsselprozesse beider Leben. Mutig sein

Die Kapitelüberschrift »Mutig sein« habe ich in zweierlei Hinsicht gewählt. Zum einen soll sie Ihnen den Rücken stärken in Ihrem unternehmerischen Sein und Handeln. Zum anderen verbirgt sich dahinter eine Vision, die ich Ihnen anbieten möchte. Mit den neuen Prämissen, die wir in diesem Buch erarbeiten, können Sie die Nachfolgeplanung anders angehen. Sie verstehen, dass (und aus welchen Gründen) die Nachfolge nicht mal eben zwischen Abendessen und Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig

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Tagesschau über die Bühne gehen kann. Mit diesem Verständnis können Sie die richtigen Weichen stellen, um dann sagen zu können: Ich war mutig, habe die Werte weitergegeben und das Firmenfeuer an den Nachfolger überreicht. Jetzt ist seine Zeit. Kann ich das? Will ich so sein wie Papa?

Im Licht dieses neuen Selbstverständnisses vom »Mut zur Unternehmensnachfolge« und unter Berücksichtigung der berechtigten Zweifel für die Zukunft ist jetzt ein hervorragender Zeitpunkt für eine Konfrontation. Und zwar die Konfrontation mit der Meinung anderer. Wie betrachten eigentlich die Menschen um Sie herum – also Kollegen, Mitarbeiter und vor allem Ihre Familie – Ihr unternehmerisches Handeln? Können Sie sich diesen fremden Blickwinkeln öffnen? Sie sind sehr hilfreich und dahingehend aussagekräftig, wie schwierig oder einfach eine familiäre Nachfolge sein wird. Unsere Rollen im Unternehmen und in der Familie haben unser Handeln geprägt und die Sichtweise der Familie auf dieses Handeln wird die Übergabe der Firma maßgeblich beeinflussen. Das Unternehmen war immer Ihr Leben, Sie haben sich vor allem darum gekümmert, haben deshalb Freunde und Familie vernachlässigt? Dafür müssen Sie sich nicht rechtfertigen. Dazu können Sie stehen – so wie ich. Aber nichtsdestotrotz ist dieser Vorwurf im Raum und sagt Wichtiges über Ihr Selbstbild und vor allem über das Bild, das Ihre Kinder von Ihnen und damit vom Unternehmersein haben. Und dieses Bild wird Nachfolgeentscheidungen prägen: »Kann ich das? Will ich so sein wie Papa?« Wenn Ihre Kinder Zeit ihres bisherigen Lebens unter dem Unternehmen »gelitten« haben, weil es ihnen vermeintlich die gemeinsame Zeit mit Vater und/oder Mutter geraubt hat, dann beeinflusst deren daraus entstandene Haltung sicherlich die Nachfolge: entweder hin zu einem »Das tue ich mir nicht an« oder einem »Ich werde alles anders machen«. Beide Entscheidungen sind als Ergebnis einer Prägung zu verstehen, die nicht losgelöst vom familiären und unternehmerischen System zu betrachten ist. Ändern können und wollen wir das nicht. Wesentlich ist an dieser Stelle nur, dass diese Prägung verstanden wird. Es geht um die Trans54

Wertschätzung des Firmenfeuers

parenz von Eigensicht und Fremdsicht: Wie habe ich mein Wirken erlebt? Wie hat es meine Familie erlebt? Wer es schafft, darü­ber in den Austausch zu kommen, und die »Altlasten« beseitigt, der macht den Weg frei. Dazu ist gegebenenfalls die moderierende Unterstützung unbeteiligter Dritter erforderlich, denn niemand spricht gern Vorwürfe aus, niemand wird gern in Frage gestellt und all das schon gar nicht innerhalb der konfliktbeladenen »Kreise der Kollision«. Hier sind Fingerspitzengefühl, Zeit und Geduld sowie ein wachsendes Verständnis dafür gefragt, wie wertvoll, wichtig und gleichermaßen richtig oder falsch die Meinungen aller Gesprächspartner sind. Auf dieser Basis wird es gelingen, Werte verständlich zu machen und gemeinsam zu betrachten. »Der Alte war immer da. So mach ich das nicht, ich bin doch nicht bescheuert.« Mit der Einstellung macht es sich ein Nachfolger zu einfach, das reicht nicht. Warum war der Alte immer da, warum hat er sich Nächte um die Ohren geschlagen, Urlaube abgebrochen? Was ist sein »Warum« gewesen? Und wenn der Nachfolger die Motivation und die Werte im Austausch transparent erfahren und verstanden hat, dann beginnt für ihn die Denkarbeit: Was bedeuten sie für mich als Übernehmer – muss ich das genauso oder kann ich es ganz anders machen? Wenn ich Werte ändere, ändere ich dann die DNA des Unternehmens? Diese Fragen werden wir eher beantworten können, wenn wir die Bedeutung von Werten und Sinn für uns, für unsere Familie und für unser Familienunternehmen verstehen. Sinn und Werte – Bedeutung für das Unternehmen

Worte wie »Sinn«, »Werte«, »Kultur« oder »Motivation« werden sehr gern in Ausrichtungsdiskussionen benutzt. Sie sind schnell gesagt, wirken irgendwie wichtig und schaffen vermeintlich eine Basis für Handlungen. »Wir bauen auf gemeinsame Werte« und »Die junge Generation sucht Sinn in ihrer Arbeit« sind die Schlagzeilen unserer Zeit. Ja, richtig. Aber: Was bedeutet das denn überhaupt? Die Aussagen sind ja nicht generell falsch. Ich glaube allerdings, dass ein wesentlicher Schritt fehlt, damit sie von der Plattitüde zur Wirksamkeit kommen. Es ist wichtig, sich vor der Diskussion um das Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig

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»Wie« der Werte und des Sinns ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, was Werte und Sinn für jeden von uns überhaupt sind. Solche Begriffe verkommen leider schnell zu Floskeln, sie sind nicht greifbar und im Zweifel besetzt sie jeder anders. Deswegen erzeugen sie bei der Planung einer Nachfolge- oder Unternehmensstrategie wenig Klarheit, stiften sogar eher Verwirrung, wenn sie pauschal und ohne die Nennung konkreter Inhalte verwendet werden. »Das entspricht nicht unseren Werten«, hört man häufig. Okay – was genau sind denn die Werte? Beispielsweise: »Wir brauchen einen Sinn in unseren Handlungen.« Okay, und wozu ist der da? Wozu brauchen wir Sinn? Ich kann diese Frage nur für mich beantworten, vielleicht sehen Sie es ganz anders. Sinn ist für mich die oben erwähnte DNA, die Grundstruktur eines Lebens, der ur­­ eigenste innere Antrieb. Der Grund, warum ich morgens aufstehe. Deswegen wird ein Zustand von Vollständigkeit und Glück herbeigeführt, wenn ich sinnhaft leben kann. Das bedeutet für mich, dass die weiter oben erwähnten Faktoren der Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit in meinem Leben vorkommen. Ich merke, dass mein Handeln etwas bewirkt, es ist sinnvoll, wirksam und gibt mir damit eine Befriedigung (einen Sinn). Das ist die persönliche Seite des Sinns, die unternehmerische ist größer. Hier sprechen wir über den »Purpose«, den Daseinszweck einer Firma. Warum gibt es genau dieses Unternehmen, welche Aufgabe, welche Bedeutung hat es für die Gesellschaft, für die Menschen? Warum machen wir das und warum machen wir es ausgerechnet so? Jedes Unternehmen sollte diesen Platz finden, an dem es wirksam sein kann. Ein Bäcker hat einen anderen Sinn als eine Werbeagentur. Ein Bäcker sorgt dafür, dass Menschen satt werden, und er freut sich, wenn es ihnen schmeckt. Sie sehen schon an diesem Beispiel, dass es bei 11.000 Bäckereien wahrscheinlich 11.000-mal gelingen wird, einen individuellen Sinn zu definieren, je nachdem, ob »satt«, »gesund«, »lecker«, »Vielfalt« oder vielleicht »Nähe« das Warum des jeweiligen Bäckers bestimmen. Der Sinn einer Werbeagentur? Sie sorgt dafür, dass ihr Kunde sein Produkt besser verkaufen kann. Wie sie das macht und wie sie außerdem ihr Verhältnis zum Kunden definiert, darüber entscheiden ihre Werte. Werte sind für mich die Folge, der Ausdruck des Sinns. Sie 56

Wertschätzung des Firmenfeuers

sind das Handwerkszeug, mit dem wir dem Sinn die notwendige Beständigkeit geben. Werte vermitteln Handlungsorientierung, Verhaltensmaßstäbe und Entscheidungsgrundlage, und zwar jeweils auf der persönlichen, der familiären und der unternehmerischen Ebene. Das macht die Wertediskussion extrem spannend und konfliktreich in Familienunternehmen, denn hier stoßen über die Kreise der Kollision verschiedene Wertesysteme auf unterschiedliche Ausrichtungen. Kann es funktionieren, wenn eine Unternehmerfamilie ganz andere Werte hat als ihr Unternehmen? Ich vermute, nein. Und wenn das so ist, was folgt dann daraus? Nachhaltige Gewinnmaximierung?

Werte sind immer subjektiv und dazu da, eine Person, eine Handlung, eine Entscheidung zu be-WERT-en. Wenn wir diese subjektiven Werte in ein Familiensystem und/oder ein Unternehmen übertragen, dann gelten sie plötzlich für mehrere Menschen und treten in Wechselwirkung miteinander. Deswegen ist es verständlich, dass bei einer Unternehmensgründung zunächst die Werte des Unternehmers prägend sind, die dann im Zuge des Unternehmenswachstums oder als Einbettung in eine Nachfolgestrategie möglichst angepasst werden. Ich drücke mich hier sehr vorsichtig aus, denn ich verkenne die Realitäten nicht: Werte sind immer nur so lange wichtig, bis Fakten dazwischenkommen. 15 Prozent Umsatzrückgang? Unser Wert lautet zwar »Gemeinsam handeln – gemeinsam entscheiden«, aber ich denke mir: »Sch…egal, da muss ich unbedingt einen harten Schnitt machen, da redet mir jetzt keiner rein. Ich weiß es besser.« Meistens werden Werte einfach so gelebt. Jeder weiß, wo der Chef seinen grünen und seinen roten Knopf hat, und der Azubi lernt, welchen er wann besser nicht drücken sollte. Also mit welchem Thema er dem Chef besser montagmorgens nicht kommt und wie er argumentieren muss, um einen Tag Urlaub zu erhalten. Das sind die impliziten Werte, die jedes Unternehmen hat und lebt. Wenn Unternehmenswerte allerdings explizit definiert und ernst genommen werden, dann erfolgt die gesamte Ausrichtung des UnterRechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig

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nehmens und der handelnden Menschen im Einklang mit diesen Werten. Und dann sind sie wichtig für Führungskultur, für den Umgang mit Kunden und für Teamentscheidungen. Wenn zum Beispiel alle handelnden Personen Gewinnmaximie­ rung als Ziel und Wert haben, dann muss das nicht schlecht sein. Das Unternehmen macht reichlich Umsatz, die Mitarbeiter stehen monatlich beim Chef in der Tür und wollen mehr Geld, die Kunden verhandeln jedes Angebot nach. Jeder maximiert seinen Gewinn – warum auch nicht, solange alle profitieren. Wenn wiederum alle Beteiligten Nachhaltigkeit als ihren Wert sehen, dann wird jede Entscheidung unter dieser Prämisse getroffen. Einkauf, Marketing und Personalentscheidungen unterliegen den Anforderungen an einen langfristigen, werterhaltenden, ökologischen und partnerschaftlichen Umgang. Auch gut. Was aber, wenn ein Teil des Teams gewinnmaximierend agiert und der andere nachhaltig? Können wir das mal durchspielen? Nein, können wir nicht. Weil es nicht funktioniert, weil ein Schiff mit zwei Steuerrudern irgendwann in der Mitte durchbricht. Dann fährt es aber nicht in zwei Richtungen weiter, sondern dann sinkt es. Deswegen ist es so wichtig, Werte nicht nur zu denken oder irgend­ wann mal auszusprechen, sondern im gemeinsamen Austausch zu definieren und aufzuschreiben. Erst dann sind ein kollektiver Sinn und gemeinsame Werte über einen festen Klebstoff nach innen und nach außen verbunden. Dann fördern und fordern sie den Zusam­ men­halt in Krisen und wirken auf Bewerber sowie Kunden gleichermaßen anziehend. Was passiert, wenn gewaltige strukturelle Veränderungen nicht durch eine Konsolidierung der Werte und Kulturen begleitet werden, zeigt die Fusion von Daimler und Chrysler. Für mich rührt deren krachendes Scheitern vor allem daher, dass niemand darauf geachtet hat, wie zwei völlig unterschiedliche Unternehmenskulturen verbunden werden könnten. Mittel- bis langfristig destruktiv

»Da Werte zentral für das Verhalten des Individuums in der Gesellschaft und damit auch in der Familie und im Unternehmen sind, 58

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liegt in der mangelnden Übereinstimmung von Werten zweier Personen oder Gruppen eine Konfliktursache, die nicht so einfach aus der Welt zu schaffen ist. An solchen Ursachen haben sich schon Kriege entzündet«, schrieb Prof.  Dr.  Sabine Rau 2013 in einem Beitrag für die Zeitschrift »Impulse«.23 Sie erklärt, dass in der Ratgeberliteratur zu Familienunternehmen immer betont werde, wie wichtig eine gemeinsame Wertebasis für das langfristige Überleben des Familienunternehmens ist. Und fügt an, dass dies nicht genug betont werden könne. »Ohne gemeinsame Werte sind Konflikte in Familienunternehmen mittel- bis langfristig destruktiv. Daher ist die Erziehung zum bewussten Umgang mit Werten der Familie das sine qua non des Überlebens des Familienunternehmens über mehrere Generationen hinweg.« Unternehmen und Unternehmerfamilien brauchen das Handlungsgerüst aus Sinn und Werten, um in eine gemeinsame Richtung zu steuern. Die KPMG-Studie »Auf ewig verbunden«24 stellt fest: »Familienmitglieder, die gemeinsame Werte und offene Kommunikation als wichtig erachten, fühlen sich eher als Teil einer starken Gemeinschaft.« Im Rahmen der Studie wird die gemeinsame Wertebasis als eine der Grundlagen für ein harmonisches Miteinander erklärt. 94,2 Prozent der für die Studie befragten Familienunternehmen sehen das so und vier von fünf Studienteilnehmern (81,2 Prozent) geben an, dass in ihrem Unternehmen eine derartige Wertegrundlage besteht. Was auf den ersten Blick positiv stimmt, wie die Studienautoren konstatieren, jedoch im Umkehrschluss bedeutet, dass immerhin 18 Prozent kein solch gemeinsames Fundament haben. Mich interessiert dabei: Wie sieht das Fundament bei den anderen 81 Prozent aus? Leider schweigt die Studie dazu. Ich halte es jedenfalls für wesentlich, dass Werte nicht implizit, sondern explizit festgelegt werden. Wie wir noch sehen werden, gibt es für jedes Unternehmen eine Vision, eine Mission, ein Leitbild. Etwas Ähnliches muss es auch für das System Familie geben – schriftlich, gemeinsam erdacht, gemeinsam besprochen und von allen gemeinsam ratifiziert. Denn Konflikte können nur entstehen, wenn eine Position von mindestens einem Beteiligten verneint wird. Deswegen spielen ge­mein­same Entscheidungsprämissen, die die Richtlinien für das familieninterne und familienunternehmerische Handeln vorgeben, Rechtfertigungshaltung? Seien Sie mutig

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Quelle 25: nach KPMG-Studie »Auf ewig verbunden«, 2016, S. 14

eine so wichtige Rolle. Gemeinsame Werte bestimmen, was als regelkonformes oder -abweichendes Handeln angesehen wird, und damit auch, ob ich mich innerhalb der »Kreise der Kollision« systemkonform und konfliktfrei bewegen kann. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Falls es so ein Wertegerüst noch nicht bei Ihnen (im Unternehmen, in der Familie) gibt, dann bietet sich durch den Nachfolgeprozess die perfekte Gelegenheit, dies zu ändern. Gerade bei einer Übergabe oder anderen wichtigen strukturellen Änderungen vollzieht sich eine massive Neuordnung der herrschenden Verhältnisse. Dabei kann passieren, dass das, was geschichtlich entstanden ist, auf den Kopf gestellt wird. Und gerade in dem Moment wird die Bereitschaft der Mitarbeiter groß sein, an diesem Auf-den-Kopf-Stellen teilzuhaben, denn sie wissen ja, dass es ein »Weiter so« nicht geben wird. Man sollte also gleich Nägel mit Köpfen machen und dafür sorgen, dass der Hase auf einer breiten Konsenswiese weiterhoppelt. Entscheidend ist: Werte sind veränderbar und wenn sie sich verändern, dann ändert sich das Verhalten meistens automatisch mit. Wie praktisch. Alles bleibt, wie es war

Eigentlich ändert sich gar nicht viel, denn Sie tun weiter, was Sie immer getan haben: Sie leben Werte vor und sind als Unternehmer 60

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bzw. Familienvater Vorbild für andere. Nur wird jetzt bewusst, was vorher jahrzehntelang unbewusst war: Alles ist im Alltag eben einfach so passiert. Für die Nachfolge hat das Bewusstmachen allerdings einen besonderen Grund und Reiz. Warum ist das alles »so passiert«? Was waren die Werte, die Sie – auch durch schwere Stunden – getragen haben? Sicherlich ging es Ihnen nicht nur ums Geldverdienen, sondern es waren auch andere Faktoren im Spiel. Genau diese Faktoren sind die Schlüssel zu Ihrem Handeln in der Vergangenheit und zu dem, was jetzt neu kommt. Das Bewusstmachen eines tieferen Sinns ist der Beweis, den Sie sich jetzt selbst geben können und müssen: Wenn da ein sinnhaftes und sinnerfülltes Verhalten war, das Sie die letzten 30 Jahre getragen hat, dann wissen Sie, welche Bedeutung Sinn hat. Nur dann können Sie verstehen, wie wichtig es ist, einen neuen Sinn, ein neues »Warum« zu finden, um loslassen zu können. Wenn Sie die Unternehmenswerte und das Firmenfeuer weitergeben – was haben Sie dann stattdessen in der Hand?

Feuer und Asche – Werte weitergeben Über das Loslassen, das Festhalten und den Wert von Helden im digitalen Zeitalter der Selbstdarsteller Mit der Nachfolge verbunden ist ein intensives, bewusstes Loslassen. Um etwas weiterzugeben (Werte und Feuer), müssen wir es loslassen. Ich muss bei der Beschreibung dieses bewussten Loslassens immer an die Geschichte vom Affen denken, der in ein Erdnussglas greift, kräftig zupackt und dann die Pfote nicht mehr aus dem Glas herausbekommt, weil er vor lauter Gier die Faust nicht öffnen will. Er verausgabt sich und verletzt sich dabei selbst – nur weil er nicht loslassen kann. Festhalten bedeutet auch, gefangen zu sein. Loslassen bedeutet, frei zu sein, auch wenn die Hand dann vielleicht leer ist. Keine Erdnüsse mehr, egal: Richten wir den Blick nach vorne. Zum Beispiel könnte etwas Neues entstehen. Auf jeden Fall etwas, das nicht so präsent und vertraut ist wie das Feuer, an dem Sie sich die letzten Jahrzehnte gewärmt haben. Letztendlich geht es beim Loslassen darum, das zu tun, was Sie als Unternehmer gut können: mutig vorangehen, Feuer und Asche – Werte weitergeben

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einfach machen. Als Vorbild und Mentor haben Sie das viele Jahre gemacht. An Ihnen konnten andere Menschen, Mitarbeiter oder Familienmitglieder konkret erleben, was Werte sind, was sie bedeuten und warum sie wichtig sind. Sie sind schon immer – unbewusst – ein Vormacher für viele Menschen gewesen und sind es heute noch. Gerade in der innerfamiliären Unternehmensnachfolge ist diese Vorbildfunktion prägend. Ihre Nachfolger (Ihre Kinder) lernen durch Sie und von Ihnen das Unternehmen und vielleicht auch das Unternehmersein kennen. Das geschieht ab einem sehr frühen Zeitpunkt. Da das Unternehmen im System Familie immer präsent ist, wird ein potenzieller Nachfolger ab frühester Jugend damit konfrontiert. Eine Unternehmertochter erklärt es so: »Wir haben schon als Kinder den Umgang mit Verantwortung, Risiko und Uneindeutigkeit gelernt in den einerseits dicht verbundenen, andererseits getrennten Sphären Familie, Geschäft und Dorf. Am Werktag saßen meist zwölf Personen bei uns am Esstisch: Eltern, Kinder, eine Hausangestellte, zwei Lehrlinge und zwei Arbeiter. […] jedeS von uns war einmalig und unverwechselbar in der Familie, aber als Teil des Geschäftes hatten wir je nach Alter und Geschlecht unsere Aufgaben, die dem Ganzen unterstellt waren.«26 Aus diesem Zitat wird auch ersichtlich, wie früh die Verantwortungsübernahme der Nachfolger im unternehmerischen Kontext erfolgt. Sie wachsen – wie selbstverständlich? – hinein und sind sich der Vormachtstellung des Unternehmens im Vergleich zu ihnen durchaus bewusst. Das kann schmerzhaft sein. Ein Unternehmersohn sagt: »Wenn es der Firma gut geht, geht es der Familie gut. Und das war ein Dogma, das für uns alle galt. […] Zuerst kommt die Firma, und dann kommt die Familie.«27 Diese deutliche Priorisierung des Unternehmens stellt auch die bereits zitierte Studie von KPMG »Auf ewig verbunden«28 dar. Hier heißt es, dass sich bei den Befragten ein erstaunlich starkes Maß an Verbundenheit zum Unternehmen feststellen lässt. 100 Prozent gaben an, dass es sie interessiert, wie es dem Betrieb geht, 98 Prozent fühlen sich der Firma zugehörig. Unter rein familiären Aspekten zeigt sich in dieser Studie ein anderes Bild. Lediglich 87 Prozent der Befragten haben in der Familie das Gefühl, zusammenzugehören, und nur 72 Prozent haben den Eindruck, viel von der Familie zu bekommen, ohne dass eine Gegenleistung dafür erwartet wird. Die 62

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Studienautoren führen aus, dass in einer Unternehmerfamilie die ökonomischen Regeln deutlichen Einfluss auf das Familienleben haben. Entscheidungen innerhalb der Familie werden häufig aus der unternehmerischen Perspektive heraus gefällt. Das kann sich beispielsweise bei Themen wie der Wahl des privaten PKW oder der Mitgliedschaft in einem Verein zeigen. Zudem, so die Autoren, kann es passieren, dass das Leistungsprinzip auf die Familie übertragen wird, also dass jene Kinder möglicherweise mehr geliebt werden, die ins Unternehmen folgen. […] Diese Einschätzungen weisen nach Ansicht der Autoren darauf hin, dass sich die Befragten ihrem Unternehmen deutlich stärker verbunden fühlen als der Familie. Wie Unternehmer lieben

Ob die Verbindung tatsächlich eine stärkere ist? Ich wäre mit einer solchen These vorsichtig. Allerdings würde ich sofort unterschreiben, dass wir uns als Unternehmer in besonderem Maße emotional mit der Firma verbunden fühlen. Und belegen kann ich es auch, mit einer Studie der Universität Helsinki29 aus dem Jahr 2017: Dort ging man der Frage nach, ob die unternehmerische und die elterliche Liebe ähnlich oder gleich sind. Im Rahmen der Studienthese, dass die Emotionen und Gehirnreaktionen von Unternehmern gegenüber ihrer Firma denen von Eltern gegenüber ihren Kindern ähnlich sind, wurden Probanden unter dem MRT Bilder mit Bezug zum eigenen/zu fremden Unternehmen und eigenen/fremden Kindern gezeigt. Ohne Sie mit Details langweilen zu wollen, hier das wenig erstaunliche, aber erstmals wissenschaftlich belegte Ergebnis: Die unternehmerische und die elterliche Liebe finden in denselben Hirnregionen statt, und zwar in den Arealen, die für Belohnung, Emotionsverarbeitung und soziales Verständnis zuständig sind. Womit wohl endgültig belegt wäre, dass unternehmerisches Handeln wenig mit Rationalität und viel mit Emotionalität zu tun hat. Die Entscheidungen, die wir als Unternehmer täglich treffen, sind von der gleichen Sorge und Sorgfalt geprägt wie unsere elterlichen Entscheidungen. Wir wollen nur das Beste, wir können gar nicht anders. Dafür sorgt unser Gehirn. Und umgekehrt wird unsere Sicht auf die Firma (und auf unser unternehmerisches Verhalten) ähnFeuer und Asche – Werte weitergeben

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lich liebesblind sein wie unsere elterliche Sicht auf den Nachwuchs. (»Ist das nicht das absolut schönste Baby, das ihr je gesehen habt?«) Das alles ist nicht schlimm, im Gegenteil. Es ist sowieso nicht zu ändern. Das Wissen um die starke emotionale Bindung veranschaulicht die Schwierigkeit des Loslassens und macht es erforderlich, dass wir genau diese Emotionen in den Nachfolgeprozess einpreisen. Es reicht mit Sicherheit nicht, nur einen Eurowert für die Firma zu benennen und das Ganze per Handschlag zu besiegeln, womit die Ware an den Nachfolger übergeht. Wer so denkt, macht es sich zu einfach oder hat sich noch nicht intensiv genug mit der Thematik beschäftigt. Emotionen (gebündelt im Firmenfeuer) haben in der Übergabe den entscheidenden Stellenwert. Und diesem können wir am besten Rechnung tragen, wenn wir uns mit einem Nachfolger über Sinn und Werte des Unternehmens einig sind. Dann schaffen wir eine gemeinsame emotionale Basis, die den Loslassprozess wenn schon nicht federleicht, dann aber auf jeden Fall leichter macht. Das Feuer übergeben

Wesentlich für eine Nachfolge ist daher nicht die Passgenauigkeit des »Neuen« zu Ihnen, sondern das gemeinsame Gespür für Werte und Sinn, welche das Firmenfeuer über Jahrzehnte befeuert haben. Davon ausgehend können Sie und potenzielle Nachfolger sich die folgenden Fragen stellen: • Warum habe ich es damals begonnen? • Warum tun wir es jetzt? • Warum sollen wir es fortführen? Wenn Sie gemeinsam diese Fragen beantwortet haben, sind Sie in der Lage, auf einer breiten Verständnisbasis mit einem Nachfolger ins Gespräch zu kommen. Und wenn Sie zusätzlich für sich selbst das Warum definiert haben, dann weist dieses Ihnen den Weg in Ihre Zukunft nach dem Unternehmertum – es erleichtert das Loslassen. Wenn Sie beides entdecken können – das unternehmerische und das persönliche Warum –, dann ermöglichen Sie es einer weiteren Generation, sowohl Glück und Erfüllung als auch Zufriedenheit 64

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aus Ihrem Wirken zu ziehen. Denn der Nachfolger muss keine neue Flamme entfachen. Er hat vielmehr die Möglichkeit, das Firmenfeuer auf seine Art und mit seinen Werten weiterzutragen. Gibst du mir mal bitte Feuer?

»Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche« – dieses beliebte Zitat wird verschiedensten Quellen zuge­ schrieben. Sogar im »Tatort« hat Professor Boerne es schon verwendet bzw. adaptiert: »Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern die Weitergabe der Streichhölzer.« Egal wer es gesagt hat, die Botschaft ist wichtig: Wenn wir in Ehrfurcht vor Ihren Leistungen als Unternehmer erstarren müssen und wenn diese eingeforderte Ehrfurcht ein »Weiter so« einschließt, dann bedeutet diese Ehrfurcht nicht mehr Respekt, sondern Stillstand oder sogar Rückschritt. Dann würden sich Ihre ureigenen Werte des Unternehmer­seins – Neugier, Innovationsgeist und Eigenverantwortung  – plötzlich hinter dem Bewahrenwollen einer glorreichen Vergangenheit verstecken. Möchten Sie das wirklich? Nur um den Preis der Anerkennung? Dann bliebe kein Feuer mehr übrig, nur noch Asche. Ein Nachfolger könnte natürlich alles in Ihrem Sinne und Schatten tun und vielleicht noch einige Jahre die Asche glühen lassen, die übrig bleibt. Aber um das Feuer weiterzutragen, muss er von Ihnen die Erlaubnis bekommen, Sinn und Werte des Unternehmens zu hinterfragen und auf seine ureigene Art mit Blick auf die Unternehmenszukunft weiterzuentwickeln. Dann bliebe das »Warum« erhalten, das Ihnen wichtig ist. Dann wäre es möglich, dass das Unternehmen zukunftsfähig wird und weiterhin seinen wichtigen Platz im wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Umfeld hat. Auch ohne Sie. Könnten Sie das ertragen: einen Nachfolger, der es anders macht und damit erfolgreich ist? Sie müssten sich vielleicht in fünf Jahren von Ihrem Tennispartner anhören: »Mensch, Bernd, der Benedikt macht das aber gut. Was der aus eurem Laden gemacht hat, alle Achtung.« Was würde dann wohl passieren, welche Emotionen würden hochkommen? Stolz, weil da jemand Ihre Flamme effizient weiterträgt? Oder ein heftiger Stich, weil Sie einsehen müssen, nicht unersetzbar Feuer und Asche – Werte weitergeben

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zu sein? Wäre es dem inneren Schweinehund vielleicht sogar lieber, wenn ein Nachfolger scheitern würde? Alle diese Reaktionen sind gleichermaßen gut und menschlich. Einen Aspekt dürfen Sie dabei nicht außer Acht lassen: Wenn es jemand schafft, die Flamme weiterzutragen und ohne Sie erfolgreich zu sein, dann nur deswegen, weil Sie als Unternehmer so ein gutes Vorbild und optimaler Mentor waren. Weil Sie Sinn und Werte vorgelebt und richtig übergeben haben. Weil Sie durch Ihr Loslassen den stabilen Nährboden für ein fröhlich weiterbrennendes Firmenfeuer geschaffen haben. Ohne Sie wäre das alles also nicht möglich, obwohl es ohne Sie auch wunderbar läuft. Ihre Vorbildrolle, geprägt von Ihrem »Warum«, ist entscheidend für die Nachfolge, ganz besonders im Familienkontext. Wer das Feuer weitergeben will, muss die Freude weitergeben. Wer Freude vermittelt, scheint sich als Vorbild sowieso besser anzubieten. Positive Rollenvorbilder sind gefragt, wie eine Forsa-Umfrage zeigt: Während nur 29 Prozent der befragten Deutschen, die sich als lebensfroh bezeichnen, angaben, kein Vorbild in der Familie zu haben, hatten unter den übrigen (weniger lebensfrohen) Befragten 42 Prozent kein familiäres Vorbild.30 Ich würde am liebsten alles hinschmeißen

Kinder lernen ab einem ganz frühen Zeitpunkt das Unternehmen durch das Handeln und die Gespräche der Eltern kennen. So entwickeln die potenziellen Nachfolger ihr ganz eigenes Bild. Erzählungen, Einblicke, Entscheidungen und Erwartungen – dieser ganze Mischmasch, der aus den Kreisen der Kollision entsteht, beeinflusst die familiäre Nachfolge. Dies unterstreicht das Statement eines 14-Jährigen, der als zukünftiger Nachfolger auserkoren ist: »Da jammern sie die ganze Zeit, wie viel sie zu tun haben. Und jetzt kommt das Schärfste: Die wollen, dass ich später in meinem Leben in dieser Firma schuften soll. Dabei sagt der Papa so oft: ›Ich würde den ganzen Laden am liebsten hinschmeißen!‹«31 Sie sehen: Vorbild kann man nicht nur im Positiven sein, auch ein negatives Vorbild wird die Sichtweise des Nachfolgers und seine Werte prägen. Wenn Sie das Geschenk des Lebens annehmen, als 66

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Unternehmer ein Transporteur von Sinn und Werten zu sein, dann müssen Sie sich dieser Vorbildrolle bewusst werden. Sie können Werte als etwas darstellen, was nicht abstrakt ist, sondern über Ihr Handeln und Sprechen erlebbar wird. Wenn wir heute über Moral und Ethik reden, sind das für viele Menschen abstrakte Begriffe, die selten detailliert reflektiert werden. Was heißt Moral, was heißt Ethik konkret in Bezug auf meinen Alltag, mein Handeln und meinen Umgang mit anderen Menschen oder mit Besitz? »Puh, keine Ahnung, gibt’s dazu was auf Youtube?« Hier ist der Unternehmer in seinem Handeln Vorbild – kann und soll es zumindest sein. Das gilt nicht nur für die eigene Familie. Als Unternehmer hin­ terlassen Sie für Ihr gesamtes Umfeld Fußstapfen, in die jemand treten soll: Manager, Mitarbeiter, Auszubildende. Es ist nicht nur unsere unternehmerische Aufgabe, sondern auch ein großer Spaß und eine Freude, Werte wie Zuverlässigkeit und Integrität vorzuleben und weiterzugeben. »Sagen, was ich tue, tun, was ich sage«: Die Rollenvorbilder in unserer Gesellschaft sind geprägt von einem massiven Wertewandel und umso wichtiger ist es, dass es noch Menschen gibt, die Werte vermitteln. Ich glaube, das ist eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben, die Familienunternehmen heute haben (können), denn Vorbilder sind wichtiger denn je. Die Familie als Keimzelle der Sozialisierung verliert an Wichtigkeit, die Abgrenzung und der Ichbezug des Individuums sind schon fast von manischer Natur. Überlegenheitsgefühl, Exhibitionismus und Eitelkeit kennzeichnen das Lebensgefühl der jungen Generationen in Deutschland, wie eine Studie der Digitalagenturgruppe SYZYGY32 aus dem Jahr 2017 zeigt. Die Generation der sogenannten Digital Natives, die zwischen 1981 und 1998 geboren wurden und mit Handy & Co. aufgewachsen sind, macht etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, was ein besonders guter Indikator für die grundlegenden Veränderungen und Trends in unserer Kultur und Gesellschaft ist. Durch die häufige Nutzung neuer Technologien wie Smartphones, Social Media und On-Demand-Apps sind Millennials deutlich narzisstischer geprägt als andere Generationen in Deutschland, konstatiert die Studie.

Feuer und Asche – Werte weitergeben

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Vorbilder »to go«

Früher der Dalai Lama oder Martin Luther King, heute Influencer und Youtuber: Die Vorbilder der Jugend zeigen, dass Individualisten auch andere Helden benötigen. Umfragen wie eine Kinderund Jugendstudie des Branchenverbandes Bitkom haben ergeben, dass die Stars im Netz bei Jugendlichen mittlerweile sogar beliebter sind als Schauspieler und Sportler.33 Sie sind es nicht deshalb, weil sie etwas können oder etwas darstellen. Sie sind berühmt und beliebt, einfach nur weil sie berühmt und beliebt sind. Weil sie im Netz ein Millionenpublikum mit ihrem Alltag konfrontieren und dadurch nahbarer wirken als jeder Promi, jeder Held der Vorgängergeneration. Waren früher Charaktereigenschaften prägend für die Wahl eines Idols, so ist es heute der Glamourfaktor. Diesem oberflächlichen medialen Rauschen etwas entgegenzusetzen, ist für mich eine unternehmerische Kernaufgabe. Als Vorbilder können wir inspirieren und den nachfolgenden Generationen zeigen, was aus ihnen werden könnte. Den Helden auf dem Markt der Eitelkeiten zu beerdigen, ist mir zu einfach – glücklicherweise gibt es noch andere, die das auch so sehen. Holger Zaborowski34, Professor an der philosophisch-theologischen Hochschule Vallendar, hat über »Helden und Legenden« ein Buch veröffentlicht und schreibt darin: »Wir wollten nicht sofort sagen, dass Helden Figuren der Vergangenheit sind. Wir wollten nicht einfach Bilanz ziehen und sagen ›Helden und Legenden, das war’s!‹ und zurückschauen, sondern wir wollten auch die Fragen stellen, wer sind denn die Helden heute, wer können Helden der Zukunft sein.« Wie das aussehen könnte, definiert er so: »Der Held ist dann nicht der außerordentliche Mensch, sondern ist der eigentliche Mensch, der Vorbild dafür sein kann, wie gelungenes Menschsein aussehen kann. Dass der Held nicht einfach nur ichbezogen lebt, sondern durchaus für andere da ist. Dass der Held der Verantwortung nicht ausweicht. Dass der Held sich auch mit seiner eigenen Sterblichkeit, seiner eigenen Endlichkeit auseinandersetzt.« Definiert man »Held zu sein« auf diese philosophische Art, dann, so sagt Zaborowski, wäre Heldentum ein Wertebegriff, der auch für die heutige Gesellschaft durchaus noch Gültigkeit und Bedeutung hat. 68

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Wie wird man ein Vorbild?

Der Journalist Anant Agarwala35 untersucht in einem Artikel in der »Zeit« die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen einer Vorbildfunktionsrolle und typischen Charaktereigenschaften gibt. Den Heldenfaktor findet er nicht, allerdings eine Gemeinsamkeit der Menschen, die oft als Vorbilder genannt werden. Es sind Menschen, die sich häufiger widersetzen, sich stärker durch antiautoritäre Überzeugungen auszeichnen und auch über mehr Empathie als der Durchschnitt verfügen. Wer also zum Vorbild werden will, so folgert der Autor, muss seinen Instinkt, mit der Masse zu schwimmen, überwinden. Wem anders als uns Unternehmern sollte das gelingen können? Schwimmen wir nicht immer schon ein bisschen gegen den Strom, weil wir eine Idee haben, ein »Warum«, das uns verantwortlich für seine Erfüllung macht? Igitt: Verantwortung

Immer weniger Menschen scheinen bereit zu sein, im Alltag Eigenverantwortung zu übernehmen, denn das ist die anstrengendste Form der Lebensweise. Eine Studie des Personaldienstleisters Manpower36 befragte im Jahr 2016 junge Berufstätige im Alter von 20 bis 34 Jahren nach ihren Karrierewünschen: Führungsverantwortung, bis zum Geschäftsführer aufsteigen, gar ein eigenes Unternehmen besitzen? »Nein, danke«, sagten dazu 87 Prozent der Befragten. Eine andere Manpower-Studie37 zeigt die Top-Karriereziele 2017. Ganz oben »Nach Feierabend besser abschalten« (34 Prozent) und »Die Arbeit lockerer sehen« (33 Prozent). Woher kommt diese Tendenz zu »less is more« und ist es wirklich so, wie es auf den ersten Blick scheint? Lehnen da junge Menschen und gestandene Arbeitnehmer Verantwortung ab oder ändern sich womöglich Lebens- und Arbeitsmodelle in einer Arbeitswelt, die darauf noch nicht reagiert hat? Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Menschen Verantwortung übernehmen wollen und es in einem Umfeld, das es ihnen ermöglicht, auch tun. Menschen sind nicht fauler oder hedonistischer als früher – sie sind nur in ihren Entscheidungen geprägt von einem zunehmend Feuer und Asche – Werte weitergeben

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komplexen, überfordernden Alltag und einem Bild von »Arbeit«, das nicht mehr stimmt. Übernommen aus dem vorindustriellen und vor allem protestantischen Arbeitsethos (Danke, Herr Luther), hat Arbeit für uns etwas Schweres, Bedrückendes, etwas, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Also ist Arbeit Zwang und Nichtarbeit muss demzufolge Glück sein. Aber warum erlebe ich dann so viele Menschen mit einer tollen Work-Life-Balance, die so viel wie möglich für ihr »Nichtarbeitsglück« tun und trotzdem nicht glücklich sind? Ich glaube, dass das Setzen einer persönlichen Schranke zwischen Arbeit und Freizeit noch lange nicht dafür sorgt, dass mein Leben einen Sinn bekommt. Und ohne Sinn, das haben wir uns schon angeschaut, ist das Glück schwer zu finden. Ich glaube auch, dass jedes »Ich muss« im Leben eines zu viel ist. Und »Ich muss jetzt Feierabend machen für meine Work-Life-Balance« gehört genauso dazu wie »Ich muss glücklich sein«. Ich halte es da mal ganz locker mit Bestsellerautor Tommy Jaud38: »Einen Scheiß muss ich!« Wer beginnt, »müssen« durch »wollen« zu ersetzen, schwimmt zwar gegen den Strom, aber auf jeden Fall in die richtige Richtung. Zur Eigenverantwortung verpflichtet

Wir Unternehmer haben es deutlich einfacher in Sachen Eigenverantwortung, weil wir quasi dazu verpflichtet sind. Wir bekommen unsere Entscheidungen konkret zu spüren – auch monetär. Unternehmertum ist damit der erzieherische Rahmen für Eigenverantwortung. Ich spüre, was mein Handeln bewirkt, im Gegensatz zu leitenden Angestellten, Managern, Vorständen, auch Politikern, die immer nur von Verantwortung reden, sie aber nie selbst in aller Konsequenz tragen müssen. In Verantwortung liegt das Wort »Antwort«. Als Unternehmer muss ich Rede und Antwort stehen, mein Handeln wird sowohl Schmerz als auch Freude hervorrufen und beides werde ich unmittelbar erleben bzw. miterleben. Aus dieser Position heraus sehe ich uns in der Verantwortung, Vorbild zu sein und Leitplanken zu setzen. Allerdings sind die Familienunternehmen keine Weltretter. Klar, wir fühlen uns für alles verantwortlich, im Zweifel kümmern wir uns auch um den Kanarienvogel der Praktikantin. Aber ein Stück 70

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weit ist es auch eine gesellschaftliche Aufgabe, Rahmenbedingungen für Eigenverantwortung zu schaffen. Unser Sozialstaat macht es uns allen jedoch sehr leicht, sich der Verantwortung zu entziehen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und ihrer Errungenschaften. Ich halte es auch für essenziell, dass wir keinen einzigen Menschen aus unserem sozialen Netz ausstoßen. Aber der Sozialstaat übernimmt mehr und mehr ursächliche Aufgaben von Selbstverantwortung, egal ob wir das wollen oder nicht. Und je mehr er das tut, desto mehr wachsen wir in eine Haltung hinein, die lautet: »Dafür bin ich nicht verantwortlich. Der Kollege kommt gleich.« Ist es ein gesellschaftlicher Teufelskreis? Da die Entwicklung der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von den Erfahrungen abhängt, die Kinder in ihrer Umwelt machen, wird die Welt immer komplexer und immer ärmer an Menschen, die sich trauen? Ich glaube nicht. In Wirklichkeit haben wir einen unauflösbaren, spannenden Wirkungszusammenhang, den wir gerade als Familienunternehmer einfach weiter anfeuern können. Wir können neue Modelle der Zusammenarbeit ausprobieren, wir können Hierarchien verändern, wir können die Lust an der Verantwortung durch das passende Umfeld triggern: Dann wird sie entfacht und dann wird sie wachsen. Deswegen ist es u. a. unsere gesellschaftliche Aufgabe als Unternehmer, dafür zu sorgen, dass mehr und mehr Menschen Lust bekommen, sich zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen. Wer sollte das tun, wenn nicht wir?

Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns Öffentlich machen, was sonst meist im stillen Kämmerlein passiert: Familienunternehmen als wichtiger Teil der Gesellschaft Heinrich G. ist ein imposanter Mann. Groß, laut und (sagen wir es vorsichtig) mit mächtiger Figur. Maßanzüge trägt er, weil ihm Anzüge von der Stange schon lange nicht mehr passen. Sie werden weder seinem bombastischen Körper noch seinem ebenso bombastischen Status gerecht. Allerdings sitzen auch die Maßanzüge Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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meist zu eng, als könnten sie nicht mithalten mit dem Expansionstrieb von Heinrich. Ein bisschen reingeschossen wirkt er in seinem edlen Zwirn, der Kopf ragt rot aus dem engen Hemdkragen über dem korrekten Binder, die Westenknöpfe möchte man gern retten, bevor sie abplatzen. Wenn Heinrich einen Raum betritt, hört man das. Deutlich. Wenn er etwas sagt, sagt sonst niemand etwas. So ist das in der Firma, so war es schon bei Heinrichs Vater. Wenn etwas schiefläuft, dann sind die anderen schuld, und Heinrich wird noch lauter, obwohl er sonst schon laut ist. Dann spuren alle. »Na, es geht doch«, denkt sich Heinrich und zündet seine Zigarre an. Kennen Sie Typen wie Heinrich? Nein? Ich auch nicht. Trotzdem repräsentiert er das klassische Bild des Unternehmers, das Medien und Gewerkschaften immer noch zeichnen. Vom Alleinherrscher, der seine Mitarbeiter ausbeutet und in Saus und Braus lebt. Vom Schlotbaron oder Despoten. Warum glauben wir noch immer daran, wenn doch die Realität ganz anders aussieht? Wohlgemerkt sage ich aber damit nicht, dass es keine Unterneh­ mer gibt, die ihre Position und die Abhängigkeit ihrer Mitarbeiter ausnutzen. Ich glaube nicht, dass Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt geworden wäre, wenn er anständige Löhne zahlen würde. Auch weiß ich nicht, ob sich nicht doch der ein oder andere Heinrich in den Chefsesseln deutscher Unternehmen lümmelt. Aus meiner eigenen langjährigen Erfahrung als Unternehmer und aus der persönlichen Beratung von Unternehmern kenne ich allerdings einen anderen Typ Chef: einen, dessen Selbstverständnis von Gleichwertigkeit und Augenhöhe geprägt ist und der sagt: »Ich bin von meinen Mitarbeitern genauso abhängig wie sie von mir.« Wenn wir als Arbeitgeber nicht mehr funktionieren, gibt es keinen Arbeitsplatz, kein Geld mehr. Aber wenn unsere Mitarbeiter nur Dienst nach Vorschrift oder noch weniger machen, dann ist das nicht gut für das Unternehmen. Dabei ist es egal, ob wir von der Reinigungstruppe oder der Führungsebene sprechen. Dass sein Unternehmen picobello aussieht, ist für den Typ Unternehmer, den ich kenne, genauso wertvoll im unternehmerischen Rahmen wie Personalführung. Und die Personen, die dafür sorgen, sind es auch. Deswegen sind alle wechselseitig davon abhängig, dass jeder seinen Job richtig macht. Das ist Demokratie. Jeder hat durch sein Mit72

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wirken eine Stimme, Rechte und Pflichten. Es geht um Teilhabe, die man allerdings auch be- und ergreifen muss. Das ist nicht nur in der Gesellschaft so, sondern auch im Unternehmen. Und ich erlebe Familienunternehmer als Menschen, die sich dieser Teilhabe im besonderen Maße bewusst sind, sie selbstverständlich wahrnehmen und dadurch einen großen gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Einfluss haben. Zum einen durch ihr Wirken innerhalb des Systems Firma, also durch das Vorleben von Sinn und Werten. Zum anderen durch ihre aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen, auch als Förderer oder Spender. Ohne uns geht nix

»Familienunternehmen sind die prägende Unternehmensform in Deutschland«, schreibt die Stiftung Familienunternehmen39. Sie sind nicht nur Jobmotor, sondern auch eine treibende Kraft der gesell­ schaftlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklung. Weiter heißt es dort: »Alle Familienunternehmen zusammengenommen halten einen An­­teil von 90 Prozent an den privatwirtschaftlichen Unternehmen hierzulande. 58 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in familienkontrollierten Unternehmen und erwirtschaften etwa 52 Prozent des Gesamtumsatzes. Spezifisch für Deutschland ist der mit 43 Prozent hohe Anteil der Familienunternehmen an den Großunternehmen. Insbesondere diese großen Familienunternehmen sind ein Stabilitätsanker für die deutsche Wirtschaft.40 Den Top-500-Familienunternehmen gelang es, von 2007 bis 2016 ihre Beschäftigtenzahlen um 23 Prozent anzuheben. Die 27 nichtfamilienkontrollierten DAX-­ Unternehmen erreichten im gleichen Zeitraum lediglich eine Steigerung von vier Prozent.« Das zeigt eine Studie, die vom ZEW (Leibniz-­ Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) und dem ifm (Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim) im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen erstellt wurde. Allerdings ist die große, entscheidende Masse der Familienunternehmen nicht unter den Top 500 zu finden. Mit wachsender Unternehmensgröße nimmt gleichermaßen die Familienzugehörigkeit ab. Sind 93 Prozent der Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern familienkontrolliert, sind es bei den Unternehmen mit über 500 MitDie gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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arbeitern nur noch 23 Prozent. Das klassische Familienunternehmen ist klein, wie sowieso die gesamte deutsche Wirtschaft kleinparzellig ist. Wir vergessen es oft, aber 98 Prozent der Mittelständler haben weniger als 50 Beschäftigte.41

Quelle: nach KFW-Mittelstandspanel, 2017, S. 20

Das Engagement der Familienunternehmen

Es ist klar, dass sich solche kleinen und kleinsten Unternehmen fast wie eine Einzelperson, wie ein Bürger, engagieren. Sie sind eingebunden in die Orts- und Gesellschaftsstruktur, in der sie existieren und sich entfalten. Vielleicht schon seit Generationen sind Unternehmer Mitglied im Sport- und Schützenverein, unterstützen den örtlichen Fußballklub, engagieren sich karitativ auch als Rotarier, Lion oder in ähnlichen unternehmerischen Zusammenschlüssen. Früher nannte man solche Menschen Philanthropen, ein Begriff, der die Gegenseitigkeit der unternehmerischen Förderung zeigt: »Gibst du mir, gebe ich dir.« Der Unternehmer gibt Unterstützung durch Geld, Bekanntheit, 74

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Zeit oder Teilhabe. Es scheint selbstverständlich, dass er dafür etwas als »Gegenleistung« erwartet: beispielsweise Anerkennung, ein gutes Gewissen, ein positives Image oder Dankbarkeit. Einen anderen und wesentlichen Aspekt dieser Gegenseitigkeit höre ich ebenso oft: »Wir haben so viel von der Gesellschaft bekommen, wir profitieren vom Miteinander. Wir möchten etwas zurückgeben.« Still und heimlich

»Sonst kommen wir zu einem Land, in dem ich nicht leben möchte«, warnte Vorwerk-Chef Timm Mittelsten Scheid in einem Beitrag im »Handelsblatt« vor weiterer Abschottung42. Er hatte sich vor der Europawahl 2019 mit 50 weiteren Familienunternehmen zusammengeschlossen, um öffentlichkeitswirksam für gesellschaftliche Toleranz bzw. Vielfalt und gegen die »zunehmend aggressive Sprache« der Politik ein Zeichen zu setzen. Das ist ein außergewöhnlich öffent­liches Engagement. Obwohl Familienunternehmen die Basis des wirtschaftlichen Geschehens in Deutschland bilden, sind sie in ihrem gesellschaftlichen Wirken eher still und heimlich unterwegs. Das sollte sich ändern, rät die Bertelsmann Stiftung43, denn während das gesellschaftliche Engagement der großen Konzerne als »Corporate Social Responsibility« (CSR) in der Öffentlichkeit sehr präsent ist, sind Familienunternehmen kaum sichtbar. Wie die Bertelsmann-Studie zum gesellschaftlichen Engagement von Familienunterneh­men zeigt, ist »gerade bei diesem Unternehmenstyp die ­tagtägliche Praxis gelebten gesellschaftlichen Engagements durch starke persönliche Erlebnisse und Motive der Eigentümerfamilie geprägt, die sich in einer ganz besonderen Vielfalt und Nachhaltigkeit bei dem gesellschaftlichen Wirken äußert. Damit können Familienunternehmen in Deutschland Vorbilder sein für Leistung, Erfolg und Verantwortung in der Gesellschaft.« Die zentralen Ergebnisse der Studie finde ich sehr aufschlussreich und wichtig. Sie sagen viel über das Wirken und das Selbstverständnis der Familienunternehmer aus, wie ich sie kenne. Deswegen folgt hier ausnahmsweise ein längeres wörtliches Zitat: • »Familienunternehmen sehen sich in der gesellschaftlichen Verantwortung – und gehen sie aktiv an. Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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• Verantwortungsvolles Handeln verbinden Familienunternehmer in erster Linie mit der Wertschöpfung des eigenen Unternehmens. Der Fokus liegt auf den Beschäftigten, gefolgt von den Kunden sowie dem Engagement für die Umwelt. Deutsche Familienunternehmen wissen offenkundig um die strategische Bedeutung von Fachwissen und Kompetenzen der eigenen Belegschaft, aber auch um die Zufriedenheit der Kunden als wichtige Bausteine des Unternehmenserfolgs und Unternehmenserhalts. • Familienunternehmen sind in Deutschland bislang verkannte Bildungsförderer. Zu den konkret durchgeführten Vorhaben ge­­ hören Förder- oder Kooperationsprojekte mit Schulen, Univer­ si­­täten und Museen etc. Hohe Bedeutung genießen jedoch auch Weiterbildungsmaßnahmen für die eigenen Beschäftigten sowie die Qualifizierung von Auszubildenden und Praktikanten. • Die Familienunternehmer nehmen ihre gesellschaftliche Verant­ wortung aus innerem Antrieb und Gestaltungswillen wahr – äußere Einflüsse oder gar Zwänge spielen kaum eine Rolle. • Die untersuchten Familienunternehmen sind hinsichtlich der Kommunikation ihres Engagements eher zurückhaltend. • Im Mittel ist den untersuchten deutschen Familienunternehmen das gesellschaftliche Engagement rund eine halbe Million Euro pro Jahr wert. Beachtenswert ist aber auch die Breite des finanziellen Engagements mit eher zurückhaltenden bis sehr umfangreichen Geldbeträgen. Dabei spielt die Unternehmensgröße für die Ausgabebereitschaft so gut wie keine Rolle. • Das Potenzial gesellschaftlichen Engagements ist noch nicht ausgeschöpft. Bis auf ein zu knappes Zeitbudget sehen sich die meisten Familienunternehmen für die Entfaltung ihres Engagements nur wenigen Hindernissen gegenüber. • Eine gewisse Diskrepanz ergibt sich grundsätzlich aus der internationalen wirtschaftlichen Ausrichtung vieler Familienunternehmen und einer im Gegensatz dazu recht ausgeprägten lokalen, regionalen sowie nationalen Orientierung ihres gesellschaftlichen Engagements. • Wie die Antworten zeigen, sind praktische soziale und gesell­ schaftliche Problemstellungen oft der Ausgangspunkt gesellschaftlichen Engagements großer deutscher Familienunternehmen. 76

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• Die Studie kann nachweisen, dass wirtschaftliche Beweggründe und ethische Motivationen die beiden entscheidenden Faktoren für die gelebte Unternehmensverantwortung sind.« Zitat Ende. Die Ergebnisse der Studie zeichnen für mich das Bild eines durch das individuelle Umfeld geprägten stillen Wirkens. Das typische gesellschaftliche Engagement des Familienunternehmens gibt es nicht, ebenso wenig, wie es ein typisches Familienunternehmen gibt. Und die typische Familie? Die schon gar nicht. Keimzelle Familie

Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. In der UN-Charta der Menschenrechte heißt es: »Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.« Innerhalb der Gesellschaft übernimmt die Familie maßgebliche Funktionen: zum einen die Sozialisierung und Erziehung Heranwachsender, zum anderen die Fürsorge, materielle Versorgung und den Schutz der Familienmitglieder. Wenn wir »Familie« sagen, unterläuft uns allerdings ein Denkfehler. Wir sagen »Familie« und denken eine Einheit. Schauen wir uns allerdings Familien näher an, sehen wir Individuen und individuelle Lebensentwürfe. In den wenigsten Familien wird »Mutter, Vater, Kind« so gelebt, wie es das Bild vorzugeben scheint. Es gibt Millionen verschiedene Arten, eine Familie zu sein, und mittlerweile kann und darf man all diese Arten glücklicherweise öffentlich leben. Zumindest in Deutschland. Es ist allerdings davon auszugehen, dass auch in den 1950er Jahren nicht alles heile Familie war, was äußerlich so aussah. Dafür spricht die hohe Nutzungsfrequenz von »Frauengold«, dem hochprozentigen Glücklichmacher für die gestresste Hausfrau. Es ist ein immenser Fortschritt, dass jede »Familie« mittlerweile so leben kann, wie sie will, denn die Keimzellenfunktion der Familie entsteht nicht aus dem Vorhandensein aller Mitspieler, sondern daraus, dass Liebe, Wertschätzung und Menschlichkeit (vor-)gelebt werden. Außerdem ist die Veränderung des Familienbegriffs von jeher fortlaufend und nicht erst (wie viele meinen) durch die Aufweichung der Ehe, den Pillenknick, den fehlenden Übergangsritus Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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ins Erwachsensein oder die Individualisierung der Gesellschaft entstanden. Der Begriff »Familie« ist ständig im Wandel und im allgemeinen Sprachgebrauch sowieso erst seit der Industrialisierung mit einer Keimzelle gleichzusetzen. Vorher sprach man viel häufiger vom »Haus« oder vom »Familienhaushalt« und meinte damit Eltern, Kinder, Verwandte, Hausangestellte, Arbeiter – eben alle, die unter dem Schutz eines Dachs (und eines Familienvorstands) zusammenkamen. Eine solche Hausgemeinschaft vereint vielfältige Funktionen: Produktion, Fürsorge, Erziehung, Ausbildung und sozialer Kontakt. Mit der Industrialisierung gingen immer mehr dieser Aufgaben an die Industrie oder den Staat über und peu à peu blieb nur noch die Kernfamilie als Keimzelle der Gesellschaft übrig. Und selbst diese ist jetzt in Auflösung begriffen, wie zum Beispiel Frank Schirrmacher44, langjähriger Mitherausgeber der F.A.Z., in seinem 2006 erschienenen Buch »Minimum« kritisiert und gleichsam davor warnt, dass die »Überlebensfabrik« Familie gerade in Notzeiten eine soziale Überlegenheit sichert. Schaut man sich die Darstellung der Familie als »Haus« und als soziale Sicherungseinheit an, könnte man versucht sein zu be­­ haupten, dass Familienunternehmen diese Tradition weiterhin pflegen. Sehr schön wird dies vom Zitat der Unternehmertochter im letzten Kapitel belegt: Mittags sitzen alle zusammen am Tisch – Familie, Angestellte sowie Auszubildende – und jeder übernimmt im erweiterten Verbund seine Aufgaben. Das unternehmerische System ist über eine große Schnittmenge direkt mit dem familiären System verknüpft. Auch wenn die Spielregeln unterschiedlich sind, führt diese enge Verbindung dazu, dass Familienunternehmen die Keimzellenfunktion einer Familie auf die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ebene anheben. Unternehmerfamilien bieten eben nicht nur innerhalb der Familie, sondern auch im gesamten Verbund mit dem Unternehmen das, was sonst der Kernfamilie vorbehalten ist: Schutz, Fürsorge, Wertschätzung, Ausbildung, Erziehung und sozialen Kontakt. Und wenn ich jetzt noch ein bisschen weiterphilosophieren darf, würde ich behaupten, dass wir Familienunternehmer der Ausgleich sein könnten, wenn die Kernfamilie ihren Aufgaben immer weniger nachkommt: nämlich die Kinder zu versorgen und zu erziehen oder sich 78

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unter den Generationen gegenseitig, solidarisch im Lebensalltag zu unterstützen. Können, wollen wir diese Funktion übernehmen und damit eine Keimzelle des Sozialwesens und ein wichtiger Wertebaustein erlebbarer Demokratie sein? Wenn Sie mir bisher aufmerksam gefolgt sind, werden Sie meine Antwort ahnen: Ich halte es für gut und wichtig, dass wir als Unternehmer zum einen eine innerbetriebliche Vorbild- und Fürsorgefunktion übernehmen und zum anderen gesellschaftlich tätig werden, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. Außerdem ist die Frage eigentlich obsolet – denn de facto ist es so, dass Familienunternehmen überall in Deutschland ganz reale Verantwortung übernehmen. Dieses Engagement ist zuverlässig vorhanden, in den regionalen Strukturen verankert und ein Stück soziale Marktwirtschaft. Ein schneller Sidekick zur Marktwirtschaft

Durch das Wirken von Familienunternehmen können wir erkennen, dass »das Kapital« noch eine andere Seite hat. Unternehmer handeln freiwillig und fürsorglich. Ohne vom Staat getrieben zu sein, engagieren sie sich für das Gemeinwohl. Dabei verstehen sie sich allerdings nicht, wie es auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung45 zu lesen ist, als »Ausfallbürgen« des Staates. »Gesellschaftliches Engagement wird vielmehr als gesellschaftspolitische Partizipation und Einmischung aufgefasst, wobei dieses Engagement […] als ein integraler Bestandteil der wirtschaftlich begründeten Unternehmensstrategie zu verstehen ist.« Dem von Karl Marx scharf kritisierten kapitalistischen Unternehmer, der Arbeiter ausbeutet und sich um ihre Situation nicht schert – unserem Heinrich also –, wird von der sozialen Marktwirtschaft die Sorgepflicht nicht abgenommen. In der Demokratie ist der Familienunternehmer integraler Teil des »sozialen« Aspekts, den die Marktwirtschaft im Namen führt. Der verantwortlich handelnde Familienunternehmer (und das sind – wie gesagt – die meisten) nutzt die persönlichen und wirtschaftlichen Freiheitsrechte intensiv und weitgehend aus, die ihm das marktwirtschaftliche System bietet. Zudem kann er sich in diesem Rahmen auch frei und freiwillig für das engagieren, was ihm wichtig ist. Und das sind meistens Menschen und oft die eigenen Mitarbeiter. Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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Macht ihr das doch

In den Nachfolgeprozessen, die ich begleite, begegnet mir immer wieder die gleiche Forderung: »Egal wer die Firma übernimmt – mir ist vor allem wichtig, dass für meine Mitarbeiter gesorgt ist.« Vielleicht ist diese Priorisierung nicht ganz uneigennützig? Schließlich möchte der Unternehmer auch nach der Übergabe noch morgens zum Bäcker gehen, ohne sich anhören zu müssen: »Was hast du denn da gemacht, dein Nachfolger hat die Hälfte der Leute entlassen, Peter und Gerd sind dabei, das geht gar nicht.« Die Motivation mag vielfältig sein, die Sorge ist real und führt oft dazu, dass sich Übergeber deutlich mehr Mühe als nötig machen. So auch in einem Gartenbaubetrieb mit 35 Mitarbeitern. Als den Gründern, beide Mitte 50, ein hübsches Sümmchen für ihren erfolgreichen Betrieb geboten wird, stößt dieses Übernahmeangebot eine folgenreiche Diskussion an. »Was wird aus dem Betrieb, wenn wir nicht mehr da sind?« Einfach das Geld nehmen getreu dem Motto »Nach uns die Sintflut« und ab nach Neuseeland? Das kam für die beiden nicht in Frage. »Wir haben so tolle, engagierte Mitarbeiter hier im Betrieb, denen möchten wir eine Chance bieten. Das geht nicht, wenn wir verkaufen.« Aus diesem Grund haben sie aus ihrer Belegschaft zwei junge Mitgesellschafter ins Boot geholt und sich auf einen jahrelangen Übergabeprozess eingelassen, der für beide Seiten steinig, anstrengend und fordernd war. Mir hat dieses Beispiel gezeigt: Unternehmer sind bereit, einen komplizierten Weg zu gehen, wenn er für sie der ideellere und richtigere ist. Es entspricht dem Kern unseres Handelns, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu suchen. Ja, vielleicht wirken wir daher doch manchmal ein bisschen dickköpfig, despotisch und rechthaberisch. Eben wie der dicke Heinrich. Aber wie bereits gesagt: Jede Stärke ist gleichermaßen eine Schwäche. Und die Gesellschaft braucht Unternehmer wie diese beiden Gartenbauer, die ruhig, besonnen und unter Ausnutzung ihres Handlungsspielraums den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt für die nachfolgenden Generationen sichern. Es ist wichtig, dass wir diesen Handlungsspielraum erkennen und – gerade im Nachfolgeprozess – ausnutzen. Das wird funktio80

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nieren, wenn wir die Werte und den Sinn unseres Unternehmens tragfähig und explizit machen, damit »der Laden« zukunftsfähig wird. Wenn wir mutig bleiben und neugierig, Impulse setzen und den Aufbruch mitgestalten. Wer sonst, wenn nicht wir? Wir kennen Veränderungsdruck und wissen, dass es nichts nutzt, sich ihm zu widersetzen. Nur wer den Druck als Antriebskraft wahrnimmt, kann den Impuls nutzen und weitergeben. Teilhabe statt Tellerrand

Alles, was wir im Kleinen tun, hat einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss. Wir können unser Unternehmen nicht als Ufo betrachten, es ist durch die Familie und die Mitarbeiter sowie deren Familien ein Teil der Gesellschaft. Das heißt: Wenn wir eine andere, demokratischere Art des Umgangs mit den Mitarbeitern einüben, tragen sie diese Kommunikationsfähigkeit vielleicht mit sich nach außen. Setzen wir auf Teilhabe statt auf Hierarchie, dann wird diese gelebte Mitverantwortung über den Tellerrand der Unternehmung hinaus wirken. Durch all die eingebundenen Menschen, letztlich auch die Kunden, hat das unternehmerische Handeln nicht nur einen philan­ thropischen, sondern auch einen ganz realen gesellschaftlichen Einfluss. Wenn wir in der Gestaltung der Nachfolge zukünftige Chancen und Risiken einbeziehen, dann können wir im Kleinen beginnen, Impulse zu setzen. Wenn wir handeln, statt zu verzagen, müssen uns die Drohszenarien von Demografie über Disruption weniger ängstigen. Roboter, die Arbeitsplätze vernichten? Firmenfresser aus China? Wer neugierig bleibt und seine Mitarbeiter zur Neugier anstiftet, kann es gelassener sehen. Genau so hat es sich Ludwig Erhard als Vater der sozialen Marktwirtschaft gewünscht. Er wollte einen Rahmen setzen für Eigenverantwortung, der es den Menschen erlaubt, ihre Talente und Fähigkeiten zu nutzen. Es ist wichtig, dass Familienunternehmen für den kommenden dramatischen Wandel diesen Rahmen weiterhin und noch viel stärker wahrnehmen. Wir müssen als Gesellschaft da­ rauf achten, dass die Funktion der Familienunternehmen erhalten bleibt, auch wenn sich durch die zunehmende Spezialisierung der Arbeitsprozesse das Unternehmertum (mal wieder) verändert. Es Die gesellschaftliche Bedeutung unseres Tuns

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wird in den nächsten Jahren eine weitgehende Veränderung hin zum Spezialistentum stattfinden, weil Unternehmen all die Fachkenntnisse, die mehr und mehr gefordert sind, gar nicht mehr vorhalten können. Mehr spezialisierte Einzelunternehmer, mehr Freelancer werden im Markt mitspielen. Werden sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? Das ist zu hoffen, denn ich behaupte: Je stärker das Gemeinwesen das Rückgrat der Familienunternehmen verliert, desto mehr nehmen Destabilität und Unsicherheit zu und die Eigenverantwortung wird weiter sinken.

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  Klonschaf Dolly

Über Schafe, einen vertrauten Bekannten (das Ego) und selbsterfüllende Prophezeiungen Die älteren unter Ihnen, liebe Leser, werden sich sicher noch an Dolly, das Klonschaf, erinnern. 1996 geboren, war sie zu ihren Lebzeiten die vielleicht berühmteste Bewohnerin Schottlands. Dolly war der allererste Klon eines Säugetiers, entstanden aus einer Körperzelle, ein genaues Abbild, ein Duplikat. Die Nachricht vom geklonten Schaf ging um die Welt, alle Medien berichteten, auf dem Titel nahezu jeder Tageszeitung war ein Schaf zu sehen. Dolly hat sechs Jahre gelebt und prächtigen Nachwuchs hervorgebracht. Heute ist ihr Körper im schottischen Nationalmuseum in Edinburgh zu besichtigen. Dolly und das Klonen stehen sinnbildlich für das Erschaffen einer genauen Kopie – auch Kopierprogramme oder Virtualisierungssoftware haben ein Schaf im Logo. Und Sie? Möchten Sie auch eine Dolly haben, sich einen baugleichen Nachfolger erschaffen? Hätten Sie gern für die Nachfolge im Unternehmen einen Doppelgänger, der am liebsten beim Denken und Handeln, am besten auch im Aussehen (also im ganzen »Sein und Tun«) so ist wie Sie? Natürlich nicht. Warum auch? Aber es ist ja wohl nicht zu viel verlangt … Halt! Denken Sie an Dolly. Sie sind nicht klonbar. Verabschieden Sie sich bitte hier und jetzt von der Vorstellung, dass Ihr Kind oder Ihr Käufer alles so machen muss, wie Sie es bisher erfolgreich gemacht haben. Ihr Nachfolger muss und wird nicht so sein wie Sie. Und er wird es auch nicht so machen wie Sie. Er wird es anders machen, denn er ist anders. Das lässt sich nicht ändern, und das darf so sein. Anders ist Nachfolge nicht lösbar. Machen Sie sich das bewusst. Und machen Sie es bitte auch Ihrem Ego bewusst, denn das spielt Ihnen gerade einen Streich. Es schreit ganz laut: »Hey Chef, du bist super! Keiner kann das so gut wie du. Halte durch, bis du umfällst.«

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Bin ich selbst mein bester Nachfolger?

Wir Unternehmer brauchen einen dicken Mantel aus Selbstbewusstsein, Selbstüberzeugung und Extraversion. Eine Königsrobe, in der wir uns präsentieren, etwas darstellen und in den Kampf ziehen. Vielleicht haben Sie diesen Mantel aber zu lange getragen, ist Ihnen der Erfolg zu Kopf gestiegen und hat Sie davon überzeugt, dass Sie der Beste sind – und jetzt ist kein anderer mehr gut genug? Dann führt Ihr verständlicher und richtiger Wunsch, Ihr Unternehmen in beste Hände abzugeben, zu der irrigen Annahme, dass nur Ihre Hände die besten sein können. Daraus würde folgen, dass nur sehr ähnliche Hände die gerade noch akzeptable Zweitlösung sind. Sie denken: »Keiner kann es so gut wie ich.« Das ist verständlich, denn unser Ego ist so gestrickt. Aber der Gedanke ist falsch – und brandgefährlich für den Nachfolgeprozess. Unser jeweiliges Ego spiegelt die Vorstellung wider, die wir von uns selbst haben – es bildet sich aus der Rolle, die wir spielen und in der wir täglich bestätigt werden. Und als Unternehmer spielen wir eine große, bedeutende Rolle. Schon als Kind haben wir vielleicht gehört, dass wir einmal viel Verantwortung übernehmen werden, und haben gelernt, was es heißt, Führungskraft und Vorbild zu sein (»Nils, schau mal, das alles gehört später einmal dir«). Wir sind buchstäblich in die Rolle hineingewachsen, erfüllen die Erwartungen, von denen wir meinen, dass sie an uns gestellt werden, mittlerweile automatisch. Wir verhalten uns wie ein Unternehmer, kleiden uns so, sprechen und agieren, wie es einem Unternehmer adäquat zu sein scheint. Wir sind es gewohnt, dass Menschen tun, was wir sagen, im Unternehmen, vielleicht auch in der Familie. Nur durch uns selbst wird diese Rolle des starken, unfehlbaren Unternehmers zu dem Bild, das wir von uns haben. Oder anders gesagt: zu dem, was wir selbst denken, wer wir sind. Und: Wir verhalten uns so, wie wir glauben zu sein. Das klingt abstrus, ist aber wahr. Die beiden Forscher Matthew Billett und Yiming Qian von der University of Iowa berichteten 2008 im Fachmagazin »Management Science« von einer Studie, in der sie herausfanden, dass überhebliche Manager nicht vom Himmel fallen, sondern erst nach Anfangserfolgen beginnen, sich für unfehlbar zu halten.46 Unser Ego 84

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bestimmt unser Bild von uns! (Das gilt natürlich nicht nur für überhebliche Manager, sondern auch für schüchterne Mauerblümchen.) Übrigens weisen Billett und Qian auch darauf hin, dass selbst­ verliebte Firmenlenker häufig zu einer Gefahr für ihr Unternehmen werden. Weil sie in ihrer Überheblichkeit dazu neigen, Fehler zu machen. Es scheint aber wiederum auch einen Zusammenhang zwischen Hybris und Innovation zu geben. Wissenschaftler der Friedrich-­Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg fanden gemeinsam mit internationalen Kollegen heraus, dass die Persönlichkeitsstruktur des Chefs einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie eine Firma Innovationen umsetzt. Je ausgeprägter der Narzissmus des Vorstandsvorsitzenden, umso offener ist das Unternehmen gegenüber neuen Technologien. Die Bereitschaft für riskante Innovationen steigt sogar noch, wenn man damit das Interesse der Medien hat.47 Die Innovatorrolle scheint gut fürs übergroße Ego zu sein. Unser Ego mag unsere bedeutende Rolle

Der Grat ist schmal zwischen Hybris und starkem Ego, das per se nichts Negatives ist. Im Gegenteil: Oft ist ein gut durchblutetes Selbstbewusstsein die Voraussetzung für Durchsetzungsvermögen und Erfolg. Um nach oben zu kommen, braucht man Selbstwertgefühl und die (Selbst-)Sicherheit, der Rolle als Anführer auch gewachsen zu sein. Kein Wunder also, dass viele Führungskräfte selbstverliebt sind? Daimler-Chef Jürgen Schrempp war für sein großes Ego bekannt – und führte seinen Konzern in die Fusion mit Chrysler, die viel Geld vernichtete. Ist es nicht spannend, was unser Ego mit uns macht? Und Ihnen erzählt es halt gerade, dass Sie unersetzbar sind. Weil Sie als Unternehmer eine große Rolle spielen, immer schon gespielt haben. Sie waren und sind Autorität, Mentor und Vorbild. Sie stellen etwas dar, haben eine Position im Ort, in der Gemeinschaft, im Segelclub, vielleicht sogar in der Politik. Das Wort »Rolle« taucht immer wieder auf: Sie spielen eine große Rolle. Vielleicht können wir sagen: Weil die Rolle so groß und mächtig ist, die Sie spielen, ist es auch so unglaublich schwer, sie jetzt aufzugeben. Ihr Ego hat sich sehr an diese Rolle gewöhnt und es wehrt sich mit Händen und Füßen Klonschaf Dolly

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dagegen. Denn schließlich: Was wären Sie, wenn all das wegfiele? Was sind Sie, wenn Sie nicht mehr Unternehmer, Vater, Segler, Vorsitzender und so weiter sind? Sie selbst? Das Ego mag es gar nicht, auf ein »Selbst« reduziert zu werden. Deswegen muss es dafür sorgen, dass Sie weitemachen. Damit es weiter gebraucht wird. Also macht es ganz viel Lärm. Ich tue so, als wären Ihr Ego und Sie zwei verschiedene un­­ abhängige Persönlichkeiten, ist Ihnen das aufgefallen? Und so ähnlich ist es auch. Das Ego ist unser Selbstbild, das wir übergestülpt haben, weil wir uns mit einer Rolle identifizieren. Anstatt zu sagen »Ich mache dieses und jenes«, sagen wir »Ich bin dieses und jenes«. Meine Mutter hat sich zum Beispiel für mich in meiner Kindheit und Jugend gewünscht, ich möge ein so berühmter Tennisspieler werden wie Björn Borg. Also war ich ein Tennisspieler, jahrzehntelang. Die tiefe Begeisterung hat sich jedoch nie eingestellt, aber ich habe regelmäßig (eher erfolglos) auf die gelbe Kugel eingedroschen. So lange, bis mich meine Freundin darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich es wohl nach 30 Jahren nicht mehr in die Weltrangliste schaffen werde, wenn es mir bisher nicht gelungen ist. Seitdem gehen wir beide öfter wandern und das ist besser für uns, besser für meine Tennispartner und für meine Laune erst recht. Ergo: Unser Ego spielt die Rolle, die ihm zugewiesen wird. Und das ist gut so, denn genau hier beginnt der Handlungsspielraum, den wir vergrößern können, um loszulassen. Wir können bewusst die Rolle verlassen und damit unser (durch sie) begrenztes Spielfeld erweitern. Wir versuchen, das starre Selbstbild an der ein oder anderen Ecke aufzuweichen und können uns so für neue Möglichkeiten öffnen. Hier beginnt das Loslassen in Bezug auf die Rolle, indem wir uns von all dem verabschieden, was das Ego mit der Rolle als Unternehmer verbindet. Wir »entrollen« uns und können jetzt und heute damit beginnen, die Dinge einfach anders zu machen. Mit Flipflops und zerrissener Jeans zum Kundengespräch gehen? Ein Klavier ins Büro stellen? Ins Großraumbüro der Entwickler umziehen? Warum eigentlich nicht? Wenn Ihnen das albern vorkommt, dann Achtung: Je größer und starrer ein Ego ist, desto mehr wird es sich sträuben. Wenn also demnächst wieder einmal Groll in Ihnen aufsteigt beispielsweise auf den albernen Koerber, den unfähigen Nachfolger, die verstockten Behörden 86

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oder die drängelnden Kinder, dann grinsen Sie doch einfach und sagen zu sich: »Hallo, Ego, schön, dass du da bist. Wie geht es dir? Mir geht es gut und ich lasse jetzt los.« Ich bin toll, aber warum sagt das dann keiner?

Voraussetzung fürs Loslassen ist, mein eigenes Ego zu beobachten und unter Kontrolle zu bekommen. Damit es aufhört, mich ständig von meiner Wichtigkeit zu überzeugen. Ich muss mir sehr genau anschauen, ob ich mein ausgedachtes und auferlegtes Rollenbild so verinnerlicht habe, dass ich zu der Rolle geworden bin. Mein Ego hat die Rolle, die ich früher mal im »Außen« gespielt habe, angenommen, bis ich nicht mehr nur meine, etwas sein zu müssen. Ich meine jetzt, dass ich es bin, und dafür möchte ich, möchte mein Ego verdammt noch mal wertgeschätzt werden! Egos brauchen Bestätigung und meines möchte endlich hören, was für ein kapitaler Hecht ich doch bin. Vorher denke ich nicht mal ans Loslassen, das könnte euch so passen. Immer war ich Vorbild und habe gelobt sowie angeleitet. Jetzt soll ich loslassen, ohne dass mir mal jemand gesagt hat, wie großartig ich bin? Das kann ja wohl nicht euer Ernst sein! Aber ständig nörgeln, dass Papa nicht loslassen kann, das könnt ihr! Es kann nicht sein, dass der das so gut macht wie ich

Auch Unternehmer, die ein neues starkes Feuer als Fokus nach der Übergabe gefunden haben, kämpfen mit solchen Egoattacken. Das habe ich vor einiger Zeit erlebt, als wir für einen Dienstleistungsbetrieb aus der Pharmabranche einen Nachfolger suchten. Das Unternehmerehepaar hatte ein wunderbares Hobby  – nämlich Pferdezucht – und in Andalusien bereits ein Gut erworben. Dort wollte sich das sympathische Paar um die 60 diesem prächtigen Hobby voll und ganz widmen. Vorher stand an, was sein musste: der Verkauf der bestens aufgestellten Firma, mit der sie beide lange Jahre eng verbunden waren und gutes Geld verdient hatten. Aus genau diesen Gründen – bestens aufgestellt und gutes Geld – war relativ schnell ein Käufer gefunden. Der Verkaufsprozess entwickelte sich prächtig, quasi nach Lehrbuch, und wir waren schon Klonschaf Dolly

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sehr weit, fast am Ende angekommen. Der Kaufpreis war formuliert, Käufer und Kaufpreis waren von den Unternehmern akzeptiert und der Käufer hatte die Finanzierung schon aufgestellt. Nun stand der Notartermin an und ich besuchte das Unternehmerpaar zur Schlussbesprechung zuhause. Was dann folgte, weiß ich noch wie heute: Wir sitzen bei den beiden im hellen und großzügigen Wohnzimmer bei guter Stimmung und einer Tasse Kaffee. »Alles schön und gut«, sagte der Unternehmer plötzlich. »Ist ja prima, dass der das jetzt machen will. Der Kaufpreis stimmt eigentlich, aber ich frage mich die ganze Zeit, wie der das schaffen will? Wie will der das machen, wie soll der das können? Ich habe das alles aufgebaut und so gut gemacht. Jetzt kommt der und macht womöglich meine Firma kaputt und den Mitarbeitern wird es vielleicht nicht gut gehen. Das geht nicht, ich verkaufe dem meine Firma nicht.« Wow! Ich glaube, das ist eine Reaktion, die ganz, ganz viele Unternehmer in der Nachfolgesituation durchleben – egal ob innerhalb der Familie übergeben wird oder ein Käufer von außen kommt. Obwohl alles so ist, wie man es haben wollte, wehrt sich das Ego, sobald es ans Eingemachte geht. »Es kann nicht sein«, schreit es, »dass jemand es so kann wie du! Du bist der Tollste. Mach bloß weiter.« Was ist passiert? Da kommt jemand neu in das bestehende System, was den Unternehmer stark berührt und dazu bringt, den anderen in Frage zu stellen, weil er sich selbst in Frage gestellt sieht: »Wenn das ein anderer auch kann, dann war ich ja gar nicht so toll? Ich bin so einfach ersetzbar und kann jetzt gehen?« Das passt dem Ego gar nicht. Wie ging es weiter, in diesem konkreten Fall, möchten Sie wissen? Gott sei Dank konnten wir es gemeinsam schaffen, die Egoreaktion zu identifizieren, und die Motivation des neuen Feuers »Reiterhof« war dann doch groß genug. Der Notartermin hat stattgefunden und ich hatte wieder etwas gelernt. Was hat der Koerber gelernt?

Nämlich: Um gegen die Meuterei des Egos vorzugehen, müssen wir seine Lieblingsspeise kennen: Es nährt sich über Negativität. Es liebt Drama! In der Situation, in der dem Unternehmer plötzlich klar 88

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wurde, dass er ersetzbar ist und gar nicht so einzigartig, schrie sein Ego auf. Deswegen können wir mit einem Perspektivwechsel versuchen, dem Ego auf die Schliche zu kommen: Angenommen, ich wäre richtig satt von Wertschätzung für mein Lebenswerk, mein Leben wäre bis zur Oberkante abgefüllt mit dem goldenen Nektar der Anerkennung und des Lobes. Ich bräuchte nie wieder ein Schulterklopfen oder ein »Gut gemacht, Alter«. Wenn das so wäre, wie würde sich dann mein Blickwinkel ändern? Könnte ich dann zulassen, dass jemand anderes meine Firma genauso toll, eloquent und sensationell führt wie ich? Von Ängsten und Achterbahnen

Wenn wir die Ernährungsgewohnheiten des Egos betrachten, fällt noch etwas anderes auf: Hinter einem dicken Ego steckt meistens eine Menge Unsicherheit oder Angst. Diese Angst wächst mit dem Alter, denn das Ego frisst sich über die Jahre einen Panzer an Negativität an und schürt daraus gern unsere Ängste. Sven ­Voelpel, Autor von »Entscheide selbst, wie alt du bist«, sagt, dass all die schlechten Erfahrungen, Erlebnisse und Schicksalsschläge, die wir über die Lebenszeit zwangsläufig gesammelt haben, dazu führen, dass Sicherheitsbedürfnis und Ängste im Alter zunehmen.48 Manchmal ist ein Mehr an Wissen gar nicht so gut: Fuhr ich beispielsweise als Kind noch unbedarft, unerschrocken und glücklich zehnmal nacheinander mit der Achterbahn, kriegen mich da heute keine zehn Pferde mehr drauf: Wie oft liest man, dass die Technik versagt, schau dir doch mal all die rostigen Schrauben an. Und darüber hinaus haben die Jungs, die aufbauen, quasi immer eine Bierflasche in der Hand … Vielleicht werden wir aber auch vorsichtiger im Alter, weil die eigene Endlichkeit uns bewusster wird und den Lebensrest immer kostbarer macht? Ich weiß es nicht wirklich, aber ich glaube Herrn Voelpel diesen Satz aufs Wort: »Wenn man die Einstellung hat, dass man etwas nicht mehr kann, weil man alt ist, dann ist das so.« Wenn wir das verstehen, können wir beginnen, unsere Ängste anzuschauen, auch im Hinblick auf das Loslassen. Wir können Dinge, Sichtweisen und Situationen verändern, egal wie alt wir sind! Wovor also habe ich eigentlich Angst? Warum will mein Ego mich Klonschaf Dolly

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unbedingt davon überzeugen, dass ich unersetzlich bin? Damit alles so bleibt, wie es ist? Warum erlaubt mir das Ego nicht, neue Grenzen zu erfahren? Lauern dahinter immer noch die Meeresungeheuer wie früher auf den Seekarten der mittelalterlichen Kartografen? Selbsterfüllende Prophezeiung

Was Voelpel oben anspricht, ist eine sehr weise Einsicht, und gerade im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge ist es klug, dass wir sie uns näher anschauen: Wenn ich glaube, dass etwas so ist, dann ist das auch so. Wenn ich glaube, dass es keinen Nachfolger geben kann, der es so gut macht wie ich, dann wird es so sein. Weil ich unbewusst alles daran setzen werde zu beweisen, dass es so ist. »Ich kann nicht loslassen, weil mein Nachfolger nicht kompetent ist, ich habe Angst, dass er versagt.« »Ich kann nicht führen, weil der Alte immer dazwischengrätscht, ich habe langsam keine Lust mehr, dann soll er doch weitermachen.« So entsteht aus dem Glaubenssatz »Ich bin unersetzbar« eine selbsterfüllende Prophezeiung, die Nachfolgen scheitern lässt und/oder unnötig hinauszögert. Wie prima die selbsterfüllende Prophezeiung funktioniert, zeigt das klassische Experiment, das der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal mit seiner Kollegin Leonore Jacobson bereits 1965 durchführte: Die beiden vermittelten glaubhaft Grundschullehrern, dass bei 20  Prozent ihrer Schüler nach einem IQ-Test enormes Entwicklungspotenzial festgestellt wurde. Tatsächlich aber wurden die Schüler willkürlich ausgewählt. Ein Jahr später wurde der IQ erneut gemessen und das Ergebnis erstaunte alle, die nicht an die »Self­­fulfilling Prophecy« glaubten: Fast 50 Prozent der zufällig ausgewählten Intelligenzbestien steigerten ihren IQ um 20 Punkte, ein Fünftel sogar um 30 Punkte oder mehr. Auffällig: Besonders die vormals schlechteren Schüler konnten sich deutlich verbessern. Wie stark dieser Prophezeiungseffekt sein kann, zeigt auch eine Studie der Universität von Rochester im US-Bundesstaat New York: Männer, die glaubten, ein geringes Risiko für Herzinfarkte zu haben, erlitten in der Folge tatsächlich dreimal seltener Herzinfarkte als andere – und zwar ganz unabhängig davon, ob sie tatsächlich genetisch bedingt ein hohes oder niedriges Risiko hatten.49 90

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Was man über sich oder andere Menschen denkt, wird wahr

Diese Erkenntnis kann befreiend sein oder schlaflose Nächte bringen. Als ich mich 2016 mit »The Work« von Byron Katie beschäftigt habe, empfand ich es als Befreiung, dass zwischen einem Gedanken und seinem Wahrwerden eine sehr wichtige Instanz steht: der Glaube. Zuerst ist da ein Gedanke, der per se ungefährlich ist (»Keiner kann es so gut wie ich«). Erst wenn ich ihn glaube, wird’s gefährlich, denn dann fange ich an, gemäß meinem Glauben zu handeln. Bei »The Work« heißt es, dass wir leiden, wenn wir unsere Gedanken glauben, und nicht leiden, wenn wir sie nicht glauben. Die Ursache für unsere Ängste und Sorgen ist nicht die Welt um uns herum (also die anderen), sondern unsere Überzeugung von der Welt um uns herum. Das ist starker Tobak und klingt sehr abstrakt. Ein Beispiel: Sie sitzen auf der Terrasse Ihres Ferienhauses und schauen auf den blauen Himmel, den plätschernden Bach und die grünen Almwiesen. Der Kaffee dampft in der Tasse, die Bäume rauschen, die Bienen summen. Alles ist gut, Sie fühlen sich zufrieden mit sich und der Welt. Aber, apropos Bienen: Früher hat es doch viel lauter gesummt? Haben Sie nicht letztens gelesen, dass Bienen aussterben? Und dass das an den Pestiziden der Landwirtschaft liegt. Da hinten, der Bauer, der bis eben noch so friedlich seine Kreise zog – der sprüht doch bestimmt gerade Gift in die Natur. Man kann es ja förmlich riechen … so geht ein Gedankenprozess los, der am Ende dazu führen könnte, dass Sie die Terrassentür von innen zuknallen, weil Sie das Summen der Bienen plötzlich stört. Obwohl sich objektiv an der Situation nichts geändert hat – nur Ihre Gedanken haben sich geändert. Wer meinem laienhaften Erklärungsversuch nicht folgen konnte, dem empfehle ich die Geschichte vom Hammer aus der »Anleitung zum Unglücklichsein« von Paul Watzlawick. Fazit: Nur unsere Gedanken machen aus einem halbvollen ein halbleeres Glas. Das Glas ist genau dasselbe oder wie Katie es sagt: »Ich schaffe mir mein eigenes Leiden – allerdings nur alles davon.« Wir glauben, dass wir unsere Gedanken und Gefühle steuern, aber in Wirklichkeit steuern sie uns. Gerhard Roth, Hirnforscher und Philosoph aus Bremen, konstatiert: »Da wir all unser Fühlen, Denken und Handeln vor uns selbst und vor den anderen sprachKlonschaf Dolly

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lich-logisch rechtfertigen müssen, erfinden wir ständig Geschichten. Wir glauben auch in aller Regel an sie und versuchen, unsere Mitmenschen von ihnen zu überzeugen.«50 Und Sie versuchen gerade, sich und Ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, dass einzig und allein Dolly eine würdige Nachfolgerin sein könnte. Wichtig ist, dass weder Sie noch Ihr Umfeld diese Geschichte und die damit verbundenen Haltungen und Sichtweisen verdammen. Sie sind – ich hoffe, das ist durch den obenstehenden Exkurs klar geworden – ein nötiger und akzeptierter Teil Ihrer Persönlichkeit als Unternehmer. Verantwortung für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit

Die Akzeptanz ist allerdings nur der erste Schritt, jetzt gilt es, einen Schritt weiter zu gehen. Sie müssen ebenso akzeptieren, dass andere Persönlichkeiten die Dinge anders sehen und anders machen. Nicht schlechter – einfach anders. Und vielleicht ist das nicht nur »akzeptabel«, sondern sogar großartig, da die Firma genau das jetzt benötigt: jemanden, der anders denkt und handelt, der für die Herausforde­ rungen der Zukunft gewappnet ist, indem er vielleicht mehr Verkäufer ist, wo Sie mehr Erfinder waren. Oder der mehr Macher ist, wo Sie Planer waren. Da kommt ein Nachfolger, Sohn oder Tochter, der zwangsläufig die Dinge anders sehen und anders angehen wird als Sie und der nicht trotzdem, sondern genau deswegen das Rüstzeug hat, um die von Ihnen erschaffenen Werte zu schätzen und in die Zukunft zu tragen. Mit dieser Sichtweise schaffen Sie nicht nur Frieden für sich und den Nachfolger. Sie übernehmen durch diese Akzeptanz auch die Verantwortung dafür, dass Ihr Lebenswerk nicht dahinschwindet. Und vor Verantwortungsübernahme haben Sie sich doch noch nie gescheut, oder? Sie haben eine Verantwortung, eine große – allerdings nicht nur für das Bewahren der Werte, für den »guten« Namen, die Idee oder die Tradition. Verantwortung kann man nicht für die Vergangenheit übernehmen, sondern man braucht sie für die Zukunft. Können Sie sich für diese Idee öffnen und haben Sie auch in der Nachfolge den Mut, trotz Unsicherheit zu handeln – wie Sie es als Unternehmer so oft erfolgreich bewiesen haben? 92

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Die größten Fehler bei der Unternehmensnachfolge

Aus meiner Erfahrung kann ich einige Fehler benennen, die bei Nachfolgen immer wieder passieren. Viele davon haben damit zu tun, dass Verantwortung falsch verstanden wird: auf Seiten des Übergebers ebenso wie auf Seiten des Nachfolgers. Speziell in familiären Nachfolgesituationen ist Verantwortung oft mit Druck gleichzusetzen, mit »Müssen«. Da ist das Wollen oder überhaupt der freie Wille schon vor Jahren ad acta gelegt worden, jetzt geht es nur noch darum, einer Verantwortung – nämlich das Lebenswerk zu erhalten – gerecht zu werden. Mein Rat: Wir müssen uns in der Familie gegenseitig die Freiheit geben, zu entscheiden, wann, wie und mit wem eine Nachfolge stattfinden soll. Und dazu gehört auch die Freiheit, sich anders zu entscheiden. Genauer werden wir uns diese Verantwortung in Kapitel 3 anschauen. Falsch verstandene Verantwortung im Nachfolgeprozess führt außerdem oft dazu, dass Aufgabenbereiche nicht geklärt und Kompetenzen nicht übertragen werden. Dann rennen die Mitarbeiter mit den Urlaubsanträgen zum Senior, obwohl die Tochter seit zwei Jahren für die Personalangelegenheiten zuständig ist: »Ach, beim Chef ist die Tür offen und er weiß ja, wie wichtig mir die drei Wochen im August sind.« Da hilft nur eins als Antwort: »Ab dafür! Geh bitte zu meiner Tochter.« Verantwortung muss klar sein und genauso klar müssen Sie sich darüber sein, dass an allen Ecken und Kanten gefährliche Dilemma der Mitverantwortung lauern. Sie sind nicht dafür zuständig, was mit den Mitarbeitern, der Firma, dem aussichtsreichen neuen Produkt oder dem zahlungskräftigen Kunden aus Bayern passiert, wenn und nachdem Sie übergeben haben. Auch nicht als Vater. Gerade dann nicht. Sie sind nur für eines verantwortlich: die Nachfolge anzustoßen und den Prozess darauf auszurichten, was die Firma für die Zukunft benötigt. Welche Vision, welches Ziel können Sie gemeinsam mit den Mitarbeitern, vielleicht auch schon mit den Nachfolgern, entwickeln? Was ist jetzt da – was sind die Schätze, die Ressourcen, was ist die Unique Selling Proposition des Unternehmens? Und welche Strategie benötigt die Firma, um diese Schätze zu bewahren und zu mehren, um wirksam zu sein? Diesen auf die Zukunft gerichteten Prozess schauen wir uns in den Folgekapiteln genauer an, aber vorKlonschaf Dolly

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her möchte ich Sie bitten, sich gedanklich auf den Kopf zu stellen und zu fragen: Was müsste ich tun, damit mein Nachfolgeprojekt garantiert nicht gelingt? (Wenn Sie den physischen Kopfstand beherrschen, können Sie das »gedanklich« natürlich gern streichen.)

Mich gibt es nur einmal Über das Nachdenken, unsere Gehirnautobahn, Doppelgänger und die Gefahr von Erwartungen; Angela Merkel kommt zu Wort Was müssten Sie tun, damit Ihre Unternehmensnachfolge garantiert scheitert? Sie müssten weiterhin für alles und jeden Verantwortung übernehmen und das auch von Ihren Nachfolgern verlangen. Sie müssten Ihren Kindern ständig über die Schultern schauen und ihnen vor versammelter Mannschaft die Kompetenz absprechen (»Sie lernt halt noch«). Sie müssten glauben, dass sich alles irgendwie von allein regelt, Sie also nichts klären, nichts in die Wege leiten, nichts entscheiden müssen. Um krachend zu scheitern, empfiehlt es sich, die Kommunikation mit potenziellen Nachfolgern zu vermeiden. Der beste Tipp für ein sicheres Scheitern ist: Ignorieren Sie einfach, dass es ein Nachfolgethema gibt. Dann gehen Sie garantiert kein Risiko ein, dass ein Nachfolger Ihnen Ihr Feuer wegnehmen könnte. Angela Merkel sagte in ihrer bemerkenswerten Rede vor HarvardAbsolventen im Mai 2019: »Der Moment der Offenheit ist auch ein Moment des Risikos. Das Loslassen des Alten gehört zum Neuanfang dazu. Es gibt keinen Anfang ohne ein Ende, keinen Tag ohne die Nacht, kein Leben ohne den Tod. Unser ganzes Leben besteht aus der Differenz, aus dem Unterschied zwischen dem Beginnen und dem Beenden. Das, was dazwischenliegt, nennen wir Leben und Erfahrung.«51 Es ist für mich ein Zeichen von Demut und Dankbarkeit, diese Differenz, den »Unterschied zwischen dem Beginnen und dem Beenden« zu akzeptieren. Setzen Sie sich dabei bewusst dem Risiko des Loslassens aus und seien Sie offen gegenüber dem Neuen. Würdigen Sie den Prozess des Übergangs mit einem dankbaren Blick auf Ihr Leben und Ihre gemachten Erfahrungen. Widmen Sie diesem Prozess sowohl Zeit als auch Aufmerksamkeit. Dann entsteht aus der Dank94

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barkeit heraus der Wunsch, etwas zurückzugeben. Ich habe jahrzehntelang vom Firmenfeuer profitiert. Aber es steht nicht nur in meinem Dienst, nährt und wärmt nicht nur mich. Also bin umgekehrt auch ich ein Diener des Feuers, indem ich dafür sorge, dass es brennt und weiterbrennen wird. Verfolgen wir diesen Gedanken weiter, ohne zu philosophisch zu werden, dann wird deutlich: Es geht bei all dem nicht um mich. Ich erkenne, dass ich meine Person zurücknehmen und mich in den Dienst der Sache stellen darf. Und das mit Offenheit, Toleranz, Mut und vor allem: mit genügend Zeit. Das passiert, laut Merkel, »wenn wir bei allem Entscheidungsdruck nicht immer unseren ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen.« Nur zehn Prozent denken selbst

Nachdenken. Wissen Sie noch, wie das geht? Nein, ich will Sie mit dieser Frage nicht abwerten, ärgern oder für dumm verkaufen. Ich bin aber der Meinung, dass die Qualität des Nachdenkens in unserer schnellen, vom Machbarkeitswahn getriebenen Zeit extrem gelitten hat. Als Unternehmer sind wir es gewohnt, Entscheidungen schnell, knapp und auf den Punkt zu treffen. »Ich weiß es gerade nicht, lass mich mal nachdenken«, diese Aussage hat keinen Platz in unserem Selbstverständnis als »Lenker« und »Entscheider«. Zusätzlich wird das Selbstdenken durch eine Umwelt erschwert, die uns fertige Lösungen medial und in den Supermarktregalen präsentiert. Alles ist schon vorgekocht, vorgemacht und vorgedacht. Warum sollte man da noch nachdenken? Der Psychologe und Hirnforscher Ernst Pöppel52 hat das Buch »Traut euch zu denken« geschrieben und sagt im Interview mit der »Welt«: »Ich schätze, dass nur rund zehn Prozent der Menschen selber denken und ihr Leben in die eigene Hand nehmen.«53 Auch wenn es nur eine These ist, mache ich ähnliche Erfahrungen: Wir sind träge, wir sind faul und wir machen es so, wie es schon immer gemacht wurde. Wir akzeptieren, was uns Politiker und sogenannte Vordenker sagen, übernehmen ungefragt Informationen aus den sozialen Medien und kaufen bereitwillig, was uns als gut und gesund angepriesen wird. Und so verlernen wir nach und nach das Denken. Zumal die nächste Ablenkung immer schon Mich gibt es nur einmal

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lauert, sobald sich unser Gehirn intensiver mit einem Thema auseinandersetzt. Bestsellerautor Daniel Kahneman54 beschreibt in seinem Buch »Schnelles Denken, langsames Denken« den Impuls unseres Gehirns, möglichst schnell auf die unbewusste Gedankenautobahn aufzufahren. Er erklärt, dass wir zwei verschiedene Weisen haben, in denen das Gehirn denkt: entweder schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst oder langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst. Wobei das zweite Denkmuster das faule ist und sich, wenn wir uns nicht aktiv bemühen, ganz schnell zurückzieht. Wir sind Meister in der Vermeidung unangenehmer, anstren­ gender Gedanken. Und der Gedanke daran, unser Unternehmen abzugeben und damit unser Selbstverständnis und Ego angreifen zu müssen, ist nun wahrlich unangenehm. Schlimmer geht es nicht. Deshalb ist es gemäß seiner Funktionsweise nur natürlich, dass unser Gehirn tausend andere Möglichkeiten findet, sich zu beschäftigen. Es gibt so viele Projekte, Ideen, Kundenwünsche! So vieles muss täglich erledigt werden. »Morgen kümmere ich mich bestimmt um das Thema«, denken Sie. Aber »morgen« ist irgendwie nie, denn alles andere ist angenehmer und schneller getan, als sich intensiv mit dem Gedanken an das »Was soll werden?« auseinanderzusetzen. Okay. Was machen wir jetzt aus diesem Wissen? Wir gehen – wenn wir uns in den Dienst der Sache stellen wollen – den schwereren Weg und akzeptieren, dass nur ein bewusstes, achtsames Innehalten und Nachdenken, wie Angela Merkel es empfiehlt, uns dabei helfen wird, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Richtig ist falsch und falsch ist gut

Zu diesem bewussten, logischen und anstrengenden Denken gehört eine ganz wichtige Prämisse: Es geht beim Nachdenken nicht um richtig oder falsch. Mit dem tiefen Nachdenken gelangen wir irgendwann automatisch an einen Punkt, an dem wir Überzeugungen in Frage stellen müssen. Gründliches Nachdenken heißt, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, alle Meinungen zu würdigen, nichts von vornherein auszuschließen und mit offenen Augen nach dem 96

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»Was denn noch« und dem »Was stattdessen« zu suchen. Es bedeutet, dass wir aufhören zu urteilen, und mit Neugier und Offenheit daran gehen, eine Zukunft für unsere Firma zu (er)finden. Wer in den Kategorien »richtig« und »falsch« denkt, verbaut sich schätzungsweise 90 Prozent der Möglichkeiten. Weil das eigene »Richtig« die Sicht auf die »Richtig« aller anderen verbaut. »Unsere Erfahrungen bestimmen unsere Bewertungen«, schreibt Neurobiologe Gerald Hüther im Buch »Was wir sind und was wir sein könnten«.55 Was für den einen Menschen richtig ist, beruht ausschließlich auf seinen Gedanken und Gefühlen, auf seinen Erfahrungen und Erkenntnissen, auf seiner Weltsicht und auf seiner Landkarte, mit der er sich jahrzehntelang durch die Gegend navigiert hat. Aber diese eine Landkarte ist nicht die Welt. Die Welt sieht anders aus. Das hat schon mancher Autofahrer feststellen müssen, wenn seine Landkarte – sein Navi – ihn in eine Sackgasse geführt hat. Dead End. Die Welt, wie sie wirklich ist, schließt die Landkarten, die Gedanken und Erkenntnisse aller anderen mit ein, oder wie Ken Wilber es ausdrückt: »Jeder hat Recht. Zumindest ein wenig.«*1 Sicherlich sind deshalb die wirksamsten Kreativitätstechniken die, bei denen wir aufgefordert werden, eine andere Perspektive einzunehmen. Schon Walt Disney verlangte von seinen Teams regelmäßig, den Blickwinkel zu ändern und die Dinge statt schwarz mal weiß zu sehen. Was passiert dann, was ändert sich, welche neuen Ideen entstehen? Wer immer nur die eigene Perspektive für richtig hält, kann nur einen Teil der Wahrheit sehen, er ist beschränkt in seiner Wahrnehmung, wie es uns Platons Höhlengleichnis eindrücklich vor Augen führt. Daher ist es gut und unabdingbar, dass jeder Mensch die Dinge anders sieht, sonst gäbe es keine Weiterentwicklung. Wir  * Ken Wilber, Jahrgang 1949, ist ein amerikanischer Autor und Philosoph. Mit seinem integralen Ansatz versucht er eine Integration aller Erkenntnis­ disziplinen (wie Religion, Naturwissenschaft, Philosophie, Sozialwissenschaft usw.) zu schaffen und diese in einen wissenschaftlich begründbaren Gesamtzusammenhang zu setzen. Kern des Integralen ist das AQAL-Modell als Orientierungsmodell für die Fülle der Phänomene und Erscheinungen, die in uns, in unseren Beziehungen und in der Welt wirken. Mittlerweile ergeben sich zahlreiche Ableitungen des Integralen auf Wissenschaft, Medizin, Religion, Coaching, Kunst, Ökologie aber auch auf Politik und Wirtschaft. Mich gibt es nur einmal

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wachsen durch die Begegnung mit unserem Gegenüber, seiner Welt, seinen Meinungen. Wenn der Diskurs entfällt, dann gibt es keine Zukunft mehr. »Der Mensch wird am Du zum Ich«, sagt Martin Buber56 und meint damit auch, dass wir uns nur selbst kennenlernen, wenn wir uns trauen, eine andere, fremde Perspektive zuzulassen. Den Blickwinkel zu wechseln, ist eine der wichtigsten und vielleicht auch schwierigsten Hürden auf unserem Weg. Denn damit einher geht, dass wir immer wieder unsere Überzeugungen hinterfragen und dabei meist feststellen, dass diese nichts Feststehendes sind. Ist es wirklich so, wie ich denke, oder könnte es jemanden geben, der das anders sieht? Die Erkenntnis, dass die eigene Weltsicht nur eine von Milliarden ist, ist bitter (weil wir damit unser »Richtig« aufgeben müssen), macht aber zugleich frei im Kopf. Denn sobald wir erkennen, dass es Menschen auf der Welt gibt, die unser aktuelles Ärgernis vielleicht als Freude erleben, begreifen wir, dass auch wir frei sind in der Beurteilung der Situation. Dann kann sich unser Blick öffnen für eine Vielfalt von Perspektiven auf die Unternehmensnachfolge, die eines gemeinsam haben: Sie, lieber Leser, spielen darin keine Rolle. Kein Doppelgänger weit und breit

Wir sind einzigartig – jeder von uns. Wir alle existieren als ein in­­ dividuelles Konstrukt unserer Lebenserfahrungen, inneren Einstel­ lungen, Haltungen und Vorstellungen. Unser »Richtig« ist indi­vi­­­­duell, unser »Falsch« ebenso. Das zu verstehen, ist nicht nur die Grundlage für den oben geforderten Perspektivwechsel. Die Erkenntnis Ihrer Einzigartigkeit geht auch der Einsicht voraus, dass es für Ihre Nachfolge keinen Doppelgänger geben wird. Da kommt niemand, der es genauso machen wird wie Sie. Auch wenn man gelegentlich liest, dass jeder von uns weltweit circa sieben Doppelgänger habe, ich an Ihrer Stelle würde nicht darauf warten. Es gibt Sie nur einmal. Punkt. Ein Nachfolger wird die Dinge anders sehen und anders machen. Punkt. Eigentlich ist diese Offenbarung ein guter Zeitpunkt dafür, den Schampus aufzumachen, der seit Weihnachten 2007 im Kühlschrank auf einen besonderen Anlass wartet. Lassen Sie den Korken knal98

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len und feiern Sie: Sie sind einzigartig! Und wenn Sie hinterher den Kater ausgeschlafen haben, dann denken Sie gut nach: Wenn es nicht um mich geht, worum geht es dann? Wenn es keinen Doppelgänger gibt, wie sollte ein Nachfolger dann sein? Sie finden das gerade alles sehr unverantwortlich, was ich Ihnen vorschlage? Ganz abgesehen davon: Mitten in der Woche eine Flasche Schampus zu köpfen, ist vielleicht auch keine gute Idee; wie soll das gehen, wenn Ihre Meinung, Ihre Erfahrung und Ihr Wissen nicht mehr zählen und genauso richtig sein sollen wie die eines Praktikanten? Schließlich tragen Sie eine Verantwortung und der nicht. Stimmt doch! Oder? Ich frage mal zurück: Was ist denn Verantwortung überhaupt? Wo fängt sie an, wo endet sie? Vergessen Sie nicht, dass unsere unternehmerischen Stärken auch gleichzeitig unsere Schwächen sind. Und so kann aus Tatkraft schnell ein Superheldensyndrom werden. Auch wenn Sie es vielleicht nicht offen zugeben würden: Insgeheim glauben Sie schon, dass ohne Sie der Laden ins Chaos stürzt. Deswegen fühlen Sie sich verantwortlich, für das Unternehmen, die Mitarbeiter und die Zukunft jedes Einzelnen. Andere mögen zwar helfen können, aber letztlich stellt nur Ihr Wirken sicher, dass die hohe Leistungsfähigkeit des Unternehmens sichergestellt bleibt. Und es ist ja auch schön, so wichtig zu sein. Ein bisschen Glorienschein ist dabei, wenn Sie sich beklagen, dass immer alles an Ihnen hängen bleibt, niemand sonst es so macht, kann und versteht wie Sie. Alle kommen, fragen um Rat. Sie werden gebraucht. Man schaut zu Ihnen auf. Ach, wie herrlich. Jetzt könnten Sie mal wieder Ihr Ego anlächeln und großzügig mit sich selbst sein. Es gilt, Ihren moralischen Rahmen, den vielleicht erlernten oder sozialisierten Wert von Pflichtgefühl und Verantwortung genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie glauben, dass es Ihre Verantwortung ist, wie es den Mitarbeitern nach der Übergabe geht? Ich finde, das ist es nicht. Erstens sind Sie per se für gar nichts verantwortlich. Sie zahlen Ihren Mitarbeitern ein hoffentlich angemessenes Gehalt dafür, dass sie in ihrem Handlungsrahmen eigene, gute Entscheidungen treffen. Zweitens sind Sie beim Weitergeben des Feuers vor allem für das Loslassen im richtigen Moment verantwortlich. Sonst fällt die Flamme und verlöscht. Was passiert, wenn Mich gibt es nur einmal

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das Feuer übergeben ist, entzieht sich komplett Ihrer Verantwortung. Ihre Schuldigkeit ist es, den sauberen und klaren Übergabeprozess zu regeln und nach bestem Wissen und Gewissen eine Entscheidung zu fällen. Dann geben Sie die persönliche Verantwortung klar ab. Ich weiß, dass diese Abgrenzung speziell für Väter und Mütter sehr, sehr schwierig ist, weil tiefe elterliche Gefühle im Spiel sind. Gerade deswegen scheint es sinnvoll, aus der Falle der Mitver­ant­ wortung herauszukommen. Oder noch besser: erst gar nicht hineinzutappen. Das gelingt, wenn die Kreise der Kollision aus Kapitel 1 bekannt sind und die damit automatisch verbundenen Rollenkonflikte reflektiert werden. Wo liegt die Verantwortung, wer ist verantwortlich und in welcher Rolle? In einem Dachdeckerbetrieb mit 15 Mitarbeitern hat der Sohn vor einem Jahr die Geschäfte übernommen und der Vater ist sehr zufrieden. Und stolz. Aber die Zahlen stimmen nicht und die Mitarbeiter murren. Warum? Vater, Sohn und Betrieb können viel gewinnen, wenn es dem Vater gelingt, sich seiner Rollen bewusst zu werden. Bin ich als Vater oder als Unternehmer mit dem Sohn zufrieden? Schaffe ich es, das unternehmerische Handeln meines Kindes aus der Perspektive eines Fremden/Dritten zu betrachten? Und wenn dieser Rollenwechsel gelingt und dazu führt, dass der Vater die Dinge anders sieht, also bestehende Fehler erkennt, dann sollte er – zum Besten der Firma – den verklärten Vaterblick aufgeben und handeln. Oft gelingt dieser Rollenwechsel nicht. Wir können unsere Kinder nicht mit nüchternen Augen betrachten, dazu gehört ein extrem hoher Grad an Bewusstheit. Den haben Mönche in Tibet, aber wir nicht. Dafür haben wir Freunde oder Vertraute. Nutzen wir also in solchen Fällen die Chance, um Rat zu fragen. »Was ist deiner Meinung nach faul im Staate Dänemark?« Die rosa Brille

Wenn der Rollenwechsel gelingt, erhalten wir Einblick in eine interessante Gefühlslage: in unsere eigene. Was dann offenbar wird, hat meistens wenig mit Realität und viel mit Erwartungen zu tun. Es ist ähnlich wie bei der selbsterfüllenden Prophezeiung, die wir uns bereits angeschaut haben: Der Vater des jungen Dachdeckermeisters 100

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hat eine gewisse Erwartung an das Geschehen, die seine Brille rosa färbt und ihn sehen lässt, was er sehen will. Unsere Rollen, die wir in den verschiedenen Systemen von Familie, Unternehmen, Freundeskreis, Fitnessstudio, Verein oder Partei einnehmen, sind geprägt von Erwartungen. Erwartungen, die wir selbst an uns stellen. Erwartungen, die andere an uns stellen. Und – wie brisant – Erwartungen, von denen wir annehmen, dass andere sie an uns stellen. Dies sind die gemeinsten Erwartungen und die, die am häufigsten zu Fehlbeurteilungen und Konflikten führen. Wir handeln entsprechend der angenommenen Erwartung. Wir bringen unserer Frau seit 30 Jahren Nelken mit, weil wir erwarten, dass sie sich darüber freut. Wir gehen mit unserem Sohn seit 20 Jahren angeln, weil wir ihm eine Freude machen wollen. Er kommt mit, weil er uns eine Freude machen will. Spaß haben jedoch beide nicht am Angeln. Warum passiert so etwas ständig? Weil Bedürfnisse nicht ausgesprochen werden. Weil davon ausgegangen wird, dass der andere diese eh kennt. Oder weil wir stillschweigend davon ausgehen, dass unsere zuletzt beschriebene Landkarte auch die des Gegenübers ist. So wird unser Handlungskorsett permanent beeinflusst von einer Reihe von Fragen, zum Beispiel: • Was erwartet meine Frau von mir? • Was erwartet mein Sohn von mir? • Was erwartet das Unternehmen, erwarten die Mitarbeiter von mir? • Was erwartet die Gesellschaft von mir? Und manchmal vielleicht auch: • Was erwarte ich selbst von mir? Das Konfliktpotenzial hinter diesen Fragen: Meistens, fast immer, beantworten wir uns diese Fragen ausschließlich selbst, anstatt uns einfach direkt zu erkundigen: »Was erwartest du eigentlich von mir?« Und so geschieht das, was meistens geschieht: Wir handeln gemäß einer Idee, einer Vorstellung. Aus Freundlichkeit, Gefälligkeit, Tradition oder falsch verstandenem Verantwortungsgefühl. Was bei diesen Handlungen komplett fehlt: die Freude, die Begeisterung, das Feuer. Also all das, was dazu führt, dass zwischenmenschliche Beziehungen wachsen und neue Ideen entstehen. Mich gibt es nur einmal

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Ich kenne die Geschichte eines Ehepaars, das seit mehr als 30 Jahren zusammen ist. Diese ganzen Jahre machte er abends den Abwasch, sie trocknete ab. So hatte es sich eingebürgert. Bis eines Abends (die beiden wissen heute nicht mehr, was der Anlass war) der Ehemann herausplatzt: »Ich hasse abwaschen, ich würde viel lieber abtrocknen. Aber ich liebe dich und möchte dir zuliebe das Unangenehme machen.« Die Ehefrau schnappt nach Luft: »Aber ich hasse abtrocknen, ich würde viel lieber abwaschen. Ich habe das nur dir zuliebe gemacht.« Ich glaube, dass dieses Ereignis nicht nur das abendliche Abwaschen bei den beiden verändert hat, sondern auch den Rest der ehelichen Kommunikation. Reden hilft. Aber seien Sie sich bewusst: Auch die Welt der Worte ist eine Welt der individuellen Erwartungen. Was ich unter Mut, Loyalität oder der Farbe Blau verstehe, muss nicht Ihrem Verständnis entsprechen. Machen Sie innerhalb der Familie oder mit Kollegen einen kleinen Test: Jeder von Ihnen schreibt spontan, ohne lange nachzudenken, fünf Wörter auf, die ihm zum Begriff »Kühlschrank« einfallen. Und dann fünf Wörter, die er mit dem Begriff »Liebe« verbindet. Was kommt dabei heraus? Ein individueller Wust von verschiedenen Wörtern, weil jeder etwas anderes mit »Kühlschrank« und »Liebe« verbindet. Und so kann es passieren, dass ein Wort, das für Sie neutral belegt ist, bei Ihrem Gegenüber die Alarmsirenen schrillen lässt. Ein Konflikt entsteht, denn Worte sind Waffen. Philosophieprofessorin Sybille Krämer erklärt, dass Sprache sogar körperliche Konsequenzen haben kann. Sie wirke »wie ein linguistisches Messer«. »Eine Beleidigung – und schon wird man rot, fängt an zu schwitzen, der Adrenalinspiegel steigt.«57 Deswegen tun wir gut daran, unsere Sprache ebenso bewusst zu beobachten wie unsere Handlungen. Erst recht, wenn wir uns im verminten Feld der familiären Erwartungen bewegen oder uns mit Themen beschäftigen, die unser wohlfühlgewohntes Gehirn als unangenehm abwehren möchte, wie zum Beispiel: die Nachfolge. Sie sind nicht allein

Nachdem ich Sie in diesem Kapitel mit so vielen unangenehmen Wahrheiten und Aufforderungen konfrontiert habe, möchte ich zur 102

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Entspannung ein paar Zahlen liefern. Ich möchte Ihnen zeigen, dass Sie nicht der einzige Mensch auf der Welt sind, dem es schwerfällt, sich von seinem Unternehmen zu trennen. Was Sie (durch-)machen, ist nicht die Ausnahme, es ist die Norm. Das macht es zwar nicht besser, aber es fühlt sich besser an, in guter Gesellschaft zu sein. In einer gemeinsamen Untersuchung der INTES Akademie für Familienunternehmen und der Unternehmensberatung PwC zum Thema Firmenübergabe heißt es: 37 Prozent der Befragten geben zu, dass ihnen die Trennung von ihrem Unternehmen schwerfallen wird, 42 Prozent sind unschlüssig. 41 Prozent der Befragten planen, nach der Unternehmensübergabe weiter berufstätig zu sein, am liebsten im ehemals eigenen Unternehmen (stolze 85 Prozent).58 Wobei der Wunsch nach Arbeit keiner finanziellen Notwendigkeit folgt: Knapp 90 Prozent der Befragten haben für ihren Ruhestand vorgesorgt und müssten daher nicht mehr arbeiten. Trotzdem wollen sie sich in beträchtlichem Umfang weiterhin einmischen, Entschuldigung, einbringen: durchschnittlich fast 22 Stunden pro Woche. Circa 20 Prozent wollen sogar mehr als 40 Stunden im Unternehmen sein. Mehr als 30 Prozent haben dabei keinen festen Austrittstermin im Blick. Puh. Es tut mir in der Seele weh, diese Zahlen zu lesen und das mitschwingende Konfliktpotenzial für alle Beteiligten fühlen zu müssen. Versuchen wir, positiv zu bleiben: Wenigstens ist es eine Minderheit, die gar keinen Austrittstermin geplant hat. 70  Prozent planen also. Immerhin. Die Mehrzahl der Unternehmer, das schreibt auch die Studienautorin, stellt sich der schweren Entscheidung und geht verantwortungsvoll damit um. Auch wenn sie fürchten, dadurch Lebensqualität zu verlieren. »Die von uns befragten Unter­­­ nehmerinnen und Unternehmer«, ist zu lesen, »tun es aus Pflichtgefühl gegenüber der nachfolgenden Generation und dem Unternehmen. Und beweisen damit Weitsicht, Professionalität und Gewissenhaftigkeit. Sie sind bereit, ihr Know-how und ihre Expertise zum Wohl des Unternehmens einzubringen und die nachfolgende Generation zu unterstützen – auch wenn sie keine aktive Rolle mehr in der Firma bekleiden. Dass sie darüber hinaus bereit sind, sich für die Gesellschaft zu engagieren, bestätigt einmal mehr das positive Rollenmodell des Familienunternehmers«.59 Interessant ist, dass sich Mich gibt es nur einmal

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etwa jeder achte Befragte die Gründung eines neuen Unternehmens vorstellen kann. Unternehmertum endet eben nicht mit der Übergabe.60

Quelle 61: nach PwC-Studie »Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg«, 2016

Was braucht die Firma in der Zukunft? Von Zügen, der Digitalisierung und, natürlich, der Zukunft Ihres Unternehmens Nach der Übergabe des Unternehmens noch einmal neu gründen. Mit Mitte 60 oder später? Wir haben es im letzten Kapitel gelesen – circa 12 Prozent der von PwC befragten Unternehmer können sich das vorstellen.62 Das nenne ich Gründergeist! Diesen Geist benötigen wir für die Zukunft. Wir brauchen Gestalter, keine Verwalter. Wir brauchen eine Vision für die Zukunft. Für die Zukunft der Wirtschaft, der Gesellschaft und daraus abgeleitet: für das eigene Unternehmen. Managementberater behaupten, dass die Wirtschaft in Zukunft Unternehmer benötigt, nicht Manager. Ganz klar: 1 zu 0 für uns 104

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Familienunternehmer. Schaut man sich die Chefs der weltweit er­­ folgreichsten US-Konzerne an, ist eines auffällig: In vielen Fällen haben sie ihr Unternehmen gegründet und tragen das volle unternehmerische Risiko. DAX-Chefs dagegen haben Jura, Betriebswirtschaft oder Ingenieurswesen studiert und sich in bestehenden Strukturen hochgearbeitet. Der Unterschied? Hier austauschbare Administratoren und Aktionärsbeglücker, dort eine Chefgeneration, die über eine hohe Lernagilität verfügt und ständig am eigenen Leib und Portemonnaie erfährt, was es bedeutet, Risiken einzugehen. Das sind genau die Unternehmer, die mit der zunehmenden, auf sie zukommenden Unsicherheit umgehen können: 2 zu 0 für uns Familienunternehmer, denn das können wir auch. Gründergeist und die Fähigkeit, mit Unsicherheit und vielfältigen Entscheidungsoptionen umgehen zu können: Das sind für mich wesentliche Talente der Nachfolgergeneration. Übergeber benötigen sie ebenfalls, wenn sie gemeinsam mit den Nachfolgern die Weichen stellen. Mit Blick auf die bereits erwähnten Themen Digitalisierung und Disruption ist das Weichenstellen komplex. Es reicht nicht, die Chancen einer fortschreitenden Technologisierung für die eigenen Prozesse und Produkte zu begreifen und einzubinden – aber es ist ein Anfang. In Zukunft wird Technologie nicht nur vorhandene Abläufe verbessern. Sie hat auch das Potenzial, ganz neue Wege zu erschließen. Allerdings nicht nur für Sie und Ihr Unternehmen, sondern auch für alle anderen. »Für die Familienunternehmen steht viel auf dem Spiel, im Guten wie im Schlechten: Digitale Technologien ermöglichen schneller als zuvor das Erschließen neuer Märkte, den Aufbau neuer Vertriebswege und die Schaffung neuer Angebote. Aber wo die Karten neu gemischt werden, haben natürlich neue, auch branchenfremde Wettbewerber die Chance, innovative Geschäftsmodelle auf den Markt zu bringen und sich zwischen etablierte Unternehmen und deren Kunden zu schieben – Beispiele dafür gibt es bereits einige«, schreibt die Stiftung Familienunternehmen in der vierten Auflage der Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration« mit dem Schwerpunkt Digitalisierung.63 Ebenso wichtig wie die Kenntnis der technischen Möglichkeiten, schreiben die Studienautoren, ist deshalb die richtige Haltung und die Bereitschaft zur Veränderung. Gleichzeitig weist man in der StuWas braucht die Firma in der Zukunft?

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die darauf hin, dass deutsche Familienunternehmen nicht die Tugenden über Bord werfen dürfen, für die sie weltweit geschätzt werden. Die Kunst bestehe wohl darin, das Beste aus zwei Welten miteinander zu verbinden: immer bessere technische Lösungen auszutüfteln, Produkte zu optimieren, die Effizienz zu steigern. Das hat viele Familienunternehmen erfolgreich gemacht und damit verdienen sie ihr Geld. Nun geht es darum, im selben Haus (Frei-)Räume für Innovation mit digitalen Technologien zu schaffen. Freiräume für Innovation

Familienunternehmen sind tendenziell langfristig und traditionell orientiert. In der Zukunft wird sich das ändern, sie benötigen die Agilität, sich den Gegebenheiten der Umwelt schnell anzupassen und am besten einen Schritt voraus zu sein. Die Digitalisierung ist zum Kernthema der Wirtschaft geworden. Sicher, ich stimme Ihnen zu: Es ist viel Hype dabei und so neu ist das Thema eigentlich nicht. Seit der Erfindung der Dampflok sprechen Menschen darüber, dass Innovationen unsere Welt verändern, uns Arbeitsplätze wegnehmen und wir Menschen das steigende Tempo nicht verkraften können. Ärzte warnten damals vor dem Tempo von 30 km/h, es könne Gehirnveränderungen und »geistige Unruhe« hervorrufen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Erstaunlicherweise haben wir die Dampflok überlebt und überleben auch heute (noch) das ständig steigende Tempo von Wirtschaft und Gesellschaft. Unser Hirn kann deutlich mehr, als die Ärzte dachten. Nicht nur die Leber wächst mit ihren Aufgaben, wie Eckart von Hirschhausen64 humorig anmerkt, auch unser Gehirn tut es. Neurobiologe Gerald Hüther65 erklärt, dass das menschliche Gehirn ein sich erfahrungs- und nutzungsabhängig entwickelndes Organ ist. Und er schließt daraus, dass es jedenfalls nicht an unserem Gehirn liegt, wenn wir in Zukunft glauben, so weitermachen zu müssen wie bisher. Was ich damit sagen will, ist, dass wir uns auf die Zukunft einstellen müssen und das auch können. Dass wir aber dringend vermeiden sollten, uns der allgemeinen Digitalisierungspanik anzuschließen. Wir werden den Anschluss sicher nicht verpassen, wenn wir nicht heute noch alles durchdigitalisieren. Deutschland wird 106

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nicht abgehängt werden im internationalen Wettbewerb (jedenfalls nicht durch unsere Vorbilder im Silicon Valley). Wir werden nicht alle durch Roboter ersetzt und sehen auch künftig in der Beziehung von Mensch zu Mensch die Königsdisziplin unserer Erfahrungen. Das zumindest scheint mir klar. Klar scheint zudem, dass die Tech­ nologisierung viele Dinge möglich macht, die bisher unmöglich schienen. Darauf sollten wir uns einstellen, die oben erwähnte Haltung und Bereitschaft zur Veränderung annehmen. Wir brauchen Freiräume für Innovation und zwar im Kopf und im Unternehmen. Neugierde statt Angst, Fortschritt statt Rückschritt, Offenheit und Dialog statt Rückzug und Schmollwinkel. Also: Gründergeist. Die große Chance

Wann könnte uns dieser geistige Haltungswechsel besser gelingen als während der Übergabe des Unternehmens, wenn die Zeichen sowieso auf Veränderung stehen? Der Zeitpunkt ist ideal. Nie wieder wird es so eine Veränderungs-Power geben wie in der Phase der Nachfolge. Die bereits erwähnte Studienreihe »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«66 ermittelte im Jahr 2015, dass die Zeit des Generationsübergangs von der Nachfolgergeneration positiv bewertet wird. Diese Phase der Zusammenarbeit beider Generationen birgt für die Befragten – trotz aller damit verbundenen Herausforderungen und Konflikte – große Chancen für Veränderung, kann als Katalysator für Neuerungen wirken. Wenn das so ist, wenn wir in der Nachfolgephase die Weichen für die Zukunft stellen können, dann brauchen wir zweierlei: Wollen und Wissen. Das Wollen bezieht sich vor allem auf die Übergeber: Sie dürfen zu der Einsicht gelangen, dass ein für sie erfolgreiches Vorgehen nicht auch für die kommende Generation und die kommenden Herausforderungen passen muss. Sie dürfen verstehen, dass im Jetzt andere Fähigkeiten zählen, als zu ihrer Zeit als Gründer oder Übernehmer. Und sie dürfen zulassen, dass ihre Rolle im Unternehmen eine andere wird. Es gibt zwei wesentliche Wünsche von Nachfolgern an ihre Vorgänger: unterstützen und loslassen – auch das zeigt die Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«. Was braucht die Firma in der Zukunft?

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Quelle 67: nach Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«, Zeppelin ­Universität, 2015

Und neben dem Wollen dann das Wissen. Das dürfen vielleicht die jungen Nachfolger in Form von Impulsen einbringen und mit den Übergebern teilen. Bringt die Nachfolgergeneration dieses Wissen mit? Ich bin unsicher. Aus eigener Erfahrung sage ich, dass die Perspektiven auf den Wandel so vielfältig und umfangreich sind, dass es gar nicht gelingen kann, alles zu überblicken. Es ist so, wie Søren Kierkegaard sagt: »Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.« Wir wissen einfach nicht, was kommt. Wissen ist in diesem Zusammenhang also nicht als Faktenwissen zu verstehen, sondern eher als Methodenwissen: Wie gelange ich trotz dieser Unsicherheit zu einer Vision für die Unternehmenszukunft? Was ist das eigentlich: eine Vision?

Das Wort ist schon so oft gefallen und gehört zur bereits beschrie­ benen Kategorie der »Flutschworte«: gern verwendet, klingt wichtig und jeder meint etwas anderes damit. Für mich ist eine Vision gleichzeitig Ziel und Weg. Der Managementberater Jim Collins sagt: »Die Unternehmensvision besteht darin, dass man an den Werten in der Unternehmung festhält, jedoch die Strategien und Ziele flexibel bleiben lässt.«68 Ich würde es ein bisschen anders formulieren: Ich kann eine Vision nur dann entwickeln, wenn ich die Wertebasis 108

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verstanden habe. Sie ist das Fundament, auf dem ich Ziele und Strategien (als Wege zum Ziel) bündele, um schließlich meine Vision zu erfüllen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Wandlungsfähigkeit der kommenden Epoche gehört zur Vision auch die Fähigkeit, auf der Wegstrecke immer wieder innezuhalten, sich und seine Weggefährten regelmäßig zu fragen: Sind wir noch auf dem richtigen Weg oder müssen wir hier rechts abbiegen, weil das Ziel oder die Route sich verändert hat? Ihr Navi macht es vor: »Die Route wurde aufgrund der aktuellen Verkehrslage geändert.« Eine Vision ist eine vom Jetzt aus gedachte zukünftige Wirklichkeit. Sie schweißt die Weggefährten (Familie und Mitarbeiter) zusammen. Antoine de Saint-Exupéry sagte es so: »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann rufe nicht die Menschen zusammen, um Holz zu sammeln, Aufgaben zu verteilen und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer.« Über ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Sehnsucht oder eine Hoffnung können wir uns mit einer Vision identifizieren. Wohlgemerkt: Ich spreche hier nicht von den schicken »vision/mission statements«, die Marketingabteilungen oder überteuerte Agenturen jedes Jahr neu formulieren. Ich spreche davon, gemeinsam die Nachfolgephase klug zu nutzen, um Bestehendes zu hinterfragen und auf Basis des Jetzt eine Idee für die Zukunft zu entwickeln. Dafür gibt es drei Anknüpfungspunkte: 1. Den Ausgangspunkt. Das Jetzt. Gönnen Sie sich eine besonnene Einschätzung des Istzustands der Firma. Wie steht es um Produkte, Dienstleistungen, Kunden, Modernität, Wettbewerbsfähigkeit, Innovationsvermögen, Mitarbeiterpotenzial, Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt, materielle und immaterielle Werte etc.? Investieren Sie sehr viel Zeit und vielleicht ein bisschen Geld in die Einschätzung des Istzustands. Nur wenn Sie den momentanen Standort genau kennen, können Sie herausfinden, wie Sie von dort zum Ziel gelangen. 2. Das Umfeld. Was können Sie über Veränderungspotenziale sagen und erfahren? Was wissen Sie über die Chancen und Gefahren von Digitalisierung, Disruption, demografischem Wandel, Globa­ lisierung und so weiter? Wie werden diese das Unternehmen, ausgehend von seiner jetzigen Situation, beeinflussen – wie den Markt, die Branche, die Kunden, die Region? Wenn Sie darauf Was braucht die Firma in der Zukunft?

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Antworten geben könnten, zu welchen Veränderungen laden diese Antworten jetzt ein? 3. Die Struktur. Hier geht es um die besagten Freiräume für Kopf und Unternehmen. Wie muss sich Ihre Organisationsstruktur ändern, um mit Unsicherheit umgehen zu können und die Fähigkeit zu erwerben, den Weg zum Ziel immer wieder anpassen zu können? Wie müssen sich Hierarchien ändern, wie etablieren Sie Lernprozesse, was muss passieren, damit Eigenverantwortung gelingen kann – auf allen Ebenen? Ich rate dazu, diese Fragen mit genügend Zeit und im größtmög­ lichen Rahmen anzugehen. Binden Sie so viele Mitarbeiter und Fa­­ milienmitglieder wie möglich ein. Aus dem gemeinsamen Erarbei­ten entsteht ein Konsens, den später alle gemeinsam tragen können. Keiner kann sich herausreden à la »Das habe ich nicht mitentschieden«. Sie schaffen mit dieser Vorgehensweise ein kollektives Fundament und nutzen gleichzeitig die Schwarmintelligenz einer Gruppe von Menschen, die alle dem Unternehmen verbunden sind. (Damit legen Sie gleichzeitig den Grundstein für eine neue Entscheidungskultur, in der das »Wir« zählt und nicht mehr das »Ich«. Aber das nur am Rande.) Das große Ganze

Alle diese Schritte sind essenziell, der letzte (strukturelle) gewinnt durch neue Technologien und ihre Möglichkeiten immens an Bedeutung. Um im Hinblick auf die Digitalisierung nicht im »Kleinklein« zu versinken und nur die 2.0 mit einer 4.0 zu übermalen, kann es erforderlich sein, eher strukturell zu agieren als sich sofort im Digitalisierungstaumel auf neue Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsübernahmen oder technologische Investitionen zu stürzen. Freiraum für Innovation kann vor allem dann entstehen, wenn zunächst die Abläufe in Organisation und Kommunikation – innen wie außen – angepasst werden, um Raum für einen innovativen Geist und Eigenverantwortung zu schaffen. Wie genau das aussehen kann, schauen wir uns in Kapitel 5 an. Diese Grundanforderungen an eine Übergabephase scheinen  – zumindest laut der zuletzt zitierten Generationswechselstudie von 2015 – viele Nachfolger 110

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v­ erstanden zu haben. Der Wunsch, neue Organisationsstrukturen zu schaffen, steht bei ihnen ganz oben, gleichwertig neben der Etablierung neuer Prozesse.69

Quelle 70: nach Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«, Zeppelin U ­ niversität und FIF, 2015 Was braucht die Firma in der Zukunft?

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Alles neu macht …

Neue Prozesse, neue Strukturen, neue Geschäftsfelder, neue Produkte und Dienstleistungen. Über 70 Prozent der Studienteilnehmer sehen Handlungsbedarf auf allen Ebenen.71 Neue Besen kehren gut? »Lass die erst mal in der Realität ankommen«, mögen Sie sagen. Das mag sein, dennoch scheinen die Befragten auch nicht blind in einen Innovationsrausch zu verfallen. So geben sie durchaus realistisch Investitionshürden an und die Schwierigkeit, geeignete Mitarbeiter zu finden. Oder wird damit eher schon mal die Entschuldigung vorweggenommen, falls die Innovationsbemühungen sich in Luft auflösen? Papier ist geduldig und letztlich ist es wie so oft im Leben – es gibt unendlich viele Wege nach Rom und für jedes Unternehmen, für jeden Nachfolger gibt es einen anderen. Daher können Studien oder kluge Bücher (wie das, in dem Sie gerade lesen) Ihnen und Ihrem Nachfolger die Arbeit nicht abnehmen. Es ist ein wahrhaft weites Feld, das sich Ihnen eröffnet, alles hängt mit allem zusammen und alles läuft auf eine Frage hinaus: Was braucht Ihre Firma in der Zukunft? Vom Allgemeinen …

Die Unternehmensberatung »Bain & Company« fasst in ihrer Studie »The Firm of the Future« zusammen, wie man sich die Zukunft vorstellt: »Das Unternehmen der Zukunft ist sehr schlank, weitgehend selbstorganisiert und stark vernetzt mit anderen Firmen. Neben seinem aktuellen Geschäftsmodell entwickelt es parallel ein zweites oder drittes für die Zukunft.«72 Um das zu können, benötigen wir in den Firmen ein langfristiges Denken, das auf einer sehr flexiblen Organisationsstruktur basiert. Also im Klartext: erstens die Analyse und Planung des Vermögens und zweitens die Fähigkeit, Umweltfaktoren und ihren Einfluss sensibel zu erkennen, um dann drittens sofort und flexibel auf diese Faktoren reagieren zu können. Stichwort Agilität oder, besser noch, Stichwort Adenauer: »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?« Bei »Bain & Company« sieht man einen Epochen- oder Paradigmenwechsel auf uns zukommen, allerdings nicht den ersten. Seit 112

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der industriellen Revolution hat unsere Weltwirtschaft schon einige Epochen durchgemacht und gerade befinden wir uns in der Ära des Shareholder-Value. Das wird sich bald ändern, prophezeit man, und diese Veränderung ist wichtig für Familienunternehmen.73 Die mit der alleinigen Orientierung an den monetären Wünschen der Aktionäre oder Gesellschafter einhergehenden gewinnorientierten und kurzfristigen Handlungsoptionen der Unternehmen stehen dem Wunsch der neuen Unternehmer- und Mitarbeitergeneration gegenüber, die Sinn und Werte vor Profit stellt.74 Und da Talente und Ideen (Stichwort Fachkräftemangel) wichtiger werden als Kapital (ist zurzeit billig), werden Unternehmen sich zukünftig eher nach den Wünschen der (kostbaren) Mitarbeiter als nach denen der (austauschbaren) Kapitalgeber ausrichten müssen. Et voilà – da haben wir sie: die neue digitale Epoche der Menschlichkeit. Jack Ma, Chairman der Alibaba Group, hat diesen Schritt für sich schon vollzogen: »Custo­mers are No. 1, employees are No. 2, and shareholders are No. 3.«  … zum Besonderen: Vision und Person

Diese Vision von »Bain & Company« ist eine von vielen Möglichkeiten. Es ist eine Idee, eine Tendenz, ein Szenario. Aber wie steht es nun um Ihre Firma? Was hilft es Ihnen, sich mit Studien zu beschäftigen und zu lesen, was kluge oder auch weniger kluge Menschen über die Zukunft denken? Sie wollen keine Gedankenmodelle von rechts nach links schieben, sondern konkrete Schritte ergreifen, um das Unternehmen für die Nachfolge vorzubereiten, Werte zu sichern und das Feuer weiterzugeben. Vielleicht sind Sie noch gar nicht sicher, welcher Nachfolger der richtige sein könnte oder welcher Weg zur Nachfolge für Ihren Betrieb der beste ist? Können Ihre Kinder die Unternehmensführung überhaupt und – wenn es mehrere Kinder sind – welches davon ist dafür wohl am besten geeignet? Anders gefragt: Welche Führungspersönlichkeit benötigt Ihr Unternehmen in Zukunft? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ganz andere, als Sie es sind und waren. Ihre Fähigkeiten und Ihr Führungsstil haben das Unternehmen erfolgreich gemacht und ein Nachfolger bringt jetzt das mit, was auf die oben beschriebenen Was braucht die Firma in der Zukunft?

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zukünftigen Herausforderungen am besten passt. Um es ganz deutlich zu sagen: Wer seine Unersetzbarkeit in den Vordergrund stellt, wer auf normierte Mitarbeiter, die lediglich Anweisungen ausführen, setzt und wer im Wandel eine Gefahr sieht, der wäre für die Zukunft des Unternehmens ein Klotz am Bein. Führung wandelt sich, wird mehr zum Serviceangebot als zur Machtposition. Zukunftsfähigkeit benötigt Freiheit und daher Chefs, die mit sich selbst so weit im Reinen sind, dass sie ihren Mitarbeitern den Vortritt lassen. Wer Freiraum für Innovationen nicht nur als Schlagwort etablieren will, muss ein echter Chef sein – keine Fachkraft mit Kontrollfunktion, sondern ein Vormacher, Ermutiger und Mitdenker. Und an dieser Stelle aus besonderem Anlass die Anmerkung, dass wir zwar immer grundsätzlich von »er« sprechen, die hier geforderten Eigenschaften aber eine weibliche Nachfolge mitunter die bessere Option darstellt. Wie sieht nun der »Perfect Match« in der Nachfolge aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Unternehmensberatung KPMG in einem Whitepaper.75 Studienautorin Dr. Ursula Koners vom Friedrichs­hafener Institut für Familienunternehmen (FIF) bestätigt an­­hand der Studienergebnisse, dass bei Entscheidungen über die Nachfolge das Anforderungsprofil der jeweiligen Kandidaten eine wesentliche Rolle spielt. Sie stellt die Frage, welche Faktoren die Entwicklung unternehmerischer Kompetenz begünstigen. Ist es ein bestimmtes Unternehmergen oder etwa die Prägung durch das unternehmerische Umfeld, in dem man aufwächst? Welche dieser Fähigkeiten entwickeln sich im Laufe der Zeit durch Learning by Doing, welche kann man durch eine gezielte Ausbildung fördern? Koners bestätigt, dass die benötigte unternehmerische Kompetenz vor allem von der Lebensphase des Betriebs abhängt, und stellt genau wie wir die Frage nach dem »Jetzt« als Standortbestimmung für die Zukunft in den Vordergrund. Des Weiteren betont sie den hohen Wert der persönlichen Einstellung und die Unabdingbarkeit lebenslangen Lernens für unternehmerische Führungspersönlichkeiten. Abschließend weist sie darauf hin, dass die universitäre Lehre Nachfolger bestens auf die Übernahme vorbereitet (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt).

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Die »neue« Führung

Ihr Nachfolger hat vor der Übernahme über den Tellerrand geguckt. Er hat studiert, vielleicht Auslandssemester absolviert und bestenfalls in verschiedenen Unternehmen hospitiert. Er hat einen 360-GradBlick auf die Welt und kann kommende Chancen und Risiken bestens einschätzen. Er ist – sagen wir es ehrlich – Ihnen in vielen Dingen weit überlegen. Diese Pille müssen Sie schlucken, denn es ist die Pille, die garantiert, dass das Firmenfeuer weiterbrennt. Umgekehrt sollte ein Nachfolger Ihr Erfahrungswissen, Ihr Verständnis des »Warum« sowie den Unternehmenssinn und die daraus abgeleiteten Werte verstehen bzw. übernehmen wollen. Nachfolge geschieht auf Augenhöhe, anders geht es nicht. Diese Herangehensweise kann gerade in Familienunternehmen eine Herausforderung werden. Kritikfähigkeit und Fehlerkultur werden durch die kollidierenden Systeme von Familie, Unternehmen und Eigentum erschwert. Nach außen hin zählt die Einheit: Wir sind eine Familie! Wie es innen aussieht, bestimmt im Wesentlichen der Familien- und Unternehmenslenker. Wenn traditionelle Entscheidungsstrukturen vorherrschen und eine gesunde Konfliktkultur weder in der Familie noch in der Firma (das eine bedingt das andere) vorhanden ist, dann wird der Weg der Nachfolge steinig. Letztlich liegt es an Ihnen als Übergeber, die innere Größe und Gelassenheit zu entwickeln, um einem Nachfolger aus vollem Herzen die Bühne zu überlassen. Können Sie das? Ich glaube schon. Und dann wird alles möglich! Wer kann die Firma in die Zukunft führen? Wenn Sie Ihre Vision für eine Unternehmenszukunft bestimmt haben, werden Sie auf jeden Fall klarer sehen. Denn aus ihr lässt sich ein Anforderungsprofil für Ihre Nachfolge ableiten. Es wird nicht Dolly sein, so viel ist klar. Letztendlich gibt es eine Fülle von Lösungen, verschiedenste Nachfolgeszenarien: interne, externe oder sogar Mischformen. Mit einer Zukunftsvision in petto können wir uns im Folgenden diese Lösungsmöglichkeiten genauer anschauen und sie auf Tauglichkeit für Ihre spezielle Situa­ tion überprüfen.

Was braucht die Firma in der Zukunft?

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3

  Fülle der Lösungen

Über Bedürfnisse, unlustige Nachfolger, 100 Wörter für Schnee und deutlich mehr Arten, eine Nachfolge zu sichern Theorie ist immer einfach. Sie stellen sich die Frage nach Ihren Bedürf­ nissen und denen der Firma. Darauf abgestimmt, entwickeln Sie mögliche Optionen für die Nachfolgesicherung, wählen die beste Lösung aus – und schon rollen Sie mit Ihrer Harley auf der Route 66 Richtung Sonnenuntergang. Theoretisch. Die Krux an der Sache ist die Praxis: Sie müssen nicht nur eine Nachfolgevision für Ihren Betrieb finden, Sie müssen auch einen Nachfolger finden, der sich diesen ans Bein binden will. Jemanden, der das Eigentum am Unternehmen übernimmt und bereit ist, dauerhaft das damit verbundene finanzielle und unternehmerische Risiko zu tragen. Vielleicht machen sich deshalb nur 23 Prozent der in der Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration« Befragten die (von mir klar geforderte) Mühe, die Kriterien und Ansprüche an eine Vision und einen Nachfolger zu definieren? Nach dem Motto: »Ich muss ja eh nehmen, was kommt.« So wie Lieschen Müller nicht von Brad Pitt träumt, auch wenn er perfekt zu ihr passen würde … Nehmen, was kommt?

Besonders attraktiv scheint die Nachfolge für die junge Generation nicht zu sein. Das zumindest ist das Ergebnis einer Untersuchung der Universität St. Gallen in Kooperation mit dem Beratungsunternehmen Ernst & Young.76 Bei der Befragung von weltweit mehr als 34.000 Studenten, die aus einer Unternehmerfamilie stammen, stellte man fest, dass nur circa sieben Prozent das Familienunternehmen übernehmen wollen – in Deutschland sind es sogar nur vier Prozent.*2  * Andererseits zeigt die Studie der Stiftung Familienunternehmen »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«, auf die hier im Buch öfter verwiesen

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Fülle der Lösungen

Quelle 77: nach Studie »Deutschlands nächste Unternehmergeneration«, Zeppelin U ­ niversität und FIF, 2015

wird, dass 83 Prozent der Befragten eine hohe Verpflichtung fühlen, das Familienunternehmen zu übernehmen, und eine ähnlich hohe Zahl plant das auch. (Ich gehe weiter unten näher darauf ein.) Hier haben wir also eine hohe Motivation, die den Ergebnissen der St. Gallener Studie zu widersprechen scheint. Der Widerspruch erklärt sich vielleicht durch das Studien-Setting, denn für die Stiftung Familienunternehmen wurden nur 350 Nachfolger befragt, und zwar freiwillig – wer sich also als Nachfolger sah, der konnte antworten (so zumindest interpretiere ich das Setting). Fülle der Lösungen

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Karrierevorstellungen nach dem Studium 15.5

Mitarbeiter

6.9 64.5 13.1

Gründer Nachfolger Andere

Quelle 78: nach Studie EY/Universität St. Gallen »Coming home or breaking free«, 2011, S. 6 Quelle78: nach Studie EY/Universität St. Gallen "Coming home or breaking free", 2011, S. 6

Der Unternehmergeist fehlt den Befragten nicht – sehr viele möchten sich unternehmerisch ausleben und ein Unternehmen gründen. Was scheinbar oft fehlt, ist die Begeisterung für den elterlichen Betrieb. Auch die Angebote des Arbeitsmarkts reizen, wahrscheinlich verbunden mit einem Gesamtpaket von weniger Risiko und mehr Chancen: Über 60 Prozent der befragten Unternehmerkinder wollen direkt nach dem Studium lieber Angestellte werden. Was bleibt den Eltern übrig? Was machen sie mit dem Unternehmen, in das sie jahrzehntelang Ideen, Geld und Leidenschaft gesteckt haben? Aufgeben oder nehmen, was kommt, also familienfremde Nachfolger oder Investoren suchen? Nicht unbedingt. Es scheint mir sehr wichtig, an dieser Stelle einzuhaken und meine Erfahrung weiterzugeben: Es gibt eine große Fülle von Möglichkeiten, aus denen sich hinsichtlich der Unternehmensübergabe schöpfen lässt. Und diese Optionen ermöglichen es, die Übergabe individuell zu konstruieren. Dann entspricht sie nicht nur Ihren Bedürfnissen als Übergeber, nicht nur der Zukunftsvision des Unternehmens, sondern auch den Bedürfnissen und Fähigkeiten potenzieller familiärer Nachfolger. Wenn so viele der Befragten Lust auf Unternehmertum und Gründergeist in sich tragen und so wenige das familieneigene Unternehmen weiterführen möchten, liegt das meiner Meinung nach vor allem an einem: dem betonierten Standpunkt, wie eine solche Nachfolge auszusehen hat. Und daran, dass in dieser Betonidee kein Platz für die Vorstellungen, Kompetenzen und Visio118

Fülle der Lösungen

nen der Jungen ist. Sie entsprechen nicht der Devise: »Alles muss so bleiben, wie es ist. Papa und Mama haben es vorgemacht und so geht es weiter.« Also gründen sie selbst. Stabilität und Kontinuität sind schöne und durchaus positiv besetzte Worte. Aber sie sind fehl am Platz, wenn sie den Gründergeist der jungen Generation ausbremsen. Wie und dass es anders gehen kann, habe ich in meinen Bera­ tungen schon oft erfahren. Zum Beispiel vor einigen Jahren in Hamburg, als sich Vater und Sohn ratsuchend an mich wandten, um zu verhindern, dass die Übergabe scheitert. Der Status quo war sehr unklar, es gab viele Unsicherheiten und wenige Perspektiven im Nachfolgeprozess. Woran lag es? Das wussten beide nicht. Eigentlich war der Sohn am Unternehmen interessiert, der technische Part, das Business selbst, faszinierte ihn als studierten Informatiker sogar sehr. Er beschäftigte sich viel mit der Technik, hatte einige Vorschläge, wie man die Geschäftsidee für die Zukunft weiterdenken könnte. Trotzdem war er sehr unsicher, ob er wirklich übernehmen sollte, und das wiederum konnte der Vater nicht verstehen. Er war verletzt durch diese scheinbare Wankelmütigkeit des Sohnes. Woher der Wankelmut? In unseren Gesprächen stellte sich he­ raus, dass der Sohn unbewusst annahm, eine Übernahme seinerseits würde erfordern, dass er die Rolle des Vaters im Unternehmen vollständig abbilden müsse. Das konnte und wollte er nicht, denn ein Schwerpunkt der väterlichen Tätigkeit lag im Vertrieb. Er war der Verkäufer im Unternehmen, reiste viel umher, betreute und besuchte die großen Kunden alle selbst. Davon hatte er, solange der Sohn sich erinnern konnte, viel und gern erzählt. Was dem Vater anscheinend sehr lag, war für den Sohn gar nicht vorstellbar: Als eher introvertierter Techniker konnte er dieses permanente Kontakteknüpfen und -halten, die Reisetätigkeit und das »ständige Gerede« überhaupt nicht mit seinen Fähigkeiten und Vorlieben vereinbaren. Das war nicht sein Ding und deswegen (ver-)zweifelte er an der ganzen Nachfolge. Wie einfach etwas zu lösen ist, wenn die Beteiligten das Problem erkannt haben! Gemeinsam haben wir nur eine einzelne Sichtweise geändert. Wir haben »Du musst es machen wie Vater« abgewandelt in »Du bist dafür verantwortlich, mit genau deinen Fähigkeiten das Unternehmen zukunftsfähig zu machen«. Der Sohn stellte fest, dass er durch sein Studium, seine Ideen und seine Erfahrung viel besser Fülle der Lösungen

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zur Zukunft des Unternehmens passt als der Vater. Was der Vater als Vertriebler aufgebaut hat, kann der Sohn als begnadeter Techniker sicher in die digitale Zukunft führen. Ein erfahrener Salesmanager im Team kann wiederum die vertriebliche Seite perfekt abdecken. Und der Vater? Sah in dieser Lösung überhaupt kein Problem. Oft verfallen wir dem Glauben, wir müssten alles sein: Unternehmer, Eigentümer, Manager und Fachkraft in allen wichtigen Bereichen – Entwicklung, Produktion, Personal, Finanzen, Marke­ ting und Vertrieb. Aber der Sohn in unserem Beispiel muss nur eines: Unternehmer sein. Als Unternehmer arbeitet er an der Weiterentwicklung des Unternehmens, macht es wertvoller. Auf seine Art, denn es ist nach der Übernahme sein Unternehmen. Und wenn ihm der technische Aspekt mehr liegt, prima. Dann stellt er eine Fachkraft oder einen Manager ein, der die verkäuferischen Aufgaben des Vaters professionell und mit Lust übernimmt. Denn darum geht es doch, Dinge mit Lust zu machen. Nur dann werden sie meiner Meinung nach gut. Die Begeisterung, der Unternehmergeist, das »Warum« – also die Faktoren, die für den Erfolg und das Firmenfeuer zuständig sind – entstehen nie aus Pflichtgefühl, sondern einzig und allein aus der Lust am Tun. Im Nachhinein sagen Vater und Sohn: »Unser Mut hat sich ausgezahlt.« Das Unternehmen wächst, der Sohn fühlt sich wohl und der Vater schaut kaum noch vorbei. Er hat ein neues Feuer, also einen neuen Fokus für sein Leben gefunden. Drei Learnings möchte ich Ihnen aus diesem Beispiel mitgeben: 1. Oft reicht ein Perspektivwechsel aus, um statt einer Wand wieder einen Weg zu sehen. 2. Wenn Unsicherheit und Reibung in der Nachfolge vorherrschen, ist meistens das eigentliche Problem noch nicht erkannt. Es lauert die ganze Zeit unter dem Tisch. Erst muss es auf den Tisch gebracht werden, alle müssen es erkennen. Dann kann es weitergehen. 3. Begrenzen Sie nicht die Fülle von Lösungen durch die Vorstel­ lung, die Zukunft der Firma müsste ein Abbild der Vergangenheit sein. Wenn Sie eine Vision für die unternehmerische Zukunft haben und einen Nachfolger, der Interesse an dieser Vision hat, dann gibt es unzählige Organisationsformen, die eine Nachfolge möglich machen. Ob es rechtliche, steuerliche oder strukturelle Fragen sind – die Vielfalt möglicher Lösungen ist üppig. 120

Fülle der Lösungen

Sehen Sie, wie schnell und gründlich eine veränderte Denkweise Barrieren einreißen kann? Auch wenn ich sonst kein Freund der Denkweise »Wenn das alle machen würden« bin, möchte ich sie an dieser Stelle dennoch einmal verwenden: Ich glaube, wenn sich alle Familienunternehmen gründlich, tolerant und ergebnisoffen mit den Bedürfnissen • des Unternehmers, • des Betriebs, • des/der potenziellen Nachfolger/-s auseinandersetzen würden, dann könnte die St.-Gallen-Studie in einigen Jahren zu ganz anderen Ergebnissen führen. Denn in der jungen Generation schlummert ein großes Potenzial an Gründergeist, das es zu entflammen gilt, indem wir den Bedürfnissen der Nachfolgegeneration Raum geben, ohne unsere eigenen zu vernachlässigen. Was sind eigentlich Bedürfnisse?

Unser gesamtes Handeln wird von Bedürfnissen gesteuert, auch wenn uns das meistens nicht bewusst ist. Ein Bedürfnis entsteht primär aus dem Empfinden eines Mangels und unserem Wunsch, diesen Mangel zu beheben. Dabei ist es unerheblich, ob der Mangel nur subjektiv empfunden wird oder objektiv vorhanden ist. Unser Gehirn macht da keinen Unterschied – es stellt einen Mangel fest und findet im reichen Baukasten der gemachten Erfahrungen eine Strategie, diesen Mangel auszugleichen. Nehmen wir hier als Beispiel den Wunsch nach Ruhe, der mit den Strategien Rückzug, Schlaf oder (wirklich!) Fernsehen beantwor­ tet werden kann. Oder den Wunsch nach Kommunikation, dem Menschen mit persönlichem Austausch, Telefonaten, WhatsApp-­ Schreiben oder Streiten nachkommen. An diesen Beispielen erken­ nen wir zum einen, dass Strategien zur Bedürfniserfüllung nicht immer zielführend sind. Zum anderen beginnen wir zu ahnen, dass diese verschiedenen Strategien eine sprudelnde Quelle von Konflikten sind. Obwohl in einer Partnerschaft beide das gleiche Bedürfnis nach Kommunikation haben könnten, haben sie wahrscheinlich Fülle der Lösungen

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unterschiedliche Strategien gelernt. Das Ergebnis: Spannungen, Stänkereien und Scharmützel. Deswegen ist es wichtig, sich nicht anzuschauen, was jemand will, sondern welches Bedürfnis, welcher Mangel hinter einem »Ich will aber fernsehen!« stecken könnte. In einem typischen, in der Mediation gern zitierten Beispiel geht es um zwei Schwestern, die gern dieselbe Orange haben möchten. Die Mutter schneidet sie daraufhin durch und gibt jeder Tochter eine Hälfte. Eine der Schwestern hat es auf den Saft abgesehen und entsorgt die Schale, die andere bäckt mit der Schale einen Kuchen und wirft das Fruchtfleisch weg. Beide »wollten« folglich zwar die Orange, hatten aber ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Hätten sie diese formuliert (»Ich möchte Orangensaft« und »Ich möchte einen Kuchen backen«), dann hätte eine einfache Konfliktlösung auf der Hand gelegen. In der Praxis ist es nicht immer so leicht, dennoch zeigt das Beispiel sehr anschaulich, wie einfach die Konfliktlösung sein kann, wenn Bedürfnisse formuliert werden. Wenn ich mir in der Beratung Konflikte anschaue und versuche, Bedürfnisse zu erkennen, dann ist mir eine Feststellung sehr wichtig: Es gibt keine guten oder schlechten Bedürfnisse und es ist unerheblich, ob der Mangel subjektiv empfun­den wird oder objektiv feststellbar ist. Sobald ein Mangel da ist, wird er als Bedürfnis unsere Gefühle beeinflussen. Befreit oder bedrückt?

Sie werden sich vorstellen können, dass aus unerfüllten Bedürfnis­ sen keine angenehmen Gefühle entstehen. »Abgeneigt, bedrückt, erregt, finster, verspannt, verstört, zerrissen u. a.« beschreibt alles Gefühle, die aus unerfüllten Bedürfnissen heraus entstehen. Dagegen fühlt sich jemand, der im Zustand erfüllter Bedürfnisse leben darf, »befreit, friedlich, gebannt, kraftvoll, vergnügt oder warmherzig«. Welche Bedürfnisse stehen nun hinter diesen vielfältigen Gefüh­ len? Die dringlichsten Bedürfnisse sind grundlegender Art, zum Beispiel das Bedürfnis nach Nahrung und Schlaf. Auch die existenzielle Sicherheit durch Wohnraum und Einkommen ist ein Grundbedürfnis. Mit seiner Bedürfnispyramide zeigt Abraham Maslow, dass die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse Voraussetzung dafür ist, dass weitere – »höhere« – Bedürfnisse Raum gewinnen, wie 122

Fülle der Lösungen

zum Beispiel soziale Bedürfnisse nach Partnerschaft oder Freundschaft. Je höher wir in seiner Bedürfnishierarchie steigen, desto weniger wird die Bedürfniserfüllung, laut Maslow, als Ausgleich eines existenziellen Mangels erlebt. Sie wird im Gegenteil als Wachstum erfahren, wie bei den Bedürfnissen nach Anerkennung oder Selbstverwirklichung. Werden also die Mangelempfindungen im Anstieg der Hierarchie immer subjektiver? Ist ein Mangel an An­­ erkennung etwa kein »echter« Mangel? Hier steige ich aus und neuere Erkenntnisse zur Grundmotivation des Menschen haben die Sicht auf die Bedürfnisse dementsprechend erweitert. Prof. Dr. Joachim Bauer drückt es so aus: »Die Grundmotivationen des Menschen sind auf soziale Akzeptanz ausgerichtet. Aggression und das von ihr verursachte ›Böse‹ wird vor allem dann aktiviert, wenn Menschen das verwehrt wird, was die Motivationssysteme aktiviert und ›angenehmes Empfinden‹ nach sich zieht: Anerkennung und Wertschätzung.« Im Hinblick auf die »moderne« Welt malt er ein trübes Bild: »Da Letztere in einer Welt der knappen materiellen Ressourcen – wegen der resultierenden verschärften zwischenmenschlichen Konkurrenz – ein zunehmend knappes Gut sein werden, wird das Potenzial zwischenmenschlicher Aggression künftig eher zu- als abnehmen.«79 Werden unsere Bedürfnisse nicht erfüllt, werden wir ­aggressiv. Und zwar – das ist wichtig – unabhängig davon, ob wir unsere Bedürfnisse erkannt haben oder nicht. Übrigens hat Maslow seine Pyramide schlussendlich um eine sechste Stufe ergänzt: die Sinnerfüllung oder Transzendenz. Ausgehend von der Kritik, dass seine Bedürfnishierarchie zu sehr an der westlichen Wertewelt orientiert war, und wohl auch aus eigener Erfahrung heraus, schaffte er damit Platz für Menschen, die sich im Übermaß selbst verwirklichen konnten und nun fragen, ob das schon alles im Leben gewesen ist. Für Menschen, die etwas hinterlassen wollen, das über die Anhäufung von Macht oder Wohlstand oder Ego hinausgeht. Das klingt zu esoterisch für Sie? Maslow selbst sagt, dass diese Pyramide nur ein Hilfsmittel ist und nicht absolut gesehen werden sollte. Man kann sie also als Hilfe akzeptieren oder in der Luft zerreißen. Egal was Sie tun: Fragen Sie sich doch mal, welches Bedürfnis dahintersteht. Fülle der Lösungen

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Quelle: nach www.scribbr.de, 2019

Biete Firma – suche …?

Es ist nicht leicht, Bedürfnisse zu formulieren, aber es lohnt sich, dies immer wieder zu üben. Wer sich die Mühe macht, dem Dreiklang der Bedürfnisse (Übergeber, Firma, Nachfolger) zu folgen, wird mit der Zeit belohnt werden. Er erhält einen Masterplan, der Licht ins Dunkel der familiären Reibereien bringt. Gab es im Vorfeld diffuse Probleme und viel Unverständnis auf beiden Seiten, werden nun Sichtweisen deutlicher und Lösungen klarer: Lösungen für eine familiäre Nachfolge, für eine externe Nachfolge oder auch für eine Mischform. Wobei die familiäre Nachfolge die Königsdisziplin auf der Wunsch­­­­liste der Unternehmer bleibt. Im Rahmen einer Meta­analyse von 18 Studien schätzt das IfM Bonn, dass gut die Hälfte (53 Prozent) der Eigentümer das Unternehmen an die eigenen Kinder bzw. an andere Familienmitglieder übergeben (familieninterne Lösung). Etwa 18 Prozent der Inhaber übergeben das Unternehmen an Mitarbeiter (unternehmensinterne Lösung). Weitere 29 Prozent der Übertragungen erfolgen an externe Führungskräfte, andere Unternehmen oder andere Interessenten von außerhalb (unternehmensexterne Lösungen).80 124

Fülle der Lösungen

Quelle 81: nach IFM Bonn, Nachfolgestudie, 2017

Interessant – und aus dem anfangs dargestellten Sachverhalt auch erklärbar – ist, dass der Wunsch nach einer familiären Nachfolge öfter vorkommt, als die letztlich realisierte Nachfolgeform vermuten ließe. Mehr als zehn Prozent der Nachfolgewünsche bleiben genau das: Wünsche.82

Quelle 83: nach Studie BF/M »Unternehmensnachfolge in Bayern«, 2011

Somit müssen unweigerlich andere Nachfolgevarianten umgesetzt werden. Was ja nicht schlecht sein muss. Ich kenne viele Beispiele, Fülle der Lösungen

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in denen ein neuer Geschäftsführer nach dem Verkauf perfekt zum Zukunftswachstum des Unternehmens gepasst und den Familienzusammenhalt gesichert hat. Wesentlich dabei ist, sich alle Möglichkeiten unvoreingenommen, vorurteilsfrei und am besten gemeinsam mit den Kindern und/oder anderen Familienmitgliedern anzuschauen. 100 Wörter für Schnee

Man sagt, die Inuit hätten 100 verschiedene Wörter für Schnee. Ich sa­ge, es gibt sicherlich mehr als 100 verschiedene Möglichkeiten, eine Unternehmensnachfolge zu sichern. Es gibt eine Fülle von Lö­­sungen und viele Optionen, an die Sie vielleicht noch gar nicht ge­dacht haben. Grob unterteilt, gibt es zwei Linien der Nachfolgeregelung  – die familieninterne und die externe Unternehmensnachfolge –, wobei wir hier den Eigentumsaspekt ebenso betrachten wie den Leitungsgedanken.

Quelle: www.kern-unternehmensnachfolge.com

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Fülle der Lösungen

Auch wenn das Unternehmen im Eigentum der Familie bleibt, stellt sich die Frage, ob (ein oder mehrere) Gesellschafter aus dem familiären Umfeld die Führung übernehmen oder ob ein familienfremder Geschäftsführer die Zügel in die Hand bekommt. Das könnte durchaus ein Mitarbeiter sein, der vielleicht schon über einen längeren Zeitraum dem Unternehmen verbunden ist und beruflich gefördert wurde. Da derzeit (2019) Stimmen laut werden, die angesichts der angespannten Nachfolgesituation in Deutschland über eine finanzielle Förderung der unternehmensinternen Nachfolge nachdenken, hat das IfM Bonn ein Denkpapier zu diesem Thema veröffentlicht. Dort heißt es, dass die Übernahme durch Mitarbeiter nicht grundsätzlich die beste Wahl sei: »Unsere differenzierten Analysen machen deutlich, dass […] es sowohl auf Seiten der Übergeberinnen und Übergeber als auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Reihe von Gründen gibt, diese Nachfolgelösung nicht zu wählen. […] Nicht ohne Grund haben sich viele für eine abhängige Beschäftigung entschieden.«84 Die Kontraargumente des IfM Bonn beziehen sich in erster Linie auf die Unternehmensbewertung. Ein glatter Verkauf erzielt in der Regel bessere Preise, da konkurrierende Branchenunternehmen da­­ mit Wettbewerbsvorteile erzielen, ihr Wachstum beschleunigen und meist auch Zugang zu begehrtem Spezialwissen erhalten. Aus ökonomischer Sicht sollte diese Nachfolgeform daher die erste Wahl für alle Alteigentümer sein, befinden die Studienautoren. An anderer Stelle der Studie weisen sie allerdings (glücklicherweise) darauf hin, dass bei einem emotionalen Brocken wie der Unternehmensnach­ folge nicht unbedingt die ökonomischen Faktoren die entschei­ denden sein werden.85 Das glaube ich auch. Wenn wir – wie bisher in diesem Buch – von der Wahrung der unternehmerischen Werte und der Übergabe des Firmenfeuers an die Nachfolge reden, dann geht es uns nicht in erster Linie um Geldwerte, oder? Es geht vielmehr darum, jemanden zu finden, der unser »Warum« versteht und fortführt. Wer könnte das – neben den eigenen Kindern – besser als jemand, der dem Unternehmen schon lang loyal verbunden ist? Der die Kunden kennt, die Lieferanten, die Struktur? Ich halte daher eine Lösung, die Mitarbeiter einbezieht (einen, mehrere oder sogar alle Mitarbeiter) für eine sehr gute Alternative zur familienFülle der Lösungen

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internen Nachfolge. Und wenn das »Eigengewächs« aus der Familie nicht in die Geschäftsführung möchte, dann möchte es vielleicht als Käufer auftreten? Schwarmintelligenz

Im gesamten Nachfolgeprozess dürfen wir die Kompetenz und Erfahrung unserer Mitarbeiter nicht außer Acht lassen, egal, ob wir drei, 30 oder 300 Mitarbeiter mit unserem Firmenfeuer nähren: Sie alle sind ein Teil des Systems »Unternehmen«. Deswegen kann es eine gute Idee sein, einen Nachfolgeprozess, der mit einem oder mehreren Mitarbeitern begangen werden soll, auch bewusst mit einem, mehreren oder allen Mitarbeitern zu planen. Hier geht es um viel mehr als darum, eine Belegschaft »rechtzeitig« zu informieren oder ihr Einverständnis für eine Nachfolgelösung einzuholen. Viele Ihrer Mitarbeiter sind vielleicht genauso lange im Unternehmen wie Sie selbst. Sie haben Wissen und Er­­ fahrungen in Bereichen, in die Sie keinen Einblick haben. Wenn Sie deren Wissen und die Kompetenz aller Mitarbeiter in die Nachfolgeplanung einbeziehen, entstehen ganz neue Lösungen, auf die Sie, Ihre Familie oder auch externe Berater nie im Leben gekommen wären. Des Weiteren entsteht aus der Tatsache, dass Sie nicht für die Betroffenen, sondern mit ihnen entscheiden, eine verbindende Kraft, die den Erfolg jeder Nachfolgelösung vervielfacht. Ich warne allerdings davor, diese Schwarmintelligenz unbewusst und unbedacht einzusetzen, in einer zu frühen Phase der Nachfolge. Ist noch alles offen und die Entscheidung schwankt? Wer Mitarbeiter zu früh über eventuell Anstehendes informiert, löst Verunsicherung aus. Ich vergleiche das gern mit dem berüchtigten Hühnerhof, auf dem dann kein vernünftiges Arbeiten mehr möglich ist, weil die Gerüchteküche befeuert werden muss, viele sich Sorgen um den Job machen und gerade die erfolgreichen Mitarbeiter mit Multi-Job-­ Perspektive lieber das Weite suchen. Wer aber Schwarmintelligenz richtig und zum gegebenen Zeit­ punkt einsetzt, der profitiert. Der Sinn lässt sich in einem alten Werbespruch am besten formulieren: »Mittendrin, statt nur dabei.« Wenn Mitarbeiter eingebunden werden, übernehmen sie Verant­ 128

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wortung. Sie sind am Prozess beteiligt. Gemeinsame Entscheidungen werden solidarisch gefunden, getroffen und in der Konsequenz ge­­ meinsam getragen. Diese Herangehensweise schafft eine hohe Motivation bei allen Beteiligten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich rede nicht von der »Es ist alles gesagt, aber noch nicht von jedem«Demokratie, die wir so oft in Meetings vorfinden. Was ich meine, ist ein strukturiertes Besinnen auf das Wissen und die Fähigkeiten, die jeder Einzelne hat und einbringen möchte. Wenn wir Schwarmintelligenz nutzen, können wir die Komplexität einer Nachfolge bestens bewältigen und nach dem Prinzip »Zwei Fliegen mit einer Klappe« direkt einen Probelauf für die Zukunft starten. Als Voraussetzung für den Umgang mit Digitalisierung und Disruption können wir ausprobieren, wie eine größtmögliche Mitarbeiterbeteiligung das Unternehmen künftig besser auf Eigenverantwortung »tunen« könnte. So startet womöglich mit dem Prozess der Nachfolgelösung ein Prozess der Strukturveränderung, der sowohl die Komplexität der Übergabe als auch die Komplexität der zukünftigen Wirtschaft besser abbildet als aktuelle hierarchische Strukturen. In Kapitel 5 werden wir uns mögliche Unternehmensformen genauer anschauen, die uns zu einer 360-Grad-Perspektive auf das Unternehmen und sein Umfeld verhelfen. An dieser Stelle eine vorsichtige Warnung: Strukturwandel ist gut. Ein radikaler Umbruch der Struktur kann allerdings auch Weichen stellen, die den Interessentenkreis einschränken, wenn es schließlich doch auf eine externe Lösung hinausläuft. Die externen Lösungen

Wenn sich weder eine familien- noch eine unternehmensinterne Lösung findet, die das Eigentum sichert, dann wird verkauft. Und das geschieht vielleicht, wie beschrieben, per Management-Buy-out (MBO) an einen oder mehrere Mitarbeiter, verbunden mit den oben aufgezählten Vorteilen des sanften Übergangs. Durch diese Form des MBO oder den Verkauf an einen einzelnen unternehmensfremden Käufer (Management-Buy-in, MBI) wird frisches Blut für das Unternehmen generiert. Gerade ein externer Käufer, der vielleicht erstmals ein Unternehmen führt, wird neue Ideen, Fülle der Lösungen

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Innovationen, Kreativität und – auch nicht schlecht – frisches Geld mitbringen. Allerdings kann sich dieser frische Wind unangenehm mit dem Kulturschock eines neuen Führungsstils verbinden. Die Person, die das Unternehmen übernimmt, wird mit ihrer Persönlichkeit die Kultur und das Miteinander genauso prägen wie den unternehmerischen Fortschritt. Der Verkauf an Dritte ist erstaunlicherweise sogar eine Wunschvariante mancher Unternehmer. Der Vorteil für sie ist der klare emotionale Schnitt: »Ich unterschreibe hier. Jetzt bin ich raus.« Natürlich könnte man diesen Schritt auch im Rahmen einer familiären Übergabe rein emotional reflektieren und vollziehen, aber so sind wir Menschen nicht gestrickt. Die Leitplanke von außen macht den harten Schnitt verständlicherweise einfacher. Es ist dann halt so. Fertig. Zudem erscheint beim Verkauf an Dritte die oben durch das IfM empfohlene Variante des brancheninternen Verkaufs an den Wettbewerb, an einen strategischen Investor, durchaus reizvoll. Ne­­ ben den rein ökonomischen Vorteilen profitieren sowohl überneh­ mendes als auch übernommenes Unternehmen von einer klug gemachten Fusion. Synergien tauchen auf und können genutzt werden, weil aus 1 + 1 manchmal 3 wird. Beide Unternehmen werden am Markt besser bestehen und auch für die Mitarbeiter können neue Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten entstehen. Das funktioniert allerdings nur, wenn bei der Fusion akribisch bedacht wird, dass hier zwei verschiedene Strukturen und Kulturen zusammenwachsen müssen. Das braucht viel Vorarbeit, Feingefühl und Zeit. Leider alles Faktoren, die in unserer schnellen Zeit am wenigsten vorhanden sind. Wenn schon Milliardenunternehmen wie Daimler und Chrysler die Fusion vergeigen, wie soll es ein kleiner Mittelständler schaffen? Besser, denke ich, denn wir sind näher dran an den Mitarbeitern, und wenn wir ihnen zuhören, werden wir schneller verstehen, worauf es wirklich ankommt. All das würde ganz anders laufen, zöge man die Karte, das (größere) Unternehmen an einen Finanzinvestor zu übergeben. Finanzinvestoren – der Name sagt es – sind am Geld interessiert und in der Regel nach sieben Jahren wieder »raus«. In dieser Zeit geht es ihnen lediglich darum, Geld zu verdienen, um ihre Investition zu verzinsen. Eine schicke Wachstumsstory wird initiiert, bei der oft130

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mals die Substanzwerte der Firma dieses Wachstum finanzieren und die Firma sich quasi von innen auffrisst. Das mag einigen von Ihnen zu negativ klingen, ist aber sehr differenziert zu betrachten. Und schlussendlich gibt es für die Liquidation nur eine Empfehlung: alles versilbern, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie sehen, es gibt fürwahr eine Fülle von Möglichkeiten, zumal wir in der Realität sehr oft Mischlösungen oder Varianten der oben aufgeführten groben Kategorien antreffen. So könnte ein fami­liärer Nachfolger X Prozent des Unternehmens halten, ein geschäftsführender Gesellschafter Y Prozent. Jede Nachfolgelösung ist in­­di­­ viduell, vielschichtig sowie komplex und in all meinen Nachfolge­ beratungen habe ich noch nie ein bereits realisiertes Ergebnis aus der Schublade ziehen können. Generell lässt sich aber sagen: Die familieninterne Lösung ist nicht nur der emotionale, sondern oft auch der wirtschaftliche Königsweg. Das von Ihnen Geschaffene bleibt in der Familie, als Wert und als weiter wachsendes Vermögen. Meiner Meinung nach spielt hier sogar unser genetischer Arterhaltungstrieb eine Rolle und wenn wir uns an die Studie der Universität Helsinki aus Kapitel 1 erinnern, dann wird klar, dass eine familieninterne Lösung immer präferiert werden wird. Wer will schon sein »Kind« an jemand Fremdes verkaufen? Allerdings bleibt mit der Weiterführung nicht nur das Unternehmen in der Familie, sondern auch das Risiko der emotionalen Verstrickung sitzt weiterhin mit am Tisch, ist immer latent vorhanden. Was wäre zum Beispiel, wenn Nachfolger und Übergeber beschließen würden, dass der Senior eine Rente erhält, und dann gerät das Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage? Das kann – zusätzlich zum Konfliktpotenzial – sogar existenziell bedrohlich werden für mehrere Generationen. Der große Nachteil an jeder familienexternen Lösung ist die Asymmetrie der Informationsverteilung. Wenn es sich nicht um eine unternehmensinterne Lösung handelt, dann wird eine Übernahme immer begleitet werden von der fehlenden Bereitschaft des Übergebers, Informationen und Interna (»Das geht den gar nix an!«) publik zu machen, und dem fehlenden Verständnis des Übernehmers für Werte, Kultur und Historie des Unternehmens. Hier hilft nur ein vorsichtiges Herantasten, ein schrittweises Vorgehen. Fülle der Lösungen

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Die fehlende Öffentlichkeit vieler Unternehmer in Sachen Übergabe führt auch dazu, dass Übernahmeinteressierte in der Nachfolgersuchphase blind fliegen müssen. Hingegen verfügen Übergeber, in der Regel Klein- und Kleinstunternehmen, mehrheitlich nicht über Netzwerke, Wissen oder Kapazitäten, um professionell nach einem Unternehmensnachfolger zu suchen. Wie macht man das eigentlich? Den richtigen Käufer finden

Grob gesagt, gibt es zwei Wege, einen Käufer zu finden: über das Einzelsuchverfahren oder über das Bieterverfahren. In der Einzelsuche finden wir den einzelnen Menschen oder Investor über unser Netzwerk. Wir sprechen sehr gezielt vorab selektierte Investoren an und offerieren das Unternehmen unter Nennung des Kaufpreises. Diesen Weg gehen wir gern bei kleineren Unternehmen, in denen Spezialisierung, Profil und Kultur den Interessentenkreis von vornherein einschränken. Bei größeren Unternehmen im Mittelstand können auch gezielt Wettbewerber angesprochen werden oder Unternehmen, für die die Verlängerung der horizontalen oder vertikalen Wertschöpfungskette durch den Übernahmekandidaten interessant sein könnte. Das Bieterverfahren wird normalerweise ab einer Transaktionssumme von 5 Millionen Euro angewandt. Hier werden parallel eine größere Menge von Kaufinteressenten – mehrheitlich strate­ gische Investoren aus dem Wettbewerb oder Finanzinvestoren  – angesprochen. Das geschieht häufig über Datenbanken, über spezielle bzw. geschlossene Netzwerke oder über Banken. Im Prozess wird eine Gebotseinladung mit Kennzahlen verschickt, die das potenzielle Interesse und ein Kaufpreisangebot abfragt. Im Unterschied zum Einzelsuchverfahren wird hier kein Preis genannt, der Interessent muss in Vorleistung gehen und eine Kaufpreiseinschätzung abgeben. Über mehrere Runden mit immer detaillierteren Informationen bildet sich am Ende eine Bietergruppe von circa zwei bis vier Unternehmen, die dann in die sogenannte Due-Diligence-Prüfung*3gehen.  * Eine Due-Diligence-Prüfung bezeichnet eine sorgfältige Prüfung, die beim Kauf von Unternehmensbeteiligungen oder Immobilien sowie bei einem Börsengang erfolgt. Due-Diligence-Prüfungen spielen eine wichtige Rolle bei

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Bei beiden Verfahren steht am Ende im besten Fall ein Käufer, der nicht nur den Geldwert des Unternehmens sieht, sondern auch bereit ist, sich »entflammen« zu lassen und mit der gleichen unternehmerischen Begeisterung, die Sie jahrzehntelang aufgebracht haben, das Unternehmen in die Zukunft zu führen.

Prüfung der Übergabefähigkeit Über den Wert und den Preis, über Mythen und geballtes Risiko – und über den Papst Die Übergabephase bringt nicht nur eine Fülle von Lösungen, sondern auch Veränderungspower mit sich. Sie bietet sich an, um strukturell die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das muss nicht immer ein disruptiver und im Zweifel gefährlicher Umbruch der Organisationsstruktur sein. Im Hinblick auf den Übergang gibt es eine Reihe steuerlicher und rechtlicher Aspekte, die Veränderungen sinnvoll machen. Wer hier rechtzeitig handelt, spart am Ende Zeit und Nerven. Wussten Sie, dass ein Einzelunternehmer bei einem Geschäftsübergang jeden einzelnen Vertrag (von Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern oder Partnern) umschreiben muss? Jeden. Einzelnen. Vertrag. Eine GmbH muss das nicht, denn die juristische Person bleibt beim Eigentümerwechsel bestehen. Es kann daher sehr sinnvoll sein, rechtzeitig einen Wandel der Rechtsform vorzunehmen. Allem Anfang wohnt ein Zauber inne?

Sie sehen: Manchmal steckt der Teufel im Detail und scheinbar kleine Praxistipps führen am Ende zu großen Erleichterungen. Da dieses Ende zugleich der Anfang für Ihre(n) Nachfolger ist, sollte es der Wertfindung des Objektes. Käufer und Verkäufer vereinbaren Zeitraum und Umfang für die Prüfung, dabei kann ggf. die Zahlung einer Gebühr vereinbart werden, falls ein Kauf nicht zustande kommt. I. d. R. werden externe Berater (Steuerberater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer etc.) zu Rate gezogen (Wikipedia, Stichwort »Due-Diligence-Prpüfung«; Zugriff am 24.03.2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Due-Diligence-Pr%C3%BCfung). Prüfung der Übergabefähigkeit

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mehr Zauber und weniger Ärger mit sich bringen. Deswegen ist eine gute Vorbereitung der Übergabe das A und O. Durch die solide und frühzeitige Prüfung der Übergabefähigkeit schaffen Sie zum einen die fachlich-sachliche Basis für einen reibungslosen Wechsel. Zum anderen entdecken Sie mit diesem Prozess viele wertsteigernde Faktoren, die sich positiv auswirken. Entweder auf den Verkaufserlös bei einer externen Übergabe oder durch die Verbreiterung des soliden Fundaments, auf dem Ihre familien- oder unternehmensinternen Nachfolger erfolgreich wirtschaften können. Wert oder Preis? Was ist mir der Preis wert?

Familienunternehmer empfinden ihr Unternehmen als einzigartig. Der hohe Grad der Identifikation mit der Firma führt zu einer gefühlsmäßigen Verbundenheit, die weit über den Wert jedes »Flow« hinausgeht, den ein Arbeitnehmer eventuell durch sein Schaffen erfahren kann. So zumindest stellt es sich für mich dar. Die KPMGStudie »Auf ewig verbunden« spricht von »Emotional Ownership« und erklärt, dass diese Verbundenheit die Wertvorstellung der Eigentümer zum Unternehmen beeinflusst.86 Sie führt dazu, dass Familienunternehmer im Falle eines Unternehmensverkaufs eine emotional geprägte Preisvorstellung haben, die sich drastisch von einem rechnerisch ermittelten Kaufpreis unterscheiden kann – um bis zu 35 Prozent. Das ist der »Emotional Value«, der emotionale Wert, den sie ihrem Unternehmen beimessen. Ich erlebe es sehr oft, dass eine klassische Unternehmensbewer­ tung Eigentümer im besten Falle erstaunt, im Normalfall ernüchtert und im schlechtesten Falle enttäuscht zurücklässt. »Das hatte ich mir anders vorgestellt« oder »Und dafür habe ich mich 30 Jahre lang krummgelegt?« sind keine seltenen Reaktionen nach einer rechnerisch-objektivierten Wertermittlung. Hier hilft – mal wieder – der Perspektivwechsel und die Frage: Wofür haben Sie sich wirklich 30 Jahre lang »krummgelegt«? Für eine Summe X in Euro, die am Ende auf einem Stück Papier steht? Oder vielmehr dafür, ein von Ihnen erfolgreich entfachtes Firmenfeuer zu erhalten, das Sie, Ihre Familie und Ihr Umfeld genährt hat – weit über das Monetäre hinaus? Eine unternehmerische Tätigkeit ist nie wertlos, denn sie 134

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hat einen gesellschaftlichen Mehrwert, der sich in Euro nicht ausdrücken lässt. Allerdings ist diese ernüchternde Wertermittlung ein wesentlicher Grund dafür, gerade (sehr) kleine Betriebe in der Familie zu halten. Der Wert, der im Laufe der Jahre innerhalb der Familie erwirtschaftet wurde und durch die Fortführung weiterhin erzielt werden könnte, kann durch einen Verkauf niemals realisiert werden. Der Papstgolf

Neben dem subjektiven, emotionalen Wert für Sie, Ihre Familie und das Umfeld gibt es den objektivierten Wert, den wir rechnerisch ermitteln, um ein Unternehmen für den Verkauf oder die Übergabe vorzubereiten. Dieser Wert ist eine »kalte« Zahl: Herzblut, schlaflose Nächte, Erfolgsbegeisterung und Siegestaumel lassen sich hier leider (noch nicht) mit einrechnen. Trotzdem wird auch der subjektive Wert ein Stück in den Verkaufserlös einfließen. Weil er eine Schmerzgrenze setzt, unter die Sie als Verkäufer oder Übergeber nicht gehen werden. Auch der subjektive Wert, den das Unternehmen für den Nachfolger hat, wird im Preis berücksichtigt. Womöglich benötigt ein Wettbewerber genau Ihren Standort, um zu diversifizieren? Oder ein Partner möchte sein Business ausweiten und braucht das Know-how Ihrer Mitarbeiter? Dann wird er aus seinem Bedarf heraus den Wert höher ansetzen, als eine objektivierte Wertermittlung es anzeigt. Deswegen sprechen wir vielleicht besser von einem Einigungswert oder noch einfacher: von der marktkonformen Wechselwirkung aus Angebot und Nachfrage. Wie stark ein subjektiver Wert den Preis beeinflussen kann, belegt für mich die Geschichte des Papstgolfs.87 Erinnern Sie sich noch? Im Jahr 2005 kaufte ein Zivildienstleistender einen metallicgrauen Golf IV für 9.500 Euro von einem VW-Händler in Siegen. Die Eckdaten: 115 PS, 2.000 Kubikzentimeter, 75.000 Kilometer, Lederlenk­rad, Klimaanlage und – was er damals noch nicht wusste – ein berühmter Vorbesitzer. Beim Blick in die Fahrzeugpapiere staunte der junge Mann nicht schlecht: Dort stand »Joseph Kardinal R ­ atzinger« als bisher einziger Eigentümer – der Mann, der gerade Papst geworden war. Der pfiffige junge Mann scannte den Fahrzeugbrief ein und bot den Wagen bei eBay an – Erstgebot 9.999 Euro. Verkauft wurde das Prüfung der Übergabefähigkeit

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Gefährt für 189.000 Euro in die USA. Eine größere Wertsteigerung hat es für ein Auto noch nie zuvor gegeben, würde ich behaupten, und eine größere mediale Wahrnehmung ebenfalls nicht. Zwischenzeitlich waren die Server bei eBay überlastet, nach Angaben des Unternehmens wurde die Auktion mehr als 6,8 Millionen Mal angeklickt. Der Wert einer Ware wird also durch den Preis bestimmt, den jemand dafür bezahlt. Deswegen wünsche ich jedem Unterneh­ men, dass es seinen Kardinal Ratzinger findet: Sein schlagendes Verkaufs­argument, das den subjektiven Wert für (im besten Fall alle, zumindest aber einen) Käufer hochsetzt. Und natürlich kann man durch eine gezielte Käufersuche und -ansprache eine Menge dafür tun. Mythos Unternehmenswert

Sie sehen: Den objektiven Preis gibt es nicht. Es gibt einen objektivierten, dem man sich über verschiedene Methoden annähern kann. Warum die ganze Vorrede? Warum zeigt der Koerber uns nicht einfach die Methoden und fertig? Weil ich Ihnen klarmachen möchte, dass sich um den Mythos Unternehmenswert viele Halbwahrhei­ ten ranken, die vielleicht auch aus Vertriebsgesichtspunkten von Beratern gestreut werden. Weder ist eine Unternehmensbewertung eine Raketenwissenschaft, noch ist sie ein Allheilmittel (Wert A mal Wert B und fertig. Alles wird gut). Aber genauso wenig stimmt es, dass ein Unternehmenswert völlig subjektiv ist und völlig beliebig im Wechselspiel mit verschiedenen Kaufinteressen auftritt. Die Unternehmensbewertung ist nicht nur für Käufer eine wich­tige Entscheidungsgrundlage, sondern auch für Banken und Finan­zierungspartner im Rahmen einer Transaktion eigentlich fast unentbehrlich. Die Leistungsfähigkeit Ihres Unternehmens wird nachvollziehbar dargestellt und durch die Perspektive der Planzahlen wird für den Übernehmer die Zukunftsfähigkeit begründet. Deswegen rate ich nur bei sehr kleinen Unternehmen (Größenordnung unter 1 Million Euro Transaktionswert) von einer Unternehmensbewertung ab. Hier könnte es sich eher anbieten, komprimierte Kennzahlen abzubilden und diese mit den bereits erwähnten Planzahlen zu ergänzen. 136

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Wie wird eine Unternehmensbewertung erstellt? Der Unterneh­ menswert wird dabei in den beiden gängigsten Verfahren aus dem zukünftig zu erwartenden Gewinn abgeleitet. Diese Verfahren, das Ertragswertverfahren und das Discounted-Cashflow-­Verfahren (DCF-Verfahren), werden vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) empfohlen, um eine Bewertung unabhängig von individuellen Kriterien zu ermöglichen. Deswegen finden wir beim Ertragswertverfahren häufig den Zusatz IDW S1, der anzeigt, dass mit dem vom IDW standardisierten Verfahren bewertet wird. Beim Ertragswertverfahren wird (vereinfacht dargestellt) der handelsrechtliche Gewinn als Bewertungsgröße für einen zukünftig zu erwartenden Ertrag herangezogen. Die Analyse der vergangenen Jahre in Kombination mit soliden (manche sagen sozialistischen) Prognosen ergeben den Unternehmenswert. Beim zweiten vom IDW anerkannten Bewertungsansatz, dem DCF, wird der Unternehmenswert durch Abzinsung der für die Zukunft ermittelten Überschüsse (Cashflow) ermittelt. Das DCF ermittelt sozusagen das gegenwärtige Äquivalent eines zukünftig zu erwartenden Unternehmenswertes und wird häufiger im internationalen Umfeld eingesetzt. Diese beiden Verfahren ermitteln einen Wert, den ein Unternehmen erwirtschaften kann, und sind daher aussagekräftig für Kaufinteressenten. Das ebenfalls bekannte Substanzwertverfahren betrachtet lediglich das investierte Kapital und spiegelt daher nur selten einen angemessenen Unternehmenswert wider. Es bewertet nur das materiell Fassbare, die Substanz des Unternehmens. Daher wird es in Sondersituationen angewandt, in denen zum Beispiel Immobilien-, Anlagen- oder Maschinenwerte den prognostizierten Ertragswert uninteressant(er) machen. Eine solche Besonderheit ist manchmal im Handwerk zu finden, weshalb hier mit einem Mischverfahren bewertet wird. Das seit vielen Jahren eingesetzte und steuerlich anerkannte AWH-Verfahren*4besteht aus zwei Komponenten: der Ermittlung des Substanzwertes aus dem Anlagevermögen und der Ertragsbewertung.

 * Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk. Prüfung der Übergabefähigkeit

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Neben Exoten wie zum Beispiel dem Liquidationswertverfahren sei abschließend noch das Multiplikatorverfahren genannt: Hier wird aus dem Marktpreis vergleichbarer Firmenverkäufe oder ähnlicher Transaktionen ein Multiplikator abgeleitet, der dann mit einer entsprechenden Kennzahl des zu bewertenden Unternehmens verbunden wird. Schwupps – fertig ist der Unternehmenswert. Solche pauschalen Bezugsgrößen können den Wert erheblich verzerren, zumal Besonderheiten (Branche, Marktbedeutung, Zukunftsaussichten, Patente, Standort, Mitarbeiter, Altlasten etc.) nicht berücksichtigt werden. Außerdem ist die Ableitung des verwendeten Multiplikators oft schwierig und nicht objektiv nachvollziehbar. »Bewerten heißt vergleichen«: Dieses Grundprinzip der Unternehmensbewer­ tung gilt besonders für das Multiplikatorverfahren. Aber was ist, wenn sich nichts Vergleichbares findet? Gerade bei Familienunternehmen mangelt es aufgrund der speziellen und sehr spezifischen Merkmale an vergleichbaren Werten. Schon allein aufgrund der Größe (oder vielmehr aufgrund der fehlenden Größe) wird es unmöglich sein, ein entsprechendes Objekt zu finden. Ein Multiplikator ließe sich also qualitativ gleichwertig aus dem Verkauf eines Snickers-Riegels ermitteln. Dies sei nur am Rande erwähnt, um nochmals klarzumachen, dass nicht der ermittelte Wert den Preis bestimmen wird, sondern der subjektive Wert, den Käufer und Verkäufer für stimmig erachten. Ob die Einigung zähneknirschend oder freudestrahlend geschieht, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Wobei ich die Variante »freudestrahlend« erstrebenswert finde. Unternehmenswertrechner https://www.kernunternehmensnachfolge.com/kalkulator/

Kopfgeld zahlen

Was keine dieser Unternehmensbewertungen schafft: Ihre Genialität und/oder die Ihrer Mitarbeiter in den Unternehmenswert einfließen zu lassen. Dabei wird ein Unternehmen, gerade ein Familien138

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unternehmen, hauptsächlich von den Menschen geprägt, die ihre Arbeits- und Geisteskraft einbringen. Bei Dienstleistern noch mehr als bei Produktionsunternehmen. (Aber auch Produktionsunternehmen üben sich zunehmend in der Serviceorientierung und sogar Telekommunikationsanbieter sollen das angeblich mittlerweile versuchen.) Daher: Ohne den »Unternehmenswert Mensch« kommt keine Firma aus. Oft hat ein Käufer, gerade ein strategischer Investor, starkes In­­­ teresse an den Mitarbeitern. Aus diesem Grund wird regelmä­ßig versucht, in die Unternehmenskaufverträge ein Garantie­versprechen des Verkäufers aufzunehmen. So soll der Verbleib von Schlüsselmitarbeitern gesichert werden. Aber was, wenn nicht? Was bedeutet es finanziell, wenn ein Mitarbeiter die Zustimmung verweigert oder nach Übergang die Kündigung einreicht? Wie könnte eine Garantie vertraglich sanktioniert werden? Ein kluger Kopf hat sich eine Methode ausgedacht, diesen im Zeichen des Fachkräftemangels immer wichtigeren Faktor anhand von – vereinfacht gesagt – Wiederbeschaffungskosten zu bewerten. Was würde es kosten, Ersatz für Schlüsselmitarbeiter X zu suchen, einzustellen und auszubilden? Das ist ein Näherungswert, der vertraglich funktionieren kann. Viel sinnvoller erscheint es allerdings, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir verhindern, dass Schlüsselmitarbeiter gehen. Wie schaffe ich es als Käufer, dass das Firmenfeuer für alle Mitarbeiter weiterbrennt, und eröffne bestenfalls noch neue Perspektiven? Eine spezielle Größe im »Kopfkino« des Unternehmensverkaufs ist natürlich ein besonderer Kopf: der Ihre. Er wird nicht mitverkauft. Deshalb kann es durchaus sinnvoll sein, ihn zur Wertsteigerung schon im Vorfeld aus der Rechnung herauszunehmen. Das klingt unfair, ist aber einfach zu verstehen: Wenn Sie sich egoschmeichelnd als Hauptleistungsträger und unersetzbar darstellen, wird ein Käufer automatisch schlussfolgern, dass durch einen Verkauf und den Wegfall Ihrer Person sehr viel Substanz verloren geht. Virulent ist dies gerade in kleineren Betrieben, wenn sowohl operative als auch juristische Ebene – Gesellschafter und Geschäftsführer – in der Person des Inhabers beim Verkauf das Unternehmen verlassen. Käufer wissen sehr wohl, dass damit die wichtigsten Verbindungen zu Kunden oder Lieferanten gehen. Deswegen rate ich meinen ManPrüfung der Übergabefähigkeit

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danten grundsätzlich, bescheiden zu sein (was nicht immer leichtfällt, ich weiß). Es gibt allerdings eine noch elegantere Lösung: Wenn möglich, sollten Sie bereits vor der Übergabe versuchen, sich vom operativen Geschäft zu lösen. Es steigert den Unternehmenswert deutlich, wenn die Firma im Tagesgeschäft nicht von einer einzelnen Unternehmerpersönlichkeit (also von Ihnen) abhängt. Wenn Kaufinteressenten zudem noch eine etablierte zweite Führungsebene vorfinden, die nach dem Verkauf in Funktion bleibt, werden sie sich beruhigt zurücklehnen. So wird sichergestellt, dass nicht entscheidende Beziehungen und zu viel Know-how verloren gehen. Aufräumarbeiten

Für ein Familienfoto machen sich alle hübsch. Auch ein Haus wird für den Verkauf aufgeräumt, frisch gestrichen und auf Vordermann gebracht. Und erinnern Sie sich: Beim ersten Date mit Ihrer Frau (oder mit Ihrem Mann) sind Sie auch nicht im Schlabberlook aufgelaufen, sondern haben sich in Schale geschmissen, oder? Auch ein Unternehmen sollte so attraktiv wie möglich präsentiert werden, um es in den Augen eines Käufers als wertvoll darzustellen. Neben der rechnerischen Unternehmensbewertung sollte daher eine nüchterne Bewertung Ihrerseits – am besten zusammen mit Familie und Mitarbeitern – erfolgen: Was muss ich wann, wie und wo tun, damit der Unternehmenswert steigt, damit die Firma übergabefähig wird? In welche verstaubten Winkel muss ich frischen Wind bringen, welche Verflechtungen lösen? Wie mache ich quasi den Wurm attraktiv, damit der Fisch anbeißt? Ich kann Ihnen in diesem Buch nicht alle Stellschrauben aufzeigen, mit denen sich ein Unternehmenswert pimpen lässt. Das würde den Rahmen sprengen. Deswegen nenne ich Ihnen fünf Themenschwerpunkte, bei denen sich sehr häufig Potenzial findet. 1. Klare Kante: Sorgen Sie dafür, die Vermischung familiärer und unternehmerischer Werte aufzulösen. Das können zum Beispiel Familienfahrzeuge sein, die auf die Firma zugelassen sind. Oder eine Betriebsimmobilie, die im Familieneigentum ist. Ich kenne auch einen Fall, in dem ein Unternehmer seine Eltern, seine Frau und seine drei Kinder aus steuerlichen Gründen auf der Gehalts140

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liste hatte, diese aber nie im Unternehmen tätig waren. Bei all diesen Beispielen ist es wichtig, rechtzeitig Klarheit zu schaffen, sonst verstrickt sich ein Kaufinteressent im Wust Ihrer Steuersparmodelle und verliert die Lust. Realistische Rechnung: Prüfen Sie, ob Unternehmenswerte (auf Ertrags- und auf Kostenseite!) aus historischen, individuel­­len oder sonstigen Gründen falsch angesetzt werden. Dazu gehört auch Ihr Gehalt. Gerade in kleinen Unternehmen ist es üblich, dass der Eigentümer sich ein ebenso kleines Gehalt zahlt. Ein Interessent wird sich zu Recht fragen, warum er für 2.000 Euro netto arbeiten soll, wenn schon ein Angestellter das Doppelte oder Dreifache verdient. Und als Unternehmer hätte er noch das Haftungsrisiko an der Backe. Wenn Ihr Unternehmen kein anständiges Gehalt abwirft, wer soll sich dann dafür interessieren? Solide Spielräume: Ebnen Sie den Weg für einen Übernahmekandidaten, schaffen Sie Potenziale, die er nutzen und weiterdenken kann. Setzen Sie ihn nicht in eine Sackgasse, sondern auf eine Autobahn mit freier Fahrt. Das geht zum Beispiel, indem Sie die Vertriebstätigkeit ankurbeln und Ihre »Leads« vervielfachen. Oder indem Sie eben gerade nicht die Produktentwicklung einschlafen lassen, weil sich da »beizeiten mal der Neue drum kümmern soll«. Begrüßen Sie den »Neuen« vielmehr mit einer marktfähigen Innovation. Intelligente Investitionen: »Investitionsstau« ist ein Wort, das Banken und Käufer hassen. Sorgen Sie dafür, dass es in der Be­wertung Ihrer Firma nicht vorkommt.88 Laut KfW-Mittelstands­panel investieren Unternehmen im Jahr vor einer geplanten Übergabe deutlich seltener. Gerade langfristige Investitionen werden unterlassen, denn es könnte ja sein, dass der Übernehmer nicht die gleichen Erwartungen hegt. Das ist verständlich. Was aber, wenn aus dem »Jahr vor der Übergabe« plötzlich Jahre werden? Halten Sie Ihr Unternehmen wettbewerbsfähig! Optimierte Organisation: »Hinterlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen!« Dieser Hinweis gilt für Gästetoiletten ebenso wie für Unternehmen. Deswegen ist jetzt eine gute Gelegenheit, Optimierungspotenziale anzugehen, die Sie schon lange im Hinterkopf haben. Sie können dazu beim WarenPrüfung der Übergabefähigkeit

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einsatz ansetzen oder die Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter durch Weiterbildungen und/oder strukturelle Veränderungen besser einsetzen. Sie können Auslagerungen zur Kostensenkung prüfen. Macht ein Steuerberater oder Dienstleister die Buchhaltung, das Controlling oder die Entgeltabrechnung deutlich günstiger? Dann nutzen Sie diese Potenziale jetzt schon, Ihr Nachfolger wird es Ihnen danken. Geballte Ladung Risiko

Ein Unternehmen im Bereich Kabeltiefbau stand zum Verkauf. Das ist sehr selten, denn die Branche boomt, weil schnellstmöglich alle Milchkannen in Deutschland schnelles Internet bekommen sollen. Deswegen fehlen sowohl Maschinen als auch Menschen, die genau das können. Der hier beschriebene Betrieb war noch nicht lange auf dem Markt (circa vier Jahre) und hatte in dieser Zeit eine beeindruckende Wachstumsgeschichte hingelegt. Das lag auch an der fähigen Führungsspitze, bestehend aus einem Techniker, der alles rund um den Bau im Griff hatte, und einem Vertriebler, der das Knowhow und Verhandlungsgeschick für die Ausschreibungen der Telekommunikationsunternehmen mitbrachte. Die beiden gingen selbstverständlich davon aus, dass sich die enorme Wertsteigerung ihres Unternehmens in einem fulminanten Verkaufserlös widerspiegeln würde. Weit gefehlt. Was die beiden nämlich nicht bedacht hatten: Über 90 Prozent ihrer Aufträge generierte die Firma mit einem einzigen (magentafarbenen) Kunden. Mit diesem hatten die beiden einen jährlich neu zu verhandelnden Rahmenvertrag. Die zwei Inhaber erfreuten sich an diesem vermeintlichen »Abo« auf Erfolg. Potenzielle Käufer hingegen betrachteten das anders: Springt dieser eine Kunde ab, ist das Unternehmen mausetot. Das nennt man ein Klumpenrisiko. Ein Klumpenrisiko ist eine Häufung oder Verflechtung von Ausfallrisiken, also eine fehlende Differenzierung, die die Gefahr eines Wegfalls auf Kunden- oder auf Lieferantenseite deutlich erhöht. Klumpenrisiken gibt es auch auf der Mitarbeiterseite, wie ein Kollege von mir kürzlich in Hamburg erfahren hat. Dort stand ein größerer und sehr gut laufender Dachdeckerbetrieb zum Verkauf. Keiner wollte ihn haben. Warum? Die Mannschaft war hoffnungslos über142

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altert, die Mitarbeiter waren alle deutlich über 50 Jahre alt. Gerade im Handwerk, wo körperliche Einschränkungen durch das Alter zu erwarten sind, führte dieses Szenario dazu, dass der finanziell gut aufgestellte Betrieb unverkäuflich blieb. Übergabefähigkeit – was sagen die Kinder?

Risiken und Chancen bewerten wir natürlich nicht nur beim Unternehmensverkauf. Auch bei der familiären Nachfolge wird die Übergabefähigkeit eine wesentliche Rolle spielen, sie kann allerdings hier stärker als gemeinsam zu gestaltender Prozess und weniger als Vorbereitung auf eine »Brautschau« verstanden und gehandhabt werden. Familiäre Nachfolger haben zum Teil die gleichen Sorgen, zum Teil aber auch ganz andere Herausforderungen als Unternehmenskäufer. Laut der Stiftung Familienunternehmen89 wird die Erbschaftssteuer von 65 Prozent der Befragten als Bedrohung für Nachfolgeabsicht und Innovationsgeist der nachrückenden Unternehmergeneration gesehen, während die Möglichkeiten der Digitalisierung für 79 Prozent Potenziale bieten. Schön finde ich, dass der Status »Familienunternehmen« von 57 Prozent der Befragten als zentraler Wettbewerbsvorteil gesehen wird. Sie möchten ihn künftig verstärkt in

Quelle: nach www.rechnungswesen-verstehen.de Prüfung der Übergabefähigkeit

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der Markenkommunikation, insbesondere in der Positionierung als Arbeitgeber nutzen. Ist die Nachfolge Chance oder Risiko? Das wird wohl im Einzelfall zu bewerten sein, jedenfalls empfinden 83 Prozent der potenziellen Nachfolger einen hohen Erwartungsdruck seitens der Eltern, das Unternehmen weiterzuführen.90

Der Weg ist vorgezeichnet. Wirklich? Von Traditionen und Tunneln, Freiheit und Verpflichtung, Wollen und Müssen sowie von schlaflosen Nächten Es war einmal eine Zeit, in der um die Frage, wie Besitz und Positio­ nen weitergegeben werden, ein komplettes Gesellschaftssystem rankte. Der älteste Sohn einer Familie erbte das Königreich, den Hof oder den Betrieb. Der zweite Sohn fand sein Auskommen in der Kirche und ab dem dritten Sohn durften sich alle weiteren im heiligen Krieg verausgaben, gern auch reiche Beute machen – Hauptsache, sie waren weit weg. Zuhause gab es eh nichts für sie zu tun. So oder so ähnlich war es, Diskussionen darüber gab es nicht. War der Vater Goldschmied, wurde es der Sohn auch. Dafür sorgten die Gilden. Und die Töchter? Sie waren allenfalls nützlich, um durch eine Heirat strategische Verbindungen herzustellen. Glückliche Zeiten, in denen schon vor der Geburt alles so klar vorgezeichnet war, oder? Dagegen scheint in unseren modernen Zeiten gesellschaftlich und biografisch alles möglich zu sein und für die Nachfolgeregelung steht uns eine Fülle von Möglichkeiten offen. Trotzdem spüren auch heute noch die meisten Unternehmerkinder (83 Prozent der »nächsten Unternehmergeneration«91) den Druck und die Verpflichtung, sich dem Wohlergehen des elterlichen Unternehmens unterzuordnen. Dafür opfern sie im Extremfall das persönliche Glück. Das Spannungsverhältnis zwischen der unternehmerischen Pflicht und dem eigentlichen Wollen treibt allerdings ebenso die Eltern um: »Kann ich, darf ich zugeben, dass ich mein Kind nicht für den geeigneten Nachfolger halte?« Meine Meinung: Sie dürfen nicht nur, Sie müssen sogar. Sie haben die unternehmerische Verantwortung, das Feuer weiterzutragen und die beste Lösung für die Zukunft des 144

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Unternehmens zu suchen. Allerdings sollten Sie Ihre Gründe für die Ablehnung ausgiebig hinterfragen – oder hinterfragen lassen. Ist es Ihr unfehlbares und unersetzliches Ego, das den Nachfolger kritisiert? Weil Sie keine Götter neben sich dulden? Dann behalten Sie Ihre Meinung lieber für sich und üben Sie sich im Loslassen. Oder sind es tatsächliche, objektive und auch durch die Brille Dritter sichtbare Schwächen, die Ihre auserwählten Nachfolger aufweisen? Dann machen Sie rechtzeitig den Mund auf und prüfen Sie gemeinsam mit der Familie, was zu tun ist. Schweigen und Aussitzen hilft weder Ihnen noch den Kindern und schon gar nicht der Firma. Und so selten ist diese Enthüllung gar nicht, auch wenn es Ihnen sicher sehr schwerfällt, die Worte »Mein Sohn schafft das nicht« zu sagen. In der bereits zitierten bayerischen Studie zur Unternehmensnachfolge entscheiden sich immerhin 32 Prozent der Befragten für eine externe Nachfolge, weil sie die Kinder als ungeeignet einschätzen.92

Quelle: nach Erhebung und Analyse zur Unternehmensnachfolge in Bayern, 2017

»Er kann das nicht« kann als Tunnelblick allerdings auch in die andere Richtung funktionieren: »Er ist mein Sohn, natürlich kann er das!«, heißt es dann. Liebe macht blind, und erst recht bei den eigenen Kindern. Lassen Sie den Tunnel hinter sich, gehen Sie ans Licht und gönnen Sie sich den Blick auf die gesamte Fülle der Möglichkeiten aus Kapitel 3, um eine Entscheidung zu treffen. Der Sohn ist der potenzielle Nachfolger, obwohl die Tochter seit frühester Jugend Der Weg ist vorgezeichnet. Wirklich?

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begeistert mitdenkt? Die Kinder sollen’s werden, obwohl sie mit den Mitarbeitern permanent im Clinch liegen? Mit der elterlichen Brille sind wir blind und selbst wenn wir (klar) sehen, ist die Verbindung von Familie und Firma oft stärker als der gesunde Menschenverstand. Es gibt ein anschauliches Beispiel aus meiner Beraterpraxis, das ich auch in meinen Vorträgen immer wieder schildere: Es ging damals um eine Firma im Dienstleistungssektor, die drei Söhne sollten den Betrieb beizeiten übernehmen. Diese Erwartung hatten die Eltern und die Söhne teilten sie. Alle drei, damals Mitte zwanzig bis Anfang dreißig, waren schon in der Firma beschäftigt und fühlten sich sehr wohl dort: leitende Positionen, Firmenwagen, nettes Gehalt und Freitagmittag nachhause. Was will man mehr? Wer immer vor Ort war, auch am Wochenende, und alles am Laufen hielt, war der Vater. Dem wurde mit der Zeit immer klarer, dass er seinen Söhnen die Firma nicht übergeben konnte, weil er nicht übergeben wollte. Es sei nicht mal die Vision, die ihnen fehle, meinte er, es hapere schon am Basiswissen und vor allem am Engagement in Sachen Weiterbildung und -entwicklung. Auch gemeinsam schafften sie es nicht, dass das Rad sich weiterdrehte. Das Familiensystem war zu mächtig, alles blieb, wie es war. Dabei war längst klar, dass die Wünsche und Visionen der Söhne ganz andere waren. So vergingen die Jahre, der Vater blieb im Unternehmen. Die Söhne auch. Freiheit und Verpflichtung

Wie löst man so einen Knoten aus Erwartungen auf? Indem man etwas ganz Entscheidendes tut: Man gibt sich die Freiheit zurück. Die Freiheit, Erwartungen nicht erfüllen zu dürfen und Absprachen zu revidieren. Die Freiheit, den richtigen Nachfolger für die Firma zu finden, nicht den fassbaren und opportunen. Eltern und Kinder müssen sich eines klarmachen: Auch wenn der Weg vorgezeichnet scheint, weil Kinder vorhanden sind, muss der Weg nicht einfach und auch nicht zwangsläufig richtig sein. Den richtigen Weg finden nur die, die sich gegenseitig die Freiheit geben, ihn zu suchen. Astrid Lindgren sagte: »Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss wie andere Menschen.« Daher empfehle ich Übergebern und Übernehmern gleichermaßen: Geben 146

Fülle der Lösungen

Sie sich gegenseitig und rechtzeitig die Freiheit, den passenden Weg zu finden. Ihre Kinder müssen sich folgende Fragen stellen dürfen: »Will ich diese Firma wirklich übernehmen? Oder ist das bisher immer ein liebevolles Schubsen in die gewünschte Richtung gewesen, wurde mir diese Frage bisher nie konkret gestellt? Denke ich, dass ich sie mir nicht stellen darf?« Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich Ihnen versprechen: Irgendwann fliegt Ihnen eine halbherzige Entscheidung um die Ohren. Deswegen gilt für die Übergeber: Sprechen Sie eine Einladung aus. Und mein Rat für die Kinder lautet: Überlegen Sie, ob Sie diese Einladung annehmen. Eltern sollten sehr deutlich und kontinuierlich kommunizieren, dass die Nachfolge ein Angebot ist, kein Zwang und kein Automatismus. Sie kann nur aus freiem Willen und aus Überzeugung gelingen. Mit dieser Einstellung geben Sie Ihren Kindern die Freiheit, sich zu entscheiden und gemäß ihren Neigungen zu entwickeln. Einen eigenen Lebensweg zu gehen, ohne elterlichen Druck. Dann zeigen sich bei jüngeren Menschen erstaunliche Entwicklungen in der Persönlichkeit. Vielleicht entsteht gerade durch diese Freiheit eine unternehmerische Vision für das elterliche Unternehmen, die unter Druck niemals gewachsen wäre. Für die junge Generation bedeutet »Freiheit«, dass sie akzeptieren müssen, wenn die Eltern anders entscheiden. Wenn sie losgelöst von familiären Banden einen Nachfolger finden wollen. Dann dürfen die Eltern auch getätigte Nachfolgezusagen verwerfen. »Liebe Kinder, ihr habt euch nicht so entwickelt, wie wir das erwartet haben, lasst uns offen nach anderen Lösungen schauen.« In diesem Fall müssen die Kinder eine erwachsene Haltung einnehmen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie diesen harten Schnitt selbst zu verantworten haben. Anders geht es nicht. Das zähe Festhalten an Verpflichtungen führt auf beiden Seiten ins Unglück. Dann kann das Unterbewusstsein seine volle Macht ausüben und zu solch unguten Situationen wie der oben beschriebenen führen: Ein Unternehmer, der eigentlich die Nachfolge regeln will, gibt das Ruder jedoch nicht aus der Hand, weil er die Scheuklappen angelegt hat. Die beiderseitigen Erwartungen – eine familiäre Nachfolge ist die einzige Option – verhindern einen Ausweg aus der Pattsituation. Wie die Geschichte ausging, möchten Der Weg ist vorgezeichnet. Wirklich?

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Sie wissen? Sie ging gut aus. Schlussendlich, nach zähem Ringen: Ein strategischer Investor, ein Mitbewerber aus der gleichen Stadt, wurde Mehrheitseigner am Unternehmen. Der jüngste Sohn blieb mit zehn Prozent Anteilen in der Geschäftsführung und hat sich mittlerweile beruflich freigeschwommen. Der mittlere Sohn verwaltet die Immobilien der Familie. Und der älteste? Ist Kindergärtner geworden und fühlt sich endlich frei. Geht doch! Das macht man halt so

Die Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen ist im gesell­ schaftlichen »Così fan tutte« klar geregelt: Wenn Kinder da sind, übernehmen die Kinder. Die Nachfolgeentscheidung wird oft als eine freiwillige Handlung des Nachfolgers gesehen. Ist sie das wirklich? Ein vorgezeichneter Weg ist im Laufe der Jahre in die Erzählungen der Familie übergegangen, er ist so oft gedanklich und erzählerisch beschritten worden, dass er tief in den Köpfen verankert ist. Deswegen geht man ihn immer weiter und irgendwann schnappt die »Nachfolgefalle« zu: Im Vertrauen auf die Übernahme der Firma wurden bestimmte Karriereschritte gewählt, andere Optionen nicht gezogen. Und jetzt plötzlich geht gar nichts mehr? Also kann der Sohn bzw. die Tochter ja nichts anderes? Das wage ich zu bezweifeln, denn ich gehe davon aus, dass Ihre Kinder den Betrieb nicht unausgebildet übernehmen wollten. Auch im folgenden Beispiel konnte die junge Frau nach ihrem Ausstieg aus dem elterlichen Unternehmen ihre erfolgreiche Bankkarriere wieder aufnehmen und fortführen. Sie hatte sich an mich gewandt, weil sie unsicher war, ob sie die Firma des Vaters übernehmen sollte. Sie erklärte mir ihre Unsicherheit mit der Angst, es allein schaffen zu müssen, wo die Eltern vorher zu zweit die Geschicke der Firma gelenkt haben. Aber da war noch mehr, irgendetwas stimmte nicht, das war für mich deutlich zu spüren. In den Gesprächen mit der Mutter und dem (Adoptiv-) Vater kristallisierte sich heraus, dass die »Zwanglosigkeit« der Nachfolgeentscheidung nie ausgesprochen worden war. »Warum auch? Sie macht das doch gern, sie will das unbedingt«, sagte mir die Mutter. Trotzdem haben Vater und Mutter der Tochter nach unserem Gespräch nachdrücklich gesagt: »Wir können auch verkaufen – kein 148

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Problem.« So kam es dann auch: Die Tochter schied innerhalb weniger Wochen aus dem Unternehmen aus, nachdem dieser Knoten endlich geplatzt war. In einem abschließenden Telefonat konnte sie mir ihre wahre Motivation endlich erklären: »Der Papa liebt das Unternehmen so sehr, ist so begeistert davon. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich adoptiert hat, ich wollte ihm etwas zurückgeben.« Das Lebensglück opfern aus Dankbarkeit? Nein, danke. Hier müssen wir eine klare Grenze ziehen und rechtzeitig das Spannungsfeld zwischen »Wollen« und »Müssen« aufdecken. Immer wenn ein Nachfolger Unentschlossenheit zeigt, gehen bei mir die Warnleuchten an und ich beginne zu forschen: Da ist eine Spannung zwischen deklarierter Freiwilligkeit und echtem Wollen. Was also sind die wirklichen Motive hinter der Entscheidung? Wollen und Müssen

Wenn es in der Familie potenzielle Nachfolger gibt, dann ist die erste Frage, ob diese geeignet sind, und die zweite, ob sie auch willig sind. Diese Fragen entscheiden über eine interne oder eine externe Lösung. Nichts anderes. Kein »So macht man das«, kein »So war das aber geplant«. Voraussetzung für diese Möglichkeit ist, eine freie Entscheidung zu treffen: Die Eignung und der freie Wille müssen einen Handlungs- und Gesprächsraum erhalten, in dem sie sich zeigen können. Frei von Erwartungshaltungen, frei von vermeintlichen Gerechtigkeitsimpulsen, frei von diffusen Sorgen. Wer auf diese freie und offene Art innerhalb der Familie handelt, spricht und zuhört, kann aufhören, sich Sorgen zu machen. Und Sorgen machen Sie sich oft, oder? Da sind Sie nicht allein und einige dieser Sorgen kenne ich nur zu gut. Da wäre zum Beispiel die bereits thematisierte Lieblingssorge: »Können meine Kinder das überhaupt, die Firma führen? Und welches von ihnen kann es gegebenenfalls am besten?« Diese Sorge führt zwangsläufig zur nächsten: »Wie kann ich gerecht in der Aufteilung sein, weil ich ja kein Kind weniger lieben oder berücksichtigen möchte? Was ist überhaupt gerecht?« Als Nächstes auf meiner Hitliste, Sorge Nummer drei: »Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Übergabe?« Diese Frage ist am einfachsten zu beantworten: Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht. KeiDer Weg ist vorgezeichnet. Wirklich?

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ner sagt zu Ihnen: »So, jetzt bist du 66 Jahre alt, da fängt das Leben an, ab in die Rente.« Das müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Gibt es vielleicht schon ein neues Feuer, also ein neues Lebensthema, das jeden Tag stärker wird? Dann könnte der richtige Zeitpunkt sein. Oder fehlt mittlerweile die Vitalität und Motivation, schleppen Sie sich womöglich jeden Tag lustlos in den Betrieb? Dann ist der richtige Zeitpunkt wahrscheinlich schon verpasst. Warum sind es so viele Sorgen und warum ist es so schwer, aus diesen Sorgen ins Handeln zu kommen? Unserer Entscheidungsunfreudigkeit gibt Nachfolgepapst Arist von Schlippe einen passenden psychologischen Rahmen: »Die Kombination aus starkem emotionalem Antrieb und dem Gefühl von Ratlosigkeit bringt eine psychologische Gefühlslage hervor, die zu den am schwierigsten zu bewältigenden Empfindungen gehört: Hilflosigkeit.«93 Laut von Schlippe fühlen wir uns sicher in Situationen, die wir verstehen, handhaben können und für sinnvoll halten. Eine paradoxe, nur schwer durchschaubare und emotional aufgeladene Situation, in der man starke Hilflosigkeitsgefühle erlebt, ist also psychologisch hoch bedrohlich. »Diese Konstellation ist zudem dem unternehmerischen Impetus, die Dinge kontrollieren zu können, auch unter Risikobedingungen entscheiden zu können, diametral entgegengesetzt«, erklärt von Schlippe. Gut, jetzt wissen wir, warum wir um das Thema Nachfolge am liebsten einen großen Bogen machen wollen. Warum wir es nicht tun sollten, wissen wir auch, denn Sorgen vergehen nicht durchs Aussitzen. Im Gegenteil, sie werden immer größer, je mehr schlaflose Nächte wir uns wälzen und uns fragen: »Warum gerade diese Lösung, warum nicht eine andere, wäre es so nicht viel gerechter?« Gerechtigkeit ist ein großes Wort und wird gerade in Familienunternehmen mit einer unklaren Nachfolge gern und oft bemüht. Wenn das Gerechtigkeitsempfinden gestört ist, setzt das klare Denken aus, Geschwister pochen in wechselseitiger Beobachtung auf Gleichheit. Und doch gibt es immer noch das Thronfolgersyndrom: Der älteste Sohn oder die designierte Nachfolgerin werden in den Augen der Geschwister bevorzugt. Das schafft Neid und Groll. Der ganze Prozess ist ungerecht, er fordert Ungleichheit. Es ist wie im Film »Highlander«: Es kann nur einen geben!

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Fülle der Lösungen

Wer schreibt, der bleibt

Also gehen wir als Übergeber hin und versuchen mehr oder weniger verzweifelt, die Übergabe – intern oder extern – gerecht zu gestalten. Aber kann ich beiden Systemen, dem familiären und dem unternehmerischen, gerecht werden? Meistens nicht. Oft höre ich von Übergebern, dass sie die Kinder, die aus der Nachfolge ausscheiden, mit Immobilienwerten »auszahlen« (Kirche und »heiliger Krieg« scheiden ja mittlerweile eher aus). Ich halte das, ehrlich gesagt, für falsch. Aus meiner Erfahrung weiß ich, wie fragil das Konstrukt »Unternehmen« ist. Der Wert steigt, der Wert fällt und wer hier übernimmt, muss sehr viel dafür tun, den Wert zu erhalten. Er geht Risiken ein, hohe Risiken. Das ist etwas anderes als Betongold oder Backsteine. Daher darf es Ungerechtigkeiten geben, sie müssen nur er- und geklärt werden. Wir kommen immer wieder auf eines zurück: reden, reden, reden: Das bedeutet: alle einbeziehen, sich zusammensetzen, Lösungen finden und wieder verwerfen. Haare raufen, streiten, laut werden und sich danach in die Arme fallen. Es gibt in Familienunternehmen keinen anderen Weg als den kommunikativen: Sie können die Kreise der Kollision nicht voneinander trennen. Es wird emotional werden, verlassen Sie sich darauf. Und wenn das so ist, dann geben Sie dieser Emotionalität am besten genügend Raum, zum Beispiel in einer regelmäßigen Institution wie der Familienkonferenz. Ihr gemeinsames Ziel sollte es sein, einen Plan, eine Strategie (schriftlich!) festzulegen: Wie machen wir das als Unternehmerfamilie, als Familienunternehmen? Wie gehen wir miteinander um, wie gehen wir mit Entscheidungen um, wie gehen wir mit der Nachfolge um? Wer es schafft, eine solche Dokumentation gemeinsam zu erstellen und mit dem Einverständnis aller zu unterzeichnen, der hat einen festen Halt (nicht nur) für die Jahre der Übergabe.

Der Weg ist vorgezeichnet. Wirklich?

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Der Plan Rom in vielen Tagen erbauen, sich um die Familienstrategie und das Jetzt kümmern; Hauptdarsteller dabei: die Zeit Beim Blick auf die Fülle der Lösungen haben wir festgestellt, dass Freiwilligkeit und Freiheit die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Nachfolgeentscheidung sind. Jetzt gilt es, aus dieser Feststellung ein Fazit zu ziehen, einen Plan zu fassen. Das geht bei manchem vielleicht im Schlaf à la »Heureka, Mathilde, ich hab’s und jetzt mach mir mein Frühstücksei« bei den meisten aber eher nicht. Erfolgreiche Unternehmer neigen nicht zu spontanen »Basta«­Lösungen, wie die WIFU-Studie »Die Unternehmerfamilie und ihre Familienstrategie« darlegt.94 Im Geleitwort erklärt Professor Arist von Schlippe, dass erfolgreiche Übergeber oft sehr interessante Lösungen dafür finden, Unternehmens- und Familieninteressen zu verbinden. Diese seien zwar sehr unterschiedlich, allen zugrunde läge aber ein Set von Fragestellungen, für die Antworten gefunden werden müssen. Wer erfolgreich ist, so von Schlippe, befasst sich mit diesen Fragen und findet Regelungen, die individuell auf die Bedingungen der jeweiligen Familie abgestimmt sind. »Nicht welche Antworten gefunden wurden, ist offenbar für ein langfristig erfolgreiches Unternehmen bedeutsam, sondern ob diese Fragestellungen wahrgenommen und angegangen wurden.« Ich stimme dem zu: Entscheidend ist nicht das Ergebnis, entscheidend ist der Weg. Wenn Sie sich als Familie konstruktiv mit dem Dreiklang der Bedürfnisse (Übergeber, potenzielle Übernehmer und Firma) auseinandersetzen und gemeinsam einen Plan entwickeln, dann wird dieser erfolgreich sein. Weil Sie ihn gemeinsam tragen werden. In dieser Planungsphase ist es wichtig, die Erkenntnisse aus dem bisher Gelesenen einzubeziehen: • Die drei Kreise der Kollision beeinflussen die Entscheidung. • Ein Nachfolger muss Werte und Sinn der Firma verstehen. • Es gibt eine Fülle von Lösungen, sobald man den betonierten Weg verlässt. • Freiheit und Freiwilligkeit sind Voraussetzungen für Erfolg.

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Das wären zumindest die wichtigsten Erkenntnisse. Sie haben bestimmt (hoffentlich) noch weitere gewonnen, die in Ihren Plan einfließen werden, in Ihre individuelle Familienstrategie. Legen Sie das Fundament

Sie finden den Begriff »Strategie« ungewöhnlich für eine familiäre Angelegenheit? Ich finde ihn sehr gut gewählt, eben weil er normalerweise im Unternehmenskontext verwendet wird und die enge systemische Verbindung unterstreicht, die Sie mit der Nachfolgeplanung eingehen. Sie verknüpfen die Bedürfnisse sowie Interessen des Unternehmens und der Familie mit den Eigentumsverhältnissen. Sie definieren, ausgehend vom heutigen Standpunkt des Wissens und Wollens, eine Vorgehensweise und ein Ziel. Sie legen gemeinsam fest, welche Schritte zu gehen sind, welches Wissen zu erwerben oder zu teilen ist. Sie vereinbaren Verhaltensweisen. Und Sie versuchen bei der Festlegung Ihrer Strategie fortwährend zu berücksichtigen, dass jeder Beteiligte die Freiheit hat, sich im Prozess anders zu entscheiden. Was Sie hier gemeinsam erarbeiten, ist die Basis für die konkrete Umsetzung der Firmenübergabe – ein Fundament, auf dem ein Nachfolger künftig stehen muss. Grundstein des Fundaments ist die Idee, welcher Nachfolger das sein könnte: ein Familienmitglied, mehrere Familienmitglieder, ein unternehmensinterner bzw. fremder Dritter oder eine geniale Kombination aus extern und intern – sozusagen ein »Best of Breed« wie es neudeutsch so schön heißt? Der Begriff »Strategie« erscheint mir auch sinnvoll, weil er Ihnen nahelegt, das Nachfolgethema aus dem Familienalltag herauszunehmen. Das Thema benötigt einen geschützten und respektierten Rahmen. Sie besprechen sowas gern am Mittagstisch, sonntags nach der Kirche oder wann immer Zeit dafür ist? Würden Sie das mit leitenden Angestellten oder Kunden auch so machen? Nein? Dann legen Sie auch in der Familie künftig Termine fest. Etablieren Sie eine Familienkonferenz als ein regelmäßiges Ritual der Familie. Sie ist ein sichtbares Zeichen nach innen und außen, unterstreicht die Bedeutung und Achtung, die sowohl Gebender als auch Nehmender der Nachfolgeregelung beimessen. Die Konferenz begleitet die Nachfolge, sie startet mit der Entwicklung eines Plans und der Der Plan

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daraus resultierenden Vorgehensweisen. Hier bietet es sich an, mit einer Art Nachfolgedrehbuch die gemeinsamen Vereinbarungen zu besiegeln. Feiern Sie das! Feiern Sie am besten jede Vereinbarung, jeden Schritt. Es ist etwas ganz Besonderes, das Sie und Ihr(e) Nachfolger mit der Übergabe tun, etwas, das Sie nur einmal im Leben machen, etwas Hochemotionales. Wenn Sie hiernach sofort zum Alltag übergehen, werden Sie dem Ernst und Wert dieses Prozesses in keiner Weise gerecht. Die Familienkonferenz kann den gesamten Ablauf begleiten: von der ersten Beteiligung des Nachfolgers am Unternehmen über die Phase des internen oder externen Übergangs und gegebenenfalls bis hin zur Nachbetreuung, also bis zur Phase nach dem vollzogenen Übergang. Regelmäßige institutionalisierte Treffen bieten einen geschützten und autarken Raum. Sie machen durch ihre Besonderheit allen Beteiligten klar, dass sowohl das System Familie als auch die Systeme Unternehmen und Eigentum jetzt gerade wirksam sind. In einer Familienkonferenz wird anders gesprochen und agiert als am Mittagstisch. Deswegen ist auch der Konferenzraum des Unternehmens oder eines Hotels ein besserer Ort für Geschäftsbesprechungen als das eigene Wohnzimmer. Halten Sie die wichtigsten Vereinbarungen oder Veränderungen schriftlich fest. Damit stellen Sie zum einen sicher, dass es ein gemeinsames Verständnis der gleichen Themen gibt. Zum anderen erzeugt eine solche Art Protokoll, von allen unterschrieben, ein großes Stück Verbindlichkeit. Man kann sich darauf berufen: »Schaut mal, vor zwei Wochen haben wir das und jenes vereinbart.« Das hilft gerade den weniger durchsetzungsstarken Familienmitgliedern sehr. Ein externer Mediator oder Moderator bringt die Familienkonfe­ renz in ruhigere Gewässer, wenn die Wogen (zu) oft hochkochen. Das Holen fremder fachlicher Unterstützung ist etwas, das Unternehmer häufig und gern machen. Irgendwann in unserer Laufbahn stellen wir fest, dass wir nicht alles können, und stützen uns froh auf Fachleute. Erfahrene Mediatoren oder Moderatoren sind solche Fachleute. Sie schaffen es in kürzester Zeit, scheinbar meilenweit entfernte Meinungen und Standpunkte zu harmonisieren.

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Fülle der Lösungen

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, der Mount Everest kann nur von Basislager zu Basislager bestiegen werden. Ein Plan hilft Ihnen, das komplexe Thema Unternehmensnachfolge in beherrschbare Teilstücke zu untergliedern. Warum fangen Sie nicht heute an, sich die Fragen zu stellen, die dieses Buch bisher aufgeworfen hat? Heute ist der perfekte Tag dafür, wer »morgen« sagt, hat morgen wieder etwas »Besseres« vor. Ich habe herausgefunden, dass ein Thema immer schwerer, immer größer und immer unlösbarer wird, je öfter man es auf »morgen« verschiebt. Kennen Sie dieses Gefühl auch? Kennen Sie auch »Edwards Gesetz von Zeit und Aufwand«? Die Energie, die man in die Durchführung oder Lösung einer Aufgabe investiert, ist umgekehrt proportional zur verbleibenden Zeit. Falls Sie also schon ab und zu in Panik verfallen, dann ist nicht mehr viel Zeit für eine gesunde Nachfolgelösung und Sie werden umso mehr Energie investieren müssen. Der Zeitfaktor ist demnach zentral. Ein Plan, Ihr Plan, wird wesentlich davon beeinflusst werden, in welcher Lebensphase Sie sich befinden. Wenn in Ihren Vorstellungen noch viel Zeit bis zur konkreten Übergabe vergeht, sollte der Plan dazu entsprechend passen. Oder wollen Sie die Übergabe jetzt angehen, stecken gar mittendrin im Kreislauf aus schlaflosen Nächten und unerquicklichen Gesprächen? Dann wird Ihr Plan auch sicher anders aussehen. Die Zeitachse bestimmt Ihre Entscheidung mit, weil eine Nachfolge Zeit benötigt. Bei der familiären Nachfolge beansprucht sie ein ganzes Leben. Kaum hat der Junior seinen ersten Schrei getan, wird dieser als durchsetzungsstark wahrgenommen und – ganz der Papa – schon mal prophylaktisch bei den Rotariern angemeldet. Aber wann muss man denn nun beginnen, sich Gedanken zu machen? Die Frage ist hypothetisch. Erstens ist es für Sie bedeutungslos, was »man« muss. Gewöhnen Sie sich dieses Wort am besten ganz ab. Entscheidend ist, was »Sie« machen, fühlen oder wollen. Zweitens ist die Frage nach dem »Wann« an dieser Stelle irrelevant. Sie machen sich ja jetzt Gedanken, also betrachten Sie bitte einfach, was jetzt ist. • Was braucht die Firma jetzt? Der Plan

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• Welche Nachfolger bieten sich jetzt an und welche Qualifikation, welche Motivation bringen sie mit? • Welche Lösungen können jetzt entstehen? Wenn noch Entwicklungszeit bis zur Übergabe ist: Prima, nutzen Sie diese produktiv und im stetigen Dialog mit potenziellen Nachfolgern. Im besten Fall haben Sie tatsächlich mit dem ersten Schrei des Juniors begonnen, ein positives Rollenvorbild zu sein, und deswegen gibt es jetzt potenzielle Nachfolger unter Ihren Kindern, die das Unternehmen und die damit verbundene Verantwortung als Chance begreifen – die Lust darauf haben. Aber auch wenn Ihre Kinder im falschen Kindergarten waren und nicht Mandarin gelernt haben, obwohl China der kommende Markt ist – egal! Sie können nur mit dem umgehen, was jetzt ist, und dabei hilft es, sich die eigenen Kinder ohne die väterlich-liebende und das Unternehmen ohne die unternehmerisch-behütende Brille anzuschauen. Sie beginnen jetzt und planen aus einer klaren, aufrichtigen und gemeinschaftlichen Analyse der Ist-Situation die Zukunft. Sie entscheiden sich jetzt für ein Nachfolgeszenario. Damit legen Sie das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft – für die Familie, für die Firma und auch für die Sicherung der Eigentumsverhältnisse (und damit für die Sicherung Ihres neuen Lebensabschnitts). High Noon?

Immer wieder wird mir die Frage gestellt, wie lange eine familieninterne Übergabe oder ein Unternehmensverkauf dauern sollte. Es ist schwer, hier Richtwerte zu setzen, da jede Nachfolgesituation einzigartig ist. Es gibt keinen Standard, oder ich habe ihn zumindest in 15 Jahren Nachfolgeberatung nicht gefunden. Ich kenne familiäre Übergabephasen, die dauerten sechs Monate, andere sechs Jahre. Damit meine ich die Phase des rechtlichen und wirtschaftlichen Übergangs. Die Phase, in der sich der Senior tatsächlich zurückzieht und der Junior übernimmt. Rechnen wir allerdings die Phasen mit ein, in denen mehrere Generationen parallel im Familienunternehmen tätig sind und Verantwortungsbereiche einzeln und schrittweise übergeben 156

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werden, dann kann ein Übergang auch 20 oder 30 Jahre dauern. Die Studie zur Unternehmensnachfolge in Bayern zeichnet ein ähnlich uneinheitliches Bild: 19 Prozent der familiären Übergaben gehen zack, zack in weniger als einem Jahr über die Bühne, fast 22 Prozent dauern länger als vier Jahre. Der Rest tummelt sich dazwischen.95

Quelle 96: nach Studie »Unternehmensnachfolge in Bayern« BF/M und FHDW, Paderborn, 2011

Beim Verkauf eines Unternehmens ist der Anteil der schnellen Übergänge in dieser Studie deutlich höher – fast 31 Prozent benötigen unter einem Jahr, um das Unternehmen zu veräußern. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Ich denke, dass bei einem prosperierenden, gesunden Unternehmen mit guter Rendite und ebenso guter Perspek­tive ein Verkauf relativ schnell gelingt. Wenn das Unternehmen nicht so organisiert ist, dass alles über einen Schreibtisch laufen muss, dann sollte es innerhalb eines Jahres geschafft sein. Im Schnitt – das zeigt auch die zitierte Studie – dauern Unternehmensverkäufe länger, nämlich circa drei Jahre. Das ist verständlich, denn in fast jedem Verkaufsprozess gibt es Höhen und Tiefen. Es gibt plötzliche Absagen aus subjektiven Gründen, weil die Chemie zwischen Verkäufer und Käufer nicht (mehr) stimmt. Oder es Der Plan

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entstehen Probleme mit der Finanzierung. Häufig treten auch Phasen auf, in denen am Markt einfach kein Interesse für das jeweilige Unternehmen besteht. Auch diese Episoden müssen wir durchhalten und sie heben den Durchschnitt natürlich nach oben an. Gerade die Phasen des Durchhaltens und der Planänderungen durch Absagen oder geplatzte Finanzierungen zehren von der Sub­­ stanz. Das geht allen so, nicht nur Ihnen. Sie haben (endlich) die Entscheidung getroffen, sind emotional bereit für den Verkauf, vielleicht ist schon ein Vorvertrag da und alle sind erleichtert. Und dann klappt plötzlich etwas nicht. Das ist für alle Beteiligten frus­ trierend. Das Spiel geht von vorne los, sie müssen sich wieder motivieren und eine neue Lösung finden. Im besten Fall haben Sie einen Plan B in der Tasche (ein goldener Tipp, der sich schon oft bewährt hat). Im schlechtesten Fall müssen Sie ein neues Szenario entwerfen. Währenddessen muss die Firma weitergesteuert werden, Investitionen können nicht warten, ebenso wenig Neueinstellungen. Der Unternehmer muss Vollgas geben, als würde er noch weitere zehn Jahre arbeiten wollen. Das kann an die Substanz gehen. Aber es ist wichtig, diese Kontinuität während der Übergabe zu wahren – für Sie, für die Familie und vor allem für die Mitarbei­ter. Denn Veränderung verursacht immer Unsicherheit, weil sie Instabilität erzeugt. Und unsichere Menschen agieren anders, stellen Probleme ins Zentrum, verbreiten Gerüchte, verfallen in Aktionismus oder das genaue Gegenteil. Deshalb ist Beständigkeit ebenso wichtig wie eine sehr, sehr gute, offene und transparente Informationspolitik gegenüber allen Beteiligten. Und noch etwas ist für mich an dieser Stelle zentral: Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken für das, was alle geleistet haben und fortwährend leisten. Mit diesem Gedanken verbinde ich auch bzw. ganz besonders eine Einladung an die junge Generation, an die Nachfolger: Es ist nicht selbstverständlich, was Ihnen hier auf dem Silbertablett angeboten wird. Sie erhalten von Ihren Eltern die Möglichkeit, eine Firma von besonderem Wert  – emotional und finanziell  – weiterzuführen. Sie bekommen dafür einen Vertrauensvorschuss und ganz viel Erfahrungswissen mit auf den Weg. Es liegt immer an Ihnen selbst, ob Sie in einem engen Blickwinkel nur die Verpflichtung sehen oder mit ganz viel Dankbarkeit die Ihnen angebotene Chance ergreifen. 158

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  Neues Feuer entfachen

Über die Größe Ihres Gartens und die Größe Ihres Glücks, neue Horizonte und die drei Teile des Glückskuchens »Loslassen öffnet neue Horizonte«, das ist die Kernthese dieses Buches. Was aber, wenn Sie gar keinen neuen Horizont wollen? Der jetzige ist super, die Sonne geht dort zuverlässig jeden Morgen auf und der Abendstern weist die Richtung. Nach wie vor. Ein neuer Horizont kann Ihnen also gestohlen bleiben? Nichtsdestotrotz ist da die unternehmerische Verantwortung und der »Generationenvertrag«. Die Kinder stehen in den Startlöchern oder der Partner drängt auf mehr Zeit: Zeit für Reisen, für die Familie, für den Garten. Außerdem plagen Sie aktuelle Probleme wie die steigende Bürokratie, die Digitalisierung oder die mühsame Suche nach qualifizierten und engagierten Mitarbeitern? Sollen sich doch künftig andere darum kümmern. Engel links, Teufel rechts: Kommt Ihnen das bekannt vor? Die von PwC unter dem Motto »Ich bin dann mal weg« befragten Unternehmer sind hin- und hergerissen. Einerseits fühlen sich 69 Prozent verpflichtet, den Weg für die Nachfolge frei zu machen, andererseits erwarten viele Befragte, dass ihre Lebensqualität nach der Übergabe sogar sinkt. Weiter heißt es: »Lediglich die Unternehmer, die schon viele Ideen haben, was sie in ihrer freien Zeit machen werden, erwarten, tendenziell im Ruhestand zufriedener zu sein. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass Unternehmer, um ihren Ausstieg zu erleichtern, schon während ihrer aktiven Schaffensphase überlegen sollten, wie sie ihre Zeit nach dem Rückzug gestalten wollen.«97 Diese Schlussfolgerung kann ich nach 15 Jahren Nachfolgeberatung und 30 Jahren Unternehmertum unterschreiben. Mehr noch – ich glaube, dass mit der Antwort auf die Frage »Was kommt danach?« alles steht und fällt.

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Ohne Perspektive keine Chance

Nehmen wir an dieser Stelle das Beispiel von Wilhelm: Als ich ihn kennenlernte, war er Mitte 50, ein echter Selfmade-Unternehmer mit einem großen, prosperierenden Sanitärbetrieb. Ein »Macher«, wie man so schön sagt. Über die Jahre des unternehmerischen Wirkens und Machens, des Wachsens und Vorantreibens und der damit bedingten häuslichen Abwesenheit war die Familie deutlich zu kurz gekommen. Das zumindest meinte die Ehefrau und sah in einem Unternehmensverkauf die einzige Möglichkeit für einen Richtungswechsel. Es war ihr sehr ernst, es ging um die Ehe, um die Gesundheit der Kinder und um die Frage, was im Leben eigentlich wichtig ist. (Eine kleine Zwischennotiz: Wussten Sie eigentlich, dass die Unzufriedenheit der Frau ein viel größeres Trennungsrisiko für eine Ehe darstellt als die des Mannes? Und zwar um etwa 25 Prozent höher, das zumindest ist das Ergebnis einer Langzeitstudie des ZEW aus dem Jahr 2010.)98 Zurück zu Wilhelm. Der gab sich den Argumenten seiner Frau geschlagen und sagte: »Gut, dann mach ich halt was anderes.« Das Problem war, dass er nicht wusste, was. Da war keine Perspektive, auch in mehreren Coaching-Sessions konnte ich kein neues Feuer mit ihm entdecken. Es gelang uns nicht, den Mann um 180 Grad zu drehen, so dass er in die Zukunft hätte blicken können. Er blieb mit dem Blick fest in der Vergangenheit verhaftet, bei seinem alten Feuer, bei seinem Unternehmen. Daher war jeder potenzielle Käufer (und es gab einige) inkompetent, jeder Preis war zu niedrig, es gab immer einen Grund, nicht loszulassen. Denn, ließe er los, stünde er mit leeren Händen da. Irgendwann haben wir eingesehen, dass es so nicht geht. Wir mussten den geplanten Verkaufsprozess abbrechen. Stattdessen wurde gemeinsam beschlossen, den Betrieb zu verkleinern. Dieser Schritt sollte mehr Balance schaffen, mehr Zeit für die Familie. Ob es diesem engagierten Macher wirklich gelungen ist? Ich bezweifle es. Für mich belegt diese Geschichte zweierlei: zum einen, dass selbst ein erfahrener Coach und Mediator nicht helfen kann, wenn auf der anderen Seite kein Wille vorhanden ist, sich helfen zu lassen. Zum anderen, dass man ohne ein neues Feuer das alte schwer verlassen kann. Ohne Perspektive keine Chance. Anders gesagt: Wenn kein »hin zu« da ist, wird das »weg von« nicht funktionieren. 160

Neues Feuer entfachen

Wir haben uns schon in vergangenen Kapiteln die wissenschaftlich belegte, enge Verbindung des Unternehmers zu seinem »Baby«, seiner Firma, angeschaut.99 Diese enge Bindung zu kappen und die geschaffenen Werte zurückzulassen, ist nicht reizvoll. Verstandsentscheidungen wie »Ich werde älter« oder »Eigentlich hat meine Frau ja Recht« reichen nicht als Begründung, um ein nährendes Firmenfeuer aufzugeben. Wo Gefühle am Werk sind – und bei der unternehmerischen Liebe geht es um starke Gefühle –, ist der Verstand zweitrangig. Solange Ihnen nicht klar ist, wo Ihre neue Herausforderung liegt, wird jede Familienstrategie, jede Nachfolgeregelung zum Scheitern verurteilt sein. Sie werden immer wieder an Ihr altes Feuer zurückkehren wollen, denn wenn Sie es verlassen, wird Ihr Leben (vermeintlich) einsam, kalt und dunkel. Eine neue Lebensperspektive

Mit diesem Kapitel möchte ich Sie einladen, sich intensiv mit Ihrem neuen Feuer zu beschäftigen. Dazu ist nicht viel erforderlich, außer Zeit und Muße, Stift und Papier sowie vielleicht gute Freunde, die ab und zu den Spiegel vorhalten. (Wenn Sie bei der Frage nach den »guten Freunden« ratlos sind, könnte das schon ein erster Schritt zu einem neuen Feuer sein: die Suche nach einer Gemeinschaft, die Ihre Werte und Ziele teilt, meinen Sie nicht?) Aber bevor wir in die Ferne schweifen: Nehmen Sie sich als Vorbereitung für das Loslassen einfach mal die Zeit für eine ruhige Lebensbetrachtung: Wo ist (tief) in Ihrem Herzen etwas, das in Ihrem bisherigen Unternehmerleben gar nicht erfüll- oder realisierbar war? Und damit meine ich keine Highlights wie »Noch mal Udo Lindenberg live erleben«. So etwas gehört auf die »Bucket List«* und ist leicht zu erledigen. Die Dinge, die Sie jetzt für sich klären dürfen, gehen tiefer. Gab es früher einen Traum, etwas, das 5

 * Wobei so eine Bucket List ein guter Anfang ist, um sich über zukünftige Ziele und unerfüllte Träume klar zu werden. Für den englischen Begriff »Bucket List« gibt es keine knackige deutsche Übersetzung. Eine Erklärung wäre »Liste der Dinge, die man vor seinem Tod unbedingt noch machen möchte oder muss«. Neues Feuer entfachen

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Sie tun wollten, und irgendwie hat Sie das Leben davon abgebracht? Wo haben Sie vielleicht eine Abzweigung auf Ihrem Lebensweg genommen, die Sie gar nicht nehmen wollten, und was könnte aus dieser Einsicht für die Zukunft erwachsen? In dieser Phase der Neuorientierung dürfen Sie ausnahmsweise defizitorientiert denken: Was habe ich bisher versäumt oder auf dem Lebensweg verloren? Das betrauern Sie nicht oder geben es verloren, sondern sehen die Situation als Chance, etwas neu zu entdecken. Vielleicht zusammen mit dem Partner? Oder hat das Unternehmersein in zweiter, dritter oder vierter Generation Sie mit wahrhaft preußischen Tugenden ausgestattet und Sie haben sich bisher vieles nicht erlaubt? War es im Wesentlichen ein Pflichtgefühl, das Sie damals in die Firma getrieben hat, und liegen Ihre wirklichen Talente und Neigungen seither brach? Genau jetzt ist die Zeit, brachliegende Felder neu zu bestellen. Und auch der Raum ist da und dehnt sich weit in die Zukunft aus: Sie dürfen sich jetzt die Erlaubnis erteilen, einfach nur Sie selbst zu sein. Es hat nämlich durchaus sein Gutes, nicht mehr unternehmerisches Vorbild und Mentor sein zu müssen. Sie können jetzt all die Dinge tun, die zu Ihrem Bild vom Unternehmertum bisher nicht passten. Sie sind frei! Loslassen für Youngster

Frei zu sein, ist einer der Vorteile der Selbstständigkeit als Unternehmer und bedingt, dass Sie selbst entscheiden dürfen, wann Schluss damit ist. Zwar entsteht oft der Eindruck, dass Unternehmensnachfolgen etwas mit der magischen »65« zu tun haben. (In der Studie »Ich bin dann mal weg« geben 66 Prozent das Erreichen des Rentenalters als Rückzugsgrund an. Allerdings liegt das mittlerweile bei 67 Jahren.)100 Natürlich ist das Gros der Übergeber tatsächlich »in die Jahre gekommen«. Bei der Kurzstudie »Unternehmensnachfolge in Bayern« waren circa 82 Prozent der fast 1.000 befragten Unternehmensübergeber über 55 Jahre alt, 26 Prozent davon älter als 65. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass immerhin 18 Prozent der Übergeber unter 55 Jahre alt waren, fünf Prozent sogar jünger als 50.101 162

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Quelle: nach Studie BF/M »Unternehmensnachfolge in Bayern«, 2011

Besondere Lebensumstände, Krankheit oder eine ganz starke Veränderungsmotivation, es anders zu machen, können treibende Faktoren für Menschen sein, die ihr Lebenswerk zu einem frühen Zeitpunkt übergeben. So auch eine Familie, die ich vor einigen Jahren begleitet habe. Beide waren Anfang 40 und junge Eltern. Die Geburt des zweiten Kindes war der finale Auslöser ihres Ausbruchs aus einem sehr erfolgreichen Unternehmerleben. Sie stellten sich die Fragen: »Was machen wir hier eigentlich? Ist das wirklich unser Leben, das zu 90 Prozent in den (zugegeben, sehr schicken) Wänden dieses Unternehmens stattfindet?« Die beiden befanden: nein! Sie verkauften innerhalb eines Jahres und haben sich mittlerweile auf Mallorca eine neue Existenz aufgebaut. Deren Grundlage ist weiterhin die Liebe zur Architektur und zu den schönen Dingen, lässt ihnen aber vor allem Zeit, das Leben in jedem Moment zu realisieren: das Glück zu genießen, eine Familie zu sein. Das besonders warme Tageslicht ihrer Wahlheimat auf der Haut zu spüren, bewusst und jeden Tag. Auf der Terrasse des Büros innehalten zu dürfen, mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf das Meer zu schauen. Wenn ich diese Familie ab und zu wiedertreffe, führt diese Begegnung mir vor Augen, wie unkompliziert und freudig-motiviert ein Unternehmensübergang sein kann, wenn das neue Ziel mit Glück und Zufriedenheit in Verbindung gebracht wird. Neues Feuer entfachen

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Kurzvideo mit einer Beispielberatung https://nextim.wistia.com/medias/vps5e28ytz

Was ist Glück?

»Als ich fünf war, hat meine Mutter mir immer gesagt, dass es das Wichtigste im Leben sei, glücklich zu sein. Als ich in die Schule kam, baten mich die Lehrer aufzuschreiben, was ich später einmal werden möchte. Ich schrieb auf ›glücklich‹. Sie sagten mir, ich hätte die Frage nicht richtig verstanden, und ich antwortete ihnen, dass sie das Leben nicht richtig verstanden hätten.« Das Zitat wird John Lennon zugeschrieben und zeigt für mich: Glück hat nichts mit den äußeren Umständen zu tun, also mit dem, was wir sind oder zu sein vorgeben. Glück entsteht in uns und durch unsere Prioritäten. Nehmen wir uns beispielsweise die Zeit, den Sonnenuntergang gemeinsam mit unserem Partner anzugucken, oder ist es uns wichtiger, die »Börse vor acht« zu schauen? Sind wir dankbar für das, was wir aufgebaut haben und jetzt weitergeben dürfen, oder empfinden wir es als Last?

Quelle 102: nach »Glücklich sein« von Sonja Lyubomirsky

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Ich habe mal irgendwo gelesen, dass wir Glück nicht mit Zufriedenheit gleichsetzen dürfen. Glück ist nicht nur Zufriedenheit, es ist Zufriedenheit mit ganz viel Sahne obendrauf. Zusätzlich zur Zufrie­den­heit (mit den Lebensumständen, dem Partner, der Gesundheit …) gehört zum Glück noch die Fähigkeit, positive Emotionen bewusst zu erleben. Das Glück ist nichts Passives, kein Schicksal, das den einen er­­ eilt und den anderen nicht. Wir haben es selbst in der Hand, ob wir glücklich sind. Der Glückskuchen von Sonja Lyubomirsky zeigt, dass wir zu 40 Prozent mit unserem Denken und Handeln selbst bestimmen können, wie glücklich wir sind.103 Ergo: Sie selbst bestimmen durch Ihr Denken und Handeln, ob die Übergabe des Unternehmens eine glückliche Fügung für den Rest Ihres Lebens oder ein endloses Drama ist. Wenn Sie das Glück für Ihr künftiges Leben einladen möchten, dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Schöne, Gute und Echte in Ihrem Leben. Zum Beispiel auf ein starkes »Warum«. Denken Sie oft daran und handeln Sie entsprechend. Das ist entscheidend! Ein starkes »Warum« schafft die favorisierte ­Zufriedenheit mit Sahne

Quelle 104: nach PwC-Studie »Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg«, 2015, S. 22 Neues Feuer entfachen

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obendrauf. Was macht aus einem Plan ein starkes Warum? Das ist eine gute Frage. Viele Unternehmer kommen in unsere Beratungen oder Seminare und glauben, dass ihre Hobbys und ihre Enkel ihren Lebensabend positiv und glücksstiftend ausfüllen werden. Bei den von PwC befragten Unternehmern waren Reisen (75 Prozent) und Zeit mit der Familie (65 Prozent) die Ak­­tivitäten, denen sie nach dem Rückzug verstärkt nachkommen wollten.105 Und dann noch der Klassiker: der Garten. Dieser begegnet mir im Beratungsalltag immer wieder. Warum ist das so? Ich vermute, dass hier aus einem Mangel im Jetzt ein Plan für die Zukunft gemacht wird. Momentan wird es als störend empfunden, dass für Garten, Reisen und Familie zu wenig Zeit ist, weil das Unternehmen viel Zeit in Anspruch nimmt. Und daraus wird eine einfache Schlussfolgerung gezogen: zu wenig Zeit für Garten, Familie und Hobby = Frust mehr Zeit für Garten, Familie und Hobby = Zufriedenheit

Dann müsste doch alles gut sein? Jein. Die erste Zeit sicherlich. Mo­­ nate, vielleicht sogar ein paar Jahre könnten mit diesen »Aufgaben« für Sie zufriedenstellend ins Land gehen. Aber bitte bedenken Sie – wir werden immer älter. Wenn Sie mit den magischen 65 Jahren übergeben und werden bei guter Gesundheit vielleicht 90: Wie groß muss dann bitte Ihr Garten sein?

Wie es nicht geht – die drei Klassiker Jetzt wird’s bunt: mit Brillen, Schnaps und Gummibärchen; die drei Klassiker der Zukunftsgestaltung und die Fragen nach dem Wollen und dem Müssen Haben Sie sich schon einmal bewusst und vielleicht auch bildlich vor Augen geführt, wie viel vom »Rest des Lebens« Ihnen noch zur Verfügung steht? Nehmen wir das »magische« Alter 65 als Beispiel: Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes leben Sie als 65-jähriger Mann im Schnitt noch 17,8 Jahre, die Damen haben noch 21 Jahre 166

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vor sich (Stand 2017).* Das ist auf der einen Seite eine Menge Zeit für Gartenpflege, auf der anderen Seite bedeuten diese Zahlen: 78 bzw. 76 Prozent Ihrer Lebenszeit haben Sie bereits hinter sich. Ich hoffe für Sie, dass Sie mit dieser Lebenszeit gut, sinnvoll und vor allem bewusst umgegangen sind. Und dass Sie im Wesentlichen das gemacht haben, was Ihnen richtig erschien, aus einem inneren Antrieb heraus und mit großer Zufriedenheit. Wenn das so war, warum sollten Sie es jetzt ändern? Warum sollte Ihre Zeit nach dem Unternehmersein einen Abfall in punkto Lebenszufriedenheit oder Glück bedeuten? Ich an Ihrer Stelle würde das nicht akzeptieren wollen. Und wenn Sie bisher eher das passive Gefühl hatten, im Leben fremdgesteuert bzw. -bestimmt zu sein, wird es Zeit für ein Resümee und einen bewussten Ausblick. Dann wäre jetzt die Gelegenheit, den Stier bei den Hörnern zu packen. So oder so: Die Phase des Übergangs kann keine unbewusste sein, das macht sie so schwierig. Sie wird nicht zwangsläufig eintreten, denn anders als beim Renteneintritt Ihrer Mitarbeiter ist bei Ihnen nichts gesetzlich vorgegeben, nichts vertraglich vorbestimmt. Sie selbst entscheiden, wann Sie gehen und unter welchen Bedingungen. Gibt es vielleicht Kinder, die mit den Hufen scharren, oder einen altgedienten Manager, der mit der Nachfolge rechnet? Oder existiert ein strategischer Investor, der lieber heute als morgen einsteigen würde? All das ist letztlich egal, denn es bleibt Ihre Entscheidung und Ihre Verantwortung, was Sie mit Ihrer Zukunft und der Ihrer Firma anfangen. In der Studie »Ich bin dann mal weg« beschreiben die Autoren die Entscheidung von 69 Prozent der Befragten, den Weg für die Folgegeneration rechtzeitig frei machen zu wollen, als verantwortungsbewusst.106 Ich frage mich, ob das so stimmt. Gehen diese Übergeber wirklich bewusst den Weg, der ihnen als der verantwortlichste erscheint? Oder wird da einfach ein Weg immer weitergegangen, der vermeintlich vorgezeichnet ist, eben weil Kinder da sind und man sich irgendwie darauf eingestellt hat, dass es so laufen wird? Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es wichtig und richtig ist, sich gegenseitig Freiheit zu geben. Es gibt keine 6

 *

Recherche unter www.gbe-bund.de mit dem Stichwort »Lebenserwartung«. Hier können Sie die Suchparameter frei ändern. Wie es nicht geht – die drei Klassiker

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starren Regeln. »Mit 65 gehe ich in Rente. Basta!« So ein Quatsch. Wenn Sie sich fit fühlen und fit sind, wenn Ihre Lebensaufgabe noch nicht beendet ist und Sie im Flackern des Firmenfeuers noch etwas erreichen und/oder hinterlassen möchten, dann machen Sie eben weiter. Wer will da »lieber Gott« spielen und sagen: »Das darfst du nicht, das ist egoistisch. Mach den Weg gefälligst frei.«

Quelle 107: nach PWC-Studie »Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg«, 2016

Aber, Achtung: Dieser Freifahrtschein über das Rentenalter hinaus ist von mir nicht als ein »Weiter so« gedacht. Sie sollen nicht entspannt weitermachen wie bisher und den Gedanken an die Nachfolge von Tag zu Tag verschieben. Es geht mir vielmehr um die Freiheit, für sich selbst, im Einklang mit der Familie und eventuellen Nachfolgern 168

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bewusst eine Entscheidung zu treffen – und diese dann zu leben. Das wäre für mich ein verantwortungsbewusstes Handeln, das sowohl die Belange der Firma als auch die eigenen Bedürfnisse im Blick behält. Brillen, Schnaps und Gummibärchen

Man kann den Eindruck gewinnen, dass zum Beispiel beim Brillengrossisten Fielmann so eine bewusste Entscheidung getroffen wurde. Von außen sah das erst mal anders aus. In den Medien wurde berichtet, dass Firmengründer Günther Fielmann die Geschicke seines Unternehmens bis zum 81. Lebensjahr leiten will: Erst ab Juli 2020 soll der Sohn die Firma übernehmen. Puh, da hängt wohl wieder ein Patriarch am Thron? Schaut man jedoch näher hin, könnte diese Verlängerung ein bewusster Schritt gewesen sein. Denn der 27-jährige Sohn ist erst seit kurzer Zeit im Unternehmen und so wäre ein früherer Abgang des Seniors wahrscheinlich mit einer Interimslösung verbunden gewesen, die sich niemand wirklich wünscht. In der »Wirtschaftswoche« wird der Aufsichtsratschef von Fielmann Mark K. Binz zitiert, darin meint er, man müsse sich keine Sorgen machen. Trotz des betagten Chefs sei Fielmann gerade nicht der vielzitierte Fall, in dem der Senior dem Junior nicht traut: »Ganz im Gegenteil: Im Fall Fielmann kann man wohl von einer Bilderbuch-Nachfolgeregelung sprechen.« Im gleichen Artikel heißt es: »Bei Eigentümerunternehmern weit jenseits der üblichen Pensionsgrenze handelt es sich meist um besonders erfolgreiche und charismatische Unternehmer, die über ihre Persönlichkeit das Team führen und von vielen in der Firma als Vaterfigur wahrgenommen werden.«108 Davon gibt es einige. Nehmen wir Hans Riegel von Haribo, der 2010 und mit 86 Jahren der F.A.Z. bestätigte, noch lange nicht ans Aufhören zu denken.109 Er fühle sich fit genug, sogar seinen Hubschrauber fliege er noch selbst. Wer nach seinem Tod an der Spitze des Unternehmens stehen wird, das wollte er nicht entscheiden: »Das werden die Gesellschafter später klären müssen.« Was sie dann ja auch getan haben. Patriarchen, die nicht abtreten können, sind Legenden. Es gibt sogar einen Namen dafür: »Prinz-Charles-Phänomen« nennen wir es, wenn Familienunternehmer auf dem Chefsessel festhängen wie die Wie es nicht geht – die drei Klassiker

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Queen auf ihrem Thron. Traditionsmarken wie Berentzen, FischerDübel oder Tierpark Hagenbeck – sie alle haben oder hatten wahrscheinlich mit Variationen dieses Grundproblems zu kämpfen: an der Spitze der Patriarch mit Stehvermögen und fehlendem Nachfolger, darunter eine zunehmend verunsicherte Mannschaft und ein häufig wechselndes Management. Die Folge ist eine sinkende Innovationskraft und damit ein Verlust von Qualität und Markenstärke. Es ist also im Sinne des Unternehmens und gleichermaßen in Ihrem Sinne, eine bewusste Entscheidung zu treffen und sich zu fra­ gen: »Geht es mir bei meinem Entschluss darum, weiter im Chef­­ sessel zu kleben, geht es mir um die Firma oder um meine Be­deu­ tung?« Haben Sie eventuell Angst vor der Bedeutungs­losigkeit? Ist der Garten Ihr Lieblingsszenario für die Zeit danach, weil er genug Raum lässt, immer mal wieder im Unternehmen vorbeizuschauen und sich ein paar Begrüßungen à la »Hallo, Chef! Schön, dass Sie da sind!« abzuholen? Ist womöglich das Reisen Ihre liebste Beschäftigung nach der Übergabe, weil man immer wieder zurückkommt? Sind Sie tief im Innern davon überzeugt, dass Sie weiterhin eine Rolle im Unternehmen spielen müssen, weil Sie sonst niemand mehr liebt? Ich verweise hier noch einmal auf die Studie »Ich bin dann mal weg«: 85 Prozent der Befragten wollen nach der Übergabe weiter im eigenen Unternehmen tätig sein.110 Leider sagt die Studie nichts darüber, wie die Nachfolger das finden. Ich vermute aber, dass es den meisten lieber wäre, wenn der Senior ein neues »Feuer« finden würde, einen anderen Sinn und Ort, um sein ganz natürliches Bedürfnis nach Anerkennung und Bedeutung zu befriedigen. Der Wunsch, eine Rolle zu spielen, ist vielfach der Antrieb hinter unserem unternehmerischen Streben nach Größe. Wir brauchen die Bestätigung von außen, wir müssen unser Können und unsere Kompetenzen in den Vordergrund stellen. Wir sind es gewohnt, bewundert zu werden. Wir sind es gewohnt, gefragt zu werden. Und wir sind es gewohnt, voranzugehen. Das Versagen der drei Klassiker

Ich lehne mich mal etwas weiter aus dem Fenster und behaupte, dass die Klassiker der Zukunftsplanung (Garten, Familie und Hobby) 170

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genau deswegen so häufig genannt werden, weil sie so schön vage sind. Weil sie immer noch genügend Raum dafür lassen, schnell wieder morgens um 8 Uhr pünktlich in der Firma zu sein, falls man doch noch gebraucht wird (und »man« wünscht sich, dass dieser Fall möglichst oft eintritt). So treiben wir ein gefährliches Spiel mit unserer Zukunft, denn genau weil diese Pläne über Gartenpflege, Urlaubsreisen oder »mehr Zeit für XY« so unverbindlich, vage und austauschbar sind, entpuppen sich die drei Klassiker fast immer als Totalausfall in Sachen erfüllter Zukunft. Mal im Ernst: Wie soll ein Mensch, der nach Bedeutung strebt, der seinen täglichen Antrieb daraus gezogen hat, gefragt zu werden und den Weg vorzugeben, plötzlich Erfüllung darin finden, Tulpenzwiebeln zu setzen? Kann sich der intrinsische Antrieb eines Unternehmers damit begnügen, den Pool auf Gran Canaria zu reinigen? Es wäre doch mehr als verwunderlich, wenn einem Macher, einem Unternehmer, plötzlich das Nichts-mehr-Unternehmen zur Lebenszufriedenheit hinreichen würde. Natürlich wird die erste Zeit prima laufen: ausschlafen, Sonne genießen und vielleicht ein großes Haus auf Gran Canaria erwerben, mit vier Schlafzimmern, denn die Enkel kommen bestimmt oft zu Besuch. Vom Dürfen und vom Müssen

Aber die Enkel kommen nicht, sie haben ein eigenes Leben. Richten Sie Ihre Zukunft nicht an anderen aus. Sie sind das zwar gewohnt, ich weiß. Sie haben jahrzehntelang erfolgreich agiert, weil Sie an­­dere in Ihre Pläne einbezogen haben. Als Unternehmer konnten Sie gar nicht anders – Sie haben Verantwortung getragen für Ihr Umfeld. Aber jetzt können Sie anders: Richten Sie sich in Ihren Entscheidungen an Ihren Bedürfnissen aus – nicht egoistisch, sondern bewusst. Als Unternehmer mussten Sie immer abwägen – wann ist die Firma dran, wann die Familie? Wann blieb Ihnen Zeit, in der es nur um Sie ging? Diese Zeit wäre jetzt, denn Sie könnten einen gedanklichen oder zeitlichen Schnitt setzen und beschließen, dass es ab jetzt oder ab Zeitpunkt X nur noch um Sie geht. Dass Sie ab einem Alter von zum Beispiel 65 Jahren nicht mehr müssen, sondern nur noch dürfen: Sie dürfen sich um ein neues Feuer kümmern, eine neue LebensWie es nicht geht – die drei Klassiker

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aufgabe finden, vielleicht zusammen mit dem Partner etwas planen. Und wenn Sie dann trotzdem entscheiden, noch fünf Jahre im Unternehmen zu bleiben, dann dürfen Sie das. Aber Sie müssen nicht.

Wie es geht – praktische Ideen Über die neuen »Feuer« bekannter Unternehmer, über Lebens­ mittelpunkte und andere zentrale Fragen, die wir uns im Leben stellen dürfen, zum Beispiel die nach dem Zweck der Existenz »Komm, wir ändern unser Leben und fangen noch mal ganz neu an.« Karl Ludwig Schweisfurth, ehemaliger Chef des Massenverwursters Herta, hat mit fast 80 Jahren die »Herrmannsdorfer Landwerkstätten« gegründet. Früher Massentierhaltung, jetzt Pionier der ökologischen Landwirtschaft. Auch Günther Fielmann ist Ökobauer aus Leidenschaft und hat damit ein neues, starkes Feuer in Sichtweite, wenn er 2020 das Unternehmen seinem Sohn übergibt. Hörgerätehersteller Martin Kind hingegen kann sich in der Zeit nach dem Unternehmersein voll und ganz seinem Fußballklub widmen, denn er kaufte Hannover 96. Expolitiker Franz Müntefering schreibt und spricht deutschlandweit über das Älterwerden, plädiert für mehr gesellschaftliches Engagement der Senioren. Und Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, ist über die Grenzen seiner und meiner Heimatstadt hinaus bekannt geworden, als er und seine Frau mit Anfang 50 in eine Senioren-WG zogen. Scherf, der mittlerweile auch einige Bücher zum Thema veröffentlichte, hat mal zu mir gesagt: »Du solltest deinen Lebensmittelpunkt kennen. Wenn du im Alter da anknüpfst, kann etwas Reizvolles entstehen.« Wo könnte er sein, Ihr Lebensmittelpunkt? Ist es ein Ort, ein Thema oder eine Frage, die Sie umtreibt? Ist durch Ihr unternehmerisches Schaffen etwas entstanden, das Sie inhaltlich weiterführen oder (wie im Beispiel des Herta-Gründers) geradebiegen wollen? Sie wissen es nicht? Reicht dann nicht vielleicht doch der Garten …? Ich gebe Ihnen hier ein paar Fragen zur Anregung: • Was wollten Sie immer schon tun? • Was möchten Sie noch erleben und mit wem? 172

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• Welche Werte werden Sie hinterlassen? • Was können und wollen Sie weitergeben? • Was schenken Sie sich selbst, solange Sie noch auf dem Planeten sind? • Welchen Einfluss könnten Ihr Wissen und Wirken da »draußen« haben, außerhalb der eigenen vier Wände? • Wer sind Sie, wenn Sie nicht mehr »Chef« sind? • Wenn ich Sie nachts um zwei Uhr wecken und nach dem Sinn Ihres Lebens fragen würde, was würden Sie antworten? Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist starker Tobak, das gebe ich zu. In Kapitel 1 haben wir uns mit dem »golden circle« und mit dem unternehmerischen »Warum« beschäftigt. Jetzt beschäftigen wir uns mit Ihrem persönlichen »Warum«, mit der Frage nach Ihrem Zweck der Existenz. ZDE – der Zweck der Existenz

In John Streleckys Bestseller »Das Café am Rande der Welt« verschlägt es einen gestressten Werbemanager in ein kleines Café mitten im Nirgendwo.111 Als er es betritt, ahnt er noch nicht, dass dieser Tag sein Leben verändern wird. In der Speisekarte findet er nicht nur das Menü, sondern drei spannende Fragen: »Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben?«

Johns zunächst irritierte Haltung wird zu Neugier. Er beginnt, das Geheimnis hinter den Fragen zu lüften. In langen Gesprächen mit dem Koch, der Bedienung und einem Gast merkt er schnell, dass dieser Café-Besuch alles andere als gewöhnlich ist. So kommt es dazu, dass John den Sinn des Lebens erörtert und sich plötzlich auf der Reise zum eigenen Selbst befindet. Er beginnt zu verstehen, dass jeder Mensch einen »Zweck der Existenz« (ZDE) hat, und lernt dabei, wie er den eigenen findet. John Strelecky – übrigens ein begnadeter Unternehmer in eigener Sache – verbindet mit dem ZDE sein KonWie es geht – praktische Ideen

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zept der »Big Five for Life«, die auch Ihnen auf der Suche nach dem neuen Feuer helfen könnten.112 Im Rahmen des »Big Five«-Konzepts wird hinterfragt, was wirklich zählt im Leben, und uns nahegelegt, uns die fünf wichtigsten Dinge bewusst zu machen, die wir im Laufe unseres Lebens getan oder erlebt haben möchten. Indem wir uns dieser Dinge bewusst werden und sie für uns festlegen, entwickelt jeder von uns seinen ganz eigenen Maßstab für ein erfolgreiches Leben. Eine Anmerkung zu meinen Buchempfehlungen: Sie können Bücher lesen, bis der Arzt kommt, und dann noch ein paar, bis er wieder geht. Bücher sind komplett ungefährlich für Ihr Ego, solange Sie sich dabei nicht die Frage stellen, was der Inhalt mit Ihnen zu tun hat. Die »hohe Lesekunst« ist nicht die der Abarbeitung von Buchstaben und der Aufnahme von Informationen. »Lesen gefährdet die Dummheit«, allerdings nur, wenn wir die Inhalte auf das eigene Denken beziehen: »Was macht das Gelesene mit mir?« Es gibt neben dem Lesen kluger Bücher sicherlich viele gute und – vielleicht noch mehr – weniger gute Ansätze, sich mit der Frage nach den eigenen Bedürfnissen und den verborgenen Sehnsüchten auseinanderzusetzen. In unseren Stabwechselseminaren, die sich ausschließlich mit dem Loslassen beschäftigen, bitten wir die Teilnehmer, sich gedanklich fünf Jahre in die Zukunft zu begeben. Von diesem zukünftigen Standpunkt aus schreiben sie einen Brief an einen guten Freund oder eine Freundin, blicken zurück und beantworten folgende Fragen: »Was ist in den letzten fünf Jahren passiert, was habe ich gemacht, wie habe ich das gemacht, was ist mit dem Unternehmen und mit der Familie passiert, wie ging es mir dabei, wie geht es mir heute?« Diese Metaperspektive aus der Zukunft auf das heute macht den Blick frei. Der schwere Schritt des Loslassens ist plötzlich nicht mehr vor uns als scheinbar unüberwindbarer Berg, er liegt hinter uns als abgeschlossener Erfolg. Dann wird alles viel einfacher. Das glauben Sie mir nicht? Probieren Sie es aus. Und wenn diese Zukunftsperspektive nicht Ihr Ding ist, dann schreiben Sie trotzdem einen Brief. Vielleicht einen, in dem Sie die Ist-Situation, also das Heute und die letzten Jahre beschreiben. Welche Handlungen und Geschehnisse haben dazu geführt, dass Sie sich für das Loslassen entschieden haben bzw. sich noch entscheiden wollen oder müssen? Beide Briefe können und dürfen aus dem Bauch 174

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heraus geschrieben und emotional gefärbt sein. Es ist Ihre Sicht der Dinge im Jetzt und es könnte Ihre Zukunft sein, die Sie beschreiben. Deswegen werden Sie in der Beschreibung weder perfekt noch ausgewogen noch neutral sein und das ist genau richtig so. Eine ganz andere Perspektive

Bisher haben wir uns die Sonnenseite der Unternehmensnachfolge angeschaut: Sie verlassen das Unternehmen bei bester Gesundheit und haben noch eine Menge vor. Was aber, wenn der eigene Körper nicht mehr mitspielt oder, schlimmer noch, der Partner oder das Kind schwer erkrankt? Wo darf das Pflichtgefühl aufhören? Für jeden Unternehmer ist die Firma wichtig, aber wie wichtig darf sie sein? Welche Rolle darf sie in Ihrem Leben noch spielen und wie lange noch? Es gibt immer wieder Fälle, in denen Unternehmer aus gesundheitlichen Gründen loslassen (müssen) – rechtzeitig oder erst, wenn es zu spät ist. Ich kenne beispielsweise ein Familienunternehmen, bei dem der Unternehmer selbst schon verstorben war. Seine Frau und seine Töchter haben das Unternehmen weitergeführt und waren von morgens bis abends dort engagiert. Nacheinander sind Töchter und Mutter schwer krank geworden und so wurde das Loslassen von der bloßen Idee schnell zur Überlebensfrage. Zu diesem Schritt gehört allerdings eine wichtige Erkenntnis und Einsicht: Was ich hier tue, macht mich krank. Die Krankheit ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist nicht Zufall oder Pech. Es ist das Unternehmen bzw. meine Art und Weise des Unternehmerseins, die mich krank macht. Ich muss handeln und – viel besser – ich kann handeln, bin der Krankheit nicht einfach ausgeliefert. Ich kann Entscheidungen treffen, sobald ich erkenne: Ein bisschen Schlaf und ein langer Urlaub werden nicht reichen, da braucht es weit mehr. Meist sind es Partner oder Kinder, die sanft darauf hinweisen, dass es genug sein könnte, vielleicht auch ein engagierter Hausarzt. Ich würde dafür plädieren, diese Hinweise ernst zu nehmen, denn es geht ja nicht nur um Ihre Zukunft, sondern auch um die des Unternehmens. Die Haltung »Augen zu und durch, wird schon wieder, sind ja nur noch ein paar Jahre, dann habe ich mir den Rückzug verdient« kann auch für das Wohlergehen der Firma kritisch sein (wenn Ihr eigenes Ihnen schon egal ist). Wie es geht – praktische Ideen

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Außerdem: Sie müssen sich in keiner Weise den »Rückzug« verdienen. Sie sind Unternehmer, Sie müssen das Wohl des Unterneh­ mens im Auge behalten und dem geht es besser, wenn es von einem gesunden und engagierten Chef geführt wird. Das klingt zwar hart, aber wenn Sie in Ruhe drüber nachdenken: Vielleicht habe ich Recht? Letztlich steht und fällt Ihre Perspektive für das Leben nach dem Unternehmersein mit Ihrer Gesundheit. In den letzten 100 Jahren hat sich die Art und Weise, wie wir Alter erreichen und erleben, komplett verändert. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist um ganze 30 Jahre gestiegen und das höhere Alter wird oft bei bester Gesundheit erreicht, betont die Altersforscherin Ursula Staudinger, die am Aging Center der Columbia University forscht und lehrt. »Diese gewonnene Lebenszeit bringt für Individuen und Gesellschaft sowohl Herausforderungen wie auch große Chancen. Allerdings sind Lebenslaufstrukturen und Altersbild immer noch stark durch das traditionelle Bild des Alterns geprägt und stammen aus einer Zeit, in der unsere Lebenserwartung, die Qualität des Lebens im Alter und die Verteilung von Aufgaben über die Lebensspanne ganz anders waren als heute.«113 Ist das so? Kämpfen wir heute als »Senioren« gegen ein veraltetes Bild vom Alter an oder ist es vielmehr so, dass uns politisch und medial ein neues Bild vom Alter aufgedrängt wird und wir uns verdammt schwertun, es zu erfüllen? Sind wir alle Silver Surfer?

Braun gebrannte Weißhaarige rauschen auf weißen Segeljachten über ein glitzerndes Meer. Fitte Seniorenpaare radeln fröhlich durchs Grüne. Rüstige Rentner spielen glücklich mit einer Kinderschar – so zeigt die Werbung uns die Zielgruppe der »Best Ager« oder »Silver Surfer«. So müssen wir sein, und wenn uns ein Zipperlein plagt, dann hat die Werbung sicherlich eine Lösung dafür parat. Gegen dieses Abziehbild der fröhlichen Alten stehen Berichte über zunehmende Einsamkeit, Angst und Depression im Alter gegenüber und eine Studie der AXA-Versicherung scheint zu bele­ gen, dass Rente gar nicht so rosig ist, wie wir uns das in all den arbeitsreichen Jahren vorgestellt haben.114 Die Situation im Ruhestand gegenüber dem Erwerbsleben wird quer durch alle Alters- und 176

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Einkommensschichten inzwischen äußerst negativ beurteilt. Bei nur einem Drittel der Berufstätigen (33 Prozent) überwiegt heute noch Freude beim Gedanken an den Ruhestand. Bei der Hälfte (51 Prozent) dominieren dagegen Sorgen. Im Vergleich zu den Vorjahren hat 2018 auch die Unzufriedenheit der Rentner und Pensionäre mit ihrer Lage zugenommen. Nur noch jeder Zehnte unter ihnen berichtet von einer verbesserten Lebensqualität als zuvor im Berufsleben. Vor zwei Jahren gaben das noch mehr als doppelt so viele an: Bei der gleichlautenden Befragung im Rahmen des AXA Deutschland-­Report 2016 war es beinahe jeder vierte Rentner (24 Prozent). Wenn wir uns fragen, woher diese abnehmende Zufriedenheit rührt, sind wir schnell wieder bei Henning Scherf und dem Rat, den er mir gegeben hat: »Du brauchst einen Lebensmittelpunkt.« Und er würde mir wahrscheinlich beipflichten, wenn ich ergänze: Die Existenz eines Mittelpunkts definiert sich durch sein »Drumherum«, durch Freundschaft, Familie, Zugehörigkeit. Das Leben wird erst mit anderen wirklich schön. Forscher der Harvard-Universität begleiten mit der berühmten »Grant-Study«*7seit über 80 Jahren eine Gruppe von Männern**, um herauszufinden, warum ein Leben glücklich oder unglücklich verläuft. Begonnen hat man 1938 mit 724 jungen Männern, darunter Harvard-Studenten ebenso wie einfache Jungs aus Boston. 60 davon leben heute noch, manche sind über 90. Die ursprünglichen Teilnehmer bekamen mittlerweile circa 2.000 Kinder, von denen viele nun auch Teilnehmer der Studie sind. Studienteilnehmer wurden Ärzte, Anwälte oder Fabrikarbeiter. Einer von ihnen, John F. ­Kennedy, wurde sogar Präsident der Vereinigten Staaten. Manche wurden 8

 * Die Grant-Studie ist sehr bekannt, das Internet ist voll davon. Meine Quellen waren diese Seiten: Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.adultdevelop­ mentstudy.org/ – https://news.harvard.edu/gazette/story/2017/04/over-­nearly80-years-harvard-study-has-been-showing-how-to-live-a-healthy-andhappy-life/ – https://en.wikipedia.org/wiki/Grant_Study.  ** Es sind tatsächlich nur Männer, die begleitet werden. Als man 1938 mit der Studie begann, waren Frauen noch nicht in Harvard zugelassen und »man« kann ja in einer laufenden Studie nicht einfach das Setting verändern. So oder so ähnlich wird wohl die Begründung sein, warum das Glück der ­Frauen in Harvard nicht stattfindet. Es wäre sicherlich spannend, die Ergebnisse zu vergleichen, vielleicht kommt ja bald jemand auf die Idee. Wie es geht – praktische Ideen

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krank, manche Alkoholiker, manchen gelang ein gesellschaftlicher Aufstieg, andere stürzten ab. Welche Schlüsse können wir für unsere Suche nach dem künftigen Lebensmittelpunkt aus diesen jahrzehntelangen ausführlichen Aufzeichnungen und Untersuchungen ziehen? Zu welchem Ergebnis kommen sie? Es sind gar nicht viele Faktoren, die die Grant-Studie für ein glückliches Leben identifiziert. Eigentlich ist es nur einer: Gemeinschaft. 1. Gute Beziehungen halten uns glücklicher und gesünder. Soziale Kontakte sind sehr wichtig für uns, Einsamkeit bringt uns um. 2. Qualität in den Beziehungen ist wichtiger als Quantität, wenige echte Freunde sind ausreichend, 2.000 Facebook-Follower benö­ tigt niemand. 3. Körperlicher Schmerz oder Krankheit wird als weniger gravierend empfunden, wenn Menschen in glücklichen Beziehungen sind. 4. Enge Beziehungen sind zudem nicht nur gut für den Körper, sondern auch für den Geist und das Gehirn. Menschen, die wissen, dass jemand da ist, wenn es darauf ankommt, haben länger einen klaren und scharfen Verstand, können sich auch besser und länger an Dinge erinnern. Auch wenn sich Partner streiten, muss das nicht schlecht sein, solange sie wissen, dass sie sich auf den anderen verlassen können. Mit diesem neuen Wissen können wir verstehen, warum die Lebenszufriedenheit im Alter aktuell immer weiter abfällt – sie sinkt im gleichen Maße, in dem die Individualisierung und die gesellschaftliche Geschwindigkeit steigen. Die Anonymität steigt, während Singlehaushalte zunehmen und Arbeitnehmer jobbedingt ständig den Wohnort wechseln. Kinder, Eltern und Großeltern sind inzwischen eher tausende Kilometer oder Kontinente voneinander entfernt, als dass alle in einer Stadt oder gar in einer Straße wohnen. Diese familiäre Nähe ist leider die absolute Ausnahme. Natürlich loben wir die Technik, die uns über diese Entfernung verbindet, freuen uns, die Enkel via Skype oder Facebook zu sehen. Aber was ist das für ein trauriger Ersatz für wirkliche Nähe, wenn man es mal ehrlich bedenkt. Die Lebenszufriedenheit sinkt auch durch fehlende Zugehörigkeit, weil wir uns immer nur so lange zu einer Gruppe gehörig fühlen, wie sie unserer Meinung ist. Wenn wir überhaupt eine Meinung haben. 178

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Wer hat schon heute noch Zeit für eine eigene Meinung? Das Internet bietet so viele Instant-Meinungen, eine davon wird schon passen. So – eine Prise Gesellschaftskritik gehört in jedes Buch, um es bekömmlich zu machen. Das war meine und sie würzt auch die Antwort auf die Frage, was Sie mit einem Leben jenseits des Unternehmerseins anfangen könnten. Als Unternehmer sind Sie jahrzehntelang ein Motor für Gesellschaft und Gemeinschaft gewesen, haben dafür gesorgt, dass Ihr Firmenfeuer auch andere nährt. Als Vorbild konnten Sie mit Ihrem Wirken das Denken und Handeln Ihrer Mitarbeiter, Ihres Umfelds beeinflussen. Sie haben Netzwerke gebildet und vielleicht sogar eine gewisse Bekanntheit in Ihrer näheren Umgebung erreicht. Anders gesagt: Sie haben Einfluss. Den könnten Sie nutzen, um Dinge zu ändern, die Ihnen falsch vorkommen, und um Diskussionen anzustoßen, die Ihnen wichtig sind. Sie könnten dafür sorgen, dass die Welt in Ihrem Einflussbereich ein Stück besser wird. Und im Sinne der Grant-Studie würde ich ergänzen: Suchen Sie sich oder bilden Sie Gemeinschaften von Menschen, denen es ähnlich geht, sei es die Senioren-WG oder eine Nachbarschaftsinitiative. Wer sollte es tun, wenn nicht Sie? Die Politik, die Nachbarn – Hauptsache, die anderen? Wirksamkeit und Wissbegierde

Der Ruhestand ist nicht das Ende des tätigen Lebens. Die Zeit nach dem Unternehmersein sollten wir nicht als Abschluss, sondern als Anfang begreifen. Die Phase der Nachfolge ist eine Weggabelung, an der sich ganz unterschiedliche Möglichkeiten ergeben: Einfluss nehmen oder ein neues Unternehmen gründen, als Berater junge Gründer vom gesammelten Wissen profitieren lassen, Engagement in Ehrenamt oder Politik zeigen, als Großeltern für die Enkel da sein, Zeitungen austragen, Zeit für Hobbys und Reisen nehmen, den Rasen mähen und Tulpen pflanzen, einen Nutzgarten anlegen oder einfach mal in Ruhe all die Bücher lesen, die sich im Regal angesammelt haben, ein Instrument spielen, noch mal zur Uni gehen … Ja! Wir können auch mit 50 oder 60 noch Neues lernen, neue Kenntnisse lohnen sich immer. Wir werden wahrscheinlich noch 20 Jahre davon profitieren und dieses Wissen vielleicht sogar proWie es geht – praktische Ideen

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duktiv einsetzen. Produktiv sein und bleiben ist ein wesentliches Kriterium für die Auswahl Ihres neuen Feuers. Unternehmer sind Macher, Entwickler, Anstoßer, Dinge-in-die-Welt-Steller: Produzenten. Wenn wir aufhören, produktiv zu sein, beschneiden wir einen wichtigen Teil unseres (Da-)Seins. Zugegeben: Die Welt macht es uns sehr leicht, vom Produzenten zum Konsumenten zu werden. Sie lädt uns quasi ein, einfache Lösungen für den Ruhestand zu finden – den Rasentraktor, das Ferienhaus, das schicke Auto, die Kreuzfahrt. Glücklich waren wir aber über die Jahre vor allem deshalb, weil wir mit unserem Denken, Fühlen und Handeln etwas aus uns selbst hervorgebracht (vgl. lateinisch »pro-ducere«) haben. Deswegen gehört für mich die Fortführung dieser Selbstwirksamkeit unbedingt zu Ihrem Plan vom »Unruhestand« dazu (geben Sie zu, Sie warten schon lange auf dieses unschöne Wort). Gerald Hüther formuliert einen klaren und drastischen Appell für Lernfreudigkeit im Alter: »Aus biologischer Sicht heißt Lernen nichts anderes, als lebendig zu bleiben. Wer nichts mehr lernen kann, ist tot.«115 Er stellt sich die Frage, warum so wenige Erwachsene Lernen als Bereicherung des eigenen Lebens und als zutiefst lustvoll und beglückend empfinden. Seine Antwort: weil unser Verständnis von »Lernen« historisch und gesellschaftlich verkrüppelt wurde. Weil wir Lernen in den engen Rahmen einzwängen, den die speziell zu diesem Zweck geschaffenen Einrichtungen vorgeben. Weil wir nicht mehr wissen, dass Lernen für uns Menschen lebensnotwendig ist. Das zuzulassen, war ein Fehler. Aber, so sagt er, aus Fehlern können wir lernen. Das Lernen hat in Verbindung mit dem Erhalt unserer Produktivität noch einen weiteren positiven Effekt. Für unsere Gesundheit ist es wichtig, dass Körper und Geist aktiv bleiben. »Use it or loose it«, sagen amerikanische Wissenschaftler über die Funktionsweise unseres Gehirns. Synapsen, die wir nicht benutzen, verkümmern. Studien, wie zum Beispiel die von Neurowissenschaftler Joachim Bauer betriebenen und beschriebenen, zeigen eindrücklich, dass Demenz und Alzheimer auch (aber nicht nur) vom Lebensstil abhängen.116 Genauso wichtig ist die körperliche Beweglichkeit, auch hier ist es nicht nur Ihr Hausarzt, der zu mehr Bewegung rät. Wer sich bis ins höhere Alter regelmäßig bewegt, bewältigt seinen persönlichen Alltag besser und länger, bleibt selbstständiger, ist damit nicht auf 180

Neues Feuer entfachen

fremde Hilfe angewiesen und spart sich selbst sowie der Gesellschaft Kosten für Pflege und Betreuung – das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Studie an der MedUni Wien.117 Es ist Ihre Produktivität, Ihr Wollen und Können, vielleicht auch ein Stück das »Sollen« (also die Erwartungen, die an Sie gestellt werden), die zusammengenommen zu Ihrem neuen Lebensmittelpunkt führen werden. Und es liegt an Ihnen, die hier aufgeworfenen Fragen und Möglichkeiten ernst zu nehmen. Sie bieten Ihnen nicht nur die Möglichkeit, einem eventuellen Bedeutungsverlust durch den Ruhestand und den negativen Auswirkungen auf Körper und Geist zu entfliehen. Es kommt noch viel besser: All die negativen Elemente des gesellschaftlichen Altersszenarios von Müßiggang und Rentner­­dasein gelten für Sie nicht mehr ab dem Moment, wenn Sie ein neues Feuer finden und das alte loslassen können. Oder bleibt am Ende nur Bedauern?

Die Australierin Bronnie Ware118 hat als Palliativkrankenschwester viele Menschen durch den Sterbeprozess begleitet. Ihr ist aufgefallen, dass Menschen immer nur bereuen, was sie nicht getan haben. Fast niemand bereute auf dem Sterbebett, was er getan hatte. Mehr barfuß laufen, mehr im Regen tanzen, mehr auf sich selbst hören, mehr Wert auf die wirklich wichtigen Dinge legen – die Liste ist lang. ­Bronnie Ware sagt dazu: »Wir haben die Freiheit zu wählen. Viele Patienten erkennen das erst zum Schluss. Sie stecken in alten Mustern und dem Komfort der Gewohnheit.«119 Diese Einsicht führt uns zu folgender Frage: Was soll bei Ihrer Grabrede über Sie gesagt werden, was wird von Ihnen in Erinnerung bleiben, welchen Wert, welche Idee werden Sie geschaffen haben? Denken Sie im »Futur 2« über sich nach, denn diese grammatikalische Form bietet uns die wunderbare Möglichkeit, aus einer Zukunft heraus zurückzublicken: Das werde ich getan haben. Sie können ab sofort Zukunft anders gestalten. Und wenn Sie es heute nicht schaffen, dann gibt es morgen eine neue Chance, und übermorgen wieder. Der Schritt in den Ruhestand ist ein eingreifender, verändernder Schritt, mit dem sich die Dinge auch zum Guten wenden lassen, und der Gedanke an die eigene Sterblichkeit, Wie es geht – praktische Ideen

181

182

Neues Feuer entfachen B

Unternehmen prüfen

Unternehmen suchen

Bei der Analyse und Strategie werden die aktuelle Lage und die individuellen Ziele aller Nachfolge-Beteiligten sowie die zukünftige Unternehmensstrategie analysiert.

B

Familiäres Zeitpunkt Finanzbesprechen festlegen bedarf

B

Unternehmensbewertung

Analyse & Strategie

B

Zielsetzung

Bei der Information und Bestandsaufnahme geht es darum herauszu finden und abzuschätzen, welche Chancen und Risiken mit einer Unternehmensnachfolge verbunden sind.

Externe Übernahme

3

Interne Übernahme

2

B

N

Übergabeform

Motivation Qualifikation

Übergabe

1

Übergabefähigkeit

Information & Bestandsaufnahme

Rechtliches

B

Einarbeitung

Unternehmensentwicklung Bei der Umsetzung und Übertragung werden die geplanten Schritte umgesetzt, die Nachfolge abgesichert und die ersten Schritte in einer neuen Lebensphase gemacht.

Wechsel vollziehen

Zukunft gestalten

Umsetzung & Übertragung

Nachfolge kommunizieren

Bei der Erstellung eines Konzeptes und eines Geschäftsplan wird ein genauer Ablauf erarbeitet, wie die Unternehmensführung und das Eigentum übertragen werden soll.

Einstieg planen

N

Rückzug planen

Konzept & Geschäftsplan

Der Nachfolgefahrplan

Wie es geht – praktische Ideen

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3

Einarbeitung

Nachfolge kommunizieren Unternehmensentwicklung Bei der Umsetzung und Übertragung werden die geplanten Schritte umgesetzt, die Nachfolge abgesichert und die ersten Schritte in einer neuen Lebensphase gemacht.

Wechsel vollziehen

Quelle: https://nachfolgewiki.de/index.php/Datei:Der_Nachfolgefahrplan.JPG

Für eine externe Übernahme gibt die blaue Linie einen Einblick in die notwendigen Schritte. Diese Linie richtet sich vor alle an diejenigen, die ein eigenes Unternehmen führen wollen, ohne neu zu gründen.

3 Externe Übernahme

Dieses Zeichen taucht auf, wenn bei einer Station komplexe Themen zu bearbeiten sind, bei denen eine Fachberatung empfehlenswert ist.

B Beratung

Die gelbe Linie illustriert, welche Stationen durchlaufen werden, um als Familienmitglied ein Unternehmen zu übernehmen. Sie zeigt auch die vielen Verknüpfungspunkte mit der abgebenden Generation, die gemeinsam geregelt werden sollten.

2 Interne Übernahme

Die Stationen auf der roten Linie sind für alle Personen wichtig, die ein Unternehmen in den nächsten Jahren übergeben möchten oder sich veranschaulichen wollen, an welcher Station im Nachfolgeprozess sie gerade stehen.

1 Übergabe

Bei der Erstellung eines Konzeptes und eines Geschäftsplan wird ein genauer Ablauf erarbeitet, wie die Unternehmensführung und das Eigentum übertragen werden soll.

Einstieg planen

Rechtliches

Dieses Zeichen zeigt, wann eine Notfallplanung vorliegen muss, damit das Unternehmen beim Ausfall wichtiger Personen handlungsfähig bleibt.

N Notfallplanung

Der Nachfolgeplan richtet sich an alle, die sich mit der Unternehmensnachfolge beschäftigen. Die drei dargestellten Linien zeigen, unterteilt in vier Phasen, den üblichen Verlauf einer Nachfolge anhand von Stationen, die typischerweise alle Beteiligten, sowohl Abgebende als auch Übernehmende, durchlaufen. Außerdem gibt der Nachfolgeplan Hinweise, bei welchen Stationen eine Beratung und Notfallplanung empfehlenswert ist.

Über den Nachfolgeplan

Bei der Analyse und Strategie werden die aktuelle Lage und die individuellen Ziele aller Nachfolge-Beteiligten sowie die zukünftige Unternehmensstrategie analysiert.

Unternehmen prüfen

Unternehmen suchen

Bei der Information und Bestandsaufnahme geht es darum herauszu finden und abzuschätzen, welche Chancen und Risiken mit einer Unternehmensnachfolge verbunden sind.

Externe Übernahme

B

B

an den Tod gehört für mich auch in diesen Veränderungsprozess: »Wie möchte ich mich von diesem Planeten verabschieden?« Und dann ist es doch wunderbar zu wissen, dass wir zwar vielleicht schon 78 Prozent unserer Lebenszeit hinter uns haben, aber noch genügend Zeit vor uns liegt. Die sollten wir nutzen. Zwar steigt die Lebenserwartung, doch es wäre Blödsinn anzunehmen, dass wir alle bei bester Gesundheit 100 Jahre alt werden. Nutzen Sie die Zeit, die da ist. Jetzt. Und da ich nicht 236 Seiten lang »Everybody’s Darling« sein muss, frage ich mal ganz offen: Gibt es da schon genug positive Erlebnisse, an die Sie in der Stunde Ihres Todes denken können? Oder empfinden Sie doch eher Bedauern für all das, was Sie nicht getan haben? Für all die Chancen, die vorbeigezogen sind? Was müssten Sie jetzt noch beginnen, um am Ende sagen zu können: »Ich war mutig, habe nichts falsch gemacht, da gibt es also auch nichts zu bedauern!«

Vom Loslassen zum Loslaufen Ein Fahrplan für die Unternehmensübergabe: gemeinsames Kofferpacken und ganz viel Best Practice aus 30 Jahren Nachfolgeerfahrung Jetzt sind wir alle ein bisschen außer Atem, oder? Wir haben in den letzten Kapiteln sehr laut »Tschakka!« gerufen und uns auf einen neuen Lebensmittelpunkt, ein neues Feuer eingeschworen. Es ging uns darum, eine Idee zu finden, die das emotionale Loslassen erleichtert. Ich hoffe, dass Sie eine oder vielleicht sogar mehrere entdeckt haben und nun ganz begierig sind, Ihr neues Leben an den Start zu bringen. Bevor Sie loslaufen, sollten allerdings einige Vorarbeiten erledigt sein. Um die geht es in diesem Kapitel. Wir beschäftigen uns mal nicht mit unseren Emotionen, sondern mit dem konkreten Handeln, dem rationalen Loslassen. Wenn eine Übergabe startet, wie läuft das ab? Wann muss was erledigt werden und wie geht das? Um Ihnen eine Art Agenda an die Hand zu geben, werde ich im Folgenden einige der Themen und Thesen dieses Buches zusammenfassen und um neue Informationen ergänzen, so dass Sie am Ende dieses Kapitels • konkret und detailliert wissen, was Sie tun können; 184

Neues Feuer entfachen

• sich in Startposition gebracht haben; • verstehen, wie Sie Ihren Firmenwert und Ihr Vermögen sichern. Viele Unternehmer, die ich begleitet habe, unterschätzten, wie komplex eine Übergabe oder ein Verkauf ist: Da stellen sich viele Fragen aus betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht. Die Suche nach dem Käufer und das Darstellen des eigenen Unternehmens erfordern viel Zeit und Engagement. Ein Exposé schreibt sich nicht von allein und kein Kaufinteressent kommt mit dem Aktenkoffer voller Geld, nur weil Sie sagen: »Mein Unternehmen ist tipptopp!« Aber ich greife vor, einen Schritt nach dem anderen – schauen wir uns die Bausteine der Unternehmensübergabe und/oder des Verkaufs in Ruhe an. 1.  Der Zeitrahmen

Sie wissen bereits, dass eine Übergabe keine Sache von Monaten ist. Vom ersten Gedanken bis zur finalen Unterschrift vergehen im Schnitt drei Jahre. Der Verkauf eines prosperierenden, gut aufgestellten Unternehmens kann deutlich schneller gehen, hier rechne ich meistens mit weniger als einem Jahr. Dazwischen und auch darü­ ber ist zeitlich alles möglich und unverhofft kommt nicht nur oft, sondern fast immer. Ein »zu früh« gibt es daher bei der Übergabeplanung nicht. Wir gehen also davon aus, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mit den konkreten Schritten zu beginnen. Eine rechtzeitige Nachfolgeregelung ist auch zum Werterhalt unabdingbar, denn • Mitarbeiter möchten Sicherheit – gerade qualifizierte Fach- oder Führungskräfte, die sich ihren Job aussuchen können, wollen wissen, warum sie bleiben soll(t)en. • Kunden wollen Kontinuität und Garantien. • Banken bewerten eine geregelte Nachfolge positiv, Kredite werden günstiger. 2.  Der Plan und der Plan B

Aus den Anregungen der in Kapitel 3 skizzierten Lösungen haben Sie einen Plan entwickelt. Sie haben auch einen ersten Leitfaden für Vom Loslassen zum Loslaufen

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einen Notfallplan gefunden, der verhindert, dass durch ein Scheitern des favorisierten Plans wieder bei null begonnen werden muss. Sie haben Lösungsvarianten erarbeitet und vor allem auch bewertet, am besten gemeinsam mit potenziellen Nachfolgern und allen anderen, die von diesen Lösungen betroffen sein werden. An dieser Stelle empfiehlt es sich zu prüfen, ob eine vollständige Übergabe auf einen Streich sinnvoll ist oder ob eher schrittweise vorgegangen werden sollte (zum Beispiel erst die Geschäftsführung, dann das Firmeneigentum, dann die Betriebsimmobilie). Fragen, die in diesem Zu­­ sammenhang gestellt werden müssen, lauten: • Was genau will ich übergeben/verkaufen? • Welche Werte will ich behalten? (Grundstücke, Immobilien, Altersvorsorge …) • Was will ich selbst für eine Rolle spielen? • Was darf auf keinen Fall passieren? Die Planvarianten sind schriftlich fixiert und von allen betroffenen Parteien unterzeichnet? Gut! Bei einer geplanten internen Übergabe werden zu diesem frühen Zeitpunkt bereits rechtliche und steuerliche Aspekte sehr relevant. Wenn eine erbrechtliche Lösung in Frage kommt, sollten Pro und Kontra von Testament und Erbvertrag abgewogen werden. Auch die Gründung einer Stiftung könnte attraktiv sein. Auf jeden Fall ist es essenziell wichtig, dass zwischen Testament des Übergebers und Gesellschaftsvertrag des Unternehmens Synchronisation besteht: An der deutschen Besonderheit, die das Gesellschaftsrecht höher bewertet als das Erbrecht, sind schon viele Übergaben gescheitert – plötzlich haben Familien zwei komplett unterschiedliche Übergabeszenarien, die so nie gewollt waren. 3.  Der Finanzbedarf

Wovon soll ich leben? Eine Übersicht Ihrer Finanzen hilft Ihnen als Übergeber, die privaten Finanzen im Blick zu behalten. Eine solche Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben ist ein zuverlässiges Planungsinstrument. Auch während der konkreten Konzeption der Unternehmensübertragung wird eine Finanzplanung sicherstellen, dass Ihr Aus- und Einkommen zu jeder Zeit geregelt ist, Sie selbst 186

Neues Feuer entfachen

darüber Klarheit haben. Der Finanzbedarf wird auch hinsichtlich der Kaufpreisgestaltung oder bei der internen Nachfolge eine Rolle spielen. Zum Beispiel wenn Ausgleichszahlungen an Geschwister, Erbschaftssteuern oder ähnlich große Summen ad hoc zu leisten sind. Gleichwohl kann sich der Preis für Ihre Firma nicht aus Ihrem Bedarf in der Zukunft ableiten. 4.  Der Notfallkoffer

Als Unternehmer sind Sie nicht nur Lenker des Betriebs, Sie sind der Betrieb. Viele Inhaber sind über die Jahre oder Jahrzehnte ihres Unternehmerseins eine Symbiose eingegangen, eine untrennbare Verbindung zwischen ihrer Person und den Geschicken der Unternehmung. Niemand außer ihnen weiß so genau, wie der Laden läuft. Wirklich niemand? Das ist schlecht, gerade für komplexe Phasen wie einen Unternehmensübergang. Das Leben ist tückisch und sucht sich mitunter die schlechtesten Zeitpunkte aus, um mit Krankheit, Unfall oder einem anderen Grund für eine langfristige Abwesenheit zu sorgen. Sie als Unternehmer werden in so einem Fall vielleicht dauerhaft aus dem Unternehmensgeschehen gerissen und sollten Vorsorge

Quelle: www.kern-unternehmensnachfolge.com Vom Loslassen zum Loslaufen

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treffen, damit weder die Führung noch die Handlungsfähigkeit der Firma gefährdet ist. Spätestens in der Nachfolgeplanung, besser aber sehr viel früher, sollte jedes Unternehmen einen Notfallkoffer packen, dessen minimalen Inhalt die obige Grafik darstellt. 5.  Sicher und zum besten Preis verkaufen

Alle Pläne laufen darauf hinaus, dass Ihr Unternehmen verkauft werden soll? Dann bestimmen Sie jetzt einen Zeitpunkt und machen Sie sich daran, Ihre Firma begehrenswert zu machen (siehe Kapitel »Prüfung der Übergabefähigkeit«). Erhöhen Sie also belastbar den Wert, den Ihr Unternehmen für einen Erwerber bieten kann. Damit steigt nicht nur der Verkaufserlös, sondern es klettern auch die Chancen auf einen schnellen und reibungslosen Verkauf bei attraktiven Unternehmen deutlich nach oben. Basis der Überlegungen zum Unternehmensverkauf sind die Unternehmensausrichtung und die Ziele, die Sie mit der Nachfolgesicherung verbinden. Da Sie als »alter Hase« wahrscheinlich über wichtige Insiderinformationen verfügen, sollte Ihr Wissen über die Branche und den Markt in die Verkaufsstrategie einfließen. Gerade die Verbindung zu strategischen Investoren, die durch den Erwerb eines Unternehmens dessen Wertschöpfung vergrößern oder Knowhow zukaufen könnten, entsteht nach meiner Erfahrung sehr oft über das Insiderwissen des Verkäufers. Zapfen Sie es an: Was ist los im Markt – bei welchem Partner, Lieferanten oder Mitbewerber könnten Sie Begehrlichkeiten wecken? Eine ganzheitliche Verkaufsstrategie bindet neben der Prüfung der Übergabefähigkeit (Kapitel 3) und den daraus abgeleiteten Maßnahmen zur Wertsteigerung auch mögliche Stolpersteine mit ein: Welche Hürden können wir bereits im Vorfeld voraussehen, weil sie sich aus der unternehmerischen oder familiären Konstellation ergeben, weil sie markt- oder branchenimmanent sind oder weil die Eigentumsverhältnisse kompliziert sind? Welchen Anlauf benötigen wir demnach, um diese potenziellen Hürden zu meistern? Im Rahmen der Verkaufsstrategie wird auch entschieden, ob eine Einzelsuche erfolgversprechend sein wird oder ob ein Bieterverfahren (siehe Kapitel 3) zur Interessentensuche angestrebt wird. 188

Neues Feuer entfachen

Da Sie sich bei der Lektüre dieses Buches bereits mit dem Unterschied von Wert und Preis auseinandergesetzt haben, werden Sie die Wertermittlung als nächsten Schritt des Unternehmensverkaufs (die von einem erfahrenen Experten erstellt werden sollte) realistisch betrachten können. In der Regel arbeiten Berater nach dem in Kapitel 3 dargestellten Ertragswertverfahren des IDW S1 (im Handwerk eher das AWH-Verfahren). Grundlage hierfür sind die Jahresabschlüsse der letzten drei Wirtschaftsjahre. Auf deren Basis werden Planzahlen für die zukünftige Entwicklung von mindestens drei bis zu fünf Jahren erstellt. Diese Planzahlen sollten begründbar sein und die bevorstehende Nachfolge berücksichtigen. 6.  »Appetit« machen!

Eine lieblose, kurze und knappe Unternehmenspräsentation ist nichts, womit man jemanden dazu bewegen kann, mehrere Hundert­tau­send oder Millionen Euro zu investieren. Ihre Verkaufsbemühungen sollten • »Appetit« machen, • Fakten und Prosa optimal verpacken sowie diese • zeitgemäß präsentieren. Investieren Sie dementsprechend viel Zeit, Aufmerksamkeit und gegebenenfalls auch Geld in ein gutes Exposé. Eine marktorientierte Aufbereitung Ihrer Verkaufsargumente ist das A und O. Auch eine übersichtliche Gliederung und Struktur fließen in die Entscheidung ein, denn das Auge isst immer mit – auch bei potenziellen Käufern. Überlegen Sie, ob es sich lohnen könnte, die Verkaufsinforma­ tionen auch in Englisch oder in anderen Fremdsprachen (gegebenenfalls als »Summary«) anzubieten. Je nach Marktsituation kann es sich bewähren, mit einem neutralen Exposé in das Bieterverfahren einzusteigen. So kann kein Wettbewerber am Markt erkennen, dass Sie mit Ihrem Unternehmen in der Nachfolgesicherung unterwegs sind. 7.  Ran an den Mann (oder die Frau)

Jetzt haben Sie ein schickes Exposé – und keiner klingelt und will es haben? Nach meiner Erfahrung gibt es eine ganze Reihe von Vom Loslassen zum Loslaufen

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Kontaktpunkten, über die Sie den angestrebten Unternehmensverkauf (anonym) publik machen können: • Onlinebörsen, zum Beispiel www.dub.de oder www.nexxt-change.org • Banken • Steuerberater und Rechtsanwälte • IHKs oder Handwerkskammern • regionale oder überregionale Unternehmerverbände • das erwähnte Insiderwissen – sprechen Sie Partner, Lieferanten und gegebenenfalls Mitbewerber an • Investoren • Inserate (in Fachmagazinen) • Datenbanken mit Käuferprofilen Nach sehr gewissenhafter Prüfung und eher als Ausnahme könnten Sie auch selektiv Mitarbeiter vertraulich ansprechen – zum einen direkt als potenzielle Interessenten für Ihre Nachfolge, zum anderen als Multiplikatoren, in deren Netzwerk eventuell Kaufinteressenten zu finden sind. Langjährige Mitarbeiter haben das Ohr vielleicht näher am Markt als Sie und können fundierte Vorschläge machen, welcher Investor ein Interesse am Unternehmen haben könnte. 8.  Die Kommunikation

Apropos, Ansprache der Mitarbeiter: Die richtige Kommunikation – intern und extern – ist für die Unternehmensnachfolge ein nicht zu unterschätzender Erfolgsgarant. Der Zeitpunkt der Übergabebekanntmachung spielt eine wichtige Rolle, um zum einen Transparenz zu gewährleisten, zum anderen Verunsicherung durch Schnell­­schüsse oder Flurfunk zu vermeiden. Mit der richtigen Kommunikation können Sie • Wissen und Kontakte der Belegschaft aktivieren, • Schwarmintelligenz bei der Lösungssuche nutzen und • die Demotivation von Mitarbeitern durch vollendete Tatsachen vermeiden. Deswegen ist es sinnvoll, das Was und das Wie der Kommunikation im Vorfeld abzustimmen und nicht einfach »geschehen zu lassen«. 190

Neues Feuer entfachen

Jeder Satz, der mit »Übrigens …« beginnt, ist fehl am Platz – Inhalt, Instrumente und Zeitplan sollten abgestimmt sein. 9.  Möglicher Ablauf des Verkaufsprozesses

Damit es jetzt nicht zu theoretisch wird und ich Ihnen langwierig aufzählen muss, was man alles machen könnte oder besser nicht machen sollte, führe ich lieber auf, wie wir es bei KERN machen – als Essenz aus 15 Jahren Erfahrung im Unternehmensverkauf. Sie können das von mir aus als Eigenwerbung verstehen, bei mir läuft es unter Best Practice – Nachmachen ausdrücklich erlaubt: • Wir sprechen potenzielle Kaufinteressenten schriftlich und/oder telefonisch an und übermitteln erste anonyme Daten. Diese erste Ansprache erweitern wir gegebenenfalls um Einzelgespräche oder Telefoninterviews. • Wir zapfen unsere vorhandenen Quellen gezielt an, nutzen unsere Kontakte zu Partnern, Banken und über 100.000 nationalen und internationalen Investoren. Dabei sind wir im engen Kontakt zu den Verkäufern und vertiefen den Informationsaustausch mit Interessenten erst nach Freigabe durch unsere Mandanten. Mit dieser Sicherheitsregel können keine Daten ungewollt an fremde Dritte geraten. • Wir stellen das Unternehmen anonym in die zuverlässigsten Un­­ ternehmensbörsen in Deutschland und Europa ein. • Wir bewerten kritisch, selektieren und qualifizieren Interessenten für die Verhandlungen. Dabei achten wir besonders auf die Seriosität der möglichen Übernehmer. • Wir sorgen für Klarheit, besprechen ein »Deal Design« mit Varian­ ten für den Verkäufer und potenzielle Käufer. Wie können unterschiedliche Szenarien für unterschiedliche Käufer aussehen? Was hat dabei juristisch und steuerlich eine Bedeutung und Auswirkung? • Wir begleiten die Verhandlungen, sorgen für Terminvereinbarungen mit relevanten Interessenten, koordinieren die Unternehmenspräsentation und die Angebotsabgaben der Interessenten, die wir in der Folge vergleichen und eventuell im Rahmen eines Wettbewerbs konkretisieren. Vom Loslassen zum Loslaufen

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• Wir koordinieren und moderieren die gemeinsamen Gespräche, sorgen für den notwendigen Informationsfluss und die Dokumentation der Verhandlungsschritte. • Wir begleiten den Entscheidungsprozess auf beiden Seiten durch die Beurteilung in kommerzieller, rechtlicher und steuerlicher Hinsicht. • Wir erstellen einen »Letter of Intent« bzw. einen Vorvertrag als Absichtserklärung mit vielen Details zur Klarheit für Käufer und Verkäufer. • Wir begleiten mögliche Prüfungsverfahren (Stichwort »Due Diligence«) eines Übernehmers und bereiten unsere Mandanten mit ausführlichen Checklisten darauf vor. Der Aufwand einer solchen Kaufprüfung ist nicht zu unterschätzen, da auch in diesem Stadium eines Verkaufsprozesses weiter vertraulich gearbeitet wird. • Ist ein Käufer gefunden? Dann begleiten wir den Prozess bis zum Abschluss des Kaufvertrags und feiern dann gern mit unseren Mandanten die Tätigung der rechtsverbindlichen Unterschriften! • Wir betreuen die Umsetzungsphase, zum Beispiel durch Inte­ gration der Firmenkulturen, den Abgleich oder die Entwicklung eines Leitbilds, fortlaufendes Coaching der handelnden Akteure sowie die interne und externe Kommunikation. • Wir behalten die Ziele aller Beteiligten im Auge, denn in der Re­­ gel sind diese bei Übergebern und Übernehmern nicht identisch: Achtung, hohes Konfliktpotenzial! Zu oft scheitern sinnvolle und praktikable Lösungen, weil sie nicht zu den individuellen Vorstellungen der Beteiligten passen. Beispiele und Gründe dafür finden Sie in diesem Buch reichlich. • Wir sind der Nachsorge verpflichtet. Müssen zum Beispiel neue Organisationsstrukturen entwickelt oder die vorhandenen Wer­te an eine neue Führung, an das »Feuer« eines neuen Unternehmers angepasst werden? Ergibt sich aus dem Unternehmensübergang Entwicklungsbedarf für das Team oder für die Marktkommunikation? Die Begleitung einer Unternehmensübergabe erfordert ein enormes Maß an Spezialistenwissen aus ganz unterschiedlichen Ecken – vor allem juristisch, betriebswirtschaftlich und im Prozessmanagement. 192

Neues Feuer entfachen

Von der Begleitung schwieriger Gespräche durch erfahrene Moderatoren bis zur Entwicklung der richtigen Kommunikationsstrategie durch Fachleute: Die Liste ist lang und wir bei KERN sind sehr froh, dass wir ein nationales und internationales Netzwerk mit erfahrenen Experten in allen Disziplinen an unserer Seite wissen. Und wir sind ebenfalls sehr froh, dass sich immer mehr Unternehmer bei Beratern, Banken oder IHKs Hilfe holen, wenn es um die Nachfolgeregelung geht (im Jahr 2017 haben sich 6.674 Seniorunternehmer/-innen an ihre IHK gewandt, eine erneute Rekordzahl in der Historie des jährlichen DIHK-Reports zur Unternehmensnachfolge seit 2007).120 Das ist etwas Besonderes, denn eigentlich ist eine Unternehmerpersönlichkeit darauf ausgerichtet, sich nichts sagen zu lassen (ich habe mal gelesen, dass das menschliche Grundbedürfnis nach Selbstbestimmtheit bei Unternehmern überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist). Beim Thema Nachfolge scheint sich dieser »Kann ich allein«-Modus glücklicherweise zu deaktivieren. Weil so viel auf dem Spiel steht, sehen selbst starrköpfige Patriarchen irgendwann ein, dass sie diesbezüglich zu wenig Kompetenzen haben. Sein Unternehmen verkauft man nicht jeden Tag und zugleich ist es deutlich schwerwiegender als bei der Steuererklärung, hierbei Fehler zu machen. Dass die Angst groß ist, bei der Nachfolgeregelung zu versagen, Fehlentscheidungen zu treffen, ungerecht zu sein oder liebe Menschen zu verletzen, versteht sich von selbst. Es ist klug, diese Angst wahrund ernst zu nehmen und sich zum Beispiel Rat und Unterstützung zu suchen. Es ist weniger klug, in Angststarre oder Ignoranz zu verfallen und gar nichts zu tun. Denn: Was passiert, wenn nix passiert?

Was passiert, wenn nix passiert Von Pyramiden, Döner und den Gefahren des Nichtstuns sowie Strategien, mit denen schwierige Entscheidungen leichter fallen Bei der Nachfolgeregelung ist Nichtstun eine gefährliche Alternative. Genauso gut könnten Sie jetzt schon die Ladentüren verrammeln und sich auf einer Parkbank in die Sonne setzen. Dann hätten Sie das Was passiert, wenn nix passiert

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gleiche Ergebnis: einen Totalverlust der über Jahrzehnte aufgebauten Werte (aber in kürzerer Zeit und mit sonnengebräuntem Teint). Auch unsere KERN-Studien zur Unternehmensnachfolge bestä­ tigen den Handlungsdruck, der auf eine Mehrzahl von Familienunternehmen zukommt, eindringlich.121 KERN hat 2020 bundesweit, analog aller 79 IHK-Bezirke, in den relevanten Alters- und Umsatzklassen die Entwicklung der Unternehmensnachfolge bis 2025 analysiert. Unser Ergebnis: Gut 70 Prozent aller Inhaber von Familienunterneh­men stehen in wenigen Jahren (2025) immer drängender vor der Nachfolgefrage, weil sie dann auf das Lebensalter 60 zugehen oder sogar schon älter sein werden.

Bundesweit größte Studie zur Unternehmensnachfolge 2020 2025

2020

30% 49%

51% 70%

Inhaber/Geschäftsf. über 55 Jahre m. Handlungsbedarf

Inhaber/Geschäftsf. unter 55 Jahre

Quelle: www.kern-unternehmensnachfolge.com Quelle: www.kern-unternehmensnachfolge.com

Wir wissen, dass mit dieser Altersentwicklung in Fa­mi­lien­unter­ nehmen oft ein Investitionsstau und, daraus folgend, ein gefährlicher Substanzverlust einhergeht. Mit Heranrücken der geplanten Übergabe werden einige Maßnahmen wie die In­vesti­tions­tätigkeit, die Weiterbildungsförderung der Mitarbeiter oder der Bereich For­­schung und Entwicklung in zunehmend geringe­rem Ausmaß ergriffen, das bestätigt eine Studie des IfM Bonn zum unterneh­ merischen Verhalten im Rahmen der Unternehmensnachfolge.122 194

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Quelle 123: nach Studie »Unternehmerisches Verhalten im Zuge der Unternehmensnachfolge«, 2017, S. 16

Je länger also das »Heranrücken der geplanten Übergabe« dauert oder (mit anderen Worten) je länger Sie um die Nachfolgeplanung herumschleichen wie die Katze um die Maus, desto negativer wird sich dieses Nachfolgevakuum auf Ihr Unternehmen und auf Ihren Besitz auswirken. Zumal die Nachfolgesituation in der DACHRegion in den nächsten Jahren nicht einfacher werden wird. Einmal »Döner mit allem«

Der steigenden Zahl älterer Firmeninhaber steht ein aktuell dramatisch erscheinender Einbruch der demografischen Nachfolgeoptionen gegenüber. Die Medien sprechen davon, dass sich unsere Alterspyramide in einen »Altersdöner« verwandelt hat – einer wachsenden Zahl älterer Menschen aus der sogenannten BabyboomerGeneration folgen immer weniger junge Menschen. Übrigens ist dieser »demografische Wandel« ganz natürlich, wie zum Beispiel Hans Rosling in seinem Bestseller »Factfulness«124 bestätigt. Er ist so etwas wie ein Naturgesetz und tritt in jedem Land Was passiert, wenn nix passiert

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auf, das sich entwickelt. Die Lebenserwartung in Europa steigt seit über hundert Jahren, die Geburtenraten fallen jedoch (nicht erst seit dem »Pillenknick«). Fortschritte in den Bereichen Medizin, Wirtschaft und Bildung reduzieren zum einen die Sterblichkeit, zum anderen die extrem hohe Kinderzahl pro Frau. Die Folge ist ein »demografischer Wandel« oder besser, wie Demografen und Statistiker sagen, ein »demografischer Übergang«, der sich auf einem neuen, niedrigen Gleichgewicht einpendeln wird. Momentan sieht es wirklich nicht gut aus auf dem Nachfolgemarkt: Rein zahlenmäßig fehlt es nicht nur an Mitarbeitern auf allen Ebenen, auch Gründer und Nachfolger werden weniger. Neben diesem demografischen Faktor ist es – wie wir in der Studie aus St. Gallen (Kapitel 3) gesehen haben – gleichermaßen die wachsende Unlust auf die Übernahme des Familienunternehmens, die eine Nachfolge erschwert. Das Unternehmertum hat derzeit in Deutschland wahrhaftig keinen leichten Stand! Laut DIHK-Studie zur Unternehmensnachfolge würden sich 18 Prozent der von den IHKs beratenen älteren Unternehmer heutzutage nicht mehr selbstständig machen. Mehr als 1.000 Altinhaber, deren Unternehmen zur Nachfolge ansteht, vertraten diese These.125 Vor allem der Fachkräftemangel und die zunehmende Bürokratie führen laut IHK-Experten zu dieser negativen Stimmung vieler Seniorunternehmer. Und wenn der Senior schon diese trübe Stimmung verbreitet, wie sollen Nachfolger mit

Quelle 126: nach DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge, 2018, S. 12

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Neugier und Freude in die Fußstapfen treten? Folgerichtig zeichnet auch der DIHK-Report zur Nachfolgesituation ein düsteres Bild: 47 Prozent der Seniorunternehmer finden keinen passenden Nachfolger. 43 Prozent sind nicht rechtzeitig auf die Nachfolge vorbereitet und 36 Prozent können emotional nicht loslassen.127 Daraus lässt sich ein Umkehrschluss ableiten: Wenn wir uns rechtzeitig vorbereiten und lernen, emotional loszulassen, steigen die Chancen, einen Nachfolger zu finden, exorbitant. Und dafür sind wir auf einem guten Weg, denn … Kann man so machen

Sie haben schon angefangen, sich um das Thema Nachfolge Gedan­ ken zu machen (sonst würden Sie dieses Buch nicht in den Händen halten). Wie diese Gedanken ausgehen, ist vielleicht noch offen. Aber allein die Tatsache, dass dieser gedankliche Prozess angelaufen ist, gibt Anlass zur Hoffnung. Die Nachfolge ist ein Prozess, den man nicht einfach aussitzen kann. Nein, natürlich »kann« man ihn aussitzen, aber man sollte es nicht tun. Mir hat mal ein Handwerker eine (meiner Meinung nach) gute Idee mit den Worten beschieden: »Klar kann man das so machen. Wird dann zwar scheiße, aber gehen tut alles.« Wer die wichtige, essenzielle Phase der Vorbereitung auf eine geregelte Nachfolge verpasst und den Übergang nur »irgendwie« gestaltet, gefährdet nicht nur seine Zukunft, sondern vor allem die des Unternehmens. Nur einem winzigen Prozentsatz der Familienunternehmer gelingt ein »zufälliger« Übergang: Der Patriarch kippt beispielsweise um und die Tochter ist gerade da, fängt erst ihn auf und dann die Firma. Darauf sollte man sich nicht verlassen. Aber worauf kann man sich eigentlich verlassen? Ich kenne Unternehmen, die stecken seit zehn Jahren oder mehr im Nachfolgeprozess. Der Vater ist überzeugt, dass der Sohn es nicht kann, der Sohn ist verärgert, weil der Vater nicht loslässt. Das geht so weit, dass Vater und Sohn nur noch schriftlich miteinander kommunizieren und zudem wenig Reflexionsvermögen zeigen, wenn es um die eigene Beteiligung an der Pattsituation geht. Nebenbei erwähnt: Aus solchen unguten Zuständen entstehen viele Krankheiten, die wir dann leichtfertig auf Stress schieben. Gerade zu hoher Blutdruck oder Was passiert, wenn nix passiert

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»Rücken« sind für mich Zeichen und Konsequenz einer angespannten, schwierigen und nicht gelösten Situation. Wollen Sie das? Es wäre falsch, die Gründe für eine Schieflage in der Nachfolge immer beim Senior zu suchen. Vor einigen Jahren traf ich bei einem Betrieb der Metallverarbeitung im hessischen Raum auf eine inte­ ressante Konstellation: Der Senior – agil, aber bereits jenseits der 70 – wollte endlich aufhören, Schwiegersohn und Tochter waren schon lange im Unternehmen und wollten im Prinzip gern übernehmen. »Prima«, sagte der Senior, »dann legt mal los, gebt mir mal einen Businessplan: Wie stellt ihr euch die Zukunft vor? Welchen Kaufpreis wollt ihr mir zahlen, wie finanziert ihr das Ganze?« »Warum«, fragte er mich, »soll ich mein Lebenswerk einfach verschenken? Ich möchte mich im Alter absichern, ich habe noch einiges vor.« Von den potenziellen Nachfolgern kommt monatelang nichts: kein Plan, kein Preis, keine Antwort. »Alles heiße Luft«, vermutet der Senior und beauftragt den externen Verkauf des Unternehmens. Da kocht das Familiensystem hoch: »Wie kann er das machen? So geht das nicht!« Es folgen Diskussionen, Tränen und Streit, doch langsam wächst die Einsicht: »Stopp mal. Hat der Alte vielleicht Recht? Wären wir nicht am Ende doch überfordert, wenn wir schon die Vorbereitungen nicht hinbekommen?« (Das ist übrigens eine sehr selbstkritische und reflektierte Einschätzung, die viel Mut erfordert.) Im Endeffekt hat der ehemalige Hauptlieferant die Firma gekauft, der Schwiegersohn konnte mit einem Anteil als geschäftsführender Gesellschafter bleiben und das Unternehmen entwickelt sich prächtig. Im Zusammenspiel von Wollen und Erkenntnis haben wir hier eine tolle Lösung gefunden. Durch die Zusammenführung beider Unternehmen haben wir nicht nur Wert erhalten, sondern im Rahmen von Synergieeffekten sogar mehr Wert geschaffen. Ihr Lebenswerk soll weiterleuchten

Ich erzähle diese Geschichte (wie überhaupt die meisten Beispiele in diesem Buch), weil ich Mut machen will. Ich will zeigen, dass es für jede Situation, für fast jede Konstellation eine Lösung gibt. Nur in einer Situation kommt jede Lösung zu spät: Wenn der Senior ohne Nachfolgeidee verstirbt und das Unternehmen komplett auf 198

Neues Feuer entfachen

ihn als Person ausgerichtet ist. Dieses Risiko wird sich kein Käufer ans Bein binden, solche Firmen sind nach meiner Erfahrung unverkäuflich. Wo lauern sonst noch Risiken, die dafür sorgen, dass ein Lebenswerk verlischt? • Risiko 1: Erbstreitigkeiten und damit verbundener Liquiditätsengpass • Risiko 2: Streitende Familienangehörige zerschlagen das Unternehmen (nur selten sind Zerschlagungen so erfolgreich wie bei Adidas und Puma) • Risiko 3: fehlende Trennung von Eigentum und Führung – wer besitzt das Unternehmen, wer managt es? (Im Endeffekt: Wer hat was zu sagen und zu entscheiden?) • Risiko 4: Zwar erfolgt die Nachfolge, aber das Unternehmen er­­ holt sich nie vom Übergang, weil es zu stark auf die Person des Übergebers ausgerichtet war. Diese Risiken sind keine Einzelrisiken, sondern können sich ge­­ meinerweise bündeln und vereint zuschlagen. Wie weit Sie diesem Räumtrupp aus Risikofaktoren Raum gewähren, ist in erster Linie eine Frage der planmäßigen Vorbereitung auf die Nachfolge. Je näher eine Nachfolge rückt (geplant oder ungeplant) und je unvollständiger Ihr Plan ist, desto größer wird wahrscheinlich der Knall und der Dreck sein, wenn Ihnen oder Ihren Erben alles um die Ohren fliegt. Im Endeffekt ist es einzig und allein Ihre Verantwortung, ob Werte vernichtet werden, Menschen arbeitslos werden und der wichtige gesellschaftliche Beitrag, den Ihr Familienunternehmen seit Jahrzehnten leistet, erlischt oder erhalten bleibt. Was Sie dazu beitragen müssen, ist eigentlich ganz einfach: Sie müssen eine Entscheidung treffen. Ein Plan, ein Mann, ein Wort?

»Moment! Davon hat man mir bisher nichts gesagt. Ich möchte dieses Buch zurückgeben. Wenn ich einen Nachfolgeplan machen soll, muss ich eine Entscheidung treffen?« Yes! Genauso ist es. Sie finden Entscheidungen verdammt schwierig, weil damit un­­ wiederbringlich eine Richtung eingeschlagen wird? Wenn man Was passiert, wenn nix passiert

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sich für etwas entscheidet, entscheidet man sich automatisch gegen 1.000 andere Optionen. Die Angst davor, eine falsche Entscheidung zu treffen, also eine falsche Option zu wählen, kann lähmend sein. Lieber gar nichts tun und wie Bambi in die Autoscheinwerfer starren? Wer sich vor Entscheidungen drückt, um den Konsequenzen aus dem Weg zu gehen, für den werden andere die Entscheidung treffen. Mit der Konsequenz: Der Nichtentscheider muss damit leben, auch wenn es ihm nicht gefällt. Dann möchte man doch lieber selbst am Hebel sitzen, oder? Wenn jedoch Wochen und Monate vergehen, alle guten Ratschläge nicht helfen und das eigene Bauchgefühl bzw. fremde Berater letztlich nur dazu führen, dass die Qual der Wahl immer größer wird, hilft meines Erachtens nur eine Einsicht: In einem Prozess ist der erste Schritt der wichtigste. Gehen Sie ihn, egal welchen. Wir meinen immer, dass Entscheidungen unumkehrbar sind und dass gerade ein Plan, der etwas so Wichtiges wie das eigene Unternehmen umfasst, absolut in Stein gemeißelt sein sollte. Das ist falsch. Mal ganz ehrlich: Wie oft haben Sie in Ihrem unternehmerischen Wirken Entscheidungen umgeworfen? Natürlich gibt es irreversible Entscheidungen, wie zum Beispiel ein Kind in die Welt zu setzen. Aber Ihr Plan für die Nachfolge hat von Anfang an einen Begleitschutz – einen Plan B. Und er hat außerdem – siehe Kapitel »Der Plan« – die Zusicherung der gegenseitigen Freiheit für Übergeber und Übernehmer. Damit bleibt es Ihnen offen, in der Annäherung an ein Ziel immer wieder Korrekturen vorzunehmen, wenn der aktualisierte Wissensstand es erfordert. Eine Entscheidung kann nur auf Basis der vorliegenden Fakten getroffen werden. Jetzt. Wenn diese Fakten sich ändern oder unsere disruptive, globale Welt morgen ein Ass aus dem Ärmel holt, dann sind Sie und Ihre Nachfolger klug genug, mit der entsprechenden Karte zu kontern. Sie bleiben handlungsfähig, wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Spruch von meinem Vater gehört habe. Trotzdem bleibt er wahr und auch wenn es so kommt, dass eine Planänderung einen Preis hat: Der Preis ist es in jedem Fall wert. Denn die Alternative bedeutet, dass Sie durch Nichthandeln genau den Wert vernichten, der Ihnen mit seiner Kostbarkeit so viele schlaflose Nächte bereitet. Es ist ein bisschen so, als wolle man einen Château Lafite für einen besonderen 200

Neues Feuer entfachen

Anlass aufbewahren und wartet so lange, bis er ungenießbar wird. Eigentlich sind Sie doch ein guter und schneller Entscheider? Sonst wären Sie nicht erfolgreich. Was kann in diesem besonderen, emotionalen und einmaligen Fall – der Nachfolge – helfen, eine Entscheidung zu treffen? • Tun Sie nicht mehr das, was Sie seit Monaten tun oder seit Jahren. Tun Sie etwas anderes. • Hören Sie damit auf, Listen zu machen und Leute zu fragen. Entscheiden Sie auf Basis des jetzt vorhandenen Wissens. • Identifizieren Sie den Bremsklotz – was hält Sie wirklich von einer Entscheidung ab? (Es ist nicht der Grund, den Sie immer vorschieben.) • Wechseln Sie die Perspektive: Was würde Ihr Vater Ihnen raten, Ihre beste Freundin oder vielleicht einer der Donalds: Trump oder Duck (je nach Vorliebe)? • Beschäftigen Sie sich mit etwas anderem – zum Beispiel mit Ihrem neuen Lebensmittelpunkt. • Entspannen Sie sich: Stress führt zu riskanteren Entscheidungen. • Ganz einfach: Treffen Sie eine Entscheidung. Die Nachfolgefrage ist vielleicht deshalb so schwierig, weil eigentlich keine der Entscheidungsoptionen besser ist als die andere. Das macht Entscheidungen zum einen mühsam, denn wenn eine Option deutlich besser wäre, dann wäre es ja keine schwierige Entscheidung. Zum anderen haben Sie ein ganz großes Plus – eigentlich das größte, das ich kenne: Sie sind ein Unternehmer, und was Sie bisher als Unternehmer begleitet hat, war sicher nicht das Unterlassen. Deswegen werden Sie sich spätestens jetzt aufmachen und die Nachfolgeplanung beginnen.

Was passiert, wenn nix passiert

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  Eine Einladung (… zur Entscheidung)

Über Champagnerkribbeln und über Freiheit sowie die Beantwortung von ein paar wichtigen Fragen Ich trete aus dem Büro, das die letzten 15 Jahre meine Heimat war, hier habe ich mehr Zeit verbracht als in meinem Haus, mit meiner Frau, mit meinen Kindern. Mehr aus Gewohnheit schließe ich die Türe ab. Es ist eigentlich nichts mehr da, was das Verschließen gelohnt hätte. Zum letzten Mal laufe ich durch die Ausstellungsflächen. Meine Schritte hallen in den leeren Räumen, die so viel größer wirken als früher. Ich stoße die Ladentür auf und atme tief durch. In meinem Bauch fängt es an zu kribbeln wie von tausend Ameisen, und das Kribbeln setzt sich fort – bis in die Füße, in die Hände. Das ist Erleichterung, merke ich und begreife jetzt und hier, dass der Entschluss, die Firma abzugeben, der beste war, den ich für mich treffen konnte. Es war kein Entschluss, den alle verstehen konnten. Mancher Mitarbeiter mag immer noch meinen, er hätte es besser gekonnt oder gewusst, mancher Kunde mag enttäuscht sein und auch in der Familie gab es wohlmeinende Stimmen, die mit gutem Rat und alternativen Lösungen helfen wollten. Aber es war meine Entscheidung gewesen und dort vor der Tür mit dem Champagnerkribbeln und der frischen Luft in meinen Lungen habe ich gewusst: »Du warst mutig und hast nichts falsch gemacht, Nils. Es war die richtige Entscheidung für dein Leben.« Diese Erfahrung gibt mir nicht die Autorität, Ihnen sagen zu können, was die richtige Entscheidung für Sie ist. Im Gegenteil: Sie hat mir lediglich das Wissen verschafft, auf dessen Basis ich an dieser Stelle eine Einladung aussprechen möchte. Eine Einladung zur Entscheidung: Es ist Ihr Leben. Worauf warten Sie? • Was wird besser, wenn Sie abwarten? • Wenn Sie nicht loslassen, was wäre die Alternative? • Wenn Sie weitermachen, was wird in fünf Jahren sein, in zehn? • Wenn alles so prima läuft – warum kaufen Sie nicht noch eine Firma dazu? 202

Eine Einladung (… zur Entscheidung)

• Wenn Sie nicht loslassen wollen – was soll stattdessen passieren? • Was wollen Sie wirklich? Und weil diese Frage so wichtig und schwer zu beantworten ist, gleich noch mal: Was – wollen – Sie – wirklich? Die Antworten auf diese Fragen können Sie sich jetzt selbst geben. Es sollten allerdings begründbare Antworten sein. Nichts in dem Stil: »Weil ich das halt so will.« Diese Erwiderung ist albern, kindisch und unter Ihrer Würde. Es ist jetzt Zeit für eine nüchterne, klare Abgrenzung – keine Ausreden mehr, keine Ausflüchte. Und keine anderen, denen Sie die Schuld geben können. Und wenn Sie nach der Beantwortung all dieser Fragen wirklich final entscheiden, dass Loslassen keine Alternative ist, dass Sie weitermachen wollen? Dann machen Sie das halt so. Aber dann tragen Sie bitte auch die Verantwortung dafür. Es ist Ihre Entscheidung. Verantwortung und Freiheit

Das, was Sie bisher als Chef gemacht haben – nämlich Eigenverant­ wortung von anderen zu fordern –, müssen Sie jetzt selbst abliefern. Treffen Sie eine Vereinbarung mit sich selbst, werden Sie aktiv. Das, was Sie immer ausgezeichnet hat, lieber Leser, vergessen Sie es an dieser Stelle nicht, handeln Sie, denn es entspricht Ihrem Wesenskern. Das, was Sie all die Jahre auf sich genommen haben – die Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden und Ihr ganzes Umfeld –, können Sie jetzt abgeben. Freuen Sie sich: Banken, Betriebsrat – all diesen Ballast können Sie abwerfen. Ist das nicht ein attraktiver Ausblick? Sie müssen morgens nicht mehr der Erste sein, der die Firma aufschließt, abends nicht mehr der Letzte, der die Alarmanlage aktiviert. Was für eine Freiheit! Unternehmertum ist mit einem engen Regelwerk verbunden – Pflicht, Disziplin, Leistungs- und Zeitdruck: All das darf jetzt wegfallen. Sie können – ich sagte es schon weiter vorne – auf der Stelle mit dem Müssen aufhören und mit dem Wollen anfangen. Und das Beste ist: Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig außer sich selbst. Natürlich ist es fantastisch und wünschenswert, dass eine Nachfolgeregelung gefunden wird, mit der alle Betei­lig­ten zufrieden sind. Die Lektüre dieses Buches hat Ihnen dazu viele Anregungen mitgegeben und in einem Arbeitsbuch zur Unternehmensnachfolge128 Eine Einladung (… zur Entscheidung)

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finden Sie zusätzliche praktische Hilfestellungen. Aber letztlich bleibt es Ihre Entscheidung, was mit Ihrer Firma geschehen soll. Sie erinnern sich? Sie haben die Freiheit, zu entscheiden, und Ihre Kinder haben die Freiheit, ihren eigenen Weg zu gehen. Diese Freiheit ist die Voraussetzung dafür, dass ein unternehmerisches Feuer weitergegeben werden kann, dass es weiterbrennt und nicht zur traurigen Funzel verkommt oder gar erlischt. Es liegt in Ihrer unternehmerischen Verantwortung, das Feuer zu sichern, indem Sie diesen letzten Schritt sauber, verantwortungsbewusst und zum Wohle aller vollziehen. Es liegt auch in Ihrer Verantwortung, einen Prozess anzustoßen, der auf die Zukunft der Firma ausgerichtet ist. Es liegt aber nicht in Ihrer Verantwortung, diesen Prozess zu überwachen und sorgenvoll zu beobachten, ob die Kinder, der Nachfolger oder die neuen Eigentümer alles so machen, wie Sie sich das gedacht haben. In diesem neuen Lebensabschnitt, der jetzt kommt, geht es nicht darum, was die anderen tun oder lassen. Es geht ganz stark, vielleicht sogar ausschließlich, um Sie. Das mag ungewöhnlich sein und sich vielleicht sogar komisch anfühlen, denn es entspricht nicht den traditionellen Werten, die Sie bisher gelebt haben. Aber wenn Sie es schaffen, die großartige Freiheit zu erkennen, die in dem neuen Denken liegt, dann wird der Prozess des Loslassens einfacher und die Angst vor der Entscheidung wird obsolet. Mit der Entscheidung, die Sie jetzt treffen, können Sie die unternehmerische Verantwortung abgeben. Was bleibt, ist die vielleicht wichtigste Verantwortung überhaupt: die für Ihre Freiheit, für Ihr Leben.

Rückblick und Fazit Warum dieses Buch geschrieben wurde; außerdem elf Tipps, die das Loslassen erleichtern Im Mittelpunkt dieses Buches stehen Sie, lieber Leser. Ihre Werte, Ihr Warum, Ihr tägliches Schaffen, Ihre Überlegungen und Sorgen rund um das Thema Nachfolge haben auf diesen Seiten den Raum gefunden, der ihnen üblicherweise nicht zugestanden wird. 204

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Meine wichtigste Botschaft lautet, dass dieser Raum nicht mit dem Lesen der letzten Seiten aufgegeben werden darf. Gönnen Sie sich und dem Prozess des Loslassens weiterhin genau die große Bühne, die erforderlich ist. Und gestehen Sie sich zu, dass die Übergabe eines Unternehmens ein emotionaler Prozess ist, der zum einen Zeit benötigt und zum anderen frei von Verpflichtungen sein darf. Gibt es ein Ziel, das ich mit diesem Buch erreichen möchte? Ja, natürlich. Ich bin Unternehmer, ich tue nichts ohne Ziel. Mein Ziel haben wir – ich als Autor, Sie als Leser – erreicht, wenn ein Perspektivwechsel greifbar geworden ist. Wenn ich verdeutlichen konnte, dass die Regelung der Nachfolge nicht nur als Pflicht und Verlust gesehen wird sowie lästig ist, sondern im Gegenteil Spaß bereiten und der Beginn von etwas Großartigem sein kann (für Sie und für das Unternehmen). Wenn Sie eine Haltung von Offenheit einnehmen und wenn durch Ihre Neugier bei den möglichen Lösungen plötzlich Freude am Übergabeprozess entsteht, dann habe ich mein Ziel erreicht. Denn es gibt definitiv eine Fülle von Lösungen – interne, externe oder Mischformen –, die deutlich machen, dass es keinen festgelegten Rahmen für die Nachfolge geben kann. Jeder Unternehmens­über­ gang ist hochgradig individuell. Wenn Sie, Ihre Familie und potenzielle Nachfolger die Bereitschaft mitbringen, die Übergabe als einen Prozess anzusehen, dessen Ergebnis eben nicht vorher feststeht, dann entsteht eine Offenheit, bei der aus einem Verlust- ein Lustgefühl werden kann. Mit der Prozessorientierung auf ein schrittweises Vorgehen erlauben wir uns, verschiedene Wege in Betracht zu ziehen, und ermöglichen es allen Beteiligten, eine Abzweigung vom Hauptweg zu nehmen, die vorher nicht eingeplant war. Diese veränderte Sichtweise – vom festgemauerten Nachfolgemonolith zum fluiden, entwicklungsfähigen Übergabeprozess – senkt die Hürde der Entscheidungsfindung immens. Das bringt Erleichterung und bereichert den Dialog. Plötzlich müssen wir uns nicht mehr mit einem »So ist es, basta!« beschäftigen, sondern können ein »Was wäre, wenn …?« in den Raum stellen. Dann wird das Denken frei. Wie heißt es so schön? Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können. Ich glaube, dass sich die notwendige gedankliche Freiheit im Hinblick auf die Übergabe einfacher erreichen lässt, wenn Unternehmer ihr Wirken als etwas Besonderes begreifen: »Ich habe etwas vollRückblick und Fazit

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bracht, ich habe einen bleibenden Wert geschaffen, ich muss mich vor niemandem rechtfertigen, ich war mutig und habe nichts falsch gemacht.« Mit dieser wichtigen Würdigung des Lebenswerks fällt ein Druck von Ihren Schultern, der das Denken freier macht. Daher möchte ich, dass Sie (an-)erkennen, welche großartige Leistung Sie in den letzten Jahrzehnten erbracht haben. Als Unternehmer waren Sie gesellschaftlich prägend, Sie haben als Vorbild Ihre Werte gelebt und konkret erlebbar gemacht, im Miteinander von Mensch zu Mensch. Im Sinne der Wertebildung sind Familienunternehmen für mich nach wie vor das Gerüst für unsere Gesellschaft – in den Familien, im Bürgertum und in der Demokratie. Wenn wir diese gesellschaftliche Verpflichtung wahrnehmen, können wir ein Leuchtturm inmitten der anonymen Masse sein und der wachsenden Individualisierung entgegenwirken. Wir können als Familienunternehmen den zunehmenden zentrifugalen Kräften der sozialen und ökonomischen Ungleichheit Einhalt gebieten. Und wir können der »Jeder für sich«-Einstellung einen mutigen Gegenentwurf vorlegen und die Wegwerfmentalität mit echten Werten beantworten. Das unternehmerische Feuer, das ich in diesem Buch so oft ge­­ dank­lich entflammt habe, ist für mich die Allegorie für Werte und für Sinn. Beides (Ihre Werte und der Sinn Ihres Tuns) ist für das Loslassen entscheidend. Werte und Sinn waren die Triebfedern hinter Ihrem Wirken, egal ob Sie Gründer oder Nachfolger sind, Chef oder Angestellter. Deswegen werden sie auch die Triebfedern einer gelungenen Nachfolge sein. Ich glaube, der »Siegeszug« des Burnouts als Volkskrankheit Nummer eins hat ganz viel damit zu tun, dass vielen von uns Werte und Sinn fehlen. Damit verbunden ist das Fehlen der inneren Zufriedenheit, die aus intrinsischer Motivation entsteht, wenn wir das »Warum« hinter unserem Tun kennen, nicht nur das »Was« oder das »Wie«. Dieses Warum ist entscheidend, wenn es darum geht, einen passenden Nachfolger zu finden. Es ist aber auch entscheidend, um das Loslassen zu ermöglichen. Meine Werte helfen mir bei einer klaren Standortbestimmung. Von dort aus kann ich zum einen entscheiden, was für mich in Zukunft wichtig sein wird: Ich kann mein neues Feuer finden. Zum anderen kann ich von diesem Standort aus einen Nachfolger finden, dem ich vertrauen kann. Nicht weil er 206

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wie Klonschaf Dolly zu 100 Prozent mir entspricht, sondern weil er mein Warum versteht und diesem ein eigenes starkes Warum entgegensetzen kann. Diese beiden Warum sind unsere Handlungsorientierung in der Übergabe, wir können sie gemeinsam neu denken und dadurch die Zukunft stabil gestalten. Passgenauigkeit ist nicht entscheidend, um das Feuer weiterzutragen. Ihr Nachfolger ist nicht besser oder schlechter als Sie – er ist einfach anders. Er macht die Dinge nicht falsch, er macht sie nur anders. Wer das versteht, dem fällt das Loslassen viel leichter. Ein Mensch mit einem stabilen Wertegerüst wird das Firmenfeuer sicher in die Zukunft überführen und anfachen. Unabhängig davon, ob er die gleichen oder andere Werte als Sie hat. Im Umkehrschluss wird die Nachfolge misslingen, wenn Ihr Ego sich weigert, die Kategorisierung in »richtig« und »falsch« aufzugeben. Das mag hart klingen, aber es ist meine Erfahrung aus 30 Jahren Nachfolgepraxis. Lassen Sie bewusst los und seien Sie dankbar für alles, was Sie erreicht haben. Es geht bei all dem nicht um Sie, es geht darum, das Feuer zu erhalten und bedenken Sie: Kern Ihres unternehmerischen Handelns war es bisher nicht, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Warum also jetzt plötzlich diese Tendenz, die Nachfolge auszusitzen? Warum ziehen Sie sich hinter den Druck des Tagesgeschäftes zurück? »Es ist so viel zu tun, ich habe keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.« Dann nehmen Sie sich die Zeit. Wenn etwas wichtig ist, dann hat man auch Zeit dafür. Und was sollte wichtiger sein als die Zukunft? Die Zukunft Ihres Lebenswerks auf der einen und – noch wichtiger – Ihre Zukunft auf der anderen Seite? Übrigens ist diese »Duldungsstarre« hinsichtlich der Nachfolge (aber auch in anderen wichtigen Themen) möglicherweise typisch männlich. Ich wage mich mal mutig an eine Evolutionstheorie: Wir Kerle mussten im Kampf den Blick starr auf den Feind richten, mutig sein und »einfach durch«, die Frauen hingegen hielten die Augen nach rechts und links offen – »Wo ist ein guter Platz für ein Lager, wo hängen Früchte, wer wird der Vater meines Kindes?« Diese umfassendere Perspektive zeigt sich bis heute – Frauen beschreiten den Prozess des Loslassens deutlich bewusster, das erlebe ich in meinen Beratungen immer wieder. Sie sind sowohl in der Selbstreflexion als auch im Hinblick auf die Verheißungen der Zukunft viel klarer. Rückblick und Fazit

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Wenn eine Frau zu mir in die Beratung kommt, hat sie bereits eine klare Vorstellung. Die Männer, die zu mir kommen, haben meistens diffuse Sorgen und das Einzige, was dann klar ist, ist die Unklarheit: »Wer soll mein Nachfolger werden?« Elf Tipps für die Nachfolgeplanung

Wenn Sie dieses Buch bis hierher aufmerksam gelesen haben – worüber ich mich freuen würde und wofür ich mich bedanken möchte –, dann sind diese Tipps nicht neu für Sie. Aber es tut gut, am Ende die wichtigsten Eckpunkte zusammenzufassen. So lassen wir gemeinsam alles Wichtige noch einmal Revue passieren – umso stärker prägt es sich ein. Und für die ganz ungeduldigen Leser mögen diese Tipps als »Management Summary« dienen. 1.  Was du heute kannst besorgen Wann sollte »man« mit dem Loslassen loslegen? Jetzt! Eine getroffene Entscheidung erleichtert, sie macht den Kopf frei, das Thema ist endlich »weg vom Fenster«. Deshalb beginnen Firmeninhaber lieber heute als morgen mit der Erstellung des Nachfolgefahrplans. Das komplexe Thema Nachfolge ist nicht so schnell entschieden wie eine Urlaubsplanung, es benötigt jede Menge Zeit, hin und wieder vorübergehendes Innehalten und tiefes Nachdenken. Bei der Planung geht es nicht um richtig oder falsch, es geht darum, eine Entscheidung auf Basis aller jetzt verfügbaren Faktoren zu treffen. Perfekt gegen »Aufschieberitis« (Prokrastination) hilft die Methode, das komplexe Thema in beherrschbare Teilschritte aufzuteilen. 2.  Bedeutung begreifen Wer versteht, welchen Wert er mit der Nachfolgeentscheidung loslassen soll, versteht auch, warum das so schwer ist. Mit der Übergabe lassen Unternehmer etwas los, das ihr Leben und ihre Persönlichkeit jahrzehntelang geprägt hat. Das ist ein sehr bedeutsamer Schritt, der vom Übergeber selbst, seiner Familie und von potenziellen Nachfolgern entsprechend gewürdigt werden sollte.

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3.  Planung und Regulierung Eine Nachfolgeregelung benötigt einen Rahmen und klare Richtlinien. Zudem kann der gesamte Prozess durch eine Familienkon­ ferenz hilfreich begleitet werden, Vereinbarungen werden dabei schriftlich festgehalten und von allen Betroffenen unterschrieben. Da bei einem langfristigen Prozess dieser Reichweite viel schiefgehen kann (und wahrscheinlich auch wird), empfiehlt es sich, einen Plan B in der Tasche zu haben. 4.  Freiheit Die Nachfolge wird erfolgreich, wenn Übergeber und Nachfolger sich innerhalb der Familie die Freiheit zurückgeben. Die Kinder erhalten die Freiheit, sich gemäß ihren Neigungen frei zu entwickeln, und erleben die Nachfolge als Möglichkeit, nicht als Zwang. Die Eltern wiederum haben die Freiheit, die Nachfolge im Hinblick auf die Zukunft der Firma zu regeln. Wenn keines der Kinder in diese Zukunftsplanung als Jugendlicher hineingewachsen ist, dann müssen alle Beteiligten diese Situation als Erwachsene akzeptieren und neue Lösungen finden. 5.  Horizont – das neue Feuer Unternehmer, die wissen, was sie nach der Übergabe tun werden, glauben, im Ruhestand zufriedener zu sein als jetzt.129 Dieses Studienergebnis belegt die Wichtigkeit eines neuen Feuers. Der Glau­­be allein an den Ruhestand im Dreiklang aus Garten, Enkeln und Studienreisen wird der starken Anziehungskraft des alten Feuers nichts entgegensetzen können. Das neue Feuer muss demnach genauso hell lodern wie das alte – sonst wird es unglaublich schwer und zäh werden, es zu verlassen. Wenn kein »hin zu« vorhanden ist, dann klappt das »weg von« nicht. Die Kernfrage lautet daher: Wo ist der neue Lebensmittelpunkt? 6.  Passt zur Firma – nicht zu mir Was braucht die Firma, um zukünftig erfolgreich zu sein? Diese zentrale Frage lässt sich zum einen unter dem Aspekt wirtschaftlicher und globaler Trends beantworten, zum anderen aus der sehr individuellen Sicht auf genau dieses Unternehmen. Mit der Antwort zeigt Rückblick und Fazit

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sich, welche Person bzw. welche Persönlichkeit ein potenzieller Nachfolger sein sollte. Es geht darum, den Nachfolger anhand der Firmenzukunft auszusuchen, nicht weil er der Klon des jetzigen Chefs ist. 7.  Einsame Entscheidungen Gerade Unternehmer sind es gewohnt, wichtige Entscheidungen zum einen einsam, zum anderen zwischen Tür und Angel zu treffen. Die Planung der Nachfolge ist anders: Sie steht auf einem breiten Fundament und bezieht Familie, Beirat und Mitarbeiter mit ein. Gemeinsam statt einsam tut auch dem Nachfolger gut: Im Rahmen des Übergangs ist es sehr wichtig, dass er frühzeitig in das weitverzweigte Kontaktnetzwerk des Unternehmers eingebunden wird: So lernen ihn Kunden, Mitarbeiter, Banken und Investoren frühzeitig kennen und können Vertrauen aufbauen. 8.  Balance finden Nicht alle Entscheidungen können gemeinsam getroffen werden. Ein Firmenübergang ist eine heikle Angelegenheit, nicht nur bei Aktiengesellschaften. Deshalb geht es darum, die richtige Balance zwischen Kommunikation und Diskretion zu finden. Wo ist es richtig und wichtig, Mitarbeiter in Entscheidungen einzubinden, wo müssen wir mit einer diskreten Behandlung der Situation den möglichen Fehlentwicklungen vorbeugen? Leider gibt es kein »One fits all«, die richtige Balance wird immer eine firmenindividuelle Entscheidung sein, die von verschiedenen Faktoren abhängt. 9.  Familie Ein Familienunternehmen basiert auf den drei Kreisen der Kollision. Die Systeme Firma, Familie und Eigentum kollidieren dabei ständig, das liegt in der Natur der Sache. Verschiedene Welten mit jeweils eigenen Regeln treffen aufeinander, wirken mit- und gegeneinander. Das Bewusstsein für dieses Wirken schafft Reflexion und damit die Möglichkeit, leichter mit Differenzen umzugehen. 10.  Veränderung Die Übergabephase ist die ideale Zeit, um mit Veränderungen der Struktur, der Organisation und der generellen Ausrichtung des 210

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Unternehmens zu beginnen. Durch den Führungswechsel wird per se ein anderer Wind wehen, Mitarbeiter und Kunden sind darauf eingestellt und werden neue Wege bereitwillig(er) mitgehen. Übergeber und Übernehmer können die Phase des Übergangs gemeinsam nutzen, um die Firma fit für die Zukunft zu machen. Speziell für den Verkauf des Unternehmens bietet es sich an, fällige Veränderungen anzugehen, um den Unternehmenswert zu steigern. Im Hinblick auf die Chancen der Digitalisierung können neue Prozesse in der Übergabephase schon mal ausprobiert werden: Wie ist das beispielsweise mit der Eigenverantwortung? Und welche neuen Formen der Zusammenarbeit könnten bei uns funktionieren? Der Übergang bietet Mutigen die Chance für einen geistigen Haltungswechsel. 11.  Verantwortung Unternehmer haben eine Verantwortung für ihre Firma. Diese Verantwortung erfüllen sie, wenn sie rechtzeitig und überlegt die Nachfolge regeln: Es ist eine Verantwortung für das Loslassen, nicht für die Zukunft des Unternehmens. Was nach dem Wechsel passiert, liegt nicht mehr in der Hand des alten Inhabers. Diesen Tatbestand gilt es nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu begreifen. Hilfreich ist dabei, die Erwartungen zu überprüfen – die eigenen, die der anderen und auch die, von denen wir nur glauben, dass wir sie erfüllen müssen. Diese Überprüfung macht frei – frei zu entscheiden, ob man weiter ein fremdbestimmtes Leben führen möchte oder endlich damit beginnen will, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Das neue Feuer wartet!

Ausblick und Aufbruch Über neues Denken, kollegiale Zusammenarbeit, Kreise und die Frage, wem eigentlich Ihr Unternehmen gehört Wir nähern uns dem Ende. Ich bin beim letzten Kapitel dieses Buches angekommen und Sie stehen vor oder mitten in der letzten Runde Ihrer unternehmerischen Laufbahn. Nach der Übergabe ist Schluss mit lustig. So könnte es zumindest aus Ihrer Perspektive aussehen: Ausblick und Aufbruch

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Die Nachfolgephase ist das Ende eines unternehmerischen Lebens. Man könnte es aber auch ganz anders sehen. Versetzen wir uns nämlich in die Perspektive des Nachfolgers, stehen wir ganz am Anfang. Am Beginn einer Erfolgsgeschichte mit all ihren Risiken und Chancen, mit Herzblut und schlaflosen Nächten. Spannend, oder? Eine kleine Wendung auf dem Absatz macht aus einem Ende einen Anfang. Vielleicht weckt diese Perspektive in Ihnen die Erinnerung an Ihre erste Zeit als Unternehmer – an all die Pläne und Ideen, aber auch an die Sorgen? Gab es damals Menschen, die Sie begleitet und unterstützt haben, mit denen Sie Ihre Visionen teilen konnten? Dann können Sie diesen Helfern jetzt danken, indem Sie Ihrem Nachfolger den Weg bereiten. Und wenn Sie selbst Nachfolger waren und jetzt ein Unternehmen für die dritte Generation hinterlassen, dann gilt vielleicht der kategorische Imperativ für öffentliche Orte: »Bitte hinterlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen.« Was möchten Sie hinterlassen?

Was ich mit diesem Gedankenspiel veranschaulichen will: Es liegt (auch) an Ihnen, ob Ihr Nachfolger, egal ob Käufer oder Familie, das Feuer weitertragen wird oder nur die Asche hüten kann. Was übergeben Sie ihm? Eher die besten Bedingungen für seinen neuen Anfang oder nur die Ergebnisse Ihres Wirkens – und dann soll er halt selber schauen? Hinterlassen Sie das Unternehmen wirklich so, wie Sie es selbst zum jetzigen Zeitpunkt vorzufinden wünschen? Falls nein – was wäre noch zu tun? Als Unternehmer waren Sie jahrzehntelang Innovator und Wertetreiber. Die Phase des Übergangs drängt sich quasi auf als Möglichkeit, um noch einmal zu alter Höchstform aufzulaufen. Was also möchten Sie einem Nachfolger hinterlassen? Wenn wir davon ausgehen – und das sollten wir –, dass es bei der Übergabe nicht um das Sichern Ihrer persönlichen Pfründe geht, sondern darum, Werte und Sinn für die Zukunft zu erhalten, dann kann aus der Übergangsphase von »alt« zu »neu« eine bereichernde Episode werden. Dies gilt gleichermaßen für den familiären Übergang wie für eine externe Lösung. Im Mittelpunkt steht die Überlegung: Wenn wir verstanden haben, was die Firma in Zukunft leisten soll, dann können/ 212

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müssen wir klären, welche organisatorischen, strukturellen, rechtlichen und kommunikativen Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollen. Da ein Übergang von Führung und/oder Eigentum immer mit Veränderung verbunden ist, rechtlich und personell, ist diese Phase ideal geeignet, um neue Formen der Zusammenarbeit auszuprobieren und gesellschaftsrechtlich zu verankern. Jede Menge Papierkram fällt im Zuge dessen sowieso an, Mitarbeiter, Banken, Kunden und die Familie sind auf Veränderung eingestellt – also, warum nicht gleich richtig? Als Übergeber haben Sie die einmalige Chance, neues Denken für neue Lösungen einzubringen, vielleicht sogar einzufordern. Wahrscheinlich fällt diese Forderung auf fruchtbaren Boden – in den Studien über die neue Unternehmergeneration haben wir bereits gesehen, dass der Wunsch, neue Organisationsstrukturen zu schaffen, bei den Nachfolgern ganz oben steht. Schaffen Sie gemeinsam mit Ihrem Nachfolger Freiraum für In­­ no­­vation. Gerade die Entscheidungsstrukturen sind in der Phase des Übergangs weicher, fluider – nicht so betoniert wie sonst. Alles ist im Wandel – der ideale Rahmen, um alternative, innovationsfördernde Strukturen zu etablieren. Um Verantwortung anders zu organisieren, sie nicht mehr mit der Führung zu verankern. »Eigenverantwortung entsteht nicht durch den Appell […], sondern da­­ durch, dass Mitarbeiter tatsächlich Probleminhaber sind«, erklärt mein Bekannter Bernd Oestereich in seinem Buch »Das kollegial geführte Unternehmen«.130 Sobald Probleme bei denen verbleiben, die sie von außen erhalten haben, wächst genau dort im Laufe der Zeit die Problemlösungskompetenz. Wenn wir Verantwortung neu denken, sollten wir über Grundsätzliches wie die Kapitalverteilung nachdenken (auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene). Aber auch in den operativen, strategischen und organisatorischen Bereichen können wir zu einer Neu­strukturierung kommen, in deren Rahmen Verantwortung nicht qua Amt, sondern qua Kompetenz, Talent oder Wissen vergeben wird. Ich weiß es nicht

Innovation ist wichtig. Da sind sich alle einig. Aber wie entsteht sie? Während man weltweit in den Konzernen versucht, InnovationsAusblick und Aufbruch

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fähigkeit zu formalisieren, ist es die große Stärke von Familienunternehmen, dass Innovation mit den Menschen verbunden ist und durch flache Hierarchien abrufbar wird. Das Wissen und das Wollen jedes Einzelnen und das Miteinander eines sozialen Gefüges sorgen dafür, dass Ideen entstehen und wachsen können. Darin liegt der riesige Wettbewerbsvorteil der Familienunternehmen in einer Zeit, in der formalisiertes Erfahrungswissen jederzeit an der Innovation aus der Garage nebenan scheitern kann. Manchmal erscheint es mir so, dass die Welt da draußen von der real existierenden Wirtschaft getrennt ist. Während »draußen« neue Lösungen im Fünf-Minuten-Abstand aus dem Boden schießen, wird »drinnen« noch in Fünf-Jahres-Plänen gedacht. Das Schizophrene daran ist, dass die betriebswirtschaftlichen und juristischen Systeme uns diese Denkweise immer noch aufzwingen. Nehmen wir zum Beispiel das Ertragswertverfahren IDW S1, welches ausschließlich darauf baut, dass jemand einen Unternehmenswert fünf Jahre in die Zukunft rechnen kann. Sozialistische Planwirtschaft in einem globalen Multi-Options-Universum. Wer als Unternehmer von diesen besonderen Optionen profitieren will, sollte akzeptieren, dass er in der massiven Komplexität unserer Welt nicht mehr auf alles eine Antwort wissen und geben kann. Das gilt für Sie, das gilt für Ihren Nachfolger. Wir alle müssen lernen, mit dem Unwissen anders umzugehen, viel entspannter: Ich bin nicht mehr der, der alles weiß, der alles entscheiden kann und muss. Ich bin nur noch dazu da, das Wissen und die Entscheidungsfähigkeit meiner Mitarbeiter wie ein Dirigent zum bestmöglichen Gleichklang zu bringen. Aus dieser Sicht ist der Satz »Ich weiß es nicht« keine Schwäche, sondern eine Stärke. Warum benötigen wir eine neue Art der Zusammenarbeit?

Die Komplexität einer durchdigitalisierten, globalen Wirtschaft for­­ dert eine andere Herangehensweise an alles, was Unternehmen aus­­ macht. Bernd Oestereich stellt es in seinem wunderbaren Buch fol­ gendermaßen dar: »Wenn es zu (mehr) Überraschungen kommt, dann helfen nicht mehr Regeln, Prozessdefinitionen und mehr vom Gleichen, dann helfen nur eigeninitiativ und -verantwortlich han214

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delnde Mitarbeiter. Die letzten Jahrzehnte sind von einer stetigen Zunahme von Überraschungen gekennzeichnet. Die Marktdynamik hat sich dramatisch erhöht.«131 Das Dilemma der alten Unternehmensstrukturen: »Oben« ist jemand, der vorsagt, und »unten« sind all die, die nachmachen. Eigeninitiative entsteht aber nicht durch Nachmachen, sondern durch Selbstmachen und durch Selbstdenken. Deswegen wird es immer scheitern, Eigeninitiative vorzuschreiben. Die Aussage »Mit meinen Leuten geht das nicht« oder die Frage »Wie bringe ich meine Leute dazu, Verantwortung zu übernehmen?« sind in sich selbst genauso fragwürdig wie der Ansatz, Menschen motivieren zu wollen. All diese Gedanken entstammen einem linearen Unternehmensmodell nach Turnvater Jahn – einer steht vorne und turnt, die anderen 10.000 hampeln mit. Bei diesem linearen Modell sind Entscheiden und Handeln voneinander getrennt. Oben wird gedacht, unten gemacht. Und damit die unten tun, was sie sollen, müssen sie kontrolliert werden und benötigen »Anreizsysteme«132. Wenn Sie jetzt direkt an den Esel mit der Möhre denken: Richtig, genauso funktioniert unsere Wirtschaft. Letztlich ist mit dem linearen System ein bestimmtes Menschenbild verbunden, bei dem gefragt wird: »Bin ich grundsätzlich misstrauisch?« Dann muss ich die dem Menschen innewohnende Faul­­heit durch Managen und Anreizen austreiben. Oder ist mein Menschenbild vom Vertrauen geprägt, dass jeder von sich aus versucht, das Bestmögliche zu tun, wenn man ihn lässt? Im Buch »Reinventing Organizations« beschreibt Frederic Laloux, was passieren kann, wenn man Mitarbeiter entscheiden lässt: »Als die Zeit gemessen wurde, verließen die Arbeiter ihre Maschinen genau zu dem Zeitpunkt, wenn ihre Schicht zu Ende war. Heute bleiben sie oft […] länger, um die Arbeit zu beenden, die sie begonnen haben. Wenn man sie nach dem Grund fragt, dann antworten sie, dass sich ihr Selbstverständnis verändert hat: Früher arbeiteten sie nur für das Gehalt; heute fühlen sie sich für die Arbeit verantwortlich […].«133 Chefs sind nicht schuld, die Globalisierung auch nicht

Manchmal ist es doch fast unheimlich, wenn man erfährt, was Mitarbeiter leisten, sobald sie die Bürotür nach Feierabend zugemacht Ausblick und Aufbruch

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haben: Der Sachbearbeiter leitet einen Chor, die Laborchefin organisiert ehrenamtlich interkulturelle Begegnungsstätten. Hobby, Haushalt, Familie, Urlaub – wir alle sind sehr wohl in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Warum also nicht im unternehmerischen Kontext? Diese Grundgedanken bilden den Hintergrund einer Vielzahl von Organisationsmodellen, die das Kernproblem der Unternehmer lösen wollen. Diese Modelle gehen weder davon aus, dass Chefs an allem schuld sind, noch wollen sie der Arbeitsbelastung, der Digitalisierung oder der Globalisierung die Schuld in die Schuhe schieben. Das Problem sitzt tiefer, in der DNA unserer Unternehmen – klein, mittel oder groß. Es geht dabei um die Art, wie wir Arbeit organisieren, wie wir denken und wie wir entscheiden. Wir müssen weg von der »Linie« hin zu Strukturen, die perfekte Rahmenbedingungen schaffen für intrinsische Motivation. Wir benötigen Mitmacher, vielleicht Mitunternehmer, die neugierig sind, die sich aus Interesse und aus unternehmerischer Verantwortung heraus wirklich für ihre Tätigkeiten begeistern und sich deshalb gern damit beschäftigen, darüber lesen, davon sprechen. Nur dann wird Neues entstehen, weil Augen und Ohren am Markt und am Produkt sind. Wenn ein Fahrradhersteller keine überzeugten Fahrradfahrer im Team hat, wird er nie erfahren, ob seine Räder gut sind. Wenn in einer Konditorei keiner Kuchen isst, wird man dort nie verstehen, was die Konkurrenz besser macht. Wenn ein Hotelier und seine Mitarbeiter selbst nicht reisen, wird keiner neue Ideen einbringen. Dieser Wandel vom Mitarbeiter zum Mitdenker verlangt im Wesentlichen zwei neue Parameter, die wir im Folgenden näher betrachten wollen: Führung und Eigentum. (Die weiteren Stellschrauben sind übrigens: Entscheiden, Lernen, Kommunizieren und Delegieren. Diese sind aus meiner Sicht dem Führungsprinzip unterzuordnen und werden deswegen aus Platzgründen hier nicht näher beleuchtet. Das wäre ein eigenes Buch. Vielleicht folgt das bald, mal sehen …)

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Führung neu denken

Viele Vordenker der neuen Arbeitswelt sehen im etablierten Führungs­­­­ verständnis das zentrale Hindernis für organisationalen Fortschritt. Solange wir es nicht schaffen, die Führungsrolle von der Person zu befreien, werden immer gleichermaßen Erfolg wie Misserfolg an »Figuren« hängen. Ergo werden wir weiterhin sehr viel Zeit damit verbringen, jemanden zu suchen, der schuld ist. Solange das passiert, wird jeder Mitarbeiter dankbar sein, wenn er sich hinter der Entscheidung eines Chefs verstecken kann. Und solange werden Manager ihre exorbitanten Saläre damit verteidigen, dass sie ja schließlich »den Kopf hinhalten«. Bernd Oestereich spricht von dem Grundprinzip »Führungsarbeit statt Führungskräfte« und plädiert dafür, dass die Person führt, die im jeweiligen Kontext die bestmöglichen Fähigkeiten bieten kann. Das kann für eine einmalige Entscheidung genauso gelten wie für ein längeres Projekt. Führung gibt es weiterhin, aber nicht mehr vorgesetzt, exklusiv oder unbefristet, sondern situativ.134 Jeder führt, weil jeder sich verantwortlich fühlt. Umgekehrt fühlt sich jeder verantwortlich, weil er durch einen speziellen Organisationsrahmen Führungskraft ist. Ein Beispiel für dieses neue Prinzip ist Buurtzorg135, ein Pfle­ge­ dienstleister aus den Niederlanden, der in wenigen Jahren zum Marktführer geworden ist: mit 85 Prozent Marktanteil und 10.000 Mit­­ arbeitern, die alle ohne Chef arbeiten. Bei Buurtzorg arbeiten die Pflegekräfte in Teams von zehn bis zwölf Mitarbeitern. Jedes Team betreut eine bestimmte Anzahl Patienten, übernimmt dabei die Verantwortung für absolut alle Aufgaben, die zuvor auf verschiedene Abteilungen verteilt waren (Wie viele Patienten nehmen wir an, brauchen wir ein Büro, wenn ja, wo, und wie richten wir es ein?). Die Teammitglieder regeln zudem die Einsatz- und Urlaubspläne sowie alle Fortbildungen selbst. Essenziell ist, dass alle Mitarbeiter so lange bei den Patienten sein dürfen, wie sie es für richtig erachten. Die branchenüblichen Minutenvorgaben gibt es nicht. Ideen, Pro­ bleme und neue Behandlungskonzepte werden im Mitarbeiterkreis besprochen. Wird ein solcher Kreis durch das starke Wachstum zu groß, teilt er sich auf. Im krassen Gegensatz zum deutschen medienAusblick und Aufbruch

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beherrschenden Pflegenotstand hat Buurtzorg übrigens eine Warteliste für interessierte Bewerber. Da kriegt der Fachkräftemangel direkt ein anderes Gesicht, oder? Diesen beschäftigungsfördernden Aspekt der neuen Arbeitswelt halte ich übrigens für sehr wichtig. Wenn künftig tatsächlich die Anzahl der Schultern, auf denen wir Arbeit verteilen können, zurückgeht, dann sollten wir attraktive Arbeitsbedingungen schaffen. Zum einen, damit wir für die »guten« Arbeitskräfte als Arbeitgeber sexy sind, zum anderen (viel wichtiger), damit wir dafür sorgen, dass alle »gut« sein können. Mit anderen Worten: Wir müssen einen Rahmen schaffen, in dem jeder Mitarbeiter seine individuellen Fähigkeiten und Ressourcen bestmöglich einsetzen kann. Unsere Gesellschaft wird älter, bunter, mobiler – all diese Parameter können wir mit neuen Organisationsmodellen zusammenführen und mit Diversität managen. Heterogene Teams sind die bestmögliche Herangehensweise an Komplexität: Verschiedene Arten der Pro­ blem­­lösung – langsam und methodisch oder schnell und entschlussfreudig – ergeben zusammen die besten Resultate. In dieser Art von Teams benötigen wir keine Fachkräfte mehr, die eine bestimmte Stellenbeschreibung erfüllen – wir haben Menschen, die ihr Können zum Wohl des Unternehmens einsetzen. Es erfolgt ein kompletter Wandel der Sichtweise: Der Mitarbeiter muss sich nicht mehr den Anforderungen des Jobprofils anpassen, sondern er tut aus eigenverantwortlichem Antrieb heraus genau das, was er am besten kann. »Wie Sie mittlerweile herausgefunden haben, wurden Sie nicht eingestellt, um eine bestimmte Stellenbeschreibung zu erfüllen. Sie wurden eingestellt, um sich ständig nach einer wertvolleren Arbeit umzuschauen, die Sie in Angriff nehmen können«, zitiert Laloux aus dem Mitarbeiterhandbuch der Firma Valve.136 All diese Aspekte sind in einer klassisch-hierarchischen Linienstruktur nicht denkbar. Deshalb setzt Bernd Oestereich auf den Kreis statt auf die Linie, genau wie die mit seinem Modell der kollegialen Führung verwandten Systeme der Soziokratie und der Holacracy. Kreisstrukturen als Archetyp jedes Gruppenprozesses (denken Sie an das Lagerfeuer) ermöglichen es uns, auf eine völlig neue Art zu arbeiten. Organisationsmodelle137, die den Kreis statt der Linie etablieren, fördern die Dezentralisierung und die Ermächtigung zur Eigen218

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verantwortung. Sie schaffen eine höchstmögliche Transparenz und gewährleisten eine agile Planung. Alles zusammen Voraussetzungen, um die Komplexität in dieser disruptiven, globalen Wirtschaft zu meistern, in der ein indisches Start-up morgen schon Ihre Kunden (und Mitarbeiter) abgreifen könnte. Eigentum neu denken

Wem gehört eigentlich Ihr Unternehmen? »Noch mir«, werden Sie wahrscheinlich antworten, »und bald dann meinem Nachfolger«. Das stimmt, formaljuristisch gesehen. Unter diesem Aspekt ist Ihre Firma ein »Ding«, das Sie vererben, verschenken oder verbrennen können. Was passiert allerdings, wenn wir der gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung eines Familienunternehmens gerecht werden wollen? Dann ist ein Unternehmen plötzlich kein »Ding« mehr, sondern ein sozialer Organismus, der von Werten und von Sinn getrieben wird. Und der gleichermaßen Werte und Sinn erzeugt. Ich halte viel davon, über neue Eigentumslösungen nachzuden­ ken, die den gesellschaftlichen und nicht den marktwirtschaftlichen Wert eines Unternehmens in den Mittelpunkt stellen. Mit einem passenden rechtlichen Rahmen können wir neuen Führungsmodellen das Fundament schaffen. Genossenschaften oder Stiftungen können zurzeit dabei helfen, die schwieriger werdende Nachfolgesituation in Deutschland um neue Denkmodelle zu bereichern. Wenn – wie wir gesehen haben – immer weniger Interesse an alleiniger Führungsverantwortung besteht, dann müsste es doch im Umkehrschluss ein großes Inte­ resse an Modellen geben, die Verantwortung auf mehrere oder viele Köpfe verteilen. Vielleicht sogar auf alle Köpfe in einer Firma? Ergo benötigen wir Rechtsformen, in denen bis zu 100 Prozent der Mitarbeiter das Betriebskapital organisieren sowie die Firma weiterentwickeln und führen können. Wenn wir Eigentum neu denken, können wir zu neuen Organisationsformen kommen, die nicht mehr an einer Person hängen – wie ein Mobile, das sinnlos wird, wenn der oberste Faden durchtrennt ist. So können wir in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft auch Menschen abseits der klassischen Ausblick und Aufbruch

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extrovertierten Unternehmerpersönlichkeit die Chance bieten, ihr Wissen und Können unternehmerisch einzubringen. Diese Firmen gehören sich selbst

Beim Optikunternehmen Carl Zeiss AG hatte der Teilhaber Ernst Abbe nach dem Tod von Carl Zeiss sämtliche Unternehmensanteile in die zugehörige Carl-Zeiss-Stiftung überführt und so einem Verkauf oder einer Weitergabe an Erben für alle Zeiten den Riegel vorgeschoben – damit wurde außerdem sichergestellt, dass sämtliche Gewinne wieder in das Unternehmen reinvestiert oder als Spende verzeichnet werden. Allein in Dänemark gibt es mehr als 100 Unternehmen, die mehrheitlich solchen gemeinnützigen Stiftungen gehören. Ähnlich handhaben es beispielsweise der Schweizer Luxusuhrenhersteller Rolex, der Spielzeugfabrikant Playmobil, der Automobilzulieferer Mahle, Dr. Hauschka Naturkosmetik und der eben schon erwähnte Pflegedienst Buurtzorg: All diese Firmen gehören sich selbst.138 Genossenschaften und Stiftungen werden gerade wieder modern, aber eigentlich sind beide Gesellschaftsformen nicht wirklich für neue Arbeitsmodelle geeignet. Deutschland muss dringend etwas verändern, um nicht im globalen Wettbewerb als Wirtschafts­stand­ort abgehängt zu werden. Momentan sind deutsches Gesellschafts- und Handelsrecht Verhinderer von kooperativen Unternehmensformen. Wer da etwas »hinbiegen« will, hat etliche Hürden zu über­­winden. Das musste schon das Unternehmen Bosch erfahren, bei dem die von Robert Bosch gegründete Stiftung erst 22 Jahre nach seinem Tod rechtskräftig stand. Auch der Sport- und Freizeit­artikelhersteller Kettler rutscht trotz oder wegen einer komplexen Stiftungsorgani­ sation gerade in die zweite Insolvenz. Genossenschaften als zweites Prinzip der durch Eigentum verteilten Verantwortung sind formaljuristisch zwar einfacher zu gründen, im Regelwerk aber sehr eng gestaltet und daher nicht für jeden Geschäftszweck geeignet. Armin Steuernagel, Mitbegründer der Purpose Stiftung, erklärt, dass beide Gesellschaftsformen für Unternehmer Nachteile haben, und betont, dass Deutschland aufholen muss. In 15 Ländern der EU wurden in den letzten Jahren neue Rechtsformen eingeführt, wodurch eine Eigentumsmöglichkeit eröffnet wurde, die die Purpose 220

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Stiftung »Verantwortungseigentum« nennt.139 Die Stiftung unterstützt Unternehmer dabei, diese Eigentumsform zu etablieren, mit der sich Finanzierung, Rechtsform, Organisation und Zusammenarbeit konsequent neu gestalten lassen. Ernst Schütz vom Öko-Versandhandel Waschbär nutzte die Dienste von Purpose, um seine Nachfolge zu regeln und gleichzeitig gegen eine Gesellschaft zu opponieren, »wo es nur darum geht, aus viel Geld noch mehr Geld zu machen, wo Inhalte nicht mehr zählen«. Er setzte deshalb »die Werte- und Fähigkeitsverwandtschaft an die Stelle von Blutsverwandtschaft«, indem er sein Unternehmen weit unter Marktwert an zwei Geschäftsführer übergab, mit denen sich in der Zusammenarbeit ein gemeinsames Werteverständnis gezeigt hatte.140 »Werte- und Fähigkeitsverwandtschaft« – dieser Begriff gefällt mir, wenn es um die Beschreibung eines potenziellen Nachfolgers geht. Anders als Schütz glaube ich allerdings, dass es kein »anstatt« zur Blutsverwandtschaft gibt, sondern vielmehr ein Sowohl-als-auch. Wichtiger scheint mir in diesem Zusammenhang, dass wir uns überhaupt die Mühe machen und herausfinden wollen, wie unser Nachfolger tickt. Anders als Sie – so weit, so klar. In einer Studie von 2016 ist das Wittener Institut für Familienunternehmen ein bisschen deutlicher geworden und konnte belegen, dass die neue Unternehmergeneration anders ist als wir: »Nachfolger, das wird deutlich, sind keine Unternehmer, die eine bestimmte Vision gegen alle Widerstände durchsetzen. Sie sind vielmehr durchaus sozial und an Werten orientiert. Ihnen geht es eher darum, Bestehendes zu bewahren als im Sinne einer kreativen Zerstörung Neues zu erschaffen. Dies ist etwas, das jeder Unternehmer, der einen Nachfolger sucht, im Kopf haben sollte.«141 Schön, wenn es so wäre, oder? Wenn ein Nachfolger tatsächlich das Firmenfeuer übernehmen und es durch umsichtige Hege und Pflege wie das olympische Feuer über tausende Kilometer und durch alle Widrigkeiten hindurch weitertragen würde, um es am Ende abermals als beständig lodernde Flamme zu übergeben. Ob es so geschieht, liegt nicht nur in der Hand Ihres Nachfolgers.

Ausblick und Aufbruch

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Anfangen mit dem Aufhören

Ich freue mich, wenn dieses Buch Sie anregen konnte, mit dem Aufhören anzufangen. Ich freue mich, wenn viele, einige oder vielleicht auch nur ein einzelner meiner Hinweise Ihnen das Loslassen erleichtern. Und ich freue mich noch mehr, wenn Sie am Ende dieses Buch zuschlagen und alles ganz anders machen. Es gibt für die Nachfolge kein »richtig« und kein »falsch«, das habe ich schon mehrfach betont. Ihre Entscheidung wird in jedem Fall richtig sein, wenn sie geprägt ist von Dankbarkeit und Demut – zum einen gegenüber den Menschen, die Sie bis hierher begleitet haben, und zum anderen gegenüber all denen, die Ihr Firmenfeuer mit unverminderter Brennkraft weiter in die Zukunft tragen werden. Und vielleicht empfin­den Sie auch gegenüber dem Schicksal, dem Universum oder Gott (je nach persönlichem Glauben) Dankbarkeit und Demut, für die wunderbare Chance, einer von nur 4,4 Prozent der Berufstätigen142 zu sein, der als Arbeit- und Sinngeber Werte weitertragen durfte.

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Ran an die Arbeit! »Die meisten Theorien scheitern an der Praxis« – diesen Satz wollen wir für ein so wichtiges Thema wie die Nachfolge nicht stehen lassen. Deshalb gibt es ein Arbeitsbuch: Nils Koerber/Ingo Claus: Unternehmensnachfolge: Das Prozesswissen ISBN 978-3-525-40399-0

Das Arbeitsbuch erscheint ergänzend zu »Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens« und enthält Checklisten, Fragebögen, Arbeitsbögen, Charts und Tabellen, die Sie wirksam und sehr praxisnah bei Ihrer Planung der Nachfolge unterstützen. Das Arbeitsbuch bietet Ihnen Zugriff auf einen Teil des Materials, das wir bei KERN als Ihr Partner in der Nachfolgeberatung auch in unseren Stabwechselseminaren einsetzen. Unsere Kunden und Teilnehmer werden Ihnen bestätigen: Das ist Gold wert! Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Erfolg bei der Nachfolgeplanung und denken Sie daran: Warum noch warten? Es ist Ihr Leben!

Ran an die Arbeit!

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Anmerkungen 1

Marja-Liisa Halko, Tom Lahti, Kaisa Hytönen, Iiro P. Jääskeläinen (2017). Entreprenueurial and parental Love – are they the same? Human Brain Mapping, 38 (6), 2923–2938. 2 Andreas Mihm (2017). Tausende Unternehmer ohne Nachfolger. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.12.2017. Zugriff am 05.08.2019 unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/tausende-unternehmer-ohne-nachfolger-15360512.html. 3 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 7. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihk-­ koeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS. 4 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 7. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihk-­ koeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS. 5 Rosemarie Kay, Olga Suprinovič (2013). Unternehmensnachfolge in Deutsch­ land von 2014 bis 2018. In Institut für Mittelstandsforschung Bonn, Daten und Fakten Nr. 11. Bonn: IfM; S. 1 f. Zugriff am 24.03.2020 unter https:// www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/Daten_und_Fakten_18.pdf. 6 Rosemarie Kay, Olga Soprinovič, Nadine Schlömer-Laufen, Andreas Rauch (2017). Unternehmensnachfolge in Deutschland von 2018 bis 2022. In Insti­ tut für Mittelstandsforschung Bonn, Daten und Fakten Nr. 18. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung (IfM); S. 24 ff. 7 Marcel Hülsbeck, Philip Klinken, Till Jansen (2016). Persönliche Kompetenzen in der Nachfolge. Eine Studie des Wittener Instituts für Familienunternehmen in Kooperation mit der Banque de Luxembourg. Witten: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) Universität Witten/Herdecke; S. 10. 8 Biosprit E10 weiter ohne Akzeptanz, 02.08.2011. Zugriff am 23.09.2019 unter https://www.e10-kraftstoff.de/e10-news/biosprit-e10-weiter-ohneakzeptanz.html. 9 Michael F. Maier, Boris Ivanov (2018). Forschungsbericht 514 – Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland. Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, S. 14. Zugriff am 21.03.2020 unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb514-selbststaendige-erwerbstaetigkeit-in-deutschland.pdf;jsessionid=1396CEE7DBE2228EBA218D4F38935B10?__blob=publicationFile&v=1. 10 Simon Sinek (2014). Frag immer erst: warum. Wie Topfirmen und Füh­ rungskräfte zum Erfolg inspirieren. München: Redline Verlag. 11 Simon Sinek (2014). Frag immer erst: warum. Wie Topfirmen und Füh­ rungskräfte zum Erfolg inspirieren. München: Redline Verlag. 12 Renato Tagiuri, John Davies (1996). Bivalent Attributes of the Family Firm. Family Business Review, Juni.

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Anmerkungen

13 Familienunternehmen – Definition. Zugriff am 21.03.2020 unter https:// www.ifm-bonn.org/definitionen/familienunternehmen-definition. 14 Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). »Auf ewig verbunden«, Exkurs zur Studie »Firma, Familie, Führung: Leadership im Spannungsfeld von Gefühl und Geschäft«. KPMG, S. 3 ff. 15 Arist von Schlippe (2014). Das kommt in den besten Familien vor … Systemische Konfliktberatung in Familien und Familienunternehmen. Stuttgart: Concadora-Verlag; S. 32. 16 Arist von Schlippe (2014). Das kommt in den besten Familien vor … Systemische Konfliktberatung in Familien und Familienunternehmen. Stuttgart: Concadora-Verlag; S. 32. 17 Kirsten Baus (2016). Die Familienstrategie – Wie Familien ihr Unternehmen über Generationen sichern. Wiesbaden: Springer; S. 25 ff. 18 Stefan Merath (2011). Unternehmer als Vorbilder. Warum sind wir eigentlich Unternehmer? Zugriff am 21.03.2020 unter https://www.unternehmercoach.com/coach-unternehmer-coaching-unternehmer-als-vorbilder.htm. 19 Kerstin Dämon (2014). Viele gründen ihr Unternehmen aus Frust. WirtschaftsWoche vom 19.09.2014. Zugriff am 21.03.2020 unter https://www. wiwo.de/erfolg/gruender/motivation-von-selbststaendigen-viele-­gruendenihr-unternehmen-aus-frust/10726620.html. 20 Marco Caliendo, Alexander Kritikos (2010). Gründungen aus Arbeitslosigkeit: Nur selten aus der Not geboren und daher oft erfolgreich. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 18/2010; S. 2 ff. Zugriff am 21.03.2020 unter https://www. diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.356435.de/10-18-1.pdf. 21 Stefan Merath (2011). Unternehmer als Vorbilder. Warum sind wir eigentlich Unternehmer? Zugriff am 21.03.2020 unter https://www.unternehmercoach.com/coach-unternehmer-coaching-unternehmer-als-vorbilder.htm. 22 Bernd Geropp (o. J.). Mitarbeiterführung – Die 10 schlimmsten Fehler, die Ihnen nicht unterlaufen sollten! Zugriff am 21.03.2020 unter https://www. mehr-fuehren.de/mitarbeiterfuehrung-fehler. 23 Sabine Rau (2013). Kabale und Liebe. Impulse Wissen Herbst, S. 33 ff. 24 Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). »Auf ewig verbunden«, Exkurs zur Studie »Firma, Familie, Führung: Leadership im Spannungsfeld von Gefühl und Geschäft«. KPMG, S. 15. 25 Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). »Auf ewig verbunden«, Exkurs zur Studie »Firma, Familie, Führung: Leadership im Spannungsfeld von Gefühl und Geschäft«. KPMG, S. 14. 26 Rosmarie Welter-Enderlin (2005). Was steht auf Ihrer Bürotür, Frau Faust? Frauen in Geschäftsfamilien. In Fritz B. Simon (Hrsg.), Die Familie des Familienunternehmers: Ein System zwischen Gefühl und Geschäft (S. 145– 166). Heidelberg: Carl-Auer Verlag; S. 148. 27 Norbert Wandl, Ute Habenicht (2011). Unternehmensübergabe nachhaltig gestalten. Den Generationenwechsel zeitgerecht einleiten und durchführen. Wiesbaden: Springer Gabler; S. 23.

Anmerkungen

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28 Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). »Auf ewig verbunden«, Exkurs zur Studie »Firma, Familie, Führung: Leadership im Spannungsfeld von Gefühl und Geschäft«. KPMG, S. 10 f. 29 Marja-Liisa Halko, Tom Lahti, Kaisa Hytönen, Iiro P. Jääskeläinen (2017). Entreprenueurial and parental Love – are they the same? Human Brain Mapping, 38 (6), 2923–2938. 30 Tanja Schüle (2013). Die heimlichen Stars der Familie: Eltern sind die größten Vorbilder. Forsa-Umfrage für das »Coca-Cola-Happiness Institut«. Presseportal vom 05.09.2013. Zugriff am 22.03.2020 unter https:// www.presseportal.de/pm/7974/2549737. 31 Bernd LeMar (2001). Generations- und Führungswechsel im Familienunternehmen. Mit Gefühl und Kalkül den Wandel gestalten. Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag; S. 140. 32 Agentur SYZYGY (2017). Egotech, wie man Kopf, Herz und Geldbeutel von Konsumenten gewinnt. Bad Homburg: SYZYGY. Zugriff am 22.03.2020 unter https://www.syzygy.net/germany/de/news/egotech-studie. 33 Laura Carius, Linda van Rennings (2017). Jeder Fünfte folgt Online-Stars in sozialen Netzwerken. Bitkom Presseportal, Umfrage »Influencer«. Zugriff am 22.03.2020 unter https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/ Jeder-Fuenfte-folgt-Online-Stars-in-sozialen-Netzwerken.html. 34 Martin W. Ramb, Holger Zaborowski (Hrsg) (2015). Helden und Legenden oder: Ob sie uns heute noch etwas zu sagen haben. Einleitung/Vorwort. Göttingen: Wallstein-Verlag. 35 Anant Agarwala (2017). »Zivilcourage. Auf der Suche nach der Heldenformel.« Die Zeit vom 5. Januar 2017, Nr. 2/2017. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.zeit.de/2017/02/zivilcourage-gerechtigkeit-aktivismusunrecht-helden-vorbilder. 36 ManpowerGroup (Hrsg.) (2016). Führungskräftemangel folgt auf Fachkräftemangel. Presseinformation vom 17.11.2016. Eschborn: ManpowerGroup. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.manpowergroup.de/fileadmin/manpowergroup.de/MPG_161117_PI_Millennials_Fuehrung.pdf. 37 ManpowerGroup (Hrsg.) (2016). Karriereziele 2017: Vollgas im Job – aber bitte nicht nach Dienstschluss. Presseinformation vom 27.12.2016. Eschborn: ManpowerGroup. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.man­ powergroup.de/fileadmin/manpowergroup.de/161215_PI_ManpowerGroup_Karriereziele_2017.pdf. 38 Tommy Jaud (2015). Sean Brummel: Einen Scheiß muss ich: Das Manifest gegen das schlechte Gewissen. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch. 39 Sandra Gottschalk, Moritz Lubczyk, Annegret Hauser, Detlef Keese (2019). Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen (5. Aufl.). München: Stiftung Familienunternehmen. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.familienunternehmen.de/de/wissenschaft-und-programme/ studien/die-volkswirtschaftliche-bedeutung-der-familienunternehmen.

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Anmerkungen

40 Andre Tauber (2019). Die TOP 500 Familienunternehmen bauen Beschäftigung in Deutschland um 23 Prozent aus. München: Stiftung Familienunternehmen, 29.04.2019. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www. familienunternehmen.de/de/pressebereich/meldungen/2019/2019-04-26/ familienunternehmen-sind-deutschlands-jobmotor. 41 KfW Bankengruppe (2017): KfW Mittelstandspanel 2017: Frankfurt a. M.: KfW Bankengruppe. 42 Anja Müller, Katrin Terpitz (2019). Allianz gegen Populismus: 50 Familienunternehmen kämpfen für Vielfalt und Weltoffenheit. Handelsblatt vom 01.04.2019. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.handelsblatt.com/ politik/international/europawahl/mittelstand-allianz-gegen-populismus-50-familienunternehmen-kaempfen-fuer-vielfalt-und-weltoffenheit/24167412.html?ticket=ST-2831778-4B6VELKXbjQyd2 m06MIa-ap1. 43 Birgit Riess, Stefan Heidbreder (2007). Das gesellschaftliche Engagement von Familienunternehmen. Gütersloh/Stuttgart: Bertelsmann Stiftung und Stiftung Familienunternehmen; S. 5 ff. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/ das-­gesellschaftliche-engagement-von-familienunternehmen/ 44 Frank Schirrmacher (2006). Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft. München: Karl Blessing Verlag. 45 Holger Backhaus-Maul (2006). Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung, 16.03.2006. Zugriff am 23.03.2020 unter http://www.bpb.de/apuz/29861/ gesellschaftliche-verantwortung-von-unternehmen?p=all. 46 Olaf Storbeck (2008). Selbstüberschätzung bei Managern. Ich, das Genie. Handelsblatt online vom 14.07.2008. Zugriff am 23.03.2020 unter https:// www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/wissenswert/selbstueberschaetzung-bei-managern-ich-das-genie/2988896.html?ticket=­ ST-1997654-PEvtGcYM1r4uiwsHG9om-ap1. 47 Tina Groll (2013). Führungskräfte. Selbstverliebte Chefs sind innovativer. Zeit online vom 08.04.2013. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.zeit. de/karriere/beruf/2013-04/studie-selbstverliebte-chefs. 48 Sven Voelpel (2016). Entscheide selbst, wie alt du bist. Was die Forschung über das Jungbleiben weiß. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch. 49 Fanny Jiménez (2013). Was man über andere Menschen denkt, wird wahr. Welt online vom 04.01.2013. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.welt. de/gesundheit/psychologie/article112397907/Was-man-ueber-andere-­ Menschen-denkt-wird-wahr.html. 50 Christoph Koch (2002). Gefühle machen Gedanken. Stern online vom 18.06.2002. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.stern.de/gesundheit/ neurobiologie-gefuehle-machen-gedanken-3119020.html. 51 Angela Merkel (2019). Rede der Kanzlerin an Harvard-Absolventen vom 30.05.2019. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.bundeskanzlerin.de/ bkin-de/angela-merkel/terminkalender/reiseberichte/rede-der-kanzlerinan-harvard-absolventen-1632210. Anmerkungen

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52 Ernst Pöppel, Beatrice Wagner (2016). Traut euch zu denken. München: Riemann Verlag. 53 Norbert Lossau (2016). Wir verlassen uns darauf, dass für uns gedacht wird. Welt online vom 25.10.2016. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.welt. de/wissenschaft/article159033795/Wir-verlassen-uns-darauf-dass-fuer-unsgedacht-wird.html. 54 Daniel Kahneman (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag. 55 Gerald Hüther (2011). Was wir sind und was wir sein könnten. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag. 56 Martin Buber (1999). Ich und Du. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 57 Patrizia Odyniec (2010). Worte als Waffen. Stiche mit dem »linguistischen Messer«. Süddeutsche Zeitung online vom 22.05.2010. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.sueddeutsche.de/leben/worte-als-waffen-­ stiche-mit-dem-linguistischen-messer-1.926056. 58 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 10; S. 19. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.pwc.de/ de/mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 59 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 24. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 60 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 18. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 61 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 10. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 62 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 18. Zugriff am 23.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 63 Dinah Spitzley, Reinhard Prügl (2017). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Einstellungen, Werte und Zukunftspläne (4.  Aufl.), Schwerpunkt Digitalisierung. München: Stiftung Familienunternehmen; S. 5 f. Zugriff am 23.03.2020 unter https:// www.familienunternehmen.de/media/public/pdf/publikationen-studien/ studien/Deutschlands-naechste-Unternehmergeneration_Studie_StiftungFamilienunternehmen.pdf. 64 Eckart von Hirschhausen (2008). Die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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Anmerkungen

65 Gerald Hüther (2011). Was wir sind und was wir sein könnten. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag; S. 43. 66 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; Seite II. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. 67 Deutschlands nächste Unternehmergeneration 2015. Friedrichshafen/München: Zeppelin Universität und Stiftung Familienunternehmen, S. 17. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.zu.de/institute/fif/assets/pdf/Kurzfassung_Deutschlands-naechste-Unternehmergeneration-2015.pdf. 68 Jim Collins (2003). Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-­ Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg. München: dtv. Zugriff am 24.03.2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Jim_Collins. 69 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; Seite 49. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. 70 Deutschlands nächste Unternehmergeneration 2015. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. Friedrichshafen/München: Zeppelin Universität und Stiftung Familienunternehmen, S. 18. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.zu.de/institute/fif/assets/pdf/ Kurzfassung_Deutschlands-naechste-Unternehmergeneration-2015.pdf. 71 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; Seite 49. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. 72 James Allen, James Root, Andrew Schwedel (2017), The firm of the future. We’re beginning to see what the next generation of successful companies will look like. Herausgeber: Bain & Company Inc. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.bain.com/contentassets/cba88477f95c404cb37807b4ec2aa362/bain_brief_the20_firm_of_the_future.pdf – Dt. Zitat aus: Onpulson Redaktion (2017). Wie sieht das Unternehmen der Zukunft aus? Onpulson online vom 26.09.2017. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www. onpulson.de/25887/wie-sieht-das-unternehmen-der-zukunft-aus. 73 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; Seite 1 f. Zugriff

Anmerkungen

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am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. Thomas Huber, Christian Rauch (2013). Generation Y. Das Selbstverständnis der Manager von morgen. Düsseldorf/Frankfurt a. M.: Signum International und Zukunftsinstitut GmbH; S. 14 f. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/­ Auftragsstudien/studie_generation_y_signium.pdf. Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). Vom Thronfolger zum Perfect Match. (Neue) Nachfolgeprozesse im Familienunternehmen. Herausgeber: KPMG AG; S. 20 f. Thomas Zellweger, Philipp Sieger, Peter Englisch (2012). Coming home or breaking free? Career choice intentions of the next generation in family businesses. London/St. Gallen: Ernst & Young Family Business Center of Excellence/Universität St. Gallen; S. 6. Zugriff am 24.03.2020 unterhttp:// guesssurvey.org/PDF/2012/Coming_Home_or_Breaking_Free.pdf. Deutschlands nächste Unternehmergeneration 2015. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. Friedrichshafen/München: Zeppelin Universität und Stiftung Familienunternehmen, S. 15. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.zu.de/institute/fif/assets/pdf/ Kurzfassung_Deutschlands-naechste-Unternehmergeneration-2015.pdf. Thomas Zellweger, Philipp Sieger, Peter Englisch (2012). Coming ome or breaking free? Career choice intentions of the next generation in family businesses. London/St. Gallen: Ernst & Young Family Business Center of Excellence/Universität St. Gallen; S. 6. Zugriff am 24.03.2020 unter http:// guesssurvey.org/PDF/2012/Coming_Home_or_Breaking_Free.pdf. Joachim Bauer (2012). Egoismus oder Altruismus? Was »treibt« den Menschen? Forschung und Lehre, 1, 48–49. Rosemarie Kay, Olga Soprinovič, Nadine Schlömer-Laufen, Andreas Rauch (2017). Unternehmensnachfolge in Deutschland von 2018 bis 2022. In Insti­ tut für Mittelstandsforschung Bonn, Daten und Fakten Nr. 18. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung (IfM); S. 23: Unternehmensübertragungen/ Nachfolgen. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.ifm-bonn.org// uploads/tx_ifmstudies/Daten_und_Fakten_18.pdf. Rosemarie Kay, Olga Suprinovič (2013). Unternehmensnachfolge in Deutschland von 2014 bis 2018. In Institut für Mittelstandsforschung Bonn, Daten und Fakten Nr. 11. Bonn: IfM; S. 23. Zugriff am 24.03.2020 unter https:// www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/Daten_und_Fakten_18.pdf. Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/ Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelstän­ dischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 30. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/ file­admin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf.

Anmerkungen

83 Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 30. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/ file­admin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf. 84 Nadine Schloemer-Laufen, Rosemarie Kay (2019). Denkpapier. Unternehmensnachfolge durch Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen – Chancen und Risiken. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung; S. 13. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/ Denkpapier-Arbeitnehmernachfolgen.pdf. 85 Nadine Schloemer-Laufen, Rosemarie Kay (2019). Denkpapier. Unternehmensnachfolge durch Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen – Chancen und Risiken. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung; S. 3. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/Denkpapier-Arbeitnehmernachfolgen.pdf. 86 Alexander Koeberle-Schmid, Ursula Koners, Isabella Ledl (2016). »Auf ewig verbunden«, Exkurs zur Studie »Firma, Familie, Führung: Leadership im Spannungsfeld von Gefühl und Geschäft«. KPMG; S. 8. 87 Robert Dunker (2013). VW Golf vom Papst verkommt zum Werbe-Gag. Welt online vom 26.02.2013. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.welt. de/motor/article113913439/VW-Golf-vom-Papst-verkommt-zum-WerbeGag.html. 88 Ljuba Haunschild, Margarita Tchouvakhina, Arndt Werner (2010). Unternehmensnachfolge im Mittelstand: Investitionsverhalten, Finanzierung und Unternehmensentwicklung. In KfW-Standpunkt Nr. 5. Frankfurt a. M.: KfW-Bankengruppe; S. 3. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.kfw. de/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Standpunkt/Standpunkt-Nr.-5-Juli-2010.pdf. 89 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; S. II. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. 90 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; S. 41. Zugriff am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. 91 Jana Hauck, Reinhard Prügl (2015). Deutschlands nächste Unternehmergeneration. Eine empirische Untersuchung der Werte, Einstellungen und Zukunftspläne. München: Stiftung Familienunternehmen; S. 42. Zugriff Anmerkungen

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am 24.03.2020 unter https://www.researchgate.net/publication/286775972_ Deutschlands_nachste_Unternehmergeneration_III_-_Eine_empirische_ Untersuchung_der_Werthaltungen_Einstellungen_und_Plane. Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 32. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/­ fileadmin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf. Arist von Schlippe (2012). Psychologische Aspekte der Unternehmensnachfolge. Familienunternehmen und Stiftungen, 5, 170–175. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.fus-magazin.de/produkt/fus-ausgabe-5-2012. Tom A. Rüsen, Ann Sophie Löhde (2019). Studie: Die Unternehmerfamilie und ihre Familienstrategie. Einblicke in die gelebte Praxis von Family Governance. Witten: Wittener Institut für Familienunternehmen(WIFU)/Universität Witten/Herdecke; S. 6. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www. uni-wh.de/fileadmin/user_upload/01_Uni/03_Veranstaltungen/2019/1._ Quartal/WIFU-Studie_Familienstrategie.pdf. Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 33 f. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/­ fileadmin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf. Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 33. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/­ fileadmin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf. Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 13. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. Cahit Guven, Claudia Senik, Holger Stichnoth (2010). You can’t be happier than your wife: Happiness gaps and divorce. Discussion Paper No. 10-007. Mannheim: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH, S. 37. Pressemitteilung zur Studie unter https://www.zew.de/de/ presse/pressearchiv/unterschiedliche-lebenszufriedenheit-in-der-partnerschaft-erhoeht-das-trennungsrisiko/ (mit Link zur vollständigen englischen Studie).

Anmerkungen

99 Marja-Liisa Halko, Tom Lahti, Kaisa Hytönen, Iiro P. Jääskeläinen (2017). Entreprenueurial and parental Love – are they the same? Human Brain Mapping, 38 (6), 2923–2938. 100 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 14. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 101 Frank Wallau, Christina Stadler, Sven Boerger (2012). Unternehmensnachfolge in Bayern. Paderborn/Bayreuth: Fachhochschule der Wirtschaft/Betriebswirtschaftliches Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft e. V. an der Universität Bayreuth; S. 26. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.unternehmensnachfolge-in-bayern.de/­ fileadmin/user_upload/unternehmensnachfolge/dokumente/Gutachten_ Unternehmensnachfolge_24-04-2012_1_.pdf. 102 Sonja Lyubomirsky (2008). The how of happiness: A new approach to getting the life you want. New York: Penguin Books. 103 Sonja Lyubomirsky (2008). The how of happiness: A new approach to getting the life you want. New York: Penguin Books. 104 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 17. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 105 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 17. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 106 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 13. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 107 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 22. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 108 Ferdinand Knauß, Kerstin Dämon (2017). Unternehmensnachfolge im Mittelstand: Greise in der Chefetage machen innovationsmüde. WirtschaftsWoche online vom 24.04.2017. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www. wiwo.de/erfolg/management/unternehmensnachfolge-im-mittelstandgreise-in-der-chefetage-machen-innovationsmuede/19710480.html. 109 Helmut Bünder (2010). Hans Riegel im Gespräch: Haribo für immer. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.01.2010. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/hans-riegel-im-­ gespraech-haribo-fuer-immer-1911701-p2.html.

Anmerkungen

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110 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 18. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 111 John Strelecky (2001). Das Café am Rande der Welt. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. 112 John Strelecky (2009). The Big Five for Life: Was wirklich zählt im Leben. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. 113 Ursula Staudinger (2018). Gewonnene Jahre – Potenziale des Alter(n)s. Ein Vortrag »ceres Lecture« an der Universität Köln. 26.11.2018. Zugriff am 25.03.2020 unter http://www.ursulastaudinger.com/de/ursula-staudingerhaelt-ceres-lecture. 114 AXA Pressemitteilung (2018). Deutschland-Report 2018: Rentenaufschrei in allen Bundesländern/»Babyboomer« rebellieren besonders. Köln: AXA Lebensversicherung AG. Pressemitteilung zum Report vom 26.06.2018. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.axa.de/site/axa-de/get/documents_ E1978051642/axade/medien/versteckte-seiten/deutschland-report/pressemitteilung-studie-rentenaufschrei-in-allen-bundeslaendern.pdf. 115 Gerald Hüther (2016). Mit Freude lernen, ein Leben lang. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; S. 7. 116 Joachim Bauer (1994). Die Alzheimer-Krankheit: Neurobiologie, Psychosomatik, Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Schattauer (demenzrisiko. de vom 17.08.2016: Neue Aspekte der Alzheimer-Demenz. Zugriff am 25.03.2020 unter http://demenzrisiko.de/joachim-bauer-neue-aspekteder-alzheimer-krankheit). 117 Thomas Dorner, Richard Crevenna (2019). Positive Gesundheitseffekte durch Bewegung bis ins höhere Alter. Wien: Medizinische Universität. Zugriff am 25.03.2020 unter https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/ news/detailseite/2019/news-im-mai-2019/positive-gesundheitseffektedurch-bewegung-bis-ins-hoehere-alter/. 118 Bronnie Ware (2013). 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. München: Arkana Verlag. (Informationen zu Bronnie Ware: https://bronnieware.com/regrets-of-the-dying). 119 Nina Trentmann (2012). Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bedauern. Die Welt online vom 05.02.2012. Zugriff am 25.03.2020 unter https:// www.welt.de/vermischtes/article13851651/Fuenf-Dinge-die-Sterbendeam-­meisten-bedauern.html. 120 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 4. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihk-­ koeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS. 121 Nils Koerber, Ingo Claus (2017). Die KERN-Studie zur Unternehmensnachfolge. Bremen. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.kern-unternehmensnachfolge.com/studie-unternehmensnachfolge/.

234

Anmerkungen

122 André Pahnke, Rosemarie Kay, Susanne Schlepphorst (2017). Unternehmerisches Verhalten im Zuge der Unternehmensnachfolge. Materialien Nr. 254. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung (IfM); S. 1 ff. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ifm-bonn.org/publikationen/ifm­materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail%5B publication%5D=589&cHash=e1490416170b4d90ba361239e143806c. 123 André Pahnke, Rosemarie Kay, Susanne Schlepphorst (2017). Unternehmerisches Verhalten im Zuge der Unternehmensnachfolge. Materialien Nr. 254. Bonn: Institut für Mittelstandsforschung (IfM); S. 16. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ifm-bonn.org/publikationen/ifm-­ materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail%5B publication%5D=589&cHash=e1490416170b4d90ba361239e143806c. 124 Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund, Ola Rosling (2018). Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Berlin: Ullstein Verlag; S. 107 ff. 125 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 9. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihkkoeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS 126 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 12. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihkkoeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS. 127 Marc Evers (2018). Unternehmensnachfolge 2018 – Große Herausforde­ rungen, aber auch Lichtblicke. DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2018. Berlin: DIHK; S. 12. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.ihkkoeln.de/DIHK_Report_zur_Unternehmensnachfolge_2018.AxCMS 128 Nils Koerber, Ingo Claus (2020, im Druck). Unternehmensnachfolge: Das Prozesswissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 129 Christina Müller (2015). Nach der Übergabe: Ich bin dann mal weg. Herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC); S. 13. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.pwc.de/de/ mittelstand/assets/studie-nach-der-nachfolge.pdf. 130 Bernd Oestereich, Claudia Schröder (2016). Das kollegial geführte Unternehmen: Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen; S. 51. 131 Bernd Oestereich, Claudia Schröder (2016). Das kollegial geführte Unternehmen: Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen; S. 10. 132 Bernd Oestereich, Claudia Schröder (2016). Das kollegial geführte Unternehmen: Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen; S. 12. 133 Frederic Laloux (2015). Reinventing Organisations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen; S. 81.

Anmerkungen

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134 Bernd Oestereich, Claudia Schröder (2016). Das kollegial geführte Unternehmen: Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen; S. VII. 135 Frederic Laloux (2015). Reinventing Organisations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen; S. 61 ff. 136 Frederic Laloux (2015). Reinventing Organisations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen; S. 84. 137 Bernd Oestereich, Claudia Schröder (2016). Das kollegial geführte Unternehmen: Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen; S. 71 ff. 138 Andreas Molitor (2018). Waschbär Umweltversand: Should we fuck capi­ talism? brand eins. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.brandeins. de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/marketing/waschbaer-­ umweltversand-should-we-fuck-capitalism. 139 Anja Müller (2018). Wie sich Familienunternehmen 2.0 und Start-ups zukünftig aufstellen können. Handelsblatt online vom 03.11.2018. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/ mittelstand/neue-rechtsform-wie-sich-familienunternehmen-2-0und-start-ups-zukuenftig-aufstellen-koennen/23353122.html?ticket= ST-19727605-E910PUI3EaWW0vkQRZ2o-ap5. 140 Andreas Molitor (2018). Waschbär Umweltversand: Should we fuck capi­ talism? brand eins. Zugriff am 27.03.2020 unter https://www.brandeins. de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/marketing/waschbaer-­ umweltversand-should-we-fuck-capitalism. 141 Marcel Hülsbeck, Philip Klinken, Till Jansen (2016). Persönliche Kompetenzen in der Nachfolge. Eine Studie des Wittener Instituts für Familienunternehmen in Kooperation mit der Banque de Luxembourg. Witten: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) Universität Witten/Herdecke; S. 22. 142 Michael F. Maier, Boris Ivanov (2018). Forschungsbericht 514 – Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland. Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, S. 14. Zugriff am 21.03.2020 unter https://www. bmas.de/Shared-Docs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb514-selbststaendige-erwerbstaetigkeit-in-deutschland.pdf; jsessionid=1396CEE7DBE-2228EBA218D4F38935B10?__blob=publication File&v=1.

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Anmerkungen