Umkämpfte Volkskirche: Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892-1965) 9783412213732, 9783412206628

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Umkämpfte Volkskirche: Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892-1965)
 9783412213732, 9783412206628

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Umkämpfte Volkskirche

s t u d i a t r a n s y lva n i c a im Auftrag des arbeitskreises für siebenbürgische landeskunde Herausgegeben von Harald roth und Ulrich A. wien

band 42

Umkämpfte Volkskirche Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892–1965)

von Andreas Möckel

2011

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Die Studia Transylvanica erscheinen als Ergänzungsbände des „Siebenbürgischen Archivs“, das in III. Folge die alte und neue Folge des „Archivs des Vereins für siebenbürgische Landeskunde“ (1843–1944) fortsetzt.

Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Die Kanzeltüre in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt (Jesaja 6,5-8), Foto: Peter Simon, Kronstadt 2010.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20662-8

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................................

XI

1. Jugend und Studium (1892-1920) .......................................................................

1

Der österreich-ungarische Ausgleich und die Sächsische Nation ............................. Die Eltern ............................................................................................................ Kindheit .............................................................................................................. Herkunft ............................................................................................................. Familie und Schule .............................................................................................. Studium in Leipzig, Berlin und Klausenburg ....................................................... Militärdienst oder Friedensdienst? ....................................................................... Doktor der Geologie ............................................................................................ Heirat mit Dora Schullerus .................................................................................. Studiensemester in Wien .....................................................................................

1 5 7 8 8 12 14 17 19 22

2. Lehrer in Hermannstadt (1920-1925) .................................................................

24

Siebenbürgen nach dem Ersten Weltkrieg ............................................................ Die Mediascher Anschlusserklärung .................................................................... Senator Adolf Schullerus ...................................................................................... Gymnasialprofessor und Mitarbeiter am Geologischen Institut in Bukarest ......... Erholung in Großschenk ..................................................................................... Sprachprüfung für Lehrer .................................................................................... Naturwissenschaftler und Religionslehrer ............................................................ Wahl zum Pfarrer in Großpold ............................................................................

24 25 28 31 32 36 38 39

3. Die ersten Jahre in Großpold (1925-1930) .........................................................

42

Der Anfang in Großpold ..................................................................................... Ethnische und christliche Gemeinde .................................................................... Erste Schriften ..................................................................................................... Bruder- und Schwesterschaften ............................................................................ Volkstum und Glaube ......................................................................................... Kontroversen mit Erwin Reisner und Heinrich Siegmund ................................... Pfarrer und Volksleben, evangelische Arbeit, Gottessohnschaft ............................

42 44 47 49 51 55 60

4. Der Südostdeutsche Wandervogel (1930-1932) ..................................................

65

Wandervogel ....................................................................................................... Südostdeutscher Wandervogel .............................................................................

65 66

VI

Inhalt

Vorbereitung des Älterentreffens in Sächsisch-Regen ........................................... Das Älterentreffen in Sächsisch-Regen 1930 ........................................................ Selbsthilfe und Südostdeutscher Wandervogel .....................................................

71 77 83

5. Erneuerungsbewegung (1931-1932) ....................................................................

90

Generationenwechsel ........................................................................................... Unzufriedenenbewegung ..................................................................................... Heimsenior im Franz-Rendtorff-Haus in Leipzig ................................................. Die Richtwoche in Großschenk ........................................................................... Vor der Bischofswahl 1932 .................................................................................. Wohin treiben wir? ..............................................................................................

90 93 96 101 108 113

6. Stadtpfarrer in Kronstadt (1933) ..........................................................................

114

Viktor Glondys wird Bischof ............................................................................... Wahl zum Kronstädter Stadtpfarrer ..................................................................... Idealismus und Wirklichkeit ................................................................................ Streit um die Politisierung der Honterusschule .................................................... Konrad Möckel und Viktor Glondys ...................................................................

114 118 121 127 133

7. Die Jahre des Frecker Kreises (1933-1936) ..........................................................

137

Drei Phasen im Kirchenkampf in Siebenbürgen .................................................. Die funktionalisierte Volkskirche ......................................................................... Die Denunzierung des Bischofs beim Kirchlichen Außenamt .............................. Die totale Weltanschauung und die Einheit der Minderheit ................................ Konfirmandenlager .............................................................................................. Entfremdung und Trennung vom Südostdeutschen Wandervogel ........................ Arbeitslager in Schlesien und geistliche Arbeitslager ............................................. Aufruf zu einem geistlichen Arbeitslager .............................................................. Die Wirkung des ersten geistlichen Arbeitslagers ................................................. Paradox einer politikfernen Volkskirche ...............................................................

137 140 141 144 145 147 148 151 154 156

8. Machtkampf und Kirchenkampf (1933-1936) ....................................................

162

Radikalisierung des Südostdeutschen Wandervogels ............................................ Radikalisierung der Selbsthilfe ............................................................................. Einlenken der NEDR – das „kleinsächsische Konkordat“ .................................... Spaltung der rumäniendeutschen, nationalsozialistischen Partei ........................... Der Erlass des Landeskonsistoriums 924/1936 .................................................... „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ ............................... Absage an die DVR .............................................................................................

162 165 170 171 173 174 178

Inhalt

VII

Machtkampf und Kirchenkampf .........................................................................

181

9. Die Weltkirchenkonferenz in Oxford (1937) .......................................................

186

Zur Vorgeschichte der Weltkirchenkonferenz in Oxford ...................................... International oder ökumenisch? ........................................................................... Keine gemeinsame Delegation der Kirchen aus Deutschland ............................... Die Grußbotschaft der Konferenz in Oxford ....................................................... Instrumentalisierung der Weltkirchenkonferenz .................................................. Bischof Glondys distanziert sich .......................................................................... Vertrauenskundgebung des Kronstädter Presbyteriums ........................................ Ein Tadel des Landeskonsistoriums ...................................................................... Bischof Glondys hilft Bischof Theodor Heckel ....................................................

186 188 189 192 195 197 201 202 203

10. Die Evangelische Michaelsbruderschaft (1937-1944) .......................................

206

Die Berneuchner Bewegung ................................................................................ Die Stiftung der Michaelsbruderschaft in Marburg .............................................. Das Michaelsfest in Neuendettelsau 1937 ............................................................ Vom Frecker Kreis zum Konvent der MB in Siebenbürgen .................................. Die Begegnung mit Hans Bernd von Haeften ...................................................... Kirchenpolitische Indifferenz ...............................................................................

206 207 209 211 216 220

11. Die Gleichschaltung der Ev. Kirche A. B. und der Rückzug aus Vorfeldkämpfen (1938-1944) ....................................................................

224

Rückzug aus Vorfeldkämpfen .............................................................................. Rumänien wird Diktatur ..................................................................................... Der Tod des Sohnes Christian ............................................................................. Die Gleichschaltung der rumäniendeutschen Minderheit .................................... Die manipulierte Bischofswahl 1941 ................................................................... Briefwechsel mit Magne Solheim ......................................................................... Militärdienst des Sohnes Gerhard ........................................................................ Die dritte Phase des Kirchenkampfes in Siebenbürgen .........................................

224 228 231 232 236 241 244 245

12. Ende und Anfang (1944-1947) ..........................................................................

250

Der 23. August 1944 ........................................................................................... Russlanddeportation und Enteignung ................................................................. Missglückter politischer Neubeginn ..................................................................... Ein kirchenpolitisch neuer Anfang ....................................................................... Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit ........................................................ „Die Sachsen – eine nationale Gefahr?“ ...............................................................

250 251 252 253 257 259

VIII

Inhalt

Friedrich Müller wird Bischof .............................................................................. Die Honterusgemeinde – auf sich verwiesen ........................................................ Auflösung des siebenbürgischen Konvents der Michaelsbruderschaft ................... Ein Weg in die Zukunft .......................................................................................

260 262 264 269

13. In der Rumänischen Volksrepublik (1948-1957) ..............................................

274

Das Jahr 1948 ..................................................................................................... Im Einparteienstaat überleben ............................................................................. Evangelischer Pfarrer in einer kommunistischen Diktatur .................................... Heimkehr der Zwangsdeportierten ...................................................................... Gottesdienst als Zentrum der Gemeinde ............................................................. Jugendstunden ..................................................................................................... Junge Kronstädter nach dem Zweiten Weltkrieg .................................................. Horst-Peter Depner ............................................................................................. Eine Initiative und ihre Grenzen ..........................................................................

274 277 280 283 286 288 289 290 293

14. Der Schwarze-Kirche-Prozess, Gefängnis und Zwangsaufenthalt (1958-1963) ......................................................................................................

296

Verhaftungen ....................................................................................................... Hausdurchsuchungen und Verhöre ...................................................................... Übersicht über die Verhöre .................................................................................. Prozess und Urteile .............................................................................................. Rumänien nach dem Aufstand in Ungarn ............................................................ Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens ....................................................... Im Gefängnis ....................................................................................................... Im Bărăgan .......................................................................................................... Die Freilassung .................................................................................................... Der Suizidversuch von Dora Möckel ...................................................................

296 300 303 306 309 312 313 319 321 322

15. Kloster Kirchberg (1963-1965) ..........................................................................

326

Ankunft in der Bundesrepublik ........................................................................... Die Krankheit von Dora Möckel ......................................................................... Kloster Kirchberg ................................................................................................ Das Geheimnis des Leidens ................................................................................. Siebenbürger Sachsen in einer veränderten Welt .................................................. Ausblick ..............................................................................................................

326 330 331 336 341 343

Inhalt

IX

Chronologische Übersicht ................................................................................... Archive ................................................................................................................ Literatur .............................................................................................................. Abbildungen ........................................................................................................

353 356 357 371

Personenregister ............................................................................................................

387

Anhang

Der Honterusgemeinde zu Kronstadt-Braşov gewidmet

Vorwort

Nach dem unerwarteten Tode Konrad Möckels am 28. August 1963 erschien im Auftrag der Evangelischen Michaelsbruderschaft bald ein liebevoll gestaltetes Gedenkheft „In memoriam Konrad Möckel“ von Gerhard Langmaack und Ingeborg Becher.1 Im Jahre 1989 veröffentlichte Prof. Dr. Ludwig Binder, Kirchenhistoriker am Theologischen Institut in Hermannstadt (Sibiu), die Biographie „Konrad Möckel 1892-1963 und die Siebenbürger Sachsen – Zwischen Irrtum und Wahrheit“.2 Nach der Wende in Rumänien im Jahre 1990 verlegten mein Bruder Gerhard Möckel und seine Frau Dorothea Koch-Möckel ihren Lebensschwerpunkt von Heidelberg nach Hermannstadt und begannen mit der Arbeit einer „Evangelischen Akademie Siebenbürgen“. Die Akademie lud im Jahre 1997, fünfzig Jahren nach den ersten Verhaftungen, zu einer Tagung zum Gedenken an den „Schwarze-Kirche-Prozess“ nach Kronstadt ein. Damals trafen sich viele der zusammen mit Konrad Möckel im Jahre 1958 Verurteilten. Das rumänische Fernsehen widmete der Tagung eine Sendung.3 Das Leben Konrad Möckels spiegelt in erstaunlicher Weise die Geschichte des Protestantismus in der Diaspora und besonders der Siebenbürger Sachsen. Der amerikanische Kirchenhistoriker Daniel R. Borg zeigte das jüngst in einer Studie auf.4 Das vorliegende Buch wollten mein Bruder Gerhard Möckel und ich zusammen schreiben. Konrad Möckel war vom Klausenburger Militärgericht aus seinem Dienst als Stadtpfarrer der großen Honterusgemeinde in Kronstadt herausgerissen worden. Er und die anderen Angeklagten sollten aus der Gesellschaft verstoßen, weggesperrt und zum Schweigen gebracht werden. Der Prozess brachte sie in den Zeiten des Kalten Krieges um ihre Wirkung in der sächsischen und rumänischen Öffentlichkeit Kronstadts und Siebenbürgens. Die Securitate, eine halb bekannte, halb anonyme Macht,

1

Die 30 Seiten starke Broschüre erschien als Privatdruck ohne Ort und ohne Jahr. Im Eigenverlag des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und ev. Banater Schwaben in der EKD, München o. J. (1989). 3 Ungar, Christel: Der „Schwarze Kirche Prozess 1957/58“. TVR 1 Rumänisches Fernsehen. Sendung in Deutscher Sprache. 4 Borg, Daniel R.: Corporative Christian Nationalism: The Confessional Opposition of Konrad Möckel to the Rise of Nazism in the 1930s among the „Saxons“ of Romania. Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 33 (2010), H. 1, S. 63-88, und H. 2, S. 161-176. 2

XII

Vorwort

griff sich ihre Opfer, und nach kurzer Zeit ging das Leben doch irgendwie weiter.5 Meinem Bruder Gerhard und mir schien es notwendig, das Leben Konrad Möckels noch einmal zu vergegenwärtigen, nachdem die Machthaber in Rumänien ihn auf niederträchtige Weise ausgeschaltet hatten. Konrad Möckel hatte beabsichtigt, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Er kam nicht mehr dazu. Nicht nur äußere Hindernisse ließen die Arbeit nur langsam voranschreiten, sondern auch innere. Wir mussten uns damit auseinandersetzen, dass unser Vater Anfang der 1930er Jahre eine größere Nähe zur Erneuerungsbewegung hatte, als uns bis dahin bewusst war. Er hatte zwar aus Anlass seines 60. Geburtstages in einem langen biographischen Brief offen darüber geschrieben,6 aber je tiefer wir uns einarbeiteten, umso näher rückte die NS-Zeit in Siebenbürgen ins Blickfeld und umso fremder erschien uns die Rolle Konrad Möckels. Verständlicherweise gilt das auch für die Rolle der Schüler, die wir beide damals waren. Mehr und mehr wurde uns bewusst, dass wir in einer nationalsozialistischen Giftwolke erzogen worden waren. Die Auseinandersetzung mit der Biographie unseres Vaters wurde zu einer Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergangenheit.7 Mein Bruder Gerhard Möckel starb am 13. August 2004. Bei der Durchsicht des Nachlasses Konrad Möckels fand ich Merkzettel und Anstreichungen. Seine Kenntnis der theologischen Diskussion fehlte mir bei der Beurteilung der Predigten und bei der historischen Einordnung der theologischen Schriften aus den 1930er Jahren. Der Lebenslauf unseres Vaters beschäftigte meinen Bruder innerlich stark. Im Jahre 1982 würdigte er ihn aus Anlass eines Familientreffens.8 Er setzte sich seit seinem Studium mit dem theologischen Weg unseres Vaters auseinander. Ein Semester studierte er bei Karl Barth in Basel, den Konrad Möckel mit Skepsis betrachtete.9 Während der Arbeit an dieser Biographie habe ich mich oft gefragt, für wen ich schreibe. Die Enkel Konrad Möckels werden die Geschichte ihres Großvaters gerne lesen. Vielleicht werden auch die niederländisch sprechenden Urenkel einmal Interesse am Leben ihres Urgroßvaters zeigen, obgleich der Zugang zu der Glaubenswelt ihres Urgroßvaters nicht leicht sein wird. Der Sinn für geschichtliche Zusammenhänge wächst glücklicherweise mit zunehmendem Alter. Gehört die Biographie des Stadtpfarrers von 5

Die Erinnerungen von Horst-Peter Depner erschienen unter dem Titel „Auch ohne Zukunft ging es weiter“. München 1998. 6 Hans Philippi veröffentlichte diesen Brief unter dem Titel „Ein Leben zu Gott – Aus den Erinnerungen von Konrad Möckel“ im Jahrbuch 1966 – Siebenbürgisch-Sächsischer Hauskalender. München 1966, S. 33-52. 7 Als die Kronstädter Kirchengemeinde Konrad Möckel 1933 zum Pfarrer der Honterusgemeinde wählte, waren mein Bruder Gerhard acht und ich sechs Jahre alt. 8 „Von der Volkskirche zur Kirche im Volk“ 1982 maschinenschriftlich als Freundesgabe der Evangelischen Michaelsbruderschaft erschienen, später in: Gerhard Möckel: Fatum oder Datum. München 1997, S. 172-188. 9 Andreas Möckel: Gerhard Möckel und Konrad Möckel. In: Zugänge 33 (2005), S. 27-34.

Vorwort

XIII

Kronstadt auch noch in einen außerfamiliären Rahmen? Sicher zur Honterusgemeinde in Kronstadt (Braşov). Sie hat zwei Diktaturen und den großen Exodus der Siebenbürger Sachsen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überlebt. Konrad Möckel und seine gemütskranke Frau durchlebten die innere und äußere Zerrissenheit der Siebenbürger Sachsen exemplarisch – von den 1920er Jahren bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Die Biographie spiegelt die sächsische Geschichte, die ihrerseits wiederum ein Teil der europäischen Geschichte ist: vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bis zum Vielvölkerstaat Europäische Union. Das kleine Volk lebte davon, dass in seiner ungeschriebenen Verfassung das Bekenntnis zur Reformation einen anerkannten Platz hatte. Man kann die Biographie als ein Kapitel aus dem Leben einer evangelischen Diasporakirche lesen. Sie und besonders die Honterusgemeinde sind Konrad Möckels Heimat. Ein Gefühl der tiefen Trauer ergreift jeden, der die Schrecken der politisch-kollektiven Wahnzustände im 20. Jahrhunderts miterlebt hat. Es ist ein Wunder, dass es die Honterusgemeinde heute noch gibt und dass sie lebt. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Ich wünsche dem Buch auch rumänische Leser. Die Schwaben und Sachsen brauchten nach 1918 lange, um innerlich in Rumänien anzukommen. Es dauerte aber auch lange, bis Rumänen die Schwaben und die Sachsen als zum Lande und zu ihnen gehörig erkannten. In einem europäischen Horizont lässt sich – hoffentlich – über Wege und Irrwege im 20. Jahrhundert leichter sprechen als in den Zeiten einer unaufgeklärten bürgerlichen oder einer sozialistisch-nationalistischen Diktatur. Die Gliederung der Biographie ist nicht konsequent chronologisch. Sie berücksichtigt mit Vor- und Rückblicken und unvermeidlichen Überschneidungen und Wiederholungen die Themen, die im Leben Konrad Möckels „Epoche machten“. In wörtlich zitierten Briefen sind belanglose Schreibfehler und Abkürzungen wie „u.“ oder abgekürzte Personen- und Städtenamen stillschweigend ergänzt, offensichtliche Druck- oder Schreibfehler korrigiert. Viele haben im Laufe der vergangenen Jahre mit größeren und kleineren Hinweisen, mit Unterlagen und Kritik geholfen. Ihnen allen sage ich meinen herzlichen Dank. An erster Stelle denke ich an meinen verstorbenen Bruder Gerhard, der den Nachlass unserer Eltern gesammelt und aufbewahrt hat. Ferner danke ich für Hinweise, Kritik, Bereitstellung von Materialien, Umschriften von handschriftlichen Predigten, Durchsicht von Entwürfen, in alphabetischer Reihenfolge: Daniel R. Borg, Karl Dendorfer, Dietrich Galter, Gerhard Gross, Brigitte Haas, Elisabeth von Haeften, Karin Haug, Adda von Hofacker, Werner Knall, Konrad Krimm, Michael Markel, Dorothea KochMöckel, Walter König, Sophia Löprich, Otto Mittelstraß, Anneliese und Anna Möckel, Gheorghe Onişoru, Roger Pârvu, Mathias und Irmgard Pelger Paul Philippi, Hermann Pitters, Christian Plajer, Wolfgang Rehner, Wolfram G. Theilemann, Hans Unberath, Günter Volkmer, Joachim Wittstock. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet.

Abkürzungen

DJ

Deutsche Jugend (im Unterschied zur HJ = Hitler-Jugend in Deutschland)

DM

Deutsche Mannschaft (im Unterschied zur SS = Schutz-Staffel in Deutschland)

DVR

Deutsche Volkspartei Rumänien

EMB

Evangelische Michaelsbruderschaft

NAF

Nationalsozialistische Arbeitsfront

NEDR

Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien

NSDAP

Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (in Deutschland)

NSDR

Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien

S.A.M.

Selbsthilfe Arbeitsmannschaft, gelegentlich auch nur S.A. (in Kauf genommene Verwechslungsmöglichkeit mit SA in Deutschland = Sturmabteilung der NSDAP)

Kapitel 1

Jugend und Studium (1892-1920)

Der österreich-ungarische Ausgleich und die Sächsische Nation Wer die turbulenten Ereignisse und die Reaktionen der von diesen Ereignissen betroffenen Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert verstehen will, muss ihre Geschichte mit einbeziehen. Der Generation, die den I. und II. Weltkrieg von 1914-1918 und 1939-1945 erlebte, war die Geschichte – wenigstens in der Form der Legende – immer gegenwärtig. Die Siebenbürger Sachsen erhielten ihre Prägung vor der Französischen Revolution. Das ist ein erster Punkt, den man sich vergegenwärtigen und festhalten muss, um die Irrungen und Wirrungen im 20.  Jahrhundert zu verstehen und zu überwinden und um der Generation, zu der Konrad Möckel gehört, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so gut das einem Nachgeborenen überhaupt gelingen kann. Die Siebenbürger Sachsen waren eine Nation in einem anderen Sinne, als es die Nationen im 19. Jahrhundert waren, die nach Souveränität in einem eigenen Staat und nach Machterweiterung strebten. Die ersten sächsischen Bergleute und Siedler riefen die ungarischen Könige im 11.  Jahrhundert nach Siebenbürgen. Später, als die ungarische Krone die breiten Grenzmarken besiedelte und von Nordwesten nach Südosten vorrückte, wiesen die ungarischen Könige den Kolonisten in Südsiebenbürgen auf königlichem Boden (dem sog. Königsboden) Plätze an, auf denen Dörfer und Städte entstanden.1 Das Andreanum, ein Privileg des ungarischen Königs Andreas II., begründete die Selbstverwaltung der Siebenbürger Sachsen. Die Städte mit ihren Stadtmauern und Wehrtürmen und die Dörfer mit ihren Kirchenburgen stützten die Zentralgewalt des Reiches nach außen und innen. Darauf kam es den ungarischen Königen an. Nach der Schlacht bei Mohács im Jahre 1526 erlitt der ungarische König Ludwig II. im Kampf gegen die Osmanen eine schwere Niederlage und verlor sein Leben. Die Türken rückten bis Wien vor und belagerten die Stadt zweieinhalb Wochen lang. Das ungarische Reich zerfiel in zwei Staaten mit je eigenen Regierungen. Der westliche Teil Ungarns stand für Jahrhunderte unter türkischer Besatzung, der östliche, kleinere Teil, 1 Otto Mittelstraß: Beiträge zur Siedlungsgeschichte Siebenbürgens im Mittelalter. München 1961. Karl Kurt Klein: Saxonica Septemcastrensia. Hamburg 1971.

2

1892-1920

Transsilvanien oder Siebenbürgen genannt, geriet als tributpflichtiges Fürstentum unter türkische Oberhoheit. Mit dem Tode König Ludwigs II. trat ein Erbvertrag in Kraft, wonach ganz Ungarn, einschließlich Siebenbürgens, hinfort dem Hause Habsburg zugehörte. Die Habsburger setzten den Vertrag 150 Jahre später durch. Die Siebenbürger Sachsen übernahmen die Reformation im Schatten der türkischen Oberhoheit. Dies war für sie von einer Bedeutung, die kaum überschätzt werden kann, weil hinfort nicht nur die Ethnie, sondern auch die Konfession eine kennzeichnende Besonderheit bildete. Es sei „ein schmerzlicher Gedanke“, schrieb Friedrich Teutsch, dass es die Herrschaft der Türken gewesen sei, die zu einem friedlichen Verlauf der Reformation beigetragen habe.2 Die Reformation ging von Kronstadt aus. Synodale Bestimmungen gaben der „Sächsischen Nation“ eine besondere Prägung. Bis zum heutigen Tage wählt jede Kirchengemeinde ihren Pfarrer, und bis in das 20. Jahrhundert hinein wählte sie auch ihre Lehrer. 1543 erschien das Reformationsbüchlein von Johannes Honterus, einem Kronstädter Gelehrten, der an den Universitäten in Wien, Krakau und Basel studiert und gewirkt hatte.3 Die Siebenbürger Sachsen nahmen den evangelischen Glauben lutherischer Prägung an und unterschieden sich hinfort von den hauptsächlich reformierten oder katholischen Ungarn und von den griechischorthodoxen, später auch griechisch-unierten Rumänen in Siebenbürgen. „Sächsisch“ und „evangelisch“ konnte naiv gleichgesetzt werden und zu einer bis zum Dünkel gesteigerten national-religiösen Abgrenzung führen. Die starke Verbindung von Sprache und Religion brachte jedoch auch kreative soziale Lebensformen hervor, die dem Festtag und dem Alltag Würde verliehen. Im günstigen Fall standen geistliche und weltliche Kräfte in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis. Die Habsburger konnten Ungarn Ende des 17. Jahrhunderts von der Herrschaft der Türken befreien. Siebenbürgen blieb auch nach dem Sieg Prinz Eugens über die Türken selbständig. Der österreichische Kaiser war in Personalunion König von Ungarn und Fürst von Siebenbürgen. Der siebenbürgische Landtag bestand aus drei Nationen – Adel, Szekler und Sachsen. Der Adel und die Szekler, Grenzbauern mit kollektiven Adelsrechten, sprachen ungarisch, die Sachsen deutsch, und der Landtag verhandelte bis 1848/1849 lateinisch. Die Rumänen waren trotz einer zahlenmäßig großen Bevölkerung ohne eigene Vertretung im Landtag. Politisch gliederte sich das Großfürstentum Siebenbürgen in das Gebiet des Adels, in das Szeklergebiet im Südosten und in zwei – nicht zusammenhängende – Siedlungsgebiete der Siebenbürger Sachsen: den Königsboden im Süden mit den Städten Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg und Mediasch und das Nösnerland im Norden um die Stadt Bistritz. Jedes Gesetz musste von allen drei im Landtag vertretenen Nationen besiegelt werden, sollte es gültig sein. Jede Nation verwahrte ihr Siegel. Der Begriff der Nation hatte damals nicht den aggressiven 2

Friedrich Teutsch: Kleine Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Darmstadt 1965, S. 78. Paul Philippi: CHRISTI DOCUMENTA SEQUI – Eine Beobachtung, die siebenbürgische Reformationsgeschichte betreffend. In: Paul Philippi: Land des Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und seiner Sachsen. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 126-134. 3

Jugend und Studium

3

Ton, der im 19. Jahrhundert hinzukam. Die Siebenbürger vergaßen nie, dass sie im Mittelalter und in der Neuzeit im Großfürstentum Siebenbürgen eine staatstragende Nation, die siebenbürgischen Rumänen vergaßen nie, dass sie in Siebenbürgen – trotz ihrer großen Zahl – im Landtag nicht vertreten gewesen waren. Einen tiefen Einschnitt bedeutete die Französische Revolution 1789. In vielen europäischen Staaten, auch in Frankreich selbst, ereigneten sich Nachfolgerevolutionen. In Ungarn begehrte im Jahre 1848/1849 der Adel auf – nicht nur gegen den Absolutismus, sondern aus nationalen Motiven auch gegen die deutschen Habsburger. Der Kaiser konnte seine Herrschaft über Ungarn und Siebenbürgen nur mit Hilfe der Heiligen Allianz durchsetzen. Zar Alexander II. eilte Kaiser Franz Joseph zu Hilfe und warf die aufständischen Ungarn in Siebenbürgen nieder. Rumänen und Sachsen Siebenbürgens kämpften auf der Seite des Kaisers. Trotz der Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse begann im Vielvölkerstaat eine neue, von den nationalen Ideen der Französischen Revolution geprägte Zeit des Ringens um verfassungsmäßige Selbständigkeit. Die ungarischen Stände forderten die Union mit Siebenbürgen – die (Wieder-) Vereinigung – und eine Neuregelung des Staatsvertrages zwischen Österreich und Ungarn. Der ständische, siebenbürgische Landtag tagte 1863 in Hermannstadt (Nagyszeben, Sibiu). Die Krone hatte das Recht, neben den gewählten eine bestimmte Anzahl eigener Vertreter zu benennen, die „Regalisten“, und berief zum ersten Mal auch rumänische Siebenbürger in den Landtag. Zum ersten Mal in der Geschichte Siebenbürgens fanden die Verhandlungen nicht auf Lateinisch, sondern in den drei Sprachen Ungarisch, Deutsch, Rumänisch statt. Jeder Abgeordnete benützte seine Sprache. Unter den Regalisten waren rumänische Bischöfe der jungen unierten Kirche, die ihre Gottesdienste nach einem orthodoxen Ritus feierte, aber zugleich den Papst in Rom anerkannte, und griechisch-orthodoxe, die einem eigenen Patriarchen unterstanden. Die gewählten ungarischen Vertreter boykottierten den Hermannstädter Landtag und machten ihn damit unwirksam. Der letzte siebenbürgische Landtag fand dann 1865 in Klausenburg (Kolozsvár, Cluj) statt. Nach dem deutsch-deutschen Bruderkrieg 1866 kam im Jahre 1867 der sogenannte „Ausgleich“ zustande, ein Staatsvertrag zwischen dem Königreich Ungarn und dem Kaiserhaus in Wien, in dem Ungarn die Union mit Siebenbürgen durchsetzte. Ein selbständiges Großherzogtum Siebenbürgen und Kronland der Habsburger Monarchie gab es nicht mehr. Die Magyaren erhielten in der neuen kaiserlichen und königlichen Monarchie („k. u. k.“) ein großes politisches Gewicht – vor allen anderen Nationen des Vielvölkerstaates. Die Abgeordneten aller, auch der siebenbürgischen Provinzen, tagten im ungarischen Reichstag in Budapest, wo sich eine starke Zentralregierung etablierte, die das Land, einschließlich Siebenbürgens, straff regierte und – im Zeitalter des Nationalismus – Rumänen, Deutsche, Juden, Slowaken, Kroaten, Serben, Sinti und Roma in den Grenzen Ungarns magyarisierte. Die Siebenbürger Sachsen hatten sich bis dahin auf dem Königsboden nach dem Eigenlandrecht, so hieß ihre Rechtsverfassung, weitgehend selbst verwaltet und – bis auf die Zeit des Absolutismus – den Sachsengrafen (Komes) aus ihren Reihen gewählt.

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Nunmehr setzte die Regierung in Budapest den Komes ein, dessen politische Bedeutung damit sank. Im Jahre 1876 löste die Zentralregierung die Selbstverwaltung des Sachsenlandes auf. Der Königsboden und die Sächsische Nationsuniversität, das politische Organ der Selbstbestimmung, hörten auf zu bestehen.4 Damit verloren die Sachsen den Status einer staatstragenden Nation. Seit 1876 waren sie nur noch eine politische Minderheit, kein staatspolitisch relevanter Rechtskörper mehr. Diese politische Kränkung ging tief. Dem Verlust der Kollegialrechte im siebenbürgischen Landtag – den gab es nicht mehr – entsprach zwar ein Gewinn an Individualrechten. Das ungarische Parlament kam auf der Grundlage eines Zensuswahlrechts zustande, das dem Bildungs- und Besitzbürgertum und damit auch den Bürgern der sächsischen Städte entgegenkam. Sächsischen Unternehmen eröffneten sich innerhalb des größer gewordenen zollfreien Wirtschaftsraumes neue Chancen. Aber die Rechtspflege und Verwaltung in unterster Instanz lagen nicht mehr bei deutschsprachigen Behörden. Die Siebenbürger Sachsen verwanden diesen Umbruch nur schwer, zumal ihr Steueraufkommen innerhalb des ungarischen Staates hoch war und die Verwaltung der Städte und Gemeinden im Sachsenland den Vergleich mit den vom Adel beherrschten siebenbürgischen Gebieten oder mit dem Land der Szekler nicht zu scheuen brauchte. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit des sächsischen Volkes blieb bestehen. Wer sollte es hinfort symbolisch verkörpern, wenn es das Amt des Sachsengrafen nicht mehr gab? Die Kirchenverfassung und damit auch das Schulwesen blieben auch nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn unangetastet. Die evangelischen Siebenbürger Sachsen unterhielten in allen deutsch sprechenden Gemeinden Volksschulen und in den Städten Gymnasien. Den Kirchengemeinden und den Schulen fiel je länger je mehr eine gesellschaftlich-politische Rolle zu, vergleichbar der Rolle der katholischen Kirchengemeinden im geteilten Polen oder den griechisch-orthodoxen auf der Insel Zypern. Als besonders ungerecht empfanden Sachsen und Rumänen die Ortsnamen- und die Schulgesetze. Im Jahre 1897, als Konrad Möckel fünf Jahre alt war, bestimmte ein Ortsnamengesetz, jeder Ort habe nur einen Namen zu tragen. Eine Findungskommission (Landesgemeinde-Stammbuch-Kommission) sollte den Namen festlegen und hierbei die Wünsche der Einwohner berücksichtigen. Gegen die Wünsche der überwiegenden Mehrheit erhielten alle sächsischen, schwäbischen und rumänischen Ortschaften ungarische Namen, außer dem Dorfe Liebling, dem Kaiser Joseph II. den Namen gegeben hatte. Nach der Auflösung des Königsbodens im Jahre 1876 ging die Sorge um, den 4 Die Nationsuniversität war ein wichtiges politisches Organ der Siebenbürger Sachsen mit einem ständigen Sekretariat. Zu den Beratungen entsandten die Städte und Stühle (Bezirke) des Sachsenlandes ihre Vertreter. Die Nationsuniversität bestimmte die Vertreter der Sachsen im Landtag, der bis 1848/1849 in lateinischer Sprache verhandelte. Jede Nation hatte das Recht, durch ihr kollektives Votum („Kuriatvotum“) einseitige und unliebsame Beschlüsse der anderen beiden Nationen zu verhindern. Die Rumänen waren im Landtag nur durch ihre Bischöfe vertreten, obgleich sie um 1850 über 50 % der Bevölkerung stellten (Bielz 1857, S. 160).

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Sachsen sollten durch Verwaltungsmaßnahmen eines mächtigen Staatsapparates die angestammte Sprache und die in Jahrhunderten erworbene sozio-kulturelle Grundlage entzogen werden.5 Das stachelte dazu an, die Sächsische Nation mit Hilfe alter und neu zu schaffender Einrichtungen der genossenschaftlichen Selbsthilfe zu verteidigen, obgleich es die Nation als politische Körperschaft nicht mehr gab. Es entstand ein System sächsischer Vereine, die kreativ und mit fortschrittlichen Zielen in Feldern der Wissenschaft, der Wirtschaft, des Sozialen und der Kultur neue Wege suchten.6 Konrad Möckels Jugend fiel in eine Zeit, in der die Erinnerung an die sächsische Selbstverwaltung im Sachsenland noch schmerzhaft lebendig war und die Sorge um den Fortbestand des Volkes die Selbstbezogenheit des sächsischen Lebens selbstverständlich erscheinen ließ und zugleich verblüffend produktive, neue Einrichtungen beförderte. Er wuchs in einer sächsischen Welt auf, in der drei Grundüberzeugungen herrschten: Die Siebenbürger Sachsen waren ein zusammengehöriges Volk; sie waren evangelisch; und die evangelische Kirche mit dem Bischof in Hermannstadt fügte sich in das Volksganze ein. Die Eltern Konrad Möckel wurde am 29. Juni 1892 in Petersdorf7 in der Nähe von Mühlbach8 geboren. Im Jahre 2006 gehörten zu der evangelischen Kirchengemeinde Petersdorf etwa 200 Mitglieder. Der Vater Gustav Möckel war Gymnasiallehrer in SächsischRegen (Reghin) und später Pfarrer in Petersdorf, wo er auch begraben liegt (vgl. Abb. 2, S. 372). Er starb 1893 im Alter von 42 Jahren und hinterließ zwei Kinder, Hermann und Konrad. Hermann starb noch im Kindesalter. Die Mutter Susanna Julie geb. Wolf („Julo“) zog als Witwe nach Hermannstadt in das Haus der Eltern (Abb. 2). Sie bewahrte als Andenken die Brautbriefe ihres Mannes („Gusti“) aus Sächsisch-Regen und die wenigen Kinderbriefe des älteren Sohnes und Hermannstädter Gymnasiasten.9 5 Eine studentische Ulkkarte, abgefasst in einem Gemisch aus einem halben Dutzend Sprachen, die der fünfzehnjährige Konrad Möckel 1907 aus der Universitätsstadt Klausenburg erhielt, endete in der Mundart mit „dä verflachtich Angern“. Nachlass DM Hds 7, Gustav Klein an KM, Karte vom 9. November 1907. 6 Friedrich Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Band IV, „1868-1919 Unter dem Dualismus“. Hermannstadt 1926. 7 Ungarisch Peterfalva, rumänisch Petreşti. 8 Ungarisch Szászsebes, rumänisch Sebeş. 9 Erhalten haben sich auch kleine Ferienarbeiten (winzige Büchlein im Duodezformat), mit einer kleinen Presse selbst gedruckt und gebunden: „Petersdorfer Nachrichten“ u. a. Aus den „Petersdorfer Nachrichten“: „Politik. Die Hühner sollen ein Dynamit-Attentat gegen die Gänse planen.“ Unter dem Strich und korrekt auf zwei Seiten verteilt: „Feuilleton. Der eifersüchtige Boxl. Corpsstudent / Lauft und rennt, / Schaut ihr dicht / In’s Gesicht! Buldogg hängt / Kopf gekränkt: / Eifersucht / Quält verflucht! (Schluss folgt.)“ oder „Allerlei. (Die Fliegen) haben für die Sommersession ein Kasino auf dem Pfarrhof eröffnet. Beteiligung riesig.“ Oder: „(Diebstahl.) Am

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Die Brautbriefe illustrieren das Leben eines jungen Gymnasiallehrers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der kleinen Stadt Sächsisch-Regen (oder Reen) in Siebenbürgen, wo er sich seit 1875 neben seinem Schulunterricht auf seine Anstellungsprüfung vorbereitete. Der Unterricht begann täglich um sieben Uhr früh. „Da ich in zwei Klassen der Herrgott, d. i. der Klassenlehrer bin, so habe ich auch doppelte Arbeit, und [bei] 79 Mädchen ist das mitunter keine kleine Sache.“10 Er ließ sich auf Empfehlung eines Freundes beim Geometer Müller gegen Entgelt verköstigen, sei jedoch in die „größte Calamität“ geraten. Er habe den Freund gefragt, ob es oft Mehlspeise gäbe, deren geschworener Feind er sei, und dieser habe verneint. Nun gab es jedoch an „30 von 31 Tagen“ im Monat Mehlspeisen, und es blieb ihm und einem Freund nichts anderes übrig, als sich zu empfehlen, womit er sich sicher „bei Müllers und der verwandten Rectorlichen Familie kein Bildchen eingelegt“ habe.11 Gustav war oft krank, und es graute ihm vor dem Winter und den am Morgen ungeheizten Zimmern seiner kleinen Wohnung. Es tröstete ihn, dass die Kinder „mich gern haben, und für ihre Verhältnisse auch sehr gut pariren“. Er spielte Klavier und Geige und nahm am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. Bei einem „gemüthlichen Abend des Frauenvereins“ mit Verlosung und buntem Programm trat er als Geiger öffentlich auf, war jedoch vom Benehmen des Publikums befremdet: „Man macht nämlich Concert und die Menschheit lärmt dabei, ißt und trinkt ... Meinem Violinspiel wurde bedeutend applaudirt, aber da ich das Publikum zum würdigen Zuhören bei weitem nicht ruhig genug fand, wiederholte ich zur höchsten Entrüstung der versammelten Menge nicht.“12

Mit den Kollegen stand er in friedlichem, freundschaftlichem Verkehr. Sie schlugen ihn zum Chormeister einer zu bildenden Liedertafel vor. Er organisierte Konzerte mit auswärtigen Musikern und berichtete seiner Braut in Hermannstadt in launigen Reimen von den bewältigten Schwierigkeiten.13 „In einer schwachen Stunde“ ließ er sich breitschlagen, für den Schuldiener ein Gedicht zu schreiben, mit dem dieser zum neuen Jahr gratulieren gehen konnte.14 Das poetische, „oder besser: ... poëtisch sein sollende“ Erzeugnis, wie er seiner Braut schrieb, gefiel und sollte gedruckt werden. Vielleicht 16. d. M. drangen zwei Schweine in den Garten ein und stahlen zwei Aepfel.“ Alles in Blocksatz und mit korrekter Trennung. 10 Nachlass Konrad Möckel DM Hds 8, Brief vom 6.11.1875. 11 Nachlass Konrad Möckel DM Hds 8, Brief vom 2.1.1976. „Kein Bildchen eingelegt“ = nicht beliebt gemacht. 12 Nachlass Konrad Möckel DM Hds 8, Brief vom 6.11.1875. 13 Nachlass Konrad Möckel DM Hds 8, Brief vom 28.12.1876. 14 „Wie aus der Wolken gewaltigem Schleier die sonnigen Strahlen / Brechen hervor und sich zeigen dem freudigen Blick, / Mag aus der Zukunft schwer dräuendem Nebel mit freundlichem Auge / Immerdar blicken auf Euch nur ein gnädig Geschick.“ 42 Verse und zum Schluss: „Gebe Euch Gott auch ein Herz, das freundlich gesinnt ist dem Manne, / Der Euch bescheiden ersucht: ‚Gebt was zum Heil ihm gereicht‘.“

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schlug durch, dass seine Mutter eine geborene Marlin war, verwandt mit dem an der Cholera früh verstorbenen Dichter Joseph Marlin (1824-1849). Die Hochzeit mit Julie Wolf fand am 17. November 1877 statt. Das junge Paar zog nach Reen. Dann bewarb sich Gustav Möckel um die Pfarrstelle in Petersdorf. Die Gemeinde wählte ihn, aber er starb schon nach wenigen Jahren. Die Witwe Julie Möckel zog nach Hermannstadt in das Haus ihrer Eltern. Im Hause lebte noch ihr Bruder Friedrich Wolf, Fritzonkel. Er hatte einen ausgedehnten Besitz auf dem Alten Berg bei Hermannstadt. Konrad wuchs als Einzelkind in der Saggasse der Hermannstädter Unterstadt in der Obhut der Mutter auf. Kindheit Nach seinem 60. Geburtstag hielt Konrad Möckel in der Erinnerung an die Jugendzeit (Abb. 3) fest: „Ich war ein Kind mit einem leicht verletzbaren, zarten Gemüt. Daher war ich auch sehr empfänglich für alle Liebe und sehr empfindlich für alle Missklänge im Zusammenleben der Menschen ... Ich war als einziges Kind einer Witwe viel allein. Außer meiner Mutter, der ich den einzigen Lebensinhalt nach bitteren Verlusten bedeutete, war[en] nur noch meine taube Großmutter und der schwerhörige, einsilbige Onkel im Hause ... Die Freude meiner Kindheit und Jugendjahre war die Naturforschung, insbesondere meine Käfersammlung ... – Und dann kam zu den Käfern die mikroskopische Erforschung der Kleintierwelt des Wassers, worin mich besonders C. F. Jickeli, der Kaufmann, der seinem Werk und Wesen nach ein Gelehrter und Forscher war, unterwies. Jickeli hat mit seiner wissenschaftlichen und menschlichen Autorität mein Leben um die Pubertätszeit herum stark beeinflusst. – Nebenher gingen ‚normale‘ Beziehungen zu den Menschen, wenigstens von außen gesehen. Aber nur von außen! Meine Beschäftigung mit der Natur, meine langen, einsamen Radfahrten, die ich übrigens heute noch so sehr liebe, waren damals der Ausdruck einer innern Verlegenheit, deren Mitte – wenn ich sie heute zu deuten versuche – die Beziehung zu den Menschen war. Denn mit steigender Lebensentfaltung und wachsender Reife erwies es sich immer mehr, wie schwierig das Zusammenleben ist, wie sehr man ein heißes Herz hüten muss und wie wahr das Wort ist: Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschließt, einen Freund am Busen hält und mit ihm genießt ...“15

Diesen Freund hatte er mittlerweile in der Nachbarschaft gefunden. Es war kein Gleichaltriger, sondern ein vier Jahre älterer, philosophisch begabter junger Mann, dem ebenso wie Konrad das Problematische am Verkehr mit den Menschen aufgegangen war. Die intensive Freundschaft und der Austausch über gelesene oder zu lesende Bücher, die bis zum frühen Tode „Klein Gustis“ in den 20ern anhielten, war für Konrad Möckel 15

Nachlass KM Archivmappe 15 „Erinnerungen am 60. Geburtstag“ (1952). Erinnerungen zum 60. Geburtstag. 1952. Auch: Nachlass KM Archivmappe 32. Die beiden letzten Zeilen zitiert aus Goethes Gedicht „An den Mond“.

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„eine erste wunderbare Menschenfindung inmitten einer Welt, die über sogenannte normale Beziehungen und über die übliche Geselligkeit nicht hinauskam“.16 Herkunft Die Möckels stammten aus Baden-Durlach. Die Linie lässt sich zurückverfolgen bis zu Martin Möckel (geb. 1614), Bürger in Müttersholz (heute Muttersholtz) im Elsass in der Nähe von Schlettstadt (Sélestat). Einer seiner Nachkommen, Johannes Möckel, ein Leineweber, 1728 in Müttersholz geboren, wanderte zur Zeit Maria Theresias zunächst nach Baden-Durlach und wenige Jahre später nach Mühlbach in Siebenbürgen aus. Er starb dort 1785. Sein Sohn Michael Möckel, geb. 1780, war ebenfalls Leineweber. Dessen Sohn Michael (1818-1866), der Großvater von Konrad Möckel, war Pfarrer in Großpold (Apoldu de Sus), was im Leben des Enkels zu einem schicksalhaften Berufswechsel führen sollte (Abb. 1). Sein Sohn Gustav Möckel (geb. 1850) in Mühlbach, war der Lehrer in Sächsisch-Regen und Pfarrer in Petersdorf, von dem eben schon die Rede war. Mütterlicherseits waren die Vorfahren von Beruf Lederer, Rotgerber und Tuchmacher. Konrad Möckels Großmutter väterlicherseits hieß mit dem Geburtsnamen Filtsch, die Großmutter mütterlicherseits Marlin. Konrad Möckel wuchs in einer von der Kirche geprägten Tradition auf. Im Rückblick nach dem Zweiten Weltkrieg beurteilte Konrad Möckel, damals schon zwanzig Jahre lang Stadtpfarrer von Kronstadt, die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kritisch. Die Stärke der Kirche und die Stärke der Mutter sei es nicht gewesen, ein persönliches Glaubensleben zu wecken. Die Kirche redete zwar bestimmend bei allem mit, was die Siebenbürger Sachsen anging. Aber diese Tradition war verblasst: „Unsere Kirche war mehr und mehr zur Selbstdarstellung des sächsischen Wesens und Volksgeistes geworden. Geschichte und Volkskunde waren die geistigen Mächte, die das eigentliche Glaubensleben völlig überwachsen hatten. Aber man merkte den Schaden nicht, weil das Leben sicher und unerschüttert vor sich ging. Noch waren uns keine außerordentlichen Lebenserprobungen zugemutet worden“ (Erinnerungen 1953/54, I).

Familie und Schule Konrad Möckel erinnerte sich nicht, ein bewußt gepflegtes religiöses Leben in seinem Elternhaus erfahren zu haben, wohl aber an die hingebunsvolle Sorge der Mutter für das einzige Kind. Die Mutter „war gewiß nicht eine religionslose Frau“ und ging regelmäßig in die Kirche. Sie pflegte nicht ganz selten Worte zu gebrauchen wie dieses: „Fürchtest du keine Sünde?!“, doch wenn sie von ihrem Petersdorfer Pfarrerinnendasein redete, sprach daraus „das Behagen patriarchalischen Pfarrerlebens“ (ebda). Die 16 Ebda. Das Nachstellen des Vornamens hinter den Familiennamen (Klein Gusti, statt Gusti Klein) ist im Magyarischen und im Sächsischen üblich.

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Mutter erzog ihren Sohn auch nicht zum Gebet. Die durch schwere Schicksalsschläge ängstlich gewordene Liebe der Mutter beschränkte sich darauf, für das leibliche Wohl zu sorgen und dem Sohn den Weg durch das Gymnasium hindurch in das Hochschulstudium zu ermöglichen. Konrad Möckel machte zeitweilig von sich aus den Versuch zu regelmäßigem Abendgebet vor dem Einschlafen. „Aber es blieb bei dem Versuch. – So war denn meine Kindheitswelt eine ‚in sich ruhende Endlichkeit‘ und die Frage nach dem Unendlichen, Zeitlosen, Ewigen hatte geringes Gewicht“ (ebda).

Auch unter den Lehrern fand sich keine Persönlichkeit, die ihm „auch nur ganz bescheiden die Wege zur Gottbegegnung hätte weisen können“ (ebda). Jeden Montagmorgen versammelten sich zu Beginn des Unterrichtes Schüler und Lehrerschaft im Lichthof der Schule auf dem Hundsrück, am nördlichen Rand der Altstadt, wo das Untergymnasium untergebracht war, und begannen die Arbeit der Woche mit Lied und Gebet. Die Schüler der Oberstufe des Gymnasiums von der 5. bis zur 8. Klasse besuchten geschlossen und im Festgewand, im Flaus (Abb. 5), den sonntäglichen Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche, vor der das Standbild Georg Daniel Teutschs an die repräsentative Bedeutung des Bischofsamtes erinnerte. Dem empfindsamen Schüler Konrad prägte sich die würdige Stadtpfarrkirche mit ihren Epitaphen als ein Sinnbild der Heimat ein und wurde ihm, wie er schrieb, auch zur inneren Heimat. „Ihre Wölbungen und Inschriften, Glocken und Orgelklang, der ganze feierliche Hergang des Gottesdienstes – es war eine fremde und doch vertraute, eine ehrfürchtig und respektvoll im Abstand erlebte und doch zugleich die heimatlich-sächsische Welt“ (Erinnerungen 1953/54, I),

auch wenn die Schüler zuweilen im Kirchengestühl griechische oder lateinische Vokabeln lernten oder Unsinn trieben. Eindrucksvolle Gymnasial-Professoren vermittelten eine gute Allgemeinbildung. Der Nachdruck des Lernens lag auf der wissenschaftlichen Erkenntnis, besonders auf den Naturwissenschaften. Gerade wache Professoren, wie sich Konrad Möckel später erinnerte, brachten in ihrer ganzen Erzieherarbeit das Bekenntnis zu dem ungeheueren Sieg der Naturwissenschaften zum Ausdruck, auch wenn sie nicht bewußt davon redeten. Kultur- und Geisteswelt der Vergangenheit und die Sprachen, die zu dieser Welt führen, besonders die lebenden Sprachen und darunter das Magyarische standen im Vordergrund. „Man stand allem Metaphysischen nicht so sehr mit Ablehnung als vielmehr mit Verlegenheit gegenüber. So entsinne ich mich an die Äußerung eines Lehrers in der Quarta,17 der gelegentlich einmal die Bemerkung machte: ‚ ... wenn es überhaupt einen Gott gibt ...’. Es war kein vollständiger Satz, bloß ein Nebensatz. Aber er hat 17

Quarta = vierte Klasse des Gymnasiums nach der vierjährigen Grundschule. Die Zählung der Gymnasialklassen begann mit der Prima (Eingangsklasse) und endete mit der Oktava (Abschlussklasse, Abiturklasse).

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damals tiefen Eindruck auf mich gemacht und meine Entwicklung in der Richtung des naturwissenschaftlichen Positivismus geradezu vorwärts gestoßen. – Übrigens ist mir das noch öfter im Leben passiert, daß solche ‚Nebensätze‘ besonders in meiner Seele wirksam wurden“ (Erinnerungen 1953/54, I).

Konrad lernte kein Musikinstrument und verzichtete auch auf den im Gymnasium freiwillig angebotenen Gesangsunterricht, was er später sehr bedauern sollte. Er trat einer Fechtgruppe der Schule bei. Seine Liebe in der Schulzeit waren die Naturwissenschaften, angeregt durch den Jugendfreund Klein Gusti. Dieser machte den Jüngeren mit Ernst Haeckel und mit dem Monismus Wilhelm Ostwalds, später mit Immanuel Kant bekannt. Im Rückblick aus Anlass seines 60. Geburtstages betonte er, dass „die persönliche Beziehung zu den Menschen, das Verhältnis von Mensch zu Mensch ... das große Thema“ seines Lebens gewesen sei, und er berichtete dazu eine Begebenheit aus der Schulzeit: Er habe rasend werden können, „wenn mir irgendwo Missachtung oder Misshandlung eines Menschen vor Augen trat“.18 Im Obergymnasium erhielt die Klasse einen nicht mit Namen genannten Mitschüler, einen Offizierssohn, dessen Eltern von Triest nach Hermannstadt versetzt worden waren. Der junge Mann war anders erzogen, anders gekleidet und hatte andere Sitten als die Brukenthalschüler und konnte „leicht etwas hochfahrend und unliebenswürdig sein“. Als er auf Unstimmigkeiten in der Klasse ungeschickt reagierte, trug ihm dies einen langen Boykott der ganze Klasse ein. Monate lang redete keiner mit ihm und er „litt unter verbissenem Trotz“. Konrad Möckel litt unter diesem Zustand, als sei er „selber davon betroffen“, obgleich er die gleiche Nähe oder Distanz zu ihm hatte wie die anderen auch. „So war ich denn auch der erste, der dann – unter der nachträglichen wortlosen Zustimmung der Klasse – den Bann brach und zunächst mit freundlicher Rede unter vier Augen die Beziehungen zu dem Geächteten wieder aufnahm. Der harte, sehr auf Selbstbeherrschung eingestellte Jüngling brach dabei in Tränen aus und wir wurden über diesem Ereignis Freunde“ (Ebda).

Man muss diese Aussage neben der anderen lesen, wonach Konrad Möckel damals alle Erkenntnis von der naturforschenden Vernunft erwartet habe. Er erinnerte sich an den „glänzenden Physikunterricht bei Direktor Carl Albrich“ und an den „geistvollen und spöttischen“ Gymnasial-Professor Misch Fuß.19 Der Religionslehrer mit seiner offiziellen christlichen Haltung überzeugte die Schüler wenig. Die Schüler stellten ihm Fallen und meinten, wenn er ungeschickt reagierte, „triumphieren zu können“ (S. 34). Der Physikprofessor Dr. Carl Albrich, Religionslehrer in der Abschlussklasse, unterrichtete über die Köpfe hinweg, so dass Konrad Möckel den Gesamteindruck erhielt, 18

Erinnerungen 1952. Nachlass KM Archivkarton 15. Erinnerungen 1953/54. Die Gymnasiallehrer oder Gymnasial-Professoren oder Mittelschullehrer konnten in Siebenbürgen abgekürzt auch einfach „Professoren“ heißen. Sie genossen hohe, gesellschaftliche Anerkennung. Als Mittelschulen bezeichnete man in Österreich-Ungarn Schulen für die Altersstufe zwischen Primarschulen und Universitäten (etwa wie heute „weiterführende Schulen“). Misch = Michael. 19

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es könne nur das gelten, „was sich exakt und wenn möglich mathematisch darstellen lasse“ (S. 34). Er kam zur Überzeugung, dass sich in Wahrheit nur dem Naturforscher die großen Probleme des Lebens erschließen könnten. Daneben gab es dennoch in der Dichtung eine zweite Welt, die zu diesem naturwissenschaftlichen Interesse in Spannung stand. Konrad Möckel drückte sich als Schüler auch selbst in Gedichten aus. Es gab eine Welt, so erkannte er, die sich mathematischer Erfassung entzog. Er lernte große Teile von Goethes Faust auswendig, was ihm später als Lehrer und nach 1958 im Gefängnis zugute kam. Er erlebte die Welt der „Götter“, ohne dass er fragte, wie sich die eine, die wissenschaftliche Welt, zu der anderen, der Welt des Mehr-als-Vernünftigen, verhielt. Die 37 erhalten gebliebenen Gedichte des Achtzehnjährigen sind schwärmerisch und realistisch, spottlustig und selbstkritisch. Er bewegte sich formal in den Spuren der deutschen Klassik, fand aber durch übernommene Gedanken und Wendungen hindurch auch eigene Ansätze. Man muss bedauern, dass er diese Seite seiner Begabung später nicht stärker kultivierte und auslebte. In einem Aphorimus hielt er die für ihn bezeichnende Spannung von Glauben und Wissen fest – ein Thema, das ihn noch lange begleitete: „Wer nach reiner Erkenntnis strebt, darf nichts glauben – wer nach ruhigem Glück strebt, muss glauben.“

Und eine andere Beobachtung: „Wir nennen einen Menschen dumm, wenn das geistige Niveau des Gesellschaftskreises, in dem er sich befindet, ein offiziell höheres ist als sein eigenes. Somit ist alle Dummheit nur relativ und nur ein unbewusster Vergleich“ (Tagebuch I, 10).

Die meisten Gedichte sind Gedankenlyrik, wobei Rhythmus und Reim nicht immer stimmen und der hohe Ton zuweilen abrutscht. Es fehlt in den Gedichten auch nicht an Kritik und Selbstkritik. Er erfasste die eigenen Widersprüche und sprach sie aus und war sich seiner Schwächen, aber auch seines Wertes bewusst. Zur Politik hielt er spöttische Distanz.20 Politische Macht ist eine unerlässliche Bedingung zur Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dafür hatte Konrad Möckel bis ins hohe Alter nur geringes Verständnis. Machtstreben und Politik schienen ihm inferior. Darin lag eine seiner Schwächen, aber auch eine Stärke. Die Immunität gegenüber den Versuchungen der Macht und des Machtmissbrauchs konnte dazu verleiten, Gefahren zu unterschätzen, die von der politischen Macht und vom Machtmissbrauch drohen. Das war gefährlich im Umgang mit Nationalsozialisten und Kommunisten. Diese Art von politischer Im20

„Schon hört man wieder sie tönen / Schon sitzen alle sie dort / Im ‚Unikum‘, dem schönen, / Am weihvollen Ort ... / Es kommt auch manchmal zum Streite / Und jeder ist gerne dabei – / Doch am Schluss setzt man alles bei Seite / Und macht eine Tanzerei“ (Tagebuch I, 21-22). Die Gedichte stehen im Band I der Tagebücher mit eigener Paginierung. Ein weiteres Beispiel: „Wenn alles schläft: Ach, ich wollt’ so gern genießen / Dieser Ruhe große Pracht, / Und ich starrte hingerissen / In die laue Sommernacht. – Durch des Heimchens leises Zirpen / Sank ich sanft in Träumereien, / Bis ich jählings aufgefahren / Durch der Katzen Miau’n und Schreien.“ 13.VII. 1911. (Tagebuch I, 20).

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munität – wenn dies Wort einmal in einem ganz anderen als im herkömmlichen Sinn verwendet werden darf – bewahrte den begeisterungsfähigen jungen Lehrer und Pfarrer später davor, sich von der Macht verführen zu lassen und seine rhetorische Begabung um billiger Erfolge willen in Tagespolitik umzumünzen. Die Gedichte zeigen das Zeitgefühl eines idealistischen, 18 Jahre alten Hermannstädter Gymnasiasten mit einem empfänglichen Herzen vor dem Ersten Weltkrieg. Die Suche nach einem Weg, genauer nach seinem Weg, erinnert an die geistesverwandte Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland. Seine Lebendigkeit wandelte sich im Laufe der Jahre, blieb ihm jedoch bis zu seinem Tode im Alter von 73 Jahren erhalten. Studium in Leipzig, Berlin und Klausenburg Konrad Möckel entschloss sich zum Studium der Naturwissenschaften und wählte die Fächer Chemie und Biologie mit dem Ziel, Mittelschullehrer (Gymnasiallehrer) zu werden. Er begann 1912 an der Universität in Leipzig als „stud. theol. et phil.“. Um in den Schuldienst in einer siebenbürgisch-sächsischen Kirchenschule eintreten zu können, war neben dem naturwissenschaftlichen auch ein Theologiestudium notwendig, das zudem die Aussicht eröffnete, später auch in ein Pfarramt überzuwechseln. Viele Kandidaten für das Schulamt nahmen das Theologiestudium nicht ernst. Konrad Möckel zählte sich dazu und genierte sich fast seiner formalen Zugehörigkeit zur Theologischen Fakultät. Philosophische Fragen dagegen fanden sein lebhaftes Interesse. Zunächst jedoch musste sich der Neunzehnjährige in der weiträumigen Hochschule mit den vielen Instituten und im verwirrenden Leben der Großstadt zurechtfinden. Ein Semester lang war er Mitglied des Akademischen Turnvereins (ATV). Der Schwerpunkt seiner Studien lag auf Naturwissenschaften, Chemie und Zoologie. Im Rückblick erinnerte er sich an zwei Einzelheiten, „die ‚dissonant‘“ zu seinem sonstigen ersten Hochschuljahr standen. Das eine war die Vorlesung des Tiefseeforschers Carl Chun, der das Thema der Urzeugung (generatio aequivoca) angekündigt hatte. Konrad Möckel prägten sich die Umstände dieser in seinem Leben bedeutsamen Vorlesungsstunde mit ein. Sie fand ausgerechnet am späten Vormittag statt und er war zu einem Mittagessen eingeladen, das sich der Student nicht entgegen lassen wollte. So hörte er den Vortrag im Vorbereitungsraum neben dem Hörsaal an, um noch rechtzeitig aufbrechen zu können. Chun entwickelte „vorsichtig und geistvoll, wie eine Hypothese nach der andern versagt hat“ und kam zu dem Ergebnis: „Wir wissen nicht, woher das Leben stammt.“ Das sei damals gerade genug gewesen, und er habe Jahre gebraucht, um diese Erkenntnis zu verarbeiten (Erinnerungen 1953/54, II).21 Das andere Erlebnis war ganz anderer Art. 21

Hans Philippi veröffentlichte unter dem Titel „Ein Leben zu Gott“ die Erinnerungen von Konrad Möckel 1954 in Auszügen. Ich zitiere daher nach dem Nachlass und nach Kapiteln (römische Ziffern), die Philippi beibehalten hat.

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„Ich geriet eines Tages im Hauptgebäude der Universität – ich weiß nicht mehr wie – in die Dogmatikvorlesung von Prof. [Paul] Althaus.22 Ich hatte die Vorlesung nicht etwa belegt. Es war doch mein erstes Studienjahr! Aber der hochgewachsene, ernste und geistvolle Mann in dem feierlichen schwarzen Rock, der so bestimmt und klar redete, hatte es mir irgendwie angetan. Ich begann eifrig in ein Heft, das ich gerade bei mir hatte, nachzuschreiben. Ja, es blieb nicht bei diesem einen Besuch. Ich unterbrach von da an meine so sehr geliebten praktischen Übungen im zoologischen Institut, um zu dieser Vorlesung zu gehen, die ich doch gar nicht belegt hatte!“ (Ebda.)

Es folgte ein zweites Studienjahr in Klausenburg. Die ungarische Sprache war ihm noch ungewohnt, und es bedurfte mehrerer Monate, „bis ein gewisses Gleichgewicht des seelischen und geistigen Erlebens nach dem Jahre in Deutschland möglich war“ (ebda.). Er musste sich auf die erste fremdsprachige Prüfung vorbereiten. Der Konvention entsprechend besuchte er die deutschen Gottesdienste in der evangelisch-lutherischen Kirche Klausenburg. Essen und Wohnen, Verkehr mit den Landsleuten, Vorlesungen, Übungen, Prüfungen, das war der Umkreis, in dem er sich bewegte. Ganz anders war dafür das dritte Studienjahr in der Großstadt Berlin, die den 21-Jährigen überwältigte. Er besuchte ein Logikkolleg des Kantforschers Benno Erdmann, „cum să cade“23 – wie er dem Freund ironisch berichtete – und ließ die „Ströme von Weisheit und Wissenschaft“ über sich ergehen, „dass es eine Art hat!“24 Am Robert-Koch-Institut arbeitete er seine aus der Zoologie erwählte Facharbeit aus: „Die Blutparasiten der Vögel“. In Erinnerung blieb ihm auch eine Ethikvorlesung des Theologen Reinhold Seeberg.25 Das Schwergewicht, so schien es ihm später, sei nicht mehr ausschließlich auf dem naturwissenschaftlichen Sektor wie in Leipzig gelegen und eine Ahnung habe sich eingestellt, dass man von den Naturwissenschaften her eben gerade nicht zu der Lösung der großen Lebensfragen kommen könne. Max Reinhardt und seine Shakespeareinszenierungen hatten es ihm angetan, aber auch die Schätze der Berliner Museen, Max Klinger und Arnold Böcklin. „Das war eine Wirklichkeitsschicht, in die man mit Mikroskop und chemischen Reagenzien eben nicht einzudringen vermochte. Aber welch erschütternde Wahrheit war es doch, die man dort erfuhr! Was waren das doch für Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen! In welch starkem und unheimlichem Kraftfeld der Gottesbeziehung leben doch die Menschen dieser Dramen, auch dann noch, wenn es um die heitere Stimmung der Lustspiele geht“ (Erinnerungen 1953/54, II).

In den Osterferien besuchte er einen entfernten Onkel in München, Carl Horn, Gymnasiallehrer für Physik, verheiratet mit einer Marlintante. Er starb nach dem Ersten Weltkrieg in den Wirren der Revolution, von einer vereinzelten Gewehrkugel 22

Paul Althaus, der Ältere, Theologe (1861-1925) seit 1912 Professor für Systematische Theologie und Neues Testament in Leipzig. 23 Wie es sich gehört. 24 Brief an Gustav Klein vom 22. Dezember 1913. 25 Reinhold Seeberg (1859-1935), evangelischer Theologe, seit 1898 als Professor in Berlin.

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getroffen. Carl Horn, der wie sein Neffe keine robuste Konstitution hatte, sondern mit seinen Kräften haushalten musste, schrieb 1914 ein Buch „Goethe als Energetiker“. Darin setzte er Goethes verstreute Aussagen zu diesem Problem mit den Lehren Rudolf Mayers, Ernst Machs und Ottomar Rosenbachs in Beziehung. „Wir sind gesund durch Rosenbach“ schrieb er dem Neffen später. „Bleiben wir weiter bei unsern wohl bewährten Anschauungen von gleichgewichtiger Lebensführung und von Einnahme und Ausgabe (Systole – Diastole oder Atman in indischer Sprache).“26 Von diesem Onkel habe er bei den wenigen Besuchen in seinem Haus ungeheuer viel empfangen. Er wies ihn auf die religiöse Weisheit Indiens hin und nannte ihm Literatur zu einer schnellen und zentralen Einführung. Es sei das Wort zur rechten Stunde gewesen, „das gerade meinen damaligen geistigen Horizont in besonders günstiger Weise erreichte“. Er kehrte nach Berlin zurück, verschaffte sich sofort die angegebenen Bücher und begann mit Feuereifer zu studieren. „Und wieder ging mir eine große neue Welt auf. Es war die Welt der Upanishaden, des Yoga und der Bhagavadgita.“

Er las die Bücher von Paul Deussen, der die indische Philosophie als einer der ersten in Deutschland bekannt gemacht hatte. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Anthroposophie Rudolf Steiners auch Siebenbürgen erreichte, war er mit dessen Grundlagen schon vertraut und blieb von der Anthroposophie unberührt. Mit den indischen religiösen und philosophischen Studien begann ein langer Weg, der ihn über die Religionsgeschichte erst zur Religion und dann zu einem vertieften christlichen Glauben führte. Militärdienst oder Friedensdienst? Zwischen seinem dritten und vierten Studienjahr brach der erste Weltkrieg aus. Konrad Möckel ging mit einer schweren Blinddarmentzündung und Operation hart am Tode vorbei. Dann kehrte er wieder nach Klausenburg zurück. Er entzog sich der allgemeinen Kriegsbegeisterung. Als einziger Sohn einer Witwe war er vom Militärdienst befreit. Niemand hätte ihn jedoch hindern können, sich wie viele andere freiwillig zum Militärdienst zu melden. Er tat das nicht, vermutlich in erster Linie seiner Mutter zu Liebe, die schon ihren Mann und den ältesten Sohn hatte betrauern müssen. Konrad Möckel war kein weltanschaulicher Pazifist. „Warum ist der Soldat im Schützengraben kein Mörder? ‚Seine Taten beflecken seinen Geist nicht‘. Das ist wenigstens die sittliche Idee, die auch hier dem Pflichtbegriff zu Grunde liegt. Seine Taten sind nicht aus seiner Seele geboren, sondern frei davon, nur der Ausdruck einer über ihm stehenden Macht. So sollen wir handeln, zwar nicht als Werkzeuge eines unsittlichen Staates, der egoistische und verbrecherische Wahntaten mit gestohlenen und missbrauchten Ideen umkleidet, aber wir sollen 26

Nachlass DM Hds 7, Postkarte von Carl Horn an Konrad Möckel, Poststempel unlesbar. – Siehe auch Carl Horn: Goethe als Energetiker. Verglichen mit den Energetikern Robert Mayer, Ottomar Rosenbach, Ernst Mach. Leipzig 1914. 91 Seiten.

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handeln als Kinder Gottes! Dann werden ‚unsere Taten unsere Seelen nicht beflecken‘“ (Tagebuch III, 50).

Konrad Möckel hatte sich im Jahre 1913 zum Wehrdienst stellen müssen. Er beantragte die Befreiung und erhielt sie.27 In den Tagebüchern finden sich zum Thema der Freistellung mehrere Andeutungen, aber keine ausführliche Begründung. Er freute sich, als Rabindra Nath [!] Tagore den Nobelpreis erhielt und stimmte Houston Stewart Chamberlain zu: „... es würde wahrhaftig das grösste Geschehniss unserer hohlen, aufgeblasenen und innerlich so unbefriedigten Zeit sein, wenn der Okzident sich mit dem Orient vermählen könnte, wenn wir aus unserer schrecklichen technischen Erstarrung auf allen Gebieten des Lebens, die sich ‚Kultur‘ nennt, die Errettung empfängen durch tieferes, lebendiges religiöses Leben, wie es das im eigentlichen Sinne des Wortes ‚gottbegnadete’ Indervolk besessen“ (16. Juli 1916, Tagebuch I, 21).

Daran schließt Konrad Möckel 1916 die Frage: „Ob der Krieg dazu etwas beiträgt?! Viele behaupten es. Was ich bisher gesehen und gehört, war meist durchaus unerfreulich. Ich kann nicht einstimmen in das Loblied des Krieges als [dem] ‚grossen Erzieher‘. Wollen abwarten, bis die Krieger wieder heimkehren und man mit dem einen und andern wieder ruhig sprechen kann“ (ebda).

Die Kategorien „Erstarrung“ und „Mechanisierung“ als Gegensatz zu einer lebendigen Kultur sind kritische Vorstellungen, die in den Tagebüchern wiederholt auftauchen. Beim Besuch eines Bekannten, vielleicht ehemaligen Mitschülers, Soldat an der italienischen Front und nun Urlauber in Hermannstadt, fiel ihm ein Zwiespalt auf. Er sei zwar immer noch der „biedere, treuherzige, anhängliche Mensch“. „Aber seine übrigens höchst interessanten Kriegsgeschichten legten von einer derartigen Verrohung, Barbarei, ja Bestialität Zeugnis ab, dass in mir sich mehr und mehr Abscheu und Entsetzen regten. Pardon wird dort unten nicht mehr gegeben. Was man von Italienern in die Hände bekommt, wird niedergemacht. Das war der Kehrreim fast aller seiner Erzählungen, die er mit sichtlichem Stolz und Behagen zum besten gab. Schonung und Erbarmen, wie berechtigt [sie] immer seien, müssen stets Mord und Zerstörung weichen, wenn letztere auch ganz zwecklos sind, und der ‚schneidige‘, ‚tapfere‘ Kerl, der’s am ärgsten treibt, steht am höchsten in Achtung und Ehren“ (18. Juli 1916, Tagebuch I, 40).

Nach einem Streitgespräch mit der ehemaligen Schulfreundin, jetzt Universitätskollegin in Klausenburg, Dora Schullerus, fragte er sich, „ob wohl mein Standpunkt den ‚vaterländischen Pflichten‘ gegenüber der richtige sei“ (15. August 1916, Tagebuch I, 85). „Immer wieder verfielen wir in das alte Problem und den alten Streit und ich hatte wieder einmal Gelegenheit, meine Ansichten darzulegen und zu verteidigen. Ich 27 Gusti Klein redete ihn lange vor dem Kriegsbeginn in einem Brief als „Lieber Stellungsflüchtiger“ an als Antwort auf den Bericht Konrad Möckels von der Freistellung vom Wehrdienst. Er schilderte sarkastisch die Registrierung in der „Stellungsliste“. Nachlass DM Hds. 7. Brief vom 26. Februar 1913.

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machte meinem durch die Kriegs- und politischen Ereignisse bedrückten Gemüte wie schon oft durch harte Kritik an den Zeitgeschehnissen Luft und rettete mich in meine Ideenwelt. Dennoch bleibt – mitunter wenigstens, so auch gestern bei der Behandlung der Frage ein bitterer Rest. Wie, wenn meine Rechnung nun doch nicht ganz stimmte, wenn ich die Kraft nicht hätte, die letzten schroffen Ideen durchzudenken, durchzuleben, habe ich dann nicht eine potentielle, drückende Schuld zu aller übrigen Lebenslast auf mich geladen?!“ (ebda).

Die Zeitungen waren damals voll von Gerüchten, dass der Einmarsch rumänischer Truppen in Siebenbürgen bevorstände. Die Vaterlandsverteidigung schien eine selbstverständliche Pflicht. Er war trotz der Distanz, die er zu den Kriegsbegeisterten hielt, hin und her gerissen. Er liebte damals die Schellenberger Pfarrerstochter Gretchen Müller und warb heiß um sie. Sie hielt ihn immer wieder hin, was er sich nicht erklären konnte. Im August 1916 notierte er im Tagebuch: „Ich glaube, der schwerste Schatten, der auf unserem Verhältnis liegt, ist doch meine Nichtbeteiligung am Kriege, oder besser die grundlegende seelische Disposition, die dieser Tatsache zu Grunde liegt“ (Tagebuch I, 95).

Als im September 1916 die Nachricht vom Sieg Mackensens in der Dobrudscha auch Klausenburg erreichte, notierte Konrad Möckel, es werde heißen, „dass an der Grenze Siebenbürgens der Feind zermalmt und überwunden worden sei“ und man werde stolz trotz des Flüchtlingselends über den verkohlten Überresten friedlicher Dörfer Siegesfahnen flattern lassen. Er dagegen werde sich zu der Schar derer stellen, „die leiden unter den Siegen der eigenen Partei“, fügte jedoch hinzu: „Und doch! Ach, wenn es wenigstens schon so weit wäre“ (16. September 1916, Tagebuch II, 9).

In der „Täglichen Rundschau“ las er einen Artikel zur Einführung einer „allgemeinen Arbeits- und Dienstpflicht“, wonach alle deutschen Kräfte dem Vaterlande dienstbar gemacht werden sollten, und fragte sich, ob das die Idee sei, „die auch in mir schon lange lebendig vorhanden ist und sich mir im Kampf und Gegensatz zur allgemeinen Wehrpflicht und anderen Gedanken unserer Zeit entwickelt“ hat (Tagebuch II, 105106). Zwar richte sich der neue „grandiose Gedanke“ nicht gegen die Wehrpflicht, sondern sei im Gegenteil als Stütze und weitere Kräftigung derselben gedacht. „Aber wer kann wissen, ob nicht, wenn man jetzt hinter dem kämpfenden Heere jeden Bürger seinen Fähigkeiten entsprechend zur Arbeit für das Ganze heranziehen will, der nächste Schritt der ist, dass man überhaupt die Pflicht des Bürgers dem Vaterlande gegenüber nicht mehr wahllos darin erblickt, dass er als Soldat diene, sondern dass er in schweren Zeiten seine ganze eigene Kraft und Begabung – jeder in seiner Art – dem Gesamtwohl widme?“ (17. November 1916, Tagebuch I, 106).

Das ist noch nicht der Gedanke eines Friedensdienstes, der im Vorfeld von Konflikten langfristig auf die Verständigung von streitenden Parteien hinarbeitet, kommt ihm jedoch nahe. Andere fassten angesichts der bis dahin ungeahnten kriegstechnischen Möglichkeiten noch kühnere Gedanken, um die immer effizienter werdende Ver-

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nichtung von Menschen im Kriege nicht resigniert und womöglich noch verklärend hinnehmen zu müssen.28 Als der Direktor der Honterusschule in Kronstadt zwanzig Jahre später im Zweiten Weltkrieg am Morgen des Honterusfestes vor der Schwarzen Kirche ein Lob des Krieges anstimmte und – im Blick auf das neutrale Schweden – diesem nichts besseres wünschen konnte als einen Krieg, war Konrad Möckel empört. Im Jahre 1944 zog auch sein Sohn Gerhard freiwillig-unfreiwillig in den Krieg. Doktor der Geologie Konrad Möckel blieb während des Krieges vier Jahre lang am mineralogischgeologischen Institut in Klausenburg, erst als Student, dann als Praktikant und Assistent. Die Staatsprüfungen bestand er 1915. In der Kriegszeit reiste man von Hermannstadt nach Klausenburg mit der Eisenbahn einen ganzen Tag lang. In Kleinkopisch stieg man in den Schnellzug Bukarest–Budapest um, wenn er verkehrte. Konrad Möckel, Assistent am geologischen Institut, hatte als Untermieter ein kleines Zimmer. Die Tagebücher und Briefe geben ein anschauliches Bild. Er erwarb zunächst das Mittelschullehrerdiplom – wie es im österreichischen Sprachraum hieß – und strebte dann den Doktorgrad in Gesteinskunde an. Im Juli 1916 ging der junge Postgraduierte mit Eifer an die Sache. Er wollte die Poiana Rusca im Gebiet um Reşinari am Rande der Karpaten geologisch bestimmen und kartographisch erfassen. Eine Unterstützung seiner Arbeit konnte er nur von einem einzigen Mitarbeiter des Instituts erwarten, aber der war gerade dabei, eine Stelle an der Universität Chemnitz anzutreten. Konrad Möckel stieß auf ein Buch von Ulrich Grubenmann, Professor in Zürich, Begründer des mineralogisch-chemischen Instituts der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Dieser hatte zehn Jahre vor dem Krieg als erster eine Systematik der Gesteinsmetamorphose entworfen.29 Konrad Möckel plante, die Untersuchung mit der Klärung theoretischer Fragen und mit der Lektüre dieses Werks zu beginnen. Der Institutsdirektor sah diesen Plan kurioserweise nicht gerne, und wies ihn an, sich das Gesteinsmaterial des Instituts anzusehen. „Jawohl! Ohne noch eine Ahnung der Natur dieser Gebilde zu haben!“ 28

Bis 1945 hatte der Gedanke des Ersatzes eines Kriegsdienstes durch einen vorausschauenden Friedensdienst keine Chance sich durchzusetzen. Heute gelten internationale Ordnungs- und Polizeiaufgaben als notwendig. Der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates wird insofern nicht mehr uneingeschränkt anerkannt. Völlig unabhängige, souveräne Staaten gibt es in diesem Sinne nicht mehr. Scheinbar souveräne Staaten geraten ins Zwielicht, weil sie im Welthorizont als eine entgleiste Weltinnenpolitik angesehen werden können. Nach einer Lösung suchte schon vor dem Ersten Weltkrieg William James: The Moral Equivalent of War (1910). In: William James: The Moral Equivalent of War. Die Seele von William James / E. Rosenstock-Huessy, im Auftrag der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft hgg. von Michael Gormann-Thelen u. a. Mössingen-Talheim 1995. 29 Grubenmann, Ulrich: Die kristallinen Schiefer. Bd. 1. Berlin 1904, Bd. 2. Berlin 1907.

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schrieb Konrad Möckel empört in sein Tagebuch. Mit einem geistvollen Buche sei ihm mehr gedient als mit zusammenhanglosen Beobachtungen. „Man scheint überhaupt im Institut nicht zu ahnen, was für ein wundervoll klares und ideenreiches Werk diese Grubenmannsche Arbeit ist“ (Tagebuch I, 10).

Der Direktor des Instituts beurlaubte ihn für den Monat Juli 1916 für Gesteinsaufnahmen in den Karpaten. Der August war sowieso frei. So entging er auch dem langweiligen Jourdienst in den Semesterferien. Professor Hermann Phleps (1877-1964) verhalf ihm zu genauen Karten des Untersuchungsgebietes, die Konrad Möckel für seine Eintragungen mühevoll kopierte. Er brauchte für die Arbeit vor Ort eine Legitimation der Militärbehörde; denn das Gebiet lag in Grenznähe. Es dauerte eine Weile, bis sie ausgestellt war. Einfacher war die Zimmerbeschaffung in Reşinar. Rektor Frăţelu vermittelte ein Zimmer bei der Nachbarin, die auch Milch zum Frühstück und Abendessen besorgte. Das große rumänische Dorf Reşinar, zwanzig Kilometer südlich von Hermannstadt, sollte die Ausgangsstation für die Untersuchungen werden. Das Fahrrad nahm er mit. Die letzte Straßenbahnstation am Rande Hermannstadts war etwa zehn Kilometer weit entfernt. Dann machte er sich in der Julihitze an die Arbeit und klopfte von früh bis spät mit seinem schweren Geologenhammer Steine, so dass Arm und Schulter nach einigen Tagen schmerzten. Die Fußmärsche führten querfeldein entlang der geologischen Linien. Oft überraschten ihn Gewitter, so dass er durchnässt und völlig erschöpft in sein Quartier kam und für Krankheiten anfällig wurde und dann pausieren musste. Erschöpfungszustände und häufige Krankheiten sollten auch später in seinem Leben eine Rolle spielen. Die großartige Landschaft der Karpaten und wunderbaren Tannenwälder der Vorgebirge entschädigten für die Strapazen. Die Gesteinsfunde beglückten ihn; in Säcken schaffte er sie in sein Quartier. Als er die Funde einige Jahre später dem Brukenthal-Museum schenkte, waren über 800 Steine mit ihrem genauen Fundort inventarisiert und näher bestimmt. Mitte August schloss er seine Untersuchungen ab. Mit dem Fortgang der geologischen Seite seiner Untersuchung war er zufrieden, die tektonische Seite machte ihm Kopfzerbrechen. Auf einem Pferdefuhrwerk gelangten die Steine nach Herrmannstadt. Dort packte er sie in Kisten, die eine Spedition nach Klausenburg transportierte. Jeder Stein erhielt eine Begleitkarte. Mitte September 1916 schrieb er die letzten Zettel. Dann ließ er von ausgewählten Steinen Feinschliffe angefertigen, um sie anschließend unter dem Mikroskop auszuwerten. Parallel zu dieser Arbeit hielt er Seminarübungen und übersetzte wissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem Ungarischen ins Deutsche oder aus dem Deutschen ins Ungarische, um den Institutsangehörigen, die nur ungarisch sprachen, Facharbeiten zugänglich zu machen, darunter auch Übersetzungen aus Grubenmann, die der Institutsdirektor in der Vorlesung ausschnittweise vortrug. Die räumlichen Verhältnisse im Institut waren während des Krieges beengt. Die Stadt war voller Soldaten. Auch das Geologische Institut musste Räume an militärische Stellen abtreten.

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Unzufrieden war er mit dem wissenschaftlichen Vorgehen im Hause. Im Januar 1917 notierte er nach einer langen Besprechung mit Professor Szentpétery, in der er Ratschläge und Verhaltensmaßregeln erhielt: „Als am nächsten Vormittag einiges davon in die Praxis umgesetzt wurde, war meine Desparation so gross, dass ich mir gestand nur noch soviel Kraft zu haben, alles, was auch komme, ergeben über mich ergehen zu lassen. – Alle Probleme, die ganze wissenschaftliche Forschung wird auf die denkbar primitivste Weise aufgefasst. Um mit Prof. Schneller zu reden: ‚történeti eggéniseg‘.30 Brutale, schablonenhafte Klassifikation, Einschachtelung der Phaenomene, wie ‚Gneis‘, ‚Pegmatit‘, ‚Amphibolit‘ etc. mit skrupelloser Unterschlagung von etwaigem Unbequemen. Nichts Genetisches, keine größeren Zusammenhänge, kein Suchen nach den neueren und neusten Wegen der Forschung, des Erkennens!“ (Tagebuch IV, S. 94).

Im Herbst 1918 legte Konrad Möckel sein Doktor-Examen ab. Vor Jahren hatte er ein Gesuch gestellt, um ein Studiensemester in Wien verbringen zu können. An der Seite eines Meisters auf dem Gebiet der Geologie wollte er sich weiterbilden, um später die kristallinen Schiefer der Karpaten weiter zu erforschen. Immer aber waren die Nachrichten von der politischen Lage in Europa und von den Kriegsschauplätzen gegenwärtig. Im Sommer 1916 drohte die rumänischen Armee in Südsiebenbürgen einzumarschieren. Kurze Zeit später erfolgte der Einmarsch tatsächlich. Hermannstadt war zeitweilig abgeschnitten, und er konnte nicht wissen, wie es seiner Mutter in Hermannstadt beim Eindringen des rumänischen Heeres erging. Flüchtlinge zogen durch Klausenburg hindurch oder mussten notdürftig untergebracht werden. Als die deutsche Heeresleitung Truppen zur Verstärkung nach Siebenbürgen verlegte und die rumänischen Truppen zum Rückzug zwang, beruhigte sich die Lage in Klausenburg und in Südsiebenbürgen wieder. Es blieben zerstörte und geplünderte Dörfer zurück. Die Ernährungslage war nicht gut, aber ungleich besser als in Österreich oder gar in Deutschland, wie Urlauber und Besucher berichteten. Konrad Möckel besserte seine finanziellen Mittel durch Unterricht an einer Klausenburger Schule auf, zeitweilig in Vertretung eines erkrankten Deutschlehrers. Heirat mit Dora Schullerus Dora Schullerus war die zweite Tochter von Adolf Schullerus (1864-1928) und Josefine Gertrud, geborene Stühler. Adolf Schullerus hatte in Bern und Leipzig studiert und war dort zum Dr. phil. promoviert worden (Abb. 7). Als die älteste Tochter Gertrud 1889 geboren wurde, später als Malerin bekannt unter dem Namen Trude Schullerus, war der Vater Rektor der höheren Volks- und Gewerbeschule in Agnetheln. Er wurde noch im gleichen Jahr an das Landeskirchliche Lehrerseminar in Hermannstadt berufen. Dort kam 1890 die zweite Tochter Dora Elisabeth zur Welt. Die Mutter starb 1896 an Tuberkulose – der Volkskrankheit dieser Zeit. Die beiden Geschwister, sieben 30

történeti eggéniseg = historische Persönlichkeit, hier ironisch. Siegmund von Szentpétery.

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und sechs Jahre alt, kamen in die Obhut der Großmutter Josefine Stühler. Sie war die Witwe des königlich öffentlichen Notars Carl Stühler, eine herbe, strenge Frau. Dora war ein energisches, zielstrebiges Kind, ein kleiner „Teremtete“.31 Sie setzte beim Vater, inzwischen Stadtpfarrer in Hermannstadt, durch, dass sie nach der Bürgerschule das Knaben-Gymnasium besuchen durfte – als einziges Mädchen in der Knabenschule (Abb 4). Der Berufsweg hatte den Vater als Pfarrer in die Gemeinde Großschenk (Şinca Mare) und nach Fogarasch geführt. 1907 wurde er Stadtpfarrer von Hermannstadt. Dora besuchte eine Zeitlang dieselbe Klasse wie der zwei Jahre jüngere Konrad Möckel, ohne dass dies in ihrem Leben eine besondere Bedeutung gehabt hätte. Später studierte Dora in Heidelberg und Klausenburg Medizin. Am 14. Juni 1916 legte sie in Klausenburg die letzten beiden Prüfungen im Rigorosum ab. In Klausenburg freundeten sich Konrad und Dora, die sich von der Schule her kannten, neu an. In den Augen Konrad Möckels war es vermutlich tatsächlich nur ein freundschaftlich-kollegiales Verhältnis zwischen Studierenden in höheren Semestern. Aber er stand vor der Verlobung mit der Pfarrerstochter von Schellenberg bei Hermannstadt (Şelimbar). Sie hieß Gretchen Müller, war eine Tanzstundenfreundin und bildschön. Seine Beziehung zu ihr gestaltete sich kompliziert, ja dramatisch. Der schwärmerische, an Philosophie und Kunst interessierte Konrad, von der Mutter und den Schulfreunden Kon genannt, hegte jugendliche Idealvorstellungen. Gretchen war eher praktisch gesonnen, hatte außer Konrad Möckel noch andere Bewerber und konnte sich nicht entscheiden, obgleich Konrad Möckel inzwischen in der Familie in Schellenberg ein gerngesehener Gast war. Von seiner Liebe und seinen Sorgen erfuhr auch die Schulfreundin Dora Schullerus, mit der er sich über philosophische und psychologische Bücher, über Literatur, Kunst und Religion unterhalten konnte, was er auf Spaziergängen auch gerne tat. Beide verehrten sie Goethe, beide lasen sie Rabindranath Tagore, beide hatten Freude an dem virtuosen Nonsens der Galgenlieder von Christian Morgenstern. Erst nach und nach begann Konrad Möckel zu ahnen, was er durch die gemeinsamen Spaziergänge, die gemeinsame Lektüre, gemeinsamen Theater- und Konzertbesuche bei der Schulfreundin ausgelöst hatte, während seine bewusste Liebe ihn nach Schellenberg zog. In der ersten Eintragung im Tagebuch vom 14. Juni 1916 nach dem Rigorosum Doras heißt es: „Sie war froh, die Sache hinter sich gebracht zu haben und in ausgeglichener Stimmung. Meine Blumen scheinen sie gefreut zu haben.“ (Tagebuch I, 3).

Die Verlobung mit Gretchen fand nach quälenden Umwegen tatsächlich statt. Dann kam der Krieg nach Siebenbürgen. Die rumänische Armee überschritt die Karpaten. In der Nähe von Hermannstadt und Kronstadt fanden erbitterte Kämpfe statt. Gretchen floh mit der Familie nach Ungarn. Ihr Verhältnis zu Konrad Möckel kühlte sich ab, löste sich jedoch nicht so schnell auf – auch dann noch nicht, als Konrad Möckel 31 Ungarisch, sprich Tärämtätä, auf der ersten Silbe stark betont, wird von temperamentvollen Personen gesagt, die überraschende Einfälle haben und sich durchsetzen.

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die Situation durchschaute, in die er geraten war – zwischen einer Braut, zu der er sich bekannte, die aber zögerte, und einer Schulfreundin, mit der er, wie es ihm lange geschienen hatte, lediglich befreundet war: „Es packt mich Verzweifelung und ich möchte aufschreien vor Schmerz, Angst und Grauen, daß ein hartes unheimliches Schicksal das Leben dreier Menschen verödet, vernichtet!“ (Tagebuch II, 54-55).

Es dauerte noch ein weiteres Jahr, bis die Trennung von Gretchen vollzogen war. Konrad Möckel war erleichtert: „Die Entscheidung ist gefallen. Gestern morgen kam der Brief von G. an, der den ausgesprochenen und vollständigen Bruch enthielt. Das war die Antwort auf meine Frage, ob sie wirklich unser Verhältnis als Last empfinde. Es stehen nur wenige, sachliche und nüchterne Sätze in dem Brief. – Einen Augenblick war ich wie betäubt. Es tat weh, ganz furchtbar weh. Aber ich war mir dessen bewusst, dass es sich um eine schmerzhafte Operation handelte, die unsere beiderseitige Gesundheit erforderte. – Die Bilder habe ich schon von Tisch und Wand entfernt. Heute muss ich nun noch einen letzten Brief schreiben, mit dem ich auch das Ringlein schicken werde. – Ich fühle mich wie ein Genesender ...“ (Tagebuch III, 155).32

Von „monatelanger, fürchterlicher Qual und Zerrissenheit“ frei konnte er sich ganz der Freundin Dora Schullerus zuwenden (Abb. 6). Ein Jahr lang wollten die beiden ihre Liebe geheim halten. Die Hochzeit fand am 22. Juni 1919 in Hermannstadt statt. Am 24. Dezember 1920 kam der erste Sohn Christian auf die Welt. Dora Möckel gab für ihren Mann viel auf, besonders als dieser sich im Jahre 1925 für das Pfarramt entschied und nach Großpold zog. Sie war praktisch veranlagt und begabt und packte Aufgaben, die sie sah, resolut an. Ihre Brautschuhe schusterte sie sich selbst. Eine eigene Praxis eröffnete Dora Möckel nicht. Wenn Sie je den Gedanken erwogen haben sollte, muss sie ihn bald und für immer fallengelassen haben. Es passte 1925 nicht in die patriarchalische, sächsische Gesellschaft, als Ehefrau eines Pfarrers das anspruchsvolle Ehrenamt der „Frä Motter“ abzulehnen, um einen eigenen Beruf auszuüben, obgleich es in den 1920er Jahren in Siebenbürgen starke Persönlichkeiten unter den Frauen gab. Ihre Schwester machte als freiberufliche Malerin Karriere. Später, in Kronstadt, freundete sich Dora Möckel mit der Direktorin der Kindergärtnerinnenbildungsanstalt Dr. Dora Heltmann-Capesius an. Diese wohnte nahe dem Stadtpfarrhaus, hatte sich von ihrem Mann getrennt und zog vier Kinder groß, von denen drei genauso alt waren „wie die Möckelischen“. Sie war eine „Alleinerziehende“ und bewältigte trotzdem einen anspruchsvollen Beruf. Wahrscheinlich bedauerte Dora Möckel zuweilen den Abbruch ihres emanzipatorischen Lebensweges, ließ es die eigenen Kinder jedoch nie merken.

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Eintrag vom 9. Juli 1917.

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Studiensemester in Wien Der beantragte Studienaufenthalt in Wien erfüllte sich nach dem Kriegsende und nach der Hochzeit. Er konnte mit seiner jungen Frau zusammen noch ein Semester lang in Wien studieren. Das war eine große Chance, und der Schwiegervater versäumte nicht, darauf hinzuweisen, dass viele nach einem solchen Aufenthalt strebten, ohne ihn erlangen zu können. Konrad Möckel war dankbar, bei einem ausgewiesenen Fachmann, „dem weltberühmten Gesteinsforscher, Fritz Becke“33, lernen zu dürfen (Erinnerungen 1953/54, IV). Er werde, schrieb ihm sein Schwiegervater, „später in unseren kleineren Verhältnissen und mit ärmeren Mitteln lange daran zu zehren haben“.34 Konrad Möckel beeindruckten nicht nur die bahnbrechenden Forschungen, sondern auch die Demut und nüchterne Wahrhaftigkeit des damals 67-jährigen Becke, der sich offen die Grenzen des Erforschbaren eingestand. In Wien erfuhr er noch einmal aus nächster Nähe, was gediegenes, naturwissenschaftliches Arbeiten heißt und wo seine Grenzen liegen. Das Ehepaar lernte den Verein christlicher Studenten kennen, der sich in Wien „christo-kratischer Studentenverein“ nannte. In einem Vortrag ging Konrad Möckel der Unterschied zwischen gelebtem Leben einerseits und dem Ergebnis eines starken Lebens auf. Kultur ist der Ausdruck und das Ergebnis eines gestalteten Lebens, Kultur ist noch nicht das Leben selbst. Ein Nebensatz, den er aus dieser Zeit erinnerte, hakte sich bei ihm ein „... als ob es darauf ankäme, eine Kultur zu schaffen“. Er verstand ihn dahin, „daß es sehr viel Wichtigeres gebe, als sich um das Kulturleben zu mühen“ (Erinnerungen 1953/54, III) – ein Wort, „das mir den ungeheuern Vorrang der Fragen der Ewigkeit vor allem zeitlichen Geschehen blitzartig und ein für allemal klar machen sollte“ (ebda). Er erlebte die selbstverständliche Hilfsbereitschaft der Quäker im hungernden Wien und bewunderte das geistige Leben und den praktischen Helfersinn der jungen englischen Christen. Er begann die Größe und die Bedeutung der christlichen Lebenskräfte zu ahnen. Sie waren ihm bis dahin unerschlossen geblieben. In Wien begegnete ihm der Antisemitismus, der in unterschiedlicher Stärke in ganz Österreich-Ungarn verbreitet war. Sein Freund Klein Gusti, später Patenonkel des ersten Sohnes Christian, der jede freie Zeit mit dem Lesen philosophischer Bücher ausnützte, hatte ihm 1915 von der Front in Galizien in abscheulich antisemitischem Ton von seinem Militärdienst geschrieben.35 Auch spätere Briefe aus Leipzig offenbaren Klein Gustis krassen Antisemitismus, der seine Alltagsbeobachtungen verzerrte. Der Hermannstädter Freund Fritz Berwerth, stud. med. in Graz, gratulierte dem jungen Ehepaar nach Wien. Er habe wenig Nachricht von zu Hause, „... so daß ich 33 Friedrich Johann Karl Becke, geb. 1855 in Prag, gest. 1931 in Wien, Mineraloge und Petrograph, Universitätsprofessor in Czernowitz, Prag und Wien; Erfinder einer Bestimmungsmethode für Mineralien aufgrund ihrer optischen Eigenschaften („beckesche Linie“). 34 Brief vom 11. Dezember 1919. DM Hds 7. 35 Brief vom 7. Dezember 1915 von „Oblt. Dr. Gustav Klein, k. u. k. schwere Haubitzendivision Nr. 12 Batt. 2, Feldpost 43“ aus „Baranowitsch“. DM Hds 8.

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unmöglich weiß, wie die Saggasse, der Herr Kölbl und die Milchjüdin noch aussehen“. Im gleichen Brief folgt eine abfällige Bemerkung zu Wien. Er sei froh, Wien noch als Kaiserstadt zu kennen. Heute, glaube er, „würde es mir gar nicht sonderlich passen, da man von der gräßlichen Verjudung innen wie außen sicher auf Schritt und Tritt vor den Kopf gestoßen wird.“36

Er war sich jedoch bewusst, dass der aggressive Antisemitismus der Studentenkreise nicht nach Hermannstadt passe. Graz sei bis auf die Klerikalen deutschnational, „was ja allem nach zu schließen bei der vollständigen Judenherrschaft in Wien leider nicht der Fall sein kann. Doch haben wir es sehr freudig begrüßt, daß die Wiener deutsche Studentenschaft nicht mehr gewillt ist, sich von den Ostjuden von den Quellen deutscher Wissenschaft verdrängen zu lassen. Ich weiß deine Ansicht in diesen Dingen zwar nicht, jedenfalls bin ich ganz im Grazer alldeutschen Fahrwasser: wohlgemerkt hier und nicht etwa zu Hause, wo sich diese Gedanken ja schon gar unmöglich machen.“37

In den von Konrad Möckel erhaltenen Briefen finden sich nur Andeutungen, was seine eigene Haltung war. Ein Assistent des geologischen Instituts in Bukarest, mit dem zusammen er 1920 Gesteinsbestimmungen in den Karpaten machen sollte, heiße „Dr. David Rotmann und hat auch sonst bei meinem vorjährigen Besuch in Bukarest nicht gerade den glänzendsten Eindruck bei mir hinterlassen“.38 Es finden sich in den Briefen und Schriften nur wenige Stellungnahmen. Als er sich in der Schrift „Volkstum und Glauben“ im Kapitel „Wissenschaft“ mit der Rassenkunde befasste, flocht er eine Bemerkung ein, mit der er sich von den „verkappten Religionen“ distanzierte.39 Im Alltag gab es im Allgemeinen eine Zusammenarbeit, höfliches Grüßen und einen respektvollen Umgang. Das eigene Gute verglichen die Angehörigen der in Siebenbürgen lebenden Nationen oft naiv mit dem Schlechten der anderen, statt – wenn schon Vergleich – die guten Seiten mit den guten und die Schattenseiten mit den Schattenseiten hüben wie drüben zu vergleichen.

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Brief vom 21. November 1919. Nachlass DM Hds. 8. Brief vom 11. Mai 1920. Nachlass DM Hds. 8. 38 Brief vom 2. Juli 1922 an Gusti Klein. Nachlass DM Hds. 7. 39 „Ich will absehen von den äußersten Alkoholgegnern, Judenfeinden und dergleichen, die von ihrem einseitigen, aber bis zur letzten Folgerung durchgeführten Gedanken das Volksheil erwarten.“ Volkstum und Glauben 1930, S. 30. 37

Kapitel 2

Lehrer in Hermannstadt (1920-1925)

Siebenbürgen nach dem Ersten Weltkrieg Am 31. Oktober 1918 übernahm der Nationalrat des ungarischen Reiches in Pest die Regierung und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Am gleichen Tag fiel Ministerpräsident Stephan Tisza in seiner Villa einem Attentat zum Opfer. In ganz Ungarn bildeten sich Soldatenräte – auch in Hermannstadt.1 Die militärische Disziplin der österreich-ungarischen Armee zerfiel. Die in Siebenbürgen stationierten deutschen Truppen zogen ab. Es kam zu Plünderungen und zur Vertreibung missliebiger ungarischer Notare. Sieben Jahre später, noch unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse, erinnerte sich Friedrich Teutsch: „Vergebens versprach ein großes Manifest der ungarischen Regierung am 26. November allen Völkern in Ungarn die Freiheit selbständiger Entwicklung, Unterricht und Verwaltung und Gericht in der Muttersprache; es war auf all den Gebieten zu viel gesündigt worden, es verfing nichts mehr.“2

Am 1. Dezember 1918 beschloss die Nationalversammlung der siebenbürgischen Rumänen in Karlsburg (Alba Iulia) den Anschluss an Rumänien.3 Erfahren in den Leiden einer Minderheit, forderten sie die volle nationale Freiheit nicht nur für sich, sondern für alle mitwohnenden Völker in Siebenbürgen. Jedes Volk sollte den Unterricht, die Verwaltung und die Rechtspflege in der eigenen Sprache durch Personen aus der eigenen Mitte haben und in den gesetzgebenden Körperschaften seinem Anteil an der Bevölkerung entsprechend proportional vertreten sein. Das Wahlrecht sah allgemeine, freie, direkte und gleiche Wahlen für beide Geschlechter vor. Die Siebenbürger Sachsen 1 Friedrich Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Band IV. 1867-1919. Unter dem Dualismus. Hermannstadt 1926, Kapitel XX. „Weltkrieg und Zusammenbruch. 1914-1919. 2 Friedrich Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk, Band IV, Hermannstadt 1926, 255. 3 In Übersetzung in Auszügen abgedruckt in Friedrich Teutsch: Die Siebenbürger Sachsen in Vergangenheit und Gegenwart. Hermannstadt 2. vermehrte Auflage 1924; hier zitiert nach dem reprografischen Nachruck unter dem Titel „Kleine Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ Darmstadt 1964, 288-289.

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hatten viele Jahre zusammen mit den Rumänen gegen die ungarischen Magyarisierungsbestrebungen gekämpft. Im Triumph des rumänischen Sieges erklang in den Karlsburger Beschlüssen die besonnene Stimme der Vernunft. Ein „Consiliul Dirigent“ stellte sich an die Spitze Siebenbürgens, um die Ruhe und Ordnung im Lande herzustellen. Ihm gehörten drei Persönlichkeiten an, die nicht nur unter den Rumänen Achtung genossen: Iuliu Maniu, Abgeordneter im ungarischen Reichstag, Vasile Goldiş, der vor 1918 als Politiker in der österreich-ungarischen Doppelmonarchie föderale Strukturen befürwortet hatte, und Valeriu Branişte, Gymnasialprofessor für ungarische Sprache und ein guter Kenner der berechtigten Wünsche von Minderheiten. Am gleichen Tage besetzten rumänische Truppen Kronstadt, zwei Wochen später auch Hermannstadt. Am 12. Dezember flatterten auf dem großen Ring in Hermannstadt die Flaggen Rumäniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika. Im letzten Moment räumte die Regierung in Budapest den Minderheiten in Siebenbürgen den Unterricht in der eigenen Sprache ein. Das geschah zwar, historisch gesehen, viel zu spät, setzte die Siebenbürger Sachsen jedoch trotzdem unter politischen Druck. Sie hatten mit Ungarn zusammen vier Jahre lang in der österreich-ungarischen Armee gekämpft. Sollten sie deswegen für die Ungarn und damit für eine verlorene Sache eintreten? Oder sollten sie sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen und als eigenes Volk ihre Stimme erheben? Friedrich Walbaum, der Sachsengraf (Komes) in Hermannstadt, hatte sein Amt behalten, die Stelle eines Obergespans, die er auch innehatte, war allerdings mit einem Rumänen besetzt worden. Die siebenbürgischen Rumänen suchten Schutz im größeren, siegreichen Rumänien. Sollten die Siebenbürger Sachsen sich dem Mehrheitsvolk in Siebenbürgen, den Rumänen, anschließen? Diese hatten den Anschluss an Rumänien seit 1849 herbeigesehnt, die Siebenbürger Sachsen und die siebenbürgischen Ungarn dagegen erlebten das Ende des Krieges nicht als eine Befreiung, sondern wie einen „Sturz in den Abgrund“4. Die Mediascher Anschlusserklärung Unter dem Eindruck der sich überstürzenden Ereignisse versammelte sich der Nationalrat des siebenbürgisch-sächsischen Volkes in Mediasch. Er erkannte am 8. Januar 4

K. K. Klein zitierte Friedrich Teutsch, der eine Biographie über seinen Vater geschrieben hatte: „‚Wissen wir heute noch etwas davon‘, schreibt der Darsteller der Lebensgeschichte [Georg Daniel] Teutschs, ‚wie sehr man sich in den siebziger Jahren des vorigen [neunzehnten] Jahrhunderts auf einem Vulkan fühlte und unterzugehen fürchtete? Wir haben es vergessen und träumen von jener Zeit als der guten alten Zeit!‘ Und Teutsch selbst [schrieb] im Jahre 1926, nach abermaligem Staatswechsel, einem ‚Sturz in den Abgrund‘, wie es manchem Mitlebendem schien: ‚Heute steht das sächsische Volk vor der völligen Entrechtung:‘ Die ungeheuren Verluste, die es je im Laufe der Zeiten erlitten, hätten, so schrieb er, mehr als einmal, ja auf ganze Geschlechterfolgen, den erschütternden Eindruck gemacht, daß nun das Ende des sächsischen Lebens gekommen sei. ‚Und doch ist’s immer möglich gewesen, den Kern zu retten!‘“ In: K. K. Klein: Saxonica Septemcastrensia. Marburg 1971, 338.

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1919 die „neuen Tatsachen“, die Niederlage im Krieg und die neuen Verhältnisse, in einer feierlichen Erklärung an. Unter dem Vorsitz von Adolf Schullerus, Stadtpfarrer und Bischofsvikar in Hermannstadt, erklärte sich der Nationalrat für den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien.5 Er entschied sich damit für das demokratische Mehrheitsrecht, gegen das historische Prinzip, an dem das sächsische Volk jahrhundertelang zäh festgehalten hatte. Dieser Wechsel in der politischen Grundauffassung in Verbindung mit dem Übergang Siebenbürgens an Rumänien war ein tiefes, einschneidendes Ereignis, das sich erst viele Jahre später, dann aber umso heftiger auswirkte. Die gewählten Vertreter der Sachsen erklärten im Namen des sächsischen Volkes die Bereitschaft, im neuen Staat mitzuarbeiten. Die öffentliche Erklärung war eine kühne Vernunftentscheidung. Der Sächsische Nationalrat dachte in langen Zeiträumen. Das war für die vom Ausgang des Krieges geschockte sächsische Bevölkerung nicht leicht zu verstehen. Nach dem verlorenen Krieg dominierten materielle Interessen und der Wunsch auf ein besseres Leben nach vier Jahren Krieg. Man muss sich die Kluft zwischen den Hoffnungen auf rasche Besserung einerseits und den vagen Hoffnungen auf eine langfristige Lebensperspektive im neuen Staat andererseits bewusst machen, um die erbitterten Bruderkämpfe der Rumäniendeutschen zu verstehen, die in den folgenden zwei Jahrzehnten ausbrachen und in die auch Konrad Möckel hineingeriet. Der zeitliche Druck erlaubte 1918/1919 keine lange Diskussion über die Anschlusserklärung. Die Siegermächte sahen für Siebenbürgen keine Volksabstimmung vor. Der Sächsische Nationalrat sprach mit der Mediascher Erklärung in mehreren politischen Richtungen zugleich. Den Ungarn war zu erklären, warum sich das sächsische Volk von Wien und Budapest lossagte. Die Formel „at retinendam coronam“, zum Schutze der Krone, war oft feierlich beschworen worden. Jedes sächsische Schulkind lernte sie. In Ungarn sah man in der Mediascher Erklärung einen „Verrat“, der helle Empörung auslöste. Die Sachsen konnten sich einzig und allein darauf berufen, dass die weltgeschichtlichen Tatsachen stärker waren als das kleine Volk, das seit 1876 – wie man in Ungarn wusste – um sein Überleben kämpfte. Die ethnischen Verhältnisse und der historische Wandel vom Gottesgnadentum zum demokratischen Prinzip der Mehrheitsentscheidungen hin sprachen für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien. Der Sächsische Nationalrat sprach im Namen des sächsischen Volkes, aber er sprach zugleich auch zum sächsischen Volk. Die Mediascher Erklärung erkannte für die Sachsen die Niederlage im Krieg an und erklärte ihre Bereitschaft, einen neuen Anfang in einem neuen Staat zu machen. Das sächsische Volk kam damit der faktischen Entscheidung der Siegermächte zuvor und präsentierte sich als ein Subjekt der Politik im neuen Staat. Die Vorfahren waren nicht zum Schutze der rumänischen Krone berufen worden. Aber sie allein war es, die in Zukunft einem kleinen Volk noch Schutz gewähren konnte. 5 Der Text in Ernst Wagner: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Köln, Wien 1976, S. 266-268. Adolf Schullerus war von 1918 bis 1928 Vorsitzender des Volksrates.

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Indem sich der Sächsische Nationalrat politisch zu Wort meldete, signalisierte er nicht zuletzt allen Sachsen, dass sie ein eigenes Volk waren. Daran öffentlich zu zweifeln, fiel 1919 unter den Siebenbürger Sachsen zwar niemand ein. Aber in den nächsten beiden Jahrzehnten sollte sich herausstellen, dass in der jüngeren Generation die Erinnerung an die staatstragende Funktion der Siebenbürger Sachsen für das Vaterland Siebenbürgen mehr und mehr verblasste. Man muss bezweifeln, dass in der wenige Jahre später einsetzenden Erneuerungsbewegung irgendeiner der Wortführer die kühne demokratische Programmatik der Mediascher Erklärung verstand. Die Lossagung vom ungarischen Staat, ein Traditionsbruch, so zwingend notwendig er im Jahre 1919 gewesen war, führte auf einen steinigen Weg. Die Siebenbürger Sachsen wollten als Volk in dem jungen, noch ungefestigten rumänischen Staat zusammenbleiben und sich loyal und zum Wohle aller in die Politik dieses Staates einfügen. Er war dem Verstand nach ihr Vaterland geworden und konnte erst danach das Vaterland ihrer Herzen werden. Wie, wenn der neue, von Bukarest aus regierte Staat sich nicht an seine Zusagen hielt und die Beschlüsse der rumänischen Nationalversammlung im siebenbürgischen Karlsburg (Alba Iulia) und die Zusagen des Königs aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen beiseite schob? Dann gerieten die politischen Vertreter der Siebenbürger Sachsen, die sich zum neuen Staat bekannt hatten, in eine schwierige Lage gegenüber der eigenen, sächsischen Bevölkerung. An der Nahtstelle zwischen der Volksvertretung und dem sächsischen Volk traten in den nächsten Jahrzehnten Risse und die allergrößten Schwierigkeiten auf – eine innersächsische Legitimationskrise. Die Mediascher Erklärung richtete sich auch an die Rumänen in Siebenbürgen und nahm sie beim Wort. Sie sprach gleichzeitig auch zur Regierung Großrumäniens in Bukarest. Das politisch schwache, nur moralisch starke sächsische Argument war die Erinnerung an die Beschlüsse der Rumänischen Nationalversammlung in Karlsburg aus dem Jahre 1918. Aus einer Machtposition heraus konnten die Sachsen keine Bedingungen stellen. Sie stellten dem rumänischen Volk als Antwort auf die Karlsburger Erklärung die „altererbte Tüchtigkeit“ zur Verfügung. Das machte allerdings den Beschluss des Sächsischen Nationalrates unter den Sachsen noch nicht populär. Schließlich war die Erklärung auch an die Siegermächte in Paris adressiert, welche die Friedensverträge vorbereiteten. Ihnen sagte die Erklärung, dass die Siebenbürger Sachsen – wie die Szekler – als eine kollektive, historisch-politische Größe beachtet sein wollten, nicht nur als Individuen mit demokratischen Rechten. Das mit der Erklärung verbundene Programm war eine erste politisch-sächsische Wortmeldung in Großrumänien. Der Sächsische Nationalrat ließ die Toten ihre Toten begraben und blickte nach vorn und präsentierte sich den Siegern in Paris als berechenbarer Partner auf der politischen Bühne. Die Siegermächte hatten über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen dem rumänischen Staat Siebenbürgen zugesprochen werden sollte. Sie erkannten in den Pariser Vorortverträgen die Siebenbürger Sachsen und ungarischen Szekler als politische Gemeinschaften an. Das war angesichts des westeuropäischen Verständnisses

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vom Wesen einer Nation keineswegs selbstverständlich, sondern ein großer Erfolg der sächsischen Politik. Das gilt, obgleich die Regierung Großrumäniens sich an die eigene Unterschrift unter den Minderheitenschutzvertrag vom 9. Dezember 1919, den Rumänien mit den Siegermächten abschloss, nur halbherzig hielt. Die Regierung in Bukarest erklärte sich einverstanden, „dass den Gemeinschaften (communautés) der Szekler und Sachsen in Siebenbürgen unter Kontrolle des rumänischen Staates im Religions- und Schulwesen die örtliche Autonomie gewährt wird“ und stellte diese Bestimmungen unter den Schutz des Völkerbundrates, der in Streitfragen angerufen werden konnte. Diese Autonomiebestimmung entsprach Art. 2 des Friedensvertrages mit Rumänien vom 10. September 1919 in St. Germain (Wagner 1976, 274-275). Die Siebenbürger Sachsen und auch die Szekler kämpften um die Durchsetzung ihrer im Minderheitenvertrag verbrieften Rechte in den 1920er Jahren nie mit Mitteln der Gewalt. Sie legten keine Bomben und verübten keine Attentate, so wie das andere kleinere Völker nach dem Zweiten Weltkrieg taten, etwa die Südtiroler in Italien oder die Basken in Spanien. Man kann das tadeln oder loben – Gewalt entsprach der lutherisch geprägten Tradition der Siebenbürger Sachsen nicht. Sie vertrauten auf Verträge und Gesetze. Die Mediascher Erklärung appellierte, um es zugespitzt auszudrücken, im Grunde an eine aufgeklärte, „gerechte Obrigkeit“. Auch in zeitgenössischen Publikationen findet sich kein Hinweis darauf, dass die Siebenbürger Sachsen mit anderen als mit den Mitteln des Rechts die Zusagen der Minderheitenschutzverträge einfordern wollten. Am 27. Dezember 1919 erließ König Ferdinand, der aus dem Hause HohenzollernSigmaringen stammte, ein Gesetz, mit dem er die Herrschaft über Siebenbürgen antrat. Senator Adolf Schullerus Konrad Möckel und seine junge Frau erfuhren aus Briefen und Zeitungsberichten im fernen Wien Details vom Übergang Siebenbürgens zum rumänischen Staat: Umbenennungen der Straßen, Einführung des Rumänischen als Amtssprache in öffentlichen Ämtern, neue, ungewohnte Uniformen von Militär und Polizei. Adolf Schullerus hatte auf dem Sachsentag am 6. November 1919 das Mandat eines Senators angenommen und hielt sich in dieser Eigenschaft wiederholt in Bukarest auf, wo die rumänische Nationalversammlung und die Kammer der Senatoren tagten, um die neue Verfassung zu erarbeiten. Der Sachsentag in Schäßburg bestätigte die Mediascher Erklärung einmütig. Sie war die politisch-programmatische Basis, auf der die sächsischen Abgeordneten und Senatoren agierten. Adolf Schullerus hielt in Schäßburg als zukünftiger Senator eine Programmrede. Mit „sicherer Gelegenheit“, nicht per Post, berichtete er aus Bukarest und Hermannstadt seiner Tochter und seinem Schwiegersohn in Wien und ergänzte die Berichte mit Zeitungsausschnitten. Nach den schweren Kriegsjahren sorgte er sich nicht ohne Grund. Die Großstadt musste den ersten Nachkriegswinter und eine Heizungs- und Ernährungskrise bewältigen. Es sei die Hauptsache, schrieb er, dass sie fänden, was sie für ihre Studien suchten.

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„Das ist eine Zugabe, nach der sich Viele gesehnt haben, ohne sie zu erlangen.“

Er überwies 2000 Kronen zur Anschaffung eines Mikroskops. Die Deputierten und Senatoren aus Siebenbürgen fuhren mit einem Sonderzug nach Bukarest. Die deutschen Deputierten waren gespannt darauf, ob sie die Erfüllung der ihnen gemachten Zusagen würden erreichen können. „Noch sind wir guter Hoffnung. Wie lange die Konstituante dauern wird, ist noch ungewiss. Mit ihr will ich meine politische Laufbahn abschließen und mich ganz auf mein eigenes Berufsgebiet zurückziehen. Den Anfang mache ich damit, dass ich den Vorsitz im Zentralausschuss niederlege. Es war ein sehr interessantes und inhaltsreiches Jahr, in dem ich auf diesem Gebiet mitgetan habe. Aber für die Dauer wird es meiner eigentlichen Berufsarbeit abträglich.“6

In der Knabenschule auf dem Hundsrück, der zukünftigen Wirkungsstätte Konrad Möckels, sei er, Adolf Schullerus noch nicht zu Besuch gewesen. Nach der Mitteilung des Direktors [Hermann] Horedt gehe die Arbeit ungestört weiter. Dieser sei mit der Anfertigung neuer Klassenbücher und Schulmatrikel befasst. Sie könnten sich denken, schrieb er, mit welchem Eifer! Die Lehrerschaft sei jetzt durch die Beratungen der Finanzkommission, die eine außerordentliche Notzulage beschließen solle, beruhigt. Bis zum Ende des Jahres werde es noch gehen. Frage man aber darüber hinaus, könne niemand eine Antwort geben. Die Gefahr, dass die Schulen, oder wenigstens ein Teil von ihnen aufgegeben werden müsse, rücke immer näher. Das sei für die Sachsen das furchtbare Ende des ganzen Weltkriegs. Das Glück und die reine Freude des jungen Paares seien „ein Lichtblick in diesen düsteren Tagen“. Dem Schwiegersohn schrieb er: „Davor, durch politische und andere Interessen von Deiner Arbeit abgelenkt zu werden, wird Dich Dein guter Geist wohl abhalten! Aber vieles andere treibt hier zum Dilletantismus, der unser ganzes Leben herabzieht. Da ist der glücklich zu preisen, der so gutes Rüstzeug mitzubringen in der Lage ist. Und gerade auf Deinem Arbeitsgebiete findest Du reichen Stoff und offen stehende Türen des Erfolgs.“7

Die siebenbürgischen Rumänen hatten in einem ersten Anlauf das Heft in Bukarest in die Hand bekommen. Schullerus hoffte, sie könnten die Regierung behalten. Von ihnen erwartete er nicht nur den Willen, „Ordnung in die gärende Masse zu bringen“, sondern auch Verständnis für die besonderen Aufgaben und Verhältnisse der Sachsen. Die allgemeine wirtschaftliche Depression war nur schwer und langsam zu überwinden. Es war eine Lebensfrage, ob die evangelische Kirche mit den Schulen und anderen Einrichtungen so lange werde aushalten können. Die sächsische Bürgerpartei hatte eine große Notstandszulage für die Angestellten organisiert – im Ganzen eine halbe Million. Die Kaufleute und Gewerbetreibenden hatten fast das Doppelte von dem gezeichnet, was erwartet worden war. 6

Brief von Adolf Schullerus an Dora und Konrad Möckel vom 12. November 1919. Nachlass KM. DM Hds. 7 / Briefumschlag 1. 7 Brief vom 16. Dezember 1919. Nachlass KM. DM Hds. 7 / Briefumschlag 1.

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„Es tut doch wohl, auch solch tätigen Gemeingeist noch zu finden.“8

Das Jahr 1920 begann mit einer großen Enttäuschung. „Wir hatten uns die Sache naiver Weise so gedacht“, schrieb Adolf Schullerus, dass sofort auf der ganzen Linie die neue Konstitution des Landes geschaffen werden sollte. Unter diesem Gesichtspunkt hatte er das Mandat angenommen.9 Es zeigte sich, dass das Leben an allen Ecken und Enden zunächst eingerenkt werden musste; die Bahn, die Post und damit der Warenverkehr waren ins Wanken geraten. Die Beratungen über die Verfassung dagegen rückten in weite Ferne. Dazu war der Umrechnungskurs für die Besitzer von Kronen miserabel. Das traf den siebenbürgischen Mittelstand aller Nationalitäten. Die Teuerung sei „wahnsinnig“. Das neue Großrumänien lebte gleichsam von der Hand in den Mund. Die 24 deutschen Abgeordneten und Senatoren zogen aus den Bukarester Hotels aus und mieteten und möblierten ein eigenes Haus. Das Zimmer kostete Adolf Schullerus trotzdem aufs Jahr mit Bedienung 7200 Lei, das war so viel wie sein Stadtpfarrergehalt. Abgeordnete und Senatoren lernten die neue Amtssprache. Vormittags werde bis 11 Uhr in allen Zimmern schülermäßig Rumänisch gelernt. Überall höre man laut konjugieren. Danach erledigten die Abgeordneten ihre Aufträge in den Ministerien, mit denen Hilfesuchende sie überhäuften. „Nachmittag sind die Sitzungen. Offiziell Anfang um ½ 3, in Wirklichkeit oft um 4, ½ 5 Uhr. Es ist ein unglaublicher Schlendrian.“

Doch hatte der Senat einen Lesesaal, wo man sich aufhalten konnte. Im Senat saß die zweite Garnitur, „überspielte Politiker, die nicht mehr viel Zähne haben“.10 Hinter Schullerus saßen einige alte Herren, darunter ein pensionierter General und zwei frühere Minister, die nörgelten und sich fortwährend mit dem Präsidenten in den Haaren lagen. Wenn ein Redner langsam sprach, verstand ihn Schullerus. Er selbst konnte auf Rumänisch das Wort jedoch noch nicht ergreifen. Zu Hause wartete auf den Bischofsvikar der materielle Neuaufbau der Landeskirche. Zu Weihnachten streikten die Lehrer im Hermannstädter Kirchenbezirk – allerdings nicht in Hermannstadt selbst. Schullerus hielt den Streik für unverantwortlich, weil er irreparable Folgeschäden fürchtete. Wenn die pflichtbewussten Lehrer der evangelischen Schulen streikten, muss die nackte Not unvorstellbar groß gewesen sein. Die Kirchenbehörde nahm eine Gehaltserhöhung in Aussicht und beabsichtigte, für alle Lehrerinnen und Lehrer die Höhe der staatlichen Gehaltsbezüge zu erreichen. Dazu waren jedoch rund 17 Millionen Lei pro Jahr aufzubringen. Der Staat ließ sich für 1920 mit schwerer Mühe dazu bewegen, gerade einmal insgesamt 8 bis 10 Millionen zuzusagen. Das hieß, den Kirchengemeinden insgesamt fehlten in ihren Haushalten sieben bis neun Millionen Lei.

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Ebda. Brief vom 18. Februar 1920. Nachlass KM. DM Hds. 7/Briefumschlag 1. Ebda.

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„Es sind solche Summen, dass man vom Grausen überfallen wird, wenn man daran denkt, dass einmal an einem Punkt die Zahlungsfähigkeit versagt. Dann fällt das ganze Kartenhaus zusammen.“11

Die Kirchenleitung hatte den guten Willen, bei der Revision der Kirchenverfassung die Reibungsflächen zwischen Lehrern und Geistlichen auszumerzen, trotz der niederschmetternden finanziellen Rahmenbedingungen, welche die Kirchenleitung nicht zu verantworten hatte. Schullerus war sich nicht sicher, ob eine Befriedung der unzufriedenen Lehrerinnen und Lehrer gelingen werde. Immerhin bot die Besitzergreifung Siebenbürgens durch Rumänien der Evangelischen Kirche A. B. die Gelegenheit, sich mit den evangelischen deutschsprachigen Gemeinden im Banat, in der Bukowina, in Bessarabien, in der Dobrudscha und in Altrumänien zusammenzuschließen. Schullerus knüpfte in Bukarest mit Vertretern aus allen diesen Gebieten Verbindungen an. Gymnasialprofessor und Mitarbeiter am Geologischen Institut in Bukarest Im März 1920 machte sich Konrad Möckel auf die beschwerliche Reise von Wien nach Hermannstadt, um die Mutter zu besuchen und um seine Staatsbürgerschaft zu regeln. Vierzehn Mal musste er umsteigen und zweimal übernachten, bis er in Hermannstadt ankam. Es sei unvernünftig gewesen, nach Hermannstadt zu fahren, schrieb er seiner in Wien zurückgebliebenen Frau. Er war als ungarischer Staatsbürger nach Wien gefahren – damals noch in die Hauptstadt der Monarchie. Zukünftig brauchte er dazu eine Reiseerlaubnis aus Bukarest. Er hoffte ein Passvisum zu erhalten,12 was schließlich auch gelang. Zwar war er nach dem Aufenthalt in Wien für eine wissenschaftliche Laufbahn gut gerüstet, aber er war verheiratet und das erste Kind unterwegs, so dass er sich entschloss, im Frühjahr 1920 eine Stelle im Schuldienst an der Knabenschule auf dem Hundsrück in Hermannstadt anzunehmen. Die Schule vereinigte Gymnasialund Realschulzüge, die im Gebäude des Brukenthal-Gymnasiums nicht untergebracht werden konnten. Das Unterrichten lag ihm, und er versuchte neben dem Lehrerberuf die wissenschaftlich-geologischen Feldforschungen fortzuführen, die er mit seiner Dissertation begonnen hatte. In den Sommerferien der Jahre 1921 und 1922 untersuchte er in der „Poiana Rusca“ die kristallinen Schiefer als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ des „Institutul Geologic al României“. Er erhielt ein Tagegeld, Ersatz der Fahrtkosten und hatte über seine Untersuchungen wöchentlich zu berichten. Das Ergebnis dieser Untersuchungen fasste er in einem Abschlussbericht zusammen. Ein Assistent des Geologischen Instituts in Bukarest, Dr. Daniel Rotman, las ihn in einer Sitzung des Instituts am 23. Februar 1923 vor.13 Ein auf ein breiteres Leserpublikum abgestimmter Aufsatz erschien 1925 11

Ebda. Brief vom 16. März 1920. Nachlass KM. DM Hds. 8. 13 Konrad Möckel [irrtümlich „R. Mökel“]: Comunicare preliminară asupra studiilor petrografice din Poiana Ruscă (Prezentată de Dl. D. Rotman). Extras din „Dări de seamă ale şedinţelor 12

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im Jahrbuch des Siebenbürgischen Karpatenvereins. Dort referierte er nicht nur die Ergebnisse der geologischen Forschungen, sondern beschrieb auch die Naturschönheiten und informierte über Unterkunftsmöglichkeiten für Touristen. 14 Eine unerfreuliche Folge der zweiten Sommerexkursionen war eine schwere Darminfektion. Dora Möckel, aufs höchste alarmiert, reiste in das rumänische Erzgebirge und pflegte ihren Mann dort drei Wochen lang, ehe sie ihn per Bahn und mit einem Personenkraftwagen nach Hermannstadt zurückbrachte. Die beiden Arbeitsgebiete, Schule und Wissenschaft, ließen sich doch nicht so einfach vereinbaren. Es rächte sich der Verzicht auf eine Erholung in den Schulferien. Hatte der inzwischen verstorbene Onkel Carl Horn nicht zum Gleichgewicht von Einatmen und Ausatmen geraten? Auch als einige Jahre später Konrad Möckel die Pfarrstelle in Großpold mit der leisen Hoffnung antrat, vielleicht hier mit dem Hauptberuf eines Dorfpfarrers nebenberuflich die Geologie zu betreiben, musste er nach kurzer Zeit seine naturwissenschaftlichen Träume begraben. Die beiden Versuche zeigen jedoch, dass Konrad Möckel nach seiner Rückkehr aus Wien eine wissenschaftliche Laufbahn ernsthaft erwog. Erst nach einigen Jahren, spätestens in Großpold, erwies es sich, dass bei einer ernsten Hingabe an den Beruf die Mitarbeit am Geologischen Institut in Bukarest nicht zu bewältigen war. Den Ausschlag dafür, dass er sich letztlich für die Schule entschied, gab die Freude am Unterrichten. Während er mit Begeisterung an der Gesteinskunde festhalten wollte, wuchs seine Freude an der Schularbeit zusehends. Der „Eros des Lehrers“ war in ihm erwacht. Konrad Möckel vereinigte bald den ganzen Chemieunterricht der Gymnasial- und Realschule in seiner Hand. Das große, einheitliche Arbeitsfeld befriedigte ihn und machte ihn glücklich. Aber er erwartete gleichwohl längst nicht mehr, wie er später in seinen Erinnerungen (1953/1954) schrieb, das Heil von der naturwissenschaftlichen Bildung. Erholung in Großschenk Konrad Möckel war ein fleißiger Arbeiter. Wenn er sich im Tagebuch aus der Kriegszeit Vorwürfe machte, seine Zeit zu verträumen und zu vergeuden, so stimmte das für spätere Jahre überhaupt nicht. Er stand um sechs Uhr auf, hielt den Tageslauf diszipliniert ein und bereitete sich als Lehrer und als Pfarrer auf den Unterricht, auf die Predigten, Bibelstunden, Vorträge, Jugendstunden, Sitzungen und Empfänge sorgfältig vor. Er liebte es, randvoll mit Arbeit eingedeckt zu sein und trotzdem neue Aufgaben zu übernehmen. Seine Begeisterungsfähigkeit für neue Impulse hielt bis in das hohe Alter an. Er bezahlte die Intensität, mit der er lebte, allerdings mit immer wiederkehrenden

Institutului Geologie“. Vol. XI. Şedinţa dela 23 Februarie 1923). Sonderdruck in Nachlass KM. DM Hds. 7. 14 Die Poiana Rusca. In: Jahrbuch des Siebenbürgischen Karpatenvereins 38 (1925), 2-6. Sonderdruck in Nachlass KM. DM Hds. 7.

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Erkältungen und mit Erschöpfungszuständen, die ihn dann zum Einhalten zwangen. Lange Jahre litt er an lästigen Rötungen und kleinen Ausschlägen im Gesicht. Im Januar 1923 hatte Konrad Möckel einen Leberanfall. Die gefährliche Darminfektion aus dem Sommer 1922, als seine Frau ihn aus dem Gebirge abholen und nach Hermannstadt bringen musste, lag noch nicht lange zurück. Er musste monatelang pausieren, so dass er zeitweilig zweifelte, ob er überhaupt noch einmal in den Schuldienst werde zurückkehren können. Aus seiner Krankheitszeit waren ihm „wohl bange Todesahnung und Furcht vor der Zukunft erinnerlich, aber auch nicht mehr“.15 Um sich nach der überstandenen Attacke zu erholen, zog er sich im Februar 1923 für längere Zeit nach Großschenk (Cincu) zurück und mietete dort ein bescheidenes Zimmer. Auf dem Kukuruzboden16 über seinem Zimmer „juchheiten die Mäuse“ und erlaubten sich dasselbe auch in seinem Zimmer. Die Tante seiner Frau, Frieda geb. Schullerus, war mit dem Rektor der Großschenker Schule, Gustav Barthmes verheiratet. Sie kochte für ihn und andere Kostgänger. Konrad Möckel machte im Vorfrühling lange Spaziergänge und nahm vorsichtig am Leben in der Gemeinde teil. Seiner Frau, die inzwischen in der Friedenfelsstraße in Hermannstadt wohnte, schrieb er: „Die Gebirge leuchten in prachtvollem Weiss, und auf dem Markt gehen die sonntäglichen Menschen herum. Ich höre ihre Gespräche durchs offene Fenster, durch das noch die Sonne scheint. Sonntag auf der Gasse ist nur in der Stadt ein widerlicher Anblick. Hier ist es fröhlich und wohltuend.“

Die Wiedergenesung machte ohne ärztliche Begleitung Fortschritte, auch wenn er in der ersten Zeit noch klagte, dass die Leber sich melde. Er griff allerdings lediglich zu einem Hausmittel und las im Übrigen begeistert die beiden unzeitgemäßen Betrachtungen von Friedrich Nietzsche, von denen er wünschte, seine Frau könne sie ebenfalls lesen. Noch stärker wirkte auf ihn der Philosoph Leopold Ziegler (1881-1958), dessen zweibändiges Werk „Gestaltwandel der Götter“ er exzerpierte und überschwänglich lobte. Die Lektüre schien ihm wie eine Fortsetzung der Klausenburger Gespräche während seiner Assistentenzeit. Ziegler war ein ausgezeichneter Kenner der Philosophiegeschichte vom Altertum bis zur Neuzeit. Er weitete den Begriff der Religion aus und fasste sie als eine Kraft, deren Auswirkungen in der Geschichte, in der Kunst, in der Philosophie, selbst in der Technik nachgezeichnet werden konnte, sofern man einen Blick für den „Gestaltwandel“ hatte. Sein Untersuchungsmaterial war nicht nur die im Ausgang des Mittelalters einsetzende Säkularisation. Er zeichnete welthistorische Vorgänge nach, ohne jedoch – wie Oswald Spengler in seinem vielgenannten Buch Der Untergang des Abendlandes – die Geschichte willkürlich in Teilstücke zu zerhacken. Ziegler verehrte Goethe und bezog diese Kenntnisse in seine Betrachtungen über die Religionen des Fernen Ostens mit ein. Den über 900 Seiten stellte Ziegler ein „Bekenntnis: Opfer und Wiedergeburt!“ voran und eine „Zueignung: Dem deutschen Schicksal!“ Das alles 15 16

Erinnerungen 1953/54, V. Dachboden, der als Speicher zum Maistrocknen dient (Kukuruz = Mais).

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kam den Vorstellungen des damals 30-jährigen Gymnasiallehrers entgegen, der seiner Frau begeistert schrieb: „Was ich gefühlt, wonach auch ich gerungen, hier finde ich es ausgesprochen. Meinen Christus haut dieser Starke aus dem Gestrüpp theologischen Unsinns heraus. Die heillose Verwirrung, unter der all die Jahrhunderte hindurch der deutsche Glaube gelitten, beginnt sich doch zu klären. Wir haben nichts zu schaffen mit dem Mittlergott, dessen einmaliger, historischer Tod die Menschheit aus ihrer Not erlösen sollte! Wohl aber brauchen wir mehr als je das Beispiel eines wahrhaft göttlichen Lebens. Das ist wohl ein έυανγελιον, dass ich weiß, ich bin ein Bruder dessen, der mehr als jeder andere sagen durfte, dass er Gottes Kind sei!“17

Man darf in die Wendung „deutscher Glaube“ nicht hineindeuten, was wenige Jahre später „Deutsche Christen“ darunter verstanden. Sie beleuchtet das Lebensgefühl des damals dreißigjährigen Gymnasiallehrers, der zwei Jahre später zum Pfarrer der Gemeinde Großpold gewählt werden sollte und sich erst danach systematisch in die Bibel und in das Neue Testament einarbeitete. Er hatte für sich selbst eine Lösung gesucht und gefunden, um dreierlei zu verbinden, was nicht leicht miteinander auszusöhnen war: die Liebe zur Naturwissenschaft, das siebenbürgisch-sächsische Lebensgefühl der Bedrohung und die Frage nach dem Sinn des Lebens. 1926 hielt er einen Vortrag Wissenschaft und Religion vor Pfarrkollegen im Unterwald, den er als Aufsatz in den Kirchlichen Blättern veröffentlichte. Herangereift waren seine Gedanken während der Jahre im Schuldienst in Hermannstadt.18 Er ging in drei Schritten vor. Zunächst stellte er den Abstraktionsprozess der Naturwissenschaften an Beispielen dar und nannte den Preis, den die Umwandlung der Wirklichkeit in wissenschaftliche Erkenntnis und die Auswahl mathematisch möglichst exakt zu fassender Merkmale kostet. Wer eine Pflanze nach einem Bestimmungsbuch kennt, sie aber noch nie gesehen hat, weiß nur einen Bruchteil von dem, was die Pflanze wirklich ist. In einem zweiten Schritt bestimmt er das „so häufig verkannte Hauptziel der Wissenschaft“ (7), nämlich Macht und Herrschaft. Auch wissenschaftlich oder politisch begründete Herrschaft kann an der Wirklichkeit vorbei ausgeübt werden. Dagegen stellte er in einem dritten Schritt „das Urphänomen alles Seelenlebens“, „das Erlebnis der Welt in ihren vielen Erscheinungen“ dar (10) und fragte nach dem „eigentümlichen Erlebnisinhalt, den die Religion bietet“ (11). Seine Antwort: „Alle Religion hat es zu tun mit dem Verhältnis des Menschen zu dem Ursprung, dem er entstammt und zu dem er zurückkehrt“ (11). Er erläuterte diese Aussage zunächst mit Rudolf Otto, der vom „ganz Anderen“ und vom „Numinosen“ gesprochen hatte (Otto 1917). Den Begriff „irrational“ gebrauchte er mit Otto in einem positiven Sinn. Der Aufsatz spiegelte eigene Erfahrungen und Gespräche mit Freunden, Kollegen und Schülern, nicht zuletzt die mit Dora Schullerus – die Klausenburger Gespräche. Er 17

Brief vom 6. März 1923. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. Unterstreichungen kursiv. Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf den Sonderdruck, Hermannstadt 1926, nicht auf Kirchliche Blätter 18 (1926), 2-3, 13-15, 21-24, in denen der Vortragstext zuerst erschien. 18

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grenzte Religion nicht nur gegen den Zugriff durch die notwendigerweise abstrahierend verfahrende Wissenschaft, sondern auch gegen die „Strenggläubigen“ ab, „denen die Religion das Wunderbare verkörpert“ und die Lohn und Strafe handgreiflich verstehen (14). Im Widerstreit zwischen seinem eigenen, starken Erleben und der wissenschaftlichen Bildung, der er sich im Studium unterworfen hatte, fand er einen Weg ins Offene. „Denn der Mensch ist ewig auf der Suche nach der Wahrheit. Wahrheit aber liegt nur in der Totalität, in der Gesamterfassung alles menschlich Erfaßbaren. Gerade die ist aber das Ziel aller Religion. – Die Wissenschaft gibt Weltbeherrschung, gibt Macht“ (18).

In den Erinnerungen (1953/54) heißt es von den Kollegen, die wissenschaftliche Erkenntnisse vorschnell gegen die Religion ausspielten: „Sinnvoll und vernünftig war es, an Gott zu glauben. Es widersprach nicht im Geringsten der Bildung und Wissenschaft. Charakterschwäche war es, in der geistigen Auflehnung gegen all diese sinnvolle Ordnung zu stehen.“19

Er nahm philosophische und theologische Fragen ernst, ernster wohl als manch andere Kollegen, weil er die beunruhigenden Widersprüche, die er in sich selbst vorfand, zu überwinden suchte. Umso überraschender ist, wenn man dann in einem Brief aus der Zeit in Großschenk auf ein typisches, zeitgenössisches Klischee stößt. Nach einem Abend über Rabindranath Tagore empörte er sich über die Oberflächlichkeit eines Zeitungsberichts: „Wenn man weiß, wer Tagore ist, so ruckt es einen, so etwas zu lesen. Als ob man solch einen gottbegnadeten, religiösen Titanen im schnoddrigen Feuilletonjargon wie Schnitzler, Wedekind und andere jüdische Literaturgecken behandeln dürfte! Das Religiöse an Tagore hat unser eleganter Zeitungsliterat nicht einmal zu erwähnen der Mühe wert gefunden!“

Frank Wedekind (1864-1918) war kein Jude. Er und Arthur Schnitzler (1862-1931) prangerten die Doppelmoral ihrer Zeit an. Ihre Theaterstücke trugen ihnen Anzeigen und gerichtliche Strafen ein und galten als Anzeichen des Verfalls, obgleich sie den Verfall lediglich feststellten und anprangerten. Die gesellschaftskritische Stimmung der Tagebücher Konrad Möckels war von der Intention der beiden als jüdische Literaturgecken geschmähten Autoren gar nicht einmal so weit entfernt. Ob Konrad Möckel selbst Aufführungen von Theaterstücken Schnitzlers oder Wedekinds gesehen oder ihre Werke gelesen hat, lässt sich nicht feststellen. Konrad Möckel konnte sich nach 1933, als die Erneuerungsbewegung in Rumänien sich immer mehr zu radikalisieren begann, aus dem weltanschaulichen Gemenge, besonders von der Vorstellung eines „deutschen Glaubens“ befreien. In Großschenk traf er die ersten Vorbereitungen für die Bienenzucht, die er wenige Jahre später mit großer Freude in Großpold betreiben sollte. Er besuchte im 18 Kilometer entfernten Mergeln (Merghindeal) Rektor Höchsmann, einen Fachmann auf 19

Erinnerungen 1953/54, III.

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dem Gebiet der Imkerei. Der Großschenker Pfarrer Fritz Brantsch nahm ihn mit dem Wagen dorthin mit. Er sah den noch leer stehenden Pavillon, „ein Prachtbau nach den modernsten Imkerregeln gebaut, der 60 Völker beherbergen kann“.20 Er las Fachbücher und -zeitschriften über die Bienenzucht und bat seine Frau, Erkundigungen zur Bienenzucht einzuziehen. Sprachprüfung für Lehrer Die Genesung machte unerwartet gute Fortschritte. „Die Lebergeschichte wird immer besser.“ Nach Ostern konnte er doch schon mit dem Schulunterricht beginnen, und im August schrieb er aus Russberg (Rusca montană), wo er die Untersuchungen des Vorjahres für das Geologische Institut in Bukarest fortsetzte. Die Schularbeit machte ihm nach wie vor Freude. Allerdings galt es für alle Lehrer an den deutschsprachigen Schulen der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien und für die Lehrer an Schulen mit ungarischer Unterrichtssprache eine Hürde zu überwinden. Das Unterrichtsministerium forderte von sämtlichen Lehrerinnen und Lehrern den Nachweis ihrer Kenntnis der Staatssprache Rumänisch. Die Forderung war durchaus verständlich, es kam jedoch auch auf die Umstände und auf die Fristen an. Die meisten deutschen und ungarischen Lehrkräfte hatten ihre Ausbildung vor 1918 erhalten und an ungarischen oder an Universitäten in Westeuropa studiert und ihre Prüfungen auf Deutsch oder Ungarisch oder in beiden Sprachen abgelegt. An den Schulen der evangelischen Landeskirche unterrichteten viele Volks- und Mittelschullehrer seit Jahrzehnten, die Rumänisch nie benützt hatten und es im Fachunterricht auch in Zukunft nicht brauchten. Die Bereitwilligkeit, die neue Staatssprache zu lernen, war schon aus Gründen der Lebenspraxis durchaus vorhanden. In Siebenbürgen war im Geschäftsleben Rumänisch je nach der Region auch in Orten mit deutscher oder ungarischer Bevölkerung schon seit Jahrzehnten auch unter ungarischer Herrschaft nichts Unerhörtes. Wenn Geschäftsleute ihre Kunden oder Geschäftspartner in deren Sprache anreden konnten, brachte das Vorteile. Sächsische Gymnasien hatten schon im 19. Jahrhundert aus diesem Grunde ihren Schülern neben den alten und neuen Sprachen Kurse in der rumänischen Sprache angeboten. Konrad Möckel kaufte sich in Großschenk auf dem Jahrmarkt das Buch „Tradiţiuni poporale române“ und freute sich darüber, dass er auf Anhieb den Zusammenhang verstand.21 Aber nun machte das Kultusministerium die Anstellung der Lehrer an den Schulen von einer Sprachprüfung vor einer staatlichen Kommission abhängig und setzte dafür unterschiedslos für alle Fachgebiete und alle Schulen eine unrealistisch kurze Frist. Als Dora Möckel mit dem dreijährigen Christian im August 1924 auf dem Pfarrhof in Schaas (Şaeş) Ferien machte, blieb Konrad Möckel in Hermannstadt und lernte Rumänisch. Er war froh, dass der „unselige Prüfungstermin“ näher rückte. Er hatte 20

Brief vom 15. März 1923. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. „Volkstümliche rumänische Traditionen“. Brief vom 6. März 1923. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. 21

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das Gefühl, in einem Eisenbahnwarteraum III. Klasse zu sitzen und sich nach reiner, kühler Luft zu sehnen. Es laste auf ihm kein Prüfungsdruck. Aber er fühle, wie „diese unwürdige Beschäftigung“ seine geistigen Fähigkeiten unterbände. Hunderte von Lehrerinnen und Lehrern lernten unter Zeitdruck wie Schulkinder aus Exzerpten statt im Original dutzendweise rumänische Dichter kennen. Das Unterrichtsministerium erschwerte dadurch vielen Lehrerinnen und Lehrern, die doch auf die nächste Generation einwirken und sie für die rumänische Literatur begeistern sollten, den Zugang zur rumänischer Sprache, statt ihnen deren Poesie und Zauber zu erschließen. Dazu bedrückte ihn eine im Brief nicht näher charakterisierte „abscheuliche politischen Atmosphäre“. Sie könnte mit der Agrarreform und den Enteignungen zusammenhängen, welche die Nationsuniversität und damit die sächsische Bevölkerung schwer getroffen hatten und eine unbefangene Einstellung zum – sowieso schon skeptisch erwarteten – Neuanfang im rumänischen Staat zusätzlich erschwerte.22 Er habe, schrieb er, seine politischen Ansichten nicht geändert. Eher sei es so, dass er „damit“ nichts zu tun haben wolle. Er fühle sich förmlich vergiftet durch die letzten Monate und sehne sich nach Rudolf Otto, nach Rabindranath Tagore, nach Friedrich Nietzsche, den Upanishaden, nach reiner freier Wissenschaft, nach klarem, unbeschmutztem Denken! Es fehlte ihm die Sommerarbeit im Gebirge mit ihrem heimlichen Zauber, und er hoffte, im kommenden Jahr wenigstens wieder im Museum und am Mikroskop arbeiten zu können. „Gott weiss, dass mir jeder Ehrgeiz ferne liegt, aber etwas schaffen, wuchern mit meinem Pfund, möchte ich denn doch auch.“23

Den Tag beherrschte die „istoria literaturii“. Der Prüfungsdruck verleidete ihm die rumänische Literatur. Er hatte das Gefühl, getan zu haben, was in der kurzen Zeit getan werden konnte, wusste jedoch, wie wenig das war. Er habe, schrieb er, für heute genug „von Kogălniceanu, Negruzzi u. Consorten und will mich in angenehmere Gesellschaft begeben!“ Das Amtsblatt fordere, dass ein jeglicher sich unter Androhung des Amtsverlustes auch aus Geschichte, Geographie und Bürgerkunde prüfen lassen müsse. „Es kommt also genau so, wie wir es alle vorausgesagt haben. Vater, mit dem ich erst spät am Abend reden konnte, meinte ganz gelassen, wir würden erklären, das ginge uns gar nichts an, denn man habe uns anders informiert. Na, es wird sich ja historisch entwickeln!“24 22 Dazu kurz und knapp Ernst Wagner: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Köln, Wien 1976, S. 259-260, in der Einleitung zum VI. Abschnitt „Siebenbürgen als Teil Rumäniens (1918-1944). Ferner Harald Roth: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933. Köln, Wien 1994, S. 84-90; Konrad Gündisch: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. München 1998, S. 180-185. Der pensionierte Onkel Fritz Wolf verlor den Grundbesitz, den er sich im Laufe seines Lebens erworben hatte. Er nahm sich 1933 das Leben. 23 Brief vom 4. August 1924. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. 24 Brief vom 6. August 1924. Nachlass KM. DM Hds. 8/3.

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Ein Vortrag in deutscher Sprache des rumänischen Historikers Nicolae Iorga auf einem Hochschultag nötigte ihm Bewunderung ab. Gerüchte gingen um. Niemand wusste genau, wann die Prüfungen stattfinden und welche die Anforderungen sein sollten. Einigen magyarischen Gymnasialprofessoren habe man schriftliche Fragen aus ihren Fachgebieten gegeben. „Wenn uns das auch passiert, dann ‚Adje Pepi‘!“25 Auch sonst sei man „nicht sehr lieb“ zu ihnen gewesen. Die Prüfung ging dann doch nach dem Motto vorbei: „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“26 Naturwissenschaftler und Religionslehrer In den Erinnerungen stellt Konrad Möckel seinen Weg in das Pfarramt in Großpold als einen Prozess geistiger Reifung dar. Sein freiwilliger Entschluss, in den oberen Klassen des Gymnasiums Religionsunterricht zu erteilen, war eine der Stationen. Im evangelischen Glauben hatte er die Kraft erkannt, die das Leben der Siebenbürger Sachsen gestaltete und erhielt. Es war ihm nicht zweifelhaft, dass die Kraft der Kirche nicht nur aus ihrer äußeren Organisation bestand, sondern dass sie vom Glauben und von der Dienstwilligkeit lebendiger Menschen lebte. Es leuchtete ihm unmittelbar ein, dass er und andere, insofern sie die Früchte dieser Kraft in ihrem Leben genossen und die Tradition der Kirche in Anspruch nahmen, auch für ihren Fortbestand und ihre Erhaltung etwas tun mussten. Dieses Bewusstsein vermisste er bei Kollegen, in deren Denken standespolitische Fragen, wie er meinte, einen zu hohen Stellenwert einnahmen: „Das tat mir weh, nicht weil ich der Schwiegersohn des Stadtpfarrers war, sondern weil meine tiefste und reinste Menschenliebe und auch gerade meine Solidarität mit meinen Kollegen mich ganz andere Dinge lehrte. Ich litt darunter, wie rein innerweltlich, wie bar jeder Glaubensbeziehung das Leben eines sehr großen Teiles der Lehrerschaft, vor allem aber der selbstbewußten Mittelschullehrer war, die doch recht eigentlich dazu berufen gewesen wären, der ‚geistige Generalstab‘ unseres Volkslebens zu sein.“27

Alle Mittelschullehrer der siebenbürgisch-sächsischen Schulen waren berechtigt, Religionsunterricht zu geben; denn alle hatten auch evangelische Theologie studieren müssen – im Nebenfach und wenigstens formal. Der Religionsunterricht war bei den Mittelschulprofessoren unbeliebt. Konrad Möckel meldete sich eines Tages beim Leiter der Realschule und übernahm freiwillig die Religionsstunden in drei Klassen, dazu in der letzten des Gymnasiums. Er musste sich zwar auch erst einarbeiten; denn was er sich an philosophischer und theologischer Bildung angeeignet hatte, konnte er nicht direkt in Unterrichtsstunden ummünzen. Aber ihn befriedigte die Parallele von Chemie, wo er es „so schön stinken, knallen und leuchten machen konnte“, und Religion, wo es um die „Gotteswunder der Bibel und der Kirchengeschichte“ ging. Er 25 „Adieu Pepi – grüß die Lotti!“, eine Redensart, um sarkastisch auszudrücken, dass eine Sache verloren ist. 26 Brief vom 24. August 1924. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. 27 Erinnerungen 1953/54, IV.

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nützte die Freiheit, die der Lehrplan bot, und redete vor den Schülern von dem, was sein Herz erfüllte, „und das waren die Gestalten der Religionsgeschichte“. Er traf damit die Herzen der Schüler, die ihm nach dem ersten Schuljahr ein Ständchen brachten, was damals nicht zu den Gepflogenheiten der Schüler gehörte. Eine andere Station auf dem Weg zum Pfarrberuf war eine Schrift von Oskar Wittstock Vom Amt und Beruf des ev.-deutschen Pfarrers in Siebenbürgen.28 Als Wittstock 1924 auf dem Pfarrertag in Heltau einen Vortrag ankündigte, ließ sich Konrad Möckel die Gelegenheit nicht entgehen, ihn zu hören. Als er seine Schrift gelesen habe, sei er ihm „noch interessanter geworden“.29 Nach dem Vortrag schrieb er seiner Frau, „wir“ müssten „über Wittstocks Ideen übrigens einmal gründlich sprechen. Er ist trotz dem vielen Unpraktischen, vielleicht Verstiegenen in seinem Wesen, doch unsere geistigste Persönlichkeit, die wohl am meisten aufwärts und Zukunft-wärts blickt, im Sinne Nietzsches: an meinen Kindern will ich’s gut machen, dass ich meiner Väter Kind bin!“30

Oskar Wittstock (1865-1931), Pfarrer und Schriftsteller, untersuchte in seinem Vortrag die hervorgehobene und gerade dadurch gefährdete Stellung des evangelischen Pfarrers zur – hauptsächlich dörflichen – Gemeinde, zur Politik, zum Staat und zur Schule, um die Kernaufgaben und die neuen Aufgaben des Pfarramtes zu bestimmen. Er fragte scharfsichtig: „Wie kann die Kirche volksmäßig sein, ohne sich im Völkischen aufzulösen?“ (Wittstock 1923, S. 3); denn er sah Beispiele, dass „das Religiöse vom Nationalistischen aufgesogen war“ (S. 17). Der Sachse sei ja „leider fast völlig unsozial“. Armut und Mittellosigkeit seien ihm „kein Problem, sondern eine Schande. Daher war[en] auch der Pfarrer und seine Arbeit meist unsozial gerichtet, aber das Soziale ist auch ein evangelisches Problem, es läßt sich ihm nicht aus dem Wege gehen. Die sozialen Fragen galten der sächsischen Orthodoxie bis vor kurzem auch schon in der Erörterung, geschweige an und für sich, als volkszersetzend und lösend“ (Wittstock 1923, 13).

Wahl zum Pfarrer in Großpold Im Jahre 1925 suchte das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde Großpold (Apoldu de Sus) einen neuen Pfarrer. Großpold, etwa 30 Kilometer von Hermannstadt entfernt und eine große Weinbaugemeinde im Unterwald (Abb. 8), hatte nach der Volkszählung im Jahre 1930 insgesamt 2 579 Einwohner, unter ihnen 1643 evangeli-

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Oskar Wittstock [der Ältere (1865-1931)]: Vom Amt und Beruf des ev.-deutschen Pfarrers in Siebenbürgen. Hermannstadt 1923, Kirchliche Blätter 15 (1923), S. 431-435, 444-448, 454-456, 464-466, 469-470. Hier zitiert nach dem Separatdruck, der 38 Seiten umfasst. 29 Brief vom 10. August 1924. Nachlass KM. DM Hds. 8/3. 30 Brief vom 22. August 1924. Nachlass KM. DM Hds. 8/3.

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sche Deutsche, 921 Rumänen, 7 Magyaren, 7 Zigeuner und 1 Juden.31 Die Deutschen waren entweder Sachsen oder Landler und bekannten sich in der Volkszählung zum evangelischen Glauben. Die Erinnerung an Pfarrer Michael Möckel, den Großvater Konrad Möckels, dessen Grab auf dem Friedhof in Großpold liegt, war noch nicht verblasst. Eine Abordnung fragte beim Enkel an, ob er für die Pfarrstelle kandidieren wolle. Konrad Möckel war überrascht. Er kam gerade von einem Skiurlaub nach Hause, als ihm die Schwägerin mitteilte, die Pfarrstelle in Großpold sei frei und man habe an ihn als Nachfolger gedacht. Er war „peinlich berührt“, wenngleich der Eintritt eines Gymnasiallehrers in ein Pfarramt innerhalb der Evangelischen Landeskirche nicht nur häufig vorkam, sondern fast die Regel war. Das Presbyterium hatte sich in Vorgesprächen auf Konrad Möckel geeinigt. Er war der einzige Kandidat und sagte zu. Dann kamen ihm Bedenken, ob er der Aufgabe gewachsen sein werde. Er war 32 Jahre alt, hatte Biologie, Chemie und Gesteinskunde studiert. Mit Theologie und Philosophie dagegen hatte er sich nicht eigentlich professionell befasst, sondern nur um seinen Horizont zu weiten und Atem zu finden. Dieser existentielle Zugang zu Fragen des Glaubens hatte zwar Vorteile, bot aber keine formale Beglaubigung wie ein Studiums mit bestandenem Examen, das – zu Recht oder Unrecht – berufliche Sicherheit gab. Die Großpolder hatten keine Gelegenheit, einen Gottesdienst des in Aussicht genommenen Kandidaten gastweise zu besuchen, um eine Predigt zu hören; denn der Kandidat war Mittelschullehrer, kein amtierender Pfarrer. Konrad Möckel überlegte, ob er nicht von sich aus eine Probepredigt oder einen Vortrag anbieten solle, um den Großpoldern entgegenzukommen. Der Schwiegervater riet ab. Es gäbe immer Anlass zu „obligaten Verfeindungen in den Gemeinden“. Aber auch sonst riet er dem Schwiegersohn ab. Er habe sich trotz seiner Jugend „in der Schule doch eine solche Stellung geschaffen, daß auch die Großpolder ruhig kommen können, Dich zu suchen“.32 Großpold war eine angesehene Gemeinde im Kirchenkapitel des Unterwaldes. Die Berufung des jungen Gymnasialprofessors war ehrenvoll, jedoch auch mit hohen Erwartungen der Gemeinde verbunden. Sie hoffte, der Enkel werde dem bewährten Großvater nicht unähnlich sein. Die Selbstzweifel verdichteten sich, und er entschloss sich, seine Kandidatur zurückzuziehen und lieber die Konventionalstrafe zu zahlen, die in solchen Fällen fällig war, als das Abenteuer eines Berufwechsels einzugehen. Sein Schwiegervater, der ihn auch in dieser Frage beriet, brachte ihn vom Rückzug ab. „Ich war und blieb zwiespältig. Ich wollte und wollte auch nicht. Und als der Große schöne Tag kam, als die Großpolder mit dem Wahlbrief erschienen, als meine Mutter in der schwarz-seidenen Bluse selber, vor Glück strahlend die Gratulanten im Hause empfing, als mein Schwiegervater und auch Bischof Teutsch sich einstellten, um zu 31

Ernst Wagner: Historisch-statistisches Ortsnamenbuch für Siebenbürgen. Studia Transylvanica. Köln 1977, S. 366-367. 32 Brief vom 13.02.1925. Nachlass DM Hds. 8

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dieser für einen jungen Professor besonders ehrenvollen und bedeutsamen Wahl zu gratulieren – da war es Lenchen Schuller, die das große Wort sprach: ‚Konrad, ta sekst ous wä en Brokt, dä em ken ären Wällen frängdert‘!“33

Der Schritt ins Pfarramt von Großpold bedeutete auch eine Umstellung für die Familie. Der zweite Sohn Gerhard Günter war erst wenige Wochen alt. Konrad Möckel zog im Frühjahr mit seiner Mutter und dem vierjährigen Christian in das große Pfarrhaus ein. Die Wirtschaft führte Agnetha Stefani, eine Kriegerwitwe, die ihren Mann im Ersten Weltkrieg verloren hatte. Für die Kinder war sie die Nikeman.34 Es begann eine außerordentliche, fruchtbare Phase im Leben Konrad Möckels. Als Großpolder Pfarrer wurde er über Hermannstadt hinaus bekannt. In Großpold begann er, in die öffentliche Diskussion gesellschaftlicher Fragen einzugreifen. Ein erster Schritt war der Vortrag Wissenschaft und Religion vor Pfarrkollegen aus dem Unterwald.

33 Konrad, du siehst aus wie eine Braut, die man gegen ihren Willen verheiratet. Erinnerungen 1953/54, V. 34 Muhme Agnetha (Man, gesprochen mit einem langem ah = Muhme; Nik = Abkürzung für Agnetha), Titel einer verheirateten, verwandten oder gut bekannten Frau.

Kapitel 3

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Der Anfang in Großpold Am 26. April 1925 stellte sich Konrad Möckel der Gemeinde Großpold mit einer Eingrußpredigt vor. Es war seine zweite Predigt. Die erste hatte er anlässlich der theologischen Prüfung für Gymnasialprofessoren im Jahre 1919 in der Stadtpfarrkirche zu Hermannstadt gehalten. Sechs Jahre später in Großpold thematisierte er im Bewusstsein der besonderen Situation den Neuanfang und die Tradition, die Größe des ihm übertragenen Auftrags und seine Jugend, seine Unsicherheit und die Zuversicht, die aus dem Predigttext sprach: „Nicht, dass wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken als von uns selber, sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, welcher auch uns tüchtig gemacht hat, das Amt zu führen des Neuen Testaments, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“ (2. Kor. 3,5-6).

Er nahm die Wahl der Gemeinde als eine höhere Berufung dafür an, „die alte und doch ewig neue Lehre von Gottes Versöhnungsbunde mit den Menschen zu verkünden“. Die Gemeinde Großpold hatte die Häuser mit Girlanden und Fahnen geschmückt und die neue Pfarrfamilie mit großem Vertrauen empfangen. Er dankte für die herzliche Offenheit, die nicht nur dem jungen Pfarrer, sondern auch dem Enkel des Großvaters galt, an den sich die Älteren in der Gemeinde noch erinnerten.1 Während der Predigt fiel „klirrend und krachend“ einer der großen Fensterflügel auf der Empore herunter. „Scherben bringen Glück“ hieß es nachher, als alles gut vorüber war. „Und in mehr als einem Sinne war hier das Sprichwort richtig gewesen“ (Erinnerungen 1953/54, V).

Als der Sechzigjährige nach rund 35 Jahren zurückblickte, hatte sich die Perspektive auf die Jahre in Großpold – gebrochen durch die Ereignisse vor und nach dem Zweiten Weltkrieg – geändert. Aber der Zauber, den die stattliche Gemeinde auf den vom 1

Nachlass KM Archivkarton 4. Eingrußpredigt vom 26. April 1925. Die handschriftlichen, später maschinenschriftlichen Predigten im Zeitraum von 1925 bis 1958 sind gesammelt. Nachlass KM Archivkarton 3 und 4.

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Studium in Großstädten geprägten Gymnasiallehrer ausübte, klang immer noch durch. In Großpold lebten seit dem 18. Jahrhundert die Nachfahren von Transmigranten, die um ihres evangelischen Glaubens willen Österreich verlassen mussten, Landler genannt, weil sie aus dem „Landl“ im Salzkammergut stammten. Neben den alteingesessenen Sachsen waren sie eine starke, selbstbewusste Gruppe, die sich durch ihre Mundart von den Sachsen unterschied. Kirchenfeste und feierliche Bräuche verbanden Sachsen und Landler und gliederten das Jahr, dessen Alltag von Feldarbeit, Weinbau und Handwerk bestimmt war. „Es wäre reizvoll und schön, all das brauchtümliche und persönliche Erleben, das diese Tage erfüllte, zu beschreiben. ... Wir können heute all dem, was wir da erlebten in jener ‚alten‘ Zeit, auch nicht mehr so naiv-freudig oder so volkskundlichinteressiert gegenüberstehen. Denn wir sehen viel zu deutlich, wie damals das rein Irdisch-zeitliche viel zu sehr im Vordergrund stand. Das eigentliche Leben der Kirche kam wohl – gerade in Großpold – in seiner alt-ehrwürdigen Ausprägung nicht zu kurz darüber, aber es war wohl so, wie es Jochen Klepper in unsern Tagen für das Christfest ausgesprochen: Die Feier war zu bunt und heiter, mit der die Welt Dein Fest begeht. Mach uns doch für die Nacht bereiter, in der Dein Stern am Himmel steht. Und über Deiner Krippe schon zeig’ uns Dein Kreuz, Du Menschensohn“ (Erinnerungen 1953/54, V).

Einem Freund schrieb er 1932: „Vorgestern haben wir hier einen 17-jährigen Burschen begraben. Selbstmord. Es ist in knappen anderthalb Jahren der sechste Fall in unserer Gemeinde“.2

Was immer die Gründe für die Suizide gewesen sein mögen, die Großpolder hatten wie alle anderen Gemeinden schwer um ihre Existenz zu kämpfen. Einzeln und als Dorfgemeinschaft, mussten sie die mit dem Übergang nach Rumänien verbundenen ethnischen Spannungen ertragen und blieben von den wirtschaftlichen Problemen der 1920er Jahre und der Weltwirtschaftskrise nicht verschont. Die Übersiedelung und die Neueinrichtung im großen Pfarrhaus, der Empfang und der feierliche Einzug, die „Präsentation“, und das erste Einleben nahmen die Kräfte in Anspruch. Der Kreis, für den Konrad Möckel Verantwortung trug, war größer geworden; der Radius möglicher Wirksamkeit eines Großpolder Pfarrers reichte weiter als das „Professorendasein in Hermannstadt“. Er wählte für die erste Zeit als Gesamtthema seiner Predigten die acht Seligpreisungen und legte an acht Sonntagen jede einzeln aus. Die Predigt vor allsonntäglich etwa 400 Menschen war die erste große Aufgabe, die er zu bewältigen hatte. Sie füllte ihn ganz aus. Er hatte zeitweilig das bange Gefühl, auf die 2 KM an Kuno Galter d. Ä. am 30. Mai 1932. Nachlass KM Archivkarton 12, DM Hds, Mappe „Richtwoche und Jugendbewegung“.

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Dauer werde dies über seine geistigen und seelischen Kräfte hinausgehen. Er nahm diese Aufgabe, es war nur eine von vielen in der Gemeinde, sehr ernst. Wenn er gelegentlich in der Woche ein zweites Mal zu predigen hatte (am Heldengedenktag oder im Advent in den ortsüblichen, wöchentlichen Abendandachten), musste er sich, nach eigenem Zeugnis, zusammennehmen, um diese Aufgabe zu bewältigen. Es war eine ungeheure Kraftprobe, an der er nach einigen Monaten ernstlich meinte zu zerbrechen.3 Er fühlte, dass er eine geistige und seelische Entwicklung nachzuholen hatte, die in seinem Leben bis dahin zu kurz gekommen war. Der geliebte Lehrerberuf rückte in den Hintergrund. Eine wissenschaftliche Untersuchung der „noch unerforschten kristallinen Schiefer des Mühlbächer Gebirges“ erwies sich als illusorisch. Nun war er überzeugt: „Gott hatte in meinem Leben gehandelt. Gott hatte gegen meinen Willen mir das Lehramt genommen und meine geliebte Schule mit der Kanzel vertauscht, und er hatte auch den Geologenhammer und das Gesteinsmikroskop von mir genommen und mir dafür die Bibel gegeben“ (Erinnerungen 1953/54, V).

In kurzer Zeit war ihm klar, „wie fordernd die geistigen Fragen der Kirche das damalige junge Pfarrergeschlecht ergreifen sollten“ (ebda). Ethnische und christliche Gemeinde In den ersten Jahren seines Pfarramtes in Großpold führte ihn die Suche nach der Glaubwürdigkeit im Amt des Pfarrers Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit. Glaubwürdig wollte er vor der großen Gemeinde sein. Zunächst bildete er sich in den Fortbildungskursen seines Schwiegervaters Adolf Schullerus in Kloosdorf und in den Rüstzeiten Georg Schergs fort – sowohl theologisch als in seinem persönlichen Glauben. Es war die Stärke Konrad Möckels, dass er in wachsenden Ringen lernte und dass das theologisch neue Wissen nicht nur seinen Horizont weitete, sondern auch seine Seele nährte. Der Eintritt in das Pfarramt setzte große Kräfte frei und machte ihn bereit für neue Erfahrungen und zum Wandel. Er prüfte sich, und er begann Altbewährtes neu zu prüfen. Was er lernte, verband er sogleich mit der Gemeindearbeit und gab diese neuen Erfahrungen wiederum bereitwillig in Referaten in Pfarrversammlungen weiter. Das scheinbar begrenzte, besondere Amt in der Kirchengemeinde in Großpold zwang ihn dazu, sich über die Situation der Siebenbürger Sachsen und ihrer Kirche Rechenschaft zu geben. Es war damals nicht ungewöhnlich, einen Pfarrer als „Führer“ der Gemeinde zu bezeichnen. Das Pfarreramt in Siebenbürgen war zur damaligen Zeit noch paradox politisch-unpolitisch, besonders auf dem Lande. Aber selbst in den Städten bildeten sich unter den Rumäniendeutschen erst langsam säkularisierte politische Parteien heraus. Die Ev. Landeskirche A. B. hatte einen, wenn auch bescheidenen, Verwaltungsapparat und war hierarchisch aufgebaut, so dass ihr ungesucht auch aus rein praktischen Gründen Aufgaben zuflossen. 3

Erinnerungen 1953/54, V.

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Konrad Möckel war es klar, dass die Ev. Kirche A. B. in Rumänien eine „Volkskirche“ war. Aber was hatte es mit dieser Volkskirche auf sich, deren Brüchigkeit er auf der einen Seite schon als Hermannstädter Gymnasiallehrer hatte feststellen können und die ihm auf der anderen Seite in Großpold dennoch kraftvoll entgegentrat? Dieser Widerspruch war für den Dreiunddreißigjährigen keine theologische, sondern eine Lebensfrage – und nicht nur für ihn. Es war die Schlüsselfrage der Siebenbürger Sachsen, und sie wurde mit der Übernahme des Pfarramts in Großpold die Schlüsselfrage seines Lebens. Sie führte ihn in die Öffentlichkeit und zur Mitarbeit im Wandervogel und in große Nähe zur „Erneuerungsbewegung“. Sie brachte ihn anschließend in scharfen Gegensatz zu seinen ehemaligen Freunden aus dem Südostdeutschen Wandervogel, die sich parteipolitisch engagierten. Sie trug ihm die Feindschaft des radikal nationalsozialistischen Flügels ein, ließ ihn nach Freunden und Gleichgesinnten suchen, erst im Frecker Kreis, dann in der Michaelsbruderschaft. Seine Sorge um das mit der Kirche verbundene „Volkstum“, wie es damals hieß, machte ihn in den Augen des Volksgruppenführers zu einem Volksfeind. Nach dem Kriege machte ihn eben dieses im Grunde unpolitische Engagement um die Kronstädter Honterusgemeinde der Securitate verdächtig. Er suchte 1925 nach einem Ansatz, um die Struktur der Volkskirche, in die er hineingestellt worden war, wirksam zu analysieren – zunächst nur, um seine eigene Aufgabe in der Gemeinde zu klären. Die Sorge um das richtige Wort, auf das die Kirchengemeinde Sonntag für Sonntag Anspruch hatte und wartete, verband sich vom Beginn in Großpold an mit der Klärung der geschichtlichen Situation. Der Sinn für das Ganze des siebenbürgisch-sächsischen Volkes, das so eng mit der evangelischen Kirche verbunden war, hatte schon seinen Entschluss mitbestimmt, Pfarrer zu werden. Die Einheit der evangelischen Kirche mit dem sächsischen Volk stellte er nicht in Frage. Sie war eine Prämisse seines Denkens, und zugleich spürte er doch auch, dass das nicht stimmte. Daher war der Gegenstand seiner Analyse nicht die Volkskirche, wie sie früher einmal war oder wie sie ihm jetzt in Großpold täglich und in Gesprächen mit Pfarrkollegen regelmäßig vor Augen trat, sondern die Kirche, wie sie gelebt werden sollte. Er näherte sich dieser Frage nicht kirchenhistorisch, wie Friedrich Teutsch oder der Hermannstädter Stadtpfarrer Friedrich Müller. Die Profangeschichte und ihre Glaubensimplikationen interessierten ihn – damals – noch nicht. In keiner seiner Schriften thematisierte er beispielsweise den Wandel, den das sächsische Volk seit dem Ausgleich 1867 politisch mitgemacht hatte. Er wusste selbstverständlich, dass die Sachsen damals eine „ständische Nation“ gewesen sind und jetzt nur eine „Minderheit“ waren, aber er identifizierte sich weder mit dem einen noch mit dem anderen. Er war kein Pfarrer, den es in die Politik drängte, obgleich ihn seine Begabung zum Volksredner befähigt hätte. Ihm fehlte sowohl die Freude an der Macht als auch die Einsicht in die Notwendigkeit, Mehrheiten zu suchen und zu organisieren, um politisch wirken zu können. Ihn elektrisierte die komplexe Einheit von evangelischer „Kirchengemeinde“ und „sächsisch-politischer Gemeinde“. Beide konnten gemeint sein, wenn man in der Mundart „de Gemīn“ sagte und dazu auch noch das

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Dorf vor sich sah mit seinen Häusern, Gärten, Feldern, der Kirche, der Schule, dem Rathaus und den Menschen. Dass es im Grunde diese Einheit nicht mehr gab und die evangelisch-sächsische Kirchengemeinde nur ein Teil der politischen Gemeinde war, in der auch rumänisch sprechende Orthodoxe lebten, thematisierte er nicht. Mit diesen Überlegungen ist jedoch schon weit vorgegriffen. Sachsen und Landler bildeten in Großpold zwar die Mehrheit, nicht aber im Bezirk Mühlbach (Şebeş Alba). Die Überschneidungen im Leben der evangelischen Kirchengemeinde und der deutschsprechenden, gesellschaftlich-politischen Kommune Apoldu de Sus waren zahlreich. Sie waren nicht bewusst und gerade deswegen überwältigend. Überwältigend war die Fülle der vorhandenen Einrichtungen, von denen man nicht sagen konnte, ob sie geistlich oder profan waren. Die Bruderschaften und Schwesterschaften umfassten alle unverheirateten Mädchen, die „Mägde“, und alle unverheirateten jungen Männer, die „Knechte“. Die Frage war nicht, ob jemand ein Mitglied in der Bruder- oder Schwesterschaft werden wollte. War man evangelisch und sprach entweder sächsisch oder landlerisch, gehörte man nach der Konfirmation zur Bruder- oder zur Schwesterschaft einfach dazu. Beide Einrichtungen verwalteten sich unter dem Patronat des Presbyteriums weitgehend selbst. An der Spitze standen der Altknecht oder die Altmagd, beide von den Knechten oder den Mägden gewählt. Der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes in sächsischer oder in landlerischer Festtracht gehörte zum Dorfleben dazu. Die „Blasmusik“ spielte ganz selbstverständlich sowohl bei kirchlichen wie bei weltlichen Festen. Die Adjuvanten, so hießen diese Musiker, waren weder ein kirchlicher Posaunenchor noch eine weltliche Tanzkapelle, sondern enthielten Elemente von beidem. Adjuvanten, also Unterstützer, waren die Bläser insofern, als sie den Gottesdienst unterstützten. Sie spielten bei Begräbnissen und sie spielten zum Tanz auf. An die kirchlichen Funktionen dachte jedoch niemand zuerst, wenn er von Adjuvanten sprach. Da war ferner die evangelische deutsche Schule mit Lehrern, die hier wie überall in Siebenbürgen ein traditionell hohes Ansehen auch im kirchlichen Gemeindeleben genossen und die mit der Gemeinde und ihrem Brauchtum eng verwoben waren. Der Rektor der Schule vertrat den Pfarrer auf der Kanzel, wenn dieser krank oder im Urlaub war. Oft hatte ein Lehrer das Amt des Kantors und leitete zugleich die Blaskapelle. Seminaristisch gebildete Lehrer konnten sich nach einer Zusatzprüfung um eine Pfarrstelle bewerben. Die Kirchengemeinde wählte sowohl die Lehrer als auch die Pfarrer und bezahlte sie selbst. Hinzu kamen Mittel, die der evangelischen Kirche nach der Säkularisation und der Verstaatlichung ihres Vermögens durch den rumänischen Staat zustanden, die Kongrua. Diese reichte bei Weitem nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Waren die Gemeinden arm, drückten die finanziellen Anstrengungen gewaltig, und Pfarrer und Lehrer erhielten einen Teil ihrer Bezüge in Naturalien. Die Kirchengemeindemitglieder hatten zusätzlich zu den staatlichen Steuern Kirchentaxen zu zahlen, für deren Einzug die Gemeinden zuständig und die Pfarrer verantwortlich waren. Das

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war in vielen sächsischen Gemeinden eine Quelle für Ärger und Zwietracht. Viele Gemeinden hielten die Lehrer höchst ärmlich, die Pfarrer besser, aber auch nicht besonders gut. Das stand in einem gewissen Gegensatz zu dem Respekt vor dem Amt, der trotzdem vorhanden war. Konrad Möckel bestellte die Kronstädter Zeitung aus Geldmangel ab,4 und der Kronstädter Kirchenkurator bot 1933 dem neugewählten Stadtpfarrer ein Übergangsdarlehen an; denn die relativ reiche Gemeinde Großpold war mit der Gehaltszahlung im Rückstand. Die Bezahlung der kirchlichen Angestellten war in Stadt und Land jahraus, jahrein schwierig, besonders nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und nach der weltweiten Depression um 1930. Die materielle Misere band die Gemeinden mit ihren Pfarrern und Lehrern allerdings auch zusammen. Der Feierabend im Dorf hatte nach anstrengender Feldarbeit noch nichts von Freizeit und Hobby an sich. Es gehörte sich, dass nach dem Abendleuten die Arbeit ruhte, dass am Samstagabend jeder die Straße vor seinem Haus kehrte, am Sonntagmorgen die Kirchentracht anlegte und gemessen zur Kirche schritt. Die Kirchengemeinde verwaltete sich selbst durch ein gewähltes Presbyterium unter der Leitung gewählter Kirchenväter. Es gab ferner formelle, gut organisierte Nachbarschaften, die ihren Mitgliedern beim Hausbau, bei Hochzeiten und Begräbnissen halfen und sie bei Krankheit begleiteten. Ein Trommler zog durch das ganze Dorf und rief die Nachrichten des Bürgermeisteramtes in sächsischer Mundart oder in rumänischer Sprache aus, je nachdem in welcher Straße er sich befand. Nachrichten, welche die Mitglieder einer Nachbarschaft betrafen, gingen mit einem hölzernen Nachbarschaftszeichen weiter. Das alles bildete, trotz mancher Schwächen im Einzelnen in Großpold eine gut funktionierende, soziale Welt, anders als in den Städten, in denen die Kirchengemeinden im Leben eine geringere, aber doch auch noch eine Rolle spielten. Konrad Möckel wusste das im Umkreis der Kirche lebendige Brauchtum zu schätzen, sah aber mit Sorge in die Zukunft; denn er konnte nicht erkennen, woher die regenerativen Kräfte kommen sollten, um den sozialen Wandel, der sich ankündigte, aufzufangen und Neuerungen zu bündeln und fruchtbar zu machen. Erste Schriften Die ersten Aufsätze aus den Jahren in Großpold erschienen in den Kirchlichen Blättern. Das war seit 1909 die amtliche Zeitung der Evangelischen Landeskirche A. B., die zweimal im Monat erschien.5 Konrad Möckels frühe Aufsätze kreisten um die 4 Nachlass KM, Karton 12, Mappe Briefwechsel Großpold 1933. Brief (Durchschlag) KM an Pfarrer Alfred Herrmann vom 29. Mai 1931. 5 Kirchliche Blätter, Hermannstadt, seit 1897, waren ab 1909 das Amtsblatt der evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen, zugleich auch „Ev. Wochenschrift für die Glaubensgenossen aller Stände“. Schriftleiter seit 1921 waren G. A. Schuller und Edmund Gräser. Siehe Lore Poelchau: Zum Inhalt und zum derzeitigen Zustand der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A. B. in Siebenbürgen. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 18/89 (1995),

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Probleme, die er in Großpold vorfand. In den Kirchlichen Blättern stellte er seine Deutungen und Besserungsvorschläge zur Diskussion: Die Jugendfrage (1926), Bruderund Schwesterschaften (1927), Volkstum (1927), Religion und Volkstum (1928), Pfarrer und Volksleben (1928), Evangelische Arbeit (1929). Den Aufsatz Volkstum6 erweiterte er 1930 auf Wunsch des Herausgebers einer in Deutschland erscheinenden Reihe zu Volkstum und Glaube.7 Die Antworten, die Konrad Möckel in diesen Aufsätzen fand, werfen schwierige Fragen der Interpretation auf. Selbst wenn sie damals weiterführend waren, erscheinen sie uns heute durchtränkt von einer völkisch-hermetischen Sprache. Er erarbeitete sich die Vorträge und Aufsätze neben seinem Pfarrberuf. Oft stand zu Beginn ein Gelegenheitsvortrag, um den man ihn gebeten hatte. Dann folgte eine schriftliche Fassung für eine Tageszeitung oder eine Zeitschrift. Er suchte seine Gedanken, Beobachtungen und Deutungen in eine verständliche Form zu bringen – mit Erfolg, wie das Echo zeigte. Aber er verwendete die Sprache seiner Zeit. Sie ist für Leser des 21. Jahrhunderts fremd und liegt unter mehreren Schichten begraben. Sie ist nicht nur veraltet, weil die Zeit fortgeschritten ist und der Wandel auch vor der Sprache nicht Halt macht, sondern sie ist seit dem Missbrauch der NS-Zeit auch vergiftet. Manche Begriffe, in der Mitte der 1920er Jahren noch wenig belastet, allenfalls veraltet oder ambivalent wegen ihren antidemokratischen Konnotationen, erzeugen heute im Leser Widerwillen und verstellen dann das Verständnis für Aussagen, die damals ins Offene zu führen schienen. Zu den verbrauchten Wörtern gehören beispielsweise Volkstum, völkisch, Volkstumskampf, Führer, Gemeinschaft, Heil, Heldengedenken u. a. Diese Begriffe waren schon in den 1920er Jahren umstritten. Konrad Möckels Beiträge hatten einen eigenen, originellen Ton, der sich damals von anderen Stimmen unterschied, heute jedoch unter der Patina der deutschtümelnden Sprache jener Zeit nur noch schwer herauszuhören ist. Heinrich Zillich, Gründer und Herausgeber der kulturpolitischen Monatsschrift Klingsor (seit 1925), übernahm seine Vorträge und Aufsätze. Die reichen Formen der siebenbürgisch-sächsischen Volkskirche ragten aus dem Mittelalter in die moderne Zeit hinein und erregten in Deutschland und in Österreich Erstaunen. So stark war damals die Volkskirche noch, dass der Südostdeutsche Wandervogel der Überzeugung war, dass nur mit und nicht gegen die dörflichen Kirchengemeinden eine Jugendarbeit auf dem Lande möglich sei. Dieser Meinung war der gemäßigte Teil der Erneuerungsbewegung auch noch in den 1930er Jahren. Der Wandervogel lud, wohl auch aus Respekt vor der Volkskirche, S. 121-141, besonders S. 130-133, und Friedrich Teutsch. Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Band IV. Hermannstadt 1926, S. 185. 6 In den Kirchlichen Blättern und als Sonderdruck. 7 Volkstum und Glaube. Vom Ringen um die Gestaltung einer evangelischen Volkskirche. Kirche und Gegenwart. Praktisch-theologische Untersuchungen hg. von D. Heinrich Rendtorff und Dr. Erich Stange. Dresden und Leipzig 1930. In den Erinnerungen erwähnt er die Schrift irrtümlich als „Glaube und Volkstum“.

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Konrad Möckel 1929 zu einer Fortbildungsveranstaltung für ältere Mitglieder des Wandervogels ein, um Fragen des Brauchtums zu besprechen. Daraus ergab sich eine Zusammenarbeit, die einige Jahre andauerte. Die Antworten Konrad Möckels zur Frage der Volkskirche wandelten sich im Laufe der Jahre. Der Weg Von der Volkskirche zur Kirche im Volk war lang und blieb im Leben Konrad Möckels ein offener Weg ohne Abschluss. Klar und eindeutig stand ihm nur vor Augen, dass die Ausgangssituation im Jahre 1925, die er vorfand, ungeklärt und mehrdeutig war. Er betrachtete skeptisch und respektvoll die Fassade der siebenbürgischsächsischen Volkskirche, deren Mitglied er war. Aber war es wirklich nur Fassade, was er in Großpold erlebte und sah? Übersah er die erneuerungsfähige Substanz? Nach seinem Zeugnis hatte es ihn vor dem Ersten Weltkrieg geniert, Mitglied der Kirche zu sein, während er sich damals nie schämte, ein Siebenbürger Sachse zu sein, obgleich es doch auch im Siebenbürgisch-Sächsischen Fassaden gab und nicht nur ein realistisches, sondern auch ein politisch unrealistisches Bewusstsein. Bruder- und Schwesterschaften Auf dem sächsischen Jugendtag in Heltau 1926 hielt Konrad Möckel, damals seit einem Jahr Pfarrer in Großpold, eine Ansprache, in der er auf die gesellschaftlichen Kräfte unter den Siebenbürger Sachsen einging. Er begann mit der These: „Die Jugendbewegung ist in ihrer Tiefe eine religiöse Bewegung.“8 Die Jugend wolle nicht Wohlergehen, sondern Wahrheit, nicht Macht, sondern Gerechtigkeit und Freiheit, nicht Fortschritt, sondern Vollkommenheit. Vor allem aber sehne sie sich nach „reinem, gesunden, starken Leben“. Dann folgt eine zweite Überlegung. Es gehe „auch durch unsere Reihen“ eine „Bewegung“, er setzt das Wort zunächst in Anführungszeichen, die „in merklichem Gegensatze gegen vieles Alte steht, das gestern noch in voller Geltung war und heute diese noch beansprucht“ – ein Wetterzeichen, die Andeutung eines Notstandes. Worin lag er? Sei die Kraft abhanden gekommen, das jugendliche Leben zu meistern und in die alten Formen zu lenken? Bezeichnend war, dass er sich an die Pfarrer und Lehrer richtete, die er als für die Volkskirche wesentlich und ausdrücklich ansprach: „Die Formen, die wir besitzen, sind gut und zweckmäßig“, rief er ihnen zu und stützte sich hierbei auf die Leitung des Jugendbundes, die das wiederholt vertreten habe. Die Formen der Landjugend seien Einrichtungen der Volkskirche. In Deutschland bemühe man sich darum, das zu erringen, was in Siebenbürgen an volkskirchlichem Leben seit Jahrhunderten die stille Kraft der Gemeinden bilde.

8 Konrad Möckel: Die Jugendfrage. Rede gehalten auf der Jugendtagung in Heltau. In. Klingsor 2 (1926) 296-301; Zitat Seite 296. Der Satz könnte Wilhelm Stählin: Der neue Lebensstil. Ideale deutscher Jugend. Hamburg 1. Aufl. 1918 (und öfter) entnommen sein. Diese Schrift war in Siebenbürgen bekannt.

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„Dass wir unsere Landjugend in Bruderschaften und Schwesterschaften geeint beisammen haben, dass wir auch in unseren Mittelschulen die alte Tradition der Coeten haben, sind Vorteile, die wir nicht hoch genug veranschlagen können“ (S. 298).9

Hier machte er sich selbst den Einwand, dass die Jugend die Formen verständnislos beiseite schiebe. Das führt ihn erneut und diesmal nicht von der Jugend her, sondern von der Seite der Lehrer und Pfarrer zu der religiösen Frage, zur Frage des Glaubens. Er war beides, Lehrer und Pfarrer. Worin dieser Glaube bestehe, sagte Konrad Möckel nur allgemein. „Eines muss der Führende in sich tragen: das ist der Glauben.“

Es dürfe nicht der Glaube an die Jugend sein. Sie bedürfe nicht, dass man an sie glaube. Der Glaube dürfe sich auch nicht auf „Volkstum und deutsche Art“ richten, denn denen solle ja gerade geholfen werden. „Glauben an ein Ewiges, an unvergängliche Wahrheit, an Frieden und Liebe als ewige siegreiche Mächte, an Erlösung und Reinheit.“

Man verkenne, so schloss er, was evangelische Freiheit bedeute, wenn man der Jugend nur leere Formen von Geboten und Verboten biete. Er nannte einen Namen: Stephan Ludwig Roth, den Pfarrer und Schüler Johann Heinrich Pestalozzis, der 1849 in Klausenburg von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden war: „Ungeheure Wellen von Leben und Kraft sind aus jener Führergestalt herübergeflossen auf die, welche schwächer waren als er“ (S. 301).

Seine Diagnose in der Jugendfrage war aus dem Innenraum der Kirche an die Adresse der Pfarrer und Lehrer gerichtet und kann mit den Worten umschrieben werden: Junge Menschen wollen begeistert werden. Fehlt es den Lehrern und Pfarrern an Begeisterung, dann können sie auch die jungen Menschen auf dem Lande nicht in den Bruder- und Schwesterschaften und in den Städten nicht in den Coeten der Gymnasien begeistern und halten. „Wehe uns und wehe unserer Zukunft, wenn wir versagen“ (S. 299).

Es sei hierbei ohne Belang, ob alle Jugendlichen folgten, denn: „wir sind nicht eine Armee Soldaten, wo alles auf Befehl im gleichen Takte geht. Wir sind ein lebendiger Organismus“ (S. 301).

Ein Jahr später arbeitete er den damals bestehenden Unterschied zwischen der Stadtund der Landjugend heraus.10 Er sah ihn in der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Zeiten. Die städtische Jugend beantwortete die Anforderungen der Zeit mit neuen, jugendbewegten Formen, weil die städtischen Kirchengemeinden zu wenig Orientierung   9

Coetus hieß die Form der Schülermitverwaltung an Gymnasien, die es seit dem Mittelalter gab. Die Coeten standen unter der Aufsicht der Schule, organisierten sich jedoch selbständig. Sie waren den studentischen Verbindungen nachgemacht. Es gab den gewählten Präfekten, den Fuchsmajor usw. 10 Bruder- und Schwesterschaften. Klingsor 4 (1927), 20-25.

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boten und Arbeit und Freizeit in der Stadt krass auseinandertraten. Die Bruder- und Schwesterschaften dagegen lebten noch in einer Tradition, die die ganze Gemeinde mit ihrem kalendarisch geordneten Leben trug. „Bruder- und Schwesterschaften sind nur mit Vorsicht und Vorbehalt in einem Atem mit modernen Jugendverbänden zu nennen. Letztere sind aus der Not seelischer Besitzlosigkeit entstanden; unsere dörflichen Jugendverbände [sind] aber gerade der Ausdruck natürlichen, reichen Seelenlebens, das eben in den verschiedensten Formen des Gemeindelebens seinen Ausdruck fand“ (S. 21, Hervorhebungen A. M.).

Natürlich sah er auch die Schwächen der Bruder- und Schwesterschaften. Es fehlte ihnen schon damals an einem inneren Leben. Sie feierten zwar den „Zugang“11, aber nicht überall kümmerten sich die Pfarrer darum, was dort geschah. Christenlehre und Sonntagsschule reichten nicht aus, um die alten Formen mit Leben zu erfüllen. Konrad Möckel kam hinsichtlich der Dorfjugend zu einem paradoxen Ergebnis. Es sei besser, „lieber zu wenig in diese Jugend hinein(zu)tragen als zu viel“ (S. 23). Sie brauche nicht mit Turn- und Gesangsfesten, mit Bildung und Volksbeglückung und politischen Experimenten überschüttet zu werden. Zugleich aber war er sich sicher, dass die Eigenorganisationen der Bruder- und Schwesterschaften viel mehr als bisher mit Leben erfüllt werden müssten. Sie widersprächen nach „ihrem ganzen Wesen der Idee einer allgemeinen Jugendvereinigung“, da sie sinnvolle Teile der großen Gemeindefamilie eines Dorfes seien. Die Lösung dieser paradoxen Aufgabe, Bruder- und Schwesterschaften vor beunruhigenden Ideen zu bewahren, gleichzeitig jedoch mit neuem Leben zu erfüllen, sei Aufgabe der Pfarrer: „Der Geistliche, der natürlich in tiefster Seele mit seiner Gemeinde verbunden sein muss, hat die Pflicht, feinfühlig das Leben, das ihn umgibt, auf all seine Regungen und Wünsche abzuhorchen und von hier aus die Bauernjugend überall, wo er Gelegenheit hat, ihr zu begegnen, zu gesteigertem Leben, zu höherer Geistigkeit, zum Erlebnis der Gottverbundenheit und zu den Idealen der Zucht und Sittlichkeit zu führen“ (S. 24).

Volkstum und Glaube Im Jahre 1927 erschien in den Kirchlichen Blättern der Aufsatz Volkstum.12 Er erregte beträchtliches Aufsehen und machte den 35-jährigen Großpolder Pfarrer in kurzer Zeit in Siebenbürgen bekannt.13 In Mühlbach, Hermannstadt, Mediasch und Kronstadt lud man ihn zu Vorträgen ein. Die kleine Schrift löste unterschiedliche, zustim11 Der „Zugang“ war und ist dort, wo er noch ausgeführt wird, eine Zusammenkunft, beispielsweise der Bruder- oder der Schwesterschaft, vor dem Gang zum Abendmahl, bei dem sich die Mitglieder gegenseitig in feierlicher Form um Vergebung baten. 12 Konrad Möckel: Volkstum. In: Kirchliche Blätter 29 (1927), S. 357-360, 371-373, 386388, 402-405, 419-421. – Sonderdruck der Honterus-Druckerei Hermannstadt 1927. 13 Nachlass KM, Großer Karton 12, Mappe „Volkstum Briefwechsel.“

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mende und kritische Reaktionen aus. Heinrich Rendtorff nahm drei Jahre später eine erweiterte Form in eine von ihm herausgegebene Reihe unter dem Titel Volkstum und Glaube auf und sorgte damit dafür, dass die Schrift auch in der evangelischen Kirche in Deutschland wahrgenommen wurde.14 Konrad Möckel relativierte später die beiden Essays, obgleich sie seine bedeutendsten schriftlichen Arbeiten aus dieser Zeit sind. Er könne auch nach 25 Jahren zu dem stehen, was er gesagt habe. Die Perspektive jedoch habe sich in mehrfacher Hinsicht verändert, „wie es eben die gründlich veränderten Zeitverhältnisse mit sich bringen“: „Einmal schwingt in dieser Schrift ein Volkstumsglaube mit, der durch die spätere NS-Zeit seine dunkle Möglichkeit dämonischer Verzerrung zeigen sollte, wiewohl mein eigener Weg dorthin niemals geführt hat. Dann hat ferner die Entwicklung nicht nur von außen, sondern auch von innen her die alte, von Problemen unbeschwerte Verbindung von Volkstum und Christentum hart in Frage gestellt. Und endlich hat meine Schrift von damals die theologische Besinnung nicht enthalten können, die erst als Frucht einer sehr schweren Leidenszeit möglich wurde. Ich selber aber war viel zu sehr in Gärung und Werden, um hier ein wirklich weiterführendes Wort sagen zu können.“15

Volkstum und Glaube zeigt die gesellschaftlich bestimmenden Kräfte im Horizont des Großpolder Pfarrers, wo er ihre Grenzen sah und auch wo die Grenzen seiner Analyse lagen. Wie in allen seinen Schriften, warb er um die Zuhörer und versuchte sie dort anzusprechen, wo er meinte, dass sie standen. Er beschrieb in seinen Aufsätzen, Predigten und Vorträgen die Wirklichkeit zunächst so, wie er meinte, dass andere sie sahen. Auf der Basis dieser vorausgesetzten Gemeinsamkeit fügte er dann seine weiterführende Deutung hinzu. Die Gefahr eines solchen Verfahrens bestand darin, dass sich die Zuhörer oder Leser von der Situationsbeschreibung bestätigt fühlten, ohne dann den zweiten Schritt mitzugehen, der – von Konrad Möckel aus gesehen – der eigentlich wichtige war. Er wandte sich in erster Linie an die Pfarrer und Lehrer und sprach damit gleichsam zu sich selbst. „Volkstum“ sei die Burg, „in die sich die Seele unserer Zeit mit allem, was ihr teuer ist, retten möchte“ (S. 1). Er stellte dies als Horizont seiner Erfahrung fest, ohne es zu bewerten. Andere Horizonte gälten nicht mehr als zeitgemäß: die Idee der Menschheit, wissenschaftliche Forschung als Lebensprinzip, dynastische Interessen und das religiöse Bekenntnis. Nur noch dem Volkstum komme fraglose Bedeutung zu:

14 Volkstum und Glaube. Vom Ringen um die Gestaltung einer evangelischen Volkskirche (Kirche und Gegenwart – Praktisch-theologische Untersuchungen hg. von D. Heinrich Rendtorff und D. Erich Stange. Leipzig 1930). Im Nachlass befinden sich 17 ausländische und 10 inländische Rezensionen, darunter eine aus einer katholischen und eine aus einer niederländischen evangelischen Zeitung. 15 Erinnerungen 1953/54, VI. Mit der „sehr schweren Leidenszeit“ kann sowohl die Kriegsals auch die Nachkriegszeit gemeint sein.

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„Für uns Sachsen nun ist es zwar eine allbekannte Tatsache, daß unsere ganze Geschichte einzig und allein das Ringen und Kämpfen um die Erhaltung unserer Art widerspiegelt. Was aber ist unsere völkische Eigenart?“ (S. 2)

Mit dieser Frage leitete er seinen eigenen Beitrag ein. Ganz kurz, wie Wetterleuchten, taucht der brisante Gedanke auf, dass Volkstum nicht mehr bloß die „sächsische Eigenart“ bezeichne, sondern dass es Bestrebungen gäbe, Volkstum „zum Deutschtum Rumäniens, ja zum Ostdeutschtum zu erweitern“ (S. 2). Diese Problematik griff er jedoch nicht auf. Er sah die Aufgabe der Bewährung in Großpold und anderswo, in den sächsischen Gemeinden und in den Städten des ehemaligen Sachsenlandes. Er wandte sich dem Wandel seit der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts zu. Damals habe die „Devise ‚Sachsenvolk‘“ geheißen und diese Devise habe „wissenschaftliche und künstlerische Bestrebungen, Volkseigenart, naiv und unreflektiert in Städten und Dörfern“ umfasst. Dann kam er hellsichtig zum kritischen Punkt. Der Wandel zu neueren Auffassungen trete „am schärfsten hervor in der veränderten Stellung zur Kirche“ (S. 3). Sie werde nur noch als notwendiges Übel gesehen. „Das Wissen um eine andere, innere Bestimmung der Kirche, als Hort unserer völkischen Verteidigung zu sein, ist weitgehend verloren gegangen“ (S. 3).16

Dagegen sei die „Organisierung der Kräfte“ in den Vordergrund getreten, von der man sich Hilfe verspreche. Er zählte sie auf: die Organisationen gegen Alkohol- und Tabakmissbrauch, die Organisierung der Jugend, der Schutz- und Trutzbund zur Unterstützung kinderreicher Ehen, ferner „Fürsorgekurse, Hochschulkurse, Führerkurse“. Bei aller relativer Berechtigung fehle es an dem Bewusstsein, dass es „um die nackte, bloße Existenz, um unser Leben schlechthin“ gehe (S. 7-8), womit die Existenz des sächsischen Volkes gemeint war. Es herrschte zu sehr ein bloßes Nützlichkeitsdenken: „Wenn ich meinen Vorteil hier nicht mehr finde, nun so gehe ich eben weiter ... Wir sind heute nicht ein Volk, sondern unter uns gibt es eine völkische Partei, gibt es ferner eine breite Sehnsucht nach völkischer Gebundenheit, die wenig oder keine Befriedigung findet; das übrige ist Räderwerk, Maschine, ‚Betrieb‘“ (S. 14).

Kritisch sah er aber auch die Versuche der Kirchenbehörde, den Schwierigkeiten im Volksleben mit Hilfe von Erlassen beizukommen. Dann fragte er noch einmal, was Volk sei, und er kam zu der Antwort: „Volk sein heißt, eine gemeinsame Seele haben“ (S. 17). Was ein Volk zum Volk mache, sei nicht die Kultur, sondern der Geist, „der es zur gemeinsamen Kultur erst kommen lässt“ (S. 17). Wer es als lebendigen Besitz „in seinem Blute“ fühle, der werde „seine Stimme und Art“ heraushören aus der gemeinsamen Geschichte (S. 18). Schließlich bündelte er alle Umschreibungen mit der Feststellung: „Wahrhaft zum Volke werden Menschen nur durch den gemeinsamen Gott“ (S. 20).

Es geht hier nicht darum, die Fragwürdigkeit dieser Argumentationsreihe darzulegen. Von heute aus gesehen ist es leicht festzustellen, dass der Wille Gottes und das „Gefühl 16

Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Sonderdruck.

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des Blutes“ sich gegenseitig ausschließen. Bemerkenswert ist, dass selbst diese noch unklare Situationsbeschreibung viele Leser und Zuhörer zum Aufhorchen brachte. Die Gefahren einer Gleichsetzung von christlicher Gemeinde und Ethnie, im Sinne von historisch überkommenem Volkstum, sah Konrad Möckel in dieser Schrift zwar, sprach sie jedoch nicht so klar aus wie in späteren Schriften. Aber auch schon 1927 erkannte er, dass die Pflege des religiös-sittlichen Erbes der Väter „zu einem Hilfsmittel unter vielen zur Erstarkung der eigenen Art“ und zum „Götzendienst“ werden könne (S. 22): „Es ist geradezu unerhört, welcher Verständnislosigkeit und Gleichgültigkeit in religiösen Fragen man bei Nichtgeistlichen begegnet, die jahre-, ja jahrzentelang führende Stellungen in ihren Kirchengemeinden bekleiden“ (S. 24).

Die Schrift war eine aus „bedrücktem Herzen“ (S. 29) kommende Einschätzung des sächsischen Volkes. Sie beschwor das „drohende Gespenst“ des Zerfalls von einem Volk, das „keine Gegenwart“ habe (S. 29). Er erkannte in den Ansichten der Schwarzseher zugleich den „offensichtlich zersprungenen Lebenswillen“ (S. 32). Die Alternative zu den vielerlei Versuchen der Erneuerung, die er meinte relativieren zu müssen, sah er in der Rückkehr zu einem vertieften Gottesdienst der Gemeinde. Mit seinen Worten: „So wird uns denn die Kirche wieder zum Mittelpunkt werden müssen, nicht als Organisation, nicht als Fürsorgekrücke, nicht als politische Einrichtung, nicht in der Verfälschung staatsbürgerlicher oder völkischer Erziehung, nicht als Hüterin und Lehrerin geschichtlicher Vergangenheit, sondern als die lebendige Verwirklichung heiliger Gegenwart“ (S. 34).

Das war ihm in den ersten Jahren in Großpold klar geworden. Der Gottesdienst in der Gemeinde war nichts Statisches, sondern gehörte zu einem Pilgerweg, auf dem die Gemeinde mit den rasanten Veränderungen, die nach 1919 eingetreten waren, Schritt halten musste. Die Reaktionen auf die beiden Schriften17 kamen aus verschiedenen Richtungen. Alle waren von dem Ernst der Überlegungen beeindruckt. Die einen hörten heraus, dass Konrad Möckel pessimistisch am Gemeinsinn der Siebenbürger Sachsen zweifelte und überhörten den Ruf zur Rückbesinnung auf die Stärken der christlichen Tradition, die in der Reformation nur umgeformt, aber nicht vernichtet worden war. Andere stießen sich daran, dass er die Bedeutung und Wirkung der Organisationen drastisch relativierte und sich von der Rassenlehre ausdrücklich distanzierte. Wieder andere, die der Kirche nahestanden, meinten, er habe die Kirche viel zu sehr an das Volkstum herangerückt. Diese Sichtweise war nachvollziehbar; denn die erste Broschüre hieß Volkstum, obgleich ihr Thema die Kirche war. Er nahm das Geschehen im sächsischen Volk aus seinem Dienst in der Kirchengemeinde in Großpold wahr. Dr. Hermann Jekeli kritisierte in der Mediascher Zeitung die Schärfe der Aussagen und meinte, im Vortrag seien der „sächsische Neid“ und die „Scheelsucht“ getadelt worden. Wie um Konrad Möckel zu bestätigen, sprach er funktional von „unserer 17

„Volkstum“ und „Volkstum und Glaube“.

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evangelisch-sächsischen Kirche“ und besitzergreifend von „dieser treuesten und stärksten Hüterin sächsischen Volkstums“. „Trage Freude und Liebe in das sächsische Leben“, so schloss er, „dann wird dir Volkstum mehr als ein bloß problematischer Begriff sein!“18 Die Diskrepanz zwischen Kirche und Volkstum, auf die Konrad Möckel aufmerksam machte, war ihm nicht klar geworden. Ein Artikel des Siebenbürgisch-deutschen Tageblatts erwähnte die Kirche überhaupt nicht, betonte jedoch gegen den Großpolder Pfarrer die „Selbstverständlichkeit solcher Gesinnung“ – einer Gesinnung, wie sie Georg Daniel Teutsch, Carl Wolff und Adolf Schullerus den Sachsen eingepflanzt hätten. Der Verfasser forderte, es habe sich „immer um die Erhaltung unseres Volkes, als eine von wirklichem Volksbewußtsein erfüllte lebendige Einheit, nicht um die bloße Interessenwahrung von Leuten sächsischer Abstammung zu handeln“.19 „Trotz der Sorge, der Möckel berechtigten Ausdruck gibt, hoffen wir zuversichtlich, daß sie sich auch – etwaige räudige Glieder ausgeschlossen – auf das junge Geschlecht – auf Führer wie auf Geführte fortgepflanzt habe.“20

Auch diese Antwort bestätigte unfreiwillig Möckels These von der Kirchenferne ihrer vermeintlich volkskirchlich denkenden Mitglieder. Kontroversen mit Erwin Reisner und Heinrich Siegmund Der spätere Mitarbeiter der Bekennenden Kirche, Erwin Reisner (1890-1966), warnte vor der Verwechslung von vergöttlichtem Volk und Volk Gottes, vor der Gleichsetzung von Volkstum und Volkskirche. Damit kritisierte er die Unklarheit in der Argumentation Konrad Möckels. Er traf die Verstiegenheit, die darin bestand, dass die Vorstellung „Volkskirche“ zum Dogma siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses gehörte. Die „auf dem Glauben fußende Gemeinschaft“ sei „in erster Linie kirchlicher und nicht völkischer oder staatlicher Natur“.21 Das Evangelium sei nicht von dieser Welt und insofern „geradezu gemeinschaftsfeindlich“. Möckels eigentliches Interesse, behauptete er, gehöre „durchaus dem Volk und nicht dem Christentum“.22 Die legitime Frage eines Christen sei: „Was sollen wir als Volk tun, um vor dem Angesicht Gottes bestehen zu können?“23 Diese Frage habe Möckel jedoch nicht gestellt.

18 Nachlass KM, Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Mediascher Zeitung, 26. November 1927, Vortrag Pfarrer Konrad Möckel. 19 Nachlass KM, Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, Nr. 16395, 21. Februar 1928, 55. Jahrgang. „Sächsische Gesinnung“ (D. K. H.). 20 Ebda. 21 Erwin Reisner: Religion und Volkstum. I. Teil und Konrad Möckel, Teil II, Klingsor, Siebenbürgische Zeitschrift, hg. von Heinrich Zillich, 5 (1928), S. 170-181, Zitat S. 171. 22 Ebda, S. 172. 23 Ebda, S. 173.

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„Ihre Grundposition ist kurz gesagt und trivial gefasst ungefähr die: Wir haben unsere Kirche durch Überorganisation, durch Verwirtschaftlichung und Verpolitisierung ihrem eigentlichen religiösen Zweck entfremdet. Die Folgen dieser Säkularisierung beginnen sich heute zu zeigen. Der Mangel an Religiosität der Volkskirche rächt sich am Volk. Die völkische Einheit droht zu zerfallen. Wir müssen also, um dem drohenden Untergang zu entgehen, die Kirche ihrer eigentlichen Bestimmung wieder zuführen; denn nur ein religiöses Volk kann Bestand haben. – Die ganze Schlussfolgerung ist, abgesehen von dem ‚Wir müssen also usw.‘ durchaus richtig. Aber eben in diesem ‚Wir müssen also‘ verrät sich deutlich, welcher Frage eigentlich Ihr ganzes Interesse gehört: nicht Gott oder der Religion, sondern dem Volk. Die Religion ist Ihnen doch nur das Mittel, um den drohenden Untergang aufzuhalten. Von Ihren Gegnern unterscheiden Sie sich nur insofern, als jene glauben, mit wirtschaftlichen Mitteln dem Übel abhelfen zu können, während Sie Gott in höchst eigener Person bemühen wollen. Religiös ist natürlich weder die eine noch die andere Auffassung, aber ich muss aufrichtig gestehen, dass der andere Standpunkt, der Gott aus dem Spiele lässt, mir der weniger gefährlichere zu sein scheint.“24

Konrad Möckel erwiderte auf die Kritik im Klingsor, dass er Reisner weitgehend zustimme. Er renne bei ihm offene Türen ein. „Ich kann Reisner weitgehend nur als Bundesgenossen empfinden.“25 Ausdrücklich distanzierte er sich noch einmal vom Volkstum als Selbstzweck: „Wir wissen auch, zu welch dämonischer Macht, zu welch furchtbarer Sünde Volkstum sich zu entwickeln vermag, wo es als ‚Selbstzweck‘ auftritt, wo es die Welt mit seinen angemaßten egoistischen Ansprüchen in ihrem Frieden und Gleichmaße stört.“26

Die Intention des Aufsatzes sei es jedoch gewesen, in einem „pädagogischen Versuch“ zu erfassen, „was wirklich vorhanden“ sei.27 Die Nähe seiner Schrift zum Volkstum erklärte er damit, dass Religion nicht gedacht, sondern nur gelebt werden könne. Er war ja in der Tat in Großpold von der ganzen Gemeinde nicht nur mit offenen Armen, sondern auch mit hörbereiten Ohren aufgenommen worden. Sein Erfolg in Großpold beruhte gerade darauf, dass er sich sensibel und liebevoll auf die Menschen einstellte, die ihm begegneten. Die Erfahrung mit der Gemeinde Großpold zeigte ihm, dass – anders als in den Städten – die Dorfgemeinde als christliche Gemeinde angesprochen werden konnte und bereit war, sich als solche ansprechen zu lassen. Sie war dankbar dafür, wenn ein Pfarrer den Mut dazu hatte und es glaubwürdig tat. Beide, Möckel und Reisner, blieben abstrakt und fanden keine Beispiele, die nicht nur die behauptete oder vermutete Vermischung von Kirche und Volkstum hätten zeigen, sondern auch hätten aufsprengen können, wie zum Beispiel das Problem einer 24 Nachlass KM, Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Brief von Erwin Reisner vom 30. September 1927 an KM. Dem Sinne nach entspricht Reisners Artikel im Klingsor diesem Brief, der jedoch persönlicher und prägnanter formuliert ist als die öffentliche Kritik. 25 Ebda. S. 180. 26 Ebda, S. 179. 27 Ebda, S. 178.

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Heldengedenkfeier mit der Ansprache eines Pfarrers – eine besonders verbreitete Konfusion auch in Siebenbürgen. Heldengedenken war, wie es selbstverständlich hieß, „evangelisch-sächsisch“, obgleich es neue Ansatzpunkte gab.28 Soldatentod und christliches Glaubenszeugnis waren nicht mehr zu unterscheiden, wenn in den Kirchen die Tafeln mit den Namen der Gefallenen ihren festen Platz dort erhielten, wo in früheren Zeiten vielleicht einmal die vierzehn Stationen auf dem Leidensweg Christi hingen. Die Bereitschaft der siebenbürgischen Pfarrer, mit der Gemeinde mitzugehen, war die Stärke der Volkskirche und zugleich ihre Schwäche als Kirche Jesu Christi. In diesem Entgegenkommen gegenüber den weithin säkularisierten Stadtgemeinden, das aus heutiger Sicht kompromittierend wirkt, lag der Dissens gegenüber Reisner. In dem Ziel, wohin der Weg der christlichen Gemeinde zu führen hatte, unterschieden sie sich nicht. Konrad Möckel sah schärfer als Reisner, dass die Erneuerungsbewegung drauf und dran war, aus dem deutschen Volk einen Gott zu machen; dass daher nicht er es war, der „Gott ins Spiel“ brachte. Die Einwände Reisners zwangen Konrad Möckel jedoch, sich genauer auszudrücken und seine eigenen Gedanken zu klären. Reisner stammte aus Wien, war im Weltkrieg Offizier in der k. u. k. Armee und hatte sich nach 1919 in der ehemaligen Garnisonstadt Hermannstadt niedergelassen. Seine Meinung galt manchen Sachsen schon deswegen als irrelevant, obgleich er von außen die Schwächen der siebenbürgisch-sächsischen und der kirchlichen Verhältnisse besser erkennen konnte als manche alteingesessenen Sachsen.29 Reisner kritisierte, dass Möckel nicht konsequent genug die unhaltbare Funktionalisierung der Kirche im Kampf der Minderheit herausgestellt hatte, sondern – so sah er es – dass Möckel den Minderheitenkampf überhöhte. Das tat Konrad Möckel, wenn man ihn aufmerksam las, nun wirklich nicht. Dr. Heinrich Siegmund kritisierte Möckels Aufsatz „Volkstum“ von der entgegengesetzten Seite. Er forderte, die Kirche solle sich vollständig in den Dienst des Minderheitenkampfes stellen. Herr Reisner sei in Wien geboren und erst seit 1919 Hermannstädter, ein philosophischer Autodidakt – kein Deutscher und kein Sachse. Er „bestehe“ für ihn nicht, schrieb er, und sprach ihm jede Fähigkeit zu einer richtigen Beurteilung „unserer Volksbelange ab. Schade, daß seine ‚Philosophie‘ unter uns so laut zu Worte kommen kann.“30 Siegmund hatte schon im ersten Kriegsjahr ein „Sächsisches Wehr- und Mehrbuch“ (1914, 2. Aufl. 1922) geschrieben und den Guttemplerorden in 28 Bernhard Böttcher: Gefallen für Volk und Heimat. Kriegsdenkmäler deutscher Minderheiten in Ostmitteleuropa während der Zwischenkriegszeit. Köln, Weimar, Wien 2009. 29 Erwin Reisner: Die nationalen Fehler der Siebenbürger Sachsen, wie sie der Binnendeutsche sieht. Klingsor 1 (1924), S. 293-300. 30 Nachlass KM Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Brief Dr. Heinrich Siegmunds am 24. November 1927. Reisner (1890-1966) war im Ersten Weltkrieg Offizier, später lebte er in Berlin und schloss sich der Bekennenden Kirche an. Er war ein prominentes Mitglied der schwedischen Judenmission und befasste sich in seinen Büchern mit den christlichen Wurzeln des besonders in Wien verbreiteten, säkularisierten Judenhasses. Siegmunds Bemerkung

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Siebenbürgen eingeführt. Er trat für Sozialhygiene, Kinderreichtum, Volkswohlfahrt, Fürsorgeeinrichtungen ein und kämpfte gegen Nikotin- und Alkoholmissbrauch.31 Siegmund lebte in Mediasch und hatte einen Vortrag Konrad Möckels, „Religion und Volkstum“, gehört. Manches im Vortrag, schrieb er, halte der Wissenschaft nicht Stand. Ihm fehle die Tat und das Eingeständnis der Verantwortlichen für die Schäden, die Möckel diagnostiziert hatte. Er nahm dessen Bemerkung auf, dem sächsischen Volk fehle die Seele, und er erhob den Vorwurf, „wir selbst, also Sie und jeder Führer“ sei daran schuld. Er wolle „unsere Kirche und unser Volk vor unbewußtem und nicht beabsichtigtem Pharisäertum bewahren!“32 Damit war Siegmunds Hauptmotiv genannt: Stärkung des sächsischen Volkes auf wissenschaftlicher Grundlage. Es folgte eine Korrespondenz bis 1929 – immer wieder monatelang unterbrochen. Möckel schlug eine Diskussion in der Zeitschrift Klingsor vor, aber Siegmund lehnte mit dem Argument ab, er wolle die Schwächen der Volksführung, wie er sie sah, nicht öffentlich ausbreiten und das Versagen der Pfarrer und Lehrer nicht anprangern, sondern sie zur Mitarbeit gewinnen. Die Kritik Konrad Möckels an organisatorischen Zusammenschlüssen wies er zurück und nahm den Jugendbund in Schutz, der entstanden sei, weil „Bruder- und Schwesterschaften unter der Hand der Kirche (!) verknöchert“ seien – sicher kein ganz unberechtigter Vorwurf. In dem Guttemplerorden sehe er keineswegs ein Mittel gegen alle Übelstände, und schließlich halte er sich von unfruchtbaren „hohen Erörterungen“ fern, mache nur in diesem Fall eine Ausnahme, weil er den Großpolder Pfarrer gerne zum Bundesgenossen haben wolle.33 Zu einer Zusammenarbeit zwischen Dr. med. Siegmund und Dr. phil. Möckel, beide Naturwissenschaftler, kam es nicht. Der Gegensatz bestand im Verständnis der Reichweite von Wissenschaft, besonders der Rassenlehre, mit der Heinrich Siegmund das sächsische Volk stärken wollte. Möckel bedauerte, dass es nicht möglich scheine, „mich mit einem Manne wie Sie, geehrter Herr Doktor, der dazu noch eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in unserer Kirchenleitung ist, einigen zu können“.34

Heinrich Siegmund hatte 1922 konkrete Vorschläge zur Fürsorge gemacht35 und mehrere Unterausschüsse im Fürsorgeausschuss der Landeskirche empfohlen:

ist ein Beispiel dafür, wie eng die Grenzen für das „Sächsische“ und für das Dazugehören zum Sächsischen von alteingesessenen Sachsen gezogen werden konnten. 31 Kirchliche Blätter 13 (1923), S. 343. 32 Nachlass KM Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Brief Dr. Heinrich Siegmunds am 22. August 1927. 33 Ebda. 34 Nachlass KM Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. KM (Briefkonzept) an Dr. Heinrich Siegmunds vom 2. Februar 1928. 35 Dr. Harald Siegmund: Die Fürsorgearbeit in unseren Gemeinden. In: Kirchliche Blätter 14 (1922), S. 3-5.

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1. den Rassenausschuss, 2. den Seuchenausschuss, 3. den Jugendausschuss, 4. den Armenausschuss, 5. den Zählausschuss. Der Rasseausschuss sollte den „Rassenverfall durch den Rassenwechsel“, durch die „Rassenmischung“, durch die „Rassenentartung“ verhüten. Es ging um die „Wirkung von Keimgiften“ und „Gegenauslese“, „Ertüchtigung der Rasse“, „Hebung der Geburtenzahl“, „Förderung des Ehe- und Familienlebens“, „Siedlungsarbeit, insbesondere durch Ansiedlung sächsischer Landarbeiter“. Ferner sah er die Aufgaben der „Volksmehrung“, der „Aufklärung über die Gesellschaftslehre“, über die „Krankheiten des Volkskörpers“, denen vorgebeugt und die geheilt werden sollten. Konrad Möckel betonte in seiner Antwort zunächst die Übereinstimmungen und lobte die Arbeit Siegmunds für das Gedeihen des Volkes. Es wäre lächerlich zu behaupten, die Lage könne sich mit weniger Organisation bessern. Er verurteile die Bewertung der Organisationsarbeit – den Wahn, „als könne man in und durch Vereine und sonstige Zusammenschlüsse Leben schaffen oder auch nur erhalten, wenn es entfliehen will“. Er wusste auch, dass die Rassenlehre als Wissenschaft „marschierte“, d. h. dass ihr gesellschaftliches Ansehen nicht aufzuhalten war. Die über die Grenzen des Wissenschaftlichen hinausdrängende Dynamik dieser Lehre sah Siegmund jedoch nicht, während Möckel vor den weltanschaulichen Implikationen der Rassenlehre zurückschreckte. Gegen eine gesunde Lebensweise hatte er nichts einzuwenden. Wenige Jahre später setzte sich die grausame Seite der Rassenlehre in einer Weise durch, die über seine Befürchtungen weit hinaus ging. „Eine berühmte ältere Formel sagt: das größtmögliche Glück der größtmöglichen Menge. Heute ist man nicht mehr so weitherzig und großzügig; nun heißt es nur noch: den größtmöglichen Nutzen, Lebensraum, Glück, Vermehrung, Besitz für mein eigenes Volk! – Und nun bitte ich wohl zu beachten: Kein sittlich ernster Mensch wird beiseite treten, wenn von der Erringung des Volkswohles aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse die Rede ist und dafür gekämpft werden muss. Ich persönlich gewiss auch nicht. Aber soll das der Mittelpunkt unseres Strebens sein? Kann man volkserzieherisch damit arbeiten? Sparen – wozu denn? Nicht trinken, nicht rauchen, fleißig arbeiten, eine große Familie haben – warum das? Und die Antwort: Damit ihr als Volksganzes es möglichst gut habt, vorwärts kommt, andere überflügelt, gesund werdet, lange lebt, reich werdet! Darf aber solches alles Mittelpunkt, in gewissem Sinne Endziel unseres Strebens werden? Das heißt doch nur, an die Stelle des lebensfeindlichen, persönlichen Eigennutzes den des Volkes stellen, einen versteckten Eigennutz, der das Mäntelchen sittlichen Rechtes trägt und darum nur noch viel gefährlicher ist als der naive, der plump mit seiner unedlen Wahrheit herauskommt!“36 36 Nachlass KM Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. KM (Briefkonzept) an Dr. Heinrich Siegmund ohne Datum, nach dessen Brief vom 3. März 1928.

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Eine Verständigung war nicht möglich. Ein Mediascher Beobachter der Auseinandersetzung schrieb Konrad Möckel, er wage zu behaupten, „dass Dr. Siegmund und Sie inbezug auf gegenseitige Verständigung heute genau auf dem naemlichen Platze stehen, wo Sie vor zwei Jahren, als Ihre Korrespondenz einsetzte, standen; und ich wage vorauszusagen, dass Sie nach weiteren zwei Jahren noch immer dort stehen werden“. 37 Das stimmte nicht ganz; denn Konrad Möckel präzisierte seine Meinung zur Verbindung von wissenschaftlich-biologischem Denken und Volkswohl in der Überarbeitung seiner Schrift und distanzierte sich von der Vorstellung, Rassenkunde könne Grundlage eines Erziehungsprogramms sein.38 Er tadelte die „harten Worte wider die Juden“ und den „abenteuerlichen Traum“ einer „gelben Rasse auf dem Marsche“, aus denen „der Geist der Unfreiheit und Schwäche spricht“.39 Die schlimmsten Konsequenzen aus der Rassenlehre hielt er für ganz abwegig und sah ab „von den äußersten Alkoholgegnern, Judenfeinden und dergleichen, die von ihrem einseitigen, aber bis zur letzten Folgerung durchgeführten Gedanken das Volksheil erwarten. Die Fragwürdigkeit solch ‚verkappter Religionen‘ ist ja sattsam bekannt.“40

Man kann fragen, wieso er sich gerade damals vom Südostdeutschen Wandervogel ansprechen ließ. Wie er die Jugendbewegung einschätzte, zeigt ein Aufsatz in der Zeitschrift Klingsor, in dem er zwei Jugendlager von 150 Buben verschiedenen Alters und von 100 Mädchen erwähnte.41 Eine Woche lang seien die Jugendlichen ohne Schul- und Elternaufsicht „zu sehr ernster Beratung aus allen Gauen als geschlossener Lebenskreis“ zusammengetreten.42 Er lobte das „hohe Pflichtbewusstsein“ und die „echte Gemeinschaft in neuer Gestalt aus unserer zerfahrenen Zeit erwachsen“, die Überwindung des Individualismus, die Bedeutung der Autorität unter der Jugend, „den ganzen Ernst des Befehlens und sich Unterordnens“.43 Er sah in der Jugendbewegung „Wachstum und Hoffnung“, „Bekenntnis durch die Tat auf dem Grund ewiger Lebensgesetze“. Langsam dämmere bei den Jugendlichen die Erkenntnis, dass von solchen Gesetzen am klarsten und reinsten im Neuen Testament geredet werde. An diesem Punkte, das war seine Überzeugung, werde sich das Schicksal der Jugendbewegung entscheiden.44

37 Nachlass KM Karton Nr. 12, Mappe Volkstum – Briefwechsel. Brief von L. Binder, Mediasch an KM vom 8. Juni 1929. 38 Konrad Möckel: Volkstum und Glauben. Leipzig 1930, S. 28-39. 39 Ebda, S. 37. 40 Ebda, S. 30. 41 Konrad Möckel: Jugendbewegung. Klingsor 7 (1930), S. 466-472. 42 Ebda, S. 469. 43 Ebda, S. 469. 44 Ebda, S. 472.

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Pfarrer und Volksleben, evangelische Arbeit, Gottessohnschaft In den ersten Jahren machte sich Konrad Möckel die historisch-soziale Lage klar, die er in der Gemeinde Großpold vorfand. Der Unterwald war ihm der Musterfall der Volkskirche in Siebenbürgen. Zugleich verbesserte er seine eigene theologische Bildung, vielleicht muss man sagen, er holte sie nach. Er hatte in seinem naturwissenschaftlich und philosophisch ausgerichteten Studium Glaubensfragen zwar beachtet, aber darüber nie Auskunft erteilen müssen. Nun forderte er in Ansprachen und Aufsätzen die Vertiefung des volkskirchlichen Erbes durch den christlichen Glauben und warnte davor, die vordergründigen, sichtbaren und symbolträchtigen Strukturen des Volkslebens zu überschätzen: „Religion ist der innere Kern des Lebensgefühles und entsteht und wirkt nur in der Bewegung des wirklich und ehrlich gelebten Lebens. Sie lebt dort, wo ringende Menschen zerbrachen an Alltäglichkeiten des Lebens, die stärker sind als sie selber, sie lebt nicht im kühlen Schatten der Beschaulichkeit, sondern steigt empor aus Leid und Sinnlosigkeit, aus Taumel und Hast, aus Kampf und Not, aus wahrem Sieg und wahrer Niederlage, aus wirklich erlebtem Gewinnen und Verlieren des Lebens“.45

Das war gegen ein bequemes Pfarrerdasein der Amtskollegen auf dem Lande gesagt, wo ein Akademiker seine im Studium gewonnenen Vorsprünge gegenüber der Landbevölkerung ausspielen und die Nöte seiner Gemeinde und die geistigen Turbulenzen der Zeit von sich fernhalten konnte. Das konnte aber auch als eine Abwertung des Rationalen und Praktischen und als eine rein formale, inhaltlich unverbindliche Empfehlung zu verstärktem Eintreten für das Ganze von Volk und Kirche gehört werden, vielleicht sogar als eine Ermutigung, sich irrationalen Gefühlen zu überlassen. Die Stellung der Pfarrer hatte sich in zwei Generationen drastisch verändert und war nach 1919 in eine gefährliche Situation geraten. Die Pfarrer boten sich dafür an, zu Sündenböcken erklärt zu werden, und das geschah mit ihnen auch. Erwartungen und Anhänglichkeit vieler Gemeindemitglieder waren nach 1918 auf eine harte Probe gestellt worden. Die Nachkriegszeit, so sahen es die meisten, hatte nur Nachteile, Verluste und Demütigungen gebracht. Ein Pfarrer konnte nur bestehen, wenn er sich auf das Leben der Gemeindemitglieder einließ und ihre Sorgen und Mühen, ihre Hoffnungen und ihre Zweifel miterlebte und teilte. Konrad Möckel sprach sich gewiss nicht dafür aus, die funktionale Bedeutung der Kirche für den nationalen Bestand der Siebenbürger Sachsen in den Vordergrund zu rücken. Aber seine Aufsätze konnten, wie die Auseinandersetzung mit Erwin Reisner zeigte, missverstanden werden. Auf die Missverständlichkeiten machte Reisner mit Nachdruck aufmerksam: Man dürfe nicht argumentieren, weil das sächsische Volk in schwere See geraten sei, solle die Kirche unterstützt werden. Sie sei kein Instrument, mit dessen Hilfe das Überleben nach dem Untergang der „Sächsischen Nation“ gelingen könne. Gegen eine solche Funktionalisierung der Kirche wehrte sich auch Konrad Möckel. Er argumentierte, wenn man 45

Konrad Möckel: Pfarrer und Volksleben. Klingsor 5 (1928), S. 257-263, Zitat S. 261.

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sich zusammen mit verantwortungsbewussten Menschen um die sächsische Tradition sorge, sei es um die weltliche, sei es um die geistliche, so müsse man diese von der spirituellen Seite her erneuern, nicht von der organisatorischen. Konrad Möckel suchte die Erneuerung der Volkskirche. Er sprach sich nicht für bestimmte tagespolitische und schon gar nicht für parteipolitische Maßnahmen aus, sondern vertraute auf eine langfristig angelegte Gemeindearbeit. Er machte darauf aufmerksam, dass christliche Gemeinden auf der Wirksamkeit langer geschichtlicher Perioden beruhen, dass jedoch auch diese langen Zeitwellen der Erneuerung und Pflege bedürfen. Der Aufsatz Evangelische Arbeit 46 ist auf diesen mahnenden Ton gestimmt. Er konstatiert zwei Geistesbewegungen, eine Beschleunigung, wozu der „seelische Abbau aller Autoritäten geistiger, geistlicher und sonstiger Art gehört“, und eine retardierende, die sich den „Auflösungstendenzen der Zeit“ heftig widersetzt.47 Neben diesen zwei Vorgängen, der Beschleunigung einerseits und der retardierenden Widersetzlichkeit andererseits, macht er jedoch auch noch ein zweites Gegensatzpaar aus, das gleichsam quer dazu steht. Sowohl die Beschleunigung, für welche in seinen Augen die technisch fortgeschrittenen Vereinigten Staaten von Nordamerika standen, wie auch die weltläufige, internationale Zentrifugalkraft, die an den herkömmlichen, kleinen sächsischen Verhältnissen zerrte, errege eine heimliche Bewunderung, weil sie das Leben erleichtere. An dieser Bewunderung für einen bequemen Lebensstil setzte seine Kritik an. Er griff eine Unterscheidung Nietzsches auf und fand, dass nicht eigentlich „der Übermensch“, sondern der „letzte Mensch“, nämlich der wohlversorgte und wohlfunktionierende Bürger die heimliche, anthropologisch leitende Zielvorstellung der Zeit sei. Nicht die gemeinsame Anstrengung, sondern das Wohlergehen des Einzelnen sei Inhalt des Lebens. Dieser Zwiespalt zwischen der Angst vor dem Neuen, die die Menschen vereinzelte, und der Faszination gerade dieser Individualisierung mit ihren großen Möglichkeiten auf der anderen Seite, sei der Ort, wo „evangelische Arbeit“ aus einer „sächsischen Gesamthaltung“48 sinnvoll anzusetzen habe. Seine Diagnose: Es fehle „die letzte, innere Beziehung für all das, was uns beschäftigt und besorgt“.49 Im Stiften dieser Beziehung sah er die Notwendigkeit evangelischer Arbeit, fühlte jedoch auch, dass gerade an dieser Stelle die Abwehr siebenbürgisch-sächsischer Leser oder Hörer eintreten werde. Die Kirchengemeinden wünschten niemand, so wusste er, der sie „fromm machen und kirchlich abstempeln“ wolle.50 Was aber dann? Die Antwort überrascht; denn er wies an dieser Stelle auf seinen Wechsel aus dem Schuldienst in das Pfarramt – auf einen Schritt, der ihm zunächst Kopfschütteln eingetragen hatte: 46 47 48 49 50

Konrad Möckel: Evangelische Arbeit. Klingsor 6 (1929), S. 127-138. Ebda, S. 128. Ebda, S. 129. Ebda, S. 132. Ebda, S. 133.

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„Ich persönlich bin nach meiner Wahl zum Großpolder Pfarrer einer Reihe von Menschen begegnet, die mit Ton und Mienen etwa sagten: wir haben dich bisher für einen vernünftigen Menschen gehalten, der zu gewissen Hoffnungen berechtigt hat. Unbegreiflich, daß du nun ausgerechnet Kirchenmann wirst! Trotz alledem, ja gerade darum sage ich: unsere Arbeit muß evangelische Arbeit sein, das heißt nicht eine völkisch-konfessionelle, sondern eine Arbeit, deren eigentliche, ja einige Bezeichnung Gott, geoffenbart in Jesus Christus zu sein hat.“51

Er bestimmte die „evangelische Arbeit“ im Folgenden zunächst negativ, indem er sagte, was sie nicht sei. Man könne sie an ihren Früchten erkennen. „Evangelische Arbeit“ könne dort sein, wo die Kirche sei, müsse es aber nicht. „Es könnte zum Verhängnis werden, wollten wir uns noch eine Reihe von Jahrzehnten auf unsere ‚Volkskirche‘ verlassen.“52

Was er dann beschrieb, war paradox: eine Aktivität, die zugleich loslässt und sich ihre Schwäche eingesteht, eine „Leere“ und ein „Schweigen“, das zugleich eine „nüchterne Wachsamkeit gegenüber all dem Gegebenen, wirklich vorhandenen des Lebens“ ist.53 Er beschrieb hier seine eigene, junge Erfahrung im Pfarramt und seine daraus erwachsene Hoffnung. Mit Angst und Zittern, abwartend und zugleich aufgeschlossen für die Menschen, die ihm begegneten, hatte er begonnen. Er schrieb aber aus einer Erfahrung heraus, die ihn beflügelte. Bibelstunden und Gottesdienste waren gut besucht. Er sorgte auch gelegentlich für besondere Veranstaltungen, wie die Singwoche im Jahre 1927. Das waren Ereignisse für die ganze Gemeinde und von der ganzen Gemeinde getragen. Diese Erfahrung in Großpold war der Beweggrund, sich mit dem Südostdeutschen Wandervogel einzulassen und ihn – salopp ausgedrückt – als eine geistliche Baustelle zu betrachten, an der er langfristig tätig sein wollte, wie in einer Kirchengemeinde. Nicht der Südostdeutsche Wandervogel zog ihn an, sondern die Menschen, denen er etwas zu sagen hatte. Das wird besonders im Aufsatz Gottessohnschaft aus dem Jahre 1929 klar. Er unterschied sich von seinen vorausgehenden Aufsätzen dadurch, dass hier nicht in der Schwebe blieb, was das Zentrum der volkskirchlichen, christlichen Gemeinde sein solle. Auch die früheren Aufsätze sind bei genauem Lesen klar und wollen dem Missbrauch des christlichen Glaubens einen Riegel vorschieben. Aber dieser Aufsatz ließ für einen selbstbezüglichen Glauben des Volkes an sich selbst keinen Platz. Konrad Möckel hatte für sich einen Grundstein gefunden, von dem aus er sich die Vorgänge in Siebenbürgen klar machen konnte. Er trat vor seine Leser mit der Forderung μετανοεϊτε „Wandelt euch!“ „Kehrt um!“.54 Hier stand ohne jede gefällige Einschränkung gegenüber Zuhörern oder Lesern das Bekenntnis zu Christus: 51 52 53 54

Ebda. Druckfehler? „einige Beziehung“. Ebda, S. 134. Ebda, S. 135. Konrad Möckel: Gottessohnschaft. Klingsor 6 (1929), S. 287-293 und 352-356.

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„Damit sind wir an den praktischen Folgen der erkenntnis-theoretischen Frage angelangt, die im μετανοεϊτε des Evangeliums gestellt sind. Man kann sie so formulieren: es wird das Schicksal nicht nur unseres Volkes, sondern der Menschheit davon abhängen, ob wir mit Petrus aus tiefster Seele bekennen dürfen: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“

Konrad Möckel legte sich damit öffentlich fest. Allerdings – damit waren noch nicht alle Entscheidungen im Alltag klar, wie sich in der Zusammenarbeit mit dem Südostdeutschen Wandervogel und in den Kämpfen der nächsten Jahre zeigen sollte.

Kapitel 4

Der Südostdeutsche Wandervogel (1930-1932)

Wandervogel Im Jahre 1896 begannen Berliner Schüler des Gymnasiums in Steglitz in kleinen Gruppen mehrtägige „Fahrten“ zu unternehmen und zu wandern – mit oder ohne Lehrer. Das war damals völlig neu. Das gemeinsame Wandern in der schulfreien Zeit gab einem neuen Lebensgefühl Ausdruck. Dem Steglitzer Beispiel folgten bald andere. Der steife Stil der Elterngeneration in Kleidung und Gehaben beengte die Jüngeren, die nach neuen, zwangloseren Formen geselligen Lebens suchten. Eine auch äußerlich sichtbare Emanzipation Jugendlicher von ihren Eltern kam in wenigen Jahren in Deutschland und Österreich in Gang. 1901 entstand der „Wandervogel, Ausschuss für Schülerfahrten“ und 1904 der Verein „Wandervogel“. Der Wandervogel war ein wichtiger Teil der zunächst eher unpolitischen „Jugendbewegung“ im vorwiegend bürgerlichen Milieu. Die Jugendlichen wandten sich gegen eine, wie sie meinten, selbstzufriedene Erwachsenengeneration und erkannten sich daran, wie sie ihre freie Zeit verbrachten, wie sie sich kleideten, wie sie sich gaben, wie sie sprachen, welche Modewörter sie benützten. Sie begrüßten sich mit „Heil!“. Im Mittelpunkt standen Wanderungen und Volksmusik – Lieder zur Klampfe oder Geige. „Im Frühtau zu Berge wir ziehn, vallera, es grünen die Wälder, die Höhn, vallera“, so begann ein beliebtes Lied, ein anderes „Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld ...“. Der „Zupfgeigenhansl“, 1909 in Heidelberg erschienen, verband Hunderte von Gruppen. Im Rucksack nahmen sie Proviant mit, mieden Gaststätten und übernachteten in Scheunen oder in Zelten. Einige fertigten sich kleine Wimpel an und ließen sie an Stangen im Wind flattern. Sie übten mehrstimmige Chöre, Sprechchöre und Laienspiele ein, und manche Gruppen erreichten ein beachtliches künstlerisches Niveau. Sie veranstalteten Theater- und gesellige Abende. Sie organisierten „Großfahrten“ von mehreren Wochen, die oft ins Ausland führten. Zur Ausstattung gehörten Zelte und ein verrußter Topf für einfache Gerichte, die sie über offenem Feuer kochten. An kleinen, selbst geschnittenen Spießen brieten sie mitgebrachte Würste oder – in Siebenbürgen beliebt – kleine Stückchen Speck. Die Haartracht, der offene Hemdkragen, die kniefreien, kurzen Hosen schockierten die

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Erwachsenen zunächst, waren in den Städten aber bald Jugendmode. Manche Gruppen, auch im Wandervogel, lehnten Alkohol und Tabak ab. Die Mädchen schminkten sich nicht und trugen das Haar lang oder in Zöpfen geflochten. In der Tschechoslowakei und auch in Rumänien setzten sie sich damit von den tschechischen oder rumänischen jungen Frauen betont ab. Großstädte galten ihnen als ungesund, dekadent, materialistisch, selbstsüchtig. Das Wort „liberal“ gebrauchten sie abfällig. Im Jahre 1913 fand in Hessen auf dem Hohen Meißner ein großes Jugendtreffen statt, dessen sogenannte „Meißner Formel“ tausendfach zitiert worden ist. „Wir wollen unser Leben aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung und mit innerer Wahrhaftigkeit gestalten“.1

Die „Meißner Formel“ hatte den hohen Ton asketischer Selbstverpflichtung. Sie war anspruchsvoll, unpolitisch und vieldeutig. Nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete sich der neue Stil auch auf andere Jugendgruppen – auf konfessionelle, gewerkschaftliche und auf Gruppen, die politischen Parteien nahestanden. Es gab lose organisierte Gruppen, die sich rasch fanden und ebenso schnell auflösten. Andere festigten sich zu wohlorganisierten Bünden mit einer Leitungshierarchie und örtlichen Gruppen. Südostdeutscher Wandervogel In dieser „bündischen“ Nachkriegsform erlangte der Wandervogel unter den Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen große Bedeutung. Er war schon vor dem Ersten Weltkrieg nach Siebenbürgen gelangt. Der Naturkundelehrer Theodor Fabini gründete 1910 in Schäßburg die erste Wandervogelgruppe Siebenbürgens.2 Der Kontakt mit Gruppen aus Deutschland und Österreich blieb auch nach dem Übergang Siebenbürgens zu Rumänien erhalten und verstärkte sich noch. Neben dem Wandervogel gab es seit 1921 den Allgemeinen siebenbürgisch-deutschen Jugendbund. Zu Ostern 1927 fand eine „Führertagung“ des Wandervogels statt, auf dem sich die Wandervogelgruppen zu einer „Gesinnungs- und Arbeitsgemeinschaft“ zusammenschlossen. Ein Jahr darauf folgte ein Treffen in Honigberg, wo Wilhelm Staedel seit 1924 Pfarrer war. „Es war ein bedeutender Schritt in der Entwicklung der heimischen Jugendbewegung, namentlich in der Erstarkung des Wandervogels“, schrieb der Leiter der Hermannstädter

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„Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortlichkeit, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“ Knud Ahlborn. In: Das Meißnerfest der Freideutschen Jugend 1913. München 1913. 2 Michael Kroner im Lexikon der Siebenbürger Sachsen. Hg. von Walter Myß. Thaur bei Innsbruck 1993, S. 222.

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Wandervogelgruppe Egon Coulin nach dem Treffen.3 Etwa 60 Teilnehmer berieten mit dem Ortspfarrer und mit Alfred Herrmann, Stadtprediger in Kronstadt-Blumenau, den Weg der Jugendbewegung. Hermann gehörte in Siebenbürgen zu den wenigen Pfarrern, die Verständnis für die Arbeiterbewegung hatten. In diesem Stadium seiner Geschichte erinnert der siebenbürgische Wandervogel wohl noch an die Formel vom Hohen Meißner von der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, ging jedoch mit den Anfängen eines romantischen Führerkultes und mit der Forderung eines Dienstes für die Allgemeinheit darüber hinaus. „Das Endziel der Jugendbewegung muss für uns auch darin liegen, daß wir Lebensgemeinschaften bilden und die zur Tragung und Führung solcher Gemeinschaften fähigen Menschen aus uns machen. Die Arbeit der Jugendgruppen ist also im Wesentlichen erzieherischer Art und geht auf Charakterbildung, Gesinnungsbildung, körperliche Ertüchtigung, Erweckung von Pflicht- und Verantwortungsgefühl, Religion, Heimatliebe usw. aus.“4

Diese Eigenschaften sollten dann, das war die Hoffnung des Hermannstädter Verfassers, zur Gesundung und Erneuerung des ganzen Volkskörpers führen. Die Themen der Wandervogeljugend waren Religion, Leben ohne Alkohol, Turnen, Tanz, Spiel, Musik, Gesang, Landfahrten. Die Diskussionen über unspezifische, religiöse Fragen hinterließen bei den Jugendlichen einen starken Eindruck: „Mit dem kraftvollen Bekennerworte Pfarrer Staedels ‚Und dennoch‘ werden wohl die meisten den Wegweiser zur Religion auf ihrem weiteren, wer weiß wie zwiespältig und wirrvollen Lebensweg mitbekommen haben.“5

1928 hielt der Allgemeine siebenbürgisch-deutsche Jugendbund seine Tagung im Rahmen der Vereinstage in Bistritz ab und bat um die Beteiligung des Wandervogels.6 Jährliche „Vereinstage“ waren eine informelle Einrichtung, deren Besonderheit darin bestand, dass sich die größeren Vereinigungen der Siebenbürger Sachsen (Verein für siebenbürgische Landeskunde, Lehrerverein, Pfarrverein, landwirtschaftlicher Verein, Frauenverein u. a.) auf einen gemeinsamen Termin und auf den Ort für ihre Jahrestagungen einigten. Das hatte praktische Gründe; denn es ergab kurze Wege, wenn Referenten oder Besucher, was nicht selten vorkam, auf mehreren Hochzeiten zugleich tanzten. Es lag darin aber auch – unausgesprochen – ein Ausdruck sächsischer Zusammengehörigkeit. Den Vorsitz des Jugendbundes hatte Pfarrer Wilhelm Staedel. Der Jugendbund verlegte seinen Hauptsitz nach Kronstadt. In den „Ausschuss“, der für den Jugendbund zuständig war, wählten die Anwesenden Lene Schiel und Gustav Barth aus Kronstadt, die dem Wan3 Nachlass KM, Hds 4, Mappe „Wandervogel – Rundbriefe“. „Wandervogel – Deutsche Jugendwanderer“ Rundbrief Nr. 6 Brachet (Juni) Egon [Coulin] „Um Honigberg“ 1928, S. 8-9. 4 Ebda. 5 Ebda. 6 Der Name des Jugendbundes knüpfte an einen 1849 von Stephan Ludwig Roth gegründeten Jugendbund an. Er stand der evangelischen Kirche nahe und erreichte nicht annähernd die Bedeutung, die der Wandervogel in Rumänien hatte.

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dervogel angehörten. Außerdem bildeten die Anwesenden sieben Sonderausschüsse. In ihnen zeichnet sich das Arbeitsgebiet des Jugendbundes in Siebenbürgen ab: Publizistik, Jugendherbergen, Laienspiel, Sport, Gesang, Tanz, Landjugend.7 Alfred Bonfert, der Leiter des Wandervogels, sah in den Ausschüssen eine „tote Form“.8 Der Jugendbund galt eher als eine Einrichtung des kirchlichen Establishments. Der Wandervogel sei zwar zur Mitarbeit im Jugendbund bereit, aber für die Wandervogel-Mitglieder fügte er hinzu, es sei im Jugendbund bisher noch nicht viel geschehen, also sei es auch nicht nötig, etwas „umzustürzen“ oder gegen „Traditionen“ anzukämpfen – eine Äußerung, welche die aggressive Tendenz des Wandervogels, aber auch Bonferts Einschätzung des Kräfteverhältnisses zeigt. Die Wandervogelgruppen schlossen sich 1929 zum „Südostdeutschen Wandervogel“ zusammen. Der Hermannstädter Wandervogel hatte den jungen Tierarzt Dr. Alfred Bonfert schon im Sommer zuvor auf seiner Sonnwendfeier in feierlicher Form bei loderndem Feuer auf der Poplaker Heide zu seinem „Führer“ gewählt. Egon Coulin fragte die 130 Mädchen und Jungen, ob sie wollten, dass Alfred Bonfert ihr Führer sei und ob sie ihm gehorchen wollten. „Alle schreien laut ‚Ja‘.“ Sprecher rezitierten Gedichte von Georg Stammler. Der Berichterstatter schließt, „fest und innig klang das wuchtige Lied in die Nacht: ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘.“9 Wandervogelgruppen tauschten ihre Rundbriefe über die Grenzen hinweg aus. Siebenbürgen war nach dem Ersten Weltkrieg ein beliebtes Ziel von Jugendgruppen aus Österreich und Deutschland, die „Spiel- und Singfahrten“ planten. Auf seiner „Banatund Siebenbürgenfahrt“ 1930 kam der Reutlinger Jugendring mit 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch nach Großpold. Konrad Möckel brachte die Gäste, die meisten von ihnen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren, in Privatquartieren unter. Leiter war Hans Grischkat, später Professor an der Musikhochschule in Stuttgart. Die Gruppe brachte ein anspruchsvolles Chor-Programm mit. Im gleichen Jahr besuchten zwei weitere Gruppen Großpold, die eine aus Kassel, die andere aus Österreich. Wandervogelgruppen konnten mit den traditionellen Formen der Jugend in der Evangelischen Landeskirche A. B., den Bruder- und Schwesterschaften, in Einklang stehen und sie beleben. Im Jahre 1932 bot ein Leipziger Pfarrer über einen siebenbürgisch-sächsischen

7 Sonderausschüsse waren: 1. Schrifttum (Dr. Alfred Bonfert), 2. Herbergswesen (Dr. Theil), 3. Laienspiel (Sepp Lederer), 4. Leibesübungen (Gustav Welzer), 5. Volkslied (Walther Scheiner), 6. Volkstanz (Anni Teutsch), 7. Ländliche Bevölkerung (Ing. Sepp Schobel). 8 Nachlass KM, Hds 4, Mappe „Wandervogel – Rundbriefe“. Alfred Bonfert „Bericht über die Jugendbundtagung in Bistritz am 13. Ernting 1928 nach einem Bericht von Gerhart Kelp. In: Arbeitsgemeinschaft der Wandergruppen, Rundbrief Nr. 7, Scheiding (September) 1928, S. 12. 9 Im September 1928 erschien ein Rundbrief unter dem Briefkopf „Arbeitsgemeinschaft der Wandervogelgruppen“. Darin der Bericht von Egon Coulin.

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Studenten an, mit seiner Jugendgruppe das Apostelspiel von Max Mell aufzuführen. Er fasste „die ganze Fahrt als Verkündigung der evang. Botschaft“ auf.10 Ende der 1920er Jahre kamen in Deutschland außerdem Arbeitslager als eine Form der Jugendkultur auf. Besonders wirkungsvoll waren die Arbeitslager für „Arbeiter, Bauern und Studenten“ in Niederschlesien 1928-1930. Anfang der 1930er Jahre gelangte diese Form der Jugendbewegung mit nachhaltiger Wirkung auch nach Siebenbürgen – in ihrer Zielsetzung allerdings nationalistisch verbogen.11 In den meist bürgerlich-national gesinnten Jugendgruppen hatten Schlagwörter wie „Liberalismus“ und „Individualismus“ keinen guten Klang – was immer Jugendliche in den 20er Jahren im Einzelnen auch darunter verstehen mochten. Viele Wandervogelgruppen suchten eine konfessionell nicht festgelegte Spiritualität. Sie waren unverbindliche, spielerischexperimentelle Feiertagsgemeinschaften, ohne dass die Generation der Erwachsenen erkannte, was unter ihren Augen geschah. Auch die jungen Menschen wussten nicht so recht, wie ihnen geschah, wenn sie sich begeistern ließen und hoch über das Berufsleben und den Schulalltag hinausflogen, um sich freundschaftlich zu verbinden. In den engen siebenbürgischen Verhältnissen, wo nahezu jeder mit jedem verwandt war, ergab sich daraus ein eigenartiger Stil. Die Freundschaften hielten formal, auch wenn sich die Wege später politisch trennten, gewöhnliche Jugendrivalitäten politische Einfärbungen erhielten und hochkochten. Man kann es jedoch auch umgekehrt sehen. In eine Idylle kritikloser Jugendlicher drang eine berechnende Politisierung, die den Umgang und das Denken der Jugendlichen vergiftete und einen Geschwisterhass erzeugte, der in seiner Heftigkeit über die normale politische Rivalität um den besten Weg weit hinausging, weil man sich gegenseitig nur zu gut kannte. Ehemalige Wandervögel duzten sich in Briefen selbst noch bei unüberbrückbarer Feindschaft. Zunächst blieb es unentschieden, ob sich die von oben organisierte kirchliche Jugendpflege oder die Jugendbewegung von unten durchsetzen werde. Die neuen Formen, wie Sonnwendfeiern oder thematische Abende mit Vorträgen und Liedern, konnten sich verselbständigen und in Gegensatz zur kirchlichen Tradition treten. Bis in die frühen 30er Jahre war noch nicht entschieden, ob der Wandervogel in Siebenbürgen die kirchlichen Traditionen beleben oder abtöten werde. Das hing unter anderem auch von dem Unterschied zwischen den Städten, in denen die Jugendbewegung Fuß fasste, und den Dörfern ab, in denen die Bruder- und Schwesterschaften bestanden. Der Wandervogel in Rumänien war ausschließlich auf die deutschsprachige Jugend beschränkt – eine ethnische Besonderheit, die zur nationalen Identifikation einlud. Wandern war in den 1920er Jahren kennzeichnend für deutsche Jugendliche, weniger für ungarische und rumänische. Erst recht galt das für Sonnwendfeiern, Ar-

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Fritz Nösner an KM am 24. Mai 1932. Nachlass KM Archivkarton 12, DM Hds, 1/g, Mappe „Richtwoche und Jugendbewegung“. 11 Siehe dazu auch das Kapitel „Frecker Kreis“.

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beitslager, kurze Hosen und die bekenntnishafte Ablehnung von Alkohol und Nikotin als Jugendmode. Wenn man verstehen will, welche Bedeutung dem Wandervogel in Siebenbürgen zukam, muss man sich die Bedeutung der Erwachsenenbildung nach dem Ersten Weltkrieg vergegenwärtigen. Organisierte Erwachsenenbildung, zum Beispiel in Volkshochschulen, war damals in Europa neu und zog, besonders in Deutschland, große Hoffnungen auf sich. Volkshochschulen und Heimvolkshochschulen entstanden in Deutschland nach 1919 in großer Zahl. Universitäten richteten Kurse ein, ebenso die großen Konfessionen. In Frankfurt entstand ein jüdisches Lehrhaus für Laien. Die Besucher durften an den Veranstaltungen teilnehmen, auch wenn sie kein Abitur hatten. Jeder war zugelassen. Die Volkshochschulheime wetteiferten um ein möglichst hohes Niveau im Bildungsangebot. Erwachsenenbildung war zwar keine Aufgabe der Jugend, aber ältere Wandervogel-Mitglieder konnten als freiwillige Mitarbeiter tätig werden. In Siebenbürgen bahnte sich seit 1930 eine Zusammenarbeit des Wandervogels mit der landwirtschaftlichen Schule unter der Leitung von Pfarrer Misch Bergleiter an. Vor dem Kriege feierte der Wandervogel sich und die Jugend. Nach dem Ersten Weltkrieg genügte das manchen Gruppen und Jungscharen nicht mehr. Sie setzten sich neue Ziele. Diese konnten zwar mit den Zielen politischer oder kirchlicher Organisationen übereinstimmen; aber es war auch möglich, auf eine konfessionelle oder parteipolitische Ausrichtung zu verzichten. In Deutschland trat der Hohenrodter Bund für eine zwar basispolitische, aber parteipolitisch und konfessionell nicht gebundene Erwachsenenbildung ein. Im Hohenrodter Bund schlossen sich einflussreiche Persönlichkeiten der Erwachsenenbildung freundschaftlich zusammen. Das Boberhaus in Löwenberg in Schlesien (Lwówek), dessen Träger eine Jugendgruppe war, übernahm mit Hilfe von Beratern aus der Universität unter Kämpfen und Schwierigkeiten die Aufgabe der Erwachsenenbildung und wuchs in eine größere Verantwortung hinein (Greiff 1985). Das Boberhaus war auch in Siebenbürgen bekannt.12 Das war einer der Wege, die sich älteren Wandervögeln anboten. Deren Weg konnte jedoch auch in die praktische Politik im Rahmen einer Partei einmünden und in den Dienst einer agitatorischen Erwachsenenbildung oder zu einer Auseinandersetzung zwischen Alt und Jung und zwischen verschiedenen Vorstellungen von Professionalität in der Erwachsenenbildung führen. Auch dafür steht das Beispiel des Boberhauses in Löwenberg. Im Südostdeutschen Wandervogel ging es darum, ob ältere Strukturen der Jugendarbeit im Umkreis der Kirche mit Hilfe von Formen der Jugendbewegung weiterentwickelt oder ob die traditionellen, kirchlichen Bindungen der Landjugend zugunsten parteipolitischer Betätigung völlig ignoriert werden soll12 Zwischen 1928 und 1930 waren als Helferinnen im Boberhaus aus Siebenbürgen tätig: Rosi Truetsch aus Rosenau, Brunhilde Wonner aus Weidenbach, Dagmar Polony und Hella Schlandt aus Kronstadt. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (IFZ), ED 423-10, Nachlass Walter Neumann.

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ten. Volkskirchliche Jugendarbeit, basispolitische Jugendarbeit auf eigene Faust oder politische Karriere? Der Südostdeutsche Wandervogel entschied sich für die Trennung von der Volkskirche, aber es gelang ihm nicht, wie es dem Boberhaus in Schlesien gelungen war, einen partei- und konfessionsunabhängigen Weg zu finden. Um im Bilde zu bleiben: Als er meinte, auf eigene Faust und selbständig zu agieren, hatten schon fremde Fäuste die Zügel in der Hand. In wenigen Jahren geriet die bündisch organisierte und zu einer „Erneuerung“ des Volkes drängende Jugend sowohl in Siebenbürgen als auch im Banat in einen Gegensatz zu den Kirchen und in ein parteipolitisches Fahrwasser. Beide Siedlungsgebiete in Rumänien mit deutscher Bevölkerung hatten noch eine volkskirchliche Prägung. Der Südostdeutsche Wandervogel verfehlte einen überkonfessionellen und überparteilichen Weg, geriet in eine antikirchliche und schließlich antichristliche Haltung und ebnete dem Nationalsozialismus den Weg in die deutschsprachige Bevölkerung – als gäbe es dazu keine Alternative. Die politische Willensbildung vollzog sich in den Nachkriegsdemokratien überall in politischen Parteien. Die Strukturen, welche die Siebenbürger Sachsen etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Gründung von vielen Vereinen geschaffen hatten, standen traditionell in einer engen Verbindung zur evangelischen Kirche und waren keine modernen Parteien mit einer innerparteilichen Demokratie. Die Parteiungen waren eher lose Vereinigungen, „Bürgerabende“, dominiert von wenigen, einflussreichen Persönlichkeiten. Man traf sich wöchentlich, beredete die städtischen Angelegenheiten und organisierte von Zeit zu Zeit Wahlen. Diese gesellschaftlichen Gruppen bezogen die kirchlichen Traditionen in ihr Kalkül ein, aber es blieb hierbei ein Respekt vor der Selbständigkeit der kirchlichen Institutionen und ihren traditionell überkommenen Aufgaben bestehen. Kirchliche Einrichtungen wiederum ließen es sich gefallen, in den Dienst politischer Aktionen einbezogen zu werden. In der Schulpolitik gegenüber dem Unterrichtsministerium in Bukarest war das selbstverständlich. Bischof Friedrich Teutsch galt als allseits anerkanntes kirchliches und politisches Oberhaupt der Siebenbürger Sachsen, er präsidierte, ohne dass es ein Präsidentenamt gegeben hätte. Erwachsenenbildung als berufliche Fortbildung gab es in der Landwirtschaft durch die Raiffeisenvereine und in der Fortbildung der Pfarrer und Lehrer in Kursen und auf regionalen Kongressen. Eine deutschsprachige Universität, an die sich die Erwachsenenbildung hätte anlehnen können, gab es in Rumänien nicht. Der rumänische Staat bot weder eine Jugendarbeit noch eine Erwachsenenbildung an, die für die deutsche Bevölkerung hätte anziehend sein können. In dieser noch unklaren Situation warb der Wandervogel mit Erfolg um Konrad Möckel. Vorbereitung des Älterentreffens in Sächsisch-Regen Alfred („Fred“) Bonfert war 25 Jahre alt, als er die Leitung des Südostdeutschen Wandervogels übernahm. Er gab einen „Rundbrief“ heraus, das Organ des „Südostdeutschen Wandervogels“, mit dem Untertitel „Deutsche Jugendwanderer in Rumänien“.

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Bonfert schrieb ein Jahr nach dem Treffen in Sächsisch-Regen (Reghin) zum Thema Wandervogel und Kirche: „Der ungestüme und anfangs reichlich unklare Drang zur Lebenserneuerung, der das Wesen unseres Wandervogels bildet und dem unsere Bewegung überhaupt das Dasein verdankt, musste folgerichtig zu einer Fragestellung nach dem Letzten, nach dem Grund und Wesen aller Dinge führen und brachte uns über die Glaubensfragen (Religion) auch zur Auseinandersetzung mit der bestehenden Glaubensgemeinschaft, der Kirche schlechthin.“13

Bonfert sprach in seiner Einladung zum „Älterentreffen“ im Rundbrief die Frage der Religion direkt an. Nicht nur die Gestaltung des eigenen Lebens, sondern „Lebenserneuerung“ gab er als Ziel an. Wollten die Jugendlichen sich selbst erneuern oder wollten sie andere, vielleicht sogar die amtlichen, kirchlichen Institutionen in Stadt und Land für eine Erneuerung gewinnen? Und welcher Art sollte die Erneuerung sein? Es konnten kirchliche und gesellschaftliche Einrichtungen erneuert werden. Die oft abstrakt und allgemein gestellte Frage der Erneuerung des sächsischen Volkes war das beherrschende Thema auch in anderen Kreisen. Die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden war groß. Sie spiegelte sich in der deutschsprachigen Tagespresse, aber, wie wir sahen, auch in Publikationen wie dem „Klingsor“ oder den „Kirchlichen Blättern“. Alfred Bonfert lud Konrad Möckel am 4. Mai 1930 zum Älteren Treffen in SächsischRegen vom 29. Juli bis 3. August 1930 ein. Es sollten im Stile von Arbeitsgemeinschaften und Aussprachen, deren Leitung sich Bonfert vorbehielt, hauptsächlich zwei Gebiete behandelt werden. „1. Die Arbeitsmöglichkeiten der Älteren in der Wandervogelgemeinschaft, innerhalb der völkischen Arbeit und endlich im Beruf. Es gilt hier eine gemeinsame Richtung zu finden, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen. 2. Der Versuch zu Sitte, Brauchtum und allem Hergekommenen in unserem Volke eine rechte Einstellung zu finden, von der aus wir auch an eine Erneuerung dieses Gutes zunächst einmal in unserem Kreise gehen können (hierin wäre auch die Frage der Erneuerung der Tracht, des Tanzes und anderer Volksgüter zu zählen).“14

So schrieb er dem Großpolder Pfarrer: „Von Ihnen erwarten wir in der Hauptsache Richtung und Rat in den Fragen um unsere Stellung zum sächsischen Volksgut. Auch werden Sie uns gewiß manchen Wink für unsere Arbeit im Beruf und in der allgemeinen völkischen Arbeit innerhalb unseres Volkes geben können.“15

Der Ausdruck „völkische Arbeit“ zeigt, dass die Schriften Konrad Möckels „Volkstum“, „Volkstum und Glauben“ und andere Artikel von der Leitung des Wandervogels nicht als ein Aufruf zu einer Vertiefung des Glaubens in der christlichen Gemeinde, sondern eher als Teil der „völkischen“ Arbeit wahrgenommen worden waren. Von den 13 14 15

Nachlass KM, DM Hds 4, Mappe Wandervogelrundbriefe. Rundbrief 1931, H. 3. Nachlass KM, DM Hds 4, 1/g, Brief Dr. Alfred Bonfert an KM vom 4.5.1930. Ebda.

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Referenten hatten schon Professor Nischbach16 aus Temeswar, Pfarrer Misch Bergleiter und Rittmeister a. D. Fritz Fabritius aus Hermannstadt zugesagt. An drei Tagen sollte außerdem Prof. Hans („Vater“) Hahne aus Halle, der sich gerade in Siebenbürgen aufhielt, an den Aussprachen teilnehmen.17 Konrad Möckel antwortete am 12. Mai 1930 mit einer bedingten und am 23. Juni mit einer festen Zusage. „Es wird mir eine große Freude sein, mit Ihrem Kreis, den ich sosehr schätze, einige Tage zusammen sein zu dürfen.“ Es werde ihm allerdings ein wenig bange, wenn man in ihm „einen Berater in Fragen des völkischen Volksgutes“ finden wolle. „Gerade in den praktischen Fragen der völkischen Lebenserneuerung, die das Ziel Ihres Bundes ist, bin ich ein ebenso Suchender und Fragender, wie Sie alle.“18 Er näherte sich dem Südostdeutschen Wandervogel mit einem kaum gerechtfertigten Respekt. Wer war der Kreis, in den Konrad Möckel eintrat und den er „so sehr schätzte“?19 Bonfert bereitete das Älterentreffen im Rundbrief Nr. 2 (1930) vor. Die 25 hektographierten Seiten und die Beiträge in anderen Heften dieser Zeit lassen erkennen, was der Wandervogel 1930 unter „Erneuerung“ verstand, welcher Weg sich abzeichnete, was entschieden und was noch offen war. Der Wandervogel zielte jedenfalls nicht mehr auf die „Selbstgestaltung des Lebens“ in „eigener Verantwortung“, wie die Meißner Formel es forderte, sondern auf die Gestaltung von „Heimat und Arbeit“, wie es im Einladungsschreiben hieß. Die „Älterenarbeit im Wandervogel“ sollte die „Erfüllung des Wandervogels“ werden. Die Berufsarbeit spielte hierbei eine geringere Rolle als das Aufgabengebiet, das mit „Heimat“ und „völkischer Arbeit“ sehr weit umschrieben war. Der Südostdeutsche Wandervogel – Deutsche Jugendwanderer in Rumänien versandte zwar mit seinem Rundbrief einen weiteren hektographierten Rundbrief für Handel und Gewerbe. Darin behandelte er in kurzen Artikeln Themen wie die Wirkung der Industrialisierung auf das Kleingewerbe, Rationalisierung, Berufswahl, Fortbildung oder warnte vor dem Kauf von Ladenhütern (Schnäppchen); er gab „vorwärtsstrebenden Tischlern“ Ratschläge oder stellte praktische Probleme der „Beleuchtungstechnik“ vor.20 Das war gut gemeint, aber nicht zwingend. Der Wandervogel gab diesen Rundbrief für Handel und Gewerbe 16

Josef Nischbach (1889-1970), katholischer Priester, tätig in der Lehrerbildung und Lehrerfortbildung, Leiter der Deutschen Lehrerbildungsanstalt Banatia, Gründer und Leiter des „Bundes der deutschen katholischen Jugendvereine“ im rumänischen Banat. 17 Im Rundbrief des „Wandervogel“ 1930-3 bedankt sich Bonfert bei „Pfarrer Möckel, Pfarrer Bergleiter, Professor Hans Eck und Fritz Fabritius“, Nischbach und Hahne scheinen nicht teilgenommen zu haben. 18 Nachlass KM, DM Hds Karton 4, 1/g, Brief Konrad Möckel an Dr. Alfred Bonfert am 12.5.1930. 19 Im Nachlass befinden sich – unvollständig – Rundbriefe seit 1928. 20 Nachlass KM, Hds DM 4 – Mappe Wandervogelrundbriefe. 3. Rundbrief für Handel und Gewerbe. Kronstadt Neblung (November) 1930.

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auch auf.21 Das Bemerkenswerte am Rundbrief ist der Versuch, die Kluft zwischen zukünftigen Akademikern und zukünftigen Handwerkern in den eigenen Reihen bewusst zu überbrücken. Allgemeine Fragen (Stichworte „Heimat“ und „völkische Arbeit“) beschäftigten den Wandervogel intensiver als Handel und Gewerbe. Als „Ältere“ galten die Wandervogelmitglieder über sechzehn Jahre. Das Treffen sollte die Frage beantworten, welche Aufgaben die jungen Männer und Frauen übernehmen sollten, wenn sie dem Jugendalter entwachsen waren. Bonfert sammelte in Heft 2 (1930) Anregungen. Ein Autor, Gerhart Kelp, der in Paris studierte, fragte: „Ist ein Volk, das, wie z. B. unser sächsisches Volk, seine eigene Kultur hat, dazu berechtigt, nur um mit der Welt mitzugehen, so pflegt man gerne zu sagen, Kulturen oder Zivilisationen weiter oder weniger entwickelter Völker kritiklos anzunehmen?“

Das „Abwehren mancher, dem Charakter unseres Volkes vollkommen fremder Einflüsse“ sei nicht so einseitig und kleinlich, wie es „unserer Bewegung“ von Außenstehenden vorgeworfen werde.22 Ob er die siebenbürgische Erneuerungsbewegung oder den Nationalsozialismus in Deutschland meinte, ist aus dem Artikel allein nicht zu erkennen. Gustav Barth, ein Kronstädter Autor, unterschied zwei Ansichten, die es zu den Aufgaben der Älteren im Wandervogel gab. Die einen meinten, jeder Wandervogel solle seinen eigenen Weg gehen, die anderen befürworteten feste Zusammenschlüsse, um gemeinsam volkserzieherisch zu wirken.23 Er fragte, „wie wir uns bzw. unsere Volksgenossen beruflich und wirtschaftlich fördern können“.24 Kläre Binder machte praktische Vorschläge. Die älteren Mädchen sollten sich der „Freien sächsischen Frauenvereinigung“ (F.S.F.) zur Verfügung stellen, etwa für die Arbeit in der Berufsberatung oder für die Bahnhofsmission. Andere könnten entweder im Rahmen des Allgemeinen ev. Frauenvereins oder direkt durch das Pfarramt als Helferinnen in der Armenpflege mitwirken, „da wir z. B. für die 18.000 Einwohner sächsischer Nation hier in Hermannstadt nur zwei Armenpflegerinnen zur Verfügung haben“.25 Sie nannte ferner Spielnachmittage für Schulkinder als Gegengewicht gegen das Umsichgreifen des Sektenwesens.26 Wirtschaftlich tüchtige oder gewerblich geschulte Kräfte könnten, wie die Verfasserin meinte, an den Abendwirtschaftskursen für junge Mädchen und Frauen mithelfen. Sie schlug sogar eine neue Einrichtung

21 Es ließ sich nicht feststellen, von wann bis wann die Beilage „Rundbrief“ für Handel und Gewerbe erschien. 22 Nachlass KM, Hds DM 4 – Mappe Wandervogelrundbriefe. Rundbrief 1930/2, S. 3. 23 Ebda, S. 4. 24 Ebda, S. 5. 25 Ebda, S. 5. 26 Mit „Sekten“ bezeichnete man in Siebenbürgen in dieser Zeit auch freikirchliche Gemeinden. In manchen siebenbürgischen deutschen Dörfern entstanden neben den Kirchengemeinden kleine freikirchliche Gruppen, die von der Amtskirche als Bedrohung empfunden wurden.

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vor – die Beteiligung pädagogisch geschulter älterer Wandervögel an einer Mütterschule für junge Frauen. Egon Coulin aus Hermannstadt setzte sich für die Sammlung und Pflege oder Wiederbelebung der Bräuche in den dörflichen Gemeinden ein und skizzierte einen Aktionsplan. Die Aktion sollte mit einem Aufruf beginnen und dann über die Literaturrecherche und die Anwerbung von Lehrern zur Mitarbeit weitergehen bis zur Bewertung und Auswertung. Am Ende sollte eine Handreichung in der Form einer Sammelmappe stehen.27 Ein längerer Abschnitt im Rundbrief, wahrscheinlich auch aus der Feder von Egon Coulin, war der Erneuerung der Geselligkeit gewidmet und richtete sich gegen den „krassen Materialismus“ und die „Krassheit ... übertriebener, masslos ausgedehnter Genuss- und Vergnügungssucht, wüsten Trinksitten, Sinnenreiz und Sinnenrausch, Fressorgien, Gewänderprotzerei mit der modischen Entblössung“.28 Dagegen sollten die Wandervögel mit thematischen Elternabenden, mit geselligen Veranstaltungen, zwanglosen Zusammenkünften mit Tanz und Gesang eine Alternative anbieten. Der Wandervogel setzte sich damit von den bei Gymnasiasten beliebten Kränzchen ab. Das waren kleine Tanznachmittage in Privathäusern. Ein großes Zimmer genügte als Tanzfläche. Schlager der 1920er Jahre, auf die man tanzen konnte, kamen aus dem Grammophon. Wer zum Kränzchen gehörte, brachte Kuchen, belegte Brote, eine Flasche Wein oder ein Bowle mit. Meistens warf die Hausfrau ein Auge auf das kleine Fest, das harmlos begann, aber nicht immer harmlos endete. Die Kritik aus dem Wandervogel an „Sauforgien“, „modischer Entblößung“, „modernen Gesellschaftstänzen“ hatte einen stark ideologischen Beigeschmack. Alfred Bonfert warb in zwei längeren Artikeln für die „Erneuerung der Geselligkeit“ und für die Erneuerung der sächsischen Tracht („Grundsätzliches zur Trachtenfrage“)29, nicht nur für die Landjugend, die in der Sonntagstracht die Gottesdienste regelmäßig zu besuchen pflegte, weil das zur Sitte eines Dorfes gehörte, sondern auch für die Stadtjugend, wo es längst keine Trachten mehr gab. 27

Ebda, S. 6. Ebda, S. 7. 29 Ebda, S. 7-13. „Die geselligkeitserneuernden Belange der gesellschaftlichen Arbeit des Wandervogels sind also im grossen und ganzen folgende: 1. Geselligkeit als Gemeinschaftsdienst aufgefasst 2. Veredlung des Inhaltes der Geselligkeit 3. Völkischer Zusammenschluss 4. Beseitigung der materialistischen Form der Geselligkeit und ihrer Auswüchse 5. Zeigen, dass auch mit einfachen Mitteln echte deutsche Geselligkeit möglich ist 6. Förderung der Trachtenfrage 7. Zeigen, wie gutes Altes mit ganz Neuem recht gut zusammengehen kann (alte Tänze, Volkstänze) 8. Zusammenarbeit mit anderen Jugendgruppen (letzteres hat sich in Hermannstadt glänzend gezeigt.) 28

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Der Rundbrief enthielt ferner Richtlinien für die geistige Ausschöpfung einer Spielfahrt und Praktische Winke für die Spielfahrt. Punkt 3 der Richtlinien lautete: „Besuche beim Pfarrer, Kurator, Lehrer sind nicht zu unterlassen“, Punkt 4: „Sächsisch ist Dienstsprache.“30 Albert Klein gab Hinweise zum Thema „Unser Geselligkeitsabend!“31 Das Vorbereitungsheft enthielt außerdem einen längeren Abschnitt von Eduard Spranger über „Frauenwürde“ und auf der ersten und letzten Seite Gedichtstrophen von Michael Albert und Georg Stammler.32 Die kurzen Beiträge des Heftes sind kein Programm, sondern eine zufällige Sammlung von pragmatischen Vorschlägen. Lässt sich ein Profil erkennen? Der Wandervogel richtet sich 1930 nicht gegen die evangelische Kirche, verstand sich aber auch nicht als ein Teil der Volkskirche, sondern als Jugend, die – ununterschieden – dem sächsischen Volk und dem deutschen Volk verpflichtet war. Der Südostdeutsche Wandervogel arbeitete – wie selbstverständlich – mit Pfarrern, Lehrern, Kuratoren zusammen. Er nützte die intakten dörflichen Strukturen, deren Wert und Gegenwartsbedeutung er völlig unterschätzte. Damit stand er nicht allein. Rassistische und fremdenfeindliche Gedanken klangen an, waren aber um 1930 noch nicht dominant. Deutlich ist in dem Heft das Gefühl der städtischen Überlegenheit gegenüber der Landjugend zu erkennen, gerade weil die Leitung forderte, sich nicht überlegen zu zeigen. Der Wandervogel war halb sächsisch, halb deutsch. Sächsisch war „Dienstsprache“ und sollte gepflegt, die sächsische Tracht weiterentwickelt und auch in der Stadt neu belebt werden. Zehn Jahre später löste die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ die traditionelle Volksorganisation auf und verdrängte die sächsische Mundart und die Tracht. 1930 nahm der Südostdeutsche Wandervogel einen volkspädagogischen Auftrag naiv in Anspruch, den die Verantwortlichen für Kirche und Schule hätten wahrnehmen sollen. In den Augen der Jugendlichen im Wandervogel taten das die Lehrer und die Pfarrer nicht hinreichend. Konrad Möckel hatte dieses Versäumnis 1927 öffentlich angemahnt. 30

Ebda. Siehe Richtlinien für die geistige Ausschöpfung einer Spielfahrt (Schulbeispiel „Törnen“), S. 17-21, hier S. 21. In Stichworten: Schon auf der Anfahrt keinen albernen „Kranzton“ anschlagen, in dem man sich gegenseitig „frotzelt“ (neckt, aufzieht, auf den Arm nimmt) bis man vor Lachen zerplatzt; mit einem Wanderlied in den Ort einziehen; Besuche beim Pfarrer, Kurator (weltliches Oberhaupt der Kirchengemeinde), Lehrer; sächsische Mundart als Dienstsprache; ältere Dorfbewohner ansprechen und mit ihnen sprechen; bei Tanz und Spiel wählen die Wandervögel Jungen und Mädchen aus dem Dorf, berücksichtigen auch die weniger Beachteten; Wandervögel sitzen nicht im Haufen beieinander, keine Herablassung, kein Auslachen bei Ungeschicklichkeiten; dankbar sein gegenüber den Gastgebern; freundlich zuhören und sprechen; Verpflegung wird mitgenommen; Alkohol ist „unbedingt“ zurückzuweisen; auf die Verabschiedung von den älteren Leuten ist Gewicht zu legen; Versprechungen (Zusendung von Liederbüchern, Fotografien) sind einzuhalten. 31 Ebda, S. 21-23. 32 Michael Albert (1836-1893), ein angesehener siebenbürgisch-sächsischer Dichter, Georg Stammler (1872-1948), thüringischer Dichter, war in der bündischen Jugend und in der Nazizeit beliebt.

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In ihrer Ratlosigkeit ließ die Evangelische Landeskirche Dr. med. Heinrich Siegmund die Beilage der Kirchlichen Blätter redigieren. Die Berufsauffassung der Absolventen der pädagogischen Seminare in Hermannstadt (für Lehrer) und in Schäßburg (für Lehrerinnen) war zwar durchaus volkspädagogisch im besten Sinne. Aber man konnte von ihnen nicht erwarten, dass sie sich und die Dorfjugend vor einer parteipolitischen Infiltration bewahrten, wenn diese mit den hohen ethischen Ansprüchen der bündischen Jugend auftrat. Die Gymnasiallehrer betätigten sich meist nur in Ausnahmen gesellschaftlich, z. B. wenn sie in den Pfarrberuf wechselten. Auf dem Lande hatten sie dann als Pfarrer von Amts wegen mit den Bruder- und Schwesterschaften und mit den Schulen zu tun. Im Allgemeinen vertraten und pflegten die Gymnasiallehrer eher ihre wissenschaftlichen Fächer. Von der Volkskunde, Geschichte und Geographie her ergaben sich allgemein erzieherische Aufgaben. Musik-, Sport und Deutschlehrer berieten im Rahmen der Schülerselbstverwaltung (Coeten) Arbeitskreise der Schüler. Heinrich Wachner, der Geograph des Honterusgymnasiums in Kronstadt, begeisterte die Schüler mit Exkursionen. Der Musiklehrer Viktor Bickerich baute die Lyra, ein Schülerorchester auf, das die Gymnasiasten faszinierte und geeignet war, junge Menschen vor einer zu frühen Politisierung zu bewahren. In vielen Fällen sahen die Gymnasialprofessoren die Organisation der Jugendlichen außerhalb der Schule mit Recht nicht als ihre Aufgabe an. Um die ehemaligen Volksschüler, Lehrlinge im Handwerk, Fabrikarbeiter oder Angestellten, kümmerten sie sich erst recht nicht. So blieb dem Wandervogel ein weites Betätigungsfeld. Das Älterentreffen in Sächsisch-Regen 1930 Nach dem Treffen in Sächsisch-Regen schrieb Konrad Möckel einen kurzen Artikel für den Rundbrief „Wandervogel und Volksleben“ und mahnte: „Mir will scheinen, dass Ihr Euch im allgemeinen um die Lösung der Glaubensfrage zu wenig kümmert. Hier genügt es nicht, mit ein wenig edeler völkischer Begeisterung sich zufrieden zu geben. Was liegt über dem Völkischen? Woher bezieht es seine Kraft und sein Recht?“33

In einem weiteren Bericht im gleichen Heft deutete sich ein Konflikt an, der wenige Jahre später unüberbrückbar werden sollte. Pfarrer Walther Scheiner wandte sich gegen das Wort „artgemäß“, „das man aus dem Munde von Deutschkirchlern so häufig hört“. Er könne es nicht ausstehen; denn es rechne mit einem Bild des Menschen, „den es in Wirklichkeit nicht gibt, mit dem vollkommenen Gerechten, der abseits von allem Bösen – manchmal allerdings auch jenseits von Gut und Böse ... – lebt. Jeder, der aber ohne Selbsttäuschung über sich selbst ins Reine zu kommen versucht, 33

Nachlass KM, DM HDS 4, Mappe Wandervogel-Rundbriefe. Konrad Möckel: Wandervogel und Volksleben. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 10-12.

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kommt zu der schmerzlichen Erkenntnis, dass ihm auch das Schlechte ‚artgemäss‘ ist, weil die Grenze zwischen dem Reiche der Finsternis und dem Reiche des Lichts mitten durch unsere Seele geht.“34

Er empfahl drei Schriften zum Thema „Jugendbewegung“ von Wilhelm Stählin.35 Walther Scheiner war aufgeschreckt worden; denn auf der Tagung in SächsischRegen war von neuartigen Quellen der Frömmigkeit die Rede. Es sei noch etwas da gewesen, schrieb Friedrich Benesch, „was uns ganz stark angeht. Das religiöse Gut unseres Volkes aus vorchristlicher Zeit: Und es wurde uns gesagt, wie viel uralte Weisheit gerade in Sitte und Brauch und Märchen und Sagen in unserem Volke lebendig sind. Und wie starke Quellen zur Religiosität hier liegen und wie wir diese wieder ausgraben müssen.“36

Wer diese Ansicht auf der Tagung vertrat, schrieb er nicht, vermutlich war es Misch Bergleiter oder Professor Hans Hahne aus Halle, wenn dieser anwesend war. Hier zeichnete sich ein schwerer Dissens ab, den die Teilnehmer damals zwar schon erkannten, allerdings ohne die Tragweite und die späteren politischen Folgen zu ahnen. Walther Scheiner schrieb, er ziehe das Alte Testament der Edda und den Volksmärchen vor. Alfred Bonfert antwortete im gleichen Heft dagegen kritisch, worauf Scheiner begütigte und meinte, sich verteidigen zu müssen. Er sei sich nicht bewusst gewesen, von der Edda geringschätzig gesprochen zu haben. „Ich habe es tatsächlich auch nicht getan, sondern nur gewisse Argumente, die man von deutschkirchlicher Seite immer wieder gegen das alte Testament anwendet, nun auch auf die Edda ausdehnt, weil man damit am ehesten zum Ziele kommt.“37

Walther Scheiner hatte erkannt, dass es nicht um die Edda ging, sondern um die Verdrängung des Alten Testaments. Konrad Möckel äußerte sich dazu in seinem Beitrag im Rundbrief nicht, vielleicht weil er zu diesem Thema nicht gefragt worden war. Er war eingeladen worden, weil die Leitung des Wandervogels sich über die Aufgaben der älteren Wandervögel Klarheit verschaffen wollte. Die Meinung der „Deutschkirchler“, wie Scheiner sich ausdrückte, vertraten im Wandervogel keine Außenseiter, sondern der Führer des Südostdeutschen Wandervogels selbst. Das „Hinken auf beiden Seiten“ galt als möglich und als normal. Bonfert stellte sich im gleichen Atemzug in die christliche Tradition und sagte sich zugleich von ihr los, ohne den Widerspruch zu bemerken. Es sei kein Wunder, schrieb er, sondern selbstverständlich, dass gerade die Aussprache über Kirche und Religion auf dem Treffen alle Teilnehmer am tiefsten erfasst habe. 34

Walther Scheiner: Wandervogel und Kirche. Dazu ein Brief an Alfred Bonfert als Nachwort. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 13-18. 35 Stählin war Jugendpfarrer in Nürnberg und einer der Begründer der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Später wurde er Bischof der evangelischen Kirche in Oldenburg. 36 Friedrich Benesch: Wo wir demütig sein sollen vor allem. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 12-13. 37 Walther Scheiner: Brief an Alfred Bonfert. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 17-18.

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„Ruhelos und in tiefem Ernst werden wir an diese Fragen und Aufgaben herangehen. Doch eines müssen wir beachten – hüten wir uns vor allzuviel Denken, Reden und Schreiben! Insbesondere dürfen wir uns mit unserem Suchen nicht versteigen, sondern im wirklichkeitsnahen Leben bleiben. Es gilt das Christentum zu erfüllen. Und dorthin hat uns unser Weg über ‚Altes Testament‘, ‚Edda‘ und ‚Märchen‘ hinauszuführen. Jenes liegt auf unserem Wege als ein geschichtlicher Weg zu Christus, diese als Stammesgut aus Urvätertagen. Ich sehe nicht ein, dass eins das andere verdrängen müsse, zumal da sie ja nie einander ersetzen können. Was die Bildung des Gottesbegriffes in uns und in der Zukunft wohl auch die Formung der religiösen Gemeinschaft anbelangt, so müssen wir uns doch darüber klar sein, dass sie ‚arteigen‘ im besten Sinne des Wortes sein werden. Davor braucht sich Walther nicht zu gruseln. Denn wir sind urgebundene Menschen und können Gott nur unseren Anlagen nach erkennen, während er in Wirklichkeit viel tausendmal höher und grösser ist, noch viel, viel grösser als ihn z. B. auch das Neue Testament, das auch nur von Menschen, allerdings von gottbegnadeten Menschen, aufgezeichnet ist, dazustellen vermag.“38

Die Aufwertung der Edda zu einer religiösen Quelle, die im 20. Jahrhundert plötzlich wieder relevant sein sollte, war mit der europäischen, christlichen Tradition nicht zu vereinbaren. Die Christianisierung hatte die Geschichte der Völker Europas bestimmt. „Ruhelos“ und „in tiefem Ernst“, schrieb Bonfert, solle gesucht werden und warnte zugleich vor „allzuviel Denken“. Das Nachdenken in der Leitung des Wandervogels hörte auf, bevor es recht begonnen hatte. Die Argumentation, wonach die Edda die Quelle eines arteigenen, deutschen Glaubens werden sollte, war abstrus und gefährlicher, als es damals schien. Die SS machte daraus eine Waffe in der politischen Agitation gegen die Kirchen. Aus dem spielerisch eingeübten Ritual zur Sonnenwende mit Feuerzauber und Weihespielen, die Professor und Museumsdirektor Hans Hahne (Vater Hahne) nach dem Ersten Weltkrieg in Halle an der Saale aufgebracht hatte, wurde wenige Jahre später mörderischer Ernst. Die Vorstellung, die Edda könne die Bibel ersetzen, war der Versuch, ein Jahrtausend der christlich-europäischen Geschichte auszulöschen und in die heidnische Vergangenheit zurückzukehren. Fast alle Beiträge in dem Heft kritisierten die siebenbürgische, evangelische Volkskirche – einige von innen, um ihr zu helfen, andere von sehr weit außen, um sie zu schwächen. Die überkommene Autorität der Kirche in den ländlichen Gemeinden stand der militanten politischen Jugend im Wege. Hinter diesem, damals abseitig erscheinenden Disput, stand außerdem ein reales Problem, mit dem der Südostdeutsche Wandervogel nicht fertigwerden konnte. Die Mitglieder der Banater Wandervogelgruppen waren meist römisch-katholisch, die siebenbürgischen evangelisch. Wie sollte auf großen Treffen mit diesem Unterschied umgegangen werden? Fritz Benesch stellte nach dem Treffen in Sächsisch-Regen fest,

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Alfred Bonfert, ohne Titel. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 21. -–Im hektographierten Text steht „Gottbegnadete“, wahrscheinlich ein Druckfehler.

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dass der Unterschied der Konfessionen „für uns nicht mehr als Gegensatz besteht“.39 Mit „wir“ meinte er den Wandervogel. Unterschiede der Konfessionen konnte man nur vermeiden, wenn man bei großen Treffen auf gemeinsame Gottesdienste aller Wandervogelgruppen verzichtete. Mit dieser Bemerkung nahm Benesch den Wandervogel in Siebenbürgen aus der Volkskirche heraus. Er war der Schwiegersohn Hans Hahnes, der vermeintlich germanische Bräuche wiedererweckte. Später wurde er Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Birk und ein scharfer Gegner Bischof Glondys’. Das war einer der Widersprüche im Südostdeutschen Wandervogel. Er stellte sich außerhalb der Kirche, wollte sie jedoch gleichwohl für die eigenen Zwecke nutzen. Ein Ausweg wäre es gewesen, wenn die Jugendbewegung sich zur Überwindung des Gegensatzes der Konfessionen an die Spitze einer ökumenischen Bewegung der Rumäniendeutschen hätte stellen können. Diese hatte mit der Einladung des schwedischen Bischofs Nathan Söderblom zur ersten ökumenischen Weltkirchenkonferenz im Jahre 1925 in Stockholm gerade erst begonnen.40 Die Sprachkompetenz der Mitglieder des Südostdeutschen Wandervogels beruhte auf den deutschsprachigen Kirchenschulen und auf Seelsorge und Predigt in deutscher Sprache. Zu seinen Festveranstaltungen gehörten Gottesdienste. An ökumenische Gottesdienste oder Andachten war damals noch nicht zu denken. Neben den Gottesdiensten gab es jedoch feierliche, politische Zeremonien, an denen evangelische wie katholische Mitglieder teilnahmen. Sie erhöhten und festigten das Gemeinschaftsgefühl. Der Wandervogel hatte die Bedeutung begeisternder Treffen erkannt. Sie banden die Mitglieder untereinander. Bonfert drängte jedoch zugleich zur politischen Praxis. Es gelte „das Christentum zu erfüllen“. Was immer der promovierte Veterinär damit gemeint haben mochte, die Warnung „... hüten wir uns vor allzuviel Denken, Reden und Schreiben!“ passte nicht zu dem Anspruch, „nach dem Letzten, nach dem Grund und Wesen aller Dinge“ zu fragen, wie er an Konrad Möckel geschrieben hatte. Ein Christ wird man, wenn man sich von der Botschaft des Evangeliums ansprechen und

39 Friedrich Benesch: Wo wir demütig sein sollen vor allem. In: Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 13. 40 Walther Scheiner schrieb nach dem Älterentreffen in Reen: „Von Seiten der Deutschkirche wird verschiedentlich Paulus abgelehnt, obwohl er doch das Urbild des von Christus Überwundenen und ergriffenen Menschen ist. Wer hier folgerichtig weitergeht, muss auch Luther streichen! Durch die Deutschkirche wird aber auch die Spaltung des deutschen Volkes in zwei Konfessionen nicht überwunden. Ich glaube, dass diese Spaltung notwendig, gottgewollt ist, und dass sie nur dadurch überwunden wird, indem beide, Protestanten und Katholiken, sich auf ihr höchstes Gut, Christus, besinnen, sie werden sich dann ebenso treffen und verstehen, wie wir uns in Reen mit dem Katholiken Hans Eck trafen und verstanden. Wenn wir sie als verschiedene religiöse Mundarten auffassen, werden wir auch dem katholischen Menschen mit Liebe begegnen, gleichzeitig aber ruft es uns in Erinnerung, dass unsere Heimat das evangelische Christentum lutherischer Prägung ist.“ Südostdeutscher Wandervogel. Deutsche Jugendwanderer in Rumänien. Rundbrief Nr. 3 (1930), S. 15.

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wandeln lässt. Ein Teil der Jugendlichen und ihr Führer fühlten sich jedoch schon erweckt – national erweckt. Konrad Möckel stieß 1930 auf eine noch unschlüssige, säkular-nationale Erweckungsbewegung. Einige Jugendliche fragten offen danach, welchen Weg sie gehen sollten. Andere dagegen hatten Machtambitionen und suchten lediglich Zeremonienmeister für die Choreographie neuer nationalistischer Riten. Konrad Möckel sah, dass die Jugendlichen begeisterungsfähig waren und dass im Südostdeutschen Wandervogel verschiedene Geister miteinander rangen. Ihn interessierten die Jugendlichen, die nach dem richtigen Weg fragten. Lore Neumann vom Wandervogel in Radautz legte 1931 im Rundbrief ein gutes Wort für die Juden ein. Das war immerhin noch möglich, auch wenn die Stimmung im Südostdeutschen Wandervogel überwiegend antisemitisch gewesen sein dürfte. „Müssen wir Deutsche die Juden hassen? Warum denn? Oft ist mir gesagt worden (von Menschen, die die Juden gar nicht kennen, gar nicht wirklich kennen), dass die Juden uns verderben. Wirtschaftlich, geistig, sittlich uns verderben. Das haben Menschen gesagt, die die Juden nur vom „Hörensagen“ kennen. ... Wir sollen unsere Eigenart nicht aufgeben, aber wir sollen die Eigenart des anderen verstehen und achten lernen. Ich bin viel mit Juden zusammen gewesen und nachdem ich mich an den Klang ihrer Stimmen und auch die jiddische Sprache gewöhnt hatte, da stört mich nichts mehr. ... vor einigen Jahren hörte ich wieder die Wilnaer Theatergruppe. Ich kenne eine jüdische Jugendorganisation hier in Radautz. Die Leute tanzen auch Reigen. Eigenartig schön sind manche ihrer Melodien. Habt ihr schon einmal ein hebräisches Lied gehört? ... Wer kennt die Feiertagsstimmung in einer orthodoxen Familie?“

Sie schloss mit einem Zitat des Philosophen Constantin Brunner: „Das tiefe Unglück, wie das tiefe Glück liegt immer in den Glücklichen oder Unglücklichen selber.“41 Anschließend ließ Alfred Bonfert, der Redakteur des Rundbriefes, einen Artikel von Hans Loew aus Klausenburg „zur Judenfrage“ folgen: „Die Juden sind uns das fremdeste Volk!“ schrieb er und – abstrakt – von „dem Juden“, dass man „seine guten Eigenschaften nicht vergessen dürfe, wie den Zusammenhalt und die Treue zum Volkstum“. Die Erfahrung Lore Neumanns in der weltoffenen Bukowina stand gegen das abstrakte Klischee der Siebenbürger Sachsen.42 Konrad Möckel hörte die Fragen der Jugendlichen und hatte Verständnis auch für unreife Fragen und Meinungen – vielleicht sogar zu viel Verständnis. Verstehen war 41 Constantin Brunner (1862-1937), Pseudonym des Philosophen Leo Wertheimer. Er warnte vor dem Antisemitismus und vor den Gefahren des Nationalsozialismus. Nachlass KM, DM Hds 4, Südostdeutscher Wandervogel Rundbrief 1931/3, S. 5-6. Lore Neumann wandte sich Jahre später nach einem Vortrag Konrad Möckels in einem Brief an ihn und warb für die Rezeption der Philosophie Brunners. 42 Nachlass KM, DM HDS 4, Mappe Wandervogel-Rundbriefe 1931/3 Hans Loew „Zur Judenfrage“, S. 6-8.

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seine Stärke, aber in der sich wandelnden historischen Situation lag im Verstehen auch eine Schwäche. Die pseudoreligiöse, nationale Erweckung unter den Siebenbürger Sachsen hatte 1930, als Konrad Möckel mit dem Wandervogel in Berührung trat, zwar begonnen, war jedoch noch nicht entschieden. In einer Nachlass-Mappe Jugendbewegung (Wandervogel), der Titel ist von seiner Hand, bewahrte Konrad Möckel eine Handvoll anonymer Fragezettel auf, wie sie Jugendliche zur Einleitung von Gesprächsrunden schreiben – ungelenke Fragen, vielleicht aus einem Wandervogellager oder aus einer Jugendstunde in Großpold. „Was ist und was heist Seele?“, „Was ist Jugendbewegung?“, „Was sagt die Bibel zu der jetzigen Zeit? u. Warum ist das wichtig, daß die Jugend es wissen muß?“, „Wie kann ich den Frieden meiner Seele finden?“, „1.) Bitte was für ein Unterschied ist zwischen Nationalsozialisten, Stahlhelm und Reichsbanner? 2.) Kommunisten und Sozialdemokraten?“, „Welches ist die Esperantosprache?“, „1. Welcher unterschied besteht zwischen National, Sozial, und, International. 2. Was bedeutet das Hackenkreuz im Banner der N.S.D.A.P. 3. Ist die Germanische und Indo-Germanische Rasse eins oder sind es zwei. 4. Welches ist die 3.te Internationale.“ „Wie soll und muss das Verhältnis zwischen Mädel und Burschen sein?“ „1.) Bitte, was wollen die Aufständigen in Indien bezwecken. 2.) Wie steht es mit dem Japanisch-Chinesischen Konflikt. 3.) Würde es nicht möglich sein dise Stunde fortzusetzen.“ „Ist es möglich dass ein andersdenkender, ein [von] Semieten abstammender, [der] also eine ganz andere Anschauung hat, Bischof werden, und demjenigen Volke, vorteilhaft werden kann? Der obendrein Propaganda gegen eine Nationale Hilfe macht!“ Dazwischen auch ein Zettel mit der rührenden Frage „Bleibt der Herr Pfarrer noch lange in Grosspold?“43 Die Fragen klingen authentisch und könnten aus dem Jahr 1932 stammen. Dass Konrad Möckel Fragen aufschreiben ließ, um sie in einer Jugendstunde aufzugreifen, beweist sein Geschick im Umgang mit Jugendlichen.44 Manche Fragen lassen halbverstandene, aufgeregte Erwachsenengespräche erahnen, die nicht für Kinderohren bestimmt waren. In Konrad Möckel suchten die Jugendlichen einen Erwachsenen, den sie fragen konnten. Die Bundesleitung hatte ihn gebeten, auf dem 1. Bundestag des Südostdeutschen Wandervogels vom 14. bis 16. August 1931 in Schässburg den Gottesdienst zu übernehmen. Als er zusagte, schrieb Bonfert: „Ihre Anmeldung zum Bundestag haben wir bereits hier in Kronstadt mit einem Freudengeheul (entschuldigen Sie die derbe Art, es war aber so) begrüßt.“45 Die Anfrage, schrieb Konrad Möckel, habe ihn 43

Die Rechtschreibung ist beibehalten. Im Schuljahr 1941/42 war ich bei meinem Vater im Konfirmandenunterricht. Er verstand es ausgezeichnet, dort anzuknüpfen, wo die Vierzehnjährigen sich befanden, um dann in einem argumentativ entwickelnden Vortrag das Mitdenken in Gang zu setzen. Den sog. „kosmologischen Gottesbeweis“ beispielsweise lernte ich im Konfirmandenunterricht kennen. 45 Nachlass KM, DM Hds 1/g, Brief Dr. Alfred Bonfert an KM vom 17. Brachet [Juni] 1931. 44

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„sosehr in freudige Überraschung versetzt, dass ich Mühe hatte, meine sieben Sinne bei der Sonntagspredigt zu halten. Selbstverständlich bin ich herzlich gerne bereit in Zusammenarbeit mit Ihnen in Schässburg zu tun, was in meinen Kräften steht.“46

Das Festprogramm sah an zwei Nachmittagen ausführliche Aussprachen zu den Themen „Wandervogel und Selbsthilfe“ und „Wandervogel und Kirche“ vor. Ein Jahr später entschied sich der Wandervogel zum „Dienst am Volke aus dem Rahmen des Bundes hinaus in überbündischer Zusammenarbeit mit den anderen Jugendverbänden in den Reihen der Völkischen Erneuerungsbewegung“.47

Konrad Möckel näherte sich über den Südostdeutschen Wandervogel der Selbsthilfebewegung des Rittmeisters a. D. Fritz Fabritius. Dieser vertrat unter den Siebenbürger Sachsen schon damals offen nationalsozialistische Gedanken. Auch im Wandervogel waren Anschauungen verbreitet, die mit dem Nationalsozialismus voll übereinstimmten. Einige Wandervögel waren „Artamanen“. Der prominente Artamane August Georg Kenstler stammte aus Siebenbürgen und hatte diese Vereinigung 1924 mitgegründet. Er gab seit 1929 in München die Zeitschrift „Blut und Boden“ heraus, die er bis 1934 leitete. Den Titel griff der spätere NS-Reichsbauernführer Walther Darré auf. „Selbsthilfe“ klang unpolitisch und war es in den Augen vieler zunächst auch. Die Politisierung schritt jedoch schon vor 1933 voran. Ein schlagender Beweis sind die Gründungen der NSDR und der S.A.M. (zuweilen auch S.A.), beide 1932.48 Es ist schwer zu sagen, ob Konrad Möckel 1930 sich dessen bewusst war, dass er in eine festgeprägte Gemeinschaft hineingeriet, als der Südostdeutsche Wandervogel ihn zusammen mit Vertretern der Selbsthilfe nach Sächsisch-Regen einlud. Dass er Bonfert schrieb, auch er sei ein Suchender, spricht eher dagegen. Selbsthilfe und Südostdeutscher Wandervogel Die in Vereinen organisierte, genossenschaftliche Selbsthilfe, eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, hatte bei den Siebenbürger Sachsen eine alte Tradition. Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) und Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) waren in Österreich-Ungarn bekannt. Es gab viele Raiffeisen-Sparkassen. Carl Wolff (18491929) war der bedeutendste Vertreter des Genossenschaftsgedankens in Siebenbürgen.49 46

Nachlass KM, DM Hds 1/g, Brief Konrad Möckel an Dr. Alfred Bonfert am 23. Juni

1931. 47

Alfred Bonfert im „Nachrichtenblatt Nr. 2, Bukarest, den 1. Brachet [Juni] 1932. In: Nachlass KM Archivkarton 12, DM Hds, 1/g, Mappe „Richtwoche und Jugendbewegung“. Das hektographierte Blatt ist überschrieben mit „Südostdeutscher Wandervogel. Der Bundesführer“ und hat als Anrede: „Heil Euch!“, als Schlussformel „Heil und Sieg! Fred“. Bonfert schreibt „Völkischer ...“ groß. 48 NSDR = Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien. S.A.M., gelegentlich auch nur S.A. = Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft. 49 Nachlass H. O. Roth, Dokument 134, S. 261.

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Er war Gymnasiallehrer in Schäßburg und Abgeordneter im ungarischen Reichstag, Direktor der Hermannstädter Sparkassa und Begründer des Siebenbürgisch-deutschen Tageblattes. Hans-Otto Roth sagte an seinem Grabe, sein Leben habe nicht einer einzelnen Tat gegolten, „sondern der Verwirklichung eines wohlüberlegten Programmes und Planes zur Wiederaufrichtung und Höherführung seines Volkes“. „Mit so hinreißenden Worten wandte er sich an sein Volk, das er dann ein Menschenalter mit immer neuen Gedanken und Plänen beschäftigt hat, bis er schliesslich zu seinem unumschränkten Führer wurde.“50

Die Selbsthilfe war von Rittmeister a. D. Fritz Fabritius im Jahre 1922 in Hermannstadt gegründet worden. Fabritius war Angestellter der Hermannstädter allgemeinen Sparkassa, und Carl Wolff, wenn auch im Ruhestand, förderte die genossenschaftlichen Bestrebungen des Rittmeisters a. D. Sechs Jahre später, ein Jahr vor dem Tode Wolffs, gründete Fabritius unter dem Namen „Selbsthilfe“ eine Firma zur Vermittlung und Finanzierung von Immobilien. Die Selbsthilfe verlieh billiges Geld zum Bau einfacher Häuser und unterstützte ihre Mitglieder, Handwerker mit Kleinbetrieben, bei wirtschaftlichen Unternehmungen. Fabritius selbst stand im Ruf, uneigennützig und tatkräftig zu handeln.51 Die Selbsthilfe erhielt viel Zulauf und hatte Erfolge, obgleich sowohl die volkswirtschaftliche als auch die politische Konzeption seiner Arbeit unklar, ja verworren war. An das politische und national-ökonomische Format Carl Wolffs reichte Fabritius bei Weitem nicht heran. Es hieß, er habe 1922 bei einem Besuch in München Hitler kennen gelernt. Er machte sich Teile der Propagandasprache der NSDAP zu eigen, ohne ihre Widersprüche und ihre Gefahren zu durchschauen. Als er 1930 nach erstaunlichen Anfangserfolgen die „geistigen Hintergründe“52 der Selbsthilfe darlegen sollte, formulierte er drei Punkte. Die Selbsthilfe wolle „1. art- und blutgemäßes Denken, organisches Zusammengehörigkeitsgefühl in unserem Volke wieder wecken und fördern, weil nur dieses imstande ist, alles Trennende auszumerzen und aus dem Trümmerhaufen ‚Deutsches Volk‘ eine lebendige Volksgemeinschaft zu schaffen, in der ein Glied sich gleichberechtigt dem andern einfügt und untrennbar mit ihm verbunden sein muß, soll die Kette der Schicksalsgemeinschaft nicht reißen; 2. eine Kampfgemeinschaft aller sich für unsere Hochziele einsetzenden, gleichgerichteten Kreise sein, weil nur Kampf schöpferisch ist, weil nur das Lebewesen sich durchsetzen kann, das sich seinen Platz an der Sonne erstreiten will, weil nur der das Leben meistert, der bereit ist, sein Leben für eine Idee einzusetzen; 3. die Grundlage jedes erdhaften Lebens, d. i. unsere Wirtschaft in deutschem Sinne so ordnen, daß diese nur ein Werkzeug und die Grundlage des völkischen und geistigen Wiederaufbaus werde; daß das Geld wieder dem Menschen und nicht 50

Ebda. Redaktionelle Bemerkung von Heinrich Zillich zu einem Artikel von Fritz Fabritius im Klingsor 7 (1930), 412. 52 Ebda. 51

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dieser dem Götzen ‚Gold‘ untertan werde. Dem kommenden Geschlecht sollen die wirtschaftlichen Grundlagen zu freier geistiger Entwicklung gelegt werden, es soll aus dem Arbeitssklaven, der Maschine ‚Mensch‘ ein Licht- und Gottsucher werden“ (Fabritius 1930, S. 413-414).

Er wandte sich gegen das Zinsnehmen und appellierte immer wieder an den guten Willen und die Hilfsbereitschaft der Zuhörer. Bemerkenswert an den Forderungen und Zielsetzungen sei, so urteilte Gerhard-Michael Ambrosi, „ihre anti-ökonomische Grundhaltung“. Sie stehe „in krassem Gegensatz sowohl zur Sparkassenbewegung als zu den großen Genossenschaftsbewegungen des 19. Jahrhunderts, die die Lösung der Probleme des Kapitalismus nicht in dessen Abschaffung, sondern in der Unterstützung der Hilfebedürftigen dieses Systems zur Selbsthilfe unter Nutzung des Systems sahen“. Die sogenannte „Selbsthilfe“ sei durch ihren Versuch, den kapitalistisch-materialistischen Geist durch Selbstlosigkeit zu bekämpfen, „von der ursprünglichen Genossenschaftsidee aus betrachtet – aber insbesondere von ihren Resultaten aus beurteilt – eine konzeptionelle und materielle Katastrophe“.53 Ebenso fragwürdig wie das ökonomische Konzept waren auch die Vorstellungen vom Niedergang und von der Besserung der politischen Verhältnisse in Siebenbürgen. Die Sprache, um nicht zu sagen die Phrasen, die Fabritius gebrauchte, trugen alle Anzeichen einer politischen Heilslehre. Er nannte nur vage Ziele und forderte dennoch zum Kampf und zum Einsatz des Lebens auf. Man kann daran zweifeln, dass Fabritius wusste, was er verkündete, aber nicht daran, dass er selbst an seine Mission glaubte. Der Lobpreis der Einsatzbereitschaft enthielt die geheime Sehnsucht, sich – vielleicht in Erinnerung an die „Stahlgewitter“ des Ersten Weltkriegs – neu zu bewähren. Ernst Jünger war in Siebenbürgen bekannt. Das Pathos des Rittmeisters a. D., mit dem er für eine „organische“ Volksgemeinschaft warb, in der einer für alle und alle für einen eintreten, in der jedem das Seine werden und das Gemeinwohl über dem Eigennutz stehen sollte, wirkt heute nach 75 Jahren befremdlich. Es macht Mühe zu verstehen, dass die Schlagwörter und die überhitzte politische Sprache damals faszinierten. Fritz Fabritius glänzte nicht mit intellektuellen Fähigkeiten. Für ihn war es von Vorteil, dass die Gegner seinen Machtinstinkt unterschätzten. Eine seiner stehenden Redensarten im Deutsch der Hermannstädter Unterstadt, auf das die Intellektuellen überlegen hinabsahen, gab zum Spott Anlass: „Helfts alle mit! Und bleibts der Idee treu!“ Konrad Möckel war über die Einladung der Wandervogelleitung schon in SächsischRegen mit Fritz Fabritius und Misch Bergleiter zusammengetroffen. Am 11. September 1931 lud Hans Loew Konrad Möckel dazu ein, an einem Lehrgang mitzuwirken, den Fritz Fabritius leitete und an dem 20 Jungen aus allen Hermannstädter Jugendgruppen teilnahmen, darunter die Präfekten der Abendschul-Coeten und ein junger Arbeiter. Die 53 Gerhard-Michael Ambrosi: Carl Wolff und das Banken- und Genossenschaftswesen in Siebenbürgen. Erweitertes Manuskript eines Vortrags anlässlich der Gedenkveranstaltung „Carl Wolff (1849-1929) und die Modernisierung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft‘‘ zu seinem 150. Geburtstag 1999; www.uni-trier.de/ambrosi/publik/Wolff.

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Jugendlichen waren 17 bis 21 Jahre alt, ein Drittel davon Mitglieder im Wandervogel. Der Lehrgang fand an zwölf Abenden im September und Oktober statt und hatte, als Loew den Brief schrieb, schon begonnen. Themen waren „Gemeinschaft: Führer und Gefolgschaft; Selbsterziehung zur Einsatzbereitschaft (Fritz Fabritius); Lebenserneuerung (Pfr. Möckel); Manneszucht und Leibeszucht (Fritz Fabritius und Dr. Hager); Nationalsozialismus als Weltanschauung und politische Bewegung (Karl Hager, stud. agr.); Die Selbsthilfe. Das Hochziel der Bewegung: die völkische Erneuerung (Fritz Fabritius); Erbgesundheitspflege und Rassenkunde (Heinz Brandsch); Die Götterwelt und das Weistum unserer Ahnen (M. Bergleiter); Die Heimat als Quelle der Bildung und Weltanschauung (Egon Coulin); Deutscher Glaube (Pfr. Möckel).“

Der letzte Abend sollte von den Teilnehmern gestaltet werden. Die Anregung zu dem Kurs, schrieb Loew, sei von den Wandervögeln ausgegangen, die auch die Vorarbeiten und den Arbeitsplan ausgearbeitet hatten. Hans Loew nannte drei Ziele. Die Teilnehmer sollten zu einer Gemeinschaft werden und gemeinsam auf Fahrt gehen. Er hoffte dadurch zu einer „Zusammenarbeit der Hermannstädter Jugendgruppen zu kommen“. Ferner sollten die Teilnehmer „innerlich gefestigt werden und erkennen, worum es geht“, und schließlich sollte den Wandervogeljungen gezeigt werden, „daß der Weg nach vorne nicht allein mit Gehorsam und Führertreue erkauft werden kann, sondern daß jeder ringen muß und mit sich kämpfen muß, oft allein und ohne Führer aus Fleisch und Blut, und doch geführt durch den Glauben.“54

Loew dürfte mit Glauben schwerlich den christlichen Glauben gemeint haben. Konrad Möckel nahm die Einladung zu den Vorträgen an.55 Daraus ging der Aufsatz „Deutscher Glaube“ in der Zeitschrift Der Geisteskampf der Gegenwart hervor. In den Jahren 1931 und 1932 kam Konrad Möckel der Selbsthilfebewegung am nächsten. Gerade deswegen ist es jedoch wichtig, danach zu fragen, ob er eine eigene Linie hatte und wie er sie vertrat. Er distanzierte sich von den Verstiegenheiten, „als ob der Quellpunkt für die Kräfte des lebendigen Gottes das deutsche Blut sei“ (S. 450), aber er hielt das „Volksein“ für den „Urgrund der Wirklichkeit“, von Gott geschaffen. Nur dadurch sei das „Volk“ keine Gefahr. Wenn man Konrad Möckels weiteren Lebensweg kennt, erscheint seine Einbeziehung in diesen Kurs und seine Mitwirkung bei Festgottesdiensten des Südostdeutschen Wandervogels wie die Funktionalisierung eines jungen, angesehenen Pfarrers für politische Zwecke einer sich gerade formierenden politischen Jugend. 54

Nachlass KM, DM Hds 4, Mappe 1/g, Brief Hans Loew an KM vom 11. September

1931. 55 Bricht über einen solchen Vortrag in Kirchliche Blätter 24 (1932) S. 480-481. Erschienen in „Der Geisteskampf der Gegenwart“ 12 (1932), S. 445-460.

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Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Konrad Möckel sah zwischen 1930 und 1933 nicht voraus, wohin sich der Südostdeutsche Wandervogel bewegte. Der Wandervogel war keine geschlossene Einheit. Aus der Großpolder Perspektive schien es sich zu lohnen, die Jugendlichen im Wandervogel anzusprechen. Das zerstörerische Kräftepotential des Nationalsozialismus, der in Deutschland 1933 an die Regierung kam, unterschätzte er in der Zeit seiner Zusammenarbeit mit dem Wandervogel. Die Wahlerfolge der NSDAP erregten auch in Siebenbürgen Aufsehen. Im Jahre 1930 war er voller Lob für die jungen Leute, die er kennenlernte. „Die Regener Woche hat einen sehr nachhaltigen Eindruck in mir hinterlassen. Ich halte es für sehr nötig, dass in dieser Art fleissig weiter gearbeitet werde, vor allem auch damit der Wandervogel möglichst grosse werbende Kraft entfalte und alles was brauchbar und willig ist, sammle. Es ist furchtbar, welch unsichtbare und darum geradezu unheimliche Kluft die bewegte Jugend von der ‚bürgerlichen Welt‘ trennt. Darum dürfen wir uns nirgend den Luxus der Zersplitterung leisten, wo es irgend möglich ist zusammen zu gehen.“56

Er bedauerte die Kluft zu der „bürgerlichen Welt“ und zählte sich selbst zum Wandervogel, obgleich er 1930 achtunddreißig Jahre alt war und Alfred Bonfert ihn in den Briefen mit bürgerlich-respektvoller Distanz behandelte. „Deutscher Glaube“ und andere schriftlichen Beiträge zeigen, dass er sich vom Wandervogel eine Belebung nicht nur in den Städten, sondern auch der Bruder- und Schwesterschaften auf dem Lande versprach. Diese galten als kirchliche Einrichtungen. Im Aufsatz findet man eine Reihe von Formulierungen, die eindeutig und betont national sächsisch sind und in der Sprache der Zeit eine hohe Identifikation mit dem „sächsischen Volk“ darstellen. Der Gedanke einer interethnischen und ökumenischen Gemeinsamkeit aller Siebenbürger, einschließlich der unierten und orthodoxen Rumänen und der kalvinistischen und katholischen Ungarn fehlt. Für einen solch weiten Blick stand im 19. Jahrhundert der Schriftsteller Joseph Marlin, Konrad Möckels Großonkel. Um 1930 wäre eine interethnische und interkonfessionelle Programmatik nicht nur innerhalb der Evangelischen Landeskirche völlig aus dem Diskussionsrahmen gefallen. Es gab um 1930 vier unausgesprochene Grenzen, welche die ethnische Minderheit der Sachsen fast hermetisch von anderen Minderheiten trennten: (1) Die Siebenbürger Sachsen waren überzeugt, dass sie eine eigene, um ihre Existenz kämpfende Nation seien. Dieses Selbstverständnis lässt sich aus der jahrhundertelangen sächsischen Geschichte leicht erklären. Es galt als schändlich und opportunistisch, in der Not aus dem „heiligen Ringe“ sächsischer Volkszugehörigkeit herauszutreten. (2) Die Siebenbürger Sachsen waren überzeugt, dass die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien eine Volkskirche sei und bleiben sollte. Besonnene Politiker der älteren Generation sorgten sich um die Volkskirche und fragten, ob sie zukünftigen Gefah56

1930.

Nachlass KM, DM Hds 1/g, Brief Konrad Möckel an Dr. Alfred Bonfert am 14. August

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ren gewachsen sein werde. So lange es eine Volkskirche gab, waren sie bereit, sie nach Kräften zu verteidigen. Die politisch aktiven Vertreter der jüngeren Generation hielten zwar auch, wie sie beteuerten, an der Volkskirche fest, hatten sie innerlich jedoch abgeschrieben und nützten sie nur noch funktional. Die Volkskirche konnte den nationalen Bestrebungen der jüngeren Generation nicht nur förderlich, sondern auch hinderlich sein. Das sollte sich sehr bald zeigen. (3) Die Siebenbürger Sachsen waren überzeugt, dass die Bedeutung kultureller Verbindungen zu Deutschland und seiner Kultur – dem Mutterland – größer als zur Kultur jedes anderen Landes, einschließlich Rumäniens, sein sollten. Das war nach der Mediascher Erklärung, in der sich die Sächsische Nation von Ungarn losgesagt und den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien mit vollzogen hatte, paradox und selbstzerstörerisch. Den allermeisten Siebenbürger Sachsen kam es um 1930 nicht in den Sinn, dass sie zwar Deutsche waren, aber bis 1918 zur ungarischen Kultur gehört hatten und seit 1918 zur rumänischen gehörten. Sie waren Glieder des einen Staatsvolkes gewesen und waren jetzt Glieder des anderen mit allen Rechten und Pflichten. Unter den rumänischen Staatsbürgern aller ethnischen Gruppen, Rumänen, Ungarn, Deutsche, Juden, um nur einige zu nennen, gab es längst Verbindungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Militär, Kunst und Sport. Das sogenannte „völkische“ Bewusstsein hinkte mindestens um eine Generation hinter den gesellschaftlichen Realitäten hinterher. Die aufrichtige Rezeption der rumänischen Literatur und Kunst hatte begonnen, und in der Politik, vor Gericht, beim Militär und bei den Behörden lebten die Rumäniendeutschen ganz selbstverständlich wie rumänische Staatsbürger. Aber die meisten hätten das Sächsische oder Schwäbische nicht als einen integralen Teil der rumänischen Kultur definiert, so wie ungarische Lebensart oder Musik aus Böhmen als integrale Bestandteile des Habsburgerreiches angesehen werden konnten. (4) Die vierte, ungeschriebene und vielleicht die gefährlichste Grenze bestand darin, dass die Siebenbürger Sachsen sich als ethnische Gruppe einen vertrauensvollen Ausblick in die Zukunft verboten. Seit 1790 und dann über mehrere Generationen hinweg hatte sich die Vorstellung eingenistet, dass die Zukunftsaussichten der Siebenbürger Sachsen sich immer nur verschlechterten. Diese vorurteilsgesättigte Vorstellung, dass der Wandel immer eine Bedrohung sei, spornte im 19. Jahrhundert viele tüchtige Sachsen zu großen Leistungen in der Politik, der Wissenschaft und der Kunst an und war ein Antrieb zum Wandel. Nach 1919 legte sich jedoch die Angst vor einem Wandel wie Mehltau auf die Gemüter. Die Überlebensangst ließ die Sachsen zwar zusammenrücken und schuf eine eigentümliche Familienwärme, verleitete aber in der Politik auch zu irrationalen und kontraproduktiven Reaktionen. Als die „Selbsthilfe“ 1932 ihr zehnjähriges Jubiläum feierte, bat Friedrich Müller, damals Stadtpfarrer in Hermannstadt, den Großpolder Amtsbruder an den Festlichkeiten teilzunehmen: „Du hast dabei die selten wiederkehrende Gelegenheit, etwa in dem Sinne, wie es Heinrich Rendtorff in seiner bekannten Stellungnahme getan hat, zu Scheidung und

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Klärung der Geister beizutragen. Es ist ein ganz wichtiges Anliegen, daß wir unsere völkisch eingestellte Jugend einerseits der Kirche nicht entfremden, andererseits aber auch vom Standpunkt der biblischen Offenbarung keine für die Kirche verhängnisvollen Kompromisse machen ... Also, bitte, hilf zur Scheidung und Klärung der Geister.“57

Aus seiner Bitte klingt Besorgnis, aber auch die Sicherheit, dass die wirren Vorstellungen der Selbsthilfe hinsichtlich der Kirche zu überschauen und zu beherrschen seien. Es war eine trügerische Sicherheit.

57

Nachlass KM, Karton 12, Brief Friedrich Müller an KM vom 16. Mai 1932.

Kapitel 5

Erneuerungsbewegung (1931-1932)

Generationenwechsel Am 28.  Januar 1928 starb der Stadtpfarrer von Hermannstadt und Bischofsvikar Adolf Schullerus im Alter von 64 Jahren,1 ein Jahr später der Volkswirtschaftler und Politiker Carl Wolff (1849-1929). Im Herbst 1932 trat Bischof Friedrich Teutsch von seinem Amt zurück.2 Eine Epoche der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte ging zu Ende, die personell noch tief in die Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie zurückreichte. Diese Generation hatte nach dem Weltkrieg nicht nur den kirchlichen Zusammenschluss aller evangelisch-lutherischen Christen im neuen rumänischen Staat befördert, sondern auch den politischen aller Rumäniendeutschen. Sie hatte die Türe zur loyalen Mitarbeit im rumänischen Staat geöffnet. Die siebenbürgisch-sächsische Geschichte trat nun in eine politisch erregte Übergangsphase ein.3 Die Hoffnung auf eine faire Behandlung der Minderheiten, welche die Nationalversammlung der siebenbürgischen Rumänen in Karlsburg (Alba Iulia) 1918 zum Programm erhoben hatte, ging nicht in Erfüllung. Die Mediascher Erklärung des sächsischen Volksrates hatte in den Augen der Zeitgenossen wenig genützt. Die Zukunftsperspektive verdüsterte sich. Mit dem Abstand von rund 90 Jahren betrachtet, scheint sowohl die kirchliche als auch die politische Leitung der Siebenbürger Sachsen in dieser Zeit in ihren Aktionen defensiv und politisch unentschlossen. Es ist schwer zu verstehen, dass sich der „Verband der Deutschen in Rumänien“ und der „DeutschSächsische Nationalrat“ nicht besser politisch organisierten und entschlossen und öffentlich zu Wort meldeten. Der Übergang Siebenbürgens in das neue Großrumä1

Geb. 7. März 1964 in Fogarasch, gest. am 28. Januar 1928. Geb. 16. September 1852 in Schäßburg, gest. am 11. Februar 1933 in Hermannstadt. Er trat am 17. September 1932, einen Tag nach Vollendung des 80. Lebensjahres, von seinem Amt zurück. Friedrich Teutsch war der Schwager Adolf Schullerus’. Dieser hatte nach dem Tode seiner ersten Frau, Josefine Gertrud, geb. Stühler (1865-1896), die Schwester Friedrich Teutschs, Hilda, geb. Teutsch, geheiratet. 3 Siehe dazu die Analyse von Harald Roth: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933. Köln, Weimar, Wien 1994. 2

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nien, der Verlust des Nations- und Gemeindevermögens der Siebenbürger Sachsen, die immensen Schwierigkeiten bei der Erhaltung der evangelischen Kirchenschulen (Stichwort Kirchentaxen), der ungerechte Wechselkurs beim Eintausch von Kronen in Lei und die trüben wirtschaftlichen Aussichten schienen die politischen Kräfte zu lähmen. Man kann nicht sagen, dass die sächsischen Politiker untätig waren. Aber es gab keine zentrale politische Kraft unter den Siebenbürger Sachsen, nicht im Volksrat, nicht in einer der politischen Parteiungen, der es gelungen wäre, berechtigte Wünsche der sächsischen Bevölkerung in einen politischen Willen des gesamten sächsischen Volkes umzuwandeln. Im Oktober 1929 brach in den USA eine schwere Finanzkrise und in der Folge eine Weltwirtschaftskrise aus. Das Pflichtbewusstsein, mit dem viele sächsische Politiker handelten, sollte man allerdings auch nicht vergessen. Es fehlte dieser nüchternen Politik in den Städten und Dörfern mit sächsischen Bürgermeistern an Popularität. Der Politikstil der älteren Generation um Adolf Schullerus und Friedrich Teutsch, Rudolf Brandsch und um den damals noch jungen Hans Otto Roth zeichnet sich durch Zurückhaltung in der Öffentlichkeit aus. In der nächsten Generation machte sich eine Mentalität bemerkbar, die sich an lauten Worten berauschte und Wunsch und Wirklichkeit verwechselte. Konservative und liberale Politiker gerieten in der Öffentlichkeit mehr und mehr in die Defensive. Mäßigung, Beharrlichkeit und Zurückhaltung machten sie in der Öffentlichkeit nicht beliebt. Von einer Zukunft im neuen Großrumänien ging, wenn überhaupt, nur eine geringe Zugkraft auf die jüngere Generation aus.4 Der Tod von Adolf Schullerus war auch ein Einschnitt in der Geschichte der Familie. Aber es ist schwer zu sagen, ob und welche Folgen der Verlust dieses älteren Beraters auf den Lebensweg Konrad Möckels in den nächsten, unruhigen Jahren hatte. Adolf Schullerus hatte die ersten beruflichen Schritte des Schwiegersohnes in der großen Weinbaugemeinde mit Wohlwollen begleitet. Einzelheiten enthalten die Erinnerungen nicht, auch nichts über Unterschiede in theologischen oder politischen Fragen. Waren die beiden Männer zu verschieden? Zu ungleich im Alter? Oder waren sie sich umgekehrt in den Grundauffassungen zu ähnlich? Konrad Möckel war Naturwissenschaftler mit einem starken Hang zur Philosophie. Er entdeckte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mehr und mehr für sich selbst den Glaubenshintergrund der siebenbürgisch-sächsischen Volkskirche. Zur praktischen Politik hielt er einen deutlichen inneren Abstand, fühlte sich jedoch um 1930 von den Diskussionen zur Erneuerung – was immer das heißen mochte – angezogen und meldete sich wiederholt mit eigenen Beiträgen im Klingsor,

4 Die Demotivierung durch die Bukarester Administration und Politik hatte viele Gründe, die es verdienen würden, genauer untersucht zu werden. Auch siebenbürgische Rumänen waren enttäuscht. Der politische Weg der rumäniendeutschen Minderheit führte nicht geradewegs in den Nationalsozialismus, sondern begann – das muss festgehalten werden – damit, dass die gewählten Vertreter des sächsischen Volkes den guten Willen zur Zusammenarbeit und zum Leben im neuen Großrumänien bekundeten.

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in Tageszeitungen und in Broschüren zu Wort.5 Die unumgänglichen Konfrontationen und Auseinandersetzungen innerhalb der Minderheit und mit dem neuen Staat ließen ihn nicht unberührt. Adolf Schullerus gab die Volkskirche keine theologischen Rätsel auf. Er mühte sich vielmehr um praktische Wege zu ihrer Erhaltung im neuen rumänischen Staat. In den Erinnerungen erwähnt Konrad Möckel „die reifen, starken Predigten meines nachmaligen Schwiegervaters Stadtpfarrer D. Adolf Schullerus“, die er als Schüler der Gymnasialoberstufe gehört hatte.6 In den Studienwochen in Klosdorf gab es Gelegenheit, theologische Fragen zu besprechen. Adolf Schullerus lud Gäste, darunter Professoren aus Deutschland ein. Konrad Möckel nennt Heinrich Rendtorff, Erich Schnepel und Pfarrer Georg Scherg aus Kronstadt, die ihn in seiner geistlichen Entwicklung förderten (Abb. 18). Die Namen der ausgewählten Referenten sagen auch über Adolf Schullerus etwas aus, wenngleich die liberale Theologie, der Adolf Schullerus zuzurechnen ist, als Hintergrundkonsens die meisten Pfarrer in der Landeskirche verband. Die Erneuerungsbewegung scheint zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn kein Gegenstand der Erörterung gewesen zu sein. Ein Zeichen der familiären Verbundenheit des Großvaters, besonders mit den Enkeln, soll nicht unerwähnt bleiben. Es sind die Geschichten vom Tschiripik, die Adolf Schullerus dem ältesten Enkel, Christian, erzählte und dann für ihn in sächsischer Mundart aufschrieb. Den Namen Tschiripik gab es in Großpold tatsächlich. Der Großvater griff Wanderanekdoten mit komischen Zügen auf, die sich im Rahmen eines Spottes bewegen, mit dem sich benachbarte ethnische Gruppen reiben. Mit der späteren Verfolgung von Sinti und Roma im Zweiten Weltkrieg haben diese Geschichten zwar nichts zu tun. Aber man fühlt beim Lesen den Abstand, der uns von einer Welt sich selbst genügender Ethnien trennt. Der vielbeschäftigte Stadtpfarrer von Hermannstadt und Senator in Bukarest, der Volkskundler und Germanist, ist auf Bildern im Familienalbum selten zu sehen. In seiner Eigenschaft als Großvater war er wohl nicht oft in Großpold. Mit seiner Gesundheit stand es in den letzten Lebensjahren nicht gut. Er versuchte gewissenhaft, seinen vielen Pflichten in verschiedenen Ämtern nachzukommen. Ein Jahr vor seinem Tode taufte er seinen jüngsten, schwer erkrankten Enkel Andreas in der Kinderkrippe in Hermannstadt, wohin dieser in aller Eile hatte gebracht werden müssen.7 Auch die Mutter war nach der Geburt schwer erkrankt. Ein Jahr später starb Adolf Schullerus und hinterließ eine Lücke, nicht nur in der Familie.

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„Erneuerung“ war ein großzügig gebrauchtes Modewort der Zeit und meinte „grundlegende Reform“. Es konnte – je nach Kontext – auf politische oder kirchliche Institutionen und auf die Kirche oder das sächsische Volk als Ganzes angewandt werden. 6 Erinnerungen 1953/54, I. 7 Johann Andreas Möckel, geb. am 30. Januar 1927 in Großpold.

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Unzufriedenenbewegung Die Siebenbürger Sachsen hingen wie die anderen Völker in Siebenbürgen an ihren kulturellen Errungenschaften. Zwei Lieder sind aufschlussreich: „Ich bin ein Sachs, ich sag’s mit Stolz, vom alten, edlen Sachsenstamm“,8 dieses Lied von Friedrich Wilhelm Seraphin, Gymnasialprofessor in Bistritz, geb. 1861, vertont von Rudolf Lassel, drückt damals ohne ironische Brechung ein Nationalgefühl aus. Es grenzte sich gegen „Berg- und Talgenossen“ ab, von denen Max Moltke in einem anderen Lied gesungen hatte. Moltkes Lied stieg zum siebenbürgischen Heimatlied auf: „Siebenbürgen, Land des Segens“. Er hatte im Ton der Dankbarkeit alle Söhne und Töchter Siebenbürgens, nicht nur die sächsischen, sondern auch die ungarischen und rumänischen und wohl auch die Sinti und Roma im Blick – eine tolerante, ja brüderliche Sicht. In den 1920er Jahren klang das Lied Seraphins wie die Beschwörung einer guten alten Zeit mit einem Unterton uneingestandener Angst um das Überleben als eigenes Volkes. Im Übrigen sangen nicht alle Sachsen dieses Lied gerne. Heute erfüllt es mit Trauer; denn es spiegelt, was man als Nachgeborener leicht erkennen kann, die Selbstbezogenheit – eine schwache Stelle der nach dem Ersten Weltkrieg noch bestehenden „sächsischen Volksgemeinschaft“. Konrad Möckel registrierte, wie sich das Wir-Gefühl der Siebenbürger Sachsen verschob. Er zeigte das an einer Umdichtung der siebenbürgisch-sächsischen Hymne. Die letzte Strophe lautete: Siebenbürgen, süße Heimat, unser teures Vaterland! Sei gegrüßt in deiner Schöne, und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band!

In der populären Umdichtung hieß es dagegen „... und um alle Sachsensöhne schlinge sich der Eintracht Band!“ Man könne es an den blitzenden Augen sehen, schrieb er, wie sehr „die jetzt allgemein beliebte Umdichtung als ‚Fortschritt‘ empfunden“ werde.

8 Ich bin ein Sachs und sag’s mit Stolz Vom alten edlen Sachsenstamm Wo gibt’s ein adliger Geschlecht Da keiner Herr und keiner Knecht Wir sind getrost Gott steht uns bei Mein Sachsenvolk, dir bleib ich treu. Ich bin ein Sachs und sag’s mit Stolz Vom alten edlen Sachsenstamm Ob auch der Feind uns hart bedroht Wir stehen fest in Not und Tod Was ficht uns an sein Wutgeschrei Mein Sachsenvolk, dir bleib ich treu.

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„Wie eng und unfrei muß doch das Geschlecht sein, das sich so groß und völkisch dünkt, wenn es nicht einmal mehr den Wunsch und die Bitte der Väter unter sich dulden und aussprechen will, daß wir Siebenbürger Nationen, die wir allerdings leider von je her so manche Reibung und Mißhelligkeit aneinander gehabt haben, durch Eintracht miteinander verbunden seien.“9

Die laut geäußerten Gefühle der allein auf sich gestellten Kämpfer waren weit entfernt von dem Wort der Bergpredigt im Neuen Testament „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ Es war nach dem Ersten Weltkrieg zu wenig Zeit, um die schwere Niederlage zu betrauern und den Schmerz des Verlustes zu überwinden. Konrad Möckel beunruhigte die Diskrepanz zwischen dem lauten Ruf nach schneller Hilfe und der fehlenden Einsicht in einen notwendig gewordenen, langfristig angelegten Gemeindeaufbau. Die Versuche zur Lösung von Problemen gerieten immer wieder in Sackgassen. Eine solche war auch die Unzufriedenenbewegung, die um den Hermannstädter Rechtsanwalt Albert Dörr in Hermannstadt 1925 entstand. Die Unzufriedenenbewegung war ein Protest gegen die Höhe der Kirchentaxen, welche die Evangelische Kirche A. B. von ihren Mitgliedern nach der Agrarreform im Jahre 1924 zur Erhaltung von Kirchen und Schulen erhob.10 Sechzehn Hermannstädter Bürger wandten sich mit einer Eingabe an das rumänische Parlament und schlugen vor, die Steuerhoheit der Evangelischen Kirche einzuschränken. Die Bewegung formierte sich drei Jahre später (1927) politisch unter dem Namen Sachsenbund mit Ortsgruppen in Städten und Dörfern. Der Name „Sachsenbund“ beanspruchte, die unter der Last der Kirchen- und Schultaxen stöhnenden evangelischen Gemeindemitglieder in toto zu vertreten. Er machte damit der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien das Recht streitig, sämtliche Sachsen und deren vitales Interesse an deutschsprachigen Schulen zu vertreten und sie dementsprechend zu besteuern – ob sie der Kirche nahe standen oder nicht. Damit spitzten sich die inneren Widersprüche im komplexen Verhältnis von national-sächsischer Volkskirche und christlichem Kirchenvolk weiter zu. Harald Roth weist ganz zu Recht darauf hin, dass es an einer innersächsischen Streitkultur fehlte. Die Probleme der Doppelbesteuerung der Sachsen waren unstreitig vorhanden. Aber es fehlte eine öffentliche Diskussion, die, wenn schon keine Lösung, dann doch wenigstens eine Klärung hätte bringen können. Heinrich Zillich verglich die Hermannstädter in einer Glosse mit den „rheinischen Separatisten“. Die Unzufriedenen seien „Fabrikanten, aber keine Bauern, Kaufleute, aber keine Arbeiter“.11 Dem Sachsenbund gelang es in den nächsten Jahren dann doch, in der Landbevölkerung Fuß zu fassen. Er bestand bis 1930. Dann fanden seine Mitglieder in der Selbsthilfebewegung eine Plattform für ihre Politik und ihre antikirchlichen Ressentiments. Konrad Möckel suchte die Beweggründe hinter dem Sachsenbund. Im   9

Konrad Möckel: Volkstum und Glauben. Leipzig 1930, S. 38. Dazu Harald Roth: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933. Köln, Wien 1994, S. 84-90. Siehe auch das 3. Kapitel. 11 Heinrich Zillich: Die Hermannstädter 16. Klingsor 3 (1926), S. 78. 10

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Widerspruch zum gewählten Namen (Sachsenbund) schwächte die Hermannstädter Initiative die Minderheitenposition der Sachsen. Ihn erstaunte, „daß die Kirchenburg verteidigt werden muß gegen diejenigen, die gestern oder gar erst heute aus ihr ausgezogen sind“.12 Mehr noch gab ihm zu denken, dass „der Sachsenbund gerade vom sächsischen Bauern und nicht etwa vom städtischen Ideologen“ getragen werde. Er vermutete eine weit über den Sachsenbund hinausgehende Unzufriedenheit und sah, dass die Mitglieder „mit Bewunderung an ganz minderwertigen Führern“ hingen.13 Es gähne eine geradezu furchtbare Kluft zwischen dem Volke und der führenden, städtischen Schicht, die er als eine Krise der Sprachlosigkeit deutete: „Ein Volksleben, das sich geistig schlecht oder gar nicht vertreten kann, weil ihm die Formung von Gedanken nicht zu Gebote steht. Darüber eine zweite führende, redende, denkende Schicht, angeblich die Vertretung und Führung unseres Volkslebens. Ihr fehlt die Volksverbundenheit, weil sie nicht anzuknüpfen imstande ist an das dumpfe, des Gedankens und Wortes so selten fähige, breitere Volksleben, in dem doch die Lebensgesetze des deutschen Menschen in Siebenbürgen irgendwie gelebt werden, wenn auch oft nur in Ansätzen und oft verdeckt und überwuchert von allerlei wilden und bösen Trieben.“14

Der allgemein verbreitete Unmut treffe, so stellte er fest, in erster Linie die Kirche. Der Name „Landeskirche“ habe im Unterwald keinen guten Klang. Er verteidigte die Nachlässigkeit seiner Standesgenossen nicht, aber er erkannte und sprach doch auch aus, dass der Pfarrerstand an der Vereinsamung genau so litt wie alle und „er fühlt sich mitsamt dem Volke – im Stich gelassen!“15 Die Unzufriedenenbewegung bestärkte ihn in seiner Bereitschaft, auf die Gemeinde zuzugehen und mit ihr zu leben, sich nach außen zu öffnen und im Kontakt mit Kollegen zu bleiben und die Dinge beim Namen zu nennen, wie sie nun einmal lagen, so weit es ihm auf dem Hintergrund seiner Herkunft und seines Studiums möglich war. Die sächsischen Pfarrer und Lehrer, er war beides, hatte er schon auf dem Jugendtag in Heldsdorf als die Verantwortlichen angeredet. Wenn er von ihnen sprach, sprach er von sich. Er war sein erster Hörer, wenn er von den Kollegen ein wacheres Verständnis, als bis dahin üblich, für Vorgänge in der Volkskirche forderte. „Wie liebte ich das Leben im Unterwald! Wie liebte ich die Gemeinden mit ihrem schönen, altehrwürdigen Brauchtum! Und wie betrübt und entsetzt kam ich oft von Konferenzen und Pfarrkränzchen, wo man so gar keine Ahnung von dem Ernst neuer, großer Forderungen hatte und sich bürgerlich-gemütlich gehen ließ.“16

12 Konrad Möckel: Was hat uns die Unzufriedenenbewegung zu sagen? In: Kronstädter Zeitung 1929, Nr. 288 und 290. Auch als Sonderdruck. Nachlass KM, DM Hds 17. Zitat S. 2. 13 Ebda, S. 4. 14 Ebda, S. 12. 15 Ebda, S. 13. 16 Erinnerungen 1953/54, VI.

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In diese Situation hinein erreichte ihn die Bitte um Mitarbeit im Wandervogel, auf die im vorigen Kapitel schon eingegangen worden ist. Heimsenior im Franz-Rendtorff-Haus in Leipzig Im Wintersemester 1931/1932 verbrachte Konrad Möckel als Heimsenior eine für ihn wichtige Zeit im Franz-Rendtorff-Haus in Leipzig. Wahrscheinlich hatte Bischof Heinrich Rendtorff, der Konrad Möckel in Kloosdorf kennengelernt hatte, ihn seinem Vater, Geheimrat und Professor Franz Rendtorff, empfohlen. Der Gustav Adolf-Verein, dessen Vorsitzender Professor Rendtorff (1860-1937) war, hatte 1930 in Leipzig ein Studentenheim im Stil des Bauhauses gebaut, „hoch modern, kühl, streng, sachlich, aber dabei äusserst behaglich und wohnlich“.17 Es nahm deutschsprachige Studierende aus der evangelischen Diaspora auf (Lettland, Russland, Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien), unter ihnen auch Siebenbürger Sachsen.18 Konrad Möckel hatte in Absprache mit der Heimleiterin, Fräulein Maria Rendtorff, zweimal in der Woche Morgen- und Abendandachten zu halten und Gottesdienste und Diskussionsrunden zu leiten. Auf Wunsch führte er Einzelgespräche und hielt in Pfarrgemeinden oder bei Vereinen, wie beim Verein für das Auslandsdeutschtum (VDA), Vorträge über die Kirche in Siebenbürgen. Er besuchte zur eigenen Fortbildung Vorlesungen an der Universität bei Dedo Müller und Ernst Sommerlath,19 – „beide sind sehr fesselnd und wohl jetzt die Leuchten der theologischen Fakultät“.20 Sommerlath hielt ein Seminar über „Melanchtons Loci“. Außerdem belegte Konrad Möckel Übungsstunden, um sich im liturgischen Singen zu verbessern. Ein besonderer Gewinn, so erinnerte er sich später, war das Studium des griechischen Textes des Epheserbriefs in seinem Zimmer im Rendtorff-Haus. Franz Rendtorff hatte ihm das Studium dieses Briefes empfohlen. Von der ersten Besprechung berichtete der damals knapp 40-jährige Konrad Möckel seiner Frau, die zu Hause drei Kinder im Alter von elf, sechs und vier Jahren und dazu vorübergehend zwei Großmütter versorgte, die Weinlese in den Weingärten des Pfarrers bewerkstelligte und das Brennholz für den Winter einkaufte: „Der alte Herr will ‚engste Zusammenarbeit‘ zwischen ihm selber und mir; dabei stellt er aber solche Anforderungen an die Beherrschung des griech. Testaments und

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Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an DM vom 22. Oktober 1931. Homepage der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Das Haus war am 17. Mai 1930 eingeweiht worden. 19 Alfred Dedo Müller (1890-1972), gehörte zu den Begründern der Berneuchner Bewegung und hatte Sympathien für die religiösen Sozialisten. Ernst Sommerlath (1889-1983) war ein dezidiert lutherischer Theologe. 20 Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an DM vom 29. Oktober 1931. 18

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tut ein dermaßen profundes und umfassendes Wissen heraus, dass ich innerlich nach Luft schnappen musste.“21

Für seine theologische Weiterbildung war dieses Sabbat-Halbjahr von großer Bedeutung. Immer wieder griff er später darauf zurück, so auch als sich einige Jahre danach der Frecker Kreis zusammenfand. Die Arbeit im Heim bestärkte ihn im Beruf und weitete seinen Horizont, zog ihn jedoch auch in die Atmosphäre hinein, die vom überraschenden Aufstieg des Nationalsozialismus und von der Weltwirtschaftskrise geprägt war. Er erlebte die Auseinandersetzung der politisch an bürgerlichen Parteien orientierten evangelischen Kirche mit dem erstarkten Nationalsozialismus aus der Nähe. Im Freistaat Sachsen war das Schreckgespenst des Kommunismus lebendig. Die Kommunisten machten aus der Ablehnung der christlichen Kirchen kein Hehl. Im Oktober 1923 hatte die Reichsregierung in Berlin eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung abgesetzt, weil deren kommunistische Mitglieder zu offenem Widerstand gegen die Reichswehr aufgerufen hatten. Das lag inzwischen acht Jahre zurück, war jedoch nicht vergessen; während die Verfassungsbrüche der bayerischen Nationsozialisten, die im gleichen Jahr 1923 die Einheit der Weimarer Republik weit schwerer bedrohten, keine Gefahr für die Zukunft zu sein schienen. Die rechtsextremen politischen Kräfte hatten in ihren Reihen ebenfalls Verächter der Kirchen und des Christentums. Offiziell gaben sich die Nationalsozialisten jedoch gemäßigt. In dem Milieu, in dem Konrad Möckel sich sowohl in Leipzig als auch in Siebenbürgen bewegte, war die Gefahr des „Bolschewismus“ gegenwärtig, die Gefahr einer Diktatur von Rechts nicht. Die raschlebige Großstadt Leipzig forderte Konrad Möckel ganz anders heraus als die relativ ruhige Dorfgemeinde Großpold. Äußerlich kam sich Konrad Möckel privilegiert vor – wie „in Abrahams Schoß“, „wie eine Drohne“, aber auch – mit kritischem Unterton – wie „in einem goldenen Käfig“. Die Nationalsozialisten hatten 1928 in den Reichstagswahlen 2,6 % aller Stimmen (12 Mandate) erhalten. Im Jahre 1930, während der weltweiten Wirtschaftsdepression, waren es schon 18,3 % (107 Mandate). In der Landesregierung in Thüringen stellten sie einen Minister. Sie machten auch im Wohnheim des Gustav Adolf Werkes in Leipzig von sich reden. Im Rückblick 1953/1954 schrieb Konrad Möckel, er sei im Wintersemester in Leipzig noch geneigt gewesen, „in der Bewegung des ‚Führers‘ A. H. einen Weg zur Rettung des deutschen Volkes zu sehen“.22 In einem der ersten Briefe aus dem FranzRendtorff-Haus schrieb er von Fräulein Maria Rendtorff, der Leiterin, sie habe „ernste und große Angst, einen Diskussionsabend im Heim über den Nationalsozialismus zu veranstalten. Auch kann sie Meinungen, die von der akademisch-kirchlichpatentierten [Meinungsrichtung A. M.] abweichen schwer oder gar nicht vertragen.“23 21 22 23

Ebda. Erinnerungen 1953/54, IX. Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an DM vom 19. Dezember 1931.

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Er erwähnte einen Vortrag des „berühmten Naziwirtschaftlers“ Gottfried Feder, der Wirtschaftsexperte der Nationalsozialisten war und zum sozialrevolutionären Flügel um Gregor Strasser gehörte. „Auditorium maximum und der grosse Saal daneben bumm voll. Übertragung durch Lautsprecher. Eine glänzende Rednergabe.“24 Auf Konrad Möckels Anregung hin kam ein Diskussionsabend über den Nationalsozialismus im Franz-Rendtorff-Haus zustande. Von seiner Frau ließ er sich eine Nummer der Selbsthilfezeitung und einen Wandervogelrundbrief zusenden.25 Die rund zwei Dutzend Briefe Konrad Möckels an seine Frau in Großpold ergeben anschauliche Bilder. Sie zeigen die wirtschaftlichen Probleme des Pfarrhofes in Großpold, die labilen politischen Verhältnisse in Deutschland, die Lage der evangelischen Kirche in einer Großstadt im Gegensatz zu einer traditionellen, siebenbürgischsächsischen Dorfgemeinde und – nicht zuletzt – die chronische Geldknappheit eines siebenbürgisch-sächsischen Pfarrers, selbst wenn er aus dem relativ wohlhabenden Großpold kam. Seine Zähne bedurften dringend der Sanierung, und er war glücklich, dass das in Leipzig gelang. Vierzig Stunden hatte die Fahrt von Großpold nach Leipzig gedauert, bis er in seinem Zimmer mit fließendem Wasser angekommen war. Er sparte Straßenbahnkosten und benützte im Herbst wie im Winter gerne ein Fahrrad, das ihm das Haus zur Verfügung stellte. Damit fuhr er zwischen dem Studentenheim, der Universität und dem Lesesaal der großzügig angelegten Deutschen Bibliothek hin und her. Deren Benützung kostete zu seiner Überraschung nur zwei Mark im Jahr. Die erste Begegnung mit Franz Rendtorff machte auf ihn einen tiefen Eindruck: „Weisst du, der alte Herr hat mich lebhaft an unsern lieben guten Vater erinnert. Dieselben Augen, bei aller Verschiedenheit. Dieselbe beherrschte Strenge, versöhnt durch weiche väterliche Liebe. Dieselbe durchgreifende Sorge und Hilfsbereitschaft für andere. Dieselbe kluge Besonnenheit, das reife klare Urteil. Ich habe mich jedenfalls seit Vaters Tod noch nie einem so väterlichen Menschen gegenüber gesehen ... Mein ‚Maas‘ [sic] war aber vollends erfüllt, als der alte Herr heute Nachmittag sich hier im Heim die Studenten einzeln vorstellen liess und nachher selber auf meine Bude heraufkam, um mich zu besuchen und mir den Epheserbriefkommentar zu bringen, von dem wir am Vormittag geredet hatten. Ich glaube der alte Herr wird hier noch ähnliches für mich bedeuten, wie sein Sohn in Klosdorf.“26

24 Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an DM vom 15. Dezember 1931. Gottfried Feder (1883-1941) fand die Propagandaformel „Brechung der Zinsknechtschaft“, die auch Fritz Fabritius verwendete. Er stand der Richtung um Gregor Strasser nahe, den Hitler am 30. Juni 1934 ermorden ließ. 25 Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an DM vom 5. November 1931. 26 Nachlass KM Archivmappe 23 KM an Dora Möckel am 24. Oktober 1931. Möckel schreibt hier wie auch an anderen Stellen „Kloosdorf“. Klosdorf war eine Fortbildungsstätte der Ev. Kirche A. B. in Rumänien. D. Dr. Heinrich Rendtorff war Bischof in Mecklenburg-Schwerin und der Sohn des Theologen Franz Rendtorff.

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Der Heimsenior und Student erlebte eine feierliche Rektoratsübergabe mit der Ansprache des neuen Rektors Theodor Litt, der erklärte, die Universität solle sich nicht in die Politik einmischen, sondern Ort wissenschaftlicher Wahrheitssuche bleiben. Am Reformationstag hörte er eine Predigt von Professor Dedo Müller, der allerdings – wie er kritisch bemerkte – mehr zu denen gesprochen habe, die nicht anwesend waren, als zu denen unter der Kanzel. Im Gottesdienst sangen die Thomaner. Die Briefe geben auch Auskunft über das nicht immer einfache Verhältnisse zwischen ihm und seiner Frau, die den Großpolder Haushalt führen musste und ihren Mann vertrat. Die Verwaltungsaufgaben in der Gemeinde und die Gottesdienste versah der Vikar Hellmut von Hochmeister. Konrad Möckel war dankbar für die einzigartige Gelegenheit, sich als ein im Beruf stehender Pfarrer in seine geistliche Aufgabe noch einmal vertiefen zu können, und er hatte doch ein bedrücktes Gewissen, weil seine Frau überlastet war. Der Haushalt, drei nicht immer einfache Buben, die ehrenamtliche Praxis als Ärztin, zu der alle Nationalitäten des Ortes mit den Krankheiten ihrer Kinder gerne kamen, schon weil sie den Weg in die Nachbargemeinde Reußmarkt und die Ausgaben für einen Arzt scheuten. Konrad Möckel machte sich Selbstvorwürfe, und es floss ihm ein Stoßseufzer in die Feder: „Wenn sich endlich einmal dieses Gemächte von Höhenflug und Schwäche, von heiligem Glaubensfeuer und menschlicher Unzulänglichkeit entwirren und klären könnte, dass nicht immer eines durch das andere verwirrt, verschleiert oder entwertet und entehrt wird!“27

Ein Besuch in der Nachbarschaft von Leipzig bei einem Kirchweihfest bedrückte ihn. Er sah wie der Tag „zum unbedeutenden Vereinsleben herabgedrückt“ worden war.28 An dieser kleinen Verstimmung des ausländischen Besuchers inmitten eines Gemeindefestes wird deutlich, dass in den 1920er Jahren die evangelische Kirche in Siebenbürgen noch wirklich eine bestimmende Größe im Leben einer siebenbürgischen Gemeinde war. In einem merkwürdigen Gegensatz stand dazu das Bild, das der Vorsitzende des Gustav Adolf Vereins Franz Rendtdorff von der bedrohten Diaspora hatte. Auch eine andere Erfahrung zeigte dem Pfarrer aus Siebenbürgen, wie weit das Christentum in Deutschland im öffentlichen Leben schon zurückgedrängt worden war. Er besuchte eine „Versammlung des Tannenbergbundes (Ludendorffpartei!) wider die Freimaurerei“. In einem vollen Saal gingen die Wellen gegen Ende der Veranstaltung sehr stürmisch, „da die anwesenden Nazi sehr scharf gegen Angriffe des Redners auf den Nationalsozialismus reagierten“. Es sei jedoch friedlich geblieben. Mit Befremden stellte er fest, wie sich diese große Menge ruhig habe sagen lassen, „dass das Christentum als Feind des deutschen Volkes betrachtet werden müsse“.29 Es gab aber nicht nur die Bekämpfung, sondern auch die Entstellung des christlichen Glaubens. Er hielt einen Vortrag 27 28 29

Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel vom 12. November 1931. Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel vom 8. November 1931. Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel vom 8. Januar 1932.

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im gut gefüllten Gemeindesaal einer evangelischen Kirchengemeinde. Der Posaunenchor spielte, ein Pfarrkollege leitete ein, ein zweiter, dessen Tochter als Ferienkind in Siebenbürgen gewesen war, „bliess sehr dicke, deutsch-evangelische Töne“. Nach dem langatmigen Schlusswort und einem Choral sangen die Anwesenden auch noch das Deutschlandlied.30 Die verwirrenden Eindrücke nahmen ihn stark in Anspruch. Er wollte die kurze Zeit in Leipzig gut nutzen. Im Dezember 1931 berichtete er von einem Vortrag mit Aussprache an der Universität „über den ‚Fall Dehn‘“ – „übrigens ein bedeutender Theologe“.31 Dehn hatte in einem Vortrag zum Thema „Kirche und Völkerversöhnung“, um den er 1928 gebeten worden war, das Bibelwort aufgegriffen „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“.32 Es war damals in der evangelischen Kirche gang und gäbe, das Wort auch auf den Soldatentod zu beziehen. Dehn wandte sich dagegen. Man solle erwägen, ob es richtig sei, den Gefallenen Denkmäler in den Kirchen zu errichten. Die Kirche solle das besser der bürgerlichen Gemeinde überlassen. Darauf erhob sich ein Sturm der Entrüstung – auch in evangelischen Kreisen. Konrad Möckel dürfte sich daran erinnert haben, dass er 1925, wenige Wochen nach dem Antritt der Pfarrstelle in Großpold in seiner Ansprache am Heldengedenktag das Wort des Apostel Paulus ausgelegt hatte. „Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: ‚Verschlungen ist der Tod im Sieg‘.“33

In einem anderen Brief erwähnte er einen Vortrag über Sowjetwirtschaft. Eine Weihnachtsfeier des VDA mit Tanz enttäuschte ihn tief, „schlimmster Missbrauch des Heiligen! Sentimentaler ‚Edelkitsch‘!“34 Im Januar erreichte ihn auf einer Postkarte die Anfrage von Bischof Friedrich Teutsch, ob er bereit sei, die Pfarrstelle in Birthälm zu übernehmen: „... sinkendes Land. Rettung sehr erforderlich“.35 Er lehnte ab; denn er sah auch in Großpold „sinkendes Land“. Und wenn es in Hermannstadt zu den Entscheidungen käme, wer weiß, ob er dann nicht gleich wieder werde wegziehen müssen. Friedrich Teutsch hatte angekündigt, dass er an seinem 80. Geburtstag vom Bischofsamt zurücktreten wolle. Der Hermannstädter Stadtpfarrer Dr. Friedrich Müller hatte Aussichten, sein Nachfolger zu werden. Die Hermannstädter Stadtpfarrstelle wäre dann frei geworden. Konrad Möckel war den Hermannstädtern von Vorträgen her bekannt. In einem Brief ist von „phantastischen Bischofsmären“ die Rede. Was damit gemeint sein könnte, deutete er an. Er habe von 30

Nachlass KM Archivmappe 23, Brief KM an Dora Möckel vom 29. Oktober 1931. Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel am 5. Dezember 1931. Günther Dehn (1882-1970). 32 Joh. 10,12. 33 1. Korinther 15,53-55. 34 Ebda. 35 Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel am 8. Januar 1932. 31

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Bischof Rendtdorff, schrieb er seiner Frau, auf seine diesbezüglichen Darlegungen „kein entschiedenes Nein gehört“. Er ermächtigte sie, seine Bemerkung selbst oder über Hellmut von Hochmeister bei Gelegenheit weiterzugeben.36 Der Berliner Pfarrer Erich Schnepel lud ihn zu einem Bibelkurs in die Mark Brandenburg ein. Konrad Möckel kannte und schätzte Schnepel von Fortbildungen in Siebenbürgen. Nach dem Kurs wog er ab, was ihm der Bibelkurs und die Gebetsgemeinschaft in Mohrin37 bedeuteten, und er war dankbar für das Gegengewicht der nüchternen Vorlesungen Sommerlaths. Er verglich seine Vorträge in Leipzig mit der Gemeindearbeit in Großpold und im Südostdeutschen Wandervogel. Einzelvorträge dagegen, einmal hier, einmal dort, brächten nicht viel und gehörten „nicht so zu stetigem Bau, wie die Grosspolder Gemeindearbeit oder die Beziehungen zur Jugendbewegung“.38 Nachdem er zu einer Wandervogelgruppe in Leipzig eingeladen worden war, deren Umgangsformen ihm zu nachlässig schienen, fand er: „Unsere Wandervögel stehen auf höherem Niveau.“39 Gegen Ende seines Aufenthaltes konnte er sich der Bitten um Vorträge kaum noch erwehren. Einmal sprach er in Auerbachs Keller vor Landsleuten. Heimweh überfiel ihn und die Sehnsucht nach seiner Frau und den drei Kindern. Auch die Vorfreude auf die Fortsetzung der Arbeit in der Gemeinde stieg. Der Evangelist Pfarrer Ungar war von der Landeskirche für eine Evangelisationswoche in Großpold vorgesehen. Sie hätte sich mit seiner Rückkehr überschnitten. Konrad Möckel wollte selbst wieder in der Gemeinde mit Bibelstunden und Seelsorge beginnen. Die Richtwoche in Großschenk Im Sommer 1931 schrieb Albert Klein an Konrad Möckel, er habe von der Leiterin der Kronstädter Wandervogelgruppe gehört, er, Konrad Möckel, stimme dem Plan einer Richtwoche zu und wolle bei der Durchführung behilflich sein.40 Er habe nun die „ganzen Vorbereitungsarbeiten“ in seinen Händen und wolle, dass nun „wenigstens eine Zeitlang im Mittelpunkt der Altershorstarbeit Martin Luther stehen“ solle.41 Albert Klein (1910-1990),42 damals Student in Klausenburg, ging die Vorbereitung der Richtwoche ungewöhnlich professionell an. Er hatte Lehrerinnen, Lehrer und Studenten gefunden, die als „Einzelsassen“ bereit waren, mit einem „Horst“ zusammenzuarbeiten.

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Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel am 14. Januar 1932. Der Tagungsort war eine kleine Stadt in der Mark Brandenburg (heute polnisch Moryń). 38 Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel am 24. Januar 1932. 39 Nachlass KM Archivmappe 23, KM an Dora Möckel am 27. Januar 1932. 40 Gerda Polony. 41 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Brief vom 13. September 1931. 42 Albert Klein, von Jugendfreunden Klein Butz genannt, war Bischof der Ev. Landeskirche in der von der Securitate-Herrschaft Nicolae Ceauşescus geprägten, schweren Zeit (1969-1990). 37

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Er selbst wollte sich einarbeiten, brauchte aber Hilfe und bat um einen Termin für ein Gespräch in Großpold, wohin er von Hermannstadt aus kommen wollte.43 Der Besuch fand vor dem Studiensemester in Leipzig statt und führte nicht nur zu einer intensiven Zusammenarbeit in der Vorbereitung und Ausführung der Richtwoche vom 22. bis 28. August 1932, sondern auch zu einer längeren Korrespondenz und war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft des damals 39-jährigen Konrad Möckel mit dem 21-jährigen Albert Klein, dem er das Du anbot. Der Briefwechsel wirft ein Licht darauf, wie Konrad Möckel seine Rolle im Wandervogel verstand. Die Vorbereitungen gingen im März 1932 weiter. Ein Älteren-Führertreffen im Winter hatte „das Arbeitslager und die Richtwoche“ in den Mittelpunkt der Wandervogelarbeit gestellt. Konrad Möckel hatte vorgeschlagen, das Ehepaar Brandt aus Leipzig zu der Richtwoche einzuladen. Lic. Theodor Brandt war Leiter einer Bibelschule. Er und seine Frau Elisabeth Brandt-Spengler waren führend im „Deutschen Bund Mädchenbibelkreise“, der sich 1919 konstituiert hatte und schon damals in 400 Städten vertreten war. Klein nahm diesen Gedanken begeistert auf, aber er sah unlösbare finanzielle Schwierigkeiten bei den Reisekosten.44 Das führte dazu, dass Konrad Möckel in Großschenk allein die Bibelarbeit leitete, sekundiert von Andreas Scheiner und Kuno Galter. Scheiner, Pfarrer in Heidendorf, und Kuno Galter in Freck, hatten ihre Mitarbeit angeboten. Der Veranstalter war jedoch nicht Konrad Möckel, sondern der Wandervogel.45 Albert Klein lud dann Pfarrer Andreas Scheiner mit Zustimmung Konrad Möckels ein.46 Scheiner schrieb, dass er die Erörterung der Glaubensfrage mit der Jugend heute für das „allerbrennendste Anliegen“ halte, und er bedauerte den Kampfaufsatz von Lothar Fabritius im Rundbrief des Südostdeutschen Wandervogels. „Es tut einem leid, sich vorstellen zu müssen, daß solche Ansichten unter unseren jungen Leuten nun auch Eingang finden sollen. Sehr gut der Form wie dem Inhalt nach war übrigens die Antwort, die Klein Butz ihm gegeben hat.“47

43 „Horste“ waren die kleinste Einheit im bündisch organisierten Südostdeutschen Wandervogel. „Einzelsassen“ hießen ältere Wandervögel, die nicht zu einem bestimmten Horst gehörten und keine Wandervogelgruppe leiteten. 44 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Brief Albert Kleins an KM vom 11. März 1932. 45 Das betont Konrad Möckel auch gegenüber Albert Klein. Er habe von Kuno Galter (Freck), Rektor Hartmann (Großpold), Schwester Freda von Schaky (Kronstadt) Anfragen erhalten. Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, KM an Albert Klein am 7. Juni 1932. „Die sozusagen hausherrliche Leitung des Kreises und die Anordnung des Ganzen hat stud. theol. et phil. Albert Klein in Klausenburg in Händen“. Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, KM an Kuno Galter am 30. Mai 1932. 46 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Postkarte Albert Kleins an KM vom 6. Juni 1932. 47 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Andreas Scheiner an KM am 17. Juni 1932. Die beiden Artikel in: Südostdeutscher Wandervogel. Rundbrief 1932, 2. Folge. Lothar

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Lothar Fabritius ließ sich aus über den „unheldischen Sinn“ der „unheiligen Schrift“, über den „jüdischen Schachergeist“, und darüber, dass „germanische und mittelmeervölkische Auffassung“ unvereinbar seien. Sein Damaskus habe er während seiner landwirtschaftlichen Lehrzeit in Deutschland erlebt. „Ich sehe meinen Weg.“ Er kam mit einer gefestigt antichristlichen Haltung zur Richtwoche. Alfred Bonfert gab im gleichen Nachrichtenblatt Nr. 2 die Linie für die Jahresarbeit vor. Er kommentierte weder Lothar Fabritius noch Albert Klein: Die Arbeit der Älteren im Bunde stehe in allen „Siedlungsgebieten“ im Zeichen des Dienstes, entweder im Arbeitslager, das für Hendorf geplant war, oder in der „Schulungswoche“, womit er die Richtwoche in Großschenk meinte. Damit habe sich Weg und Arbeit für die Älteren ergeben: „Dienst am Volk aus dem Rahmen des Bundes hinaus in überbündischer Zusammenarbeit mit den andern Jugendverbänden und in den Reihen der Völkischen Erneuerungsbewegung.“48

Fast zur gleichen Zeit schrieb Albert Klein an Konrad Möckel und kündigte ihm Bücher und Schriften an, die anzeigten, welche Auseinandersetzungen in der Richtwoche innerhalb des Wandervogels zu erwarten waren. Besonders wies er auf „eine Flugschrift vom Tannenberg-Bund“ hin, „ein glatter Angriff auf breiter Front“, und auf eine „sehr breite Auseinandersetzung ‚der Rassegedanke und das Christentum‘ in der Zeitschrift ‚Blut und Boden‘“. „Da fallen 6-7 Rassekapazitäten (Tierzüchter!) über einen feinen Kerl her, der sich aber sehr wohl zu wehren weiß und ein ganz positiver Christ ist bis zum letzten Nebensatz.“49

Es werde bei der Richtwoche die schwerste Aufgabe sein, „ein derartiges Aneinandervorbeireden zu vermeiden, sonst kommen wir auch in einen Stellungskrieg“.50 Guido Fabritius wollte herausarbeiteten, „wieweit politische Tätigkeit für den Einzelnen notwendig und möglich“ sei. Walther Scheiner schlug vor, die Bibelauslegung nach der Diskussion der Jugendlichen stattfinden zu lassen oder den Teilnehmern wenigstens die Bibelstellen vorher in einem Rundbrief bekanntzugeben.

Fabritius: Christentum, Jugendbewegung und Volk, S. 3-7, und Albert Klein ohne Überschrift S. 7-8. 48 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, „Südostdeutscher Wandervogel. Der Bundesführer. Nachrichtenblatt Nr. 2, Bukarest, den 1. Brachet (Juni) 1932. 49 „Der Tannenberg-Bund. Arbeitsgemeinschaft völkischer Frontkrieger und Jugendverbände“, gegründet 1925, gehörte zu den scharf antichristlichen, sektenartigen Vereinen. Konstantin Hierl (später „Reichsarbeitsführer“), Erich und Mathilde Ludendorf spielten im Tannenbergbund eine führende Rolle. 50 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Brief Albert Kleins an KM vom 2. Juni 1932.

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„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auf Grund von Ausführungen, die Du machst, sich meistens keine fruchtbare Aussprache durchführen lässt – sie trauen sich meistens nicht, etwas gegen Dich vorzubringen.“51

Albert Klein schrieb aus ähnlicher Sorge, er habe gebeten, Schwester Freda von Schaky nicht einzuladen; denn die Jungen sprächen sowieso weniger als Mädchen. Das könne sich noch steigern, wenn sie eingeladen werde. „Außerdem ist zu bedenken, daß der Wandervogel in seiner Entwicklung vom Ideellen zum Religiösen gekommen ist, und daß rein religiöse Gedankengänge bei vielen Leuten noch nicht vorhanden sind. Sie sind eben nur noch ‚völkisch‘ eingestellt, und es wird eine Hauptaufgabe der Richtwochenarbeit sein, diese Leute dort zu packen, wo sie eben gerade stehen. Dazu muss man aber viel Verständnis für das ‚nur-völkische‘ haben, um diese Leute überhaupt zu verstehen.“52

Er meinte, die Jungen könnten und müssten gewonnen werden. Sein Ideal sei ein Männerbund, weil aber „keine Idee“ die Jugendlichen zu einem solchen Bunde zusammenschmieden könne, gehe auch „der Weg zum Männerbunde über die Richtwoche, als einer Veranstaltung, die nicht mehr nur im Zeichen einer ‚Idee‘, sondern im Zeichen des Suchens nach einem christlichen Glaubensleben stehen soll.“53

Das waren klare Worte eines Zweiundzwanzigjährigen in einer vielstimmig dissonanten Zeit, die den Vorstellungen und Absichten Konrad Möckels entsprachen. Er antwortete, es müsse „unser klares Ziel sein, dem Werden eines solchen Bruderkreises (nenn’ es ‚Männerbund‘ oder wie Du willst) die Wege zu ebnen“. Auch er hatte die Sorge, die Richtwoche könne durch „mehrere kanzelgewohnte Theologen“ überbelastet werden. Beide wussten, dass sie auf Hörer mit festgefügten, antichristlichen Anschauungen stoßen würden. Liest man die Korrespondenz im Vorfeld der Richtwoche in Großschenk, so erkennt man, wie heterogen die Gruppe der 25 männlichen und 35 weiblichen Teilnehmer zusammengesetzt war. Konrad Möckel war entschlossen, den skeptischen Teilnehmern weit entgegenzukommen und tat das auch. Im Rückblick von heute erschrickt man über den entgegenkommenden Ton der Begrüßung. Unter den Teilnehmern waren Winfried Schenker, Fritz Cloos, Erich Müller, der später die als „Einsatzstaffel“ getarnte SS-Formation in Siebenbürgen leitete. Zur Richtwoche kamen junge Leute, die später zu entschiedenen Parteigängern des Nationalsozialismus und zu erklärten Gegnern des christlichen Glaubens werden sollten, es vielleicht schon damals waren. Um sie zu gewinnen, schlug Konrad Möckel deren Ton an. Der Rundbrief des Südostdeutschen Wandervogels enthielt drei ausführliche Berichte von der Richtwoche. „Musste nicht in jedem von uns eine brennende Sehnsucht 51

Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Brief von Walther Scheiner an KM vom 9. Juni 1932. 52 Nachlass KM Archivkarton 12, Mappe Richtwoche, Brief Albert Klein an KM vom 9. Juni 1932. 53 Ebda.

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aufsteigen, als gleich am ersten Tage ernst und fordernd das Wort an unsere Seelen klopfte: ‚Jesus, der Sohn Gottes‘“,54 schrieb Marie-Luise Benesch. Was die Bibelarbeit gebracht habe, sei der „Anspruch Jesu Christi und Gottes auf die Herrschaft in unserm Leben!“55 Albert Klein zeichnete den Weg nach, der zu der Richtwoche geführt hatte, für die er verantwortlich war, und kam zu dem Fazit: „Alles aber, was dort gesagt wurde, mit Ausnahme von dem, was Lothar56 brachte, ging in der einen Richtung: unser Heil finden wir nur auf dem Wege zu Jesus Christus und in dem Glauben an den dreieinigen Gott, dessen Namen seit unserer Taufe unauslöschlich über unser aller Leben geschrieben ist.“57

Er unterschied zwischen dem idealistischen Aufbruch des Wandervogels seit dem Älterentreffen in Sächsisch-Regen und dem dann eingeschlagenen Weg zur Frage nach dem christlichen Glauben. Es folgt eine aufschlussreiche Bemerkung – aufschlussreich, weil sie die Dynamik der Veränderungen im Jahre 1932 erkennen lässt, die auf eine Entscheidung zutrieb. „Hätten wir nie über Glaubensfragen gesprochen, hätten wir nie eine Richtwoche gehabt – dann hätte niemand ein Recht so zu schreiben. Nun aber, da wir einen langen Weg hinter uns haben, müssen wir weiter. Sonst geht es uns so, wie es den vielen deutschen Bünden gegangen ist, die sich zu diesem letzten Schritt, den die Wahrhaftigkeit fordert, nicht entschliessen konnten und die im Idealismus auseinandergeflogen sind.“58

Albert Klein sprach vom Südostdeutschen Wandervogel, wenn er eine Bruderschaft im Geiste forderte. „Im Idealismus auseinandergeflogen“ waren, so muss man ihn verstehen, Jugendbünde in Deutschland. Es gab zwei Wege der Auflösung. Der eine führte die idealistisch gesonnenen Jugendlichen nach einigen Jahren ins Privatleben zurück und in den Beruf. Der andere Weg konnte zur Auflösung in eine größere institutionelle Einheit hineinführen. Beides gab es in Deutschland. Der Südostdeutsche Wandervogel hörte 1932 auf zu bestehen und bildete die S.A.M. der Erneuerungsbewegung.59 Einzelne seiner ehemaligen Mitglieder gehörten bald zu den Eifrigsten in der nationalsozialistischen Partei der Rumäniendeutschen. Die Christen- und Kirchenfeindlichkeit, die Lothar Fabritius auf der Richtwoche vertreten hatte, sollte ein Jahr später mächtigen Auftrieb erhalten.

54 Nachlass KM, Hds DM 4, Südostdeutscher Wandervogel. Nr. 4 (1932), Marie-Luise Benesch: Unsere Richtwoche in Gross-Schenk im Ernting [August] 1932, S. 4-6. Zitat S. 5. 55 Nachlass KM, Hds DM 4, Südostdeutscher Wandervogel. Nr. 4 (1932) Helmut Rehner: Zur Bibelarbeit auf der Richtwoche, S. 6-8, Zitat S. 8. 56 Fabritius. 57 Albert Klein: Was bedeutet die Richtwoche für den Bund? Nachlass KM, Hds DM 4, Südostdeutscher Wandervogel. Nr. 4 (1932), S. 9-12, Zitat S. 12. 58 Ebda. 59 S.A. (S.A.M.) = Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft.

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Konrad Möckel war von der Richtwoche angetan, aber auch erschöpft. Er sei „am vorletzten Abend durch Überreichung der Bundesnadel auf die schlichteste Weise in den Wandervogel eingereiht“ worden. Vielleicht sei es naiv gewesen, dass die Jungen „mich alten Mann in dieser Weise glauben ehren zu sollen“, die unerwartete Aufnahme bedeutete ihm jedoch mehr als eine „Ehrenmitgliedschaft“, die vorhandene Grenzen noch besonders betone. Er habe das Gefühl, jünger geworden zu sein und „vor allem tiefer eingesenkt und verwurzelt zu sein im Boden meines Volkes“.60 Er mochte sich der Vorstellung hingeben, einer in christlichem Glauben vereinten Gemeinschaft einen Schritt nähergekommen zu sein. Zwei Tage vor Beginn der Richtwoche, am 20. August 1932, hatte sich der Südostdeutsche Wandervogel unter der Leitung Dr. Alfred Bonferts der NSDR angeschlossen. Als Konrad Möckel die Ehrennadel erhielt, gab es ihn in der bisherigen Form gar nicht mehr. Die Älteren waren nur noch die „Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft“. Die Politisierung der dem Wandervogelalter entwachsenen jungen Männer und Frauen machte rasche Fortschritte. Die Vorstellung Konrad Möckels, im Wandervogel ein Missionsfeld gefunden zu haben, war bis 1933 keine Illusion; viele junge Leute sprach die Bibelarbeit an. In einem Protokoll von einem Treffen aus dem Jahre 1991, an dem 90 ehemalige Mitglieder des Südostdeutschen Wandervogels teilnahmen, ist beides enthalten: Erfolg und Misserfolg jener Bibelarbeit. Guido Fabritius erinnerte beim Wiedersehen nach fast 60 Jahren an den „tiefgreifenden, vorbildlichen Einfluß“ der zwei evangelischen Pfarrer, Konrad Möckel und Wilhelm Staedel. Das ist im Jahre 1991 eine überraschende Zusammenstellung von zwei Namen, wenn man an die spätere Zeit erbitterter Kämpfe denkt. Wollte Guido Fabritius mit dem kommentarlosen Nebeneinander der beiden Namen diese Kämpfe verschweigen oder verdrängen?61 Ein Teilnehmer des Treffens distanzierte sich in einer „persönlichen Klarstellung“ ausdrücklich vom Christentum: „Für mich jedenfalls war und ist – heute erstrecht – Wandervogel-Sein (so wie wir es erlebten) und Deutsch-Sein mit Christentum unvereinbar.“62 Er habe sich ausdrücklich wegen des Konfirmandenunterrichts von Konrad Möckel von der Kirche losgesagt. Er hatte verstanden, dass Christsein und Nationalsozialistsein sich nicht vertrugen, und er entschied sich gegen das Christsein. Mit seiner verstockten Sondermeinung versuchte er noch 1990 naiv zu bestimmen, was Deutschsein für den Südostdeutschen Wandervogel gewesen sein sollte. Nach der Brutalität, mit der die Nationalsozialisten in Europa durchsetzten, was sie unter Deutsch verstanden, ist diese Haltung eines Wandervogelmitglieds im Jahre 1991 gespenstisch und zeigt, mit welchen Geistern der junge Albert Klein und der ältere Konrad Möckel es im Jahre 1932 zu tun hatten. 60 Nachlass KM, Karton 12, Mappe „Briefwechsel Großpold 1933“. Brief KM an Hellmut Hochmeister vom 31. August 1932. 61 Guido Fabritius „Die Entwicklung der Jugendbewegung in Siebenbürgen. In: Siebenbürgische Wandervögel 1991. Dinkelsbühl 11.-13. Juni. Privatdruck. Zusammengestellt von Guido Fabritius. Drabenderhöhe o. J. (1991), S. 43. 62 Ebda. Walter Gust: Blattbeilage „Persönliche Klarstellung zu den Ausführungen von Guido Fabritius im Heft „Siebenbürgische Wandervögel 1991“.

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Der Kirchenhistoriker Klaus Scholder untersuchte die Schwäche der evangelischen Landeskirchen in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Er beschrieb unter anderem den Weg Dr. Heinrich Rendtorffs, Bischofs von Mecklenburg. Dieser setzte sich für die Tolerierung der Deutschen Christen in seiner Landeskirche ein, ohne mit ihren Meinungen übereinzustimmen. Er gründete eine mit dem Nationalsozialismus sympathisierende deutsch-kirchliche Bewegung in der Hoffnung, die Nationalsozialisten innerlich zu erreichen.63 Nachdem diese an die Macht gekommen waren, drängten sie ihn 1934 aus dem Amt. Darauf schloss er sich, nunmehr Pfarrer in Stettin, der kirchlichen Opposition und der Bekennenden Kirche an. „Nationale Gutgläubigkeit, politische Blindheit und vor allem jener verheerende volksmissionarische Enthusiasmus, der in diesen Jahren so viel Unheil anrichtete, waren in der Figur des mecklenburgischen Landesbischofs bis zu seiner Wendung auf geradezu beispielhafte Weise vereinigt“ (Scholder 1977, S. 607).

Es sei dahingestellt, ob der „volksmissionarische Enthusiasmus“, wie Scholder sich ausdrückt, in Mecklenburg-Schwerin vor 1933 wirklich völlig chancenlos war und wie und auf welcher Grundlage man als Historiker die Chancen einer Volksmission überhaupt abschätzen soll, damit man sagen kann, Volksmission sei sinnvoll oder nicht. Ein solches Urteil unterstellt, dass es zur dann folgenden politischen Geschichte keine Alternative gegeben habe. Hitler verlor in der zweiten Wahl des Jahres 1932 Stimmen. Die NSDAP befand sich in einer kritischen Phase. Nur unter der Prämisse, dass die Ernennung Hitlers zwangsläufig hätte erfolgen müssen, ist die Verurteilung „volksmissionarischer“ Versuche gerechtfertigt. Es muss dahingestellt bleiben, ob Scholders Urteil dem Bischof von Mecklenburg-Schwerin gerecht wird. Gilt das harte Urteil über den „volksmissionarischen Enthusiasmus“, wenn man Klaus Scholders Analyse einmal gelten lässt, auch für die Verhältnisse in Siebenbürgen und für den Versuch Konrad Möckels, die jungen Leute im Wandervogel für den christlichen Glauben zu gewinnen? Aus heutiger Sicht wirkt der Versuch, die Jugendlichen zu begleiten, wie vergebliche Liebesmüh. Immerhin, Albert Klein, ein Kenner der Szene, gehörte auch zum Wandervogel und gab nicht auf. Es ist nicht einzusehen, warum es zur Radikalisierung des Südostdeutschen Wandervogels 1932 – in Rumänien – keine Alternative hätte geben sollen. Man kann Konrad Möckel den Vorwurf machen, dass sein Interventionsversuch politisch unaufgeklärt und viel zu einseitig religiös orientiert war. Seine Warnungen waren nicht entschieden genug und sparten die Kritik an den Verhältnissen in Deutschland im Jahre 1932 ganz aus. Es waren immer die sächsischen Verhältnisse, nicht der Nationalsozialismus im Ganzen, die Konrad Möckel kritisierte. Konrad Möckel hatte Heinrich Rendtorff in Klosdorf kennengelernt und schrieb seiner Frau aus Leipzig anerkennend von ihm. Er schätzte ihn noch mehr als den Vater 63

Sie muss von der Bewegung der „Deutschen Christen“ unterschieden werden. Vereinfacht ausgedrückt: Die Deutschen Christen sahen in Hitler einen Heilsbringer, die deutsch-kirchliche Bewegung dagegen nicht.

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Franz Rendtorff. Konrad Möckels – von heute aus gesehen – krasse Fehleinschätzung des Nationalsozialismus, auch des siebenbürgischen, liegt auf der Hand. Er schrieb in seinen Erinnerungen, dass er sich vor 1933 falsche Hoffnungen gemacht habe. Wie diese Bemerkung zu verstehen ist, soll in den nächsten Kapiteln erörtert werden. Schwerer ist eine andere Frage zu beantworten. Wieso lernten die verantwortlichen Repräsentanten der Evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen nach 1933 vom Schicksal ihrer Schwesterkirchen in Deutschland relativ wenig? Hätten sie die Gefahren einer rumäniendeutschen Anpassung an das, was scheinbar oder tatsächlich in Deutschland galt, nicht schon 1933 erkennen und die Gleichschaltung acht Jahre später unter Bischof Wilhelm Staedel vermeiden können? Vor der Bischofswahl 1932 Friedrich Teutsch erklärte 1932, dass er sein Bischofsamt mit dem vollendeten 80. Geburtstag, also nach dem 16. September 1932, niederlegen wolle. Daraufhin entbrannte ein heftiger Kampf um die Nachfolge, „wie man ihn selten noch bei uns gelegentlich einer Bischofswahl gesehen hatte“.64 Es gab zwei Kandidaten mit Wahlchancen. Die besten hatte, wie sich zeigen sollte, der Kronstädter Stadtpfarrer und Bischofsvikar Viktor Glondys, ein glänzender, wirkungsvoller Redner, aber umstritten, da er kein gebürtiger Siebenbürger Sachse war und die Mundart nicht sprach. Als Konrad Möckel von den Erfolgen Glondys’ als Gastreferent im Rudolf Eucken-Verein in Jena hörte, schrieb er seiner Frau: „Weisst Du, eigentlich freut es mich ja, von solchen Erfolgen zu hören. Der Mann tut ja zweifellos einen ganz großen Dienst am intellektuellen Sachsen! Wenn man ihn doch ganz bejahen könnte! Oder wenn er sich bescheiden wollte als „Stadt“-pfarrer! So machen aber alle seine Erfolge unsere Lage nur noch schwieriger.“65

Konrad Möckel fürchtete nicht die konservative Grundhaltung von Glondys, sondern den „homo politicus“ im Bischofsamt.66 Auch dass Glondys nicht dem sächsischen Milieu „zugehörte“, spielte für Konrad Möckel eine geringere Rolle. Zwei Brüder von Glondys orientierten sich ethnisch an Polen und waren katholisch. Viktor Glondys hatte evangelische Theologie studiert und war in der deutschen Philosophie und Literatur nicht nur zuhause, sondern überragte mit seinem philosophischen Wissen die meisten siebenbürgischen Akademiker. Darauf beruhte sein Erfolg im Rudolf Eucken-Verein. Aber seine wissenschaftlichen Erfolge bedeuteten noch nicht, dass ihn die sächsische Landbevölkerung annahm, sowie sie den Bischof und zugleich wissenschaftlich renommierten Historiker Friedrich Teutsch angenommen hatte. An Teutsch musste sich jeder Nachfolger messen lassen. 64

Erinnerungen 1953/54, VII. Nachlass KM, Archivmappe 23, Briefe aus Leipzig. KM an DM vom 24. Januar 1932. 66 Nachlass KM, Karton 12, Mappe „Briefwechsel Großpold 1933“ Brief KM (Durchschlag) vom 31. August 1932 an Hellmut von Hochmeister. 65

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Der zweite Anwärter auf das Bischofsamt war Dr. Friedrich Müller. Er war seit 1922 Schulrat im Dienste der Landeskirche, seit 1928 Nachfolger von Adolf Schullerus im Stadtpfarramt in Hermannstadt, ein Bauernsohn aus Langenthal, in der sächsischen Mundart aufgewachsen, ein ausgezeichneter Kenner der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte, besonders der Kirchengeschichte, und im Verein für siebenbürgische Landeskunde aktiv tätig. Der Verein war das Rückgrat des geistigen Lebens im sächsisch geprägten Siebenbürgen. Die Erneuerungsbewegung schlug Wilhelm Staedel, Pfarrer in Kronstadt-Martinsberg als Bischofskandidaten vor. Er besaß als Vorsitzender des Jugendbundes und im Wandervogel einen starken Anhang, aber kaum ausreichende Befürworter in der Landeskirchenversammlung, die den Bischof zu wählen hatte. Vermutlich auf Dr. Waldemar Gust ging die Initiative zurück, dass sich die Selbsthilfe 1932 politisch organisierte und die Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR) gründete. Er war deren stellvertretender Vorsitzender. Die NSDR, seit 1932 nicht nur eine gesellschaftliche Einrichtung genossenschaftlicher Selbsthilfe, sondern auch eine politische Partei, kündigte mit der Kandidatur an, dass sie mit dem Anspruch auf das angesehene Bischofsamt nach der Macht unter den Siebenbürger Sachsen greifen wollte. Im August 1932 schrieb Möckel an einen befreundeten Pfarrer, es ließen sich über die „Bischofsfrage“ „mittlerweile dicke Folianten schreiben“. Er war sowohl mit Wilhelm Staedel als auch mit Friedrich Müller geduzt. Die Sache gestalte sich verwickelt, weil die Selbsthilfe, wie Möckel schrieb, diktieren wolle, „und zwar diktiert sie: Staedel. Staedel selber ist in grosser Verlegenheit wegen dieser Sache. Ich selber halte das Unternehmen für eine politische Kinderei und eine Dreistigkeit dazu.“67

Um „der Einigkeit und Reinigkeit unserer Volksgemeinschaft willen“68 und zur Vermeidung eines belastenden Wahlkampfes, schlug Konrad Möckel vor, den amtierenden Landsbischof von Mecklenburg-Schwerin, D. Dr. Heinrich Rendtorff um eine Kandidatur zu bitten. Dazu rief er zusammen mit drei Verbündeten auf. Den Wahlaufruf unterzeichneten Fritz Fabritius für die Selbsthilfe, Konrad Möckel „für viele Pfarrer“, Simon Schwarz, der Vorsitzende des Lehrervereins, „für viele Lehrer“ und Dr. Franz Obert für den ev. sächsischen Buchdienst. Das gefiel nicht allen in der politisch orientierten Erneuerungsbewegung.69 Alle drei Kandidaten aus dem Kreis der Landeskirche 67 Nachlass KM, Karton 12, Mappe Briefwechsel Großpold 1933. Brief (Durchschlag) von KM an Hellmut von Hochmeister vom 31. August 1932. 68 Wahlaufruf für Dr. Heinrich Rendtorff. Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburg. Landeskirchliches Archiv Schwerin. Personalakte Heinrich Rendtorff. Bischof Rendtorff ließ bei seinem Ausscheiden nach Auskunft des Archivs alle „Handakten und Tagebücher“ verbrennen. Im ZAEKR ist der Wahlaufruf unter 103-93 (1932), Grundzahl 3 178, zu finden. 69 „Im Herbst 1932 war Bischof D. Dr. Friedrich Teutsch in den Ruhestand getreten. Die traditionsgewordene Verflechtung unserer völkischen Belange mit denen der ev. Landeskirche erforderte eine Stellungnahme der unter der Führung von Fritz Fabritius stehenden Erneuerungs-

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erklärten sich bereit zu verzichten – zugunsten einer Kandidatur von Rendtorff, den die evangelischen Pfarrer in Siebenbürgen von Fortbildungen in Klosdorf her kannten und schätzten. Viktor Glondys hielt das Unternehmen für unüberlegt und fürchtete eine Abwertung des Bischofsamtes, wenn Rendtorff absagen sollte. Aus den Reihen seiner Freunde in Kronstadt, die Glondys kandidiert hatten, kamen rechtliche Bedenken gegen die Kandidatur eines Ausländers. Rechtsanwälte äußerten sich in Zeitungen und sprachen sich öffentlich gegen Rendtorffs Kandidatur aus. Sie beriefen sich auf das Kultusgesetz70, aus dem sie ableiteten, dass „schon die Kandidierung eines die rumänische Staatsbürgerschaft nicht besitzenden, zum geistlichen Amt in der Landeskirche nicht berechtigten reichsdeutschen Geistlichen gesetzlich ungiltig wäre“. Vielleicht wären die rechtlichen Hindernisse zu überwinden gewesen. Sie kamen den Anhängern Glondys’ jedoch gelegen. Vorwurfsvoll merkten sie an, die Landeskirche sei „nicht in der traurigen Verlegenheit, keine geeigneten und würdige Kandidaten für die Bischofswürde zu haben“.71 Auch Pfarrer Emil Eitel und Rechtsanwalt Dr. Friedrich Ipsen sprachen sich öffentlich in Anzeigen gegen Rendtorff aus. Die vier Befürworter von Rendtorffs Kandidatur antworteten mit einer Anzeige. Rendtorff sei „in hervorragender Weise geeignet, unsere Kirche aus der gegenwärtigen Krise zur Einigkeit, zum Frieden und in eine bessere Zukunft zu führen“. Sie fanden es „seltsam, wenn Menschen, die dieses Ziel verfolgen, an den Pranger gestellt werden, während sonst über Fälle, wo hinter den Kulissen die eigennützigsten Zwecke verfolgt werden, ruhig zur Tagesordnung übergegangen wird“. Den Wortlaut des Kandidatenvorschlags hatten die Unterzeichner Glondys, Müller und Staedel vorher zur Kenntnis gegeben. Diese hätten durch ihr Verhalten bewiesen, „wie ernst auch sie diesen Ausweg erwogen haben und wie weit sie ihn zu gehen bereit sind“.72 bewegung zur bevorstehenden Wahl des neuen Bischofs. Nach reiflicher Überlegung stellte die Bewegung Pfarrer Wilhelm Staedel als eigenen Kandidaten heraus. Zu ihrem größten Entsetzen aber ließ sich Fabritius kurz vor der Wahl von einigen weltfremden Schwärmern dazu verleiten, einen Aufruf mitzuunterzeichnen, der die Berufung des Landesbischofs von MecklenburgSchwerin D. Dr. Heinrich Rendtorff verfolgte, und stellte damit nicht nur die Bewegung und ihren Kandidaten, sondern auch sich selbst als Führer in einer Art und Weise bloß, die die Gegner der Bewegung mit Recht an seiner Ernsthaftigkeit zweifeln lassen musste.“ Herwart Scheiner. In: Ein Jahr DVR in Siebenbürgen. Hg. von der Sektionsleitung Siebenbürgen der DVR zum Gautag in Mediasch am 19. Juli 1936, S. 6. 70 Vom 22. April 1928. 71 Nachlass KM, Hds DM 14/19. „Kann der mecklenburgische Landesbischof D. Rendtorff als nichtrumänischer Staatsbürger zum Bischof der ev. Landeskirche A. B. in Rumänien kandidiert werden? Nein!“ Der Zeitungsausschnitt ist am Rande beschädigt, so dass Zeitung und Datum nicht genau zu erkennen sind. Wahrscheinlich Siebenbürgisch-deutsches Tageblatt vom 11. Oktober 1932. Unterzeichner: Dr. Viktor Kloeß, Rechtskonsulent; Dr. Julius Ziegler, Rechtsanwalt; Dr. Fritz Plattner, Rechtsanwalt; Dr. Adolf Eitel; Obernotär Michael Klein-Heltau. 72 Ebda. Unterzeichner waren Dr. Konrad Möckel, Simon Schwarz, der Vorsitzende des Lehrervereins, Fritz Fabritius, der Leiter der am 22. Mai 1932 aus der Selbsthilfe ausgegliederten,

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Der Wahlaufruf war von Konrad Möckel ausgegangen und zeigt, dass der Großpolder Pfarrer der Selbsthilfe 1932 nahestand. Er geriet zwischen zwei Fronten. Die Nationalsozialisten nach dem Schlage Herwart Scheiners und anderer wollten die Bischofswahl funktionalisieren und mit einem eigenen – aussichtslosen – Kandidaten lediglich politische Aufmerksamkeit erregen und in einer Kraftprobe ihre Geschlossenheit zeigen. Wer sich, wie Konrad Möckel, um einen guten Bischof und zugleich um einen Kandidaten bemühte, der nach allen Seiten offen und von politischen Kämpfen in Siebenbürgen nicht belastet war, galt ihnen als ein „weltfremder Schwärmer“. Die Konservativen innerhalb der evangelischen Landeskirche verärgerte Konrad Möckel, weil er die Wahl des Kronstädter Stadtpfarrers Viktor Glondys zum Bischof zu verhindern drohte. Wie es Glondys vorausgesehen hatte, lehnte Rendtdorff die Kandidatur am 12. Oktober 1932 ab. Er verglich seine Situation mit der eines verheirateten Mannes, der „eine Frau lieb gewinnt, zu der ihn alles hinzieht“, der es jedoch auf einen „Bruch der Treue“ nicht ankommen lassen wolle. Darauf liege „nach unserer lutherischen Auffassung“ „unter keinen Umständen der Segen Gottes“.73 Der Kompromissvorschlag war gescheitert. Glondys notierte einige Wochen nach seiner Wahl, Rendtorff verbreite, er habe es abgelehnt, eine Berufung als Bischof der Ev. Landeskirche A. B. anzunehmen. Das Bischofsamt sei damit degradiert und „der gewählte Bischof als Lückenbüßer gestempelt!“74 In der Tat drückte sich Bischof Rendtorff missverständlich aus, wenn er schrieb: „Sie werden in den Zeitungen davon gelesen haben, daß eine Frage an mich erging, ob ich bereit sei, die Führung der schwer um ihr Dasein kämpfenden Bruderkirche in Siebenbürgen zu übernehmen.“75

Korrekt teilte er jedoch am 10. Oktober 1932 seinem Oberkirchenrat handschriftlich mit, dass er es abgelehnt habe, sich „als Kandidaten für die am 14. November dieses Jahres stattfindende Bischofswahl in Siebenbürgen zur Verfügung zu stellen“, was etwas anderes war als eine Berufung in ein Amt.76 Er erwähnte eine „Deputation“ von acht neu gegründeten politischen Partei NSDR, und Dr. Franz Obert, Pfarrer in Mediasch. 73 Schreiben vom 12. Oktober 1932 (Entwurf ). Es ist an sieben Personen gerichtet: Pfarrer Möckel (Großpold), Simon Schwarz (Hermannstadt), Dr. med. Obert (Mediasch), Dr. Glondys (Kronstadt), Dr. Müller (Hermannstadt), Staedel (Kronstadt), Möckesch (Tartlau). Landeskirchliches Archiv Schwerin. Personalakte Heinrich Rendtorff. 74 Viktor Glondys: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1945. Dinklage 1997, S. 22. Ich habe in den „vertraulichen Briefen“ keinen Beleg dafür finden können, dass Rendtorff davon ausgegangen war, ihm sei das Bischofsamt angeboten worden. Es ist jedoch auch nicht daran zu zweifeln, dass Glondys die Nachricht in dieser Version hörte. Der Bischof konnte gar nicht berufen werden. Er musste kandidieren und konnte dann gewählt werden oder die Wahl verlieren. 75 Heinrich Rendtorff: „9. vertrauliches Rundschreiben“ (21. November 1932). Nachlass KM, Archivmappe 11, Briefumschlag „Rendtorff“, S. 9. 76 Handschreiben vom 10. Oktober 1932 von Heinrich Rendtorff. Landeskirchliches Archiv Schwerin. Personalakte Heinrich Rendtorff.

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siebenbürgischen Pfarrern, die an ihn herangetreten sei, ferner „die Zuschrift eines Beauftragten der Pfarrerschaft“.77 Die Deputation könnte aus den Pfarrern bestanden haben, die im Sommer am Hundertjahrfest des Gustav Adolf Vereins in Leipzig teilgenommen hatten. Über „300 deutsche evangelische Pastoren aus der Diaspora der ganzen Welt“ waren zu einem Kursus von einer ganzen Woche zusammengekommen. „Die Aufnahmewilligkeit dieser Hörerschaft, die förmlich ausgehungert nach Deutschland kam“, sei ergreifend, schrieb Rendtorff.78 Vielleicht hatte er den Eindruck gewonnen, dass nach den Verzichterklärungen der siebenbürgischen Kandidaten die Wahl zum Bischof der Ev. Landeskirche A. B. nur noch eine Formsache sei. Konrad Möckel schadete die Rolle, die er in dieser kirchenpolitischen Übergangsphase gespielt hatte, nicht. Der Großpolder Pfarrer stand sich mit dem Leiter der Selbsthilfe, seit 1932 Führer der NSDR, allem Anschein nach so gut, dass er ihn dafür gewinnen konnte, einer Kandidatur von Bischof Heinrich Rendtorff nicht nur zuzustimmen, sondern sie öffentlich zu vertreten. Fritz Fabritius hatte auf Konrad Möckel gehört und damit auch eine gewisse Kompromissbereitschaft bewiesen. Die sachliche Lösung war vernünftig, aber sie entsprach dem nackten Interesse der Selbsthilfe nicht unbedingt. Konrad Möckel hielt einen politisch vergifteten, innersächsischen Wahlkampf um das höchste Amt in der ev. Kirche nicht für einen geeigneten Weg, um den besten Kandidaten zu ermitteln. Eine einvernehmliche Lösung ohne öffentlichen Streit schien ihm angemessener und – möglich. Dass die Bruderkämpfe unter den Siebenbürger Sachsen in Rumänien nach 1933 hätten vermieden werden können, wenn Heinrich Rendtorff oder der Hermannstädter Stadtpfarrer Friedrich Müller zum Bischof gewählt worden wäre, scheint unwahrscheinlich. Die siebenbürgischen Nationalsozialisten waren ethisch genauso entfesselt wie ihre Parteigenossen in Deutschland. Der Wahlaufruf der Vier trägt keine Unterschrift von einem rumäniendeutschen Parlamentsabgeordneten. War keiner angesprochen oder keiner gefunden worden? Der Versuch, einen harten Wahlkampf zu vermeiden, schlug fehl und schuf zusätzliche Irritationen. Konrad Möckel wollte, das kann man ihm glauben, eine dem Frieden in den sächsischen Gemeinden verpflichtete, möglichst unpolitische Bischofskandidatur. Gerade dadurch geriet er in den Streit der Parteien. Wenige Monate später brachen Gegensätze zwischen dem neu gewählten Bischof, Viktor Glondys, und der „Erneuerungsbewegung“ auf, die große zentrifugale Kräfte freisetzten. Diese politische Selbstzerfleischung gab Konrad Möckel nachträglich Recht, auch wenn er mit dem Vorschlag, Bischof Rendtorff zu kandidieren, gescheitert war. Die radikalen Kräfte, die im Wahlkampf um das Bischofsamt sichtbar geworden waren, erhielten durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler starken Auftrieb. Sie richteten sich mehr und mehr gegen die evangelische und gegen die katholische Kirche. 77

Ebda. Wer die Pfarrer waren, konnte ich nicht ermitteln. Heinrich Rendtorff: „9. vertrauliches Rundschreiben“ (21. November 1932). Nachlass KM, Archivmappe 11, Briefumschlag „Rendtorff“, S. 9. 78

Erneuerungsbewegung

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Die Kandidierung Heinrich Rendtorffs zusammen mit Fritz Fabritius war eine Folge seiner Mitarbeit im Südostdeutschen Wandervogel, der sich in wenigen Jahren von der Jugendbewegung zu einem politischen Kampfverband wandelte. Der Südostdeutsche Wandervogel war im Leben Konrad Möckels wie eine Drehtüre, die ihn erst in die siebenbürgisch-sächsische Politik hineinführte und dann, als er sich mit dem kirchenfeindlichen Flügel auseinandersetzte, aus der Politik wieder heraus. Wohin treiben wir? In das Jahr 1932 fiel ein Aufsatz, der überaus deutlich die Sorge Konrad Möckels um die Ev. Landeskirche A. B. erkennen lässt. Sie war viel größer als die Sorge um die politische Entwicklung, sei es in Siebenbürgen, sei es in Rumänien oder in Europa.79 Das „Wir“ in der Frage „Wohin treiben wir?“ meinte selbstkritisch die evangelische Kirche, deren Diener er war. Besonders ein Missgriff schockierte ihn. Die Kirchenverwaltungen einiger Gemeinden spielten mit dem Gedanken, säumige Kirchensteuerzahler vom Abendmahl auszuschließen und deren Kinder nicht zu taufen oder verstorbenen Angehörigen kein kirchliches Begräbnis zu gestatten. Die Abkehr unzufriedener Gemeindeglieder und die Mutlosigkeit der Gutwilligen ließen sich jedoch durch die Anwendung von Mitteln der Kirchenzucht nicht aufhalten – einer Kirchenzucht an der falschen Stelle, welche die Kirche selbst zu zerstören drohte. Es sei grundsätzlich nicht von Belang, schrieb Konrad Möckel, ob die evangelische Kirche in Siebenbürgen einmal oder öfter Begräbnisse oder sonstige geistliche Handlungen um des Geldes willen (gemeint waren die Kirchentaxen) verweigert habe. Dass es überhaupt geschehen sei, wiege so schwer „wie ein großer Fehlgriff etwa im Leben eines Arztes oder Lehrers. Und es ist ebenso gleichgültig, ob der betreffende Steuerzahler gehässig und übelwollend der Kirche gegenüberstand oder nicht. Alle Leiden, die wir in der Kirche um der Schlechtigkeit und Verblendung der Menschen tragen müssen, können es nicht rechtfertigen, wenn wir Wort und Sakrament, das Heiligste, das die Kirche zu geben hat, in die Ebene der Steuermiseren hinabsinken lassen.“80

Die Amtskirche konnte den Rang ihrer Aufgaben nicht mehr unterscheiden. Der Missgriff war nur ein Symptom unter vielen. In den sächsischen Gemeinden etablierten sich Freikirchen und neue, christliche Sekten. Auf der anderen Seite gefielen sich aktive Jugendliche der Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft in gehässiger Kirchenfeindlichkeit. Die Schwächen der Kirche, nicht die Schwächen der Erneuerungsbewegung waren es, die Konrad Möckel nach neuen Wegen Ausschau halten ließ.

79 80

Konrad Möckel: Wohin treiben wir? Klingsor 9 (1932), S. 346-349. Ebda, S. 347-348.

Kapitel 6

Stadtpfarrer in Kronstadt (1933)

Viktor Glondys wird Bischof Im Jahre 1922 hatte die Kronstädter Honterus-Gemeinde Viktor Glondys zu ihrem Stadtpfarrer gewählt. 1932, zehn Jahre später, wählte ihn die Landeskirchenversammlung zum Nachfolger von Bischof Friedrich Teutsch. Sein Mitbewerber, in beiden Wahlen zweimal knapp unterlegen, war Dr. Friedrich Müller, zunächst kirchlicher Schulrat, dann – nach dem Tode von Adolf Schullerus – Stadtpfarrer von Hermannstadt. Glondys war der Sohn eines katholischen Bäckers aus dem polnischen Biala.1 Mit seinen katholischen Geschwistern stand er bis an sein Lebensende in Verbindung. Er selbst ging einen anderen Weg. Während des Studiums der Philosophie trat er in die evangelische Kirche ein und studierte in Graz Theologie, um Pfarrer zu werden. Mit 25 Jahren war er Personalvikar erst in der Südbukowina, später in der Universitätsstadt Czernowitz. Diese weltoffene Stadt war vor dem Ersten Weltkrieg habsburgisch, danach rumänisch, seit dem Zweiten Weltkrieg ist sie ukrainisch. In der Stadt lebten Rumänen, Deutsche, Rutenen und Juden. Der geistige Austausch zwischen den Nationalitäten war dort intensiver als in Siebenbürgen. Alfred Margul-Sperber, den Konrad Möckel sehr schätzte, Rose Ausländer, Paul Celan, die in deutscher Sprache dichteten, stammen aus der Bukowina.2 Mit dreißig Jahren übernahm Glondys das Pfarramt in Czernowitz (1912), promovierte während des Krieges in Graz im Fach Philosophie und hatte danach als Privatdozent an der Universität einen Lehrauftrag.3 Er verdankte seine Karriere in Siebenbürgen der Tatsache, dass die Ev. Landeskirche A. B. nach 1918 alle evangelischen, deutschsprachigen Gemeinden in Rumänien umfasste, in Siebenbürgen, in Bessarabien, in der Bukowina, in Bukarest und – einige 1 Bielitz-Biala (polnisch Bielsko-Biała, tschechisch Bílsko-Bělá) gehörte bis 1918 zu Österreich-Ungarn. Die Stadt liegt etwa 60 km südlich von Kattowitz (Katowice) in der Wojwodschaft Schlesien. 2 Alfred Margul-Sperber: Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina. Zusammengestellt von Alfred Margul-Sperber. Aus dem Nachlass hg. von George Guţu, Peter Motzan und Stefan Sienerth. München 2009. 3 Siehe dazu auch Kapitel 5. Abschnitt „Wahlkampf vor der Bischofswahl 1932“.

Stadtpfarrer in Kronstadt

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wenige – im Banat. Glondys stand dem Kronstädter „Donnerstagabend“ nahe, eine lose Vereinigung konservativer Bürger um den angesehenen Internisten Dr. Wilhelm Depner und den Parlamentsabgeordneten Dr. Arthur Polony (Abb. 9). Sie gaben in Kronstadt politisch den Ton an. Gegen sie richtete sich die Erneuerungsbewegung, allen voran der Rechtsanwalt Dr. Waldemar Gust, Mitglied der Gemeindeversammlung und zugleich erklärter Gegner Glondys’. Der Evangelischen Landeskirche A. B. gehörten schon vor 1914 ungarische und slowakische Gemeinden an. Sie war – ethnisch gesehen – nicht vollständig homogen deutsch, schon gar nicht homogen sächsisch. Im Alltag mischten sich die Ethnien erst recht. Den meisten Siebenbürger Sachsen gelang es zu Lebzeiten Konrad Möckels nicht, mit ihrem Herzen und mit dem politischen Willen in Rumänien anzukommen und die Chancen zu erkennen, die in der Neukonstitution auch der erweiterten Landeskirche in Rumänien lag. Der Anblick der rot-gelb-blauen Trikolore des rumänischen Vaterlandes erweckte in den 1930er Jahren keineswegs die gleichen Gefühle wie die sächsischen Farben, von denen es in einem Lied heißt, „blau und rot bis in den Tod“.4 Von Glondys konnte man hoffen, dass er in ethnischen und konfessionellen Fragen Weitblick bewies.5 Am 6. September 1931 predigte Glondys, damals noch Stadtpfarrer in Kronstadt, über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Er stellte sich offen gegen die nationalsozialistische Rassenlehre, die – wie er feststellte – „auch bei uns, vor allem in den Kreisen der Jugend starken Widerhall“ finde. Glondys legte das Gleichnis als universelles Liebesgebot aus. Es gelte „ebenso für Chinesen und Neger wie für Juden und Abendländer, ebenso zur Zeit Jesu wie heute und zu allen Zeiten“. Er wandte sich gegen einen „Rassekultus, der nicht sittliche Forderungen, nicht Gottesgebote, sondern die Rasse als obersten Wert“ setze, und er nannte es absurd, wenn Vertreter einer konsequent zu Ende gedachten Rassenlehre, die „Vernichtung aller ‚Schwächlinge und Kränklinge‘ in großem Maßstab durch ärztliche Kommissionen mit militärischen Gewaltmitteln“ forderten. „Bis zu solchen wahnsinnigen Gedanken kann sich der Mensch versteigen, wenn er einmal anstelle des göttlichen Gebotes einen Götzen setzt, sei es auch die Liebe zur eigenen Rasse.“6

Mit aller wünschenswerten Klarheit zeigte Glondys die Konsequenzen der Rassenlehre auf und gab damit auch die Meinung der Konservativen wieder, denen er aus dem Herzen sprach. Das Stichwort ist „wahnsinnige Gedanken“ – Gedanken, die man im 4 Ernst Kühlbrandt (1857-1933), „Wenn ich durch die Felder schreite“. In: Siebenbürgen, Land des Segens. Hg. Erich Phleps. Wolfenbüttel 1952, S. 17. 5 Ludwig Binder: Viktor Glondys 1932-1941. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 111-150. 6 Viktor Glondys: Samaritergeist. In: Selbsthilfe – Kampfblatt für das ehrlich arbeitende Volk, 10 (1931), 28. und 29. Folge, 3. und 10. Oktober 1931.

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Grunde nicht ernst nehmen kann. Wie wir heute wissen, unterschätzte er zwar die Entschlossenheit der Rassefanatiker, aber er traf den ideologischen Kern der militanten Gruppe, die in den politischen Publikationen der Selbsthilfebewegung den Ton angab und die extremen Gedanken der Rassenideologie nicht wahnsinnig fand. Der Zorn der Selbsthilfe – Kampfblatt für das ehrlich arbeitende Volk richtete sich daraufhin gegen ihn – ein frühes Beispiel für die Übernahme entlarvender ideologischer Parolen durch einen lautstarken Teil der Erneuerungsbewegung. Konrad Möckel hatte sich schon 1930, ein Jahr vorher, gegen eine Übertreibung der Rassenlehre gewandt. Wie Glondys verwarf er sie nicht ganz und gar. Es sei wohl manches „allzu Theoretische, zum Teil Verstiegne und Unmögliche in den Ratschlägen“. Das war auch seine Meinung. Aber wenn er an den Alkoholmissbrauch, an Geschlechtskrankheiten und Eheberatung dachte, fand er „auch sehr viel Gutes, Lebensförderndes darunter“.7 Die Rassenlehre galt in den 1920er Jahren nicht nur in Deutschland als wissenschaftlich fundiert und auf der Höhe der Zeit. Wenn Konrad Möckel skeptisch war, dann wegen der paradoxen Wirkungen der modernen Wissenschaft, zu der damals die als fortschrittlich geltende Rassenlehre dazugehörte. Der wissenschaftliche Fortschritt, so sah es Konrad Möckel, brachte nicht nur Gewinn, sondern war an „den Schattenseiten des Lebens“ ursächlich mitbeteiligt. Wissenschaftliche Ergebnisse bedingten im modernen Leben Schäden, und gleichwohl gab Wissenschaft vor, die Mittel zu deren Heilung zu kennen – ein Paradox. Die Selbsthilfe witterte in Konrad Möckel trotz seiner Kritik keine Gefahr. Seine Warnung vor der Vergötzung der Rassenlehre hinderte den Südostdeutschen Wandervogel nicht, ihn zu einer Fortbildung und zu anderen Veranstaltungen einzuladen. Ihn wiederum schreckten, wie wir sahen, die Ideen der Volkshygiene nicht ab, die Einladung zur Älterentagung in Sächsisch-Regen anzunehmen, zu der auch Fritz Fabritius und Pfarrer Michael Bergleiter als Referenten eingeladen waren. Stadtpfarrer Glondys dagegen griffen die Presseorgane der Selbsthilfe schon vor 1933 wütend an. Im Frühjahr 1933 fand die feierliche Einführung des neuen Bischofs statt. Glondys hatte sich nun als Bischof mit der inzwischen erstarkten Erneuerungsbewegung auseinanderzusetzen. Zwischen seiner Wahl und seiner Einführung als Bischof lag der 30.  Januar 1933, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte. Glondys konnte die in der Samariterpredigt angedeutete klare Linie gegenüber den Nationalsozialisten in Deutschland und in Rumänien nicht konsequent durchhalten.8 Die NSDR griff die Kirche an und versuchte den neuen Bischof zu stürzen, dessen Wahl sie nicht hatte verhindern können. Es ging der NSDR von Anfang an um seinen Kopf und zugleich um die Vernichtung des Ansehens des 7

Konrad Möckel: Volkstum und Glaube. Leipzig 1930, S. 29. Das Versagen der Solidarität zwischen der sächsischen und der jüdischen Minderheit in Rumänien nach 1933 schildert Hildrun Glass: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918-1938). München 1996. 8

Stadtpfarrer in Kronstadt

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Bischofsamtes – eine klare Parallele zu Hitlers Anmaßung, nach Belieben den 28 evangelischen Landeskirchen in Deutschland einen Reichsbischof vor die Nase setzen zu können. Mit dieser Anmaßung und anderen brach Hitler in Deutschland den Kirchenkampf im Sinne eines Kampfes zwischen Kirche und Staat vom Zaune. Die Rassenfrage schien den Sächsischen Nationalsozialisten das geeignete Mittel, um Glondys bei maßgeblichen Stellen des deutschen Reiches anzuschwärzen und unmöglich zu machen. Die Radikalen der NSDR gerieten außer Rand und Band und vergaßen, dass sie in Rumänien lebten. Glondys protestierte bei der deutschen Gesandtschaft in Bukarest und fuhr nach Berlin ins Außenamt der evangelischen Kirche in Deutschland. Der Reichsregierung kam der skandalträchtige Feldzug gegen einen Bischof in Rumänien nicht gelegen. Glondys bot nach einem Gespräch mit Gunar Hasselblatt, Sprecher der baltendeutschen Minderheit, der sich gerade in Berlin aufhielt, der NSDAP eine Kompromissformel an. Rudolf Heß, der Beauftragte der NSDAP für das Auslandsdeutschtum, übernahm sie und verwendete sie in einem an Fritz Fabritius gerichteten Brief, in dem er die siebenbürgisch-sächsischen Scharfmacher zurechtwies. Bischof Glondys wehrte den Angriff auf seine Person und das Amt ab, aber der Preis, den er zahlte, war hoch. Eine „friedliche Durchdringung unseres Volkes mit den Ideen der Volkserneuerung, aber unter Vermeidung von Angriffsflächen gegenüber der rumänischen Regierung“ und „die Beibehaltung der bisherigen antisemitischen Haltung ohne öffentliche Proklamierung des Antisemitismus“, hielt Glondys im Tagebuch als Kompromiss fest (Glondys 1997, 45).9 Das schien, als könne alles beim Alten bleiben. Aber das Zugeständnis schwächte seine Position und bot den Gegnern in der NSDR eine Grundlage für ihre Forderungen. Viktor Glondys war entschlossen, das volkskirchliche, politische Erbe seines Vorgängers Friedrich Teutsch zu übernehmen. An erster Stelle stand die Sorge um das deutschsprachige, evangelische Schulwesen, obgleich es eine schwere finanzielle Last für die Kirche bedeutete. Evangelisch und Deutsch waren im Schulwesen der Siebenbürger Sachsen eng miteinander verknüpft. Eine moderne Trennung von Kirche und Staat musste zwischen der Evangelischen Landeskirche A. B. und dem rumänischen Staat in allen politischen und schulpolitischen Angelegenheiten ausgehandelt werden. Eine vergleichbare Trennung, so wünschenswert klare Verhältnisse in dieser Frage gewesen wären, galt für die innersächsischen Verhältnisse nicht; denn es gab keine sächsische Administration, auch nicht auf der untersten Verwaltungsebene. Die Schulen waren eine seit Jahrhunderten überkommene kirchliche Angelegenheit und nur insofern, als sie evangelisch waren, konnten sie im rumänischen Staat auch unangefochten deutschsprachige Schulen bleiben. Sowohl die Übergabe der evangelischen Schulen in die direkte Verwaltung des rumänischen Staates als auch die Über9

Der Brief ist abgedruckt in: Wolfgang Miege: Das Dritte Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1933-38. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik. Frankfurt/M. 1972, S. 294, 295.

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gabe an die Volksvertretung der Deutschen im rumänischen Parlament, beide wären ohne gesetzliche Absicherung Operationen mit schwer zu berechnendem Ausgang gewesen. Der Frontalangriff der NSDR auf die Volkskirche und auf ihr Symbol, das Bischofsamt, war – aus der Sicht der deutschen Minderheit gesehen – ein ethnischer Selbstmordversuch aus politischer Dummheit. Der Modus vivendi der Ev. Kirche A. B. mit dem neuen, rumänischen Staat war auch nach vierzehn Jahren noch nicht gefunden. Rumänien hatte Anspruch auf die Loyalität der Minderheit, so wie diese Anspruch auf den Schutz der Regierung vor Übergriffen und Ungerechtigkeiten hatte. Die rumänische Regierung unterstützte das evangelische Schulwesen schon seit Jahren nur widerwillig. Die zugesagten staatlichen Zuschüsse (die Kongrua) kamen unregelmäßig. So geriet die Kirche mit dem Amtsantritt Bischof Glondys’ in einen Kampf nach zwei Seiten. Gegenüber dem rumänischen Staat musste sie mit größter Anstrengung die evangelischen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache verteidigen, während die Nationalsozialisten darauf drängten, die Kirche sollte sich aus dem Schulwesen zurückziehen. Wahl zum Kronstädter Stadtpfarrer Nachdem Viktor Glondys zum Bischof gewählt worden war, suchte die Honterusgemeinde einen neuen Stadtpfarrer. Die Selbsthilfe favorisierte Wilhelm Staedel aus Kronstadt-Martinsberg, den sie ein halbes Jahr vorher fast offiziell für das Bischofsamt propagiert hätte. Der Gedanke einer Kandidatur Staedels in Kronstadt war realistisch. Er hatte Anhänger, besonders unter der Jugend. Widerstand kam vom Klingsor-Kreis10 – Klingsor-Herausgeber Heinrich Zillich lebte in Kronstadt – und von den Konservativen, die einen Ausweg suchten und sich für eine Kandidatur Konrad Möckels einsetzten. Das ergab eine delikate Situation. Er könne sich, wie er einem Freund im Sommer 1932 schrieb, eine Zusammenarbeit mit Pfarrer Staedel gut vorstellen. Der Großpolder Pfarrer war durch seine Schriften, Vorträge und Predigten in Kronstadt und im Burzenland bekannt.11 Vielleicht erwartete die Kronstädter Selbsthilfe, Konrad Möckel werde die Unterstützung des Klingsor-Kreises und der Konservativen um Kirchenkurator Dr. Arthur Polony ablehnen und nicht kandidieren. Die Selbsthilfe forderte Konrad Möckel nicht direkt dazu auf, sondern entsandte zwei Vertreter nach Großpold, die erklärten, sie würden Konrad Möckel akzeptieren, sollte die Vorwahl zu seinen Gunsten ausgehen. Als die Vorwahl Mitte Januar 1933 tatsächlich zuungunsten Wilhelm Staedels ausging, zog dieser seine Kandidatur zurück, und Konrad Möckel erhielt in der 10 Der „Klingsor“ war eine von Heinrich Zillich 1925 gegründete literarische Zeitschrift. Die Autoren der Zeitschrift beteiligten sich an der Diskussion gesellschaftlicher Fragen. Man sprach von einem „Klingsor-Kreis“. 11 Nachlass KM, Karton 12, Mappe Briefwechsel Großpold 1933. Brief (Durchschlag) von KM an Kirchenkurater Martin Copony vom 8. August 1932. Konrad Möckel lehnt ein Angebot ab, für die Pfarrstelle in Brenndorf zu kandidieren.

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eigentlichen Wahl die Stimmen aller Gruppierungen, die im Wahlgremium vertreten waren. Trotzdem warf ihm am Tag der Wahl Herwart Scheiner in einem Einschreiben „in höflichen Worten Verrat, charakterlose Haltung, schäbiges Handeln, sich den ‚Feinden‘ weggeworfen haben u.s.w.“ vor, was Konrad Möckel verletzte.12 Die Honterusgemeinde führte Konrad Möckel am 27. und 28. März 1933 feierlich ein (Abb. 10-12). Die Kronstädter Zeitung stellte ihn am 28. Januar 1933 vor und berichtete am 28. März 1933 ausführlich von der Einführung.13 Sie geriet zu einer Demonstration der sächsischen Minderheit und spiegelte die riesigen Erwartungen der Gemeinde. Beim Empfang in Kronstadt kam das gesellschaftliche Kräfteverhältnis innerhalb der Kronstädter Gemeinde zum Ausdruck. „Wie man einen König empfängt, hat Kronstadt gestern seinen neugewählten Stadtpfarrer in den Mauern der alten Sachsenstadt begrüßt“, so begann der Berichterstatter und bezeichnete ihn als „geistlichen, geistigen und völkischen Führer“. Die Familie übernachtete am Tag vor der Einführung im Pfarrhof in Brenndorf. Die dortige Gemeinde geleitete den Stadtpfarrer und seine Familie bis zur Stadtgrenze, wo der neue Stadtpfarrer den „Hattertsegen“ sprach.14 In einer sechsspännigen Kutsche, begleitet von einem Reiterbanderium, fuhren der Stadtpfarrer und seine Familie in die Stadt ein.15 Die sächsischen Häuser waren mit blauroten Fahnen geschmückt. Ein Spalier von Schülern, vom Wandervogel und von Mitgliedern der Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft säumten die Straße (Abb. 11). Einige Male hielt die Kutsche zu Begrüßungsansprachen an. Vor der Schwarzen Kirche und dem Pfarrhaus hatten sich Musikkapellen und Vereine mit ihren Fahnen versammelt. Dr. Arthur Polony, der Gemeindekurator, begrüßte den neuen Stadtpfarrer vor dem Hauseingang. Es folgte im Haus ein Empfang der Deputationen: das Predigerkollegium, die evangelischen Schulanstalten, der Burzenländer sächsische Kreisausschuss, das evangelische Presbyterium, die „Evangelische Gesellschaft“ um Pfarrer Georg Scherg, die Frauenvereine, die Selbsthilfe; die rumänisch-orthodoxe Geistlichkeit, die griechischkatholische, die römisch-katholische, die magyarisch-evangelische, die reformierte und die magyarisch-unierte Kirche, die israelische Gemeinde mit der orthodoxen und der neologischen Sektion. Dr. Wilhelm Depner, der Kreisobmann der Volksorganisation, bat um eine gute Zusammenarbeit. Der Gesangverein brachte spät am Abend ein Ständchen. Der Präfekt des Honteruscoetus erhielt als letzter das Wort zu einer Ansprache.16 12

Nachlass Albert Klein. Brief von Albert Klein an Oskar Löffler vom 19. Januar 1933. Kursives im Original unterstrichen. Konrad Möckel hielt auf Einladung Albert Kleins in Klausenburg einen Vortrag. Der Brief von Herwart Scheiner fand sich nicht im Nachlass. 13 Dr. Konrad Möckel – Stadtpfarrer der Honterusgemeinde in Kronstadt (Siebenbürgen). Sonderdruck aus der „Kronstädter Zeitung“ Nr. 23, 72 und 73, Jg. 1933, 62 Seiten. 14 Hattert = Gemeindeboden. 15 Banderien waren ursprünglich kleine Einheiten von Reitern im mittelalterlichen, ungarischen Militär. Hier ist damit eine Gruppe von Reitern in sächsischer Tracht gemeint, die vor der Kutsche des Stadtpfarrers einherritt. 16 Präfekt = der gewählte Leiter des Coetus, der Schülermitverwaltung des Honterusgymnasiums.

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Am nächsten Tag führte der Burzenländer Dechant Dr.  Johannes Reichart den Stadtpfarrer in einem Festgottesdienst in der Schwarzen Kirche ein. Er erinnerte an die Vorgänger, Samuel Traugott Schiel, Dr. Franz Oberth, Dr. Franz Herfurth, Dr. Viktor Glondys. Am frühen Nachmittag kamen geladene Gäste im Gewerbevereinssaal zu einem Festmahl zusammen. Die Tischreden spiegelten mehr noch als am Tag zuvor die gesellschaftlichen Kräfte unter den Sachsen in Kronstadt und ihre Minderheitensituation im neuen Staat. Es sprachen Gemeindekurator Dr. Arthur Polony, der Rektor der Honterusschule Adolf Meschendörfer, Pfarrer Hans Lienert für die Pfarrkollegen, Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller für die Landeskirche, Erzpriester Dr. Josef Blaga für die rumänisch-orthodoxe Kirche, Bürgermeister Dr. Cornel Voicu für die Stadt Braşov-Kronstadt. Es folgten Ansprachen des orthodoxen Erzpriesters Hociota, des griechisch-unierten Erzpriesters Hodarnau, des ungarisch-reformierten Stadtpfarrers Dr. Peter Antal und der beiden Vertreter der jüdischen Gemeinden, Oberrabiner Dr. Deutsch und Dr. Sperber. Der Unterwald war vertreten mit Prediger Brandsch, Rektor Hartmann aus Großpold und Stadtpfarrer Piringer aus Broos. Rechtsanwalt Dr. Hermann Fabritius sprach für die „Kronstädter Bürgerschaft“ und die „Kronstädter Vereine“, worunter die Zeitung wie selbstverständlich nur die Vereine der deutschen Minderheit meinte. Frau Direktor Frieda Wächter vertrat die Frauenvereine, Stadtpfarrer Nikolaus das nördliche deutsche Siedlungsgebiet Sächsisch-Regen. Es folgten der Wahlkreisabgeordnete Direktor Fritz Connert, der Konsul des Deutschen Reiches Baurat Braun, Frau Dr. Ziske für die „Stillen im Lande“ mit einem Gedicht, Pfarrer Fritz Schuller aus Brenndorf und Pfarrer Kuno Galter aus Freck als Freunde – dagegen kein Abgeordneter einer rumänischen oder ungarischen politischen Partei. Schwer zu sagen, ob das Ereignis eher kirchlich oder eher politisch war. Mehrfach wurde der Stadtpfarrer in den Reden als „Führer“ bezeichnet, wiederholt gaben Redner der Hoffnung Ausdruck, dass ihm gelingen möge, die Spaltungen in der sächsischen Gesellschaft zu überwinden. Alle erhofften vom Stadtpfarrer eine dynamische Amtsführung mit der Kraft zur Integration aller politischen Gruppen. Die Selbsthilfe trat in der Rednerliste des zweiten Tages nicht gesondert in Erscheinung. Am Vortag standen die Mitglieder der S.A.M. in weißen Hemden, schwarzen BreechesHosen und Schaftstiefeln Spalier, die Kronstädter Wandervogelgruppe in blauen Hemden. Der Ausgang der Stadtpfarrerwahl und die Einführung bewiesen, dass die Selbsthilfe zu diesem Zeitpunkt in Kronstadt noch kein großes politisches Gewicht hatte. Und der Geist der Ansprachen? Von heute aus gesehen war der Bezug auf das Deutschtum bei diesem Kirchenfest auffallend groß. Den König, den Bischof, den Stadtpfarrer, die Gemeinde ließ man donnernd hochleben und rief ihnen Heil zu. Die Teilnehmer dieses Festes sahen in der Einheit von Evangelisch und Deutsch den Vorteil und die Stärke, selbst die Selbsthilfe war in den Respekt vor dem Amt des Stadtpfarrers eingebunden, während sie nur wenige Monate später das Bischofsamt erbittert anfocht. Der neue Stadtpfarrer entzog sich den politischen Ansprüchen so gut er konnte. Das führte sehr schnell zu Verstimmungen. Er war „als Stadtpfarrer nach Kronstadt

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gekommen: von den ‚Alten‘ als notorischer Erneuerer gewählt!“17 Beide Seiten, die Erneuerer wie die Alten, beanspruchten ihn für ihre Interessen, um das Stadtpfarramt, wie Konrad Möckel schreibt, zu parteipolitischen Zwecken auszuspielen. „Ich erkannte, Gott sei Dank, von vornherein die hier drohende, ungeheure Gefahr. In dieser Hinsicht sollte später Staedel in religiös unklarer Hemmungslosigkeit sich gebrauchen lassen und damit das Amt (es war das Bischofsamt) kompromittieren und selber scheitern. Auch Glondys ist daran gescheitert, daß er in der Politik eine Rolle spielen wollte.“18

Liest man die Grußansprachen, wird klar, dass es bald „viele Mißverständnisse und Zusammenstöße“ geben musste. Die politischen „Abende“ hätten Konrad Möckel gerne für sich in Anspruch genommen. Anhänger Zillichs erhoben „bittere Vorwürfe“, dass er sich nicht zum „Führer des Klingsorkreises habe erheben lassen“.19 Es dauerte Jahre, bis er als derjenige erkannt war, „der nur seiner Kirche dienen wollte, ohne sich dabei den vielfältigen Anliegen des Kulturlebens und des politischen Schicksals des eigenen Volkes zu verschließen“.20 Konrad Möckel wollte als „Mann der Kirche“ gewertet werden. Darin allerdings lag das Problem. Als ein Mann nicht nur der Kirche, sondern der „Volkskirche“ konnte er beim besten Willen nicht neutral bleiben. Das sollte sich bald zeigen. Auch wenn ein Stadtpfarrer in der Politik keine Rolle spielen wollte, musste er in zugespitzten Konflikten Stellung beziehen. Idealismus und Wirklichkeit Wohl auch um sich selbst Klarheit zu verschaffen, aber auch um der Honterusgemeinde und seinen Freunden aus dem Südostdeutschen Wandervogel seine Position zu signalisieren, schrieb Konrad Möckel 1933 „Idealismus und Wirklichkeit – Eine Auseinandersetzung mit dem Grundgedanken der Volkserneuerungsbewegung“.21 Die Broschüre ist ein Zeugnis seiner damaligen Einsicht in die Erneuerungsbewegung und in den aus Deutschland importierten Nationalsozialismus und enthält, was sich heute leicht erkennen lässt, zwei widersprüchliche Tendenzen, die im Grunde nicht miteinander zu vereinbaren sind. Er war hellsichtig für Gefahren, die von der NS-Weltanschauung drohten, aber er unterschätzte die schon längst eingetretene Vergiftung. Er warnte vor möglichem nationalem Terror und vor den Folgen einer Diktatur, aber er deutete den schon vorhandenen Terror der in Deutschland etablierten Diktatur nur an. Er stimm17

Erinnerungen 1953/54, VIII. Ebda. 19 Ebda. 20 Ebda. 21 Konrad Möckel: Idealismus und Wirklichkeit. Eine Auseinandersetzung mit dem Grundgedanken der Volkserneuerungsbewegung. Kommissionsverlag der Markusdruckerei Schäßburg 1933. Die 65 Seiten starke Schrift erschien im Spätherbst 1933. In die Schrift gingen Vorträge und Aufsätze ein. 18

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te der „deutschen Erhebung“ zu, aber er forderte zugleich, Christen sollten sich von Verirrungen distanzieren. Er gab eine Momentaufnahme zur politischen Lage, aber ohne bestimmte Ereignisse in Deutschland konkret zu benennen. Konrad Möckel bekannte sich merkwürdigerweise auch noch in seinen Erinnerungen zu dieser Schrift (1953/54). Ein angesehener Verlag in Deutschland nahm sie in Kommission und bot sie auch noch während des Krieges zum Verkauf an, obgleich einige Sätze gegenüber dem Nationalsozialismus erstaunlich kritisch sind.22 Die Broschüre war aus „der geistigen Beschäftigung“ mit Fragen von Volkstum und Glauben, entstanden, und die Anfänge reichten „noch in die Großpolder Zeit zurück“. Der Titel gab die Richtung der Auseinandersetzung an. Die „neue weltanschauliche Religion“ war „idealistisch-gedanklich“ und „konnte einer ernsten Gegenüberstellung mit der Wirklichkeit nicht standhalten“.23 Der mehrdeutige, von Konrad Möckel kritisch gebrauchte Begriff „Idealismus“ steht in der Broschüre unter anderem für die Ideen der Erneuerungsbewegung. Man kann den Titel daher auch als „Nationalsozialismus und Wirklichkeit“ lesen. Man muss dann aber hinzufügen, dass Konrad Möckel weder politische Kernschriften des Nationalsozialismus, wie „Mein Kampf“, der „Mythos des 20. Jahrhunderts“ oder das Programm der NSDAP oder das der Erneuerungsbewegung, noch die harten Fakten der neu eingerichteten Konzentrationslager in Deutschland analysierte, sondern aus der Sicht eines Pfarrers schrieb, der die evangelische (Volks-)Kirche in Siebenbürgen liebte und verteidigte. So erklärt sich das beschönigende Etikett „Idealismus“ für diejenigen, die sich selbst „Erneuerungsbewegung“, NSDR, später NEDR oder DVR nannten. Die meisten Leserinnen und Leser dürften die Kritik, die im Begriff „Idealismus“ enthalten war, nicht einmal erkannt haben, so wie auch Konrad Möckel lange brauchte, um die Unvereinbarkeit des Nationalsozialismus mit dem christlichen Glauben zu erkennen. Die Auseinandersetzung liegt – grob eingeordnet – auf der Linie der evangelischen Theologen Emanuel Hirsch, Paul Althaus und Heinrich Rendtorff, die „Volk“ und „Volkstum“ zu fast religiösen Begriffen erhoben. Ebenfalls aufschlussreich sind die Schriften des konservativen evangelischen Publizisten Wilhelm Stapel, von denen Konrad Möckel einige gekannt haben dürfte.24 In zwei Hauptteilen versuchte Konrad Möckel Christentum (Wirklichkeit) und Idealismus gegeneinander abzugrenzen: „Der Deutsche vor der Glaubensfrage“ im ersten Teil und „Der Christ vor der Volksfrage“ im zweiten Teil. Die Schrift sei geschrieben für gleichgesinnte „Menschen, die an Gott denken, wenn sie das Wort ‚Wirklichkeit‘ hören“.25 Die Schrift wolle ein Zeugnis 22

Verlag Vandenhoek und Ruprecht in Göttingen. Erinnerungen 1953/54, IX. 24 Zu den drei Theologen, deren Rolle heute von Kirchenhistorikern kritisch gesehen wird, siehe Klaus Scholder: „Die Kirchen und das Dritte Reich“. Bd. 1, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977. Wilhelm Stapel war ein einflussreicher, politischer Publizist, der besonders das Thema Volkstum behandelte. 25 Möckel: Idealismus und Wirklichkeit (wie Anm. 21), S. 5. 23

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des Glaubens sein. Vor dem ersten Teil stand der Bibelvers: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ (Matth. 4,4), vor dem zweiten „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen“ (Matth. 6, 33). Konrad Möckel kam den „idealistischen“ Leserinnen und Lesern, den Freunden aus dem Wandervogel, weit entgegen. Der Gedankengang kann etwa folgendermaßen wiedergegeben werden:26 „Die deutsche Erhebung“ habe klare Ziele, enthalte aber auch unklar „blutmäßig Erfühltes“ (S. 9). Sie beanspruche den „ganzen Menschen“ und hebe damit die Unterscheidung von politischem Wollen und Religion als Privatsache auf. Da der Kommunismus einen neuen Menschentypus geschaffen habe, sei er eine ernste Gefahr für das Kulturleben – eine Gefahr, der nur „eine Bewegung, die leidenschaftlich die Menschen bis in unbewusste Wesenstiefen hinein ergriff“, begegnen konnte – der Nationalsozialismus. Die (idealistische) Bewegung sei vorbereitet worden durch ein ausgebreitetes Schrifttum völkisch eingestellter Jugend, „das zu dem ehrlichsten und mutigsten gehört, was in den letzten Jahren geschrieben wurde“ (S. 10). Auf diese und weitere Verbeugungen vor der Erneuerungsbewegung, die seine eigene Argumentation erschwerten, wenn nicht sogar ihr den Boden entzogen, folgte der Einwand, dass „auch die wunderbarste, edelste völkische Begeisterung“ das „erlösende Wort für unsere Zeit“ nicht sprechen könne (S. 11). Die „Not der deutschen Seele“ sei echt, aber es sei „Romantik“, wenn sie diese aus sich selbst bewältigen wolle (S. 11). Konrad Möckel setzte sich im Folgenden vom „Massenmenschen“ ab, vom „hemmungslosen Triebleben“, vom „Nützlichkeitsdenken“, vom „Bolschewismus“, von der „Amerikanisierung“ und von der „Entnationalisierung“ (S. 12, 13). Das „Erwachen“, das neue „Volksbewusstsein“, schrieb er, sei ihm ein „Wunder“ und der Beweis dafür, dass der Mensch nicht nur vom Brot allein lebe (S. 14, 15). Es sei kein Wunder, dass „ein Rausch des Blutes“ eingesetzt habe (S. 16). Es gäbe keine „Erhebung für uns aus Nacht und Tod, aus Schande und Verzweiflung am Volkserlebnis vorbei“. Daher könne man die Gefahr der Radikalisierung nicht ins Feld führen, denn jedes „echte Lebensgefühl ist radikal und unerbittlich“ (S. 16). Nach dieser Zustandsbeschreibung, wie Konrad Möckel sie sah, macht er einen Einwand. Es liege auf der Hand, dass es „auf diesem Gebiete zu schweren Verirrungen gekommen ist“ (S. 16). Bevor er auf die „Verirrungen“ einging, folgte eine die Argumentation kennzeichnende Unterscheidung: Volksgefühl gehöre zum ewigen Bestand der Schöpfung und sei im ersten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses eingeschlossen. Dagegen kämen Natur, Landschaft, Blut, Rasse, Geschichte, Kultur, Sprache und Sitte erst an zweiter Stelle. Weil der Schöpfer die Völker schaffe (S. 17), habe Volksgefühl daher nicht nur die Welt zu gestalten, sondern auch „bittend, verantwortend, fragend, gehorchend, dienend vor dem zu stehen, der es [das Volksgefühl A. M.] in die Menschenseele gelegt“ habe (S. 17, 18). Ohne ein ständiges Suchen an 26

Ich verzichte auf Fußnoten und füge die Seitenzahlen in Klammern im Text ein.

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der von Gott gesetzten Grenze gäbe es keine wahrhafte Volkserneuerung, auch wenn die christlichen Gemeinden „immer eine kleine Minderheit im Volkskörper“ bilden. Dann prangerte er die Verirrungen und das Durcheinander an: heiliges und göttliches Recht des arischen oder des deutschen Blutes, der germanischen Rasse, vom deutschen Gott und vom Gott der Deutschen – „und wie Ausdrücke der Volkstums-Priester sonst noch lauten mögen“ (S. 19). Er zitierte Jesaja, der die Völker mit dem „Tropfen, der im Eimer bleibt“, verglich (S. 20). Wenn man „Volk“ überschätze, „wird das eigene Selbst vergottet und vor der Volksseele erscheint ein neuer Mythos (der Mythos des 20. Jahrhunderts!) statt des ewig gleichen, lebendigen Gottes, der unsere Wirklichkeit in jedem Augenblick beherrscht“ (S. 21). Beleg dafür seien die Verirrungen, wie das „Deutschvolk Ludendorff’scher Prägung“, die „Deutschkirche“ und Spielarten der „deutschen Christen“. Das Artgefühl werfe sich zum Richter auf und wolle vom „richtenden Du“ keine Belehrung und kein Gericht annehmen (S. 21). Naiv und skrupellos werde die These verfochten, dass Sündenbewusstsein verächtlich und unmännlich sei (S. 22). Dagegen setzte Konrad Möckel „eine zweite, andere Stimme“, die des Gewissens. Die Besten auch des deutschen Volkes hätten gewusst, „wie fragwürdig sogar die eigene, geliebte und verehrte Nation vor dem obersten Herrn der Welt“ erscheine (S. 23). Lebensfrische müsse ein Volk aus dem „lebendigen Grenzverkehr“ mit Gottes Wort holen und im „wachen Umgang mit Gotte stehen“ (S. 24). Er warnte vor der Überschätzung des Idealismus, der schöpferisch, aber auch zerstörerisch wie ein Orkan sein könne (S. 26, 27). Es gäbe keine „schärfere Ablehnung echter Glaubenshaltung, wie die von seiten unentwegter Idealisten“ (S. 28); er zitierte das Buch von Carl Christian Bry „Verkappte Religionen“27 und nannte als Beispiele für Übertreibungen Volksgesundheit oder Zerschlagung des Kapitalismus (S. 28), von denen sich manche für alles eine Besserung versprächen. Dann verneigte er sich noch einmal vor der siebenbürgischen Erneuerungsbewegung. Werde sie niedergetreten oder erstickt, sei es „um unsere Zukunft geschehen“ (S. 29). Er verglich sie mit der Reformation (S. 30) und warnte zugleich vor dem Anspruch auf „absolute Herrschaft“ (S. 31): „Gott hat niemandem das Recht gegeben, den Nebenmenschen mit seinen eigenen Gedanken über Gott – und seien es auch die frömmsten und tiefsten – zu vergewaltigen“ (S. 31).

Es sei „nackte Gottlosigkeit“, wenn ein Volk innerhalb seines eigenen Lebensbereiches „hohe Mauern politischer Spaltungen“ aufrichte und die Anklage dafür ins andere Lager hinüberwerfe. Es erstaunt, dass in NS-Deutschland ein Büchlein verkauft werden konnte, in dem Sätze stehen, wie: „Es ist bloß Auswirkung einer innern Gesetzmäßigkeit, wenn bei zugespitzter Entwicklung auf diesem Wege Terror und Diktatur liegen, die dann an die Stelle der Gewissensfreiheit treten“ (S. 33). Oder: „Es ist ein Wahnsinn zu glauben, es gäbe 27

Carl Christian Bry: Verkappte Religionen. Gotha 1924.

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nur dann rechte Volksgemeinschaft, wenn alle Glieder einen bestimmten politischen Idealismus beschwören, also politisch geredet, in einer einzigen politischen Partei vereinigt sind“ (S. 33).

Die Erneuerungsbewegung müsse in die Glaubensforderung münden, solle sie nicht zur Vergewaltigung und zur Zertrümmerung des Volkslebens führen (S. 36). Im zweiten Teil ging er auf die schwere Spannung zwischen Christen und der Welt ein. Mit Welt meinte er auch den „politischen Aufbruch der Nation“. Es gäbe Zweifelsfragen des Christen (S. 42). Die Rassen und Völker seien erst nach dem babylonischen Turmbau entstanden, und es sei gewiss, dass bei Aufhebung der Sünde alle Volksgrenzen verschwänden. Wie die Arbeit und die Herrschaftsstrukturen der Menschen sei auch das Volkstum einerseits Fluch einer aus den Fugen geratenen, andererseits Notbehelf einer vorläufigen Ordnung der Welt. Der Christ dürfe überall mitarbeiten und sich bewähren (S. 43-46), aber der Unterschied von irdischer und himmlischer Macht müsse ganz klar sein. Die Geschichte vom reichen Jüngling habe „sich an Tausenden in aller Stille wiederholt“: „‚Meister, wir haben uns bemüht, alle Gebote zu halten, wir sind aber doch noch im Unfrieden, in der Sinnlosigkeit. Nun vertrauen wir dir und hoffen auf dich. Hilf uns weiter!‘ Und dann kam die Forderung: ‚Kannst du auch auf den Ahnen- und Blutstolz verzichten und deine deutsche Art unterordnen unter den lebendigen Gott? Kannst du es ertragen, daß ich nicht arischer Abstammung bin wie du? Kannst du mein Wort noch über deine völkischen Forderungen stellen?‘ – Da schieden sich die Wege. Bei manch einem mit Trauer und bedrückten Herzens; bei einigen so, daß sie sich lieber nicht Rechenschaft über diese Dinge geben möchten; bei einigen so, daß der helle Trotz und oft auch der Haß aus ihren Augen leuchtet“ (S. 47).

Er hatte im Südostdeutschen Wandervogel in den Bibelarbeiten alle vier Varianten erlebt: Nachfolge, Absage, Gedankenlosigkeit und Hass. Er verwarf die Alternative zwischen „einem ‚deutschen Glauben‘, der sich in den Phantastereien eines arischen Christus und der unklaren Vorliebe für germanische Mythologie verliert“ und einer „Christlichkeit, die ihrem Kirchen- oder Gemeinschaftsgeist“ die Volksgemeinschaft zum Opfer bringe (S. 47), das heißt, sich um andere außerhalb der Glaubensgemeinschaft nicht kümmere. Er forderte vom Christen in der Welt den „Gehorsam gegen seinen Herrn“. Unsicherheit könne es nur geben, so lange „in einer gegebenen Lage nicht ganz sicher erkannt ist, was Gott will“ (S. 48-50). Das gelehrte Denken der Theologie oder auch die Bilder und Ziele des Idealismus dürften den Platz nicht einnehmen, „der nur der Bibel und dem schlichten Christenglauben“ zukommt (S. 52). Das Wort „ihr seid das Salz der Erde“ war ihm eine „Anklage gegen alles kirchliche Leben“ seiner Zeit. Wo sei, fragte er, die aktive Mitarbeit der Christen an der modernen Wirtschaft, an der Arbeiterfrage und am Kapitalismus, den Beziehungen der Technik zum Seelenleben, den Aufgaben der Politik und des Staatslebens? (S. 53) Christen dürften „Volk als Aufgabe“ nicht anderen überlassen. „Kein Blutstolz und keine Rassenreinheit, kein Judenhaß und kein sich Vertiefen in die eigene Art kann helfen“ (S. 55); das Leben

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brauche die Hand vom „Ufer der Ewigkeit“. Kann es sie nicht ergreifen, „muß Blut und Rasse nach furchtbarer Gesetzmäßigkeit zum Götzen, zum Dämonen werden und Gottes Zorn sich über Machtgier und vermessenen Dünkel ergießen“ (S. 55). War das der von Klaus Scholder gerügte „volksmissionarische Enthusiasmus“? Oder war es eine prophetische Warnung? „Die Wahrheit über unser deutsches Volk ist einfach die, daß es als Volk heute vor der Gottesfrage steht wie einst das Volk eines Hosea oder Jesaia“ (S. 56). Daraus folgerte Konrad Möckel, dass Christen sich „entäußern“ müssten, also sich nicht zu gut sein sollten, um „in der schweren Spannung (zu) leben, die zwischen dem ringenden Volksgefühl und der vollen Glaubensklarheit besteht“ (S. 56). „Die Not der Kirche“ sah er dort, wo sie „eine nebensächliche, innerlich tote Sache“ geworden war (S. 57). Er selbst hatte die Kraft des christlichen Glaubens erfahren und erkannte seine Spuren im Leben der sächsischen Gemeinden. Daher bestand er darauf, dass „deutscher Glaube“ nicht in Rassenpflege und Blutsreinheit bestehe, sondern darin, „alle Tugenden des Volkes demütig und selbstvergessen in den Dienst seines Gottes, seines Heilandes“ zu stellen (S. 59). Zusammensetzungen wie „deutscher Glaube“ hatten schon damals einen falschen Ton, auch wenn man für Konrad Möckel in Anspruch nehmen darf, dass er damit den Namen Deutsch vor dem Neuheidentum bewahren wollte. Er erinnerte an die Münze des Kronstädter Bürgermeisters Michael Weiß mit dem Aufdruck: „Er verlässt sich auf Wagen und Rosse – wir dagegen auf den Namen des Herrn“ (S. 61). Vielleicht war der Versuch, die „Idealisten“ auf die christliche Tradition hin anzusprechen, schon vergeblich: „Wie ein Strom aus vulkanischen Tiefen ergießt sich dies neue Wollen über das Volksleben, fruchtbar und verheerend zugleich“ (S. 63).

Ist der Kronstädter Stadtpfarrer zu tadeln, dass er sich dem Ausbruch politischer Leidenschaft der Selbsthilfe stellte und entgegenstellte? Was wäre die Alternative für ihn gewesen, den der historische Wandel elektrisierte und beunruhigte? Wie einen Kehrreim wiederholte er, dass die Verantwortung auf den Christen ruhe, die „im Dienste ihres Heilandes freie, aufrechte, mutige Menschen geworden sind“ (S. 64). Er sprach damit auch von sich und zu sich. „Unser Volk“ fordere solidarisches Mitleiden aus dem Gefühl angestammter Zugehörigkeit: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!“ (S. 65). Der wichtigste Unterschied zu der Schrift Volkstum und Glaube war, dass Idealismus und Wirklichkeit in einer gewandelten politischen Situation erschien. Er hielt 1933 an seiner biblisch fundierten Position fest und geriet dadurch an den Rand. Seine neue Schrift fand den Zugang nur „zu einem kleinen Teil weltanschaulich bewegter jüngerer Menschen“, schrieb er später.28 Es war sein letzter Versuch, als „Erneuerer“ dem Süddeutschen Wandervogel ins Gewissen zu reden.29 28

Erinnerungen 1953/54, IX. In den Erinnerungen 1953/54 schrieb Konrad Möckel, dass „Idealismus und Wirklichkeit“ ein weit geringeres Echo hervorgerufen habe als „Volkstum und Glaube“. Er schickte das Büchlein Friedrich Müller zu, als er ihn zum „geistlichen Arbeitslager“ in Freck zu einem Vortrag 29

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Streit um die Politisierung der Honterusschule Das erste Jahr in der Honterusgemeinde war von einer Auseinandersetzung überschattet, die zur Entfremdung zwischen dem neuen Stadtpfarrer und dem alten Kirchenkurator Dr. Arthur Polony führte. Zwischen der Leitung der Honterusschule und dem Kirchenkurater brach in einem innersächsischen Wahlkampf um die Sitze im Bezirksausschuss des Burzenlandes ein Streit aus. Bezirksausschüsse bildeten die unterste Ebene der Volksorganisation, welche die sächsische Minderheit politisch vertrat. Drei sächsische Parteien bewarben sich um die Stimmen der Wähler. Die konservative Liste im Bezirk führte der angesehene Arzt und Leiter eines privaten Krankenhauses, Dr. med. Wilhelm Depner, an, die Liste der „Unabhängigen“ Dr. Adolf Meschendörfer, Direktor des Honterusgymnasiums und ein angesehener Schriftsteller. Ihn traf Polonys Angriff doppelt – als Schulleiter und als liberalen Politiker.30 An der Spitze der nationalsozialistischen Liste stand der radikale Nazi Dr. Waldemar Gust. Die NSDR war der eigentliche Gegner der konservativen Einheitspartei. Als Kirchenkurator hatte Dr. Arthur Polony das höchste Ehrenamt in der Honterusgemeinde inne. Er prangerte in einer geschlossenen Veranstaltung vor Wählern der konservativen, sächsischen Einheitspartei ein Vorkommnis in der Honterusschule an.31 In der Septima hatte Pfarrer Wilhelm Staedel einen Lehrauftrag im Unterrichtsfach Religion.32 Er ließ zu Beginn des Schuljahres die etwa Siebzehnjährigen ihre Vorstellungen zum Thema „Nationalsozialismus und Christentum“ aufschreiben. Polony kritisierte das öffentlich. Die NSDR vergifte mit ihrer politischen Agitation die Gymnasiasten.33 Die Kronstädter Zeitung berichtete von der Wahlversammlung gleich am nächsten Tag. Ein Zwischentitel hieß: „Zersetzung der Jugend durch die NSDR“. Im Laufe der Wahlversammlung kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen. Die „volkszerstörerischen Kampfmethoden der NSDR“ waren in Kronstadt bekannt. Trotzdem erlaubte der Veranstaltungsleiter, Dr. Wilhelm Weinhold, dem Wortführer der einlud. Müller nahm die Einladung an und hoffte auf Gelegenheit, Fragen zu erörtern, die er hinsichtlich der Grundposition habe. Leider ist darüber kein Zeugnis erhalten. 30 Im Januar 1935 gab das Kollegium unter dem Titel „Für unsere Honterusschule“ einen Rückblick auf den Streit heraus. Nachlass KM, Archivmappe 27. Die Broschüre stellt die Sicht der Schulleitung und des Kollegiums dar. Interessante Ergänzungen finden sich in den Akten des Landeskonsistoriums ZAEKR 103-94 (1933), Nr. 4894 (Beschuldigungen gegen die Anstalt) und 103-97 (1936), Bestellnummer 1171 (Polony). Dort sind das Disziplinarverfahren gegen Polony und sein Freispruch in erster und zweiter Instanz dokumentiert. 31 Kronstädter Zeitung vom 5. November 1933, Nr. 253. „Für die sächsische Volksgemeinschaft – gegen die volkszerstörenden Kampfmethoden der Selbsthilfe (NSDR)!“ Dazu: Andreas Möckel: Der politische Skandal um die Honterusschule im Jahre 1933. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde33 (2010), H. 1, S. 51-62. 32 Septima war die vorletzte, Oktava die Abschlussklasse des Gymnasiums. 33 Außerdem kritisierte Polony, dass der Vorsitzende des Bundes rumäniendeutscher Akademiker (BDAR) Dr. Fritz Tartler ältere Schüler der Honterusschule zum Eintritt in die NSDR aufgefordert habe, aber das lag außerhalb der Schuldirektion und der Lokalschulinspektion.

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Opposition Mag. Herwart Scheiner eine Ansprache vom Rednerpult. Scheiner war ein nationalsozialistischer Scharfmacher, und die Zuhörer begleiteten seine Ausführungen mit Pfuirufen und forderten lautstark, er solle aufhören. Wie die Kronstädter Zeitung damals die Nationalsozialisten in Rumänien und die in Deutschland einschätzte, offenbart eine bezeichnende Unterscheidung in „wirkliche“ und „Pseudonationalsozialisten“: „Besonders dramatisch waren einige Zwischenfälle. Ein wirklicher sächsischer Nationalsozialist, Mitglied der NSDAP und nicht der Selbsthilfe (NSDR), trat unseren Pseudonationalsozialisten mit großer Entschlossenheit entgegen und verurteilte ihr ganzes Benehmen und politisches Verhalten.“34

Die „wirklichen“ Nazis, so die Meinung der Zeitung, unterschieden sich in ihrem Benehmen wohltuend von den „Pseudonationalsozialisten“ der Kronstädter NSDR. Das war ein verhängnisvoller Irrtum mit einer weittragenden Wirkung. Worin lag der Irrtum? Die Methoden der NSDAP in Deutschland und die der sächsischen Scharfmacher stimmten in ihrer Niedertracht nicht nur überein. Die Nazis in Deutschland übertrafen vielmehr in ihrer Brutalität die rumäniendeutschen Nazis noch bei Weitem. Obgleich Polony in seiner Rede von den Konzentrationslagern sprach, die im Jahre 1933 in Deutschland eingerichtet worden waren,35 sah die Kronstädter Zeitung das Verhältnis gerade umgekehrt. Sie stand damit nicht allein. Sie hielt, wie viele in Siebenbürgen, zum Beispiel auch Konrad Möckel, die inhaltlose Machtgier der rumäniendeutschen Nazis für eine sächsische Besonderheit.36 Die Unterscheidung von schlechten einheimischen und guten Nazis in Deutschland war ein „Nicht-sehen-wollen“ der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Machtzynismus. Diese Sicht war in Siebenbürgen bis zum Ende des Krieges weit verbreitet – bei manchen auch noch lange darüber hinaus.

34

Kronstädter Zeitung vom 5. November 1933/Nr. 253. Die Zeitung nannte keinen Namen. Die Frage, ob und wie genau in Siebenbürgen die Herrschaftsmethoden des Einparteienstaates bekannt waren, ist schwer zu beantworten. Das Wort „Konzentrationslager“ fiel in folgendem Zusammenhang: Polony sagte in seiner Wahlrede, der zersetzende Geist der NSDR sei aus jeder Nummer der Sachsenburg und des Ostdeutschen Beobachters zu ersehen und handelte sich damit einen Zwischenruf ein: „Und aus der Kronstädter Zeitung.“ Worauf Polony entgegnete, die Konservative Partei könne es nicht zulassen, im eigenen Blatt schlecht gemacht zu werden. Was würde geschehen, wenn die NSDR die Macht gewinnen würde? Und er antwortete: „Dann würde es für jene, die nicht ihrer Meinung seien, höchstens Konzentrationslager geben.“ Kronstädter Zeitung vom 5. November 1933/Nr. 253. – Es gibt aus dem Jahr 1936 eine scharfe Abrechnung mit Hitler von einem aus Siebenbürgen stammenden höheren SA-Führer, die in der Schweiz anonym erschien. Ich kann nicht schweigen von * *. Mit einem Gutachten von a. Staatsanwalt Dr. E. Zürcher und einem Vorwort des Verlages. Europa-Verlag Zürich (5.-8. Tausend) 1936. Der mit * * bezeichnete Autor war Walter Korodi, der Sohn des Kronstädter Reichstagsabgeordneten Lutz Korodi. Es ist gut möglich, dass dieses Buch auch nach Rumänien gelangte. 36 Konrad Möckel: Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche. Sibiu-Hermannstadt 1936. 35

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Wieso erkannten die Redakteure der Kronstädter Zeitung mit vielen anderen nicht, dass der Wille zur gnadenlosen Macht ein Kennzeichen der Hitlerpartei von Anfang an war? Die Verklärung des „Reiches“ und die NS-Propaganda wirkten zusammen. Wenn ein „wirklicher Nationalsozialist der NSDAP“ sich mit einem Sinn für Gerechtigkeit gegen die rumäniendeutschen Pseudonationalsozialisten wandte, schien seine Fairness ein Beleg dafür zu sein, dass der Nationalsozialismus in Deutschland und die Schreihälse in Siebenbürgen nichts miteinander zu tun hatten. Die berechtigte Kritik Polonys hatte eine völlig unbeabsichtigte Wirkung. Rumänische Zeitungen nahmen den an die Adresse der NSDR (später NEDR) gerichteten Vorwurf nationalsozialistischer Agitation auf und titelten: „Hitlerismus am sächsischen Lyzeum Honterus“ oder „Nationalsozialistische Propaganda in Siebenbürgen“.37 Die Zeitung Universul schrieb sogar von „ausgedehnter hitleristischer Propaganda“ und brachte zudem die freiwilligen Arbeitslager ins Spiel. Dort herrsche eine „hitleristische Erziehung“.38 Das Thema geriet in die Auseinandersetzungen der rumänischen Parteipolitik. Zeitungen schrieben, der Unterrichtsminister bleibe untätig, und sie forderten ihn auf einzugreifen. Der Generalschulinspektor in Klausenburg (Cluj) Pteanca kam nach Kronstadt, sprach mit dem Direktor der Honterusschule und erstattete dem Ministerium einen Bericht, der jedoch weder für die Honterusschule noch für das Schulwesen der evangelischen Kirche in Rumänien die befürchteten negativen Folgen hatte. Im siebenbürgisch-sächsischen Parteienstreit gingen die Wellen hoch – nicht wegen der Vorkommnisse in der Honterusschule, sondern wegen der Artikel in der rumänischen Presse, für die man Polony verantwortlich machte. Er habe sich wegen der anstößigen Verhältnisse in der Honterusschule weder beim Direktor der Schule noch beim Lokalschulinspektor und Stadtpfarrer beschwert und auch das Landeskonsistorium in Hermannstadt, die vorgesetzte Stelle beider, nicht angerufen, sondern aus dem Vorkommnis sogleich ein Argument für den Wahlkampf gemacht. Die Veranstaltung galt als geschlossen, faktisch war sie für jedermann leicht zugänglich. Polonys Vorgehen drückte auch ein Misstrauen gegen den Stadtpfarrer aus, der erst wenige Monate im Amt war. Der Kirchenkurator wusste, dass er der Erneuerungsbewegung nahe stand, wenn auch nicht der NSDR. Konrad Möckel versuchte als Lokalschulinsprektor die Honterusschule vor dem Schaden zu bewahren, den viele erwarteten. Er ließ sich die Aufsätze der Septimaner vorlegen und erstattete dem Landeskonsistorium in Hermannstadt, seiner vorgesetzten Behörde, Bericht. Die Zettel der Septimaner spiegelten die Meinungen der Schüler und ihrer Familien wider. Drei meinten, Politik gehöre nicht in die Schule, einer weigerte sich überhaupt etwas zu schreiben. Ein Schüler erklärte, er ginge nicht in die Schule, um Politik zu betreiben 37 Die Zeitung „Universul“ vom 16. November 1933: „Hitlerismul la liceul săsesc Honterus din Braşov“ oder „Propaganda naţional-socialistă în Ardeal – Constatările anchetei la liceul „Honterus“ din Braşov“, ZAEKR 103-94 (1933), Nr. 4834. 38 Ebda.

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(Arbeit E), andere schrieben, Geistliche sollten sich nicht in die Politik einmischen (F und K). Einer entwickelte eine abstruse Theorie von der germanischen Abstammung Jesu, der ein Abkömmling der Frau des Uria und daher ein Germane gewesen sei. Ein anderer wollte wissen, dass das Christentum den germanischen Glauben verdrängt habe (A) und dadurch die Bedeutung der Frauen gesunken sei. Die meisten Schüler sahen keinen Widerspruch zwischen Christentum und Nationalsozialismus, der bestrebt sei, „seine ganze Arbeit auf den Grundlagen der christlichen Religion aufzubauen“. Ein Schüler ließ es dahingestellt sein, ob der Nationalsozialismus für Deutschland hilfreich sei – für die Rumäniendeutschen sei er es nicht. Ein Schüler argumentierte didaktisch: Ein solches Thema könne nur als Hausaufgabe bearbeitet werden, damit sich Schüler kundig machen könnten (C). Der Lokalschulinspektor und der Rektor bestanden darauf, sich korrekt verhalten zu haben. Sie gaben getrennte, aber gleichsinnige Erklärungen in der Kronstädter Zeitung ab. Der amtliche Lehrplan sah die Behandlung von Themen, wie „Nietzsche, pessimismul, socialismul, naţionalismul ş. a.“ vor.39 Der Religionslehrer, so konnte man argumentieren, habe die Kenntnisse und Meinungen der Schüler zu aktuellen Fragen kennenlernen wollen, um dann im Laufe des Schuljahres – neutral aufklärend – auf sie eingehen zu können. Die Schüler durften die Aufsätze anonym abgeben. Bis auf zwei machten alle siebzehn Schüler davon Gebrauch. So konnte man die Aufsätze sehen, und das war gegenüber kritischen rumänischen Behörden eine sichere Verteidigungslinie. So weit so gut. Aber Pfarrer Wilhelm Staedel war kein Unbekannter. Er war das Problem. Polonys Sohn besuchte die Honterusschule. Der Vater hatte berechtigte Zweifel an einem unparteiischen Religionsunterricht. Der Bericht in der Kronstädter Zeitung verletzte allerdings ein Tabu. Eine innersächsische Streitfrage war zu einem Thema rumänischer Zeitungen geworden. Der oberste kirchliche Schulinspektor im Landeskonsistorium in Hermannstadt, Carl Albrich, notiert an den Rand des Berichtes aus Kronstadt: „Angriffe Dr. Polonys auf die Honterusschule. In dieser Angelegenheit wird wohl der hochwürdige Herr selbst verfügen, meiner Meinung nach ist das Vorgehen Dr. Polonys strafbar. Er hat unserer Schule größern Schaden zugefügt als 10 rumänische Schulinspektoren zusammen es tun könnten.“40

Diese bemerkenswerte Einschätzung des kirchlichen Landesschulinspektors erhellt blitzartig, wo einer der bedeutendsten Verantwortungsträger der evangelischen Kirche die Gefahr sah – nicht im nationalsozialistisch gefärbten Unterricht Pfarrer Wilhelm Staedels, sondern in der öffentlichen Kritik an der Schule. Diese verblüffende Randbemerkung, das muss hinzugefügt werden, spiegelt die Erfahrungen der Landeskirche mit dem administrativen Chauvinismus der staatlichen Schulpolitik in den vorausgegangenen Jahren wider. Wie selbstverständlich hielt Albrich die staatliche Schulaufsicht 39 40

Für unsere Honterusschule, S. 9. Die Abkürzung „ş. a.“ = şi altele = und andere. „Hochwürden“ ist die Anrede des Bischofs. Albrich schreibt irrtümlich „Polonyis“.

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für eine Einrichtung, die den evangelischen, deutschsprachigen Schulen nur Schaden zufügen wolle („größerer Schaden ... als 10 rumänische Schulinspektoren zusammen“). Auch ein Breslauer Universitätsprofessor – um ein Gutachten gebeten – fand das Verhalten des Kirchenkurators strafwürdig. Es wog schwer, dass der Kronstädter Kirchenkurator rumänischen Zeitungen Argumente gegen die Honterusschule geliefert hatte – mochten sie auch ihre Berechtigung haben. Zahlreiche Mitglieder der Honterusgemeinde strengten beim Bezirkskonsistorium gegen Polony – nicht gegen Pfarrer Staedel – ein Disziplinarverfahren an. Es endete in erster Instanz (Bezirkskonsistorium) mit einem Freispruch. Bischof Glondys hörte davon, als er gerade in Kronstadt zu Besuch war, und bemerkte dazu, es sei nichts anderes zu erwarten gewesen. Dadurch geriet er in den Verdacht, in das Verfahren eingegriffen zu haben. Als der Prozess in die zweite Instanz ging (Landeskonsistorium), verzichtete er auf den Vorsitz, der ihm von Amts wegen zustand, und ließ sich durch Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller vertreten. Auch die zweite Instanz sprach Polony frei. Friedrich Müller sprach sich zwar für Polonys Bestrafung aus und legte ausführlich Sondermeinung ein, aber das Disziplinargericht überstimmte ihn. Die Einheitspartei gewann die Wahlen im Burzenland, und zwar gegen den Trend in anderen sächsischen Wahlbezirken. Arthur Polony, Abgeordneter im Rumänischen Parlament und ein einflussreicher Lokalpolitiker, sah mit Schrecken, wie Waldemar Gust, Herwart Scheiner, Wilhelm Staedel und andere auf der Begeisterungswelle schwammen, welche die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler unter Rumäniendeutschen ausgelöst hatte. Die Agitation der NSDR überstieg das Maß einer berechtigten Kritik an der gewählten politischen Vertretung der Siebenbürger Sachsen weit. Die NSDR lastete der Volksführung Kriegsfolgen an, für welche die sächsischen Politiker nun wirklich nicht verantwortlich gemacht werden konnten, und stempelte die Kirchenleitung und die konservative Einheitspartei als „System“ ab. Sie übernahm das Muster, mit dem die Nationalsozialisten das Ansehen der Weimarer Demokratie während der Weltwirtschaftskrise demagogisch untergraben und Wahlerfolge erzielt hatten. Was zur Erringung der Macht im großen deutschen Staat gedient hatte, ahmten die rumäniendeutschen Nazis nach, um die politische Macht innerhalb der kleinen deutschen Minderheit zu erringen. Sie kämpften mit Leidenschaft um das politische Mandat, obgleich dessen Gestaltungsmöglichkeiten eng begrenzt waren. Verantwortungsbewusste Minderheitenpolitik in Großrumänien war keine Aufgabe für jugendliche, politische Schwärmer. Die politisch Verantwortlichen der deutschen Minderheit in Rumänien kämpften schon seit 15 Jahren um die Durchsetzung der den Sachsen im Minderheitenschutzvertrag verbrieften, aber ihnen vorenthaltenen Rechte. Diese zähe, undankbare politische Aufgabe machte nicht populär. Polony erkannte den Mangel an Realitätssinn der NEDR. Ihre unklaren Ziele waren keine guten Voraussetzungen für die Verhandlungen der Minderheit mit einer Staatsregierung, die sich seit 1927 der rumänischen Spielart des Faschismus zu erwehren hatte. Căpitanul (Hauptmann) Corneliu Zelea Codreanu hatte 1927 die Vereinigung Legionäre des Erzengels Michael

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gegründet. Im Jahre 1930 kam die militante Organisation der Eisernen Garde hinzu. Wie Hitler kam Codreanu zu hohem Ansehen, weil er Hoffnungen auf einen „Retter“ auf sich zog.41 Der Kronstädter Stadtpfarrer suchte sich zwar aus den politischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Aber das konnte auch als Parteinahme für die ehemaligen Freunde im Südostdeutschen Wandervogel und in der Selbsthilfe gedeutet werden. Er distanzierte sich von den extremen Vertretern der NEDR, wie Waldemar Gust, von dessen politischen Fähigkeiten er nichts hielt. Zu Dr. med. Wilhelm Depner, dem bedeutendsten Wortführer der Konservativen in Kronstadt, fasste er mit der Zeit mehr und mehr Vertrauen. Die Vertreter der Erneuerungsbewegung waren jung, dynamisch, aber unerfahren und leichtgewichtig – eine gefährliche Kombination von Eigenschaften in der Politik. Konrad Möckel erkannte 1933 nicht, dass die Methoden der NSDR (später NEDR und DVR), die ihn abstießen, mit der Skrupellosigkeit der NSDAP in Deutschland präzise übereinstimmten. Den Konservativen gab er keine Zukunft. Er hielt sie für behäbig und zu sehr auf eigene Vorteile bedacht. Dass man die deutschsprachigen Schulen verteidigen müsse, war Grundkonsens aller Siebenbürger Sachsen. In dem Streit um die Politisierung der Honterusschule stellte sich Konrad Möckel zwar vor die Schule und damit auch vor Wilhelm Staedel. Aber unter den Klägern, die nach dem Freispruch Polonys in erster Instanz immer noch eine Disziplinarstrafe forderten, fand er sich nicht. Wenn einige Lehrer der Honterusschule sich in der Freizeit politisch betätigten, war das ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht. Die Gefahren einer Politisierung der Schüler höherer Schulen erkannten die Konservativen jedoch besser als der liberale Adolf Meschendörfer. Der Streit entfremdete den Stadtpfarrer von seinem Kurator, der ihn beim Einzug in Kronstadt in der Tür des Pfarrhauses freundlich begrüßt hatte. Der Freispruch Polonys in erster Instanz hatte ein Nachspiel. In einer Eingabe an das Bezirkskonsistorium kritisierten vier Pfarrer das Disziplinargericht, dem unter anderen Oberstuhlrichter Dr. Wilhelm Weinhold und Bürgermeister i. R. Dr. Ernst Schnell angehörten.42 Konrad Möckel fühlte sich von der Begründung des Urteils verletzt.43 Eine Bemerkung ohne Namensnennung konnte nur ihn und Adolf Meschendörfer meinen. Nachdem „von der Verpolitisierung der Schuljugend und dem gefährlichen Treiben unserer Mittelschulprofessoren die Rede war“, hieß es im Urteil: „...Und all diesem gegenüber geschah nichts. Die zur Leitung und Überwachung der Schule berufenen Stellen wussten davon, mussten hievon wissen und stellten diese Dinge doch 41 Dazu Lucian Boia: Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft. Köln, Weimar, Wien 2003, aus dem Rumänischen übersetzt von Annemarie und Horst Weber, S. 242-246. (Istorie şi mit în conştiinţa românească, Bucureşti 1997). 42 Karl Ernst Schnell: Aus meinem Leben. Erinnerungen aus alter und neuer Zeit. Kronstadt 1934. 43 Bezirkskonsistorium des Burzenlandes Zirkular (B.K.Z.) 1088 – 1934.

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nicht ab ...“.44 Konrad Möckel war vom Disziplinargericht zu diesem Vorwurf nicht gehört worden und wollte ihn nicht auf sich sitzen lassen. Ohne eine Richtigstellung könne er im Bezirkskonsistorium nicht mehr mitarbeiten. Besonders empörte ihn „das geradezu bodenlos herausfordernde und taktlose Rücktrittsschreiben des Kurators Dr. Artur Polony. Dieses Schreiben schlägt nun vollends dem Fass den Boden aus“.45 Polony verzichtete nach seiner Rehabilitation auf das Amt des Kirchenkurators. Wenige Jahre später, 1936, brach ein Streit zwischen der Kirchenleitung in Hermannstadt und den Sächsischen Nationalsozialisten aus, in dem Konrad Möckel noch weniger neutral bleiben konnte als im Streit um die Honterusschule. Konrad Möckel und Viktor Glondys Konrad Möckel äußerte sich 1953 in den Erinnerungen im Zusammenhang mit der Bischofswahl 1932 und seiner Wahl zum Kronstädter Stadtpfarrer kritisch über die Amtsführung von Bischof Glondys: „Glondys hatte ich gelegentlich einer Landeskirchenversammlung in der Verfechtung seiner Ideen für das neue Pfarramtsgesetz erlebt, d. h. ich hatte dort schwer mit ihm gerungen. Es war nicht die Tatsache, daß wir, die wir gegen den damaligen Bischofsvikar Glondys standen, unterlagen, die mich zu seinem entschiedenen Gegner machte. Ich habe den traurigen Stolz, gegenüber der vielfachen, faszinierten Begeisterung für diesen Mann, damals schon gesagt zu haben: es werde ein Unglück für uns, wenn dieser Mann einmal Bischof bei uns sein sollte.“46

Die persönliche Abneigung allein, aus der Konrad Möckel kein Hehl machte, kann für das Urteil nicht maßgeblich gewesen sein. Woher diese Ablehnung? Warum so hart? Konrad Möckel war 1933 vierzig Jahre alt, Bischof Glondys fünfzig. Die beiden Männer arbeiteten im Rahmen der Landeskirche respektvoll, aber distanziert zusammen, Glondys gelang es nicht, die Stadtpfarrer von Hermannstadt und Kronstadt in seine kirchenpolitische Strategie einzubinden, vielleicht versuchte er es auch gar nicht.47 Die Verteidigung der Kirche und der Volkskirche und die Stärkung eines lebendigen Gemeindelebens ergaben sich schon aus ihren beruflichen Stellungen. Konrad Möckel hielt es für verhängnisvoll, dass Bischof Glondys die Landeskirche politisch und kirchenpolitisch statt geistlich führen wollte und dass er eher wie ein Kirchenfürst, weniger wie ein Oberhirte agierte. Das war wohl der Hauptvorwurf. In einem Brief an Professor Hans Beyer aus dem Jahre 1964 zitierte er zur Bekräftigung dieses Vorwurfs 44 Nachlass KM, Aktenordner DM Hds. 18, Brief von KM vom 9. Januar 1935 an Bezirksdechant Dr. Wilhelm Wagner. 45 Nachlass KM, Aktenordner DM Hds. 18, Brief von KM vom 10. Mai 1935 an Bezirksdechant Dr. Wilhelm Wagner. 46 Erinnerungen 1953/54, VII. 47 Das Tagebuch des Bischofs, sofern es veröffentlicht ist, lässt einen solchen Versuch nicht erkennen.

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aus einem Brief Hans Bernd von Haeftens an Herbert Krimm und identifizierte sich insofern damit: „Die Dinge treiben hier immer mehr einer schweren Krise zu ... In diesem Jahre ist Landeskirchenversammlung, auf der die Kirchenregierung für die nächsten sechs Jahre gewählt werden muss. Auf einen Vorstoss von gewisser Seite hat der Pfarrverein mit der Nominierung zweier Kandidaten geantwortet, deren einer M. in Kr. ist. Der Episcopus hat hiergegen schärfstens Stellung genommen, Kr. hat sich wie ein Mann hinter M. gestellt. Nun gräbt der Episcopus wieder die Oxforder Geschichte aus, um daraus gegen M. Verwürfe herzuleiten, die von Heckel längst massgeblich widerlegt sind. Diese Kontroverse ist aber natürlich nur die Rückstrahlung tiefer liegender innerer Vorgänge. Die sensationelle Äußerung des episcopus, er glaube nunmehr den Punkt gefunden zu haben, an dem er den Mythos in das christliche Dogma inkorporieren könne, wird hier weithin als die Einleitung einer DC-Ära gedeutet. Kommt sie, so kommt natürlich sofort die BK-Richtung. Und dann haben wir den ganzen Krach da, sowohl in der Kirche wie zwischen Kirche u. Volksführung. Ich brauche Dir, der Du die spezifische, historisch gewachsene Identität von Kirche und Volkstum hierzulande kennst, nicht zu schildern, was es dann für Scherben gibt. Nicht nur achthundert Jahre Geschichte, sondern die ganze Zukunft (!) kann darüber zu Bruch gehen! Ich denke du wirst diese Befürchtung auch ohne (hier nicht opportune) nähere Begründung verstehen. Es gärt hier enorm. Sturmzeichen überall. Der episcopus schwankend, glaubt, mit diplomatischen Kniffen die einen gegen die andern balancieren, überlisten zu können. Ja, er stelle nur ein Sandsieb gegen eine Lawine: er wird sich wundern. Welch ein ‚episcopus‘, der nicht weiss, dass eine Bewegung der Geister, wie sie hier anhebt, niemals mit Diplomatie paralysiert, sondern nur aus geistlicher Vollmacht bezwungen wird.“48

Glondys war 1932 zwar nicht volkstümlich, aber über die Grenzen der Landeskirche hinaus bekannt. Man kannte die Samariterpredigt und wusste von seiner Nähe zum konservativen Kronstädter Donnerstagabend. Beides, seine Absage an die Verstiegenheiten der Rassenlehre und sein Konservativismus, hatten seine Wahl zum Bischof nicht verhindert. Konrad Möckel sah 1932 voraus, dass mit der Wahl von Glondys zum Bischof Konflikte drohten, und er behielt damit Recht. Aber wären die Konflikte mit der Erneuerungsbewegung, von der Glondys nicht viel hielt, zu vermeiden gewesen? Waren die Konflikte nicht in der historischen Situation angelegt und unvermeidbar? Glondys scheute 1934 den Konflikt mit den radikalen Nationalsozialisten nicht. Er verfolgte unter dem Eindruck der zur Macht gelangten NS-Partei in Deutschland zugleich auch ein taktisches Konzept; denn er sah, dass er mit dem gemäßigten Flügel der rumäniendeutschen Nationalsozialisten unter Fritz Fabritius leben musste. Dieser Flügel war innerhalb der rumäniendeutschen Minderheit die stärkste politische Kraft. Das Abkommen 1934 zwischen Kirche und NEDR, man kann es das kleinsächsische Konkordat nennen, war gelungen, weil Glondys mit der Formel von der „friedlichen 48 Nachlass KM Archivmappe 8, Mappe „Verschiedene wichtige Briefe“. Brief KM vom 18. Oktober 1964 an Prof. Dr. Hans Beyer. Durchschrift, 4 Seiten, eng.

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Durchdringung“ die Rückendeckung von der Kirchenkanzlei in Berlin und vom Parteibeauftragten für das Auslandsdeutschtum Rudolf Heß erhalten hatte.49 Glondys scheint sich nach der Auflösung der rumänischen Parteien im Jahre 1938 dem Nationalsozialismus angenähert zu haben. Sein Verhältnis zu Konrad Möckel, immer schon schwierig, verschlechterte sich nach der Weltkirchenkonferenz in Oxford.50 Hätten Friedrich Müller oder Heinrich Rendtorff den antikirchlichen und antichristlichen Angriffen 1933-1936 im Bischofsamt besser widerstanden, den Nationalsozialisten weniger Zugeständnisse gemacht und die Volkskirche besser in den Abwehrkampf einbezogen? Wäre es Friedrich Müller besser gelungen, die Menschen guten Willens im politisierten, sächsischen Volk zu sammeln? Wäre es ihm gelungen, die Vergötzung des Volkes von kirchennahen und kirchenfernen Siebenbürger Sachsen zu vermeiden? Diese Fragen drängen sich auf, lassen sich aber nicht beantworten. Auch sie wären angegriffen worden; denn nicht allein Personen, wie die Nazis behaupteten, sondern die Volkskirche stand ihnen im Wege. Glondys musste 1941 unter dem Druck der Volksgruppenleitung abdanken. Seine schwankende Kompromisspolitik war nach dem Beginn des Krieges an der Macht der SS gescheitert. Seine Anlehnung an das Kirchliche Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland unter der Leitung von Bischof Theodor Heckel hatte ihn vor den Angriffen der SS nicht geschützt. Meinte Konrad Möckel mit seiner Kritik an Glondys dessen Schwanken zwischen kirchenpolitischer Härte einerseits und Kompromissbereitschaft andererseits? In dem Erlass 924/1936 übte Glondys die Kirchenzucht gegenüber kirchlichen Angestellten, Pfarrern, Lehrerinnen und Lehrern aus und begünstigte damit die gemäßigten Nationalsozialisten. Sie hatten in allen, auch in den meisten kirchlichen Gremien die Mehrheit. Man kann sagen, dass die Ev. Kirche A. B. in ihren Gremien beinahe schon gleichgeschaltet war, noch ehe die Volksgruppenleitung unter Andreas Schmidt Glondys zum Rücktritt zwang. Davon muss noch die Rede sein. Konrad Möckel warb 1932 und 1933 noch um den Wandervogel und um die Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft, so wie Rendtorff das in Mecklenburg-Schwerin mit den Nationalsozialisten in seinem Lande getan hatte. Es gab auch von Bischof Glondys anerkennende Bemerkungen zur Erneuerungsbewegung, etwa zu den freiwilligen Arbeitslagern. Als Konrad Möckel, inzwischen Stadtpfarrer in Kronstadt, 1936 den radikalen Flügel seiner ehemaligen Duzfreunde offen kritisierte, wurde er – genau so wie Glondys vorher – bald zur Zielscheibe von Angriffen.51 Konrad Möckel unterstützte Viktor Glondys 1934 und später in der Lutherakademie nicht nur von Amts wegen, sondern aus Überzeugung. Es habe sich im „kleinen Kreis 49 „... friedliche Durchdringung unseres Volkes mit den Ideen der Volkserneuerung, aber unter Vermeidung von Angriffsflächen gegenüber der rumänischen Regierung; und über die Beibehaltung der bisherigen antisemitischen Haltung ohne öffentliche Proklamierung des Antisemitismus. Tagebucheintragung von Viktor Glondys vom 25. Oktober 1933. 50 Davon soll im 8. Kapitel ausführlich die Rede sein. 51 Konrad Möckel: Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche. (HonterusBuchdruckerei und Verlagsanstalt) Hermannstadt 1936, 52 Seiten.

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ein ganz erträgliches Verhältnis“ ergeben. Vermutlich gingen sie nach dem Rücktritt Bischof Glondys’ zur Anrede Du über.52 Zu einer Freundschaft kam es nicht. Glondys hatte nach der Kenntnis Konrad Möckels kaum enge Freunde. Der wichtige Kontakt Konrad Möckels mit der Michaelsbruderschaft kam durch Bischof Glondys zustande. Walther Stökl, ein prominenter Vertreter des österreichischen Konvents, stellte 1934 in einem Schreiben an Bischof Glondys die Berneuchner Bewegung vor und bat um Namen und Anschriften von Pfarrern, die bereit sein könnten, „mit uns um eine Erneuerung der evangelischen Kirche zu kämpfen“.53 Glondys nannte in seinem Antwortbrief die Namen Konrad Möckel, Georg Wilhelm Seraphin und Hermann Rehner. In dieser Empfehlung lag eine Wertschätzung, und auch darin, dass er im Jahre 1937 Konrad Möckel beauftragte, ihn auf der Weltkirchenkonferenz in Oxford zu vertreten. Die Zusammenarbeit war in dieser Zeit, nach dem Tagebuch Glondys’ zu schließen, nicht gerade freundschaftlich, aber auch nicht feindselig. Dass das Konzept der Volkskirche scheiterte und Glondys mit ihm, lag, wenn überhaupt, nicht allein an seiner Person und Amtsführung. Zu mächtig und zu intrigant waren die nationalsozialistischen Gegner der Kirche. Es ist erstaunlich, dass er den wüsten Ansturm gegen seine Person in den ersten Jahren überstand, und erst als Rumänien die Stationierung deutscher Truppen und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien zugelassen hatte, musste er zurücktreten. Noch eine andere Seite am Urteil Konrad Möckels lässt Fragen offen. Wenn Glondys „bei uns“ Bischof werde, wie es in den Erinnerungen heißt, habe Konrad Möckel „ein Unglück“ befürchtet. Ist mit „bei uns“ an dieser Stelle die Volkskirche, das sächsische Volk oder sind beide gemeint? Die kritische Einschätzung wäre aus der Perspektive des auf Vermittlung bedachten Konrad Möckel des Jahres 1932 verständlich. Im Jahre 1953/1954 geschrieben, gibt sie Rätsel auf. Konrad Möckel traf den Kirchenhistoriker Hans Beyer auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin im Herbst 1964. Dieser berichtete dort über den Kirchenkampf in Siebenbürgen während der Nazizeit. Konrad Möckel war mit seinem Referat unzufrieden und drückte das in einem Brief an Barbara von Haeften drastisch aus. Er schickte Beyer im Anschluss daran einen ausführlichen Brief über Glondys.54 Dreimal habe er im Sommer 1964 in Vorträgen (in Wien, Rimsting und München) zu Glondys Stellung genommen und gesagt, dass zwei Männer „uns darüber belehrt haben, daß Volkskirche nicht die Selbstdarstellung des eigenen Wesens sein dürfe“, Pfarrer Georg Scherg und Viktor Glondys. Er lobte die Gabe zur systematisch-dogmatischen Formulierung des Bischofs. Aber er sei „nie wirklich ‚Vater‘ bei uns gewesen“. Er vermochte nicht „aus liebender Glaubensverantwortung in unsere Verhältnisse einzudringen“.55

52 53 54 55

Nachlass KM Aktenmappe 8. Brief von KM an Hans Beyer vom 18. Oktober 1964. Brief Walther Stökl vom 18. Juni 1934 an Konrad Möckel. Nachlass KM, Hds. DM 18. Nachlass KM Aktenmappe 8. Brief von KM an Hans Beyer vom 18. Oktober 1964. Ebda. Dazu Hans Beyer (1964).

Kapitel 7

Die Jahre des Frecker Kreises (1933-1936)

Drei Phasen im Kirchenkampf in Siebenbürgen Der Frecker Kreis verdankte sich einer Initiative Konrad Möckels und begann mit seinem Aufruf „Geistliche Arbeitslager“ in den Kirchlichen Blättern. In den Jahren 1934, 1935 und 1936 fanden dann im Kur-Sanatorium in Freck (Avrig) und in Klosdorf (Cloaşterf) mehrere Treffen unter diesem Namen statt.1 Bischof Glondys erwähnte in der Eröffnungsansprache zur 36. Landeskirchenversammlung im Jahre 1938 den „Frecker Kreis“ offiziell. Ein Bericht im Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland charakterisiert 1939 zwei Teilnehmer einer geplanten Tagung in Heltau mit der Bemerkung, dass sie „zum Kreise von Stadtpfarrer Dr. Möckel gehören“.2 Aus dem Frecker Kreis kamen auch die ersten Mitglieder des siebenbürgischen Konvents der Michaelsbruderschaft, den Konrad Möckel während des Krieges im Jahre 1941 gründete. Der Frecker Kreis markiert eine wichtige Stelle im Leben Konrad Möckels. Darüber hinaus kann er auch als Schlüssel zum Verständnis des siebenbürgischen Kirchenkampfes dienen, der schwer zu durchschauen ist, weil er sich in seiner mittleren Phase verhüllt vollzog. Man muss sich die Stelle des Frecker Kreises in der Biographie Konrad Möckels und in der Geschichte der Evangelischen Landeskirche vor Augen stellen und mehrere, scheinbar weit auseinanderliegende Vorgänge miteinbeziehen, um zu erkennen, was seit 1933 mit der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien geschah. Zunächst soll in einem Vorgriff ein Überblick über den Kirchenkampf gegeben werden. Es ist merkwürdig, dass man zwei völlig entgegengesetzte Thesen vertreten kann: 1. Es gab in der Ev. Landeskirche A. B. überhaupt keinen Kirchenkampf. 2. Nur wenn man den wüsten Streit 1 Konrad Möckel: Geistliche Arbeitslager. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), Nr. 42, 19. Oktober 1933, S. 423-426. Der siebenbürgische Gouverneur Baron von Brukenthal hatte in Freck ein kleines Schloss erbauen und einen ansprechenden Rokokogarten anlegen lassen. Nach dem Tode des letzten Erben ging das Schloss in den Besitz der Landeskirche über. Im 20. Jahrhundert war darin ein Sanatorium untergebracht. Auch KM hatte in den 20er Jahren dort eine Kneipp-Kur gemacht. Das Haus bot Übernachtungsplätze und Räume für Tagungen. Freck hatte Bahnanschluss und lag innerhalb des ehemaligen Königsbodens relativ zentral. 2 EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 734 (Fiche), Bericht vom 22. August 1939. Die Tagung fand wegen des Kriegsbeginns nicht statt.

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1934-1936

der 1930er Jahre als Kirchenkampf (als einen Volkskirchenkampf) versteht, kann man erkennen, was seit 1933 unter den Siebenbürger Sachsen geschah. Das wichtigste Merkmal des siebenbürgisch-sächsischen Kirchenkampfes lässt sich am prägnantesten an dem Ehrennamen „Volkskirche“ zeigen. In Deutschland begann der Kirchenkampf damit, dass Hitler meinte, für den deutschen Protestantismus einen Reichsbischof ernennen und aus den vielen regionalen Kirchen – es waren 28 – eine „Nationalkirche“ machen zu können. Das Ergebnis dieses politischen Eingriffs war die Entstehung der „Bekennenden Kirche“. In Siebenbürgen lagen die Verhältnisse gerade umgekehrt. Hier gab es eine einzige Kirche der „Sächsischen Nation“, zu der sich die große Mehrheit „bekannte“. Sie hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Kirche für alle deutschsprechenden Evangelischen erweitert. Aber ihr Kern war die ehemalige „Sächsische Nation“. Sie bestand als Rechtsköper nicht mehr, aber die Evangelische Kirche als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gab es, und sie war in Siebenbürgen um 1933 noch eine Volkskirche – auf dem Lande noch stärker als in den Städten. Das Hauptkennzeichen des siebenbürgisch-sächsischen Kirchenkampfes war die Verteidigung und die Zerstörung der Volkskirche. Der Kampf endete mit der Gleichschaltung der Ev. Kirche A. B. durch die SS Heinrich Himmlers. Woran Hitler in Deutschland 1933 gescheitert war – die Gleichschaltung der Landeskirchen über das Bischofsamt – das gelang im Kleinen der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenverhältnisse den Helfern Heinrich Himmlers. Die „geistlichen Arbeitslager“ gehören an das Ende der ersten Phase des siebenbürgisch-sächsischen Kirchenkampfes. In dieser Phase griffen die Nationalsozialisten die bestehende Volkskirche und hauptsächlich Bischof Viktor Glondys ohne Erfolg an. Diese Phase dauerte bis zu dem Abkommen des Jahres 1934 zwischen der NEDR und dem Landeskonsistorium. Einige Erneuerer im radikalen Flügel der NEDR sahen im Kompromiss eine Niederlage, obgleich er – aus Sicht der Nazis – auch als Erfolg gelten konnte. Der deutsche Gesandte in Bukarest hatte erfahren, dass das Landeskonsistorium sich nur schwer dazu durchringen konnte, das Abkommen zu unterzeichnen. Der Inhalt entsprach dem, was Rudolf Heß in seinem Brief an Fritz Fabritius vorgegeben hatte. Schon die „friedliche Durchdringung unseres Volkes mit den Ideen der Volkserneuerung“ war ein großes Zugeständnis an die Erneuerungsbewegung.3 Das kleinsächsische Konkordat, wie man es nennen kann, schrieb die Akzeptanz gegenüber der Erneuerungsbewegung als Partner fest. Damit sollte der Respekt der Erneuerer gegenüber der Landeskirche sichergestellt werden. Die radikalen Erneuerer wollten jedoch mehr, nämlich die Entmachtung des Bischofs. Der Streit mit der Amtskirche schlug in einen Streit um die Taktik der Erneuerungsbewegung im „Volkskirchenkampf“ um und endete mit der Spaltung der rumäniendeutschen Nationalsozialisten im Sommer 1935.4 Der Bruch innerhalb der rumäniendeutschen Nazi-Partei war nun in der Tat 3 4

Viktor Glondys. Tagebuch, S. 45. Darauf soll im nächsten Kapitel eingegangen werden.

Die Jahre des Frecker Kreises

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eine schwere Niederlage der Erneuerungsbewegung. Sie verlor die Legitimation, in der Frage der Volkskirche (zu der das deutschsprachige Schulwesen gehörte) mit einer einzigen politischen Stimme für alle Siebenbürger Sachsen zu sprechen. Die Spaltung hatte zwar mehrere Gründe, aber der gewichtigste war die Unzufriedenheit mit den Kompromissen, die Fritz Fabritius mit der Landeskirche und den konservativen Parlamentsabgeordneten der Einheitspartei geschlossen hatte. In der zweiten Phase des Kirchenkampfes stritten die beiden nationalsozialistischen Parteiungen, NEDR und DVR, erbittert um die Macht. Dieser innersächsische politische Kampf fand zwar scheinbar außerhalb der sächsischen Volkskirche statt. Aber das stimmt nicht. Parteigänger beider Seiten waren Kirchenmitglieder, Kirchentaxenzahler, Presbyter und Kuratoren. Daher zerstörte dieser Streit die Kirchengemeinden und die Volkskirche im Innern. Die Presbyterien wurden zu Orten erbitterter Auseinandersetzungen. Der Streit hatte eine eigene Dynamik. Hauptgegner waren Fritz Fabritius (Volksorganisation) und Alfred Bonfert (DVR), Freunde aus der Zeit vor 1933, nun unversöhnliche Gegner. Fabritius vertrat die gemäßigte, kompromissbereite Mehrheit der rumäniendeutschen Bevölkerung, Bonfert die radikalen Nationalsozialisten, etwa ein Fünftel der Rumäniendeutschen. Die zweite Phase des Volkskirchenkampfes endete damit, dass deutsche Behörden die beiden Protagonisten des Streites um die Macht 1938 entmachteten. Man lud sie nach Deutschland ein und nahm ihnen die Pässe ab. Beide mussten ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegen. Sie ließen eine geschwächte Volkskirche und eine geschwächte deutsche Minderheit zurück.5 Die dritte Phase begann anschließend und führte dann im Zweiten Weltkrieg schnell zu einer dramatischen Zuspitzung. Deutsche Truppen, als Lehrtruppen bezeichnet, zogen in Rumänien ein. Die SS Heinrich Himmlers schaltete über die „Volksdeutsche Mittelstelle“ sämtliche rumäniendeutschen Institutionen gleich, auch die Ev. Kirche A. B., ohne bei den Rumäniendeutschen selbst oder bei rumänischen Behörden auf eine nennenswerte politische Gegenwehr zu stoßen.6 Wenige Jahre zuvor hatte die ru5 Auf die Auseinandersetzungen um den Erlass des Landeskonsistoriums 924/1936 und um die Konferenz in Oxford gehen die Kapitel 8 und 9 ein. 6 Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI) war eine NS-Dienststelle, hervorgegangen aus der 1935 von Rudolf Heß gegründeten „Volksdeutschen Parteidienststelle“. Von 1936 bis 1945 leitete sie SS-Gruppenführer Werner Lorenz. Sie koordinierte die verschiedenen Organisationen und Aktivitäten der NS-Politik gegenüber den volksdeutschen Minderheiten im Ausland, nicht zuletzt deren Finanzierung, und verbreitete gleichzeitig die nationalsozialistische Weltanschauung. Mit der Ernennung Himmlers zum „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ 1939 wurde die Volksdeutsche Mittelstelle zum ausführenden Organ von Himmlers Umsiedlungs- und Volkstumspolitik. Sie organisierte die Transporte der sogenannten Rücksiedler ins Reich und sortierte sie nach ihrer rassischen und politischen Eignung für die Besiedlung der eroberten Territorien im Osten. Im Jahre 1941 gliederte Himmler die „Volksdeutsche Mittelstelle“ als Hauptamt in den Apparat der SS ein. (Nach Peter Widmann in: „Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß. München 1997, S. 785.)

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1934-1936

mänische Regierung, vermutlich im Zusammenspiel mit der konservativen sächsischen Einheitspartei, die freiwilligen Arbeitslager und die NSDR verboten. Nun legitimierte die Regierung unter Marschall Ion Antonescu unter dem Druck des Deutschen Reiches die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“. Diese war faktisch eine Außenstelle der SS in Rumänien mit einem Quisling an der Spitze aus den Reihen der Rumäniendeutschen.7 Die funktionalisierte Volkskirche Der Aufruf zu „geistlichen Arbeitslagern“ war der Versuch Konrad Möckels, die Volkskirche der Funktionalisierung zu politischen Zwecken zu entziehen. Ganz deutlich wird das, wenn man fragt, warum Konrad Möckel nicht auch weiterhin, wie er das noch im Jahre 1933 tat, in den Arbeitslagern der Erneuerungsbewegung mitarbeitete. Die Situation der evangelischen Pfarrer, darunter auch Konrad Möckel, die sich für die Bibelarbeit in den freiwilligen Arbeitslagern der Wandervogeljugend zur Verfügung stellten, war nach 1933 unhaltbar geworden. Dass der ehemalige Leiter des Südostdeutschen Wandervogels Pfarrer zur Teilnahme aufforderte, war der Bischof-Teutsch-Ära zu verdanken, die 1932 zu Ende ging. Die Leitung des Südostdeutschen Wandervogels ging damals noch von der volkskirchlichen Tradition aus, lehnte zugleich aber den verpflichtenden Charakter dieser Tradition ab – einer der zahlreichen Widersprüche dieser Zeit. Die bloße Teilnahme der Pfarrer an den Arbeitslagern war nach 1933 eine gravierende politische Entscheidung, ob die Pfarrer sich dessen bewusst waren oder nicht. Wie sie die Bibel auslegten, spielte für einzelne Teilnehmer, nicht aber für den Geist der Arbeitslager eine Rolle; denn nicht sie leiteten die Lager, sondern junge Männer, für die – bis auf wenige Ausnahmen – die Kirche nur insofern von Interesse war, als sie politisch funktionalisiert werden konnte. Die Teilnahme an den mehr und mehr nationalsozialistisch eingefärbten Arbeitslagern war daher auch dann Parteinahme, wenn die Pfarrer selbst kritisch neutral und politisch distanziert blieben. Schon allein die Teilnahme der Pfarrer bestätigte den nicht von ihnen bestimmten Geist der Lager. Das galt auch dann, wenn die Pfarrer die arisch-neuheidnischen Phantastereien über die nordische Rasse ablehnten oder bekämpften. Fragen der Volkskirche wiederum waren der Ansatzpunkt dafür gewesen, dass Konrad Möckel seit 1930 im Südostdeutschen Wandervogel mitarbeitete. Albert Klein (Bischof von 1969 bis 1990) war schon als Student in Klausenburg ernsthaft um einen Weg als Christ bemüht. Er bereitete im Rahmen der Älterenarbeit des Südostdeutschen Wandervogels die Richtwoche 1932 verantwortlich vor. Der Student und der junge Pfarrer verstanden sich, und beide waren bereit, im Sinne christlicher Erziehung mitzuarbeiten. Im Jahre 1931/1932 hatte der Südostdeutsche Wandervogel die Wahl zwischen einem Konzept Albert Klein/Konrad Möckel und einem Konzept Alfred Bonfert/Wilfried 7 Auf die dritte Phase gehen die Kapitel 10 und 11 ein. Vidkun Quisling, norweg. Politiker, 1945 hingerichtet. Sein Name wurde gleichbedeutend mit „Verräter“ oder „Kollaborateur“.

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Schenker. Solange man Pfarrer einlud, Bibelstunden zu halten, schien die volkskirchliche Tradition anerkannt. Zu dieser Tradition gehörte es, dass der „hochehrwürdige Herr Pfarrer“ im Dorf in Jugendfragen das letzte Wort hatte. Das wiederum war für den Südostdeutschen Wandervogel unerträglich, je mehr er sich politisierte. Konrad Möckel sah, dass der Weg des Wandervogels nicht sein Weg war, fühlte sich vor 1932 jedoch nicht missbraucht (Abb. 13). Er erkannte aber auch, dass eine Erneuerung der Kirche auf diesem Weg nicht zu erreichen war. Seine Vorträge fasste er in einem Aufsatz mit dem Titel „Ewige Gesetze“ zusammen – eine Auslegung der Zehn Gebote.8 Seit 1933 hatte er als Stadtpfarrer von Kronstadt in der Honterusgemeinde ein wichtiges Amt innerhalb der Landeskirche inne. Honterus hatte die (katholische) Kirche auf dem Königsboden reformiert. Konrad Möckel nahm einige Formen der Jugendbewegung in seine Arbeit auf, war jedoch überzeugt, er müsse seinen Weg der Erneuerung der Volkskirche, den er 1927 eingeschlagenen hatte, unbeirrt weitergehen, auch wenn andere nicht folgen wollten und entweder auf einem traditionell distanzierten Wohlwollen gegenüber der Kirche verharrten oder die Kirche bekämpften. Die Denunzierung des Bischofs beim Kirchlichen Außenamt Die spezifisch siebenbürgisch-sächsische Variante der Kirchenfeindlichkeit traf Bischof Glondys. Die Kampfmethoden stießen Konrad Möckel ab und ließen ihm im Streit keine Wahl. Der radikale Flügel der NEDR denunzierte Bischof Glondys bei der Reichsjugendführung, die daraufhin beim Kirchlichen Außenamt der EKD intervenierte, erst mündlich und dann schriftlich. Sie tischte Bischof Theodor Heckel die Samariterpredigt des damaligen Stadtpfarrers Glondys aus dem Jahre 1930 auf und beschuldigte ihn wegen einer freundlichen Geste gegenüber jüdischen Gemeindevertretern im Jahre 1933. Er hatte anlässlich einer Visitation auch Grüße von der ortsansässigen jüdischen Gemeinde erhalten und dankte in freier Rede auf Hebräisch.9 Oberkonsistorialrat Theodor Heckel war jedoch kein Nationalsozialist und schon vor 1933 zu Zeiten des evangelischen Kirchenbundes in das Außenamt berufen worden. Der Kirchenbund war die Vorgängereinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutsch8 Konrad Möckel: Ewige Gesetze. Gedankengang eines Vortrages in mehreren Arbeitslagern des Sommers 1933. Klingsor 8 (1933), S. 384-391. Es ging um Aktualität der Zehn Gebote. Albert Klein las den Aufsatz im Klingsor und schrieb nach einer Predigt von Prof. Karl Heim in der Stiftskirche in Tübingen vom 9. Dezember 1933 an KM: „Alles war mir neu und ungewohnt. Da brachte er plötzlich Gedanken, die ich ganz genau kannte, und beinahe wäre ich zur Überzeugung gekommen, er habe das Klingsorheft gelesen, in dem Du Deinen Vortrag aus dem Arbeitslager veröffentlicht hast. Was er über das dritte und vierte Gebot sagte, war wie wenn er sich mit Dir besprochen hätte, um mir dadurch eine Freude zu machen. Über dem Ganzen stand aber mit unerhörter Wucht das Wort Gal. 6.7 ‚Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten ...‘“ Nachlass KM, Hds DM Leitzordner 18. 9 EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 981 „Rumänien Allgemeines“ 1. Januar 1933 bis 30. April 1934 (nicht paginiert). Eingabe vom 28. März 1934.

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land (EKD).10 Heckel folgte den rumäniendeutschen Denunzianten nicht, die sich hinter der Reichsführung der Hitlerjugend versteckten. Er kannte die Verhältnisse in Siebenbürgen und ließ sich auch von den Angriffen der nationalsozialistischen Presse in Deutschland auf Bischof Glondys nicht beeindrucken. Glondys überstand die Angriffe im Völkischen Beobachter und in der rumäniendeutschen Nazi-Presse. Heckel unterstützte Glondys, als er Hilfe bei Rudolf Heß suchte. Heß war der Beauftragte der NSDAP für die Volksdeutschen und mahnte Fritz Fabritius in einem Brief zur Mäßigung.11 Damit schwächte er dessen Position und stärkte die des Bischofs. Der Leiter der NEDR hatte für die Angriffe seiner Partei gegen die Kirche und gegen den Bischof in der Öffentlichkeit geradezustehen. Er entschloss sich zu einem Abkommen mit der Ev. Kirche A. B.12 Konrad Möckel konnte bei diesen bis dahin unerhörten Angriffen auf den Bischof der Ev. Landeskirche A. B. aus Nazi-Kreisen, die dem Südostdeutschen Wandervogel nahestanden, nicht neutral bleiben, zumal das ganze Sachsenland beunruhigt war.13 Aber er wollte die Jugendlichen aus dem Wandervogel auch nicht pauschal verloren geben. Er beklagte gegenüber Albert Klein14 den Vertrauensverlust: „Was mich bei all dem persönlich besonders schmerzt, ist die Tatsache, dass ich der Jugend – gerade auch der Wandervogeljugend (wenigstens zum Teil) – immer verdächtiger erscheine, immer mehr in ihren Augen die Erneuerungsbewegung verrate.“15

Es gab die Wandervogeljugend damals strenggenommen nicht mehr. Sie war freiwillig eine S.A.M. (Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft) geworden, und sie hatte den Wandervogel verraten. Es gibt außer den Briefen Albert Kleins keine Zeugnisse führender Wandervögel, die erkennen lassen, dass sie Konrad Möckel verstanden und ihm zugestimmt hätten. Bei einfachen Mitgliedern dürfte es anders gewesen sein. Das Vertrauen der Leitung galt der Person Konrad Möckels, nicht seiner Botschaft. Das wurde ihm jetzt 10 Konsistorialrat Theodor Heckel gehörte der oppositionellen Jungreformatorischen Bewegung an. In seinem Amt geriet er unter Druck und passte sich den neuen Machtverhältnissen an. 1934 erhielt er den Titel Bischof. Es gelang ihm, sich im Amt zu behaupten und es bis 1945 zu leiten. Andere, wie der Präsident des Kirchenbundes Hermann Kapler, mussten 1933 gehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Urteil über den kompromissbereiten Bischof Heckel streng aus, auch wenn er einen Mann wie Eugen Gerstenmeier im Kirchlichen Außenamt hatte anstellen und halten können. 11 „Die besondere Lage des Auslandsdeutschtums erfordert die Vermeidung jedes Anscheins einer Abhängigkeit von reichsdeutschen Stellen, welche das Auslandsdeutschtum als eine Art Expositur des Deutschen Reiches erscheinen lassen könnte und unnötigerweise Möglichkeiten zum Einschreiten bietet.“ Der Brief Rudolf Heß’ vom 25. Oktober 1933 an Fritz Fabritius ist abgedruckt in Viktor Glondys: Tagebuch. Dinklage 1997, S. 46-47 (Anmerkung 126). 12 Auf dieses „Kleinsächsische Konkordat“ soll im folgenden Kapitel noch einmal kurz eingegangen werden. 13 Viktor Glondys: Zur Klarstellung der Lage. 1934 Nachlass KM, Archivmappe 27. 14 Von 1969 bis 1990 Bischof der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien. 15 Nachlass KM, Hds 18, Brief vom 4. Juni 1934 an Albert Klein.

Die Jahre des Frecker Kreises

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klar. Gerade die politisch Aktiven kehrten sich von ihm ab, als sie sahen, dass er ernst meinte, was er sagte. Halb und halb gab er die Erneuerungsbewegung auch nach 1933 noch nicht preis. Die persönlichen Anfeindungen der nächsten Jahre zeigten dann eindeutig, dass er von der Leitung des Südostdeutschen Wandervogels im Grunde nie verstanden oder – wenn verstanden – abgelehnt worden war. Es war konsequent, dass er sich trennte und mit den geistlichen Arbeitslagern eine alternative Lösung der kirchlichen Erneuerung suchte. Er rief dazu im Oktober 1933 auf – ein geistliches Konkurrenzunternehmen zu den Arbeitslagern, das damals aber nicht entfernt jemand so sah. Er kündigte seinen Plan Albert Klein an, der in Tübingen studierte, und lud ihn dazu ein. Von ihm hörte er, dass in dessen Umkreis alle Verantwortlichen in der S.A. oder im Arbeitsdienst aus der deutschen Jugendbewegung hervorgegangen seien: „Sie haben heute – nach dem äußeren Sieg [–] noch etwas zu sagen, und sie führen heute den Kampf gegen Verflachung, die von den so zahlreichen Vertretern einer sturen Ideologie her droht.“16

Verflachung und sture Ideologie, das war eine Verharmlosung der politischen Verrohung, die mit der Regierung Hitler/Papen in Deutschland begann. Konrad Möckel bestätigte Kleins Beobachtung für Siebenbürgen. Auch er erkannte das Ambivalente dieser – scheinbar wünschenswerten – Bewährung der ehemaligen Wandervögel unter den neuen Umständen der Naziherrschaft nicht, sondern sah in den geistlichen Arbeitslagern eine Chance, „den Erneuerungsgeist des WV in unser Volk hinein zu tragen“.17 Wenn er von einem „Geist des Wandervogels“ sprach, meinte er die positiven Erfahrungen, die ihn mit dem Wandervogel verbanden und einen Geist, wie er – seiner Meinung nach – sein sollte. Er ahnte jedoch auch, dass die bisher versteckten Konflikte hervorbrechen würden: „Es kommt bei uns ein grauenhaftes Chaos.“18 Was 1930 mit der Tagung in Reen für die Älteren im Wandervogel gut begonnen zu haben schien, das entgleiste schon vor der „Machtergreifung“ Hitlers, aber danach erst recht. Albert Klein schrieb ihm Ende des Jahres 1934: „In den Führerschulen der Hitlerjugend, der S. A. und aller Organisationen ist der heidnische Grundton selbstverständliche Voraussetzung aller Schulungsarbeit.“19

Konrad Möckel bekam es in Kronstadt sehr bald mit dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch zu tun. Er richtete sich nicht nur gegen die volkskirchliche Verankerung der Kirche. Ein Beispiel ist der Streit um den Siebenbürgischen Frauenverein, der 1934 sein 50-jähriges Jubiläum feierte.

16 17 18 19

Ebda. Ebda. WV = Wandervogel. Nachlass KM, Hds 18, Brief KM an Albert Klein vom 15. Dezember 1933. Albert Klein am 18. Dezember 1934 an Konrad Möckel. Nachlass KM, Hds DM 18.

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Die totale Weltanschauung und die Einheit der Minderheit Die Vorsitzende des Siebenbürgischen Frauenvereins, Hilda Schullerus, lud Magdalene von Tiling (1877-1973) ein, den Festvortrag zu halten.20 Frau von Tiling war eine angesehene Parlamentarierin, Pädagogin und Schriftstellerin und gab die Zeitschrift „Evangelium und Schule“ heraus. Der Besuch eines prominenten reichsdeutschen Gastes wäre noch zwei Jahre vorher in Siebenbürgen Anlass zu einem herzlichen Empfang gewesen und eine willkommene Gelegenheit zur Demonstration sächsischen Lebenswillens und der Liebe zur deutschen Kultur. Nun bewies die NEDR ihre enge, nationalsozialistische Gesinnung. Gegen gute Tradition und guten Anstand versuchte sie den offiziellen reichsdeutschen Gast des Siebenbürgischen Frauenvereins öffentlich bloßzustellen. Magdalene von Tiling hatte als Abgeordnete im Preußischen Landtag bis zur Auflösung aller demokratischen Parteien die DNVP Gustav Stresemanns vertreten. In den Augen der sächsischen Nazis gehörte die Baltin daher zum System, das es zu bekämpfen galt. Sie würdigte in ihren Vorträgen die Einheit von Kirche und sächsischem Volk, welche die rumäniendeutschen Nazis heftig bestritten, und sie fand, „dass das neue Deutschland um all das ringe“, was in der Volksgemeinschaft der Siebenbürger Sachsen „geschichtlich gegeben“ sei.21 Die Sachsenburg und der Ostdeutsche Beobachter wiesen diese Aussage „aufs schärfste“ zurück und belehrten den offiziellen Gast, es gehe in Siebenbürgen gar nicht um die Einigkeit, sondern „um den Durchbruch einer neuen Weltanschauung“.22 Frau von Tiling verkehre zudem nur in „bestimmten Kreisen“, und sie erbaten sich taktlos vom Gast „mehr Takt“. Konrad Möckel lud Frau von Tiling ins Burzenland zu Vorträgen ein. Sie kam nach der Jubiläumsveranstaltung in Hermannstadt auch nach Kronstadt und fand allgemeinen Anklang. „Wir werden hier von dieser wunderbaren, tiefgläubigen und dabei so nüchternen Art noch sehr viel zu lernen haben und noch lange von diesem Besuche zehren. Was uns da entgegentrat, war die neue Kirche und ihre Botschaft, die nun wirklich in der Lage ist, den heutigen deutschen Menschen zu erreichen.“23

Dieser Vorfall erhellt den Widerspruch in der NEDR. Im Namen einer zukünftigen, ungewissen Einheit des sächsischen Volkes zerstörten ihre Leute blindwütig die gefährdete gegenwärtige. Konrad Möckel schrieb dem Vorsitzenden des Volksrates Dr. Otto Fritz Jickeli, mit dem er verwandt war,24 einen empörten Brief. Gegenüber Albert Klein, der in Tübingen studierte, klagte er: 20

Hilda Schullerus war die zweite Frau von Adolf Schullerus und die (Stief-)Schwiegermutter Konrad Möckels. 21 So gab es Konrad Möckel in einem Brief an Albert Klein am 4. Juni 1934 wieder. Konrad Möckel Nachlass, Hds DM 18. 22 Ebda. 23 Ebda. 24 Der Brief ist im Nachlass nicht vorhanden, wohl aber ein Schreiben, in dem Konrad Möckel Jickeli versichert, dass er mit seinem „Stiefgeschwisterenkel“ rechnen könne. Konrad Möckel

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„Die Jugend bemerkt nicht, wohin sie selbst abgerutscht ist, in welchen Händen sie sich geistig und seelisch befindet.“25

Die nationalbolschewistischen Methoden im Kirchenkampf in Siebenbürgen entsprachen denen in Deutschland jedoch nur zum Teil. Ein Vorfall aus Mecklenburg-Schwerin kann den Unterschied klar zeigen. Heinrich Rendtorff, den Fritz Fabritius 1932 zum Bischof der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien hatte kandidieren wollen, geriet ins Visier der Nationalsozialisten. In seiner Landeskirche stellten die Nationalsozialisten im Juni 1934 sieben Pastoren vor ein Sondergericht. Sie waren nach der Verordnung des Reichspräsidenten „Zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ angeklagt worden (Scholder, Band II, 1988, S. 217-218).26 Mit diesem willkürlich anwendbaren Gesetz konnte jede Kritik am nationalsozialistischen Staat mit Mitteln der Justiz unterdrückt werden. Solche Methoden konnten die Nationalsozialisten in Rumänien nicht anwenden. Ihnen stand kein Justizapparat zur Verfügung, den sie hätten für ihre Zwecke missbrauchen können. Daher erschienen die Angriffe auf die Volkskirche den siebenbürgischen Zeitgenossen harmloser, als sie in Wirklichkeit waren. Es bildete sich keine Bekennende Volkskirche, obgleich der „Frecker Kreis“ ein erster Schritt auf dem Wege dahin war. Die rumänischen Gerichte schützten die Kirchen vor Angriffen, wie sie in Deutschland mit Hilfe einer politisch missbrauchten Justiz möglich waren. Konfirmandenlager Konrad Möckel veranstaltete „zweimal mit erneuerungsbewegten Freunden zusammen in den Osterferien Konfirmanden-‚Lager‘ in Rosenau“.27 Die Konfirmandenlager waren kein Probelauf für die „geistlichen Arbeitslager“, sondern entstanden zugleich mit ihnen. Sie belegen, dass Konrad Möckel schon bald nach 1933 nicht nur überparochial, sondern auch in der Gemeindearbeit neue Wege ging, um die Energie, die er in der Jugendbewegung erkannt hatte, der evangelischen Gemeindearbeit zuzuführen: „Dies war der Antrieb dazu: nicht bloß von den Dingen des Glaubens reden, sondern sie verantwortungsbewußt im gelebten, erlebten Leben erfahren dürfen. Nicht nur Theologie, sondern frommes Leben! Gemeinsames Leben vom Morgen bis Abend im Gebet, in Singen, Bibel-studieren, auch in Essen, Trinken, Spielen, Lachen, Scherzen und Tanzen! Ein lebendiges Beweisen, daß der christliche Glaube nicht neben dem Leben, sondern im Leben steht und für das Leben ist. Auch für das Leben jugendlicher Menschen! – So wurden die Tage, die wir gemeinsam in Rosenau erlebten, Nachlass, Hds DM 18. Brief von Konrad Möckel an Otto Fritz Jickeli vom 23. November 1933. 25 Konrad Möckel am 4. Juni 1934 an Albert Klein. Nachlass KM Hds DM 18. 26 Erlassen am 21. März 1933. 27 Rosenau (Râşnov) ist ein Dorf mit einer imponierenden Fliehburg, etwa 12 km von Kronstadt entfernt.

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wegweisend für das Suchen nach der Kirche. Hatte nicht die Jugendbewegung in unserem Wandervogel bereits einen neuen Weg betreten zu neuem urwüchsigem Gemeinschaftsleben? Waren auf diesem Boden nicht schon neue, schöne Lebensformen entstanden? Mußte man denn nicht bloß aus all dem die Folgerung ziehen und die christliche Botschaft, das geistliche Lied, die herben und keuschen Formen zuchtvollen Gebetes in der Gemeinschaft zum Mittelpunkt, zum Hauptinhalt all dieses jungen Lebens machen, um das Leben der Kirche verwirklicht zu haben?“28

Mitarbeiter im ersten Konfirmandenlager in Rosenau (Râşnov) vom 22.-28. April 1935 waren der Ortspfarrer von Rosenau, Dr. Wilhelm Seraphin, Lehrer Erich Bergel; ferner Fritz Cloos, der Leiter der Stephan-Ludwig-Roth-Schar, Oskar Löffler, cand. theol.; der Leiter des CVJM, Norbert Puri, die Lehrerin Gerta Barthmes, eine Cousine Dora Möckels, Erika Gross und Frau Auguste Waber, die Eigentümerin des Heimes in Rosenau. Außerdem besuchte die Direktorin der Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt in Kronstadt, Frau Dr. Dora Heltmann-Capesius, das Lager gastweise. Die Zusammensetzung dieser Leitung beweist, dass Konrad Möckel sich von der Erneuerungsbewegung nicht bruchartig abwandte. Fritz Cloos gehörte später zu den engen Mitarbeitern Andreas Schmidts. Zum Lager meldeten sich von den rund 80 Konfirmanden des Jahrgangs 1934/1935 mehr als die Hälfte an. Es gab eine Lagerordnung und Gruppenführer aus den Reihen der Jugendlichen. Der Tageslauf war von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends klar strukturiert. Im Mittelpunkt stand die Bibelarbeit um die Gestalt des Petrus. Die Auslegung lehnte sich eng an die Bibel an: die Berufung – der lernende Petrus – die Versuchung –- der Fall – der Apostel. Dazu Arbeitsgemeinschaften zu Themen wie Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Mut und Heldentum, Ehre, Freiheit. Die Teilnehmer verpflichteten sich, alle Veranstaltungen zu besuchen und das Lager nur mit Erlaubnis der Leitung zu verlassen. Die Woche war ein Erfolg. Der Maler Eduard Morres schrieb zustimmend: „Ihr Arbeitslager in Rosenau möchte ich als das erste entschiedene Zeichen begrüßen, dass unsere Jugend sozusagen von Amtswegen von einem Vertreter der älteren Generation so angepackt wird, wie sie angepackt werden muß.“29

Eine für die Erziehung eines Konfirmanden Verantwortliche fand ihren Neffen nach der Rückkehr aus dem Lager verwandelt und bedankte sich dafür. Er besuchte die fünfte Klasse des Gymnasiums (Quinta). Zu ihrer Überraschung hatte Oskar Löffler nur Gutes von ihm berichtet. Sie „glaubte gar nicht recht zu hören“ und bat Konrad Möckel um Hilfe in Erziehungsfragen auch für sich. Der Stadtpfarrer berichtete dem Presbyterium vom Konfirmandenlager. Die Kirchlichen Blätter und Tageszeitungen berichten ebenfalls.

28

Erinnerungen 1953/54, VIII. Nachlass KM, Hds DM 5, Mappe „Konfirmandenlager Rosenau vom 22. bis 28. April 1935“, Brief von Eduard Morres an Konrad Möckel vom 26. April 1935. 29

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Im folgenden Jahr nahmen 16 Jungen und 32 Mädchen am Konfirmandenlager teil.30 Zur Leitung gehörte diesmal der Jugendwart Walter Schullerus, Oskar Löffler, Georg Halmagy, Erika Karres, Erika Gross, Paula Orendi und Frau Guste Waber. Fritz Cloos war nicht mehr dabei. Es schien, als sollten Konfirmandenlager eine jährliche, anerkannte Sitte der Honterusgemeinde werden. Sie standen jedoch unter keinem guten Stern. Im Jahr 1937 war vor Ostern alles fertig geplant, als Konrad Möckel schwer erkrankte und das Lager absagen musste. Im Jahre 1938 verweigerte die Militärbehörde die Bewilligung wegen des im ganzen Lande verhängten Belagerungszustandes.31 Die Konfirmandenlager können daher nur bedingt als ein Modell für die geistlichen Arbeitslager gesehen werden, obgleich Konrad Möckel es 1953/1954 in seinen Erinnerungen so sah. Die Idee der jährlichen Konfirmandenlager scheint auch nicht über Kronstadt hinausgedrungen zu sein. Entfremdung und Trennung vom Südostdeutschen Wandervogel Indem Konrad Möckel Formen der Jugendbewegung in der Gemeindearbeit fruchtbar zu machen suchte, distanzierte er sich schrittweise vom Südostdeutschen Wandervogel. Aber es galt wohl auch das Umgekehrte: Nach einer Zusammenarbeit von vier Jahren wollte die Leitung des Südostdeutschen Wandervogels von Konrad Möckel nichts mehr wissen. Er hatte die Jugendlichen in der „Älterenarbeit“ mit Gottesdiensten, Referaten und Bibelstunden begleitet. Die Anstecknadel in Silber des Südostdeutschen Wandervogels schätzte er wert. Aber nun erkannte er, dass seine Vorstellungen von der Erneuerung der Volkskirche mit der Jugendbewegung nicht zu verwirklichen waren. Zu viele und zu große, unvereinbare Gegensätze stellten sich nach 1933 heraus. Der Aufruf zu geistlichen Arbeitslagern dokumentierte daher in seinem Leben einen Neuanfang, der die Absage „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ (1936) möglich machte.32 „So trennte sich denn mein Weg vom Wandervogel, in dem ich bereits zum innersten Kreis gehörte, haargenau in dem Augenblick, als diese Jugend von der braunen Dämonie überwältigt wurde. Ich war zu sehr, zu wach auf der Suche nach der Kirche, nach der lebendigen christlichen Kirche, als daß ich mich auch nur kurze Zeit der Täuschung hätte hingeben können, daß man hier die wahre Lösung finden werde für das, was im Grunde jeder Mensch ersehnt: wahre Gemeinschaft im Einklang mit Gott und den Menschen.“33

Die Trennung ging nach 1933 nicht in einen klaren, geschweige denn in einen politischen Widerstand über. Die Wendung „von der braunen Dämonie“, die er schon vor 30

Nachlass KM, Hds 5 Konfirmandenlager Rosenau 13.-17. April 1936. Der Belagerungszustand stand im Zusammenhang mit dem Übergang des parlamentarischen Systems in eine vom König geleitete Diktatur. 32 Die Schrift soll im nächsten Kapitel behandelt werden. 33 Erinnerungen 1953/54, IX. 31

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dem Zweiten Weltkrieg gebrauchte, könnte missverstanden werden. Auch wenn ein Pfarrer keine Politik machen wollte, konnte er den Wandel, der auch die Kirchengemeinden betraf, nicht tatenlos sich selbst überlassen – ein Wandel, der sich auf dem Lande und in den Städten rasch vollzog. Er wollte die Jugendlichen für die Kirche gewinnen – und nicht nur in Kronstadt, und er suchte dafür Verbündete. Zu seinem Umdenken trugen auch Erfahrungen im Kronstädter Pfarramt bei. Im November 1933 gratulierte er Otto Fritz Jickeli, der gerade Volksratspräsident geworden war. Alles komme darauf an, „dass wir uns wirklich auf der innern Linie sammeln“, schrieb er, und meinte mit „wir“ alle drei Kräfte, die Volksorganisation, nunmehr in den Händen der Nationalsozialisten, die konservativen Politiker und auch die Verantwortlichen für die Kirche. Er traute Jickeli zu, in dem Streit zwischen Landeskirche, NEDR und den Konservativen vermitteln zu können. Bei der Bischofswahl 1932 hatten sich die konservativen Alten durchgesetzt, bei der Volksratswahl 1933 die nationalsozialistischen Jungen. Die scharfen Auseinandersetzungen, so meinte Konrad Möckel, könnten jetzt aufhören und die in den Wahlkämpfen geschlagenen Wunden heilen. Seit er in Kronstadt saß, war ihm klar, „dass ich nicht dazu berufen bin, selber Politik zu machen – auch nicht Kirchenpolitik“.34 Das hatte unter anderem das Scheitern der Kandidatur Bischof Rendtorffs im Jahre 1932 bewiesen. Seine Linie sei „der strenge Innenaufbau der Kirche“.35 In der Honterusgemeinde türmten sich neue praktische Aufgaben. Das lag weit entfernt von den Ideen des Südostdeutschen Wandervogels, der im Namen des Deutschtums das Christentum je nachdem gelten ließ oder auch ablehnte und bekämpfte. Bei der älteren Generation sah er „zynisches Abwarten“, bei der jüngeren „fanatisches Aufbegehren“. Beides erfüllte ihn mit Sorge. Arbeitslager in Schlesien und geistliche Arbeitslager Konrad Möckel lernte die Arbeitslager über den Südostdeutschen Wandervogel kennen. Arbeitslager als eine Form gelebter Jugendbewegung und zugleich der Erwachsenenbildung waren seit 1928 durch die Freiwilligen Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten im Boberhaus in Löwenberg (Lwówek Śląski) in Niederschlesien in ganz Deutschland bekannt geworden.36 Sie dauerten drei Wochen lang. Es ging im Löwenberger Modell um eine anspruchsvolle, intellektuelle Gesprächs- und Begegnungsform Jugendlicher. Vorträge und Aussprachen standen im Gleichgewicht mit Stunden körperlicher Arbeit. Am Abend fanden Volkstänze statt, wurde musiziert oder Theater geprobt. An einem Tag wanderten die rund hundert Jugendlichen im Eulengebirge. Es folgten nach diesem neuen Konzept am gleichen Ort zwei weitere Lager 1929 und

34

Konrad Möckel an Otto Fritz Jickeli am 23. November 1933. Ebda. 36 Dudek, Peter: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und Freiwilliger Arbeitsdienst 1920-1935. Opladen 1988. 35

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1930. Einer der Protagonisten dieser Arbeitslager, Hans Dehmel, Leiter der Schlesischen Jungmannschaft, heiratete 1929 eine Kronstädterin.37 Das niederschlesische Modell strahlte in ganz Deutschland aus und erreichte auch Siebenbürgen. Es kam allerdings erst zur Wirkung, als die Nationalsozialisten die Idee der Arbeitslager zum Zweck der Massenlenkung umfunktioniert hatten. Eines der Ziele der schlesischen Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten von 1928-1930 war die Verständigung und Überwindung von Fremdheit durch offene und zugleich tolerante Aussprache. Die „Löwenberger Arbeitsgemeinschaft“ lud zu den freiwilligen Arbeitslagern Angehörige verschiedener sozialen Schichten (Arbeiter, Bauern und Studenten) ein, und zwar in Gruppen. Sie ließen die Angehörigen dieser Gruppen ihre politischen Anschauungen, Nöte und Hoffnungen in geeigneten Veranstaltungsformen (Gruppenarbeit, Podiumsdiskussionen) aussprechen – untereinander und vor aktiven Politikern und Verwaltungsbeamten. Im Hintergrund stand ein Sozialprogramm, das der damals erst 20-jährige Helmuth James von Moltke angeregt hatte. Die Gegenüberstellung strittiger Meinungen in respektvoll-tolerantem Geist relativierte simple Urteile und Vorurteile und konfrontierte die Jugendlichen mit dem harten Geschäft staatlicher Verwaltung, mit den Zwängen der Wirtschaft und mit der Komplexität von Politik und Gesellschaft. Angehende Akademiker, Jungbauern und Gewerkschaftsjugend begegneten sich im Allgemeinen im Alltag – außer im Berufsleben – kaum. Alle lebten sie in ihrem jeweiligen Milieu und gingen sich aus dem Wege. Die dreiwöchigen Lager im Boberhaus dagegen übten das zivilisierte Streitgespräch zwischen Gruppen ein, die sich fremd und gleichgültig, wenn nicht feindlich gegenüberstanden. Die Handarbeit vormittags ermöglichte eine beiläufige, unreflektierte Kommunikation und hatte eine pädagogische, keine ökonomische Funktion. Sie sollte die Türe zum Verständnis der Angehörigen der anderen Gruppen öffnen. Die Arbeit brachte wohl auch etwas Geld in die Lagerkasse, aber schwerer wog das Gemeinsame der Arbeit. Gemeinsame Handarbeit ging verbaler Kommunikation voraus und machte das Sprechen miteinander oft überhaupt erst möglich. Die schlesischen Arbeitslager waren nicht für einsame, seelisch nackte Individuen gedacht, die sich nach Gemeinschaft und romantisch-wärmenden Lagerfeuern sehnten, sondern für Jugendliche, die beinahe schon zu sicher und zu fest in ihren Bezugsgruppen (Arbeiter, Bauern und Studenten) lebten. Die Sicherheit der engen Gruppen sollte erschüttert, nicht gefestigt werden. Das Arrangement des Lagers ließ zwar jeden in seiner Gruppe, ermöglichte ihm aber zugleich, sich anderen Gruppen zu öffnen. Eine weitere Methode, die auf diese komplexe Annäherung zielte, war das Erzählen der Lebensläufe in Kleingruppen, in denen sich Arbeiter, Bauern und Studenten mischten. Die unterschiedlichen Konfrontationen ließen Unterschiede und Gemeinsamkeiten entdecken und Spannungen aushalten. Die schlesischen Arbeitslager waren ein neues didaktisches Mittel der parteipolitisch neutralen Erwachsenenbildung, der Andragogik. Breslauer Universitätsprofessoren 37

Hilde Dehmel, geb. Roth.

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unterstützten die Lager genauso wie der sozialdemokratische Regierungspräsident und der Zentrumsabgeordnete Heinrich Brüning, der spätere Reichskanzler, und der parteilose preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker. Der Geist dieser Arbeitslager half die demokratische Weimarer Republik zu stabilisieren – letztlich leider ohne nachhaltigen Erfolg.38 Die Arbeitslager der organisierten rumäniendeutschen Wandervogeljugend in den Jahren 1932 und 1933 waren von diesem demokratischen und toleranten Geist weit entfernt. Hier dominierte die schwüle nationale, ja nationalistische Nestwärme. Es gab keine gewerkschaftliche oder kirchliche Jugend, die ein Gegengewicht gegen den national begeisterten Wandervogel im Südosten hätte bilden können. Bruder- und Schwesterschaften auf dem Lande waren zwar gesellschaftliche Formen organisierter Dorfjugend, hatten aber in den meisten Fällen zu wenig Substanz und wären dem Südostdeutschen Wandervogel bei einer Konfrontation nicht gewachsen gewesen. Den ursprünglichen leitenden Gedanken der Arbeitslager im Boberhaus, die Einübung kultivierter Formen im zivilen Streit, verstanden die Organisatoren der Arbeitslager in Siebenbürgen entweder nicht oder lehnten ihn ab. Es herrschte die diffuse Vorstellung von „nationalem Kampf“. Auch die rumäniendeutsche Jugend sang „Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt; denn heute, da hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“, ohne zu ahnen, dass sie sich damit auf einen Weg locken ließ, der mit fröhlichem Lagerleben begann und wenige Jahre später in die Kasernenhöfe der Waffen-SS einmündete.39 Die Arbeistlager in Rumänien öffneten zwar Jugendlichen aus Siebenbürgen das Verständnis für Jugendliche im Banat, der Bukowina, in Bessarabien und in Bukarest, aber die Abneigung gegen alles Nichtdeutsche bauten sie nicht ab, sondern verstärkten sie. Außerdem entfremdeten sie die Jugend den angestammten Kirchen und infizierten sie mit dem Nazi-Geist. Gemeinsame Arbeitslager von Gruppen rumänischer, ungarischer und deutscher Jugendlichen hätten der Intention der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft entsprochen. Sie wären im Rumänien dieser Jahre jedoch undenkbar gewesen. Die Fokussierung der Lager auf nützliche Arbeit für verarmte Gemeinden, so wünschenswert sie im Einzelfall gewesen sein mochte, war eine Karikatur auf das schlesische Modell. Die Arbeitslager erwiesen sich trotzdem als ein starkes Mittel der Erziehung – im 38 Siehe dazu Peter Dudek: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und Freiwilliger Arbeitsdienst 1920-1935. Opladen 1988. – Manfred Göbel: Katholische Jugendverbände und freiwilliger Arbeitsdienst 1931-1933. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, hg. von Ulrich von Hehl. Reihe B: Forschungen, Band 103. Paderborn, München, Wien, Zürich 2005. – Christian Illian: Der evangelische Arbeitsdienst. Krisenprojekte zwischen Weimarer Demokratie und NS-Diktatur. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialen Protestantismus. Religiöse Kulturen der Moderne Band 12. Gütersloh 2005. – Joseph Wittig: Es werde Volk! Versuch einer ersten Geschichte des Löwenberger Arbeitslagers im Frühjahr 1928. Waldenburg 1928. 39 Das Lied stammt von Hans Baumann. Es wurde meist in der Umdichtung gesungen: „... denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“

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Guten wie im Bösen. Sie weckten zwar die Bereitschaft zu freiwilligem Dienst für die Allgemeinheit, infiltrierten aber die Freiwilligen in den Jahren 1932 bis 1936 folgenschwer mit den verhängnisvollen Ideen des Nationalsozialismus. Nationalsozialistisch galt den Jugendlichen als deutsch – deutsch waren sie und wollten es sein. Die rumänischen Behörden und die sächsischen Konservativen erkannten die Ambivalenz der Arbeitslager. Den meisten Zeitgenossen fiel nur die freiwillige Handarbeit auf, die Indoktrination mit antidemokratischen, antichristlichen und antisemitischen Parolen nur wenigen. Die Bukarester Regierung, aufgeschreckt durch die rumänische Spielart des Faschismus, die „Eiserne Garde“, wehrte sich gegen die sächsischen und schwäbischen Arbeitslager der Selbsthilfebewegung und verbot sie. Konrad Möckel erkannte die Grenzen. Im Jahr 1932 hatte er seine Mitarbeit im Südostdeutschen Wandervogel noch in einem Atem mit seiner Berufsarbeit in der Gemeinde Großpold gerechnet, „zum stetigen Bau“. Davon konnte nun nicht mehr die Rede sein. Aufruf zu einem geistlichen Arbeitslager Auf der einen Seite eine politisierte, sich selbst überschätzende Jugend, auf der anderen Seite eine wenig inspirierte, hilflos reagierende Amtskirche in Geldnot40 – in dieser Situation rief Konrad Möckel in den Kirchlichen Blättern zu „geistlichen Arbeitslagern“ auf.41 Er begründete ihre Notwendigkeit und machte Vorschläge zur Ausführung. An einem ruhigen Tagungsort sollten Pfarrer und Lehrer – nicht zu viele auf einmal – mindestens eine Woche lang, besser noch länger, frei von den Zwängen des Alltags ausgewählte Texte der Bibel studieren und persönlich ihren Dienst in der Kirche bedenken. Mit der Anmeldung verpflichteten sie sich, an sämtlichen Veranstaltungen teilzunehmen, wie Bibelarbeit, Andachten, gemeinsames Singen, Morgenturnen und Mahlzeiten. Viele Pfarrer fühlten sich in ihren Gemeinden vereinsamt und waren politisch, wirtschaftlich und geistlich auf sich allein gestellt. Unzufriedene Gemeindemitglieder, finanzielle Not und neue Aufgaben gab es in den schwierigen Zeiten nach der Weltwirtschaftskrise überall. Er wandte sich an Pfarrer- und Lehrerkollegen. Das lag in der Konsequenz seiner Erfahrungen mit der Volkskirche an der Hermannstädter Realschule und in Großpold. Pfarrer und Lehrer waren in siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden traditionell die Meinungsführer. Der Aufruf war aber auch den Begegnungen im Rahmen der Jugendbewegung zu danken, deren formaler Stil ihn überzeugt hatte, etwa die Singwoche in Großpold oder die Richtwoche in Großschenk. Es war ihm immer wieder gelungen, die Jugend in Großpold, junge Menschen in der Schule und wenigstens einige auch im Wandervogel mit seinen Bibelauslegungen anzusprechen. Albert Klein schrieb ihm vor einer Rüstzeit, die er gemeinsam mit anderen vorbereitete, dass sie gerade ihn 40

Konrad Möckel: Wohin treiben wir? Klingsor 9 (1932), S. 346-349. Konrad Möckel: Geistliche Arbeitslager. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), Nr. 42, 19. Oktober 1933, S. 423-426. 41

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besonders gerne für die Bibelarbeit gewinnen wollten. Das war nicht nur Höflichkeit, um einen Referenten zu gewinnen. Konrad Möckel fühlte sich im Kreise der suchenden und fragenden jungen Leute besonders wohl, schätzte das Unbürgerliche und den Anspruch, den Jugendliche an sich selbst stellten und – wie er irrtümlich meinte – die Abwesenheit von Politik. Zugleich bedrückte ihn die Schwäche der Amtskirche. „Verbraucht ist die Tradition; verbraucht ist die Autorität des Pfarrerstandes; verbraucht die Wirkung der [kirchlichen] Gesetze und Verordnungen; verbraucht die Möglichkeit, Geld zu beschaffen. Verbraucht, verbraucht!“42

Er sah aber auch, wie sich frische Kräfte regten und „wie hungrig unser Volk im Grunde nach geistlicher Speise ist“.43 Teile des Wandervogels, die das erkannten, waren zwar gutwillig. Aber wie sollten sie, die Jugendlichen, Kirche und Schule erneuern können? Das „neue und heiße Wollen und Denken“ im Südostdeutschen Wandervogel reichte dazu nicht aus.44 Er suchte Menschen, die nicht in der Gegenwart aufgingen. Die Pfarrer oder die Lehrerinnen und Lehrer, deren Teilnahme ihm vorschwebte, sollten sich nicht im Alltag des Berufes oder in der Tagespolitik erschöpfen, sondern sich außerhalb des politischen Getümmels und mit Abstand zum Zeitgeist auf ihre genuine Aufgabe besinnen – wenigstens für eine gewisse Zeit, die sie mit anderen gemeinsam verbrachten. Wer sich in diesem Sinne ins unbequeme, unwirtliche Lager und gleichsam aufs freie Feld begebe, baue „in tätigster und hingebungsvollster Weise an der Zukunft unserer Gemeinden – aber das alles geschieht vom Lager aus, von der Idee aus, die zunächst gleichsam in fremdem Lande marschiert“.45 Lager meinte einen Ort vorübergehender Ruhe und Besinnung unterwegs und außerhalb der herkömmlichen Ordnung. Das „Sichlagern“ auf der Wanderung sah er in der christlichen Tradition: „Denn das Evangelium ruft die ‚Fremdlinge und Pilgrime‘ in den Dienst auf diesem Wege in die ewige Heimat, den sie durch die Fremde der Welt zu gehen haben.“46

Der Aufruf fand Zustimmung. Ernst Jekelius, ein Freund aus Hermannstadt, schrieb, es sei wohl die Aufgabe der Kirche von morgen, ein Fenster zum Herzen des Volkes aufzubrechen. Auch die „von Dir vorgeschlagenen Lager sind ein Weg dazu“.47 „Geistliches Arbeitslager“ war etwas Neues. Das Mitteleuropa-Institut in Dresden bat um Bericht und fragte, ob Pfarrer aus Deutschland teilnehmen dürften.48 Konrad Möckel wehrte ab.49 Ihm schwebte die Bildung einer christlichen Gemeinde vor. Das war eine 42

Ebda, S. 423. Ebda. 44 Ebda. 45 Ebda. 46 Ebda, S. 424. 47 Postkarte von Ernst Jekelius vom 30.11.1933. Nachlass KM, Hds DM, Mappe „Geistliches Arbeitslager 1934. Jekelius schreibt „von Morgen“. 48 Briefe von Direktor Walter Lörch vom 19. April, 11. Mai und 3. August 1934 an Konrad Möckel. Nachlass KM, Hds. DM 5, „Geistliche Arbeitslager 1934“. 49 Brief Konrad Möckel an Walter Lörch vom 15. Mai 1934. Ebda. 43

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delikate Aufgabe, die gelingen, aber auch genauso gut misslingen konnte. Er wusste auch nicht, wie die siebenbürgisch-sächsischen Teilnehmer auf einen Besuch aus Deutschland reagieren würden. Vermutlich wollte er auch nicht riskieren, dass sich Deutsche Christen meldeten. Das stand allerdings nicht im Brief mit der Absage; doch dass die evangelischen Kirchen in Deutschland um ihre Selbständigkeit kämpften, war in Siebenbürgen bekannt und ausführlicher Gegenstand der Erörterung im Briefwechsel mit Albert Klein in Tübingen. Die Notwendigkeit einer Weiterbildung des Pfarrer- und Lehrerstandes sah auch Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller. Er hatte einen „ausführlichen Plan zur kirchlichen Aufbauarbeit“ entworfen. Konrad Möckel erwähnte ihn und auch die erste Aufbauwoche, die schon stattgefunden hatte, aber er fügte hinzu, es bedürfe „viel geschulterer Kräfte, als uns heute zur Verfügung stehen“.50 Der Unterschied zwischen den beiden verwandten Initiativen lag darin, dass Friedrich Müller an eine Fortbildung im Rahmen des Bestehenden dachte, Konrad Möckel an die Bildung einer überparochialen Gemeinde aus Gleichgesinnten. Die Intentionen der beiden Stadtpfarrer gingen jedoch in die gleiche Richtung. Müller wirkte im ersten „geistlichen Arbeitslager“ vom 5. bis 12. Februar 1934 in Freck als Referent mit. Die Einladungen ergingen in einem Rundschreiben über die Dekanate – jeder sollte kommen können. Fünfzehn Teilnehmer meldeten sich. Bis auf einen waren alle Pfarrer, keiner war Lehrer. Das lag vielleicht auch an den Tagungskosten, die jeder selbst tragen musste. Einige schrieben offen, dass sie die finanziellen Mittel nicht hätten. Die Teilnehmer verteilten die Aufgaben des Treffens unter sich und hielten sich an einen festen Tagesplan. 7.15 Uhr Tagwache, 7.45 Uhr Morgenfeier, 8.00 Uhr Frühstück, 8.30 Uhr Bibelarbeit, 11.30 Uhr Spaziergang oder Turnen, 12.00 Uhr Mittagessen, 13.00 Uhr Freizeit, 15.45 Uhr Kaffee, 16.15 Uhr Vorträge und Aussprachen, 19.00 Uhr Abendessen, 20.30 Uhr Bibelstunden an verschienen Orten in den umliegenden Gemeinden (Freck, Gierelsau, Kerz) 22.00 Uhr Nachruhe.51 Zur Gemeinschafts- und Gemeindebildung trugen die Rechenschaftsberichte bei – womit Erfahrungsberichte aus dem Leben in den Gemeinden mit erhebenden und niederdrückenden Ereignissen und Erlebnissen im Lichte der Bibel gemeint waren.52 Brüderlicher Austausch und gegenseitige Hilfe konnten nur gelingen, wenn die Berichterstatter ihre Schwächen nicht versteckten, sondern unbefangen ansprachen. Dazu – das liegt auf der Hand – gehörten seelische Stärke und Vertrauen in die Zuhörer. In Freck entstand eine kleine überparochiale spirituelle Gemeinde – der Frecker Kreis. Einen solchen verbindenden Geist innerhalb der Pfarrerschaft hatte sich Konrad Möckel seit den 1920er Jahren gewünscht, besonders in der Zeit vor der Bischofswahl 1932. 50

Konrad Möckel: Geistliche Arbeitslager. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), Nr. 42, S. 424. Wilhelm Capesius: Geistliches Arbeitslager in Freck. In: Kirchliche Blätter 26 (1934), S. 125. 52 Rechenschaft sollte jeder sich selbst geben. Die Teilnehmer hatten niemand gegenüber Rechenschaft abzulegen. 51

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Die Wirkung des ersten geistlichen Arbeitslagers Der Frecker Kreis hatte keine geschriebene Satzung und ließ sich nicht staatlich als Verein registrieren (Abb. 15). Er gab keine programmatische Zeitschrift und keine Schriftenreihe heraus und griff als Kreis auch nicht in die Kirchenpolitik ein. Der informelle Austausch auf den Treffen zu politisch und kirchenpolitisch aktuellen Themen dürfte jedoch zur Meinungsbildung und zur Klärung der Fronten in der Auseinandersetzung zwischen der evangelischen Kirche und der Erneuerungsbewegung beigetragen haben. Ziel der „geistlichen Arbeitslager“ war es, die Teilnehmer zu stärken und damit – indirekt – das Glaubensleben in den Kirchengemeinden zu vertiefen. Die Initiative traf das Bedürfnis nach geistlichem Austausch angesichts brodelnder Auseinandersetzungen um die Volkskirche, die bis in die letzte Gemeinde reichten und oft sogar die Familien zerrissen. Die drückenden Alltagssorgen eines Pfarrers sollten in den geistlichen Arbeitslagern distanziert und mit Abstand behandelt werden. Konrad Möckel hatte seit 1927 in Wort und Schrift Vorstellungen zu Glauben und Volkstum vertreten, denen die Teilnehmer zustimmen konnten. Er hielt im ersten Frecker Lager einen Vortrag über Pfarrer und Erneuerungsbewegung – eine Warnung vor der sich anbahnenden politisch antikirchlichen Dynamik. Capesius fasste den Vortrag zusammen: „Allein auch dieses Volksgefühl hat sich zu verantworten. Möge es ja nicht dazu kommen, daß eine menschliche Idee sich loslöst vom Untergrund und nun von sich aus allein da sein will. Das würde Dämonisierung bedeuten (Verlorener Sohn: gib mir, was mein ist). Das wäre keine Wirklichkeit mehr – das ist eine unselige Grenzverwischung – da hat sich etwas verschoben – da ist Hybris! Wenn dieser Fall Wahrheit würde, so wäre auf dem Schachbrett der Politik nichts mehr zu verspielen – oder es würde lediglich der Dämon gefüttert.“53

Capesius unterschied in seinem Bericht geistliche Arbeitslager und Schulungswochen. Den Teilnehmern der Tage in Freck war das Neue bewusst. An einem Abend hielt Konrad Möckel eine Evangelisation mit dem Thema „Ein Gang durch die Bibel“, zu der die Kirchengemeinde Freck eingeladen war. „Uns war’s, als ob sein Streben, den Menschen die Bibel näherzubringen, uns alle zu einer brüderlichen Gemeinschaft zusammengeführt hätte“ (S. 127).54

Arbeitslager könne nur sein, wo brüderliche Gemeinschaft herrsche – im Leben, im Feiern, im Arbeiten, in der Fröhlichkeit. Die Kraft des gemeinsamen Lebens und Singens und das Erlebnis der Gemeinschaft stellte Capesius gegen das Unpersönliche und Indirekte. Es sei Möckels Verdienst, „dieses Erlebnis vermittelt zu haben – und wir danken ihm aus tiefstem Herzen“.55 Die Woche endete mit einem feierlichen Abendmahl. Es fanden weitere „geistliche Arbeitslager“ in Klosdorf und in Freck statt. Pfarrer Josef (Sepp) Scheerer bestätigte die neu entstandene Bruderschaft in einem Beitrag 53 54 55

Ebda, S. 126. Ebda, S. 127. Ebda.

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mit dem – wie er es empfand – kühnen Titel „Werdende Gemeinde“ und fügte hinzu: „Wenn sich jemand an der Überschrift stoßen sollte. Bitte!“ „‚Werdende Gemeinde‘ zu sehen, geschieht nur im Glauben. Dass wir etwas davon in Klosdorf und Freck erfahren durften, kann kein Mensch wegdisputieren.“56

Auch Konrad Möckel sah das so. Nach einem Besuch in Berlin und Wittenberg war ihm deutlich geworden, dass es nicht darauf ankomme, auf Konferenzen „geistvoll über grosse Probleme zu reden, sondern – bildlich gesprochen – ‚geistliches Arbeitslager‘ zu halten“. „Wo man in Deutschland die gleiche oder ähnliche Haltung einnimmt, da weiss man seinen Weg auch wenn es durch Kampf und Leiden geht; wo man aber Politik treibt und mit den Künsten dieser Welt bauen will, da herrscht heute offene oder durch Gewalt und Phrasen getarnte Ratlosigkeit! Ich bin gewisser denn je, dass wir mit unserer keimenden Bruderschaft eine grössere Sache geschenkt bekommen, als wir verstandesmässig auch nur ermessen können.“57

Im März 1936 stellte Gerhardt Schaser, ein enger Freund Konrad Möckels und sein Nachfolger in Großpold, eine Liste der 38 Teilnehmer zusammen, die bis dahin die geistlichen Arbeitslager besucht hatten.58 Teilnehmerverzeichnis 1. Lager in Freck, 5.-11. Februar 1934 2. Lager in Klosdorf, 8.-14. Oktober 1934 3. Lager in Freck, 21.-27. Januar 1935 4. Lager in Freck, 3.-8. Februar 1936 1. Pfr. Hans Ackner 2. Pfr. Erwin Barth 3. Pfr. Karl Brandsch 4. Pfr. Wilhelm Brandsch 5. Pfr. Hermann Fielk 6. Pfr. Johann Fröhlich 7. Pfr. Kuno Galter 8. Pfr. Dr. Gustav Göckler 9. Vikar Georg Halmagy 10. Direktor Dr. Wilhelm Herfurth 11. Pfr. Hellmut von Hochmeister 12. Pfr. H. Artur Hoffmann

Hermannstadt Neustadt Rumes Schönau Frauendorf Freck Karlsburg Birthälm Kronstadt Kronstadt Langenthal Wermesch

4 3, 4 1, 3 1, 2, 4 3 3, 4 1, 3 1, 2 4 4 1, 4 3

56 Josef (Sepp) Scheerer an Konrad Möckel am 7. März 1935. Nachlass KM, Hds DM 5. Mappe „Geistliches Arbeitslager Freck 1935“. Klosdorf wird zuweilen „Kloosdorf“ geschrieben. Stillschweigend ist die Schreibung verbessert worden. 57 Antwort KM an Sepp Scheerer am 31. März 1935. Nachlass KM, Hds DM 5. Mappe „Geistliches Arbeitslager Freck 1935. 58 Nachlass Konrad Möckel, Hds DM 5, Mappe „Geistliches Arbeitslager Freck 3.-8. Februar 1936“. Die Aufstellung von Gerhardt Schaser datiert vom 1. März 1936.

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1934-1936

13. Magister Obernotär Dr. Ernst Jekelius Hermannstadt 14. Pfr. Karl Kenst Giesshübel 17. Pfr. Hans Konnerth Jakobsdorf 18. Pfr. Johann Mattes Oderhellen 19. Pfr. Dr. Konrad Möckel Kronstadt 20. Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller Hermannstadt 21. Pfr. Hermann Rehner Wolkendorf 22. Pfr. Otto Reich Schweischer 23. Pfr. Friedrich Römer Zendrisch 24. Pfr. Wilhelm Roth Tarteln 25. Pfr. Dr. Wilhelm Seraphin Rosenau 26. Pfr. Gerhardt Schaser Großpold 27. Pfr. Hans Scheerer Pretai 28. Pfr. Sepp Scheerer Botsch 29. Pfr. Andreas Scheiner Heidendorf 30. Pfr. Georg Schuller Treppen 31. Vikar Heinz Schulleri Heldsdorf 32. Pfr. Walter Schullerus Haschagen 33. Jugendwart Pfr. Walter Schullerus Kronstadt 34. Pfr. Martin Schuster Gierelsau 35. Pfr. Hans Ungar Weingartskirchen 36. Dechant Dr. Wilhelm Wagner Heldsdorf 37. Pfr. Hans Wellmann Absdorf 38. Pfr. Erich W. Lingner Meschen       war auch einmal einen Tag mit uns zusammen.

1, 3 1 4 2, 3 1, 2, 3, 4 1 2, 4 1, 2, 4 2 4 1, 3, 4 1, 2, 3, 4 1, 3 2, 3, 4 1 1, 4 4 1, 4 4 3, 4 3, 4 4 1, 3

Gerhardt Schaser bat die Brüder, die „an der Gebetsgemeinschaft im letzten Frecker Lager teilgenommen haben“, sich die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine zu besorgen und sich jeden Morgen innerlich um sie zu sammeln. Paradox einer politikfernen Volkskirche Versucht man sich klarzumachen, welche politische Bedeutung die Gründung des Frecker Kreises in Konrad Möckels Leben hatte, stößt man auf ein Paradox. Auf der Suche nach einer Alternative zur Zusammenarbeit mit dem Südostdeutschen Wandervogel, die sich nach 1933 erledigt hatte, besuchte Konrad Möckel im Frühjahr 1934 eine Tagung der Sydower Bruderschaft. Sie machte in seinem Leben keine Epoche, obgleich er es mit einer „theologisch recht gediegenen, angesehenen Pfarrerbewegung des deutschen Protestantismus“ zu tun hatte.59 Die Tagung stand nach seiner Meinung zu sehr in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen kirchenschädigenden Lebensäußerungen. Konrad Möckel lehnte die Übergriffe der NSDAP gegenüber den Kirchen ab, aber es schien ihm, Kirche sei in der Sydower 59

Erinnerungen 1953/54, X.

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Bruderschaft zu sehr von der politischen Auseinandersetzung her und nicht aus sich heraus verstanden. Zudem stellte die beherrschende Persönlichkeit, Georg Schulz, alle anderen rund hundert Teilnehmer in den Schatten. Und schließlich sei, ein weiterer Einwand, der „ganze Lebenszuschnitt dieser Gemeinschaft trotz eindrucksvollem Eröffnungsgottesdienst und ernster theologischer Arbeit zu sehr derjenige allgemeindeutscher studentischer und sonstiger Vereinigungen“ gewesen. Auf derselben Reise sprach er auch mit dem von den Nationalsozialisten düpierten und abgesetzten Bischof Heinrich Rendtorff in Stettin. Auch dem Kirchlichen Außenamt in Berlin stattete er einen Besuch ab.60 Die Ablehnung des Bischofs Glondys in den Kreisen der NEDR sei „außerordentlich scharf“, notierte Theodor Heckel als Meinung Möckels. Er habe sich zugleich gegen das taktische Vorgehen des Bischofs und dessen Flugblatt ausgesprochen.61 Glondys stehe der Einheitspartei nahe,62 Konrad Möckel sehe in ihr eine „absterbende Generation“ und er fände, „wenn die NEDR die Macht an sich reiße, laufe sie sich tot. Wenn Gust die Führung übernehme, entstehe eine gefährliche Situation.“63 Wörtlich heißt es im Gesprächsprotokoll Heckels: „Möckel scheint nicht anzunehmen, dass Gust das Schifflein des Volkes durch die Wogen hindurchsteuern kann. Als ganz verfehlt sieht er die Konzeption an, wonach NEDR und die kommende rumänische nat. soz. Bewegung (Codreanu) zusammengehen werden, und der rumänische Staat dann nach der Machtübernahme durch die eiserne Garde die Autonomierechte, die bisher die Kirche hat, auf das siebenbürgische Volk übertragen werde.“64

Er sehe in der „Gemeindebildung“ die wichtigste Aufgabe der Kirche – das Einzige, was noch helfen könne – und arbeite bereits in diesem Sinne.65 Wohin Konrad Möckel auf seiner Deutschlandreise kam, überall sprach man abfällig von Reichsbischof Ludwig Müller, den Hitler ernannt hatte. Die Reise dürfte ihm die Augen hinsichtlich der Kirchenfeindlichkeit der NS-Partei geöffnet haben. Diese Vorkommnisse und die Erfahrungen mit der NEDR in Siebenbürgen bildeten den Hintergrund für einen Vortrag auf dem 12. Pfarrertag in Kronstadt, auf dem Konrad Möckel sich über die inzwischen eingetretene Lage im Streit zwischen 60

EZA Berlin, Bestand 5 Nr. 981 „Rumänien Allgemeines“ 1. Januar 1933 – 30. April 1934“ (nicht paginiert). Aktenvermerk vom 17. April 1934 nach einer Besprechung mit Heckel, Wahl und Krummacher mit Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel. 61 Nachlass KM, Archivkarton 27. Viktor Glondys: Zur Klarstellung der Lage. 1934. 62 Einheitspartei war die Bezeichnung für die Konservativen, die nicht in Ortsgruppen organisiert waren. 63 Ebda. 64 EZA Berlin, Bestand 5 Nr. 981 „Rumänien Allgemeines“ 1. Januar 1933 – 30. April 1934“ (nicht paginiert). Aktenvermerk vom 17. April 1934 nach einer Besprechung mit Heckel, Wahl und Krummacher mit Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel. Mit „siebenbürgischem Volk“ dürften die Siebenbürger Sachsen gemeint sein. Die Politik der NEDR war auf eine Zusammenfassung aller Rumäniendeutschen ausgerichtet. 65 Ebda.

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1934-1936

Kirche und Erneuerungsbewegung Rechenschaft gab.66 Er ging von dem aus, was die „völkische Bewegung“ offiziell gegenüber der Kirche vertrat: (1) Volkstum ist wesentlich verschieden von Kirche. (2) Volkstum kann sich auch unabhängig von der Kirche entfalten. (3) Volkstum und Kirche gehören trotzdem irgendwie zusammen.67 Damit erfasste er die Unklarheiten und Widersprüche innerhalb der NEDR, in der es neben erbitterter Kirchenfeindlichkeit auch die Bereitschaft zur Verständigung gab. Sowohl eine einseitig „kirchliche“ als auch eine einseitig „völkische“ Herrschaft schied nach Konrad Möckels Überzeugung als Lösung aus. Aber auch ein Kompromiss könne keine Lösung für die Kirche sein. Warum nicht? Eine politische Abgrenzung und „Regelung“ – er benützte Anführungszeichen – komme in hervorragender Weise dem Bestreben völkisch-idealistischer Kreise entgegen, „die jedes kirchliche Leben zum ‚Gegenstand‘ einer völkischen Aktion machen möchten, wobei es wenig bedeutet, ob es ‚für‘ oder ‚gegen‘ die Kirche ist“. Man könne auf diese Art jedenfalls am leichtesten die politisch nicht fassbare Unbequemlichkeit der Kirche ausschalten oder doch wirksam abgrenzen. Er riet von einem „steifnackigen Fingerziehen mit der Erneuerungsbewegung“ ab68 und er fragte nach der Kirche. Sie sei zu finden, „wo das Wort Gottes verkündigt wird“. Das wiederum bedeute, dass die Kirche „in bestimmtem Sinne immer im Kampf mit der Welt liegen“ müsse – ein Kampf, der weit „ernster und schwerer“ sei, „als die meisten kirchentreuen Menschen auch nur ahnten“.69 Von diesem christlichen und zugleich dynamischen Ausgangspunkt her stellte er die Mängel fest, an denen die evangelische Kirche litt. Sie zeigten sich an der Ärmlichkeit der Jahresberichte der Gemeinden, die von der Kassengebarung, der Fürsorge, den Kulturleistungen handelten und zum Schluss vom „geistlichen Leben“, womit der Besuch von Abendmahl und Bibelstunden gemeint sei. Die Volkskirche müsse zu den Quellen zurückkehren, „die neue, schöpferische Produktion ermöglichen!“70 „Wer heute nicht aufrichtig und vorbehaltlos die Volkskirche, die ‚Kirche des wirkenden Wortes‘ unterstützt, der hilft mit an der Verkümmerung oder gar Zerstörung des Volkslebens.“71

Der Verkünder der christlichen Botschaft könne daher, so stellte er klar, „selber keine aktive Parteipolitik treiben, ohne seinen Auftrag zu verletzen“.72 Woher sollten die Kräfte zur Verkündigung und zum Aufbau der Kirche kommen? Seine Antwort: „Dieses 66 Konrad Möckel: Welche Bedeutung hat unsere Volkskirche für unsere Zeit? Vortrag, gehalten auf dem 12. Pfarrertag in Kronstadt. In: Kirchliche Blätter Nr. 33 vom 16.  August 1934. Auch als Sonderdruck „Evangelischer Arbeitsring zum innern Aufbau unseres Volkes“. (Honterus-Buchdruckerei und Verlagsanstalt) Sibiu-Hermannstadt 1934. 67 Ebda, S. 8. 68 Ebda, S. 12. 69 Ebda, S. 19. 70 Ebda, S. 24. 71 Ebda. 72 Ebda, S. 26.

Die Jahre des Frecker Kreises

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lebendige Wachstum heißt Gemeinde.“73 Sie sei der eigentliche Sinn der Kirche. „Wo in Vollmacht das Wort geredet und in willigen Seelen aufgenommen wird“, da entstehe und da gebe es Gemeinde, die sich nicht abzugrenzen brauche; denn sie gerate ohne ihr Zutun in die Situation, Zeugnis (ein „Martyrium“) ablegen zu müssen. Der Aufruf zu den geistlichen Arbeitslagern hatte mit der Feststellung begonnen, dass das „ große Ereignis dieses Sommers ... für die innerlich lebendige Jugend unseres Volkes die Durchführung der Arbeitslager in allen Teilen unserer Siedlungsgebiete gewesen“ sei (S. 423). Der Satz überrascht, weil er der Intention Konrad Möckels zuwiderzulaufen scheint. Der Aufsatz im Ganzen brachte zum Ausdruck, dass es nicht genüge, wenn Pfarrer in den Arbeitslagern Bibelstunden hielten. Das galt auch für ihn selbst. Warum neue geistliche Arbeitslager, wenn die freiwilligen Arbeitslager, wie er schrieb, für die „innerlich lebendige Jugend“ ein großes, ja das „große Ereignis des Sommers“ gewesen sein sollten? Freiwillige Arbeitlager – ein „großes Ereignis“ – wozu dann noch geistliche Arbeitslager? Der Nationalsozialismus war für ihn eine gegebene politische Größe, auch wenn er seit 1927 die Ambivalenz des Nationalen und seine Gefahren sah. Hitler war zum Reichskanzler ernannt worden. Dass Hindenburg mit dieser Ernennung einen schwerwiegenden Fehler gemacht haben könnte – eine solche Bemerkung findet sich in keiner der Schriften Konrad Möckels. In der Perspektive national gesinnter Siebenbürger Sachsen schien es, als habe der Nationalsozialismus Deutschland revolutioniert. Den Ausdruck Revolution für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler benützt Konrad Möckel zuweilen. Was da revolutioniert worden sein sollte und ob es wirklich eine Revolution oder nur eine Konterrevolution war, danach fragten Konrad Möckel und viele andere nicht – nicht nur in Siebenbürgen. „Man braucht nicht Nationalsozialist im politischen Sinn zu sein, um zu wissen, daß es ohne Revolution, das heißt ohne geistigen und seelischen Neuanfang heute nicht mehr geht. Das fühlen wir ganz besonders im Leben der Kirche.“74

Kann man Nationalsozialist auch in einem unpolitischen Sinne sein? Oder war damit nur gemeint, dass die evangelische Kirche in Siebenbürgen einen Neuanfang brauchte? Die konkreten Gefahren des Nationalsozialismus, die Übergriffe und Verbrechen in Deutschland, Judenboykott, Verfolgung der Sozialdemokraten und der Kommunisten, die ohne gerichtlichen Schutz in Konzentrationslagern verschwanden, sprach Konrad Möckel nicht an. Die politischen Ereignisse waren allerdings auch nicht sein Thema. Der Nationalsozialismus schien ihn auf dem Weg zur Erneuerung der Kirche höchstens aus der Ferne etwas anzugehen, und doch war es gerade die Politisierung der Wandervogeljugend, die ihn auf Konfirmandenlager und auf geistliche Arbeitslager gebracht hatte.

73

Ebda, S. 33. Konrad Möckel: Geistliche Arbeitslager. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), Nr. 42, 19. Oktober 1933, S. 423. 74

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Er tat den Schritt zu einem politischen Widerstand nicht, lernte mit der Zeit jedoch, den Nationalsozialismus auch politisch abzulehnen. Es ist nicht leicht, den Zeitpunkt dafür genau zu bestimmen. Ein erstes Misstrauen nicht nur gegen die Nationalsozialisten in Siebenbürgen, die er zur Genüge kennengelernt hatte und deren Methoden er verabscheute, sondern auch gegen Hitler und seine Politik dürften ihn spätestens im Jahre 1937 nach den Begegnungen mit Hans Bernd von Haeften und nach seinem Eintritt in die Michaelsbruderschaft erfasst haben. Aber Misstrauen ist noch nicht Ablehnung, und eine gefühlte Ablehnung ist noch keine öffentliche. Im Jahre 1934, als das erste geistliche Arbeitslager stattfand, unterstellte er in seinem Aufruf, die sogenannte „Machtergreifung“ in Deutschland sei eine Revolution und sie sei notwendig gewesen – auf politischem Gebiet, von dem er meinte, sich fernhalten zu sollen. Trotz dieser scheinbar unpolitischen Entscheidung wählte er einen Weg, der früher oder später zu einem Konflikt mit den rumäniendeutschen Nationalsozialisten führen musste. Er erkannte das geistig Dürftige und das zerstörerische Potential des „Idealismus“, ebenso die Ambivalenz politischer Leidenschaft. Aber er schrieb auch, das „wachsende völkische Empfinden“ habe im Nationalsozialismus „seine beste begriffliche und zugleich politische Formung gefunden“.75 Das klingt wie eine Absicherung gegen den Einwand, er stehe nicht auf der Höhe der Zeit oder er verrate die Erneuerungsbewegung, der er sich auch nach 1933 noch zugehörig fühlte, wie die Briefe mehrfach belegen. Im Vortrag vor dem Pfarrverein ging es ihm nicht um den Nationalsozialismus, sondern um die Kirche. Gerade deswegen aber sind die beiläufigen, unkritischen Bemerkungen zum Nationalsozialismus schwer zu verstehen. Den „Idealismus“ bekämpfte er scharfsichtig. Nur wo „wieder aus den Tiefen des Evangeliums geschöpft“ werde, da sammle sich neues Leben, „da füllen sich die Kirchen, da tritt zu Tage, wie hungrig auch unser Volk im Grunde nach geistlicher Speise ist“.76 Glauben heiße, so schrieb er, „einmal ganz und gar nicht an die leere Kirchenkasse und den vielmonatlichen Gehaltsrückstand“ denken.77 Ihm war klar, dass er für seine Person bei solchen Formulierungen die Entscheidung für Christus und seine Kirche getroffen hatte. Insofern hielt er, auch wenn er sich der Erneuerungsbewegung zugehörig fühlte, zu ihren parteipolitischen Flügeln, sei es der gemäßigte, sei es der maßlose, von Anfang an Distanz. Er kannte die Not des Pfarrer- und Lehrerberufes, den schweren Stand der 75 Konrad Möckel: Welche Bedeutung hat unsere Volkskirche für unsere Zeit? Vortrag, gehalten auf dem 12. Pfarrertag in Kronstadt. In: Kirchliche Blätter Nr. 33, S. 383. Das Zitat lautet im Zusammenhang: „Die Kirchenfrage wird aber in noch viel wirksamerer Weise aufgerollt von der völkischen Seite her. Man glaube nicht, dass dies erst geschieht, seit das wachsende völkische Empfinden im Nationalsozialismus seine beste begriffliche und zugleich politische Formung gefunden hat. Hier spielt sich ein Vorgang ab, der schon vor fast zwei Jahrhunderten seine ersten Anzeichen zu erkennen gab. Vielleicht kann man aber seinen deutlicheren und bewußteren Beginn mit der Zeit der Vereinsgründungen im sächsischen Volk ansetzen“ (S. 383). 76 Konrad Möckel: Geistliche Arbeitslager. In: Kirchliche Blätter 25 (1933), S. 423. 77 Ebda, S. 424.

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Landeskirche, den politischen Kampf in den sächsischen Städten und Dörfern und den Zerfall alter Ordnungen in den Gemeinden. Er wollte im „geistlichen Arbeitslager“ gerade nicht von den Sorgen ausgehen, welche die Tage und Nächte erfüllten, sondern „all unsere Nöte und Fragen scheinbar verlassen, um es trotzig und verwegen mit der Bibel und mit Gott zu versuchen“.78 Fast wörtlich finden sich auch schon vor 1933 ähnliche Sätze. Sie hatten im Rahmen von Veranstaltungen des Südostdeutschen Wandervogels, besonders wenn man sie aus dem Zusammenhang löste, etwas Zweideutiges. Die „geistlichen Arbeitslager“ führten aus dieser Zweideutigkeit heraus. Den Arbeitslagern der Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft fehlte es am Verständnis dafür, worauf es seiner Meinung nach in der historischen Situation in Siebenbürgen in der Erwachsenenbildung (Andragogik) ankam. Sie wollte nichts anderes als – mit einem späteren Begriff gesagt – einen nationalsozialistischen Marsch durch die siebenbürgischsächsischen Institutionen und schoss in der Kritik des Alten weit über das Ziel hinaus. Das hatte er in seinen früheren Schriften weniger scharf ausgedrückt. Im Umkreis der Kirche waren vorbildliche Vereine der Siebenbürger Sachsen entstanden und weiterentwickelt worden. Wenn man sie den „Völkischen“ preisgab, verschlangen diese sie wie ein Stück Beute und verbrauchten sie kurzsichtig. Um die Gefahr zu erkennen, musste man einen Orientierungspunkt und eine Alternative haben. Die älteren Wandervögel hatten auf ihren Fahrten keinen anderen Kompass als den Nationalismus, später den Nationalsozialismus. Das widersprach der sächsischen Tradition. Er sprach in diesem Vortrag aus, dass eine christliche Haltung nicht nur in einem totalitären Staat zu Konflikten führen musste. Man konnte die Menschen in Stadt- und Dorfgemeinden nicht in evangelische Christen und sächsische Bürger aufteilen. Wenn er vom sächsischen Volk oder von der sächsischen Volkskirche sprach, wehrte er sich im Grunde ständig gegen die inzwischen erkennbar antichristlichen Züge des Dritten Reiches. Die Absage der siebenbürgisch-sächsischen Nazis an das „Land der Duldung, jedes Glaubens sicherer Hort“, wie Max Moltke von Siebenbürgen gesungen hatte, zeigte ein hassverzerrtes Gesicht – das sah er. Aber er sah nicht, dass hinter den Auswüchsen der siebenbürgisch-sächsischen Nazis der Nationalsozialismus des deutschen Einparteienstaates stand. Er bekämpfte – obgleich er unpolitisch sein wollte – nicht nur Ausrutscher der sächsischen Erneuerungsbewegung, sondern auch das von ihm falsch eingeschätzte „wachsende völkische Empfinden“, das „im Nationalsozialismus seine beste begriffliche und zugleich politische Formung gefunden“ haben sollte. Das musste zum Konflikt führen, selbst wenn Konrad Möckel meinte ihn vermeiden zu können, indem er von der fernen Macht in Deutschland devot sprach.

78

Ebda.

Kapitel 8

Machtkampf und Kirchenkampf (1933-1936)

Radikalisierung des Südostdeutschen Wandervogels Konrad Möckel mahnte schon nach dem Älterentreffen in Sächsisch-Regen, der Wandervogel müsse mit größerem Ernst an die Frage der Religion herangehen. In den antichristlichen Äußerungen sah er vermutlich mangelnde Reife. Im Jahre 1932 tauchten in den Rundbriefen des Südostdeutschen Wandervogels verstärkt gehässige Artikel gegen den christlichen Glauben auf. Sie standen neben überlegt und ruhig argumentierenden Beiträgen. Man fragt sich, wie beides im Wandervogel so lange nebeneinander einhergehen konnte. Die Rundbriefe des Südostdeutschen Wandervogels aus dem Jahre 1933 spiegeln eine Übergangszeit. Das erste Heft 1933 enthält den Abdruck eines Aufsatzes von Wilhelm Stählin: „Wolln predigen und sprechen vom Heiligen Deutschen Reich“.1 Albert Klein leitete ihn ein. Der Aufsatz Stählins, er war Jugendpfarrer in Nürnberg und von 1922 bis 1933 Bundesleiter des „Bundes deutscher Jugend“ (BDJ), ging aus einer Rede hervor, die er 1932 in Weimar gehalten hatte. Seine Ansprache ist ein Dokument der Jugendbewegung aus der Zeit vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und spiegelt die halb weltliche, halb sakrale Sprache, welche die bürgerliche Jugend damals begeisterte. Man muss genau hinsehen, wenn man heute erkennen will, woran sich damals die Geister schieden. Nicht die Vollendung des eigenen Selbst, so Stählin, sondern die Nation sei für die Jugendlichen letzter Sinn. Damit beschrieb er den Unterschied zwischen der Formel vom Hohen Meißner und der Überzeugung der bündischen Jugend seiner Zeit. Man dürfe sich jedoch nicht von den Schlagworten des Tages fangen lassen. Ein solches Schlagwort sei das „heilige römische Reich deutscher Nation“. Das Reich sei „zuchtvolle Gliedschaft“2 und eine universelle Aufgabe und brauche notwendig eine starke Kirche. Das Reich gehe zugrunde, wenn nicht dem Reich gegenüber eine Kirche vorhanden sei, die „Gottes Gnade und Gottes Gericht auch 1 Nachlass KM, Hds DM Archivkarton 4, Rundbrief des Südostdeutschen Wandervogels 1/1933. Der Aufsatz geht auf eine Ansprache in Weimar im Sommer 1932 zurück. Sie war im Oktober 1932 in der Zeitschrift „Unser Bund“ abgedruckt worden 2 Ebda, S. 2.

Machtkampf und Kirchenkampf

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über das Reich verkündet“ – ein „unentbehrlicher Widerpart des Reiches“. Wer sage, er nehme eine freundliche Stellung zum Christentum ein, weil die großen christlichen Kirchen wertvolle Faktoren zum Aufbau eines nationalen Staates seien, habe weder begriffen, was christliche Kirche noch was deutsches Reich sei.3 Stählin betonte die Selbständigkeit der Christen und der Kirche und wies einen staatlichen Absolutheitsanspruch zurück. Winfried Schenker widersprach dieser Rede, die – inzwischen war das Jahr 1933 angebrochen – auf eine parteipolitisch unabhängige Jugend hinauslief. „Es trennen sich die Wege. Welcher Weg ist der richtige?“ fragte Schenker.4 Einige Gruppen der bündischen Jugend traten in die HJ ein, andere schlossen sich zusammen, um nicht in die HJ überführt zu werden – letztlich ohne Erfolg. Schenker hatte diese Entwicklung in Deutschland vor Augen, wenn er empfahl, die Selbständigkeit des Südostdeutschen Wandervogels aufzugeben und in die Selbsthilfe einzutreten. Er bezeichnete es als eine „Ideengeburt“, in letzter Minute eine Vereinigung der Jugendbünde zu versuchen, wie das in Deutschland zum Erhalt der Selbständigkeit geschehen war, und er bezeichnete die freiwillige Preisgabe der Selbständigkeit und den Eintritt des Wandervogels in die Selbsthilfe als „Tat“. „Wir bleiben der Bewegung in ihrem innersten Wesen treu“. Keine „übelwollende Macht“ werde den Wandervogel in die „Oppositionsstellung“ drängen. „Wir wollen nur Angriff kennen!“5 Das war zugleich eine Absage an die Adresse Konrad Möckels, denn es bedeutete den Primat des Politischen in der Jugend. Im gleichen Heft griffen zwei Autoren diejenigen an, die sich „offen zum Christentum bekennen“.6 Mit ärmlichen historischen Kenntnissen forderten beide, die Kirchen nationalpolitisch zu funktionalisieren oder, wenn sie sich verweigern sollten, sie ganz aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Ein Artikelschreiber tadelte Franz Michaelis, einen anderen Autor des Heftes, er dürfe nicht in Gedanken „das Volkstum der Religion unterstellen“, sondern – gerade umgekehrt – „diese in den Dienst des Volkstums“.7 Ein Autor, der sich bezeichnenderweise „Widukind“ nannte, bezog sich in seinen Ausführungen auf Ludwig Ferdinand Clauß8 und propagierte den „nordischen Menschen“ als aufrichtig, wahrheitsliebend, männlich, ehrlich, ehrenhaft und befand, dass „die ganze bisherige christliche Entwicklungsgeschichte“ für das Wesen des nordischen Menschen „verhängnisvoll“ gewesen sei. 3

Ebda, S. 8. Nachlass KM, Hds DM Archivkarton 4, Rundbrief des Südostdeutschen Wandervogels 1/1933, S. 10-11. 5 Ebda, S. 11. 6 Helmut Rehner in der Einleitung zu den beiden Aufsätzen von Mundi Neumann: Ist das Christentum „international“?, S. 15-17. 7 Mundi Neumann, Czernowitz-Darmstadt im gleichen Heft. 8 Widukind: Einiges über die religiöse Haltung des nordischen Menschen!, S. 17, 18. Ludwig Ferdinand Clauß (auch Claus oder Clauss); Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde. München 1932. Clauß war ein Stichwortgeber Hitlers. 4

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1933-1936

Konrad Möckel, inzwischen Kronstädter Stadtpfarrer, widersprach, aber er tat das – aus heutiger Sicht – zurückhaltend und höflich.9 Es sei wenig überzeugend, wenn man dem geistigen Gegner keine Achtung zolle und seine Ansichten als „Quatsch“ abtue, so tadelte er den aggressiven Ton eines Beitrages, und er wies darauf hin, dass Jesus sein „Volkstum“ liebte „mit ganzer Seele“ und dass alle Formen des Christentums innige Verbindungen mit dem Charakter der jeweiligen Völker eingegangen seien. Der gemeinsame Weg mit dem Südostdeutschen Wandervogel war zu Ende. Die antikirchlichen, antichristlichen Ideologen gaben nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler den Ton im Südostdeutschen Wandervogel an. Konrad Möckels Versuch war gescheitert, einerseits den Südostdeutschen Wandervogel für seine Suche nach der Kirche in der Volkskirche zu gewinnen und andererseits den Schwung der Jugendbewegung in der geprägten Form des Wandervogels im Leben der gesamten Kirche fruchtbar zu machen. Über das Größen- und Machtverhältnis von Volkstum und Christentum, so schrieb er, wolle er nicht viel reden. Er habe sich dazu in Wort und Schrift geäußert und bat die jungen Leute, darüber nachzudenken. Er wolle jedoch ein Bekenntnis ablegen: „Wenn die politische Entwicklung meines deutschen Volkstums sich so gestalten sollte, dass mein Christenglaube ganz unter die Vormundschaft der nationalen Idee gestellt würde – dann könnte für mich wohl der Zeitpunkt gekommen sein, dass ich mich dieser Zwangsherrschaft entziehe und gegen solche Volkspolitik Front mache. Aber dies nicht so, als ob sich nun für mich Volkstum und Christenglauben endgültig scheiden und ich nun gelöst von meinem Volk den ‚christlichen‘ Weg gehen wollte oder könnte. Sondern vielmehr würde ich dies tun müssen mit dem schmerzlichen Bewusstsein, vielleicht der einzige wahre Deutsche zu sein, der seiner Art auch wirklich treu geblieben ist und der allein noch den letzten und tiefsten Sinn seines Volkstums bewahrt hat.“10

Das war eine klare Abgrenzung. Warum hatte er den Edda-Träumereien aus Anlass der ersten von ihm besuchten Tagung des Wandervogels in Sächsisch-Regen nicht schon 1930 widersprochen? Schon damals wertete Alfred Bonfert in einer aus Deutschland übernommenen Argumentation germanische Sitten und religiöse Bilder gegenüber der Bibel apodiktisch und bedenklich auf. Seit dem Aufsatz Volkstum im Jahre 1927 in den Kirchlichen Blättern hatte Konrad Möckel den Vorrang, Christ zu sein, vor dem Ethnischen betont. Als Erwin Reisner ihn wegen Unklarheiten kritisierte, bestätigte er in seiner Antwort diesen Vorrang ausdrücklich. Wahrscheinlich schien es ihm ganz unwahrscheinlich, dass sich die Afterlehren der Mathilde Ludendorf durch beharrliche Wiederholung und mit Hilfe der politischen Macht einmal offiziell durchsetzen könnten. Lag es im 20.  Jahrhundert nicht unter jedem Diskussionsniveau, auf die phantastischen Vorstellungen einer „nordischen Rassenseele“ einzugehen, in die einige   9

Konrad Möckel: Völkischer Idealismus und Christentum. In: Südostdeutscher Wandervogel Rundbrief 2/1933, S. 17-18. Nachlass KM, Hds DM 4. 10 Nachlass KM, Hds DM 4, Südostdeutscher Wandervogel Rundbrief 2/1933, S. 18.

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Wandervögel alles Gute hineinprojizierten, während sie der „nicht arischen Seele“ alles Schlechte nachsagten? Dieser Rassenwahn fraß sich wie eine ansteckende Krankheit immer weiter und trug in kleinen Schritten und über viele kleine Zwischenstufen zwölf Jahre später dazu bei, dass Tausende von siebenbürgisch-sächsischen jungen Männern freiwillig die SS-Uniform anzogen und Hunderte zu Wächtern in Konzentrationslagern wurden. Radikalisierung der Selbsthilfe Nähe und Distanz zur Selbsthilfe lagen im Lebenslauf Konrad Möckels, so widersprüchlich das klingt, eigentümlich nahe beisammen. Seit der Tagung in SächsischRegen war Konrad Möckel mit Fritz Fabritius bekannt. Nach einer Veranstaltung der Selbsthilfe in Hermannstadt („Selbsthilfeschlacht gegen Pfarrer Alfred Herrmann“ im Mai 1931), in der auch Konrad Möckel das Wort ergriffen hatte, ließ ihn ein Berichterstatter im Presseorgan der Selbsthilfe, das inzwischen „Ostdeutscher Beobachter“ hieß, fälschlich als Kronzeugen gegen Pfarrer Alfred Herrmann auftreten. Konrad Möckel entschuldigte sich sogleich brieflich bei Hermann und stellte den Artikel richtig. Er sei zu der Veranstaltung im Bewusstsein gefahren, „dass dort die ganze deutsch-kirchliche Ideologie anmarschieren würde und dass es vielleicht gut sei – wenn sich Gelegenheit dazu böte – an den allerwildesten Trieben ein wenig zu beschneiden“.11 Er wandte sich in einem Diskussionsbeitrag gegen das von Pfarrer Misch Bergleiter gebrauchte Wort „Blutstolz“ und gab zu bedenken, „was alles an Schlimmem und Unehrenhaftem in unserem Blute lebt“.12 Im Jahre 1932 verdichtete sich die Beziehung Konrad Möckels zur Selbsthilfe und begann sich dann zu lockern. Er musste feststellen, „dass derzeit reichlich Ungnade der Selbsthilfeführer“ auf ihm ruhe. Man sei dort „sehr wenig geneigt, religiöse Kritik am Volksprogramm zu hören“.13 Konrad Möckel war kein Mitglied der 1932 gegründeten NSDR geworden, aber er stand bis dahin der Selbsthilfe nahe. Nach 1933 spitzte sich der Kampf zwischen Teilen der Erneuerungsbewegung und der Kirche weiter zu. Die sächsischen und die reichsdeutschen Nazis hetzten gegen Bischof Glondys.14 An Bischof Friedrich Teutsch hatten sie sich nicht herangewagt. Dem Nachfolger gegenüber schlugen sie im doppelten Sinn einen neuen Ton an. Neu war die offene Gegnerschaft gegen einen „Sachsenbischof“ und neu war der höhnische Ton – ein 11 Nachlass KM, Karton 12, Mappe „Briefwechsel Großpold 1933“. Brief KM (Durchschlag) an Pfarrer Alfred Herrmann vom 29. Mai 1931. 12 Ebda. 13 Nachlass KM, Karton 12, Mappe „Briefwechsel Großpold 1933“. Brief (Durchschlag) KM an Emil Bruckner (Deutsche Büchergilde Rumänien) vom 24. September 1932. Emil Bruckner, ein ehemaliger Schüler Konrad Möckels, hatte ihm den Entwurf einer Satzung für die Deutsche Büchergilde Rumänien zugesandt. KM fand sie „für solch eine geistige Kulturaufgabe etwas zu militärisch-nationalsozialistisch eingestellt“. 14 Siehe Kapitel 7.

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auffallender Wandel nach 1933. Die Klagen über „die traurige politische Verhetzung unserer Tage“ nahmen kein Ende.15 Ein aufsehenerregender Angriff auf Bischof Glondys entzündete sich an einem Zwischenruf, mit dem ihm der Amtsbonus im Volksrat genommen werden sollte. Was war geschehen? Im Jahre 1933 war in der siebenbürgisch-säschsischen Öffentlichkeit über ein neues Programm für den Sachsentag gestritten worden. Die Beschlüsse der in unregelmäßigen Abständen abgehaltenen Sachsentage waren seit der „Zertrümmerung des Königbodens“ 1876 die Grundlage der Politik der Minderheit gegenüber der Regierung.16 Sie gaben den sächsischen Parlamentsabgeordneten eine Orientierungsgrundlage für ihre Verhandlungen mit den ungarischen, später mit den rumänischen Regierungen. Der Sachsentag 1933 war auf Wunsch des Vorsitzenden des Volksrates, Dr. Karl Ernst Schnell, Bürgermeister von Kronstadt, einberufen worden. Er wollte ihn politisch für eine wirksame Minderheitenpolitik nützen und schrieb Fritz Fabritius, es werde die erste und wichtigste Aufgabe des Sachsentages sein, „aus den letzten 14 Jahren unseres politischen Lebens im neuen Vaterland das Fazit zu ziehen und jetzt, wo wir es mit allen rumänischen Parteien ohne Erfolg versucht haben, gewissermaßen abzurechnen und unsere Wege für die Zukunft vorzuzeichnen“ (Schnell 1935, S. 229). Doch zur Bekundung eines klaren Willens gegenüber der rumänischen Regierung kam es nicht. Der Sachsentag am 1. Oktober 1933 beschränkte sich auf die Verabschiedung eines Volksprogramms. Als die NSDR die stärkste Partei geworden war und die Interessen der sächsischen Minderheit gegenüber der Regierung hätte wahrnehmen sollen, versagte sie. Statt eine Politik zum Wohl der Minderheit und zum Wohl des Landes zu konzipieren und – soweit möglich – umzusetzen, beschäftigten sich die rumäniendeutschen Nationalsozialisten nach dem Muster der Nazis in Deutschland damit, die bestehenden kirchlichen und politischen Gremien der Sachsen zu durchsetzen, als ob der Gewinn von Mehrheiten innerhalb der Minderheit das politische, letzte Ziel sein könne. Der stellvertretende Vorsitzende der Selbsthilfe, der aus Kronstadt stammende Dr. jur. Waldemar Gust, unterbrach in der Volksratssitzung am 22. Januar 1934 eine Rede des Bischofs. Dieser war von Amts wegen Mitglied des Volksrates. In einem Zwischenruf behauptete Gust, Glondys spräche im Volksrat nicht in seiner Eigenschaft als Bischof, sondern wie jedes andere Mitglied auch. Viktor Glondys sah darin mit Recht einen Versuch, das Bischofsamt herabzuwürdigen, zumal der Vorsitzende, Dr. Otto Fritz Jickeli, den Zwischenrufer Dr. Gust nicht sogleich zurechtwies und ihn nach der Sitzung auch noch verteidigte. Glondys beendete seine Rede und verließ darauf den 15 Zum Beispiel Konrad Möckel: Welche Bedeutung hat unsere Volkskirche für unsere Zeit? Hermannstadt 1934, S. 8. Auch: Kirchliche Blätter Nr. 33 vom 16. August 1934. 16 Friedrich Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk, Band IV, „1868-1919 Unter dem Dualismus“. Hermannstadt 1926. Teutsch beginnt mit dem Kapitel „Die Zertrümmerung des Königsbodens 1868-1876“. Dort ist S. 24-31 das „Sächsische Nationalprogramm“ abgedruckt, das wichtigste Ergebnis des Mediascher Sachsentages 1872.

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Raum. Mit ihm und Dr. Hans Otto Roth zogen weitere 52 Personen aus. Die Mitglieder der NEDR, wie die NSDR inzwischen hieß, blieben in der Versammlung, unter ihnen auch Pfarrer Wilhelm Staedel. Damit war der öffentliche Angriff auf das Bischofsamt nicht mehr nur die Sache Waldemar Gusts, sondern der NEDR. Mit diesem Affront gegen den Bischof gerieten alle kirchlichen Mitarbeiter in eine für die damalige Zeit bezeichnende Entscheidungssituation. Auch Konrad Möckel konnte nicht neutral bleiben und schrieb an Fritz Fabritius. Sein Brief zeigt ein Dilemma, das für die Siebenbürger Sachsen eine eigentümliche, politische Falle darstellte – „die reichsdeutsche Falle“ oder „das Deutsche-Reich-Tabu“.17 Nicht nur Konrad Möckel tappte in diese Falle hinein. Er war, wie er in seinen Erinnerungen festhielt, „von den ‚Alten‘ als notorischer Erneuerer gewählt!“ worden. Aber nun schrieb er dem „lieben Fritz“ Fabritius, ernste Sorge veranlasse ihn „mitten aus einem überreichen Pflichtenkreis heraus“ zu schreiben.18 Nach wie vor bekenne er sich mit seiner „gesamten Haltung zur Erneuerungsbewegung“, und zwar auch dann, wenn er von der Partei offen oder geheim angefeindet werde. Die letzten Ereignisse hätten sein Vertrauen „in das gute Wollen der Partei“ auf das Schwerste erschüttert. „Ich habe große Zweifel darein, dass Ihr wirklich die Volksgemeinschaft aufbauen wollt ... viele unter Euch wollen einfach die bisherige Ordnung unseres Volkes nicht nur innerlich umformen, sondern gewaltsam niederbrechen.“

Zugleich appellierte er an die Aufbauwilligen in der Erneuerungsbewegung. Trotz aller Fehler, welche die Verantwortlichen unter den Siebenbürger Sachsen in der Vergangenheit gemacht haben mochten, gäbe es eine gute, bewährte Tradition. Wer gutwillig sei, werde daher hellhörig und vorsichtig demgegenüber, was im Volke vorgehe: „Er schont die Gewissensfreiheit der Menschen und hat Raum in den eigenen Reihen für selbständiges, denkendes Urteil. Aber ich zweifle daran, dass viele einflussreiche unter den Amtswaltern so denken. Ihr wollt aus unserm Volk eine Kaserne machen, wo über sittlich und geistig Entmündigten der Korporalstock geschwungen wird. Das kommt am klarsten zum Ausdruck in der Stellung zur Volkskirche. Mein anfangs nur leiser Verdacht hat sich verfestigt, dass die allgemeine taktische Linie auf die Beseitigung bezw. Bedeutungslos-machung der Kirche geht. Man will Parteimacht aufrichten neben der ehemaligen, zum Absterben verurteilten Volksgemeinschaft, und auf diesem Wege ist das grösste Hindernis eine wahrhaft lebendige Kirche. Der äussere Bau muss natürlich erhalten bleiben, denn ohne den ist ja bei uns nichts zu machen. Aber geistigen Einfluss auf wirkliche Entscheidungen darf das Gedankengut der Kirche nicht haben. Und was von diesem Gedankengut in einem bedeutungslosen Winkel unseres Kulturlebens noch bleibt, das soll verfälscht werden, indem das

17 Dieses Dilemma ist schon in Kapitel 6 aus Anlass des Berichts über den Skandal in der Honterusschule 1933/1934 angesprochen worden. Die Kronstädter Zeitung unterschied zwischen „Pseudonationalsozialisten“ und „wirklichen Nationalsozialisten“. 18 Konrad Möckel an Fritz Fabritius am 28. Februar 1934. Nachlass KM, Leitzordner 18.

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Evangelium Jesus Christus durch eine teils seicht aufklärerische, teils verschwommenmystische ‚deutsche‘ Religion ersetzt wird.“

Dieses Programm gehe aus Äußerungen und Handlungen hervor, nur wage man damit noch nicht offen ans Licht zu treten. Der Vorgang sei „grund-unehrlich und undeutsch“. Durch den ganzen Brief Konrad Möckels ziehen sich zwei widersprüchliche Tendenzen. Die eine bewog ihn, sich loszusagen und einen klaren Trennungsstrich gegenüber der Erneuerungsbewegung zu ziehen. Die andere trieb ihn dazu, alle einzubeziehen in der Hoffnung, es ließe sich ein Auseinanderbrechen der Volkskirche vermeiden. Die Trennung von den Weggefährten war nicht leicht, immerhin hatte er vier Jahre lang mit ihnen zusammengearbeitet. Aber Konrad Möckel ahnte auch, dass der tiefe Riss inzwischen schon eingetreten war. Das beschwörende „unser“ in dem Brief, wo immer es auftaucht, meinte die von Konrad Möckel geliebte, erneuerungsbedürftige Volkskirche, die niemanden verloren geben sollte, wie er zwei Jahre vorher in seinem Aufsatz „Wohin treiben wir?“ eindrucksvoll gemahnt hatte. „Unsere Jugend“, so fürchtete er, solle allmählich dem Einfluss des volkskirchlichen Kraftfeldes entzogen werden und „unser gesamtes Kulturleben“ solle ganz der Kontrolle einer rein politischen Idee unterstellt werden. „Unser Pfarrerstand“ aber habe entweder zu schweigen oder zu jeder Verirrung seine gehorsame Zustimmung zu geben. Kritik und Warnung werde grundsätzlich nicht geduldet. „Diese Zustände sind unerträglich geworden. Namentlich ist es unerträglich, dass Du nach den Vorgängen der letzten Zeit Dr. Gust belobigend herausgestellt hast. Mit derartigen Handlungen wird das ganze geistige und politische Kapital der Bewegung leichtsinnig verpantscht. Was heute als erster Schritt zur Gesundung unserer Verhältnisse erforderlich erscheint, ist die Beseitigung aller Elemente aus der Bewegung, welche sie vor der Öffentlichkeit in Misskredit bringen. Falls ich mit all diesen Anklagen Unrecht habe, so beweist es durch unzweideutige Taten, die zum Aufbau der Volksgemeinschaft – nicht der Partei – dienen.“

Er schickte Abschriften auch an Otto Fritz Jikeli, den Gauführer der Selbsthilfe, an Alfred Bonfert und Alfred Pomarius und erwartete „eine befriedigende Antwort“. Erfolge sie nicht bis Mitte Februar, behalte er sich vor, das Schreiben in „unserer Presse“ zu veröffentlichen. Noch aber traue er auf den gesunden Kern der Bewegung und auf den „ehrlichen Verständigungswillen“. Er schloss mit „Dein“ und „in diesem Sinne“.19 Konrad Möckel erkannte nicht, dass es ein „geistiges und politisches Kapital“ der sächsischen Erneuerungsbewegung nie gegeben hatte. Es gab nichts, was „leichtsinnig verpantscht“ hätte werden können. Die Ernennung Hitlers brachte zum Ausdruck, wovon die NSDR lebte. Das war der „Völkische Beobachter“, der hinter dem „Ostdeutschen Beobachter“ stand. Die Scharfmacher der Erneuerungsbewegung waren folgerichtig wenige Jahre später diejenigen, welche die rumäniendeutsche Minderheit im Auftrag der SS Heinrich Himmlers im Stile eines Protektorats führten und während 19

Ebda.

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des Krieges Tausende Freiwillige herauspressten. Die sächsischen Nazis, besonders die Radikalen, waren in den Augen vieler Kritiker in Siebenbürgen minderwertig, dagegen waren es die Nazifunktionäre „im deutschen Reich“ einschließlich Hitlers in den Augen der gleichen Kritiker nicht. Die Gesinnung der Nationalsozialisten und ihre Haltung zur Volkskirche stellte ein Dienstbuch der NEDR bloß. Es war für Funktionäre der NEDR und für Mandatsträger bestimmt und hielt sie dazu an, in den sächsischen Gremien nicht mitzuarbeiten, sondern diese möglichst lahmzulegen, also „Fundamentalopposition“ zu betreiben. Die NEDR setzte ihre Funktionäre unter Druck. Da die Gewählten ihre Mandate, so die Argumentation, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur NEDR erlangt hatten, mussten sie bei ihrem jeweiligen Gauleiter schriftlich ihre Abdankung hinterlegen. Nur das Datum blieb offen, das dieser bei nicht parteikonformem Verhalten jederzeit eintragen konnte. Die Partei verbot ihren Mitgliedern, sich loyal an die Satzungen der Gremien (zum Beispiel Presbyterien oder Ausschüsse des Volksrates) zu halten. Alle Mitglieder der Gremien waren verpflichtet, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Das Dienstbuch forderte dagegen von ihnen Kadavergehorsam gegenüber der Partei. Den Zwang zur Fundamentalopposition begründete das Dienstbuch verräterisch mit dem „Kampf zwischen zwei Weltauschauungen, die in keinem Punkte miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können und von denen eine die andere ausschliesst“. Entweder es siege der „jüdisch-materialistische oder der im Nationalsozialismus verkörperte idealistische Gedanke“.20 Das Dienstbuch enthielt schon die rassistische Bestialität der späteren Naziherrschaft. Wohin die Kirche in den Augen der NEDR-Funktionäre nach dieser bornierten Alternative gehörte, war klar. Das Dienstbuch war Bischof Glondys zur Kenntnis gekommen, und er machte einige Passagen öffentlich. Konrad Möckel war erstaunt „über das unsaubere geistige Durcheinader auf der Erneuerungseite des sächsischen Bruderstreites“. Er habe, schrieb er an Albert Klein, „an Fabritius, Jikeli, Pomarius und Fred sehr ernste, ja scharfe Briefe geschrieben“. „Das Dienstbuch hat mir dann vollends Recht gegeben. Da stehen so hanebüchene Dinge drin, dass einem wahrhaftig ‚die Spucke wegbleibt‘. Darüber wollte ich gerne ausführlich mit Dir reden.“21

Die Nationalsozialisten spielten, nachdem das Dienstbuch öffentlich gemacht worden war, den Zynismus der Anweisungen herunter, sprachen von aus dem Zusammenhang herausgerissenen Zitaten, klagten darüber, dass seine Bedeutung zu hoch eingeschätzt werde, und zogen es schließlich offiziell zurück. Die totalitäre Fratze war für einen Augenblick sichtbar geworden, aber niemand in Siebenbürgen erkannte und sprach

20

Auszüge aus dem Dienstbuch in Abschrift im Nachlass KM, Hds DM 11. Schulungsmaterial u. a. 21 KM am 14. März 1934 an Albert Klein. Nachlass KM, Hds DM Leitzordner 18.

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es öffentlich aus, dass diese Fratze das wahre Gesicht des neuen Herrn in der Reichskanzlei in Berlin war. Einlenken der NEDR – das „kleinsächsische Konkordat“ Es schien, als könne Viktor Glondys die gefährlich brodelnden Kräfte der NSDR domestizieren. Diese hatte sich nach dem Verbot durch die rumänische Regierung in NEDR umbenannt.22 Es gelang Glondys, am 21. März 1934 eine „Vereinbarung zwischen der evangelischen Kirche in Rumänien und der N.E.D.R.“ zustande zu bringen. Der deutsche Gesandte in Bukarest von der Schulenburg fasste das Ergebnis für das Auswärtige Amt in Berlin zusammen: „In diesem Vertrag hat sich die N.E.D.R. verpflichtet, wissentlich an die Mitglieder der Evangelischen Landeskirche keine Forderungen zu richten, die mit der kirchlichen Verkündigung, der Kirchenordnung und den sonstigen Vorschriften in Widerspruch stehen. Die Leitung der N.E.D.R. verzichtet ferner auf die Anwendung des Führerprinzips im Sinne der Berechtigung [,] bindende Anordnungen für die Mitglieder der Kirche in allen Fragen, die durch kirchliche Vorschriften geordnet werden, zu erlassen. Soweit die Leiter der N.E.D.R. Mitglieder der Landeskirche sind, erkennen sie die Kirchenordnung und die sonstigen kirchlichen Vorschriften als verbindlich an. Alle Angestellten der Landeskirche haben eine schriftliche Erklärung abzugeben, dass sie die Anordnungen der N.E.D.R. [,] die im Widerspruch mit der Vereinbarung stehen, als unwirksam erachten. Außerdem wird die N.E.D.R. dafür Sorge tragen, dass die Jugend in den politischen Tageskampf nicht einbezogen wird und sich jeder politischen Einflussnahme auf die schulpflichtige Jugend überhaupt enthält. Ferner ist in dem23 Vertrag vorgesehen, dass alle Verfügungen der N.E.D.R., die kirchliche Fragen berühren, der Kirchenleitung zu Einsichtnahme vorgelegt werden.“24

Er habe vertraulich erfahren, dass innerhalb des Landeskonsistoriums starke Widerstände zu überwinden gewesen seien, bis dieses sich zum Abschluss des Vertrages entschloss. Dr. Waldemar Gust, der zu dieser Zeit das Kirchliche Außenamt in Berlin besuchte, zeigte sich von dem Vertrag der NSDR mit dem Landeskonsistorium unbeeindruckt. Er wusste, dass Fritz Fabritius nachgeben werde, glaubte aber nicht an einen langen Bestand der Vereinbarung. Er rechne damit, „dass über kurz oder lang, er meinte in 1 ½ bis 2 Jahren, Bischof Glondys doch fallen müsse“.25 Gust täuschte sich, Fabritius 22 Nationale Einheitspartei der Deutschen in Rumänien, gelegentlich auch N.E.D.R. geschrieben. 23 Im Original steht versehentlich „den“. 24 EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 981 „Rumänien Allgemeines“ 1.  Januar 1933 – 30.  April 1934“. Bericht der deutschen Gesandtschaft in Bukarest an das AA (Durchschlag) „Vereinbarung zwischen der evangelischen Kirche in Rumänien und der N.E.D.R.“ zur Kenntnisnahme vom 21. März 1934. 25 EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 981 „Rumänien Allgemeines“ 1.  Januar 1933 – 30.  April 1934“. Aktenvermerk vom 22. März 1934.

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blieb der Ev. Landeskirche A. B. gegenüber loyal. Glondys konnte erst gestürzt werden, als Rumänien unter deutscher Militärbesatzung stand und die SS über Handlanger die rumäniendeutsche Minderheit beherrschte. Spaltung der rumäniendeutschen, nationalsozialistischen Partei Der Ausgleich von Fritz Fabritius mit den konservativen Vertretern der Rumäniendeutschen im Parlament und mit dem Bischof der Ev. Landeskirche A. B. entspannte auch das Verhältnis der Konservativen zum Vorsitzenden des Verbandes der Deutschen in Rumänien. Auch sie hatten im Rahmen der Wahlen innerhalb der Volksorganisation Fritz Fabritius zum Volksratsvorsitzenden gewählt. Er stand auf der Höhe seiner Macht. Der Streit zwischen Konservativen und Erneuerern von 1932, der im Wahlkampf vor der Bischofswahl heftig geführt worden war, schien damit beendet. Überraschend tat sich jedoch innerhalb der Erneuerungsbewegung selbst ein Dissens auf. Er ruft heute meist nur Kopfschütteln hervor und schien schon damals vielen Beobachtern gespenstig. Im Abstand von 75 Jahren lässt sich jedoch erkennen, dass die Spaltung konsequenter war, als es auf den ersten Blick hin scheint, allerdings nicht in dem Sinne der Protagonisten von damals, die auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Entscheidung politisch zu rechtfertigen suchten. Der Bruch war, wenn man einen Willen zur politischen Gestaltung im jungen rumänischen Staat unterstellt, unvernünftig, aber der Wahnsinn hatte Methode. Was war geschehen? Am 4. Juli 1934 verbot das rumänische Innenministerium die NEDR. Am 10. Februar 1935 gründete eine Initiative Banater Politiker eine neue, nationalsozialistische Partei, die Deutsche Volkspartei Rumäniens (DVR). Sie war gegen angesehene, konservativ katholische Politiker der Rumäniendeutschen im Banat gerichtet. Die neue Parteigründung fand die Zustimmung von Fritz Fabritius. Bald führte sie jedoch zu einem Konflikt innerhalb der rumäniendeutschen Erneuerungsbewegung. Bis dahin standen sich die junge Generation der Erneuerer und die ältere Generation der Konservativen gegenüber. Nun bildete sich eine neue, zunächst noch unklare Streitfront heraus. Junge Erneuerer um Waldemar Gust, Alfred Bonfert, Fritz Cloos und Franz Adam Minnich aus dem Banat kämpften gegen alte Erneuerer um Fritz Fabritius, mit dem nach seinem Sieg in der Volksorganisation auch die Konservativen zusammenarbeiteten. Da die Erneuerungsbewegung in vielen innersächsischen Gremien die Mehrheit errungen hatte, waren auch die aus den Parlamentswahlen hervorgegangenen deutschen Abgeordneten in Bukarest und die Ev. Landeskirche zur sachlichen Zusammenarbeit mit Fritz Fabritius bereit. Die neugegründete DVR dagegen wünschte ohne Rücksicht auf abgeschlossene Verträge freie Hand in der Bekämpfung der katholischen Kirche im Banat und der Ev. Landeskirche A. B. in Siebenbürgen. Hinzu kam, dass Alfred Bonfert, Waldemar Gust und andere mit dem Führungsstil von Fritz Fabritius nicht einverstanden waren. Sie warfen ihm Unentschlossenheit vor. Diese bestand unter anderem darin, dass er der

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evangelischen Kirche zu weit entgegenkam, statt sie zu bekämpfen. Die Parteispalter in der DVR versuchten Fabritius ein Dreiergremium an die Seite zu stellen, das in allen wichtigen politischen Fragen die Entscheidungsbefugnis haben sollte. Das kam einer Entmachtung gleich, gegen die sich Fabritius wehrte. Das Zerwürfnis konnte nicht beigelegt werden. Die DVR etablierte sich als eine besonders kämpferische, nationalsozialistische Partei. Der Streit innerhalb der Rumäniendeutschen erhielt damit eine neue Qualität; nun standen sich die nationalsozialistisch dominierte Volksorganisation mit Fritz Fabritius an der Spitze und die bei der Entmachtung des Rittmeisters Fabritius gescheiterten nationalsozialistischen DVRRebellen gegenüber, die den Anspruch erhoben, die konsequenteren Nationalsozialisten zu sein. Es war ein Schisma in einem pseudoreligiösen Macht- und Glaubenskampf. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche in Siebenbürgen und mit der katholischen Kirche im Banat oder deren Ablehnung bildete das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Die Kirchen waren im Banat wie in Siebenbürgen, besonders auf dem Lande, immer noch Volkskirchen – gewiss nicht mehr unangefochten, aber im Vergleich mit Deutschland doch beachtenswert lebendig. Die DVR gab sich offiziell zwar in Fragen der Religion neutral, tat aber nichts gegen harte, aggressive Kirchenfeindlichkeit in ihren Reihen. Sie wünschte sich eine Mauselochkirche und duldete, dass parteinahe Publikationen die Kirchen verächtlich machten. Zwar griffen auch Zeitungen, die dem Naziflügel um Fabritius nahestanden, die Kirchen an. Im Großen und Ganzen respektierten die „Fabritianer“ jedoch die traditionelle Verankerung der Schwaben im Katholizismus und der Siebenbürger Sachsen im Protestantismus. In Deutschland spaltete der Kirchenkampf die evangelischen Kirchen selbst. Es gab die dem Nationalsozialismus ergebenen Deutschen Christen und die Bekennende Kirche mit eigener kirchlicher Verwaltung und dazwischen kompromissbereite Landeskirchen. In Bayern und Württemberg brachen die evangelischen Landeskirchen nicht auseinander, obgleich die sog. „intakten“ süddeutschen Landeskirchen unter ihren Mitgliedern Befürworter und Gegner des Nationalsozialismus hatten. In Siebenbürgen hielt die Einheit der Kirche. Es gab Pfarrer, die parteigläubige Nationalsozialisten waren, andere, die sich distanzierten und viele, die sich wie in Deutschland durchlavierten. Der DVR-Flügel der jüngeren Nationalsozialisten radikalisierte sich mehr und mehr. Konrad Möckel hatte die totalitäre Mentalität der siebenbürgisch-Sächsischen Nationalsozialisten nach dem Eklat in der Volksratssitzung im Januar 1934 erkannt. Der Bruderzwist in der Erneuerungsbewegung fand auf dem Lande innerhalb der Volkskirche und in den Städten auf ihren Trümmern statt und war nicht leicht als eine Variante des Kirchenkampfes zu erkennen. Der pseudoreligiöse Kurs der SS Heinrich Himmlers zeichnete sich in der Mentalität der radikalen DVR ab. Heute erscheinen die damaligen Verstiegenheiten (Rassenwahn, Sterilisation als Volksheilungsmittel, „Ausmerze“ der Behinderten, diskriminierende Rassengesetze gegen jüdische Deutsche) abstrus und indiskutabel. Der Kult der nordischen Rasse war rechthaberisch und aggressiv. Seine Hohepriester erzogen viele Tausende junger Menschen sozialdarwinistisch und

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beriefen sich hierbei auf die Naturwissenschaften. Sie beseitigten die zivilisatorischen Tötungshemmungen und gaben das Mitleid mit den Schwachen und Hilfsbedürftigen der Lächerlichkeit preis. In den Augen der DVR hatte die Abspaltung von der NEDR einen – ihrer Ansicht nach – konstruktiven Sinn. Sie sollte die wahre nationalsozialistische Revolution vor dem Versinken in einem Sumpf von faulen Kompromissen bewahren und konsequent zu Ende führen. Der Erlass des Landeskonsistoriums 924/1936 In dieser Situation untersagte Bischof Glondys im Erlass 924/1936 allen kirchlichen Angestellten, sich in politischen Parteien zu betätigen; ausgenommen davon war nur die Volksorganisation; denn sie war die Vertretung der Siebenbürger Sachsen im rumänischen Staat.26 Unter den kirchlichen Angestellten waren auch Lehrer, Lehrerinnen und Pfarrer, die sich der DVR zugehörig fühlten. Der Erlass konnte als Selbstverteidigung der Kirche gegen sich häufende Angriffe im „Nachrichtendienst“ der DVR gesehen werden. So sahen es der Bischof und das Landeskonsistorium.27 Da die Volksorganisation mehrheitlich von der NEDR beherrscht war, konnte man in dem Erlass jedoch auch eine einseitige, politische Maßnahme zum Vorteil von Fritz Fabritius und seiner Partei sehen. So sah es die DVR. Einige ihrer Mitglieder und zugleich Angestelltem der evangelischen Kirche verweigerten die Unterschrift. Die DVR machte aus ihrer Weigerung ein Symbol der Standhaftigkeit im Widerstand gegen die, wie sie meinte, ungerechte Forderung der Kirche. Folgt man dem Tagebuch Bischof Glondys’, wollte er die politischen Gegensätze nicht zuspitzen, sondern nur klare Verhältnisse innerhalb der Kirche schaffen und die Neutralität der Kirche im innersächsischen Parteienstreit wahren. Das Landeskonsistorium unterstützte ihn.28 Wenn die DVR bei Wahlen die Mehrheit in den Gremien 26 Das Zirkular vom 14. Februar 1936 Z. 924/1936 war ein Rundschreiben an alle Bezirkskonsistorien, Presbyterien (Kirchenräte), das Diasporapfarramt und an alle Schul- und Kindergartenleitungen und betraf das Verbot der Zugehörigkeit zu politischen Gruppen und Parteien. „Unter nachdrücklicher Hervorhebung der Bestimmungen der §§ 21, Punkt 7, 38 und 44, Punkt 4 der Kirchenordnung werden die Angestellten in der Kirche und Schule und alle Kandidaten und Studierenden der Theologie sowie der Theologie und des Lehramtes angewiesen, ihre Zugehörigkeit zu sämtlichen politischen Gruppen und Parteien zu lösen und aus der parteipolitischen Front unverzüglich zurückzutreten.“ Alle Angestellten hatten die Erklärung zu unterschreiben: „Ich bestätige das Rundschreiben Z. 924/1936 zur Kenntnis genommen zu haben.“ Dem Landeskonsistorium waren bis zum 15. März 1936 alle Angestellten zu nennen, welche die Erklärung nicht abgegeben hatten. Der Erlass trug wie üblich die Unterschriften des Bischofs und des Hauptanwaltes Dr. Hans Weprich. Kirchliche Blätter 1936, S. 84-85. 27 Viktor Glondys: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933-1949. Hgg. Johann Böhm, Dieter Braeg. Dinklage 1997, S. 202, Eintragung vom 10. Februar 1936. 28 Ebda, S. 209 geht Glondys auf seine kirchenpolitische Selbständigkeit ein. Er habe sich vor mehreren kirchenpolitischen Entscheidungen nicht von Hans Otto Roth, dem Landeskirchenkurator, beraten lassen, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Roth war ein Gegner der

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der Volksorganisation erreicht hätte, was sie anstrebte, wäre der Erlass 924/1936 ihr zugute gekommen. Der DVR war es wichtig, den Versuch des Bischofs und des Landeskonsistoriums, Neutralität zu wahren, als politische Parteinahme zu deuten, um kirchliche Mitglieder aus der Geschlossenheit der Kirche herauszubrechen. „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ Konrad Möckel hielt den Erlass zwar für unklug, die Reaktion der Unterschriftverweigerer aber für unmotiviert. Er exponierte sich in seiner Schrift „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ (1936).29 Drei Jahre vorher hatte er in der Schrift „Idealismus und Wirklichkeit“ um die Freunde aus dem Südostdeutschen Wandervogel geworben. Nun distanzierte er sich von den politisch radikalen Erneuerern, die nicht die Schäden in der Ev. Landeskirche bekämpften, sondern die Kirche und das Christentum selbst. Konrad Möckel äußerte sich in dieser Schrift entschieden und konkret. Er nannte Ross und Reiter und deutete die Auseinandersetzung als einen blinden Machtkampf. Mit einem heute befremdlichen Pathos bekannte er sich auf der ersten Seite zu Christus und zur Volkskirche30 und legte damit den Grund für seine Argumentation. Die verleiblichte Kirche sei „das Herz wahren, echten Volkslebens“ (S. 3) und „Hüterin echter Gemeinschaftsordnung“. Er wolle zu denen sprechen, die sich zur Kirche bekennen und für die es zum politischen Grundkonsens gehöre, dass die Kirche eine „dienende Einrichtung des Volkslebens“ und nur der Wahrheit verpflichtet sei. Er sah in der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien gleichsam einen Ombudsmann im Streit der Interessen und zugleich eine Botschafterin des Evangeliums. „Wer um wahre und wichtige Lebenszusammenhänge weiß und redet nicht davon, redet nicht laut, vernehmlich und öffentlich davon, der verletzt seine höchste Pflicht und sündigt wider den heiligen Geist“ (S. 4).

Weil Politik und Kirche sich überschneiden, habe er das Recht, als Mann der Kirche zu fragen: Worin besteht unsere Not? Er sah sie im „gefährlichen Rauschzustand“, in dem sich das sächsische Volk befand. Der Rausch täusche Leben vor, wo es sich „bloß um die Röte und Erregung eines Schwerkranken“ handele (S. 5). Treue, Mannesmut, Ehrgefühl, Verantwortungsfreudigkeit und Gewissen, alles sei in den Strudel hineingerissen. Nationalsozialisten und gehörte eher zu den konservativen Politikern. Glondys führt als Beispiele die Beratung vor der Fahrt zur „Reichstagskonferenz“ an, auf der er den Brief von Rudolf Heß an Fritz Fabritius erreichte, und ferner die Veröffentlichung seiner Flugschrift „Zur Klarstellung der Lage“. Eintragung vom 27. März 1936. 29 Konrad Möckel: Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche. HonterusBuchdruckerei und Verlagsanstalt Sibiu-Hermannstadt 1936. Die Zahlen in Klammern beziehen sich in diesem Unterkapitel auf die Seitenzahlen der Broschüre. 30 Im ersten Kapitel Standpunkt der Beurteilung. Die neun Kapitelüberschriften sind im Folgenden ohne nähere Kennzeichnung kursiv gesetzt.

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„Dämonische Mächte treiben ihren Spott damit“ (S. 6). „Der Kampf um die Macht hat uns alle innerlich vergiftet und unser Handeln – was aber noch schlimmer ist – auch unser Denken und Fühlen verdorben“ (S. 7).

Alle stünden in einer Gemeinbürgschaft der Schuld. Der eigentliche Gegner seien nicht die Volksorganisation und die DVR, sondern „die Gier nach der Macht“ auf der einen Seite und „die Bereitschaft zur Wahrheit“ auf der anderen Seite (S. 8). Er distanzierte sich damit vom Parteienstreit und mahnte zur Wahrheit, wohl wissend, dass dieser Ansatz „zu wirklichkeitsfern und zu unpraktisch“ scheinen werde (S. 9). Der Grundkonsens zwischen den Parteien war verloren gegangen. Das umschrieb er mit der Frage: „Was will Gott von uns?“ (S. 9) und nahm an, dass diese Frage ein Gegengewicht zu den politischen Leidenschaften bilden könne. Das führte ihn zur Frage nach der Kirche; denn auch sie sei in den Machtkampf einbezogen, beispielsweise bei Kirchenwahlen, in denen man zwar nur den „innervölkischen Gegner“ treffen wolle, aber sich hierbei wie Heere verhalte, die „Fluren zerstampfen und Dörfer vernichten, die sie zu beschützen vorgeben“ (S. 10). Wie kann ohne nutzlose Klagen und Vorwürfe dagegen angegangen werden? Konrad Möckel empfahl, in der größeren Öffentlichkeit bescheiden, die Geschichte zu beachten und in Kronstadt beispielsweise sorgfältig allen seelischen Inhalt zu verarbeiten, der sich um die Begriffe „Honterusgemeinde“ und „Schwarze Kirche“ sammele (S. 11). Zur Kritik an den Schäden der Kirche sei nur berufen, wer sich ihr innerlich verbunden wisse. Die wahre Machtfrage sah er darin, dass es legitimierte Verantwortung zum Handeln gäbe und dem entgegen in Hinterzimmern unverantwortlich Politik gemacht werde – in „Konventikeln und Kränzchen, bei ‚Gruppen‘ und Hintermännern, bei Parteien und Klicken“ (S. 13): „Wir alle aber müssen unser Volksleben davor bewahren, daß die eigentlichen Entscheidungen dort fallen, wo niemals die eigentliche Verantwortung sein kann“ (S. 14),

Das war ein Votum gegen die Vorverlegung der Entscheidungen aus den Wahlgremien in informelle oder formelle Parteigruppen. Unter den Rumäniendeutschen gab es bis 1932 keine modernen Parteien mit einer innerparteilichen Demokratie. Die NSDR und ihre Nachfolgeparteien brachten das sog. „Führerprinzip“ auf, wonach der charismatische Führer die Unterführer bestimmt. Das allerdings entzog den Beschlüssen in den Gremien die demokratische Legitimation noch weit mehr als „Bürgerabende“. Das bewies das berüchtigte Dienstbuch der NSDR. Nachdem Konrad Möckel umrissen hatte, was er unter der Volkskirche verstand, wandte er sich dem Streit mit der Kirche zu und ging auf den Erlass 924/1936 ein.31 Er erkannte, dass sich die weltanschaulichen Kämpfe der letzten Jahre in Siebenbürgen „mehr und mehr in der Frage nach der Kirche zusammenballten“ (S. 14). Aber der 31

Siehe Anm. 24 dieses Kapitels. Die Unterschrift unter die „Zur Kenntnisnahme“ legten die Mitglieder der DVR als eine Zustimmung zum Erlass selbst aus. Erst dadurch erhielt sie eine politisch-symbolische Bedeutung.

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Kern des Streites gegen die Kirche war nicht leicht zu durchschauen. Die DVR sprach sich für eine klare Trennung von Kirche und Politik aus. Konrad Möckel war bereit zu unterstellen, dass die DVR dies auch aus Rücksicht auf die Kirche selbst tue. Aber gerade dann war die Unterschriftenverweigerung unverständlich. „Das ist eine trübe, verworrene Sache“ (S. 15). „Es liegt auf der Hand, daß da etwas nicht stimmt. Geht die DVR so gefährliche Wege, daß die Kirche dadurch gefährdet werden könnte, wenn ihre Diener in den Reihen der Partei stehen? – Ist also doch die Gesinnung von Menschen, die voll und ganz mit treuer Hingabe zu ihrer Kirche stehen, unvereinbar mit der Gesinnung und den Zielen der DVR?“ (S. 17)

Die DVR wollte mit ihrem Kampf gegen den kirchlichen Erlass die Machtstellung von Fritz Fabritius treffen, den sie nach der Gründung der neuen Partei (DVR) nicht hatte beiseitedrängen können. Sie trieb Dutzende von Angestellten, Pfarrern, Lehrern, Kandidaten in einen völlig sinnlosen Disziplinarstreit mit der Kirche hinein.32 Das sechste Kapitel Die Partei ist dem Nachweis gewidmet, dass die politische Gruppierung der DVR am konsequentesten die Macht und nur die Macht anstrebe. Konrad Möckel bezog sich auf die Widersprüche zwischen Reden und Handeln. Die DVR behauptete, die regionalen Besonderheiten der Rumäniendeutschen überwinden zu wollen, benützte jedoch die siebenbürgisch-sächsische Volkstracht funktional; sie propagierte Gehorsam, bestreite der Kirche jedoch das Recht, in ihrem Bereich Ordnung zu halten. Die Kirche stehe mitten in der Brandung und müsse nach diesem Widerspruch fragen „im Hinblick auf ihre eigene Botschaft und im Hinblick auf jede irdische Volksordnung, die sie unter uns verkörpert“ (S. 20). Das umfangreiche 32 Es ist zum Verständnis des Streites notwendig, sich das Verhältnis vom Strafrisiko einerseits und politischem Effekt einer Unterschriftenverweigerung andererseits zu vergegenwärtigen. Ob die Kirche sich jemals auf diese Unterschriften beziehen und ein Disziplinarverfahren wegen politischer Betätigung einleiten würde, war offen. Erst recht war das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens in einem solchen Fall offen: eine aktenkundige Verwarnung, eine Versetzung oder eine Gehaltskürzung, eine Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Ob kirchliche Strafen vor staatlichen Gerichten Bestand gehabt hätten, wäre dann immer noch offen geblieben. Wer die Unterschrift verweigerte, ging sogleich aufs Ganze. Die DVR stellte mit der symbolträchtigen Parteinahme für die Unterschriftenverweigerer die Kirche vor ein Dilemma. Sollte sie wegen einer einfachen Unterschrift unter einen Erlass die Lehrer oder Pfarrer kündigen? Sie konnte die „Zur Kenntnisnahme“ auch erreichen, wenn sie ihre Angestellten in Gruppen einberief und ihnen den Erlass vorlas und aushändigte. Die DVR wertete die Unterschriftenverweigerung auf und machte daraus einen Protest dagegen, dass die Ev. Kirche A. B. Weisungen zur Enthaltung von politischer Betätigung erteilte. Sie ließ den Erlass, wenn sie schon Einwendungen gegen ihn hatte, nicht von einem ordentlichen, staatlichen Gericht auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen, sondern mutete ihren Sympathisanten und Mitgliedern zu, sehenden Auges Konflikte mit ihrem Arbeitgeber zu provozieren und Disziplinarstrafen zu riskieren – bis hin zur Dienstentlassung, womit dann der Beweis erbracht schien, dass die Kirche ihre Macht politisch missbrauchte. Die DVR deutete den Versuch der Ev. Kirche zur Neutralität in Fragen der Minderheitenpolitik als einen Versuch politischer Einmischung.

Machtkampf und Kirchenkampf

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siebente Kapitel Partei und Christentum schildert die Welt der Erneuerungsbewegung als einen wild bewegten „Kampfplatz verschiedenartigster Geister“ (S. 21). Es liege religiöses Bekennertum in all dem, was da vertreten werde, obgleich immer wieder behauptet werde, keine Glaubenssätze formulieren zu wollen. Er zitierte Beispiele und kam dann zu dem Ergebnis: „Wo man aber zum Glaubenskampf der Gegenwart losgelöst von lokalen Kirchenfragen Stellung nimmt, da tritt wenigstens in der Parteipresse ein Zug deutlich hervor: Die Abneigung gegen alles Christliche und die Hinwendung zur deutschen Glaubensbewegung“ (S. 25).

Die Parteipresse arbeite darauf hin, dass „christliches Denken durch ‚artgemäßes’ Neuheidentum ersetzt werde“ (S. 25) – Beispiele könnten Bände füllen. Es sei an der Zeit, dass „wir Christen über solche Dinge auch einmal deutlich und eindeutig reden“ (S. 30). „Wir können uns den Selbstvorwurf nicht ersparen, all zu lange aus falsch verstandenem Friedens- und Liebewillen zu diesen Dingen geschwiegen zu haben“ (S. 30).

Die antichristliche Strömung der alten Erneuerungsbewegung sei in das Schrifttum der DVR eingemündet. Es werde fraglos ein Kampf geführt, „ein heimlicher, unehrlicher Glaubenskampf, der sich hinter die großen Worte des politischen Idealismus versteckt, weil sich die Kämpfer auf diesem Gebiet der Lage nicht gewachsen fühlen“ (S. 31). Wann würden die Christen innerhalb der DVR gewahr werden, dass man sie missbrauche, wenn einerseits von der „Achtung von jedem ehrlichen Glaubensbekenntnis“ geredet werde und versteckt jede Gelegenheit wahrgenommen werde, „für neuheidnische Religion Propaganda“ zu machen (S. 32). Mit Bestürzung habe er gesehen, wie die Jugend nach dem beschämenden Riss in der Erneuerungsbewegung sehr schnell Steine gegen die Gegner schleuderte, statt betroffen zu schweigen. Im achten Kapitel Partei und Kirche deutete Konrad Möckel das gewandelte Verhältnis der Erneuerungsbewegung zur Kirche an. Die NEDR habe Männer in der Kirche bekämpft, aber sie habe die Kirche nicht zerschlagen wollen; wenngleich schon damals ein Geist am Werke gewesen sei, der die Kirche am liebsten habe beseitigen wollen: „Dieser Geist hat im Grunde die alte Erneuerungsbewegung aufgespalten. Das berüchtigte ‚Dienstbuch‘ ist noch in aller Erinnerung“ (S. 35).

Daran knüpfte Konrad Möckel noch weitere Beispiele. Er zweifelte daran, dass im Plan der DVR vom Aufbau der Volksgemeinschaft überhaupt eine Kirche vorgesehen sei. Der hemmungslose Kampf um die Macht sei „der schlimmste Feind unserer Volkszukunft“ (S. 42). Die dann folgende Unterscheidung markiert die Grenze der bemerkenswerten Analyse. Er distanzierte sich nicht von der „Volksbewegung der deutschen Erneuerung“. Sie sei in ihrem Kern nicht nur vereinbar mit den alten Ordnungen unserer Volksgruppe und im Grunde nichts anderes als eine Verlebendigung der Tugenden, „die uns hier in kampfdurchtobten Jahrhunderten haben bestehen lassen“ (S. 42). Das letzte Kapitel hieß Macht oder Erneuerung? Die Aufgabe der Kirche sei es, eine Botschaft zu vertreten, sie müsse nicht „bewahrt werden“, und er forderte eine innerlich angriffslustige Kirche.

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1933-1936

„Wo sind die Menschen, die dazu mit ganzem Einsatz bereit sind? – Sie allein werden nicht nur die ‚Kirchenfrage‘, sondern auch [die] ‚Volksfrage‘ zu lösen im Stande sein“ (S. 46).

Absage an die DVR Für Konrad Möckel war die Auseinandersetzung mit der DVR in der Schrift von 1936 grundsätzlich. Es habe nicht anders sein können, schrieb er 1953/1954, als dass „der Kern meines Wollens, die von mir als einzig lebenswert erkannte Welt der Lebensgemeinschaft mit Christus, hart und unversöhnlich mit all diesem Neuen zusammenstieß“.33 Er beklagte, dass „die Erneuerer eine Position nach der andern“ im Volksleben eroberten und dass die dazu Berufenen feige und innerlich unklar diesem Vorgang zusahen. Die Wendung „mit all diesem Neuen“ bedarf einer Erläuterung. Die Schrift war eine Distanzierung von der DVR und ihrer kirchen- und christenfeindlichen Agitation. Pfarrer Fritz Benesch gehörte zu denen, die sich weigerten, den Erlass 924/1936 zur Kenntnis zu nehmen.34 Er antwortete Konrad Möckel Anfang 1937 in einem Artikel. Konrad Möckel hatte die kirchen- und christenfeindliche DVR angegriffen, zu der Benesch gehörte. Von der NEDR sagte Konrad Möckel, dass sich auch dort Gegnerschaft gegen die Kirche gezeigt habe, ohne dass die Partei sie öffentlich in ihre Schranken gewiesen hätte. Er hielt sie jedoch für weniger hoffnungslos verrannt. Aber beide Flügel der Nazipartei, und darin liegt ein Widerspruch, waren eine „Teilverwirklichung der großen völkischen Bewegung, die seit einigen Jahren mächtig durch die Welt geht und im Nationalsozialismus ihren deutschen Ausdruck gefunden hat“ (S. 18). Im Jahre 1936 hatte er sich aus der Falle einer gespaltenen Betrachtungsweise des Nationalsozialismus noch nicht befreit. Insofern stimmte es nicht, dass er sich nicht nur von einem Teil, sondern von „all diesem Neuen“ zu trennen begann. Der entsprechende Abschnitt in den Erinnerungen klingt entschiedener und grundsätzlicher, als die Schrift „Der Kampf um die Macht“ wirklich war. „Die Erneuerer eroberten das Landeskonsistorium. Eine erbärmliche Servilität ein ‚Mit-den-Wölfen-Heulen‘ kam bis in die höchsten Kreise auf.“35

Konrad Möckel setzte in seinem Rückblick 1954 seine Schrift aus dem Jahre 1936 mit dem Sturz Glondys’ und dem Aufstieg von Wilhelm Staedel in Beziehung. Er sah 1954 33

Erinnerungen 1953/54, IX. Dazu Hans-Werner Schroeder: Fritz Benesch – Leben und Werk 1907-1991. Stuttgart Berlin 2007. Benesch stieg nach 1945 in der Christengemeinschaft auf. Seine radikal-nationalsozialistische Rolle, die er in Siebenbürgen gespielt hatte, legte er nicht offen, sondern deutete sie in seinen Erinnerungen vielmehr in einen Widerstand gegen den Nationalsozialismus um. Gerhard Möckel, der Sohn Konrad Möckels (1924-2004) suchte ein Gespräch mit Benesch über die Zeit nach 1933 in Siebenbürgen, das jedoch nicht zustande kam. Johann Böhm zählte Benesch zu „Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945“. So der Titel seines Buches. Frankfurt/M. u. a. 2006, S. 128-141. 35 Erinnerungen 1953/54, IX. 34

Machtkampf und Kirchenkampf

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„Machtkampf und Kirche“ als eine Absage nicht nur an die DVR, sondern auch an den Nationalsozialismus an. Die Auseinandersetzung mit Fritz Benesch im Anschluss an die Publikation zeigt jedoch, dass die Loslösung vom Nationalsozialismus noch nicht tief genug ging. „Meine Schrift fand einen einzigen literarischen Gesprächspartner: Fritz Benesch schrieb eine Entgegnung. Sie strotzte von aufgeregten Verdrehungen und Unterstellungen, die ihm gewiß nicht willentlich unterlaufen sind, sondern darum, weil der Dämon seiner Parteileidenschaft ihn zwang, Dinge und Menschen so zu sehen. Als ich das Büchlein in der Hand hatte, schrieb ich mit fliegender Feder und flammender Kampfeslust eine Rückantwort in vier Aufsätzen, die zuerst in der „Kronstädter Zeitung“ und dann auch als selbständige Broschüre erschienen. Benesch oder ein anderer wagten sich darauf nicht mehr hervor. Dafür wurde ich nach der Weltkirchenkonferenz in Oxford die Zielscheibe einer wüsten Zeitungshetze und sonstiger schwerer Angriffe.“36

Die DVR lieferte sich mit den Anhängern von Fritz Fabritius einen Wettlauf darum, wer den besseren Nationalsozialismus vertrete.37 In diesem Streit gab es Ausschlusskriterien. Fritz Benesch hielt sie Möckel vor. „Ihre Volkskirche, Herr Dr. Möckel, ist in Wahrheit kirchenfeindlicher und der eigentlichen Bedeutung der Kirche ferner und fremder, als die um eine politische Erneuerung kämpfende Partei. Man kann also von hier aus ruhig sagen, daß im Sinne des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses heute nicht die ‚Deutsche Volkspartei Rumäniens’, sondern das Landeskonsistorium mit seinen sinnlosen Verordnungen und Konrad Möckel mit seinem volkskirchlichen Standpunkt doppelsinniger Wahrhaftigkeit der Kirchenfeind Nr. 1 sind.“38

Fritz Benesch maßte sich als Parteigänger der DVR das Recht an zu bestimmen, wie die Kirche in Siebenbürgen sich zu verstehen habe. Indem Konrad Möckel diesen totalen Anspruch herausarbeitete, traf er einen Wesenszug des Nationalsozialismus – das Totalitäre. Es trat mit den Jahren mehr und mehr hervor, im Ausland – in Siebenbürgen – jedoch nicht so gewalttätig wie in Deutschland, wo sogar ein politischer Witz ins KZ oder unter das Schafott führen konnte. Die Neutralität in Religionsfragen war für die DVR in Rumänien und für die NSDAP in Deutschland eine taktische Frage. Konrad Möckel wusste inzwischen, dass der Punkt 24 des Parteiprogramms lediglich Vernebelung war.39 36

Ebda. Dazu siehe auch das nächste Kapitel. 38 Fritz Benesch: Machtkampf und Kirche. Eine Antwort an Dr. Konrad Möckel. BraşovKronstadt 1937, S. 25. 39 Punkt 24. „Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialisti37

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1933-1936

Aber Benesch reizte Konrad Möckel mit der Bemerkung, dass er sich zwar zu Christus und zur Ev. Landeskirche A. B. bekannt habe, aber nicht zum deutschen Volke. Damit verleitete er Möckel in seiner Replik rhetorisch zu fragen, ob jemand behaupten wolle, er stehe nicht in „bedingungsloser Treue“ zu seinem Volk.40 Ja, mehr noch, Konrad Möckel verwies darauf, dass man den Kampf um die Macht mit „reinsten Mitteln der Wahrheit“ durchführen könne und setzte in Klammer „z. B. A. Hitler“ hinzu.41 Das war nicht nur eine – fragwürdige – Konzession an den Gegner in dieser Kontroverse, der ihm mangelnden Patriotismus vorwarf, sondern spiegelte die Faszination, die der bis dahin erfolgreiche Reichskanzler des Deutschen Reiches auf die Rumäniendeutschen und besonders auf die Siebenbürger Sachsen ausübte. Einmal mehr schnappte die „Falle einer gespaltenen Sichtweise“ zu. Konrad Möckel durchschaute die Leere und die abstoßende Machtgier der DVR, aber er erkannte die Giftquelle in Deutschland nicht oder – wenn er sie doch erkannte – wagte er es nicht, sie öffentlich zu nennen. Längst hatten die Nazis in Deutschland die Macht mit Konzentrationslagern befestigt, politische Gegner und Pfarrer beider Konfessionen verhaftet, ehemalige politische Verbündete, wie Edgar Jung, oder Parteifreunde, wie Ernst Röhm, kaltblütig ermordet. Die Nürnberger Unrechtsgesetze waren im September 1935 mit großem Pomp verkündet worden. Konrad Möckel blendete mit dieser Bemerkung in der Klammer alle diese Verbrechen aus. Später sah wohl auch Konrad Möckel in Hitler das „Tier aus dem Abgrund“, von dem die Offenbarung des Johannes berichtet, im Jahre 1936 jedoch nicht. Nur einen Teil des Totalitarismus hatte er im Zusammenstoß mit der DVR erkannt, aber immerhin – diese siebenbürgischsächsische Giftküche stellte er treffend dar. Der Mühlbacher Gymnasialprofessor Alfred Möckel las Beneschs Antwort. Sie habe „verheerend“ auf ihn gewirkt und sei mit ihren Unterstellungen „abscheulich“.42 Er half im Unterwald die Gegenschrift seines Vetters unter die Leute zu bringen. Konrad Möckel kannte Benesch seit der Richtwoche in Großschenk 1932. Seither sei dieser ihm gegenüber völlig negativ eingestellt. Das habe sich seither einige Male gezeigt. Er sei „den andern DVR-Grössen an Geistesschärfe sehr weit überlegen“, gehöre jedoch zum geistigen Typ eines Thomas Münzer, den Benesch auch sehr verehre. „Ein wahnwitziges Gewirr von politischen und religiösen Vorstellungen, dazu alles in glühender Leidenschaftlichkeit“ erfülle ihn. Er sei in einem sehr ernsten Sinne ein „Besessener“. Ein vor Monaten geführtes „langes, ernstes Gespräch in meinem Zimmer“ im Beisein von Andreas Scheiner, habe tief blicken lassen. Er trage „in sich eine verworrene deutschschen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“ 40 Konrad Möckel: Christliches Glauben und völkisches Bauen. Persönliche und grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Benesch: Machtkampf und Kirche. Kronstadt-Braşov 1937, S. 6. 41 Ebda, S. 34. 42 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Brief von Alfred an Möckel KM vom 23. Februar 1937.

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gläubig-christliche Mischreligion“ und sei „ungefähr das Extremste und Schwierigste“ auf der so schon recht bunten Speisekarte. Konrad Möckel hatte schon im Frecker Bruderrat von Beneschs Schwager Willi Roth von der Antwort gehört. „Sie sei ‚sehr scharf‘ ausgefallen! Nun scharf, wie scharf – aber gemein!“ Er, Konrad Möckel, wisse nun, „dass diese Leute nur über das geistige Rüstzeug der TZ“ verfügten und sonst über gar nichts. In diesem Lager sah er „die geistige Krankheit“, die man „auf den Namen Bolschewismus getauft“ habe, worunter er den Kampf gegen jede Autorität verstand, indem man sie politisch verdächtige und beschmutze. Er sei ihm im Grunde „nicht einmal richtig gram! Eher könnte ich sagen, dass er mir leid tut in seiner bodenlosen Verworrenheit und innern Zerrissenheit.“ Er sah in dieser Verworrenheit ein bedenkliches Anzeichen im Volksleben. Auch in Kronstadts „guter Gesellschaft“ traf er es an. Das stimmte ihn traurig: „Rosenberg hat die Seelen hier stellenweise so verwüstet und vergiftet, dass man’s kaum fassen kann. Unsere Kirche wird in jeder Hinsicht in nächster Zeit zu kämpfen und sich zu erproben haben.“

Ihn empörte die mangelnde Entschlossenheit auf der Seite der Vernünftigen, und er verachtete „Schlappschwänze und fragwürdige Figuren unter uns“.43 Machtkampf und Kirchenkampf Nachdem die DVR die Unterschrift unter den Erlass 924/1936 zu einem Schiboleth hochstilisiert hatte, standen ehemalige Mitglieder des Wandervogels vor einer Gewissensentscheidung. Aufschlussreich für den Gewissenskonflikt ist ein Briefwechsel, den Konrad Möckel in dieser Zeit mit Albert Klein führte. Die Politisierung begann familiäre Gegensätze, die zunächst einmal nur das sind, was sie sind, politisch-weltanschaulich unangemessen aufzuladen. Die gesellschaftlichen und verwandtschaftlichen Verhältnisse waren unter den Sachsen in Siebenbürgen verfilzt. Jeder war mit jedem, wenn nicht verwandt, dann doch wenigstens bekannt. Freundschaften, die sich in Feindschaften verkehrten, hatten etwas von Geschwisterhass an sich. Die beiden Briefpartner, unterschiedlich im Alter, waren gegen die Tendenzen der Zeit bereit, aufeinander einzugehen und Auswege zu suchen. Der Briefwechsel zeigt im Kleinen wie es im Großen hätte sein können. Der damals 44-jährige Stadtpfarrer und der 26-jährige Student verständigten sich unter dem Dach einer Volkskirche, welche die DVR vehement zerstören wollte. Der pathologische Hass, der das Zusammenleben vergiftete, war nicht schicksalhaft, und es gab „dritte Wege“. Frieda Klein, die Mutter Albert Kleins, bat Konrad Möckel anlässlich eines Besuches in Hermannstadt um ein Gespräch.44 Ihr handgeschriebener Brief zeugt von der Angst einer Mutter, deren Sohn vom Erlass 924/1936 mit betroffen war: 43

Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Brief von KM an Alfred Möckel vom 27. Februar

1937. 44

Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Frieda Klein an KM am 24. Januar 1936.

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„Dass Sie meinem Sohn der treueste u[nd] beste Berater waren, danke ich Ihnen von Herzen!“

Der Vater Albert Kleins, Angestellter der Sparkasse, war auf einer Auslandsreise in Deutschland. Die Mutter bat Konrad Möckel um Hilfe, „dass Albert den Weg der inneren Wahrhaftigkeit nicht verlässt. Er steht wie in einer Brandung, und ich habe doch Verantwortung für ihn vor Gott, ihn seinen schönen Zukunftstaufgaben als anständigen Menschen zu erhalten.“45

Albert Klein war Kandidat der Theologie. Wenn er sich entschied, die Unterschrift unter den Erlass zu verweigern, hatte er keine Aussicht, in den Schul- oder Pfarrdienst der evangelischen Kirche A. B. übernommen zu werden. Das Hochspielen der Unterschriftenverweigerung durch die DVR zeigte Wirkung. Albert Klein fragte sich ernsthaft, ob seine „innere Wahrhaftigkeit“ es zulasse zu unterschreiben. „Ich wüsste nicht“, schrieb Konrad Möckel der Mutter, „was ich lieber täte, als Ihrem Sohn Albert, direkt oder indirekt mit dem, was in meinen Kräften steht, zu helfen. Er gehört zum allerbesten [sic], was wir jetzt in der Jugend haben. Dass mir seine Treue zu Bonfert, in der ich übrigens einen sehr bemerkenswerten seelischen Wert erblicke, Sorge macht, will ich nicht verhehlen. Ich bin überzeugt, dass Ihre mütterlichen Sorgen (ohne dass Sie es ausgesprochen haben) auch in diese Richtung gehen.“46

Am gleichen Tag schrieb Konrad Möckel an Albert Klein. Er habe in der Zeitung gelesen, dass er in Bistritz öffentlich gegen den Volksentscheid47 gesprochen habe. Ihn störe nicht, dass er, Konrad Möckel, damit gleichsam „im andern Lager“ sei. Seine eigene politische „Gebundenheit“ sei nur in Anführungszeichen zu erwähnen. Er frage sich vielmehr, wie könnte sich jemand überhaupt noch am Parteienstreit beteiligen, wenn er nicht „besessen“ sei. „Kann ein Mensch, der am Maßstab der Bibel misst, noch für irgendeine der heutigen politischen Gruppierungen sich exponieren? Was ich zu sehen bekomme, ist so übel und so schief – und leider bei der DVR nicht anders als es sonst in der Welt an hundsgemeiner verdreherischer Demagogie zu sein pflegt – dass ich mich zu dieser Frage sehr ernstlich veranlasst sehe.“

Er frage aus „innerster Verantwortung für die Bruderschaft in Christus“ und lud ihn zu einem Treffen des Frecker Kreises ein, das wenige Tage später stattfinden sollte.48 Albert Klein dankte für den Brief und erläuterte seine Entscheidung, bei Bonfert zu bleiben, überraschend und widersprüchlich. Aus Liebe zur Kirche, die nicht unschuldig sei, und aus Liebe zu den Jugendlichen um Bonfert, also zu seinen Wandervogel45

Ebda. Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, KM an Frieda Klein am 26. Januar 1936. 47 Im Volksentscheid 1936 ging es um ein Ja oder Nein zu einem „Volksprogramm“. Es sollte die Grundlage für die Zusammenarbeit des Bischofs mit Fritz Fabritius sein. Sowohl Konservative wie DVR hatten Vorbehalte. Viktor Glondys: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933-1949. Dinklage 1999, S. 195ff. 48 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, KM an Albert Klein am 26. Januar 1936. 46

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freunden, von denen viele noch nicht reif seien und sich von der Kirche abwendeten, wolle er bei ihnen bleiben. Er war überzeugt, dass sie mit ihrem Idealismus notwendig scheitern und in „Schuld geraten“ müssten. Wer zu ihnen trete, müsse zu ihrer Weltanschauung Stellung nehmen, und dann aber auch „in ein Gefolgschaftsverhältnis treten, das im Begriff der unbedingten Treue und des Gehorsams seinen Ausdruck findet“.49 Die „unbedingte Treue“ zum deutschen Volk oder zu einem Führer gehörten zum Wortschatz der Zeit, waren aber, wie das Beispiel Albert Kleins zeigt, nicht nur eine Floskel. Da Albert Klein sich für eine Prüfung vorbereitete, kam er nicht nach Freck. Fast am gleichen Tag forderten die Etern ihn in einem Brief auf, sich „jeder politischen Handlung und Meinungsäußerung zu enthalten“. Da er dem älteren Freund und den Eltern innerlich zustimmte, versprach er, sich daran zu halten. Nach einem Auftenthalt in Kronstadt berichtete er Konrad Möckel, wie „ein größerer Kreis im polonyi-schen Garten“ dessen Buch aufgenommen habe.50 Staedel habe eingeräumt, „dass alles, was bisher in der Presse in dieser Richtung zu lesen war, allerdings auf den Außenstehenden den Eindruck der Verworrenheit und der Unklarheit machen müsse“.51 Das Kapitel Glaubensfragen sei „vollkommen im Unklaren“. Es befänden sich alle Richtungen „in unseren Reihen“, aber „sowohl Fred als auch Fritz Cloos“ hätten klar betont, dass es „in keiner Weise Sache der Partei oder Bewegung sei, hier Wege zu weisen oder gar Stellung zu nehmen“.52 Es gäbe nur ein Urteil über das Buch, „nämlich das, daß man sich vollkommen mißverstanden fühlt“. Was Konrad Möckel über die „wahre Kirche“ gesagt habe, sei auch „innerhalb unserer Bewegung möglich“. Alles, was man von ihm lernen könne, so zitierte Klein eine Jugendliche, könne man auch innerhalb der Bewegung haben. Er fügte hinzu, das sei auch seine Meinung. Die „Kampfesäußerungen“, die Konrad Möckel in der Schrift besonders angeprangert habe, stünden zum Gesamten der Bewegung in einem anderen Verhältnis. Es sei viel über Glaubensfragen gesprochen worden, wenngleich auch „viel Unklarheit, und am Rande manches schon unmögliche Verkennen“ da sei. Er wisse nicht, wie er den Satz verstehen solle, in dem Konrad Möckel frage, wie lange Christen das noch mitmachen wollten. Ihm sei klar geworden, dass er „dorthin“ gehöre – gemeint war die DVR. Auch auf die kirchlichen Disziplinarprozesse, die sich gegen die UnterschriftenVerweigerer richteten, ging Albert Klein ein. In Kronstadt, wo der redegewandte Wilhelm Staedel vor Gericht stand, erregten die Prozesse erhebliches Aufsehen. In der 49

Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein an KM am 28. Januar 1936. Gemeint ist „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ 1936. 51 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein an KM am 30. September 1936. 52 Fred = Alfred Bonfert. Im Nachlass KM Großer Karton 10, befindet sich eine Mappe: DM Hds 3/c „Wichtige Akten über Kirche – DVR – Staedel – Auseinandersetzungen 1936-42“. Darin ein Brief von Fritz Cloos vom 4. März 1936. Es ging um die Beurteilung der Ev. Kirche, der die DVR vorwarf: „Was sich die Kirche in dieser Zeit an Verdrehungen und Lügen geleistet hat, spottet jeder Beschreibung:“ Konrad Möckel widersprach in persönlich gehaltenen Briefen. Fritz Cloos erwiderte: „Ich denke, an dieser Stelle trennen sich unsere Wege.“ 50

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Diskussion, Klein meinte damit im öffentlichen Streit, habe sich die Begründung für den Kampf der Unterschriften-Verweigerer verschoben. Jetzt sei nur noch von Kirchenfeindlichkeit die Rede. Die DVR wolle jedoch das Landeskonsistorium nicht in die Knie zwingen, wohl aber Dr. Helmut Wolff, „den aber unter allen Umständen“. Er war fest davon überzeugt, „daß es heute noch möglich wäre, die Kirche und auch das Landeskonsistorium aus dem Kampfgebiet zu entfernen“. Er habe Auszüge aus der Anklageschrift des Kronstädter Presbyteriums gegen Staedel gelesen, und er vermisse Wahrheit und Würde der Volkskirche, von dem aus solche Anklagen erhoben werden könnten. Die Anklageschrift gegen Staedel schien ihm vom Geist einer Volkskirche mindestens genauso weit entfernt zu sein wie alles, was man der DVR vorwerfen könne. Die Anklageschrift bedeute den eigentlichen Bruch und die Aufkündigung jeglicher Gemeinschaft. Zum Schluss bezog er sich auf die gemeinsame Grundlage, die ihn mit Konrad Möckel verband, das Gebet. In seiner Antwort traf Konrad Möckel einen bezeichnenden Unterschied.53 Albert Klein habe viel von „Bewegung“ gesprochen. Gegen diese habe er, Konrad Möckel, nichts einzuwenden, vielmehr wolle er deren Werte schützen und vermehren helfen. Sein Wort heiße dagegen „politische Partei“. Der Unterschied sei: „Die Bewegung dient – die Parteileitung herrscht.“ Die Bewegung werde von der Partei „so recht eigentlich politisch exploitiert“. Die Bewegung habe ein Recht zur Kritik, sie sei von einem guten Willen beseelt, „sittlich und idealistisch“, wie Konrad Möckel schrieb. Die DVR sei zwar die treibende Kraft. „Aber die Stromrichtung und die Kraftverwertung ist doch ausschließlich monopolisiert in den Parteibonzen. Jagt doch endlich einmal die drei, vier Leute, die unser Volk in’s Unglück stürzen, zum Teufel und verlangt von den andern eine ähnliche Reinigung – dann wird die Bewegung aus ihrer übeln Parteiverkapselung heraus kommen und wirklich auf das Volksleben einwirken können!“

Zurzeit dienten auch die wertvollen Kräfte nur einer neuen Unzufriedenenbewegung. Es sei „Wahn und Traumgebilde“, wenn die Jugend glaube, „von sich aus einen ganzen Volkskörper gesund machen zu können“. Jugend sei ihrer Natur nach immer in irgendeiner Gefolgschaft. „Diese Jugend dient heute dazu, dass Leute wie Gust und Scheiner ihre Volkszerstörung wirksam vollführen können. Das ist einfach der schlichte Tatbestand.“

In diesem Brief grenzt sich Konrad Möckel von Wilhelm Staedel ab, der ihn in seiner Verteidigungsschrift als „einheimischen Kirchenmann“ erwähnte, ohne jedoch auf die Schrift „Der Kampf um die Macht“ einzugehen. Staedel habe seine Schrift nur flüchtig gelesen und zitiere lediglich, dass auch für die Kirche der Streit zu einer Machtfrage geworden sei. Er fand Staedels Schrift „verblüffend dürftig“:

53

Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, KM an Albert Klein am 1. Oktober 1936.

Machtkampf und Kirchenkampf

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„Viele temperamentvolle Redensarten, aber keine geistige Entscheidung. Viele exaltierte Frage-Ausrufezeichen, aber sonst nur die bekannte Art, wie eben Jünglinge zu reden pflegen.“

Albert Klein besuchte im Herbst zusammen mit seinem Vater Bischof Viktor Glondys.54 Er stellte mehrere Punkte mit geistigen Vorbehalten zusammen, „die er als Mindestgrundlage für eine Versöhnung der Angestellten mit ihrer Behörde“ ansah.55 Er „erkenne das Recht der Kirchenbehörden an, zur Sicherung des Friedens innerhalb der Kirche Notverordnungen zu erlassen. Als eine solche sah er den Erlass 924/1936 an. Er sprach offen aus, dass die Bevorzugung der – in Anführungszeichen gesetzten – „Volksorganisation“ im Erlass eine Befriedung unmöglich mache. Die Kirche müsse als „Treuhänderin lebenswichtiger völkischer Einrichtungen“ den Zugang zu allen politischen Gruppen offen halten, sofern diese die Zusammenarbeit mit der Kirche nicht ablehnten.56 Erst nach dieser Erklärung entschloss er sich, den Erlass „zur Kenntnis zu nehmen“ und zu unterschreiben. Albert Klein tauchte wieder in die geistige Welt Tübingens ein und schrieb Konrad Möckel, dass in den ersten Tagen nach seiner Ankunft „der Kampf zu Hause wie ein Alp“ auf ihm gelastet habe.57 Fritz Cloos schicke ihm „ordres“, den Kampf der DVR von Tübingen aus zu unterstützen.58 Er bezog sich auf Bemühungen, „die Ihr im Anschluß an unsere Aussprache, für die ich Dir so sehr dankbar bin, unternommen habt“ und berichtete von der Oxforder Gruppenbewegung, die sich in Tübingen ausbreitete. Die Professoren Karl Fezer und Karl Heim seien in Oxford gewesen „und identifizieren sich seither mit der Gruppenbewegung“.59 Als Konrad Möckel als Vertreter des Bischofs der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien ein halbes Jahr später nach Oxford fuhr, freute er sich besonders darauf, diese neue, an praktischen Aufgaben orientierte christliche Bewegung kennenzulernen.

54 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein d. Ä. an KM am 10. Dezember 1936. „Herr Bischof sagte am Schluß unseres 1 ½ Stunden langen Gesprächs ...“. Es ist anzunehmen, dass Albert Klein d. J. dabei war. 55 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein d. Ä. an KM am 10. Dezember 1936. Der Vater legte diese Punkte und auch eine eigene Ausarbeitung seinem Brief bei. 56 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein d. Ä. an KM am 10. Dezember 1936. Beilage zum Brief von der Hand Albert Kleins d. J. ohne Datum. 57 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein an KM am 20. Dezember 1936. 58 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Frida Klein an KM am 21. November 1936. 59 Nachlass KM, Hds DM, Ordner 20, Albert Klein an KM am 20. Dezember 1936.

Kapitel 9

Die Weltkirchenkonferenz in Oxford (1937)

Zur Vorgeschichte der Weltkirchenkonferenz in Oxford Im Jahr 1925 lud der Erzbischof von Schweden Nathan Söderblom (1866-1931) zu einer internationalen Konferenz der Bewegung für praktisches Christentum (Life and Work) nach Stockholm ein. Bischofsvikar Dr. Adolf Schullerus und Landeskirchkurator Dr. Friedrich Walbaum standen als Vertreter der kleinen Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien auf der Teilnehmerliste, waren jedoch nicht anwesend.1 Es war das Jahr, in dem die Gemeinde Großpold Konrad Möckel zu ihrem Pfarrer wählte. Zwölf Jahre später fanden in England zwei ökumenische Versammlungen statt. Die eine berief der „Ökumenische Rat für praktisches Christentum“ in der Nachfolge der Stockholmer Konferenz nach Oxford ein, die andere fand in Edinburgh statt, wo schon 1910 eine erste internationale Missionskonferenz getagt hatte. Bischof Glondys erhielt zu beiden Konferenzen Einladungen,2 nahm jedoch nicht teil, sondern delegierte die Aufgabe an Konrad Möckel. Vielleicht wusste er, wie delikat die Mission war und wollte das Bischofsamt und sich selbst nicht durch einen neuen politischen Konflikt belasten, vielleicht hinderte ihn auch tatsächlich eine Krankheit an der Reise.3 Die Teilnahme einer Delegation der evangelischen Kirchen aus Deutschland war fraglich, die eines Vertreters der Ev. Landeskirche A. B. umstritten. Der deutsche Generalkonsul in Kronstadt Alnobert Dittmar berichtete dem auswärtigen Amt kurz vor der Konferenz von einem Artikel im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt,4 in dem es hieß, Deutsche seien in Oxford nicht vertreten, „weil das Tagungsthema ‚Staat und 1 Alfred Herrmann: Unsere Kirche und die ökumenische Bewegung. In: Kirchliche Blätter 29 (1937), S. 356-358. 2 Bischof Viktor Glondys stand auf der Liste der Einzuladenden des Kirchlichen Außenamtes der evangelischen Kirchen in Deutschland. EZA Berlin, Bestand 5, Fiches 113. 3 Glondys notiert am 12. Mai 1937 im Tagebuch: „Mit Stadtpfarrer Möckel sprach ich über die Fahrt nach Oxford und Edinburgh und über die Vorbereitung der beiden Fahrten, für die ich einen Beschluss des Landeskonsistoriums veranlassen werde.“ Es ist ein Thema unter vielen anderen, neben der Entsendung der vormilitärischen Jugend zu orthodoxen Gottesdiensten, dem Ärger mit der Volksorganisation usw. 4 Vom 18. Juni 1937.

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Kirche‘ zu politischen Polemiken Anlass geben könne, die die Reichsregierung unbedingt vermeiden wolle“.5 Die Landeskirche werde durch Stadtpfarrer Dr. Möckel, Kronstadt, vertreten, da „dem z. Zt. erkrankten Bischof Dr. Glondys von ärztlicher Seite strengste Schonung auferlegt“ sei. „In nationalsozialistisch eingestellten Kreisen des hiesigen Volksdeutschtums, insbesondere aber in den Kreisen der DVR“, fügte der Generalkonsul hinzu, werde die Teilnahme des Bischofs an internationalen kirchlichen Kongressen nur höchst ungern gesehen, seit er sich im April kritisch über ein gewisses nationalsozialistisches Gedankengut geäußert habe. Das Fernbleiben der reichsdeutschen Vertretung deute nach Meinung der Gegner Glondys darauf hin, dass auch die Volksdeutschen dem Kongress fernbleiben sollten. Der vom Generalkonsul befragte Stadtpfarrer Dr. Möckel habe jedoch erklärt, „dass diese Teilnahme im Einvernehmen mit dem kirchlichen Aussenamt erfolge, und dass er auf dem Kongress u. U. Gelegenheit nehmen werde, den reichsdeutschen Standpunkt zu den angeschnittenen Fragen zur Geltung zu bringen.“6 Der Konsul bat um Aufklärung, um die Gemüter zu beruhigen. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte daraufhin der Botschaft in Bukarest mit,7 es sei dem Kirchlichen Außenamt nicht gelungen, eine einheitliche Delegation der evangelischen Kirchen zusammenzustellen. Noch nicht einmal die Personalfragen habe man erörtert, wenn „trotz des bestehenden Kirchenstreites“ eine gemeinsame Vertretung hätte gebildet werden sollen. Es teilte außerdem die offizielle Begründung dafür mit, dass Geistlichen der Bekenntniskirche der Pass entzogen worden war, was „in der Auslandspresse ein ... lebhaftes Echo hervorgerufen“ habe. Das sei „ausschließlich“ auf „persönliche Gründe“ zurückzuführen, „obgleich die Bekenntnisfront einen derartigen Zusammenhang konstruiert und im Ausland verbreitet“ habe. Nach den Erinnerungen Möckels „überredete“ ihn Bischof Glondys zur Teilnahme, „da ich auf diesem Gebiet allerlei gearbeitet und veröffentlicht hatte“.8 Das Tagungsthema „Glaube, Volk und Staat“ („Faith, Community and State“) entsprach in der Tat den Fragen, die Konrad Möckel in mehreren Schriften erörtert hatte. Es sollte sich jedoch bald zeigen, wie politisch vermint das Feld war, das er betrat. Die Reise war in der damaligen Zeit ein „außergewöhnliches und bedeutsames Erlebnis“ und Konrad Möckel nahm auf eigene Kosten seine Frau mit,9 und beide nahmen in den Monaten bis zur Reise Englischunterricht.

5

PA Berlin, Bestand R, Nr. 62.063 Kongresse Oxford-Konferenz. Bericht vom 30. Juni

1937. 6 7 8 9

Ebda. Ebda, 14. Juli 1937. Erinnerungen 1953/54, X. Ebda.

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International oder ökumenisch? Die Konferenz in Oxford war ein kirchliches und – wegen des Kirchenkampfes in Deutschland – zugleich ein hochpolitisches Ereignis. Die Nationalsozialisten fühlten sich bedroht; denn sie deuteten die ökumenischen Konferenzen in Kategorien des (in ihren Augen guten) „Nationalen“ und des (schlechten) „Internationalen“. Die ökumenische Bewegung stand mit dem Nationalstaat in einem Spannungsverhältnis. Diese Spannung war Thema der Konferenz, die jedoch mit dem Gegensatz von „national“ und „international“ wenig zu tun hatte. Die Begriffe „ökumenisch“ und „international“, „Landeskirche“ und „Nation“ gingen in der NS-Zeit bei den Machthabern durcheinander. Wer die christliche Ökumene befürwortete, konnte schnell als Anhänger einer „Internationale“ und als Volksverräter verschrien werden; denn die Internationale und die internationale Solidarität waren im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung gegen die Nationalstaaten ausgerufen worden, weil diese es dem Besitzbürgertum ermöglicht hatten, die Proletarier auszubeuten. Es gehörte Mut dazu, die Ökumene und eine weltweite Kirche nicht zu verleugnen, weil die Nazis schnell den Vorwurf des Vaterlandsverrats erhoben. Als der Erste Weltkrieg begann, war der schwedische Bischof Nathan Söderblom Gastprofessor in Leipzig. Er versuchte, seine Professorenkollegen zu einem Protest gegen den sich abzeichnenden Wahnsinn eines Krieges der europäischen Bruder-Nationen zu gewinnen – vergeblich.10 Diese bittere Erfahrung und die Not der Nachkriegszeit bewogen ihn, 1925 die Weltkonferenz für praktisches Christentum nach Stockholm einzuberufen, an der außer der katholischen alle großen Kirchen der Welt teilnahmen. Die ökumenische Bewegung ist der Versuch, die getrennten christlichen Kirchen zu einer vorläufigen Gemeinsamkeit zusammenzuführen. Die beschämend unbrüderliche Trennung der Christen sollte der Friedensbotschaft des Evangeliums nicht im Wege stehen. Der Friedensnobelpreisträger Söderblom starb 1931, nach ihm führten andere die ökumenische Bewegung weiter. Es lag auf der Hand, dass eine solche auf Frieden und auf die Freiheit des Geistes gerichtete christliche Bewegung zu den nationalistischen Tendenzen der Zeit in Gegensatz geraten musste, besonders nachdem die Nationalsozialisten den Einparteienstaat in Deutschland mit brutaler Gewalt durchgesetzt hatten. Der Konflikt brach auf einer Konferenz aus, die auf der dänischen Insel Fanö Ende August 1934 stattfand. Der Ökumenische Rat und der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen bereiteten dort in einer Vorkonferenz das Treffen in Oxford vor. Im Kirchenkampf in Deutschland schieden sich die Geister. Das Kirchliche Außenamt in Berlin geriet in eine diplomatisch schwierige Lage. Nach dem Tode des Reichspräsidenten11 hatte Hitler sich ungesetzlich zum Nachfolger Hindenburgs gemacht und 10 Eugen Rosenstock-Huessy: Nathan Söderblom. Zum Ursprung der ökumenischen Bewegung. In: E. Rosenstock-Huessy: Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen. Bd. 2. Heidelberg 1964, S. 209-212. 11 Am 2. August 1934.

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forderte auch von den Pfarrern einen Eid auf seine Person. Fast zur gleichen Zeit verbot ein kirchlicher Erlass Erörterungen zu diesem Thema in der Kirchenpresse.12 Die Übergriffe des deutschen Staates auf die evangelische und die katholische Kirche erregten auch außerhalb Deutschlands Aufmerksamkeit. Auf der Vorkonferenz in Fanö war eine Resolution zur Lage der Kirchen in Deutschland zu erwarten. Die deutschen Vertreter mussten sich entweder gegen den eigenen Staat und für die Ökumene oder umgekehrt entscheiden.13 Das Kirchliche Außenamt hätte der Tagung fernbleiben können, um diesem Konflikt auszuweichen. Aber Bischof Heckel entschied sich für eine Teilnahme. Die Konferenz verurteilte in der Tat die Politik des Reichsbischofs, der Heckels Vorgesetzter war. Bischof Heckel war zwar kein Parteimitglied, sah sich aber gezwungen, entweder gegen die Resolution Einspruch zu erheben, um sein Amt zu retten, oder zuzustimmen und seine Absetzung zu riskieren. Er lehnte die Resolution ab, verlor dadurch aber an Ansehen beim Ökumenischen Rat der Kirchen. Die Ansehensminderung war eine Belastung auch für alle evangelischen deutschsprachigen Kirchen des Auslandes. Sie waren aus mancherlei Gründen auf die Hilfe des Kirchlichen Außenamtes angewiesen. Keine gemeinsame Delegation der Kirchen aus Deutschland Es ist unwahrscheinlich, dass die Vorgänge in Fanö und die schwierige Lage des Kirchlichen Außenamtes Konrad Möckel bekannt waren, als ihn der Bischof mit der Vertretung der Evangelischen Kirche auf der Konferenz in Oxford beauftragte. Er schrieb an Pfarrer Gerhard May in Cilli (Celje):14 „Vor Monaten trat Bischof Glondys mit dem Ansuchen an mich heran, ich solle die Vertretung unserer Landeskirche auf den Konferenzen in Oxford und Edinburgh übernehmen. Ich machte einige Einwände dagegen, musste aber dann doch die Sache übernehmen, da Glondys erklärte, dass er selber keinesfalls fahren werde.“15

12 Zu Fanö siehe Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. München 31970, S. 431-454; Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 2, Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom. Berlin 1988, S. 297-307; Eugen Gerstenmaier: Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht. Berlin 1981, S. 75-77. 13 Dietrich Bonhoeffer, damals noch Auslandspfarrer in London, war mit der Leitung einer Jugendkonferenz beauftragt, die zusammen mit der Konferenz Life and Work in Fanö stattfinden sollte. Er hielt in einer Morgenandacht eine aufsehenerregende, eindeutige und kritische Friedenspredigt. Die Versammlung kooptierte ihn und Präses Karl Koch in den Ökumenischen Rat für praktisches Christentum. Koch war ein prominentes Mitglied der Bekennenden Kirche, die mit dieser Kooptation aufgewertet wurde. Er war an der Kirchenkanzlei vorbei zur Konferenz eingeladen worden. Passschikanen hinderten ihn an der Teilnahme. 14 In Jugoslawien. Er war später Bischof der Evangelischen Kirche in Österreich (1944-1968). 15 Nachlass KM, Karton 12, Brief von KM an Pfarrer D. Gerhard May in Cilli, Jugoslawien, vom 1. Juni 1937.

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Das Kirchliche Außenamt bereitete nach den Erfahrungen von Fanö die Konferenz in Oxford in eigens zu dieser Aufgabe einberufenen Arbeitsgruppen vor.16 Aber es gab von Anfang an Schwierigkeiten. Ein Mitglied der Bekennenden Kirche, Dr. Friedrich Karrenberg beispielsweise, lehnte aus grundsätzlichen Erwägungen heraus die Mitarbeit an einer Vorbereitungsgruppe ab; er könne nicht teilnehmen, „solange die Bekennende Kirche nicht offiziell beteiligt“ sei.17 Das Kirchliche Außenamt bezog Vertreter deutschsprachiger evangelischer Kirchen des Auslandes mit ein, vermutlich weil es sich deren Loyalität gegenüber dem Deutschen Reich sicher wähnte. Pfarrer Dr. Gerhard May erhielt für drei Monate den Auftrag, die Vorbereitungsarbeiten für die Konferenz in Berlin zu koordinieren. Als er ausschied, übernahm Eugen Gerstenmaier diese Aufgabe.18 Sollte eine Delegation oder sollten zwei Delegationen aus Deutschland nach Oxford fahren? Und – wenn es nur eine Delegation unter Leitung des Kirchlichen Außenamtes gab – wie sollte man sich verhalten, wenn die ökumenische Versammlung die christen- und kirchenfeindliche Politik der Parteidiktatur in Deutschland, wie in Fanö geschehen, verurteilte?19 Prof. Ernst Benz, Marburg-Lahn, ein Gegner der Bekennenden Kirche, unterschied vier Gruppen: (1) Deutsche Christen aus Thüringen, (2) Bischof Heckel und das Kirchliche Außenamt, (3) die im Ausland lebenden Theologen, wie Paul Tillich oder Karl Barth und (4) die Bekennende Kirche, die zwei getrennte, deutsche Delegationen wünschte.20 Kämen sie zustande, schrieb Benz, würde die Bekennende Kirche durch die Schweizer und die deutschen Emigranten verstärkt werden. Heckels Bemühung um eine einheitliche Delegation werde „von Seiten der BK ‚gerammt‘“. Das ergäbe „Skandalmöglichkeiten verschiedenster Art“. Um das zu verhindern, könne man die Delegierten darauf verpflichten, „den deutschen und nationalsozialistischen Standpunkt dadurch zu wahren, dass sie eine etwaige ökumenische Entschließung, die im antinationalsozialistischen Sinn ausgelegt oder missdeutet werden könnte, nicht

16 Das Kirchliche Außenamt zog zu den Beratungen Theologen, Bischöfe und angesehene Laien heran, wie Otto Dibelius, Dr. von der Gablentz, Wilhelm Stählin, Karl Heim, Theophil Wurm, Paul Althaus, August Marahrens, August Winnig, Traugott Wendland, Friedrich Brundstäd, Wilhelm Zoellner, Hans Beyer. 17 EZA Berlin, Bestand 5, Fiches 148, 149. 18 Er wäre in das Kirchliche Außenamt nicht eingetreten, schreibt dieser in den Erinnerungen, wenn er vom schweren Missgriff Heckels in Fanö gewusst hätte. Gerstenmaier, Eugen: Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht. Frankfurt/M., Berlin, Wien 1981. 19 Dem Kirchlichen Außenamt lag zum Beispiel eine Broschüre in englischer Sprache vor, die den Kirchenkampf in Deutschland dargestellte: Third Survey on The Affairs of the continental churches, German Evangelical Church (September 1935 to March 1936). Zum Schluss werden zwei Gedichte in Übersetzung abgedruckt, die Kinder in Köln bei einer Kinderspeisung aufsagen sollten: „Before Meat – Führer, my Führer, given me by God ...“ oder „Führer, my Führer, my faith and my light, Heil, my Führer!“ (S. 22). 20 EZA Berlin, Bestand 5, Fiches 130.

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mitzuunterzeichnen“.21 Wenn es schon zu einer solchen Entschließung komme, so solle sie wenigstens nicht ohne Widerspruch bleiben. Er erinnerte an das probate Mittel, Pässe einzuziehen, um die „radikalsten Elemente“ an der Reise ins Ausland zu hindern. Es gelang dem Kirchlichen Außenamt nicht, eine gemeinsame Vertretung zusammenzustellen. Außer den Freikirchen, deren Loyalität sich die NS-Regierung sicher war, nahmen keine kirchlichen Vertreter aus Deutschland an der Konferenz in Oxford teil, wohl aber die Vertreter der evangelischen Kirchen deutscher Sprache im Ausland, die das Kirchliche Außenamt vor Konferenzbeginn nach Berlin einlud. Eine Vorbesprechung hatte Pfarrer Gerhard May ausdrücklich gefordert. Ihm schwante nichts Gutes. Wenn man es den deutschsprachigen Kirchen außerhalb Deutschlands überließe nach Taktgefühl und Instinkt zu entscheiden, gerieten sie in ein vierfaches Kreuzfeuer: „Wir belasten uns vor unseren Staaten, wir verderben es mit unserem eigenen Volk, wir schaden hier und dort kirchenpolitisch und wir machen uns vor der Ökumene unmöglich.“22

Er erwartete, besonders in Gesprächen am Rande der Konferenz, Klagen und Anklagen gegen das Dritte Reich, seine Weltanschauung, seine Judenbehandlung und – er benützte Anführungszeichen – seine „Christenverfolgung“. Solle man sich verteidigen auch dort, „wo man als Volksgenosse und als Christ schwerste Sorge“ – wegen der Vorkommnisse in Deutschland – habe?23 Konrad Möckel meldete sich für die Sektion „church and community“ an. Er bedauerte, dass sich die Arbeitsgruppe zu keinem „unumwundenen Bekenntnis der Gottgegebenheit des Volkstums“ bereit fand. Das wäre, so seine Deutung, gegen die Interessen des Britischen Imperiums gewesen. „Und wenn man versuchte, in den Aussprachen sich etwas gründlicher in theologische Fragen zu vertiefen, konnte man gewiß sein, daß einer der Amerikaner aufstand und davor warnte, daß man sich in „pessimism“ verliere. Dazu kamen dann noch die Neger mit ihren – von den Angelsachsen mit sichtlicher Verlegenheit angehörten – Klagen über die Rassenverfolgung.“24

Konrad Möckel fuhr zu der Konferenz mit dem „heimlichen Wunsch“, die sogenannte Oxforder Gruppenbewegung aus eigener Anschauung kennenzulernen. Albert Klein hatte ihm aus Tübingen davon berichtet. Ihr ging der Ruf voraus, eine lebendige Bewegung zu sein. Er besuchte eine Reihe von Versammlungen und war von den lebendigen Christusbekenntnissen in den gesteckt vollen Sälen angetan. „Diese sichere, schlichte Selbstverständlichkeit, friedevolle Ausgeglichenheit, mit der einem dort die Menschen entgegentraten. Und dann, nicht zuletzt, der gelöste, 21

Ebda. Brief von Gerhard May an Konrad Möckel vom 7. Juni 1937. Nachlass KM, Karton 12, Mappe Oxford. 23 Ebda. 24 Ebda. 22

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natürliche Humor, der bei allem tiefen Ernst in den Veranstaltungen mitschwang. In all dem war etwas von dem vorhanden, was mich schon zu Hause in den Schriften von Theophil Spoerri und anderen angesprochen hatte. Ja, ich durfte in Oxford gerade Theophil Spoerri sogar selber kennenlernen, diesen Mann, der für die Gruppe damals ein besonders ausgeprägter Vertreter war. Ich bin heute noch tief dankbar für die lebendigen Gespräche mit ihm.“25

Konrad Möckel kehrte, wie er schreibt, trotzdem nicht als „Gruppenmann“ aus Oxford heim. Er war ernüchtert, fast enttäuscht, weil das Wort der Bibel „in ihren sichtbaren Lebensäußerungen“ kaum vorkam und auch das Gebet fehlte. Alles war auf das Erleben des Einzelnen eingestellt – man habe sensationell und eindrucksvoll fast bis zur Effekthascherei sein wollen. Die Grußbotschaft der Konferenz in Oxford Die Kirchenkonferenz verabschiedete eine Hauptbotschaft, die in Siebenbürgen jedoch so gut wie keine Rolle spielen sollte, und eine vielbeachtete Grußadresse an die evangelischen Kirchen in Deutschland.26 Hinter den Kulissen war um diese Grußbotschaft 25

Erinnerungen 1953/54, X. Die Botschaft hatte folgenden Wortlaut: „Die Mitglieder der christlichen Kirchen, die in Oxford versammelt sind, an ihre Brüder in der Deutschen Evangelischen Kirche. Die Vertreter christlicher Kirchen, die sich aus allen Teilen der Welt in Oxford zusammengefunden haben, beklagen die Abwesenheit ihrer Brüder in der deutschen Evangelischen Kirche, mit denen sie in der Vorbereitung dieser Konferenz sowie im Blick auf die großen, der Kirche Christi gestellten Aufgaben eng verbunden waren. 1. Wir begrüßen die Tatsache, dass ein Einverständnis erreicht worden war, wonach eine gemeinsame Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche nach Oxford abgeordnet werden sollte. Umso mehr vermissen wir die große Hilfe, die deren Mitglieder uns bei der Erörterung der grundlegenden Fragen unserer Zeit geleistet haben würden. Aber obgleich eure Vertreter abwesend sind, haben gerade die Umstände, die zu dieser Abwesenheit geführt haben, ein noch stärkeres Bewusstsein der Gemeinschaft geschaffen, als es schon bestanden hatte. 2. Wir sind tief bewegt von dem Leid vieler Pfarrer und Laien, die sich völlig und von allem Anfang an in der bekennenden Kirche für die Herrschaft Christi und für die Freiheit der Kirche Christi, sein Evangelium zu verkündigen, eingesetzt haben. 3. Wir geben uns Rechenschaft von der entscheidenden Bedeutung des Kampfes, in den nicht allein eure Kirche, vielmehr auch die römisch-katholische Kirche gestellt ist, ein Kampf gegen Verzerrung und Unterdrückung des christlichen Zeugnisses sowie ein Kampf für die Erziehung der Jugend in lebendigem Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, den König aller Könige und Herrn aller Herren. 4. Wir denken an die Worte der Schrift: ‚Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung.‘ ‚Und so ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und so ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder mit.‘ So sind wir, eure Brüder in anderen Kirchen eins in der Liebe und im Gebet mit unseren leidenden Brüdern in der deutschen evangelischen Kirche. Euer Herr ist unser Herr, euer Glaube ist unser Glaube, eure Taufe ist unsere Taufe. Euer unerschütterliches Zeugnis von Christus ruft uns selbst zu einem leben26

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heftig gerungen worden. Sie sprach die politisch brisante Situation der evangelischdeutschen Landeskirchen abgewogen, aber klar an. Die Konferenz wollte nicht als verlängerter Arm der Politik erscheinen und wandte sich direkt an die Kirchen in Deutschland. Viele evangelische und noch mehr katholische Pfarrer in Deutschland waren in der Ausübung ihres Amtes in kleinere oder größere Konflikt mit Parteiorganen geraten. Dass man den eingeladenen deutschen Theologen die Pässe abgenommen hatte, war nur ein Beispiel unter anderen. Die Konferenz sprach in ihrer Adresse an die deutschen Bruderkirchen nur Tatsachen an. Sie verurteilte den Einparteienstaat Deutschland nicht direkt, schrieb aber „bewegt von dem Leid vieler Pfarrer und Laien, die sich völlig und von allem Anfang an in der bekennenden Kirche für die Herrschaft Christi und für die Freiheit der Kirche Christi, sein Evangelium zu verkündigen, eingesetzt haben“. Die Delegierten bekräftigten die Verbundenheit mit den evangelischen Christen in Deutschland. Was sollten die mit Deutschland geistig verbundenen, deutschsprachigen Kirchenvertreter des Südostens nun tun? Sie saßen in der von Gerhard May befürchteten Falle. Sie äußerten Bedenken und distanzierten sich schriftlich, und zwar nicht von der Kritik an der Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands, sondern davon, dass die Botschaft den Kampf der katholischen und den der evangelischen Kirche gleichsam auf eine Stufe stellte. Von einem brüderlichen Verständnis zwischen Katholiken und Protestanten, die beide vom nationalsozialistischen Parteienstaat nichts Gutes zu erwarten hatten, war man noch weit entfernt. Die damaligen Bedenken der Diasporakirchen sind heute unverständlich, zeigen jedoch – bezogen auf Rumänien – wie erstaunlich weit das katholische Banat von dem evangelischen Siebenbürgen entfernt lag – zwei Welten, die Respekt, aber kein ökumenischer Alltag miteinander verband, obgleich das für beide hilfreich gewesen wäre. Die „Kinder dieser Welt“ im Südostdeutschen Wandervogel und in der Selbsthilfe verbanden die Deutschen in Rumänien im Zeichen des Hakenkreuzes enger als die Ökumene im Zeichen des Kreuzes. Die evangelischen Kirchen des Südostens behaupteten, es gehe der katholischen Kirche „um Machtanspruch im Reiche dieser Welt“, ihnen dagegen um den reinen Glauben nach der Lehre Martin Luthers von den zwei Reichen.27 digen Vertrauen auf und wir beten, es möchte uns in allen unseren Kirchen die Gnade gegeben werden, in gleicher Klarheit Zeugnis für unseren Herrn abzulegen. 5. Wir bitten Gott, euch zu segnen, euch zu leiten und euch in eurem Leid zu trösten. Wir rufen die Kirchen in aller Welt auf, vor dem himmlischen Vater fürbittend eurer zu gedenken und sich zu freuen, weil es sich einmal mehr erwiesen hat, dass ein aus dem Opfer geborener Glaube des Opfers würdig erfunden wird.“ Nachlass KM, Karton 12, Mappe Oxford. Eingabe von KM an das Hochlöbliche Landeskonsistorium vom 28. September 1937. 27 „Wir versagen gewiss keinem um ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus willen leidenden Kirchen und Christen, welcher Konfession sie auch seien, unsere brüderliche Teilnahme und Fürbitte. Dennoch muss uns die Nebeneinanderstellung der Evangelischen und der RömischKatholischen Kirche an dieser Stelle sehr befremden. Gewiss stehen beide christlichen Kirchen im Kampf um die Reinheit und Freiheit ihres Glaubens. Wir bitten aber zu erwägen, ob es sich

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Die Eingabe zu Händen des Präsidenten der Konferenz Dr. J. Mott unterzeichneten für die „Delegierten der Deutschen Evangelischen Kirchen in Böhmen, Mähren und Schlesien, Jugoslawien und Rumänien, sowie der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinden in Lettland“ Bischof D. Harald Peter Poelchau, Konrad Möckel, und D. Gerhard May. Mit diesem Vorbehalt stimmten sie der Grußadresse zu. Wie die NSDAP das Verhalten der Vertreter der südostdeutschen, evangelischen Kirchen beurteilte, kann man einem Bericht entnehmen, den die Reichsleitung der Partei an das Auswärtige Amt sandte. Die gemeinsame Delegation, hieß es da, sei nicht zustande gekommen, da einige in Aussicht genommene Mitglieder „wegen Übertretung staatlicher Gesetze nicht auf freiem Fusse“ gewesen seien. Den volksdeutschen Theologen drohte der Bericht der Reichsleitung: „Es konnte nicht unbemerkt bleiben, dass die Vertreter der volksdeutschen Kirchen in Böhmen, Mähren, / Schlesien, Jugoslawien, Rumänien, Lettland und Österreich dem Beschluss, eine Delegation nach Deutschland zu entsenden, ihre Zustimmung erteilten.28 ... Man wird diese Haltung der volksdeutschen Theologen in Oxford – diese haben geredet, nicht das Volk – als eine Ungeheuerlichkeit festnageln müssen. Während der Bischof von Glaucester festgestellt hat, dass die sog. Bekenner in Deutschland sich staatlicher Übertretungen schuldig gemacht haben, die selbstverständlich den Staat zum Eingriff veranlassen mussten, stossen die Volksdeutschen auf einer Weltkirchenkonferenz in das Märtyrerhorn! Dabei sind sie so klug, sich nicht mit dem Vorwurf zu belasten, dass sie Rom als Vorspann dienen. Gegen die Sätze über die römische Kirche in Deutschland legen sie Verwahrung ein. Im übrigen aber spielen sie die protestantische Internationale gegen Deutschland aus!“29

Die DVR schlug nach der Rückkehr Konrad Möckels ähnlich schrille Töne an, während die NEDR sich zurückhielt. Aber auch sie deutete den sich abzeichnenden „Zusammenstoß zwischen dem staatlichen Totalitätsanspruch und der christlichen Glaubensüberzeugung“ ganz flach und unterstellte der Weltkirchenbewegung „einen weltanschaulichen Ausgangspunkt“. Die Zeitung der NEDR, der Süd-Ost, sah es als dabei im wesentlichen nicht nur um eine formale Gleichheit handelt. Nach ihrem Glaubensverständnis erhebt die Römisch-Katholische Kirche immer auch Machtansprüche im Reiche dieser Welt, die wir nach dem reformatorischen Verständnis der Offenbarung als unbiblisch ablehnen müssen. Weil die Evangelisch-Lutherische und die Römisch-Katholische Kirche im Verständnis der Offenbarung verschieden sind, weil sie deshalb gerade auch in ihrem Verhältnis der Kirche zu Volk und Staat auseinandergehen, darum handelt es sich bei ihnen auch um eine grundsätzliche und inhaltliche Verschiedenheit der Kampffronten. Aus diesem Grunde ist uns als Bekennern des Luthertums um der inneren Wahrhaftigkeit willen nicht möglich, in dieser Weise den Kampf der Evangelischen und der Römisch-Katholischen Kirche nebeneinanderzustellen.“ PA des AA Berlin Bestand R, Nr. 62.063 Kongresse „Edinburgher Weltkonferenz 3.-8. August 1937“, p. 33 r. und v. 28 Die Grußbotschaft sollte nach dem Beschluss der Konferenz von einer Delegation der Ev. Kirche in Deutschland überbracht werden. 29 Archiv AA Berlin, Bestand R, Nr. 62.063 Kongresse Oxford-Konferenz. Bericht vom 12. August 1937.

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eine Selbstverständlichkeit an, dass die „deutsche evangelische Kirche unter diesen Umständen“ ferngeblieben sei.30 Nach der Rückkehr aus Oxford berichtete Konrad Möckel in der gut gefüllten Aula der Honterusschule einer aufmerksamen Zuhörerschaft an zwei Abenden von den Ergebnissen. Die Berichte erschienen in den Kirchlichen Blättern.31 Dem Landeskonsistorium legte er dar, wie es zu der Reaktion der Vertreter aus den evangelischen Diasporakirchen gekommen war und in welch kurzer Zeit die Vertreter sich entscheiden mussten.32 Er brauchte nichts zu verbergen. Instrumentalisierung der Weltkirchenkonferenz Es sorgte für Aufsehen, dass aus Deutschland nur Vertreter der Freikirchen nach Oxford reisen durften und Mitglieder der Bekennenden Kirche keine Visa erhielten. Die Botschaft der Konferenz an die Kirchen in Deutschland merkte das an. Die NS-Zeitungen in Deutschland sahen darin einen Angriff auf das Deutsche Reich. In Rumänien spitzten die Presseorgane der DVR die Vorwürfe zu. Sie erwarteten vom Vertreter der Landeskirche, er solle die offizielle, nationalsozialistische Lesart des Kirchenkampfes verteidigen. Die Freikirchen in Deutschland hatten sich dazu bereitgefunden. Sie dankten dafür, dass sie in der Verkündigung des Evangeliums in Deutschland frei seien und dass Adolf Hitler Deutschland vor dem Bolschewismus gerettet habe.33 Die Presse der NEDR griff Konrad Möckel zwar persönlich nicht an. Er hatte noch am 20. Juni 1937 auf einem „Tag der Volksgemeinschaft“ in Kronstadt eine Andacht gehalten.34 Als ein halbes Jahr später die Presseschlacht vorbei war, verteidigte der Süd-Ost Konrad Möckel ausdrücklich gegen den Vorwurf des Volksverrates. Der Beschuldigte sei seit Jahrzehnten als ein Mann bekannt, „der in tiefstem Herzen mit deutschem Wesen verwachsen“ sei und sich der „heimischen Erneuerungsbewegung lange vor deren Spaltung zugewendet“ habe.35 Aber auf welchem Boden erwuchs diese Verteidigung des Süd-Ost? Die Zeitung triumphierte: „Angriff auf Deutschland in Oxford mißglückt – Auch Katholiken danken 30

Süd-Ost. Tageblatt der Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien vom 2. Juli 1937, Nr. 446. 31 Die Oxforder Weltkirchenkonferenz. Kirchliche Blätter 29 (1937), I. S. 502-505; II. S. 522-523; III. S. 530-531. 32 Nachlass KM Hds DM, Mappe „Weltkirchenkonferenz Oxford – Juli 1937. Darin sind zwei Berichte KMs. Einer vom 28. September 1937, der zweite vom 1. Dezember 1937, nachdem Bischof Glondys sich öffentlich von KM distanziert hatte. 33 PA des AA Berlin, Bestand R, Nr. 62.063 Kongresse Oxford-Konferenz 1937. In diesem Akt finden sich mehrere Belege dafür. 34 PA des AA Berlin Bestand Bukarest, Nr. 152, Deutsche Minderheiten in Rumänien, Band 8. Von Dezember 1936 bis Juni 1937. 35 Süd-Ost. Tageblatt der Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien vom 8. Februar 1938, Folge 630.

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dem Dritten Reich!“ Sie bagatellisierte die „angeblichen“ Schwierigkeiten der Kirchen in Deutschland. Paul Schneider, Otto Dibelius, Martin Niemöller, Theophil Wurm und viele andere waren mit der NS-Partei zusammengestoßen, hatten vor Gericht gestanden oder waren in „Schutzhaft“ genommen worden. So erging es Paul Schneider und Martin Niemöller. Der Süd-Ost behauptete, die Strafverfolgungen seien „durch schwere sittliche Verfehlungen herbeigeführt“ worden36 und zitierte den Bischof der griechisch-orthodoxen Kirche, welcher der „gegenwärtigen deutschen Regierung zu großem Danke verpflichtet sei, wegen des Kampfes gegen den Bolschewismus“ und wegen der Unterstützung der russischen Kirche in Deutschland.37 Die Einstellung der NEDR, die sich nicht an der Kampagne gegen Konrad Möckel beteiligte, war zweideutig. Sie hatte nicht verstanden oder wollte nicht verstehen, worum es in der Botschaft an die Kirchen in Deutschland ging. Schärfer war die „Deutsche Tageszeitung“ der DVR. Sie folgte der Argumentation der „Nationalsozialistischen Monatshefte“, die eine Entweder-Oder-Situation konstruierten.38 Die deutsche protestantische Kirche, schrieb die Zeitschrift, werde sich zu entscheiden haben, „ob sie weiterhin mit dem Weltprotestantismus gegen Deutschland stehen will oder ob sie ‚unter Zurücksetzung einiger Bedenken um höherer Rücksichten willen‘ bereit ist, mit dem Nationalsozialismus für Deutschland und gegen die politisierende Romkirche und den Bolschewismus zu kämpfen“.39 Mit der „Zurücksetzung von Bedenken“ verhöhnte der Autor die Vertreter der südostdeutschen evangelischen Kirchen; denn diese Formulierung stand in deren Eingabe an die Konferenzleitung in Oxford. Rosenbergs Zeitschrift erkannte in diesem Vorbehalt ein Zeichen der Schwäche. Die DVR nahm das Stichwort „Ungeheuerlichkeit“ auf. Nicht die Konzentrationslager, in denen katholische und evangelische Geistliche und Laien saßen, waren für die TZ „ungeheuerlich“, sondern die Botschaft der Konferenz, die vom Leiden der Bekennenden Kirche in Deutschland sprach. Deutete man die Botschaft der Solidarität in eine politische Kampfansage an den NS-Staat um, gerieten die evangelischen Kirchen in Deutschland und in Südosteuropa in eine Zwangslage. Entweder bekannten sie sich zur Wahrheit und nahmen das Risiko auf sich, des „Volksverrats“ bezichtigt zu werden, oder sie schwiegen und verrieten die Ökumene. Es war das Ziel der Angriffe, die Kirchen zu zwingen, zwischen „national“ (deutsch) und „ökumenisch“ (christlich) zu wählen – eine zerstörerische Alternative. „Deutsch“, so die Unterstellung, gäbe es nur in der Perspektive des damals gerade herrschenden Nationalsozialismus. Im Jahre 1937, ein Jahr nach der Olympiade in Berlin, schwankte die Beurteilung der deutschen 36 Süd-Ost. Tageblatt der Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien vom 25. Juli 1937, Folge 466. 37 Ebda. 38 Nationalsozialistische Monatshefte. Hg. Alfred Rosenberg, 1937, H. 90, S. 81. Mit Entweder-oder-Situationen (zum Beispiel einen Geßlerhut grüßen müssen) versuchen Diktaturen Institutionen und Einzelpersonen einzuschüchtern und zu sich gefügig zu machen. 39 Ebda.

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Politik im europäischen Ausland zwischen dem Respekt vor der „nationalen Erstarkung“ und dem Erschrecken über den „Nationalbolschewismus“ in der Innenpolitik des Deutschen Reiches. Die deutschsprachigen evangelischen Kirchen Osteuropas waren mit Zustimmung des Kirchlichen Außenamtes in Berlin nach Oxford gefahren. Das Außenamt hatte sogar die Hälfte der Kosten getragen. Auf Wunsch von Bischof Glondys erklärte Bischof Heckel, dass die Teilnahme der deutschen evangelischen Volkskirchen „notwendig und erwünscht“ gewesen war und dass ihre Vertreter „nach meiner Kenntnis in entschiedener Weise die gemeinsamen Anliegen der deutschen Reformationskirche und des deutschen Volkstums verfochten haben“. Glondys ließ die Erklärung in die Kirchlichen Blätter setzen.40 Die Kronstädter Zeitung berichtete am 24. September, es war ein Freitag, von einem Vortrag Konrad Möckels „in der Aula des Honterusgymnasiums vor dicht besetztem Saale“, unter denen auch jugendliche Mitglieder der DVR waren:41 „Sie hörten ohne jeden Störungsversuch die Ausführungen des Vortragenden an, ohne Beifall, aber auch ohne Ablehnung zu äußern. Umso herzlicher war der Empfang des Stadtpfarrers durch die übrigen Gemeindemitglieder.“42

Schon einen Tag später nahm der Streit eine unerwartete Wendung. Bischof Glondys distanziert sich Die Kronstädter Zeitung berichtete am Samstag, dass der Bischof sich in den Kirchlichen Blättern von Möckel distanziert habe.43 Glondys erklärte, „der Vertreter der Landeskirche, Herr Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel-Kronstadt“ sei „mit klar umrissenen Aufgaben entsandt“ worden. Das Mitwirken an einer solchen Aktion, gemeint war die Botschaft, habe nicht dazugehören können, da weder in der Tagesordnung der Weltkirchenkonferenz noch in der vorangegangenen Korrespondenz eine derartige Absicht auch nur angedeutet worden sei.44 Was war geschehen? Die DVR hatte Druck auf Bischof Glondys ausgeübt. Einer ihrer Wortführer hatte sich in einem Aufsatz „Eine Ungeheuerlichkeit. Möckel schwieg in Oxford“ den Bischof gefragt, ob er dessen Vorgehen billige. Mit Straßenplakaten „Quo vadis Möckel?“ unterstützte die DVR den Angriff auf den Kronstädter Stadtpfarrer und auf den Bischof und trieb Glondys in die Enge. Wieder einen Tag später verkündete die Sonntagsausgabe der Deutschen Tageszeitung (TZ): „Bischof Glondys rückt von Möckel ab. Eine sensationelle Erklärung des Bischofs der ev. Landeskirche A. B. in 40

Kirchliche Blätter 1937, 2. Septemberheft, S. 358. Kronstädter Zeitung vom 24. September 1937, Nr. 213. 42 Ebda. 43 Kirchliche Blätter 1937, 3. Septemberheft. 44 Kronstädter Zeitung vom 25. September 1937, Nr. 214. Die Erklärung war im 3. Septemberheft der Kirchlichen Blätter erschienen. 41

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Rumänien.“45 Der Autor des TZ Artikels vertiefte sich mit Genuss in die Widersprüche zwischen der Erklärung Bischof Heckels und der Distanzierung des Hermannstädter Bischofs, „die einerseits Stadtpfarrer Möckel auf das Schwerste belastet, gleichzeitig aber auch in scharfem Gegensatz zu der Erklärung von Bischof Heckel steht“.46 Konrad Möckel schickte der TZ den Wortlaut der Botschaft zum Abdruck47 und schilderte am gleichen Tag in einem öffentlichen Vortrag die Entstehung der Botschaft. Er stellte die selbstkritische Haltung der Konferenzteilnehmer heraus, deren Sprache sich wohltuend von der blindwütigen Reaktion der nationalsozialistischen Presse unterschied: „1. Es wird in der Botschaft kein Wort gegen das deutsche Volk, den deutschen Staat oder den Nationalsozialismus ausgesprochen, sondern bloss eines für die Deutsche Evangelische Kirche. 2. Es ist allgemein bekannt, dass die D.E.K. in hartem Kampfe steht, in einem härteren Kampf, als die Kirchen anderer Länder, die eine das Christentum grundsätzlich bejahende, politische Führung haben, in einem härteren Kampf, als er jemals in der Geschichte des deutschen Protestantismus seit den Zeiten des 30-jährigen Krieges ausgefochten wurde. 3. Dieser Kampf wird hervorgerufen durch die starken antichristlichen Strömungen im deutschen Volke (z. B. Ludendorf, Hauer). Er mag belastet sein mit allerlei Unrecht, das auf beiden Seiten geschieht. Er berührt aber nicht die grundsätzliche Haltung der verantwortlichen Vertreter des Reiches, die keine grundsätzliche Bekämpfung der Kirchen verkündigen. 4. Die D.E.K. hatte als einzige, prominente Kirche (abgesehen vom römischen Katholizismus) auf der Konferenz gefehlt. Es war daher selbstverständlich, dass man sie von diesem Weltforum her grüßen musste. Es war ferner klar, dass man sie allein nennen und ansprechen musste. Man konnte nicht im gleichen Atemzug die Leiden der Christenheit unter dem Bolschewismus anführen. Eine derartige Verbindung hätte allerdings uns dazu veranlassen müssen, eindeutig von der Botschaft abzurücken.“48

Konrad Möckel klagte die „verantwortlichen Vertreter des Reiches“ für die Unterdrückung der Kirchen in Deutschland nicht an, sondern bescheinigte ihnen, dass die „verantwortlichen Vertreter des Reiches“ „nicht die Bekämpfung der Kirchen verkündigen“. Das war eine taktische Formulierung; denn dagegen konnten die Gegner in der DVR nichts sagen. Er behauptete nicht, dass sie sich an ihr Wort hielten, sondern sagte nur, dass allgemein bekannt sei, in welch einem harten Kampf die evangelische Kirche stehe – wie seit dem 30-jährigen Krieg nicht mehr. Die Nationalsozialisten verkündigten die Nichteinmischung in kirchliche Angelegenheiten, taten dann aber, was sie wollten.

45 46 47 48

Deutsche Tageszeitung (TZ) vom 26. September 1937, Folge 878. Ebda. Deutsche Tageszeitung (TZ) vom 27. September 1937, Folge 879. Nachlass KM Karton 12, „Hochlöbliches Landeskonsistorium“ vom 28. September 1937.

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Bischof Glondys gab am 27. September eine Erklärung „Gegen verwirrende Behauptungen im Zusammenhang der Weltkirchenkonferenz in Oxford“ ab.49 Bischof Heckel habe auf der Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins die Botschaft der Oxforder Weltkirchenkonferenz an die Evangelischen in Deutschland abgelehnt und die Ablehnung öffentlich begründet. Er, Glondys, habe diese Botschaft gleichfalls abgelehnt und diese Ablehnung im Landeskonsistorium und an anderen amtlichen Stellen erläutert. Wie um diese Ablehnung auszubalancieren, fügte er jedoch hinzu, dass er die „Verdienste Stadtpfarrer Möckels gewürdigt und ihm dafür im Landeskonsistorium den Dank ausgesprochen“ habe.50 Die Kronstädter Zeitung brachte diese Erklärung und berichtete in derselben Ausgabe von den „fesselnden Ausführungen“ des Stadtpfarrers, widersprach aber in zwei Punkten. Konrad Möckel fände, die Konferenz habe in der Kritik Maß gehalten; die Kronstädter Zeitung dagegen meinte, es seien die Früchte der „Hetze“ gegen Deutschland in Erscheinung getreten, und die Konferenz habe ihre Befugnisse doppelt überschritten. Sie habe erstens bei der Verabschiedung der Botschaft die Teilnehmer „überrumpelt“, und sie habe sich zweitens doch „gegen das politische Regime Deutschlands“ gewendet.51 Die Botschaft der Konferenz konnte in der Tat auch als eine Kritik an der deutschen Regierung gelesen werden. Welche Aufregung wäre in nationalsozialistischen Zeitungen in Deutschland ausgebrochen, hätte die Grußbotschaft die schmählichen Nürnberger Gesetze verurteilt und das Schicksal der Juden in Deutschland erwähnt? Die christliche Ökumene in Oxford schwieg dazu. Warum Glondys von der Linie des Kirchlichen Außenamtes abwich, ist unklar. Bischof Glondys hielt ein Dreivierteljahr später in seinem Tagebuch die Klage Konrad Möckels fest. „Er [Möckel] fühlte sich aus dem fahrenden Zug einem Rudel von Wölfen vorgeworfen.“52

Die DVR funktionalisierte den Streit nicht nur im Kampf gegen Bischof Glondys, sondern auch im Wettlauf mit der Volksorganisation um die „Reinheit der neuen deutschen Weltanschauung“.53 Sie bezichtigte Konrad Möckel des „Volksverrates“; um damit das Bündnis zwischen „der ev. Kirche und die mit ihr verbündete Deutsche Partei (genannt Volksgemeinschaft)“ zu treffen. Der Verfasser des Artikels, Walter May, brachte den Unterschied auf die Formel „Deutscher Sozialismus“ gegen „internationale Bestrebungen von Oxford“. Glondys bemerkte bitter, May habe bei der Konfirmation sein Gelöbnis in seine, des damaligen Stadtpfarrers Hand abgelegt. Die Volkskirche, 49

Kirchliche Blätter 1937, 4. Septemberheft, S. 477. Ebda. Abdruck auch in der Kronstädter Zeitung vom 1. Oktober 1937, Nr. 219. 51 Kronstädter Zeitung vom 1. Oktober 1937, Nr. 219. 52 Viktor Glondys: Tagebuch. Dinklage 1997, S. 282. 53 Deutsche Tageszeitung (TZ) vom 10. Oktober 1937, Folge 890 „Oxford – eine weltanschauliche Entscheidung“ von Walter May. 50

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für die Konrad Möckel eintrat, erschien hier in der Karikatur einer „Deutschen Partei“, die „von den Mächten der Reaktion und von der politisierenden Kirche“ abhängig ist, „um vom Weltprotestantismus geistige und machtpolitische Hilfe zu erlangen gegen ein angebliches Neuheidentum, dessen Gespenst man auch bei uns an die Wand malt und dessen Wurzeln man im Nationalsozialismus sucht“.54

Konrad Möckel sei genauso seines Amtes zu entheben wie die Nichtunterzeichner der „Zur Kenntnisnahme“ des Erlasses 924/36. Wenn er der deutschfeindlichen Oxforder Botschaft zugestimmt habe, die nunmehr von allen Stellen einmütig abgelehnt werde, sei es eine „Gesinnungslosigkeit sondergleichen, über diesen Volksverrat einfach zur Tagesordnung überzugehen“. Die „besten deutschen Geistlichen der ev. Landeskirche“ habe man ihres Amtes enthoben, weil sie sich keinem Gesinnungszwang beugten. Geradezu milde wäre „das gleiche Urteil gegenüber einem Mann, der nicht imstande war, die Ehre seines Volkes und damit auch seiner Kirche zu wahren“.

Darum werde das endgültige Urteil über Oxford davon abhängen, „wie sie gegen denjenigen vorgehen, auf den sie selbst die ganze Verantwortung für eine undeutsche Handlungsweise abgewälzt und den sie somit als den Schuldigen hingestellt haben.“55

Der Süd-Ost lehnt diese Zumutung ab und spottete darüber, dass die TZ sich brüstete, reichsdeutschen Blättern als Quelle im Kampfe gedient zu haben. „Wie? wir wären nicht richtige, hochprozentige Nationalsozialisten? Brüllen wir denn nicht fürchterlich? Gehen wir denn nicht mit Knütteln auf die Gegner los? Ziehen wir denn nicht alles in den Schmutz, was man bisher geschätzt und in Ehren gehalten hat? Ist denn das nicht Dienst an der nationalsozialistischen Idee?! Und das Mutterland stimmt uns zu!“ 56

In der Verurteilung der Botschaft der Oxforder Konferenz waren sich beide NaziGruppen einig. Es nützte nichts, dass die Fabritianer Konrad Möckel einen Ehrenmann nannten. Von den besorgniserregenden Zuständen der Kirchen in Deutschland, wie Gerhard May sich ausdrückte, wollten sie nichts wissen. Es ging den Kontrahenten um die Frage, wer die bessere Nazigruppierung sei.

54

Ebda. Ebda. 56 Süd-Ost. Tageblatt der Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien vom 8. Februar 1938, Folge 630. „Das also ist ihr Nationalsozialismus! Ein vernichtendes Selbstzeugnis der DVR.“ 55

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Vertrauenskundgebung des Kronstädter Presbyteriums Am 28. Oktober 1937 fand eine Vertrauenskundgebung der Honterusgemeinde statt. Die Rede des Kurators Dr. Heinz Reiners und die Antwort des Stadtpfarrers lassen die angespannte Situation erkennen. Vor Eintritt in die Sitzung der Kirchengemeindevertretung ergriff Reiners das Wort und fragte, ob die Presbyter – über die Sachaufgaben hinaus – die Gemeinde nicht auch dort vertreten müssten, „wo wirklich Kirche ist, dort wo die Glocke ruft, wo die Orgel erklingt und das Wort Gottes verkündigt wird?“57 An dem fehlte es offenbar in der Gemeinde. Das seien harte Worte, meinte er, aber sie müssten offen ausgesprochen werden. Wenn es immer häufiger zu Verdächtigungen und zu schamlosen Beschimpfungen führender und dienender Männer der Kirche habe kommen können, „dann tragen wir alle mit Schuld daran“. Mindestens dank der Passivität und Gleichgültigkeit sei es destruktiven Elementen gelungen, „den Ring zu sprengen und Gift zu streuen“. Man habe dem Stadtpfarrer Volksverrat „an den Kopf geworfen“, um ihn als „missliebigen Volksgenossen“ menschlich zu isolieren. „Ich frage Sie, die Sie das Denken, Reden und Handeln unseres Stadtpfarrers kennen, ob Sie glauben, daß er ein Volksverräter sei?“

Dr. Reiner rief den „120 %-igen Neudeutschen“ zu: „Uns ist unser Deutschtum allermindest so heilig wie ihnen!“

Er wies auf die existentielle Verbindung von deutsch und evangelisch hin. Die „Verbindung von Kirche und Volk“ müsse nicht nur „mit Wissen und Wollen, sondern auch mit Glauben und Beten gelöst werden“.58 Die Anwesenden erhoben sich von den Sitzen und applaudierten. Der Stadtpfarrer dankte und ließ erkennen, dass er sich allein gelassen fühlte. „Wenn Sie mit mir gehen, wenn sie Ihren Führer nicht allein lassen wollen, kann es nur so geschehen, daß sie alle miteinander für die Sache einstehen, die wir hier zu vertreten haben. – Angegriffen werden und im Kampfe stehen ist nichts. Erschreckend und erschütternd wird der Kampf nur, wenn man ihn allein durchzuführen hat. Ich bitte Sie daher, lassen Sie mich nicht allein, wo ich unsere gemeinsame Sache zu vertreten habe!“

Er wünschte „gute Waffenbrüderschaft auf dem Boden der Kirche“. Beide Reden, so schließt der Bericht, „wurden mit starker Zustimmung, stellenweise mit stürmischem Beifall angehört und aufgenommen“.

57 Kronstädter Zeitung vom 2. November 1937, Nr. 246, „Eine Vertrauenskundgebung für den Stadtpfarrer“. Die Kronstädter Zeitung druckte die beiden Ansprachen ab, die des Kurators der Honterusgemeinde Dr. Heinz Reiner und die Antwort des Stadtpfarrers. 58 Ebda.

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Ein Tadel des Landeskonsistoriums Konrad Möckel berichtete nach den Presseangriffen im August und September dem Landeskonsistorium schriftlich.59 Daraufhin erhielt er einen Tadel: „Das Landeskonsistorium sieht sich veranlasst, hervorzuheben, dass es gerne gesehen hätte, wenn Euer Hochehrwürden die Fühlung mit der eigenen Kirchenbehörde gesucht hätte.“60

Er nahm den Tadel „mit tiefem Befremden“ entgegen. Im Zusammenhang mit „den vielen versteckten und offenen Anschuldigungen“, die in den vergangenen Wochen über ihn ergangen waren, sah er darin eine „sehr schwerwiegende Ausstellung“ an seinem Verhalten und legte seine Sicht ausführlich dar. Das Verhältnis zwischen Bischof und Kronstädter Stadtpfarrer war gestört. Der Bischof hatte ihn persönlich mit seiner Vertretung betraut, nicht die Kirchenbehörde. Dieser war eingeladen worden – nicht die Landeskirche. Die Kosten hatten das Kirchliche Außenamt in Berlin, der Ökumenische Rat und Konrad Möckel selbst getragen – nicht die Landeskirche. Bischof Glondys hatte schriftlich bei Möckel angefragt61 und die Instruktion später mündlich erteilt. Die Abgrenzung der Aufgaben war schwierig, eine schriftliche Anweisung wegen der vielen Grenzübertritte nicht tunlich. Das war auch der Grund, weswegen Konrad Möckel aus London oder Oxford nicht berichtete. Die Stimmung bei der Abreise aus Kronstadt ließ ihn daran zweifeln, ob er überhaupt bis Oxford gelangen werde. Man hatte ihn „mündlich, telefonisch, sogar telegrafisch geradezu bestürmt, doch keinesfalls nach Oxford zu fahren“.62 Es werde aus der Reise für ihn selbst sicher ein Unglück. Er entschloss sich, alles weitere von der Besprechung mit Bischof Heckel und mit den anderen Vertretern aus der Diaspora abhängig zu machen. Eine letzte Verständigung kurz vor der Abreise mit Bischof Glondys, der in Keresztbánya auf Kur war, gelang nicht. Die Postzentrale des Kurorts gab die Auskunft, der Bischof befinde sich im Urlaub und sei unerreichbar. Das Kirchliche Außenamt stimmte der Reise der Auslandsdeutschen nach Oxford dann ausdrücklich zu. Als dann in Oxford die Arbeit in den Ausschüssen begann, schien eine sofortige Berichterstattung erst recht nicht nötig. Nur bei der Botschaft an die EKD war das anders. Es musste jedoch rasch gehandelt werden, und zwar in Fühlung mit dem Kirchlichen Außenamt und zugleich mit den Vertretern des reichsdeutschen Protestantismus. Kein Diasporavertreter dachte daran, in dieser Sache Weisung von der Heimatkirche einzuholen. Das wäre auch rein technisch nicht möglich gewesen. Konrad Möckel hatte nicht einmal von Kronstadt aus den Bischof an seinem Urlaubsort erreichen können. 59

Am 28. September 1937. Nachlass KM, Karton 12, Mappe „Weltkirchenkonferenz Oxford – Juli 1937“ Bericht des Stadtpfarrers Dr. Konrad Möckel über seine Betrauung für die Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937. Der folgende Abschnitt folgt diesem Bericht. 61 Am 12. März 1937. 62 Ebda. 60

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Es handelte sich nicht um Fragen der eigenen Heimatkirche, sondern „lediglich um den reichsdeutschen Protestantismus“. Keine einzige Diasporakirche fühlte sich nach der Konferenz bemüßigt, ihrem Vertreter wegen der Fühlungnahme mit der Heimatkirche oder wegen der Grußbotschaft Vorhaltungen zu machen. Es gab, so muss man hinzufügen, in anderen evangelischen Diasporakirchen Osteuropas auch keine Gruppierung, die wie die rumäniendeutsche DVR in ihrem Widerspruch gegen die Weltkirchenkonferenz noch nazistischer sein wollte als die Nazis. Nach der Konferenz traf Konrad Möckel Bischof Glondys in Kaiserslautern, wo er zwei Tage mit ihm zusammen war, ohne dass es, außer in einem größeren Kreis am Abend in einem Gasthause, zu einer Aussprache gekommen wäre. Dann traf Konrad Möckel aus Anlass der theologischen Prüfungen in Hermannstadt mit dem Bischof zusammen, ohne dass dieser ihn aufforderte, dem Landeskonsistorium zu berichten, was Konrad Möckel erwartet hatte. Am 11. und am 20. September gab er dem Bischof von sich aus den Gedankengang der beiden in Kronstadt gehaltenen Vorträge schriftlich und bedauerte, dass er nicht, wie erhofft, „Gelegenheit zu einer so gründlichen und ruhigen Berichterstattung über die Konferenz und einiges andere“ erhalten hatte. Er bat „mit innerer Unruhe“ darum, ihm eine Berichterstattung möglich zu machen. Dann kam die Distanzierung des Bischofs vom 20. September, und Konrad Möckel fuhr von sich aus zu einer Aussprache nach Hermannstadt. Es folgte der Bericht an das Landeskonsistorium vom 28. September. Danach gab es keinen Kontakt mit der Kirchenleitung mehr. Es werde nach dem Dargestellten zu begreifen sein, schloss er, wenn er mit tiefem Befremden die Worte des ihm zuteil gewordenen Tadels entgegen genommen habe. „Die einzige Erklärung dafür, dass er ausgesprochen wurde, ist für mich in der Tatsche zu finden, dass ein hochlöbliches Landeskonsistorium über die Geschehnisse um Oxford nicht genügend unterrichtet wurde“.63

Wer die Aufgabe hatte, das Landeskonsistorium zu unterrichten, wussten dessen Mitglieder – Bischof Glondys. Bischof Glondys hilft Bischof Theodor Heckel Bischof Glondys erwähnt in seinem Tagebuch die Konferenz von Oxford mehrfach, am 29. August 1937 mit dem Bedauern, dass Konrad Möckel sich nicht „von dem Beschluß, eine Botschaft nach Deutschland zu senden, ausgeschlossen habe“. Möckel habe gesagt, „die Entsendung der Botschaft sei wegen der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland berechtigt gewesen“ (Glondys 1997, S. 264). Glondys hörte auf seiner Deutschlandreise im Sommer 1937 zwar ebenfalls Klagen, aber er stellte auch fest, „daß der Religionsunterricht und die Konfirmandenunterweisung nicht gehemmt“ und „die Gottesdienste abgehalten“ würden. 63

Ebda.

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Im April 1938 fand anlässlich eines Besuches in Kronstadt eine Aussprache statt, bei der Konrad Möckel das Bild vom fahrenden Zug und dem Wolfsrudel gebrauchte. Glondys bestritt, dass die Lage der Evangelischen Kirche in Deutschland es rechtfertige, sie als eine „verfolgte Kirche“ zu bezeichnen. Dieses Wort stand allerdings nicht in der Grußbotschaft aus Oxford. Er habe Möckels Zustimmung zur Botschaft an die deutschen Kirchen als „private Meinung“ bezeichnen müssen. Bischof Glondys ging im Sommer 1938 noch einen Schritt weiter und wies anlässlich der Eröffnung der 36. Landeskirchenversammlung, in seiner Ansprache zur Lage der Kirche, den Ausdruck „verfolgte Kirche“ in aller Form zurück. Dem Verhältnis zur Evangelischen Kirche in Deutschland widmete er einen eigenen Abschnitt.64 Das Besondere der siebenbürgischen Evangelischen Kirche sah er „in der Verpflichtung zum Dienst am Volke“. Die Kirche begnüge sich nicht mit der Predigt, „sondern sie tritt in die Bresche und greift selbst zu, so weit und so lange dies notwendig ist“. Als Beispiele nannte er die Förderung des Handwerkerstandes und die Fortbildung der Bauern in landwirtschaftlichen Schulen unter kirchlichem Schutz. Jeder Bischof würde Schiffbruch erleiden, „wenn er etwa die kirchenpolitische Linie gewisser kirchlicher Bewegungen in Deutschland“ bezöge.65 Die gleichen Gegensätze wären ausgebrochen wie in Deutschland, „gleichviel ob der Bischof unserer Landeskirche sich zu der sogenannten Bekenntniskirche oder zu den sogenannten Deutschen Christen geschlagen hätte“.66 Dann sprang er Bischof Heckel bei. Er könne „das Wort von der verfolgten Kirche nicht mitsprechen“, und er zählte Beispiele auf: Aufbringung der Bezüge der Geistlichen aus öffentlichen Mitteln, verpflichtender Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Besuch des Religionsunterrichts von bis zu 80 % der Jugendlichen, entsprechend viele Jugendliche im Konfirmandenunterricht, Verkündigung des Wortes Gottes, Strafen für Eingriffe Unbefugter in Angelegenheiten der Kirchen, die Tätigkeit des GustavAdolf-Vereins. Unter solchen Bedingungen von „Verfolgung“ zu sprechen, sei ein Missbrauch des Wortes. Glondys brachte es mit dieser Ansprache bis zu einem süß-sauern Lob in der SSZeitung „Das schwarze Korps“, die ihn wenige Jahre vorher heftig befehdet hatte.67 Unter der Überschrift „Lüge von den verfolgten Kirchen“ hieß es, Glondys sei zwar „nicht unser Mann“, aber umso wirksamer seien seine Äußerungen: „Seine Worte sind Pritschenhiebe auf die Lügenmäuler geweihter Talarträger und bezahlter Hetzer im In- und Ausland.“ 64 „Zur Gegenwartslage unserer Landeskirche – Die Eröffnungsansprache Bischof D. Dr. Viktor Glondys zur Landeskirchenversammlung“. Kirchliche Blätter 30 (1938), S. 334-345. 65 Ebda, S. 343. 66 Ebda, S. 343/344. 67 EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 984 „Rumänien Allgemeines“ vom Januar 1937– Dezember 1938. Das Schwarze Korps, Ausgabe vom 18. August 1938, Nr. 33.

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Die SS-Zeitung erwarte nicht, „daß etwa ein katholischer Bischof mit der gleichen Offenheit die Wahrheit über die Lage seiner Kirche in Deutschland die Ehre geben wird.“ Sie kündigte den Entwurf eines Bildes „von der Lage der verfolgten Katholischen Kirche in Deutschland“ an, die „dem Heiligen Vater in Rom und seinen Volksfrontfreunden in Moskau und sonst in der Welt angeblich so viel Sorge bereitet“.68 Das war ein Applaus von der falschen Seite. Bischof Heckel dankte Glondys für die Ansprache überschwänglich und erbat 100 Exemplare der Rede.69 Genau so viele hatte der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda vom Kirchlichen Außenamt gefordert. Er ließ sie an die deutschen Auslandsvertretungen verteilen.70 Die Samariterpredigt war eine frühe Warnung vor dem Nationalsozialismus gewesen. Von Friedrich Teutsch ist keine Kritik an der Naziideologie bekannt. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem dadurch entfesselten Hass rumäniendeutscher Nationalsozialisten auf den Bischof und auf die Kirche, wehrte er sich mit einem Appell an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest. Dann bezog er die kirchenpolitische Linie Bischof Theodor Heckels, der sein Amt in Berlin unter den Augen der NS-Partei führen musste. Glondys distanzierte sich sowohl von der bekennenden Kirche als auch von den deutschen Christen. Der Preis, den er für seine Neutralität zahlte, war die Formel von der „friedlichen Durchdringung“ des Volkes mit den Gedanken der Erneuerungsbewegung. Er gebrauchte sie 1933 und auch 1938 anlässlich der Eröffnung der 36. Landeskirchenversammlung.71 Er fand auch noch andere vermittelnde Formeln, zum Beispiel zur Rassenfrage oder zu Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts. Konrad Möckel kritisierte die Freunde aus dem Südostdeutschen Wandervogel vor 1933 und danach, als diese in die NSDR eingetreten waren. Die inhaltsleere, lediglich an der Macht orientierte Geste, mit der die ehemaligen Freunde aus dem Wandervogel die DVR gründeten, stieß ihn ab, ebenso die verstiegene Opferfreudigkeit der aus dem Dienst der Landeskirche entlassenen Angestellten um Wilhelm Staedel. Er war aus dieser politischen Gruppierung heraus verleumdet und angriffen worden. Nach der Konferenz in Oxford bezeichneten sie ihn als Volksverräter und forderten seinen Kopf. Sie funktionalisierten den – 1930 – Umworbenen skrupellos im Kampf gegen Bischof Glondys und erreichten schließlich, dass dieser sich von Konrad Möckel distanzierte. Nur die Honterusgemeinde und die Freunde im Frecker Kreis hielten zu ihm.

68

Ebda. EZA Berlin, Bestand 5, Nr. 984 „Rumänien Allgemeines“ vom Januar 1937 – Dezember 1938. Brief Theodor Heckels vom 30. Juli 1938. 70 Ebda. Schreiben des Ministers für Aufklärung und Propaganda vom 1. Dezember 1938. 71 Zur Gegenwartslage unserer Landeskirche – Die Eröffnungsansprache Bischof D. Dr. Viktor Glondys zur Landeskirchenversammlung“. Kirchliche Blätter 30 (1938), S. 336. 69

Kapitel 10

Die Evangelische Michaelsbruderschaft (1937-1944)

Die Berneuchner Bewegung Der Eintritt in die Evangelische Michaelsbruderschaft war für Konrad Möckel ähnlich bedeutsam wie seine Berufung in das Pfarramt in Großpold. Die Berneuchner Bewegung ist nach dem Gut Berneuchen in der Neumark benannt.1 Auch die Vorgeschichte der Berneuchner ist zum Verständnis seines Lebenslaufs bedeutsam, so überraschend das klingt. Wilhelm Stählin, Bundesleiter des Bundes Deutscher Jugendvereine und Jugendpfarrer in Nürnberg, lud 1923 zusammen mit zwei anderen Pfarrern2 zu einem großen Treffen von Jugendleitern auf Schloss Angern bei Magdeburg ein. Etwa hundert Teilnehmer kamen zur Tagung, doch sie endete nicht etwa mit einer – dringend notwendigen – Ergänzung oder Überarbeitung der gefährlich formalen Selbstverpflichtung vom Hohen Meißner3, sondern in einer entmutigenden Sprachverwirrung, „als ob wir auf verschiedenen Planeten beheimatet wären“.4 Das war zwar ein Fehlschlag, aber die leidenschaftlichen Diskussionen unter den Teilnehmern ließen erkennen, dass die Jugendlichen für religiöse Fragen im weitesten Sinne offen waren – ähnlich wie der Südostdeutsche Wandervogel in Siebenbürgen. Der Konfirmandenunterricht und der evangelische Religionsunterricht, auch diese Einsicht drängte sich auf, erreichten im Großen und Ganzen wenig, wenn eine solche babylonische Sprachverwirrung möglich war – auch das eine Parallele zu Siebenbürgen. Wilhelm Stählin brachte es auf den Punkt: Die Antwort, auf die viele junge Menschen warteten, stehe zwar in Luthers

1 Die Neumark gehört heute zu Polen (Berneuchen = Barnówko). Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Neumark ein Teil der Mark Brandenburg. 2 Jugendpastor Gotthold Donndorf, Hamburg und Leopold Cordier, Führer des Christdeutschen Bundes. 3 Siehe Kapitel 4, Anm. 1. 4 Karl Bernhard Ritter: Tagung von Angern. Nach einem Menschenalter I. In: Quatember 1953, S. 28-30.

Die Evangelische Michaelsbruderschaft

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Kleinem Katechismus, „aber es ist völlig aussichtslos, ihnen diese Antwort mit den Worten und Begriffen Luthers verständlich zu machen“.5 Wilhelm Stählin, Karl Bernhard Ritter und einige andere, die sich schon kannten, kamen überein, sich auch zukünftig zu treffen, aber in anderer Zusammensetzung und in einem kleineren Kreis. Das geschah, vermittelt durch Karl Bernhard Ritter, 1924 auf dem Gut Berneuchen, wo die Familie von Viebahn sie gastfreundlich aufnahm. Die „Berneuchner“ trafen sich in den folgenden Jahren wiederholt auf dem Gut, wobei etwa sieben oder acht Männer an diesen Berneuchner Konferenzen regelmäßig teilnahmen:6 „Zu einer Zeit, da unsere Kirche nach dem Urteil der meisten unerschüttert dastand, hatte uns ein tiefes Erschrecken über den inneren Zustand dieser unserer Kirche und die Sorge um ihre Zukunft zusammengeführt“ (Stählin 1967, S. 314).

Diese Einsicht beunruhigte fast zur gleichen Zeit auch Konrad Möckel, ohne dass er von Berneuchen etwas wusste. Die Beunruhigung ließ den Religionslehrer in Hermannstadt und Pfarrer in Großpold später im Frecker Kreis Freunde und Mitstreiter suchen. In Deutschland sah man noch schärfer als in Siebenbürgen, dass junge Menschen zum Leben in ihren Kirchengemeinden und zu den Quellen einer lebendigen Frömmigkeit keinen Zugang mehr hatten. Mit Belehrung allein konnten sie unmöglich an die christliche Gemeinde heran- und in sie eingeführt werden. Die Berneuchner Bewegung gehört zu den Initiativen, die auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs eine existenzielle Antwort suchten, wobei den Beteiligten zunächst nicht klar war, wohin der Weg sie führen sollte. An vielen Orten und auch in der evangelischen Kirche machte sich Unzufriedenheit mit dem Bestehenden bemerkbar. Viele Menschen fühlten die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen. Die Berneuchner machten sich zugleich hinsichtlich der Reformfähigkeit der Kirche keine Illusionen, auch wenn ihre geistige Heimat die Evangelische Kirche war. Sie standen im Gemeindeleben und kannten beides, die Jugendbewegung und die Jugendpflege der Kirche. Die Gemeinde selbst musste sich den Jugendlichen im gelebten Vollzug mitteilen – ohne Belehrungen und ohne moralische Appelle. Als ein Ergebnis der Zusammenkünfte in Berneuchen kristallisierte sich immer stärker die Überzeugung heraus, die dann auch Eingang in die Stiftungsurkunde der Michaelsbruderschaft fand: „Wer Kirche bauen will, muss selbst Kirche sein.“ Die Stiftung der Michaelsbruderschaft in Marburg Wilhelm Stählin erinnerte sich, dass der Gedanke eines festen, verpflichtenden Zusammenschlusses schon früh in den Gesprächen um den runden Tisch in Berneuchen

5

Ebda. Übernommen auch in Wilhelm Stählin: Via Vitae. Lebenserinnerungen. Kassel 1968, S. 315. 6 Wilhelm Stählin: Via Vitae. Lebenserinnerungen. Kassel 1968, S. 316.

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aufgetaucht sei. Es war ein inspirierter und inspirierender Kreis, der dort zusammenkam und einen neuen, geistlichen Weg suchte. Einfache Mitglieder nahmen die konfessionellen Grenzzäune im Bereich der evangelischen Landeskirchen aus vorausgegangenen Jahrhunderten kaum noch wahr, und doch waren sie, wie bei der Zulassung zum Abendmahl, immer noch wirksam. Schon die Tatsache war in den 1920er Jahren neu, dass sich evangelische Pfarrer, die sich der Jugend verbunden fühlten, aber konfessionell unterschiedlichen Landeskirchen angehörten, zusammenfanden. Der Grenzzaun zwischen der evangelischen und der katholischen Jugend war damals noch höher. Auch das galt für die Rumäniendeutschen im evangelischen Siebenbürgen genauso wie für die im katholischen Banat. Aber schon die Binnenunterschiede im Bereich evangelischer Landeskirchen waren groß und die Teilnehmer der Gespräche in Berneuchen zudem starke Persönlichkeiten. Ohne einen festen Zusammenschluss bestand die Gefahr, dass „Zwistigkeiten und Rivalitäten auf die Dauer auch unsere sachliche Arbeitsgemeinschaft gefährden und sprengen würden“ (Stählin 1968, 321/322). Die Berneuchner blieben beisammen und legten gemeinsam erste Schritte auf einem Weg zurück, der sie in die Richtung auf die allgemeine, geglaubte Kirche führen sollte. Nach neun Jahren waren die Vorarbeiten so weit gediehen, dass die an den Gesprächen Beteiligten sich auch formell binden konnten. Ludwig Heitmann, Karl Bernhard Ritter, Wilhelm Thomas und Wilhelm Stählin verfassten bei einer Zusammenkunft in Marburg/Lahn die „Urkunde der Evangelischen Michaelsbruderschaft“. Am 1. Oktober 1931 stimmten ihr in der Universitätskirche in Marburg 23 Personen zu. Einige Jahre später gab sich die Evangelische Michaelsbruderschaft verpflichtende Regeln: „Wir stehen in der gleichen Not. Wir glauben daran, daß in dieser Not der Kirche Jesu Christi die Verheißung geschenkt ist. Wir glauben daran, daß den deutschen Kirchen der Reformation ein Beruf verliehen ist an der ganzen Christenheit ... Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind“ (Stählin 1967, S. 314).

Die Berneuchner Bewegung war in den 1920er Jahren mit dieser Programmatik und mit ihrer Kreativität im evangelischen und deutschsprachigen Raum einzigartig. Sie unterschied sich von der Universitätstheologie; denn ihre theologischen Analysen und Reflexionen waren eingefügt in eine intensive Gebetsgemeinschaft. Wer sich zur Berneuchner Bewegung zählte, blieb in seiner Herkunftskirche aktiv, bezog jedoch einen großen Teil seiner Energie aus der neu entstehenden überparochialen Gemeinschaft. Die Berneuchner behielten die allgemeine (katholische) Kirche des dritten Glaubensartikels immer im Sinn, setzten sich jedoch auf dem Wege dahin keine unerfüllbaren Fernziele, sondern suchten praktisch den jeweils nächsten Schritt. Die Berneuchner Bewegung entstand vor den großen Wahlerfolgen Hitlers und vor seiner Ernennung zum Reichskanzler. Sie behielt auch nach 1933 ihre Selbständigkeit und ging nicht in der Bekennenden Kirche um Martin Niemöller auf, wenngleich sie der „Bekenntnisfront“ zuzurechnen ist. Die Berneuchner Konferenzen wandten sich von Anfang an dem Innenraum der evangelischen Kirche zu. Ihre Teilnehmer kehrten, salopp

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ausgedrückt, vor der eigenen Kirchentür. Der Pfarrernotbund Martin Niemöllers und die Bruderräte richteten sich unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Eingriffe in die Angelegenheiten der Kirche dagegen stärker nach außen, um die Kirche gegen die Irrlehren der Deutschen Christen und gegen staatliche Übergriffe zu verteidigen. Hitler meinte 1933, den evangelischen Kirchen kurzerhand einen Reichsbischof und den sogenannten „Arierparagraphen“ aufzwingen zu können. Die Freiheit der Kirche, und sei es auch die Freiheit einer Kirche in den zufälligen Grenzen einer Landesherrschaft – ob erneuert oder nicht – mussten verteidigt werden. Höhepunkt war die Bekenntnissynode in Barmen im Jahre 1934. Für die Michaelsbruderschaft ist das Amt des Helfers bezeichnend. Wilhelm Stählin bezeichnete es als „vielleicht das Wichtigste unter den neu entstandenen Lebensordnungen“ (Stählin 1968, S. 323).  Jedem Mitglied ist ein Helfer zugeordnet, dem er über sein geistliches Leben regelmäßig Rechenschaft ablegt. Zugleich dient der Helfer der Seelsorge unter den Brüdern. Viele waren Pfarrer und standen im Dienst einer Gemeinde. Sie waren dankbar für die Unterstützung durch eine sie tragende Kommunität Gleichgesinnter. Als Pfarrer waren sie in ihren Entscheidungen oft auf sich allein oder auf zufällige Ratgeber angewiesen. Dem zur Verschwiegenheit verpflichteten Helfer konnten persönliche Probleme des Glaubens anvertraut werden. Der Eintritt in die Michaelsbruderschaft verpflichtete weder zur Ehelosigkeit noch zur Armut. Die Brüder gelobten Gehorsam dem Ältesten, blieben aber in ihren Familien und ihren Berufen. Sie verpflichteten sich zu täglichen, regelmäßigen Gebeten und zum Besuch der gemeinsamen Feste, besonders zum Besuch des Michaelsfestes, das für die Bruderschaft den Höhepunkt des Jahres bildete. Alle verpflichteten sich am Gemeindeleben teilzunehmen. Das galt in besonderer Weise für die Pfarrer, weil dieses Amt zugleich Beruf und Berufung war. Das Michaelsfest in Neuendettelsau 1937 Konrad Möckel hätte nach der Konferenz in Oxford noch nach Edinburgh reisen können, wo eine zweite, theologisch-ökumenische Konferenz stattfand. Er verzichtete darauf und besuchte eine Gustav-Adolf-Vereinstagung in der Pfalz, wo er, wie schon berichtet, Bischof Glondys traf. Zu der Tagung der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Neuendettelsau war er von Dr. Walther Stökl eingeladen worden.7 Er kannte die „Pfarrgebete“, das „Gebet der Tageszeiten“, das „Gottesjahr“ und andere Schriften der Berneuchner Bewegung. Pfarrer Stökl hatte er auf Studienkonferenzen des Kirchlichen Außenamtes persönlich kennengelernt, und mit ihm war er in Oxford gewesen. Stökl machte in seiner „formell-strengen und doch grundgütigen und von tiefstem geistlichem Ernst durchwehten Art“ Eindruck auf ihn, und er nahm dessen geistige Kraft „vor andern, gebildeten und klugen Teilnehmern“ wahr. Konrad Möckel hielt die 7

Die Darstellung folgt den Erinnerungen von 1953/54, XI.

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Berneuchner für eine von den „wichtigsten geistigen Bewegungen der evangelischen Kirche in Deutschland“. In seinen Erinnerungen grenzt Konrad Möckel die Michaelsbruderschaft gegen die Sydower Pfarrbruderschaft ab. Ihn störte die Fixierung auf die Auseinandersetzung mit dem NS und auf dessen kirchenschädigende Lebensäußerungen. Diese Abwehrkänpfe lenkten, wie er meinte, von den Aufgaben im eigenen Hause ab, nämlich vom Neubau der evangelischen Kirche selbst. Den Nationalsozialismus lehnten in der überwiegenden Mehrheit je länger je mehr auch die Michaelsbrüder ab, aber sie suchten die Vertiefung und die Neuentdeckung der Kirche und nicht die Bewahrung und Verteidigung des bestehenden Status quo der Kirche, an dem sie viele Schwächen erkannten. Dass die Abwehr der äußeren Eingriffe ebenfalls zum Neubau der evangelischen Kirche gehörte (die Thesen von Barmen), würdigte Konrad Möckel in seinen Schriften nicht. Heute wirken die Unterschiede zwischen der Bekennende Kirche, zu deren Kurzkennzeichnung besonders der Name Karl Barth gehört, und der Evangelischen Michaelsbruderschaft unbedeutend. Konrad Möckel schienen sie damals groß und relevant. Er suchte keine politischen Konfrontationen und zu seiner Orientierung keine herausragenden Persönlichkeiten, sondern Wege zu einer glaubwürdigen Verleiblichung von Kirche. Besonders vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Mitgliedern der Gruppenbewegung in Oxford sprach ihn Neuendettelsau an – ein „Kreis von Männern, die vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang in wahrhaft klösterlicher Zucht unter strengen Formen miteinander lebten“.8 Die reichen, wohldurchdachten Gottesdienste überwältigten ihn. Der Tag begann in aller Frühe mit der Feier der Deutschen Messe. Es folgten geistliche Übungen in der gut gefüllten Kirche, theologische Arbeit und geistliches Singen, Mittagsgebet und Vesper. Mittags und abends wurde nach klösterlichem Vorbild bei Tisch unter Schweigegebot vorgelesen. Die Brüder waren alle dunkel gekleidet, viele trugen eine hochgeschlossene schwarze Weste. Zur Messe versammelten sich die 60 Brüder an der Westseite der Kirche, am Sonntag waren es sogar 80, und zogen, vom Liturgen und seinen Helfern abgeholt, feierlich in das Chor ein. Der Reichtum des Gottesdienstes und den Ernst der Andacht nahmen den Fünfundvierzigjährigen ganz ein: „Mein Herz tat sich völlig und rückhaltlos auf und ich hatte nicht Augen und Ohren genug, um alles in mich aufzunehmen.“9

Während der Protestantismus, wie er ihn erlebt hatte, oft an einer Hypertrophie der Worte und Gedanken litt, fand er hier „eine beglückende Einheit zwischen theologischem Denken und kirchlichem Handeln. Die theologische Arbeit war die Frucht einer reichen Fülle geistlicher Erfahrungen, die am Altar gewonnen wurden und nicht am Schreibtisch.“10   8   9 10

Erinnerungen 1953/54, XI. Ebda. Ebda

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Er verglich damit seine eigenen „Irrfahrten auf dem Wege zu einer geistlich lebendigen Kirche“ und seine gut gemeinten Versuche, den Südostdeutschen Wandervogel zu gewinnen. Er erinnerte sich zugleich mit einem ihm neu geschenkten Blick an reiche katholische und orthodoxe Gottesdienste, die ihn bis dahin fremd angemutet hatten. Nun stand er „in der Krypta unter all diesem Vielerlei christlichen Lebens“ und sah „die wahre lebendige Gestalt verwirklichten Glaubenslebens“. Der Weg der Berneuchner glich seinem eigenen bis in Einzelzüge hinein. Die Sorge um die längst nicht mehr selbstverständliche Volkskirche, die Suche nach Gleichgesinnten, die Spontaneität der Jugendbewegung mit ihren neuen Formen, die er – wie die Berneuchner – nicht als Lockmittel krichlicher Jugendarbeit ansah, sondern als vollgültige Gestaltung des gemeinsamen Lebens, die Begegnung mit dem völkisch begeisterten Wandervogel, dessen Selbstlosigkeit im Dienst, „Idealismus“ genannt, er anerkannte. Das alles fand er in den Anfängen von Berneuchen wieder, nun aber mit starken, geistigen und geistlichen Mitteln besser bewältigt als in Siebenbürgen. Er trat als Probebruder in die Bruderschaft ein; denn er hatte gefunden, wonach er ein Jahrzehnt lang gesucht hatte, „eine Verwirklichung echter Kirche auf unserm evangelisch-lutherischen Boden“.11 Im Jahre 1938 war er noch einmal in Neuendettelsau und bei einer Freizeit in Urspring, wo die Michaelsbruderschaft eine eigene Begegnungsstätte plante. Hier traf er Wilhelm Stählin, einen der Stifter der Bruderschaft, der ihm anheimstellte, in Siebenbürgen im Geiste Berneuchens und der Bruderschaft zu wirken: „Komme es dabei zur Gründung eines neuen Konventes der Bruderschaft, so sei es gut; komme dabei aber etwas anderes zustande, so sei auch dies gut. Ich war also ausdrücklich gewarnt, auf den Ehrgeiz einer – Organisation hin zu arbeiten.“12

Dora Möckel brachte der Verpflichtung ihres Mannes in der Michaelsbruderschaft ein erstaunlich großes Verständnis entgegen. Sie beteiligte sich aktiv und treu an dem Weg, den Konrad Möckel in der Kronstädter Gemeinde einschlug. Das war keineswegs selbstverständlich; denn der Eintritt in eine Bruderschaft mit der Übernahme regelmäßiger Pflichten konnte Spannungen, wie sie in jeder Ehe auftreten, zusätzliche Nahrung geben. Vom Frecker Kreis zum Konvent der MB in Siebenbürgen Konrad Möckels Helfer war Pfarrer Dr. Walther Stökl, Konventältester in Österreich. Ihm sandte Konrad Möckel die persönlich gehaltenen Berichte, die er jährlich im Sommer mit einer Unterbrechungen (1944/1945) abfasste, bis das kommunistische Rumänien 1948 alle Vereine verbot und die Michaelsbruderschaft sich auflöste.13 Die 11

Ebda Ebda. 13 Nachlass KM, Archivkarton 11, Mappe Rechenschaftsberichte. 1937/38 bis 1943/44 jährlich; 1943-1946 zusammenfassend, 1946/47 und 1947/48. Die Berichte sind jeweils etwa 3 bis 6 Schreibmaschinenseiten lang. 12

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Berichte sind offen und selbstkritisch, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, und gewähren nicht nur einen Einblick in das Glaubensleben und die Frömmigkeit Konrad Möckels in der Berichtszeit, sondern auch in das geistliche Leben der Honterusgemeinde in Kronstadt. Im ersten Bericht 1938 blickte er noch einmal dankbar auf das Michaelsfest in Neuendettelsau zurück. Ihm war oft so zumute, als habe er „in die heimliche Weihnachtsstube des wahren, ewigen Christus geblickt“.14 Wer in seinem Leben auch nur einmal Mitglied einer spirituellen Gruppe im Aufbruch war, versteht, was damit gemeint ist. Eine solche Erfahrung vergisst man nicht. Sie bleibt wie ein Maßstab für gelungenes Leben bestehen, auch wenn bald deutlich wird, dass es überall „menschelt“. Seine neuen Erfahrungen versuchte er in der Gemeinde und in weiteren Kreisen fruchtbar zu machen. Auf mehreren Freizeiten gestaltete er Morgen- und Abendfeiern ganz nach dem „Gebet der Tageszeiten“, was ihm im ersten Jahr „bemerkenswerter Weise“ bei Lehrern besser als im Kreise von Pfarrern gelang. Der Frecker Kreis kam zwar regelmäßig etwa halbjährlich zusammen, aber er geriet in eine Krise. Im Herbst 1938 und im Frühjahr 1939 waren die Tage zwar ertragreich, aber es nahmen nur acht Personen teil. Er vermerkt das, obgleich ihm die Qualität der Gruppe wichtiger war als die Zahl. Der gut besuchte Pfarrertag in Schässburg, der 1938 auf Michaelis gelegt worden war, stand zu seiner Freude „ganz im Zeichen der ‚Frecker‘“.15 Schon in diesem Bericht stellte er fest, dass die Michaelsbruderschaft mit ihren Formen „der allgemeinen Kirche teilweise sehr weit vorausgeeilt war“, womit die ev. Kirche in Rumänien gemeint war. Das Problem der zwei verschiedenen Geschwindigkeiten in der Gemeinde war unter der Herrschaft des Sozialismus besonders schwer zu lösen, weil der Staat die Bewegungsfreiheit der Kirchen drastisch einschränkte. In der Gemeinde in Kronstadt gestaltete er 1937 durch zehn Wochen hindurch ein wöchentliches Gemeindesingen mit dem Kirchenmusikdirektor Viktor Bickerich. Er beendete die Abende jeweils mit einem Psalm, einem Abendlied oder einem Abendgebet im Chorraum. Das war eine Vorstufe zu einem voll ausgebauten Abendgebet nach der Ordnung der Michaelsbruderschaft. Seine gesellschaftlichen Verpflichtungen als Stadtpfarrer in Kronstadt empfand er als „Einbuße an innerer Kraft“, gegen die er seine regelmäßigen Morgenlesungen im Hause zusammen mit seiner Frau stellte. Er war 1939 in das Landeskonsistorium gewählt worden. Das war die Oberbehörde der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien. Es gelte, „in unserer Kirche den lebensnotwendigen innern Aufbau still und mutig gegen schwere Hindernisse und traurige Verwirrung in Volk und Kirche durchzusetzen“.16 Die Verantwortung empfand er als erdrückend groß. Der Einzelne werde unter der Last zerquetscht. Die Michaelsbruderschaft war gerade zur rechten Zeit in sein Leben getreten. 14 15 16

Rechenschaftsbericht 1937/38. Rechenschaftsbericht 1938/39. Ebda.

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Im nächsten Jahr, es war das letzte Friedensjahr, baute er die Samstagabendandachten zu Wochenschlussfeiern aus. Ein kleiner Kreis nahm sie dankbar an. Sodann bemühte er sich weiter um die Lehrerschaft, um sie in einen „engern Zusammenhang mit der geistigen Arbeit der Kirche zu bringen“.17 Er war Lokalschulinspektor von drei Mittelschulen (Knabengymnasium, Mädchengymnasium, Handelsschule), einer gegliederten Volksschule und von vier Kindergärten. Da ihm der Religionsunterricht Sorge bereitete, richtete er eine wöchentliche religionspädagogische Arbeitsgemeinschaft für Lehrer aller Schulgattungen ein, um „die Front kirchlichen Einsatzes weiter vorzuschieben“.18 Etwa 20 Personen kamen, überwiegend Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Die Bildung eines Gemeindekerns bahnte sich an, zu dem seine Beziehungen fest und herzlich waren. Die Gemeinschaft des Frecker Kreises intensivierte sich erst, als in Rumänien und dann auch in der Organisation der Rumäniendeutschen große politische Umwälzungen eintraten.19 Das demokratische Rumänien wandelte sich in eine Diktatur unter General Ion Antonescu. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen und zu Schießereien auch in der Kronstädter Innenstadt und in der Nähe der Schwarzen Kirche. In der rumäniendeutschen Minderheit kämpften nach wie vor zwei nationalsozialistische Parteien um die Macht – die beiden Flügel einer 1932 gegründeten nationalsozialistischen Partei. Trotz dieser Rivalität erlangten die rumäniendeutschen Nationalsozialisten in den gewählten politischen und kirchlichen Gremien nach und nach die Mehrheit. Konrad Möckel hatte zwei Jahre lang vorsichtig, anscheinend vergeblich, im Frecker Kreis für die Michaelsbruderschaft geworben. Er wollte weder die Verbindung zu der volkskirchlichen Tradition Siebenbürgens verlieren, noch eine innerkirchliche Spaltung oder Sonderung wie in der evangelischen Kirche in Deutschland herbeiführen. Der „Frecker Kreis“ trug Ansätze zu einer Bruderschaft an sich. Die Bereitschaft, den begonnenen Weg weiterzugehen, war grundsätzlich vorhanden. Die „schweren Heimsuchungen“, womit Konrad Möckel die offenen und versteckten Angriffe der Volksgruppenführung auf die Kirche meinte, lösten dann den nächsten Schritt aus. Schon im Herbst 1940 hatte er in Gesprächen einige Brüder davon überzeugt, dass ein „freundschaftlich-gesinnungsmäßiges Zusammengehen“ in den Nöten der Zeit, die eine völlig neue Qualität angenommen hatten, nicht mehr genügte. Im Februar 1941 verpflichteten sich fünf Brüder zur Übernahme der Regeln der Michaelsbruderschaft. Am Osterfest waren es schon zehn (Abb. 16). Das war eine Antwort auf die peinliche Wahl des Kulturamtsleiters der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ Wilhelm Staedel 17

Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1938/39. Er ging aus von Martin Rang: Biblischer Unterricht. Berlin 1936. Dazu – sehr bezeichnend – von Fritz Künkel, einem Schüler Alfred Adlers, den Konrad Möckel sehr schätzte. Wahrscheinlich: Einführung in die Charakterkunde. Und: Arbeit am Charakter, beide erstmals 1929 erschienen. Er plante ferner Hermann Sauer: Abendländische Entscheidung. Arischer Mythos und christliche Wirklichkeit. Leipzig 1938, in der Lehrerfortbildung zu benützen. 19 Darauf soll im folgenden Kapitel eingegangen werden. Ich beschränke mich hier auf das zum Verständnis der Michaelsbruderschaft in Siebenbürgen Notwendige. 18

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zum Bischof. Er kam mit Hilfe der Volksgruppenführung in sein Amt und konnte von ihr jederzeit abberufen werden; denn, so hießt es, er musste eine Rücktrittserklärung blanko unterscheiben. Andreas Schmidt brauchte nur noch das Datum einzusetzen. Ob dieses Detail wahr ist oder nicht, sei dahingestellt. Staedel war in der Tat ein Geschöpf aus der Hand des Volksgruppenführers. Der neu entstandene Konvent der Evangelischen Michaelsbruderschaft erhielt eine starke Förderung durch den Marburger Pfarrer Karl Bernhard Ritter, einem der Stifter der Michaelsbruderschaft. Er kam im Rahmen seines Militärdienstes von Wien aus nach Rumänien und feierte das Michaelsfest (1942) und das Pfingstfest (1943) mit dem siebenbürgischen Teilkonvent.20 Ritter setzte Konrad Möckel zum Ältesten des Teilkonvents ein. Auch Pfarrer Dr. Herbert Krimm, im Krieg Wehrmachtspfarrer und in Sofia stationiert, ermutigte bei seinen Besuchen die siebenbürgische Michaelsbruderschaft. Als ehemaliger Heimleiter des Franz-Rendtorff-Hauses kannte er die Nöte der Diasporakirchen Südosteuropas. Konrad Möckel erwähnt mehrfach den Michaelsbruder Hermann Kappner, Soldat einer Einheit der deutschen Wehrmacht in Bukarest, den er außerordentlich schätzte. Kappner hatte keine robuste Gesundheit, machte sich jedoch trotzdem, so oft er konnte, nach Kronstadt auf. Wenn er die anstrengende Fahrt hinter sich hatte, musste er sich erst eine Weile erholen, um zu Atem zu kommen. Er kam in den letzten Kriegsjahren in der Sowjetunion ums Leben. Die Not der bedrängten Kirche und der Rückhalt der Michaelsbruderschaft beflügelten den 50-jährigen Konrad Möckel in seiner Gemeindearbeit außerordentlich. Er könne sich kaum entsinnen, berichtete er, „schon mit so großer innerer ‚Dichte‘ und Hingabe, im geistlichen Dienst gestanden zu haben wie im vergangenen Winter“.21 Vom Reformationsfest 1942 bis zum Pfingstfest 1943 hielt er 90 Vorträge, fast alle in dem „geistlich erwachten“ Teil Kronstadts. Hinzu kamen Konfirmandenstunden und Predigten. In den Mittelpunkt seiner Gemeindearbeit stellte er eine theologische Arbeitsgemeinschaft, in der er das „göttliche Geheimnis“ in freien Vorträgen nach dem gleichnamigen Buch von Wilhelm Stählin behandelte.22 Zu den Vorträgen kamen 50 bis 60 Zuhörer, denen er damit „eine ganz neue Sicht des geistlichen Lebens“ eröffnete. Ganz in der Richtung seiner Bemühungen war ein „Konfirmandenkurs für Erwachsene“, zu dem er die Eltern der Konfirmanden einlud. Er wusste, wie bescheiden die Kenntnisse der Konfirmandeneltern waren und welch geringen Anteil sie am Gemeindeleben nahmen. Außerdem hielt er wöchentliche Bibelstunden in einer Kronstädter Filiale des Bukarester Diakonissenhauses. Er pflegte das gottesdienstliche Leben in der Gemeinde, so dass er meinte, von den treuen Teilnehmern als von einem „Berneuchner Dienst“ sprechen zu können. Am ersten Adventssonntag 1942 verpflichteten sich in einem Gottesdienst 21 Frauen 20 21 22

Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1942/43. Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1942/43. Wilhelm Stählin: Vom göttlichen Geheimnis. Kassel 1936.

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und zwei Männer. Die Wochenschlussandachten baute er weiter aus. Acht Wochen vor Ostern begann er mit einem regelmäßigen Abendgebet in der Kirche und hielt es bis Ostern durch, ergänzt in der Karwoche durch Morgenfeiern. Das Abendgebet fand an allen Wochentagen statt, einmal in der Woche durch einen Konfirmandengottesdienst erweitert. Seit 1941 versuchte er, einmal im Monat im Hauptgottesdienst das Abendmahl zu feiern – zunächst ohne Erfolg. Die Honterusgemeinde war es gewohnt, nur ganz selten zum Abendmahl zu gehen, zum Beispiel am Karfreitag. Abendmahlsfeiern, so hielt es die Honterusgemeinde, fanden damals im Anschluss an den Hauptgottesdienst statt. Die meisten Gottesdienstbesucher verließen die Kirche, eine kleine Gruppe blieb und ging zum Abendmahl. Viele Gemeindemitglieder wussten nicht so recht, wie sie sich in den neu eingeführten, monatlichen Abendmahlsfeiern im Gottesdienst (nicht wie bisher nach dem Gottesdienst) verhalten sollten. Sie fanden im Chorraum der großen Schwarzen Kirche statt. Sollten sie, wenn sie am Abendmahl nicht teilnahmen, bis zum Ende des Gottesdienstes auf ihren Plätzen bleiben oder durften sie gehen? Manche verunsicherten Gemeindeglieder blieben den Gottesdiensten ganz fern. Daher verlegte Konrad Möckel das Abendmahl vom Hauptgottesdienst in die regelmäßige, sonntägliche Messe um acht Uhr. In diese deutsche Messe führte er in acht Vortragsstunden und in ebenso vielen Musikstunden zusammen mit Viktor Bickerich ein. Die Liturgie, besonders der Wechselgesang der Psalmen in den verschiedenen Kirchentonarten, musste geübt werden, wenn die verweltlichte Honterusgemeinde die Schönheit des Gesangs wahrnehmen sollte. Zu dem Wagnis hatte Herbert Krimm geraten. Die neue Form des Gottesdienstes mit Abendmahl am Sonntagmorgen bewährte sich. Konrad Möckel stellte fest, dass er beim Singen stimmlich mit der Zeit immer besser zurechtkam. Mikrophone gab es noch nicht, die Schwarze Kirche war groß, ihre Akustik hatte Tücken. Drei Jahre später schrieb er, dass die sonntägliche Morgenmesse in den drei Jahren nur ausfiel, „wenn ich am Sonntag nicht in Kronstadt war“.23 Er war dankbar für die Bruderschaft und für die Vertiefung der Gottesdienste in der Honterusgemeinde. Am 18. September 1943 ließ Konrad Möckel die Michaelsbruderschaft beim staatlichen Gerichtshof als juristische Person eintragen. Beim Landeskonsistorium bemühte er sich um die Anerkennung ihres geistlichen Lebens innerhalb der Landeskirche. Mit den Kollegen im Burzenländer Kapitel, die sich an jedem Montag zu kirchenpolitischen oder Fragen des Pfarrvereins trafen, gelang es ihm nicht, zu „einem regelmäßigen kultischen Leben“ zu kommen. War es das Problem der zwei Geschwindigkeiten oder die Ablehnung neuer liturgischer Formen im Gottesdienst? Am Michaelsfest des Jahres 1943 traten im Diakonissenhaus in Bukarest sechs weitere Brüder der Michaelsbruderschaft bei und zum Epiphaniastreffen am 6. Januar 1944 noch einmal drei. Der Teilkonvent wurde zu einem vollen, selbständigen Konvent. Am 23. August 1944 kapitulierte Rumänien. Die Verbindung zu den Konventen in Deutschland, Österreich 23

Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1943-1946.

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und Ungarn riss ab. Konrad Möckel schrieb den angefangenen Jahresbericht 1943/1944 erst zwei Jahre später zu Ende.24 Die Begegnung mit Hans Bernd von Haeften Das Jahr 1937 war nicht nur wegen der Weltkirchenkonferenz in Oxford und wegen seines Eintritts in die Evangelische Michaelsbruderschaft (EMB) ein entscheidendes Jahr für Konrad Möckel, sondern auch wegen der Begegnung mit Hans Bernd von Haeften, der 1937 von der Botschaft in Wien an die Gesandtschaft in Bukarest versetzt worden war.25 In den Erinnerungen aus dem Jahre 1953/1954 schrieb Konrad Möckel, Haeften sei ihm „zu einem der stärksten Menschenerlebnisse geworden“, die er je gehabt habe.26 Auf Bitten von Barbara von Haeften, der Witwe, schrieb er bald nach dem Kriege für Ricarda Huch einen Bericht über ihren Mann. Die Dichterin arbeitete an einem Buch über den deutschen Widerstand gegen Hitler, das aber wegen ihres Todes (1947) leider unvollendet blieb.27 Zu den Dienstaufgaben des damals 32-jährigen von Haeften gehörte der Kontakt zu den Minderheiten in Rumänien, in erster Linie zu der deutschsprachigen Minderheit. Aus diesem Anlass machte von Haeften 1937 bald nach seiner Ankunft in Bukarest eine Dienstreise nach Hermannstadt zu Bischof Glondys28 und Bischofsvikar Müller, nach Schässburg und nach Kronstadt. Es gibt von seinen Gesprächen in Hermannstadt, Kronstadt, Bukarest und Berlin nur wenige Zeugnisse.29 Als die Securitate Konrad Möckel 1958 verhaftete, beschlagnahmte sie die Korrespondenz. Herbert Krimm hatte von Haeften auf Konrad Möckel aufmerksam gemacht.30 In den Gesprächen in Hermannstadt und Kronstadt Ende 1937 ging es um einen ersten Verständigungsversuch. Von Haeften und seine Frau waren Mitglieder der Bekennenden 24 Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1943/44 und 1943-1946. Siehe auch Kapitel 12. 25 Andreas Möckel: Hans Bernd von Haeften – von der Gesandtschaft in Bukarest (19371940) zum Kreisauer Kreis. In: Die deutsche Diplomatie in Rumänien 1933-1945. Zwischen Nazis und Persönlichkeiten des Widerstands (dt. und rum.). Hgg. Roland Lohkamp, Jürgen Henkel. Hermannstadt/Sibiu 2008, S. 81-127. 26 Hans Bernd von Haeften, Legationssekretär in der Deutschen Botschaft in Bukarest, später im Auswärtigen Amt in Berlin. Dazu: Gerhard Ringshausen: Widerstand und christlicher Glaube angesichts des Nationalsozialismus. Berlin 2007, S. 121-168. 27 Konrad Möckel: Erinnerung an Hans Bernd von Haeften. 1946 oder 1947 aufgeschrieben für Ricarda Huch. In: Barbara von Haeften: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften. Ein Lebensbericht. München 1997, S. 94-99. 28 Im Tagebuch von Bischof Glondys fand dieser erste Besuch Haeftens keinen Niederschlag. 29 Friedrich Müller berichtet von Gesprächen, die er 1942 in Berlin mit Haeften führte. Friedrich Müller: Erinnerungen 1944-1964. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 344-348. 30 Haeften hatte Krimm, Pfarrer in Wien, 1934 anlässlich der Trauerfeierlichkeiten für Reichspräsident Hindenburg in der evangelischen Kirchengemeinde kennengelernt.

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Kirche. Haeften hatte schon vor 1933 die Gefahren erkannt, die von Hitler ausgingen, und ein Heft mit Material gegen Hitler und dessen „Räuberhauptmannsmoral“ angelegt.31 Nach Kopenhagen und Berlin war seine dritte Berufsstation die Botschaft in Wien, die Franz von Papen leitete und wo er die Korruption des Naziregimes bedrängend nahe erlebte.32 Hitler hatte Franz von Papen, Vizekanzler unter Hitler, als Steigbügelhalter genutzt, um Reichskanzler zu werden. Die Nationalsozialisten verspotteten das Vizekanzleramt nach 1933 als „Reichsbeschwerdestelle“. Das Vizekanzleramt erhielt Bittschriften aus ganz Deutschland. Es waren Hilferufe um Schutz gegen Schäbigkeiten, die offiziell Gleichschaltung hießen – in ihrer Summierung eine Flutwelle von Willkür und Rechtsbeugungen. Franz von Papen hatte im Juni 1934 als Antwort auf solche Erfahrungen mit der Nazipartei eine mutige Rede an der Universität in Marburg gehalten und u. a. von dem Irrglauben gesprochen, man könne „ein Volk gar mit Terror einen“. Terror sei der Ausfluss eines bösen Gewissens. Das Deutsche Reich wolle sich ihm entgegenstellen, von welcher Seite er auch komme. Die Rede schrieb Edgar Jung, ein Mitarbeiter Papens. Sie ist ein Schlüsselzeugnis für das politische Denken konservativer Demokratiegegner, welche die Weimarer Republik beseitigen halfen und dann – zu spät – über den Terror des Einparteienstaates erschraken. Edgar Jung kam in ein Konzentrationslager und wurde dort ermordet (30. Juni 1934), als Hitler seine S.A.-Freunde um Ernst Röhm kaltblütig liquidierte. Hitler schob Franz von Papen als Botschafter nach Wien ab. Das alles und noch mehr wusste Hans Bernd von Haeften von der Machtausübung der Nationalsozialisten. Als Kulturattaché war er in Bukarest jedoch zugleich offizieller Vertreter des Deutschen Reiches. Zuverlässige Informationen über die tatsächliche Machtausübung der Nationalsozialisten in Deutschland konnten Rumäniendeutsche durch den Propagandavorhang hindurch kaum erlangen. Von Haeften hütete sich, offen darüber zu sprechen. Der Informations- und Altersunterschied zwischen ihm und seinen Gesprächspartnern in der Evangelischen Kirche im Jahre 1937 war groß. Er war 32 Jahre alt, Viktor Glondys 55, Friedrich Müller 53, Konrad Möckel 45. Wenn man Briefe und Zeitungsartikel aus der Zeit liest, erstaunt es, wie gering die Sensibilität in Siebenbürgen dafür war, dass Hitler seine Verachtung für Recht und Gesetz vor aller Welt schamlos zeigte. Der Sinn für Gerechtigkeit vieler Siebenbürger Sachsen war scharf ausgeprägt, wenn es um ihre eigenen Rechte ging und wenn der ungarische und nach 1918 der rumänische Staat diese verletzte. Als die jüdische Minderheit in Deutschland Unrecht erlitt und Hitler oppositionelle Politiker und loyale Parteigänger kaltblütig ermordete, versagte der empathische Sinn für Recht und Gerechtigkeit. 31

„So hatte Hans mir schon bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler voller Empörung geschrieben: ‚Dieser Hitler mit seiner Räuberhauptmannsmoral!‘“ Barbara von Haeften: Aus unserem Leben 1944-1950. Privatdruck. Heidelberg 1974, S. 7/8. 32 Die Zitate sind dem Internet entnommen: „Rede des Vizekanzlers von Papen vor dem Universitätsbund in Marburg am 17. Juni 1934“. Berlin SW 68 erschienen.

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Der junge, deutsche Diplomat konnte sich verständlicherweise nicht offen vom Nationalsozialismus distanzieren, sondern seine regimekritische Haltung nur andeuten. Die rumäniendeutschen Gesprächspartner brauchten umgekehrt ihm gegenüber, als einem neutralen und wohlwollenden Zuhörer aus Deutschland, aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen und konnten von den siebenbürgisch-sächsischen Bruderkämpfen und von den Konflikten zwischen rumäniendeutschen Nationalsozialisten und der Evangelischen Kirche frei berichten. Von Haeften hielt die Eindrücke von den ersten Besuchen in Briefen an seine Frau in Wien und an seinen Freund Herbert Krimm in Leipzig fest.33 Er berichtete von einer „Droschkenfahrt mit zwei bimmelnden Pferden“ und fühlte sich „in ein mittelalterlich-fränkisches Städtchen zu Goethes Zeit zurückversetzt“. Es gehe, schrieb er, wie in Südtirol, wo die Familie Freunde hatte, zunächst um die menschliche Seite. Er sah in zwei Tagen „eine Unmasse Leute“, darunter „viele Freunde von Ullmann“. Damit waren Menschen gemeint, die keine Nazis waren. In der Stadt Hermannstadt gäbe es „unendlich viel zu sehen, eine schöne gothische Kirche, alte Stadtbefestigungen und Türme, Bischofspalais, reizende Plätze, Marktlauben, alte Häuser und Höfe und ein ganz bedeutendes Museum“. Er sah „Michelsberg mit Burg und stolzer alter Kirche, reizend gelegen, und Heltau, ein schwerreiches Dorf mit lauter Bauernhäusern wie Schlösser und einer imponierenden Kirchenburg“.34 Er sei „wahnsinnig ausgefragt worden, nicht immer leicht“ und besonders über Alfred Rosenberg, der die Menschen in Siebenbürgen beunruhige und kopfscheu mache. „Wenn man bei uns nur wüßte, was man damit hier anrichtet, wo doch die ganze Volksorganisation noch kirchlich ist.“35

Diese Einschätzung bezog sich auf die Konservativen in der Volksorganisation und auf die gemäßigten Erneuerer, die an der traditionellen Verbindung von Kirche und politischer Vertretung und an dem 1934 mit Bischof Glondys geschlossenen Vertrag festhalten wollten. Dass es auch innerhalb des gemäßigten Flügels der rumäniendeutschen Nationalsozialisten kirchenfeindliche Stimmen gab, dürfte von Haeften kaum verborgen geblieben sein. Am Schluss der Reise besuchte er in Kronstadt Konrad Möckel: „... ich bin noch ganz erfüllt von dem langen und fruchtbaren Gespräch, das wir hatten und das mich nach der persönlichen wie nach der sachlichen Seite über alle Maßen befriedigt hat. Ein Mann, der am kleinen Finger mehr Urteil und Einsicht in die Dinge hat, als alle anderen zusammengenommen, einschließlich insbesondere die Hermannstädter.“36 33

Brief vom 22. Januar 1938 an seine Frau in Wien. In: Barbara von Haeften: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften. Ein Lebensbericht. München 1997, 32-33. 34 Ebda, S. 33. 35 Ebda. 36 Ebda, S. 34.

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Die letzteren seien zweifellos sehr intelligent, wobei er besonders an Dr. Friedrich Müller und Berthold Buchalla, den Direktor des Diasporaheims in Hermannstadt, denke. „Aber der Verstand allein reicht anscheinend zur Erkenntnis nicht aus, dazu braucht es außerdem noch mindestens ebensosehr der rechten Gesinnung des Herzens. Und Möckel hat beides. – Ich hoffe nun sehr, mit ihm ständig in Fühlung zu bleiben.“37

Sie wurden sich, schreibt Barbara von Haeften, „nun auch eine gegenseitige wirkliche Stütze“.38 In einem Brief schrieb er ihr: „Möckel ist tatsächlich der einzige Mensch in diesem Land, mit dem man anders als nur diplomatisch reden kann.“

Von Haeften habe Konrad Möckel den Rücken gegen die gefährlichen Pläne Bischof Glondys gestärkt, der glaube „nun den Punkt gefunden zu haben, an dem er den Mythos in das christliche Dogma inkorporieren könne, was hier als die Einleitung einer ‚Deutsche Christen‘-Ära gedeutet wird. Kommt sie, so kommt natürlich sofort die ‚Bekennende Kirche‘-Richtung. Und dann haben wir den ganzen Krach da, sowohl in der Kirche als zwischen Kirche und Volksführung. Nicht nur 800 Jahre Geschichte sondern die ganze Zukunft! kann darüber zu Bruch gehen!“39

An Herbert Krimm schrieb Haeften: „Es gärt hier enorm. ... Welch ein ‚episcopus‘, der nicht weiß, daß eine Bewegung der Geister, wie sie hier anhebt, niemals mit Diplomatie paralysiert, sondern nur aus geistlicher Vollmacht bezwungen wird.“40

Die Bedrohlichkeit der Lage hatte von Haeften schon bei seinem ersten Besuch scharf erkannt. Was tue der Gustav-Adolf-Verein, fragte er, der in Siebenbürgen eine bedeutende Rolle spielte. Er gäbe eine Zeitschrift heraus, die zwar nützlich sein möge. „Aber wie, wenn inzwischen die Grundlage seiner Arbeit in einem riesigen Bergrutsch zum Teufel fährt? ... Warum arbeitet Ihr nicht unmittelbarer, konkreter und tausendmal wirksamer, indem Ihr hinausfahrt und die Arbeit des G. A. Werkes näher an die Realität, an die praktischen, d. h. seelsorgerlichen Aufgaben und kirchlichen Nöte der Diaspora heranbringt, hinausfahrt, draußen Vorträge haltet und vor allem einen nach dem anderen, viele Hunderte, unter vier Augen sprecht, ebenso umgekehrt die wichtigen Leute – natürlich nicht nur den Bischof zu Konferenzen ins Reich holt.“41

37

Ebda. Ebda. 39 Ebda, S. 35. Im Tagebuch von Bischof Glondys findet sich für diese Aussage, er glaube nun den Punkt gefunden zu haben, an dem er den Mythos in das christliche Dogma inkorporieren könne, kein Beleg. Die Äußerungen zu Rosenberg sind eher distanziert, keinesfalls zustimmend. 40 Brief Hans Bernd von Haeften an Herbert Krimm vom 27. Februar 1938, zitiert nach Barbara von Haeften: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften. Ein Lebensbericht. München 1997, S. 34. 41 Ebda, S. 35. 38

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Das war ein Programm kirchlicher Zusammenarbeit zwischen dem Gustav-Adolf-Werk und den Gemeinden vorbei an der Kirchenleitung in Hermannstadt, deren geistlicher Kraft Haeften misstraute. Auch er unterstützte Konrad Möckel, als er begann, die Gottesdienste in der Schwarzen Kirche neu zu beleben und zu vertiefen. Er war ein wohlwollender Beobachter, aber er sah, dass das gottesdienstliche Leben in den evangelischen Gemeinden Siebenbürgens zu wünschen übrig ließ. Der volkskirchliche Festtagsglanz blendete ihn nicht. Kirchenpolitische Indifferenz Die Begegnung Konrad Möckels mit Haeften zeigt die Stärke des siebenbürgischen Konvents der Michaelsbruderschaft, aber auch ihre Grenze deutlich. Seine Stärke lag darin, dass der Konvent den Anschluss an eine geistige Strömung im deutschsprachigen Raum ermöglichte, die sich wirklich auf einen neuen Weg begeben hatte. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Die Pfarrer der evangelischen Kirche in Rumänien standen traditionell in einem theologischen Austausch mit den Universitäten und Kirchen im deutschsprachigen Raum. Aber die Entschiedenheit, mit der in Deutschland solche Persönlichkeiten wie Paul Schneider, Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer ihren Weg gingen, um nur die bekanntesten Namen zu nennen, ist mit Theologie allein gar nicht richtig zu beschreiben. Sie kam aus einem gelebten Glauben. Dieser ist nur mit einer lebendigen Gemeinde durchzuhalten. Die Michaelsbruderschaft in Deutschland war ein Teil der Bekennenden Kirche. Der siebenbürgische Konvent gehörte insofern auch dazu. Da Hans Bernd von Haeften sowohl mit Konrad Möckel als auch mit Herbert Krimm in brieflichem Austausch stand, wobei er meist die öffentliche Post vermied, ist der Unterschied seiner Kritik in Richtung auf die Michaelsbruderschaft in Deutschland und Siebenbürgen aufschlussreich. Der Michaelsbruderschaft in Deutschland gab er zwei Punkte zu bedenken.42 Er nahm sie in die Pflicht im Kampfe gegen die Säkularisation seit der Zeit der Renaissance. Herbert Krimm hatte ihm von einem Treffen berichtet, das sich mit der Frage beschäftigte, ob und wie die Evangelische Michaelsbruderschaft in die Gesellschaft hineinzuwirken habe. „Die Überlegungen Eures Kreises dort über die Frage der Einflussnahme der Kirche auf die Welt“, schrieb er, schienen im sehr wichtig. Die Resignation des Luthertums, nicht Luthers, dass die Welt nun einmal des Teufels sei, habe dazu beigetragen, „die Welt erstrecht des Teufels werden zu lassen“. Die Welt habe sich autark gemacht und beziehe ihre Wertordnung aus sich selbst. „Was dabei herauskommt, wissen wir heute.“ Er sei der Meinung Krimms, dass die Kirche durch ihr Dasein wirken und nicht selbst Politik machen solle, aber er wies auf die Schnittpunkte hin, die Bürger in Lagen bringe, die sie als Christen nicht gutheißen und nicht verantworten könnten. An solchen Überschneidungsstellen verbiete es sich den Bischöfen, 42 Brief von Hans Bernd von Haeften an Herbert Krimm vom 4. April 1941. Nachlass KM Archivmappe 14. Briefumschlag DM Hds 5/k.

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„zu schweigen wie ein stummer Hund“.43 Er forderte deshalb von der Evangelischen Michaelsbruderschaft, insofern sie Kirche sein wolle, ein Wächteramt. Die Ordnung Europas beruhte seit Jahrhunderten, wie von Haeften wusste, auf der kritischen Balance zwischen Kirche und Staat. Wenn die europäische Politik die Völker in einen Kampf stürze, „in dem mit Sprengbomben, Brandbomben und Maschinengewehren Kinder, Frauen und Greise umgebracht werden“, stehe die Existenz der Christenheit auf dem Spiel. Volksausrottung sei schauerlichste Sünde. Die Ohnmacht der Kirche gegenüber den Dämonien der Welt mache die Feier der Sakramente unglaubwürdig. Die Stimme der Kirche müsse „öffentlich ertönen und Zeugnis ablegen vor aller Welt“. Dies war eine klare Aufforderung, öffentlich ein Wort gegen die Verrohungen des Krieges und gegen die Verfolgung der Juden in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten zu sagen, was die Kirchen in Deutschland bekanntlich nicht taten – weder die evangelischen Landeskirchen noch die römisch-katholische Kirche. Die zweite Anfrage Haeftens an die Evangelische Michaelsbruderschaft betraf die Seelsorge der Kirche für die einzelnen Christen in der Politik. Die Christen müssten sich mit der Frage, was zu tun sein, an die Kirche wenden können. Dem Protestantismus müsse innewerden, dass es seine Aufgabe sei, „Antwort zu geben, wenn die Laien die Theologen um ihren christlichen Rat in weltlichen Dingen bitten“. Haeften forderte von den evangelischen Kirchen in Deutschland viel – genau wie Dietrich Bonhoeffer, der sich an die Adresse der Evangelischen Michaelsbruderschaft wandte, als er das Wort sagte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“44 Gegenüber der evangelischen Kirche in Siebenbürgen äußerte sich Hans Bernd von Haeften ganz anders. Als Wilhelm Staedel zum Bischof gewählt worden war, stellte er fest: „Siebenbürgen ist nun ohne episcopus; denn dieser Mann ist keiner; er ist ein bloßes Organ einer rein weltlichen Instanz.“ Er habe, als Haeften noch in Bukarest war, als „Kandidat von Andreas“45 gegolten, weil er „als einziger erklärt hatte, eine vorbehaltlose Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber Andreas zu unterschreiben. Damals lautete die Formulierung ‚auch entgegen der eigenen Überzeugung‘“.46 Auch 43

Haeften zitiert nicht wörtlich, macht jedoch das indirekte Zitat im Brief durch Anführungszeichen deutlich. „Alle ihre Wächter sind blind, sie wissen alle nichts; stumme Hunde sind sie, die nicht strafen können, sind faul, liegen und schlafen gerne“ (Jes. 56,10). 44 Das Wort soll Bonhoeffer zu einem Kandidaten der Theologie auf der Akademie der Bekennenden Kirche in Finkenwalde gesagt haben. Der Freund und Biograph Dietrich Bonhoeffers konnte dieses Wort schriftlich nicht nachweisen. Das ganze Zitat: „Die kirchenpolitische Indifferenz der meisten Liturgiker beim Anschein ernsthafter Kirchlichkeit, voran bei manch einem Berneuchner, machte die Beschäftigung [mit Liturgie A. M.] in der Bekennenden Kirche für lange Zeit suspekt und das Urteil überscharf: ‚Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen‘“ (Bethge 1970, S. 505-506). 45 Gemeint ist der von SS-Obergruppenführer und General der SS Werner Lorenz ernannte Volksgruppenleiter Andreas Schmidt. 46 Brief von Hans Bernd von Haeften an Konrad Möckel vom 18. März 1941.

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das Landeskonsistorium höre auf, ein Organ der ecclesia zu sein, in dem Maße, als Wilhelm Staedel es kommandiere. Damit sei der Punkt erreicht, „den wir vor einem Jahr voraussahen: Sie können nun wirklich in diesem Jahre das Ende einer achthundertjährigen Entwicklung feiern. Nach den rauschenden Jubiläumsfesten sollte man dann aber doch die Frage stellen: was nun? Denn ein Neues wird man dann endlich doch beginnen müssen. Die bloße Restaurierung Ihrer Kirchenburgen mag zwar musealen und geschichtspädagogischen Wert haben und darum mag man die Jubiläumsspende darauf ruhig verwenden. Aber worauf nachgerade alles ankommt, ist doch der totale Neubau der Kirchenburg: der Kirche als ‚fester Burg‘.“

Er befürchte, dass die Hauptlast der Planung und Ausführung dieses Neubaus auf Konrad Möckel liegen werde, und es freue ihn zu hören, dass sich immerhin schon die ersten acht Bauleute um ihn geschart hätten, womit die ersten Brüder des Konvents Siebenbürgen der Michaelsbruderschaft gemeint waren. Die Michaelsbruderschaft – zu der er übrigens inzwischen in nähere Beziehung getreten sei, fügte er in Klammern hinzu – sei eine Bundesgenossenschaft, mit der man sich von den anderen – in Anführungszeichen – „Freundeskreisen“ unterscheiden könne, und sich „um Fab oder um And oder auch um das ‚Füchschen‘ nicht allzu sehr zu gruseln braucht“.47 Freilich werde der Stand schwer werden. Diaspora sei das Gemeinschicksal der Christenheit in der Welt – heute mehr denn je. „Welch eine wunderbare Gewissheit zu wissen, dass gerade dieses verlorene Häuflein am wenigsten verloren ist.“

Damit ist in der Erzählung der Geschichte vorgegriffen. Aber es sollte gezeigt werden, dass Hans Bernd von Haeften, als die dritte Phase des Kirchenkampfes in Siebenbürgen begann, in erster Reihe die Gefährdung der Kirche in Siebenbürgen und ihrer Mitglieder sah. In der Michaelsbruderschaft um Konrad Möckel sah er einen, vielleicht den einzigen Anknüpfungspunkt für einen Neubau der Ev. Landeskirche A. B. nach dem Zusammenbruch, den er mit aller Deutlichkeit voraussah. Vom (Teil-)Konvent Siebenbürgen forderte er nicht, den Kampf mit der nationalsozialistischen Partei in Deutschland aufzunehmen, zumal dieser Konvent sich im Ausland befand. Als Ger van Roon für die erste große, noch heute gültige Darstellung des Kreisauer Kreises „Neuordnung im Widerstand“ Unterlagen suchte, war Konrad Möckel gerade in der Bundesrepublik Deutschland eingetroffen. Er gab brieflich darüber Auskunft, wie er Hans Bernd von Haeften erlebt hatte.48 Er gehöre, so schrieb er in den Erinnerungen, zu Menschen, „durch die es andern erleichtert wird, an Gott zu glauben“.49 Bei seinem letzten Besuch im Jahre 1943 in Kronstadt hatte von Haeften mit der be47

Fab = Fabritius, And = Andreas Schmidt, das „Füchschen“ = nicht entschlüsselt. IFZ, ZS/A -18, Bd. 4, (H-L) van Roon. 49 Erinnerungen 1953/54, XII. „Er [H. B. von Haeften] und [Hermann] Kappner [ein Michaelsbruder, den sein Militärdienst nach Rumänien verschlagen hatte] gehörten zu der Art Menschen, ‚durch die es andern erleichtert wird, an Gott zu glauben‘.“ 48

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vorstehenden Niederlage schon fest gerechnet. Er sei, schrieb Konrad Möckel, ins Haus getreten „mit den Worten: ‚die Volksgruppe wird gekillt (to kill!) – es bleibt nur, was sich an die Kirche gehalten hat‘. Herr v. Haeften hat wörtlich Recht behalten!“50 Nach dem 20. Juli 1944 verurteilte der Volksgerichtshof am 15. August 1944 Hans Bernd von Haeften zum Tode. Als der Vorsitzende Roland Freisler ihn verhörte, nannte Haeften Hitler „einen Vollstrecker des Bösen in der Geschichte“.51 Er bekannte im Angesicht des Todes, was die Kirchen vorher, als noch Zeit dafür war, hätten bekennen sollen. Hätte der Teilkonvent der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Siebenbürgen in seiner Ablehnung des unter fragwürdigen Bedingungen gewählten deutsch-christlichen Bischofs und der Volksgruppenführung nicht weiter gehen können, als er gegangen ist? Er lehnte mehrheitlich je länger je mehr die rüden Methoden der Nationalsozialisten und ihre Unterdrückung des christlichen Gemeindelebens ab, hielt sich jedoch politisch zurück – anders als es von Haeften in dem Brief an Herbert Krimm von der Evangelischen Michaelsbruderschaft gefordert hatte. Konrad Möckel war entsetzt über die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden, aber kein Michaelsbruder in Siebenbürgen prangerte das Unrecht öffentlich an, auch er nicht.

50 Brief von Konrad Möckel an Ger van Roon vom 14. Oktober 1964. IFZ ZS/A -18, Bd. 4, (H-L) van Roon. 51 Andreas Möckel: Hans Bernd von Haeften – Von der Gesandtschaft in Bukarest (19371840) zum Kreisauer Kreis. In: Zwischen Nazis und Persönlichkeiten des Widerstandes. Die deutsche Diplomatie in Rumänien 1933 bis 1945. Hgg. Roland Lohkamp, Jürgen Henkel. Sibiu-Hermannstadt 2006, S. 81-127 (mit rum. Übersetzung).

Kapitel 11

Die Gleichschaltung der Ev. Kirche A. B. und der Rückzug aus Vorfeldkämpfen (1938-1944)

Rückzug aus Vorfeldkämpfen Es fällt auf, dass Konrad Möckel bis 1937 am öffentlich ausgetragenen kirchenpolitischen Richtungsstreit teilnahm und verhältnismäßig viel publizierte. Er wandte sich häufig nicht nur in Vorträgen, sondern auch schriftlich an die sächsische Öffentlichkeit. Nach 1937, dem Jahr der heftigsten Auseinandersetzungen, erschienen zwar noch einige Aufsätze, aber keine selbständigen Publikationen, wie „Volkstum und Glaube“ oder „Idealismus und Wirklichkeit“, sondern nur noch kleinere Beiträge: „Die Kirche als Burg“,1 „Die Kirche der Heiligung“,2 Predigthilfen,3 Predigten,4 eine Werbeansprache für die Renovierung der Schwarzen Kirche, Nachrufe oder Predigten bei Beerdigungen, Beiträge für Sammelbände. Er hatte 1935 an einer Veröffentlichung „Heiliges Volk“ im Umfang von 80 Seiten gearbeitet, von der die Kronstädter Zeitung in ihrer Jubiläumsausgabe einen kleinen Teil druckte.5 Indem er von einem „heiligen Volk“ sprach, sagte er dem sächsischen 1

In: Vom heiligen Kampf. Hg. Wilhelm Stählin. Kassel 1938. Vortrag, geh. vor dem Pfarrertag in Schäßburg. Kirchliche Blätter 30 (1938), 527-529 u. 538-543; auch als Sonderdruck. Hermannstadt 1938, 8°. 20 S. 3 Der Eckstein. Darstellung Jesu (Predigthilfe, Luk. 20, 17-18). Kirchliche Blätter 30 (1938), 31. – Das Grundgesetz der neuen Welt (Predigthilfe für den Sonntag Judika, 2. Kor. 5,17-21). Kirchliche Blätter 31 (1939), 143-144. – Harrender Glaube (Predigthilfe für den 27. Sonntag nach Trinitatis, Psalm 85,5-14). Kirchliche Blätter 32 (1940), 576. 4 Die Ostertatsache. Predigt am 1. Ostersonntag (Joh. 20, 1-9). Kirchliche Blätter 30 (1938), 162-163. – Wachstumsgesetze des Christen. Predigt am 20. Sonntag nach Dreieinigkeit (2. Tim. 2, 19). Kirchliche Blätter 30 (1938), 543-544. – Leben jenseits des Todes. Predigt am 23. Sonntag nach Dreieinigkeit (Totensonntag) (Matth. 22, 22-33). Kirchliche Blätter 30 (1938), 585-586. – Die ewig neue Erkenntnis. Predigt am 1. Advent (Jeremia 16, 16-21). Kirchliche Blätter 30 (1938), 595-596. – Das weltweite Evangelium. Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias (Röm 1, 16-20). – Der Lebensnerv der Gemeinde (Predigthilfe für den Sonntag Rogate, 1. Tim. 2, 1-6). Kirchliche Blätter 31 (1939), 239-240. – Das Dankbild des Erlösten. Predigt am 4. Sonntag nach Dreieinigkeit (Jes. 12,1-5). Kirchliche Blätter 31 (1939), 322. 5 Konrad Möckel: Aus „Heiliges Volk“ – eine Untersuchung über die Zusammenhänge zwischen Volksleben und Glaubensgemeinschaft. In: Festausgabe zum hundertjährigen Bestehen 2

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Volk, dass es sich auf einem „unheilvollen Weg“ befände und auf dem eingeschlagenen Weg nicht weitergehen könne, wenn es sich im Ernst als eine große „christliche Gemeinde“ verstehen wolle. So erklärt sich der überaus missverständliche Titel. Er hätte das Manuskript in einem Jahrbuch unterbringen können, wollte es aber selbständig erscheinen lassen.6 Die Schrift gehörte einer Periode an, die schon halb hinter ihm lag, war aber aus seiner eigenen Sicht doch noch aktuell. Die Verhandlungen mit den deutschen Verlegern verliefen – zum Glück, möchte man sagen – ergebnislos.7 Konrad Möckel schien es 1954 in den Erinnerungen, die Zeit sei in Deutschland zu weit fortgeschritten gewesen und mit der Herausgabe seiner Schrift für einen Verlag ein gewisses Risiko verbunden gewesen.8 In der Tat enthielt die Schrift kritische Anmerkungen, die man auch auf Deutschland beziehen konnte. „Es nützt uns nichts, die konfessionelle Zerrissenheit unseres Volkes damit wett machen zu wollen, dass wir die Kirche und Glaubensfragen möglichst weitgehend aus der öffentlichen Erörterung ausschalten und nun die Volkwerdung der Deutschen so verfolgen und pflegen, als ob die Frage des Glaubensbekenntnisses für den Aufbau des Gemeinschaftslebens gleichgültig sei. Sieht man denn nicht, wie sehr sich diese Haltung heute schon rächt? Sieht man denn nicht, dass man die besten Seelenkräfte des Volkes damit in die Verkrampfung und Verbitterung treibt und daß sich das Volksleben in seinen letzten und geheimsten Tiefen nicht mit ganzer Wahrhaftigkeit und Freude entfalten kann?“

Das war eine milde Kritik „an der Volkwerdung“, die in Wirklichkeit ein Wandel war, der sich unter dem Vorzeichen der Nürnberger Unrechtsgesetze und im Schatten der Konzentrationslager vollzog, also keine Volkswerdung, sondern eine Volkszerstörung. Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Gelegenheit für eine Drucklegung bot, las ein Freund das Manuskript und fand, man tue Konrad Möckel mit einer Drucklegung keinen Gefallen. Der Versuch einer Wiederbelebung der „Volkskirche“ war gescheitert, die Neuorientierung, zum Beispiel im Frecker Kreis oder im Konvent Siebenbürgen der Michaelsbruderschaft, war bitter notwendig. Beides waren Anfänge, die – wie sich

der Kronstädter Zeitung, 24. Mai 1936, S. 31, 32. 6 D. Dr. Ernst Schubert veröffentlichte 1930 das Buch „Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom, 1819 bis 1928. Leipzig, Verlag des Centralvorstandes des Evangelischen Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung 1930. Er gab seit 1930 ein Jahrbuch über die evangelische Missionsarbeit und geschichtliche Beiträge zu evangelischen Auslandsgemeinden heraus. 7 Er klopfte erst beim kirchlichen Außenamt der EKD in Berlin an, das ihn auf die Jahrbücher von Ernst Schubert verwies. Die Verhandlungen zerschlugen sich. Dann fragte KM beim Wichernverlag in Berlin an. Es folgte der Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, der schon „Idealismus und Wirklichkeit“ in Deutschland im Kommission vertrieb. 1936 versuchte KM es mit Krafft und Drotleff in Hermannstadt. Dr. Hans J. Bayer empfahl den Verlag Kohlhammer in Stuttgart. Inzwischen war Konrad Möckel in die Michaelsbruderschaft eingetreten und versuchte es im Johannes Stauda Verlag in Kassel. 8 Erinnerungen 1953/54, IX.

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zeigen sollte – die Entgleisung eines ganzen Volkes zwar nicht aufhalten konnten, aber immerhin ein Zeichen dafür waren, dass es andere Wege gab. Paul Gümbel vom Johannes Stauda-Verlag fand im Jahre 1937, das Manuskript öffne zwar die Augen für Dinge, „die wir gar zu leicht übersehen“, aber es ecke an zu vielen Stellen an. Vielleicht könne man später einmal Dinge sagen, „die man jetzt nicht laut werden lassen darf“.9 Das ist nicht ganz eindeutig. Bei wem eckte die Schrift an? Bei potentiellen Lesern aus den Reihen der Bekennenden Kirchen oder bei den nationalsozialistischen Machthabern? Oder bei beiden Gruppen, weil Konrad Möckel einerseits mutig, andererseits nicht eindeutig argumentierte? Die Bekämpfung der Kirchen in Deutschland durch den Staat und die NSDAP blieb in der Schrift ausgeklammert, aber Konrad Möckel beanspruchte, mitreden zu dürfen, wenn es um Volkskirche gehe. Er war sich bewusst, dass eine christliche Deutung des oft missbrauchten Namens „Volk“ in Gegensatz zum Nationalsozialismus stehen musste. Das konnte ihn nicht davon abhalten, denen, die das „Volk“ unentwegt anriefen, den Spiegel ihrer eigenen, verleugneten Tradition vorzuhalten. Es störte ihn nicht, dass er nur mit einem geringen Erfolg rechnen musste. Seine Aufgabe war es zu sagen, was er erkannt hatte. Das tat er – wie immer – nicht ohne den Versuch, seinen potentiellen Lesern weit entgegenzukommen, aber in der Sache letztlich konsequent christlich.10 Für Konrad Möckel kam nur ein Verständnis von „Volk“ in Betracht, das in allen seinen Einrichtungen und Äußerungen vom christlichen Gemeindeleben her bestimmt war. Das war allerdings ein Konzept, das es in der Realität in Deutschland schon vor der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr gab. Die christlichen und politischen Gemeinden waren auseinandergebrochen. Das den Kirchen entfremdete, städtisches Proletariat und das Bürgertum waren in politischen Gemeinden verfasst, und diese waren in Glaubensfragen neutral. Ihnen standen konfessionell unterschiedliche Kirchengemeinden gegenüber, deren Mitglieder längst nicht mehr das ganze soziale Spektrum des Volkes spiegelten. Ganz außer Betracht ließ Konrad Möckel in seiner Untersuchung staatlich-politische Vorgaben. In der Diasporasituation sah er eine Chance der Selbstbesinnung, die auch für Leser in Deutschland von Nutzen sein mochte. Die Schrift entstand vor der Broschüre „Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche“ und erinnert an die Rede Wilhelm Stählins 1932 in Weimar „Woll’n predigen und sprechen vom heiligen deutschen

  9

Brief von Paul Gümbel an Theodor Steltzer vom 25. April 1939. Nachlass KM, Aktenordner 7. Korrespondenz zum Manuskript „Heiliges Volk“. 10 Sebastian Haffner, ein scharfer Analytiker des Nationalsozialismus, kam bei der Darstellung einer „Theorie des ‚Hitlerismus‘“ hinsichtlich des „Volkes“ zu dem Schluss: „Es sieht ungefähr so aus: Träger allen geschichtlichen Geschehens sind nur Völker oder Rassen – weder Klassen noch Religionen und streng genommen nicht einmal Staaten. Geschichte ‚ist die Darstellung des Verlaufs des Lebenskampfes eines Volkes‘“. Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. München 1978‚ S. 99, 100.

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Reich“.11 Der umkämpfte Name „deutsches Volk“ sollte nicht dem Nationalsozialismus überlassen werden, sondern von der christlichen Tradition her bestimmt bleiben. Das konnte seit 1933 von Lesern in Deutschland jedoch missverstanden werden. Gerhard May vermutete das. Er hatte die Entgegnung Möckels auf die Schrift von Friedrich Benesch mit Zustimmung gelesen12 und leitete das Manuskript „Heiliges Volk“ an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht weiter, der nach seiner geistigen Ausrichtung zur Bekennenden Kirche gehörte. May zeigte mit der Wahl des Verlages, wie er die Schrift einordnete, schlug jedoch vor, im Begleitschreiben für oberflächliche Leser darauf hinzuweisen: „Der Verfasser sei kein Thüringer DC!“13 Der Verleger Ruprecht meinte, die Arbeit überschreite eine Grenze, „über die zu gehen all denen, die innerhalb der deutschen Kirche drei Jahre Kirchenkampf durchlebt und durchlitten haben, nicht mehr möglich ist.“ „Wir haben in diesem Kampf Gottes Gericht über uns und unsere Kirche in einem nie geahnten Ausmaß erlebt und haben zugleich erlebt, welche Dämonien innerhalb des Volkslebens lebendig und mächtig werden können. Deswegen vermögen wir nicht mehr so vorbehaltlos Volk und Kirche aufeinander zu beziehen und die Begriffe beider Größen auf die jeweils andere Größe anzuwenden“.14

Das tat Konrad Möckel auch nicht, wenn man genau las. Drei Jahre später versuchte er noch einmal, das Manuskipt über die Michaelsbruderschaft zum Druck zu befördern. Günter Howe, ein Michaelsbruder aus Flensburg, begutachtete die Arbeit.15 Sie habe ihm „in ihrer großen Frische und Unbefangenheit sehr gut gefallen“ und es sei ihm deutlich geworden, „wie viel uns diese Kirche des Südostens in unsern eigenen Fragen und Nöten zu sagen hat. Es ist wirklich gelebtes Leben, das da zu uns redet.“ Aber er sprach sich für eine Überarbeitung aus, weil die umfassende Klärung des Verhältnisses von Kirche und Volk über die regional siebenbürgischen Aussagen hinaus fehle. Der Autor komme den Gegnern zu weit entgegen. Es scheine fast, so wandte er ein, als solle jeder beliebige Baalskult sanktioniert werden. Sei das nicht gemeint, müsse es auch 11 In Auszügen abgedruckt im Südostdeutschen Wandervogel-Rundbrief (1933), 1, S. 1-9, und eingeleitet von Albert Klein. Nachlass KM, Hds DM 4. Stählin hielt die Rede 1932 in Weimar, also wenige Jahre davor. 12 Friedrich Benesch: Machtkampf und Kirche. Konrad Möckel: Christliches Glauben und völkisches Bauen. Persönliche und grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Benesch: Machtkampf und Kirche. Kronstadt 1937. 13 Brief von Gerhard May an Günther Ruprecht vom 26. August 1936. Nachlass KM, Aktenordner 7. Korrespondenz zum Manuskript „Heiliges Volk“. 14 Brief von Günther Ruprecht an KM vom 29. August 1936. Nachlass KM, Aktenordner 7. Korrespondenz zum Manuskript „Heiliges Volk“. 15 Otto von der Gablentz schrieb in der Zeitschrift der Michaelsbruderschaft Quatember 1972: „Günter Howe konnte mit Carl-Friedrich v. Weizsäcker von gleich zu gleich über Atomphysik sprechen und mit Karl Barth über kirchliche Dogmatik. Er wußte, daß beides zusammengehört.“ Der Brief Günter Howes vom 13. April 1939 ist an Theodor Steltzer gerichtet. Nachlass KM, Aktenordner 7. Korrespondenz zum Manuskript „Heiliges Volk“.

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gesagt werden. Er vermisste auch die ökumenische Weite. Die Michaelsbruderschaft habe gerade einen neuen Blick auf die katholische Kirche gewonnen. Er erklärte sich die Schwächen der Schrift mit dem Fehlen eines wirklichen Blutkreislaufes zwischen dem Verfasser in Kronstadt und den Brüdern in Deutschland. Theodor Steltzer fügte hinzu: „Ich denke oft an Dich. Aber ich glaube noch immer, dass das richtig ist, was wir seinerzeit in Kassel besprachen: sich aus den Vorfeldkämpfen herauszuziehen. Man vergisst in solchen Vorfeldkämpfen, um was es wirklich geht. Ich sehe das ja stark bei den Pfarrern hier im Reich. Die Mehrzahl hat keine Ahnung davon, dass für die Kirche eine neue Stunde geschlagen hat und die alte bürgerliche Existenzform zu Ende ist. Sie kommen mir etwas wie Menschen vor, die sich eine Binde vor die Augen binden, weil sie den Anblick der Wirklichkeit nicht ertragen können.“16

Die Ungleichzeitigkeit lag nicht nur im Mangel an Informationen. Sie lag auch in den bestehenden Verhältnissen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie überaus wichtig der Austausch mit der Michaelsbruderschaft für Konrad Möckel war. Hans Bernd von Haeftens Ratschläge für die evangelische Kirche in Siebenbürgen gingen in die gleiche Richtung. Der Streit um den Namen „Volk“ schien ihnen längst verloren, Konrad Möckel noch nicht. Von „Vorfeldkämpfen“ schrieb Steltzer. Aber waren es wirklich Vorfeldkämpfe, wenn man um die Deutung des Begriffes und um den Gebrauch des Wortes „Volk“ stritt? Der demagogische Missbrauch des Namens „deutsches Volk“ in pseudoreligiösem Ton war das Instrument, mit dem der Staat die Kirchen in Deutschland einschüchterte. Der Nazi-Staat wachte darüber, was Volksverhetzung war, nämlich jede laut geäußerte Ablehnung des Nationalsozialismus. In Rumänien war es nicht der (rumänische) Staat, der die Deutungshoheit von „Volk“ beanspruchte. Der Kampf tobte innerhalb der „Volkskirche“ und innerhalb des (Minderheiten-)Volkes hin und her. Konrad Möckel – war er noch ein „Erneuerer“? – machte in dieser Schrift noch einmal der Erneuerungsbewegung die Deutungskompetenz streitig. War es richtig, dass er sich seit 1937 aus diesem existentiellen Streit zurückzuziehen begann? Konrad Möckel musste nicht fürchten, in ein Konzentrationslager verbracht zu werden. Der Kampf um die christlich verstandene Volkskirche war nicht deshalb verloren, weil ein diktatorischer Staat keine Alternativen zuließ, sondern weil auch die Gemäßigten innerhalb der Erneuerungsbewegung Konrad Möckel nicht hören wollten oder ihn nicht verstanden. Rumänien wird Diktatur Hans Bernd von Haeften war vom 20. November 1937 bis zum 24. September 1940 Legationssekretär in der deutschen Gesandtschaft in Bukarest. Gesandter war damals 16 Brief von Theodor Steltzer an KM vom 9.  Juni 1939. Nachlass KM, Aktenordner 7. Korrespondenz zum Manuskript „Heiliges Volk“.

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Dr. Wilhelm Fabricius (1882-1964).17 In Rumänien veränderten sich die politischen Verhältnisse, als er seinen Dienst antrat, in Richtung auf eine Diktatur. Es standen wichtige Wahlen bevor. Ministerpräsident Gheorghe Tătărescu hoffte auf eine Bestätigung seiner dreijährigen Regierungsarbeit durch die Wähler. Die Volksorganisation der Rumäniendeutschen ging mit der liberalen Regierungspartei Tătărescus in die Wahl. Die DVR dagegen stellte eine eigene Wahlliste auf. Das war ein für die Minderheit politisch riskantes und törichtes Unternehmen. Die DVR war eine Minderheit in der rumäniendeutschen Minderheit. Das rumänische Wahlgesetz sah eine 2 %-Klausel vor, um Splitterparteien auszuschalten und gab einer Partei, die mehr als 40 % der Stimmen erreichte, einen Bonus, um die Bildung einer stabilen Regierungsmehrheit zu gewährleisten. Erreichte eine Partei mehr als 40 % der Stimmen, erhielt sie 50 % der Sitze. Die anderen 50 % verteilten sich nach dem Proporzsystem auf die übrigen Parteien. Aber die liberale Regierungspartei verfehlte überraschenderweise ihr Wahlziel knapp und erreichte trotz der Unterstützung durch die Volksorganisation nur 39,5 %. Die DVR erhielt weniger als 2 %. Diese verlorenen Stimmen fehlten den Liberalen unter Tătărescu. Die Separatisten, wie Haeften die DVR-Leute in einem Brief nannte, hatten nicht nur die Einwirkungsmöglichkeiten der Rumäniendeutschen auf die Politik der Regierung geschwächt, sondern zum Sturz der liberalen Regierung Tătărescu beigetragen. Die nationalzaranistische Partei Iuliu Manius erreichte 20,4 % der Stimmen, die Partei Octavian Gogas 9,15 % und die Eiserne Garde 15,6 %. Die Eiserne Garde unter Corneliu Codreanu war zum ersten Mal bei Parlamentswahlen angetreten und hatte einen großen Wahlerfolg erzielt. Das erinnerte an die Erfolge der Nationalsozialisten in Deutschland seit 1930 und schien die Hauptgefahr für die parlamentarische Demokratie in Rumänien zu sein. Der großrumänische Staat befand sich seit 1919 außenpolitisch in einer schwierigen Lage. Er war nach 1918 auf Kosten der Nachbarstaaten um mehrere Provinzen gewachsen. Ungarn, Bulgarien und die Sowjetunion drängten auf Grenzrevisionen. Die Pariser Vorortverträge, welche die Nachbarstaaten revidieren wollten, verbürgten Rumäniens territoriale Integrität. Deutschland grenzte zwar nicht an Rumänien, drängte jedoch ebenfalls auf Grenzrevisionen. Rumänien ging schweren Zeiten entgegen. Innenpolitisch drohten bürgerkriegsähnliche Parteikämpfe, außenpolitisch Gebietsforderungen der 17 Fabricius war damals 55 Jahre alt und seit 1910 im auswärtigen Dienst, seit 1925 an der Botschaft in Konstantinopel/Istanbul, ab April 1936 Gesandter in Bukarest, Eintritt in die NSDAP im April 1937. Außenminister des Deutschen Reiches war seit 1932 Konstantin von Neurath, damals zwar noch im Amt, aber wichtige politische Entscheidungen wie der Antikominternpakt liefen schon an ihm vorbei. Joachim von Ribbentrop, Botschafter in London und außenpolitischer Berater Hitlers, gewann an Boden. Am 10. November 1937 eröffnete Hitler in einer vertraulichen Besprechung den Befehlshabern aller Heeresgruppen und dem Außenminister konkrete Kriegspläne (Hoßbach-Niederschrift). Generaloberst von Fritsch und Außenminister von Neurath äußerten Bedenken. Neurath bot seinen Rücktritt an. Beide verloren 1938 ihre Ämter, Fritsch stürzte über Bezichtigungen, die sich nach seinem Sturz als falsch herausstellten.

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Nachbarn. Im Februar 1938 errichtete Carol II. eine Diktatur und verbot sämtliche Parteien, natürlich auch die DVR. Er erlaubte jedoch der deutschen Minderheit eine eigene Vertretung und eine eigene Einrichtung, die nicht als Partei galt, die Nationale Arbeitsfront (NAF). Minderheiten, auch die deutsche, waren zwar lästig, aber – von der Warte der rumänischen oder der deutschen Regierung her gesehen – eher von untergeordneter Bedeutung. Die rumäniendeutschen Nationalsozialisten spiegelten in den kleinen Verhältnissen einer Minderheit den nationalsozialistischen Größenwahn, mussten es sich jedoch gefallen lassen, politisch übergangen zu werden. Eine große Gefahr drohte den Deutschen in Rumänien von der politischen Unfähigkeit ihre nationalsozialistischen Funktionäre. Fritz Fabritius legte 1938 dem Ministerium in Bukarest ohne Absprache mit den großen rumänischen Parteien und auch ohne die deutsche Gesandtschaft vorher zu verständigen, eine Denkschrift über ein Autonomiegesetz mit Forderungen vor, die für die rumänische Regierung indiskutabel waren. Die Deutsche Gesandtschaft musste der rumänischen Regierung glaubhaft machen, dass Fabritius nicht mit Wissen des Auswärtigen Amtes gehandelt habe. Ein Jahr später im Juni 1939 hielt Fritz Fabritius in München eine Rede, in der er von einem künftigen deutschen Großreich sprach, das bis an den Ural reichen solle (Böhm 1985, S. 98). Unter den Zuhörern war auch Ulrich von Hassell, der zu den Verstiegenheiten des Volksgruppenführers Fritz Fabritius in seinem Tagebuch notierte „schlimmste milchmädchen-imperialistische Demagogie“. Die „Alldeutschen“, fügte er hinzu, seien dagegen noch Realpolitiker.18 Wie Fabritius von der evangelischen Kirche dachte, gibt von Hassell in wörtlicher Rede wieder: „Wir sind jetzt so stark in der evangelischen Kirche, daß wir, wenn wir wollten, ganz nach Belieben evangelische, katholische oder jüdische Messen lesen lassen könnten!“19 In der rumäniendeutschen Minderheit vollzogen sich Veränderungen, welche die schon bestehenden Spannungen weiter verschärften. Legationsrat Fritz von Twardowski im Auswärtigen Amt notierte nach einer Besprechung mit dem Stellvertreter des Volksratsvorsitzenden Dr. Wolfram Bruckner, dieser habe davon gesprochen, es gäbe unter den Rumäniendeutschen eine Art SS. Er habe Herrn Bruckner sehr gewarnt, „nicht die gesamte Volksorganisation durch Einorganisieren von nach deutschem Vorbild geschaffenen millitanten Organisationen zu gefährden“.20 Aber genau das sollte wenig Monate später in Rumänien doch geschehen, obgleich die deutsche Gesandtschaft in Bukarest die rumäniendeutschen Nationalsozialisten im Auftrag des Auswärtigen Amtes zur Mäßigung drängte. Auch Hans Bernd von Haeften hatte von Amts wegen damit18 Ulrich von Hassell. Vom Andern Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 1938-1944. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels. Frankfurt/M., Hamburg 1964 (Fischer Bücherei, 605), S. 53. 19 Ebda. Der „Alldeutsche Verband“ (1891-1939) war ein kleiner, aggressiver Agitationsverband, antisemitisch, pangermanistisch, imperialistisch. 20 Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945, Serie D (1937-1945), Band VI. Die letzten Monate vor Kriegsausbruch. März bis August. Baden-Baden 1956, S. 342, 343.

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zutun. Der Handlungsrahmen der deutschen Gesandtschaft war eng. Sie durfte sich nicht in die inneren Angelegenheiten des rumänischen Staates einmischen. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs änderte sich das. Das Deutsche Reich mischte sich nun tatsächlich in die politischen Verhältnisse in Rumänien ein. Die Rumäniendeutschen waren jedoch keine politischen Gesprächspartner, sondern verloren ihre demokratisch legitimierte politische Stimme bis zum Jahre 1990. Sie sanken für die Dauer von fünf Jahren auf den Status von nützlichen Helfern des aggressiven Deutschen Reiches herab, obgleich ihre Situation sich scheinbar glänzend zu verbessern schien. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ das kommunistische Regime erst recht keine demokratisch legitimierten Sprecher zu. Der Tod des Sohnes Christian Bevor von den dramatischen Vorgängen der kirchlichen und politischen Gleichschaltung der Rumäniendeutschen mit dem nationalsozialistischen Deutschland weiter berichtet wird, muss noch auf ein Ereignis eingegangen werden, dass die Familie des Stadtpfarrers schwer erschütterte. Der älteste Sohn Christian war im Herbst 1939 zur vormilitärischen Ausbildung der rumänischen Armee einberufen worden und kam von den Übungen mit anhaltenden Kopfschmerzen zurück. Er hatte vor, für das Lehramt an Gymnasien Geschichte zu studieren, war verlässlich und gewissenhaft, vielleicht ein wenig zu ernst für sein Alter, ein guter Sportler und ein guter Klavierspieler. Wie sich später herausstellte, hatte sich zwischen der Gehirnhaut und der Schädeldecke an einer Stelle Flüssigkeit angesammelt. Der Druck schmerzte unbarmherzig, Tag und Nacht. Die Eltern suchten Fachärzte in Rumänien auf, aber diese konnten die Ursache nicht feststellen. Nach quälenden Wochen der Hilflosigkeit und nach anstrengenden, nächtlichen Wachen am Bett des 19-Jährigen entschlossen die Eltern sich, ihn in Deutschland untersuchen zu lassen. Der Krieg hatte angefangen; Hans Bernd von Haeften ermöglichte ein Besuchsvisum für die Mutter und ihren Sohn. Die Berliner Charité nahm Christian Möckel auf. Die Mutter, Ärztin von Beruf, wohnte bei Berliner Freunden und besuchte den Sohn täglich. Die Ärzte rieten zu einer Operation; Christian und die Mutter stimmten zu. Die Operation verlief erfolgreich. Die Ärzte fanden keinen Tumor und konnten die Ursache für die anhaltenden Schmerzen beseitigen. Die Erkrankung hatte sich als weniger ernst herausgestellt als befürchtet. Alle waren guter Dinge, bis die Mutter bei einem ihrer regelmäßigen Morgenbesuche das Bett leer fand. Eine Thrombose war unentdeckt geblieben und hatte zu einer Embolie geführt. Die Wiederbelebungsversuche kamen zu spät. Christian, am 25. Dezember 1920 geboren, starb am 4. Dezember 1939. Der Vater fuhr sogleich nach Berlin. Hans Bernd von Haeften war auch hierbei behilflich, das Visum kurzfristig zu beschaffen. Die Eltern kehrten mit einer Urne nach Kronstadt heim. Die Schule veranstaltete eine Trauerfeier, und die Honterusgemeinde zeigte ihre Anteilnahme, indem sie eine Christian Möckel Stiftung ins Leben rief, deren Stiftungskapital jedoch im Zweiten Weltkrieg unterging. Christian Möckel war nach der Operation

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bestrahlt worden. Die Mutter, eine Ärztin mit scharfem, kritischem Blick kam über die ärztliche Nachbehandlung nach der erfolgreichen Operation bis an ihr Lebensende nicht ganz hinweg. Erst nach Jahren versuchte sie in rührenden Gedichten ihren Schmerz auszudrücken. Der damals 48-jährige Vater trug seit dem Tode des Sohnes, ohne dass er darüber sprach, eine hochgeschlossene, schwarze Weste. Der Älteste war den Eltern, die ihn als Weihnachtsgabe empfangen hatten, in der Adventszeit genommen worden. Konrad Möckel musste um Fassung ringen: „Ach, und dann kam jene furchtbare Stunde, da unser Kurator mit der Todesnachricht bei mir erschien. Es war der erbarmungsloseste Schmerz, den ich bisher erlebt habe. Er war so heftig, daß ich tagelang zu jeder tieferen Überlegung unfähig wurde. Dazu kam dann noch die schwierige Reise, die sofort in Angriff genommen werden musste. Seit zwei Monaten stand Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Reise wurde auch nur möglich durch den Freund in der Hauptstadt, Herrn Hans Bernd v. H., in dessen Hause ich einen Tag wundervoller menschlicher Begegnung unter diesen Menschen zubringen durfte, die mir mit einer zarten Liebe ohnegleichen über diese schweren Stunden hinüberhalfen: Es kam die Begegnung mit Mutter, die doch in jedem Sinne noch viel Schwereres zu durchleben hatte als ich. Es kam dies furchtbare, innerlich und äußerlich dunkle Berlin. Es kam die Abschiedsstunde an der Bahre unseres Christian, die Pfarrer Arz, der kurz vorher ebenso Schweres erlebt hatte, als ein mitfühlender Bruder gestaltete. Es kam die Heimreise mit Eurer Mutter und Christels Aschenurne, wenige Tage vor Weihnachten. Und es kam der Christtag dieses Jahres. In dem allem war der Schmerz betäubt; weil ständig so viel Äußeres geschah, bedacht und getan werden mußte. Aber dann erst kam die eigentliche Herzensnot. Was hilft eine geordnete christliche Weltanschauung, wenn das Gemüt in die Stürme heftiger Schmerzen hineingerissen ist? Was hilft es, um die großen Zusammenhänge des Glaubens zu wissen, wenn das Herz aufschreit in seinem ganz persönlichen Leid? Es waren schwere, dunkle Monate, durch die wir gingen. Ich tat meinen Dienst, aber ich hing über einem Abgrund. Dem Abgrund meiner Seelennot, meiner Herzenswunde. Aber ich war zugleich gehalten und getragen über dem Abgrund von unsichtbaren Händen. Das kann ich weder psychologisch noch theologisch weiter beschreiben.“21

Die Gleichschaltung der rumäniendeutschen Minderheit Die Gleichschaltung der Rumäniendeutschen vollzog sich nach dem Muster der Gleichschaltungen in Deutschland in einer Zangenbewegung.22 Die nationalsozialistischen Parteien der Rumäniendeutschen, ganz gleich ob gemäßigt oder radikal, bildeten den einen Greifer der Zange. Das Verständnis, „Siebenbürger Sachse“, „Banater Schwabe“, oder „Deutscher aus der Bukowina“ zu sein, hatte sich mit der „Volksgemeinschaft der 21

Erinnerungen 1953/54, XIV. Johann Böhm: Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und das ‚Dritte Reich‘ 1941-1944. Peter Lang. Frankfurt/M. u. a. 2003. Das Buch beschreibt die Neuorganisation durch Andreas Schmidt. 22

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Deutschen in Rumänien“ verschoben. Ihrer Satzung nach stand die Volksgemeinschaft zu ihren staatsbürgerlichen Pflichten in Rumänien. Es scheint auf den ersten Blick unbedeutend, ob man sich abstrakt als Rumäniendeutscher oder als Volksdeutscher, als Siebenbürger Sachse oder als Banater Schwabe versteht. Der Perspektivenwechsel reichte jedoch weiter, als den meisten damals bewusst war. Die mehr und mehr nicht nur kulturelle, sondern politische Identifikation mit Deutschland schwächte trotz gegenteiliger Beteuerungen die Bindung zum Banat, zu Siebenbürgen, zur Bukowina und damit auch zu Rumänien. Das Ende war die waghalsige Option, alles auf die Karte des erstarkten Deutschen Reiches zu setzen. Der zweite Greifer der Gleichschaltung war die direkte Intervention der SS-Führung. Der Volksgruppenleiter war der Sache nach nichts anderes als ein Reichskommissar im Ausland mit dem Titel Volksgruppenleiter. Er trat auch wie ein Reichskommissar in einem von der SS gleichgeschalteten deutschen Auslandsverband auf. Diese zwei Greifer der Zange, ein töricht freiwilliger von unten und ein verschleiert unfreiwilliger von oben, umklammerten die rumäniendeutsche Minderheit und kneteten sie zu einem gefügigen Teig und ihre männliche Jugend zu Kanonenfutter zusammen. Zunächst entledigte sich das Deutsche Reich der zerstrittenen Parteiführer der rumäniendeutschen Naziparteien. Die Protagonisten, Rittmeister Fritz Fabritius von der Volksorganisation und Dr. Alfred Bonfert von der DVR, wurden nach Deutschland gerufen und, dort angekommen, an der Rückreise gehindert, indem man ihnen die Pässe abnahm. Fabritius kehrte noch einmal zurück, verließ jedoch noch im Jahre 1939 Siebenbürgen endgültig. Das erregte in der rumänischen und in der rumäniendeutschen Öffentlichkeit wenig Aufsehen, obgleich es ein unerhörter Skandal war. Es wurde dafür gesorgt, dass die beiden Volkstumsführer sich – auf dem Papier – freiwillig liquidieren ließen. Auch unter den Nationalsozialisten der Rumäniendeutschen erhob sich kein Proteststurm. Sie ließen sich die Ernennung von Andreas Schmidt zwar widerwillig, aber letztlich doch ohne Widerstand gefallen. Hans Bernd von Haeften hatte im Jahre 1938, nach der Einführung der Diktatur Carols II., den Konservativen unter den Siebenbürger Sachsen empfohlen, der Nationalen Arbeitsfront (NAF), der Nachfolgeeinrichtung der Volksorganisation, beizutreten. Konrad Möckel, Wilhelm Depner aus Kronstadt und Hans Balthes aus Schäßburg taten das dann. Von Haeften argumentierte, die Verhandlungen der Minderheit mit der Regierung in Bukarest seien in Zukunft nur durch die NAF möglich. Wenn die Meinung der konservativen Gruppe bei der Regierung Gehör finden solle, müsse sie innerhalb der NAF vertreten sein. Auch die Gesandtschaft in Bukarest hatte die Einbehaltung von Fritz Fabritius und Alfred Bonfert in Deutschland befürwortet, allerdings nicht um der Minderheit zu schaden, sondern um sie vom Krebsübel des Bruderzwistes zu befreien. Die politische Zusammenfassung der Rumäniendeutschen in der NAF und der Eintritt auch vieler Konservativer spielten letztlich der SS und Andreas Schmidt in die Hände. Die NAF hatte keinen langen Bestand. Hans Bernd von Haeften und der Gesandte Wilhelm

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Fabricius mussten kurz nacheinander ihre Stellen in der deutschen Gesandtschaft in Bukarest räumen:23 „Haeften wurde dann von Machenschaften der Parteileute, zumal auch unserer in Kronstadt sitzenden ‚Volksgruppenführung‘ aus seiner Stellung gebracht ...“24

Die Leute um Schmidt witterten in beiden politische Gegner. Der neue Gesandte, Manfred Freiherr von Killinger, gehörte der S.A. an.25 Andreas Schmidt bereitete zunächst innerhalb der NAF die Gleichschaltung vor und führte sie anschließend als Leiter der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ aus. Er war der SS bis zur Selbstverleugnung hörig. Er sei bereit, schrieb er, „auch gegen meinen eigenen Vater vorzugehen, aber nur auf Befehl der Schutzstaffel“.26 Absoluten Gehorsam hielt er für eine Tugend. Gottlob Berger, der Leiter des Ergänzungsamtes 27 erkannte das Potential der Rumäniendeutschen zur Rekrutierung von „Kriegsfreiwilligen“. Außerdem war Rumänien für das Deutsche Reich aus wirtschaftlichen Gründen interessant. Andreas Schmidt festigte auf der Grundlage eines deutsch-rumänischen Abkommens28 seine Macht innerhalb der ehemaligen Volksorganisation der Deutschen in Rumänien in kurzer Zeit. Ein rumänisches Gesetz ermöglichte die Einrichtung einer Deutschen Volksgruppe in Rumänien, wie die Volksorganisation fortan hieß.29 Dieses Gesetz war kein Ergebnis von politischen Verhandlungen einer gewählten Minderhei23

Hans Bernd von Haeften wurde im September 1940 von der Gesandtschaft in Bukarest abberufen und erhielt eine Stelle im Auswärtige Amt in Berlin, Fabritius im Januar 1941. 24 Konrad Möckel: Erinnerung an Hans Bernd von Haeften. 1946 oder 1947 aufgeschrieben für Ricarda Huch. In: Barbara von Haeften: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften. Ein Lebensbericht. München 1997, S. 94-99. 25 Er hatte die Ermordung des Zentrumsabgeordneten und Reichsministers der Finanzen Matthias Erzberger im Jahre 1921 organisiert. 26 Johann Böhm: Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und das „Dritte Reich“ 1941-1944. Frankfurt/M. u. a. 2003, S. 408-409. Der Brief Schmidts an SSObergruppenführer Berger ist im Anhang Nr. 3 ohne Datum abgedruckt. 27 Die entsprechende Stelle hieß in der Deutschen Wehrmacht „Wehrersatzamt“. 28 Deutsch-rumänisches Protokoll vom 30. August 1940. In: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Hg. Ernst Wagner. Köln, Wien 1976, S. 297-299. 29 Das rumänische Volksgruppen-Gesetz vom 20. November 1940. In: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Hg. Ernst Wagner. Köln, Wien 1976, S. 300, 301: „Art. 1. Die deutsche Volksgruppe in Rumänien wird zur rumänischen juristischen Person des öffentlichen Rechts erklärt und trägt die Bezeichnung „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“. Art. 2. Der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ gehören alle rumänischen Staatsbürger an, deren deutsche Volkszugehörigkeit auf Grund ihres Bekenntnisses zum Deutschen Volks von Seiten der Volksgruppenführung anerkannt wurde und die auf Grund dessen in den nationalen Kataster der Deutschen Volksgruppe in Rumänien eingetragen sind. Art. 3. Nationaler Willensträger der Deutschen Volksgruppe in Rumänien ist die ‚Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) der Deutschen Volksgruppe in Rumänien‘. Sie arbeitet im Rahmen des Nationallegionären Rumänischen Staates.

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tenvertretung mit der rumänischen Regierung. Es war über die Minderheit hinweg zwischen der deutschen und der rumänischen Regierung vereinbart worden. Ein weiteres Gesetz erlaubte dem „Grupul Etnic German“ die Einrichtung und Unterhaltung von Schulen für Kinder mit deutscher Muttersprache.30 Die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ hatte damit die Rechte erlangt – so die Lesart des Deutschen Reiches –, welche die siebenbürgischen Rumänen in den Karlsburger Beschlüssen von 1918 der Minderheit als gerecht und billig zuerkannt hatten. Aber die Entstehung der beiden Gesetze befriedete die Minderheitensituation nicht, sondern begründete nur einen labilen, auf die Macht des Deutschen Reiches in Europa gestützten, überaus gefährlichen Sonderstatus. Aus rumänischer Sicht war ein Staat im Staat entstanden, den die rumänischen Regierungen seit 1918 gefürchtet hatten und den die Regierung Antonescu nun dulden musste, weil Deutschland die stärkste Macht Kontinentaleuropas war. Auf dem Papier durfte die Deutsche Volksgruppe Schulen errichten, aber die Schulgebäude des bestehenden, kirchlichen Schulwesens waren in Siebenbürgen Eigentum der einzelnen Kirchengemeinden. Wollte die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ die Hand auf die Schulen legen, dann führte der Weg nur über die Überwältigung der Kirche und jeder einzelnen Kirchengemeinde. Andreas Schmidt und seine Gefolgsleute setzten Bischof Glondys unter Druck und zwangen ihn mit List und Tücke zum Rücktritt.31 Sie nützten aus, dass er sich im Sommer 1940 auf einem längeren Krankheitsurlaub befand. Schmidt versuchte ihm eine Begünstigung des eigenen Sohnes, eines Architekten, bei einer kirchlichen Bauvergabe anzuhängen. In der unsicheren, gefährlichen Zeit erschienen zwei Abgesandte des Pfarrvereins bei Glondys, die zu bedenken gaben, dass in den bevorstehenden schweren Zeiten ein gesunder Mann an der Spitze der Kirche stehen solle. Vermutlich rechneten die beiden Sprecher des Pfarrvereins damit, dass Bischofsvikar Friedrich Müller die besten Aussichten hatte, die Nachfolge anzutreten. Die Volksgruppenleitung stellte Glondys

Art. 4. Mit Billigung des Führers des Nationallegionären Staates erlässt die Deutsche Volksgruppe in Rumänien zur Erhaltung und Festigung ihres nationalen Lebens Bestimmungen mit verpflichtendem Charakter für ihre Angehörigen. Art. 5. Die deutsche Volksgruppe in Rumänien kann neben der Fahne des rumänischen Staates auch die Flagge des deutschen Volkes hissen. Art. 6. Alle dem vorliegenden Dekret-Gesetz zuwiderlaufenden Bestimmungen sind und bleiben außer Kraft.“ 30 Dekret-Gesetz Nr. 977 über die Einrichtung des deutschen Schulwesens in Rumänien. In: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Hg. Ernst Wagner. Köln, Wien 1976, S. 301-305. 31 Glondys trat am 15. Februar 1941 zurück. Dazu Ludwig Binder: Viktor Glondys 19321941. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 111-149. – Viktor Glondys: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933-1949. Hgg. Johann Böhm, Dieter Braeg. Dinklage 1997, S. 328-340.

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in Aussicht, sie werde für einen Zuschuss zu seinem Ruhegehalt sorgen, eine Zusage, die sie nicht einhielt. Schließlich gab Bischof Glondys zermürbt auf und trat zurück. Konrad Möckel schrieb 1964, dass der Rücktritt „nicht hätte sein müssen, wenn er bloß treu und schlicht die Sache der Kirche vertreten hätte“.32 Ob das wirklich der Fall gewesen wäre, muss man offen lassen, gerade auch wenn man das spätere Schicksal Konrad Möckels bedenkt. Die rumäniendeutschen Nazis stützten sich auf die Macht der SS. In Rumänien gaben dort die Leute den Ton an, die Glondys seit seiner Samariterpredigt 1931 ohne Erfolg gejagt hatten. Die manipulierte Bischofswahl 1941 Am 16. Februar wählte die 37. Landeskirchenversammlung Wilhelm Staedel zum Bischof der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien. Das Schwierige sei gewesen, schrieb Josef Scheerer, dass Staedel nach Meinung vieler „auf umstrittene Weise in sein Amt gelangt“ sei. „In Staedel enthüllt sich das Versagen der liberalen volkskirchlichen Tradition der evangelischen Landeskirche in Rumänien (und in einem gewissen Sinne des gesamten deutschen Protestantismus) vor dem Neuheidentum des Nationalsozialismus.“33

Das ist richtig, aber richtig ist auch, dass die Lancierung des neuen Bischofs ein Skandal war. Wie üblich mussten alle Kirchengemeinden Wahlvorschläge einreichen. Am 12. Januar 1941 nominierten 23 Presbyter der Honterusgemeinde in Kronstadt ihre Kandidaten. Konrad Möckel erhielt 19 Stimmen; Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller 18; Bezirksdechant Michael Paulini, Petersberg, 16; Dr. Gustav Göckler 6; Wilhelm Staedel 2. Je eine Stimme erhielten Stadtprediger Hans Roth, Dr. Wilhelm Wagner und Pfarrer Waldemar Keintzel. Ein Stimmzettel blieb leer. Wilhelm Staedel war seit dem Disziplinarprozess wegen der Unterschriftenverweigerung unter einen Erlass des Landeskonsistoriums 924/1936 nicht in einem Pfarramt tätig, sondern Angestellter erst der DVR, dann der Deutschen Volksgruppe in Rumänien. Nach der Geschäftsordnung galten die drei Kandidaten mit den meisten Stimmen als vorgeschlagen. Bischofsvikar Friedrich Müller war landesweit nach diesem Verfahren der aussichtsreichste Kandidat, auch wenn ihn die Kronstädter nicht mit den meisten Stimmen kandidiert hatten. Er hatte sich als Schulrat und Stadtpfarrer von Hermannstadt bewährt und war im ganzen Land bekannt und angesehen. Nach der Wahlordnung der Ev. Landeskirche benannte jede selbständige Gemeinde drei Kandidaten. Die Bezirkskonsistorien bündelten die Nominierungen und gaben sie an das Landeskonsistorium weiter. Zum Schluss kamen die sechs Kandidaten mit den meis32

Nachlass KM Archivmappe 8, Brief von KM an Hans Beyer vom 18. Oktober 1964. (Mappe – verschiedene wichtige Briefe.) 33 Josef Scheerer: Wilhelm Staedel 1941-1944. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 151-180, Zitat S. 151.

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ten Stimmen auf die Liste. Friedrich Müller stand an erster Stelle, Wilhelm Staedel folgte erst an vierter. Wer Einblick in die Kandidatenlisten hatte, musste annehmen, dass die Wahl – wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre – auf Friedrich Müller zulaufen würde. Es kam anders. Staedel erhielt in den Wahlen 60 Stimmen, Friedrich Müller 37, Konrad Möckel 5. Die rumäniendeutschen Nazis wussten so gut wie die in Deutschland, wie man mit offenem und verstecktem Terror Wahlen manipulieren konnte. Sie setzten die Wähler unter Druck, schüchterten sie ein und übten Fraktionszwang aus, was nach der Wahlordnung untersagt war. Konrad Möckel schrieb vier Tage nach der Wahl Bischof Heckel im Kirchlichen Außenamt in Berlin, die Wahl Staedels sei der vorläufige Abschluss einer Entwicklung, die mit Dr. Helmut Wolff, als dem Führer der Fraktion der Nationalsozialisten innerhalb der Landeskirchenversammlung, begonnen habe. Er habe die Mitglieder der Partei wirksam „als ein Brecheisen“ eingesetzt.34 Als sich wegen dieses Stils Besorgnisse erhoben, beruhigte man die Kritiker damit, dass in die Kirche nicht hineinbefohlen werde. Genau das geschah dann. Es sei „diese Wahl mündlich und schriftlich in strikter Weise einfach befohlen worden“.35 Über der Wahlversammlung lag eine dumpfe Beklommenheit. Als das Ergebnis verkündet wurde, erhob sich kein einziger Beifallsruf – anders als sonst. Auch die Hermannstädter Bevölkerung nahm an dem Ereignis wenig Anteil. Die Stadtpfarrkirche war nicht gefüllt. Sehr viele stünden, schrieb Konrad Möckel, „mit tiefster Erschütterung vor diesem Ereignis“. „Dass die Geistesverwirrung bei uns so groß ist, dass bis in diese intimste Entscheidung auf dem Altar der Kirche die eigenständige Verantwortung gebrochen und verfälscht werden kann, das hatte ich bis zum letzten Augenblick nicht glauben wollen.“36

Man kenne zudem die „nationalkirchlichen, durchaus jünglingshaft-unklaren Vorstellungen zu allen Fragen der Kirche, die nun das Regiment führen sollten. Der Gewählte habe in der Verbannung nichts gelernt. Konrad Möckel war überzeugt, dass die Kirche durch schwere Zeiten werde hindurchgehen müssen und bat das Kirchliche Außenamt um Unterstützung, zum Beispiel bei der Pfarrerfortbildung. Er schlug Herbert Krimm und Eugen Gerstenmaier vor. Es nütze wenig, „wenn einige wenige Leute mit schmerzlicher Klarheit“ die Aufgaben der Kirche sähen, „wenn nicht eine Front geistlicher Arbeiter in bruderschaftlichem Gemeingeist an der Kirche baue“. Er selbst sei entschlossen, mit einigen aufgeschlossenen Brüdern den Weg rein geistlicher Erziehung und Aufbauarbeit weiter und noch viel intensiver als bisher zu gehen“. Konrad Möckel trat nach der Wahl aus dem Landeskonsistorium aus. Nach Staedels Rücktritt, vier Jahre später, im Herbst 1944, sagte er dem Duzfreund aus der Wandervogelzeit in der Mundart: „Ta bäst näkest as Bäschof gewiëst.“37 34

Nachlass KM, DM Hds, Leitzordner 22. Brief von Konrad Möckel an Bischof Theodor Heckel vom 20. Februar 1941. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 „Du bist niemals unser Bischof gewesen.“

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Die tiefe Unzufriedenheit mit der braunen Diktatur, wie sie sich in Rumänien etabliert hatte, war eines, die Lossagung vom Nationalsozialismus in toto etwas anderes. Denn immer noch hielt sich die Vorstellung, dass die Nazis in Rumänien zwar schlecht seien, nicht aber der Nationalsozialismus in Deutschland. Es gab viele Klagen, aber bis zum 23. August 1944 distanzierte sich niemand in der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen öffentlich von der Diktatur des Deutschen Reiches. Es kam auch zu keiner Bekennenden Kirche neben der Landeskirche A. B. Konrad Möckel schrieb 1944 an den Leiter der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Belgrad Dr. Bornikoel über die Verhandlungen zur Besänftigung des Streites, besonders zwischen Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller auf der einen und Bischof Wilhelm Staedel und der Volksgruppenleitung auf der anderen Seite: „Es ist eben unnatürlich, dass man überhaupt verhandelt. Richtig, d. h. aufrichtig wäre nur dies eine, dass unser kirchliches Leben schon lange mitten entzwei gebrochen wäre. Aber Gott wird wissen, warum er es so sein lässt. Wir sind eben noch nicht reif dazu.“38

Das Oberhaupt der Ev. Landeskirche A. B. Wilhelm Staedel war seit 1941 ein bekennender „Deutscher Christ“, den etwa 80 Pfarrer der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen ablehnten. Die Proteste richteten sich jedoch immer nur gegen das subalterne Personal, zu dem auch Wilhelm Staedel gerechnet werden muss. Konrad Möckel vergleicht ihn mit Ludwig Müller, den Hitler 1933 als Reichsbischof eingesetzt hatte. Von Bischof Staedel war eine öffentliche Distanzierung von den Übergriffen der Volksgruppenführung nicht zu erwarten – ganz im Gegenteil.39 Im Februar 1941 hatte ihn die Landeskirchenversammlung zum Bischof gewählt, im März legte er in Bukarest den Eid auf die Verfassung vor König Michael ab, im April stellte Professor Walter Grundmann in den Kirchlichen Blättern „Das Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ vor. Im Oktober, „am Tag des Thesenanschlags Martin Luthers“, beantragte Staedel im Landeskonsistorium den körperschaftlichen Beitritt der Landeskirche zu diesem Institut.40 Der Konflikt zwischen der Kirche und der Volksgruppenführung wurde nach dem Rücktritt von Viktor Glondys innerhalb der Landeskirche von Personen aus der zweiten Reihe ausgetragen. Das heißt nicht, dass die Auseinandersetzungen mit Staedel und mit der Volksgruppenführung nicht hart, erbittert und gefährlich waren. 38 Brief Konrad Möckels vom 19. März 1944 an Dr. med. Bernhard Bornikoel. In: Viktor Glondys: Tagebuch. Dinklage 1997, Anhang Nr. 14, S. 550-551. Konrad Möckel hatte einen ausführlichen Bericht von Dr. Bornikoel erhalten. Beide kannten Gerhard May in Cilly und Herbert Krimm, der als Wehrmachtspfarrer vorübergehend in Belgrad stationiert war. Durchschlag auch im Nachlass KM Hds DM, Leitzordner 25. 39 Brief von Dr. Hermann Schöpp an Andreas Schmidt vom 25. August 1942. In: Viktor Glondys: Tagebuch (siehe oben), Anhang Nr. 13, S. 547-549. 40 Wilhelm Staedel: Vorlage betreffend Förderung des „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Kirchliche Blätter 33 (1941), S. 555-558.

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Die Evangelische Landeskirche A. B. kam einer Distanzierung in der Öffentlichkeit, so viel sich feststellen ließ, bei aktuellen Ereignissen sehr nahe.41 Bischofsvikar Friedrich Müller unterrichtete seine Pfarrkollegen in Hermannstadt am 5. November 1941 in einer Pastoralkonferenz von einem Brief, den Bischof Theophil Wurm an den Reichsinnenminister des Innern Wilhelm Frick geschrieben hatte.42 Wurm war den Verbrechen an Behinderten und psychisch Kranken in der Tötungseinrichtung Grafeneck auf der Schwäbischen Alb nachgegangen. Er ließ sich über die württembergischen Dekanate von Gemeindemitgliedern berichten, die Angehörige verloren und zweifelhafte Todesmeldungen erhalten hatten. Auf der Grundlage dieser nachprüfbaren Daten von Schicksalen geistig Behinderter oder psychisch Kranker schrieb er seinen Protestbrief. Diese brisante Eingabe zirkulierte in Abschriften in ganz Deutschland. Friedrich Müller erfuhr davon auf einer Deutschlandreise und kam in den Besitz einer Abschrift, angeblich durch einen an die Front reisenden Soldaten. Müller hatte angegeben, es seien 80.000 Personen von der Euthanasie betroffenen, unter ihnen auch Kriegsinvalide aus dem Ersten Weltkrieg, was der Wahrheit entsprach. Die Soldaten der deutschen Wehrmacht seien beunruhigt – ein charakteristisches Argument der Zeit, um Verbrechen der Nationalsozialisten überhaupt ansprechen zu können. Das Argument signalisierte, dass man sich Sorgen um die Moral der Truppe machen müsse, enthielt also implizit eine Zustimmung zum Krieg gegen die Sowjetunion. Zwei Pfarrkollegen denunzierten den Stadtpfarrer bei der Kirchenleitung und bei der Volksgruppenführung wegen Verleumdung. Walter May warf Müller in der Südostdeutschen Tageszeitung vom 17. Mai 1942 Gräuelpropaganda vor. Das wäre in Deutschland ein lebensgefährlicher Vorwurf gewesen, in Rumänien war das Leben Müllers nicht direkt bedroht, wohl aber sein Ruf. Er musste sein Amt als Bischofsvikar vorübergehend ruhen lassen. Die Angelegenheit kam in der Sitzung des Hermannstädter Presbyteriums vom 27. Mai 1942 zur Sprache. Der Stadtpfarrer rechtfertigte sich, und behielt sich Schritte vor, um seinen guten Ruf zu wahren.43 In der Sitzung des Hermannstädter Presbyteriums vom 17. Juni 1942 teilte Müller mit, dass er die gegen ihn gerichtete anonyme Anzeige mit einer Selbstanzeige beantwortet hatte: „Ich habe inzwischen die Disziplinar-Selbstanzeige gegen mich, die Disziplinaranzeige gegen Bischof Staedel, Landeskirchenkuratorstellvertreter Dr. Schöpp und gegen die beiden ungenannten Teilnehmer an der Pastoralkonferenz des Hermannstädter 41 Ulrich Andreas Wien: Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalismus und Kommunismus. Köln, Weimar, Wien 1998, S. 176-208. 42 In: Evangelische Dokumente zur Ermordung der „unheilbar Kranken“ unter der nationalsozialistischen Herrschaft in den Jahren 1939-1945. Hg. Hans Christoph Hase. Stuttgart o. J., S. 9-13. 43 Die Abschrift des Briefes liegt dem Protokoll bei. Die Ereignisse sind gut dokumentiert. Bischof Wurms Brief ist unter anderem abgedruckt in: ebda, S. 9-13. Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Frankfurt/M. 1983.

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Bezirkes vom 5. November 1941 aus Anlass ihrer Anzeige bei einer ungenannten Dienststelle der Volksgruppenführung erstattet. Ausserdem habe ich Schritte zur Sicherung wahrhafter Zeugenaussagen und der richterlichen Unvoreingenommenheit der Disziplinarrichter unternommen, weil ich will, dass die Wahrheit herauskomme.“

Bischof Müller traf die Volksgruppenführung an einer empfindlichen Stelle. Diese wollte den sich anbahnenden Skandal unter der Decke halten und beschuldigte ihn und Konrad Möckel allgemein als Volksverräter. Müller gelang es, Andreas Schmidt dazu zu veranlassen, den Grund für die Vorwürfe der „Volksverhetzung“ zu nennen und erstattete Disziplinaranzeige gegen diejenigen, die ihn angezeigt hatten, aber auch gegen sich selbst. Die Volksgruppenführung bat das Auswärtige Amt und das kirchliche Außenamt um Vermittlung. Das Auswärtige Amt schickte Generalkonsul Dr. Walter Lierau, einen General im Ruhestand, nach Rumänien. Müller wäre bereit gewesen, öffentlich vor einem rumänischen Gericht auszusagen. Die Nazi-Morde an Behinderten wären damit – von Deutschland aus gesehen – im Ausland bekannt geworden. Inoffiziell war dieses Verbrechen schon in aller Munde. Die Volksgruppenleitung ließ in den siebenbürgischen Städten mit deutschsprachiger Bevölkerung die raffinierten Propagandafilme „Ich klage an“, „Jud Süß“ u. a. zeigen. Müller hatte den Film „Ich klage an“ in Stuttgart gesehen. Mit der SS-Volksgruppenleitung war in Siebenbürgen auch der SS-Terror angekommen, leicht gemildert dadurch, dass es rumänische Gerichte gab, die dem deutschen Machtapparat nicht unterstanden. Die Mission Lierau endete mit einem Kompromiss.44 Am Reformationstag des Jahres 1943 predigte Konrad Möckel über zwei Verse aus dem Johannesevangelium:45 „So ihr bleiben werdet in meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8,31-32).

Das Reformationsfest war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur ein kirchliches Fest, sondern hatte den Unterton einer sächsischen Demonstration. Die enge Verbindung von Kirche und Ethnie grenzte 1943, nachdem die nationalsozialistische Leitung die ev. Kirche gedemütigt hatte und immer noch weiter schmähte und verfolgte, an Gotteslästerung. Konrad Möckel machte die Reformationspredigt zu einer Bußpredigt: „Es ist eine große Unruhe über uns gekommen. Allzuviel und allzulaut ist Misstrauen und Hass gegen die christliche Kirche ausgestreut worden“ (S. 1).

Vielen scheine es, dass die Kirche den Wettbewerb mit den „Gewalten der Gegenwart“ nicht aushalten könne. Das alles werde dadurch noch erschwert, dass ja niemand „bei uns“ sich zur Gottlosigkeit bekenne. Er fragte die Zuhörer: „Honterusgemeinde, ich frage dich angesichts der Erinnerung an unsere Väter, angesichts eines feierlichen Beisammenseins: wieweit lebst du denn eigentlich noch?“ (S. 2). 44 PA des Auswärtigen Amtes, Bestand R, Nr. 100 657. Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand R, Nr. 100 657, Runderlasse und Verfügungen im A. A., darin die Mission Lierau. 45 Predigtentwurf zur Reformationspredigt am 31. Oktober 1943, gehalten in der Schwarzen Kirche in Kronstadt von Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel. Nachlass KM, Archivmappe 6.

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„Wir alle“, er schloss sich mit ein, „haben in dieser Zeit der Erprobung versagt. Es gebe im Volk ein starkes Gefühl für die Würde der Kirche und viel Unruhe „über die Angriffe und das Unrecht, das der Kirche angetan“ werde (S. 2). Alles sei jedoch nur Rauch, keine klare, leuchtende Flamme des Glaubensfeuers. Unruhe und Entrüstung über Spott, Einschränkung, Bedrückung und Verunglimpfung der evangelischen Kirche baue noch nicht auf. Gegen die Finsternis müsse man sich mit dem Licht, gegen die Lüge mit der Wahrheit, gegen den Hass mit der Liebe wehren. „Wollen wir Ernst damit machen, dass es heute gilt einen Kampf auf Leben und Tod zu kämpfen gegen die Gottlosigkeit, die Lüge, den Terror, gegen all das, was gegen die Wahrheit und gegen die Gebote Gottes steht“ (S. 5).

Die Kirche, so sah es Konrad Möckel, war von Gott gewürdigt, „in eine große und schwere Erprobung hineingestellt zu sein“, nicht mehr geehrte und verwöhnte Herrscherin, von aller Welt bewundert. Sie sei eine Kirche, die ihre Schwäche kenne und in ruhiger Siegesgewissheit der Erprobung nur dann entgegengehe, soweit es sich um die Botschaft von Jesus Christus, dem König der Wahrheit handle. Die Zuhörer erinnerten sich alle an die Affäre im Zeidner Waldbad, die zwei Monate vorher stattgefunden hatte und nicht nur die evangelische Kirche, sondern auch rumänische Beobachter aus Kirche und Staat erregt hatte. Hohe Amtswalter der Volksgruppe, unter ihnen Andreas Schmidt, und hohe weltliche Beamte der evangelischen Kirche verspotteten mit einem ordinären Lied den zufällig vorbeigehenden Ortspfarrer und den Kirchenkurator. Diese Niedertracht, ein Bubenstück in Anwesenheit des SSVolksgruppenleiters, hielt eine Delegation von Pfarrern dem Bischof vor. Der Bischof stellte sich nicht vor die Angegriffenen, sondern griff seinerseits Pfarrer Richard Bell und Kirchenkurator Peter Buhn mit dem Vorwurf an, sie hätten an Ort und Stelle Christus bezeugen sollen.46 Dieser Gesinnungsterror war gemeint, wenn Konrad Möckel in seiner Predigt aufforderte, Ernst zu machen im Kampf „gegen die Gottlosigkeit, die Lüge, den Terror“ und „gegen all das, was gegen die Wahrheit und gegen die Gebote Gottes steht“. Hier war die Kirche angegriffen worden und die Verteidiger befanden sich auf dem Boden der rumänischen Gesetze, welche die religiösen Kulte und ihre Angehörige schützten – unter der Diktatur Marschall Ion Antonescus allerdings nicht alle. Rumänien grenzte seine jüdischen Bürger aus. Briefwechsel mit Magne Solheim Die Verbrechen des Nationalsozialismus waren bekannt, und Konrad Möckel erkannte, soweit er von den Verbrechen erfuhr, den Zusammenhang mit den Methoden der 46

Ulrich Andreas Wien: Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalismus und Kommunismus. Köln, Weimar, Wien 1998, S. 172, 173.

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Volksgruppenleitung. Selbst die Schüler erzählten sich, dass – damals schien es weit weg – in der Moldau verschlossene Züge mit Viehwaggons auf Bahnhöfen hielten, aus denen Menschen verzweifelt nach Wasser schrien, bis sie schließlich elend starben. Magne Solheim, ein norwegischer Pfarrer, schrieb Konrad Möckel Mitte Juni 1941 von den Gräueln in der Moldau, in der Bukowina und in Bessarabien. Solheim war Leiter einer Missionsstation in der Hafenstadt Galaţi, die sich der sogenannten Judenmission widmete. Der Briefwechsel ist erschütternd, zum einen weil Solheim in Briefen, die er nicht mit der Post schickte, von den Verbrechen berichtete, zum anderen erschüttern die Briefe, weil die beiden Briefpartner fassungslos und hilflos reagierten. Solheim war Staatsbürger eines von der deutschen Armee besetzten Landes. Sein Vater gehörte zu den norwegischen Pfarrern und Lehrern, die der Quisling-Regierung entschlossen Widerstand leisteten und Strafen in Kauf nahmen. Vater Solheim, ein 56-jähriger Lehrer, war zu Hafenarbeiten ans Eismeer deportiert worden. Solheim berichtete von dem Widerstand um Bischof Eivind Berggrav und auch darüber, dass der Widerstand in Norwegen nicht unumstritten war. Konrad Möckel drückte seinen Respekt und seine Bewunderung für diesen Kampf aus. Was Solheim aus seiner Heimat berichte, habe ihn „ungeheuer bewegt“: „Welch ein gewaltiges Bekenntnis! Es ist vielleicht nicht so ‚klug‘ im Sinne von Weltklugheit, aber es ist doch ein ergreifendes Zeugnis für die innere Freiheitsliebe Ihres Volkes. Ich warte mit großer Spannung auf die weitere Entwicklung dieser Kämpfe. Meine Zuneigung zu der Welt, aus der Sie kommen, ist noch größer geworden.“47

Für „unsere eigene Welt“, fügte er hinzu, stehe er auf dem Standpunkt, dass „wir still unsere Arbeit tun sollen und uns bemühen müssen, so wenig Reibungsflächen als nur irgend möglich zu erzeugen“. Er meinte, „je unbeachteter und verborgener“ sich das Leben der Kirche abspiele, desto mehr werde sie „in ihrer Art auch Segen stiften können“ und dem „echten und wahren Leben des Volkes eine Hilfe sein“.48 Solheim musste sich als Ausländer vor der Zensur hüten. Kurz vor Weihnachten 1941 schickte er mit Gelegenheit einen drei Seiten langen Rückblick auf das Jahr, ohne Datum, ohne Absender, ohne Unterschrift. Gleich nach dem Überfall der deutschen und der rumänischen Truppen auf die Sowjetunion hatte man in Galaţi alle jüdischen Männer zwischen 18 und 60 Jahren in Schulen und Synagogen interniert und ihnen die Arbeit weggenommen – die Grundlage ihrer Existenz. Die Werkstätten der vielen jüdischen Handwerker seien schon geschlossen. In Jassy wurde sein „nichtnorwegischer“ Kollege, es war Isaac Feinstein, in brutalster Weise von zu Hause weggeholt.49 47 Nachlass KM, DM Hds Leitzordner 23. Briefwechsel KM mit Pfarrer Magne Solheim, Pastor in Galaţi 1941/42. Brief von KM an Magne Solheim vom 1. Sonntag nach Ostern 1942 (Quasimodogeniti). 48 Ebda. 49 Der Name Isaac Feinstein wird im Brief nicht genannt. Solheim nennt ihn in seinem Buch: Im Schatten von Hakenkreuz, Hammer und Sichel. Judenmissionar in Rumänien 19371948. Erlangen 1986.

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Man fand bei einer aus Norwegen stammenden Diakonisse eine kleine norwegische Fahne, rot mit blau-weißem Kreuz, die man zu einer kommunistischen Fahne erklärte. Pfarrer Feinstein musste mit der Fahne vor einer großen Schar verhafteter Juden zum Polizeigebäude gehen. Von da an fehlte jede Spur von ihm. Der deutsche Pfarrer in Jassy und Stadtpfarrer Herrmann in Bukarest bemühten sich vergeblich, sein Schicksal aufzuklären. Ungefähr 12.000 Juden, schrieb Solheim, wurden damals in Jassy erschossen oder in barbarischster Weise zu Tode gequält. Zeugen berichteten später, dass Isaac Feinstein mit vielen anderen in einen hermetisch abgeschlossenen Eisenbahnwagon verladen worden war. Ohne Wasser wurden die meisten ganz verrückt vor Durst und vor Mangel an Luft. Die Gestorbenen quollen auf, die anderen standen eingeklemmt dazwischen. Der Pfarrer, so berichteten sechs Überlebende, habe gepredigt und gebetet, bis er in Ohnmacht fiel. Man begrub ihn mit 50 anderen, mit Frauen und Kindern in einem Massengrab. Die Witwe, eine Schweizerin, wollte mit ihren sechs Kindern zwischen zwei und elf Jahren in die Schweiz ausreisen, musste aber, um ein Visum zu erhalten, den Tod ihres Mannes nachweisen. Niemand wollte die Verantwortung auf sich nehmen und den Tod bescheinigen. Man zwang die Witwe, 700 Lei Militärsteuer zu bezahlen, weil ihr Mann als Jude keinen Militärdienst machen durfte. In Bessarabien und anderswo habe es Pogrome50 gegeben, „wie sie kaum die Geschichte früher kennt“. Solheim kommentierte dieses Verbrechen in einer religiösen Sprache. „Doch wissen wir“, schrieb er, „dass die harte Sprache der Geschichte ohne Gottes Wort nicht verstanden werden kann“, und er dankte Gott, dass er ihn gerade auf diesen Platz im Dienste des Evangeliums gestellt habe. Konrad Möckel ging in seiner Antwort auf die Gräuel nur kurz ein. Es ist, als habe es ihm die Sprache verschlagen und als könne er das Ausmaß dessen nicht fassen, was beim Vormarsch der deutschen und rumänischen Truppen geschehen war. Er habe, schrieb er, mit größter Anteilnahme den Brief gelesen: „Was hat Ihnen das abgelaufene Jahr doch für unerhörte Dinge gebracht! Welch ein Segen dürfen Sie und Ihre liebe Frau doch für so sehr viele Menschen sein! Aber am bedeutsamsten scheint mir die Tatsache, dass aus Ihren Worten eine grosze Getrostheit und die Freudigkeit des echten Zeugen spricht. Ich musz Ihnen gestehen, dass mich das ganz tief berührt und gestärkt hat.“51

Es sei nicht zu vergleichen, fuhr er fort, was Solheim an seinem Ort und er selbst in Siebenbürgen erlebe. Es habe alles einen ganz anderen Charakter. Solheims Erleben sei viel ernster im Sinne der augenblicklichen Not. Und doch stünden sie „in der gleichen Bedrängnis“. Damit leitete er zu den Aktionen der Volksgruppe über, die – so wird man es deuten dürfen – auf die gleiche brutale Gesinnung zurückzuführen waren, die hinter den Massakern von Jassy steckte.

50 51

Solheim schreibt „Progrome“. KM an Magne Solheim, 25. Dezember 1941. Nachlass KM, Hds. DM, Leitzordner 23.

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Das letzte Jahr habe Erlebnisse gebracht, die er nie für möglich gehalten habe. Die Dämonen der Zerstörung seien schrecklich tätig gewesen. Seit der gewalttätigen, politisch befohlenen Bischofswahl sei es Schlag auf Schlag gegangen. Die Zerstörung der altbewährten kirchlichen Frauen- und Jugendordnung (Bruder- und Schwesterschaften) habe „die unheimliche Schwäche unserer Kirche“ gezeigt. Im Landeskonsistorium sei niemand außer ihm bereit gewesen zu kämpfen. Im Sommer habe man den Kindergärtnerinnen in den Erntekindergärten verboten, morgens mit den Kindern zu beten. Den Mädchen habe man verboten, Weihnachtslieder zu singen, in denen Christus vorkomme. Die oberste Mädchenführerin hetze offiziell gegen das Christentum. Die Übergabe des gesamten Schulwesens der Kirche sei leichtsinnig und brutal verlaufen – alles ungesetzlich und unter Terror. Niemand wage mehr, seine eigene Meinung zu sagen. Es gehe nicht um die Trennung der Schule von der Kirche, sondern um die gänzliche „Zertrümmerung und Ausrottung des Christentums“52 und um den Raub, nicht um die Übergabe des kirchlichen Vermögens. – Diese Erfahrungen dürften Konrad Möckels Illusion endgültig zerstört haben, dass der Machtmissbrauch in Siebenbürgen nur eine provinzielle Besonderheit sei. Auch die Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien versagte angesichts des Schicksals der Juden, genauso wie die deutschsprachigen evangelischen Kirchen in Deutschland und Österreich. Militärdienst des Sohnes Gerhard Der Familie des Kronstädter Stadtpfarrers blieb das Schicksal nicht ersprart, das alle Schwaben und Sachsen getroffen und das sie sich zum Teil selbst zugezogen hatten. Der Sohn Gerhard sollte wenige Wochen vor dem Waffenstillstand Rumäniens mit der Sowjetunion zum Militärdienst eingezogen werden. Die meisten jungen Männer in Siebenbürgen traten unter einem starken ideologisch-völkischen Druck in die WaffenSS ein. Gerhard Möckel weigerte sich, zur „Assentierung“ (Musterung) zu erscheinen. Er erkannte, dass die Volksgruppenleitung sich Hoheitsrechte anmaßte und unter der Hand aus Freiwilligkeit eine national-moralische SS-Wehrpflicht machte. Es gelang ihm und drei Freunden, den Eintritt in die Waffen-SS zu vermeiden und in eine Wehrmachtseinheit einzutreten – ein Kompromiss. Zehn Kronstädter Väter unterschrieben einen Protestbrief an die Volksgruppenleitung. Aber die Regierung Antonescu hatte nun einmal mit der Regierung Hitlers ein Abkommen getroffen, das den Sachsen und Schwaben den Militärdienst in der deutschen Wehrmacht gestattete. Es war legal und doch zwielichtig, in der Armee eines anderen Staates Soldat zu werden. In einem Klima aus Pflichtgefühl, Angst und Fatalismus zogen Tausende freiwillig-unfreiwillig in einen schon verlorenen Krieg. Wer sich weigerte, in die Waffen-SS einzutreten, hatte mit massivem Gesinnungsterror zu rechnen. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, die sich weigerten, in die SS einzutreten, sprach man Mut, Ehre, Anstand 52

Ebda.

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und Liebe zum eigenen Volk ab. Nach außen musste es nach freiwilligen Meldungen aussehen. Die Rumänen spotteten, die Abkürzung SS bedeute „Spaima Saşilor“ (Sachsen-Schreck). Wenige konnten der Waffen-SS ausweichen. Nur wenige Wehrpflichtige widerstanden dem moralischen Druck und traten in die rumänische Armee ein.53 Die Alliierten waren im Juni 1944 in der Normandie gelandet. Gerhard Möckel und die meisten seines Schuljahrgangs fuhren Anfang Juli vom Kronstädter Bahnhof ab. Am 19. Juli 1944 wurde er in Cottbus vereidigt und dann in Cottbus und Rendsburg ausgebildet. Die deutsche Propaganda versprach den Endsieg.54 Die Verbindung zum Elternhaus brach für die Dauer von fast zwei Jahren ab. Die dritte Phase des Kirchenkampfes in Siebenbürgen Der Begriff Kirchenkampf, bezogen auf den Kirchenkampf in Deutschland während der Nazizeit, hat zwei Bedeutungen. Er meint einmal die Auseinandersetzung innerhalb der Evangelischen Kirche, in Deutschland zwischen der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen. Die Bekennende Kirche distanzierte sich vom Absolutheitsanspruch des Nationalsozialismus; die Deutschen Christen meinten, Nationalsozialismus und Christentum miteinander vereinbaren zu können. Kirchenkampf meint zum anderen aber auch die Selbstverteidigung der Kirchen gegen einen mächtigen Staat, der die Kirche nach seinen Zwecken manipulieren wollte. Beide Bedeutungen von Kirchenkampf lassen sich auf die siebenbürgisch-sächsischen Verhältnisse nur bedingt anwenden. Eine Verfolgung von Staats wegen drohte der Evangelischen Kirche A. B. von der Diktatur Marschall Antonescus nicht. Insofern ist es richtig, dass es in Siebenbürgen keinen Kirchenkampf gab. Der rumänische Staat war bis 1944 ein Schutz für die Kirchen. Aber die Kämpfe innerhalb der Evangelischen Kirche A. B. waren nicht bloß Flügelkämpfe zwischen Deutschen Christen siebenbürgisch-sächsischer Spielart (um die Pfarrer Arnold Roth, Wilhelm Staedel, Friedrich Benesch) und einer Bekenntnisfront, zu der man auch den Frecker Kreis und die Michaelsbruderschaft rechnen kann. Mit der Gründung der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ trat der Kirchenkampf in Siebenbürgen in seine dritte Phase, die sich von der Unterdrückung der Kirchen in Deutschland und von der Christenverfolgung in der Sowjetunion nur noch dem Schweregrad nach, aber nicht mehr im Grundsatz unterschied. Die Volksgruppenführung hatte in Wilhelm Staedel einen gefügigen, geistig und geistlich unselbständigen, der SS ergebenen Mann gefunden, um die Kirche von sich abhängig zu machen und um ihr das Kirchenvermögen und die Schulen abzupressen. Konrad Möckel war entsetzt, wie wenige Pfarrer und Gemeindeglieder der Kirche die Notwendigkeit einsahen, sich zu widersetzen. 53 54

Zu ihnen gehörte Herbert Roth, der Sohn von Hans Otto Roth. Auch ich glaubte als damals 17-Jähriger viel zu lange daran.

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Während des Krieges trieben die Verhältnisse immer weiter auf eine Entmündigung der Kirchen, aber auch der rumäniendeutschen Minderheit zu. Der Alltag war schon längst mit schlechten Kompromissen durchsetzt, so dass es von heute aus scheint, als hätten sich die Verhältnisse gegenüber der Vorkriegszeit nicht grundlegend verändert. In Wirklichkeit war es umgekehrt. Selbst wer das Regime ablehnte, schloss seine Briefe an die Leitung der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“, genau wie Oppositionelle in Deutschland, wo die Nationalsozialisten den Terror mit staatlichen Machtmitteln ausübten, mit einem devoten „Heil Hitler“. Das zeigt, dass auch in Siebenbürgen die Angst, die wahre Gesinnung zu offenbaren, groß war. Diese Normalität des Unnormalen in Diktaturen galt in Deutschland, und sie galt nach 1941 auch im Alltag der nationalsozialistisch geführten Minderheit der Deutschen in Rumänien. Sie erfuhr im Ausland den Ausschließlichkeitsanspruch des Nationalsozialismus von Staats wegen nicht unmittelbar und mit brutaler Gewalt, aber als einen massiven Gesinnungsterror. Es ist heute nur noch schwer zu verstehen, dass er damals außerordentlich wirksam war. In Rumänien konnten die öffentlichen Gerichte angerufen werden, und selbst die rumäniendeutschen Nationalsozialisten hatten in den 1930er Jahren im Bedarfsfall davon Gebrauch gemacht. Der Wunsch der Leitung des „Grupul Etnic German“, sich einen Teil des staatlichen Gewaltmonopols anzueignen, war zwar vorhanden. Sie richtete beispielsweise in Kronstadt widerrechtlich eine Gefängniszelle ein und drohte einzelnen Rumäniendeutschen damit. Aber Konzentrationslager konnte die SS in Siebenbürgen und im Banat durch ihren Kommissar mit dem Titel „Volksgruppenleiter“ nicht einrichten. Es gab das dumpfe, von einem nationalen Pathos überdeckte Gefühl, dem Landvogt einer fremden Macht ausgeliefert zu sein und zugleich die Begeisterung über die mit Jubelfanfaren eingeleiteten Sondermeldungen nach militärischen Siegen der deutschen Wehrmacht. Die Verzerrungen in der politischen Wahrnehmung des Nationalsozialismus führten auch noch Jahrzehnte später zum Zweifel daran, ob es zwischen 1933 und 1945 in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien einen Kirchenkampf gegeben habe. Josef Scheerer, einer der besten Kenner des Kirchenkampfes und dazu eine integre Persönlichkeit, überschrieb einen Aufsatz „Der so genannte ‚Kirchenkampf‘ bis zum Jahre 1945“. Er zeigte das Schillernde der Verhältnisse in diesem „Kirchenkampf“ und setzte den Begriff in Anführungszeichen. Die Grundlage für seine Frage, ob der Begriff des Kirchenkampfes angewandt werden könne, war ein langer Brief des Bischofvikars an den Volksgruppenführer Andreas Schmidt aus dem Jahre 1942, also aus der dritten Periode des Kirchenkampfes. Andreas Schmidt hatte Müller zusammen mit Konrad Möckel „unter die Feinde des Reiches“ eingereiht – im Grunde ein Ehrentitel; denn die Führung des deutschen Reiches war in die Hände von Verbrechern geraten. Friedrich Müller wies nach, dass es „den Plan zur Beseitigung der Kirche“ gab. Er tat das im Ton loyaler Ergebenheit gegenüber dem Deutschen Reich. Das war eine Schutzmaßnahme. Es ist unwahrscheinlich, dass Friedrich Müller und Konrad Möckel 1943 den Zusammenhang der Nazi-Verbrechen mit dem Tier aus dem Abgrund der

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Apokalypse nicht durchschauten.55 Es gab in weiten Kreisen der Rumäniendeutschen immer noch den Glauben an das Reich und an seine Integrität. Der Journalist Dr. Emil Neugeboren reichte im Januar 1943 dem Auswärtigen Amt einen 25 Seiten langen, eng beschriebenen Beschwerdebericht über die Volksgruppenführung ein, der unterstellte, es müssten nur die Verantwortlichen im Deutschen Reich besser informiert werden, um das Treiben der Volksgruppenführung in Rumänien zu beenden.56 Dass Friedrich Müller und Konrad Möckel diesen Glauben 1943 noch teilten, ist unwahrscheinlich. Aber der Terror schüchterte sie ein. Konrad Möckel berief sich auf die nationalsozialistischen Versprechen zur Religionsfreiheit, um auf dieser Grundlage nicht als Volksverräter angegriffen werden zu können und um dann zu widersprechen: „Ich habe immer die Meinung vertreten, dass die christliche Weltanschauung durchaus vereinbar sei mit den Lehren und dem Gestaltungswillen des Nationalsozialismus. Diese Meinung hat an des Führers Buch „Mein Kampf“ und an manchen andern verantwortlichen Äußerungen der Männer der Partei sich bilden können. Umso entsetzter und enttäuschter bin ich dann aber auch immer wieder gewesen über den offenen und versteckten Kampf gegen das Christentum und unsere eigene, in ganz besonderer Weise um das Volkstum verdiente Kirche, dessen Zeugen wir nun seit Jahren sein müssen.“57

Die Bereitschaft der Pfarrer, dem Volkstum zu dienen, sei sehr weit gegangen, werde jedoch „systematisch durch Unaufrichtigkeit, unbegründetes Misstrauen, durch Beleidigungen und Gewalttaten untergraben und zermürbt.“ Er sei leidenschaftlich am Leben des deutschen Volkes interessiert, betonte er, und forderte, Schmidt solle die Verurteilung seiner Person zurücknehmen. Er benützte als Grußformel „Heil Hitler“, obgleich er am Telefon, wenn er mit dem sogenannten „Deutschen Gruß“ begrüßt wurde, mit „Heil“ zu antworten pflegte. Er wollte dem SS-Kommissar keinen weiteren Anlass zu Verleumdungen geben.

55 In Kronstadt kursierte während des Krieges ein Zahlenspiel: Zählte man zum Wert der Buchstaben H-I-T-L-E-R nach der Stellung im Alphabet (8-9-20-12-5-18) jeweils 99 hinzu, gab das die Zahl 666 für das „Tier aus der Erde“ nach der Offenbarung des Johannes 13,11-18. 56 PA des Auswärtigen Amtes, Bestand R, Nr. 100 657, Runderlasse und Verfügungen im A. A., darin die Mission Lierau, Vereinbarungen v. 18. November 1943 „(Kirche u. Volksgruppen) Generaloberst Blaskowitz.“ Neugeboren war vor dem Ersten Weltkrieg Redakteur des Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes, später Redakteur der Kronstädter Zeitung und vorübergehend des Südost. Seine Denkschrift schloss: „Es ist darum der dringende Wunsch der deutschen Volksgemeinschaft in Rumänien, von diesem Zerrbild einer Volksführung so bald als möglich befreit zu werden, um sich wieder ungestört und unverbittert der nationalsozialistischen Weltanschauung in ihrer Echtheit und Reinheit zuwenden zu können.“ Ein Musterbeispiel dafür, dass die „Falle Deutsches Reich“ immer noch funktionierte. 57 KM an Andreas Schmidt am 7. Februar 1942. Nachlass KM. Karton 10, Mappe DM Hds 3/c.

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Die Grenze zwischen einer gegen die Kirche und gegen das Christentum gerichteten Politik und einer Politik zur Eingrenzung politischer Ansprüche der Kirche war in den ersten beiden Phasen des Kirchenkampfes unscharf. Die erste Phase endete mit einem Sieg Bischof Glondys’ und mit dem „Kleinen Konkordat“ (1934) zwischen der NEDR und der Ev. Kirche A. B. In der zweiten Phase war der Kirchenkampf versteckt und überdeckt von dem Bruderhass der beiden nationalsozialistischen Flügel, auch wenn die DVR nie aufhörte Bischof Glondys und die Kirche anzugreifen. Es gelang ihr, nach dem Kirchenerlass 924/1936 einige „Deutsche Christen“ aus der Landeskirche herauszusprengen und in den eigenen Reihen die Verantwortung für das Berufsverbot der Unterschriftenverweigerer der Ev. Landeskirche A. B. zuzuschieben. Nach der Weltkirchenkonferenz in Oxford gelang es ihr ferner, einen Keil zwischen den Bischof und den Kronstädter Stadtpfarrer zu treiben. Den Bischof zu stürzen vermochte die DVR, so lange sie als politische Partei bestand, nicht. Insofern endete auch die zweite Phase des Kirchenkampfes mit einem Sieg Bischof Glondys’ und der Landeskirche, aber beide Erfolge hatten hohe Preise. In der dritten Phase trat die SS mit der Rückendeckung der Macht des deutschen Reiches auf den Plan. Der Kirchenkampf in Siebenbürgen war danach unsymmetrisch in einem ganz bestimmten Sinne. Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien zog alle Register einer totalen Weltanschauung. Sie beförderte die Führergläubigkeit, indem sie Hitler als einen dem deutschen Volk von Gott Gesandten pries. „Gottgläubig“ zu sein gehörte zum Führerkult; die Agitation für Hitler richtete sich zugleich gegen das Christentum.58 Die Evangelische Kirche A. B. wehrte sich gegen solche Angriffe der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, ohne jedoch, und das ist das Widersprüchliche, die Volksgruppenleitung als ausführendes Organ der „reichsdeutschen“ NSDAP zur Vernichtung der Kirchen zu erkennen. Konrad Möckel vermied die Aussage, bis wann er „die christliche Weltanschauung durchaus vereinbar“ mit den „Lehren und dem Gestaltungswillen des Nationalsozialismus“ gehalten hatte. Ein Deutscher Christ war er nie gewesen. Er erinnerte den Volksgruppenleiter daran, dass die Partei von einem „positiven Christentum“ gesprochen, aber ihr Wort gebrochen hatte. In der Realität war dort, wo die SS zu bestimmen hatte, schon lange ein antichristlicher Personen- und Germanenkult vorherrschend. Von allen evangelischen Landeskirchen im deutschsprachigen Raum war die Ev. Landeskirche in Rumänien am umfassendsten in die Fänge der SS geraten. Es war ein Glück für sie, dass die rumäniendeutschen Helfershelfer der SS nicht mit Staatsmacht ausgestattet waren. Fast vier Jahre lang duldete die Evangelische Landeskirche A. B.

58 „Heute sterben an der Front mehr Soldaten mit einem Gruß an den Führer auf den Lippen als mit dem Namen Jesus Christus“ war ein Topos in Propagandareden. Ich hörte diesen Satz nach der Eroberung Kretas durch die deutschen Truppen in der zu Ehren eines Ritterkreuzträgers ad hoc einberufenen Vollversammlung der Honterusschule aus dessen Munde.

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einen Apostaten an der Spitze, bis die russischen Panzer ihn vertrieben.59 Sepp Scherer fasste sein Urteil in einer Doppelaussage zusammen. Als „einen ‚Kirchenkampf‘, wie er in Deutschland verstanden wird“ dürfe man das Geschehen in Siebenbürgen nicht deuten, „und doch hat es ihn mit den ganzen geradezu knisternden Spannungen, mit ihren Schuldzuweisungen, aber auch Verheißungen gegeben“.60

59 Es ist ein Verdienst Pfarrer Hans Holzträgers, dass er diesen Zusammenhang zu einem Zeitpunkt klar herausstellte, als kaum einer unter den Siebenbürger Sachsen etwas davon wissen wollte. 60 Josef Scheerer: Der so genannte „Kirchenkampf“ in Siebenbürgen bis zum Jahre 1945. In: Kirche zwischen Anpassung und Widerstand. Referate einer Tagung des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen im Frühjahr 1980. (Selbstverlag des Hilfskomitees) München 1980, S. 2135.

Kapitel 12

Ende und Anfang (1944-1947) Der 23. August 1944 Am 23. August 1944 setzte König Michael I. den Diktator Marschall Antonescu ab. Der König ernannte General Constantin Sănătescu zum neuen Ministerpräsidenten, General Ion Boiceanu zum Minister für Erziehung und Kulte. Der Tag brannte sich den Zeitgenossen tief ein.1 Nach dem überstürzt abgeschlossenen Waffenstillstand mit der Sowjetunion hofften viele in Rumänien auf die Wiederherstellung einer konstitutionellen Monarchie unter König Michael. Die bürgerlichen Parteien konnten sich auf Dauer nicht etablieren; denn die Kommunisten regierten von Anfang an mit und besetzten im Schutze der Sowjetunion mehr und mehr wichtige politische und gesellschaftliche Stellen. Sie zwangen den König am 31. Dezember 1947 zur Flucht aus dem Land. Die etwa dreieinhalb Jahre nach dem Frontwechsel Rumäniens waren, so stellte es sich heraus, eine Übergangszeit zwischen der Diktatur unter Marschall Ion Antonescu und der kommunistischen Diktatur. Das Schicksal des Landes glich dem anderer Länder innerhalb der Einflusssphäre der Sowjetunion. Bürgerliche Politiker gerieten in Haft oder mussten fliehen. Die Westmächte überließen Rumänien der Sowjetunion, obgleich das Land seine politisch-gesellschaftliche Zugehörigkeit zu Westeuropa immer wieder unter Beweis gestellt hatte, am deutlichsten mit dem dramatischen Frontwechsel im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Die konstitutionelle Monarchie hatte keine Chance. Das konnten die bürgerlichen Politiker in den Staaten Osteuropas jedoch noch nicht sogleich erkennen. Die Sowjettruppen hatten beim Durchzug durch Rumänien im Großen und Ganzen Disziplin gewahrt. Massenhafte Grausamkeiten wie in Ostpreußen und in Mecklen1

Kirchliche Blätter 26 (1944), S. 327. Die letzte Ausgabe war dem 200. Geburtstag Johann Friedrich Herders gewidmet, als sei das ein vordringliches Thema. Bischof Theodor Heckel, der Leiter des Kirchlichen Außenamtes der evangelischen Kirchen in Deutschland, war mit einem Beitrag vertreten. Weitere Nachrichten waren ein Nachruf für Carl Meinhof, Professor für afrikanische Sprachen, das 50-jährige Jubiläum der deutschen Schule in Barcelona und eine Feier zum 350. Todestag von Orlando di Lasso. Die Ausgabe endet mit einem Aufruf: „Entrümpelt die Aufböden und sorget für Wasser und Sand!“ Die Alliierten hatten 1944 mit der Bombardierung rumänischer Städte, darunter auch Kronstadts, begonnen.

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burg-Vorpommern hatte Rumänien seiner Bevölkerung durch die Kapitulation und den Frontwechsel erspart. Das Land atmete auf, als der Einmarsch der Roten Armee glimpflicher verlief als erwartet. Es gab leider auch schwere Zwischenfälle. Russische Soldaten töteten Pfarrer Friedrich Thumes in Reußdorf (Cund) am 18. September 1944. Er schützte Frauen seiner Gemeinde, die im Pfarrhaus Zuflucht gesucht hatten. Russische Soldaten schossen ihn nieder, und er verblutete auf der Veranda des Pfarrhauses, weil niemand ihm zu helfen wagte. Pfarrer Adolf Lutsch, ein Michaelsbruder, wurde am 29. September 1944 im Pfarrhaus von Roseln (Ruja) kaltblütig exekutiert. Man hatte ihn erst verleumdet und dann denunziert.2 Russlanddeportation und Enteignung Für die sächsische und schwäbische Bevölkerung dauerte der Krieg länger als für die übrige Bevölkerung Rumäniens. Die neue Regierung sah in den Sachsen und Schwaben nach dem 23. August 1944 Staatsfeinde. Sie zahlten einen Preis nicht nur für die eigenen politischen Torheiten. Die Wege und Irrwege der Siebenbürger Sachsen seit 1933 waren schlimm genug und schrien geradezu nach einer öffentlichen Erörterung. Hitlergläubigkeit und Wunschdenken waren mit Politik verwechselt worden. Nun zahlten sie den Preis aber nicht nur für die eigenen Verstiegenheiten, sondern auch dafür, dass der rumänischen Staat auf der Seite Deutschlands und Italiens in den Krieg eingetreten war, seit 1941 gegen die Sowjetunion gekämpft und viele seiner jüdischen Bürger in der Ukraine ermordet hatte. Die rumänische Armee war an der Seite Deutschlands in Bessarabien und in Transnistrien eingedrungen. Bei der Verfolgung, Enteignung der jüdischen Bevölkerung und bei der Aneignung ihres Vermögens hatte Rumänien ebenfalls mitgemacht, auch wenn die Behörden weniger systematisch als die deutschen vorgegangen waren. Die Chancen, während des Krieges als Jude in Rumänien zu überleben, waren größer als in Ungarn, Polen oder gar in Deutschland, aber verfolgt und gedemütigt wurden die Juden auch dort. Das war nach dem 23. August 1944 in der Öffentlichkeit kein Thema. In letzter Minute hatte sich Rumänien 1944 zu den Siegermächten hinübergerettet und demonstrierte, während der Krieg noch andauerte, seinen Hass auf Hitlerdeutschland, indem es seine sächsischen und schwäbischen Bürger ausplünderte. Hatten die Sachsen sich nicht freiwillig zur Waffen-SS gemeldet? Waren sie nicht dorfweise eingezogen und mit Musik verabschiedet worden? Nun galten sie nicht mehr als ehemalige Waffenbrüder, sondern als Verräter. Die neue Regierung erklärte die Mitglieder im „Grupul Etnic German“ per Dekret zu Verbrechern, obgleich die Zugehörigkeit zur Minderheit nichts Freiwilliges an sich hatte. Mit Antonescu hatte die neue Regierung 2 „Ihr Ende schaut an ...“ Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Hg. von Harald Schultze und Andreas Kurschat unter Mitarbeit von Claudia Bendick. Leipzig 2006. Die Würdigungen schrieb Hermann Pitters (S. 648-649 und S. 653-655). Vgl. auch Christian Weiss: Roseln mitten in Siebenbürgen. Heidelberg 2010, S. 250-263.

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abgerechnet und damit symbolträchtig einen Trennungsstrich gezogen. Dass Rumäniendeutsche gestern noch herausfordernd „Heil Hitler“ gegrüßt, die Hakenkreuzfahne gehisst, Aufmärsche organisiert und mehrheitlich an den Endsieg geglaubt hatten, war dagegen nicht vergessen – höchstens bei den Sachsen und Schwaben selbst, von denen sich viele, ähnlich wie die Rumänen, nur als Opfer der großen Politik sahen. Missglückter politischer Neubeginn Die Funktionäre des „Grupul Etnic German“ suchten das Weite, tauchten unter oder versuchten – im Banat – einen bewaffneten Widerstand gegen die Sowjetarmee zu organisieren. Kein Amtswalter des „Grupul Etnic German“ war von der schwäbischen oder sächsischen Bevölkerung gelyncht worden, auch wenn sich Zorn angestaut hatte. Wen die neue rumänische Regierung greifen konnte, das waren örtliche kleine Führer, bis hin zum Spielmannszugführer.3 Der Waffenstillstand und die folgenden Monate bis zum Ende des Krieges im Mai 1945 rissen die Schwaben und Sachsen wie eine Stromschnelle der Geschichte in rasender Geschwindigkeit mit sich. Der angestaute Hass gegen diejenigen, die dem rumänischen Volk – wie die Zeitungen wissen wollten – Opfer und Entbehrungen in einem verlustreichen Krieg aufgebürdet hatten, wer immer das im Einzelnen gewesen sein mochte, entlud sich und traf die Schwaben und die Sachsen. Das Ausmaß dessen, was mit ihnen geschah, konnten sie kaum fassen und historisch richtig einordnen. Nur im engsten Familienkreise konnten sie über die nationalsozialistische Katastrophenpolitik und ihre nicht zu leugnende Zustimmung zur NS-Hybris nachdenken. Sie hatten diese Politik aktiv mitbetrieben oder mindestens mehrheitlich geschehen lassen und sie, so sah es die öffentliche Meinung in Bukarest, gar nicht oder viel zu wenig bekämpft. Was an Leid über die Rumäniendeutschen kam, konnte entweder als Konsequenz eigener, rumäniendeutscher Entscheidungen aus der Vorkriegs- und Kriegszeit angesehen werden oder als unverschuldete, böse Ungerechtigkeit des Schicksals. Es war eine große Versuchung, die nationalsozialistische Erneuerungsbewegung zu verdrängen, die das sächsische Volk nach einem Wort von Bischof Glondys hatte „friedlich durchdringen“ sollen. Wie wichtig wäre es nach 1944 gewesen, den politischen Weg in die Sonderbehandlung der Nachkriegszeit öffentlich anzusprechen und zu klären – aber das war unter den politischen Bedingungen des noch andauernden Krieges nicht möglich. 3 Ich war Spielmannszugführer in der DJ und wurde im Herbst 1944 auf die Polizei bestellt, kurz verhört und entlassen. Ziel des Verhörs war der Nachweis, dass ich Mitglied einer paramilitärischen Organisation gewesen sei. („Habt ihr patriotische Lieder gesunden?“ „Habt ihr am Schießstand geschossen?“) So konnte man die DJ sehen. Eine – medizinisch keineswegs zwingende – Blinddarmoperation im Herbst 1944 bewahrte mich vor der Verhaftung und vor der Einlieferung in das für Naziführer der Rumäniendeutschen bestimmte Internierungslager in Târgu Jiu.

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An Versuchen eines Neubeginns fehlte es nicht. Hans Otto Roth erließ noch im September 1944 einen Aufruf, in dem er zur Besonnenheit mahnte und die Schwaben und Sachsen aufforderte, das Land nicht zu verlassen. Er war Landeskirchenkurator, und ihm war es mit zu danken, dass die Ev. Kirche A. B. die Verantwortung für die Schulen mit deutscher Unterrichtssprache wieder übernehmen konnte, die unter Wilhelm Staedel der Deutschen Volksgruppe abgetreten worden waren. Ein tragfähiges Vertrauen zu den neu gegründeten rumänischen Parteien ließ sich jedoch von den wenigen nicht belasteten schwäbischen und sächsischen Politikern nicht in kurzer Zeit aufbauen. Auch die bürgerlichen rumänischen Parteien mussten sich gegen die kommunistische Partei wehren. Zudem waren die neuen bürgerlichen Parteien die alten, die den Schwaben und Sachsen die 1920 im Minderheitenschutzvertrag versprochene Kulturautonomie nach dem Ersten Weltkrieg verweigert hatten. Sie waren es auch, welche die Zugehörigkeit zum Grupul Etnic German auslegten, als sei sie eine Mitgliedschaft in der NS-Partei gewesen. Dass schwäbische und sächsische junge Männer 1919 mit den rumänischen Truppen gegen Ungarn in den Krieg gezogen und nach 1941 Tausende auch in der rumänischen Armee gekämpft hatten, lag nach dem 23. August 1944 weit zurück. Die Rumäniendeutschen hatten 1944 kaum Sprecher, die auch für Kommunisten glaubwürdig gewesen wären. Die wenigen, die zu sprechen wagten, konnten darauf hinweisen, dass keineswegs alle Schwaben und Sachsen dem Nationalsozialismus blind gefolgt waren. Aber sie konnten leider nicht in den eigenen Reihen aufräumen und die Führer des „Grupul Etnic German“ zur Rechenschaft ziehen. Hans Otto Roth erstattete gegen Andreas Schmidt eine Anzeige wegen Beleidigung und hatte in zweiter Instanz Erfolg. Aber noch jahrzehntelang schwelte eine dümmliche und zugleich gefährliche Nostalgie unter Schwaben und Sachsen unter der Oberfläche weiter und erschwerte den Blick für eine realistische Einschätzung der Lage und für die Mitarbeit in der Öffentlichkeit. So fehlte nach 1944 ein sächsisches und schwäbisches weithin sichtbares Symbol einer Selbstreinigung und einer öffentlichen Absage an das schändliche Betragen der Volksgruppenleitung mit ihrem gespreizten, nationalistischen Gehabe. Im Herbst 1944 verbot die rumänische Regierung alle Zeitungen in deutscher Sprache. Damit hatten die Rumäniendeutschen kein Presseorgan mehr, um die eigenen Irrwege, aber auch die Ungerechtigkeiten anzusprechen, die ihnen widerfuhren. Während des Krieges hatten die Rumäniendeutschen auf ihre bewährte Loyalität gegenüber der Krone leichtfertig verzichtet. Ein kirchenpolitisch neuer Anfang Die Kirchlichen Blätter erschienen während des Krieges zum letzten Mal am 22. August 1944.4 Die letzte Ausgabe brachte in einer Rubrik Nachrichten aus Heimat und Welt ein Kuriosum – 15 Zeilen „Zum „Regierungswechsel“, der am 23. August 1944, also 4

Schriftleiter war Pfarrer Dr. Karl Reinerth.

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erst einen Tag nach dem Erscheinungsdatum stattfand.5 Die Schriftleitung sprach die Hoffnung aus, dass „unserer Landeskirche auch unter den veränderten Verhältnissen – besonders seitens des Kultusministeriums – jene Förderung zuteil werden möge, die sie bisher in Anerkennung ihrer Rechtsgrundlagen und ihrer geschichtlichen Bedeutung bei so mancher Gelegenheit erfahren hat.“6

Danach stellte das offizielle Organ der Landeskirche sein Erscheinen für beinahe zwei Jahre ein. In dieser Zeit verlor die schwäbische und sächsische Bevölkerung Rumäniens ihre staatsbürgerlichen Rechte und ihren Besitz. Als die Wochenzeitung am 6.  Juli 1946 wieder erscheinen durfte, war das ein Hoffnungszeichen. Der neue Schriftleiter Dr. Ernst Jekelius dankte „Sr. Exzellenz dem Ministerpräsident Petru Groza“ dafür.7 Die erste Nummer zeigt den ungeheuren Wandel, der inzwischen eingetreten war, nur zum Teil an. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt. 22, 21), das galt nun für die evangelische Kirche ganz besonders. Dann folgte ein Wort, das die politische Linie umschrieb, die Bischof Dr. Friedrich Müller, immer in Sorge um die Existenz der gefährdeten kleinen, Evangelischen Kirche A. B., gegenüber dem bürgerlichen und später gegenüber dem kommunistischen Staat konsequent verfolgte:8 „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für die Obrigkeit, auf dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2, 1-4).9

Zwischen der Kapitulation Rumäniens im August 1944 und der Zwangsdeportation des jüngsten Sohnes, die im Januar 1945 geschehen sollte, lag ein Erlebnis, das Konrad Möckel in seinen Erinnerungen im Brief an die Söhne 195410 mitteilte und das mit seinen Worten wiedergegeben werden soll; denn es gehört zum letzten Drittel seines Lebensweges: „Es war in den letzten Augusttagen des Jahres 1944. Wir standen mitten drin in einer Wende von solchen Ausmaßen, wie sie selten einem Geschlecht zugemutet worden   5

Kirchliche Blätter 26 (1944), S. 327. Kirchliche Blätter 26 (1944), S. 327.   7 Die Bewilligung war am 4. März 1946 erteilt worden.   8 Friedrich Müller: Erinnerungen. Zum Weg der siebenbürgisch-sächsischen Kirche 19441964. Bearbeitet von Hannelore Baier, mit einem Geleitwort von Gerhard Schullerus und einer Einleitung von Ulrich Andreas Wien. Köln, Weimar, Wien 1995. – Ulrich Andreas Wien: Kirchenleitung am Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalismus und Kommunismus. Köln, Weimar, Wien 1998.   9 Kirchliche Blätter 27 (1946), S. 1. 10 Der Brief wird als „Erinnerungen 1953/54 zitiert.   6

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ist. Ungeheure Möglichkeiten der verschiedensten Art stiegen vor unseren äußeren und inneren Blicken auf. Die Spannung darüber, was nun werden solle, lag Tag und Nacht so sehr über uns, daß an Schlaf kaum zu denken war. Meine persönliche Einstellung zu den kommenden Möglichkeiten war gefaßt, Gott alles anheimstellend, aber ohne großen Optimismus. Da ging ich einmal in diesen Tagen am frühen Morgen, es mag um 6 Uhr gewesen sein, durch den Garten und hatte plötzlich das eigenartige empfinden, zur Seite, dicht neben mir, zwar in seinen Umrissen unklar und unerkennbar, aber in seiner Anwesenheit ebenso wenig abstreitbar einen sehr hellen Schein zu sehen. Ich konnte es damals nicht und kann es heute nicht sagen, was es seiner Gestalt nach war. Aber soviel weiß ich genau, daß eine Stimme, die ich nicht so sehr von außen als vielmehr von innen her hörte, etwa das Folgende zu mir sagte: ‚Fürchte dich nicht! Es kommt eine Zeit, in der gerade die Kirche schön aufblühen und große Bedeutung erlangen wird. Du wirst in eine beglückende, große Arbeit in deiner Kirche gestellt werden.‘ Ich bin lange Zeit im Banne dieser Stimme gestanden. Denn es war mir vom ersten Augenblick an klar: ich hatte kein Selbstgespräch geführt! Nichts wäre mir in der Stimmung jener Tage ferner gelegen gewesen, als von mir aus solche Gedanken zu denken oder wach-zu-träumen. Auch war von dieser Erscheinung Frieden, Freude und Kraft ausgegangen, was alles ebenfalls in starkem Gegensatz zu all dem stand, das damals für mich „existenziell“ war. Ich stehe darum nicht an zu sagen, daß es ein Engel war, der mit mir geredet hatte.“11

Er habe, schrieb er, von diesem Erlebnis nur ganz wenigen Menschen einige Andeutungen gemacht und auch dies nicht gleich, sondern erst nach einigen Jahren. Das Erlebnis sei nicht von der Art gewesen, dass „man Freude daran hätte haben können“, um daraus eine „Sensation“ zu machen. Aber, so schloss er, vier Jahre vor seiner Verhaftung durch die Securitate, dies Erlebnis habe seine innere Wahrheit „in dem hinter uns liegenden Jahrzehnt“ erwiesen. Gott sei am Werk und sende „Seine Boten“. Davon dürften wir wissen: „Die Boten und die Botschaften von Gott kommen in unfaßlich großer Mannigfaltigkeit. Das ist unser Trost und die Quelle unserer Zuversicht in allen Lebenslagen.“

Wenige Monate später mussten die Eltern auch ihren dritten Sohn hergeben. Unter den rund 30.000 Frauen und Männern, die im Januar 1945 in die Sowjetunion transportiert wurden, war auch Andreas, der jüngste der drei Brüder. Ein russischer und ein rumänischer Soldat erschienen um sechs Uhr morgens im Stadtpfarrhaus und folgten Konrad Möckel auf dem Fuße bis in das kleine Arbeits- und Schlafzimmer des Sohnes. 11 Nachlass KM, Archivkarton 15. Hans Philippi veröffentlichte diese Stelle in seinem Auszug im „Siebenbürgischen Kalender“ 1966, S. 33-52 nicht. Auch mir fällt es nicht leicht, davon zu berichten. Er sprach auch in der Zeit seiner Verhaftung, Gefangenschaft und während seines Zwangsaufenthaltes im Bărăgan nicht davon, ebenso wenig nach 1963 in der Bundesrepublik. Seine Erinnerungen 1953/1954 waren ausdrücklich an die Söhne, nicht an eine breite Öffentlichkeit gerichtet. Aber es schien mir nicht richtig, diese Stelle in einer Lebensbeschreibung zu unterdrücken.

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Sie musterten ihn, der im Schlafhemd vor ihnen stand, und hakten seinen Namen auf ihrer Liste ab. Der 17-jährige Schüler hatte in einer halben Stunde reisefertig zu sein. Als sie wiederkamen, erwirkte ein im Hause einquartierter russischer Major zusätzliche Minuten für die Vorbereitung. „Wenig, aber gut – wie Tourist“, riet er. Als die Soldaten zum dritten Mal, diesmal mit einem NKWD-Offizier erschienen, der den russischen Major begrüßte und die kleine Frist gewährte, kniete die Mutter vor ihm nieder und bat, ihren Sohn zu verschonen. Das war dem Sohn peinlich und unverständlich. Der Vater übergab ihm zum Abschied seine Taschenbibel, ein Neues Testament, mit den Worten „Vergiss dein Vaterhaus nicht!“12 Anderthalb Jahre lang hörten die Eltern nichts von ihren Söhnen. Anfang 1946 erreichte sie ein Brief des Roten Kreuzes mit der Nachricht, dass sich Gerhard Möckel in Bethel bei Bielefeld befände. Konrad Möckel war gerade in Schäßburg „zu einer vom Landeskonsistorium angeordneten geistlichen Erziehung der Lehrkräfte unserer Schulen“, ein sogenannter apologetischer Kurs. „Mutter telefonierte mir am Abend, dass der Rotkreuzbrief gekommen sei. Ich ließ vor Erregung fast den Hörer fallen! Hatten wir doch seit dem August [19]44 überhaupt keine Nachricht von Dir.“13

Dass die Söhne den Krieg und die Deportation überstanden hatten, empfanden die Eltern als ein Geschenk und als eine Gebetserhörung. Die ersten Briefe an den Sohn Gerhard in der englischen Besatzungszone Deutschlands und ein Brief an den Sohn Andreas in der Ukraine, der sich erhalten hat, geben die Gefühle der ersten Nachkriegszeit wieder, die Sehnsucht der Familien nach ihren Angehörigen und die Last im Alltag. Konrad Möckel freute sich, dass sein Sohn Gerhard begonnen hatte, Theologie zu studieren. Der jüngste Sohn, Andreas Möckel, war im Februar 1947 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands krank entlassen worden und fand Aufnahme beim Ehepaar Berta und Herbert Krimm in Stuttgart (amerikanische Besatzungszone). Herbert Krimm war Michaelsbruder und im Krieg wiederholt in Kronstadt gewesen. Er nahm ihn für mehrere Jahre in seine Familie auf und ermöglichte ihm den Schulabschluss in der Kirchlichen Lehreroberschule Michelbach an der Bilz und die Ausbildung zum Volksschullehrer. Beide Söhne hatten ihre Berufe in der Hoffnung gewählt, sie einmal in Rumänien ausüben zu können. Das war für Eltern und Söhne selbstverständlich. Konrad Möckel war Stellvertreter des Bischofsvikars, aber er verwies Gerhard wegen der Anmeldung in die Kandidatenliste der Landeskirche an das Landeskonsistorium. 12

Die Bibel begleitete mich und half mir und anderen. Sie kam durch alle Kontrollen, zum letzten Mal im Februar 1947 in Frankfurt/Oder, als ich unterernährt und krank statt nach Siebenbürgen in die sowjetische Besatzungszone entlassen wurde. Ich besitze die Bibel heute noch. – Die Geschichte der Zwangsarbeit ist von Georg Weber und Mitarbeitern (Renate Weber-Schlenther, Armin Nassehi, Oliver Sill, Georg Kneer) gründlich aufgearbeitet worden. Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949. 3 Bde. Köln, Weimar, Wien 1995. 13 Brief KM an Gerhard Möckel vom 26. Mai 1946. Nachlass KM Leitzordner I.

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Gerhard Möckel war nicht der Einzige unter den aus der Gefangenschaft entlassenen und aus Siebenbürgen stammenden Soldaten, die mit einer klaren Zielsetzung Theologie studierten und sich in die Kandidatenliste der Ev. Landeskirche A. B. aufnehmen ließen.14 Diese und andere Ereignisse, die fast jedes schwäbische und sächsische Haus erschütterten, musste jede Familie für sich allein deuten. Ständig stürzten neue Botschaften auf die demoralisierte sächsische und schwäbische Bevölkerung ein, wie die Evakuierungen sächsischer Pensionisten aus den Städten, zahlreiche Übergriffe, willkürliche Verhaftungen, Arbeitsverpflichtungen, gelungene und misslungene Fluchtversuche, Selbstmorde aus Verzweiflung einzelner und ganzer Familien. Es blieb zu wenig Zeit und Kraft zur Prüfung und Selbstprüfung im Blick auf die jüngste Vergangenheit. Die Grundfragen, wie zum Beispiel „sächsisch“ oder „evangelisch“ waren mehrschichtig und schwer mit der bedrängenden Gegenwart zu vermitteln. Es gab Grundannahmen, die sich lange vor der Zeit des Nationalsozialismus bewährt hatten, die aber Schwaben und Sachsen in den 1930er Jahren doch nicht vor einem politischen Irrweg bewahrt hatten. Galt das unklare, oft als Ausdruck ethnischer Selbstbehauptung gesungene „Ein feste Burg ist unser Gott“ noch? Oder war dieses Lied nur der Ausdruck einer völlig veralteten, völkischen Wagenburg-Mentalität, weit weg von ihrem reformatorischen Ursprung? Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit Als die Kirchlichen Blätter für eine kurze Zeit wieder erscheinen durften, konnten politisch relevante Themen auch im Jahre 1946 nur behutsam angefasst werden. Es war auch der Kirchenzeitung nicht möglich, eine scharfe Auseinandersetzung mit allem Für und Wider, mit Emotionen und Irrtümern und im Rahmen geschichtlicher Zusammenhänge offen zu führen, um möglichst alle Schichten der sächsischen Bevölkerung mitzunehmen. Die Kirchlichen Blätter halfen sich, indem sie Predigten abdruckten, welche die schweren Lasten benannten, aber auch an ihre Vorgeschichte erinnerten. Konrad Möckel legte den Text zum Trinitatisfest 1946 (Römer 11, 33-36)15 als einen Rückblick auf die drei großen christlichen Feste aus: „Wir sind in schwerer Zeit darüber froh geworden, dass es in aller Dunkelheit der Welt wieder Christtag geworden war mit der frohen Kunde von der Geburt des Gottessohnes. Wir sind in all der Sterbensnot, die auf uns liegt, ins Licht des Lebens geführt worden, das aus dem Tode bricht, in das Licht des Ostermorgens, das dem 14

Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Überschrift: „Der wahre Gott“. Kirchliche Blätter 27 (1946), S. 25-27. „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich sind sein Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass ihm werde wiedervergolten? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ 15

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Karfreitag folgt. Und wir haben uns trösten lassen von der Gewissheit, dass mitten aus Sünde und Schwäche der Menschen, aus Enttäuschung und Zusammenbruch ein neuer Geist entsteht, der unsere Zuversicht ist in Zeit und Ewigkeit.“16

„Dunkelheit“, „Sterbensnot“, „Sünde und Schwäche“ – da konnten die Gottesdienstbesucher den Gegenwartsbezug heraushören, und es ist sehr wahrscheinlich, dass viele ihn hörten. Aber solche Andeutungen waren viel zu wenig, um die Komplexität der Situation auch nur annähernd zu beschreiben. In der Weihnachtspredigt 1946 sprach er über „Gottes Herrlichkeit“17, deutete jedoch auch die große Unsicherheit an, in der sich alle Hörer und Prediger selbst befanden: „Es ist eine Schicksalsstunde von außerodentlichem Ernst über uns. Gott hat allen Flitter, alles nur Menschliche, Irdische, Weltliche von uns genommen. Gott hat mit furchtbarem Ernst, das, was wir Glück, Freude, Leben zu nennen pflegen, unter uns tief gemindert. Wir sind leer und arm geworden, damit wir aufschauen lernen auf das eigentliche verborgene Geheimnis des Lebens.“18

Das war keine Funktionalisierung der Not, um die Zuhörer zum Glauben zu bewegen, sondern der Trost, den Konrad Möckel selbst empfangen hatte. Ähnlich predigte Pfarrer Hellmut Klima in Neppendorf (Turnişor) 1946 am „Erntebußtag“ zu den enteigneten und aus ihren Häusern vertriebenen Gemeindemitgliedern: 19 „Angesichts der Ernte wird unser Kummer und Leid besonders deutlich bewusst. Einst sah man in dieser Jahreszeit voll beladene Heuwagen von unseren schönen Wiesen heimfahren. Auf dem Wagen oben saßen die Mäher. Müde waren sie von des Tages Mühe und Plage und doch leuchtete aus den Augen ein Blick der Zufriedenheit und Dankbarkeit. Eine große, schöne Herde fand allabendlich den Weg nach Hause. Bald fand der Bauer im gesunden Schlaf die wohlverdiente Ruhe. Die Arbeit war schwer, aber doch schön. Wie sieht es heute in den Abendstunden in unserer Gemeinde aus? Eine kleine Herde kehrt heim. Mit sorgenvollen Gesichtern warten die Menschen auf die Tiere.“20

Und noch eine weitere Stelle öffnet den einen Blick in die Wirklichkeit der siebenbürgischen Nachkriegszeit: „Ist aber nicht in unseren Tagen der Hass eine unheilbringende Macht in unseren Herzen? Wenn Du Dich ungerecht behandelt fühlst, wie steigt doch das Gefühl des Zornes in Dir hoch! Wie schwer ist da die Beherrschung. Wie sind doch unsere Gedanken da voller Hass.“21

16 17 18 19 20 21

Kirchliche Blätter 27 (1946), S. 25. Ebda, S. 248-250. Ebda, S. 249. Hellmut Klima „Erntebußtag“. Ebda, S. 57-59. Ebda, S. 57. Ebda, S. 58, 59.

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Die Vorgeschichte der schwäbischen und sächsischen Nachkriegskatastrophe deuteten die Kirchlichen Blätter nur an, ohne im Detail Namen, Orte und Ereignisse zu nennen. In einem längeren Bußgedicht von Rudolf Alexander Schroeder heißt es: „Ihr machtet euch mit Knechtsgebärden Zu Herren und Obersten der Erden, gewahret nun: die Kraft versagt. Sagt nicht, es hat euch ungewarnet Der Jäger im Gehölz umgarnet, der Fischer in sein Netz gejagt. Euch hat der fromme Beterruf Nur euren Bettelstolz gesteigert, ihr habt dem Wort des Herrn geweigert das Ohr, das Er zum Hören schuf, und steht nun da und mault und greint und sprecht: So war es nicht gemeint!“22

Das konnten die Leser auf sich beziehen oder lesen, als sei es nur auf andere gemünzt. Wie viele den Text als einen Aufruf zur Umkehr, wie viele ihn als Anklage gegen „die Anderen“ in Siebenbürgen, Deutschland oder anderswo lasen, kann man nur vermuten. Man muss sich, wenn man gerecht sein will, vor Augen halten, dass die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in dieser Zeit nicht nur als Gruppe, sondern auch als Einzelne in einer Paria-Situation standen. Die Kirchlichen Blätter dokumentierten das mit dem Artikel einer rumänischen Zeitung. „Die Sachsen – eine nationale Gefahr?“ Im September 1946 übernahmen die Kirchlichen Blätter aus der Bukarester Zeitschrift „Flamura liberală“ (Liberale Fackel) einen Artikel, der die Situation der Schwaben und Sachsen und die Meinung der Regierung über sie hell beleuchtet. Die Bukarester Zeitschrift stand dem Außenminister nahe. „Sind die Sachsen eine nationale Gefahr für Rumänien?! ...“23 erschien in den Kirchlichen Blättern unter der Rubrik Aus der rumänischen Presse – eine Rubrik, die es sonst nicht gab, da die Redaktion politische Themen und Zeitungsartikel mied. Auf diese Weise dokumentierte die Redaktion die sächsische Wirklichkeit und – von heute aus gesehen – auch die Illusionen von Demokratie und Freiheit, in denen sich die bürgerliche Regierung Rumäniens befand.24

22

Kirchliche Blätter 26 (1946), S. 73. „Sind die Sachsen eine nationale Gefahr für Rumänien?! ...“ Kirchliche Blätter 27 (1946), S. 136-138. 24 Kirchliche Blätter 26 (1946), S. 136-138. Der schlecht übersetzte Zeitungsartikel erschien in der Flamura liberă am 20. September 1946. 23

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Es gäbe die Sachsen auf dem Land, „die buchstäblich nichts mehr haben, weil ihnen alles genommen worden ist und sie wahrhaft vor dem Hungertode stehen“. Und es gäbe die Sachsen in der Stadt, „denen gleichfalls genommen worden ist, was sie gehabt haben, und die, wenn sie nicht Hungers sterben, dann infolge des Verkaufs je eines Haushaltsgegenstandes gerade gut, um davon zu leben, zu haben, daß sie nicht Hungers sterben“. Inmitten des rumänischen Volkes lägen Arbeitshände brach. Fände man eine rechtliche Handhabe zur Rehabilitation der Sachsen, müssten „die betreffenden Gegenden nicht so viel leiden“, sondern könnten im Gegenteil gewinnen. „Somit antworten wir auf die Frage, ob die Sachsen eine Gefahr für Rumänien sind, kategorisch und entschieden: Nein. Im Gegenteil. Ein bedeutender Teil unserer nationalen Wirtschaft ist in Gefahr ohne die Arbeitshände, ohne die Arbeit und ohne die Produktionskraft der Sachsen als mitwohnenden Volkes.“

Die Sachsen kamen in erster Reihe als nützliche Arbeiter in den Blick. Der Autor wandte sich an rumänische Leser und sprach nicht zu den Sachsen, sondern über sie. Aber die im Ganzen positive Bewertung veranlasst die Kirchlichen Blätter der „Flamura liberală“ für die Entpolitisierung des Problems zu danken, auch wenn der Autor die Sachsen wie eine Verfügungsmasse ohne politisches Gewicht behandelte. Wie unvergleichlich günstiger als 1946 waren die Ausgangsbedingungen für eine Selbstvertretung der Sachsen nach dem Ersten Weltkrieg und noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs gewesen. Welch eine Chance war verspielt worden, als die in der Mediascher Erklärung 1919 feierlich versprochene Loyalität zum rumänischen Staat und sein Wohl, nicht mehr die verlässliche Grundlage der sächsischen Politik bildeten. Friedrich Müller wird Bischof Die Gottesdienste gingen nach dem 23. August 1944 weiter, und die Aufgaben der Gemeinden wuchsen. Die Ev. Landeskirche A. B. erwies sich als die stabilste sächsische Einrichtung, wenngleich die Verantwortlichen wussten, dass Zurückhaltung und Vorsicht geboten war, wenn sich die Kirchengemeinden aus Verantwortung für ihre Mitglieder um die Witwen und Waisen kümmerten und ihre Hilfe zu organisieren versuchten. Wilhelm Staedel belastete die kleine Evangelische Kirche in Rumänien mit deutscher Predigtsprache mit jedem Tag mehr, an dem er im Amt bleib. Eine Last war er seit der manipulierten Bischofswahl im Jahre 1941 gewesen.25 Viele forderten, er solle sich zurückziehen, auch Konrad Möckel.26 Am 11. Oktober 1944 trat er end25 Bezeichnend ist der Briefwechsel Gerhard Möckels mit Wilhelm Staedel und sein Aufsatz „Väter und Söhne“ in „Fatum oder Datum?“ München 1997, S. 121-146. Josef Scheerer: Wilhelm Staedel 1941-44. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 151-180. 26 KM an Wilhelm Staedel am 29. September 1944 (Durchschlag), Nachlass KM Hds DM Leitzordner 24. „In der heutigen Lage unserer Kirche ist es nun aber völlig untragbar gewor-

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lich zurück. Altbischof Viktor Glondys übernahm vorübergehend die Geschäfte der Kirchenleitung, aber dessen Rückkehr war nicht erwünscht. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Kultusministerium wählte die Landeskirchenversammlung am 29. April 1945 den Hermannstädter Stadtpfarrer Dr. Friedrich Müller zum Bischof.27 Konrad Möckel predigte bei der Feierlichen Einführung.28 In dieser Stunde, sagte er, erfülle sich „ein besonders bedeutungsvoller Abschnitt unseres kirchlichen Schicksals in dieser sturmbewegten und schweren Zeit“. Es sei immer wieder gefragt worden, werde sie erhalten bleiben, werde „sie uns weiter den Dienst tun können, den sie uns jahrhundertelang getan hat? Und nun stehen wir heute vor der Tatsache, dass sie uns bewahrt geblieben ist auf den gefährlichen, unsagbar schweren Wegen, die wir gehen müssen. Unsere Kirche hat ein neues Haupt“ (S. 1).

Wieder einmal erweise sich „unsere Kirche als ein tragender Grund“, sie sei „die Mitte unserer Heimat“. Er kritisierte, dass die Menschen meinten, sie erhielten die Kirche. In Wirklichkeit sei es anders. „Nicht wir erhalten und tragen die Kirche, sondern sie trägt uns!“ Die Enkel würden danach fragen; denn es könnte sein, „dass unser Geschlecht nur noch die Bestimmung hat, Trümmer aufzuräumen. Aber so viel ist gewiss: wir haben darauf zu achten, dass einst wieder auf dem rechten Grunde gebaut werden könne. Unsere Zeit braucht ganze Menschen auf allen Gebieten des Lebens. Wehe uns, wenn wir es wagen sollten, gerade in der Kirche unseren Weg in Lauheit und Halbheit zu gehen!“ (S. 4).

Er sorgte sich vor einer Bedrohung durch „Hoffnungslosigkeit“ – „ein Vorgeschmack der Hölle“ (S. 7). Gott wolle „uns“, und mit dem „uns“ schloss er die Anwesenden und alle Gemeindeglieder der evangelischen Kirche mit ein, „mitten im Zerfall der den, dass Du noch immer das Bischofsamt verwaltest. Ich spreche die Meinung nicht nur der Burzenländer sondern noch sehr vieler anderer Pfarrer aus, wenn ich sage: Du bist nicht mehr unser Bischof. Es ist Mangel an Wirklichkeitssinn und Verantwortung, dass Du nicht schon seit Wochen abgedankt hast. Ich bitte Dich nicht etwa um Deine Abdankung, sondern ich fordere sie, weil es hier um das Leben unserer Kirche geht. Ich fordere sie ohne Bedenkzeit und sofort. Wenn wir nicht in den allernächsten Tagen die Nachricht von Deiner Abdankung erhalten, bricht ein Sturm los.“ 27 Friedrich Müller (1984-1969). Dazu Bischof Friedrich Müller: Erinnerungen. Zum Weg der siebenbürgisch-sächsischen Kirche 1944-1964. Bearb. Hannelore Baier, Geleitwort Gerhard Schullerus, Einleitung Ulrich Andreas Wien. Köln, Weimar, Wien 1995 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 17). – Ludwig Binder: Friedrich Müller d. J. 1945-1969. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 183-229. – Ulrich Andreas Wien: Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalismus und Kommunismus. Köln, Weimar, Wien 1998 (Studia Transylvanica, 25). 28 Predigt gehalten in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche anlässlich [der Einführung von Bischof Dr. Friedrich Müller] – 1. Kor. 3,11 (Einen anderen Grund). Nachlass KM Archivmappe 6.

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Welt, unter den Trümmern dessen, was Menschen schaffen und Menschen zerstören können, die Wunder des Lebens zeigen“ (S. 8). Der 60-jährige Bischof war der richtige Mann zur rechten Stunde im höchsten Amt der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien. Als kirchlicher Schulrat (1921-1928) hatte er in einer kritischen Zeit Erfahrungen im Umgang mit der rumänischen Administration gesammelt. Er folgte 1928 Adolf Schullerus im Stadtpfarramt in Hermannstadt. Seinen Vorgänger im Amt des Bischofs, Viktor Glondys, hatten die Nationalsozialisten acht Jahre lang angegriffen, um die sächsisch-gesellschaftliche Wirksamkeit der ev. Kirche zu schwächen. Als Bischofsvikar focht Müller gegen die juristisch schlecht vorbereitete Übergabe der evangelischen Schulen und gegen die Verschleuderung des Kirchenvermögens an die Deutsche Volksgruppe in Rumänien. Er übernahm 1945 unter schweren politischen Bedingungen die Leitung der Kirche und steuerte sie mit Umsicht und politischem Geschick. Er verzichtete bis zu seinem Tode auf ein auffälliges Auftreten der Evangelischen Kirche in der Öffentlichkeit. Der evangelischen Kirche gelang es zu überleben, obgleich der Übergang von der Monarchie unter einem König, der sich als einen christlichen König verstand, zu einer atheistischen Volksrepublik voller Gefahren war.29 Die Honterusgemeinde – auf sich verwiesen Konrad Möckel kam der Kurs der Landeskirche, der die Sammlung der Glaubensgemeinde an die erste Stelle rückte, entgegen. Er konnte auf dem Weg weiterschreiten, den er mit dem Frecker Kreis, der Michaelsbruderschaft und neuen Formen des Gottesdienstes, der Seelsorge mit Hausbesuchen, zum Beispiel bei den Konfirmandeneltern betreten hatte. Gelegentlich fanden kulturelle Veranstaltungen statt, wie etwa eine GerhardHauptmann-Gedenkfeier in der Obervorstädter Kirche im einzig verbliebenen Versammlungsraum außerhalb der Schwarzen Kirche. Wöchentlich gab es montagabends einen Evangelisationsabend. Die Obervorstädter Kirche war immer voll. Kuno Galter hielt einen „sehr gediegenen und eindrucksvollen Vortrag“ zum Thema „Hilft beten?“, Dr. Jekelius aus Hermannstadt sprach über die ökumenische Frage. Ferner waren Gerhard Schaser und Albert Klein eingeladen. Trotz des eingeschränkten Platzes ging es im Pfarrhaus lebhaft zu. Dora Möckel hatte immer wieder viele Gäste, auch Schlafgäste, die zu versorgen waren. Das Pfarrhaus war äußerer Mittelpunkt des Lebens, das sich in der Honterusgemeinde abspielte. Als Prüfer im Rahmen der Anstellungsprüfungen 29 Nachdem Dr. Friedrich Müller Bischof geworden und dementsprechend die Hermannstädter Stadtpfarrerstelle neu zu besetzen war, erhielt Konrad Möckel von verschiedenen Seiten die Aufforderung, sich um die Stelle zu bewerben. Konrad Möckel wollte jedoch nicht aus seiner Arbeit in Kronstadt herausgerissen werden. Anders war es mit der Aufforderung der Kirchenleitung, an der Universität in Klausenburg als Dozent bei der Ausbildung des theologischen Nachwuchses mitzuarbeiten. Hier verweigerten allem Anschein nach die staatlichen Behörden die Zustimmung.

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für den Pfarrdienst kam Konrad Möckel gelegentlich nach Hermannstadt. Es fanden kulturelle Veranstaltungen statt, wie eine Beethoven-Abend oder ein Balladenabend mit Liedern von Karl Loewe. Konrad Möckel suchte unter den erschwerten Bedingungen der Kriegs- und der Nachkriegszeit einzelnen Gruppen innerhalb der Honterusgemeinde mit besonderen Veranstaltungen entgegenzukommen. Nach 1945 kamen ungesucht andere, neue Aufgaben hinzu. Nach der Deportation der arbeitsfähigen Frauen und Männer am 11. Januar 1945 lebten in Kronstadt Hunderte von Kriegswaisen. Die Väter waren entweder zwangsdeportiert oder in Gefangenschaft oder nach der Entlassung als ehemalige Soldaten der Waffen-SS in Deutschland geblieben. Die arbeitsfähigen Mütter arbeiteten in der Ukraine in Kohlebergwerken oder auf Staatsgütern (Sowchosen). Nach der Enteignung der sächsischen Landwirte suchten junge Menschen in den Städten Arbeit. Kronstadt war und ist eine Industriestadt. Sollte es nicht möglich sein, die von den Nationalsozialisten verbotenen, kirchennahen Bruder- und Schwesterschaften, welche sich jahrhundertelang bewährt hatten, wieder aufleben zu lassen? Vielleicht ließen sich sogar in den Städten Nachbarschaften bilden, wie sie sich auf dem Lande bei Krankheiten, Begräbnissen, Familienfesten, beim Hausbau und bei Gemeindearbeiten bewährt hatten? Er führte mit den Pfarrern des Burzenlandes, aber auch mit Persönlichkeiten in Kronstadt darüber Gespräche. Die Initiative ging nicht von ihm allein aus. Der Gedanke der genossenschaftlichen Selbsthilfe war jahrhundertealt, und es lag geradezu in der Luft, ihn wiederzubeleben. Wer außer der Ev. Kirche A. B. hätte das tun können? Im Oktober 1946 erschien plötzlich die „Fortschrittsjugend“ (tineretul progresist) beim Stadtpfarrer, um sich in Gebäuden der Kirche einzuquartieren. Sie hatte bereits das sogenannte Richterische Haus in der Waisenhausgasse, Eigentum der Kirchengemeinde, und einen großen Teil der Volksschule neben dem Katharinentor in Besitz genommen, und erklärte mit einem Schein in der Hand, das ganze Waisenhaus für beschlagnahmt. Die Waisenkinder sollten dafür in die Volksschule umziehen, die fünf oder sechs Privathaushalte, die während des Krieges Zuflucht im Waisenhausgebäude gefunden hatten, sollten sehen, wo sie blieben. Die Jugendorganisation legte Hand an das Gebäude, drängte und drohte. Die Honterusgemeinde konnte nirgends Hilfe finden. Erst nach zähen Verhandlungen konnte das Waisenhaus an Ort und Stelle bleiben, aber einige Privatleute mussten ihre Wohnungen räumen, und manches blieb einfach ungeklärt. Der Zeichensaal der Volksschule sollte Kindergarten werden, die Kanzlei des Direktors ein Klassenzimmer, eine andere kirchliche Wohnung Notquartier für die Evakuierten. Die Wohnungsnot in Kronstadt war groß. Viele Leute hatten keine Wohnungen, sondern lediglich Schlafstellen.  Jahrelang lebten sie in überbelegten Häusern und Wohnungen, trennten sich in großen Zimmern mit Schränken eigene, kleine Räume ab und teilten sich zu mehreren den Herd in der Küche. Um jeden Raum musste gerungen werden. Die Kirchengemeinde widmete einige Zimmer des Stadtpfarrhauses

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für den Schulunterricht um. Kirchenmusikdirektor Viktor Bickerich bot seit 1946 wieder Kirchenkonzerte an. Er habe „bloß einen Kotter in unserer Taxenamtkanzlei, eine Schlafstelle die mit ein paar Brettern von dem übrigen Büro abgetrennt ist“.30 Der Versuch der Parteijugend, sich das Waisenhaus anzueignen, erregte die ganze Stadt, schrieb Konrad Möckel, „nicht nur diejenigen unseres Glaubens“. Vertreter verschiedener Konfessionen Kronstadts unterzeichneten eine Petition an den König – eine ökumenische, politische Aktion. Die Schwesterkirchen setzten sich für die Honterusgemeinde ein, aber niemand in einer politisch verantwortlichen Stellung.31 Später, als die kommunistische Partei das Heft allein in der Hand hatte, waren vergleichbare gemeinsame Schritte der Konfessionen nicht mehr möglich. Die Ernährungslage war in den ersten Jahren nach dem Krieg schwierig. Der sächsischen Bevölkerung auf den Dörfern war die Grundlage, ihr Bodenbesitz, weggebrochen. Noch jahrelang mussten Lebensmittelkarten ausgegeben werden. Es gab Willkürmaßnahmen, an denen sich besonders die „Garda tineretului“ (Garde der Jugend) beteiligte. Sie machte sich nicht nur bei der sächsischen Bevölkerung Kronstadts durch ein herausforderndes Verhalten bemerkbar. Außerdem zwang die Stadtverwaltung Hunderte sächsischer Ruheständler, die Stadt zu verlassen und sich auf dem Lande Wohnungen zu suchen. Der Schwerpunkt Konrad Möckels blieb in all den Turbulenzen die kirchliche Gemeindearbeit, besonders die Pflege der Gottesdienste. Darüber geben die Berichte an die Michaelsbruderschaft Auskunft. Auflösung des siebenbürgischen Konvents der Michaelsbruderschaft Nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Rumänien schrieb Konrad Möckel noch drei Berichte (1946, 1947 und 1948) an Walther Stökl. Die Kirchlichen Blätter berichteten 1946 von evangelischen Kirchen in Europa und übernahmen sogar eine Bestandsaufnahme der Michaelsbruderschaft nach dem Krieg.32 Die evangelische Kirche hatte allen Anlass, sich auf die eigene Aufgabe zu besinnen; denn eben noch von der nationalsozialistischen Volksgruppenführung bedrängt und verdrängt, war sie mit einem Male wieder die einzige Zufluchtsstätte für evangelische deutschsprachige Gemeindmitglieder, denen besonders auf dem Lande eine bis dahin nie gekannte Auflösung und Zerstreuung drohte. Konrad Möckel erlebte 1946 die neue Situation, als er ein Versprechen wahrmachte und für vier Tage nach Wolkendorf zog. Er hielt am Samstag das Abendgebet und feierte am Sonntag die Messe und den Hauptgottesdienst mit der Gemeinde. Sie war nur schwer zu sammeln. Alle, die arbeitsfähig waren, suchten im 30

Kotter = Verschlag, ursprünglich armseliges, schlechtes Haus (Kate), hier Rumpelkammer, nur für Tierhaltung geeignet. 31 KM an Gerhard Möckel am 4. November 1946. Nachlass KM, Leitzordner I. 32 „Evangelische Michaelsbruderschaft“ von W. St. (vermutlich Wilhelm Stählin). Kirchliche Blätter 27 (1946), S. 193.

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Tagelohn – z. B. als Erdarbeiter bei der Firma Gazmetan – sich das Brot zu verdienen. Die Gemeinde blieb zwar beisammen und wahrte das kirchliche Leben. Aber Konrad Möckel fragte sich, wohin das führen werde. „Gott wird weiterhelfen und uns die Wege weisen, die wir gehen müssen.“33

Die Kirche verzehrte sich, wie in den 1920er Jahren, in der Erhaltung der Schulen, musste jetzt aber auch Waisen und Arme der Gemeinde versorgen. Konrad Möckel intensivierte die Gemeindearbeit im Sinne des begonnenen, geistlichen Weges. Als im letzten Kriegsjahr in Rumänien die Bombardierungen rumänischer Städte begonnen hatten, verlegte er die Messe anstelle der Wochenschlussvesper auf Samstagabend. Freitags kam während des Krieges die evangelische Gemeinschaft zu einer Gebetsstunde zusammen. An den anderen Wochentagen feierte er täglich das Abendgebet am Altar in der Schwarzen Kirche und belud sich in dieser Zeit geradezu mit Diensten. Er hielt eine groß ausgebaute Bibelstunde über das Buch des Deuterojesaia, Vorträge für Männer und eine Männerbibelstunde, Jugendstunden und Jugendgottesdienste, geistliche Übungen, die zum Türhüterdienst und zur Übernahme der Verpflichtung im Sinne des Berneuchener Dienstes führten. Eine große Vortragsreihe widmete er im Rahmen der Abendgebete dem Gebet der Kirche. Er hielt Religionsstunden und Konfirmandenunterricht und arbeitete bei den apologetischen Kursen mit, die Altbischof Glondys am Herzen lagen. Er hielt Vorträge auf einer Rüstzeit für Hermannstädter Lehrer und Pfarrer im Heltauer Schulungsheim: „Es war für mich nur so möglich, diese Zeit ohne Schaden an meiner Seele zu überstehen, wenn ich mich randvoll mit geistlicher Arbeit belud.“34

Die Bruderschaft und ihre geistliche Ordnung waren wiederum eine Vorbedingung dafür, dass er die Fülle der Aufgaben übernehmen konnte. Während er in einem der Berichte aus den Vorjahren festgestellt hatte, dass die Gebete ihm je länger je mehr nicht leichter, sondern schwerer geworden seien, konnte er jetzt berichten, dass sein Gebetsleben gewachsen war, besonders auch bei den großen, immer wiederkehrenden Gebeten. Seine innere Freiheit, sich der Gegenwart Gottes hinzugeben, sei größer geworden. Die schöne Form des Abendgebetes in der Schwarzen Kirche sprach ihn an. Er ging abgehetzt und traurig hin und kam gestärkt und getröstet davon zurück. Auch die kurzen Ansprachen, die er jedesmal hielt, fielen ihm leichter: „‚Es predigt‘ sich von selber!“, was jedoch, wie er bemerkte, nicht für die Predigt vor der großen Gemeinde galt. Die schönste geistige Erfahrung war ihm die Messe am Sonntagmorgen. Er erkannte immer neue Einzelheiten in ihrer sinnvollen Bedeutsamkeit. Die „Realpräsenz unseres Herrn im Sakrament“, wie Martin Luther lehre, bestätigte er als wahr. Sie

33 Brief KM an Gerhard Möckel vom 23. September 1946. Nachlass KM, Briefe KM an GM 1946-1947. Leitzordner 1. 34 Rechenschaftsbericht 1943-1946. Im Original steht: „... wenn ich mich nicht randvoll mit geistlicher Arbeit belud.“

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könne durch keine Theologie erfahren werden, nur in der „Hingabe des Herzens an den Gebetsweg der Feier des Heiligen Mahles“. Der Dichter Erwin Wittstock beschrieb in einem nachgelassenen Roman eine Morgenmesse in der Schwarzen Kirche.35 Wittstock fing die eigentümliche Spannung zwischen der riesigen Kirche und der kleinen Gemeinde im Chor, zwischen der Formenstrenge des Gottesdienstes und der Ungezwungenheit der Teilnehmer, zwischen dem Grau der alltäglichen Arbeitszeit und dem Glanz der kurzen Feierstunde, zwischen Verlorenheit in der Diaspora und Geborgenheit in der großen Schwarzen Kirche treffend ein. Ein Icherzähler, Soldat und Heimkehrer, berichtet: „Der jetzt noch im Dämmerlicht ruhende, bloß von dem Leuchter der Chordecke und den Altarkerzen erhellte Raum, groß genug, um an hohen Feiertagen vielleicht dreitausend Menschen aufzunehmen, war mit Maß und Gliederung, mit seinen Pfeilern, Deckengewölben, Gängen, Fenstern und Emporen im kaum durchdringbaren Schatten wie verloren, und wo durch die schmalen, ... hochaufschwingenden Fenster der Morgen doch hereinfiel, klirrte die lockere Scheibe in der Bleieinfassung in kühlem Beben, und die Kanten waren winterlich kahl, die Vorsprünge wie Blöcke von gemasertem, dunklem Flußstein und die Bogen zur Höhe entrückt, weil Ansehen und Bedeutung der Formen nur wie aus dem Hintergrund hervortraten. Doktor Möferdt pflegte schon seit zwölf Jahren die Morgenandacht am Werktag in Form einer Messe im Chor oder in der Sakristei der Kirche abzuhalten, und die Menschen, die sich hier nun einfanden und im Chorgestühl und auf den Bänken Platz nahmen, etwa zwei Dutzend an der Zahl und in der Mehrheit Frauen, wirkten in ihrem stillen Gehaben, mit ihrem schweigenden Nicken, stummen Niedersetzen und Warten, während ich selbst mich wegen meiner Stöcke und meiner Uniform gleichsam als Störung empfand, auf meine Sinne wie eine Versammlung trauernder Angehöriger, die in einer städtischen Friedhofskapelle vor dem Sarge ihres Toten den Pfarrer erwarten, damit er die Leichenrede halte. Die gewaltige Leere im Hauptschiff, in den Seitenschiffen und auf den Emporen und die kleine Gemeinde der Gläubigen stimmte mich deshalb so traurig, daß mir das Ungewöhnliche, zu dieser Tageszeit am Werktag in der Kirche zu sein, ungefähr wie eine schwankende Brücke vorkam, die zu einem feierlich traurigen Gefilde hinüber führte, dessen erhabene Schwermut etwa wie auf Böcklins ‚Toteninsel‘ auch in sichtbarer Erscheinung vor mir stand. Die Amtstracht der evangelischen Pfarrer in Siebenbürgen besteht aus einem schwarzen, enganliegenden Mantel, der von einem zweiten, ebenso langen, ärmellosen, ringsherum gefalteten, weiten Überwurf, dem vorne offenbleibenden ‚krausen Rock“‚ in der Art überdeckt wird, daß die Reihe der Silberspangen, die auf der Brust vom Kragen bis zum Samtgürtel reichen, sichtbar ist. Das Anziehende, das der Anblick der funkelnden Metallschließen für mich zur Zeit meiner Kindheit gehabt hatte, mochte auf meine Lektüre der Heldensagen und Ritterdichtungen zurückzuführen gewesen sein und den Eindruck in mir zu dauerndem Nachwirken gebracht haben, daß die wehrhaft geschlossene Brust auch ein wehrhaftes, tapferes Herz bergen müsse. Auch 35 Erwin Wittstock (1899-1962). Nachgelassener Roman „Geist und Erde“, der Pfarrer heißt im Roman Dr. Möferdt. Die Szene passt in die Zeit der 1950er Jahre.

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in diesem Augenblick, als die aufrechte Erscheinung Stadtpfarrer Möferdts beim Portal sichtbar wurde, blinkte der helle Streif seines Ornates im Dunkel unter der Empore herauf und erfreute mich als Zeichen eines guten, stetigen Fortbewegens, denn es gefiel mir, daß Herr Doktor Möferdt nicht in vorbedachter Gemessenheit, sondern in zügiger Bewegung herankam. Wie ein Mensch, der den Tag mit frischer Stirn beginnen will und dessen Zeit kostbar ist, der aber doch nicht erzwungener Eile nachgeben wird, verriet sein Gang eine eigene, persönliche, Rührigkeit, die wieder auf Stil oder inneren Gehalt der Würde wie auf ein frei waltendes Gesetz hinwies, das in der geschlossenen Natur des Ureigenen wie von selbst vorhanden und wirksam war. Haltung und Ungezwungenheit waren also die ersten wahrnehmbaren Merkmale des Mannes, den die kleine Gemeinde erwartete, und als er jetzt vor uns stand und zunächst über den Verlauf der Andacht und des anschließenden Abendmahls wie ein Mensch, der sich in seiner Stube wohl fühlt und seine Gäste an ihrer Wohnlichkeit gerne teilhaben läßt, einige ordnende Worte sagte, ging von der Natürlichkeit seines Wesens und dem Zusammenklang von Gestalt und Stimme eine erquickende Lebenswärme aus, und die metallenen Spangen rückten mir die hohe Stirn, den hellen Blick und die wohlgebaute, scharfgeschnittene Nase, abweichend vom bevorzugten Vorstellungsfeld meiner Kindheit, in eine nähere Vergangenheit hinein, zu den Bildern, zu den Gesichtern und Gestalten aus der Zeit der deutschen Freiheitskriege. Ich hatte an einer evangelischen Messe noch niemals teilgenommen, und da unser ans Herkömmliche gewöhnte Volk bei gemeinsamem Lied, Wechselgesang und Liturgie bestimmte Arten oder Formen der Melodie im Ohre hat, von denen abzuweichen und Neues hinzuzulernen es wenig geübt ist, mutete auch mich Ordnung und Ton der Andacht fremd, das heißt unvertraut an. Doch noch bevor ich mir sagte, daß bloß die entsprechende Übung bei fünf oder zehn Frühkirchen nötig sein würde, das Unvertraute ins Vertraute zu kehren und die zweifellos vorhandene Schönheit und Tiefe des Neuen zu verstehen, führte mich die Rede, mit der Herr Doktor Möferdt auf den Sinn des Abendmahls hinwies, gleichsam mittelbar über die „Anfangsschwierigkeiten“ des Verständnisses hinweg. Was mir neu erschienen war, war ohnehin in Wahrheit vielleicht nur am Alter von „Ein feste Burg ist unser Gott“ zu messen, und daß die eigenartige Gestaltung der Melodie von den verbreiteten, gut sangbaren Liedern unseres Gesangbuches mit einigem Anspruch abwich, war darum noch kein Abweichen von den volkstümlichen Seelenkräften, deren künstlerischen Ausdruck sie darstellten, sondern gerade ihre bewußte Entfaltung in der Wiederbelebung eines ehrwürdigen Erbes frommer Meister des Reformationszeitalters. Mit einer Stärke und Tiefe wie vielleicht nur selten an früheren Gottesdiensten senkte sich jene in Worte nicht faßbare Sehnsucht über mich, die dem Ringen des Lebens zwischen Geburt und Tod die höhere Weihe gibt und zwischen Vergänglichem und Dauerndem in beseligter Scheu der Stimme der Gottesgewißheit entgegen lauscht. Soweit ich davon weiß, predigte Möferdt damals durchschnittlich sieben Mal in der Woche, hielt Vortragsreihen über theologische Gegenstände für jedermann oder für Theologiestudierende und Kollegen, hielt Konfirmationsunterricht mit der Jugend und Einzelgängern, die entfernt wohnten oder sich von ihm als Erwachsene konfirmieren ließen, widmete die Vormittage gewöhnlich den sonstigen Obliegenheiten, die mit Seelsorge und Pfarramtskanzlei zusammenhingen. So bestand der

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hauptsächliche und wichtigste Teil seiner Dienstleistung, Taufen, Trauungen und Begräbnisse mit eingeschlossen, in Lehre und Rede, und da er im zeitlosen Gewande für die Zeit sprach, hatten alle seine Reden das Doppelbödige des Kunstwerks. Täglich holte er die Perle des ewigen Gehaltes durch die Wogen der brandenden Zeit ans Licht, doch die hierfür notwendigen Voraussetzungen – Treue, Tiefe, Mut und Meisterschaft – konnte jener, der in der Ferne wohnend die Eigenart der Küste nicht kannte, in ihrem ganzen Umfang nicht ermessen. Ich kann die Wandlung nicht beschreiben, die sich beim ersten, leuchtenden Strahl vollzog, der mir ins Herz fuhr, und darin bestand, daß die kalte Friedhofskapelle die wahre Gestalt der schönen mächtigen Halle wieder annahm, wie sie unsere Vorstellung mit der Schwarzen Kirche verbindet, und vor meinen Augen zur schützenden Burg wurde, in der die Getreuen alle Versöhnung, Vergebung, Einigkeit, Geduld und Liebe, die die Welt brauchte, wie einen unverlierbaren und dennoch täglich neu umstrittenen Hort hüteten. Zu uns sprach ein Erfüllter. Er eiferte nicht. Sein Denken war dem Glauben und den Gläubigen zugewandt, während es alle anderen, die nicht zu ihnen gehörten, im Vorstellungskreis seiner Rede nur in der Form der Gleichgültigen oder Schwankenden zu geben schien, die man gelegentlich freundlich ermahnen oder ihnen an den großen Besinnungstagen des Kirchenjahres ins Gewissen reden und sie mit dem Ruf zur Sammlung wachrütteln mußte.“

Konrad Möckel fragte sich in einem seiner Berichte an Walther Stökl, ob er als Konventsältester seine Schuldigkeit in den turbulenten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg getan habe.36 Die Aufgabe, sich um die Brüder des Konventes zu kümmern, war durch die äußeren Umstände ungeheuer erschwert. Jede Familie, jedes Haus musste um das tägliche Brot kämpfen. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren unzureichend. Wie aufeinanderfolgende Wellen eines Erdbebens erschütterten politisch-soziale Umwälzungen das Land, und besonders die sächsischen Gemeinden. Der Konvent Siebenbürgen der Evangelischen Michaelsbruderschaft löste sich 1947 auf. Die neuen, kommunistischen Machthaber witterten überall Gefahren. Alle kirchlichen Denominationen mussten sich auf reine gottesdienstliche Handlungen beschränken. Sogar der Konfirmandenunterricht war zeitweilig verboten. Die Konfessionen, die untereinander in gutem Einvernehmen standen, durften sich nicht zu Beratungen treffen. Ab und an brachten die Kirchlichen Blätter Nachrichten aus den Schwesterkirchen. Konrad Möckel deutete all das in den Briefen aus dieser Zeit nur an. Er erkannte, wie professionell der Zugriff des Kommunismus war. Immer enger zogen die Behörden den Rahmen für alle, die in die Öffentlichkeit hineinwirkten und im weitesten Sinne aus der „bürgerlichen Zeit“ stammten.37 Die Nazis in Rumänien waren dagegen, so schien es ihm, geradezu „Waisenkinder“.

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Nachlass KM, Archivkarton 11, Rechenschaftsbericht 1943-1946. Leider waren die vor der Verhaftung des Kronstädter Stadtpfarrers über ihn angerfertigten Akten der Securitate, als ich in der CNSAS (die der Gauck-Behörde in Deutschland entspricht) recherchieren durfte, noch nicht zugänglich. Die CNSAS erhielt vom bestehenden Geheimdienst 37

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Ein Weg in die Zukunft Als man wieder Briefe ins Ausland schreiben und von dort empfangen durfte, war es etwas Besonderes, als Konrad Möckel 1946 zum ersten Mal von Herbert Krimm aus Stuttgart und von Karl Bernhard Ritter aus Marburg Post erhielt.38 Die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg war auch eine schwere Niederlage der Kirchen in Deutschland. Sie mussten sich der Frage stellen, ob sie nicht mehr Widerstand gegen das verhängnisvolle Naziregime hätten leisten müssen. Das war eine Frage, die Gerhard Möckel beschäftigte, der zur Freude der Eltern mit dem Theologiestudium begonnen hatte. Er war wegen einer Verwundung aus englischer Kriegsgefangenschaft bald entlassen worden und von Familie Gottfried Michaelis, Studienrat in Bethel bei Bielefeld, aufgenommen worden. Gottfried Michaelis war vor seinem Einsatz im Krieg gegen die Sowjetunion als junger Offizier in Kronstadt bei Familie Möckel zu Besuch gewesen. Gerhard, damals noch Gymnasiast, hatte zu dem einige Jahre älteren Gottfried Michaelis Zutrauen gefasst und auf Spaziergängen unter der Zinne intensive Gespräche mit ihm geführt. Konrad Möckel berichtete dem Sohn vom Leben in der Honterusgemeinde und ließ sich von ihm aus dem Leben der evangelischen Kirche in Deutschland berichten. Der Konfirmandenunterricht verlief in einer „ganz anderen Stimmung als in der Nazizeit!“ Er habe bei 60 Buben das ganze Jahr über mit Disziplin nichts zu tun gehabt. Es vergehe kaum eine Stunde, nach der ihn nicht ein Haufen Buben umringe, um noch dies und das zu fragen. „So geschehen anno 46! Du wirst also verstehen, dass ich mich zu weitern Wegen mit dieser Jugend ermutigt gefühlt habe. Nun ist es freilich so, dass in die Jugendstunde am Freitag sehr viel mehr Mädchen als Buben kommen. Es kommen aber auch die letztern. Wir singen dann dort unter Leitung von Frau Prof. Fleischer, die ganz prächtig in unsere geistliche Arbeit hineingewachsen ist, und sprechen über ‚Freude‘, ‚Ehre‘, ‚Wahrheit‘ und was dergleichen Themen mehr solch ein junges Gemüt beschäftigen.“39

Er fand auch persönlich in der Honterusgemeinde Anerkennung. Sosehr wie heuer sei sein Geburtstag noch kaum jemals zur Kenntnis genommen worden. Er habe zwei Ständchen, Blumen, Bäckereien, Briefe und viele, viele freundliche Worte erhalten.40 Er habe einen „sehr kühnen Vorstoß gemacht“ und halte wöchentlich vor dem Altar der Schwarzen Kirche eine Morgenfeier für die Jugend. Da sei der Kreis sehr viel kleiner – zum letzten Mal nur ein Bub und 8-10 Mädchen, während es Freitag meist 20-30 Jugendliche seien. Immerhin sei es ein Anfang und vielleicht werde doch auch noch mehr daraus. Ebenfalls etwas „Kühnes“, in Anführungszeichen gesetzt, sah er

nur die Prozessakten, nicht die Akten der Beobachtungen seit 1944 oder vorher. Inzwischen sind sie freigegeben. 38 Brief KM an Gerhard Möckel vom 23. September 1946. Nachlass KM Leitzordner I. 39 Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I. 40 Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I.

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darin, dass er mit Stadtpfarrer Wagner „des langen und breiten das Michaelsfest der Bruderschaft durchberaten“ habe: „Zwei Jahre lang war gar nicht daran zu denken. Nun haben wir wenigstens den Mut zum Planen gefasst.“41

Das Michaelsfest fand in den ersten Septembertagen in Schäßburg mit 19 Brüdern an vier Tagen statt.42 Es war das letzte Michaelsfest, das der Konvent feiern konnte. In den letzten Kriegsmonaten und sogar noch nach dem 9. Mai 1945 kämpften in den Karpaten gegen den Kommunismus bewaffnete „Legionäre“, wie die Mitglieder der faschistischen Partei Rumäniens hießen. Sie beriefen sich auf den heiligen Michael, was bei den rumänischen Sicherheitsbehörden zu falschen Vorstellungen von der Evangelischen Michaelsbruderschaft führte. Später, in den Verhören während der Haft, interessierte sich die Securitate für die Michaelsbruderschaft. Sie konnte sie nicht richtig einordnen. Konrad Möckel war später froh, dass kein anderen Michaelsbruder wegen ihm ins Gefängnis gekommen war. Wenn Konrad Möckel die Planung für ein Michaelsfest für ein kühnes Unternehmen hielt, so hatte das damals jedoch nichts mit der Sorge vor einer Verwechslung der Michaelsbruderschaft mit den rumänischen Legionären zu tun. Kühn war das Unternehmen, wegen der schlechten Ernährungslage, der schwierigen Verkehrsverhältnisse, der Niedergeschlagenheit nach den Deportationen und Enteignungen und schließlich wegen des gesunkenen Lebensmutes der sächsischen Bevölkerung. Die Mitteilungen vom Studium des Sohnes las er mit großer Aufmerksamkeit. Er wusste, wie entscheidend im Studium die Hochschullehrer waren und empfahl ihm, guten Kontakt mit seinen Freunden aus der Michaelsbruderschaft zu halten. Gerhard Möckel war mit drei Freunden zum deutschen Militär gegangen und gemeinsam mit diesen im April 1944 in Westfalen eingesetzt worden. Die drei Freunde fielen im Nahkampf. Er selbst erhielt einen Armdurchschuss. Davon schrieb er in einem der ersten Briefe und bat den Vater, den Brief an die Eltern weiterzugeben. Die Kopien habe er selbst gemacht, antwortete der Vater. Es sei ihm innerlich unmöglich gewesen, „diese Arbeit an einen andern Menschen abzugeben“.43 „Mutter und ich haben mit tiefster Gemütsbewegung Deinen Bericht gelesen. Was da drin steht, ist zu groß, als dass wir es heute schon in Worte fassen könnten. Wie verpflichtet uns diese Deine Bewahrung unserm großen Gott gegenüber! In mir ist eine staunende Dankbarkeit über die Wege, die Du bisher geführt worden bist. Ich kann sie letzten Endes nur als eine große Gebetserhörung verstehen; denn unsere Gebete sind in großer Dichte und Fülle um Dich gewesen. Mag dabei der Unglaube auch tausendmal sagen, daß doch auch Menschen bewahrt bleiben, denen kein Gebet zu Teil wird!“44 41 42 43 44

Ebda. Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Brief KM an Gerhard Möckel vom 23. September 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Brief KM an Gerhard Möckel vom 1. August 1946. Nachlass KM Leitzordner I.

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Auf dem Lande sei die Lage so schwer, wie wohl noch nie seit der Reformation. Die harte Erprobung sei noch nicht am Ende. Er sei jedoch überzeugt, „dass wir durchkommen und in irgendeiner Form zu einer neuen sinnvollen Zukunft kommen werden“. Das sei nicht nur seine eigene Meinung, sondern einer ganzen Schicht verantwortlicher Menschen. Die Jungen – und nun schon gar, die den geistlichen Berufsweg gingen – sollten sich durchaus darauf einstellen, „morgen an der Stelle zu stehen, an der wir Alten heute sind“. Dieses „morgen“ werde allerdings von Gott bestimmt. Derzeit heiße es geduldig auf den Tag des Wiedersehens zu warten. Ihn beunruhigte auch, dass unter den aus Siebenbürgen stammenden Siebenbürger Sachsen in Deutschland „über angebliche Spaltungen“ innerhalb der evangelischen Kirche Gerüchte umliefen. Es käme der Wirklichkeit sehr viel näher zu sagen, man sei sich noch nicht ganz einig. Es gäbe natürlich immer noch eine kleine Schicht, die im Wolkenkuckucksheim eines völlig gescheiterten Idealismus wohne. Dazu werde es immer unter den Sachsen Glücksritter und Desperados geben. Aber es sei erstaunlich, daß von all dem in Siebenbürgen nicht mehr vorhanden sei; denn in einer so schweren Lage wie jetzt seien die Sachsen seit dem Mongolensturm nicht mehr gewesen. Trotzdem setzte er dazu: „Wir glauben fest an unsere Zukunft. Dies allerdings nur unter dem Gesichtspunkt, den ich am letzten Donnerstag (31. Okt.) in der großen Reformationspredigt geltend gemacht habe: Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!“ (Jes. 7,9)45

Er war davon durchdrungen, dass „wir“, die Siebenbürger Sachsen, wo auch immer sie lebten, fest und treu zur Heimat und ihrem Leben stehen und gehorsam auf den Dienst warten sollten, „zu dem der Herr aller Völker unser kleines Völkchen rufen will“. Es schienen ihm viele Zeichen darauf zu deuten, „dass ER uns noch eine Sendung geben will, und zwar an der Stätte unserer Väter“. Darauf schloss er gerade auch aus der großen Aufgeschlossenheit vieler Menschen für das Evangelium. Er interessierte sich für die Stuttgarter Erklärung vom 19. Oktober 1945. Sie war eine Grußbotschaft an den Ökumenischen Rat der Kirchen.46 Ihre Veröffentlichung löste in Deutschland eine heftig geführte Auseinandersetzung zur Schuldfrage aus. Die evangelischen Kirchenmänner hatten in Stuttgart den Weg zu einem Gespräch mit 45

Brief KM an Gerhard Möckel vom 4. November 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Darin hieß es: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Die Erklärung schloss mit den Worten: „So bitten wir in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni, creator spiritus!“ Unterzeichner waren: Theophil Wurm, Hans Christian Asmussen, Hans Meiser, Heinrich Held, Hans Lilje, Hugo Hahn, Wilhelm Niesel, Rudolf Smend, Gustav Heinemann, Otto Dibelius, Martin Niemöller. 46

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den in der Ökumene vereinigten Kirchen öffnen wollen. Der Erklärung waren innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland und mit der Ökumene viele einzelne Gespräche vorausgegangen. Die deutsche Bevölkerung stand unter dem Eindruck der durch Bomben völlig zerstörten Städte, der Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien. Die Gräuel der Kriegsverbrechen und der Konzentrationslager sollten alleinige Sache der politischen Führer gewesen sein. Die Schulderklärung der evangelischen Kirche schien vielen wie Landesverrat. Auch bei vielen evangelischen Christen in Deutschland stieß sie auf Unverständnis. Sie werde den Siegermächten, so fürchteten viele, zur Begründung von harten Vergeltungsmaßnahmen dienen.47 Diese Auseinandersetzung erreichte auch Konrad Möckel. Er hatte die Stuttgarter Erklärung vom 19. Oktober 1945 von einem Heimkehrer und außerdem den „großen Aufsatz von Asmussen“ erhalten. Asmussens Interpretation der Erklärung überzeugte ihn davon, dass die Männer der Kirche richtig gehandelt hatten. Er war lange Zeit gegenteiliger Meinung gewesen.48 Konrad Möckel schreibt nicht, welches seine Überlegungen vorher gewesen waren und welcher Gedankengang ihn überzeugt hatte. Während des Kirchenkampfes unterstützte Asmussen als Lutheraner, was nicht selbstverständlich war, die Bekennende Kirche in einer von Karl Barth und Eduard Thurneisen herausgegebenen Reihe „Theologische Existenz heute“. Asmussen verteidigte die Stuttgarter Erklärung, weil hier die Priester es gewagt hatten in der Öffentlichkeit für die Schuld des Volkes einzutreten und sich dafür angreifen zu lassen. Sie bekannten stellvertretend die Schuld der Volksgenossen, ohne Rücksicht darauf, ob ihr Bekenntnis missbraucht werden könne oder nicht. Sie bekannten ihre Schuld nicht vor Menschen, sondern vor Gott und verzichteten auf jede Aufrechnung der Schuld. Sie gaben dadurch allen anderen die Möglichkeit, ihre Schuld ebenfalls zu bekennen und warben für eine Einstellung, die nichts von den Mächtigen erwartete, sondern alles von Gott. Daraus erwachse ihnen, so Asmussen, im Volk die Fähigkeit „für sein Recht einzutreten“. Asmussen verstand die Katastrophe des Kriegsendes nicht als Strafe, sondern als Heimsuchung Gottes.49 Brigitte Csaki, die während des Krieges Vikarin in Kronstadt gewesen war und das Ende des Krieges in Wankheim bei Tübingen erlebt hatte, schickte Konrad Möckel eine Schrift von Hermann Diem „Restauration oder Neuanfang in der ev. Kirche?“.50 47 Gerhard Besier und Gerhard Sauter: Wie Christen ihre Schuld bekennen. Die Stuttgarter Erklärung 1945. Göttingen 1985. 48 Brief KM an Gerhard Möckel vom 4. November 1946. Nachlass KM Leitzordner I. Mit dem Handeln der Kirchenmänner war das in der Öffentlichkeit umstrittene Stuttgarter Schuldbekenntnis gemeint. 49 Martin Greschat: Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen der Nachkriegszeit. Stuttgart 2002, S. 151. 50 Hermann Diem (1900-1975) vertrat seit 1936 als Vorsitzender der Kirchlich-theologischen Sozietät den entschiedenen Flügel der Bekennenden Kirche innerhalb der württembergischen

Ende und Anfang

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Brigitte Csaki war ein Mitglied der Bekennenden Kirche und stand der Sozietät nahe, einem Widerstandskreis innerhalb der Württembergischen Kirche. Konrad Möckel fand in der Broschüre viel Gutes, stellte jedoch einen fremder Geist und ein ungeistliches, kirchenfremdes, ideologisches Denken in Glaubensfragen fest. Es schien ihm ein „halb-politisches Denken, das zum wenigsten gründlich unlutherisch“ sei.51 Gerhard Möckel, der wenige Jahre später bei Karl Barth in Basel studierte, verstand und verteidigte die Entschiedenheit der Bekennenden Kirche in politischen Fragen. Es ging nicht darum, Politik zu machen, wohl aber zur Politik öffentlich Stellung zu beziehen. Hier lag auch der Grund, weswegen er sich nicht an die Evangelische Michaelsbruderschaft hielt, wie ihm sein Vater empfohlen hatte. Die Berufung auf Luthers Lehre von den zwei Reichen, dem geistlichen und dem weltlichen, hatte während des Krieges auch schon Hans Bernd von Haeften gegenüber der Michaelsbruderschaft kritisiert. Nach dem Krieg war es noch klarer, dass die Lehre von den zwei Schwertern viele Lutheraner verleitet hatte, das vom Staat begangene Unrecht hinzunehmen. Sie hatten das Unrecht missbilligt, aber nicht offen dagegen protestiert. Es war Christen nicht möglich, politische Fragen ganz auszuklammern. Das galt auch für das kommunistische Rumänien, obgleich sich der kommunistische Staat Kritik verbat. Bischof Friedrich Müller hatte gemahnt, ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit zu führen. Selbst das konnte in der Diktatur zu Konflikten führen. Der kommunistische Staat forderte von den Bürgern Lippenbekenntnisse zum sozialistischen Fortschritt. Wenn sich gesellschaftliches Leben ohne ihn entfaltete und er es nicht kontrollieren konnte, hielt er das schon für gefährlich und witterte Hochverrat.

Landeskirche. Er predigte 1937 gegen die Vereidigung der Religionslehrer auf Hitler; lehnte es ab, für die außenpolitischen „Erfolge“ Hitlers im Gottesdienst zu danken; verweigerte 1938 den Eid auf Hitler, den die Kirchenleitung den Pfarrern vorschrieb. Mit ihm gaben dazu 50 Mitglieder der Kirchlich-theologischen Sozietät im Gottesdienst eine Erklärung ab. Er versteckte bedrohte Juden und verhalf ihnen zur Flucht über die Schweizer Grenze. – Die von KM erwähnte Schrift von Hermann Diem: Restauration oder Neuanfang in der evangelischen Kirche? Stuttgart 1946, enthält im ersten Teil einen Rückblick auf die Geschichte der evangelischen Landeskirchen seit der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Beispielen für die Schwachstellen des Kirchenrechts, sofern die Kirchen sich nicht konsequent auf Jesus Christus berufen und von dort ihre Vollmacht zu predigen ableiten und sie vor Beliebigkeit schützen. Die zahlreichen Beispiele beziehen sich auf die Zeit des Kirchenkampfes. Im zweiten Teil legt Diem den Entwurf einer Kirchenordnung für die Württembergische Kirche vor. Diem stand Karl Barth nahe. 51 Brief KM an Gerhard Möckel vom 16. November 1947. Nachlass KM Leitzordner I.

Kapitel 13

In der Rumänischen Volksrepublik (1948-1957)

Das Jahr 1948 Die Kommunistische Partei Rumäniens rief 1948 die Volksrepublik aus und unterwarf im Schutz der Sowjetmacht das Land mit brutaler Gewalt. Die Trennung zwischen Westeuropa und Osteuropa verfestigte sich immer mehr. Immer schwerer ließen sich die Grenzen zwischen den zwei gesellschaftlich gegensätzlichen Systemen überwinden. Der „Eiserne Vorhang“ trennte politische, kulturelle, wirtschaftliche und – im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs – familiäre Verbindungen. Die Diktatur sollte in Rumänien über 40 Jahre dauern – eine lange, prägende Zeit.1 Die evangelischen Kirchengemeinden in Rumänien waren damit von den evangelischen Kirchen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz für Jahrzehnte fast vollständig abgetrennt. Sie hatten Jahrhunderte hindurch davon gelebt, dass wenigstens ein Teil des Pfarrer- und des Lehrernachwuchses an Hochschulen im westlichen Ausland studierte, den Anschluss an die geistige Entwicklung in Westeuropa hielt und neue Gedanken nach Siebenbürgen mitbrachte. Nun schlossen sich die Grenzen und der Kalte Krieg begann. Die lange, siebenbürgische Tradition der geistigen Westbindung, Ursprung auch der „Şcoala Ardeleană“ (Siebenbürgische Schule), die den Rumänen im 19. Jahrhundert ihre Latinität bewusst gemacht hatte, schien dem sozialistischen Rumänien eine potentielle Gefahr. In der Rumänischen Volksrepublik (RVR) entstand eine neue, genormte politische Sprache, die die Medien beherrschte und nach dem Wunsch der Mächtigen bis in die Kindergärten und Wohnzimmer eindringen sollte. Der Volkskalender der Temesvarer Zeitung für das Jahr 1945 passte sich gleich nach dem Krieg aus Klugheit den neuen Verhältnissen unter der sowjetischen Besatzungsmacht an.2 Er trug zusammen, was freundlich über die Sowjetunion gesagt werden konnte – in einer unbeholfenen, aber 1 Viktor von Weizsäcker wies in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 darauf hin, dass die Prüfung des Volkes Israel in der Wüste vierzig Jahre lang dauerte. 2 Volkskalender für das Gemeinjahr 1945, 1. Jahrgang. Timişoara 1944. Auf der Rückseite des Innentitels: „Deutscher! Tritt ein in die Deutsche Antihitleristische Organisation.“ Dazu eine Zeichnung: Ein Arbeiter steht auf dem Sockel D.A.O. und schwingt einen schweren Hammer,

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doch erkennbar lebendigen Sprache. Die Sprache im Volkskalender 1949 dagegen wirkt wie der Versuch, Lebendiges einzubalsamieren. Der Kalender blickte auf das abgelaufene Jahr 1948 zurück. Er zitierte Vasile Luca, Sekretär der KPR, der verkündet hatte, „auf dem Wege zu den zu verwirklichenden neuen demokratischen Errungenschaften auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet“ seien „wir“ in das Jahr 1948 eingetreten. Er setzte sich mit diesem „wir“, hinter dem der entschlossene Machtwille der Einheitspartei stand, an die Stelle des Souveräns, der laut Verfassung das Volk war. Die Repräsentation des Volkes durch ein Parlament und dessen Legitimierung durch geheime, gleiche, direkte und allgemeine Wahlen waren Attrappe.3 „Demokratische Republik“ nannte sich der Teil Deutschlands, der aus der sowjetischen Besatzungszone hervorging. Sie beanspruchte mit dem Namen „Demokratie“, eine Volksherrschaft zu sein. „Volksrepublik“ nannte sich auch Rumänien, das nunmehr unter der Diktatur der Kommunistischen Partei stand. Sie besetzte Schlüsselbegriffe der politischen Sprache und zwang nicht nur Presse und Rundfunk, sondern möglichst jedem und jeder die ausgestanzte Sprachdeutung auf. Der König war bis zu seiner Abdankung für viele die letzte Hoffnung. Bei Luca war er „stärkste Festung der bürgerlich grundbesitzenden Kreise“; die Zwangsvereinigung der Sozialdemokratie mit der kleinen kommunistische Partei – „Einheit der Arbeiterklasse“; die Gleichschaltung demokratischer Organisationen – „Säuberung“; die politische Willkür – „Wahrnehmung der politischen Führerrolle“; der Parteiterror – „Festigung der Macht“. Die KPR definierte Freund und Klassenfeind, Normal- und Ausnahmezustand. Sie „füge“, hieß es, während eine eingeschüchterte Bevölkerung sich kaum noch rührte, „den bisherigen Siegen über den Klassenfeind“ immer „noch weitere hinzu“. Gheorghe GheorghiuDej, der Generalsekretär der KPR, gab am 21. Februar 1948 in einem „großzügigen Arbeitsplan die weiteren Aufgaben der Arbeiterklasse“ bekannt, die „natürlicherweise nur von der durch die Lehren von Marx, Lenin und Stalin gelenkten Arbeiterpartei verwirklicht werden konnten“. Die „Werktätigen“ hatten die „erhabene Aufgabe“, die „wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit zu liquidieren“, die das „reaktionäre Regime“ hinterlassen habe, nur damit sich das Land dem „ausländischen Monopolkapital“ nicht entziehen könne.4 Selbst Schülerinnen und Schüler erkannten das Unwahre der Formeln dieser Zeitungssprache und nahmen sie nicht ernst, obgleich sie diese offiziell gebrauchen mussten. Klassensprecher oder Klassensprecherin zu sein, war eine lästige Aufgabe; denn in der Öffentlichkeit der Schule mussten Erwachsene und Kinder bereit sein zu sagen, was sie selbst nicht glaubten. Wer in der Schulöffentlichkeit oder im Betrieb über die Zustände oder über die Parteisprache kecke Witze machte, riskierte seine Schullaufbahn um ein halbzertrümmertes Hakenkreuz vollends zu zerstören. Der Kalender enthält viele Inserate von Privatbetrieben. 3 Die Zitate aus „Geschichte unserer Volksrepublik im vergangenen Jahr“, S. 32-40, redaktionell. Volkskalender 1949 der Temesvarer Zeitung. 4 Ebda.

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oder seine Anstellung, wenn nicht mehr. Es war ratsam, abfällige Bemerkungen über den realen Sozialismus am Arbeitsplatz zurückzuhalten und zu Demütigung, Willkür und Ungerechtigkeit zu schweigen. Der rumänische Geheimdienst, die Securitate, baute das Spitzelsystem aus und rekrutierte Mitarbeiter aus allen Nationalitäten – eine gefürchtete Macht, die im Auftrag der Kommunistischen Partei das Volk, den angeblichen Souverän, kontrollierte. Die schweigende Hinnahme der politischen Wirklichkeit allein genügte der neuen Einheitspartei nicht. Sie erzwang Zustimmung, wo immer es nur ging. Jugendliche und Erwachsene mussten im Chor bei befohlenen Aufmärschen sogenannte Losungen ausrufen oder auf Plakaten mittragen. Grundschulklassen wies man an, Stalin zum Geburtstag (am 22. Dezember) Briefe zu schreiben, so wie Kinder mancherorts Wunschbriefe an den Weihnachtsmann schrieben. Auch in Alltagssituationen mussten vorfabrizierte Bekenntnisse abgelegt oder wenigstens schweigend angehört werden. Wer schwieg, schien zuzustimmen, obgleich das Schweigen auch nur der Angst oder der Resignation geschuldet sein konnte. Während die ähnlich bekenntnishafte Sprache des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren in vielen Herzen der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen Wurzeln geschlagen hatte und geglaubt worden war, konnte der real existierende Sozialismus mit seinen phrasenhaften Wendungen weder allgemein noch in der rumänischen Variante populär werden. Das galt mehr oder minder für alle Nationalitäten in Rumänien, auch wenn um der (Berufs-)Karriere willen viele mit der Macht Kompromisse eingingen. Für die Rumäniendeutschen war der Nationalsozialismus eine Bedrohung von innen, der Kommunismus eine von außen – gefährlich, Angst einflößend, aber nur für wenige eine geistige Herausforderung. Die kleine Kommunistische Partei Rumäniens erhielt ab 1944 schnell Zulauf. Im Oktober 1944 hatte sie in acht Kreisen eine Organisation mit etwa 3.500 Mitgliedern; im Dezember stieg die Zahl der Mitglieder auf 13.000, im Februar 1945 auf 93.000, im Mai waren es 170.000.5 Gheorghe Gheorghiu-Dej verdrängte den Ungarn Istvan Foriş von der Parteispitze. Foriş kam später ins Gefängnis, und seine ehemaligen Genossen ließen ihn zum Tode verurteilen. Es kündigte sich damit – im sowjetisch besetzten Land – ein national-rumänischer Selbstbehauptungswille an. Der neue Parteiführer war dafür bekannt, dass er stalinistische Methoden befürwortete. In einem parteiinternen Machtkampf entledigte er sich seiner Rivalin Ana Pauker. Sie stammte aus Rumänien und war im Jahre 1940 von der Sowjetunion durch einen Tausch aus dem Gefängnis befreit worden. Vergleichbar der „Gruppe Ulbricht“, die 1945 aus der Sowjetunion in die sowjetische Besatzungszone einreiste und 1949 die DDR gründete, kehrten Ana Pauker und andere nach 1944 mit den sowjetischen Truppen nach Rumänien zurück. Eine große Verhaftungswelle brachte jede bürgerliche Opposition 5 La originele nomenclaturii. Formarea clasei politice comuniste (1944-1948). In: Gheorghe Onişoru: Instaurarea regimului comunist în România. Bucureşti 2002, S. 59.

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zum Verstummen. Die Kommunistische Partei beseitigte die bürgerlichen Politiker, wie Gheorghe Brătianu, Iuliu Maniu und Ion Mihalache von der Bauernpartei. Auch die bürgerlichen Politiker der Deutschen, Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth, wurden verhaftet und gedemütigt. Roth musste in einer Arbeiterkolonne arbeiten. Als seine Tochter ihn zum letzten Mal besuchte, fand sie ihn abgemagert, und er sah aus „wie Gandhi“. Er starb im Gefängnis am 1. April 1953. Die Partisanenkämpfe gegen den Kommunismus in den Bergen, an denen sich besonders ehemalige „Legionäre“, Anhänger des im Krieg ermordeten faschistischen Parteiführers Codreanu, beteiligten, änderten an der eisernen Machtausübung der Kommunistischen Partei nichts.6 Die Hoffnung großer Teile der Bevölkerung, auch in Kreisen der Rumäniendeutschen, auf eine Unterstützung aus dem westlichen Ausland schwand und wich schließlich einer politischen Apathie. Nach der Verfassung der Volksrepublik Rumänien aus dem Jahre 1948 hatten alle Staatsbürger ohne Unterschied der Rasse, Religion oder Nationalität gleiche Rechte vor dem Gesetz.7 Die neue Regierung verstaatlichte private Firmen, richtete Staatsgüter ein und begann mit großem, propagandistischem Aufwand die Landwirtschaft in Genossenschaften zu organisieren, in welche die Kleinbauern ihren Besitz einbringen sollten. Die Schwaben und Sachsen arbeiteten nun in den Genossenschaften, die über ihren vormaligen Grund verfügten, oder in Fabriken, die vormals Schwaben oder Sachsen gehört hatten. Nur in den rumänischen Gebirgsdörfern in den Karpaten, in der „Mărginimea“, konnten die Kommunisten die Organisation der Genossenschaften nicht durchsetzen. Die Schafzüchter und Käseproduzenten wehrten sich hartnäckig und erfolgreich, ohne dass sich jedoch an der Kollektivierung in anderen Teilen des Landes etwas änderte. Im Einparteienstaat überleben Es galt nunmehr für alle, auch für die Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien, sich im Einparteienstaat einzurichten, um zu überleben. Die etablierte Herrschaft der KPR hatte die Macht der Sowjetunion hinter sich. Die Kirchlichen Blätter stellten ihr Erscheinen nach anderthalb Jahren im Januar 1948 wieder ein.8 Bischof Dr. Friederich Müller hatte schon 1946 die Richtung für die Leitung der kleinen Diasporakirche vorgegeben, sie solle ein ruhiges und stilles Leben „in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit“ 6

Siehe Gheorghe Onişoru: Instaurarea regimului comunist în România. Bucureşti 2002. „Art. 16. Toţi cetăţenii Republicii Populare Române, fără deosebire de sex, naţionalitate, rasă, religie sau grad de cultură, sunt egali în faţa legii. – Art. 17. Orice propovăduire sau manifestare a urei de rasă sau de naţionalitate se pedepseşte de lege. – Art. 18. Toţi cetăţenii, fără deosebire de sex, naţionalitate, rasă, religie, grad de cultură, profesiune, inclusiv militarii, magistraţii şi funcţionarii publici, au dreptul să aleagă şi să fie aleşi în toate organele Statului.“ 8 Am 7. Januar 1948 erschien die letzte Nummer. Das Ende kam überraschend. Weder in den „Mitteilungen“ noch im „Amtlichen Teil“ verabschiedete sich die Redaktion von den Leserinnen und Lesern. 7

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führen. Daran hielt er Zeit seines Lebens fest. Er stand Aktionen und Initiativen in den Kirchengemeinden skeptisch gegenüber. Von ihm ist überliefert, dass er auf Vorschläge junger, aktiver Gemeindepfarrer mit erhobenem Zeigefinger reagierte: „Zeräck änt Mousloch!“9 Dem Sinn nach: „Ja nicht auffällig werden! Die mächtige Raubkatze KPR wartet nur darauf, uns Kleine zu verschlingen!“ Aus heutiger Sicht lässt sich erkennen, dass die Vorsicht begründet, die Vermeidung von Konflikten aber trotzdem unmöglich war. Selbst ein Rückzug der evangelischen Kirchengemeinden mit deutscher Predigtsprache einzig und allein auf den Gottesdienst reichte nicht aus, um die totalitäre Macht des Kommunismus zufriedenzustellen. Das bloße Vorhandensein einer lebendigen Gemeinde konnte die lokale Staatsmacht unbeabsichtigt herausfordern. Nach dem Besuch der Sonntagsgottesdienste fanden Gespräche auf dem Vorplatz der Kirche in der angestammten Mundart statt.  Jede Dorfhochzeit löste einen fröhlichen Tumult und den Gesang deutscher oder mundartlicher Lieder aus. Bei Begräbnissen gruben die Nachbarn das Grab und drückten schon damit schweigend ihre Anteilnahme aus. Ein abfälliges „Hitleristen unter sich!“ mussten sich Freunde nachsagen lassen, die am Arbeitsplatz in der angestammten Mundart miteinander redeten.10 Der national-kommunistische Staat hielt das Christentum für einen absterbenden Aberglauben. Die rumänisch-orthodoxe Kirche war keine Gefahr für eine nationalkommunistische Herrschaft. Sie war jedoch eine Gefahr für den Kommunismus; denn die Verheißung eines wiederkommenden Herrn trat mit den Verheißungen eines irdischen Paradieses in Konkurrenz. Anders stand es, wenn es sich um die Kirche einer Minderheit handelte: die katholischen Schwaben, die lutherischen Sachsen, die calvinistischen Ungarn, die Juden. Die Predigtgottesdienste, Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse schufen soziale Innenräume, in denen der Glaube an einen politischen Messias verneint und zugleich Deutsch oder Ungarisch oder Hebräisch gegenüber der Parteisprache überwog. Wenn Pfarrer das Gemeindeleben der verstreuten Minderheiten erfolgreich und mit innerer Anteilnahme gestalteten, fühlten sich die Gemeindeglieder zu Hause. Die Glaubwürdigkeit der Pfarrer gleich welcher Konfession wäre angezweifelt worden, hätten sie ihren Dienst ohne Anteilnahme, ohne Hingabe, ohne Phantasie getan. Indem sie den Glauben der Gemeinde ernst nahmen, festigten sie den Zusammenhalt auch der Minderheit, ob sie es wollten oder nicht. Das störte die Zukunftsvorstellung der KPR, die nur eine einzige internationale Arbeiterklasse kennen wollte, die alle Werktätigen über alle sprachlichen und konfessionellen Grenzen hinweg solidarisch verbinden sollte. Der Konflikt zwischen einem kommunistisch gefärbten Nationalstaat und konfessionell geprägten Gemeinden der Minderheiten war strukturell nahezu unvermeidlich.

  9 10

Mundart, wörtlich „Zurück ins Mauseloch!“ Schriftliche Mitteilung von Theodor Moldovan Spohner.

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Einzelne Angehörige der Minderheiten konnten sich diesem Konflikt entziehen, indem sie den Kirchen oder Synagogen den Rücken kehrten. Sie setzten sich jedoch damit, selbst wenn sie für die Minderheit, aus der sie stammten, das Beste wollten und taten, dem Verdacht aus, Karriere machen zu wollen und abtrünnig zu sein. Von den Lehrerinnen und Lehrern der Staatsschulen forderte die Kommunistische Partei ganz offen, Distanz zur Kirche zu halten und suchte diese durch organisatorische Maßnahmen zu befördern. Wer eine Funktionsstelle im Staatsdienst oder im Erwerbsleben bekleiden wollte, musste in die Kommunistische Partei eintreten oder auf eine Karriere verzichten. Zu dem Preis für eine Berufskarriere konnte der Austritt aus der Kirche gehören oder wenigstens die Distanzierung von ihr. Die Kinder sollten keine Sonntagsgottesdienste besuchen, sich nicht zum außerschulischen Religionsunterricht und zur Firmung oder zur Konfirmation anmelden. Verstorbene Angehörige sollten ohne einen Gottesdienst begraben werden. Schulen mit deutscher Unterrichtssprache erhielten rumänische Klassenzüge. In den Lehrerzimmern hatte das Kollegium, selbstverständlich schon aus Höflichkeit, rumänisch zu sprechen. Als die evangelischen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache im Jahre 1948, wie alle Privatschulen des Landes, auf den Staat übergingen, entfremdeten sich die Lehrer notwendigerweise dem kirchlichen Leben. Sie hatten von Amts wegen nichts mehr mit der Kirche zu tun. Bibelstunden speziell für Lehrerinnen und Lehrer waren nicht mehr möglich. Wenn die Kirchengemeinden Gottesdienste, Seelsorge und Lebensbegleitung bei Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen, Krankenbesuchen anboten, war das trotzdem nicht wenig. In Polen suchten die Katholiken während der Zeit des Kommunismus ihre Zuflucht in der katholischen Kirche. Im Banat fand eine ähnliche, gewiss weniger heftige Hinwendung zur katholischen Kirche statt als in Polen, aber immerhin doch so auffällig, dass auch das Politbüro darauf aufmerksam wurde. Miron Constantinescu, Mitglied des Politbüros der KPR, stellte 1948 fest, deutsche Mitglieder der Kommunistischen Partei besuchten die Parteisitzungen überaus regelmäßig, aber sie ergriffen das Wort nicht und hielten sich reserviert. Die deutsche Bevölkerung gruppiere sich im Umkreis der katholischen Kirche und es sei ein Fehler gewesen, dass die Kommunistische Partei sich mit diesem Problem vier Jahre lang nicht befasst habe. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass die deutsche Bevölkerung eine fünfte Kolonne des amerikanischen Imperialismus werde, wenn man dieses Problem weiterhin hinausschiebe.11 Er konnte die Sammlung der katholischen Schwaben in ihren Kirchengemeinden nur als eine potentiell feindselige Gegenbewegung wahrnehmen.

11 Miron Constantinescu in der Sitzung des politischen Büros des Zentralkomitees der Arbeiterpartei vom 15. November 1948: „Membrii de partid germani vin foarte regulat la şedinţe, nu iau cuvântul şi au atitudine rezervată. Populaţia germană se grupează în jurul bisericilor catolice şi a fost o greşeală că timp de 4 ani nu ne-am ocupat de această problemă; dacă am mai întârzia ei vor deveni o coloană a 5-a a imperialismului american.“ Hannelore Baier: Germanii din România 1944-1956. Sibiu 2005, S. 36, 37.

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Vielleicht noch stärker war die Verbindung von Muttersprache, Kirchengemeinde und selbstgenügsamer Abschließung in Siebenbürgen. Diese Sammlung im Umkreis der Kirchengemeinde als eine potentielle „fünfte Kolonne des amerikanischen Imperialismus“ anzusehen, war eine verzerrte Wahrnehmung der bestehenden Machtverhältnisse zwischen Minderheit und Staatsmacht. Die Kirchengemeinden respektierten zwar die Machtverhältnisse, aber sie konnten der Kern eines potentiellen Widerstandes gegen die erzwungene national-kommunistische Vereinheitlichung sein. Auch wenn die Konfessionen ihre Skepsis gegenüber dem Kommunismus nicht laut werden ließen und aufrichtig staatstreu sein wollten und es auch tatsächlich waren, blieb der Gottesdienstbesuch einer konfessionell und national besonderen Gruppe im rumänischen Einparteienstaat ein Politikum. Sowohl die Anhänglichkeit an die angestammte Konfession als auch die Liebe zur überkommenen Gottesdienstsprache, ungarisch oder deutsch, machten verdächtig. Evangelischer Pfarrer in einer kommunistischen Diktatur Man muss sich die schwierigen Lebensverhältnisse vergegenwärtigen, die nach einigen Jahren kommunistischer Planwirtschaft herrschten. Der Wohnraum der Stadt Kronstadt war seit dem Kriegsende bewirtschaftet, die Wohnverhältnisse überall beengt. Das große, jedoch unpraktisch gebaute Stadtpfarrhaus, „wohl das interessanteste Wohngebäude Kronstadts“, machte keine Ausnahme.12 Der Stadtpfarrer hielt sich tagsüber in seinem Dienstzimmer auf und kam nur zu den Mahlzeiten in die Wohnung. Mitte der 1950er Jahre stand ihm und seiner Frau nur noch ein Wohnzimmer, das zugleich Schlafzimmer war, zur Verfügung. In der Küche teilten sich vier Parteien einen Herd – eine Quelle für Ärger und Zwist. Zwei große, repräsentative Zimmer der Wohnung waren in kirchliche Büroräume umgewandelt worden. Die Haushälterin bewohnte ein kleines Zimmer, das an ein großes Amtszimmer anschloss und einmal Archiv gewesen war. Von diesem Zimmer gelangte man in das Badezimmer mit abgetrennter Toilette und von dort in das Wohnzimmer des Stadtpfarrers. Wenn die Haushälterin am Morgen in die Küche ging, musste sie erst das Badezimmer, dann das Wohnzimmer des Ehepaares Möckel und dann ein mit Möbeln abgegrenztes weiteres Zimmer durchqueren, in dem ein pensionierter Studienrat, Professor Tontsch, und seine Frau mit Hilfe von Schränken einen Korridor geschaffen hatten. Die übrigen Zimmer des privaten Teils des Hauses bewohnten Familien, Ehepaare oder Alleinstehende, denen die Häuserverwaltung die Räume zugewiesen hatte. Einmal in der Woche benützte eine rumänische Studienrätin das Bad. Ihr Zimmer lag am entlegenen, anderen Ende des weitläufigen Hauses. Um ins Bad zu gelangen, musste sie die Küche, das Zimmer des Studienrates und das Wohnzimmer des Ehe12

Gustav Treiber: Der Stadtpfarrhof. In: Das Burzenland, Dritter Band. Kronstadt. Erster Teil. Hg. Erich Jekelius. Kronstadt 1928, S. 141-146, Zitat S. 141; der Plan des Obergeschosses S. 144.

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paares Möckel durchqueren. Ebenso hatten auch der schon erwähnte pensionierte Studienprofessor und seine Frau das Gewohnheitsrecht, das Bad wöchentlich einmal zu benützen. Auch sie mussten dann durch das Wohnzimmer gehen. Im ehemaligen Gästezimmer der Stadtpfarrwohnung lebte die Familie eines Schneiders mit vier kleineren Kindern. Seine schon erwachsene Tochter und der Schwiegersohn bewohnten einen durch eine dünne, leichte Wand von der Diele abgetrennten Raum über dem Treppenaufgang und ein daran angrenzendes Zimmer. Sie hatten Zugang zu einer Toilette, die sich am Flur in der Nähe des Gästezimmers befand. Geräusche und Gerüche, Gerüchte und Klatsch drangen durch die Türritzen und füllten das Haus. Der Securitate war es leicht gemacht, über das Wohnungsamt Aufpasser zu platzieren. Überbelegungen der Wohnungen waren besonders in den Großstädten des Landes nicht ungewöhnlich – ein Signum des real existierenden Sozialismus und eine ständige Last. Diese Konstellation, die etwa für das Jahr 1957 gilt, konnte sich jederzeit verändern. Wenn städtische Kommissionen die Wohnungen in Augenschein nahmen, hielten alle den Atem an. Zeitweilig wohnte im Pfarrhaus auch das Kind eines befreundeten Pfarrkollegen vom Lande, das keinen Platz im Internat erhalten hatte.13 Die Beschaffung von Lebensmitteln und Wintervorräten erforderte große Anstrengungen und einen immensen Zeitaufwand, besonders wenn, wie im Stadtpfarrhaus, gelegentlich auch Gäste mit am Tisch saßen – angemeldet und unangemeldet. Erst 1954 hob die rumänische Regierung die Lebensmittelrationierung auf. Was sich aus dem kleinen Garten herausholen ließ, versuchte Dora Möckel herauszuholen. Nahrhafte Hilfe von Bekannten und Freunden auf dem Lande war willkommen, aber auch auf dem Lande hatten sich die Verhältnisse verschlechtert. Trotz allem hielt Dora Möckel an den Sitten eines gastfreien Hauses fest, so gut sie konnte, auch wenn die Massenarmut die traditionelle Gastfreundschaft erschwerte. Im Internat für die Schüler der Honterusschule aßen viele Lehrer mit ihren Familien in der Kantine; denn es waren Zeiten, „in denen jeder sehen musste, wie er die notwendigen Lebensmittel für seine Familie sicherte“.14 Aufgabe der Kirche war es, den Menschen Lebensmut zu geben. Alle hatten im Alltag zu kämpfen, um mit den Widrigkeiten fertigzuwerden. Gottesdienste konnten Mut machen. Hausbesuche signalisierten, dass die Gemeinde ihre Glieder nicht allein lassen wollte. Die Bibel fordert: Einer trage des anderen Last. Hierbei bewegten sich Pfarrer, die diese Botschaft öffentlich predigten und die Hilfsbereitschaft organisierten, auf einem schmalen Grat. Wie soll man trösten, wenn man die Wahrheit öffentlich nicht aussprechen und Lüge nicht Lüge nennen darf? Wie soll man helfen, ohne Hilfe

13 Nach mündlichen Angaben von Sophia Löprich, die zwischen 1956 und 1959 Haushaltshilfe im Stadtpfarrhaus war. 14 Brief von Hans Unberath, Leiter des Internats in Kronstadt von 1952-1978, vom 31. Dezember 2009 an den Verfasser.

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zu organisieren, regelmäßige Absprachen zu treffen und ohne andere anzusprechen und um Mithilfe zu bitten und sei es im Ausland? Der Kronstädter Stadtpfarrer konnte sich nicht mehr, wie vor dem Zweiten Weltkrieg, in Broschüren an die sächsische Öffentlichkeit wenden. Auch die offiziell anerkannten Schriftsteller und deutschsprachigen Zeitungs- oder Zeitschriftenredaktionen konnten die Pariaexistenz der Nachkriegszeit nicht mit der gebotenen Aufrichtigkeit behandeln. Die berechtigten Klagen, die unberechtigten Vorurteile, die gespenstischen Gerüchte und die vielen Rechtfertigungen blieben im kleinen Kreis. Die Zugluft freier Meinungsäußerung fehlte. Zeitungen, Zeitschriften, schöne Literatur und Sachbücher unterlagen der politischen Zensur der Einheitspartei. Es begann die Zeit, wo Leserinnen und Leser lernten, zwischen den Zeilen die Wahrheit zu finden und in Gottesdiensten Zwischentöne zu erkennen. Der Alltag der Diktatur spiegelte sich in Andeutungen, die verständlich waren, weil sich den Zuhörern in den Kirchenbänken die schweren Erfahrungen der Woche eingebrannt hatten. Zu Konrad Möckels Predigtstil gehörte es, wie bereits dargestellt, dass er die Zuhörer in ihrer spezifischen Situation ansprach und dort abholte, wo sie sich befanden. Seit dem Kriegsende war das mehr oder weniger in der Armut. Unmöglich war es, in einer Predigt darüber einfach hinwegzugehen. Wie deutet man eine bittere Situation an, die es offiziell gar nicht gibt? Wie deutet man an, dass das Unheil nicht erst mit dem 23. August 1944 begonnen hatte, ohne Beifall von der falschen Seite zu erhalten? Im Jahre 1949 predigte er zu Röm. 8, 31-3915: „Es geht um die Seelenkräfte gerade in dieser Zeit, die so große Anforderungen an die innern Kräfte der Menschen stellt. Unsere Zeit ist auch eine Zeit des Allzuvielen. Allzuviel aber macht kraftlos. Eine Welt ist da in uns und um uns zusammengebrochen. Viele suchen in den Trümmern, ob sie noch etwas finden und festhalten können, was nachher kommt, ist ihnen gleich. Andere trauern der Vergangenheit nach. Ihre Seele ist eine ewige Klage geworden, als ob sich dadurch etwas ändern würde. Wieder andere klagen an und schelten, auch dieses kann nichts ändern am Zustand dieser Welt. Alle arbeiten einen Tag um den anderen, aber es ist keine Freude und

15 „Was wollen wir nun hiezu sagen? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? / Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? / Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. / Wer will uns verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns. / Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert? / Wie geschrieben steht: ‚Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.‘ / Aber in dem allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. / Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, / weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.“

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Kraft in der Arbeit, es ist resigniertes, verzichtvolles Arbeiten, es ist nichts Starkes, Großes, Stolzes und Sieges-gewisses darin.“

Dann wies er auf die unüberwindliche Kraft des christlichen Glaubens hin, wie Paulus ihn vorgelebt hatte: „Glaubt mir, auch diese Zeit wäre nicht so schwer für uns, wenn wir diesen starken, siegesgewissen Glauben hätten.“

Damit war der christliche Glaube gemeint, wie ihn Paulus der Gemeinde in Rom erläuterte. Die Andeutung der entmutigenden Wirklichkeit erinnert an die Erntebußpredigt Pfarrer Klimas, von der im vorigen Kapitel berichtet worden ist. Im Jahre 1946 zeigte niemand Pfarrer Klima, im Jahre 1949 niemand Stadtpfarrer Möckel an. Aber als die Securitate die Predigt im Jahre 1958 bei der Hausdurchsuchung fand, las sie Staatsfeindlichkeit heraus. Eine Predigt aus dem Jahre 1950 (Luk. 2, 34-35) begann mit einer knappen Situationsbeschreibung – einst und jetzt:16 „Wir feiern heute unsern Marientag. Wie war einst dieser Tag auf allen unsern Gemeinden erfüllt von einer freudigen Stimmung. Wie viel Fröhlichkeit gab es doch einst an diesem Tage. Da gab es Hochzeiten und Unterhaltungen für die Großen und für die Kleinen, für die Jungen und für die Alten. Man saß zusammen, freute sich aneinander, lachte und scherzte. Und heute ist es so stille geworden. Wir können und dürfen nicht mehr so fröhlich sein wie einst.“ –

Auch diese Predigt hielt man ihm 1958 im Prozess vor, obgleich er zunächst nur sagte, was wirklich war und was jeder Zuhörer wusste. Heimkehr der Zwangsdeportierten Als die aus Kronstadt stammenden Russlanddeportierten 1949 in größerer Zahl zurückkehrten, veranstaltete die Honterusgemeinde am 4. Adventssonntag 1949 einen Dankgottesdienst. Die Predigt Konrad Möckels war programmatisch; denn die Rückkehr signalisierte das Ende eines vergangenen Abschnittes und den Anfang eines neuen.17 Er begrüßte die „Männer und Frauen“, die Jungen, „die ihr in zarter Jugend

16

„Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria: Siehe, dieser wird gesetzt sein zu einem Fall und Auferstehung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird (und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen), auf dass vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“ 17 Predigt vor der gesamten Honterusgemeinde zur Begrüßung der Heimkehrer aus dem russischen Arbeitsdienst gehalten in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt am 4. Adventssonntag, den 18. Dezember 1949 – Phil. 4,4-7 (Freuet euch in dem Herrn allewege! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorget nichts! sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!“ Nachlass KM Archivmappe 6. [Es gibt zwei Schreibversionen – ein Zeichen dafür, dass die Predigt verbreitet worden ist.]

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uns verlassen habt, die ihr nun gereift und erprobt und gesund wieder in unserer Mitte seid!“ Das erste Thema war die Bedeutung der Familienzugehörigkeit. „Menschen lieben dürfen und Herzen wissen, die warm und treu für uns schlagen – das ist der eigentliche Wert des Lebens.“

Dafür lohne es sich, „in schmerzlicher Ungewissheit zu warten“; denn da, wo man „in Liebe auf mich wartet, wo man mich vermisst, wenn ich nicht da bin, wo ich wieder lieben und anderen dienen darf – da ist die Heimat“. Dann sprach er vorsichtig die eingetretenen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen an. Die Heimkehr sei ein neuer Anfang in mehr als einem Sinne. Kein Haus, keine Stube sei so geblieben, wie sie verlassen worden sei. Es seien „gewaltige Erfahrungen, die die Heimkommenden und die Daheimgebliebenen mit einander auszutauschen“ haben (S. 1). Das mache den Neubeginn so wichtig und schwierig. Vieles sei versunken und verklungen und neue Aufgaben stünden „vor uns“, eine neue Zeit fordert „uns“ (S. 2). Er wies auf Schuld, aber auch auf Bewährung in der geleisteten Arbeit hin. Es habe Verleumdungen gegeben, aber trotzdem forderte er „in das größere Ganze die alten Tugenden einzufügen“: Tüchtige, ehrliche, sachgemäße Arbeit habe sich bewährt (S. 2). Und soweit es auf die Menschen allein ankomme, seien es diese Tugenden, die auch angesichts neuer Aufgaben „unsere Hilfe und Kraft“ sein müssten: „Lasst uns mit aller Leidenschaft und Hingabe dies große Vätererbe bewahren und hineintragen in eine neue Zeit. Lasst es uns tun ohne Streit und ohne Neid, ohne Gehässigkeit und bittere Gedanken gegen andere, aber auch ohne wirklichkeitsfremde Träume in aller nüchternen Erkenntnis, was von Menschen und Lebensumständen zu halten ist. Wir sind damit zugleich auf den gestellt, der uns geschaffen hat, der uns bewahrt und leitet in strenger Lebensschule und doch zugleich als der gütige Vater“ (S. 2).

Das zweite Apostelwort gelte der Gottesdienstgemeinde „als zu uns selber gesprochen am heutigen Tage: Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!“ (S. 2) Auf diese Weise bündelte Konrad Möckel die unterschiedlichen Erfahrungen seit 1945 in Rumänien und in Russland, sprach das Bewährte und die Bewährung an und setzte sich von den wirklichkeitsfremden Träumen der NS-Vergangenheit ab, ohne diese ausdrücklich zu nennen. „Allen“ Menschen die „Lindigkeit kundzutun“ hieß, die Tugenden der Väter in „ein größeres Ganzes“ einzubringen. Er mahnte zur Geduld besonders im kleinen Kreis der Familie, sprach aber auch vom sächsischen Volk, dessen Vorhandensein in der Schwarzen Kirche allen schon in dem feierlichen Gottesdienst fühlbar war: „Was braucht unser sächsisches Volk jetzt am allernotwendigsten? Es braucht gesunde Familien! Es braucht Häuser, in denen Vater und Mutter recht geachtet und geehrt werden; wo Mann und Frau in Eintracht und treuer Liebe beisammen sind; wo die Kinder recht erzogen werden; wo Geschwister in Frieden und in einem guten, reinen Geiste miteinander aufwachsen.“ (S. 2)

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Der Gedanke des Volkes in dieser Predigt ist für uns heute befremdlich. Er bildet den selbstverständlichen Hintergrund sowohl für den Prediger als auch für die Gemeinde. Der Schwerpunkt der Predigt lag auf der Gefahr der Entfremdung der Heimkehrer nach fünf Jahren Trennung. Die Heimkehr in die Familien sei eine Aufgabe, die nur mit Geduld und Nachsicht gelöst werden könne. Er sprach die Freude über die Heimkehr an, mahnte zur Dankbarkeit und erinnerte an den Schmerz derer, die ihre Angehörigen in Russland oder im Krieg verloren hatten (S. 3). Er bezog die in ihrer Trauer isolierten Gemeindemitglieder mit ein. Öffentliche Trauer und öffentliches Gedenken um die im Krieg oder in der Zwangsdeportation verlorenen Söhne und Töchter war sonst nicht möglich. Das „Flämmchen unserer Lebenszuversicht“ habe „in diesen Jahren unruhig geflackert“. Auch damit berührte er eine politische Frage. Die Brisanz lag versteckt in dem Wörtchen „unserer“ und in der wiederholten Betonung des „wir“. Damit konnte die Lebenszuversicht jedes einzelnen Gemeindegliedes, aber auch das Überleben der evangelisch-sächsischen Gemeinde in der national-kommunistischen Diktatur gemeint sein. Beide Fragen brachten die Gottesdienstbesucher gleichsam schon mit ihren Kleidern in den Gottesdienst mit, auch wenn es nicht die wattierten Jacken der Russlandheimkehrer waren. „Wir haben gebangt und gefragt: Werden wir bestehen bleiben? Oder werden wir verlöschen und untergehen? Nun haben wir Jahre der Erprobung und Erfahrung hinter uns. Der Zweifel daran, ob wir noch bestehen werden, ob wir noch eine Zukunft haben, muss nun dem Mut zum Leben endgültig weichen. Wir sind gefordert, ein freudiges Ja zu sprechen zur aufbauenden Arbeit an einer kommenden Welt“ (S. 3).

Er sagte den vergangenen „Anschauungen“ ab, „wie vor diesem allem, das über uns gekommen ist“, womit er die Nazizeit meinte. Sie war zehn Jahre nach dem Kriegsausbruch und neun Jahre nach Errichtung des „Grupul Etnic German“ selbst für die Jüngeren in der Gemeinde noch bedrängend gegenwärtig. Das war eine schwierige Stelle in der Predigt; denn er sagte sich zugleich von allen anderen „Weltanschauungen“ los. Meinungen pflegten zu wechseln: „Heute habe ich diese Meinung und gestern hatte ich eine andere“ (S. 3); dagegen beschwor er die Geschichte und machte der Honterusgemeinde ihre christliche Herkunft bewusst. Konrad Möckel suchte das Beste anzusprechen, was die Anwesenden der sächsischen Vergangenheit verdankten: „Weißt du, dass auch in der weiten Ebene Russlands Geist und Kraft alter sächsischer Vergangenheit gewirkt hat? Weißt du, dass in allem Tragen und Halten, in aller Bewährung, in allen Nöten und Dunkelheiten der hinter uns liegenden Zeit all das sich bewährt hat, was hier in den Türkenkriegen und den Wirren im Lande von den Altvordern gelebt und gelitten worden ist? – Was damals geschah, als diese Stadt mitsamt dieser Kirche, die seither die Schwarze heißt, abbrannte, damals als Michael Weiss im Burzenland seinen heldenhaften Kampf kämpfte?18 Vätererbe spricht aus 18 Georg Daniel Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Bd. 2. Leipzig 21874. Gabriel Bathori, Fürst von Siebenbürgen von 1606-1613, war ein übler

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dir. Was sich hier in Zünften oder in der zuchtvollen Ordnung der Dorfgemeinde bewährt hat – das hat im späteren Enkel die Feuerprobe zu bestehen.“

Wohin solle man mit der Not gehen, wenn nicht in die Kirche? Wenn das Herz gepresst sei von Not und Trübsal, so bleibe „die Schwarze Kirche und all unsere anderen Kirchen“ (S. 4) Dann folgt der letzte Schritt in dieser Argumentation. Konrad Möckel forderte die Gemeinde auf, selbst Kirche zu werden. Er knüpfte an den Vers „Sorget nichts!“ an (S. 4) und rief den Zuhörern zu: „Ich sage: Haltet euch an den lebendigen ewigen Gott und werdet darüber selber Kirche!“ (S. 5) Und er wiederholte: „Wir, wir selber müssen zur Kirche werden, wenn uns die Kirche helfen soll, wenn sie uns bergen soll in den Stürmen des Lebens“ (S. 5).

Konrad Möckel öffnete damit den Heimkehrern, darunter vielen jungen Menschen, auf der Suche nach einem Welt- und Selbstverständnis in der gewandelten Heimat einen Weg in die Zukunft, den sie selbst unter bedrückenden äußeren Verhältnissen auch in der RVR aufrichtig gehen konnten – selbstbewusst und gegenüber dem Staat loyal. Gottesdienst als Zentrum der Gemeinde Im Jahre 1949 zwang die Regierung der Ev. Landeskirche A. B. eine neue Kirchenverfassung auf. Eine Landeskirchenversammlung stimmte der neuen Verfassung zu, in der alle Bestimmungen über die Schule fehlten, was verständlich war, in der aber auch die Nachbarschaften und die Bruder- und Schwesterschaften nicht mehr genannt waren. Dadurch konnten die Kirchengemeinden nicht im Schutze ihrer vom Staat genehmigten Kirchenverfassung aktiv werden, sondern mussten bei jeder Initiative abschätzen, ob sie noch kirchlich (sächsisch) oder nur sächsisch und damit der Kirche verboten war. Die Mitglieder einer Blaskapelle hießen Adjuvanten. Sie konnten als kirchlicher Posaunenchor im Gottesdienst den Gemeindegesang begleiten, aber genauso gut auf Hochzeiten zum Tanz aufspielen. Die Landeskirche konnte die Jugenderziehung nicht mehr in historischen Formen organisieren, obgleich das gerade zu diesem Zeitpunkt nötig gewesen wäre; denn die materiellen Grundlagen der Kirchengemeinden für den Zusammenhalt auf dem Lande hatten sich mit der Kollektivierung aufgelöst und junge, mobile Menschen suchten in den Städten Arbeit. Eine eigene kirchliche Jugendarbeit aufzubauen, war den Kirchen des Landes verboten. Die Partei fasste die Jugend in der Einheitsorganisation zusammen und duldete keine anderen Jugendgruppen.

Tyrann. Bei der Verteidigung Kronstadts unter der Leitung des Bürgermeisters Michael Weiß erlitt 1612 ein Kronstädter militärisches Aufgebot, zu dem auch vierzig Gymnasiasten gehörten, von denen nur ein einziger überlebte, eine schwere Niederlage. Michael Weiß kam ebenfalls um (G. D. Teutsch, S. 133-164). Am 21. April 1689 brannte die Stadt Kronstadt nieder – auch die Schwarze Kirche. Die Ursache des Brandes blieb ungeklärt. Soldaten der österreichischen Besatzung, die nach einem Aufstand der Schusterzunft in der Stadt stationiert waren, sollen den Brand absichtlich, um zu plündern, oder auch aus Leichtsinn ausgelöst haben (261-271).

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Konrad Möckel hielt in Kronstadt gut besuchte Bibelstunden. Er richtete für Männer zeitweilig gleich zwei ein – eine für ältere, eine für jüngere. Der Kirchenbesuch war in den ersten Jahren nach dem Krieg unvergleichlich viel besser als in der nationalsozialistischen Zeit, ließ aber nach einigen Jahren nach. Die Lehrerinnen und Lehrer konnten bis 1949, wenn sie wollten, in der Kirchengemeinde mitarbeiten. Der Coetus lebte wieder auf. Helmut Wächter war der letzte Präfekt des Kronstädter Coetus Honteri. Es war vorauszusehen, dass die Schulen nicht in der Hand der Kirchen würden bleiben können. Trotzdem hatte sich die Evangelische Kirche der Aufgabe in den ersten Jahren nach dem Krieg nicht entzogen und war in die Bresche gesprungen. Viele kirchliche Gebäude waren während des Krieges beschlagnahmt worden. In dem um die Jahrhundertwende erbauten neuen Honterusgymnasium hatte die deutsche Wehrmacht während des Krieges ein Lazarett eingerichtet. Das Lazarett blieb auch nach dem Frontwechsel Rumäniens bestehen, pflegte aber nunmehr verwundete russische Soldaten. Nach dem Krieg hätte die Schule nach den Vorgaben des Unterrichtsministeriums wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden sollen. Aber die Stadt brauchte ein Krankenhaus und gab es der Honterusgemeinde nicht zurück, sondern forderte seine Abtretung für einen symbolischen Preis. Die Kirchengemeinde fühlte sich formal im Recht. Der Bürgermeister erklärte, dass der Anspruch der Kirchengemeinde nicht den Interessen der Arbeiterklasse entspräche und warf der Honterusgemeinde vor, sich dem Geiste der Zeit unverantwortlich zu widersetzen. Er werde auf den Widerstand antworten, der sich bei der Übergabe des Gebäudes der Honterusschule manifestiere. Konrad Möckel dokumentierte den Vorgang am 5. März 1948 und ließ ein Schreiben in der Sakristei einmauern. Die Honterusgemeinde verzichtete auf den Rechtsweg, weil er aussichtslos schien. Es gab keine Zeitung, in der die Kirchengemeinde öffentlich hätte zu Protokoll geben können, dass sie die Zweckentfremdung des Gebäudes gegen die Bestimmung des Unterrichtsministeriums für ein Unrecht hielt und nur der Gewalt gewichen war. Junge Menschen wünschten, die Kirche solle sich noch mehr und möglichst organisiert in den politischen Raum hineinwagen. Das war jedoch unmöglich. Die Kirche konnte die politische Leitung der Siebenbürger Sachsen wie noch zu Zeiten des Bischofs Friedrich Teutsch nicht mehr symbolisieren. Die Vertretung der Interessen des sächsischen Volkes durch die Kirche war schon nach dem Ersten Weltkrieg aus inneren und äußeren Gründen fragwürdig, nach dem Zweiten Weltkrieg ganz unmöglich. Die Kommunistische Partei ließ das nicht zu. Konrad Möckel legte zu Recht den Schwerpunkt des Gemeindelebens auf den Gottesdienst. Dazu gehörte auch, dass er den Kontakt zu den Pfarrkollegen hielt, besonders zu den Freunden in dem inzwischen aufgelösten Konvent der Michaelsbruderschaft.

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Jugendstunden Gegen den Strom der Widrigkeiten hielt Konrad Möckel nach 1945 ein reges kirchliches Leben aufrecht. Dazu gehörten regelmäßige Vorträge, die er für Jugendliche anbot. In den staatlichen Schulen hörten die Jugendlichen wenig oder nichts von der Geschichte der Honterusgemeinde, obgleich gegenüber dem Gebäude des Honterusgymnasiums das Denkmal von Johannes Honterus stand – und bis heute steht. Die Lehrerinnen und Lehrer hatten sich an den Lehrplan zu halten. Dort war dieses Thema nicht vorgesehen. Der Reformator zeigt auf die Schule und hält das Reformationsbüchlein in der Hand. Evangelischer Glaube und evangelische Schule waren eine Einheit – so sahen es die Kronstädter, als sie im Jahre 1898 das Denkmal errichteten. Nach der Verstaatlichung der Schulen 1948 blieb der Platz vor dem Denkmal Pausenhof. Aber es konnte vorkommen, dass Schülerinnen oder Schüler erstaunt fragten, wer der Mann auf dem Denkmal sei, so wie es geschehen konnte, dass trotz eines Museumsbesuchs in Hermannstadt im Brukenthal-Museum die Schüler von Samuel von Brukenthal (1721-1803), dem Gubernator von Siebenbürgen und Stifter des nach ihm benannten Museums, nichts hörten. Solche und ähnliche Erfahrungen waren nicht nur in Kronstadt ein Motiv, Jugendlichen Veranstaltungen anzubieten. Niemand sah darin etwas Rechtswidriges: „Nichts schien mir in den 50er und 60er Jahren unnatürlich an der Tatsache, dass unsere Pfarrer zusätzliche Gottesdienste für unsere Kinder und Jugendlichen hielten. Für mich gehörte es zu ihrer Berufung als Seelsorger, die Gedanken und Nöte der jungen Generation kennen zu lernen und ihr hilfreich zur Seite zu stehen. So existierten in fast allen unseren größeren Kirchengemeinden Jugendgesprächskreise. So auch in Kronstadt.“19

Das Hauptmotiv für die Jugendstunden lag darin, die jungen Menschen nach der Konfirmation in der Honterusgemeinde heimisch werden zu lassen. Schon im Jahre 1946 schrieb Konrad Möckel seinem Sohn Gerhard, der Unterricht mit den jungen Menschen stimme ihn zuversichtlich. Sie seien in ganz anderer Weise aufgeschlossen für religiöse Fragen als die Jugendlichen in der Vorkriegs- und Kriegszeit. Die Jugendstunden fanden in der oberen Sakristei der Schwarzen Kirche oder im sogenannten Kapitelszimmer im Stadtpfarrhaus regelmäßig jeden Freitag statt. An die Vorträge, die nicht nur Konrad Möckel, aber meist er selbst hielt, schlossen sich Aussprachen an. Freie Aussprachen gab es sonst nirgends, nicht in der Schule und auch nicht in der staatlichen Jugendorganisation. Alle Teilnehmer bezeugen, dass es um Kirchengeschichte, Fragen des Glaubens und um ethische Fragen ging, die Jugendliche bewegten. Dass es sich auch um politische Fragen gehandelt habe, ist eine spätere, böswillige Erfindung der Securitate.20 19 Brief von Hans Unberath an den Verfasser vom 31. Dezember 2009. Hans Unberath war Leiter des Internats in Kronstadt von 1952 bis 1978. 20 Ich habe mit vielen ehemaligen Zuhörern der Jugendstunden gesprochen. Niemand berichtete von irgendeinem politischen Thema.

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Es hat sich ein kleines Album aus dem Jahre 1954 mit zehn Fotografien und mit einer Widmung auf dem Inneneinband erhalten: „Unserem hochverehrten Herren Stadtpfarrer als herzlichen Geburtstagsgruß von seiner dankbaren ‚Jugend‘.“21 Das erste, winterliche Bild, von der Hohen Warte aus aufgenommen, trägt die Unterschrift „Unsere liebe Schwarze Kirche“. Konrad Möckel suchte die „Schwarze Kirche“ anderen lieb zu machen und sprach gerne von „unserer lieben Schwarzen Kirche“. Auf dem letzten Bild blicken die vier Jungen und die zwei Mädchen in die gleiche Richtung, und die Bildunterschrift lautet „Die ‚Jugend‘“ (Abb. 21). Einige dieser Jugendlichen besuchten gelegentlich auch die Treffen bei Horst-Peter Depner, von denen im Folgenden die Rede sein muss. Junge Kronstädter nach dem Zweiten Weltkrieg Es gab nur wenige, die es wagen konnten, nicht politisch, wohl aber kulturell etwas für die deutschsprachige Bevölkerung zu tun, zum Beispiel Professoren auf den Lehrstühlen für Germanistik, Redakteure deutschsprachiger Zeitungen oder Funktionäre der Partei. Der Neue Weg erschien seit 1949. Andere deutsche Zeitungen gab es zunächst nicht.22 Ausschließlich rumänischsprachig orientiert waren die meisten Sachsen damals noch nicht. Sollte eine Veranstaltung in deutscher Sprache organisiert werden, musste das in den vom Staat zugelassenen Bahnen geschehen. Die Sachsen und Schwaben fügten sich zwar dem Druck der Kommunistischen Partei, aber sie machten von sich aus nur zögerlich mit. Während unter den Ungarn viele mit Hilfe der Kommunistischen Partei das gesellschaftliche und politische Leben mitzugestalten suchten, waren das unter den Deutschen in Rumänien nur wenige, obgleich das Bedürfnis nach kulturellen Veranstaltungen in der Sprache der Minderheit vorhanden war. In den frühen 1950er Jahren konstituierten sich unter kommunistischer Kontrolle deutschsprachige Volksräte, so auch einer in der „Region Stalin“.23 Der Kronstädter Volksrat unterhielt ein „Haus für Volkskunstschaffen“ mit einer „Deutschen Spielgruppe für Lieder und Tänze“.24 Das Programm, mit dem die Spielgruppe wahrscheinlich in 21

Nachlass KM Braune Bilderschachtel C. Nach Karl Dendorfer sind auf dem Bild Rudi Hann (aus Mühlbach) und seine spätere Frau Maia Schaschetzki, beide schon verstorben, Heinz Leonhard (aus Schäßburg), Johanna von Hochmeister (damals noch von Albrichsfeld) sowie Hans Georg Hann, der Bruder von Rudi Hann, zu sehen. 22 Hermannstädter Zeitung und Karpatenrundschau erschienen ab 1969. 23 Kronstadt (Braşov) erhielt 1951 für etwa zehn Jahre den Namen „Oraşul Stalin“ (wörtlich „Die Stalinstadt“). 24 Programmheft „Volksrat der Region Stalin. Haus für Volkskunstschaffen. Deutsche Spielgruppe für Lieder und Tänze Stalinstadt. – Bekenntnis zur Heimat (Abb. 23). Ein chorisches Festspiel. Ohne Angabe von Erscheinungsort und Jahr, 16 Seiten. Das Programm enthält die Verfasser der Liedtexte und die Verantwortlichen für Musik, Tanz, Bühnenbild, Trachten, Korepetitor und Organisation. Es werden die Mitwirkenden (7 Solisten und 11 Sprecher) genannt. Nach der Programmfolge führen vier kurze Texte von Dr. Karl Arz („So beginnen wir!“),

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verschiedenen Städten und Dörfern auftrat, mutet an, als wollten die Sachsen kulturpolitisch neu gehen lernen. Die Minderheit durfte und wollte in dem neuen kommunistischen Staat nicht ausgleiten: Ein „Bekenntnis zur Heimat“ mit Volkstänzen und Volksliedern war nicht nur geduldet, sondern wurde offiziell gefördert. Im Rahmen der Kirche konnten nur Kantaten, Orgelkonzerte oder Oratorien aufgeführt werden. An ein reiches Veranstaltungsprogramm, das früher die zahlreichen Vereine getragen hatten, war nicht zu denken. „Für die vollkommen orientierungslose Jugend versuchte Konrad Möckel einen ideellen Ruhepunkt zu schaffen, der zudem noch jeder ideologischen Fixierung unverdächtig sein sollte. Hier durfte gefragt werden, ohne dass die Antworten gleich als Lehrsätze festgeklopft wären.“25

Horst-Peter Depner In Kronstadt und in anderen Städten mit deutscher Bevölkerung trafen sich junge Menschen privat im kleinen Kreise. Hausfeste mit Tanz fanden wie eh und je statt. Es gab aber auch Jugendliche, die mehr wollten als gesellige Unterhaltung, wie zum Beispiel die Freunde um Horst-Peter Depner und um Günter Volkmer, die sich nach 1956 zusammenschlossen und später durch den Schwarze-Kirche-Prozess bekannt geworden sind. Über diese Gruppe, genauer über diese beiden Gruppen, war und ist viel Halbwahres im Umlauf. Ihre Geschichte ist ähnlich der von Hans Otto Roth und vielen anderen zwar nicht vergessen, aber auch nicht angemessen gewürdigt worden. In Siebenbürgen meinten viele Menschen nach ihrer Verhaftung, Verurteilung und Entlassung, sich von ihnen notgedrungen distanzieren zu müssen. Zu dem Freundeskreis um Horst Depner und Günter Volkmer gehörten u. a. Heinz Taute, Emil Popescu, Günther Melchior, Karl Dendorfer, Theodor Moldovan, Gerhardt Gross und Werner Teutsch. Was waren die Wünsche und Anschauungen der Jugendlichen damals? Sie trafen sich 1956, also noch vor dem Oktober-Aufstand in Ungarn, bis in den Februar 1957 im Hause von Horst Depner, jeweils am Donnerstag etwa acht Mal. Der herausragende Kopf dieser Gruppe war Horst-Peter Depner, geb. 1933. Er stammte aus einfachen Verhältnissen,26 besuchte nach der Volksschule zwei Jahre lang eine Fachschule für Buchhaltung und Statistik und fand als Preiskalkulator Prof. Norbert Petri („Bekenntnis zur Heimat“), Balettmeisterin Erna Hamrodi („Unsere Tänze“) und Günther Zeides („Unsere Trachten“) ein. 25 Horst-Peter Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. Südostdeutsches Kulturwerk. Erinnerungen. Bearbeitet und herausgegeben von Georg Aescht. München 1998, S. 23-24. Man muss beachten, dass Depner diese Zeilen im Rückblick schrieb, um sich den Weg zur Verhaftung klarzumachen. 26 Horst-Peter Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. Südostdeutsches Kulturwerk. Erinnerungen. Bearbeitet und herausgegeben von Georg Aescht. München 1998. Die von Horst Depner hinterlassenen Aufzeichnungen sind ungefähr fünfmal so umfangreich wie die von Georg Aescht veröffentlichte Zusammenfassung in einem Band.

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eine Stelle in der Fabrik für Lastkraftwagen „Steagul Roşu“ (Rote Fahne). Er wohnte, damals keine Selbstverständlichkeit, in einem eigenen Zimmer, so dass sich bei ihm Freunde treffen konnten. Über diese Zeit schrieb er: „Wir Jugendlichen hatten briefliche Verbindungen zum ‚feindlichen‘ Ausland, hörten ausländische Sendungen, sangen deutsche Schlager, gingen in des Stadtpfarrers fürwahr nicht ‚korrekte‘ Jugendstunden.“27

Diese Jugendlichen waren mit dem bestehenden gesellschaftlichen Zustand im Lande und unter den Siebenbürger Sachsen nicht zufrieden. Sie kannten die Novelle von Eginald Schlattner „Gediegenes Erz“, in der dieser die Sachsen aufforderte, sich gesellschaftlich mehr zu betätigten. Seine Arbeit war von einer Jury der Zeitung „Neuer Weg“ ausgezeichnet und zum Druck empfohlen worden. Schlattner kam zu dem Ergebnis, die Sachsen sollten literarische Zirkel gründen. Das ist ein Gedanke, der an die Empfehlung des Historikers Friedrich Meinecke erinnert, der im Jahre 1945 den Deutschen riet, Lesekreise zu bilden und Goethes Schriften gemeinsam und nach den unsäglichen Verbrechen, die Deutsche in Uniform und in Zivil im Zweiten Weltkrieg begangen hatten, mit neuen Augen und aufgeschlossenen Herzen zu lesen. So könnten sie sich, meinte er, von dem geistig-unmenschlichen Hintergrund reinigen, auf dem die Verirrungen gediehen waren. Die jungen Leute in Kronstadt erlebten allerdings als Kinder die Zeit, in der „die Sachsen Kollektivbuße für das Naziregime und den Zweiten Weltkrieg tun mußten“.28 Sie waren zwölf bis vierzehn Jahre alt, als die Aushebungen zur Zwangsarbeit und die Enteignung der schwäbischen und sächsischen Bauern im März 1945 stattfanden. Was Depner von Eginald Schlattner unterschied, war seine „Kooperationsfreudigkeit allen Volksgruppen gegenüber“.29 Depner las viel, was ihm einen Vorsprung gegenüber seinen Freunden, aber auch Ansehen bei Älteren verschaffte. Seine in den 1990er Jahren verfassten Erinnerungen lassen ein faszinierendes Erzähltalent erkennen. Er spottete gern, hatte ein gutes Gedächtnis und einen Sinn für sprechende Details. Er erkannte und durchschaute Widersprüche bei anderen und bei sich selbst, die er ohne Rücksicht oft in knappen Formulierungen bloßstellte. Seine einprägsamen Übertreibungen und sein kritischer und selbstkritischer Gestus erinnern an Thomas Bernhard. Beim Lesen seiner Erinnerungen ist man geneigt, Depner vor sich selbst in Schutz nehmen; denn seine Deutungen decken nicht liebevoll das Tragisch-Komische auf, sondern betonen die harten Konturen des Vergeblichen und des Misserfolgs. Vielleicht ist sein bitterer Stil auch eine Folge der Haft- und Gefängniszeit. Die Jugendlichen wollten mehr von der Welt wissen, sich weiterbilden und politisch orientieren, und zwar aus eigener Initiative und ohne eine parteipolitische Präferenz. Ihrem Bildungswillen hätte eine Volkshochschule entsprochen oder eine freie kirch27 28 29

Ebda, S. 23. Ebda, S. 19. Ebda, S. 25.

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liche oder politische Akademie, so wie sie nach 1945 in Westdeutschland entstanden waren und eine große basispolitische Bildungswirkung hatten. Etwas Vergleichbares gab es in Kronstadt nicht und konnte es nicht geben. Depner ergriff mit Zustimmung des dafür Verantwortlichen in der Fabrik „Rote Fahne“ die Initiative und organisierte Lesungen. Eginald Schlattner lud er privat ein. „Daß wir uns im Vorhof zu Teufels Küche befanden, war uns nicht bewußt.“30

Die Jugendlichen wollten die Meinung Erwachsener hören. Es waren unter ihnen verschiedene Namen im Gespräch, außer Konrad Möckel beispielsweise Dr. Guido Knopp. Horst Depner war der Kirche gegenüber kritisch eingestellt und kannte auch andere, die kritisch von der Kirche und ihrer Funktion in der sächsischen Gesellschaft dachten. Die Kirche kümmere sich, nach seiner Vorstellung, viel zu wenig um die Belange der Menschen, zum Beispiel um die der jungen Leute. Diese sprächen dem Alkohol zu, um Langeweile und Trostlosigkeit zu ertränken. Die Pfarrer sollten sich nicht wundern, wenn die Kirchen sich leerten. Depner trug sich eine Weile mit dem Gedanken, Theologie zu studieren. Vermutlich reizten ihn die sozialen und diakonischen Aufgaben des evangelischen Pfarramtes, welche die neue Kirchenverfassung jedoch gerade unmöglich gemacht hatte.31 Er berichtete von seiner Mutter, die nach dem Tod zweier Kinder nicht mit dem Schicksal haderte, sondern „sich in eine bigotte Atmosphäre sektiererhafter Gläubigkeit“ verkroch.32 Er tat, so schrieb er, der Familientradition insofern Genüge, als er „nie ganz aus dem Bannkreis der Kirche heraustrat“.33 Günter Volkmer hatte einen eigenen Freundeskreis, über den Depner im Rückblick hart urteilte. Seine Absicht sei es gewesen, die offene Diskussion zu fördern, während Volkmer dafür eintrat, dass auch „Verbindungen entstehen sollten, die auf Grund einer gewissen – nach Möglichkeit wissenschaftlichen – Orientierung mit analog tätigen Partnern in der Bundesrepublik Deutschland Kontakte pflegten und die deutsche Sache in Siebenbürgen voranbrachten“. Beide seien sie überzeugt gewesen, dahin wirken zu wollen, „dass etwa die Zahl der Mischehen zurückginge“.34 Die Wirklichkeit war über diese Vorstellung allerdings hinweggegangen. Eheschließungen zwischen Schwaben, Sachsen, Ungarn, Rumänen waren zwar von vielen nicht gerne gesehen, aber nicht aufzuhalten. Er besuchte nicht nur die Jugendstunden Konrad Möckels, sondern suchte ihn zusammen mit Depner auch außerhalb der Abende auf. Die Jugendlichen waren alle von der siebenbürgisch-sächsischen Tradition geprägt. Sie identifizierten sich mit dem, wie sie meinten, beklagenswerten Zustand der sächsischen Gesellschaft und wollten etwas ändern. Die Sachsen sollten aus ihrer Mottenkiste herauskommen und am ge30 31 32 33 34

Ebda, S. 25. Ebda, S. 23. Ebda, S. 11. Ebda, S. 19. Ebda, S. 26.

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sellschaftlichen Leben teilnehmen. Sie waren keine Kommunisten, wohl aber offen für einen Sozialismus, der diesen Namen verdient hätte. Horst Depner spottete 1955, also vor dem Aufstand in Ungarn, in einem Vierzeiler: „Sozialismus Was der eine denkt, es stinke sehr, der andre schleckt und strebt nach mehr. Was der eine im großen Bogen umkrümmt, der andre mit Behagen vernimmt.“

Er wollte keinen Sozialismus mit heimlich nationalistischem Einschlag, den die Minderheiten fürchten mussten. Die Jugendlichen dachten an gemeinsame Ausflüge, an denen möglichst viele junge Leute teilnehmen sollten. Sie hofften, dass auch in anderen Städten Siebenbürgens mit deutscher Bevölkerung literarische Zirkel entstünden. Sie wollten ferner die Jugendlichen sammeln und fürchteten, dass sich die Sachsen zerstreuen könnten. Sie hatten ein zwar unklar formuliertes, aber in seiner Richtung vernünftiges Bildungs- und Kulturprogramm.35 Eine Initiative und ihre Grenzen Versucht man den Freundeskreis Depner-Volkmer zu würdigen, drängt sich ein Vergleich mit dem „Arbeitskreis Junger Siebenbürger Sachsen“ auf, der sich nach dem Krieg in Westdeutschland zusammenfand. In ihren Intentionen stimmten sie weitgehend überein. Das Konzept des Arbeitskreises Junger Siebenbürger Sachsen – vor der Gründung des Vereins „Arbeitskreis für siebenbürgische Landeskunde e.V.“ – war die Weiterbildung aus eigener Initiative mit selbstgewählten Mentoren.36 Genau das lässt sich auch von der Initiative der jungen Leute um Depner und Volkmer sagen. Wie der Arbeitskreis erkannte die Kronstädter Gruppe, dass auch junge, noch unfertige Menschen sich gemeinsam selbst fortbilden können. Auch sie waren unzufrieden mit dem Bestehenden und fragten kritisch nach der Geschichte. Sie wandten sich zugleich an Vertreter der älteren Generation der Siebenbürger Sachsen und wollten hören, wie diese die historische Lage einschätzten. Beide Initiativen waren sich zu Beginn ihrer Zusammenkünfte über die eigenen Ziele noch nicht im Klaren, aber beide waren überzeugt, dass man für die Siebenbürger Sachsen noch etwas tun könne und daher auch tun müsse. Sie lehnten den Nationalsozialismus und den Kommunismus ab, ohne eine parteipolitische Präferenz im engeren Sinne zu haben. Sie waren offen für eine Zusammenarbeit mit älteren Persönlichkeiten und erkannten deren überlegene Erfahrungen und Kenntnisse an. Solche Persönlichkeiten gab es wenige; denn durch 35

Andreas Möckel: Der Schwarze Kirche Prozess (1957-1958) und Konrad Möckel. In: Zugänge 34 (2007). 36 Paul Philippi: Karl Kurt Klein als Mentor des Arbeitskreises für siebenbürgische Landeskunde. In: Paul Philippi: Land des Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und seiner Sachsen. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 305-311.

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1948-1957

den Krieg war eine Generation so gut wie ausgefallen. Konrad Möckel oder Adolf Meschendörfer gehörten der Großvätergeneration an. Die Jugendlichen in Heidelberg wie in Kronstadt suchten die Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche, ohne sich jedoch unter ihr Dach zu stellen. Beide Kreise waren im Grunde nicht vorpolitisch, sondern – wenn man in diesen Kategorien denkt – eher kulturpolitisch. Das Ende des Kronstädter Freundeskreises ist ein zertretener Keim der Selbstbesinnung sächsischer Jugendlicher auf dem Weg zu einer Gruppe; denn sie lösten sich nach wenigen Zusammenkünften auf, weil sie einsahen, dass eine Arbeit unter den gegebenen Umständen in Rumänien zu gefährlich war. Informell kann man die sächsischen Jugendlichen als eine Gruppe betrachten, eine formelle Gruppe waren sie nie. Es gibt Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Sie lagen zum einen in den äußeren Umständen in Ost und West, das liegt auf der Hand. Die einen konnten frei diskutieren und unreife Gedanken ungestraft aussprechen; in Kronstadt war das hochgefährlich. Es gab auch einen Altersunterschied. Im Arbeitskreis junger Siebenbürger Sachsen trafen sich ehemalige Kriegsteilnehmer und ehemalige Russland-Deportierte. Sie orientierten sich von Anfang an am Vorbild des Landeskundevereins. Die Kronstädter Jugendlichen waren jünger. Die Erfahrungen und Enttäuschungen ehemaliger Soldaten oder Zwangsarbeiter waren ihnen erspart geblieben. Sie hatten als Kinder die Machtübernahme des Sozialismus nach sowjetischem Muster erlebt, die ex lex-Stellung der Deutschen in Rumänien und die Enteignungen in den Städten und auf dem Lande. Sie begannen Dichterlesungen zu veranstalten und planten Wanderungen. Ob später wissenschaftliche Veranstaltungen dazugekommen wären, muss man offen lassen. Es spricht einiges dafür, aber geeinigt hatten sie sich über diese und andere Themen nicht. Wissenschaftliche Zielsetzungen hätten zu der Initiative Depner-Volkmer gepasst. Man kann von einer Gleichzeitigkeit sprechen, ohne dass die beiden Gruppen Kenntnis voneinander hatten. Es gab Schwachpunkte im Konzept der jungen Kronstädter, von denen zwei für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnend sein dürften und miteinander zusammenhängen. Das eine sind die sogenannten Mischehen, das andere die Angst vor dem Schrumpfen der Seelenzahl des eigenen Volkes. Welche Rolle die Mischehen von Sachsen mit Rumänen oder Ungarn in den Überlegungen der Kronstädter wirklich spielten, ist schwer zu sagen, weil der spätere Prozess absichtlich und verzerrt die Aufmerksamkeit und damit auch die Erinnerung der Betroffenen lenkte. Die Furcht vor Mischehen und die Furcht der Minderheiten vor einer Zerstreuung gehören in die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts mit den Hoch- und Angstgefühlen nationalen Bewusstseins. Stephan Ludwig Roth sprach unverblümt in seiner Schrift „Sprachkampf in Siebenbürgen“ (1842) von der Furcht der Ungarn, und erzürnte damit die Presse in Budapest, was 1849 zu seiner Verhaftung, Verurteilung und Erschießung führte. Die Furcht kleiner Völker vor dem Kleinerwerden und der Schmerz, wenn ein Mitglied einer Minderheit sich dem Kulturkreis entfremdet, sind zu verstehen.

In der Rumänischen Volksrepublik

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Böswillig ist es, wenn ein Geheimdienst daraus eine nationale Gefahr konstruiert, so wie das die Nationalsozialisten mit ihrer Rassenlehre in den Nürnberger Gesetzen taten. Die Sorben im Spreewald, die Ladiner im Engadin, die Slowenen in Kärnten, die Mazedorumänen in Nordgriechenland, die Schwaben und Sachsen in Rumänien waren und sind keine Gefahr für die Mehrheiten in den Staaten, in denen sie leben. Auch die Schwaben und Sachsen nach 1944 waren dem rumänischen Staat nicht gefährlich. Die Sorge, die Sachsen könnten sich zerstreuen und immer weniger werden, zeigt, dass die Siebenbürger Sachsen sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach nur als Deutsche fühlten, sondern auch als Siebenbürger Sachsen, die im Lande ihrer Vorfahren ein Auskommen haben wollten. Ethnisch gemischte Ehen sind für ein Millionenvolk völlig ohne Belang. Nur wenn man an die Minderung der Zahl der Sachsen dachte, stellte sich der Schmerz ein, so wie es schmerzte, als in den 60er und 70er Jahren Sachsen nach Deutschland auswanderten. Der Schmerz, der anders beschaffen war, als der Abschiedsschmerz bei einem Umzug im Lande, war ein Indikator dafür, dass nicht nur die Einzelnen, sondern die Heimatgemeinde lebte, ganz gleich, ob man den Schmerz der in Siebenbürgen Verbliebenen für berechtigt hält oder nicht. Der Fehler, wenn man von einem Fehler überhaupt sprechen will, lag in der Überzeugung, dass gemischte Ehen von vornherein als eine Verschlechterung der Lebenschancen der Minderheit und nicht auch als Bereicherung gesehen wurden. Mehrsprachigkeit ist von Vorteil. An zwei Kulturkreisen Anteil zu haben, macht reicher. Auch unterschiedliche Konfessionen in einer Ehe können fruchtbar sein und das Gespräch in Glaubensfragen beleben, wenn es denn geführt und nicht einfach unterdrückt wird. Die Begrenzung der Liebe zwischen jungen Menschen durch nationale oder konfessionelle Schranken ist unmenschlich, weil es die unbefangene Begegnung unmöglich macht. Ein staatlich relevantes „Problem“ lag hier nicht vor. Dazu machte es erst die Securitate. Es spricht vieles dafür, dass die Securitate nicht nur Kirchenvater Roth – er hat es bezeugt –, sondern auch die anderen Häftlinge richtiggehend provozierte und damit das Problem überhaupt erst schuf, um es mit drakonischen Strafen bewältigen zu können.

Kapitel 14

Der Schwarze-Kirche-Prozess, Gefängnis und Zwangsaufenthalt (1958-1963)

Verhaftungen Der Schwarze-Kirche-Prozess in Kronstadt war nach dem Aufstand in Ungarn 1956 der erste und größte Gruppenprozess in Rumänien, der sich gegen eine evangelische Kirchengemeinde und zugleich ausschließlich gegen Siebenbürger Sachsen richtete.1 Er traf die Honterusgemeinde aus heiterem Himmel. Die 20 Verhafteten gehörten drei Generationen und drei getrennten Lebensbereichen an und waren weder vor der Haft noch nach der Haft eine Gruppe (lotul). Erst die Verhaftungen der Securitate und dann die drakonischen Urteile des Klausenburger Militärgerichts, das zum Prozess nach Kronstadt kam, riefen den Schein einer konspirativen Zusammengehörigkeit hervor, der sich – gegen besseres Wissen – bis heute hartnäckig hält. Die Securitate hatte zuerst Kirchenvater Guido Fitz (70 Jahre) verhaftet, dann neun Jugendliche, sechs Wochen später den Stadtpfarrer und darauf Friedrich Roth (69 Jahre), den Nachfolger des Kirchenvaters Fitz, und den kirchlichen Angestellten Werner Theil (51 Jahre). Mit der Kirchengemeinde hatten die 14 jungen, in den Prozess einbezogenen Kronstädter Sachsen offiziell nichts zu tun. Aber schon diese Formulierung ist missverständ1 Eine Bemerkung zu den Quellen: Die nationale „Behörde zum Studium der Akten der Securitate“ (CNSAS) in Bukarest ist in einer zwar großen, aber für den Zweck einer solchen Behörde viel zu kleinen Villa untergebracht. In der Pförtnerloge hatte man 2005 den Pass und die Besuchsgenehmigung vorzulegen. Den Zugang kontrollierten Angestellte des neuen Geheimdienstes, nicht die rumänische Gauck-Behörde. Im Eingangsbereich durfte sich laut Anschlag kein Angehöriger der CNSAS aufhalten. Danach kam man in ein Wartezimmer, in dem die Angestellten des CNSAS Pass und Genehmigung aufnahmen und dann den Besucher im Fahrstuhl in den Lesesaal im ersten Stock geleiteten. Ich konnte vom 8.-12. August 2005 Prozessakten vom Schwarze-Kirche-Prozess einsehen. Es waren 15 zum Teil umfangreiche Ordner mit den Verhören während der Untersuchungszeit und mit den Verhandlungen vor Gericht, aber keine Akten aus der Zeit vor der Verhaftung. Sie sind erst danach freigegeben worden. Die Verhöre umfassen insgesamt 2 078 Blätter (file), also etwa 4 156 Seiten. Jeder Besucher des Lesesaals erhielt eine Begleitperson. Sie saß am Arbeitstisch und war jederzeit bereit, Fragen zu beantworten, passte natürlich auch auf. Man konnte gegen Entgelt beliebig viele Ablichtungen bestellen. Die Fotokopien mussten persönlich oder durch einen Bevollmächtigten abgeholt werden.

Der Schwarze-Kirche-Prozess, Gefängnis und Zwangsaufenthalt

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lich, denn sie unterstellt den 14 Jugendlichen eine Einheit, die nie bestand. Es handelte sich um lockere oder auch engere Freundschaften um Horst-Peter Depner (24 Jahre) oder Günter Volkmer (22 Jahre). Einige von ihnen übten Berufe aus, andere warteten auf die Zulassung zum Studium oder studierten schon. Einige von ihnen besuchten die Jugendstunden des Stadtpfarrers, andere nicht. Die Geschwister Roth (27 und 31 Jahre alt) bildeten – von den Haftgründen aus gesehen – eine eigene Gruppe. Konrad Möckel und seine Frau waren mit der Familie Roth befreundet. Herbert Roth (31 Jahre) lebte in Bukarest und war Journalist, Maria Luise Roth (27 Jahre) war 1954-1958 Hochschulassistentin für Physik in Kronstadt. Zu dem Freundeskreis der Kronstädter Jugendlichen hatten die Kinder von Hans Otto Roth keine Verbindung. Die Verhaftungen erstreckten sich über die Zeit von fast einem Jahr. Einige der Jugendlichen traf es schon im Dezember 1957, andere erst im Juli und August 1958. Die Reihenfolge der Verhaftungen:2 1957 Guido Fitz Heinz Taute Emil Popescu Günther Melchior Karl Dendorfer Günter Volkmer Horst Depner Teodor Moldovan Gerhardt Gross Werner Theil

20. September 22. Dezember 26. Dezember 26. Dezember 26. Dezember 26. Dezember 27. Dezember 28. Dezember 28. Dezember 29. Dezember

1958 Konrad Möckel Herbert Roth Maria Luise Roth Gerd Pilder Reiner Szegedi Hans Bordon Ernst Peter Hönig Kurt-Felix Schlattner Friedrich Roth Oskar Kutzko

10. Februar   7. Juli 14. Juli 17. Juli 25. Juli 25. Juli 25. Juli 26. Juli 31. Juli 11. August

2 Die Offiziere der Securitate schrieben die Namen in den Protokollen und Listen nachlässig und ungenau.

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1958-1963

Der Haftbefehl für die ersten acht der vierzehn Jugendlichen datiert vom 20. Dezember 1957.3 Die Verhaftungen begannen zwei Tage später, einige unspektakulär, andere theatralisch mit Agenten, die ihre Pistole zückten und die Häftlinge in ein Polizeiauto drückten. Meist hieß es, es seien nur einige Fragen zu klären. Die Haftgründe blieben im Dunkeln. Kirchenkurator Fritz Roth beschrieb die Verhaftung Konrad Möckels vom 10. Februar 1958.4 Der Stadtpfarrer hatte am Vorabend in der Redoute auf einer von den Behörden angeordneten Friedensdemonstration auf dem Podium teilgenommen.5 Am nächsten Tag, gegen 12.30 Uhr, erschien im Pfarramt ein Polizeiagent in Zivil und verlangte dringend mit dem Stadtpfarrer zu sprechen. Er traf im Amtszimmer den Anwalt der Honterusgemeinde Dr. Wilhelm Seiwerth und den Kirchenkurator Fritz Roth, Nachfolger des in den Kellern der Securitate verschwundenen Guido Fitz. Dr. Seiwerth sagte, Stadtpfarrer Möckel befände sich beim Mittagessen. Der Agent blieb bei seiner Forderung. Dr. Seiwerth stand auf und ging zur Tür. Der Agent folgte. Als sie zu dritt ins Dienstzimmer zurückkehrten, zeigte der Securist dem Stadtpfarrer den Haftbefehl. Von seiner Frau durfte er sich nicht verabschieden. Er zog den Überzieher an und sagte im Vorbeigehen leise: „Hoffentlich dauert es nicht so lange wie beim Fitz.“ Es sollten über fünf Jahre werden. Die Securitate versiegelte das Zimmer. Roth und Seiwerth blieben sprachlos zurück. Am Mittagstisch hatte zufällig die Tochter des befreundeten Pfarrers Hans Konnerth mitgesessen. Sie durfte das Haus erst nach 24 Stunden verlassen. Konrad Möckel verschwand in den Kellern der Securitate in der Oberen Vorstadt – genau wie vor ihm die jungen Leute und nach ihm Kirchenvater Roth. Der Haftbefehl behauptete: „MOCKEL KONRAD, ist am 10. Februar 1958 vom Ministerium für Innere Angelegenheiten der Region Stalin verhaftet worden, weil er in den Jahren 1956-1957 Aktivitäten im Rahmen einer subversiven Organisation mit deutschem nationalistischem Charakter entwickelt hat, geradewegs mit dem Zweck, die soziale Ordnung der Volksrepublik Rumänien zu verändern.“6 3 Im Zusammenhang mit dem Schwarze-Kirche-Prozess wurden ferner noch weitere fünf Personen verhaftet, die jedoch anderen Prozessen zugeteilt und dort verurteilt wurden: Eginald Schlattner (27. Dezember 1957; 2 Jahre), Werner Knall (24. Juni 1958; 20 Jahre), Günter Hönig (Oktober 1958; 8 Jahre), Werner Teutsch (13. Oktober 1958; 25 Jahre), Rolf Wagner (13. Oktober 1958; 8 Jahre). 4 Fritz Roth: Eine Dokumentation über den Verlauf des Schauprozesses gegen Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel und Genossen. Typoskript vom 1. Januar 1976, 10 Schreibmaschinenseiten. Nachlass KM, Archivmappe 7. Das Typoskript ist auch im Archiv in Gundelsheim hinterlegt. Roth schreibt 8. Februar. Der Haftbefehl ist auf den 10. Februar 1958 ausgestellt. CNSAS P 742/1, S. 2. 5 Redoute = öffentliches Versammlungslokal in Kronstadt. 6 CNSAS P 742/1, S. 3. „MOCKEL KONRAD, a fost arestat la data de 10 februarie 1958 de către MAI Reg. Stalin, pentru faptul că în cursul anilor 1956-1957 a desfăşurat activitate în cadrul unei organizaţii subversive vu [soll heißen cu] caracter naţionalist german ce avea drept scop schimbarea ordinei sociale existente în RPR, fapt p. p. de art. 209 part. I.C.P.“

Der Schwarze-Kirche-Prozess, Gefängnis und Zwangsaufenthalt

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Der Haftrichter Ivan Ioan setzte die Haft vom 10. Februar 20.00 Uhr bis zum 11. Februar 20.00 Uhr fest und ordnete eine Leibesvisitation an. Konrad Möckel trug einen Ausweis bei sich, eine stark gebrauchte Brieftasche, ein Portemonnaie, ein Schlüsseltäschchen mit Reißverschluss, 353 Lei und 85 Bani, einen goldenen Ring, eine funktionierende Armbanduhr, ein Neues Testament, zwei Türschlüssel, das schwarze Kreuz der Michaelsbruderschaft an einer schwarzen Schnur, einen funktionierenden Füllfederhalter der Marke Pelikan, das Rundschreiben Z. 301/1958 des evangelisch lutherischen Bischofs, den Fahrradausweis Nr. 616, eine Fotografie, die den 1939 verstorbenen Sohn Christian auf einer Bank sitzend und Ziehharmonika spielend zeigte, eine Brille, zwei Quittungen, sechs Briefmarken im Wert von je 50 Bani, zwei Gedichte („Der Bussard“ und „Das Denkmal“).7 Es ist unwahrscheinlich, dass der überraschte Stadtpfarrer den Inhalt des Haftbefehls richtig einschätzen konnte. Es enthielt die Begründung des späteren Urteils: (1) die aktive (2) Beteiligung (3) an einem organisierten (4) nationalistischen (5) Umsturzversuch. Um diese fünf Punkte, die mit dem Leben Konrad Möckels nichts zu tun hatten, ging es in der Voruntersuchung. Es gehört zu dem Zynismus der Macht, dass die Securitate nach den Verhören Konrad Möckels Lebenswandel und Tätigkeit dennoch so hinbog, dass er ein Landes- und Hochverräter war und – das ist das Erschütternde – Teile der Securitateprotokolle mit schwerwiegenden Vorwürfen während der Haft unterzeichnete, obgleich er die Anschuldigungen nie als berechtigt anerkannte. Nach den Verhaftungen zirkulierten in Kronstadt bald Gerüchte. Einige streute die Securitate aus, um den Ruf der Verhafteten zu zerstören. Von einem eher harmlos klingenden, aber vernichtenden Gerücht ist der Ursprung bei der Securitate sicher. Sie streute aus, die Kronstädter Jugendlichen hätten sich „Edelsachsen“ genannt. Wie sollte man, selbst wenn man sie für unschuldig hielt, bei diesem törichten und lächerlichen Namen innerlich für sie eintreten? Diese gezielte Desinformation stieß in der sächsischen Bevölkerung auf Glauben. Schrecken und Empörung, später verbunden mit Spott und Häme, hielten sich lange. Die sächsische Bevölkerung war eingeschüchtert und bedrohte den kommunistischen Staat nicht im Mindesten. Der Staat war es, der die Minderheit bedrohte. Er hatte sie in den zwölf zurückliegenden Jahren erst gedemütigt, dann doch als mitwohnende Nationalität anerkannt. Auch nachdem die Jugendlichen, die dem Staat nie gefährlich geworden waren, nach Jahren aus den Strafanstalten heimkehrten und sich Freunden erklären konnten, wollte kaum jemand von ihrem Schicksal etwas wissen und das vergiftete Gerücht von den „Edelsachsen“ blieb im Umlauf. Der Alltag im Sozialismus Rumäniens hatte einen doppelten Boden. Es gab eine befohlene, glorreiche und zugleich verlogene Sicht auf den Sozialismus. Im schneidenden Gegensatz dazu gab es die Alltagsrealität, die unter einem Grauschleier von Armut und Angst, Resignation und Gleichmacherei lag. Außer den Profiteuren der Macht 7 „Das Denkmal“ ist vermutlich das gleichnamige Gedicht von Georg Scherg im Band „Die Silberdistel“. Bukarest 1968, S. 94-95. „Der Bussard“ konnte nicht ermittelt werden.

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1958-1963

wünschten alle das Ende der Diktatur herbei. Wenn die Securitate es wollte, konnte sie im Bodensatz der weitverbreiteten Unzufriedenheit nahezu bei jedem und bei jeder nach stundenlangen Verhören etwas Belastendes finden. Sie brüstete sich gegenüber den Häftlingen damit, das haben mehrere von ihnen bezeugt, dass sie jedermann der Staats- und Regimefeindlichkeit überführen könne, und handelte danach: „Wenn wir den Häftling haben, finden wir die Gründe.“ Die Quellen werfen ein Licht auf die Verhörmethoden der Securitate, aber sie verschweigen die Verteidigung der Angeklagten und verbergen die vielschichtigen Motive der Securitate selbst. Was hatte sie wirklich zu dem Anschlag auf die Honterusgemeinde bewogen? Eine mögliche Erklärung: Die Kommunistische Partei funktionalisierte die Aversionen gegen die Minderheit. Gab es keine ernsthaften Feinde, musste man sie künstlich machen. Eine andere Erklärung: Dumpfe Aversionen gegen die bürgerliche, ehemals reiche, evangelische, deutschsprachige Honterusgemeinde lebten sich unter der Vorgabe aus, man erstrebe eine neue national-kommunistische Gesellschaft, und zwar sogleich und total. Die Verhöroffiziere bekämpften keine Verbrechen, sondern machten unbescholtene Staatsbürger zu Verbrechern. Sie wollten die Wahrheit nicht herausfinden, sondern ihre Anschuldigungen etablieren. Die Verhafteten sollten dahingebracht werden, wenigstens Teile der Vorwürfe als Wahrheit anzuerkennen – und das möglichst zum richtigen Zeitpunkt, nämlich im Prozess vor dem Militärgericht. Hausdurchsuchungen und Verhöre Auf die Verhaftung folgten mehrere Hausdurchsuchungen im Stadtpfarrhaus. Die erste, gleich nach der Verhaftung, dauerte zwei Wochen. Das Protokoll vom 24. Februar zählt auf 12 Seiten 146 Nummern auf. Jede Seite ist von Leutnant Andrei Mihai und von Dora Möckel unterschrieben. Die Securitate nahm Nummern der Kronstädter Zeitung, des Siebenbürgisch-deutschen Tageblattes, der Sachsenburg, ein Lesebuch aus der NS-Zeit und andere Bücher mit, darunter auch Mein Kampf von Adolf Hitler und Der Mythos des 20. Jahrhunderts von Alfred Rosenberg8. Ferner waren unter dem beschlagnahmten Material Fotografien, auf denen Konrad Möckel mit einem Offizier der deutschen Wehrmacht zu sehen war, eine Zeitung der deutschen, evangelischen Gemeinde in Athen, die der Sohn Gerhard Möckel herausgab, ein Adressenbüchlein, eine Zeitung aus Oldenburg, eine andere aus Stuttgart, ganze Ordner mit privaten Briefen, unter anderem Briefe an und von Hans Bernd von Haeften, Zeitschriften, Manuskripte, Nachrufe, Konzepte von Vorträgen und Predigten, Durchschläge von Briefen an die 8 Beim Entsorgen der gefährlich erscheinenden Literatur nach dem 23. August 1944 half ich mit. Statt „Mein Kampf“ zu vernichten, wie mein Vater anordnete, warf ich ihn hinter eine Bretterwand auf dem Dachboden. Konrad Möckel war von der Volksgruppenführung öffentlich angeprangert worden. Das wussten in Kronstadt nicht nur die Sachsen. Niemals hätte ich damals gedacht, dass man meinem Vater den Besitz dieses Buches zur Last legen könnte. Das war vom 17-Jährigen gedankenlos und töricht.

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beiden Söhne, die in Deutschland lebten usw. Damit gelang es der Securitate jedoch nicht, eine Organisation oder eine Aktivität oder Nationalismus nachzuweisen. Es gab nichts dergleichen. Dementsprechend fanden sich auch keine Beweise für eine aktive Beteiligung an einem Umsturzversuch. Konrad Möckel war sich keiner Schuld bewusst. Seine Verteidigungslinie geht aus den plumpen Protokollen nicht hervor. Später berichtete er, sie habe darin bestanden, nichts zu verheimlichen, da er, wie er meinte, nichts Strafwürdiges begangen hatte. Mit den verhafteten jungen Leuten, die als Zuhörer in seine Jugendstunden oder gelegentlich auch in seine Sprechstunde gekommen waren, hatte er offiziell als Pfarrer der Honterusgemeinde gesprochen. Er wusste nicht und konnte es in den ersten Verhören nicht wissen, dass er mit ihnen in Verbindung gebracht werden sollte. Die Securitate begann mit den Verhören nicht bei den Jugendstunden in der Sakristei, sondern mit einem Brief des sächsischen Journalisten Dr. Fritz Theil, der zu Beginn des Krieges eine Anstellung in Deutschland fand und während des Krieges mit der Oppositionsgruppe um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler in Kontakt kam. Theil sollte dessen erste Proklamation nach dem – hoffentlich – gelungenen Attentat auf Hitler im Radio verlesen. Als das Attentat scheiterte, konnte er gerade noch rechtzeitig in Rumänien untertauchen, kam aber nach der Kapitulation für zehn Jahre ins Gefängnis. Von Herbert Roth, den er nach der Entlassung sogleich besuchte, erfuhr er, dass dessen Vater Dr. Hans Otto Roth im Gefängnis gestorben war. Theil durfte 1956 in die Bundesrepublik ausreisen. Dort angekommen, gratulierte er in einem langen Brief Herbert Roth zu dessen Hochzeit und schilderte zugleich seine ersten Eindrücke. Diesen Brief zeigte Maria-Luise Roth Konrad Möckel, der ihn interessant fand, sich erbat und – abschreiben ließ. Der Empfang eines Briefes aus dem Ausland durch die Post war nicht verboten, die Weitergabe und die Abschrift waren es. Der Brief schilderte kritisch und anschaulich den wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik (das „Wirtschaftswunder“); die Securitate unterstellte Westpropaganda.9 Dass der Brief mit einer Schreibmaschine der Kirchenkanzlei abgeschrieben worden war, wies die Securitate mit Hilfe von Schriftproben nach. Jeder Eigentümer einer Schreibmaschine musste Proben der Schrifttypen bei der Polizei hinterlegen. Die unvorsichtige Abschrift des Briefes war ein schwerer Fehler Konrad Möckels. Sie war der einzige Grund für die Verhaftung der Geschwister Roth, die dafür sechs Jahre Gefängnis erhielten. Die Sache mit dem Brief diente der Securitate jedoch auch dazu, Konrad Möckel als unaufrichtig und regimefeindlich darzustellen. Erst nachdem dieses Thema in den Verhören abgehakt war, stellte sich heraus, dass Konrad Möckel schon in der Kriegszeit, vielleicht schon vorher, bespitzelt worden

9 Dr. Maria Luise Roth-Höppner: Aus meinem Leben. Manuskript, 11 Seiten. Nachlass KM Archivmappe 27/12.

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1958-1963

war. Er entschloss sich alles zu sagen, von dem er meinte, es belaste andere nicht.10 Er erkannte wahrscheinlich erst im Gerichtssaal, dass ihm die Securitate die Rolle eines geistigen Mentors junger Leute zugedacht hatte, die einen Umsturz geplant haben sollten. Die Securitate mischte Wahres, Halbwahres, Unwahres, fügte Unzusammenhängendes zusammen, insistierte auf eigenen Deutungen, die den Häftling belasteten, drohte, unterstellte, zermürbte in langen Verhören, bis Konrad Möckel wenigstens Teile der Anschuldigungen anerkannte. Manches bleibt unerklärlich, weil es widersinnig ist. Die Securitate deutete Konrad Möckels Verhalten nach ihren Absichten um und trieb ihn in die Enge. Sie stellte ihn schließlich als das Haupt eines Spionagenetzes dar und ließ ihn vom Staatsanwalt wegen Hoch- und Landesverrats anklagen. Wie kann man aus einem unpolitischen Gemeindepfarrer einen Hoch- und Landesverräter machen? Ein Trick bestand darin, die Ablehnung des Kommunismus aus christlicher Überzeugung in eine Agitation für den Westen umzudeuten. Konrad Möckel war evangelischer Pfarrer. Der real existierende Sozialismus verachtete das Christentum. Die Securitate tat jedoch alles, um den Anschein von Christenverfolgung zu vermeiden; denn das hätte ihrer Taktik widersprochen. Vor Gericht spielte der christliche Glaube daher nur dann eine Rolle, wenn die Securitate ihn umdeuten und eine staatsfeindliche Ideologie konstruieren konnte. Die Securitate fragte Konrad Möckel beispielsweise nach der Michaelsbruderschaft aus, aber die Richter erwähnten sie in der Urteilsbegründung eher beiläufig. Das Evangelische Hilfswerk in Stuttgart dagegen fungierte in der Konstruktion der Securitate als westliche Spionagezentrale. Um Konrad Möckel zu belasten, stützte sich die Securitate auch auf Akten des rumänischen Geheimdienstes aus der Kriegszeit. Die Siguranţa aus der Zeit der Diktatur Antonescus beobachtete einen SS-Sturmbannführer aus Österreich, dessen Vater aus dem Burzenland stammte und der als Kaufmann für Lebensmittelimporte und -exporte von 1942 bis 1944 in Kronstadt beruflich tätig war. Dieser Thomas O. Schabel hatte Konrad Möckel im vertraulichen Gespräch wissen lassen, dass er ein Gegner des Nationalsozialismus geworden sei. Er wolle sich der evangelischen Kirche, aus der er ausgetreten sei, wieder nähern. Ehrlichkeit – Betrug – Doppelspiel?11 Nach dem Krieg 10

Er hatte kurz nach dem Krieg 77 Generalstabskarten, die er 1920 in Wien billig kaufen konnte und die für seine geologischen Arbeiten von großem Wert waren, im Răcădău-Tal bei Kronstadt vergraben. Davon konnte die Securitate nichts wissen. Sie unterstellte konspirative, militärische Absichten. 11 Thomas O. Schabel, geb. 1896 in Wien, war Kaufmann und 1927-1933 Mitglied der NSDAP in Österreich. Seit 1931 war er SS-Sturmbannführer und -geldverwalter. Er arbeitete für eine amerikanische Import- und Exportfirma. Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich 1933 betätigte er sich illegal. Dafür erhielt er 1947 von einem Gericht der Österreichischen Republik ein Jahr schweren Kerker. (Der Vorwurf, Konrad Möckel habe ihn mit seinem Leumundszeugnis vor seiner wohlverdienten Strafe bewahrt, ist nicht wahr. Schabel brachte Zeugnisse jüdischer Österreicher auf, denen er geholfen hatte. Aber auch das nützte ihm nichts. Sein Aufenthalt in Kronstadt 1942-1944 spielte vor dem österreichischen Gericht keine Rolle, auch nicht, ob er für einen Geheimdienst tätig war oder nicht.) Staatsarchiv Österreich (ÖStA) Wien, Archiv der

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bat ein österreichischer evangelischer Pfarrer, in dessen Gemeinde Schabel lebte, Konrad Möckel für diesen um ein Leumundszeugnis. Konrad Möckel stellte es aus. Für die Securitate war er 16 Jahre später deswegen ein „spion de meserie“, ein berufsmäßiger Spion. Die Securitate wollte Konrad Möckel sogar anhängen, er habe sich Schabel gegenüber schriftlich zur Spionage verpflichtet. Alle Vorwürfe, mit denen die Securitate Konrad Möckel belastete, waren ähnlich konstruiert. Gespräche aus Anlass von Führungen von Gästen aus dem Ausland – Spionagetätigkeit. Ein abgefangener, mit Gelegenheit an den Sohn in Stuttgart gerichteter Brief mit offiziellen Zahlen über die Anzahl der Waisen nach der Zwangsverschleppung – Geheimnisverrat. Predigten, die beim erlittenen Leid der Gemeindemitglieder anknüpften – Hetze gegen den Staat. Das Hauptmittel der Securitate und dann der Prozessführung waren Umdeutungen, Unterstellungen, Zuschreibungen. Die Securitate verhörte Konrad Möckel in der Haft laut Protokoll in 38 Verhören insgesamt 171 Stunden lang. Das längste Verhör dauerte 13, das kürzeste 2 ½ Stunden.12 Die Vordrucke für die Protokolle sind beidseitig handschriftlich beschrieben und vom Häftling und dem Verhöroffizier unterschrieben. Übersicht über die Verhöre Tag

Uhrzeit

Paginierung

Februar 10. 11. 12. 13. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 27. 28. 28.

17.50- fehlt 11.00-13.45 17.15-02.40 18.10-23.15 18.00-20.20 10.15-15.20 09.00-13.00 10.00-14.15 09.30-14.20 10.00-13.40 11.10-15.15 07.20-12.40 12.40-15.05

37-38 39-41 42-45 46 47-48 49-50 51-53 54-55 56-57 58-59 60-61 62-63 64

Republik (AdR), Bundesministerium für Inneres (BMI), Akte Thomas F. Schabel. Grundzahl (GZ) 28.589/62. Offen ist, ob Schabel während seines Aufenthaltes in Kronstadt tatsächlich für einen deutschen Geheimdienst arbeitete. In den Akten lautet der Name Thomas Schabel, Thomas F. Schabel und Thomas O. Schabel. Die Akte über ihn umfasst etwa 100 Seiten. Schabel soll sich mit Andreas Schmidt überworfen haben. 12 Die Akten der CNSAS zum Prozess sind paginiert. Einzelne Protokolle haben eine Seitenzählung, die hier aber nicht berücksichtigt wird.

304

1958-1963

März 01. 03.

07. 10. 13. 20. 22. 24. 26. 27. 31.

15.35-19.40 19.20-24.15 Deklaration Deklaration Deklaration Deklaration 16.10-23.20 10.00-13.45 10.00-16.30 16.30-21.10 11.15-14.35 11.00-16.00 12.45-15.15 11.10-15.30 20.15-23.10

   65-66    67-68 69-70       71 72-73 74-75 76-77 78-79 80-81 82-84 85-86 . 87-88 89-90 91-93 93-95 96-97 98-99 100-101

April 02. 09. 15. 16. 17. 29.

18.00-23.10 08.40-16.10 15.15-21.50 15.10-20.00 15.10-23.15 15.30-23.25

102-104 105-108 109-110 111-113 114-118 119-121

Mai 15.

08.40-14.10

122-123

Juni 27.

09.15-13.20

124-125

Juli 18. 30. 31.

08.15-14.35 09.00-22.15 14.45-20.10

126-128 129-138 139-141

04. 05. 06.

10.00-14.40 15.30-23.10

In den Akten befinden sich zwei von der Hand Konrad Möckels geschriebene und unterschriebene Schuldbekenntnisse. Wie die Selbstbezichtigungen zustande gekommen sind, ist unklar. Dafür ein besonders auffälliges Beispiel: Das Verhör vom 3. März 1958 ging von 15.30 bis 23.10 Uhr. Die Länge des Protokolls umfasst einschließlich der mitprotokollierten Fragen drei handgeschriebene

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Seiten. Die Kürze steht in umgekehrtem Verhältnis zur Dauer des Verhörs. Hier fand ein Kampf statt, dessen Spuren im Protokoll verwischt sind. Nur das vom Verhöroffizier festgehaltene, im Sinne der Untersuchung zurechtgebogene Ergebnis steht da. Die Securitate ließ das Protokoll ohne die Fragen des verhörenden Offiziers abtippen und ins Deutsche übersetzen – vielleicht auf Bitten von Konrad Möckel, da er das Rumänische weniger gut beherrschte als das Ungarische. Die Übersetzung des Protokolls, stellenweise grammatikalisch schlecht, ließ man Konrad Möckel eigenhändig und – wie er später berichtete – unter massivem Druck unterzeichnen. Er unterschrieb nicht naiv, sondern zermürbt und aus Erschöpfung. Das war in einer Phase der Verhöre, als die Namen von Horst-Peter Depner und Günter Volkmer von der Securitate noch nicht ins grausame Spiel gebracht waren. Die Securitate verwandelte ein fragwürdiges Protokoll in ein fragwürdiges Geständnis. Er vertrat danach die Meinung, die Sachsen sollten nicht aus Rumänien auswandern, was stimmte, angeblich aus folgendem Grunde, der nicht stimmte: „Ich hoffte, dass die Deutsche Bundesrepublik sich, entweder durch Einverständnis, oder infolge eines Krieges, sich [sic] geltend machen wird, und die Deutschen aus dem gewesenen Ostpreussen, wie auch die Deutschen aus anderen Gebieten, die einst einen einzigen deutschen Staat bildeten, – in einem einzigen kapitalistischen Staat vereinbaren [sic] werden.“

Konrad Möckel korrigierte die Vorlage und schrieb statt „vereinbaren“, was nicht gemeint sein konnte, „vereinigt werden“. Und dann folgte der Höhepunkt: „Infolgedessen war meine Auffassung die, dass wir Sachsen die Deutsche Bundesrepublik unterstützen müssen, um obengenanntes Ziel erreichen zu können, und aus diesem Grunde hier bleiben sollen, gegen den Kommunismus, welchem wir nur in dem Falle beistimmen sollen, wenn er in der ganzen Welt siegen wird.“13

Das ist nach Form und Inhalt ganz weit weg von der Sprache und vom Denken Konrad Möckels. Der wahre Kern dieses langen Verhörs dürfte die Aussage Konrad Möckels gewesen sein, dass er sich gegen eine Auswanderung und für die Rückkehr seiner Söhne ausgesprochen hatte. Die Securitate machte daraus eine nationalchauvinistische Aggressionspolitik. Sie war nicht daran interessiert, die Stellung derer zu stärken, die für eine Zukunft der Sachsen im Lande eintraten, sondern schwächte deren Position und schürte den Auswanderungswillen unter der sächsischen und schwäbischen Bevölkerung im Widerspruch zu den Lippenbekenntnissen von der mitwohnenden Nation.14 Einmal war seine Brille verschwunden, und man setzte ihm so lange zu, bis 13

CNSAS 742 Band 1, Bl. 81. Der KPR gelang es, ihre Gegner für die eigenen Zwecke einzuspannen. Indem sie diejenigen unter den Siebenbürger Sachsen schwächte, die für ein Leben der Sachsen in Rumänien eintraten, stieg der Wunsch zur Auswanderung bei denen, die an keine Zukunft der deutschen Minderheit in Rumänien glaubten und sich durch die Verhaftungen nach 1957 bestätigt sahen. Sie beschworen ihre Verwandten in Deutschland, bei der Bundesregierung dafür einzutreten, dass die Auswanderung erleichtert werde, wenn es nicht anders ginge, dann auch mit Geld. Die 14

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er auch ohne sie unterschrieb. Die Brille fand sich dann später wieder.15 Die Securitate folterte Konrad Möckel physisch nicht, schüchterte ihn aber auf andere Weise ein, zum Beispiel indem sie ihn wach hielt, psychisch unter Druck setzte, mit wahren oder erfundenen Aussagen konfrontierte, Wissen vortäuschte, Fallen stellte, sich einmal wohlwollend, ein andermal drohend gab, auf eingeräumten Fehlern herumhackte. Die Securitate behandelte Konrad Möckel zunächst zwar höflich und ließ gelegentlich besseres Essen kommen. Aber schon der Zwang, auf dem Weg zum Verhör jedesmal eine Dunkelbrille aus Blech aufzusetzen, mit der die Verhafteten über die Treppen zum Verhörzimmer stolperten, das Licht der Scheinwerfer, die Ungewissheit in der Isolation der Einzelhaft, das Fehlen eines Verteidigers waren zermürbend. Einmal spuckte man ihm ins Gesicht. Quälend waren die suggestiven und wiederholten Unterstellungen. „Was haben sie noch Feindliches gegen den rumänischen Staat unternommen?“ „Was haben sie noch versteckt?“ Wenn die Securitate mit einem Thema nicht weiterkam, drohte sie: „Wir kommen auf dieses Thema noch zurück.“ Ob Konrad Möckel die Protokolle hätte besser prüfen und hartnäckiger beanstanden können, ist schwer zu beantworten. Kurt-Felix Schlattner durchschaute die Taktik der Securitate und unterschrieb kein Protokoll, in dem das Wort „Organisation“ sich auf den Freundeskreis Depners bezog. Die Securitate beschuldigte ihn darauf wegen der „Nichtanzeige“ einer schweren Straftat, was bis zu zehn Jahren Gefängnis bedeuten konnte. Als die Securitate meinte, genügend speziell Konrad Möckel belastendes Material zu haben, fragte sie nach seinen Beziehungen zu Horst-Peter Depner und Günter Volkmer. Erst kurz vor Beginn des Prozesses waren Verteidiger zugelassen. Einige beauftragten die Angehörigen, andere waren Pflichtverteidiger, die sich oft selbst und nicht ohne Grund fürchteten. Die meisten räumten ihren Mandanten nicht die geringste Chance ein. Selbst wenn sie ihre Mandanten mutig verteidigen wollten, ließ man ihnen die notwendige Zeit nicht, die Anklage und das Beweismaterial genau durchzulesen, geschweige denn zu studieren. Prozess und Urteile Das Klausenburger Militärgericht reiste zum Prozess nach Kronstadt an. Er begann unter strengen Sicherheitsmaßnahmen ein Jahr nach den ersten Verhaftungen der JugendliKPR brauchte nicht von sich aus den Sklavenhandel ins Gespräch zu bringen und erreichte, dass die Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, die Bundesregierung und das Diakonische Werk den Handel „Geld für Menschen“ jahrzehntelang stillschweigend hinnahmen. Auch Konrad Möckel und seine Frau wurden „herausgekauft“. Die KPR schwächte die deutsche Minderheit im Lande, indem sie die Landsmannschaften und die Regierung der Bundesrepublik funktionalisierte, und konnte den Vorwurf von sich weisen, sie wolle die deutsche Minderheit vernichten. 15 Es lässt sich nicht sagen, dass diese mündliche Mitteilung sich auf dieses Verhör bezog.

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chen. Die – zum ersten Mal – räumlich vereinigten Mitglieder der sogenannten „Gruppe Schwarze Kirche“ saßen in vier Fünferreihen hintereinander. Von den Angeklagten sahen sich einige im Gerichtssaal zum ersten Mal in ihrem Leben, und doch sollten sie eine aktive Geheimorganisation sein. Angehörige der Sicherheitsbeamten stellten während der Verhandlungen die Öffentlichkeit dar, während Angehörige der Angeklagten zum Schauprozess nicht zugelassen waren. Das Gericht warf Konrad Möckel vor, was schon im Haftbefehl stand, er habe zum Umsturz der sozialen Verhältnisse ermutigt und den Sächsischen Nationalismus neu angefacht, dazu Hochverrat und Landesverrat begangen. Horst Depner, der hinter ihm saß, berichtet in seinen Erinnerungen, Konrad Möckel sei, als er das Strafmaß des Staatsanwalts – die Todesstrafe – hörte, getaumelt und habe die Hände vor das Gesicht gehalten. Damit hatte er nicht gerechnet. Das Klausenburger Militärgericht verkündete die Urteile am 22. Dezember 1958. Ein Vollzugsbeamter teilte sie einige Tage später den Verurteilten einzeln mit, die inzwischen in die Vollzugsanstalt in Zeiden eingeliefert worden waren.16 Der Staatsanwalt hatte auch für Depner, Volkmer und Dendorfer die Todesstrafe gefordert. Aber das Gericht verhängte keine Todesstrafe. Konrad Möckel erhielt schweren Kerker auf Lebenszeit.17 Das Urteil gegen Horst Depner, Günter Volkmer, Teodor Moldovan, Karl Dendorfer, Heinz Taute, Günther Melchior, Gerhard Gross und Reiner Szegedi lautete lebenslängliche Zwangsarbeit wegen Vaterlandsverrat („pentru crima de trădarea de patrie, la muncă zilnică pe viaţă“). Hans Bordon, Ernst Peter Hönig und den erst am 11. August 1958 verhafteten Oskar Kutzko bestrafte das Gericht wegen Nichtanzeige einer schweren Straftat mit zehn Jahren Gefängnis, Emil Popescu mit acht Jahren Besserungsanstalt („închisoare corecţională“). Kurt Felix Schlattner und Gerd Pilder erhielten wegen Nichtanzeige sechs Jahre Gefängnis. Härter fielen die Strafen für die drei Angestellten der Honterusgemeinde aus. Werner Theil bekam 25 Jahre Zwangsarbeit, weil er sich durch Agitation verbrecherisch gegen die soziale Ordnung vergangen habe („muncă zilnică“ pentru „uneltire contra ordinei sociale prin agitaţie“), Fritz Roth 20 Jahre schweren Kerker, Guido Fitz 15 Jahre schweren Kerker, dazu 5 Jahre Besserungsanstalt wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen. Die Geschwister Herbert und Maria Luise Roth sollten sich gegen die soziale Ordnung vergangen haben und erhielten 6 Jahre Gefängnis. Alle Verurteilten verloren ihr Vermögen und hatten je 600 Lei Gerichtskosten zu zahlen. Die eingezogenen Beweisstücke blieben im Gewahrsam des Gerichts. Die Umstände sprachen einem fairen Gerichtsverfahren Hohn. Das kommunistische Rumänien war kein Rechtsstaat, auch wenn das Gericht eine rechtsstaatliche Kulisse vortäuschte – mit Anklage und Anklageschrift, dicken Aktenordnern, säuber16

CNSAS 742 Band 5, Bl. 1503. „... făcînd aplicaţiunea art. 194/1 al. 1. C.P., comb. cu art. 194/4 al ultim. C.P. mai condamnă acest inculpat petru tentativa la crima de spionaj, la temniţă grea pe viaţă potrivit art. 31 C.P. Conform art. 101 C.P. urmează a executa pedeapsa temniţei grele pe viaţă.“ Die Haftzeit rechnete das Gericht ab dem Tag der Verhaftung am 10. Februar 1958. 17

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lich unterschriebenen Protokollen, umfangreichem Beweismaterial, Schriftgutachten, fotografischen Belegen, Zeugen der Anklage (nicht der Verteidigung), Plädoyers der Verteidiger, Einlassungen und Schlussworte der Angeklagten. Die Securitate und das Militärgericht überhäuften die willkürlich zusammengewürfelten Angeklagten mit Anschuldigungen, bis sie eine Gruppe zu sein schienen. Der Richter redete Konrad Möckel als „professionellen Spion“ an. Die Strafen waren hart, aber schlimmer war die Demütigung durch die Beugung des Rechts. Schaut her, war die Botschaft, wenn wir wollen, können wir aus jedem Sachsen einen Verbrecher machen, so wie wir aus dem Kronstädter Stadtpfarrer einen gemacht haben! Der Geheimdienst und das Militärgericht hatten genau das getan, was sie den Verurteilten vorwarfen. Sie deuteten Worte und Taten der Angeklagten um und stießen sie aus der rumänischen Gesellschaft aus. Die Angeklagten lebten nachweislich seit 1948 ein bescheidenes Leben, immer in Sorge, aus der neuen sozialen Ordnung herauszufallen. Die Kronstädter Jugendlichen hofften, die Sachsen sollten sich, soweit das an ihnen lag, mehr am gesellschaftlichen Leben der Zeit beteiligen, freilich nicht auf Kommando, sondern spontan. Konrad Möckel trat offen dafür ein, dem Land treu zu bleiben. Nun warf ihnen das Gericht vor, sie seien es gewesen, die sich außerhalb der sozialen Ordnung gestellt hätten. Einer der Verteidiger sagte, die Angeklagten seien schon durch das Verfahren genug bestraft und würden diese Lehre niemals in ihrem Leben vergessen. Die Verurteilten waren in der Tat deprimiert. Das war beabsichtigt und sollte jeden abschrecken, der ein offenes Wort wagte und sich anderen mitteilte. Noch einen anderen Effekt versprach sich die Securitate von den hohen Gefängnisstrafen. Sie suchte Informelle Mitarbeiter zu gewinnen und stellte Häftlingen in Einzelgesprächen eine baldige Entlassung in Aussicht, wenn sie sich für Zuträgerdienste verpflichten ließen. Schon während der Voruntersuchung hatte die Securitate unter den Angeklagten Mitarbeiter zu gewinnen versucht. Die Verurteilten durften innerhalb von fünf Tagen nach dem Urteil Gnadengesuche einreichen. Sie wurden alle abgelehnt. Bischof Friedrich Müller vermutete, dass ein Brief Martin Niemöllers die Umwandlung der Todesstrafe in eine Zeitstrafe bewirkt habe.18 Nachweisbar ist die Wirkung von dieser Intervention und von späteren Appellen westlicher Wirtschaftsdelegationen, Kirchenleitungen und politischen Persönlichkeiten nicht. Corneliu Pintilescu führt die Minderung der Strafzumessung auf eine interne Auseinandersetzung zwischen Securitate und Anklage einerseits und Militärgericht andererseits zurück. Das Militärgericht habe keine Märtyrer schaffen wollen und deswegen auf die Todesstrafe verzichtet.

18 Friedrich Müller: Erinnerungen 1944-1964. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 167. Dass eine Stockung im Prozess eingetreten sei, wie Friedrich Müller meint, ist unrichtig.

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Rumänien nach dem Aufstand in Ungarn Die politischen Prozesse in den Jahren 1957 bis 1960 in Rumänien richteten sich gegen die ganze Bevölkerung und gegen alle Nationalitäten, Rumänen, Deutsche und Ungarn, trafen aber die Minderheiten ganz besonders. Die Prozesse sollten nach dem ungarischen Aufstand im Jahre 1956 Schrecken verbreiten und spontane Keime der Selbständigkeit und Freiheit in der Bevölkerung vernichten. Das sozialistische Rumänien wollte außerdem demonstrieren, dass der Abzug der sowjetischen Truppen nicht zum Zusammenbruch des Herrschaftssystems führen werde. In der Tat beschloss der Warschauer Pakt den Abzug der sowjetischen Truppen aus Rumänien am 24. Mai 1958. Für die Minderheit der Rumäniendeutschen waren die Prozesse, von denen der Schwarze-Kirche-Prozess nur einer war, eine neue, schwere Belastung. Es ist eine ungeklärte Frage, ob das Zentralkomitee den demonstrativ nationalen Charakter dieses und anderer Prozesse befahl. Der ungarische Ministerpräsident und Reformer Imre Nagy war aus der jugoslawischen Botschaft, wohin er sich nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen zusammen mit anderen geflüchtet hatte, herausgelockt, nach Rumänien verbracht, verhört und nach einem Prozess in Budapest am 16. Juni 1958 zum Tode verurteilt worden. Die Securitate hatte sich der Sowjetunion gegenüber als ein verlässlicher Partner erwiesen, während der ungarische Geheimdienst 1956 – in den Augen der Sowjetunion – versagt hatte. Nach 1956 waren auch in Rumänien an manchen Orten Rufe nach Freiheit zu hören. Die Securitate erstickte sie. Die Voruntersuchung im „Schwarze-Kirche-Prozess“ hieß in der Amtssprache „Ancheta Nr. 392/1957“. Es ist ungeklärt, wo der Ausdruck „lotul Biserica Neagră“ zum ersten Mal auftaucht. Die Prozessstrategie erarbeitete die Securitate von Kronstadt. Zahlreiche Prozesse folgten. Gab es zur Auswahl der Städte, der Nationalitäten, der Anzahl der Personen und zur Verteilung von Frauen und Männern Weisungen oder schlug der Geheimdienst nach dem Zufallsprinzip dort zu, wo es ihm günstig erschien? Es fällt auf, dass die Securitate mehr Männer als Frauen verfolgte. Geistliche aller Konfessionen gerieten schon früh als potentielle Feinde des Kommunismus ins Visier des Zentralkomitees und der Securitate. Im Zentralkomitee war man 1948 der Ansicht, dass die katholische Jugend im Banat die gleiche chauvinistische Erziehung erhalte wie in der Hitlerjugend.19 Dieser Befund des Zentralkomitees entsprach nicht der Wirklichkeit. Die religiösen Bekenntnisse waren nun einmal seit Jahrhunderten im ehemaligen Österreich-Ungarn an Sprachen gebunden. Die Securitate verfolgte die Strategie, Verhaftete nach ihren Kontakten zum Pfarrer der Gemeinde auszufragen, ganz gleich aus welchem Grund sie vorgeladen waren. In Freck (Avrig) fand 1960 ein Prozess gegen einige Sachsen statt. Ein Frecker hatte die Ausreisepapiere erhalten, um zu seiner Tochter nach München zu ziehen. Seine Freunde 19

Hannelore Baier: Germanii din România 1944-1956. Culegere de documente de arhivă. Editura Honterus. Sibiu 2005, S. 36. Auszüge aus einem Protokoll des Zentralkomitees der KPR vom 15. November 1948.

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beschworen ihn, den Vorsitzenden der Landsmannschaft aufzusuchen und ihn über die wahre Lage in Rumänien aufzuklären. Ein Spitzel hörte Gespräche mit. Der Reisepass war dahin, und es folgte ein Prozess, in dem das Gericht gegen vier Personen mehrjährige Gefängnisstrafen verhängte. In den Verhören fragte der Untersuchungsrichter einen der Angeklagten völlig unmotiviert nach seinen Beziehungen zum evangelischen Ortspfarrer Berthold Köber aus.20 Der Schwarze-Kirche-Prozess war auch eine getarnte Christen- und Kirchenverfolgung. Die Parteidiktatur schätzte die nationalen Minderheiten als potentiell feindlich ein. Sie setzte damit die Politik des bürgerlichen Übergangssystems (1944-1947) fort und bündelte die Unterdrückung der Nationalitäten und die der Kirchen. Der Geheimdienst verfolgte den Stadtpfarrer bewusst nicht als einen Christen. Die Jugendstunden galten der Securitate nicht als Gemeindearbeit, obgleich sie nicht Sache des Pfarrers allein, sondern mit dem Presbyterium abgesprochen waren. Nicht genug, dass sie die Jugendlichen als eine subversive Gruppe zusammenfasste, was sie in Wirklichkeit nicht war, sie ließ sie auch nicht als selbstdenkende Jugendliche gelten, sondern unterstellte ihnen eine Abhängigkeit von der Kirche. Mit dieser erschwindelten Kombination machte die Anklage aus der Honterusgemeinde und den Jugendfreundschaften zusammen eine Brutstätte des Hochverrats und des Landesverrats. Das nahm der Kirchengemeinde die Würde einer Religionsgemeinschaft und dem Freundeskreis um Depner und Volkmer die Würde eines selbständigen Denkens, das mit den Jugendlichen vor Gericht stand. Der Anlage der Akten nach zu schließen war der Prozess nicht von Anfang an darauf angelegt, Konrad Möckel als den Hauptschuldigen und Anführer darzustellen.21 Der Prozess sollte nicht nur die Kronstädter Kirchengemeinde, sondern die evangelische Landeskirche und schließlich alle Konfessionen des Landes treffen. Von wem diese die Nationen und Konfessionen unterscheidende Strategie zur Einschüchterung der Bevölkerung nach 1956 ausging, kann man nach den Unterlagen des SchwarzeKirche-Prozesses, die bisher freigegeben worden sind, nicht beurteilen. Fest steht, dass die Trennung nach Nationalitäten nicht zwingend war. Damals lief ein Verfahren gegen junge Rumänen, ehemalige Schüler eines Bukarester Lyzeums, die sich 1948 – laut der Securitate – die „blaue Lilie“ nannten und von einem vereinigten Europa geträumt hatten. Beide, die „blaue Lilie“ und der Freundeskreis um Depner und Volkmer, waren der Logik der Securitate nach von Heinz Hahn, einem aus Bayern stammenden Mitglied der Jungsozialisten, inspiriert. Hahn hatte ein Besuchervisum für Rumänien erhalten. Die Securitate wies ihm in Abwesenheit 20

CNSAS, Dosar Nr. 5780, Vol. Nr. 1-4. Der Prozess war zunächst auf Depner und Volkmer hin angelegt. Zeitlich gesehen sind ihre Akten die ersten. Als die Securitate Konrad Möckel zwei Monate später verhaftete, erhielt seine Akte jedoch sogleich die Nummer 1 und rückte an die erste Stelle, obgleich später angelegt. Schon auf Blatt 3 von Dosar I steht der Haftbefehl für Konrad Möckel. Die Entscheidung, ihn zum Spiritus Rector der Gruppe zu machen, muss im Januar oder Anfang Februar 1958 gefallen sein. 21

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die Rolle „westlicher Agent“ sowohl im Schwarze-Kirche-Prozess als auch im Prozess gegen die ehemaligen Bukarester Schüler zu.22 Warum konstruierte die Securitate keine sächsisch-rumänische Widerstandsgruppe, wo doch beide mit dem gleichen westdeutschen Agenten zu tun haben sollten? Krasse Willkür bei der Inhaftierung und bei der Anklageerhebung war hier wie dort im Spiel. Von den Jugendlichen hatten einige die Zusammenkünfte bei Depner ein einziges Mal besucht und waren trotzdem verhaftet worden, andere öfter und blieben doch frei. Die nationalistische Komponente in der Strategie der Abschreckungsprozesse bedarf noch weiterer Aufklärung. Die Aufmerksamkeit richtet sich oft einseitig auf das Verhalten der Opfer vor und im Prozess, die in der Stresssituation der Verhöre Fehler machten oder versagten. Die Hinterhältigkeit der Securitate und der willfährigen oder fanatisierten Richter wird dagegen selten thematisiert.23 Im Jahre 1957 hatte Gerhard Möckel, damals Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Griechenland mit dem Sitz in Athen, eine Besuchserlaubnis für Kronstadt erhalten. Konrad Möckel ließ ihn an einem Sonntag in der Schwarzen Kirche predigen. Nach einem Ausflug stellte sich heraus, dass der Bus ausfiel, der Vater und Sohn nach Kronstadt zurückbringen sollte. Dafür erschien eine schwarze Limousine mit einem höflichen Fahrer, der die beiden Wanderer einlud mitzufahren – ein deutliches Zeichen der Beschattung. Als Konrad Möckel schon im Bărăgan war, erschienen im Pfarrhaus in Athen zwei Herrn, die nach einleitenden Erkundigungen mit der Sprache herausrückten. Sie könnten für die Entlassung des Vaters sorgen und luden ihn zum Essen in ein Gasthaus im Hafen Piräus ein. „Tatăl e rău, dar fiul e lângă noi!“ (Der Vater ist schlecht, aber der Sohn steht zu uns!) Als Gegenleistung für diese als Schmeichelei gedachte Unterstellung erwarteten sie Informationen. Als Gerhard Möckel sagte, dazu sei sowohl er als auch sein Beruf ungeeignet, deuteten sie auf das Meer hinaus, wo in einiger Entfernung die grauen Schiffe der amerikanischen Kriegsmarine vor Anker lagen. Sie kamen dann noch einmal am nächsten Tag in das Pfarramtsbüro, um zu fragen, ob Gerhard Möckel es sich nicht doch noch anders überlegt habe. Als er bei seiner Ablehnung blieb, fragten sie vorwurfsvoll-mitleidig, was dann aus dem armen, alten Vater werden solle. Gerhard Möckel sagte, er könne das Schicksal seines Vaters nur in Gottes Hände legen.

22 Ein Kuriosum am Rande. Die Securitate aus Stalinstadt gab den Bukarester Kollegen einen Hinweis mit dem Unterton professioneller Überlegenheit: Man sei erstaunt, dass man in Bukarest diese „gefährliche Gruppe“ acht Jahre lang habe übersehen können. Florin Alex. Stănescu: O posibilă Uniune Europeană – delict politic în 1958, S. 67. Hans Bergel berichtete 1980 in einem Vortrag, dass der Kronstädter Staatsicherheitsdienst „fast die Stärke des Bukarester“ hatte. Tonbandmitschrift eines Diskussionsvotums nach dem Referat „Die Untergrundgruppen in den Jahren 1950-1960 in Siebenbürgen“. Nachlass KM Archivmappe 7. 23 Siehe Herta Müller: Die Securitate ist noch im Dienst. In: Hamburger Wochenzeitung DIE-ZEIT vom 23. Juli 2009, Nr. 31, S. 44, 45, und Herta Müller: Christina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht. Göttingen 2009.

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Die Episode zeigt, dass die Securitate sehr genau wusste, dass Konrad Möckel für sie nie eine Gefahr gewesen war. Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens Am 1. Januar 1959 richtete Konrad Möckel an das Militärtribunal der Region Nr. 3 Klausenburg ein handschriftliches Gesuch in rumänischer Sprache mit der Bitte um Wiederaufnahme des Verfahrens.24 Die Argumentation ist von Interesse; denn hier äußerte Konrad Möckel seine Meinung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und man hat – wenigstens partiell – den Eindruck, wirklich ihn selbst zu hören. Er sei in der Zeit des Zweiten Weltkriegs kein hitleristischer Agent gewesen. Um das Gegenteil und um seine Position gegenüber den Hitleristen zu beweisen, nannte er Zeugen. Er habe Schabel anlässlich eines familiär-freundschaftlichen Treffens in Anwesenheit der Ehefrauen kennengelernt. Er bäte, seine Frau Dora Möckel in dieser Sache als Zeugin zu akzeptieren, da sie zusammen mit der Frau Schabels die einzige anwesende Person bei den Treffen gewesen sei. Die Statistiken, die er durch eine Bekannte, Ilse Hüppi, vor elf Jahren an seinen in Stuttgart ansässigen Sohn Andreas Möckel gesandt habe, seien im Umkreis der evangelischen Gemeinde gesammelt worden. Er könne nicht erkennen, dass diese Daten ein Staatsgeheimnis seien und wisse nicht einmal, ob diese Daten an ihr Ziel gelangt seien. Von der Existenz einer Gruppe Jugendlicher Depner-Volkmer habe er überhaupt keine Kenntnis gehabt, was aus der Erklärung des Mitangeklagten Horst Depner hervorgehe. Die Erklärungen eines anderen Mitangeklagten seien von A bis Z gelogen. Er bitte, ein medizinisches Gutachten einzuholen, da dieser nicht im Vollbesitz seiner mentalen Kräfte sei. Er, Konrad Möckel, habe Kenntnis davon gehabt, dass Horst Depner in der Fabrik „Rote Fahne“ in Stalinstadt öffentlich ein deutsches Ensemble mit kompetenten Kräften organisiert habe, womit er einverstanden gewesen sei. Seine Verbindung zu Günther Volkmer und später zu Horst Depner habe in Gesprächen am Rande der Jugendstunden bestanden. Er habe sie gebeten, Freunde und Bekannte zu den Jugendstunden einzuladen. Erst nach der Verhaftung von Volkmer habe er gehört, dass sie wegen politischer Vergehen angeklagt seien, ohne dass er wusste, wovon die Rede war. In den von ihm gehaltenen Jugendstunden sei nur über religiöse und ethische Themen gesprochen worden, das könnten Teilnehmer bezeugen, die er ebenfalls namentlich benannte. Er habe niemals und auf keine Art versucht, die jungen Teilnehmer zu organisieren und ebenso wenig ihnen etwas Feindseliges gegen die Regierung oder gegen andere Nationalitäten einzureden. In der Frage der Mischehen könne ihm keine Feindseligkeit, kein Chauvinismus oder Nationalismus vorgeworfen werden. Er habe 24 CNSAS P 742, Vol. 15, Cerere Konrad Möckels vom 1. Januar 1959. Das Gesuch schrieb vermutlich einer der Vollzugsbeamten.

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junge Paare mit dem Wunsch getraut, sie möchten gemeinsam ins Leben gehen, ohne nach der Nationalität zu fragen. Dazu verwies er auf die Heiratsmatrikel der evangelischen Gemeinde Augsburgischen Bekenntnisses, die seine Haltung zeigen. Nach seiner Verhaftung habe er von Bewegungen und Tendenzen unter den rumänischen und ungarischen Jugendlichen gehört, die diese vor das Gericht brachten, ohne dass ein Zusammenhang mit den deutschen Jugendlichen bestanden habe. Er könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn auch Tendenzen oder Vergehen sächsischer Jugendlicher bestanden haben sollten. In der Frage der Auswanderung der Sachsen könne er beweisen, dass seine Position immer die war, dass man am Ort bleiben solle, jedoch nicht um eine „Insel der westlichen Kultur zu gründen oder wegen etwas ähnlich Reaktionärem“. Er habe in den Jahren 1944-1946 [zur Frage der Auswanderung] eine andere Meinung vertreten, aber nachdem die religiösen Bekenntnisse und die mitwohnenden Nationalitäten in der Volksrepublik Rumänien gleiche Rechte erhalten hätten, habe er seine Meinung geändert. Eine Auswanderung und das Verlassen des eigenen Herdes um einer ungewissen Zukunft willen lehne er ab. Zum Schluss bat er, sein Alter von 67 Jahren mit in Betracht zu ziehen. Das Gericht lehnte das Gesuch am 5. Februar 1959 ab. Ein Dekret des Vizepräsidenten der Großen Nationalversammlung Nr. 420 vom 28. November 1960 wandelte auf dem Gnadenwege den Rest der Strafe Konrad Möckels in Zwangsaufenthalt um. Guido Fitz erlangte am 9. November des gleichen Jahres die Freiheit. Die anderen Mitverurteilten kamen zwischen 1963 und 1964 frei. Die Geschwister Roth mussten ihre Strafe voll abbüßen. Im Gefängnis Konrad Möckel war von 1958 bis 1960 in verschiedenen Gefängnissen, danach hatte er Zwangsaufenthalt in Valea Călmăţiului (Tal der Kalmüken).25 Von der Zeit der Haft und Verbannung gibt es eine Reihe von Zeugnissen.26 Die im Schwarze-Kirche-Prozess Verurteilten hatten erst in der gemeinsamen Zelle in Zeiden, also in einer angespannten Situation, Gelegenheit zur Aussprache. Die Distanz zwischen dem siebenundsechzigjährigen Stadtpfarrer und den Jugendlichen fiel weg oder verringerte sich drastisch. In 25 Die Stationen waren: Securitategefängnis Kronstadt (Oraşul Stalin, heute wieder Braşov) vom 10. Februar bis 23. November 1958; Strafanstalt Zeiden (Codlea) vom 23. November 1958 bis 7. November 1959; Bukarest-Jilava vom 7. bis 9. November 1959; Strafanstalt Piteşti vom 9. November 1959 bis Juni 1960; Strafanstalt Dej (Reg. Cluj) Juni 1960 bis 4. Dezember 1960; Valea Călmăţiului vom 4. Dezember 1960 bis 29. Juni 1963. 26 Horst-Peter Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. Erinnerungen. Bearbeitet und herausgegeben von Georg Aescht. Südostdeutsches Kulturwerk München 1998. Ein Auszug aus einer etwa fünfmal so langen maschinenschriftlichen Niederschrift von Horst Depner. – Herbert Roth: Kein Jahr war vergeblich. Hinter Stacheldraht und Gittern 1958-1964. München 1987. – Eginald Schlattner: Rote Handschuhe. Wien 2001.

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dieser Extremsituation lernten sie sich neu kennen. Die im Prozess Verurteilten waren keine Gruppe. Das zeigte sich nach der Verurteilung. Die Jugendlichen hatten ganz unterschiedliche Beziehungen zur Kirchengemeinde. Horst Depner, Karl Dendorfer, Günter Volkmer, Reiner Szegedi und andere konnten mit der Frömmigkeit Konrad Möckels nicht viel anfangen. Sie ließen sich von ihm nicht viel sagen. Gerhard Gross wurde später Psychotherapeut. Günther Melchior habe Konrad Möckel bewundert und sei „pflegeleicht“ gewesen.27 Heinz Taute hatte zu den eifrigen Besuchern der Jugendstunden gehört. Er war älter als die anderen und innerhalb des Freundeskreises Depner-Volkmer eher eine Ausnahme, wenn er sich ausdrücklich zu den Gottesdiensten bekannte. „Ich hab die Jugendstunden, den Gottesdienst vom Herrn Stadtpfarrer jedes Mal besucht, und ich hatte einen Hang an Religion und, sagen wir, christliche Erziehung.“28

Die Gefangenen klärten in der Zelle den Weg zum Prozess auf und fragten, ob ihre Verhaftungen auch an ihnen gelegen hätten. Alle erwehrten sich der Läuse, widerstanden und überstanden Krankheiten, manche hart am Tode vorbei. Sie hielten den Gestank in den Zellen aus, der dem Bottich für die Notdurft entstieg. Sie hungerten andauernd. Sie hungerten auch nach geistiger Nahrung und stillten diesen Hunger in Gesprächen, so gut es ging. Konrad Möckel konnte über viele Themen in geordneter Form und anschaulich referieren. Das wussten die Jugendlichen auch im Gefängnis zu schätzen. Seine breite Bildung und seine vielfältigen Interessen kamen ihm hier zugute, ferner die Lebens- und Berufserfahrung und die Bekanntschaft mit starken Persönlichkeiten. Er hielt im Gefängnis Vorträge, zum Beispiel zur Kirchengeschichte oder zur Gesteinskunde und zu anderen naturwissenschaftlichen Themen, die in seiner Gymnasiallehrerzeit in Hermannstadt Unterrichtsgegenstand gewesen waren. Den ersten Teil von Goethes Faust kannte er halb auswendig, wie er es überhaupt liebte, Goethe zu zitieren und zu interpretieren. Andere Zellengenossen erinnerten sich an eindrucksvolle Filme oder Bücher und erzählten davon. Jeder konnte über seinen Lebenslauf berichten. Die Gefangenen hielten Wutausbrüche, Streit von Zellengenossen, Phasen der Verzweiflung, die Öde des Gefängnisalltags, die permanenten Demütigungen aus und versuchten seelisch zu überleben. Die Zusammensetzungen in der Zelle wechselten. Konrad Möckel war in den zwei Jahren seiner Gefängniszeit immer wieder mit Kronstädter Jugendlichen zusammen. Eine Frage dürfte die meisten beschäftigt haben. Wäre ihnen der Prozess erspart geblieben, wenn sie der Securitate überhaupt keinen Anlass zu böswillig-schiefen Interpretationen und Unterstellungen gegeben hätten? Diese fiktive Frage lag nahe; denn die Verhafteten waren mit Protokollen und Aussagen ihrer Mitgefangenen konfrontiert und mürbe gemacht worden. Zu spät sei er zur Einsicht gelangt, schrieb Depner 27

Umschrift einer Tonbandaufnahme. Nachlass KM Archivmappe 30, Horst Depner. Christel Ungar: Der „Schwarze Kirche Prozess 1957/58“. TVR 1 Rumänisches Fernsehen. Sendung in deutscher Sprache. 28

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später, dass die Meister im „Knacken individueller Verschlossenheit bei den von uns geschriebenen Texten ansetzten“.29 Nach einem Jahr kamen die Gefangenen für wenige Tage in die Anstalt Jilava bei Bukarest, wo man sie auf andere Gefängnisse verteilte. Die Gefangenen mit Strafen über 20 Jahren transportierte man in Ketten, die ein Schmied am Ausgangsort mit schwerem Hammer über die Fußknöchel annietete, ein anderer am Bestimmungsort abschlug.30 In Jilava mussten alle Neuankömmlinge ein Spalier von Gefängniswärtern passieren, die mit Latten und Fäusten auf sie einprügelten. Nur mit dem 67-jährigen Konrad Möckel machten sie eine Ausnahme und schlugen ihn nicht. Prügel blieben ihm später allerdings nicht erspart. In Piteşti am Südabhang der Karpaten in der Muntenia pflegte ein Kommandant Gefangene willkürlich im Keller des Gefängnisses verprügeln zu lassen. Sie mussten sich dazu auf den Fußboden legen und erhielten Stockschläge auf den Rücken. Die Schmerzensschreie waren in allen Zellen zu hören. Konrad Möckel traf es an seinem 69. Geburtstag. Er hatte mit einem sächsischen Mitgefangenen in der Mundart gesprochen: „Das Schrecklichste war das Hilflos-ausgeliefert-Sein diesen Verbrechern von der Securitate, den Verbrechern vom Gericht und von der Gefängnishierarchie von dem Caraliu bis zum Direktor.“31

Alle im Schwarze-Kirche-Prozess Verurteilten berichteten nach ihrer Entlassung, dass die Haftbedingungen in den überfüllten Gefängniszellen und die Behandlungen durch das Personal entwürdigend gewesen seien, auch wenn es Ausnahmen gab und manche Wärter sich menschlich benahmen.

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Ebda, S. 108. Werner Knall berichtete von der Szene im Zeidner Gefängnis bei der Verlegung. „Eines Tages hörten wir in dieser Zelle ungeheure Geräusche auf dem Korridor, als ob man Eisen über Beton ziehen würde. Später stellte sich heraus, dass es Ketten waren. Und dann wurde einer nach dem andern aus unserer Zelle herausgerufen. Ein Schmied war da mit seinem Amboss, und er vernietete jedem Ketten an die Füße. Das erzeugte natürlich einen ungeheuren Lärm; ... denn das widerhallte alles ja in diesem Korridor. Und das wiederum diente zur Einschüchterung der andern Zelleninsassen in den andern Zellen. Es war uns allen klar: Es wird ein Abtransport vorbereitet. Trennung steht vor uns. Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel entschloss sich eine Andacht zu halten. Er wählte das Wort aus dem Römerbrief: „Jenen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen ...“ (Röm. 8,28). Diese Stunde war emotional ja sehr gefüllt. Wenn sich jemand bewegte, klirrten die Ketten und begleiteten seine Auslegung, die uns sehr berührte. Stadtpfarrer Möckel wollte uns ja Hoffnung geben durch dieses Wort. Und es war in diesem Augenblick alles so hoffnungslos. Und man konnte nicht absehen, inwieweit sich dieses Wort erfüllen könnte.“ Bayerischer Rundfunk 2007. „Stationen einer Gefangenschaft. – Ein Film zum Karfreitag“. Buch Melitta Müller-Hansen, Redaktion: Sabine Rauth. 31 Christel Ungar: Der „Schwarze Kirche Prozess 1957/58“. TVR 1 Rumänisches Fernsehen. Sendung in deutscher Sprache. Interview mit Karl Dendorfer. „Caraliu“, türkisches Lehnwort der rumänischen Sprache, abfällige Bezeichnung für die unterste Stufe des Wachpersonals. 30

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Die gegen die Individuen gerichtete Seite der geheimdienstlichen Aggression nahm einen breiten Raum in den Gesprächen im Gefängnis ein. Die andere Seite der Aggression der Securitate, ihr Versuch, die Honterusgemeinde zu zerstören, scheint in den Erörterungen im Gefängnis, wenn überhaupt, nur eine geringe Rolle gespielt zu haben. Die Honterusgemeinde band die sächsische Bevölkerung auch noch im Kommunismus und hielt sie zusammen. Im Gefängnis scheint das komplexe Mit- und Gegeneinander im Leben einer Kirchengemeinde wenig erörtert worden zu sein, obgleich alle im Prozess Verurteilten ihr zugehörten und – so muss man sagen – für sie litten. Das Gericht hatte mit dem Urteil Fakten geschaffen, die es so vorher gar nicht gegeben hatte. Der Prozess hatte den Stadtpfarrer und die Jugendlichen von außen aneinander und an die Honterusgemeinde gebunden, wie das Konrad Möckel in den Jugendstunden durch eine innere Bindung so nie gelungen war. Nun schoben sich Detailfragen vor. Die jungen Kronstädter mussten die kurze Geschichte ihres losen, noch ungefestigten Freundeskreises klären. Sie hatten sich weder in konspirativer Absicht noch mit einem klaren Ziel getroffen. Konspiration und gemeinsames Ziel, beides hätte schon eine gewisse Übereinstimmung vorausgesetzt. Was konspirativ aussah, war die Angst vor der Unberechenbarkeit der Securitate, von der jeder wusste, dass es sie gab und vor der sich jedermann in Acht nahm. Diese Vorsicht als Konspiration zu deuten, gehörte zur Taktik der Securitate. Konspiration hatten sie genauso wenig gelernt wie Konrad Möckel oder die beiden Kirchenväter. Konrad Möckel versuchte die Gebete der Tageszeiten einzuhalten, wie die Evangelische Michaelsbruderschaft sie vorsah. Gerne bezog er andere in Gottesdienste und Andachten mit ein. Sie waren zwar im Gefängnis verboten, aber man konnte sich darüber hinwegsetzen, wenn die Zellengenossen mitmachten. Auch Gefangene anderer Konfessionen waren bereit, Gottesdienste mitzufeiern oder mitzubeten. Den Kleinen Katechismus Martin Luthers hatte er in jedem Jahr neu durchdenken müssen, um ihn den Konfirmanden in ihre Sprache zu übersetzen. Darüber konnte es auch im Gefängnis zu Gesprächen kommen. Von den jungen Leuten nahmen einige ihn allerdings auch in der Haft eher als einen Repräsentanten der sächsischen Kulturgemeinschaft wahr, nicht als einen Mann der Kirche. Sie befanden sich, wie es Depner ausdrückte, in Bezug auf die Kirche gleichsam „auf der Suche nach kulturellem Asyl“.32 Diese Überschneidungen waren auch ein Thema zwischen dem Wandervogel und Konrad Möckel gewesen und hatten damals zu Auseinandersetzungen geführt. Deutscher Glaube und Glaube an Deutschland vernebelten die Vorstellungen der Jugendlichen und standen dem christlichen Glauben im Weg. Nun kam es 25 Jahre später im Gefängnis zu ähnlichen Kontroversen, aber 32

Horst-Peter Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. München 1998, S. 23. Im Nachlass KM befinden sich außerdem zwei Berichte zur Person Konrad Möckels von Horst Depner, einer vom 4. Oktober 1976 an Ingenieur Roth, der andere vermutlich vom Dezember 1984. Besonders im ersten Bericht (1976) finden sich sehr harte Passagen über den Kronstädter Stadtpfarrer. Nachlass KM Archivmappe 30.

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mit einer anderen Frontenbildung zwischen ihm und Jugendlichen. Sie erinnerten sich später zwar dankbar an das, was Konrad Möckel ihnen kulturell bieten konnte. In Erinnerung blieben jedoch auch die Auseinandersetzungen in einer zuweilen gereizten Stimmung zu religiösen Fragen, Andachten, Gebeten und Gottesdiensten. Selbst wenn Gottesdienste authentisch waren und gelangen, konnten sie in der erbärmlichen Situation der Gefangenschaft polarisieren. Einige von den Jungen argumentierten mit der Entwicklungslehre Darwins und hatten keinen Zugang zur Bibel und zum Evangelium. Manche setzten ihm, dem älteren, wohl auch aus Widerspruchsgeist und Enttäuschung zu. Horst-Peter Depner beschrieb die Situation in der Gefängniszelle nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland distanziert und mit leicht ironischem Ton. Als er in der Voruntersuchung gehört hatte, dass auch Stadtpfarrer Möckel verhaftet worden war, empfand er das als einen „Keulenschlag“; denn der habe für ihn „immer als Ankerpunkt positiven Menschentums gegolten“. Er habe sich zu seiner Entlastung auf ihn berufen wollen. Die Gefängniszelle konnte eine Chance der Annäherung, jedoch auch der Anlass für eine Entfremdung werden. Horst-Peter Depner blieb auf Distanz, und sein Bericht zeigt, dass er hauptsächlich die Außensicht der Kirche A. B. wahrnahm. Die geglaubte Kirche aller, in der Konrad Möckel beheimatet war und die er immer mit meinte, auch wenn er von der Landeskirche oder von der Michaelsbruderschaft sprach, wurde dem Realisten Depner nicht zur Realität. Er zählte sich in der Beschreibung der Gefängniszeit zur „agnostisch-wissbegierigen“ Gruppe innerhalb der Zelle. Er fühlte die Überlegenheit des beinahe dreimal älteren Stadtpfarrers in geistigen und geistlichen Fragen und dessen Unterlegenheit im Lebenspraktischen. „Eigentlich verhielt er sich sehr unauffällig, doch war er schon dadurch eine Herausforderung, dass er ruhig und leuchtenden Gesichts dazusitzen vermochte, so dass jedem klar werden musste, dass nur seine ‚sterbliche Hülle‘ unter uns weilte.“33

Heinz Taute und Gerhard Gross rechnete er zu denen, die den Vorträgen des Stadtpfarrers am liebsten zuhörten. Die Kronstädter Jugendlichen trafen wie der Südostdeutsche Wandervogel in der Person Konrad Möckels auf die Botschaft des Evangeliums. Der Wandervogel war von einer pseudoreligiösen nationalen Begeisterung getragen worden. Die Erneuerungsbewegung hatte sogar Konrad Möckel selbst erfasst. Die Begegnung mit dem Südostdeutschen Wandervogel endete mit der Trennung und mit Dissens. Die Gefängniszelle war ein grausamer Vogelkäfig für junge, wanderlustige, dem Leben zugewandte Kronstädter. Sie waren in diesen Vogelbauer geraten, weil sie sich geistig hatten bewegen wollen. Ihre Lebenssituation vor und in der Haft war beengt und schwerer zu bewältigen als die spielerischen Treffen der Wandervogeljugend in den 1920er Jahren. Bis zu einem gewissen Maß mussten sie sich gegen die geistige Übermacht der älteren Generation, die ihnen in Konrad Möckel begegnete, zur Wehr setzen und sich von ihr ablösen. Depner schreibt darüber offen und selbstkritisch. Die Altersdifferenz 33

Horst-Peter Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. München 1998, S. 85.

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machte jedoch nicht den Kern der Auseinandersetzung aus, die besonders in der ersten Zeit der Haft in Zeiden stattfand. Gerhard Gross und Heinz Taute ließen sich auf einen christlichen Weg ein. Gerhard Gross gab darüber 1997 aus Anlass einer Tagung in Kronstadt zum Schwarze-Kirche-Prozess eindrucksvoll Rechenschaft.34 Schon 1985 schrieb er an Ludwig Binder: „Der Stadtpfarrer ist sich selber und seinem christlichen Glauben treu geblieben, in der Freiheit und auch in Ketten. Die Begegnung und die Auseinandersetzung mit ihm hat mich sehr bereichert und wesentlich meinen persönlichen und beruflichen Werdegang geprägt.“35

Er war in der Haft von allen Mitverurteilten am längsten mit Konrad Möckel zusammen und verstand seine eigene Haftzeit als Chance zum inneren Wachstum. Der Prozess und die Schmerzen des Freiheitsverlustes konnten menschlich zu einem potentiellen Gewinn werden. Horst-Peter Depner schätzte eher, dass von Konrad Möckel eine ansteckende Belebung ausging: „Unter dem Einfluß von Pfarrer Möckel war das Zusammenleben in der Zelle in Arbeit ausgeartet, eine Arbeit allerdings, die Freude bereitete und uns alle bereicherte, an Wissen, zum Teil an Glauben.“36

Die Haft brach den Weg ab, den die Jugendlichen vor 1956 begonnen hatten. Sie setzten ihn nach der Entlassung aus dem Gefängnis und der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, die den meisten gelang, als Gruppe nicht fort, auch wenn sie freundschaftlich verbunden blieben. Das konnte an beruflichen Sorgen, an der angeschlagenen Gesundheit, an dem Respekt vor dem tatsächlich oder auch nur scheinbar drohenden langen Arm der Securitate liegen. In Deutschland gab es zudem den Arbeitskreis für siebenbürgische Landeskunde. Den Kronstädter Jugendlichen hatte 1956/1957 etwas Ähnliches vorgeschwebt, und ihre Stunde hätte 1989/1990 kommen können. Der Kommunismus, der alle Initiativen geknebelt oder vernichtet hatte, hielt sich auch in Rumänien nicht ewig. Er brach noch zu ihren Lebzeiten zusammen. Aber da lag ihre Jugendinitiative schon über dreißig Jahre zurück. Die Securitate hatte den Keim zertreten. Dass der Stadtpfarrer und sie selbst im Grunde unschuldig waren, wussten alle Gefangenen, aber wofür er litt und – merkwürdigerweise – sie mit ihm, erkannte Depner nicht. Der Schlag der Securitate war mit großer Wucht auf die Kronstädter Jugendlichen niedergegangen. Die Securitate hatte sie bis in ihre Jugendträume hinein verfolgt und ihnen in quälenden Verhören fort und fort suggeriert, dass ihr freies Denken ein Staatsverbrechen gewesen sei. Verbrochen hatten sie wirklich nichts. Sie waren in der 34

Nachlass KM Archivmappe 30. Brief von Gerhard Gross an Gerhard Möckel vom 1. Mai 1997, 42 Seiten. 35 Brief von Gerhard Gross an Hermann Binder am 28. August 1985, dem 20. Todestag von Konrad Möckel. Nachlass KM Archivmappe 27/1b. 36 Horst Depner: Auch ohne Zukunft ging es weiter. Erinnerungen. München 1998, S. 100.

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Außensicht der Securitate viel enger mit der siebenbürgisch-sächsischen Kirche verbunden, als sie das in der Innensicht wahrnahmen. Sie standen dem Kommunismus aus einem ganz anderen Grund im Wege als ihre Richter dachten. Sie fühlten, dass die Zeit eine gemeinsame ethische Anstrengung und einen gemeinsamen Entschluss erforderte, wenn man sich für die sächsische Gemeinschaft im real existierenden Sozialismus nützlich machen und nicht einfach alles laufen lassen wollte. Sie handelten danach und sahen sich um. Die unvollendete Geschichte dieser jungen Kronstädter ist ein faszinierendes Beispiel für eine zum politischen Bewusstsein erwachende Freundesgruppe. Ihre wache Lebendigkeit hatte sie die Nähe der Honterusgemeinde suchen lassen – nicht ein frommer Impuls. Sie suchten mehr „Lebensqualität“, als sie im sozialistischen Alltag und Feiertag vorfanden, ähnlich wie die Dissidenten in anderen Staaten des Warschauer Paktes später. Das brachte sie in die Nähe der Kirchengemeinde. Das „Völkische“, das einst den Südostdeutschen Wandervogel begeistert hatte, spielte für sie keine Rolle. Von Horst-Peter Depner, dem bedeutendsten politischen Kopf unter ihnen, kann man das mit Sicherheit sagen. Der real existierende Sozialismus befriedigte sie nicht. Aber ihre eigene Sicht der Wirklichkeit war unsicher und offen, so wie die Außensicht der Securitate sicher und engstirnig war. Im Bărăgan Am 4. Dezember 1960 endete für Konrad Möckel die Gefängniszeit.37 Er saß zuletzt in Piteşti ein. Das Militärgericht wandelte seine Strafe in einen Zwangsaufenthalt im Ort Valea Călmăţiului um. Man müsse den Ort „zwischen Galaţi und Focşani 30 km nördlich von der Eisenbahnlinie suchen“, schrieb Trude Schullerus an die Neffen nach Deutschland (Abb. 25). Es sei dort anscheinend sehr primitiv, denn die Mutter, „die heute zu längerem Aufenthalt hinunterfährt, soll Säge, Hammer und Nägel mitnehmen“.38 Sie habe schon warme Sachen und Lebensmittel vorausgeschickt und sich auf die Reise mit viermal Umsteigen begeben. Dora Möckel lebte in Wolkendorf. Sie hatte wenige Tage vorher in Kronstadt einen der Gottesdienste in der Schwarzen Kirche mit anschließendem Abendmahl besucht, „wie sie Vater dort eingebürgert hat“.39 Dann kam die Nachricht vom Zwangsaufenthalt, „domicil obligator“ (D.O.). Konrad Möckel durfte sich in einem Umkreis von 12 Kilometern frei bewegen und musste sich wöchentlich bei der Polizei melden. In den ersten Tagen nahm ihn ein zufälliger Bekannter in seine Hütte auf. Dann wies man ihm seine eigene Hütte mit einem Stückchen Land zu, von dem er sich ernähren musste (Abb. 27). Die Hütte war mit Schilf gedeckt; die Wände und der 37

Mit der Haftzeit hatte er zwei Jahre und rund zehn Monate im Gefängnis verbracht. Trude Schullerus an Gerhard und Andreas Möckel am 17. Dezember 1960. Nachlass KM Archivmappe 29. 39 Brief von Dora Möckel an die Söhne vom 5. Dezember 1960. Nachlass KM Archivmappe 29. 38

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Ofen bestanden aus luftgetrockneten Lehmziegeln. Auf den Lehmboden sollte noch Dachpappe kommen. Die Möbel fertigte Konrad Möckel aus ungehobelten Brettern und aus Teilen von Kisten an. Einige Bretter zimmerte ein „herziger călugăr“40 zurecht, schrieb Dora Möckel. Den Garten, den es noch gar nicht gab und der aussah wie „ein Kukuruzstoppelfeld“, zäunte Konrad Möckel mit Sonnenblumenstängeln ein.41 Mit Stängeln und etwas Holz, das von der kilometerweit entfernten Bahnstation mit Mühe geholt werden musste, wärmte er im Winter das Haus: „Alles in allem wie in einer primitiven Schutzhütte, aber relativ sehr warm, und wir fühlen uns sehr gemütlich und glücklich darin.“42

Er habe mit „Hammer und Zange, Mistschaufel und Axt umgehen gelernt“, mache seinen Joghurt selbst und bereite sich Speisen zu. Von einer Angina und Kreislaufschwäche erholte er sich nach und nach. Dora Möckel musste an drei Orten wirtschaften, in Wolkendorf, in Călmăţiu und in Kronstadt, wo sie Möbel, Kleider, Bilder untergestellt hatte, nachdem sie aus dem Stadtpfarrhaus ausgezogen war. Das Landeskonsistorium gab die Stelle bald nach dem Prozess zur Berufung eines neuen Stadtpfarrers frei. Dora Möckel erkämpfte sich die Erlaubnis, ihren Mann öfter als im Allgemeinen erlaubt zu besuchen, und zerbrach sich den Kopf, welche Gemüsesorten im Bărăgan, welche in Wolkendorf angepflanzt werden sollten. Nicht alles, was in Siebenbürgen gedieh, hielt auch der Sommerhitze im Bărăgan stand. Als Dora Möckel von ihrem ersten Besuch im Bărăgan nach Wolkendorf zurückkehrte, verabschiedete sich gerade eine Nachbarin, die auswanderte: „Meine gute Freundin und hiesige Nachbarin kommt nun auch zu Euch. Der Abschied geht mir sehr nahe. Na, überhaupt. Ich bin ‚seelenkrank‘ über diese Kleinmütigkeit um und um. Wir sind alle so furchtbar ‚kleingläubig‘ geworden. Doch vorläufig, – ich glaube, ich schrieb es schon, – sind wir mit Vater im B. sehr glücklich.“43

Der Winter ließ sich zunächst glimpflich an. Erst im Januar kam die große Kälte, für die der Bărăgan berüchtigt ist. Dann folgten im März und Anfang April „große Hitze und Dürre“ und nach einem erlösenden Regen dann wieder windiges, aber trockenes Wetter, so dass sie sich Sorgen um die Ernte im Garten machte. Die damals Siebzigjährige pendelte zwischen Wolkendorf und Călmăţiu hin und her, seltener kam sie nach Kronstadt oder nach Hermannstadt in das inzwischen enteignete und überbelegte Haus der Schwester Trude Schullerus, die dort mit der Stiefmutter Hilda Schullerus lebte. Lichtblicke in ihrem Leben waren die Abende im Bărăgan, wenn sie zusammen lasen, sei es aus einem Buch oder aus einer Arbeit. Konrad Möckel begann damals mit dem Entwurf einer „Geschichte des Glaubens“.

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Călugăr = Mönch. Kukuruzfeld = Maisfeld. Dora Möckel an Andreas Möckel am 20. März 1961. Nachlass KM Archivmappe 29. Dora Möckel an Andreas Möckel am 12. Februar 1961. Nachlass KM Archivmappe 29.

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Die Verbannten in Valea Călmăţiu durften sich innerhalb des Ortes frei besuchen. Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Hans Bergel lebten zeitweise mit Konrad Möckel zugleich dort. Einmal besuchte Trude Schullerus ihre Schwester und ihren Schwager. Zwei kleine Wasserfarbenskizzen täuschen geradezu eine Idylle vor, was die Verbannung allerdings nur im Vergleich mit den katastrophalen Gefängnisbedingungen vorher war. Die Freilassung Die Verhaftung und die Verurteilung von Konrad Möckel hatten im Ausland Aufsehen erregt. Zwischen Rumänien und Deutschland gab es 1958 noch keine offiziellen diplomatischen, sondern nur Wirtschaftsbeziehungen. Wenn die Söhne in den Zeitungen von Wirtschaftsdelegationen lasen, die Rumänien besuchen wollten, baten sie, es möchte die Situation ihres Vaters zur Sprache gebracht werden. Paul Hansen, Referent für Minderheitenkirchen in der lutherischen Weltkirche mit dem Sitz in Genf, und das Deutsche Rote Kreuz bemühten sich um die Freilassung, ebenso die Evangelische Kirche in Deutschland und Bischof Gerhard May von der Evangelischen Kirche in Österreich, der mit Konrad Möckel seit der Weltkirchenkonferenz in Oxford bekannt war. Während der Zeit der Verbannung gingen die Bemühungen um eine Freilassung in der Bundesrepublik weiter. Herbert Krimm, Leiter des Evangelischen Hilfswerks in Stuttgart, sprach dessen Gründer Eugen Gerstenmaier an, der seit 1954 Bundestagspräsident war. Als der Generalsekretär der KP der Sowjetunion Nikita Chruschtschow sich im Juni 1961 in Wien mit John F. Kennedy traf, übergab ihm der österreichische Vizekanzler Bruno Pittermann eine Liste mit Namen von Gefangenen, auf der auch der Name Konrad Möckels stand.44 Die Söhne, die in der Bundesrepublik Deutschland lebten, standen vor der Frage, ob man die Haft des Vaters möglichst oft in die Öffentlichkeit bringen oder sich im Stillen um die Freilassung bemühen solle. Sie fragten im Außenamt der evangelischen Kirche in Deutschland an. Das riet von öffentlichen Protesten ab, was den Überlegungen der Söhne entgegenkam. Ob das politisch klug war oder ob mehr Öffentlichkeitsarbeit wirksamer gewesen wäre, lässt sich kaum entscheiden. Die Securitate versuchte von Rumänien aus über freiwillige und unfreiwillige Helfer auf Personen und Institutionen in der Bundesrepublik einzuwirken und scheute alles, was Licht in ihre Machenschaften bringen konnte. Vielleicht war das Vorgehen in der Stille im Einzelfall in der Tat erfolgreich, der Verzicht auf Öffentlichkeit war jedoch angesichts des himmelschreienden Unrechts der Diktatur und der üblen Gerüchtebildung im Ganzen fragwürdig. Die Bundesregierung ließ über Vertrauensanwälte mit rumänischen Anwälten verhandeln. Rechtsanwalt Ewald Garlepp in Stuttgart übernahm Einzelfälle, bei denen 44 Friedrich Müller führte darauf die Umwandlung der Haftstrafe in Verbannung (domicil obligator) zurück. Friedrich Müller: Erinnerungen 1944-1964. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 167. Der Besuch Chruschtschows in Wien im Juni 1961 fand jedoch erst ein halbes Jahr nach der Entlassung Konrad Möckels aus dem Gefängnis in Piteşti statt.

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auch Geldzahlungen im Spiel waren. Er war über die Verurteilung Konrad Möckels spätestens seit 1961 unterrichtet. Im Spätherbst 1962 ließen die rumänischen Behörden Konrad Möckel wissen, dass er auf Antrag in die Bundesrepublik ausreisen dürfe und dass man auch seiner Frau einen Reisenpass ausstellen werde. Der Suizidversuch von Dora Möckel Seit die Behörden die Entlassung Konrad Möckels mit der Aussicht auf eine Ausreise angekündigt hatten, stand die Auflösung des Haushaltes bevor. Seine Frau geriet durch diese im Grunde erfreuliche Wendung im Schicksal ihres Mannes dreifach unter Druck. Sie musste sich weiterhin um ihren Mann im Bărăgan kümmern. Das schien ihr unerlässlich. Der dritte Winter in der Verbannung stand bevor. Der zweite Aufgabenbereich war die Beschaffung der geforderten Dokumente und die Auflösung der Haushalte. Die dritte Aufgabe war seelischer Art. Sie musste innerlich loslassen. Diese drei Aufgaben verwoben sich miteinander. Besonders die Bücher der Bibliothek, und hier wieder die Transilvanica, waren ein kritischer Punkt. Sie hatte eine Sammlung von Transilvanica für die Söhne, der eine Pfarrer, der andere Hochschuldozent, zusammengestellt; sie hatte seit dem Kriegsende auf deren Rückkehr nach Siebenbürgen gehofft. Nun sollte sie die Bücher, darunter viele von und aus der Bibliothek des Vaters Adolf Schullerus, vergebens gesammelt haben. Die Bücher symbolisierten, wofür sie gelebt hatte. Das sollte sie nun von heute auf morgen aufgeben. Das brachte sie zur Verzweiflung. Die junge Ärztin hatte ihre Karriere aufgeopfert, um sich als Pfarrfrau voll und ganz in die Tradition der sächsischen Kirche zu stellen. Das hatte ihr die Kraft gegeben, vierzig Jahre lang ihren Mann ohne Vorbehalt wirksam zu unterstützen. Nun sollte sie nicht nur dieser Tradition, was schon schlimm genug war, sondern sich selbst untreu werden – so fühlte sie es. Indem sie die Haushalte auflöste und die Ausreisepapiere vorbereitete, widerrief sie, so schien es ihr, wofür sie ihr Leben lang und besonders nach dem Krieg mit allen Kräften gestanden hatte. Sie war überzeugt, dass sich die Sachsen gegen alle Widrigkeiten im Lande ihrer Väter behaupten konnten und dass die schwere Heimsuchung nicht ewig dauern und der Tag für ein sächsisches Leben in einem freien Siebenbürgen und Rumänien kommen werde. So lange musste man durchhalten. Einen anderen Weg gab es nur für Einzelne, nicht für die Gesamtheit der Sachsen. Rumänien schüttelte die Diktatur 1989 ab, aber dieses ferne Datum konnte Dora Möckel im Jahre 1962 nicht erahnen. Was für Tausende in Siebenbürgen und im Banat ein Anlass zu großer Freude gewesen wäre, die Aussicht auf eine Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, bedrückte sie. Sie sollte dem verbannten Mann helfen, die Haushalte auflösen und die sächsische Tradition dem überlassen, „der im Regiment ist“ – allein und einsam mit ihren Gedanken in Wolkendorf. Das ging über ihre seelische Kraft. Sie hatte das Gefühl, dass bei ihr „eine Bombe geplatzt“ sei. Kurz nach ihrem 72. Geburtstag, Mitte November 1962 erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und fiel in eine schwere Depression. Die

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Schwester eilte aus Hermannstadt herbei, half und suchte sie zu beruhigen – zunächst mit einigem Erfolg. Den Söhnen schrieb sie: „Nach heißem Ringen haben wir uns entschlossen, zu Euch zu kommen.“45 Wenige Tage später machte sie einen Suizidversuch. Sie fühlte sich einem Neuanfang nicht mehr gewachsen und verzieh sich das nicht. Schuldgedanken quälten sie. Ihr Mann werde ihretwegen nicht zu den Söhnen nach Deutschland reisen können. Man müsse sie „abschreiben“ und ohne Rücksicht auf sie die Zukunft planen, sonst reiße sie ihn mit in das Verderben. Ihre Schwester versprach, den Haushalt aufzulösen, sobald sie und ihr Mann ausgereist seien. Es solle zunächst nur das verkauft werden, was für die Reisepapiere und die Reise notwendig sei. Ihre innere Erregung steigerte sich jedoch immer mehr. Beruhigungsmittel, welche die Ärzte verschrieben, betäubten sie nur zeitweilig. Zum Schluss kreiste sie nur noch um den Gedanken, sie sei verloren – ihr Mann aber müsse frei werden. „In so einem Verzweiflungsanfall kam sie aus dem Bett am Morgen halb betäubt mit Schüttelfrost zu mir in die Küche. Ich suchte sie zu beruhigen und lief dann schnell ins Nebenzimmer, um ihr das Bett frisch zu machen. Bis ich nach drei Minuten in das Zimmer kam, war das Fenster offen, durch das sie in den Hof gesprungen war.“46

Das Zimmer lag im zweiten Stock. Am Vortag war eine Klafter Brennholz abgeladen worden. Dora Möckel streifte beim Sturz den Stapel und riss ihn mit. Das milderte den Aufprall. Sie brach einen Arm und einen Fußrücken, erlitt aber keine inneren Verletzungen. Sie blieb bei Bewusstsein, erkannte das Widersinnige ihres Suizidversuches und bat um Entschuldigung. Trude Schullerus brachte die Schwester in das Ilie-Pinitilie-Spital in Kronstadt. Die Ausreise musste verschoben werden. Es tauchte die Befürchtung auf, ob das Zeitfenster für die Ausreise sich nicht bald schließen werde. Konrad Möckel saß im Bărăgan fest. Der Gedanke an eine Ausreise aus Rumänien beunruhigte ihn viel weniger als seine Frau. Gefängnis und Verbannung hatten ihm das Gesetz des Handelns aus der Hand genommen. Seine Stelle in Kronstadt war längst neu besetzt. Er schrieb seiner Schwägerin am 13. Dezember 1962 aus Valea Călmăţiu, er schlage vor, „dass angesichts von Doras Angstzuständen die ganze Aktion: Übersiedlung aufgehoben wird. Wer zwingt uns denn eigentlich? Ist es nicht unser freier Wille, nach dem wir handeln?“47 Die Auflösung des Haushaltes sei notwendig, wenn die Ausreise stattfinde und wenn sie nicht stattfinde. Die Altersexistenz im Lande müsse und werde sich auf 45

Am 26. November 1962. Die Zeile ist ein Zitat im Brief, den Andreas Möckel am 7. Dezember 1962 an Dr. Ewald Garlepp schrieb. Der Originalbrief war nicht mehr auffindbar. Nachlass KM Aktenmappe 29/1. 46 Brief von Trude Schullerus an Andreas und Gerhard Möckel vom 23. Dezember 1962. Nachlass KM Aktenmappe 29/1. Der Bericht vom Suizidversuch Dora Möckels folgt diesem Brief. 47 Brief von KM an Trude Schullerus vom 13. Dezember 1962. Nachlass KM Aktenmappe 29/2.

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kleinstem Raume abspielen. Ob dann später als ein weiterer Schritt die Ausreise erfolge, werde man sehen. „Es werden immer wieder Züge fahren.“48 Als die Krankheit hartnäckig blieb und sich auch nach einem halben Jahr noch nicht besserte, reifte der Gedanke, nach Deutschland auszureisen, doch – paradoxerweise – gerade auch wegen der Behandlung der Depression Dora Möckels. Schon früher hatte sie in Stresssituationen zu vorübergehenden psychischen Verstimmungen geneigt. Der Umzug von Großpold nach Kronstadt im Jahre 1933 schien der damals 40-Jährigen wie ein unübersteigbares Gebirge. Ein halbes Jahr vorher hatte sie ihr viertes und ein Wunschkind verloren. Auch damals hatte die Schwester Trude Schullerus geholfen, die Situation zu bewältigen. Dora Möckel war bis dahin eine Pfarrfrau, die viele als vorbildlich ansahen. In Großpold half sie als Ärztin vielen Müttern mit Kindern. Davon war schon die Rede, auch davon, dass die Besuche im Pfarrhaus selbstverständlich unentgeltlich waren. Sie leitete den Frauenverein, dem alle sächsischen und alle landlerischen Frauen des Dorfes angehörten, hielt Frauenabende, organisierte eine Kinderbewahranstalt und legte den Grundstock für einen Kindergarten. In der Mädchenfortbildungsschule unterrichtete sie Gesundheitslehre. In den Kriegsjahren und danach war Dora Möckel es, die das Notwendige wegen der Luftangriffe in die Wege leitete, die antiken Möbel aus dem Familienbesitz auslagerte, den Dachboden wegen drohender Brandbomben entrümpelte, rechtzeitig Wintervorräte beschaffte, das gastfreie Haus tatkräftig und umsichtig leitete. Die Söhne kannten sie nur als eine energische, praktische, großherzige und hilfsbereite Mutter. In Kronstadt wuchsen ihre Aufgaben als Hausfrau. Sie hielt auf dem Gebiet der Gesundheitspflege Vorträge, veröffentlichte Aufsätze und organisierte die Frauenarbeit zeitgemäß. Sie errichtete beispielsweise eine Nähstube, die allen sächsischen Frauen offen stand. Sie stand dem Frauenverein vor, der kinderreiche Familien mit Mietgeld unterstützte und kleine Darlehen für den Erhalt gefährdeten Grundbesitzes vergab. Sie setzte sich für die Pflege der traditionellen Trachten ein und suchte sie dort einzuführen, wo man sie schon fast nicht mehr trug. Im Jahre 1937 bekleidete sie in Kronstadt das Amt einer Stadthannin und belebte die Nachbarschaften neu, die in Kronstadt nur noch ein Schatten früherer Zeiten waren. Sie beteiligte sich an der Organisation eines großen Trachtenfestes, das auch für andere Städte als Vorbild diente und half eine zweieinhalb Monate dauernde Ferienkolonie für Kinder zu organisieren (Abb. 14). Als im Jahre 1938 Rumänien in eine Diktatur umgewandelt wurde, mussten die Nachbarschaften aufgelöst werden.49

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Ebda. Dora Möckel „Lebenslauf für Deutschland als Stadthannin“ – so der handgeschriebene Titel über einem Lebenslauf aus dem Jahre 1939, 3 ¼ Seiten Schreibmaschine. Der Anlass ist nicht ganz klar, wahrscheinlich ging es um eine Delegation, die zu einem kirchlichen Treffen in Deutschland entsandt werden sollte. Ob das Treffen zustande kam, ist ungewiss. Nachlass KM, Karton / Aktenmappe 10. Mappe „Aufsätze Dora Möckel“. 49

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Sie veröffentlichte kleine Aufsätze in Kalendern und in den Kirchlichen Blättern.50 Aus der Sicht Konrad Möckels war der nächste Schritt klar: Er musste zu seiner Frau reisen und ihr helfen. Aber das lag nicht in seiner Hand. Bis zu seiner Entlassung schrieb er regelmäßig lange Briefe. Erst ein halbes Jahr später war es endlich soweit. Am 25. Juni 1963 meldete er auf einer Postkarte seiner Frau und seiner Schwägerin: „Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir auf der Miliz das ‚D.O.‘ aufgehoben. Von heute Nachmittag an kann ich ungehindert reisen, wohin ich will.“51

Er gab als Heimatanschrift die Paul-Wiener-Gasse in Hermannstadt an – Sibiu, strada Negruzzi 7. Der Pass sollte an seinen neuen Wohnort geschickt werden. Zwei Tage brauchte er noch, um sich von den Leidensgenossen zu verabschieden und alles zu erledigen, was in Valea Călmăţiului noch zu erledigen war. Dann fuhr er nach Hermannstadt.

50 Dora Möckel: Evangelische Frauenarbeit und Volksgemeinschaft. In: Kirchliche Blätter 1935: Nr. 44, S. 487, 488; Nr. 45, S. 498-500, und Nr. 46, S. 513-514. 51 Brief von KM vom 25.  Juni 1963 aus Brăila an Trude Schullerus und Dora Möckel. Nachlass KM Archivmappe 15.

Kapitel 15

Kloster Kirchberg (1963-1965)

Ankunft in der Bundesrepublik Konrad Möckel und seine kranke Frau reisten am 2. November 1963 mit dem Zug aus Hermannstadt ab. Die Schwiegertochter Anneliese fuhr ihnen bis Wien entgegen und half beim Umsteigen. Sie war ihnen bis dahin nur aus Briefen und von Fotografien bekannt. Als die Hochzeit des jüngsten Sohnes Andreas 1959 in Ludwigsburg-Hoheneck in der Nähe von Stuttgart stattfand, saß Konrad Möckel in einer überfüllten Gefängniszelle in Zeiden (Codlea). Dora Möckel bereitete sich damals für den Umzug von Kronstadt nach Wolkendorf (Vulcan) vor, und räumte das Zimmer im Stadtpfarrhaus für den Nachfolger im Stadtpfarramt Waldemar Keintzel. Sie hatte die Fahrt von Hermannstadt nach Wien gut überstanden, aber die Hoffnung, dass sich ihre Depression mit der Ankunft in der Freiheit aufhellen werde, erfüllte sich nicht. Von Plochingen musste sie sogleich in die Universitätsklinik in Tübingen gebracht werden. Die zwei Jahre bis zum Tode Konrad Möckels waren angefüllt mit seelischen Erschütterungen. In der Reutlinger Gartenstadt Orschel-Hagen erwarteten ihn die zwei Enkeltöchter, vier und zwei Jahre alt, und riefen dem 71-Jährigen „Grießvuëter, Grießvuëter!“ entgegen.1 Später nannte er sie seine Seelenvitamine.2 Der Krieg hatte die Geschicke vieler Familien vom Geschick der Gesamtheit des sächsischen Volkes getrennt. Das Wohl der Einzelnen geriet in Konflikt mit dem Leben der Gesamtheit der Sachsen in Siebenbürgen. Am besten kam man damit zurecht, wenn man sich das eingestand. Die Freiheit hatte ihren Preis. Konrad Möckel war von Herzen dankbar, dass er die Diktatur hinter sich gelassen hatte. „Barbes iwer der Gränz“, umschrieb er kurz nach der Ankunft mit einer damals gängigen Formel

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Maria Häselbarth hatte sie dazu gebracht. Sie hütete die Kinder, damit der Sohn die Eltern und seine Frau aus Plochingen abholen konnte. Der Erfolg der Begrüßung förderte die Bereitschaft der Kinder, sächsisch zu sprechen, auffallend. 2 Katharina (Kathi) und Maria (Maio). Die Geburt seiner jüngsten Enkelin Anna erlebte er nicht mehr.

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einmal seine Befindlichkeit.3 Er war auch dankbar dafür, dass viele, viele seine Freilassung gefordert hatten und dass die Bundesrepublik sich das etwas hatte kosten lassen. Aber er war nicht ganz freiwillig aus Rumänien geschieden, wie das nach außen hin schien. Ihm war stets gegenwärtig, dass seine Frau ihren psychischen Zusammenbruch genau zu dem Zeitpunkt erlitten hatte, als die Frage der Umsiedlung an sie herantrat: „Dass ich verhaftet, verurteilt, in Gefängnissen und zum Schluss im Zwangsaufenthalt im Bărăgan war“, schrieb er einer engen Freundin der Familie, „wirst Du wohl erfahren haben. Vielleicht auch dies, dass Dora sich in all diesen Schicksalsschlägen hervorragend tapfer gehalten hat, bis dann die Umsiedlungsfrage akut wurde. Daran zerbrach ihre Kraft.“4

Er wohnte in Reutlingen zunächst in der Familie seines Sohnes. Von dort erledigte er, was bei den staatlichen und kirchlichen Behörden nach der „Familienzusammenführung“, so der offizielle Terminus, anstand. Dann fand er eine Wohnung in der Nähe. Dort hoffte er, seine kranke Frau pflegen und ein zurückgezogenes Leben führen zu können.5 Hatten sie die Jahre im Bărăgan nicht gemeinsam bewältigt? Als eine wichtige Aufgabe sah er es an, den staatlichen und kirchlichen Behörden und dem Roten Kreuz die politischen Gefangenen, mit denen er zusammengewesen war, dringlich zu machen. Er schrieb an das Rote Kreuz und an die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes.6 Wiederholt suchte er Rechtsanwalt Dr. Ewald Garlepp in Stuttgart auf, der halbamtlich mit rumänischen Rechtsanwälten verhandelte und auch an der Freilassung Konrad Möckels mitgewirkt hatte. Unter den Personen, um deren Entlassung oder Hafterleichterung Konrad Möckel sich bemühte, waren im Übrigen nicht nur Sachsen.7 3

Mundart „Barfuß über die Grenze!“ fluchtbereit, um alles hinter sich zu lassen. Konrad Möckel gebrauchte diese Bemerkung einmal im Gespräch, um seinen Zorn gegenüber der Justiz und dem Justizvollzug im Sozialismus auszudrücken. 4 Brief von KM an Dora Heltmann-Capesius vom 24. Januar 1964. Nachlass KM Leitzordner DM 27. 5 Am 14. November 1963, Dinkelsbühlerstr. 10. 6 Brief von KM vom 12. Februar 1964 an Ministerialdirektor Gerit von Haeften in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes. Nachlass KM. Archivmappe 7. Er nennt folgende Namen: Fritz Roth, Dr. Werner Teil, Karl Dendorfer [KM schreibt „Denndörfer“], Horst Depner [KM schreibt „Deppner“], Gerhard Gross, Günter Melchior, Theodor Sponer Moldovan, Reiner Szegedi, Heinz Taute, Günter Volkmer, Herbert Roth, Maria Luise Roth, die mit KM verurteilt worden waren. Ferner: Andreas Birkner, Hans Bergel, Wolf von Aichelburg, Kurt Mott, denen er im Bărăgan begegnet war. Schließlich nannte er drei Personen, die sich vergeblich um die Ausreise bemühten: Dr. Otto Liebhardt, Dr. Wilhelm Seiwerth, Pfarrer i. R. Oskar Wittstock. 7 Der ehemalige Advokat des rumänischen Roten Kreuzes, Dr. Costache Lăzărescu, war zu Zwangsaufenthalt verurteilt worden und übernahm von Konrad Möckel in Valea Călmăţiu die Hütte. Brief von KM vom 31. Januar 1964 an Ileana Issarescu, geb. Prinzessin von Rumänien. KM schreibt „Constantin Lăzărescu“, Ileana Issarescu schreibt in der Antwort „Costache Lăzărescu“.

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Er besuchte – ohne seine kranke Frau – die Familie des Sohnes Gerhard, der Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Westberlin war.8 Konrad Möckel hatte vor dem Ersten Weltkrieg dort studiert und meinte die Stadt zu kennen. 1939 hatte er nach dem Tode des ältesten Sohnes Christian seine Frau aus Berlin abgeholt. „Als ich – damals! – bei Euch in der Veilchenstraße aus und ein ging“, schrieb er an seine Verwandte, „glaubte ich mich in Berlin gut auszukennen. Heute kann ich mich kaum mehr zurechtfinden in dieser neuen Welt.“9

Die zerbombten deutschen Städte waren wieder aufgebaut, auch wenn leere Grundstücke und triste Mauern immer noch an den Krieg erinnerten. Der sichtbare wirtschaftliche Erfolg überwältigte ihn wie alle, die zum ersten Mal aus der grauen Welt hinter dem Eisernen Vorhang nach Westdeutschland kamen. In der Generation seiner Söhne war der Erwerb eines Privatautos nichts Besonderes. Das lag um 1963 noch außerhalb der finanziellen Möglichkeiten eines siebenbürgischen Pfarrers oder Studienrats. Als eines Abends bei einer Autofahrt die entgegenkommenden Scheinwerfer wie auf Verabredung in kurzen Abständen aufleuchteten, fasste er den Glanz des neudeutschen Wohlstandes überrascht in die Worte: eine Lichterprozession. Allerdings entging ihm auch eine andere Seite des „Wirtschaftswunders“ nicht – die „Gastarbeiter“, wie sie damals hießen. Deren Zahl stieg mit dem Wohlstand des Landes und umgekehrt. Das entlockte ihm schon nach einigen Wochen die Bemerkung – halb Feststellung, halb Seufzer: „Das wird Probleme geben! Das wird Probleme geben!“ Freunde und Bekannte hatten von seiner Ankunft in der Zeitung gelesen. Besonders zahlreich meldeten sich die siebenbürgischen Landsleute. Einer der ersten war Hans Philippi, damals Vorsitzender des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland. In kurzer Zeit entfaltete Konrad Möckel eine ausgedehnte Korrespondenz. Von verschiedenen Seiten lud man ihn zu Vorträgen ein, die er gerne annahm, wenn er sicher war, dass sie nicht politisch ausgelegt werden konnten: „Wir haben es leider erfahren müssen – und nicht nur einmal – dass in Deutschland gemachte Feststellungen hinter dem Eisernen Vorhang zu Verhaftungen und schweren Verurteilungen geführt haben.“

Mit diesem Hinweis meldete er Bedenken an, als ihn Bischof a. D. Theodor Heckel einlud.10 Aber er wollte sich das Leben auch nicht selbst verbieten oder sich von anderen verbieten lassen. Als ihm ein knappes Jahr später Freunde nach einem Besuch in Siebenbürgen berichteten, dass die Behörden den aus dem Gefängnis Entlassenen einschärften, nichts aus der Haftzeit zu erzählen, es „also nicht so zu tun ... wie Möckel in Deutschland!!“ machte er seinem Herzen in einem Brief Luft:   8

Verh. mit Brigitte Möckel-Csaki und den Enkeln Konrad, Cornelia und Johanna. KM Brief an Hanna Bils vom 5. März 1964. Nachlass KM. Leitzordner 27. 10 Brief KM an Bischof Theodor Heckel, damals Dekan in München, vom 7. Dezember 1963. Nachlass KM Leitzordner DM 27.   9

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„Das beunruhigt natürlich Familie und Freunde. Es ist ein ordinärer Trick dieses rohen Geschmeißes! Denn wahrhaftig: was ich hier arbeite und erzähle, ist ganz weit weg von politischer Propaganda und ich kann und darf und will mir den Mund nicht verbieten lassen, wenn sich die rohe Brut dort unten auch noch so ärgert!“11

Seine Briefe, die Vorträge, die Besuche und die Gastpredigten schufen ein Gegengewicht zur ständigen Sorge um seine Frau. Ihre Krankheit stürzte ihn in eine tiefe Ratlosigkeit und weckte Selbstzweifel. Medizinische Erklärungen beruhigten ihn nicht. Er deutete sein Geschick und das seiner Frau in der Sprache der Bibel. Oft kehrte er von Besuchen niedergeschlagen nach Reutlingen oder nach Kloster Kirchberg zurück: „Ich kann’s nicht schildern, nicht aussprechen“, schrieb er nach einem Besuch in Göppingen. „Was hab ich, was haben wir zu verbüßen, dass wir durch solche Leiden gehen müssen??“12

Es sei gut, dass er so beschäftigt sei, „sonst könnten mich schon meine Gedanken und Gefühle krank machen“. Er schätzte nach Jahren der Gefangenschaft die Freiheit hoch. Jede Stunde war kostbar. Gerne übernahm er Aufgaben, wenn man ihn darum bat, und wandte sich anderen zu. Seine Familie und seine alten Freunde empfingen ihn mit offenen Armen. Die Aufnahme des Berneuchner Dienstes und der Evangelischen Michaelsbruderschaft überwältigten ihn. Die Krankheit seiner Frau gab ihm Rätsel auf. Sie hatte seit der Klausenburger Studienzeit im Ersten Weltkrieg alle Erfolge miterlebt und alle Niederlagen mitgetragen. Sie hatte die schwere Zeit der Haft mutig durchgestanden. Ihn verjüngten die neuen Lebenschancen in der Freiheit, sie fühlte sich von ihnen bedroht. Ihre Kräfte schwanden, obgleich das Tor zu einem neuen Leben sich auch für sie auftat. Sie war sich der Paradoxie bewusst, frei und doch gefangen zu sein, und quälte sich mit Selbstanklagen. Sie hätten beide auch in jüngeren Jahren und in Gesundheit eine Weile gebraucht, um die Veränderungen zu verarbeiten, die seit ihrem letzten Aufenthalt in Deutschland eingetreten waren. Nun sollten sie auch noch mit der Depression zurechtkommen – eine Krankheit, die chronisch zu werden drohte. Konrad Möckel wollte seiner Frau helfen, wusste jedoch nicht wie. In rührender Weise tröstete er sie und sprach ihr Mut zu. Die Ärzte der Tübinger Universitätsklinik hatten zunächst den Eindruck, dass eine Besserung möglich sei. Er klammerte sich an diese Hoffnung. Aber er wusste auch, dass – wenn sich keine Besserung einstellte – der Aufenthalt in der Universitätsklinik nicht von langer Dauer sein konnte.

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Brief an Barbara von Haeften vom 12. September 1964. Nachlass Barbara von Haeften. Ebda.

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Die Krankheit von Dora Möckel Schlimmer noch als die Schmerzen und der steif gebliebene Arm, schrieb Konrad Möckel einer Freundin der Familie, sei der „völlige Nervenzusammenbruch, der sich in einer schweren Angstneurose äußerte“.13 Als Dora Möckel 1962 von der Depression heimgesucht wurde, war er im Bărăgan und versuchte in Briefen aus der Ferne seine Frau ins Leben zurückzurufen.14 Nach dem Suizidversuch betreute Trude Schullerus sie erst im Kronstädter Nervenspital auf dem Schlossberg und seit dem Sommer 1963 in Hermannstadt „die ganze Zeit wahrhaft schwesterlich“, wie Konrad Möckel schrieb. Im Juni 1963 verließ er Valea Călmăţiu, im November reisten sie beide aus Hermannstadt ab – „ein qualvolles Jahr, voller Spannung und schwerem Warten“.15 Die Ärzte kamen zu keiner eindeutigen Diagnose. Sie sprachen von „Entwurzlungsdepression“, von „Anzeichen von Parkinson“, von „Hysterie“. Mit schneidender Schärfe konnte Dora Möckel, die Ärztin, sich selbst beobachten und ihre Symptome kühl beschreiben. Ihre Selbstkritik konnte den Angehörigen den Atem rauben. Phasen der Niedergeschlagenheit und verzweifelter Aggression wechselten mit Phasen, in denen sie mit Besuchern ruhig und überlegt sprach. Wenn man sie an Sonn- oder Feiertagen aus der Klinik zu Familienbesuchen abholte, konnte sie gelegentlich die Enkelkinder und das Familienleben lächelnd beobachten. Ihr unberechenbares Verhalten konnte jedoch auch gerade im Blick auf die Enkelkinder Angst einflößen. Wenn ein Einkauf mit Anprobe notwendig war, schien es angebracht, mit den Inhabern der Geschäfte vorher zu sprechen; denn Dora Möckel stieß gelegentlich befremdliche, unartikulierte Laute aus. Allen, die sie früher gekannt hatten, krampfte sich das Herz zusammen. Als die Universitätsklinik in Tübingen resignierte, setzte Konrad Möckel seine Hoffnung auf Kloster Kirchberg bei Horb, wo die Michaelsbruderschaft ein Haus der Begegnung geschaffen hatte. Hier, hoffte er, wo ihnen beiden alle mit rührender Liebe entgegenkamen, werde sie aufleben und gesunden. Die Michaelsbruderschaft lud ihn ein, im Begegnungshaus ehrenamtlich mitzuarbeiten. Das nahm er dankbar an, denn er liebte es schon immer, Aufgaben zu haben – es konnten gar nicht zu viele sein. Die Michaelsbruderschaft war ihm eine seelische Heimat – und Kloster Kirchberg, das fühlte er, war ein geistliches Zentrum, wie er es in Freck gerne gehabt hätte. Schon auf der Fahrt von Tübingen nach Kirchberg begann der Versuch zu scheitern. Dora Möckel geriet in Panik und versuchte die Wagentüre aufzureißen und sich aus dem Auto zu stürzen. Auch in Kloster Kirchberg beruhigte sie sich nur zeitweilig. Es war, als ertrüge sie das pulsierende Leben in der Begegnungsstätte nicht, wo ihr Mann 13 Nachlass KM, Leitzordner DM 27. Brief (Durchschlag) KM an Martha Heltmann vom 24. Januar 1964. 14 Nachlass KM Archivmappe 15. Aus Călmăţiu (einer aus Brăila) sind 29 handschriftliche Briefe erhalten geblieben. 15 Nachlass KM, Leitzordner DM 27. Brief (Durchschlag) KM an Martha Heltmann vom 24. Januar 1964.

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sich wohlfühlte und eine Herzensaufgabe gefunden hatte. Sie geriet in Unruhe und fühlte sich ausgeschlossen und zugleich überfordert. Nach sieben quälenden Wochen musste sie in ein Krankenhaus gebracht werden. Die Suche nach einer neuen Lösung begann. Konrad Möckels Plan, mit seiner Frau in Orschel-Hagen in einer eigenen Wohnung ein stilles Leben zu führen, rückte in weite Ferne. Seine Frau konnte ihre tiefe Mutlosigkeit und Hilflosigkeit nicht überwinden, auch wenn es ihr zwischendurch besser ging und Freunde sie an manchen Tagen bei kurzen Besuchen gesprächsbereit fanden. Die Universitätsklinik in Tübingen empfahl die Privatklinik Christophsbad in Göppingen. Konrad Möckel nahm diesen Hinweis nur zögernd auf. Göppingen war etwa eine Autostunde von Reutlingen entfernt. Fuhr man mit der Eisenbahn, musste man in Plochingen umsteigen. Andere Versuche einer dauerhaften Unterbringung scheiterten. Dora Möckel kam in Göppingen zunächst in eine geschlossene, dann in eine offene Abteilung. Die Suche nach einer anderen Lösung ging weiter. Freunde und Bekannte halfen. Er reiste zu Ärzten in den Schwarzwald und nach Stuttgart, leider ohne Erfolg. Wenn schon ein Daueraufenthalt in einer Anstalt notwendig sein sollte, so hoffte er schließlich, könne seine Frau vielleicht in der Gustav-Werner-Stiftung in Reutlingen aufgenommen werden. Die zuständigen Ärzte waren dazu bereit, machten die Aufnahme aber davon abhängig, dass eine Suizidgefahr sicher ausgeschlossen werden könne. Als sich nach etwa einem Jahr ihr Befinden vorübergehend aufhellte und die Unterbringung in Reutlingen in greifbare Nähe rückte, starb Konrad Möckel. Dora Möckel blieb noch ein und dreiviertel Jahre, bis zu ihrem Tode am 23. März 1967, in Göppingen. „Wer über gewisse Dinge nicht den Verstand verliert, hat keinen zu verlieren.“16

Vielleicht wäre Dora Möckel im hohen Alter auch ohne die traumatischen Erfahrungen in Rumänien depressiv geworden – vielleicht. Ihr Lebensabend wäre ohne die Verfolgungen in der kommunistischen Diktatur jedoch höchstwahrscheinlich anders verlaufen. Dora Möckel litt mit, wenn es den Sachsen schlecht ging, und sie suchte das Ihre beizutragen, um die Verhältnisse zu verbessern. Sie geriet zusammen mit ihrem Mann in den Mahlstock einer sozialistischen Zeit, die es für Hochverrat hielt, wenn sich in einer Kirchengemeinde Leben regte. Auch sie, nicht nur ihr Mann, war ein Opfer des Jahrhunderts der Wölfe und einer aus den Fugen geratenen Zeit. Kloster Kirchberg Das Dominikanerinnenkloster Kirchberg war zu Beginn des 19. Jahrhunderts säkularisiert worden. Die Berneuchener übernahmen es im Jahre 1958 vom Staat BadenWürttemberg und errichteten dort ein Einkehr- und Begegnungshaus. 16 Gotthold Ephraim Lessing. Brigitte Möckel-Csaki fasste ihr Urteil über die Krankheit mit diesem Zitat zusammen.

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„Seitdem ist das malerisch gelegene Kleinod ein Ort der Stille und Begegnung, für Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Interessen.“17

Als Konrad Möckel 1964 als ehrenamtlicher Hausvater nach Kirchberg kam, war die Begegnungsstätte im ehemaligen Kloster noch im Aufbau (Abb. 29, 30). Im Zentrum standen die Stundengebete, an der die Hausgemeinschaft regelmäßig teilnahm. Dazu kamen Tagungsgäste oder Teilnehmer von Sitzungen der Konvente der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Das Handbuch der Bruderschaft führte die Brüder des aufgelösten siebenbürgischen Konventes nicht auf. Ein offizielles Verzeichnis wäre eine Gefährdung der Freunde hinter dem Eisernen Vorhang gewesen. Im Jahre 1964 lag dem Handbuch ein loses Blatt mit 21 Namen bei. Sechs Brüder aus Siebenbürgen waren verstorben: Adolf Lutsch (1904-1944), Carl Reich (1872-1953), Karl Heider (gest. 1956), Wilhelm Herfurth (1888-1957), Ernst Jekelius (1896-1958), Adolf Weiss (gest. 1963). Der Fürbitte empfohlen wurden: Heinrich Binder, Wilhelm Capesius, Kuno Galter, Rudolf Hartmann, Fritz Kailing, Waldemar Keintzel, Ludwig Klaster, Albert Klein, Hans Knall, Hans Konnerth, Oskar Löffler, Fritz Nösner, Michael Paulini, Otto Reich, Wilhelm Seiwert, Albert Schaser, Rudolf Schneider, Wilhelm Thal, Oskar Thomke, Wilhelm Wagner sen., Wilhelm Wagner jun. Konrad Möckels Namen stand offiziell im Konvent Württemberg, der seine kranke Frau der Fürbitte empfahl. Ab Mitte Juli 1964 erhielt Konrad Möckel ein „Dienstzimmer“ und übernahm „Verantwortung für dieses Haus“. Er vertrat den Leiter, Dekan i. R. Paul Rohleder, in dessen Abwesenheit. An Verwaltungssitzungen nahm er nur gelegentlich teil, da ihm organisatorische und finanzielle Fragen nie gelegen hatten, und er wusste, dass er wenig helfen konnte. Er fügte sich aufmerksam in die Ordnung des Hauses ein und wandte sich den Besuchern zu. Er konnte gut zuhören. Viele fanden in ihm einen Gesprächspartner und Seelsorger. Ihn trugen die Stundengebete und die Gottesdienste. In Reutlingen hielt er für die Mitglieder des Berneuchner Dienstes jede zweite Woche eine Messe und nahm an den Festen der Michaelsbruderschaft in Deutschland und Österreich teil. In kurzer Zeit hatte er über die Michaelsbruderschaft und dank alter Freundschaften einen großen Wirkungskreis und hielt viele Vorträge. Er nahm die abgerissene Verbindung zu seinem Helfer Walther Stökl in Wien wieder auf und erstattete ihm Bericht, wie die Regel es forderte.18 In gewissem Sinne hatte er das bereits getan, indem er wiederholt vor den Brüdern aus seinem Leben erzählte. Am Anfang müsse notwendig ein „confiteor“ stehen, schrieb er an Walther Stökl. Was es einzuschließen habe, könne Gott allein wissen – „was da alles falsch war, halb war, mangelhaft, sündhaft, verfehlt gewesen ist“. Er sei nach seiner Ankunft in der 17

Siehe www.klosterkirchberg.com Brief KM an Walther Stökl vom 23. September 1964 (handschriftliches Manuskript). Nachlass KM Leitzordner DM 28, Korrespondenz 1963-1965. Es war ein Bericht nach 20 Jahren. 18

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Bundesrepublik Deutschland „mit einer gewissen Märtyrergloriole“ unter die Michaelsbrüder getreten, die ihn von Anfang an beunruhigt habe. Das entspreche in keiner Weise der Wahrheit. Was er erlebt habe, sei viel „menschlich-armseliger“ gewesen, „als Ihr es Euch gedacht habt“. Er wisse, dass er viel umsichtiger, zielbewusster, pflichtbewusster hätte sein müssen, als ihm noch erlaubt war, an der Kronstädter Schwarzen Kirche zu wirken. Und er wisse, dass er für sich und andere noch sehr viel mehr, sieghafter, klarer aus dem Glauben heraus hätte leben sollen, als die Zeit der politischen Verfolgung und der Verlust der Freiheit kam. „Meine Nerven haben da nicht immer durchgehalten und das Allzumenschliche verlangte sein Recht.“ Aber der Zusammenhang mit dem geistlichen Leben der Bruderschaft sei nie zerbrochen und habe sein Leben in allen seinen Phasen in fühlbarer Weise getragen. In der Zeit, als nach 1947 der Bruderschaftskonvent „dahin siechte und schließlich kein Leben mehr hatte“, habe es einen blühenden „Berneuchnerdienst“ in Kronstadt gegeben und persönlich habe er nach der Regel ein Leben als Michaelsbruder gepflegt. Er habe aber immer daran gelitten, dass den Freunden aus dem aufgelösten siebenbürgischen Konvent der Michaelsbruderschaft eine brüderliche Gemeinschaft am Altare nicht geschenkt war. Dass er Untersuchungshaft, Verurteilung, Gefängnis, Verbannung und Umsiedlung und – das Schwerste, wie er empfand – die Krankheit seiner Frau ungebrochen durchhalten konnte, verdanke er „Gottes Gnade und der Fürbitte der Brüder“ und seiner trotz allem sehr intensiven Hingabe an das geistliche Leben der Bruderschaft. Er war fest überzeugt, dass die Michaelsbruderschaft mit ihrem Kirchen- und Gottesdienstverständnis auf dem richtigen Wege war. Sie war die Grundlage, von der aus er die Vergangenheit hinter sich lassen und die einstürmenden neuen Eindrücke in Deutschland ordnen konnte – vielleicht nicht immer ganz gerecht. Jüngere Theologen, die er neu kennengelernt hatte, gingen, wie er meinte, bloß intellektuell an die Probleme der Gegenwart heran. Das überzeugte ihn wenig. Im November 1964 nahm er an einer Tagung der Evangelischen Akademie in Berlin teil. Er selbst war eingeladen worden, einen Gottesdienstes zu leiten. Auch die „Gegenpartei“, die Landsmannschaft, schrieb er, sei mit drei prominenten Vertretern anwesend. Wenn sie das Wort ergriffen, merke man wohl eine andere Seelenhaltung, aber es habe keine erheblichen Gegensätze gegeben. Das Beste des Vormittages, von dem er berichtete, sei ein Vortrag von Paul Philippi gewesen: „Das ist ein gescheiter Bursche. Mit seinem Bruder hab ich die Freundschaft auch wieder aufgenommen und bekräftigt.“19

Drei Stunden habe man „rund um das Thema ‚Deutschtum der Siebenbürger Sachsen‘ herumgeredet“. Ihm sei eindrucksvoll gewesen und er habe es auch ausgesprochen, dass die Mitte im Gespräch nicht hatte gefunden werden können: 19 Brief von KM an Barbara von Haeften vom 14. November 1964. Nachlass Barbara von Haeften. Der Bruder war Hans Philippi.

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„Begreiflich, wenn man solche Themen unter Ausschaltung des christlichen Bekenntnisses behandelt.“20

Ihn überraschte die „Hypertrophie an Begrifflichem“. Die evangelischen Akademien, so schien es ihm, litten am Mangel an unintellektueller Besinnung. Es fehle ein „Hineingehen in die Tiefen der Lebenszusammenhänge“: „Also Mangel an Anbetung, an geistlicher Zucht und Bescheidung, der Mangel an Kultus.“21

Er lobte sich die Benediktinermönche, die so ungefähr das äußerste Gegenstück dazu seien. Kirchberg, samt der Michaelsbruderschaft, stehe wohl nicht ‚in der Mitte‘, sondern sei der bescheidene Versuch, dieser Schwindsucht eines ‚weltoffenen‘ Protestantismus ein Heilmittel und somit Lebensrettung zu bieten. Konrad Möckel war auch noch im hohen Alter lernfähig und lernwillig. Er erkannte allerdings nach diesem ersten und einzigen Besuch einer nach 1945 gegründeten evangelischen Akademie nicht, dass die Akademien versuchten, sich dem schmerzvoll beschämenden Versagen großer Teile auch des Protestantismus in der NS-Zeit öffentlich zu stellen. Die Kommunität in Imshausen lernte Konrad Möckel nicht kennen. Sie wäre, hätte er sie gekannt, eine Einrichtung ganz nach seinem Herzen gewesen. In der Hochschätzung der nach dem Krieg entstandenen evangelischen Kommunitäten hätte er sich mit seinem Sohn Gerhard treffen können. Dieser hatte zu der Tagung in die evangelische Akademie in West-Berlin eingeladen. Es ging letztlich auch um die Sache, die Konrad Möckel verfolgte. In der Sprache schleppte die Nachkriegszeit vergiftete Begriffe mit. Es war ein Verdienst der Akademien, sie zu untersuchen. Die Akademien drangen auf eine differenzierte, genaue Beschreibung der Wirklichkeit, die politische Handlungsmöglichkeiten offen hielt oder überhaupt erst ermöglichte.22 Im Vorfeld der Tagung erreichte Konrad Möckel eine Mitteilung von Grete CsakiCopony, die ihm abriet nach Berlin zu fahren, weil er sich Missdeutungen aussetze.23 Sie kam von einer Reise aus Siebenbürgen zurück, wo sie gehört hatte, von Konrad Möckel werde behauptet, er arbeite gegen die Familienzusammenführung (Umsiedlung). Davon konnte nun keine Rede sein. Er setzte an den Rand des Briefes ein Ausrufezeichen und klagte, dass auch Freunde in Siebenbürgen an ihm irre geworden seien.24 Das traf 20

Ebda. Ebda. 22 Paul Philippi entwickelte hier zum ersten Mal in der Sprache liegende Unterschiede, je nachdem, ob man sich sächsisch, kleindeutsch, englisch oder französisch den siebenbürgischen Verhältnissen nähert. In: Siebenbürgisch-sächsische Geschichte in ihrem 9. Jahrhundert. Hg. Gerhard Möckel. München 1977, S. 73-93, und Paul Philippi: Land des Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und seiner Sachsen. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 350-374. 23 Die Malerin Grete Csaki-Copony war die Mutter von Brigitte Möckel, geb. Csaki, der Frau seines Sohnes Gerhard. 24 Brief von KM an Barbara von Haeften vom 10. November 1964. Nachlass Barbara von Haeften. 21

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ihn, obgleich er in seinem Leben wiederholt ungerechte und feindselige Beurteilungen erfahren hatte und wusste, dass man im öffentlichen Leben mit Nachreden, die auf falscher oder mangelnder Information beruhten, zu rechnen hatte. In kurzer Zeit war Konrad Möckel, ohne sein Zutun, in die siebenbürgisch-sächsische Öffentlichkeit geraten, die trotz des Eisernen Vorhangs die Sachsen hüben und drüben verband.25 Er lud Hans Philippi und das Hilfskomitee ein, eine Zusammenkunft in Kloster Kirchberg zu veranstalten. Sie fand 1965 in der Woche nach Ostern statt.26 Konrad Möckel bedauerte in einem Brief die „revolutionäre Art“ seines Sohnes Gerhard, der mit Hans Philippi eng befreundet war. Gerhard Möckel stand der geistlichen Ordnung in Kirchberg und dem regelmäßigen Stundengebet skeptisch gegenüber.27 Das Hilfskomitee besprach auf dieser Tagung die Gottesdienstordnung für das jährliche Treffen der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Sein Gerhard sei besonders kritisch gewesen, schreibt Konrad Möckel. Der Sohn wiederum hätte in einer solchen Beurteilung vermutlich ein Kompliment gesehen. Demgegenüber sei Hans Philippi „der Mann meines Herzens. Der hat ‚Format‘!“ Die Eindrücke von der Tagung machten ihm schmerzlich bewusst, dass er „aus den siebenbürgisch-sächsischen Dimensionen eigentlich herausgewachsen“ war und seine Landsleute „zwar sehr zu mir gehörig – und doch zugleich noch mehr als Missionsaufgabe“ empfand.28 Auf den Tagungen in Berlin und in Kirchberg setzte sich ein Gespräch fort, das mit dem Studium Gerhard Möckels in Basel bei Karl Barth nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und sich auf die laue Haltung der Evangelischen Kirche im Kirchenkampf bezog – auch der Evangelischen Kirche A. B in Rumänien. Diese Auseinandersetzung war nur scheinbar eine Angelegenheit zwischen Vater und Sohn. Sie betraf die aktuelle Politik, wie das auch in der wohlmeinenden Bemerkung von Grete Csaki-Copony zum Ausdruck kam. Wer wie Konrad Möckel oder Gerhard Möckel „Zukunft“ in christlicher Perspektive dachte, musste in Gegensatz zu einem rein innerweltlichen Verständnis von „Zukunft“ geraten, das alle Chancen einer christlichen Gemeinde in Siebenbürgen a priori verneinte. Vater und Sohn waren sich 1964 sehr viel näher, als es Konrad Möckel schien. Sie unterschieden sich lediglich in der Herangehensweise. Beide durchschauten die ständigen Wiederholungen von Schreckensvisionen als eine falsche, sich selbst erfüllende Prophezeiung. Auch Brigitte Möckel-Csaki und ihre Mutter stimmten in der grundsätzlichen Einschätzung der politischen Situation den Ansichten Konrad und Gerhard Möckels zu. 25 Pierre de Trégomain: Die Grenzen des Sagbaren. Die Siebenbürger Sachsen und der Zweite Weltkrieg. Paris 2006 (unveröffentlicht). 26 Vom 20. bis 23. April 1965. Der Vortrag erschien in Licht der Heimat Nr. 139-141 (Mai, Juni, Juli) „Sachsen in einer veränderten Welt. Was hat unsere Vergangenheit für unsere Zukunft zu bedeuten?“ 27 Brief von Konrad Möckel an B. von Haeften vom 22. April 1965. 28 Ebda.

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Konrad Möckel hielt sich in politischen Fragen bewusst zurück. Missverständisse zwischen ihm und Heinrich Zillich, der in den 1930er Jahren ausgewandert war, konnten nach einer Unterbrechung von rund zwanzig Jahren des freien Austausches nicht ausbleiben. Ihre geistigen Wege hatten auseinandergeführt. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Heinrich Zillich, der die siebenbürgisch-sächsische Volkskirche in Gestalt des Hilfskomitees nach 1945 für die Zwecke der von ihm geleiteten Landsmannschaft immer wieder zu funktionalisieren trachtete, reagierte gereizt darauf, dass Konrad Möckel an der Evangelischen Michaelsbruderschaft festhielt und – bildlich gesprochen – nicht bereit war, die Waffen im politischen Streit, welcher Seite auch immer, zu segnen.29 Das Geheimnis des Leidens Die zwei letzten Lebensjahre verbrachte Konrad Möckel zu einem guten Teil mit Fahrten. Seine Terminkalender sind erstaunliche Dokumente eines bewegten Ruhestandes. Er unternahm kürzere Reisen zwischen Kirchberg, Reutlingen, Stuttgart und Göppingen und längere nach Berlin, Hamburg, München, Heidelberg und nach Österreich (Wien). Die Reisen waren meist mit Vorträgen oder Gottesdiensten (Taufen), geistlichen Wochen, Treffen der Michaelsbruderschaft u. a. verbunden. Er fand für eine größere Ausarbeitung seiner Erlebnisse in der NS-Zeit und im Kommunismus, um die ihn Freunde baten, zunächst keine Zeit, vielleicht auch keine innere Ruhe, schloss sie grundsätzlich jedoch nicht aus. Kleinere Bibelauslegungen oder Vorträge verschickte er an Freunde. Eine seiner Arbeiten heißt „Das Geheimnis des Leidens“30 und ist die Nachschrift einer Bibelwoche in Kloster Kirchberg in der Passionszeit 1965. Ingeborg Becher, die Sekretärin des Hamburger Architekten Gerhard Langmaak, fertigte sie an. Sie spiegelt Konrad Möckels Vortragsstil in freier Rede. Beobachtungen und Beispiele aus dem persönlichen Leben wechseln mit thematischen Meditationen und Bibelauslegungen ab.31 Das Ganze war eine von der Bibel und von den eigenen Erfahrungen inspirier29 Zillich schrieb: „...wenn sie (= die Theologen; A. M.) diese Kirche (= die Volkskirche; A. M.) gar zu einer sektenhaften Betschwesterei zu machen wünschen, dann wird das Ganze zur Narrheit“. Möckel antwortete: „Von da aus gesehen (= vorschnelles Verwerfen der Bruderschaften in der Reformationszeit; A. M.) wage ich die zugespitzte Behauptung: was wir heute am allerdringendsten brauchen, sind – Klöster und Mönche!“ Heinrich Zillich an Konrad Möckel am 6. August 1965 und Konrad Möckel an Heinrich Zillich am 13. August 1965. Nachlass KM, Leitzordner DM 29. 30 Nachlass KM Archivmappe 27 (Original) und Archivmappe 8 (Durchschrift). Die Zweitschrift trägt eine handschriftliche Bemerkung von KM: „Vom Verfasser nicht durchgesehene Nachschrift der freien Vorträge in Kloster Kirchberg in der Passionszeit 1965“ 89 Seiten, maschinenschriftlich, 1 ½ Zeilen. Die Nachschrift fertigte Frau Ingeborg Becher an, Sekretärin im Büro des Architekten und Michaelsbruders Gerhard Langmaack. 31 Zu Beginn steht eine Auslegung (Heilung eines Aussätzigen, Mk 1,40-45). Es folgen abwechselnd fünf Meditationen zum Thema „Leiden“ und vier Auslegungen zum 1. Petrusbrief.

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te kleine Phänomenologie des menschlichen Leidens und zugleich ein persönliches Glaubenszeugnis: Welt ohne Leiden – Leiden, das keine Verheißung hat – Leiden, das getragen wird – Leiden, das Verheißung hat – Leiden, der Weg zum Leben. Die Zuhörer wussten, dass er ein politischer Häftling in Rumänien gewesen war und dass er unter der psychischen Krankheit seiner Frau litt. Wenn von Leiden die Rede war, konnte man ihm zutrauen, dass er wusste, wovon er sprach. So gut wie alle Schriften vor dem Zweiten Weltkrieg galten dem sächsischen Volk in seiner Gesamtheit und den Gefahren, die ihm drohten. Die Vorträge der Tagung dagegen waren ein Trost für Menschen in ihrem Leid. Zu einer schriftlichen Überarbeitung der Vorträge kam es nicht mehr. Die Schrift hätte ein kleines Buch der Seelsorge werden können. Obwohl er seine Zuhörer persönlich ansprach, trat er zugleich in einen politischen Horizont ein. Das war in den Jahren des Auschwitzprozesses aktuell und ergab sich aus seinem Gedankengang ungesucht.32 Im Bărăgan hatte er mit „Gedanken zu einer Geschichte des Glaubens“ eine große Arbeit begonnen.33 Sie sollte weder eine Dogmengeschichte noch eine Kirchengeschichte werden. Was dann? Sein Ansatz entsprang den Erschütterungen von zwei Diktaturen, die er beide am eigenen Leibe erfahren hatte. Die irdischen Mächte wechseln, der Geist einer Epoche ist zeitgebunden, steigt mit ihr auf und geht mit ihr vorbei. Das Ringen mit dem Zeitgeist dagegen bleibt durch alle Epochen hindurch immer eine Aufgabe. Dem Zeitgeist zu erliegen oder ihm vollständig auszuweichen, beides ist eine große Versuchung. Ihn zu durchschauen und sich ihm gewachsen zu zeigen, indem man sich selbst wandelt, ist eine menschliche Aufgabe zu allen Zeiten. Das gilt auch ohne die Schrecken von Diktaturen, aber in Diktaturen wird dieses Lebensgesetz besonders deutlich. „Das sich gleich Bleibende und das Zeitgebundene ergeben in ihrem Zusammenspiel den Gang einer eigenen Geschichte, einer Glaubensgeschichte, die ein in sich selbst unzerreißbar festgefügtes Gebilde der gesamten Menschheitsgeschichte, ja die letzte

32 Themen der Vorträge nach Ingeborg Becher: Die biblische Botschaft als Gespräch zwischen Gott und Mensch – Der ewig kommende Herr – Die Geschichte des Glaubens – Geheimnis des Leidens – Das christliche Glaubensbekenntnis und der moderne Mensch – Dazu viele Vorträge an seine Siebenbürger Freunde. Gerhart Langmaack und Ingeborg Becher: In memoriam Konrad Möckel. Hamburg o. J. (1965), S. 17. 33 Er führte sie nicht zu Ende. Nachlass KM Archivmappe 15. Handschriftliches Manuskript, DIN A5, 142 Seiten. KM führt in 17 Kapitel (S. 1-75) ein. Dann sollten fünf „Grundphasen“ folgen: 1. Der Glaube im Kampf mit der irdischen Macht, 2. Der Glaube im Bund mit der irdischen Macht, 3. Der Glaube im Besitz der irdischen Macht, 4. Der Glaube im Kampf um die Befreiung von der irdischen Macht, 5. Neues Suchen nach der rechten Beziehung zwischen Glauben und irdischer Macht. Ausgeführt sind davon nur die ersten zwei Grundphasen (S. 76142).

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geheime und ausschlaggebende Kraft bei der Formung der Menschheitsgeschichte darstellt.“34

„Das sich gleich Bleibende“ ist zwar neutral ausgedrückt. Aber es ist klar, dass Konrad Möckel damit den Vers der Liturgie paraphrasierte: „Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar.“ Zu allen Zeiten müssen Menschen einen Mittelweg finden, der ihre Menschlichkeit nicht beschädigt. Sie können den Zeitgeist nicht ignorieren, sie dürfen ihm aber auch nicht verfallen. Nur der Heilige Geist geht durch die Zeiten. Die Geisteshaltungen der wechselnden Epochen dagegen unterscheiden sich, steigen auf und veralten wieder. Die Gläubigen aller Zeiten und aller Konfessionen und Religionen mussten sich gegen den jeweils herrschenden Zeitgeist behaupten. Das war die Erfahrung Konrad Möckels in der NS-Zeit und in der kommunistischen Zeit. Als er in die Bundesrepublik kam, lernte er durch Barbara von Haeften Eugen Rosenstock-Huessy kennen.35 Das Lebenswerk dieses 1933 aus Deutschland ausgewanderten Rechtshistorikers und Universalgelehrten galt den Zusammenstößen von Heilsgeschichte und Profangeschichte. Seine Bücher kreisten um die eine Sprache des Menschengeschlechts und die vielen Separatsprachen mit Hunderten von nationalen, wissenschaftlichen, konfessionellen Dialekten.36 Im Jahre 1963 war in Bethel bei Bielefeld die Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft gegründet worden. Barbara von Haeften hatte Konrad Möckel dazu angemeldet. Er las die zwei Bände „Die Sprache des Menschengeschlechts“ mit großer Anteilnahme – „wie einen Kriminalroman“, sagte er salopp. Das Lebenswerk Rosenstock-Huessys entsprach dem Ansatz zur Geschichte des Glaubens, der ihm in den kommunistischen Gefängnissen und im Bărăgan zugefallen war. Die Begegnung mit dem deutsch-amerikanischen Universalgelehrten spiegelt sich auch in den Vorträgen „Das Geheimnis des Leidens“. Eugen Rosenstock-Huessy erkannte sehr früh die spirituelle Dimension des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und trat konsequent gerade für die Würdigung des Kreisauer Kreises ein, zu dem Hans Bernd von Haeften gehört hatte.37 Konrad Möckel hatte Hans Bernd 34

„Gedanken zu einer Geschichte des Glaubens“. Nachlass KM Archivmappe 15. Seite 2. Eugen Rosenstock-Huessy wohnte, wenn er zusammen mit Freya von Moltke aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland kam, immer in Heidelberg. 36 Hingewiesen sei auf das Buch „Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen“ (Jena 1931). Hier stellte Eugen Rosenstock-Huessy die tiefgreifenden Wandlungen in den Revolutionen des zweiten Jahrtausends dar und erzählt die Geschichte der europäischen Nationen als spezifische Antworten auf den universellen, christlichen Geist. 37 In vielen Schriften und Vorträgen, besonders in: Sprache und Geschichte. Vortrag in der Pädagogischen Akademie Dortmund am 20. Juli 1957, in: Evangelische Unterweisung 12 (1957), S. 153-159, und in: Das Geheimnis der Universität. Hg. Georg Müller. Stuttgart 1958, S. 86-93. Ferner „Der Verrat im 20. Jahrhundert – ein Brief an Margret Boveri“, in: Zukunft und Gegenwart, November 1956, H. 22; dann in „Das Geheimnis der Universität“, S. 64-69, und in den Mitteilungsblättern 2004 (stimmstein 9) der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft, S. 46-50. 35

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von Haeften 1937 kennengelernt. Den Weg Hans Bernd von Haeftens in den Kreisauer Kreis und in den Widerstand erkannte Konrad Möckel als den konsequenten Weg eines Christen. Ein Christ hatte er, Konrad Möckel, auch sein wollen. Ihn erschütterte die Geradlinigkeit von Haeftens Lebensweg, je mehr er nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik dank der erneuerten Freundschaft mit Barbara von Haeften an Einzelheiten erfuhr. Familie Haeften war 1944, als die Alliierten Berlin immer heftiger bombardierten, nach Gammertin auf das Gut der Eltern Curtius gezogen. Dort besuchte sie Hans Bernd von Haeften in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1944. Das Attentat auf Hitler war gescheitert. Haeften wusste, dass er der Nazi-Rache nicht werde entgehen können, und er wusste auch, dass nicht einmal alle seine Freunde die Beteiligung am Widerstand verstehen würden. „Die Eltern werden es nicht verstehen – Möckel weiß, wie ich’s meinte.“38 Barbara von Haeften konnte Konrad Möckel erst 1963 von diesem Wort ihres Mannes berichten. 1946 oder 1947 hatte Konrad Möckel auf Wunsch von Barbara von Haeften für Ricarda Huch eine Ausarbeitung über die Begegnung mit Hans Bernd von Haeften geschrieben. Die Dichterin plante ein Buch über den deutschen Widerstand gegen Hitler und recherchierte dafür. „Ein Stück der großen heiligen Pflicht, die das ganze deutsche Volk seinen Märtyrern gegenüber hat, ist auch durch die Berührung mit Hans Bernd von Haeften in ganz besonderer Weise auf uns gekommen“, schloss er den kurzen Aufsatz.39 Diese alten und neuen Erfahrungen Konrad Möckels flossen in die geistliche Woche 1965 „Das Geheimnis des Leidens“ ein. Der Höhepunkt seiner Ausführungen waren die zwei Abschnitte Leiden, das Verheissung hat und Leiden, der Weg zum Leben. Er erläuterte die Taten der Männer des 20. Juli 1944 vor dem Hintergrund des Propheten Jeremia und nannte hierbei namentlich Helmuth James von Moltke. Das freiwillige Leiden für andere hob er hervor, auch wenn er wohl wusste, dass jedes Leid schmerzt. Der Krieg traf Schuldige und Unschuldige gleichermaßen. Die Luftangriffe hatten Gerechte und Ungerechte unterschiedslos vernichtet. Aber, so fragte er, war das Leiden an der Ungerechtigkeit der Tyrannenherrschaft Hitlers nicht ein Leiden, das durch einen vollständigen Rückzug aus dem politischen Leben hätte vermieden werden können? War es daher nicht ein freiwilliges Leiden und insofern ein „unnötiges“ Leiden? Es gibt eine Übermacht der Realität, die nicht zu ändern ist und wie eine Naturkatastrophe hingenommen werden muss. Viele hatten und haben daher für ein freiwillig auf sich genommenes Leiden aus Empathie mit den anderen Leidenden kein Verständnis: „Wenn man daran denkt, wie die Welt eines Jeremia ausgesehen hat. Diese Leute, die seine Volksgenossen waren, haben ihn nur beschimpft. Was will er eigentlich? 38

Barbara von Haeften: Aus unserem Leben 1944-1950. Privatdruck. Heidelberg 1950,

S. 15. 39

Konrad Möckel: Erinnerung an Hans Bernd von Haeften. In: Barbara von Haeften: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften – Ein Lebensbericht. München 1997, S. 94-99, Zitat S. 99.

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Und haben keinen Zugang dazu gehabt, woran der Mann litt. Woran er zugrunde gegangen ist, das war vollkommen verborgen.“40

Konrad Möckel wusste, dass in der Welt „für viel Unsinniges gelitten“ wird. Wann, fragte er, ist ein Leiden, das jemand freiwillig auf sich nimmt, nicht unsinnig, sondern sinnvoll? „Wo fängt das Leiden an, das Verheißung hat? Gibt es ein wirklich sinnvolles Leiden? Was heisst denn ‚wachsen am eigenen Leiden‘? Und da möchte ich die Antwort geben: Die messerscharfe und geheimnisvolle Grenze ist dort, wo Tränen und Sorgen sind, die man nur ‚genießt‘. Auch Kummer für andere kann nur Selbsterhöhung sein. Das sind die Tränen, die nicht mitgezählt sind im Tränenkrüglein. Das ist auch ein Geheimnis. Aber echtes Leiden für andere, das ist Leiden, das Verheißung hat. Die Mutter für ihr Kind, der Mann für die Frau oder umgekehrt, die echte Sorge um den Freund, die echte Sorge um das öffentliche Wohl.“41

Er müsse es aussprechen: Er sei „ganz unglücklich darüber, dass das deutsche Volk des Wirtschaftswunders“ sich nicht mehr um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus kümmere und den Widerstand nicht „nachdrücklich in seinen Erziehungsweg, in die pädagogische Schulung der jungen und alten Menschen“ einbaue. Es sei geradezu eine Schande, dass ein Holländer als erster mit der Erforschung des Kreisauer Kreises begonnen habe.42 Er wies auf Stephan Ludwig Roths Abschiedsbrief an seine Familie hin: „Dieser Brief ist von Standhaftigkeit getragen, die in unserer Zeit weit überboten wird durch das, was die Männer des 20. Juli uns hinterlassen haben. Wir Siebenbürger Sachsen, wir haben wahrhaftig ein Jahrhundert lang irgendwie innerlich gelebt von diesem Brief Roths. Immer stand er da als das leuchtende Fanal, als das Vorbild für das, wie das Geheimnis des Lebens sieghaft sich dort entfaltet, wo alles aus ist, und wie nun dieser Mann leuchtend sich erhoben hat. Durch diesen seinen Märtyrerweg war er der Mann geworden, der für uns von ganz entscheidender Bedeutung geworden ist.“

Konrad Möckel legte die Bereitschaft zu freiwilligem Leiden im Lichte der Messliturgie aus. An jedem Morgen feierten die Teilnehmer der Woche die Messe nach der Ordnung der Michaelsbruderschaft. Er las den Abschiedsbrief des Grafen Heinrich von Lehndorff vor, der nach dem 20. Juli 1944 ermordet worden war, „nicht um Sie zu einer Rührung zu bringen, sondern um Ihnen ein Bild davon zu geben, was nun in unserm Studium letzte Frucht sein muss, nämlich dieses, dass das Leid, das furchtbare Leid, das für andere getragen wird, gar nicht für ihn persönlich, sondern für andere Bedeutung [hat].“43 40

Das Geheimnis des Leidens, S. 78. Ebda, S. 79. 42 Ger van Roon. Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung. München 1967. 43 Die Kronstädter Zeitung verurteilte in ihrer Ausgabe vom 21. Juli 1944 die Attentäter. Ich las den Namen von Haeften und fragte meinen Vater. Er belehrte mich, dass die Männer keine Verbrecher gewesen seien, sondern wahre Patrioten. 41

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„Sein Leid ist darum so schwer, weil es um der Liebe willen erlitten wird und erlebt wird.“44

In der Passionswoche „Geheimnis des Leidens“ im Jahre 1965 würdigte er den Widerstand derer, die als Christen nicht anders konnten als sich Hitler entgegenzustellen. Er wusste, wie bescheiden er diesen Gedanken im Hinblick auf die Geschichte der Ev. Kirche A. B. vorbringen musste. Siebenbürger Sachsen in einer veränderten Welt Unter dem Titel Siebenbürger Sachsen in einer veränderten Welt erschien der einzige gedruckte Beitrag von Konrad Möckel seiner letzten Jahre. Hans Philippi hatte die Ausführungen zu diesem Thema auf der Tagung des Hilfskomitees in Kloster Kirchberg für das „Licht der Heimat“ erbeten.45 Die zwei Schwerpunkte des Referates verbinden es mit Vorträgen aus der Zeit in Großpold, aber die Antwort ist neu. Der eine Schwerpunkt ist die Frage: „Gibt es noch eine mögliche Behauptung unseres Volkstums in Siebenbürgen? Erregend ist die Frage! Und obwohl sie niemand beantworten kann, muß sie doch immer wieder gestellt werden. In welchem Verhältnis stehen die Zehntausende, die nun hier diesseits des ‚Eisernen Vorhangs‘ leben, zu denen in der alten Heimat? Wir müssen so fragen! Wir müssen uns mit unserem gemeinsamen Schicksal beschäftigen, ob wir wollen oder nicht.“46

Er wandte sich mit seinem Vortrag an Zuhörer, die zwar aus Siebenbürgen stammten, aber in Deutschland lebten. So viel stand für ihn fest: Niemand könne wissen, ob sich „unser Volkstum“ in Siebenbürgen behaupten werde. Die Frage war für ihn offen. Seine Ausführungen dazu kreisten um zwei Gedanken. Sie galten den im Westen lebenden Siebenbürger Sachsen, deren Situation er beschrieb und in einen sozial-politischen Rahmen stellte. Ein Schwerpunkt im Vortrag war das „verborgene Erbe der Sachsen“. Er sah es in der Einheit, die das siebenbürgisch-sächsische Leben einmal ausgezeichnet hatte. Mit Einheit meinte er keinen gemeinsamen Willen in politischen Fragen, was der Soziologe Karl Mannheim in positivem Sinne eine Ideologie genannt hatte, sondern eine gelebte, eine oft nicht einmal bewusst erlebte, sondern nur gelebte Einheit. Diese Art, Einheit zu leben, habe auswärtige Besucher in Siebenbürgen aufmerken lassen, weil diese gelebte Einheit von „Kirche“ und „Welt“ im Westen längst zerbrochen war.

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Das Geheimnis des Leidens, S. 86. „Sachsen in einer veränderten Welt. Was hat unsere Vergangenheit für unsere Zukunft zu bedeuten?“ Erschienen in drei Teilen in Licht der Heimat 139-141 (Mai, Juni, Juli 1965). Die Titel der Abschnitte in der Maiausgabe: Verantwortung für das Vätererbe; Die Fragestellung: Wer sind wir?, in der Juniausgabe: Einheit des Lebens; Die neue Umwelt, in der Juliausgabe: Selbstbesinnung – Gespräch; Durch das Sterben hindurch. 46 Licht der Heimat 139 (Mai 1965), S. 1. 45

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Er sah auch die Nachteile dieser sächsischen Einheit, zu der Abgrenzungen, Selbstbespiegelung und Selbstgenügsamkeit gehörten. Ängstliches Bewahren habe keine Verheißung. Fruchtbar werde das Erbe nur durch ein Sterben hindurch. Völkische Sentimentalität müsse bald ein Ende haben. Aber sich hingeben an die großen Aufgaben „unserer Zeit“, mitarbeiten an der Einheit des Lebens, werde den Geist erhalten und in Zukunft dienstbar machen, „den Geist, der unsere Art erschaffen und geformt hat“.47 Das ist ein völlig anderer Ton als die Rede von der eigenen Art und ihrem Erhalt. „Wir Siebenbürger Sachsen, die wir gerne unser Erbe in der westlichen Welt bewahren möchten, sind nach Gottes Willen vor eine neue große Aufgabe gestellt. Sie steht unter der Losung: ‚Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden‘.“48

Der zweite Schwerpunkt seines Vortrags war die Einsicht, dass „der heutige Mensch“ das Leben selbst lernen müsse, und zwar in einem spezifischen Sinne. Die Lebensprobleme der heutigen Menschen seien längst so groß und verwickelt, dass sie mit der schlichten christlichen Seelsorge nicht mehr bewältigt werden könnten. Der heutige Mensch sei in seinem innersten Lebensgefühl gerade darum so unsicher geworden, weil ihm sehr viel abgenommen werde. Er gehe nicht mehr zu Fuß durchs Leben, „also höchst persönlich und unmittelbar“, sondern es sorge alles für ihn, was „Bewegung“ sei, Maschinen wie Organisationen. Der Ort, an dem das Gespräch der Siebenbürger Sachsen mit „unserer Umwelt“ geführt werden müsse, um existentiell zu werden, sei die bewusst gewordene Not. Das Gespräch müsse daher zunächst Selbstbesinnung sein: „Denn worum es hier geht, ist für uns selber durchaus nicht selbstverständlich verfügbar. Wir ‚haben‘ es nicht. Aber es ist unsere Vergangenheit und damit ein Erbe, das darauf wartet, nicht vergessen zu werden, nicht verloren zu gehen, sondern der neuen Umwelt angeboten und verwertet zu werden.“49

Konrad Möckel bezog sich zwar auf die Siebenbürger Sachsen in der Bundesrepublik und in Österreich. Aber er traf einen Ton, der die Lebenschancen kleiner Gemeinschaften thematisierte, wie es die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Rumänien waren und sind. Barbara von Haeften schickte diesen Vortrag Eugen RosenstockHuessy nach Norwich/Vermont in die USA. Dass man leben lernen müsse, besonders in einer beschleunigten, technischen Welt, hatte Eugen Rosenstock-Huessy seit den 1920er Jahren beschäftigt: „Sicher ist da die Siebenbürgische Kirchenburg ein unerschöpfliches Mahnmal! Also vielen Dank und ernste Zustimmung ... Ich wundere mich der unerschöpflichen Lebendigkeit des Lebens.“50 47

Licht der Heimat 141 (Juli 1965), S. 2/3. Ebda, S. 2. 49 Ebda, S. 2. 50 Brief von Eugen Rosenstock-Huessy an Barbara von Haeften vom 1. Juli 1965 (Auszug und Abschrift). Nachlass KM Archivmappe 7. 48

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Der Aufsatz sollte die letzte Veröffentlichung Konrad Möckels überhaupt sein. Wenige Wochen später erkrankte er an einer Grippe und zog sich nach Kloster Kirchberg zurück. Die Grippe ging ohne Fieber einher, so dass er ihre Gefährlichkeit unterschätzte. Sie schwächte ihn zwar, da er jedoch kein Fieber hatte, hütete er zwischendurch nur kurz das Bett und nahm, wenn auch mit Beschwerden, an Gottesdiensten und an den Vorträgen teil. Ende August fand gerade eine ökumenische Begegnung statt – eine Thematik, die ihn besonders interessierte. Am 28. August 1965 ließ er sich das Abendessen aufs Zimmer bringen; denn der Weg zum Speisesaal schien ihm zu beschwerlich. Als eine Mitarbeiterin des Hauses die Wäsche brachte, fand sie Konrad Möckel auf dem Flur am Boden liegend. Ein Tagungsgast und Arzt eilte herbei, und man rief den Hausarzt. Eine Injektion verschaffte Konrad Möckel vorübergehend Atem. Aber während der Arzt noch half, versagte das Herz. Der katholische Studentenpfarrer von Marburg, P. Dr. Gerhard Koch S. J., hielt am nächsten Tag die Totenmesse nach dem Ordinarium zum Gedächtnis eines Konfessors und sagte in der Ansprache: „Ein Heiliger, ein Vollendeter, ein Bekenner ist von uns gegangen.“51 Konrad Möckel wäre bei diesen Worten erschrocken. Er kannte seine Schwächen und wusste wie wenig er ein Held gewesen war. Dekan Paul Rohleder sagte in seiner Begräbnisansprache über die geistlichen Wochen, sie seien „vollmächtiges Zeugnis eines leidgeprüften, aber in Gott fest gegründeten Menchen“ gewesen, die vielen Mut und Lebenshilfe zu geben vermochten.52 Konrad Möckel durfte nicht auf dem kleinen Klosterfriedhof in Kirchberg begraben werden. Er war damals noch nicht wieder für Begräbnisse zugelassen. Heute erinnert eine Gedenktafel in der Friedhofsmauer des Klosters an ihn. Er und seine Frau liegen auf dem städtischen Friedhof Römerschanze in Reutlingen begraben. Das Grabkreuz ist nach dem Entwurf des Hamburger Architekten Gerhard Langmaack für Mitglieder der Michaelsbruderschaft angefertigt.53 Ausblick Während seines Lebens wandelte sich Konrad Möckel und zugleich veränderte sich seine Stellung im gesellschaftlichen Umfeld. Man kann zwei Richtungen unterscheiden, je nachdem, ob man den Wandel des evangelischen Pfarrers oder dessen gesellschaftliche Stellung betrachtet. Beides beginnt an einem gemeinsamen Ausgangspunkt und strebt dann schrittweise auseinander. Die eine Bewegung in seinem Leben entstand dadurch, dass er immer besser verstand, was Kirche als evangelische Landeskirche, als 51 Walther Stökl: Konrad Möckel in: In memoriam Konrad Möckel. Hgg. Gerhard Langmaack, Ingeborg Becher. Hamburg o. J. (1965), S. 2-9. 52 Paul Rohleder: Grabrede für Bruder Konrad Möckel am 2. September 1965 in Reutlingen. Nachlass KM. DM Leitzordner 30. 53 Das Grab liegt auf dem Reutlinger Friedhof „Römerschanze“, Abteilung 23/001, Grabstätte 5.

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Weltprotestantismus und als Ökumene bedeutete. Die eine Bewegung führte in den sichtbaren und unsichtbaren Raum der Kirche hinein. Die andere Bewegung führte aus der politisch-gesellschaftlichen Gemeinschaft heraus. Der gemeinsame Ausgangspunkt war die bei den Siebenbürger Sachsen weitverbreitete, aber bedenkliche Gleichsetzung von Kirche mit Volkskirche, und Volkskirche mit sächsischem Volk. Er trat seine öffentliche Laufbahn als Pfarrer von Großpold mit Vorträgen und Aufsätzen zum Thema „Volkstum und Kirche“ an. Er fragte nach dem sächsischen Leben, wie es ihm in Großpold entgegentrat, und zugleich nach der wahren Kirche und nach der lebendigen Gemeinde. Sein Fragen entsprangen keiner Sicherheit, sondern seiner Unsicherheit. Er ließ sich nicht blenden von der Stärke der Volkskirche, die es in den 1920er Jahren in vielen sächsischen Dorfgemeinden immerhin noch überzeugend gab, sondern nahm die Schwächen und Gefährdungen der siebenbürgisch-sächsischen Volkskirche wahr, die andere noch nicht sahen oder sehen wollten. Er stellte sich dieser Gefährdungen wegen in den Dienst der Kirche. Die Suche in der Kirche nach der Kirche setzte er fort im Frecker Kreis und in der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Das führte ihn von der Volkskirche zur Kirche im Volk, wie es Gerhard Möckel formulierte, von einer eher äußerlich verstandenen Kirche und ihrer von den eigenen Mitgliedern nur noch wenig ernstgenommenen Tradition zu einer Kirche, die sich aus lebendigen Steinen aufbaut, wie es im 1. Petrusbrief heißt. Konrad Möckel suchte zusammen mit anderen mehr und mehr ein lebendiges Gemeindeleben. Das Zeitgebundene dessen, was er schrieb und vertrat, hat uns heute nichts mehr zu sagen, aber die von ihm eingeschlagene und mutig verfolgte Richtung auf die eine, allgemeine, christliche Kirche hin, auf die Ökumene, die es immer schon gab und gibt und die doch immer neu verleiblicht werden muss, auf diese Richtung ist Verlass. Sie ist, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, anschlussfähig und kompatibel mit den ernsten Friedensbemühungen der planetarischen Gesellschaft, in der wir leben. Konrad Möckel hielt beharrlich, trotz widriger Umstände, an dieser Richtung fest. Das ist beispielhaft und aktuell. Das lässt sich heute leichter erkennen als zu seiner Lebenszeit. Sein Mut, sich mit dem Zeitgeist auseinanderzusetzen, gegen den Strom zu schwimmen und einen geistlichen Weg zu gehen, stärkte damals viele. Diesem Weg in die Kirche hinein steht gegenüber, vielleicht kann man sogar sagen, entspricht es, dass er ohne sein Zutun mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft seiner Zeit geriet. Das widerfuhr ihm zum ersten Mal vor und zum zweiten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1920er Jahren hatte er sich eine gewisse Reputation erworben. Sein Ansehen festigte sich im Sachsenland, nicht nur in kirchlichen Kreisen. Zu seiner Bekanntheit trug bei, dass er sich vor 1933 und auch noch danach zur Erneuerungsbewegung bekannte. Sie schien eine noch offene und ernstzunehmende Reformkraft, die er unterstützte und für die Volkskirche gewinnen wollte. Der Südostdeutsche Wandervogel hatte ihn zur Mitarbeit eingeladen und nach einigen Jahren in seinen Leitungskreis aufgenommen. Durch den Wandervogel war er mit Fritz Fabritius zusammengekommen und hatte mit ihm 1932 Bischof Heinrich Rendtorff von

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Mecklenburg-Schwerin als Nachfolger für Friedrich Teutsch öffentlich vorgeschlagen und sich für dessen Wahl eingesetzt. Konrad Möckel war bis 1933 ein Erneuerer, der wünschte, die Ev. Kirche A. B. möge den jugendlichen Enthusiasmus aufnehmen, den er im Südostdeutschen Wandervogel angetroffen hatte. Als er sah, dass der Wandervogel mehr und mehr auf braunen Sand baute, distanzierte er sich in mehreren Schriften von der Erneuerungsbewegung, besonders entschieden von ihrem radikalen, kirchenfeindlichen Flügel. Das war ein schwieriger Prozess, durch den er sich in der siebenbürgisch-sächsischen Öffentlichkeit mehr und mehr isolierte – schon nach der Weltkirchenkonferenz in Oxford und dann erst recht während des Krieges in der Zeit des „Grupul Etnic German“. Der SS-Kommissar Andreas Schmidt grenzte ihn und den Hermannstädter Stadtpfarrer Friedrich Müller öffentlich aus. Die sozialistische RVR brachte ihn im Blick auf sächsische Belange noch mehr zum Verstummen, indem sie ihm in einem Prozess Nationalismus und Staatsverbrechen unterstellte und ihn zu einer hohen Haftstrafe verurteilte. Seine Auswanderung nach Deutschland zerstörte seine gesellschaftspolitische Wirkung in Siebenbürgen, die vom Leben der Honterusgemeinde ausgegangen war. Den Weg von der Erneuerung mitten im Volk hin zum Rande des gesellschaftlichen Geschehens musste er hinnehmen. Den Weg vom Rand des christlichen Glaubens ins Zentrum der geglaubten Kirche hinein ging er freiwillig. Gerade durch den Verzicht auf gesellschaftspolitische Betätigung eckte er paradoxerweise in beiden Diktaturen an. Es fällt auf, dass sein Leben und Wirken auch für viele Siebenbürger Sachsen, sofern sie ihn kannten, entweder eine Ermutigung oder ein Ärgernis war. Konrad Möckel war ein mündlicher Mensch. Im persönlichen Umgang überzeugte er mehr als in seinen Schriften. Seine Spontaneität und seine Offenheit, die Vertrauen schuf, machten ihn jedoch zugleich verwundbar. Die nationalsozialistischen Parteileute vor und im Zweiten Weltkrieg und die kommunistischen Parteileute nach dem Zweiten Weltkrieg witterten Gegnerschaft und bekämpften ihn. Sie missverstanden ihn, wie die groben Unterstellungen in beiden Diktaturen belegen. Mit beiden Einheitsparteien, mit der braunen und der roten, geriet er in Konflikt. Beide verstanden nicht, was ihn antrieb, sondern erkannten nur, dass er eine Stimme hatte, auf die andere in der Honterusgemeinde und darüber hinaus hörten. Er lud alle, die ihn hören wollten, in das Gemeindeleben ein und zur Teilhabe an der universellen, christlichen Gemeinde, die über die Ev. Landeskirche A. B. weit hinausreichte, in der aber auch die kleine evangelische Kirche A. B. ihren Platz haben sollte. Die Konflikte entstanden nicht dadurch, dass er sich in Angelegenheiten einmischte, die ihn als einen Christen und Mann der Kirche nichts angingen, wie die Nazis und die Kommunisten behaupteten, sondern dadurch, dass er seinen Auftrag als Prediger und Leiter einer großen, evangelischen Gemeinde – so gut er es vermochte – mit Ernst und mit dem Herzen ausführte. Das Evangelium, wenn es vollmächtig vertreten wird, reicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse hinein. Alle Verneblungsversuche und demütigenden Fehldeutungen, die Konrad Möckel erst in der SS-Volksgruppenzeit und später in den Verhören in der Haft und vor Gericht über sich ergehen lassen musste, können nicht verdunkeln, dass

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Konrad Möckel vor dem Zweiten Krieg grundlos als Volksverräter verketzert und nach dem Zweiten Weltkrieg unschuldig in Haft genommen worden war. Erst nachdem er in der Haft war, machte ihn die Securitate mit ihren kriminellen Mitteln zu einem Hoch- und Landesverräter. Die Unterdrückung und Einschnürung des Lebens unter dem Kommunismus traf auch das geistliche Leben der Kronstädter Honterusgemeinde. Dieses Leben ging von den sonntäglichen Gottesdiensten aus. Der Angriff der KPR galt nicht nur den Sachsen in Kronstadt, die dem Bürgertum angehörten und der kommunistischen Agitation nicht zugänglich waren, sondern der Kirchengemeinde, insofern, als von ihren Gottesdiensten unkontrollierbares Leben ausging. Man darf Konrad Möckel nicht unterstellen, er habe die Gefahr unterschätzt, in der er sich befand.54 Er begab sich nicht auf ein gefährliches Gebiet, sondern er befand sich als Christ in einem kommunistischen Land auf gefährlichem Gebiet. Er litt, wie sein Bericht an Walther Stökl zeigt, gerade darunter, dass er seine Freunde nicht zusammenrufen konnte und dass er bewusst hinter dem zurückblieb, was hätte getan werden sollen (Abb. 26). Es ist abwegig, ihn im Sinne der KPR mitschuldig zu sprechen, weil es in Kronstadt eine lebendige Honterusgemeinde gab. Es stimmt nicht, dass Konrad Möckel sich nicht enthalten konnte, „die ihm besonders verbundenen Michaelsbrüder immer wieder in Zusammenkünften zu vereinigen“ (Müller 1995, S. 165).55 Konrad Möckel hielt sich zurück. Die Aggressivität der KPR richtete sich gegen alles geistlich Lebendige.56 Diejenigen, die ihm vorwerfen, dass er überhaupt einen Anlass zur Beobachtung durch die Securitate gab, müssen sich fragen, ob er wirklich alles richtig gemacht hätte, wenn er als Pfarrer der Honterusgemeinde in keinen Konflikt geraten wäre, weder mit der nationalsozialistischen noch mit der kommunistischen Partei. Wie man in einem Einparteienstaat und in einer Diktatur am besten ungeschoren davon kommt, ist kein Kriterium, mit dem das Leben Konrad Möckels beurteilt werden kann – weder seine Erfolge und noch seine Niederlagen. 54 „Als Möckel darauf aufmerksam gemacht wurde, daß er sich mit seinen Veranstaltungen auf ein gefährliches Gebiet begebe, meinte er, daß er keine unlauteren Absichten verfolge“ (Binder 1988, S. 60, unter Berufung auf briefliche Auskünfte). 55 Bischof Friedrich Müller schreibt von Konrad Möckel als „Leiter der Michaelsbruderschaft in unserer Kirche“. Der siebenbürgische Konvent der Michaelsbruderschaft stand zwar im Dienst der Kirche, aber nicht unter ihrer Verwaltung. 56 Ohne falsche Parallelen herstellen zu wollen, sei doch daran erinnert, dass andere, wie Pfarrer Karl Steinbauer oder Martin Niemöller auch mit schiefen Verdächtigungen, selbst von Freunden rechnen mussten. Ein Pfarrkollege, der Niemöller im Gefängnis besuchte, soll ihn in einem leicht vorwurfsvollen Ton gefragt haben: „Mein Bruder, warum bist du im Gefängnis?“ Niemöller soll geantwortet haben: „Mein Bruder, warum bist du nicht im Gefängnis?“ Dietmar Schmidt: Martin Niemöller. Stuttgart 1983, S. 135. Karl Steinbauer geriet als junger Vikar in Konflikt mit den örtlichen NS-Parteigrößen. Ein Kirchenrat, der ihn zu einer Verhandlung mit dem Auto abholte, murmelte obrigkeitsfromm während der Fahrt wiederholt: „Wie konnte es nur so weit kommen?“

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Es ist gewiss richtig, „dass nicht alle Standpunkte und Äußerungen Möckels als fehlerfrei beurteilt werden können“.57 Darum kann es nicht gehen. Konrad Möckel lud seine Gemeinde, seine Leser, seine Zuhörer ein, mit ihm einen alternativen Weg zu gehen. Als er unter den Siebenbürger Sachsen dafür warb, war es dafür noch nicht zu spät. Von heute aus gesehen, wünscht man sich, seine Kritik am Nationalsozialismus hätte früher begonnen und wäre noch entschiedener und nachdrücklicher gewesen. Das Echo, das er auslöste, lässt erkennen, dass schon seine bescheidenen Ansprüche an die Gemeinde manche überforderten. Es schmerzte ihn, dass sich innerhalb der Ev. Landeskirche A. B. nur geringe Widerstandskräfte gegen den aufputschenden, braunen und gegen den demoralisierenden, roten Zeitgeist mobilisieren ließen. Konrad Möckels Bekenntnis zum Evangelium trug ihm auch noch über den Tod hinaus Kritik, in Ausnahmen sogar Spott ein. Wenn man ihn ernst nimmt, und Konrad Möckel hatte eine Gemeinde und Freunde, die zu ihm hielten, lassen sich sowohl für die NS-Zeit als auch für die Zeit des Staatssozialismus alternative Möglichkeiten für ein lebendiges Gemeindeleben erkennen. Insofern lohnt sich auch heute noch die Beschäftigung mit seinem Leben. Er konnte unter den einengenden Bedingungen seiner Zeit nur einen Teil seiner Möglichkeiten verwirklichen. Beide Diktaturen sahen, dass sich um ihn eine lebendige Gemeinde bildete und beide suchten sein Wirken um die Nachhaltigkeit zu bringen. Die Propaganda der „Volksgruppenleitung“ und die Desinformation der Securitate wirken sich immer noch aus.58 Die jüngste Geschichte der Ev. Kirche A. B. erscheint in einem anderen Licht, nachdem sich die Diktaturen als zeitgebundene, vorübergehende Erscheinungen erwiesen haben. Die Schatten und Demütigungen beider Diktaturen lassen die Ev. Landeskirche A. B. arm, statisch und rückwärtsgewandt erscheinen. Es scheint, als habe sie sich permanent verteidigen müssen. Aber die Honterusgemeinde – und nicht nur sie – erbrachte den Beweis, dass im Vertrauen auf das Erbe der Reformation und in der Vergegenwärtigung der Evangelien Neues entstehen kann. Man wird Konrad Möckel nur gerecht, wenn man dieses spirituelle Leben erkennt und anerkennt. Corneliu Pintilescu untersuchte den „Procesul ‚Biserica Neagră‘ 1958 – De la realitate la funcţiune ideologică“.59 Er wies die Mischung aus Fakten und ideologischen Umdeutungen in den Verhörprotokollen nach und entlarvte die Methoden der Securitate, ihre Betrügereien, mit denen sie die eigenen, aggressiven Motive verbarg.

57

Ludwig Binder: Zwischen Irrtum und Wahrheit – Konrad Möckel (1892-1965) und die Siebenbürger Sachsen. München 1989, S. 71. Der Titel „Zwischen Irrtum und Wahrheit“ ist irreführend. 58 Kurt Horedt: „Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten“. Erinnerungen. Habelts Beiträge zur Forschungsgeschichte, Bd. 1. Bonn 1988, S. 82/83. Sein Bericht ist wie von der Abteilung für Desinformation der Securitate inspiriert. 59 Cluj-Napoca 2005. Dissertation an der Universität „Babeş-Bolyai“ in Cluj-Napoca. Jetzt: Procesul Biserica Neagră 1958. Heidelberg 2008. Mit einem Nachwort in deutscher Sprache.

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Darüber hinaus ist es jedoch wichtig zu erkennen, dass Konrad Möckel, wie wir sahen, kein „Idealist“ war. Er warnte vor den Gefahren des Idealismus. Er war ein Christ und ein Siebenbürger Sachse. „Siebenbürgisch sächsisch“ bezog sich seit 1918 ohne Zutun der kleinen Minderheit auf den rumänischen Staat. Die Securitate zog seine Loyalität zum rumänischen Staat in Zweifel, mehr noch, sie machte aus ihm einen Hoch- und Landesverräter. Seine Loyalität zum Staat ist nicht anzuzweifeln. Aber als Christ bestand er darauf, dass im Mittelpunkt der sächsischen Gemeinde in Großpold und in Kronstadt kein Götze stehen durfte, weder ein nationaler noch ein kommunistischer, sondern das Evangelium.60 Das war vor dem Zweiten Weltkrieg ein dramatisch innersächsischer, nach dem Zweiten Weltkrieg ein unausgesprochener Gegensatz von Kirchengemeinde und staatlich öffentlich vertretenem Atheismus. Die Bewahrung des Evangeliums von falschen Beimischungen ist nicht nur für Siebenbürger Sachsen oder für Banater Schwaben aktuell, sondern überall, wo Staaten in Europa sich auf ihre ethischen und moralischen Überlieferungen besinnen. Die Gefahr, dass der christliche Glaube zum Zierrat und zur Rechtfertigung von gesellschaftlichen und politischen Interessen und zur Unterdrückung Schwacher missbraucht wird, ist in Europa in vielen Varianten auch heute gegenwärtig, wenn auch weniger akut als im vorigen Jahrhundert. Konrad Möckels Kampf für den Primat des Christlichen in der deutschsprachigen Honterusgemeinde hat insofern etwas Beispielhaftes, denn in einem Land mit mehreren Ethnien und Kulturen ist die Versuchung, die Konfession kulturell oder politisch zu missbrauchen, immer aktuell. Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von christlicher Kirche und Ethnie, christlicher Kirche und Staat, christlicher Kirche und Gesellschaft, ist auch in unserer Zeit und nicht nur für die Siebenbürger Sachsen von Bedeutung.61 Konrad Möckel hat um die richtige Rangfolge von christlicher Tradition und gesellschaftlichem Leben gerungen. Insofern ist sein Leben ein Beitrag zur Toleranz der Konfessionen und Ethnien in Rumänien. Es war ein Schaden für die Kultur Rumäniens, dass die Securitate Konrad Möckel das Wort im Mund verdrehte und ihn zu einem Nazi-Spion machte. Seine geistige und geistliche Auseinandersetzung zum Problem der Ethnie und des christlichen Glaubens ist im Kontext der europäischen Vereinigung beachtenswert, gerade weil er die Unhaltbarkeit der Vermengung national-egoistischer Ideale mit der Botschaft des Evangeliums erkannte und herausarbeitete. Das konnte und wollte die Securitate nicht sehen oder, wenn sie es sah, wollte sie es ihm nicht abnehmen, denn das passte nicht zu ihrer Strategie. Er stand in Wahrheit vor Gericht, weil er sich um dieses Problem als ein Christ bemühte. Die Securitate und das Militärge60

Zum Beispiel Konrad Möckel: Idealismus und Wirklichkeit. Schäßburg 1933. Pintilescu erkannte die Lesart der Securitate sehr gut. Konrad Möckels Aktivität stünde „unter dem Zeichen zweier Ideale ... eines mit dem andern stark verbunden, dem religiösen und dem nationalen“ („... activitatea lui va sta sub semnul a două idealuri, puternic legate unul de altul, idealul religios şi idealul naţional“, S. 4). Aber Konrad Möckel blieb gerade nicht hierbei stehen. 61

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richt taten alles, um gerade dies zu verdunkeln und ihm Chauvinismus zu unterstellen. Nur durch diese Verdrehung konnte sie auch die Jugendlichen an seine Verurteilung ankoppeln, und seine an die der Jugendlichen. Die Gleichsetzung von evangelischer Gemeinde und deutschsprachiger Gemeinde, dann von deutschsprachiger Gemeinde und nationalistischer Gemeinde war eine Verdrehung der Wahrheit, zu der Konrad Möckel keinen Anlass gegeben hatte, als man ihn am 10. Februar 1958 verhaftete. Man hat die Unvorsichtigkeit Konrad Möckels getadelt.62 Es ist fragwürdig, den vorsichtigen oder unvorsichtigen Lebenswandel mit dem Terror einer Diktatur ursächlich in einen Zusammenhang zu bringen. Eine solche Vermengung von zwei Ebenen verkennt den Willen zur Unterdrückung in einem totalen Staat. Dass Konrad Möckel weder ein Landes- noch ein Hochverräter war, wussten alle seine Zeitgenossen. Zu Kirchenkurator Roth sagte Bischof Friedrich Müller in einem Gespräch, als der Stadtpfarrer schon verhaftet, Roth aber noch frei war: „Für Konrad Möckel lege ich meine Hand ins Feuer.“63 Die Vorstellung ist unrealistisch, dass bei klugem und angepasstem Verhalten der Bevölkerung Rumäniens die politisch motivierten Verhaftungen nach dem Aufstand in Ungarn 1956 von Tausenden von rumänischen Staatsbürgern, Sachsen, Schwaben, Ungarn, Rumänen, hätten vermieden werden können und ausgeblieben wären. Der Prozess gegen die Honterusgemeinde in Kronstadt hatte eine Stellvertreterfunktion. Es ging der Securitate darum, die Kraft der Honterusgemeinde zu treffen. Sie bestand im öffentlichen Gebet, im Dienst der Kirche für die Schwachen in ihrer Mitte und im offenen Wort in der Predigt. Es ging um das, was eine lebendige Kirche ausmacht. Wegen dieser Aktivität hatte Konrad Möckel letztlich Anstoß erregt. Sie sollte im kommunistischen Staat ausgeschaltet werden. Das Boshafte an der Version von den Prozessen, welche die Securitate in Umlauf setzte, ist der Versuch, dem Leiden der Verurteilten jeden Sinn zu nehmen und alles nur als Leichtsinn, Dummheit, kindische Konspiration, Vertrauensseligkeit, Mangel an Menschenkenntnis und Lebensklugheit darzustellen. Die erschrockenen Zeitgenossen sollten denken, der kommunistische Staat strafe zwar hart, aber dass er bestrafe, sei verständlich. Niemand in der Honterusgemeinde glaubte, dass auch nur einer der Verurteilten Hoch- und Landesverrat begangen haben könnte. Das wusste auch die Securitate. Aber die Verurteilten, so wünschten es die Kommunisten, sollten nicht für 62 Bischof Friedrich Müller schrieb, Möckel sei „ein Gotteskind von jener Art, die Gott dem Versucher überläßt, um sie aus den dadurch eintretenden Erprobungen – wie Hiob – so herauszuführen, daß ihr Beispiel glaubenweckend weiterwirkt“. Zugleich tadelte er, Möckel habe nicht beachtet, dass Jesus seinen Jüngern gesagt habe, ohne Falsch, wie die Tauben, aber auch klug wie die Schlangen zu sein. Friedrich Müller: Erinnerungen 1944-1964. Bearbeitet von Hannelore Baier. Mit einem Geleitwort von Gerhard Schullerus und einer Einleitung von Ulrich Andreas Wien. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 163. 63 Fritz Roth: Eine Dokumentation über den Verlauf des Schauprozesses gegen Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel und Genossen“. Typoskript vom 1. Januar 1976, 10 Schreibmaschinenseiten. Nachlass KM, Archivmappe 7.

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1963-1965

etwas Sinnvolles gelitten haben, als man sie zu Hoch- und Landesverrätern machte – nicht für die Wahrheit, nicht für den Glauben, nicht für den Dienst an anderen, nicht für ein wenig mehr Bewegungsfreiheit und Lebensqualität im Alltag. Die Angeklagten sollten, nach der Desinformationspolitik der Securitate, wegen Hoch- und Landesverrat und zugleich für ihren Leichtsinn bestraft worden sein. Beides stimmt nicht. Es ist Zeit, der Securitate dieses Doppelspiel mit zwei Begründungen, die sich gegenseitig ausschließen, nicht mehr durchgehen zu lassen. Die Ehemaligen von der Securitate wünschen, dass sowohl die Opfer als auch ihre eigenen Untaten vergessen werden. Der Kronstädter Stadtpfarrer, die sächsischen Jugendlichen in Kronstadt und Klausenburg, später die Schriftsteller richteten ihre Aktivität gegen niemand, auch nicht gegen eine Ethnie. Sie hätten sagen können, was Stephan Ludwig Roth in seinem berühmten Abschiedsbrief schrieb: „Mit meiner Nation habe ich es wohl gemeint, ohne es mit den andern Nationen übel gemeint zu haben.“64 Trotzdem mussten sie für ihre Aktivität, Kreativität und Spontaneität einen Preis zahlen, als hätten sie Verbrechen begangen. Ihre Schicksale fanden Bedauern, aber nur bei wenigen Anerkennung. Langsam beginnt sich das zu ändern. Heute ist es deutlicher als vor dem Jahr 1989, dass der Prozess ein Schlag gegen die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien war. Die Securitate schlug auf sie ein, als es die Ev. Landeskirche A. B. als Volkskirche schon gar nicht mehr gab. Sie wollte spätestens seit 1944 Kirche sein, und nichts anderes. Diese regenerierende Rückbesinnung aber machte sie zur Quelle geistlichen Lebens und dadurch zu einem politischen Faktor. Die Leiden ihrer Glieder sind daher ein beredtes Zeugnis des Lebens der Honterusgemeinde und ein markantes Ereignis ihrer Geschichte. Auch die Leiden der jungen Leute gehören dazu. Die Securitate und das Militärgericht bezeugten mit der abwegigen Zusammenstellung eines „lotul Biserica Neagră“ unfreiwillig, dass die Honterusgemeinde eine Ausstrahlung hatte, die junge Menschen nicht gleichgültig ließ. Nicht alle Jugendlichen zog das Christliche der Gemeinde an, manche suchten die Honterusgemeinde auch nur als Einrichtung des Kulturlebens. Trotzdem sollte kein Name vergessen werden, solange die Honterusgemeinde in der Schwarzen Kirche Gottesdienste feiert. Konrad Möckel war kein politischer Widerstandskämpfer. Die Kronstädter Jugendlichen waren keine Dissidenten. Aber den „Schwarze-Kirche-Prozess“ gab es, und er passt eigentümlich genau zu Konrad Möckels Leben, das der Neubelebung des Gottesdienstes und des Gebets in der Honterusgemeinde und zugleich der Erneuerung der Ev. Landeskirche A. B. gewidmet war. Sein Weg war betont unpolitisch und wirbelte trotzdem Staub auf. Wo um den christlichen Glauben gerungen und der Sinn des Evangeliums gesucht wird, wo der Sonntag gefeiert und der Alltag auch in Notzeiten 64 Heute müsste man zum besseren Verständnis statt Nation Ethnie sagen. Die siebenbürgisch-sächsischen Nazis haben dem sächsischen Volk den Titel „Nation“ seit den 1920er Jahren gestohlen. Stephan Ludwig Roth: Gesammelte Schriften, Bd. 7: Das Schicksal. Hg. Otto Folberth. Berlin 1964, S. 179.

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bewältigt wird, entsteht geistliches und geistiges Leben. Das ist dann unbeabsichtigt auch gesellschaftlich relevant. Christliches Gemeindeleben war der Kern, weswegen die im Prozess Verurteilten leiden mussten. Der große Aufwand der Securitate und des Militärgerichts kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verurteilten unschuldig waren. Das Oberste Gericht des Staates hob am 22. Februar 1999 alle im SchwarzeKirche-Prozess gefällten Urteile auf.65 Die Tatsache, dass der Prozess stattgefunden hat, ist und bleibt ein Zeugnis für die geistliche Lebenskraft der Honterusgemeinde, so wenig deutlich sich das in den Akten der Securitate auch darstellen mag. Die Honterusgemeinde in Kronstadt zählt nach dem Exodus vieler Familien heute etwa 1100 Seelen. Sie hat die NS-Zeit und den real existierenden Sozialismus überlebt. Diaspora zu sein, schrieb Hans Bernd von Haeften an Konrad Möckel, sei das Gemeinschicksal der Christenheit in der Welt – heute mehr denn je. „Welch eine wunderbare Gewissheit zu wissen, dass gerade dieses verlorene Häuflein am wenigsten verloren ist.“66

65 CNSAS 742/15, Bl. 1-36, Gesuch um Aufhebung der Urteile vom 9. Dezember 1998 von Gerhard Möckel und Ernst Peter Hönig. Ausführliche Begründung der Entscheidung des Obersten Gerichts vom 22. Februar 1999. 66 Nach der Wende im Jahre 1990 entstand in Hermannstadt die Evangelische Akademie Siebenbürgen. Sie fragte 1997 zum 40.  Jahrestag der ersten Verhaftungen von jugendlichen Kronstädtern des Jahres 1957: „Kann aus Leid Segen werden?“ Die Gründung der evangelischen Akademie war selbst schon ein Zeichen dafür, dass aus Leid tatsächlich Segen werden kann. Die Tagung fand vom 2.-4. Mai 1997 in Kronstadt/Braşov statt. Die Leitung hatten Gerhard Möckel und Dorothea Koch-Möckel.

Anhang

Chronologische Übersicht

Geschichtliche Ereignisse Zweiter „Sachsentag“ in Hermannstadt mit „Volksprogramm“

Zur Biographie 1890

21. November wird Dorothea Elisabeth Schullerus in Hermannstadt geboren

1892

29. Juli wird Konrad Möckel in Petersdorf bei Mühlbach geboren

1893

24. August Tod des Vaters Gustav Möckel, Pfarrer in Petersdorf, Mutter Julie Möckel, geb. Wolf, zieht nach dem Tod ihres ältesten Sohnes nach Hermannstadt

1896

26. April Tod von Gertrud Schullerus, geb. Stühler (Mutter von Dora Schullerus)

1898

Elementarschule in Hermannstadt

1902

Brukenthal-Schule

1910

Abitur

1911

Studium in Leipzig

1912

Klausenburg

1913

Berlin

1914

Klausenburg

1915

Staatsexamen

1916

Assistent am Mineralogischen Institut in Klausenburg

Nationalversammlung der siebenbürgischen Rumänen in Karlsburg

1918

Promotion im Fach Mineralogie

Mediascher Erklärung des Sächsischen Nationalrates, Friedensvertrag von Saint Germain

1919

22. Juni Heirat mit Dorothea, geb. Schullerus

Tod von Bischof Georg Daniel Teutsch

Erster Weltkrieg 1914-1918

354

Anhang Friedensvertrag von Trianon

Weltwirtschaftskrise

1920

Studienaufenthalt in Wien, 1920-1925 Knabenschullehrer an der höheren Knabenschule auf dem Hundsrück in Hermannstadt, Christian geboren

1921

Geologische Untersuchungen in der Poiana Rusca

1922

Erste eigene Wohnung, geologische Untersuchungen in den Süd-Karpaten

1923

Schwere Krankheit, Erholung in Großschenk

1924

Gerhard Günther geboren

1925

1925-1933 Pfarrer in Großpold

1927

Johannes Andreas geboren

1928

Tod von Bischofsvikar Adolf Schullerus

1929 1930

– Volkstum und Glaube – Mitarbeit im Südostdeutschen Wandervogel 1930-1933

1931

Haussenior im Franz-Rendtorff-Haus in Leipzig im Wintersemester 1931/1932

Friedrich Teutschs Rücktritt vom Bischofsamt, der Stadtpfarrer von Kronstadt, Viktor Glondys, wird neuer Bischof

1932

Adolf Hitler Reichskanzler des Deutschen Reiches

1933

Stadtpfarrer in Kronstadt (1933-1958) als Nachfolger von Viktor Glondys – Idealismus und Wirklichkeit –

Abkommen zwischen der Evangelischen Kirche A. B. und der NEDR

1934

2.-12. Februar erstes geistliches Arbeitslager, später Frecker Kreis

Erneuerungsbewegung zerbricht in einen gemäßigten Teil (NEDR) und einen radikalen (DVR)

1935

Erlass des Landeskonsistoriums 924/1936, wonach kirchlichen Angestellten die Mitarbeit ausschließlich in der Volksorganisation erlaubt wird

1936

– Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche –

1937-1940 Hans Bernd von Haeften Legationssekretär an der Gesandtschaft in Bukarest, zuständig für die Minderheiten in Rumänien

1937

Als Delegierter der Evangelischen Kirche A. B. bei Weltkirchenkonferenz in Oxford, Teilnahme an Tagung der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Neuendettelsau, Eintritt in die EMB

Chronologische Übersicht

355

Rumänien wird eine Diktatur

1938

Beginn des Zweiten Weltkriegs (1939-1945)

1939

SS-Obergruppenführer Werner Lorenz ernennt Andreas Schmidt zum Führer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien

1940

Wilhelm Staedel nach fragwürdiger Wahl Bischof der Ev. Kirche A. B.

1941

Gründung der Michaelsbruderschaft in Rumänien

1942

Friedrich Müller und Konrad Möckel werden von der Securitate zu Volksfeinden Nr. 1 erklärt

Letzte Transporte von SS-Freiwilligen aus Siebenbürgen, 20. Juli Attentat auf Hitler, 23. August Waffenstillstandsabkommen Rumänien–Sowjetunion

1944

Gerhard Möckel tritt als „Freiwilliger“ in die Wehrmacht ein

Zwangsdeportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion, Enteignung des Grundbesitzes aller Rumäniendeutschen

1945

Sohn Andreas unter den Zwangsdeportierten

1946

Lehrauftrag an der Universität in Klausenburg wird vom Staat nicht erlaubt

König Mihai geht ins Exil, Ministerpräsident wird Petru Groza

1947

Neue rumänische Verfassung, Kolektivierung

1948

Gheorghe Gheorghiu-Dej wird Ministerpräsident

1949

Aufstand in Ungarn gegen die sowjetische Besatzung

1956

4. Dezember stirbt in Berlin der älteste Sohn Christian

1958

Haft und Schwarze-Kirche-Prozess

1961

Zwangsaufenthalt im Bărăgan

Kuba-Krise

1962

Präsident Kennedy ermordet

1963

Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland

1964

Ehrenamtlicher Heimleiter in Kloster Kirchberg

1965

28. August Tod von Konrad Möckel

1967

25. März Tod von Dora Möckel

Archive

CNSAS

Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii (Nationaler Rat zum Studium der Securitate-Archive)

EZA

Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, das zentrale Archiv der Evangelischen Kirche in Deutschland, in der alle Landeskirchen Deutschlands vereinigt sind

Hds DM

Handschriften Dora Möckel = z. T. eine Sammlung, die Dora Möckel nach der Verhaftung ihres Mannes in Auftrag gab

IFZ

Institut für Zeitgeschichte in München, nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, enthält viele Nachlässe, unter anderem den Nachlass von Ger van Roon, der als erster den Kreisauer Kreis erforschte und dazu mit vielen Persönlichkeiten korrespondierte

Nachlass KM

Nachlass Konrad Möckel

PA des AA in Berlin Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin StadtA Halle/Saale

Stadtarchiv der Stadt Halle an der Saale

ZAEKR

Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Rumänien (Friedrich Teutsch Haus in Hermannstadt), enthält aber hauptsächlich die Akten aus Hermannstadt: Bischof, Landeskonsistorium, Stadtpfarramt, Protokolle der Hermannstädter Kirchengemeinde

Literatur

Veröffentlichungen von Konrad Möckel Die Literaturangaben beruhen auf Hermann A. Hienz: Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen. Bd. IX. Köln, Weimar, Wien 2004, S. 145-155. 1920-1925 Resinár déli hegyvidékének közettani viszonyai. Geólogiai térképé. Doctori értékezes [Die petrographischen Verhältnisse der südlich Reschinar gelegenen Berggegend. Geologische Landkarte. Dissertation]. Nyomtatott Lepage L. egyet. könyvkereskedés könyvnyomdajéban, Kolozsvár 1918. Gr.-8°. 23 S., Ill., Inaugural-Diss., Klausenburg 1918. Auch in deutscher Übersetzung Gr.-8°. 25 S. Hornblendegesteine aus der Umgebung der „Hohen Rinne“. Verhandlungen und Mitteilungen des Siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaften 70/71 (Hermannstadt 1920/21), 63-70; auch als Sonderdruck Buchdruckerei Josef Drotleff, Hermannstadt 1921. 8°. 8 S. Comunicare preliminară asupra studiilor petrografice din Poiana Ruscă (Prezentată de Dl. D. Rotman). „Dări de seamă ale şedinţelor Institutului Geologie“. Bucureşti 1923, Vol. XI. Şedinţa dela 23 Februarie; auch als Sonderdruck [statt Konrad Möckel irrtümlich R. Mökel]. Die Poiana Rusca. Jahrbuch des Siebenbürgischen Karpatenvereins 38 (1925), 2-6. 1926 Wissenschaft und Religion. Kirchliche Blätter 18 (1926), 2-4, 13-15 u. 21-24; auch als Sonderdruck: Hermannstadt 1926. Gr.-8°. 18 S. Die Jugendfrage. Rede, geh. auf der Jugendbundtagung in Heltau. Klingsor 3 (1926), 296-301. Der Weg. Weg 1 (1926), 175-177. 1927 Bruder- und Schwesternschaften. Klingsor 4 (1927), 20-25. Volkstum. Kirchliche Blätter 19 (1927), 357-360, 371-373, 386-388, 402-405, 419-421; auch als Sonderdruck: Hermannstadt 1927. Kl.-8°. 34 S. 1928 Religion und Volkstum. II. Klingsor 5 (1928), 174-184, zus. mit Erwin Reisner I, S. 170-174. Pfarrer und Volksleben. Klingsor 5 (1928), 257-263.

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Literatur

1929 Der Unterwald. Klingsor 6 (1929), 89-93. Evangelische Arbeit. Klingsor 6 (1929), 127-138. Die Gottessohnschaft. Klingsor 6 (1929), 287-293, 352-356. Was hat uns die Unzufriedenenbewegung zu sagen? Kronstädter Zeitung 93 (1929), Nr. 288, 290. 1930 Unsere geistige Lage. Kronstädter Zeitung 94 (1930), Nr. 91. Politik und Volksleben. Kronstädter Zeitung 94 (1930), Nr. 106. Pfingsten [Betrachtung]. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 57 (1930), Nr. 17110. Die Gefahr der großen Worte. Siebenbürgisch Deutsches Tageblatt 57 (1930), Nr. 17207. Ist die Pflege des Volkstums religiöse Pflicht? Kronstädter Zeitung 94 (1930), Nr. 204. Kirche und Schule. Klingsor 7 (1930), 447-454. Jugendbewegung. Klingsor 7 (1930), 466-472. Volkstum und Glaube. Vom Ringen um die Gestaltung einer evangelischen Volkskirche. Reihe: Kirche und Gegenwart. Praktisch-theologische Untersuchungen. Hgg. D. Heinrich Rendtorff, D. Erich Stange. Dresden 1930. 1931 „Völkisch“ und „christlich“. Zschr. „Christentum und Wissenschaft“ 7 (1931), 129-134. Zur Schulfrage. Kronstädter Zeitung 95 (1931), Nr. 222. Großpolder Singwoche. Klingsor 8 (1931), 398-399. Zeit und Ewigkeit. Siebenbürgisch Deutsches Tageblatt 58 (1931), Nr. 17463. [zu Friedrich Müller d. J.: Was ist Offenbarung? 1931.] Was ist christlich? Selbsthilfe 10 (1931), Nr. 38. 1932 Sollen wir „völkisch“ sein? Arbeit und Stille 25 (1932), H. 1, S.15-19. Wohin treiben wir? Klingsor 9 (1932), 346-349. Mediascher Volkstag. Klingsor 9 (1932), 484-485. Glauben und Weltanschauung. Klingsor 9 (1932), 295-301, 333-339. Deutscher Glaube. Vortrag im Rahmen der Deutschen Büchergilde in Rumänien am 7. November 1932. In: Kirchliche Blätter 24 (1932), 480-481; auch in: Der Geisteskampf der Gegenwart (1932), H. 12, S. 445-460. 1933 Die Sektenfrage. Kirchliche Blätter 25 (1933), 367-369, 379-383. Gautag des Wandervogels. Klingsor 10 (1933), 315, 316. Ewige Gesetze. Gedankengang eines Vortrages in mehreren Arbeitslagern des Sommers 1933. Klingsor 10 (1933), 384-391. Geistliche Arbeitslager. Kirchliche Blätter 25 (1933), 423-426; dazu: Klingsor 11 (1934), 127, 163, 164. Idealismus und Wirklichkeit. Eine Auseinandersetzung mit dem Grundgedanken der Volkserneuerungsbewegung. Schäßburg 1933. 8°, 65 S. Völkischer Idealismus und Christentum. Rundbrief des Südostdtsch. Wandervogels, 1933. Rabindranath Tagore. Seine Deutung für das religiöse Denken des Abendlandes. Kirchliche Blätter 25 (1933), 527-529; 26 (1934), 3-5 u. 16, 17.

Veröffentlichungen von Konrad Möckel

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1934 Welche Bedeutung hat unsere Volkskirche für unsere Zeit? Vorträge, geh. auf dem 12. Pfarrertag in Kronstadt. Kirchliche Blätter 26 (1934), 382-387 und 395-401; auch als Sonderdruck: Hermannstadt 1934, 14 S. Was ist die Kirche? Klingsor 11 (1934), 225-230. Die zeitgemäße Frage. Klingsor 11 (1934), 269-272. [Erwiderung auf E. Neugeboren ebd., S. 264-269.] Ansprache im Eröffnungsgottesdienst des 12. Pfarrertages in Kronstadt, gehalten in der Obervorstädter Kirche am 7. August 1934. Kirchliche Blätter 26 (1934), 359-361. 1935 Von den Baden-Durlacher Einwanderern Mühlbachs. Deutscher Kalender für Rumänien 6 (1935), 60-64. Ein Briefwechsel über Christentum und Volksdasein. Konrad Möckel an Alfred Pomarius. Klingsor 12 (1935), 119-122 [Stellungnahme zu Alfred Pomarius, Die große Frage. Ebd., S. 31-33]; dazu: Alfred Pomarius an Konrad Möckel. Ebda, S. 122-124. Erfahrungen im Konfirmandenlager. Kirchliche Blätter 27 (1935), 222-223. 1936 Feiergestaltung. Klingsor 13 (1936), 50-56. Der Kampf um die Macht und unsere evangelische Kirche. Honterus Buchdruckerei und Verlagsanstalt Sibiu-Hermannstadt 1936. Gr.-8°. 51 S.; dazu Fritz Benesch: Machtkampf und Kirche. Eine Antwort an Dr. Konrad Möckel. Deutsche Volksdruckerei und Verlagsanstalt Braşov-Kronstadt 1937. Gr.-8°. 29 S. Volk in Gottes Hand [aus: „Heiliges Volk“. Eine Untersuchung über Zusammenhänge zwischen Volksleben und Glaubensgemeinschaft, im Druck erschienen]. Kirchliche Blätter 28 (1936), 242-243; auch in: Kronstädter Zeitung 100 (1936), Beilage zu Nr. 118: Festausgabe zum hundertjährigen Bestehen, Sonntag den 24. Mai 1936, S. 31-32; Nachdruck Verlag Neue Kronstädter Zeitung. München 1990. Volkskirche und Volksgemeinschaft [Schlusskapitel aus: „Heiliges Volk“ 13]. Klingsor 13 (1936), 370-383. Ganze Menschen. Konfirmandenpredigt (Joh. 6, 67-69). Kirchliche Blätter 28 (1936), 261-263. 1937 Christliches Glauben und völkisches Bauen. Persönliche und grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Benesch: Machtkampf und Kirche. Kronstädter Zeitung 101 (1937), Nr. 43-46; auch als Sonderdruck Kommissionsverlag Wilhelm Hiemesch (Kronstadt-Braşov 1937), Kl.-8°. 37 S. „Für unsere Schwarze Kirche“. Klingsor 14 (1937), 72-73. Erneuerung in der Kirche. Ein Rückblick und Ausblick. Kirchliche Blätter 29 (1937), 26-28. Die Oxforder Weltkirchenkonferenz. Kirchliche Blätter 29 (1937), I. S. 502-505; II. S. 522523; III. S. 530-531; siehe dazu auch: Herwart Scheiner: Oxford und wir. Deutsche Tageszeitung [3] (Sibiu-Hermannstadt 1936), 8. August; dazu Viktor Glondys: Zu den Angriffen gegen unsere Kirchenleitung wegen Teilnahme an der WeItkirchenkonferenz in Oxford. Kirchliche Blätter 29 (1937), 399-400; und Herwart Scheiner: Ein Beitrag zur 36. Landeskirchenversammlung der ev. Landeskirche A. B. in România-Rumänien. Deutsche Volksdruckerei und Verlagsanstalt (Kronstadt-Braşov 1938), S. 27-42.

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Literatur

Die Stellung der evangelischen Frauenvereine in unserer gesamten völkischen Arbeit. Grundgedanken zu einer Festrede vor der Hauptversammlung des Allgemeinen evangelischen Frauenvereines. Kirchliche Blätter 29 (1937), 580-581. Volk vor Gott. Gottesdienstliche Festrede zum Tage der Volksgemeinschaft in Kronstadt (2. Tim. 1,7). Kirchliche Blätter 29 (1937), 330-332. Begegnung mit Franz Rendtorff. Kirchliche Blätter 29 (1937), 167. 1938 Die Kirche als Burg. In: Vom heiligen Kampf. Hg. Wilhelm Stählin. Kassel 1938. Die Kirche der Heiligung. Vortrag, geh. vor dem Pfarrertag in Schäßburg. Kirchliche Blätter 30 (1938), 527-529 u. 538-543; auch als Sonderdruck. Hermannstadt 1938, 8°. 20 S. Der Eckstein. Darstellung Jesu (Predigthilfe, Luk. 20, 17-18). Kirchliche Blätter 30 (1938), 31. Das Erbe der Väter. Ansprache auf dem ersten Werbeabend „Für unsere Schwarze Kirche“. Kirchliche Blätter 30 (1938), 60-62; siehe auch: Klingsor 14 (1937), 72-73 [Schlussabschnitte]. Die Ostertatsache. Predigt am 1. Ostersonntag (Joh. 20, 1-9). Kirchliche Blätter 30 (1938), 162-163. Wachstumsgesetze des Christen. Predigt am 20. Sonntag nach Dreieinigkeit (2. Tim. 2, 19). Kirchliche Blätter 30 (1938), 543-544. Leben jenseits des Todes. Predigt am 23. Sonntag nach Dreieinigkeit (Totensonntag) (Matth. 22, 22-33). Kirchliche Blätter 30 (1938), 585-586. Die ewig neue Erkenntnis. Predigt am 1. Advent (Jeremia 16, 16-21). Kirchliche Blätter 30 (1938), 595-596. 1939 Die Kirchenburg als Symbol der Volkskirche. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 66 (1939), Nr. 20000 (14. Dezember); Teile daraus auch in: Protestantenblatt 73 (1940), Nr. 2 (14. Januar), Sp. 16-18. Auf deutschem Vorposten. In: H. Dannenbaum: Christus lebt. Berlin 1939, S. 268-277; auch in: Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender 27 (1982), 70-75, mit 1 Abb., 16-20). Kirchliche Blätter 31 (1939), 32. Das Grundgesetz der neuen Welt (Predigthilfe für den Sonntag Judika, 2. Kor. 5,17-21). Kirchliche Blätter 31 (1939), 143-144. Treue Haushalterschaft. Ansprache bei der Begräbnisfeier des Herrn Altbürgermeister Dr. Karl Ernst Schnell in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt, gehalten am Sonntag „Misericordia domini“ den 23. April 1939. Kirchliche Blätter 31 (1939), 218-220. Der Lebensnerv der Gemeinde (Predigthilfe für den Sonntag Rogate, 1. Tim. 2, 1-6). Kirchliche Blätter 31 (1939), 239-240. Das Dankbild des Erlösten. Predigt am 4. Sonntag nach Dreieinigkeit (Jes. 12,1-5). Kirchliche Blätter 31 (1939), 322. Altkurator Michael Ongyerth. Rede bei der Begräbnisfeier (2. Kor. 4, 6-8). Kirchliche Blätter 31 (1939), 538-539. 1940 Das weltweite Evangelium. Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias (Röm; – Abschied von Rektor D. Oskar Netoliczka. Kirchliche Blätter 32 (1940), 398-399. Was heißt mit der Kirche leben? Lichter der Heimat 21 (1940), 14-16. mit Richard Gleim: Die Kirche der Versöhnung. Gustav-Adolf-Kalender 84. Kassel 1940, 71-79.

Veröffentlichungen von Konrad Möckel

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Diakonie. Kirchliche Blätter 32 (1940), 150-151. Vom Worte Gottes zur Gestaltung der Kirche. Kirchliche Blätter 32 (1940), 522-524, 535-537, 548-549 und 559-561; auch als Sonderdruck: Honterus-Buchdruckerei und Verlagsanstalt Hermannstadt 1940. Kl.-8°. 26 S. Die Sprache der Schwarzen Kirche. Eine Reformationspredigt. Kirchliche Blätter 32 (1940), 38-40. Gottesdienst ist gemeinsames Handeln (Predigthilfe für den 10. Sonntag nach Dreieinigkeit, Kol. 3,12-16). Kirchliche Blätter 32 (1940), 190-191. Wie kämpft eine christliche Gemeinde? Predigt am 10. Sonntag nach Dreieinigkeit (Apostelgesch. 4, 23-31). Kirchliche Blätter 32 (1940), 375. Harrender Glaube (Predigthilfe für den 27. Sonntag nach Trinitatis, Psalm 85,5-14). Kirchliche Blätter 32 (1940), 576. 1941 Das Leben ist ein Geheimnis. Lichter der Heimat 22 (1941), Nr. 4. Das Wort der Wahrheit. Gedanken zum Ende des Schuljahres. Kirchliche Blätter 33 (1941), 362-365. 1942 Stephan Ludwig Roth. Gustav-Adolf-Kalender 86. Kassel 1942, S. 60-62. Mit 1 Abb. 1946 Gottes Herrlichkeit. Kirchliche Blätter 37 (1946), 248-250. Der wahre Gott. Predigt zum Trinitatissonntag in der Schwarzen Kirche (Röm. 11,33-36). Kirchliche Blätter 37 (1946), 25-27. „Unsere liebe evangelische Kirche“; Predigt am 24. Juni 1945 über 1. Kor. 3,11. Christlicher Hausfreund 16 (1946), 150ff.; auch in: Siebenb.-sächs. Hauskalender [1]. München 1956, 33-37. Gottes Herrlichkeit. Kirchliche Blätter 37 (1946), 248-249; auch: Licht der Heimat 230 (Dezember 1972), S. 1-2. 1947 Das Brot des Lebens. Christlicher Hausfreund [17] (1947), 107. Unsere Kirche. Kirchliche Blätter 38 (1947), 167-169. Zur Frage der geistlichen Erziehung. Kirchliche Blätter 38 (1947), 209-211. 1951-1955 Abschiedsrede beim Heimgang der Dichterin und Pfarrfrau Anna Schuller-Schullerus am 8. Mai 1951. Siebenbürgische Zeitung 2 (1951), Nr. 6 (Juni), S. 5. „Sie blieben beständig ...“ Aus einer Predigt in der Schwarzen Kirche in Kronstadt (1953). Licht der Heimat 40 (Februar 1957), S. 1. Zum Gedenken an Dr. Hans Otto Roth [Aus der Ansprache bei der Familienfeier am 23. Mai 1953 in der Sakristei der Schwarzen Kirche im Rahmen einer Abendmahlfeier zum Gedächtnis für Dr. Hans Otto Roth]. Kirchliche Blätter 18 (1956) (1990), Nr. 5, S. 8. Mit 1 Abb. Beständige Gemeinschaft. Licht der Heimat 4 (Februar 1954), S. 1. Posthum: Ein Leben zu Gott. Aus den Erinnerungen von Konrad Möckel, aufgezeichnet 1954. In: Jahrbuch 1966 – Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender. Hg. Hilfskomitee der

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Literatur

Siebenbürger Sachsen in Innere Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zusammengestellt vom 1. Vorsitzenden OStD Hans Philippi. Schweinfurt 1966. München 1966, S. 33-52. [Die Überschrift stammt von Paul Philippi. Die Erinnerungen sind nicht vollständig.] 1956 Wohin führt unser Weg? Reformationspredigt am 31. Oktober 1956 in der Schwarzen Kirche. Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender [3] (1958), 35-38. „Der Gerechte wird seines Glaubens leben“. Reformationspredigt 1956 über Röm. 1, 17, gehalten in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt; auch in: Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender [12] (1967), 141-144. 1963-1965 Sachsen in einer veränderten Welt. Was hat unsere Vergangenheit für unsere Zukunft zu bedeuten? Licht der Heimat 139 (Mai 1965), S. 1-2; 140 (Juni 1965), S. 2-4; 141 (Juli 1965), S. 2-3; auch in: Wir Heldsdörfer 13 (1965), S. 15-18, und 14 (1965), S. 18-22. Freude den Verlorenen. Predigt über Lukas 15, 1-10, gehalten in Kirchberg, 3. Sonntag nach Trinitatis am 4. Juli 1965. Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender 13 (1968), 33-36. Zeuge sein. Schluss einer Ansprache von 1965 über die Jahreslosung Apg. 1,8. Licht der Heimat 226 (August 1972), S. 1-2. [Zum 80. Geburtstag Konrad Möckels.] Posthum: Zwei Weihnachtsfeste [1958 u. 1959]. In: In memoriam Konrad Möckel. Bearbb. Gerhard Langmaak, Ingeborg Becher. Hg. Evangelische Michaelsbruderschaft. o. J. (1965) 8°. 28 S. Mit 3 Abb., S. 23-28.

Literatur über Konrad Möckel Binder, Ludwig: Zwischen Irrtum und Wahrheit. Konrad Möckel (1892-1965) und die Siebenbürger Sachsen. (Selbstverlag des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen der evangelischen Banater Schwaben im diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland) München o. J. (1989). In memoriam Konrad Möckel. Bearbb. Gerhard Langmaack, Ingeborg Becher. Hg. Evangelische Michaelsbruderschaft. Hamburg o. J. (Privatdruck). Möckel, Dr. phil. Konrad. In: Hermann A. Hienz: Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen. Bd. IX. Köln, Weimar, Wien 2004, S. 145-155. [Dort noch weitere, hier nicht aufgenommene Beiträge über Konrad Möckel.] Möckel, Gerhard: Von der Volkskirche zur Kirche im Volk: Der Weg Konrad Möckels anlässlich seines 90. Geburtstages am 29. Juli 1982. Für den Familientag in Würzburg am 10. Oktober 1982. Selbstverlag Heidelberg 1983, 19 S.; auch in Gerhard Möckel: Fatum oder Datum? München 1997, S. 172-188. Möckel, Andreas: Gerhard Möckel und Konrad Möckel. In: Zugänge 33 (2005), S. 27-34.

Literatur Ahlheim, Klaus: Geschöntes Leben: eine deutsche Wissenschaftskarriere. Hannover 2000. Aichelin, Albrecht: Paul Schneider. Ein radikales Glaubenszeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Gütersloh 1994.

Literatur

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Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945, Serie D (1937-1945), Band VI. Die letzten Monate vor Kriegsausbruch. März bis August. Baden-Baden 1956. Asmussen, Hans: Barmen! In: Theologische Existenz heute. Schriftenreihe. Hgg. Karl Barth, Ed. Thurneysen. München 1935. Reprint der Hefte 1-77, Band I. Baier, Hannelore: Germanii din România 1944-1956. Culegere de documente de arhivă. Editura Honterus. Sibiu 2005. Boia, Lucian: Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft. Aus dem Rumänischen übersetzt von Annemarie und Horst Weber. Köln 2003 (Studia Transylvanica, 30), S. 242-246. (Istorie şi mit în conştiinţa românească, Bucureşti 1997.) Bell, George – Alphons Koechlin. Briefwechsel 1933-1954. Hg., eingeleitet und kommentiert Andreas Lindt. Geleitwort W. A. Visser’t Hooft. Zürich 1969. Benesch, Friedrich: Machtkampf und Kirche. Braşov-Kronstadt 1937. Besier, Gerhard und Gerhard Sauter: Wie Christen ihre Schuld bekennen. Die Stuttgarter Erklärung 1945. Göttingen 1985. Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. München 31970. Beyer, Hans: Viktor Glondys (1882-1949). In: Festschrift für Balduin Saria. München 1964 (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 11), S. 408-459. Bielz, Eduard Albert: Handbuch der Landeskunde Siebenbürgens. Hermannstadt 1857. Binder, Ludwig: Viktor Glondys 1932-1941. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 111-149. Binder, Ludwig: Friedrich Müller d. J. 1945-1969. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 183-229. Binder, Ludwig: Zwischen Irrtum und Wahrheit. Konrad Möckel (1892-1965) und die Siebenbürger Sachsen. München o. J. (1989). Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen. Teil II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 111-149. Böhm, Johann: Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und das „Dritte Reich“ 1941-1944. Frankfurt/M. u. a. 2003. Böhm, Johann: Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945. Frankfurt/M. u. a. 2006. Bonfert, Alfred: Wandervogel und Kirche. In: Südostdeutscher Wandervogel. Rundbrief 1931, Heft 3, S. 3, 4. Borg, Daniel R.: Corporative Christian Nationalism: The Confessional Opposition of Konrad Möckel to the Rise of Nazism in the 1930s among the „Saxons“ of Romania. Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 33 (2010), H. 1, S. 63-88, und H. 2, S. 161-176. Böttcher, Bernhard: Gefallen für Volk und Heimat. Kriegsdenkmäler deutscher Minderheiten in Ostmitteleuropa während der Zwischenkriegszeit. Köln, Weimar, Wien 2009 (Studia Transylvanica, 39). Brandsch, Heinz: Das Pädagogische in der Jugendbewegung. Klingsor 4 (1927), 267-272. Brantsch, Ingmar und Johann Böhm: Einige Siebenbürger Sachsen hängen noch immer im Netz der ehemaligen Nazis. In: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik. 13 (2001), S. 106-112. Im Anhang die Eingabe von Pfr. Richard

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Literatur

Bell, Kirchenvater Peter Buhn, Pfr. Hans Konnerth am 18. August 1943, aus Anlass des Zwischenfalls im Zeidner Waldbad am 18. August 1943 (S. 112). Bry, Carl Christian: Verkappte Religionen. Gotha 1924. Clauß, Ludwig Ferdinand: Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde. München 1932. Dathe, Uwe: „Er ist wirklich ein geistiger Führer von Gottes Gnaden“. Dokumente zum politisch-weltanschaulichen Wirken von Viktor Glondys in der Weimarer Republik. Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 24/95 (2001), S. 23-49. Depner, Horst-Peter: Auch ohne Zukunft ging es weiter. Erinnerungen. Bearb. u. Hg. Georg Aescht. München 1998. Dien, Hermann: Restauration oder Neuanfang in der evangelischen Kirche? Stuttgart 1946. Dudek, Peter: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und Freiwilliger Arbeitsdienst 1920-1935. Opladen 1988. Evangelische Dokumente zur Ermordung der „unheilbar Kranken“ unter der nationalsozialistischen Herrschaft in den Jahren 1939-1945. Hg. Hans Christoph Hase. Stuttgart o. J. Fabritius, Fritz: Selbsthilfe. Klingsor 7 (1930), S. 412-414. Folberth, Otto: Der Nationalsozialismus und das Christentum. Klingsor 8 (1931), S. 463-473. Gerstenmaier, Brigitte: Zwei können widerstehen. Berichte und Briefe 1939-1969. Bonn, Berlin 1992. Gerstenmaier, Eugen: Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht. Frankfurt/M., Berlin, Wien 1981. Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918-1938). München 1996. Glondys, Viktor: Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933-1949. Hgg.  Johann Böhm, Dieter Braeg. Dinklage 1997. Glondys, Viktor: Zur Gegenwartslage unserer Landeskirche – Die Eröffnungsansprache Bischof D. Dr. Viktor Glondys zur Landeskirchenversammlung. Kirchliche Blätter 30 (1938), S. 334-345. Göbel, Manfred: Katholische Jugendverbände und freiwilliger Arbeitsdienst 1931-1933. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Hg. Ulrich von Hehl. Paderborn, München, Wien, Zürich 2005 (Reihe B: Forschungen, 103). Greiff, Walter: Das Boberhaus in Löwenberg, Schlesien 1933-1937. Selbstbehauptung einer nonkonformen Gruppe. Sigmaringen 1985. Greschat, Martin: Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen der Nachkriegszeit. Stuttgart 2002, S. 151. Grubenmann, Ulrich: Die kristallinen Schiefer. Bd. 1, Berlin 1904; Bd. 2, Berlin 1907. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. München 1998. Haebler, Hans Carl von: Geschichte der Evangelischen Michaelsbruderschaft von ihren Anfängen bis zum Gesamtkonvent 1967. Hg. im Auftrag der Evangelischen Michaelsbruderschaft, Marburg 1975. Haeften, Barbara von: Aus unserem Leben 1944-1950. Privatdruck. Heidelberg 1950. Haeften, Barbara von: „Nichts Schriftliches von Politik“. Hans Bernd von Haeften. Ein Lebensbericht. München 1997. Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler. München 1978. Hassell, Ulrich von: Vom andern Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 19381944. Geleitwort Hans Rothfels. Frankfurt/M., Hamburg 1964 (Fischer Bücherei, 605).

Literatur

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Literatur

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Literatur

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Philippi, Paul: Von Deutschtum und Zukunft der Siebenbürger Sachsen. In: Siebenbürgischsächsische Geschichte in ihrem 9. Jahrhundert. Hg. Gerhard Möckel. München 1977, S. 73-93. Auch: Paul Philippi: Land des Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und seiner Sachsen. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 350-374. Pintilescu, Corneliu: Praktiken der Securitate im Schwarze-Kirche-Prozess. Teil einer umfassenden Studie. In: Karpatenrundschau, Beilage zur Allgemeinen Deutschen Zeitung, Bukarest, vom 25. März 2006, S. III. Pintilescu, Corneliu: Procesul „Biserica Neagră“ 1958 – De la realitate la funcţiune ideologică. Diss. Univ. „Babeş-Bolyai“ Cluj-Napoca 2005.  Jetzt: Procesul Biserica Neagră 1958. Braşov-Kronstadt 2008. Plajer, Dietmar: Pfarrer Wilhelm Staedel und die Jugendarbeit. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 25/96 (2002), S. 6-29. Poelchau, Lore: Zur Geschichte der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A. B. in Siebenbürgen. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 18/89 (1995), S. 3-22. Poelchau, Lore: Zum Inhalt und zum derzeitigen Zustand der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A. B. in Siebenbürgen. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 18/89 (1995), S. 121-141. Poelchau, Lore: Zum Inhalt und zum derzeitigen Zustand der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A. B. in Siebenbürgen. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 18/89 (1995), S. 121-141. Pomarius, Alfred: In den heurigen Arbeitslagern der sächsischen Jugend. Klingsor 9 (1932), S. 358. Pomarius, Alfred: Rundschau. „Für unsere Honterusschule“ [Besprechung einer Verteidigungsschrift der Lehrer der Honterusschule in Kronstadt]. Klingsor 12 (1935), S. 161-165. Pomarius, Alfred: Rundschau. Chronik. Klingsor 16 (1939), S. 31-33. Pomarius, Alfred: Rundschau. Chronik. Klingsor 16 (1939), S. 69-71. Pomarius, Alfred: Rundschau. Chronik. Klingsor 12 (1935), S. 160-161. Pomarius, Alfred: Rundschau. Die große Frage. Klingsor 12 (1935), S. 31-33. Popa, Klaus: Gott will es! Drei Stationen im Leben von Wilhelm Staedel. In: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 13 (2001), S. 91-106. Rang, Martin: Biblischer Unterricht. Berlin 1936. Reisner, Erwin und Konrad Möckel: Religion und Volkstum. I. Teil. Klingsor 5 (1928), 170174. II. Teil. Klingsor 5 (1928), S. 174-181. Reisner, Erwin: Die nationalen Fehler der Siebenbürger Sachsen, wie sie der Binnendeutsche sieht. Klingsor 1 (1924), S. 293-100. Reisner, Erwin: Religion und Volkstum. Klingsor 5 (1928), S. 170-181. Ringshausen, Gerhard: Widerstand und christlicher Glaube angesichts des Nationalsozialismus. Berlin 2007. Ritter, Karl Bernhard: Tagung von Angern. Nach einem Menschenalter I. In: Quatember 1953, S. 28-30. Roon, Ger van: Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung. München 1967. Rosenstock-Huessy, Eugen: Nathan Söderblom. Zum Ursprung der ökumenischen Bewegung. In: E. Rosenstock-Huessy: Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen. Bd. 2. Heidelberg 1964, S. 209-212. Rosenstock-Huessy, Eugen: Sprache und Geschichte. Vortrag in der Pädagogischen Akademie Dortmund am 20. Juli 1957. In: Evangelische Unterweisung 12 (1957), S. 153-159. Auch

368

Literatur

in: E. Rosenstock-Huessy: Das Geheimnis der Universität. Hg. Georg Müller. Stuttgart 1958, S. 86-93. Rosenstock-Huessy, Eugen: Der Verrat im 20. Jahrhundert – ein Brief an Margret Boveri. In: Zukunft und Gegenwart 22 (November 1956). Auch in: E. Rosenstock-Huessy: Das Geheimnis der Universität. Hg. Georg Müller, S. 64-69. Ferner in: Mitteilungsblätter 2004 (stimmstein 9) der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft, S. 46-50. Roth, Harald: Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933. Köln, Wien 1994. Roth, Herbert: Kein Jahr war vergeblich. Hinter Stacheldraht und Gittern 1958-1964. München 1987. Sauer, Hermann: Abendländische Entscheidung. Arischer Mythos und christliche Wirklichkeit. Leipzig 1938. Schaser, Gerhard: Ein Brief. Klingsor 9 (1932), S. 349-354. Scheerer, Josef: Der so genannte „Kirchenkampf“ in Siebenbürgen bis zum Jahre 1945. In: Kirche zwischen Anpassung und Widerstand. Referate einer Tagung des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen im Frühjahr 1980. (Selbstverlag des Hilfskomitees) München 1980, S. 21-35. Scheerer, Josef: Wilhelm Staedel 1941-1944. In: Die Bischöfe der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen II. Die Bischöfe der Jahre 1867-1969. Hgg. Ludwig Binder, Josef Scheerer. Köln, Wien 1980 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 4), S. 151-180. Schlattner, Eginald: Rote Handschuhe. Roman. Wien 2001. Schmidt, Dietmar: Martin Niemöller. Stuttgart 1983. Schnell, Ernst: Aus meinem Leben. Erinnerungen aus alter und neuer Zeit. Kronstadt 1934. Schnepel, Erich: Ein Leben im 20. Jahrhundert, 1. Teil, 1900-1930. Wuppertal 1965. Scholder, Klaus: Die Kirchen und das Dritte Reich. Band 1. Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934. Berlin, Wien 1977. Scholder, Klaus: Die Kirchen und das Dritte Reich. Band 2. Das Jahr der Ernüchterung 1934, Barmen und Rom. Frankfurt/M. 1988. Schroeder, Hans-Werner: Fritz Benesch – Leben und Werk 1907-1991. Stuttgart, Berlin 2007. Siebenbürgen, Land des Segens. Hg. Erich Phleps. Wolfenbüttel 1952. Siegmund, Harald: Die Fürsorgearbeit in unseren Gemeinden. In: Kirchliche Blätter 14 (1922), S. 3-5. Solheim, Magne: Im Schatten von Hakenkreuz, Hammer und Sichel. Judenmissionar in Rumänien 1937-1948. Erlangen 1986. Stählin, Wilhelm: Der neue Lebensstil. Ideale deutscher Jugend. Hamburg 1918. Stählin, Wilhelm: Vom göttlichen Geheimnis. Kassel 1936. Stählin, Wilhelm: Via Vitae. Kassel 1968. Stapel, Wilhelm: Sechs Kapitel über Christentum und Nationalsozialismus. Hamburg, Berlin 2 1931. Steinberg, Sven: Verteidigung oder Widerstand? Der Konflikt des Pfarrers Simon Zank aus Haschagen mit der Landesjugendführung. In: Zschr. f. Siebenbürgische Landeskunde 27/98 (2004), S. 59-79. Teutsch, Friedrich: Kleine Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Darmstadt 1965. Teutsch, Friedrich: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Bd. IV. 18681919. Unter dem Dualismus. Hermannstadt 1926. Teutsch, Georg Daniel: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Bd. 2. Leipzig 21874.

Literatur

369

Trégomain, Pierre de: Die Grenzen des Sagbaren. Die Siebenbürger Sachsen und der Zweite Weltkrieg. Paris 2006 (unveröffentlicht). Treiber, Gustav: Der Stadtpfarrhof. In: Das Burzenland. 3. Band. Kronstadt. Erster Teil. Hgg. Erich Jekelius. Kronstadt 1928, S. 141-146. Ungar, Christel: Der „Schwarze Kirche Prozess 1957/58“. TVR 1 Rumänisches Fernsehen. Sendung in deutscher Sprache. Volkskalender für das Gemeinjahr 1945, 1. Jahrgang. Timişoara 1944. Volkskalender der Temesvarer Zeitung 1949, 4. Jahrgang. Timişoara 1948. Vom heiligen Kampf. Hg. Wilhelm Stählin. Kassel 1938. Wagner, Ernst: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Köln, Wien 1976. Weber, Georg und Renate Weber-Schlenther, Armin Nassehi, Oliver Sill, Georg Kneer: Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949. 3 Bände. Köln, Weimar, Wien 1995. Weiss, Christian: Roseln mitten in Siebenbürgen. Heidelberg 2010. Wien, Ulrich Andreas: Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalismus und Kommunismus. Köln, Weimar, Wien 1998. Winterhager, Wilhelm Ernst: Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zu einer Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mainz 1985. Wittig, Joseph: Es werde Volk! Versuch einer ersten Geschichte des Löwenberger Arbeitslagers im Frühjahr 1928. Waldenburg 1928. Wittstock, Joachim: Die uns angebotene Welt. Roman. Bukarest 2007. Wittstock, Oskar: Vom Amt und Beruf des evangelisch-deutschen Pfarrers in Siebenbürgen. Kirchliche Blätter 15 (1923), S. 431-435, 444-448, 454-456, 464-466, 469-470. Sonderdruck Hermannstadt 1923, 38 Seiten. Ziegler, Leopold: Gestaltwandel der Götter. Zwei Bände. Darmstadt 31922. Zillich, Heinrich: Rundschau. Die „Sachsenbündler“. Klingsor 4 (1927), S. 185-187. Zillich, Heinrich: Rundschau. Dr. Konrad Möckel. Klingsor 10 (1933), S. 78-79.

Abbildungen

372

Abbildungen

Abb. 1. Michael Möckel, Pfarrer von Großpold, der Großvater Konrad Möckels.

Abb. 2. Gustav Möckel und Julie Möckel, geb. Wolf, die Eltern Konrad Möckels.

Abbildungen

373

Abb. 3. Kinder- und Jugendbilder von Konrad Möckel.

Abb. 4. Die Oktava der Brukenthalschule in Hermannstadt 1910. Dora Schullerus in der ersten Reihe. Konrad Möckel in der letzten Reihe, zweiter von links.

374

Abbildungen

Abb. 5. Konrad Möckel im Flaus, dem Festtagsgewand der Gymnasiasten.

Abb. 6. Dora Schullerus 1916.

Abb. 7. Bischofsvikar D. Dr. Adolf Schullerus, Hermannstadt, der Vater Dora Möckels.

Abbildungen

375

Abb. 8. Weinlese in Großpold im Weingarten des Pfarrers.

Abb. 9. Die Schwarze Kirche vom Marktplatz aus gesehen. Diese Ansichtskarte schickte der Kirchenkurator Dr. Arthur Polony mit Grüßen vom „Donnerstagabend“ und den Unterschriften der Anwesenden am 8. Dezember 1932 an Konrad Möckel nach Großpold.

376

Abbildungen

Abb. 10. Einführung des neuen Stadtpfarrers 1933. Ansprache aus der Kutsche auf dem Weg zur Schwarzen Kirche.

Abb. 11. Einführung des Stadtpfarrers 1933. Die SAM (Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft) bildet Spalier.

Abbildungen

377

Abb. 12. Einführung des Stadtpfarrers 1933. Spalier der Frauen vor dem Eingang des Stadtpfarrhauses.

Abb. 13. Konrad Möckel bei der Bibelarbeit im freiwilligen Arbeitslager in Deutsch-Budak 1933.

378

Abbildungen

Abb. 14. Dora Möckel in Kronstädter Patriziertracht in den 1930er Jahren.

Abb. 15. „Frecker Kreis“ im Kurbad in Freck im Januar 1935.

Abbildungen

Abb. 16. Treffen der Michaelsbrüder in Michelsberg 1942.

379

380

Abbildungen

Abb. 17. Konfirmationsgottesdienst in der Schwarzen Kirche.

Abb. 18. Leiter der Rüstzeit 1939 in Kronstadt. Stehend von links: Konrad Möckel und Pfarrer Waldemar Keintzel, sitzend Missionsinspektor Erich Schnepel, Berlin; Pfarrer Georg Scherg, Kronstadt; Prof. Dr. Karl Heim, Tübingen.

Abbildungen

381

Abb. 19. Ferien im Keroly 1937. Konrad Möckel bot einen Gottesdienst im Freien an.

Abb. 20. Honterusfest 1935. Das Presbyterium am Marktplatz. Vor dem Abmarsch zur Honteruswiese. Links der Coetus Honteri, rechts die Blaskapelle des Coetus Mercuri.

382

Abbildungen

Abb. 21. Blatt aus einem kleinen Album, das Teilnehmer der „Jugendstunden“ Konrad Möckel im Jahre 1954 schenkten. Die Namen sind in Kapitel 13 genannt.

Abb. 22. Die Konfirmandinnen der Honterusgemeinde im Jahre 1950 am Fuße des Honterusdenkmals vor der Schwarzen Kirche. Pfarrer Konrad Möckel und Waldemar Keintzel.

Abbildungen

383

Abb. 23. Chorisches Singspiel der Kronstädter Spielgruppe etwa um 1954/1955. Dora Möckel war mitverantwortlich für die Trachten der Darsteller.

Abb. 24. Dora und Konrad Möckel verbrachten ihren Urlaub in den 1950er Jahren oft „unter dem Butschetsch bei Törzburg“ (Bran). Dort schrieb Konrad Möckel den Brief an die Söhne mit den Erinnerungen (Jahrbuch 1966).

384

Abbildungen Abb. 25. Die Malerin Trude Schullerus, Schwester von Dora Möckel, in den 1950er Jahren.

Abb. 26. Zu Besuch in Reußmarkt im Unterwald; von links: Albert Klein, Petersdorf; Hans Klein, Reußmarkt; Konrad Möckel, Kronstadt; Willi Wagner, Großpold. Aufnahme Gerhard Möckel 1957.

Abbildungen

385

Abb. 27. Konrad und Dora Möckel im Bărăgan. Aufnahme vermutlich von Trude Schullerus.

386

Abbildungen

Abb. 28. Konrad Möckel 1963 nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland (Passfoto).

Abb. 29. Konrad Möckel in Kloster Kirchberg.

Abb. 30. Konrad Möckel in Kloster Kirchberg. Im linken der drei Bogen des ehemaligen Kreuzgangs befindet sich eine Gedenktafel.

Personenregister

Ackner, Hans 155 Adler, Alfred 213 Aescht, Georg 290, 313 Ahlborn, Knut 66 Aichelburg, Wolf von 321, 327 Albert, Michael 76 Albrich, Carl 10, 130, 131 Alexander II. (Zar) 3 Althaus, Paul 13, 122, 190 Ambrosi, Gerhard Michael 85 Andreas II. (König) 1 Andrei, Mihai 300 Antal, Peter 120 Antonescu, Jon 140, 213, 235, 244, 250, 251, 302, 341, 345 Arz, Karl 289 Arz (Pfarrer, Wilhelm?) 232 Asmussen, Christian 271, 272 Ausländer, Rose 114 Baier, Hannelore 254, 261, 279, 309, 349 Balthes, Hans 233 Barth, Erwin 155 Barth, Gustav 67, 74 Barth, Karl XII, 190, 210, 227, 272, 273, 335 Barthmes, Frieda 33 Barthmes, Gerta 146 Barthmes, Gustav 33 Bathori, Gabriel 285 Baumann, Hans 150 Becher, Ingeborg XI, 336, 337, 343 Becke, Fritz 22 Becker, Carl Heinrich 150 Bell, Richard 241 Benesch, Friedrich 78-80, 178-181, 227, 245 Benesch, Marie-Luise 105 Benz, Ernst 190 Bergel, Erich d. Ä. 146, Bergel, Hans 311, 321, 327

Berger, Gottlob 234 Berggrav, Eivind 242 Bergleiter, Misch 70, 73, 78, 85, 86, 116, 165 Bernhard, Thomas 291 Berwerth, Fritz 22, 23 Besier, Gerhard 272 Bethge, Eberhard 189, 221 Beyer, Hans 134, 136, 190, 236 Bickerich, Viktor 77, 212, 215, 264 Bielz, Eduard Albert 5 Binder L. 60 Binder, Heinrich 332 Binder, Kläre 74 Binder, Ludwig XI, 60, 115, 235, 236, 260, 261, 318, 346, 347 Birkner, Andreas 321, 327 Blaga, Josef 120 Blaskowitz, Johannes 247 Böcklin, Arnold 13 Böhm, Johann 173, 178, 230, 232, 234, 235 Boia, Lucian 132 Boiceanu, Jon 250 Bonfert, Alfred 68, 71-75, 78-83, 87, 103, 106, 139, 140, 164, 168, 171, 182, 183, 233 Bonhoeffer, Dietrich 189, 220, 221 Bordon, Hans 297, 307 Borg, Daniel D. XI, 13 Bornikoel, Bernhard 238 Böttcher, Bernhard 57 Braeg, Dieter 173, 235 Brandsch (Prediger) 120 Brandsch, Heinz 86 Brandsch, Karl 155 Brandsch, Rudolf 91, 277 Brandsch, Wilhelm 155 Brandt, Theodor 102 Brandt-Spengler, Elisabeth 102 Branişte, Valeriu 25 Brantsch, Fritz 36

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Personenregister

Brătianu, Gheorghe 277 Braun (Konsul) 120 Bruckner, Emil 165 Bruckner, Wolfram 230 Brukenthal, Baron von 137, 288 Brundstäd, Friedrich 190 Brüning, Heinrich 150 Brunner, Constantin 81 Bry, Carl Christian 124 Buchalla, Berthold 219 Buhn, Peter 241 Capesius, Wilhelm 153, 154, 332 Carol II. (König) 229 Celan, Paul 114 Chruschtschow, Nikita 321 Chun, Carl 12 Clauß, Ludwig Ferdinand 163 Cloos, Fritz 104, 146, 147, 171, 183, 185 Codreanu, Corneliu Zelea 131, 132, 157, 229, 277 Connert, Fritz 120 Constantinescu, Miron 279 Copony, Martin 118 Cordier, Leopold 206 Coulin, Egon 67, 68, 75, 86 Csaky, Brigitte (siehe Möckel-Csaky) Csaky-Copony, Grete 334, 335 Darré, Walther 83 Dehmel, Hans 149 Dehmel, Hilde 149 Dehn, Günther 100 Dendorfer, Karl XIII, 289, 290, 297, 307, 314, 315, 327 Depner, Horst-Peter XII, 289-294, 297, 305307, 310-314, 316-319 Depner, Wilhelm 115, 119, 127, 132, 133, 225 Deussen, Paul 14 Deutsch (Oberrabiner) 120 Dibelius, Otto 190, 196, 271 Diem, Hermann 272, 273 Dittmar, Alnobert 186, 187 Donndorf, Gotthold 206 Dörr, Albert 94 Dudek, Peter 150 Eck, Hans 80 Eitel, Adolf 110 Eitel, Emil 110

Erdmann, Benno 13 Eugen, Prinz v. Savoyen 2 Fabini, Theodor 66 Fabricius, Wilhelm 229, 233, 234 Fabritius, Fritz 73, 83-86, 98, 109, 110, 112, 113, 114, 117, 134, 138, 139, 142, 145, 165-167, 169-173, 176, 179, 182, 222, 230, 233/234, 244 Fabritius, Guido 103, 106 Fabritius, Hermann 120 Fabritius, Lothar 102, 103, 105 Feder, Gottfried 98 Feinstein, Isaac 242, 243 Fezer, Karl 185 Fielk, Hermann 155 Filtsch, Julia 8 Fitz, Guido 296-298, 307, 313 Fleischer, Grete („Tonika“) 269 Foriş, Istvan 276 Franz Joseph (Kaiser) 3 Frăţelu (Rektor) 18 Freisler, Roland 223 Frick, Wilhelm 239 Fritsch, Werner von 229 Fröhlich, Johann 155 Fuß, Misch 10 Gablentz, Otto Heinrich von der 190, 227 Galter, Dietrich XIII Galter, Kuno d. Ä. 43, 102, 120, 155, 262, 332 Garlepp, Ewald 321-323, 327 Gerstenmaier, Eugen 189, 190, 237, 321 Ghorghiu-Dej, Gheorghe 275, 276 Glondys, Viktor 80, 108, 110-112, 114-118, 120, 121, 131, 131-138, 141, 142, 157, 165, 166, 169 -171, 173, 174, 178, 182, 185-187, 189, 195, 197, 199, 202-205, 209, 216-219, 235, 236, 238, 248, 252, 261, 262, 265 Göbel, Manfred 150 Göckler, Gustav 155, 236 Goerdeler, Carl Friedrich 301 Goethe, Johann Wolfgang von 7, 11, 14, 20, 33, 218, 291, 314 Goga, Octavian 229 Goldiş, Vasile 25 Gräser, Edmund 47 Greiff, Walter 70 Greschat, Martin 272 Grischkat, Hans 68

Personenregister

Gross, Erika 146, 147 Gross, Gerhard XIII, 290, 297, 307, 314, 317, 318, 327 Grubenmann, Ulrich 17 Grundmann, Walter 238 Gümbel, Paul 226 Gust, Waldemar 109, 115, 127, 131, 132, 157, 166-168, 170, 171, 184, 106, 109, 115, 127, 131, 132 Gust, Walter 106 Guţu, George 114 Haas, Brigitte XIII Haeckel, Ernst 10 Haeften, Barbara von 136, 216-219, 234, 273, 300, 329, 333-335, 338, 339, 342 Haeften, Elisabeth von XIII Haeften, Gerit von 327 Haeften, Hans Bernd von 134, 160, 216-223, 228-231, 233, 234, 339, 340, 351 Haeften, Werner von 340 Hager, Karl 86 Hahn, Heinz 310 Hahn, Hugo 271 Hahne, Hans 73, 78-80 Halmagy, Georg 147, 155 Hamrodi, Erna 290 Hansen, Paul 321 Hartmann, Rudolf 102, 120, 332 Häselbarth, Maria 326 Hassel, Ulrich von 230 Hasselblatt, Gunar 117 Haug, Karin XIII Heckel, Theodor 134, 135, 141, 142, 157, 189, 190, 197-199, 202-205, 237, 250, 328 Heider, Karl 332 Heim, Karl 141, 185, 190 Heinemann, Gustav 271 Heitmann, Ludwig 208 Held, Heinrich 271 Heltmann-Capesius, Martha 21, 146, 327, 330 Herder, Johann Friedrich 150 Herfurth, Franz 120 Herfurth, Wilhelm 155, 332 Herrmann, Alfred 47, 67, 165, 167, 186, 243 Heß, Rudolf 117, 135, 138, 139, 142, 174 Hierl, Konstantin 103 Himmler, Heinrich 138, 139, 168, 172 Hindenburg, Paul von 116, 159, 188, 216 Hirsch, Emanuel 122

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Hitler, Adolf 84, 97, 98, 107, 112, 116, 117, 128, 129, 131, 32, 138, 143, 157, 159, 160, 162-164, 168, 169, 178, 180, 188, 190, 195, 205, 208, 209, 216, 217, 223, 226, 229, 238, 244, 246-248, 251, 252, 276-278, 300, 301, 339, 341 Hochmeister, Hellmut von 99, 101, 106, 108, 109, 155 Hochmeister, Johanna von 289 Höchsmann, (Rektor) 36 Hociota (Erzpriester) 120 Hodarnau (Erzpriester) 120 Hoffmann, Artur 155 Hofacker, Adda von XIII Holzträger, Hans 249 Hönig, Ernst Peter 297 Hönig, Günter 298, 307, 351 Honterus, Johannes 2, 141, 288 Horedt, Hermann 29 Horedt, Kurt 347 Horn, Carl 13, 14, 32 Howe, Günter 227 Huch, Ricarda 216, 234, 239 Hüppi, Ilse 312 Illian, Christian 150 Ipsen, Friedrich 110 Issarescu, Ileana 327 James, William 17 Jekeli, Hermann 54 Jekelius, Erich 280 Jekelius, Ernst 152, 156, 254, 262, 332 Jickeli, Carl Fritz d. Ä. 7 Jickeli, Otto Fritz 144, 145, 148, 166 Joan, Ivan 299 Jorga, Nicolaie 38 Joseph II, Kaiser 4 Jung, Edgar 180, 217 Jünger, Ernst 85 Kailing, Fritz 332 Kant, Immanuel 10 Kappner, Hermann 214 Karrenberg, Friedrich 190 Karres, Erika 147 Keintzel, Waldemar 236, 326, 332 Kelp, Gerhard 68, 74 Kennedy, John F. 321 Kenst, Karl 156

390

Personenregister

Kenstler, August Georg 83 Killinger, Manfred von 234 Klaster, Ludwig 332 Klein, Albert 76, 101-107, 119, 140-145, 151, 153, 163, 169, 181-185, 191, 227, 262, 332 Klein, Albert d. Ä. 185 Klein, Frieda 181, 182 Klein, Gustav („Gusti“) 7, 8, 10, 13, 15, 22, 23 Klein, Karl Kurt 1, 25, 293 Klein, Michael 110 Klein-Heltau, Michael 110 Klepper. Jochen 43 Klima, Hellmut 258, 283 Klinger, Max 13 Kloeß, Viktor 110 Knall, Hans 332 Knall, Werner XIII, 298, 315 Kneer, Georg 256 Knopp, Guido 292 Köber, Berthold 310 Koch, Karl 189 Koch, Gerhard 343 Koch-Möckel, Dorothea XI, XIII, 351 Kogălniceanu, Mihail 37 König, Walter XIII Konnerth, Hans 156, 298, 332 Krimm, Berta 256 Krimm, Herbert 134, 214-216, 218-220, 223, 237, 238, 256, 269, 321 Krimm, Konrad XIII Kroner, Michael 66 Krummacher, Gottfried-Adolf 157 Kühlbrandt, Ernst 115 Künkel, Fritz 213 Kutzko, Oskar 297, 307 Langmaack, Gerhard XI, 336, 337, 343 Lassel, Rudolf 93 Lasso, Orlando di 250 Lăzărescu, Costache 327 Lederer, Karl 68 Lehndorff, Heinrich von 340 Lenin, Wladimir Iljitsch 275 Liebhardt, Otto 327 Lienert, Hans 120 Lierau, Walter 240 Lilje, Hans 271 Lingner, Erich W. 156 Litt, Theodor 99 Loew, Hans 81, 85, 86

Loewe, Karl 263 Löffler, Oskar 119, 146, 147, 332 Lörch, Walter 152 Lorenz, Werner 139, 221 Luca, Vasile 275 Ludendorff, Erich 99, 103, 124 Ludendorff, Mathilde 99, 103, 124, 164, 198 Luther, Martin 80, 101, 193, 206, 207, 220, 238, 265, 273, 316 Lutsch, Adolf 251, 332 Mach, Ernst 14 Mackensen, August von 16 Maniu, Juliu 25, 229, 277 Marahrens, August 190 Margul-Sperber, Alfred 114 Markel, Marlin XIII Marlin, Johanna 8 Marlin, Joseph 7, 87 Marx, Karl 275 Mattes, Johann 156 May, Gerhard 189-191, 193, 194, 199, 200, 227, 238, 321 Mayer, Rudolf 14 Meinhof, Carl 250 Meinecke, Friedrich 291 Meiser, Hans 271 Melchior, Günther 290, 297, 307, 314, 327 Mell, Max 69 Meschendörfer, Adolf 120, 127, 132, 294 Michael I (König) 238, 250, 254, 2262, 264, 275 Michaelis, Franz 163 Michaelis, Gottfried 269 Mihalache, Jon 277 Miege, Wolfgang 117 Minnich, Franz Adam 171 Mittelstraß, Otto XIII, 1 Möckel, Alfred 180, 181 Möckel, Andreas 92, 252, 255, 256, 312, 319, 320, 323, 326 Möckel, Anna XIII, 326 Möckel, Anneliese XIII, 326 Möckel, Christian 22, 23, 37, 41, 92, 231, 232, 299, 328 Möckel, Cornelia 328 Möckel, Dora XIII, 15, 19-22, 28, 29, 31-37, 39, 96, 98-102, 107, 108, 146, 187, 211, 212, 231, 232, 262, 280, 281, 297, 298, 300, 306, 312, 319-334, 337, 343

Personenregister

Möckel, Gerhard XI, XII, 17, 41, 178, 244, 245, 256, 257, 260, 264, 265, 269-273, 288, 300, 311, 318, 319, 323, 327, 328, 334-336, 351 Möckel, Gustav 5-8 Möckel, Hermann 5-6 Möckel, Johanna 328 Möckel, Johannes 8 Möckel, Julie 5-8 Möckel, Katharina 326 Möckel, Konrad (Enkel) 328 Möckel, Martin 8 Möckel, Maria 326 Möckel, Michael 8 Möckel-Csaky, Brigitte 272, 273, 331, 334, 335 Möckesch, Viktor 111 Moldovan (Spohner), Theodor 278, 290, 297, 307, 327 Moltke, Freya von 338 Moltke, Helmuth James von 149, 339 Moltke, Max 93, 161 Morgenstern, Christian 20 Morres, Eduard 146 Mott, John 194 Mott, Kurt 327 Motzan, Peter 114 Müller (Geometer) 6 Müller, Dedo 96, 99 Müller, Erich 104 Müller, Friedrich 45, 88, 89, 96, 97, 100, 109112, 114, 120, 126, 127, 131, 135, 153, 156, 216, 217, 219, 235-241, 246, 247, 254, 260262, 273, 277, 308, 321, 345, 346, 349 Müller, Georg 338 Müller, Gretchen 16, 20, 21 Müller, Herta 311 Müller, Ludwig 117, 138, 157, 209, 238 Müller-Hansen, Melitta 315 Nagy, Imre 309 Nassehi, Armin 256 Negruzzi, Constantin 37 Neugeboren, Emil 247 Neumann, Lore 81 Neumann, Mundi 163 Neumann, Walter 70 Neurath. Konstantin von 229 Niemöller, Martin 196, 208, 209, 220, 271, 308, 346 Niesel, Wilhelm 271 Nietzsche, Friedrich 33, 37, 39, 62, 130

391

Nikolaus, Heinrich 120 Nischbach, Josef 73 Nösner, Fritz 332 Obert, Franz 109, 111 Oberth, Franz 120 Onişoru, Gheorghe XIII, 276, 277 Orendi, Paula 147 Ostwald, Wilhelm 10 Otto, Rudolf 34, 37 Papen, Franz von 143, 217 Pârvu, Roger XIII Pauker, Ana 276, Paulini, Michael 236, 332 Pelger, Irmgard XIII Pelger, Mathias XIII Pestalozzi, Johann Heinrich 50 Petri, Norbert 290 Philippi, Hans XII, 12, 255, 328, 333, 335, 341 Philippi, Paul XIII, 2, 293, 333, 334 Phleps, Erich 115 Phleps, Hermann 18 Piringer (Stadtpfarrer) 120 Pilder, Gerd 297, 307 Pintilescu, Corneliu 308, 347 Pitters, Hermann XIII, 251 Pittermann, Bruno 321 Plajer, Christian XIII Plattner, Fritz 110 Poelchau, Harald Peter 194 Poelchau, Lore 47 Polony, Arthur 115, 118-120, 127-133, 183 Polony, Dagmar 70 Polony, Gerda 101 Popescu, Emil 290, 297, 307 Pteanca (Generalschulinspektor) 129 Puri, Norbert 146 Raiffeisen, Friedrich Wilhelm 83 Rang, Martin 213 Rauth, Sabine 315 Rehner, Helmut 105, 163 Rehner, Hermann 136, 156 Rehner, Wolfgang XIII Reich, Carl 332 Reich, Otto 156, 332 Reiner, Heinz 201 Reinhardt, Max 13 Reisner, Erwin 55-57, 61, 164

392

Personenregister

Rendtorff, Franz 96-98, 108 Rendtorff, Heinrich 48, 52, 88, 92, 96, 98, 107, 109-113, 122, 135, 145, 148, 157, 344 Rendtorff, Maria 96, 97 Ribbentrop, Joachim von 229 Ritter, Karl Bernhard 206-208, 214, 269 Röhm, Ernst 180 Römer, Friedrich 156 Roon, Ger van 222, 223, 340 Rosenbach, Ottomar 14 Rosenberg, Alfred 181, 196, 205, 218, 219, 300 Rosenstock-Huessy, Eugen 188, 338, 342 Roth, Arnold 245 Roth, Friedrich 295, 296, 298, 307, 316, 327, 349 Roth, Hans Otto 83, 84, 91, 167, 173, 245, 253, 277, 290, 301 Roth, Hans 236 Roth, Harald 37, 90, 94 Roth, Herbert 245, 297, 301, 307, 313, 327 Roth, Stephan Ludwig 50, 67, 294, 340, 350 Roth, Wilhelm 146, 156, 181 Rothfels, Hans 230 Roth-Höppner, Maria Luise 297, 307, 313, 327 Rotman, David 23, 31 Ruprecht, Günther 227 Sănătescu, Constantin 250 Sauer, Hermann 213 Sauter, Gerhard 272 Schabel, Thomas 302, 303, 312 Schaky, Freda von 102, 104 Schaser, Albert 332 Schaser, Gerhard 155, 156, 262 Scheerer, Hans 156 Scheerer, Josef 115, 154-156, 235, 236, 246, 249, 260, 261 Scheiner, Andreas 102, 156, 180 Scheiner, Herwart 110, 111, 119, 128, 131, 184 Scheiner, Walther 68, 77, 78, 80, 103, 104 Schenker, Winfried 104, 141, 163 Scherg, Georg 44, 92, 119, 136 Schiel, Lene 67 Schiel, Samuel Traugott 120 Schland, Hella 70 Schlattner, Eginald 291, 292, 298, 313 Schlattner, Kurt-Felix 297, 306, 307 Schmidt, Andreas 135, 214, 221, 222, 232-235, 238, 240, 241, 246, 247, 252, 302, 345

Schneider, Paul 196, 220 Schneider, Rudolf 332 Schnell, Ernst 132, 166 Schnepel, Erich 92, 101 Schnitzler, Arthur 35 Schobel, Sepp 68 Scholder, Klaus 107, 122, 126, 145, 189 Schöpp, Hermann 238, 239 Schuller, Fritz 120 Schuller, Georg Adolf 47 Schuller, Georg 156 Schuller, Lenchen 41 Schulleri, Heinz 156 Schullerus, Adolf 19, 20, 22, 26, 28-30, 40, 41, 37, 38, 44, 55, 90-92, 98, 109, 114, 144, 186, 262, 322 Schullerus, Gerhard 261, 261, 349 Schullerus, Hilda 90 Schullerus, Trude 19, 21, 40, 319-321, 323325, 330 Schullerus, Walter (Haschagen) 156 Schullerus, Walter 147, 156 Schulz, Georg 157 Schulze-Delitzsch, Hermann 83 Schustert, Martin 156 Schwarz, Simon 109-111 Seeberg, Reinhold 13 Seiwerth, Wilhelm 298, 327, 332 Seraphin, Friedrich Wilhelm 93 Seraphin, Georg Wilhelm 136, 145, 146, 156 Siegmund, Heinrich 55, 57-60, 77 Sienerth, Stefan 114 Sill, Oliver 256 Smend, Rudolf 271 Söderblom, Nathan 80, 186, 188 Solheim, Magne 241-243 Sommerlath, Ernst 96, 101 Spengler, Oswald 33 Sperber (Oberrabbiner) 120 Spoerri, Theophil d. Ä. 192 Spranger, Eduard 76 Staedel, Wilhelm 66, 67, 106, 108-111, 118, 121, 127, 130-132, 167, 178, 183, 184, 205, 213, 214, 221, 222, 236-239, 245, 253, 260 Stählin, Wilhelm 49, 78, 162, 163, 190, 206209, 211, 214, 224, 226, 227, 264 Stalin, Josef 275, 276 Stammler, Georg 68, 76 Stănescu, Florin Alexandru 311 Stange, Erich 48

Personenregister

Stapel, Wilhelm 122 Stefani, Agnetha 41 Steiner, Rudolf 14 Steltzer, Theodor 226-228 Steinbauer, Karl 346 Stökl, Walther 136, 209, 211, 264, 268, 332, 343, 346 Tartler, Fritz 127 Taute, Heinz 290, 297, 307, 314, 317, 318, 327 Tătărescu, Gheorghe 229 Teutsch, Anni 68 Teutsch, Friedrich 2, 5, 24, 25, 41, 45, 48, 71, 90, 91, 100, 108, 109, 117, 140, 165, 166, 205, 287, 345 Teutsch, Georg Daniel 9, 25, 55, 285, 286 Teutsch, Werner 290, 298, 307 Thal, Wilhelm 332 Theil, Fritz 301 Theil, Dr. (Jugendbund) 68 Theil, Werner 296, 297 Theilemann, Wolfram G. XIII Thomke, Oskar 332 Thomas, Wilhelm 208 Thumes, Friedrich 251 Thurneisen, Eduard 272 Tiling, Magdalene von 144 Tillich, Paul 190 Tisza, Stefan 24 Tontsch, Berta 280 Tontsch, Hermann 280 Treiber, Gustav 280 Truetsch, Rosi 70 Twardowski, Fritz von 230 Ulbricht, Walter 276 Unberath, Hans XIII, 281, 288 Ungar, Christel 314 Ungar, Karl 101, 156 Viebahn, Rudolf von 207 Voicu, Cornel 120 Volkmer, Günter XIII, 290, 292-294, 297, 305307, 310, 312, 314, 327

393

Waber, Auguste 145, Wachner, Heinrich 77 Wächter, Frieda 120 Wächter, Helmut 287 Wagner, Ernst 26, 28, 37, 40, 234, 235 Wagner, Rolf 298 Wagner, Wilhelm d. Ä. 133, 156, 236, 270, 332 Wagner, Wilhelm d. J. 332 Wahl, Hans 157 Walbaum, Friedrich 25, 186 Walter, May 199, 239 Weber, Annemarie 132 Weber, Georg 256 Weber, Horst 132 Weber-Schlenther, Renate 256 Wedekind, Frank 35 Weinhold, Wilhelm 128, 132 Weiss, Adolf 332 Weiß, Michael 126, 286 Weizsäcker, Carl-Friedrich von 227 Weizsäcker, Viktor von 275 Wellmann, Hans 156 Welzer, Gustav 68 Wendland, Traugott 190 Weprich, Hans 173 Wien, Ulrich Andreas 239, 349 Winnig, August 190 Wittig, Joseph 150 Wittstock, Erwin 266-268 Wittstock, Joachim XIII Wittstock, Oskar d. Ä. 39

Wittstock, Oskar d. J. 327 Wolf, Friedrich 7 Wolff, Carl 55, 83-85, 90 Wolff, Helmut 184, 237 Wonner, Brunhilde 70 Wurm, Theophil 190, 196, 239, 271 Zeides, Günther 290 Ziegler, Julius 110 Ziegler, Leopold 33, 34 Zillich, Heinrich 48, 55, 84, 94, 118, 121, 336 Ziske (Frau Dr.) 120 Zoellner, Wilhelm 190