Täterschaft und Teilnahme im französischen Strafrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.] 9783428479764, 9783428079766

Vielfach ist eine Straftat nicht das Werk eines einzelnen, sondern sie kommt unter Mitwirkung mehrerer Personen zustande

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Täterschaft und Teilnahme im französischen Strafrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung [1 ed.]
 9783428479764, 9783428079766

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ANNA-KATHARINA CZEPLUCH

Täterschaft und Teilnahme im französischen Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Heft 99

Täterschaft und Teilnahme im französischen Strafrecht Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Von

Anna-Katharina Czepluch

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Czepluch, Anna-Katharina: Täterschaft und Teilnahme im französischen Strafrecht : eine rechtsvergleichende Untersuchung / von Anna-Katharina Czepluch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Strafrecht; H. 99) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07976-0 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07976-0

Meinen Eltern

VORWORT Diese Arbeit ist im Wintersemester 1992/93 vom Dekan des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Promotion zugelassen worden. Herrn Prof. Dr. Justus Krümpelmann danke ich herzlich für die Überlassung des Themas, die Betreuung und die Unterstützung bei der vorliegenden Arbeit. Er setzte sich für ein Literaturstudium am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und an der Universire de Poitiers ein und förderte die Arbeit durch wertvolle Anregungen. Der LangHinrichsen-Stiftung Mainz sei für die Gewährung eines Stipendiums gedankt, das die auswärtigen Studien ermöglichte und die Drucklegung unterstützte. Darüber hinaus gilt mein Dank dem Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das mir als "externer Doktorandin" den Zugang zu seiner Bibliothek gewährte. Nicht zuletzt danke ich Herrn Prof. Dr. Jean Pradel, der mir in dem von ihm geleiteten Institut de Sciences Criminelles der Universire de Poitiers während des Wintersemesters 1986/87 nicht nur Arbeitsmöglichkeiten bot, sondern auch jederzeit zu hilfreichen Gesprächen bereit war. Schließlich sei dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Strafrecht" gedankt. Nach Einreichen der vorliegenden Arbeit wurde mit der "Ioi n° 1336 du 16 dtk. 1992" ("Ioi d'adaptation") beschlossen, daß der mit der "Ioi n° 92-683 a 92-686 du 22 juill. 1992" verabschiedete Nouveau Code Penal am 1. September 1993 in Kraft treten soll. Art. 121-6 bestimmt, daß der "complice" im Sinne des art. 121-7 "comme auteur" bestraft wird. Nach art. 121-7 ist "complice" eines Verbrechens oder Vergehens, wer wissentlich durch Hilfe oder Beistand die Vorbereitung oder die Vollendung dieses Verbrechens oder Vergehens erleichtert hat. "Complice" ist auch, wer durch Geschenke, Versprechungen, Drohungen, Befehle oder Mißbrauch eines Autoritäts- oder Gewaltverhältnisses zu der Straftat angereizt oder zu ihrer Begehung Anweisungen gegeben hat. Die Vorschrift des art. 121-7 entspricht damit in vereinfachter Form der des art. 60. Die "complicire par fourniture de moyens" wird zur

8

Vorwort

"complicite par aide ou assistance" gerechnet. Während die parlamentarischen Arbeiten sich zur Interpretation des art. 121-6 ausschweigen, bedeutet art. 121-6 nach Auffassung von Desportes/Le Gunehec, Presentation des dispositions du nouveau Code penal (Lois n. 92-683 92-686 du 22 juillet 1992), J.C.P. 1992,1,3615, S. 411 (415), eine Änderung dahingehend, daß der "complice" mit der Strafe zu belegen sei, die er verwirkt hätte, wenn er selbst Täter der Straftat gewesen sei. Insoweit bleibt die Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten.

a

Berlin, Juli 1993

Anna-Katharina Czepluch

INHALTSVERZEICHNIS EIDleltung ................................................................................... .............. ........... ............. ........... ........... 19 Erster Tell Bestrafung von Täterscbaft und TeUnabme Im blstorlschen ÜberbUck

1. Abschnitt: Entwicklung in Frankreich bis zum code plnaJ von 1810 ........................................ 21

A) "Ancien droit" ................................................................................................................................. 21 B) "Droit intennediaire" ..................................................................................................................... 22 C) Code penal vom 22. Februar 1810 ................................................................................................ 23 2. Abschnitt: Entwicklung in Deutschland bis zur heutigen Fassung der §§ 2S fJ StGB .................................................................................................................................... 25

A) B) C) D)

Constitutio Criminalis Carolina von 1532 .................................................................................... 25 Allgemeines Preußisches Landrecht vom 5. Februar 1794 ......................................................... 26 Preußisches Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 ........................................................................ 27 (Reichs-)Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871................................................................................ 27 Zweiter Tell Täterscbaft und TeUnabme nlcb französischem Recbt

1. Abschnitt: Täterschaft ..................................................................................................................... 29

A) Fonnen der Täterschaft................................................................................................................... 29 Unmittelbarer Täter ("auteur") ................................................................................................ 29 11. Mittäter ("coauteur")................................................................................................................ 30 IH. Mittelbarer Täter ("auteur mediat") ........................................................................................ 30 I.

B) Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ....................................................................... 33 Interessen an der Abgrenzung trotz der Regelung des art. 59 .............................................. 34 H. Abgrenzung im Einzelnen ...................................................................................................... 36

I.

1.

Objektive Theorie der Literatur....................................................................................... 36 a) Begehung der Straftat als Unterscheidungskriterium............................................. 36 b) Abgrenzung nach der beim Tatverlauf gespielten Rolle ........................................ 37

Inhaltsverzeichnis

10

2.

Subjektive Theorie ........................................................................................................... 39

3.

AbgreDZllng in der Rechtsprechung ............................................................................... 39 a) Grundsätzliche Auflockerung der AbgreDZllng (''I'assouplissement et la confusion .. ) ............................................................................................................ 40 aa) Behandlung von "veritables coauteurs" als "simples complices" (''la theorie de la complicite corespective") ..................................................... 40 bb) Behandlung von "simples complices" als (Mit-)Titer .................................... 43 (1) Entscheidungen, die diejenigen als (Mit-)Täter qualifIZieren, die dem Haupttäter bei der Tatvollendung helfen ............................ .43 (2) Entscheidungen, die denjenigen als (Mit-)Täter qualifIzieren, der die Tat veranlaßt hat ..................................................................... 53 cc) Doppelte Verwechslung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme ................ 59 dd) "Theorie de la peine justifiee" und art. 598 cpp .............................................. 60 b) Verwendung objektiver Kriterien in vereinzelten Fillen ....................................... 62

4.

Kritik durch die Literatur................................................................................................. 64

2. Abschnitt: TeUnahme ....................•..•................................................................................................ 69

A) Erfordernis einer Haupttat: "emprunt de crirninalitl~" ................................................................... 69 I.

Gesetzliche Anforderungen .................................................................................................... 69 1.

Das Wesen der Haupttat .................................................................................................. 69

2.

Die Eigenschaften der Haupttat ...................................................................................... 70 a) Objektiv strafbare Handlung ("fait principal punissable"), Straflosigkeit der versuchten Teilnahme ................................................................................. 70 aa) Keine Strafbarkeit des Teilnehmers bei fehlender Strafbestimmung für die "Haupttat" .................................................................................... 71 (1) Straflosigkeit der Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen ........•.................•................................................................................ 71 (2) Tendenzen zur Bestrafung der Mitwirkung an einer Selbsttötung .......................................................................................................... 73 (3) Strafrechtliche Behandlung des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes................................................................................... 78 (4) AbgreDZllng zwischen strafloser Teilnahme an einer Selbsttötung und strafbarer Tötung aufVerlangen ............................................ 81 - Strafrechtliche Behandlung der Tötung auf Verlangen ........................ 81 - Die AbgreDZllng im Einzelnen ............................................................... 84

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Keine Strafbarkeit des Teilnehmers bei Nichtausführen der Haupttat.................. 89 ce) Keine Strafbarkeit des Teilnehmers an einer rechtmäßigen Haupttat.. ............................................................................................................ 96 dd) Keine Strafbarkeit des Teilnehmers bei "amnistie reelle", "immunite" gemäß art. 380, Verjährung und Rücktritt des Haupttäters ......................................................................................................... 97 b) Irrelevanz der faktischen Nichtverfolgbarkeit des Haupttäters ............................. 99 11.

Kritik in der Literatur ............................................................................................................ 100 1.

Kritik an den Resultaten ................................................................................................ 100

2.

''Neuer'' Gesichtspunkt der Kritik: "emprunt de penalite" ........................................... 103

B) Anforderungen an die Teilnahmehandlung ................................................................................ 106 1.

"L'element materieI" .............................................................................................................. 106 1.

Allgemeine Voraussetzungen ....................................................................................... 107 a) Zeitpunkt der Teilnahmehandlung ........................................................................ 107 b) Erforderlichkeit positiven Tuns ............................................................................. 107 aa) Grundsätzliche Straflosigkeit der Teilnahme durch Unterlassen ................. 107 bb) Abweichen vom Grundsatz der Straflosigkeit bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ............................................................................. 110 (1) "Accord prealable" ................................................................................... 110 (2) "Aide morale" ........................................................................................... 111 (3) "Devoir juridique" .................................................................................... 112 c)

2.

Kausalität der Beihilfe ............................................................................................ 114

Formen der Teilnahme ................................................................................................... 115 a)

Teilnahmehandlungen vor der Haupttat. ............................................................... 116 aa) bb) cc) dd)

"Provocation" ................................................................................................... "Instructions donnees" .................................................................................... "Foumiture de moyens" .................................................................................. "Aide ou assistance" ........................................................................................

116 120 120 121

b) Teilnahmehandlungen während der Haupttat....................................................... 122 c) Teilnahmehandlungen nach der Haupttat ............................................................. 123 3.

Beihilfe zur Beihilfe ....................................................................................................... 125

4.

Die strafrechlichte Behandlung des "agent provocateur" und des von ihm provozierten Täters ........................................................................................................ 128

Inhaltsverzeictmis

12

a) Strafrechtliche Behandlung des "provoque" ......................................................... 128 b) Strafrechtliche Behandlung des "agent provocateur" ........................................... 132 11. "L'eil\ment moral ou psychologique" ................................................................................... 134 1.

Edorderlichkeit des "element moral" ........................................................................... 135

2.

Abweichung der Vorstellung des "col11'lice" beziigiich der anvisierten Haupttat von der tatsächlich verwirklichten................................................................. 137 a) Verwirklichung einer ginzlich anderen Art der Straftat. ..................................... 138 b) Verwirklichung der geplanten Straftat mit straferschwerenden Umständen .................................................................................................................... 140 c) Verwirklichung einer zunächst unbestimmten Hauptlat.. .................................... 141 d) Verwirklichung der geplanten Straftat aufandere Art und Weise ...................... 142

3.

Teilnahme und Fahrlissigkeitsstraftaten ...................................................................... 143 a) Keine fahrlissige "complicitc" an einer Vorsatztat .............................................. 143 b) Vorsätzliche "complicitc" an einer Fahrlässigkeitstat.. ........................................ 144 c) Fahrlässige "complicite" ao einer Fahrlässigkeitstat............................................ 145

4.

Teilnahme an Gewohnheitsvemrechen ........................................................................ 151

111. Vermutung der Beteiligung .................................................................................................. 153 1.

"Les infractions collectives" .......................................................................................... 1S3

2.

"La complicite corespective" ......................................................................................... 1S5 a)

Fälle, in denen der tatbestandliche Edolg keinem bestimmten Beteiligten zugerechnet werden kann ................................................................... 155 b) Fälle, in denen der tatbestandliehe Edolg nur von einem Gruppenmitglied hemeigeführt worden sein kann ....................................................... 157 3. Abschnitt: Die Strafe der Beteülgten (flTt. 59) .............................................................................. 161

A) Sinn der Regelung......................................................................................................................... 161 B) Auswirkungen tatsächlicher und persönlicher straferschwerender Umstände beziehungsweise Strafmilderungsgrunde: "circonstances aggravantes ou atlenuantes", "excuses attenuantes" ........................................................................................................... 164 I.

Begriffserklärungen ............................................................................................................... 164 1. 2. 3.

"Circonstaoces aggravantes" ......................................................................................... 164 "Circonstaoces atlcnuaotes" .......................................................................................... 16S "Excuses atlenuaotes· .................................................................................................... 165

11. Auswirkungen auf die Höhe des Strafmaßes für Täter und ·complice" ............................ 167

Inhaltsverzeichnis 1.

13

Zurechnung zwischen Tätern und "complices" .......................................................... 167 a)

Zurechnung vom Täter auf den "complice" .......................................................... 167 aa) "Circonstanceslexcuses personnelles" ........................................................... 167 bb) "Circonstanceslexcuses reelles" ...................................................................... 169 cc) "Circonstances mixtes" ................................................................................... 170

b) Zurechnung vom "complice" auf den Haupttäter ................................................. 171 2.

Zurechnung zwischen Mittätern .................................................................................... 173

4. Abschnitt: Gesetzesentwürfe........................................................................................................... 175 A) B) C) D) E) F) G)

"L'avant-projet de 1892" .............................................................................................................. "L'avant-projet de 1932" und "Ie projet de loi de 1934" ............................................................ "L'avant-projet de 1976" .............................................................................................................. "L'avant-projet de 1978" .............................................................................................................. "L'avant-projet de 1983" .............................................................................................................. "Le projet de loi de 1986" ............................................................................................................ "Le projet de loi de 1989" ............................................................................................................

175 177 179 182 184 185 186

Dritter Tell RechtsvergleIchende Wertung

1. Abschnitt: Einordnung des französischen Systems ..................................................................... 189 A) Einheitstätersystem oder Akzessorietätsprinzip ......................................................................... 189 I. Kein formales Einheitstätersystem ....................................................................................... 190 11. Kein funktionales Einheitstätersystem ................................................................................. 190 111. Akzessorietätsprinzip ............................................................................................................ 193

B) Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ....................................................... 195 I. ÜbelWiegende Auffassung in der Literatur ......................................................................... 195 11. Teilweise in der Literatur vertretene Auffassung ............................................................... 196 III. Auffassung der Rechtsprechung .......................................................................................... 199

I. 2.

Systematische Einordnung ............................................................................................ 199 Kritische Bewertung ...................................................................................................... 205

1. Abschnitt: Der Strafgrund der TeUnahme .................................................................................... 209 J. Abschnitt: Anstiftung und mittelbare Täterschaft ........................................................................ 213 A) Rechtliche Qualifizierung der Anstiftung ................................................................................... 213 B) Mittelbare Täterschaft ................................................................................................................... 216

4. Abschnitt: Vorsatz und Teünahmelehre ........................................................................................ 221 5. Abschnitt: Die Strafe der Beteiligten ............................................................................................. 227

14

Inhaltsverzeichnis

A) Die Frage DAch einer Strafmilderung für den Teilnehmer ......................................................... 227 B) Berücksichtigung besonderer persönlicher Merkmale ............................................................... 232

Zus.mme.r.ssu., .............................................................................................................................. 239 Llter.turverzek••Is........................................................................................................................... 243

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

a.A.

anderer Auffassung

aaO

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

a.E.

am Ende

aF

alter Fassung

AF

Anciens Francs

aff.

affaire

al.

alinea

Alt.

Alternative

ALR

Allgemeines Preußisches Landrecht

Anm.

Anmerkung

art.

article(s)

Art.

Artikel

Ass. plen. civ.

Assemblee pleniere civile

AT

Allgemeiner Teil

Aufl. B.C.

Auflage Bulletin des amts de la cour de cassation, Chambre Crirninelle

Bd.

Band Bundesgerichtshof

BGH BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

bzgJ.

bezüglich

CCC

Constitutio Crirninalis Carolina

chr.

chronique

ch. reun.

chambres reunies

cp/c.pen.

code penal

cpp

code de la procedure penale

Crim.

D.

Entscheidungen der Cour de cassation, Chambre Crirninelle Receuil Dalloz de doctrine, dejurisprudence et de legislation (1809-1844 und ab 1945)

D.A.

Dalloz, Receuil analytique de jurisprudence et de legislation (1941-1944)

D.C.

Dalloz, Receuil critique de jurisprudence et de legislation (1941-1944)

ders.

derselbe

D.H.

Dalloz, Receuil hebdomandaire de jurisprudence (1924-1940)

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

Doctr.

Doctrine

AbkOrmngsveneichnis

16 D.P.

Dalloz, Receuil periodique et critique (1845-1924)

flff

folgende

FF

Francs

fevr.

fevrier

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht

G.P.

Gazette du Palais

OS

Der Gerichtssaal

idR

in der Regel

LE.

im Ergebnis

I.R.

Infonnations Rapides

i.S.d.

im Sinne der/des

i.ü.

im übrigen

iVm

in Veibindung mit

krit.

kritischer

J

jurisprudence

JA

Juristische Aibeitsblätter

janv.

janvier

J.Cl.P.

Jurisclasseur Penal

J.C.P.

Juris-C1asseur periodique (La semaine juridique)

Journ. Droit crim.

Journal du Droit criminel

juill.

juillet

JurBI.

Juristische Blätter

JuS

Juristische Schulung

JR

Juristische Rundschau

JZ

Juristeozeitung

L

legislation

L.

loi

LK

Leipziger Kommentar

LKW

Lastkraftwagen

MDR

Monatszeitschrift für deutsches Recht

MittIKV

Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung

MSchrKrim

Monatszeitschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

oF

neuer Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NN.

nomen nescio

N.D.L.R.

Note de la redaction

nwnerofs nov.

novembre

Nr.

Nummer

AbIdIl7.IlDgsverzeicbnis NStZ

Neue Zeitschrift 1ür Stnfrecht

OLG

Oberlandesgericht

0.0. OWiG PKW

ohne Ort

Prot.

Protokolle

17

GcLlCtz fiber Ordnungswidrigkeiten Personenkraftwagen

R.

Reglement d'administration publique et decrets en Conseil d'Etat

Rdnr.

Randnummer

Rep. pen.

Repertoire de droit penal, Encyclopedie Dalloz

Rev. penit.

Revue penitentiaire et de Droit penal et Etudes criminologiques

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

R.I.D.C.

Revue international de droit compare

R.I.D.P.

Revue international de droit penal

R.P.S.

Revue penal suisse

R.S.C.

Revue de science criminelle et de droit penal compare

RStrGB

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich

S.

Scite(n) oder Sircy, Receuil general des lois et des anets

sc.

scito

SchwZStr

Schweizerische Zeitschrift 1ür Strafrecht

sept.

septembre

SK

Systematischer Kommentar

sog.

sogenannt( ein)

Somm.

Sommaires

std.

ständige

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StRG

Gesetz zur Reform des Strafrechts

StV

Strafverteidiger

supp!.

supplemcntaire

T.G.I.

Tribunal de Grande Instance

Trib.

Tribunal

Trib. confl.

Tribunaldesconflits

Trib. corr.

Tribunal corrcctionnel

Trib.pol.

Tribunal de police

u.a.

und andere

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

usw.

und so weiter

v. VDA

von Vergleichende Darstellungen des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil

Verf.

Verfasser(in)

vg!.

vergleiche

2 Czepluch

18

AbkOl71Ißgsverzeichnis

z.B.

zum Beispiel

zit.

zitiert

ZStW

Zeitschrift rur die gesamte Strafrechtswissenschaft

EINLEITUNG Vielfach ist eine Straftat nicht das Werk eines Einzelnen, sondern sie kommt unter Mitwirkung mehrerer Personen zustande. Verschiedene Straftatbestände berücksichtigen dies, indem die Beteiligung mehrerer zur Strafbegründung oder -verschärfung herangezogen wird. 1 Jedoch kann eine Straftat, auch ohne daß ihre Rechtsnatur dadurch verändert würde, durch mehrere Personen begangen werden, die wiederum jeder für sich eine unterschiedliche Rolle spielen und einen verschiedenartigen Tatbeitrag leisten können. Man unterscheidet bereits im allgemeinen Sprachgebrauch zwischen Tätern, Anstiftern und Gehilfen. Die rechtliche Ausgestaltung dieser Begriffe, die Frage nach dem Erfordernis ihrer Differenzierung sowie der Umfang des jeweils anzuwendenden Stratinaßes bergen vielschichtige Probleme in sich, bei deren Lösung die Kenntnis ausländischer Rechtsordnungen Denkanstöße geben kann. Bei v. Birkmeyer lesen wir jedoch bereits im Jahre 1908 den ernüchternden Satz, daß sich auf dem Gebiet der Teilnahmelehre in der ausländischen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft grundsätzlich "keine Ideen und Gedanken (finden), die nicht in den deutschen Gesetzen und wissenschaftlichen Arbeiten der letzten hundert Jahre konzipiert und ungleich tiefer fundiert und sorgfältiger ausgebildet worden wären als im Ausland".2 Eine rechtsvergleichende Arbeit zur Teilnahmelehre scheint damit jede Legitimation verloren zu haben, scheint zumindest für den deutschen RechtswissenschaftIer ohne praktischen Gewinn. Aber auch wenn v. Birkmeyer zuzugestehen ist, daß die französische Rechtswissenschaft "undogmatischer" vorgeht, d.h. mehr an der Praxis orientiert ist - und wir können dies im Laufe der Untersuchung immer wieder belegen - werden rechtsvergleichende Arbeiten nicht überflüssig. Zwar kann die Materie der Täterschaft und Teilnahme wohl kaum noch als das "dunkelste und verworrenste Kapitel der deutschen Strafrechtswissenschaft"3 bezeichnet werden,4 aber auch heute noch stehen sich die verschiedenen Lehrmeinungen teilweise unversöhnlich gegenüber. Rechtsvergleichung kann hier ansetzen, überbrücken helfen und durch vergleichende Argumente die eine oder andere Ansicht unterstützen.5 I Vgl. die §§ 129, 129 a, 227, 244 StOB; art. 265, 313,435 al. 2 cp. 2 v. Birkmeyer, Teilnahme am Verbrechen (RStrGB §§ 47-50) in: VDA Bd. 2,1908,1, 92. 3 Kantorowicz, DerStrafgesetzentwwfund die Wissenschaft, MSduKrim 1910/11,257,306. 4 Roxin, LI(, Vor § 25, Rdnr. 8. 5 Jeschec/c, Entwickllmgen, S. 28.

20

Einleinmg

Daher soll die vorliegende Untersuchung einen besonderen Schwerpunkt auf den dogmatischen Vergleich legen. Diese Arbeit kann jedoch nur dann fruchtbar geleistet werden, wenn zunächst das französische Recht zu Täterschaft und Teilnahme in seiner Gesamtheit betrachtet wird. Es soll daher in einem ersten Teil dem deutschen Leser das französische Recht vorgestellt werden. 6 Auf der so geschaffenen Basis kann dann - die Kenntnis des deutschen Rechts voraussetzend - der rechtsdogmatische Vergleich erfolgen. Dieser Vergleich soll Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten und bestimmt somit die Gewichtung der einzelnen Themenkreise: Rechtsvergleichend Ergiebigeres wird ausführlicher zu behandeln sein als schlichte Gemeinsamkeiten. Für die Wahl des französischen Rechts sprach, daß der französische code penal von 1810 das bedeutendste Vorbild für die Strafrechtkodifikationen des 19. Jahrhunderts in Europa war. Die Eingliederung der rheinischen Gebiete in den preußischen Staat verstärkte zusätzlich den Einfluß des code penal auf die preußische Gesetzgebung und damit auch 1871 auf das Reichsstrafgesetzbuch. 7 Denn selbst wenn das preußische Strafgesetzbuch von 1851 weiterhin in deutscher Tradition stand8 - und z.B. nicht die Härte des Strafensystems übernommen hat - läßt es deutlich Spuren des code penal erkennen. 9 Kann nun - historisch gesehen - beim deutschen wie französischen Recht von verwandten Ansätzen ausgegangen werden, so wird doch aufzuzeigen sein, inwieweit die beiden Rechtsordnungen sich heute auseinander entwickelt haben, inwieweit sie teilweise aber auch wieder aufeinander zugehen.

6

TIterschaft und Teilnahme im französischen Recht sind bisher in deutscher Sprache nur bei

Dietz, Tllterschaft und Teilnahme im ausllndischen Recht, behandelt worden; dort freilich in recht ge-

ra1Iter Fonn, die teilweise m Verzemmgen fUhrt. 7 Durch die französische Invasion im Westen galt der code pmat auch in Baden, Berg, Rheinpreußen, Rheinbayem, Rheinhessen und Westfalen. Auch nach dem Thronverzicht Napoleons blieb er in Geltung; erst das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 schuf ein einheitliches Strafgesetzbuch flIr slmtliche Staaten des neuen deutschen Reiches (Zoepfl, Rechtsgeschichte, S. 240; Köbler, Rechtsgeschichte, S. 139). Nur in Bayem war mvor mit Wirltung zum 1. Oktober 1813 das bayerische Strafgesetzbuch und in Baden mit Wirlrung zum 1. MilZ ISSI das badische Strafgesetzbuch in KIaft getreten. 8 v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 325; Eb. Schmidt, Einflihrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 281, S. 319; Jescheck, Lehrbuch, S. 86; jedoch vom vorhemchenden Einfluß des code p6la1 ausgehend: Binding, Handbuch I, S. 46; v. Bar, Handbuch I, S. 18S f; in abgemilderter Fonn: Berner, Strafgesetzgebung, S. 244 f. 9 Auf dem Gebiet der Teilnahme: Fallgruppen der Teilnahmefonnen, Grundsatz der strengen Akzessoriedt; im allganeinen: Dreiteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen ("crimes"), Vergehen ("d~lits") und Übertretungen ("contraventions"), Abstellen auf das intellektuelle Unterscheidungsvermögen ("discemement") bei der Zwechnungsflhigkeit und der Behandlung Jugendlicher.

Erster Teil: Bestrafung von Täterschaft und Teilnahme im historischen Überblick 1. Abschnitt: Entwicklung in Frankreich bis zum code penal von 1810 A) ''Ancien droit"

Das "ancien droit" unterscheidet zwischen Tätern (socü criminis) und Teilnehmern (socü in crimine) nach dem Interesse, das beide an der Tatausführung hatten. Nach dieser subjektiven Abgrenzung war (Mit-)Täter, wer mit anirnus auctoris handelte, Teilnehmer (Gehilfe), wer nur einen anirnus socii aufwies. Mit dieser Differenzierung sollte eine Individualisierung der Strafe ennöglicht werden. 1 Besonders Jousse 2 und Muyart de Vouglans3 bemühten sich, vielfach mit Hilfe minutiöser Unterscheidungen, um eine Systematisierung. Seit Jousse unterscheidet man nach dem Zeitpunkt der Erbringung der Teilnahmehandlung drei Fonnen der Beihilfe: "la complicite anterieure", "concomitante" und "posterieure"; zu letzterer wurden auch Hehlerei und Begünstigung gezählt. Die subjektive Betrachtungsweise erforderte auch eine besondere Unterscheidung der verschiedenen" Anstiftungsfonnen". Muyart de Vouglans unterscheidet hier zwischen "l'ordre", "le mandat" und "le conseil". Derjenige, der die Tat befahl, sollte grundsätzlich wie der Tatausführende bestraft werden; er war sogar schlichter Alleintäter, wenn er auf den Tatausführenden Zwang ausgeübt hatte.4 Auch der Auftraggeber ("le mandant") war als Täter zu bestrafen, selbst wenn der Beauftragte die Tat niemals ausführte. Der Ausführende seinerseits konnte bei schwersten Verbrechen ("crimes atroces") nicht mit dem Argument, auf ihn sei Zwang ausgeübt worden, eine Strafmilderung begehren. Er 1 FilIion, La responsabili~ pmaIe, S. 13. Jousse, Trai~ de I. justice crimineUe eil Fnnce I, 1771, S. 20 ff, zil nach Gulphe, La 2 distinciton. R.S.C. 1948,665,670, Fn. 1. 3 Muyart tk Vouglans, Les loix criminelles de Fnnce dans leur ordre naturel, S. 5 ff. 4 Muyart de Vouglans, Les loix criminelles de FIlIIlCe dans leur ordre naturel, S. 6; Jousse, Trai~ de I. justice criminelle eil FIlIIlCe I, 1771, S. 25, ziL nach Fillion, La responsabili~ pmaIe, S.lO.

22

Erster Teil: Täterschaft und Teilnahme im historischen Überblick

war härter zu bestrafen, wenn er die Tat ausführte, obwohl der Auftrag bereits zurückgezogen worden war oder wenn er über den Auftrag hinaus handelte. In letzterem Falle war der Auftraggeber dafür nur verantwortlich, wenn für ihn das Abweichen durch den Ausführenden vorhersehbar war. s Den Begriff des Ratschlages ("le conseil") faßt Muyart de Vouglans so weit, daß er nach heutigem Recht als "provocation" unter art. 60 al. I cp fallen würde. Für ihn zählt dazu auch das Überzeugen, Überreden und das Anweisen der zu verwendenden Tatmitte1.6 Im Gegensatz zum Auftrag, der im Interesse des Auftraggebers erfolgt, dient der Ratschlag dem ausführenden Täter. Nach Muyart de Vouglans ist der Ratgeber geringer zu bestrafen als der Ausführende, es sei denn, seine Ratschläge seien unredlicher Natur gewesen, d.h. im eigenen Interesse, aus Haß oder Rachegeffihlen gegeben worden. Dies mußte jedoch zweifelsftei feststehen. Wäre die Tat auch ohne das Einschreiten des Ratschlagenden begangen worden, so sollte dieser entweder völlig straflos ausgehen oder aber wenigstens eine mildere Strafe erhalten. Im großen und ganzen befürwortet Jousse die von Muyart de Vouglans aufgestellten Regeln, jedoch will er grundsätzlich auch den Ratgeber wie den Ausführenden bestrafen.7 Jousse läßt dann allerdings zahlreiche Ausnahmen zu, wodurch nur ein geringfügiger Meinungsunterschied bleibt. Strafausschluß oder -milderung soll möglich sein, wenn: a) der Rat gutgläubig oder leichtfertig und scherzhaft ohne Bedenken eventueller Folgen gegeben wurde, b) wenn er zweideutig war, also auch als gut gemeint und nicht verbrecherisch aufgefaßt werden konnte, c) wenn er nicht befolgt wurde, es sei denn, er zielte auf ein schweres Verbrechen, d) wenn er indirekt erfolgte oder e) wenn er überschritten wurde.

B) "Droit intermediaire" Die grundsätzlich subjektive Abgrenzung nach der Boshaftigkeit ("malice", "noirceur de leurs dessins") der Tatbeteiligten bereitete bereits dem "ancien droit" Schwierigkeiten. Besonders im Zusammenhang mit schwersten V~bre­ chen zögerte man z.B. nicht, auch bloße Familienzugehörigkeit zum Tä r zu strafen. 8 Auch die bis ins Einzelne aufgestellten Abstufungen der Teiln eformen erschienen zunehmend als rein hypothetisch und zufällig, da sic die . subjektive Seite nur schwer nachweisen ließ. 5 6 7

Muyart ck Vouglans, Les loix criminellea de France dans leur ordre naturel, S. 6. Muyart ck Vouglans, Les loix criminellea de France dans leur ordre naturel, S. 7. Jousse, Trai~ de la justice criminelle en France I, 1771, S. 30, zit. nach Pochon, L'auteur moral, S. 77.

1. Abschnitt: Entwicklung in Frankreich

23

So wurde eine derartige Abgrenzung auf Grund ihrer fehlenden Rechtssicherheit durch die französische Revolution abgelehnt. Das Streben nach genau umrissener Bestimmung der Strafbarkeit fand auch im code penal von 1791 seinen Niederschlag. Ausgehend von einer objektiven Auffassung war der Täter deIjenige, der die einzelnen Tatbestandsmerkmale selbst erfüllte ("l'agent materiei"). Die übrigen Beteiligten entlehnten ihre Strafbarkeit der der Haupttat ("emprunt de criminalite"), weshalb sie ebenfalls die gleiche Strafe erhielten. Allerdings war nur die Beihilfe zu einem Verbrechen, nicht die zu Vergehen oder Übertretungen unter Strafe gestellt.9 Art. 2 des "titre III" des code penal von 1791 nannte abschließend die verschiedenen Beihilfeformen: a) Provokation durch Geschenke, Versprechungen, Befehle oder Drohungen, b) Bereitstellung von Mitteln oder Werkzeugen, die zur Tatausffihrung dienten, c) Leisten von Hilfe und Beistand zu Handlungen, die die Tat vorbereiteten, erleichterten oder zur Vollendung führten. Dabei ist eine gewisse Ähnlichkeit zu dem späteren art. 60 cp von 1810 nicht zu verkennen. Allerdings spricht dieser nicht von Befehlen ("ordres"), sondern vom Mißbrauch eines Autoritäts- oder Gewaltverhältnisses und erwähnt zusätzlich arglistige Machenschaften und Ränkeschmiedereien; für die Lieferung von Tatmitteln reichte es auch aus, daß diese nur zur Tat dienen sollten. Art. 60 cp behält außerdem ausdrücklich eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichbestrafung durch gesetzliche Sonderregelungen vor. Gemäß art. 2 des "titre III" wurde schließlich deIjenige gleich einem Täter bestraft, der - sei es durch öffentlich gehaltene Reden, Plakate oder schriftliche Veröffentlichungen jeglicher Art - jemanden direkt anstiftete, eine Straftat zu begehen. lo Die Hehlerei wurde als "complicite posterieure" bestraft (art. 3 und 4).

C) Code penaJ vom 22. Februar 1810 Am 1. Januar 1811 trat der am 22. Februar 1810 erlassene code penal in Kraft. Im zweiten seiner vier Bücher behandelt er unter dem Titel "Des personnes punissables, excusables ou responsables pour crimes ou pour delits" Täterschaft und Teilnahme.

8 9 10

Pochon, L'auteur moral, S. 79.

m

Code pmal von 1791, Titre ("Des complices des crimes") alt. I und 2. Ähnlich das Gesetz vom 27 genninal an IV (= 10. April 1796 wngerechnet nach Tabelle Leistner, Arbeitshilfen zum französischen Recht, S. 97 11), nach dem deljenige, der durch Reden oder Schriften zum Sturz der republikanischen Regienmg oder m Anschlligen auf die öffentliche Sicherheit anstiftete, wie der Tatausfllhrende mit dem Tode m bestrafen war, zit. nach Pochon, L'auteur moral,

S.86.

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Erster Teil: Täterschaft und Teilnahme im historischen Überblick

Nach art. 59 werden die Teilnehmer an einem Verbrechen oder einem Vergehen mit derselben Strafe bestraft wie der Täter dieses Verbrechens oder Vergehens. Ausgenommen sind die Fälle, in denen das Gesetz Sondervorschriften eingeführt hat. Als Teilnehmer werden diejenigen bestraft, die durch Geschenke, Versprechungen, Drohungen, Mißbrauch eines Autoritäts- oder Gewaltverhältnisses, arglistige Machenschaften oder Ränkeschmiedereien zu einem Verbrechen oder Vergehen angereizt oder zu ihrer Begehung Weisungen erteilt haben (art. 60 al. 1 cp), die Waffen, Werkzeuge oder irgendein anderes Mittel, das bei der Haupttat gebraucht wurde, in dem Bewußtsein geliefert haben, daß sie dabei benutzt werden sollen (art. 60 al. 2 cp), und schließlich diejenigen, die dem Haupttäter wissentlich Hilfe oder Beistand zu den Handlungen, die die Haupttat vorbereitet, erleichtert oder vollendet haben, leisteten, unbeschadet einer Strafbarkeit wegen Komplotts oder Gefährdung der Sicherheit des Staates (art. 60 al. 3 cp). Nach art. 61 al. 1 cp werden diejenigen als Teilnehmer bestraft, die, in Kenntnis der Strafbarkeit von Störern der Sicherheit der öffentlichen Ordnung, des Staates sowie der Eigentumsordnung, diesen Straftätern gewohnheitsmäßig Unterkunft gewähren oder ein Versteck oder einen Versammlungsort zur Verfügung stellen. Mit der "ordonnanee du 25 juin 1945" erhielt art. 61 cp die Absätze zwei und drei, die weitere Fälle der "Personenhehlerei" ("reeei de malfaiteurs") - jedoch als eigenständiges Delikt und nicht als Unterfall der "complicite" regeln.

2. Abschnitt: Entwicklung in Deutschland bis zur heutigen Fassung der §§ 25 ff StGB A) Constitutio Criminalis Carolina von 1532 Die erste allgemeine Ausbildung einer Teilnahmelehre 1 finden wir in der "Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V". Zwar unterschied bereits das römische Recht terminologisch zwischen Anstifter (auctor) und Gehilfe (minister),2 aber diese Differenzierung ließ jede dogmatische Schärfe vermissen und hatte auch rechtlich keinerlei Konsequenzen. Vielmehr wurde jeder an einem Delikt vorsätzlich Mitwirkende einem Einzeltäter gleichgestellt. Bis in das späte Mittelalter hinein herrschte auf dem Gebiet der Teilnahme eine "tastende und kasuistische Unsicherheit". 3 Im Falle der Zusammenwirkung mehrerer war bei sühnbaren Sachen nur eine Sühne zu leisten (Haftung in Gesamtschuldnerschaft), während die peinliche Strafe jeder zu erleiden hatte. Von Sonderregelungen für einzelne Delikte (wie Meineid, art. 107 CCC, und Raufhandel, art. 148 CCC) abgesehen, findet sich in der CCC auch eine allgemeine, für alle übrigen Delikte geltende Normierung der Mitwirkung mehrerer bei einer Straftat. So regelte Art. 177 CCC die "straff der furderung, Hillff vnd Beistand der Misseteter". 4 Auch wenn man aus heutiger Sicht hier noch eine schärfere terminologische Abgrenzung vermissen mag,S so ist die Herausnahme als Allgemeinregelung sowie die Anordnung unterschiedlicher Bestrafung der Tatbeteiligten bemerkenswert. Mangels - in anderen Rechtsbüchern üblicher - Regelung der Begünstigung ist davon auszugehen, daß diese auch unter den Begriff der Anstiftung fallen sollte.6

1 2 3 4 S 6

Schaffstein, Die allgemeinen Lehren, S. 171; v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 2ffl. VgI. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 98 ff. Eh. Schmidt, Einfilhnmg in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 61, S. 73. Kohler/Scheel, Die Carolina I, S. 94. Der Gesetzestext fUgt an: "... wie das alles namen hatt" . v. Hippel, aaO.

Erster Teil: Täterschaft Wld Teilnahme im historischen Überblick

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B) Allgemeines Preußisches Landrecht vom 5. Feblllar 1794 Nachdem im vorausgegangenen Schrifttum immer wieder versucht worden war, die von der Carolina vorgenommene Abgrenzung näher auszuführen, finden sich im ALR von 1794 ausführliche Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme (Zweiter Teil, 20. Titel, §§ 64-84), die unter gewissen Voraussetzungen die einzelnen Teilnahmeformen mit unterschiedlicher Strafe versehen. Gemäß § 64 verwirkt der unmittelbar an der Ausführung Teilnehmende (Urheber) die gesetzlich bestimmte Strafe der Tat; gegen den Haupturheber (den Verleiter der Übrigen) wird eine Strafverschärfung angedroht (§ 65). Straferschwerend wirkt auch die Verbindung mehrerer (§ 66). Als Täter wird bestraft, wer sich zur Tatausführung eines anderen bedient (§ 67), womit intellektuelle Täterschaft in Form von Anstiftung und der heutigen Figur der mittelbaren Täterschaft pönalisiert wurde. 7 Einen anderen Fall der mittelbaren Täterschaft erfaßt § 78, wonach der Veranlassende für die Tat verantwortlich gemacht wird, die ein von ihm ("durch Trunk oder sonst") in Unfreiheit Versetzter ausführt. Die verschiedenen Formen der Beihilfe werden sehr kasuistisch geregelt. Dabei wird auch zwischen notwendiger und nicht notwendiger Hilfe unterschieden, die je nach Sachlage gleich oder ungleich bestraft werden kann (§ 72). Bei Verbindung mehrerer zum Zwecke eines gemeinschaftlich auszuführenden Verbrechens haftet jeder unabhängig von seinem eigenen Tatbeitrag für sämtliche verabredeten Handlungen (§ 73). Als Miturheber haftet auch ohne vorherige Verabredung, wer seine Hand reicht, Wache hält oder sonst Hilfe leistet (§ 74). Rat oder Anleitung wird wie notwendige Tathilfe bestraft (§ 76); bei gleichzeitiger Anwesenheit richtet sich die Strafe jedoch nach der des Urhebers (§ 77). Kannte der Hilfeleistende das Verbrechen nicht, so ist er nur nach seiner Absicht strafbar (§ 75). Je nach Maß der Bosheit oder Fahrlässigkeit ist die unterlassene Anzeige beziehungsweise Hinderung von bestimmten Verbrechen strafbar (§§ 80-82). Gegen den Vorteilsnehmer einer Straftat wurde die ordentliche Strafe verhängt (§ 83), die Strafe des Verbrechers selbst erhielt, wer gewerbsmäßig Verbrecher und deren Gewinn verheimlichte (§ 84). Diese Regelungen stellen damit einen eindeutigen Fortschritt gegenüber den bisherigen Normierungen dar, auch wenn sie nach heutigen Maßstäben noch recht weit gefaßt sind.

7

v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 279.

2. Abschnitt: Entwicklung in Deutschland

27

C) Preußisches StraJgesetzbuch vom 14. April1851 So bedeutend das Allgemeine Preußische Landrecht war, es bedurfte dennoch einer Angleichung an den Standard eines Gesetzes des 19. Jahrhunderts. 8 Diese Aufgabe leistete das preußische Strafgesetzbuch von 1851. Auf dem Gebiet der Teilnahmelehre erbrachte es eine wesentlich größere Systematisierung und ließ auch in diesem Bereich den Einfluß des französischen code penal von 1810 deutlich erkennen. In den §§ 34-39 wird die Teilnahme an Verbrechen oder Vergehen geregelt; auf Mitwirkungen an Übertretungen geht das Gesetz, wie der code penal, nicht ein. Die Legaldefinition des Teilnehmers in § 34 entspricht weitgehend der des art. 60 cp; allerdings wird nach § 34 auch der als Gehilfe bestraft, der jemanden durch Irrtumserregung zur Begehung einer Straftat anreizt, verleitet oder bestimmt. Die Regelung des § 35 Abs. 1 entspricht der des art. 59 cp, ist aber durch den Wortlaut "ist dasselbe Strafgesetz anzuwenden, welches auf den Thäter Anwendung findet" unmißverständlicher. In seinem zweiten Absatz erfahren bestimmte Teilnahmehandlungen, deren Kreis durch das Gesetz vom 30. Mai 1859 erweitert wurde, eine obligatorische Strafmilderung. Nach § 36 wird die öffentliche Anstiftung als Teilnahmeform ausdrücklich bestraft; sein zweiter Absatz regelt die erfolglose öffentliche Anstiftung, die dem code penal bis heute unbekannt geblieben ist. Die §§ 37, 38 bestimmen die Strafbarkeit der Begünstigung; die Unterlassung der Anzeige geplanter Straftaten stellt § 39 unter Strafe.

D) (Reichs-)StraJgesetzbuch vom 15. Mai 1871

Mit der Schaffung eines reichseinheitlichen Strafgesetzes am 15. Mai 1871 fanden auch die Teilnahmeregelungen eine neue Normierung. Diese ähnelte vielfach noch der Fassung des preußischen Strafgesetzbuchs, wies aber bereits Regelungen auf, die heute noch dem geltenden Recht entsprechen. § 47 RStrGB definierte die Mittäter durch ihre gemeinsame Ausffibrung einer strafbaren Handlung, stellte aber keine besondere Legaldefiniton für den Einzeltäter auf. § 48 ließ eindeutig seine Verwandtschaft zu § 34 Nr. 1 des preußischen Strafgesetzbuchs erkennen. Nach seinem Absatz 2 richtete sich die Strafe des Anstifters nach der des Haupttäters. Beihilfe war allgemein als wissentliche Leistung von Rat und Tat definiert (§ 49 Abs. 1), unterlag gemäß § 49 Abs. 2 jedoch erstmals einer fakultativen Strafinilderung. Gemäß § 50 wurde ebenfalls erstmalig das Vorliegen besonderer persönlicher Merkmale 8

Eb. Schmidt. EintWuung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspßege. § 277. S. 315.

28

Eßter Teil: Täterschaft lUId Teilnahme im historischen Überblick

geregelt. Durch die Verordnung vom 29. Mai 1943 wurde Absatz 1 eingefügt, der in Verbindung mit der gleichzeitig erfolgten Änderung der §§ 48, 49 die limitierte Akzessorietät als neuen Gesetzesgrundsatz einführte. Die am 1. Oktober 1953 in der Bundesrepublik in Kraft getretene Fassung des Strafgesetzbuchs ersetzte in § 49 Abs. 2 die obligatorische Strafmilderung des Gehilfen durch eine fakultative. Die Neuregelung durch das 2. StRG, das zum 1. Januar 1975 in Kraft trat und den Allgemeinen Teil des Strafrechts umstrukturierte, elWähnt in § 25 die Allein- und mittelbare Täterschaft und stellt in den §§ 26, 27 klar, daß Anstiftung und Beihilfe eine vorsätzlich begangene Haupttat voraussetzen, was früher umstritten war.9 Doch schreibt § 27 Abs. 2 Satz 2 nunmehr vor, daß der Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 obligatorisch zu mildem ist.

9

VgJ. RGSt 70, 26; BGHSt 4, 355; 9,370; zusammenfassend Tröndle, GA 1956, 129 ff.

Zweiter Teil: Täterschaft und Teilnahme nach französischem Recht 1. Abschnitt: Täterschaft A) Formen der Täterschaft I. Unmittelbarer Täter ("auteur")

Art. 59 1 nennt den "auteur", ohne ihn - im Gegensatz zu § 25 Abs. I StGBauch nur ansatzweise zu definieren. Nach der im Schrifttum vorherrschenden Meinung ist jedoch als Täter derjenige anzusehen, der die tatbestandsmäßige Handlung, die Straftat, selbst ausführt. 2 Dem folgt auch die Rechtsprechung, 3 es sei denn, daß im Rahmen der Abgrenzung zur Teilnahme kriminalpolitische Erwägungen zur Anwendung subjektiver Kriterien führen. Diese subjektive Auffassung kehrt recht regelmäßig wieder. Auf sie soll jedoch erst weiter unten bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme eingegangen werden. 4 Das französische Recht - ausgehend von einer formal-objektiven Theorie vertritt also (zunächst) einen restriktiven Täterbegriff.5 Täter ist, wer den Todesschuß selbst abfeuerte oder wer dem Opfer einen Faustschlag versetzte und es dann ausraubte.

1 Artikel ohne Gesetzesangaben sind im folgenden solche des code ~al. 2 J ..A. Roux, Cours I, S. 335 f; Trebutien, Cours ~16nenlaire l, n° 687, S. 502; VidallMagnol, Cours, n° 407, S. 566; R. Ga"aud, Traiti 111, n° 875, S. 8; MerletVitu, g~~ral, n° 523, S. 669; VouinlUaute, Droit ~al, S. 47; StefanilLevasseurlBouloc, Droit ~al g~~ral, n° 246, S. 297; Thibierge, La notion de la oompIiciti, S. 91; Biswang, La distinction, S. 23, 273; Gulphe, La distinction, R.S.C. 1948,665,666; Uaute, R.P.S. (= SchwZStr) 1957, I, 11. 3 Crim., 17 d&:. 1859, B.C. n° 281, S. 451 (= D.P. 1860,1,139); 9 f~vr. 1888, B.C. n° 56, 19 janv. 1894, B.C. n° 17, S. 26 (= S. 1894,1,249). Vgl. unten S. 39 Cf. 5 Dien, Täterschaft und Teilnalune im ausländischen Recht, S. 27; vgl. da711 eingehender unten S. 196 Cf.

S.9,r-

30

Zweiter Teil: Täterschaft IDld Teilnahme nach französischem Recht

11. Mittäter ("coauteur") Im Gegensatz zu § 25 Abs. 2 StGB erwähnt der französische code penal den Mittäter überhaupt nicht. Dennoch ist seine Existenz unbestritten. Bouzat/Pinatel bemerken zu dieser Gesetzeslücke, daß der Gesetzgeber wegen der Evidenz der Zurechnung der Tatbestandsmerkmale unter Mittätern eine besondere Regelung nicht für nötig gehalten habe. 6 Ausgehend von der objektiven Abgrenzung sind Mittäter diejenigen, die gemeinsam die strafbare Handlung begehen.7 Die Mittäter verwirklichen eine persönliche Tat und besitzen deshalb - im Gegensatz zu den Teilnehmern - jeder eine eigene Strafbarkeit ("criminalite propre "). 8 Die Zurechnung der einzelnen Tatbestandsmerkmale erfolgt über die gemeinsame Tatausführung, s0fern sich der Mittäter im Rahmen des geschlossenen, gegenseitigen Einverständnisses hält. 9 Eine Haftung für den Exzeß eines Mittäters scheidet daher aus. Eine Zurechnung von nichtvereinbarten Tatbestandsmerkmalen erreicht die Rechtsprechung jedoch vielfach durch Aufweichung des Begriffes der Mittäterschaft. Durch Qualifizierung des Mittäters als Gehilfen ist der Weg zur Zurechung ohne weiteres eröffuet. 10 Mittäter begehen eine Straftat also gemeinsam und in gegenseitigem Einverständnis.

III. Mittelbarer Täter ("auteur mediat")l1 Eine allgemeine Regelung der mittelbaren. Täterschaft ist dem code penal fremd. Da Täter nur sein kann, wer objektiv selbst die Straftat ausführt, wird der Begriff der mittelbaren Täterschaft auch grundsätzlich abgelehnt. 12 Er wird jedoch - außer in den Fällen der Sonderdelikte 13 - dann anerkannt, wenn der (mittelbare) Täter den Tataustührenden als "simple instrument", als bloßes 6 BouzatJPinatel, Trai~ I, n° 171, S. 749. 7 uvasseur, Droit pmal g~ral compImtentai.e, S. 283; VouintUaute, Droit penal, S. 47; Decocq, Droit pmal g~ral, S. 196; Allix, Essai sor la ooaction, S. 72 f; FilIion, La .esponsabilit6 penale, S. 312; 1.-1.. Roux, Cours I, S. 357; Ugal, R.S.C. 1962, 749; Gar~on, code pmal anno~,

art. 59, 60, n° 367. 8 1.-1.. Rowc, Cours I, S. 358. 9 R. Ga"aud, Trai~ IU, n° 874, S. 3, n° 875, S. 8 ("acconl", "entente''); Allix, Essai sor la C08'fb0n, S. 74 ("commlDl acconl"); Levasseur, aaO ("acconl"). VgI. IDlten S. 40 ff. 11 LR. (= Louis Hugueney), R.S.C. 1966,211. 12 R. Ga"aud, Trai~ llI, n° 898, S. 51; Sitz, Auteur inteUectuel et auteur moral, R.I.D.P. 1936, 1401162 ff; LR. (= Louis Hugueney), aaO. 3 Anm. Doucet, G.P. 1971,1,35 (37).

1. Abschnitt: Täterschaft

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Werkzeug benutzte; damit handele es sich nämlich im Grunde genommen um Alleintäterschaft. 14 So wurden z.B. diejenigen als Alleintäter bestraft, die eine Frau in Hypnose versetzten, so daß diese, nachdem sie völlig die Herrschaft über ihren Willen verlor, auf deren Anweisung einen Diebstahl beging. Die Tatausführende war nur strafloses "instrument passif'.15 Auch der Ehemann, der seiner in einem urämischen Präkoma befindlichen Frau die Hand zur Erstellung eines ihm günstigen Testaments führte, wurde als "auteur reel" einer Urkundenfälschung bestraft; seine Frau - nicht mehr Herr ihrer Sinne - war nur sein Werkzeug. 16 Die Anerkennung einer (mittelbaren) Täterschaft trotz fehlender Tatausführung erfolgt jedoch nur unter engsten Voraussetzungen. Der Tatausführende muß wie ein Objekt benutzt worden sein und muß die Bedeutung seines Handelns verkannt haben. Sobald der Tatausführende jedoch bewußt agiert, ist er Täter und der Hintermann nur noch Teilnehmer. Es liegt dann je nach Sachlage 17 eine "provocation par abus d'autorite ou de pouvoir" 18 oder eine "provocation par machinations ou artifices coupables"19 vor - beides Fälle der Teilnahme gemäß art. 60. R. Garraud begründet die Täterschaft des Tatausführenden und die dazu geleistete Beihilfe des Hintermannes recht piastisch20 am Beispiel eines tatausführenden Wahnsinnigen oder eines Kindes, ohne welche die Tat gar nicht

14 Normand, Trai~, n° 701, S. 513. 15 Trib. COlT. Versailles, 13 man 1970, G.P. 1971,1,34. 16 Crim., 30 nov. 1971, G.P. 1972,1,374; vgI. auch die Bestraflmg eines "chef de canton", der einen Diebstahl durch seinen IDIvorsltzlich handelnden Untergebenen ausftlhren ließ (Crim., 19 nov. 1909, B.C. n° 536, S. 1034) oder den Diebstahl durch VortAuschen der EigentümerstelllDlg IDId Aushllndigenlassen des Diebesgutes (Crim., 24 oct. 1972, B.C. n° 306, S. 792 (= G.P. 1973,1,218»; vgI. auch Crim., 4 man 1864, B.C. n° 58, S. 101; 2juill. 1886, B.C. n° 238, S. 393 (= S. 1887,1,489 mit Anm. Villey) (Kind als Wedczeug); 8 juin 1912, B.C. n° 307, S. 554 (556); 10 f~r. 1954, B.C. n° 69, S. 120 (= S. 1955,1,44). 17 Insofern unrichtig: Rosen/eid, Frank-Festgabe 11, S. 163, Fn. I, nach dessen Auffassung die feste JudiJcatur der Cour de cassation die Fllie deutscher mittelbarer TIterschaft beim dolosen Werlc:als "provocation par machinations ou artifJCes coupab1es" behandeiL 8 Cour de Riom, 15 janv. 1862, D.P. 1862,2,81 (Ein Vater nutzt sein Autoritlltsverhlltnis aus IDId veranlaßt als Leiter seines Familienbetriebes seine beiden Söhne, zu seinem alleinigen Nutzen ge,. genüber Kunden eine UnterschlagIDIg zu begehen, ohne bei der Tatausführung selbst anwesend zu sein); Crim., 24 nov. 1953, B.C. n° 304, S. 533 (Ein Parteichef mit stadtem persönlichen Einfluß veranlaßt Parteimitglieder zur SachbeschidigIDIg). 19 Crim., 6 man 1969, B.C. n° lU, S. 273 (Zwei Geschäftsleute veranlassen eine Bankange,. stellte, IDIgedec1tte Schecks anzunehmen IDId zwingen sie damit zu eigenen UdrundenfälschlDlgen, damit ihr Fehlverhalten bei der Bankdirektion nicht auffälIL) 20 R. Ga"aud, Trai~ m, n° 967, 157: "Sans r~ ou renfant I'acte ~riel constitutif du ~Iit, eßt-i! ~ commis? ~idenunent non. Celui·d est l'auteur irresponsable il est vrai d'1DI delit qu'on lui a fait commettre ou qu'on l'a ai~ l commettre. 11 n'y a, par cons6quent, auame contradiction l dklarer IDI individu complice d'\DIe infraction dont l'auteur fictif (fmgirte 1biterschaft) n'est pas reconnu coupable." Bei R. Ga"aud entspricht die fingierte TIterschaft also nicht der mittelbaren Tller-

zeu,

schaft.

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Zweiter Teil: Tltenchaft Wld Teilnahme nach französischem Recht

zustande gekommen wäre. Auch wenn man diese Personen zur Tathandlung veranlaßt oder ihnen geholfen habe, die Tat überhaupt zu begehen, blieben sie doch Täter, wenn auch nur nicht verantwortliche Täter. Deshalb sei es auch nicht widersinnig, jemanden als Gehilfen einer Straftat zu bestrafen, deren "auteur fictit" nicht schuldhaft handelte. 21 Die Möglichkeit eines Täters hinter dem Täter wird nicht in Betracht gezogen. Beschäftigt man sich mit dieser in Grenz- und Ausnahmefällen vertretenen Konstruktion des deutschen Rechts, so stößt sie nur auf Unverständnis. 22 Sie führe zu unnötigen Komplikationen und verwische eine klare Trennung der Beteiligungsformen.23 In der Literatur werden jedoch die Schwierigkeiten erkannt, die das Fehlen der Figur der mittelbaren Täterschaft mit sich bringt. Deshalb wird vielfach de lege ferenda gefordert, diese Teilnahmeform allgemein in eine Täterschaft umzuwandeln24 oder durch spezielle Regelungen der Straftatbestände derartige Verhaltensweisen täterschaftlich zu bestrafen. 2S Nur Roux vertritt, daß bereits de lege lata von einer mittelbaren Täterschaft ausgegangen werden kann; der Tatausführende sei nur "longa manus" des Hintermannes. 26 Unter dem heute geltenden Recht ist diese Auffassung jedoch als vereinzelt anzusehen. Sie ist auch nicht unwidersprochen geblieben. 27 Immerhin wurde aber auch teilweise im Schrifttum des 19. Jahrhunderts die Figur des "auteur intellectuel"28 anerkannt. Dieser ist Täter, ohne selbst die einzelnen Tatbestandsmerkmale zu verwirklichen, weil er einen "röle generatrice" einnimmt und als eigentliche Ursache des Verbrechens anzusehen ist. Unter diesen Begriff werden dann auch die Fälle der deutschen mittelbaren Täterschaft gefaßt - z.B. Benutzung eines nicht einsichtsfähigen Kindes oder eines irrenden Vordermannes29 -, jedoch dient er hauptsächlich dazu, jedenfalls denjenigen Anstifter, der als der eigentliche Initiator der Straftat als Täter erscheint, als Täter und nicht als bloßen Gehilfen zu qualifizieren. 21 Insofem handelt es sich bei Diett, Täterschaft Wld Teilnahme im auslllndischen Recht, IDD ein Mißverstlindnis, wenn er auf S. 25, Fn. 43 bezllglich der AblehnWlg der mittelbaren Täterschaft im französischen Recht schreibt: "Garraud ...• der wörtlich anfUhrt, daß dem französischen Recht die deutsche AuffasSWlg der "fingierten Tlterschaft" Wlbekannl sei." So aber auch Rosen/eid, Frank-Feslgabe II ...S. 163. Fn. 1. 2~ Vgl. LR. (= Louis Hugueney) Ober F.-C. Schroeder. Der Titer hinter dem Titer. R.S.C. 1966.211: "Quelques Allemands se demandenl s'i1 y a 11 Wl jeu bien utile. Un Fran~s. moins f~1U de discussions doctrinales. est encore plus ten~ de se poser la question." 23 Silz. Auteur intellectuel cl auteur moral. R.I.D.P. 1936. 140. 161ft. 24 Rossi. Trai~ ß. S. 192. 25 Thibierge, La notion de la complici~. S. 121; Popineau, Oe la complici~, S. 104. 26 J.-A. Roux, Cours I. S. 337; Anm. ders .• S. 1923.1.41. 27 Pochon. L'auteur moral, S. 200. 28 aaO. 29

Ortolan.EI~ents I. nOs 12631f. S. 6121f; Chaveau/Hllie, Th~rie I, n° 277. S. 463; Rossi.

Ortolan. EI~CIIts I. n° 1265. S. 613.

1. Abschnitt: Täterschaft

33

Zu bedenken bleibt, daß die Rechtsprechung dank ihrer subjektiven Auffassung Beteiligte, die nach französischem Recht nur Teilnehmer sind - nach deutscher Auffassung aber als Anstifter oder mittelbare Täter anzusehen wären -, als "auteur" oder "coauteur" bestraft.30 Zusammenfassend ist jedoch zu sagen, daß nach geltendem französischen Recht mittelbare Tatbestandsverwirklichung nicht als Täterschaft strafbar ist, sofern nicht das Gesetz eine Sonderregelung trifft. Derartige Spezialnormen sind heute bereits in vielfacher Form vorhanden. So bestraft z.B. art. 147 denjenigen als Täter einer Fälschung öffentlicher Urkunden, der dem Urkundsbeamten falsche Angaben macht, die dann beurkundet werden. Auch der Veranlasser einer Kindesentführung ist gemäß art. 354 als Entführer selbst zu bestrafen.31 Das Gesetz spricht vielfach von veranlassen, "faire", worunter sowohl Anstiftung als auch mittelbare Täterschaft deutscher Auffassung fallen.

B) Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme Große Schwierigkeiten bereitet der französischen Doktrin und besonders der französischen Judikatur die Abgrenzung von täterschaftlichem und bloßem akzessorischen Verhalten. Diese Probleme bestehen bereits bei der Beteiligung vor der Tatbestandserfüllung: Auch wenn grundsätzlich die im Vorfeld geleistete Mitwirkung einen Fall der "aide ou assistance" und damit der "complicite" darstellen wird, kann der Beteiligte derart dominant auftreten, daß er als "auteur intellectuel" aufzufassen ist. Viel schwieriger wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn mehrere Personen gleichzeitig an der Verwirklichung eines Straftatbestandes mitwirken. 32 Hier eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, wird im französischen Schrifttum immer wieder angezweifelt. Ein Blick in die gesetzliche Regelung des art. 59 scheint die Abgrenzung zwischen Tätern und Gehilfen allerdings überflüssig zu machen. Danach werden die Teilnehmer an einem Verbrechen oder Vergehen mit derselben Strafe bedroht wie die Täter dieses Verbrechens oder Vergehens, es sei denn, das Gesetz sieht eine Sonderregelung vor. 33 Daher scheint es zunächst nicht ersichtlich, welche Interessen an einer Differenzierung beider Beteiligungsfor30 Vgl. dazu unten S. 56. 31 Vgl. desweiteren die Spezialdelikte der art. 89,92 aI. I; 95 aI. 2; 114 aI. 1; 122; 186; 188; 248H49; 352. J.-A. Roux, Cours I, S. 357. 33 So z.B. art. 1()(); 124 aI. 2; 267; 302 al. 2; 313; 334; 365; 438; vgl. da711 Savey-Casard, La reglementatioo de la complici~ dans la partie s~ciale du Code ~nal de 1810, R.S.C. 1970,547 ff. 3 Czepluch

34

Zweiter Teil: Tätencbaft Wld Teilnahme nach französischem Recht

men bestehen könnten. Die genauere Betrachtung wird jedoch ergeben, daß auch das französische Recht auf eine Unterscheidung nicht verzichten kann, die jeweilige Qualifikation als Täter oder Teilnehmer vielmehr einschneidende Konsequenzen nach sich zieht.

I. Interessen an der Abgrenzung trotz der Regelung des art. 59

Bereits die Frage, welche gesetzliche Bestimmung ("l'~l~ment l~gal") von den verschiedenen Beteiligten verletzt wurde, hängt von der Bestimmung des (Haupt-)Täters ab. Bei der Begehung eines Mordes z.B. durch den Sohn des Opfers in Zusammenarbeit mit einer Person, die mit dem Opfer in keinerlei Verwandtschaftsverhältnis steht, entscheidet die Feststellung des Täters über die Art der Haupttat. 34 War der Sohn Täter, so liegt ein Vatermord ("parricide") gemäß den art. 299, 302 vor, der niemals "excusable"35 ist (art. 323). Ist jedoch der Familienfremde als Täter anzusehen, so liegt je nach Art und Weise der Tatausführung ein Totschlag ("meutre" gemäß art.295) oder ein Mord ("assassinat" gemäß art. 296) vor. Der Totschlag wäre gemäß den art. 321, 322 "excusable", der Mord nur, wenn kein Fall des art. 324 (entschuldigter Ehegattenmord bei vorangegangener Geftihrdung durch das Opfer) gegeben wäre. Ist die Abgrenzungsfrage geklärt, erfordert die Strafbarkeit des Täters die Feststellung, daß er den Straftatbestand erfüllt; für die Strafbarkeit des Teilnehmers muß eine strafbare Haupttat ("fait principal punissable") vorliegen. Somit muß eine Differenzierung zwischen Tätern und Teilnehmern schon deshalb erfolgen, weil beide einen unterschiedlichen "~l~ment l~gal" aufweisen. 36 Aber auch der von Täter und Teilnehmer zu erfüllende "element materiel" ,37 die tatbestandsmäßige Handlung, ist unterschiedlich. 38 Täter ist, wer in seiner Person die einzelnen Tatbestandsmerkmale verwirklicht. Der Teilnehmer dagegen verwirklicht nicht den Tatbestand der Haupttat, sondern eine der Alternativen des art. 60. Nur wenn man Täter und Teilnehmer unter34

Gleiches gilt fIIr die FeststellWlg des Familiendiebstahls (Crim., 17 sept. 1847, B.C. n° 227, oder die FeststellWlg eines Amtsdelikts (Crim.,23 man 1827, D.P. 1827,1,395). 35 1m Gegensatz zmn deutschen Recht bietet der Begriff "excusable" keinen Entschuldigwtgsgrwtd, der den Titer vom Schuldvorwwf bef~it, sondern er gibt nur einen Strafmilderungsgrund an die Hand; IUp. pm., excuses, n° 3 Wld parricide, n° 25; nur die "excuse absolutoire" fIIhrt :m einer Strafaufhebung, vgI. Wlten S. 166.

S. 383

(385)

36 Biswang, La distinction. S. 46 ff. 37 Nach französischer AuffaSSWlg wird das Verbrechen dreigliedrig aufgebaut: "1'61~t l6gal"

(= Vorliegen eines Gesetzestextes, der die konJcrete VerbaItensweise pllnalisiert), "r6l6ment ~riel" (= ErfQ]len der talbestandsmlßigen VerbaItensform) und "r6l6nent moral", der der kausalen Prlmisse en~rechend neben den klassischen SchuldeIementen auch die Vorsal7prilfung umfaßt.

8

Biswang, La distinction. S. 64 ff.

1. Abschnitt: Tltellichaft

35

scheidet, kann festgestellt werden, ob sie sich nach den gesetzlichen Voraussetzungen strafbar gemacht haben. Aber damit ist das Interesse an einer Differenzierung der Teilnahmeformen noch nicht erschöpft. Da art. 60 nur die Teilnahme an Verbrechen oder Vergehen unter Strafe stellt, ist die Teilnahme an einer Übertretung nicht strafbar (argumentum e contrario).39 Somit hängt die Bestrafung eines an einer Übertretung Beteiligten erneut von der Feststellung der Tätereigenschaft und damit der allgemeinen Abgrenzung der Beteiligungsformen ab. Gleiches gilt für die versuchte Beteiligung: Da mangels gesetzlicher Regelung aus dem Prinzip des "emprunt de criminalite" folgt, daß die versuchte Teilnahme im Gegensatz zur Teilnahme am Versuch nicht pönalisiert ist,40 versuchte Täterschaft jedoch als Versuch der Straftat verfolgt werden kann, wird die Abgrenzung unumgänglich. In bestimmten Fällen stellt die Begehung einer Straftat durch mehrere Täter eine "circonstance aggravante", einen straferschwerenden Umstand dar.41 So liegt z.B. kein einfacher Diebstahl (art. 379), sondern ein qualifizierter Diebstahl in "reunion" (art. 382 al. 3-2°) vor, wenn zwei oder mehr Täter die Tat ausführen. Nach einhelliger Meinung reicht das Zusammenwirken von einem Täter mit einem Teilnehmer nicht aus. 42 So kommt man auch in diesem Fall um die Abgrenzung der Beteiligungstypen nicht herum. Wenn das Gesetz nach art. 59 in fine ausnahmsweise eine unterschiedliche Strafdrohung für Täter und Teilnehmer anordnet, so wird auch hier das Bedürfnis nach einer Differenzierung deutlich sichtbar. Aber auch die grundsätzlich gleich zu bestrafenden Beteiligten können letztendlich unterschiedlich bestraft werden, wenn nicht jeder "circonstances attenuantes" oder "aggravantes" aufweist. Je nachdem, ob sie Täter oder Teilnehmer sind, ist unterschiedlich zuzurechnen. 43 39 Statt vieler: Pradel, Droit p6nal I, n° 375, S. 464; MerlelVitu, gm6ra1, n° 512, S. 656 und die std. Rechtsprechung: Crim., 26 ~. 1857, D.P. 1858,1,143 (= S. 1858,1,492); 6 mars 1862, B.C. n° 66, S. 99; 22 juill. 1897, B.C. n° 2S5, S. 393 (= D.P. 1899,1,92); 14 ~. 1934, B.C. n° 209, S.405 (407); ler ~ 1944, D. 1945;,162; 23 janv. 1973, B.C. n° 30, S. 83 (84); Larguier, R.S.C. 1974,579. Die Teilnahme an einer Übertretung ist jedoch teilweise spezialgesctzlich geregelt: vgl. art. R. 34-8°; R. 38-1°; R. 40-1°. 40 Statt vieler: Pradel, Droit pmal I, n° 376, S. 465 f; Merle/Vitu, gm6ral, n° sm, S. 652; Gulphe, La distinction, R.S.c. 1948,665,683; Crim., 2S oct. 1962, B.C. nOs 292, 294, S. 606, 609 (= I.C.P. 1963,11,12985 mit Amn. R. Vouin; D. 1963),221 mit Amn. Bouzot; Ugal, R.S.C. 1963, 553),6 f6vr. 1885, D.P. 1886,1,41 (42); 13 janv. 1955, B.C. n° 3m, S. 545 (= D. 1955),291 mit Amn. ChavallM ); vgl. auch unten S. 71, Fn. 8. 41 "Sy~me de la complici~ cin:onstance aggravante". 42 Crim., 29 rn&lll 1827, B.C. n° 66, S. 185 (187); 31 janv. 1835, B.C. n° 46, S. 54 (55); 9 mars 1966, B.C. n° 86, S. 193 (194); Rfp. pm., vol, n° 104 (n° lOS: Allerdings ist ein Zusammenwirlten von.(3inem TIter und mehreren Teilnehmern ausreichend). Vgl. dazu unten S. 167 ff.

Zweiter Teil: Täterschaft IUld Teilnalune nach französischem Recht

36

Schließlich erfordern strafprozessuale Gründe eine Differenzierung nach Beteiligungstypen. Da Teilnehmer und Täter einen unterschiedlichen "element materiel" verwirklichen, muß die an die "Jury"44 gerichtete Frage nach der Schuld für die verschiedenen Beteiligungsformen unterschiedlich gestellt werden: Für jeden Täter ist gesondert die Frage nach der Schuld zu stellen, während für den Teilnehmer neben der Frage nach der Haupttat die Frage nach dem Vorliegen einer Teilnahrnehandlung hinzukommen muß,45 auch wenn dabei die Teilnahmehandlung als solche in der Fragestellung nicht in allen Einzelheiten beschrieben werden muß. 46 Nachdem nun feststeht, daß trotz der Assimilierungstechnik des art. 59 auf eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht verzichtet werden kann,47 gilt es zu untersuchen, wie diese Arbeit im Einzelnen geleistet wird.

11. Abgrenzung im Einzelnen 1. Objektive Theorie der Literatur

a) Begehung der Straftat als Unterscheidungskriterium Ausgehend vom Gesetzestext des art. 60 vertritt die deutlich überwiegende Meinung des Schrifttums eine rein objektive Sichtweise. Täter ist danach, wer die betreffende Straftat in seiner Person verwirklicht, Teilnehmer, dagegen deIjenige, der mindestens eine der in den art. 60, 61 al. 1 geregelten Beihilfehandlungen erfüllt.48 Der Täter begeht den "acte materiei", während der Teilnehmer zwar auch die Tatverwirklichung zum Ziel hat, die Tat selbst jedoch nicht ausführt, sondern sie nur erleichtert und zu ihrer Verwirklichung mithilft. "Comme les auteurs iIs (sc. die Teilnehmer) agissent dans le but de l'acte, mais, cl la difference des auteurs, ils n'agissent pas dans l'acte".49

44 Die nelUl Geschworenen der Cour d'assises bilden die Jwy. 45 Crim., 20 ftWr. 1985, B.C. n° 81, S. 213 (215); 2S nov. 1987, B.C. n° 430, S. 1136; Cuche, PrOCis, n° 148, S. 133 f; Ortolan, EI6ments I, n° 1306, S. 630; Pradel, Droit ~nal I, n° 395, S. 480. 46 Crim., 30 ocL 1973, B.C. n° 393, S. 966 (967); 5 d~. 1984, B.C. n° 386, S. 1035 (1038). 47 Zur fiilheren Bedeutw\g der Unterscheidung von Täterschaft IUld Tei1nahme bei Auslandsstraftaten vgl. IUlten S. 56. 48 Trebutien, Cours ~16mentaire I, n° 687, S. 502; R. Garraud, Trai~ m, n° 875, S. 8; J.-A. Roux, Cours I, S. 335 f; VouinlUaute, Droit ~I, S. 47; Uaute, R.p.s. (= SchwZStr) 1957, I, 11; VidallMagnol, Cours, n° 407, S. 566; MerlelVitu, gm~ral, n° 523, S. 668; Biswang, La distinction, S. 23~ J.Cl.P., complici~, n° 22; Chauten, Etude sur la complici~, S. 77. 4

R. Garraud, aaO.

1. Abschnitt: Täterschaft

37

Dieser objektive Standpunkt wird nicht nur wegen seiner Einfachheit gelobt,SO sondern vor allem aus rechtsstaatlichen Erwägungen vorgezogen. Nur eine derartige Auffassung entspreche dem Legalitätsprinzip. Jenes verlange, daß der Täter die gesetzlichen Voraussetzungen der Straftat erfülle, während der Gehilfe eine der, ebenfalls gesetzlich fixierten, Teilnahmehandlungen verwirklichen müsse. Sl Eine anders gelagerte Vorstellung des Handelnden könne die gesetzlichen Anforderungen nicht einfach aus den Angeln heben. Dies führe zu einer unzulässigen Ausweitung und AufweichungS 2 des Begriffes der Mittäterschaft auf Personen, die de facto die Straftat objektiv gar nicht begangen haben.S3 Das Gesetz selbst habe sich für eine objektive Abgrenzung entschieden, indem es den Anstifter, der die Tatbestandsmerkmale gerade nicht selbst ausführt, als bloßen Gehilfen qualifiziere.S4 Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß Vorstellungen im Gegensatz zu objektiven Gegebenheiten wesentlich schwieriger dem Beweis zugänglich seien.55

b) Abgrenzung nach der beim Tatverlauf gespielten Rolle In der Literatur wird aber auch auf die beim Tatverlauf gespielte Rolle abgestellt. Der Täter nimmt dabei eine primäre Stellung ein, während Teilnehmer ist, wer eine akzessorische, sekundäre Rolle bei der Verwirklichung eines Straftatbestandes übernimmt Der Beitrag des Täters wird als "participation directe", der des Teilnehmers als "participation secondaire" bezeichnet. S6 Die im Tatverlauf gespielte Rolle betonend stützt man sich auf den geleisteten Kausalbeitrag, der für Täter und Teilnehmer nicht gleichwertig ist. Der Täter muß danach die primäre Ursache für die Straftat gewesen sein, während dem Teilnehmer nur eine Hilfestellung, eine indirekte Kausalität zukommt.s7 In diesem Zusammenhang weist Ortolan auf die deutsche Rechtsauffassung sei50 J.CI.P., cornpIicitC, n° 22; Gulphe, La distinction, R.s.c. 1948,665,673; Levasseur, Droit pmal gm6ral compl~entaire, s. 335; MerlelVitu, gm6ral, n° 523, S. 669; Pradel, Droit pmal I, n° 396, S. 480; Thibierge, La notion de la complicitC, s. 92. 51 Levasseur, Droit p6nal gm6ral compl6ltentaire, S. 336; Biswang, La distinction, S. S, 8. 52 Man spricht generell von "assouplisscment", MerlelVitu, gm6ral, n° 524, S. 669; Uaute, R.P.S. (= SchwZStr) 1957,1, 14. 53 Gulphe, La distinaion, R.S.C. 1948, 665, 668. S4 Donnedieu de Vabres, TraitC, n° 441, S. 2S7. 55 MerlelVitu, g6n6ral, n° S24, S. 668. 56 Bertauld, Cours, 22° ~ S. 481; R. Garraud, Pr6cis, n° 250, S. S19; Cuche, Pr6cis, n° 145, S. 129; Chauveau/Hetie, 'I'h6orie I, n° 285, S. 448; Donnedieu de Vabres, TraitC, n° 431, S.250, Chauten, Etude sur la cornpIicitC, S. 11; Thibierge, La notion de la complicitC, S. 8; Desguerrois, Etude sur la complicitC, S. 161; Amn. J.-A. Roux, S. 1929,1,33; Congres Athenes, R. Vouin, Rapports fran~s, S. 25. So erklärt sich auch die Bezeichnung: "auteur principal" und "fait

prirl9ir 5 Ortolan,EI6ltentsI,n° 1257,S. 611. n



38

Zweiter Teil: Tlterschaft und Teilnahme nach französischem Recht

ner Zeit hin. Der Täter sei "Ur-Heber", "premier moteur", der Teilnehmer "Ge-Hülfe", "Hilfeleistender" . Beide zusammen seien "Mit-Schuldige" ("coupables ensemble").58 Ugal verwendet für den Haupttäter den Begriff "maitre d'reuvre".59 Wenn aber die Literatur nähere Kriterien für die Bestimmung der vom Tatbeteiligten eingenommenen Rolle aufstellt, so findet sich zunächst erneut der Hinweis darauf, daß der Täter die Tatbestandselemente verkörpert, der Teilnehmer nur zur Verwirklichung der Straftat mithilft.60 Im 19. Jahrhundert wurde teilweise unter Betonung der von den Tatbeteiligten gespielten Rolle vertreten, daß auch deIjenige einen "röle principal" innehabe, der zwar nicht in seiner Person die "elements constitutifs de l'infraction" erfülle, auf dessen Initiative hin jedoch das Verbrechen, dessen "cerveau"61 er sei, überhaupt begangen wurde. 62 Der "auteur intellectuel" sei dann conditio sine qua non63 und "complice necessaire"64 gewesen; durch seinen bestimmenden Einfluß sei der "acte materiel" erst möglich geworden und sein "lien causal" begründet worden. Die grundsätzlich objektive Abgrenzung wird also mit subjektiven Elementen vermischt, indem man weniger auf die äußere Handlungsform abstellt, als die eigentlichen Beweggründe in den Vordergrund ruckt. 65 Fälle mittelbarer Tatbestandsverwirklichung sollten so als Täterschaft bestraft werden; dies hauptsächlich im Hinblick auf die Strafbarkeit des Anstifters ("instigateur", "provocateur"). Jedoch verkannte man bereits damals nicht, daß der code penal einen anderen Weg eingeschlagen hatte und den Anstifter als Teilnehmer bestraft. Die gesetzliche Regelung wurde von den Vertretern dieser Lehre deshalb heftig kritisiert und de lege ferenda die Verwirklichung des eigenen Lösungsvorschlags gefordert.66

58 Ortolan, E1&nents I, n° 1257, S. 611, Fn. 1, der mit dem Hinweis auf das deutsche Recht bereits zu seiner Zeit rechtsvergleichend argumentiert. 59 Ugal, R.S.C. 1962,749,750. 60 Ortolan, Elmtents I, n° 1260, S. 611; R. Ga"aud, aaO; Chautm, aaO. 61 Dupuy, La provocation, S. 330. 62 Ortolan, FJmtents I, S. 612; Rossi, Trai~ 11, S. 195; Chaveau/Helie, Thoorie I, n° 277, S.435. 63 Rossi, Trai~ 11, S. 191; vgl. auch Silz, Auteur intellectuel et auteur moral, R.I.D.P. 1936,

140 J49.

i; Insofern betrifft der Begriff der "complicite nkessaire" eindeutig andere Fälle als der Begriff der "notwendigen Teilnahme". 65 Ortolan, Elmtents I, n° 1265, S. 613. 66 Popineau, Oe la compIicite, S. 130; Chaveau/Helie, Thoorie I, n° 287, S. 452; Ortolan, Elmtents I, n° 1300, S. 627.

1. Abschnitt: Täterschaft

39

2. Subjektive Theorie Eine rein subjektive Abgrenzungsweise ist nach unserer Kenntnis im französischen Schrifttum bisher nicht vertreten worden. Zwar wird immer wieder darauf hingewiesen, daß man Täterschaft und Teilnahme theoretisch auch subjektiv nach dem animus auctoris oder animus socii unterscheiden könne, jedoch wird in diesem Zusammenhang nur auf ausländische Autoren wie Mezger6 7 und Nowakowski68 verwiesen69 und im übrigen eine derartige Sichtweise entschieden abgelehnt. 70 Ein Abstellen auf innere Vorgänge des Tatbeteiligten erfordere komplizierte psychologische Untersuchungen. Darüber hinaus sei es gar nicht sicher, daß dieses Kriterium einer kriminologischen Wirklichkeit gerecht werde, denn wenn jemand gemeinsam mit anderen eine Straftat begehe, sei es zweifelhaft, daß er sich tatsächlich frage, ob er eine eigene Straftat begehe oder bei der eines anderen assistiere. 71 Vielmehr habe jeder Tatbeteiligte ein bestimmtes Interesse an der Tatverwirklichung. Eine rein subjektive Abgrenzung wird in der französischen Literatur daher abgelehnt, weshalb eine dorthin tendierende Rechtsprechung vielfach kritisiert wird. Nur bei Herzog/Marx lesen wir, daß die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht allein objektiv zu erfolgen habe, sondern auch einen animus auctoris berücksichtigen müsse. 72

3. Abgrenzung in der Rechtsprechung Eine Differenzierung nach objektiven Kriterien kann zwar die Einfachheit der Methode für sich beanspruchen, führt jedoch in gewissen Fällen zur Straflosigkeit, wenn z.B. objektiv nur Teilnahme vorliegt, diese aber nur zu einer Übertretung geleistet wurde. Um derartige Konstellationen dennoch unter Strafe stellen zu können, weicht die französische Judikatur regelmäßig eine objektive Abgrenzung auf. Dies geschieht in zweifacher Weise: Zum einen werden Tatbeteiligte, die nach der objektiven Theorie eindeutig als Täter zu qualifizieren wären, als schlichte Teilnehmer behandelt, zum anderen steigen eigentliche "complices" zu Mittätern auf. Unwillkürlich wird man sich fragen, wie ein derartiges Verfahren Stratbarkeitslücken schließen kann, da nach dem Gesetz Täter und Teilnehmer gleichgestellt sind. Ein solcher Einwand würde 67 68 69 70 71 72

Mezger, Strafrecht AT, S. 228. Nowakowski, Das östeneichische Strafrecht in seinen Grundzügen, S. 95. Vgl. nur Merle/Vitu, g~n~raI, n° 523, S. 668. Donnedieu de Vabres, Trai~,n° 441, S. 237; Thibierge, Lanotion de lacomplici~, S. 29. Merle/Vitu, g~n~raI, n° 523, S. 668; Pradel, Droit ~oal I, n° 396, S. 480. Congr~s Athenes, HerzoglMarx, Rapports fran~s, S. 63.

40

Zweiter Teil: Täterschaft W1d Teilnahme nach französischem Recht

jedoch die oben dargestellten Interessen an einer Differenzierung der Teilnahmefonnen außer acht lassen.

a) Grundsätzliche Auflockerung der Abgrenzung ("l'assouplissement et la confusion") aa) Behandlung von "veritables coauteurs" als "simples complices" ("la theorie de la complicire corespective") Betrachten wir zunächst die Abstufung eigentlicher Mittäter zu Gehilfen. Auf den ersten Blick scheint es besonders erstaunlich, gar unverständlich, wie eine Degradierung eines Mittäters zu einem Gehilfen zu Strafverschärfungen führen kann. Eine genauere Analyse der Rechtsprechung soll im folgenden dieses Vorgehen nachvollziehbar machen. Der klassische und immer wieder zitierte Fall der Abstufung eines Täters zu einem Gehilfen ist der der Beteiligung am "parricide", der Tötung eines VelWandten aufsteigender Linie, strafbar gemäß den art. 299 und 302. Die Grundsatzentscheidung erließ die Cour de cassation bereits am 9. Juni 1848.73 Der Sachverhalt selbst war recht einfach gelagert: Francois Igneux tötete gemeinsam mit seiner Frau MarieJuvigne deren Mutter Madelaine Cloquet. Beide handelten in mittäterschaftlicher Weise, was auch von der Cour de cassation nicht bestritten wurde. Dennoch bereitete die rechtliche Qualifikation dieses Sachverhaltes den Richtern Schwierigkeiten. Die Tochter Marie-Juvigne war als Mörderin gemäß art. 299 und 302 al. 1 wegen "parricide" zur Todesstrafe zu verurteilen, während ihr Ehemann, der als Mittäter eine eigene Stratbarkeit begründet hätte, mangels anderer Mordmerkmale nur aus art. 304 al. 3 (= einfacher Totschlag) mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu belegen gewesen wäre. Wenn Igneux dagegen nur Gehilfe seiner Frau gewesen wäre, hätte er keine eigene Stratbarkeit gehabt,74 sondern als "complice" die Stratbarkeit seiner Frau entlehnt. Da das VelWandtschaftsverhältnis nicht bloß eine rein persönliche Eigenschaft darstellt,75 hätte Igneux dann als Gehilfe auch aus dem Strafrahmen der art. 299 und 302 al. 1 bestraft werden müssen. Die für Igneux als Mittäter zu verhängende Strafe wäre damit niedriger gewesen als die Strafe bei einer Qualifikation Igneux' als Teilnehmer. Um dieses "schockierende Ergebnis"76 zu vermeiden, wurde entschieden, daß jeder Mittäter notwendigeIWeise dem anderen Mitschuldigen bei der TatvelWirklichung helfe und somit aus der Natur 73 Crim., 9 juin 1848, S. 1848,1,527 (= D.P. 1848,1,154). R. Ga"aud, Trai~ IB, n° 876, S. 8; Normand, Trai~, n° 692, S. 508; Laborde, n° 53?, S. 405. 7 Viehnehr handelt es sich WIl eine "circonstance mixte"; vgl. dazu W1ten S. 170 f. 74 76

R. Ga"aud, Trai~,n° 975, S.177; Pradel,Droit~nal I,n° 399,S. 482.

PJms,

1. Abschnitt: Täterschaft

41

der Sache heraus sein gesetzmäßiger Gehilfe werde. 77 Durch die Fiktion, daß jeder Mittäter der Gehilfe des anderen sei, weil sie sich gegenseitig hülfen, wird die ansonsten nicht mögliche Zurechnung der "circonstances mixtes" auch bei Täterschaft durchführbar. 78 Diese kriminalpolitischen Erwägungen erwähnt die Cour de cassation selbst nicht, vielmehr wird ihre dogmatische Begründung mehr oder weniger apodiktisch behauptet (wie überhaupt die Entscheidungen häufig eine ausführliche Begründung vermissen lassen). Jedoch läßt das anders nicht erreichbare Ergebnis eindeutig die zugrundeliegende Intention erkennen. Die Cour de cassation hatte in der folgenden Zeit noch häufiger Gelegenheit, sich in gleicher Weise zu äußern,79 so daß man von einer ständigen und gefestigten Rechtsprechung reden kann. Mit der Abschaffung der Todesstrafe durch das Gesetz vom 9. Oktober 1981 hat der spezielle Fall der Beteiligung am "parricide" allerdings an Bedeutung verloren, doch sind diese Entscheidungen von grundsätzlicher Tragweite. Ihr Gedanke findet nämlich auf alle die Konstellationen Anwendung, bei denen einer der Mittäter eine Qualität besitzt, die die Natur der Straftat oder der verwirkten Strafe verändert. 80 Eine Zurechnung ist für den anderen Mitfäter wegen seiner unabhängigen Strafbarkeitsbegründung nur möglich, wenn man ihn zum Gehilfen abstuft und damit den Weg zu einer Ableitung der Strafbarkeit ("emprunt de criminalittS") eröffnet. So wurde denn auch die Mittäterin eines Diebstahls, den sie gemeinschaftlich mit einer Hausangestellten bei deren Dienstherrn beging, als "complice" qualifiziert: 81 Lucrece Lepri und Marie Callastrini begingen gemeinschaftlich und im gegenseitigen Einverständnis im Hause des Herrn Zondadari einen Diebstahl. Beide wohnten in dessen Haus, jedoch war nur Lucrece als Hausmidchen dort angestellt; Marie lebte, ohne berufliche und finanzielle Verpflichtungen übernommen zu haben, in der Hausgemeinschaft.

77 Mehr oder weniger wörtlich wiedemolen die nachfolgenden Fntscheidungen das Urteil vom 9. Juni 1848, aaO: "Attendu que Je coauteur aide n~sairement I'autre coupable dans les faits qui consomment l'action et devient par la fOIre des choses l~galement son complice." 78 D01/Mdieu de Vabres, Trai~, n° 450, S. 262. 79 Bereits vor 1848 angedeutet: Crim., 20 avri11827, B.C n° 92, S. 249; 16 juill. 1835, B.C. n° 292, S. 348 (= S. 1835,1,895); danach: Crim., 11 sept. 1851, D.P. 1851,V,378; 24 man 1853, B.C n° 110, S. 165; 11 mai 1866, B.C n° 135, S. 16 (= D.P. 1868,V,96; S. 1867,1,143); 10 janv. 1952ÖB.C. n° 11, S. 16 (= J.C.P. 1952,1V,38); 24 mars 1953, B.C. n° 115, S. 165 (167). 8 J.CI.P., complici~, n° 33; VidallMagnol, Cours, n° 407 S. 567. 81 Crim., 8 juill. 1813, ziL nach Allix, Essai sur la coaction, S. 71 ff, 208; vgl. auch Crim., 22 janv. 1852, B.C. n° 28, S. 53 für die "circonstance mixte": EIfüllungsgehilfe.

42

Zweiter Teil: Täterschaft IDld TeiInahme nach französischem Recht

Lucrece wurde in erster Instanz als Täterin eines "vol domestique" gemäß

alt. 386 n° 3 aF bestraft, während Marie nur eine Strafe aus alt. 401 erhielt.

Die Cour de cassation hob das Urteil mit der Begründung auf, daß sich die Täter eines Diebstahls notwendigerweise helfen und sich gegenseitig beistehen. Deshalb sei jeder Gehilfe des anderen im Sinne des alt. 60 und gemäß alt. 59 gleich zu bestrafen. Der Umstand, daß Marie selbst nicht im Hause angestellt gewesen sei und nur auf Grund der Großzügigkeit des Eigentümers dort wohnte, ändere daran nichts. Durch Gesetz vom 2. Februar 1981 wurden die alt. 386 bis 392 jedoch aufgehoben, so daß dieser Fall heute nur noch historische Bedeutung hat. Die allgemeine Tragweite der "theorie de la complicite corespective" hat dadurch keinerlei Einschränkung erfahren. Ihr Anwendungsbereich ist vor allem die Beteiligung an einem Amtsdelikt. Hier sei nur der Fall der gemeinschaftlichen Unterschlagung von Staatsgeldern erwähnt: 82 Peltey, Lambert und Beaulois wurden für schuldig befunden, gemeinsam in mittiterschaftlicher Weise Staatsgelder und Finanzwecbsel unterschlagen und hinterzogen zu haben, jedoch waren nur Lambert und Beaulois Beamte, die mit der Entgegennahme von Staatseinnahmen und der Leistung von Staatsausgaben betreut waren ("comptable public").

Mit der Begründung, daß die Zusammenarbeit nichts anderes als Beihilfe im Sinne der alt. 59, 60 sei, daß der Mittäter notwendigerweise dem anderen Mitschuldigen bei der Tatbestandsverwirklichung helfe und daß er deshalb aus der Natur der Sache heraus zu seinem gesetzmäßigen Gehilfen werde,83 wurde auch Peltey wie seine Mittäter bestraft; das ergebe sich daraus, daß gemäß alt. 59 die Teilnehmer wie die (Mit-)Täter zu bestrafen seien. Dieses Vorgehen der französischen Judikatur ist von der Literatur als "theorie de la complicite corespective", als Theorie der gegenseitigen Hilfestellung bezeichnet worden. 84 Auch wenn heute in der Regel unter dieser Titulierung nur das soeben behandelte Problem gefaßt wird, so darf nicht vergessen werden, daß dieser Begriff ursprünglich für einen ganz anderen Problemkreis verwendet wurde,85 worauf heute nur noch selten hingewiesen 82 Vgl. den heutigen art. 169. Bei der Beamteneigcnschaft handelt es sich um eine "circonstance personnelle". 83 Crim., 15 juin 1860, B.C. n° 135, S. 238 (= S. 1861,1,398). 84 R. Garraud, TraiW In, n° 9CJ7, S. 64; Levasseur, Droit pmal g&i~ral compl~entaire, S. 284; Pralhl, Droit ~nall, n° 399, S. 482; Decocq, Droit pmal g&i~ral, S. 236; Puech, Les grands anets I, n° 94, S. 364; Pochon, L'auteur moral, S. 193, Fn. 2; StefanilLevasseurlBouloc, Droit pmal g6n~ral, n° 255, S. 307. 85 Vgl. Vidol/Magnol, Cours, n° 437, S. 594 ff; Donnedieu de Vabres, Traiw, n° 452, S. 264.

1. Absdmitt: Täterschaft

43

wird. 86 Gemeint war die folgende Konstellation: Mehrere Personen schlagen bei Handgreiflichkeiten auf ein Opfer ein, so daß dieses stirbt, eine bleibende Körperbehinderung davonträgt oder für mehr als acht Tage arbeitsuniahig wird; es läßt sich jedoch nicht nachweisen, welches Gruppenmitglied die jeweilige Qualifikation der art. 309 ff verwirklicht hat. Nach ständiger Rechtsprechung der Cour de cassation hat jeder Beteiligte, der tatsächlich Schläge verteilte, die Strafe der Qualifikation verwirkt, da jeder Teilnehmer letztendlich der Gehilfe dessen war, der den entscheidenden Schlag ausführte. 87 Dies kann hier jedoch noch nicht näher ausgeführt werden. 88 Es bleibt somit zusammenfassend festzuhalten, daß die französische Rechtsprechung den Begriff der Mittäterschaft vielfach aufweicht, indem sie Mittäter zu Gehilfen erklärt, um somit über die Regel des "emprunt de criminalit6" Umstände zurechnen zu können, die wegen der fehlenden Akzessorietät bei Mittätern nicht hätten berücksichtigt werden können.

bb) Behandlung von "simples complices" als (Mit-)Täter Viel häufiger noch qualifiziert die Cour de cassation diejenigen als (Mit-) Täter, die nach einer objektiven Betrachtungsweise "complices" waren. Vornehmlich erfolgt auch diese Gleichstellung in den Fällen der gleichzeitigen Zusammenarbeit mehrerer bei der Tatvollendung oder in Fällen der Anstiftung.

(1) Entscheidungen, die diejenigen als (Mit-)Täter qualifIZieren, die dem Haupttäter bei der Tatvollendung helfen Begehen mehrere gemeinsam eine Straftat, wird die Frage, wer sich als Täter schuldig gemacht hat und wer nur als Gehilfe aufgetreten ist, besonders prekär. Die Gleichzeitigkeit von täterschaftlichem Handeln und bloßen Hilfestellungen läßt deren Unterscheidung vielfach schwierig werden. So hat die Cour de cassation mehrfach entschieden, daß derjenige, der dem (Haupt-) 86 Vgl. jedoch Pradel, Droit g~rall, 0° 399, S. 482; PradellVarinard, Les grands arrets I, 361S. 3S4 f; Puech, Les grands anSts, 0° 96, S. 364. 8 Crim., 14 dk. 19S5, B.C. 0° S66, S. 989; 22 mai 19S7, B.C. 0° 436, S. 782; 12 oct. 1961, B.c. 0° 399, S. 764 (= D. 1962,Sonun.,86 mit Anm. Ugal, R.S.C. 1963, 103; 13 juin 1972, B.C. 0° 103, S. 17S (= D. 1972,Sonun.,202) mit Anm.LArguier, R.S.C. 1973, 879; 2S f~vr. 1975, B.C. 0° S, S. 176; 10 avril197S, B.C. 0° 90, S. 256; 19 mai 1978, D. 1980;,3 mit Anm. Galia-Beauches-



neo

88

Vgl. unten S. ISS ff.

44

Zweiter Teil: Täterschaft und Teilnahme nach französischem Recht

Täter bei der Tatbestandsvollendung helfe, notwendigerweise bei der Straftatverwirldichung als Mittäter kooperiere. 89 Die gleichzeitige und gemeinsame Begehung eines Deliktes mache alle Beteiligten zu Mittätern, auch wenn jemand nur Beihilfehandlungen leistete. Wie mit dieser Begründung erneut kriminalpolitischen Erwägungen entsprochen wird, soll im folgenden untersucht werden. Bei bestimmten Delikten führt die Tatausführung durch mehrere Täter zu einer Straferschwerung. So ist der einfache Diebstahl (art. 379) gemäß art. 382 al. 3-2 0 zu einem "vol en reunion" qualifiziert, wenn er durch zwei oder mehr Personen begangen wurde. Vorherrschend wird davon ausgegangen, daß dies nur gilt, wenn jene täterschaftlieh handelten, anderenfalls wäre bereits bei jedem einfachen Diebstahl, der unter Mitwirkung eines Gehilfen ausgeführt wurde, eine Qualifikation erfüllt. Dem Sinn des Gesetzes kann es aber nicht entsprechen, damit die allgemeinen Teilnahmeregelungen zusätzlich zu verschärfen. 90 Die erste hier interessierende Entscheidung stammt bereits aus dem Jahre 1813,91 einem Zeitpunkt, in dem die links-rheinischen Gebiete unter französischem Protektorat standen: WähRnd eine gewisse Frau Srecis, n° 262, S. 549; ders., Traiti III, n° 975, S. 175; Levasseur, Droit p6na1 gm6ral compl6mentaire, S. 362; Donnedieu de Vabres, Trait6, n° 448, S. 260; Larguier, Droit pmal g6t6ral, S. 59; MerlelVitu, gm6ral, n° 516, S. 660; Pradel, Droit pmall, n° 384, S. 471; Stefani/Levasseur/Bouloc, Droit pmal gm6ral, n° 278, S. 325; Puech, Les grands lII'rSts I, n° 97, S. 369; Janicot, Etude, S. 100; Chauten, Etude sur la compliciti, S. 157; Ma~nol, R.S.C. 1936,410,411; Anm. Villey, S. 1884,1,353. 7 Crim., 3 juill. 1806, B.C. n° 107, S. 185; 25 f6vr. 1819, B.C. n° 30, S. 98.

168

Zweiter Teil: Täterschaft und Teilnahme nach französischem Recht

rigkeit des Haupttäters".38 Zur Begründung stützt man sich auf art. 59, nach dem der "complice" nur die "crirninalite de l'acte principal" entleihe und nicht auch die persönliche Situation des Haupttäters mit zu verantworten habe. Die "circonstances/excuses personnelles" selbst betreffen nämlich nicht die "criminalite de l'acte principal", sie modifizieren allein die Schuld ("la culpabilite") des Haupttäters.39 Dieser herrschenden Meinung tritt - wie wir bereits an anderer Stelle gesehen haben40 - Carbonnier entgegen, indern er eine unterschiedliche Behandlung von "circonstances reelles" und "circonstances personnelles" ablehnt. 41 Er will beide Arten der "circonstances/excuses" auch dem Teilnehmer zurechnen, denn sie seien gesetzliche Merkmale des Tatbestandes, und alles, was "dans la loi" die Strafbarkeit des Haupttäters berühre, modifiziere ipso facto auch die auf den Teilnehmer anzuwendende Strafe. Nur für Rückfällige und minderjährige Täter sei eine Ausnahme zu machen, da diese "circonstances" einen generellen, nicht auf einen gesetzlichen Tatbestand beschränkten, Charakter aufwiesen. Dieser Gedanke ist von der Literatur nicht aufgegriffen worden. Er ist, wie Carbonnier selbst feststellt, nur vertretbar, wenn man in art. 59 die Normierung eines "renvoi de penalite" sieht, der dem Richter einen Spielraum zu unterschiedlicher Bestrafung von Tätern und Teilnehmern läßt. Nur Ugal will - allerdings ohne auf Carbonnier einzugehen - dem Teilnehmer sämtliche "circonstances" zurechnen. 42 Zunächst sei eine klare Abgrenzung von subjektiven und objektiven Umständen nicht möglich, auch die Rechtsprechung rechne eigentlich subjektive Merkmale - wie die Beamteneigenschaft oder eine bestimmte Absicht des Täters - dem Teilnehmer zu. 43 In dem Moment, in dem jemand einern anderen seine Hilfe leihe, müsse er für alle Konsequenzen des strafbaren Unternehmes einstehen, und es grenze an Betrug, ihm von vornherein eine Freistellung von gewissen Risiken zu garantieren. Eine gerechte Straffindung sei weiterhin durch den den Richtern zu38 Crim., 3 janv. 1834, B.C. n° 6, S. 6; 12oct. 1882, B.C. n° 233, S. 396 (= S. 1884,1,353). 39 Vgl. nur. M~r/~lVitu, aaO; Pradel, aaO; Janicot, Etude, S. 24. Allerdings können nach Ortolan, Flmtents I, nOs 1285 f, S. 622 fauch "cirronstances personnelles" die "criminalit6 de I'acte principal" betreffen; dennoch will auch er die Strafe des "complice" mildern, der die "cin:onstance personnelle" nicht elfOllt. 40 Siehe oben S. 103 ff. 41 Carbonnier, Du sens de la repression applicable aux complices selon rart. 59 du code pmal, I.C.P. 1952,1,1034. 42 Act~s du Congres Athenes,Ugal, S. 88 f; ders., Congres Athenes, Rapports fran~s, S. 16; ders.~R.S.C. 1955,513,515; vgJ. auch Blanch~, Etudes 11, n° 65, S. 127. 4 VgJ. unten S. 170 ff. Im übrigen qualifiziert sie in der Tat ein und dasselbe Merkmal einmal als "cin:onstance personnelJe" und dann als "circonstance !Ulle"; z.B. den Strafmilderungsgrund der Provokation: Crim., 19 janv. 1838, S. 1838,1,128 und 28 juill. 1921, S. 1922,1,142 ("personnelle"); Crim., 12 oct. 1882, B.C. n° 233, S. 396 und die Uberwiegende Rechtsprechung - vgJ. unten S. 169, Fn. 46 - ("reelle").

3. Abschnitt: Die Strafe der Beteiligten (art. 59)

169

gestandenen Spielraum der Anwendung von "circonstances attenuantes" gewährleistet. Hingegen schlug Ortolan vor, persönliche Umstände, die den Strafcharakter der Tat beträfen, abgestuft nach der beim Tatverlauf gespielten Rolle, den Tatbeteiligten zuzurechnen. Sie sollten auf denjenigen, der sie in seiner Person verwirklichte, vollständig, auf die übrigen, insoweit nur akzessorisch Beteiligten, in abgeschwächter Form Anwendung finden. Diese Auffassung hat in der Literatur keine Anhänger gefunden44 und wurde von Ortolan selbst als "science pure" und damit zumindest für einen Gesetzgeber als unpraktikabel qualifiziert. 45

bb) "Circonstances/excuses reelles" Im Gegensatz zu den "circonstances/excuses personnelles" sind die "circonstances/excuses reelles", die der Haupttäter erfüllt, auch dem Teilnehmer zuzurechnen. 46 Dies gilt unabhängig davon, ob die Umstände eine Strafverschärfung oder -milderung oder gar einen Strafausschluß47 nach sich ziehen. Zur Begründung stützt man sich auch hier auf art. 59 und den dort normierten Grundsatz des "emprunt de criminalittS". Die "circonstances/excuses reelles" seien dem "fait principal" zugehörig oder gliederten sich diesem zumindest an. Notwendigerweise seien sie deshalb auch dem Teilnehmer zuzurechnen, der seine Strafbarkeit der des "fait principal" entleihe.

Die Rechtsprechung vertritt diese Auffassung, ohne zwischen straferschwerenden und strafmildernden Umständen zu differenzieren und verlangt vom Teilnehmer nicht, daß er zumindest die straferschwerenden Umstände kannte. 48 Im Abschnitt "Verwirklichung der geplanten Straftat mit straferschwerenden Umständen"49 haben wir bereits ausgeführt, daß die Rechtsprechung dies mit dem allgemeinen Risiko begründet, das ein Teilnehmer übernimmt, der sich an eine geplante Straftat "anhängt". Entgegengesetzt wollen die An44 45

Popineau, Oe la compliciti, S. 191. Ortolan, EI6nents I, n° 1286, S. 623.

46 Crim.,12 oct. 1882, B.C. n° 233, S. 396 (398) (= S. 1884,1,353 (354»; 26 juitl. 1895, B.C. n° 217, S. 365; 8 80th 1895, D.P. 1899,V;343; 2 f~r. 1905, B.C. n° 49, S. 79 (80) (aUe: Entscheidungen zum Strafmildenmgsgnmd der Provokation); 7 avril 1932, B.C. n° 93, S. 173 (174) (rotschlag in Verbindung mit einem Diebstahl); 26 janv. 1954, B.C. n° 32, S. 57 (60) (Nacht); 17 mai 1962~D. 1962),473 (MitfUhren einer Waffe); 12 mars 1968, B.C. n° 83, S. 199 (200) (Waffe). 4 Vgl. laut Levasuur, Droit pmal gm~ral compl6nentaire, S. 364 f, z.B. die RechtfertigtUlgsgrUnde IDld die "immuniti" nach art. 380. 48 Crim., 11 aotlt 1899, B.C. n° 252, S. 438 (439); 31 ~. 1947, B.C. n° 270, S. 394 (= I.C.P. 194UV,29); 10f~vr. 1949, I.C.P. 1949,1V,50; 19 juin 1984, B.C. n° 231, S. 612 (617). Vgl. oben S. 140.

170

Zweiter Teil: Täterschaft und Teilnahme nach französischem Recht

hänger der Rechtsprechung nur entscheiden, wenn der Teilnehmer vor Tatbegehung ausdrücklich gewisse straferschwerende Umstände ausgeschlossen sehen will. 50 Dabei stützen sie sich nicht nur auf die Regel des art. 59, sondern auch auf die Vorschrift des art. 63 al. 2 aF, nach der der Hehler nur dann der schweren Hehlerei strafbar war, wenn er die straferschwerenden Umstände kannte. Im Umkehrschluß sei zu folgern, daß der Teilnehmer sonstige straferschwerende Umstände nicht kennen müsse, es vielmehr ausreiche, wenn er um die strafbare Natur der Haupttat als solche wisse. Die Gegner der Rechtsprechung verlangen für die Annahme einer verschärften Strafbarkeit auch des Teilnehmers dessen Kenntnis der "circonstances aggravantes".51 Man könne, wie sich aus art. 60 ergebe, nur an etwas teilnehmen, das man gekannt habe. War dem Teilnehmer nur die Natur der Haupttat klar, habe er aber nicht um das Vorliegen straferschwerender Umstände gewußt, so müsse dieser "defaut de connaissance partielle,,52 auch zu einer Strafmilderung für ihn führen. Der "element moral" der "complicite" bezöge sich auf die gesamte Straftat und damit auch auf die "circonstances aggravantes". Wenn es möglich sei, den Teilnehmer zu bestrafen, während der Haupttäter straflos bliebe, dann verstieße es auch nicht gegen art. 59, ihn geringer als den Haupttäter zu bestrafen, wenn er die straferschwerenden Umstände nicht kannte. 53

cc) "Circonstances mixtes" Schließlich gibt es straferschwerende beziehungsweise -mildernde Umstände, die sowohl einen persönlichen als auch einen sachlichen Charakter aufweisen. Diese Umstände modifizieren nicht nur das Unrecht der betreffenden Straftat, sondern auch die Schuld des Strafttäters. Die Literatur hat für diese Art der Umstände den Begriff der "circonstances mixtes" geprägt.54 Zu diesen Umständen zählt z.B. die Hebammeneigenschaft bei den Abtreibungsdelikten und die Hausangestellteneigenschaft beim "vol domestique". 50 Bertauld, Coun, 23°le~n, S. 509 f; vgl. i.tl. Donnedieu de Vabres, Trait6, n° 974, S. 168 f; Trlbutien, Cours ~I~mentaire I, n° 713, S. 519 f; Larguier, Droit ~nal g~ral, S. 59; BouzatlPinatel, Trait6 I, n° 791, S. 766; Janicot, Etude, S. 34; Teodoresco, ThOOrie de la complicit.6, S. 95; Actes du Co~res Athenes, Ugal, S. 88; zweifelnd Pradel, Droit ~nal I, n° 384, S. 472 1 Ortolan, FJmtents I, n° 1288, S. 623; Chaveau/Hllie, ThOOrie I, n° 304, S. 476; Chauten, Etude sur la complicifi, S. 142 f; Benoit·Champy, Essai sur la compIicit.6, S. 84; Desguerrois, Etude sur la complicit.6, S. 175; MerleNitu, gmeral, n° 516, S. 661; Magnol, R.S.c. 1949,337,338; Actes du Congres Äthenes, Herzog, S. 89. 52 Chaveau/Hllie, aaO. 53 Chauten, Etude sur la complicit6, S. 143. 54 Chavanne, Les circOJllltances aggravantes eil droit f~s, R.I.D.P. 1965,527,532.

3. AbSrecis, n° 148, S. 134. 8

13 VgJ. Crim., 13 juin 1902, B.C. n° 220, S. 394lDld oben S. 62Fn. 174. 14 Gulphe, La distinction, R.S.C. 1948, 665, 677; Abdulnour, La distinction, S. 92 R.S.C. 1962,749.

f; Ugal,

192

Dritter Teil: Rechtsvergleidiende Wertung

Trotz dieses ersten Anscheins wird man das französische System auch nicht dem funktionalen Einheitstäterbegriff zuordnen können. Denn wie das formale Einheitstätersystem ist das funktionale ein monistisches. An die Stelle des Akzessorietätsprinzips tritt der Grundsatz der "autonomen Verantwortlichkeit der Beteiligten" .15 Ganz im Gegensatz dazu hat das französische Recht immer die Auffassung vertreten, daß allein der Täter eine eigene Strafbarkeit besitze, während der "complice" seine Strafbarkeit nur der der Haupttat entlehne. Gleichgültig, ob Be1ürworter oder Gegner des Prinzips des "emprunt de criminalite", alle haben sie das französische System dem des "emprunt" und nicht dem des Einheitstäters zugerechnet. 16 Auch der teilweise für "emprunt de crlminalite" verwandte Begriff "complicite-delit unique"17 ist kein Bekenntnis zum Einheitstäter, sondern soll gerade verdeutlichen, daß Täter und Teilnehmer gemeinsam eine Straftat und nicht jeder eine eigene begehen. Auffallend ist, daß selbst im Bereich der Übertretungen kein Einheitstätersystem vertreten wird. Nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Meinung in der Literatur bleibt die Beihilfe an einer "contravention" straflos. 18 Täterschaft und Teilnahme werden also auch bei Verwirklichungen von Übertretungen unterschieden, ihre Beteiligung nicht, wie in § 14 OWiG, in einer Beteiligungsform zusammengefaßt. Insofern sei darauf hingewiesen, daß auch auf deutscher Seite die Einheitstäterlösung im Ordnungswidrigkeitenrecht auf Kritik gestoßen ist. 19 Sie habe kaum praktischen Nutzwert, ergebe bei der dogmatischen Bewältigung aber mindestens ebenso große Schwierigkeiten wie ein zwischen Beteiligungstypen differenzierendes System.20 Zudem führe sie zu einer offensichtlich vom Gesetzgeber nicht gewollten Ausuferung der Ahndungsmöglichkeiten. 21 Auf dem Gebiet der Übertretungen generell ein Einheitstätersystem einzuführen, ist in Frankreich weder der Rechtsprechung noch der Literatur in den Sinn gekommen. Allerdings hat die Rechtsprechung, wie wir gesehen haben,22 bei gleichzeitigem Zusammenwirken von Tätern und "complices" an einer "contravention" letztere als Täter qualifiziert und auf diese Weise eine Strafbarkeit auch des "complice" einer Übertretung ermöglicht. Damit hat sie Kienapfel, in: MOIler-Dietz, S. 36. L. Roux, De la compIicitt par provocation. S. 281; DonMdieu de Vabres, Traitt, n° 455, S. 266; LArguier, Droit pmal g~n~ral, S. 60; Merle/Vitu, g~n~raI, n° sen, S. 651; Biswang, La distiootioo1S. 31; vgl. audi Bloy, Zurechnungstypus, S. 150; Hoberg, Der Begriff der Anstiftung, S. 54. 1~ LArguier, aaO. 15 16

19

Vgl. oben S.

35, Fn. 39, 69, Fn. 1. 1969, 1929 ff; R.

Cramer, NJW

Maurach, S. 238 ff. 20 Cramer, NJW 1969,1929,1931. i~ Cramer, NJW 1969, 1929, 1932. Vgl. oben S. 47 ff.

Schmitt, Ordlllmgswidrigkeitenrecht, S.

36;

Lange, FS-

1. Abschnitt: EinOrdnWlg des französischen Systems

193

zwar den Begriff des "auteur" ausgeweitet und so auch den Kreis der "Beteiligten" an einer "contravention" ausgedehnt, auf eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme wollte sie aber auch in diesem Bereich nicht verzichten. Sie hat weiterhin entschieden, daß "complicire" zu Übertretungen nicht strafbar sei. Diese Rechtsprechung kann daher auch nicht als Beweis dafür dienen, im Ordnungswidrigkeitenrecht der Natur der Sache nach zwingend eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme aufgeben zu müssen, denn sie findet ihre Ursache nicht in der Besonderheit der Beteiligung an Übertretungen, sondern diente nur der Strafbegrülldung überhaupt und ist auch in anderem Zusammenhang vertreten worden.

III. Akzessorietätsprinzip Das Prinzip des "emprunt de criminalire" ist also ein Akzessorietätsprinzip,

das zwischen verschiedenen Beteiligungsformen unterscheidet; die Strafbar-

keit der Teilnahme ist abhängig vom Vorliegen einer Haupttat. Bekanntermaßen unterscheidet man zwischen strenger und limitierter Akzessorietät. 23 Nach dem Grundsatz strenger Akzessorietät ("emprunt absolu") muß der Haupttäter eine strafbare Handlung begangen haben ("fait principal punissable"), aus deutscher Sicht eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat. 24 Hingegen verlangt eine limitierte Akzessorietät für die StrafbarkeitsbegfÜndung des Teilnehmers nur, daß die Tat des Haupttäters tatbestandsmäßig und rechtswidrig war. Das Prinzip des "emprunt de criminalire" setzt für die Annahme strafbarer Teilnahme einen "fait principal punissable" voraus. Die französischen Autoren ordnen das französische System von Täterschaft und Teilnahme daher dem "emprunt absolu" zu. 25 Danach schließt sich der "complice" einer Haupttat an und akzeptiert im voraus alle denkbaren Eventualitäten. Bereits bei den den code penal vorbereitenden Arbeiten hieß es: Alle, die an einem Verbrechen durch Provokation oder Beihilfe teilgenommen haben, verdienen die gleichen Strafen wie die Täter oder Kooperateure. Wenn die Strafen durch "circonstances aggravantes" erhöht werden, dann erscheint es nur gerecht, daß diese Verschärfungen alle die betrifft, die das Verbrechen begünstigt, zu ihm Hilfe geleistet oder es vorbereitet haben;

23 Vgl. nur Jescheck, Lehrbuch, S. 593. 24 Zum Vonatzerfordemis vgl. allerdings oben S. 143 ff IUld lUllen S. 221 ff. 2S R. Go"oud, Traiti III, n° 878, S. 10; VidallMognol, Cours, n° 406-5, S. 562; Donnedieu de Vobres, Traiti, n° 520, S. 203; Bouzat, Traiti, n° 718, S. 488; Decocq, Droit pmal gmeral, S. 242; Pradel, Droit pmal I, n° 382, S. 470; Thibierge, La notion de la complicite, S. 11; Rep. pen., 00ffip1icite, n° 8. 13 Czep1uch

194

Dritter Teil: Rechtsvergleicbende Wertung

sie haben sich allen denkbaren Begebenheiten unterworfen und haben in alle Folgen des Verbrechens eingewilligt.26 Aber auch wenn der code penal von dem strengen "emprunt-System" ausgeht, so haben wir im Rahmen dieser Untersuchung feststellen können, daß dieses verschiedene Auflockerungen erfahren hat. Zunächst entspricht es herrschender Auffassung, daß die strafbare Haupttat nur eine objektiv strafbare sein muß ("fait principal punissable").27 Der "complice" kann auch dann pönalisiert werden, wenn eine Strafbarkeit des Haupttäters wegen dessen Schuldunfähigkeit entfällt. Nach herrschender französischer Auffassung wird nicht einmal eine vorsätzliche Haupttat vorausgesetzt, vielmehr ist sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige "complicit6" an einer Fahrlässigkeitsstraftat möglich. 28 Wenn das französische Recht mit ausländischen Rechtsordnungen, die sich für einen "emprunt relatif' entschieden haben, verglichen wird, so weisen eine nicht unerhebliche Zahl von Autoren darauf hin, daß der code penal zwar von einem "emprunt de criminalit6" ausgehe, sich die Praxis de facto jedoch einem "emprunt relatif' angenähert habe; sie komme vielfach zu denselben Ergebnissen. 29 Seit Carbonnier wird deshalb überwiegend auch von einem "emprunt de penalit6" und nicht von einem "emprunt de criminalit6" ausgegangen. 30 Folgerichtig spricht Pradel von einem "emprunt absolu de penalit6".31 Auf deutsche Terminologie übertragen bedeutet dies, daß das französische Recht, ausgehend von einem Prinzip der strengen Akzessorietät, sich Schritt für Schritt dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät genähert hat, ohne für die Haupttat ein vorsätzliches Handeln des Haupttäters zu verlangen. 32 Allerdings haben wir auch bereits darauf hingewiesen, daß ein reines System des "emprunt relatif' für das französische Recht nicht als wünschenswert erachtet wird. 33 So schreibt z.B. Biswang, im Einzelfall könne auch der Teilnehmer einen "röle principal" spielen und deshalb strafwürdiger als der Haupttäter sein. Eine obligatorische Strafmilderung sei daher abzulehnen. Eine fakultative Strafmilderung könne derartige Fälle zwar ebenfalls gerecht lösen, aber es sei fraglich, ob der Richter gegebenenfalls tatsächlich nicht von einer Strafmilderung Gebrauch macht. Deshalb forderten diese Systeme auch 26 Target, in: Locre, La I~gislation de Ja France, Bd. 29, s. 32, n° 21. 27 DuPUJ, La provocation, s. 33 f; I.CI.P., compIici~, n° 35; vgl. auch oben S. 99, Fn. 134 m.~~ .. VgI. oben S. 143 ff. 29 Teodoresco, ~rie de la complici~, S. 91; Gulphe, La distinction, R.S.c. 1948,665,667; Uaute, Coactivi~, compIici~ et provocation, R.p.s. (= SchwZCitr) 1957, I, 2, 7, 18; Congres Athenes, Herzog/Man:, Rapports fran~s, S. 64. 30 VgI. oben S. 103 ff. 31 Pratkl, aaO. ~; So auch Jescheck, Lehrbuch, S. 599. Vgl. oben S. 102 f.

I. Abschnitt: Einordntmg des 1'nn7lIsischen Systems

195

eine spezialgesetzliche Regelung der Strafbarkeit des Provokateurs. 34 Da sich diese Kritik jedoch weniger auf den Verzicht einer tatsächlich strafbaren Haupttat bezieht als auf die Einführung einer Strafmilderung für den Gehilfen - sei sie fakultativ oder obligatorisch - wollen wir sie auch erst im Abschnitt über die Strafe der Beteiligten würdigen. 35

B) Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme

Im ersten Teil der Arbeit haben wir ausführlich die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnabme im französischen Recht untersucht. Dabei haben wir drei große Linien ausmachen können: Zunächst die der herrschenden Lehre entsprechende Abgrenzung nach dem rein objektiven Kriterium der Begehung der Straftat;36 dann die teilweise vertretene Auffassung, die die beim Tatverlauf gespielte Rolle für die Qualifizierung von Täterschaft oder Teilnahme maßgebend werden läßt,37 und schließlich die Auffassung der Rechtsprechung, die eine zunächst objektiv ausgerichtete Abgrenzung aufweicht, indem sie auf zeitliche Faktoren und ein gemeinsames Zusammenwirken abstellt.38

I. Überwiegende Auffassung in der Literatur Befassen wir uns zunächst mit der in der Literatur vorherrschenden Auffassung, so ist ihre Zuordnung zu den objektiven Theorien deutscher Vorstellung offensichtlich. Zudem wird man sie der älteren formal-objektiven Theorie39 zurechnen können,40 nach der, streng am Wortlaut der Handlungsbeschreibungen der einzelnen Tatbestände orientiert, Täter ist, wessen Verhalten vom Straftatbestand erfaßt wird. Die herrschende Lehre Frankreichs vertritt damit einen restriktiven Täterbegriff.41 Die auf deutscher Seite an der formal-objektiven Theorie geäußerte Kritik, sie führe durch ihren Fonnalismus zu einer 34 Biswang, La distinction, s. 206 f. 35 VgL unten s. 227 ff. 36 Vgl. oben S. 36 f. 37 Vgl. oben S. 37 ff. 38 Vgl. oben S. 39 ff. 39 v. Hippe/, Deutsches Strafrecht Il, S. 453 f; v. Liszt, Lehrbucb, S. 220; v. üsztlSchmidt, Lelubuch I, S. 334 f; Mezger, Lehrbucb, S. 444; Be/ing, Die Lehre vom Verbrechen, S. 408 f; Rosenfeld, Frank-Festgabe 11, S. 169. Zum Oberblidt: Roxin, TIlerschaft und Tatllemchaft, S. 34 ff; Winter, Die Entwicldung der Mittiterschaft im 19. Jalubundert, S. 157 ff.

40 Dien, TIlerschaft und Teilnabme im ausllndischen Recht, S. 30; BaumannlWeber, Strafrecht AT, S. 530, Fn. 16; Dahm, TIlerschaft und Teilnahme, S. 35, Fn. 50. 41 Vgl. be~its oben S. 29.

13·

196

Dritter Teil: Rechtsvergleichende Wertung

starren Bindung an den Gesetzeswortlaut und könne somit nicht die Figur der mittelbaren Täterschaft erfassen,42 kann für das französische Recht nicht in gleicher Weise Geltung beanspruchen. Zunächst sieht der code penal keine dem § 25 Abs. I 2. Alt. StGB entsprechende Vorschrift vor. Zudem wird eine solche auch nicht de lege ferenda gefordert. Die Kritik ist nur insofern berechtigt, als diese Theorie vielleicht nicht befriedigend zu erklären vermag, wieso derjenige Täter sein soll, der einen Dritten als "simple instrument" zur Tatausführung benutzte. Die von der Rechtsprechung diesbezüglich entschiedenen Sachverhalte betrafen in der Regel jedoch Konstellationen, bei denen der Einsatz des Vordermannes de facto dem Einsatz eines Tatwerkzeuges entsprach, der (mittelbare) Täter sich also selbst am Tatort befand und den Vordermann gleich einem Werkzeug einsetzte. Freilich grenzt ein derartiger Begründungsversuch, der nach unserer Kenntnis von Seiten der formal-objektiven Theorie Frankreichs bisher auch noch nicht unternommen wurde, an die Auffassung Belings, nach der die mittelbare Täterschaft "überhaupt kein Problem"43 darstellt, weil der "übliche Sprachgebrauch"44 auch denjenigen als Tötenden oder Wegnehmenden erfasse, der sich dazu eines anderen als Werkzeug bediente. Gerade damit wird aber der Grundsatz der formal-objektiven Theorie, die persönliche Vornahme der Ausführungshandlung zum Abgrenzungskriterium zu küren, geopfert. 45 Schließlich könnte der französischen formal-objektiven Theorie ebenfalls vorgeworfen werden, sie versage bei reinen Erfolgsdelikten46 und könne der Mittäterschaft bei arbeitsteiligem Vorgehen nicht gerecht werden. 47 Von französischer Seite ist derartige Kritik jedoch nicht geäußert worden. 48

11. Teilweise in der Literatur vertretene Auffassung Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung der Abgrenzung nach der beim Tatverlauf gespielten Rolle ist ebenfalls den objektiven Theorien zuzurechnen. Die Einordnung in eine bestimmte deutsche Theorie ist hingegen nicht so offensichtlich. Indem die französische Literatur zwischen primärer und sekundärer Rolle unterscheidet, und damit nicht mehr maßgeblich auf die eigenhändige Verwirklichung des tatbestandlichen Verhaltens abstellt, hat sie 42

Rann, Tltenchaft und Tathemchaft, S. 36; Jelcheck, LellJbuch S. 528.

45

Roxin, aaO. BaumannIWeber, Strafrecht AT, S. 530; BockelmannlValk, Strafrecht AT, S. 187; Jelcheck,

43 Beling, Methodik, S. 102. 44 Beting, Methodik, S. 99.

46

LellJbuch, S. 587. 47 Rann, Tltenchaft und Tathemchaft, S. 37; Küpper, GA 1986,437,439. 48 Ansitze zur Kritik jedoch bei Gulphe, La distinction, R.S.C. 1948,665,673.

1. Abschnitt: Einordlllmg des franz!lsischen Systems

197

sich von der fonnal-objektiven Betrachtungsweise gelöst und den materiellobjektiven Theorien deutscher Doktrin angeschlossen. Aber genau wie im deutschen Recht nicht von einer einheitlichen materiell-objektiven Theorie gesprochen werden kann,49 so kennt auch die materiell-objektive Theorie Frankreichs verschiedene Ausgestaltungen. Wenn für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme zunächst davon ausgegangen wird, daß Täter nur sein kann, wer die primäre, die Hauptrolle, Teilnehmer, wer die sekundäre, akzessorische Rolle.50 spielt, dann ist damit ein zwischen Täter und Teilnehmer in gewisser Weise bestehendes Ober- und Unterordnungsverhältnis vorausgesetzt. Täter ist derjenige, der den dominierenden Part zur Straftatverwirklichung übernommen hat, sein "complice" leistet nur Beistand,.51 ohne die Haupttat selbst zu bestimmen..52 Diese Auffassung weist Parallelen zu der von Richard Schmidt und Dahm vertretenen Überordnungstheorie auf, nach der die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme danach erfolgt, ob zwischen den Beteiligten ein Verhältnis der Über- und Unterordnung besteht.53 Jedoch geht man in der französischen Literatur, wenn man von "röle principal" oder "secondaire" spricht, zunächst weniger von der zwischen Tätern und Teilnehmern bestehenden Beziehung, als von dem jeweils geleisteten Kausalbeitrag aus. Damit erhält diese Theorie einen kausalen Ansatz..54 "Auteur principal" ist, wer für die Straftatverwirklichung die "cause premiere" oder "directe" gesetzt hat, der Teilnehmer hingegen legt nur eine "cause secondaire", "auxiliaire" oder "indirecte" , ohne die Straftat selbst zu verwirklichen..5.5 Im Gegensatz zu der in Frankreich vorherrschenden Adäquanztheorie.56 tendieren die Vertreter dieser Auffassung zu einer individualisierenden Kausalitätstheorie, indem sie für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme das Setzen eines direkten oder indirekten, eines unmittelbaren oder mittelbaren Kausalbeitrages entscheidend werden lassen. Diese Theorie wird sich entgegenhalten lassen müssen, daß eine 49 Zum ÜbeJblick: Roxin, TIterschaft IDld Tatherrschaft, S. 38 ft"; Winter, Die EntwickllDlg der Mittlterschaft im 19. JalublUldert, S. 186 ff. 50 "Röle principal-secondaire": Desguerrois, Etude sur la complici~, S. 161; Arun. J.-A. Roux, S. 1929,1,33; Congres Athenes, R. Vouin, Rapports fran~s, S. 2.5; "röle principal-accessoire": R. Ga"aud, Precis, n° 2.50, S. 519; R. Vouin, aaO; vgl. oben S. 37 ff. .51 Cuche, Precis, n° 14.5, S. 129; Chauten, Etude sur 18 complici~, S. 11; Thibierge, La notion de 18 fOIIlPlici~, S. 8. 52 Cha1leauJHllie,1Morie I, n° 28.5, S. 448 . .53 Richard Schmidt, GrlUldriß, S. 161; Dahm, Tllerschaft IDld Teilnahme, S. 43 . .54 Zu den deutschen KausaliWstheorien vgl.: 11. Feuerbach, Lehrbuch, S. 80, 83; Stübel, Ueber den Thatbestand der VeJbrechen, S. 29 f, 32, 34 ff; Luden, AbhandllDlgen, S. 262ft"; 11. Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhange, S. VII; 11. Liszt, Lehrbuch, S. :i04 f . .5.5 BertDuld, Cours, 22° le~ S. 481; Cha1leauJHllie, 1Morie I, n° 285, S. 448; Ortolan, EI&nents I, n° 12.57, S. 611; Thibierge, aaO. 56 Pradel, Droit p6na1 I, n° 34.5, S. 430; Crim., 3 nov. 19.55, D. 19.56),2.5 (26); 15 janv. 19.58, J.C.P. 19.59,ß,11026; 2.5 mai 1982, B.C. n° 134, S. 368 (369 f).

198

Dritter Teil: Rechtsvergleicbende Wertung

Handlung nicht mehr oder weniger für den Eintritt eines Erfolges kausal sein kann, denn entweder ist diese kausal oder sie ist es nicht.57 Vermutlich deshalb ist sie von den französischen Autoren des 20. Jahrhunderts nicht mehr vertreten worden. Der kausale Gesichtspunkt, der hauptsächlich dazu dienen sollte, in Verbindung mit subjektiven Elementen einen "auteur intellectuel" als "auteur principal" anzuerkennen, wurde nach und nach aufgegeben, für die Deutung von "röle principal - röle secondaire" nach neuen Kriterien gesucht. Dabei stützte man sich nunmehr darauf, daß der Täter einen wesentlichen, unentbehrlichen Tatbeitrag geleistet haben müsse; seine Handlungen mußten also für die Straftaterfüllung notwendig gewesen sein.58 Auf deutscher Seite ist eine derartige Notwendigkeitstheorie von Berner,59 Liepmann,60 Baurngarten61 und Kohlrausch62 vertreten worden. Während Thibierge noch wie diese von einern kausalen Ansatzpunkt ausgeht, stellt Donnedieu de Vabres das zwischen den Teilnehmern und der Tätigkeit des Haupttäters bestehende Verhältnis in den Vordergrund. Diesen Gedankengang baut Legal aus. Zunächst spricht allerdings auch er noch von direkter und indirekter Partizipation.63 Indern er dann aber an eine Über-/Unterordnung anknüpft, bei der der Täter die Führungsrolle zur Straftatverwirklichung einnimmt, während der "complice" nur als "agent subalterne" auftritt,64 führt er schließlich mit der Qualifizierung des Haupttäters als "maitre d'reuvre" ein neues Abgrenzungskriterium ein. 65 Täter ist der Herr des Werkes, also jener, der das Straftatgeschehen beherrscht. Damit wird der Täter als Inhaber der Tatherrschaft zur "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" im Sinne Roxins.66 Der Begriff des "maitre d'reuvre" erlebte jedoch bei weitem nicht den Durchbruch, den der der "Tatherrschaft" in Deutschland erfahren hat. 67 Wenn die primäre beziehungsweise sekundäre Rolle der Beteiligten inhaltlich genauer bestimmt werden soll, wird vielfach wieder auf die herrschende formal-objektive Theorie zurückgegriffen: Einen "röle principal" hat inne, wer die Tatbestands-

57 So auch J~sch~cl.:. Lelubuch. 2 Aufl .• S. 215; vgl. auch Gulph~, La distinction, R.S.c. 1948, 665 678 f in bemg auf Fahrllssigkeiudelikte. ~8 Thibierg~, aaO; DON/edi~u ck Vabr~s, Trait6, n° 431, S. 250. 59 B~rner, Lehrbuch, S. 169. 60 Li~pmalln, Einleitung in das Strafrecht, S. 76 f. 61 Baumgart~n,ZStW 37 (1916),517,529. 62 Kohlrausch, ZStW 55 (1936),384, 394. 63 Ugal,R.S.C.1957,131,132. 64 Ugal, aaO; ckrs., R.S.C. 1962,749,750. 65 Ugal, R.S.C. 1962,749,750. 66

RtUin, Tllenchaft \Dld Tathemchaft, S. 25. Nur Sitz, Autcur intellectuel et auteur moral, R.I.D.P. "auteur intellectuel" von "son mlvre propre".

67

1936, 140, 149,

sprach schon beim

1. Abschnitt: EinoMllImg des franzlisischen Systems

199

merkmale ausführt; der Teilnehmer spielt einen "röle accessoire", weil er dem Täter nur bei der Straftatverwirklichung hilft. 68 Damit hat sich gezeigt, daß die teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, auch wenn sie einheitlich nach der beim Tatverlauf gespielten Rolle abgrenzen will, nicht geschlossen ein und derselben Theorie deutscher Vorstellung zugeordnet werden kann. Wir finden Parallelen zur Notwendigkeits-, Überordnungs- und Tatherrschaftstheorie; zur Rechtfertigung eines "auteur intellectuel" werden auch gemischte Theorien vertreten, indem objektive Kriterien (Kausalbeitrag) mit subjektiven Kriterien (Beweggründe) kombiniert werden.

III. Auffassung der Rechtsprechung 1. Systematische Einordnung Die Einordnung der französischen Rechtsprechung in eine der deutschen Abgrenzungstheorien fällt besonders schwer. Die Bewertung der Rechtsprechung bereitet selbst der französischen Literatur verschiedene Probleme; die Suche nach deren Abgrenzungskriterien hat sie teilweise ratlos werden lassen.69 Fassen wir zunächst die oben untersuchte Vorgehensweise70 zusammen: In Fällen, in denen die Strafbarkeit oder eine härtere Strafe nicht davon abhängt, ob der zu bestrafende Beteiligte Täter oder Teilnehmer war, sowie in solchen, in denen sowohl nach objektiven als auch nach subjektiven Kriterien die Abgrenzungsfrage eindeutig zu beantworten ist, grenzt die Rechtsprechung formal-objektiv ab. Handelten Täter und "complice" gemeinsam und gleichzeitig, löst sie sich von dieser am Gesetzeswortlaut orientierten Abgrenzung und behandelt Beteiligte, obwohl sie Straftatbestandsmerkmale selbst verwirklichten, als Gehilfen mit der Begründung, ein Mittäter helfe notwendigerweise dem anderen Mitschuldigen bei der Tatverwirklichung und werde somit aus der Natur der Sache heraus sein gesetzmäßiger Gehilfe. Auf der anderen Seite straft sie einen nach objektiven Maßstäben als "complice" zu Qualifizierenden als Mittäter, weil er notwendigerweise bei der Straftatverwirklichung als Mit-

68 Ortolan, E16nents I, n° 1260, S. 611; R. Garraud, Pr&:is, n° 250, S. 519; Chauten, Etude sur la complicit6, S. 11. 69 So schreibt Chauten, Etude sur la compIicit6, S. 74: "Nous le (sc. das Abgrenmngskriteriwn~*en:herions en vain dans les arrets". VgI. oben S. 39 ff.

200

Dritter Teil: Rechtsvergleichende Wertwlg

täter kooperiere oder weil er deIjenige gewesen sei, der die Straftat veranlaßt habe. Wir haben bereits festgestellt, daß die Rechtsprechung grundsätzlich nicht von der herrschenden fonnal-objektiven Theorie der Literatur ausgeht. 71 Besonderes Augenmerk verdient vielmehr die von der Literatur als "confusion" oder "assouplissement" bezeichnete Rechtsprechung. Auf der Suche nach einem Abgrenzungskriterium fällt auf den ersten Blick auf, daß die Rechtsprechung die Abgrenzungsfrage von der Gleichzeitigkeit und der Gegenseitigkeit der Beteiligungshandlungen abhängig macht. 72 Unterscheidungen nach dem Zeitpunkt der Beteiligungshandlung waren bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts auch außerhalb Frankreichs weit verbreitet. 73 Auf deutscher Seite wurde eine Gleichzeitigkeitstheorie wohl am deutlichsten von Fuchs74 vertreten. Nach ihm ist Mittäter, wer "bei (Hervorhebung im Text) der Ausführung selbst sich in irgend einer, wenn auch noch so untergeordneten Weise verbrecherisch betheiligt", Teilnahme bleibt hingegen auf Unterstützungshandlungen vor der Haupttat beschränkt.75 Wenn wir die französische Rechtsprechung genauer betrachten, stellen wir jedoch leicht fest, daß nach ihr gleichzeitige und gemeinsame Tatbeteiligung nicht automatisch Mittäterschaft bedeutet, Mitwirkung vor der Haupttat zudem auch nicht zwingend gleichbedeutend mit Gehilfenschaft ist. Bei gleichzeitigem und gemeinsamem Zusammenwirken hat die Rechtsprechung zum einen entschieden, daß jeder Mittäter notwendigerweise dem anderen Mitschuldigen helfe und deshalb sein gesetzmäßiger Gehilfe werde, zum anderen kooperiere deIjenige, der dem Haupttäter helfe, bei der Straftatverwirklichung notwendigerweise als Mittäter. Wir haben die Kritik an dieser Rechtsprechung auf französischer Seite ausführlich dargestellt und können uns dieser, freilich mit der einem Rechtsvergleicher gebotenen Zurückhaltung, nur anschließen. Sie stellt nicht nur deshalb eine "confusion" dar, weil sie nach fonnal-objektiven Grundsätzen einen als Täter zu Qualifizierenden als Gehilfen behandelt und umgekehrt76 (auch wenn die fonnal-objektive Theorie in der französi71 Vgl. oben S. 63 f. 72 Abdulnour, La distinction, S. 91; Allix, Essai sur la coaction, S. 85 f, 101; Thibierge, La nation de la complicite, S. 90. 73 Vgl. v. Birkmeyer, Teilnahme am Verbrechen (RStrGB §§ 47-50), in: VDA Strafrecht AT, Bd.2, 1908, 1,19, Fn. IlDld S. 20, Fn. 5; vgl. auch die deutschen StrafgesetzbOcher: Art. 50 Bayem 1813; Art. 33 Sachsen 1838; Art. 79 WOrttemberg; § 43 Braunschweig; Art. 57 Hannover, Art. 74 Hessen; § 125 Baden; Art. 70 Nassau; Art. 41 Hamburg. 74 Fuchs, GA 1881, 169, 170; vgl. auch v. Birkmeyer, Teilnahme am Verbrechen (RStrGB §§ 47-50), in: VDA Strafrecht AT, Bd. 2,1908,1,19, Fn. IlDld S. 20, Fn. 5, S. 150 ff. 75 Fuchs, GA 1881, 169, 175. 76 So die Kritik von Biswang, La distinction, S. 109; Congres Athenes, R. Vouin, Rapports f~s, S. 25; Desguerrois, Etude sur la complicite, S. 161.

1. Abschnitt: EinOrdlllDlg des französischen Systems

201

schen Literatur herrschend ist, könnte sich die Rechtsprechung durchaus einer anderen Teilnahmetheorie anschließen), sondern auch deshalb, weil sie trotz nahezu gleichgelagerter Sachverhalte einmal eine Qualifizierung als Mittäter und ein anderes Mal als Gehilfe vornimmt. 77 Vor der eigentlichen Würdigung interessiert hier aber die Zuordnung der französischen Rechtsprechung zu einer Teilnahmetheorie. Im Grunde genommen ist eine Abgrenzung nach dem Zeitpunkt der Mitwirkung eines jeden Beteiligten ein objektives Kriterium,78 weshalb man glauben könnte, auch die französische Rechtsprechung einer objektiven, nämlich materiell-objektiven, Theorie zuordnen zu können. Jedoch hilft das Zeitkriterium der französischen Rechtsprechung eigentlich nicht weiter, d.h. es dient ihr nicht als Abgrenzungsmerkmal, denn sie nimmt bei Gleichzeitigkeit sowohl Täterschaft als auch Teilnahme an. Damit kommt es für die Abgrenzung nicht entscheidend auf ein zeitgleiches Zusammenwirken an, vielmehr beginnen in diesen Fällen erst die Probleme der Abgrenzung. Und in der Tat ist es hier schwierig, in den Urteilen selbst expressis verbis ein Abgrenzungskriterium zu finden. 79 Die Kriterien der Rechtsprechung, anband derer sie im Einzelfall über Vorliegen von Täterschaft oder Teilnahme entscheidet, können ihren Urteilen nur im Wege der Interpretation entnommen werden. Die Motivation der Rechtsprechung - Schließung von Stratbarkeitslücken - haben wir oben bereits herausgestellt. Kriminalpolitische Erwägungen mögen für die Subsumtion zwar auch bedeutsam sein, können als Abgrenzungskriterium selbst jedoch nicht dienen. 8o Auch die französische Rechtsprechung würde sich sicherlich gegen eine Auffassung verwahren, nach der jemand grundsätzlich als Mittäter zu qualifizieren ist, wenn er als Gehilfe nicht oder nur geringer strafbar wäre, und nach der im umgekehrten Fall grundsätzlich Gehilfenschaft anzunehmen ist. Bereits weiter oben haben wir angedeutet, daß die französische Rechtsprechung subjektive Kriterien verwendet;81 dem soll an dieser Stelle genauer nachgegangen werden. Zunächst konstatiert die Rechtsprechung, daß gleichzeitig auftretende Mittäter sich gegenseitig helfen. Wenn sich nach formalobjektiven Gesichtspunkten das Verhalten der Beteiligten als mittäterschaftlich charakterisieren läßt, diese aber dennoch als Gehilfen behandelt werden, dann ist dies nur durch ein Abstellen auf einen "animus socii" möglich. Der 77

So auch Gulphe, La distinciton, R.S.C.

comfllici~, S.

198.

1948, 665, 674; Salnwn-ugagtll!ur,

Oe la

8 v. Birkmeyer, Teilnahme am Verbrechen (RStrGB §§ 47-50), in: VDA Strafrecht AT, Bd. 2,

190~~1,19.

Vgl. oben Chauten, S. 199, Fn. 69. So auch AI/ix, Essai sur la coaction, S. tionnel1e" sprichL 81 Vgl. oben S. 62.

80

127, der hier von einer "fonnule ... parfaitement op6ra-

Dritter Teil: Rechtsvergleichende Wertung

202

"Mittäter" ist Gehilfe, weil er dem anderen Beteiligten helfen und sich ihm unterordnen wollte. 82 Wesentlich deutlicher wird die subjektive Betrachtungsweise, wenn die Rechtsprechung "formal-objektive Gehilfen" zu Mittätern aufstuft. Wenn die Rechtsprechung denjenigen, der dem Haupttäter nur Hilfestellung leistet, als Mittäter qualifiziert, dann lehnt sie sich damit an den Gedanken des "animus auctoris"83 an. Sie unterstreicht dies, indem sie den Betreffenden als "wahren Mittäter" bezeichnet.84 Auch der Repfäsentationsgedanke8S läßt eine subjektive Abgrenzung erkennen. Im Fahnenträgerfall86 wurden die keine Fahne tragenden Mitläufer als Mittäter des unberechtigterweise eine Fahne Tragenden bestraft, weil sie sich durch den Fahnenträger repräsentiert fühlten; sie hätten die Fahne auch selbst getragen und begleiteten den Fahnenträger deshalb mit "animus auctoris". Sie wollten dessen Tat offensichtlich als eigene. 87 Besonders in den Fällen, in denen die Cour de cassation "purement gratuite" abgrenzt. hebt sie subjektive Kriterien hervor. Im Fall Gairaud88 stellt sie zunächst wieder darauf ab, daß dieser wahrer Täter gewesen sei, verweist dann aber zusätzlich darauf, daß Gairaud Rubiello auf seine Rechnung und in seinem Interesse handeln ließ. Ober die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme entscheidet damit nicht mehr die objektive Tatbestandsverwirklichung, sondern die Beteiligung wie sie nach dem "plan de crime" erfolgte.89 An anderer Stelle wird der gemeinsam verfoglte Zweck unterstrichen90 und damit ein erneuter Hinweis auf eine subjektive Abgrenzung gegeben. Schließlich wird die subjektive Abgrenzungsweise in all den Fällen deutlich, in denen die Rechtsprechung denjenigen, der die Tat veranlaßt hat, als Täter straft, obwohl dem code penal ein "auteur intellectuel" unbekannt ist. Sie stützt sich besonders in den Fällen der "responsabilit6 du fait d'autrui" erneut auf den Gedanken der Repräsentation und geht auf Seiten des GeschäftsIUp. pm., complic~, n° 29. Biswang, La distinction, S. 148 f. 84 Crim., 13 juin 1902, B.C. n° 220, S. 394, vgl. oben S. SO; Toulouse, 8 man 19S6, J.C.P. 19SUI,946S, vgl. oben S. 47. 86 Vgl. oben S. 48, SS. Vgl. oben S. 47. 87 Anm. J .•A. Roux. S. 1923,1,41 (42); LA. Abdulnour, La distinction, S. 92 IDlter Hinweis darauf, daß die Cour de cassation den Begriff des "animus auctoris/socü" selbst nicht verwende, viel· mehr dem Kriterium der Gleichzeitigkeit treu bleibe. Daß die "simultan~i~" kein brauchbares Abgren2lDlgskriterium hergibt, ist bereits dargelegt worden, viebnehr muß (leider) im Wege der Interpretation der RechtsprechlDlg deren Vorgebensweise ennittelt werden. Wenn Abdulnour darilber hinaus meint, dieser pragmatischen Entscheidung, die nur kriminalpolitischen 7ielen dient, keinen allgemeinen Grundsatz entnehmen zu k&men, muß er sich entgegenhalten lassen, daß diese keinesfalls einen Einzelfall dantelh; vgl. dazu oben S. 63. 88 Crim., 13 juin 1902, B.C. n° 220, S. 394 (39S), vgl. oben S. SO. 89 Allix, Essai sur la coaction, S. 148; vgl. auch oben S. Si. 90 Vgl. "ranet Massa" oben S. Si.

82 83

1. Abschnitt: EinordnllDg des französischen Systems

203

herrn vielfach von einem "animus auctoris" aus. 91 In anderen Entscheidungen bezeichnet sie den "auteur intellectuel" als eigentlichen Initiator der Straftat, der deshalb letztlich die eigentliche Verantwortung für die Straftat trage. 92 Da er aber die Straftat nicht selbst ausführte, kann er nur dann zum eigentlichen Verantwortlichen erklärt werden, wenn man seinen subjektiven Vorstellungen ein besonderes Augenmerk schenkt. Diese Auffassung wird dann noch einmal besonders deutlich, wenn man sich die hierzu von der Cour de cassation entschiedenen Abgrenzungen "purement gratuites" betrachtet. Auf dem Gebiet der Falschbeurkundung kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, daß diese persönlich vom Täter ausgeführt wurde, vielmehr läßt die Cour de cassation eine intellektuelle Mitwirkung als täterschaftsbegründend ausreichen. 93 Dem "auteur intellectuel" eine dominierende Rolle zuzuerkennen und die von einem anderen begangene Straftat als dessen Werk zu bezeichnen, wie dies im "arret Depoutx" geschah, ist nur möglich, indem entscheidend auf den Willen des "auteur intellectuel" abgestellt wird. 94 Die danach gespielte Rolle und das Interesse an der Tat gewinnen größere Bedeutung als eine tatsächliche Tatbestandsverwirklichung und verdrängen diese sogar als Abgrenzungskriterium. Dieser Überblick hat bewiesen, daß die Rechtsprechung ganz überwiegend subjektivabgrenzt.95 Darüber hinaus ist bereits festgestellt worden, daß diese Rechtsprechung im Vergleich zu der in "unproblematischen" Fällen vertretenen formal-objektiven Theorie überwiegt.96 Sie ist auch keineswegs auf die Fälle der gemeinsamen und gleichzeitigen Tatbeteiligung beschränkt. 97 Die Bestrafung des Veranlassers einer Straftat als Mittäter betriffi gerade Fälle, in denen die Beteiligten nicht gleichzeitig und gemeinsam die Straftat begehen. Auch bei den Fällen der "responsabiliti du fait d'autrui" ist in der Regel ein solches Vorgehen nicht gegeben. Wenn wir darüber hinaus berücksichtigen, daß die französische Rechtsprechung teilweise objektiv abgrenzt, dann können wir sie als Vertreterin einer subjektiv-objektiven Theorie bezeichnen, bei der allerdings die objektiven Kriterien eine untergeordnete Rolle spielen. Sie 9~ Gulphe, La distinction, R.S.C. 1948,665,679; FilIion. La responsabili~ ~naIe, S. 363.

9 Crim., 27 d&:. 1873, S. 1874,1,138, vgl. oben S. 54; Trib. oorr. Dunkerque, 9 mars 1972, G.P9!972,I,436, vgl. oben S. 53. Vgl. oben S. 56. 9~ Biswang, La distinction, S. 148; vgl. auch Gulphe, La distinction, R.S.C. 1948,665,682 f. 9 Vgl. noch Ugal, R.S.C. 1957, 131, 132; AI/ix, Essai sur la ooaction, S. 147; freilich ist sie nicht so sichlbar subjektiv orientiert, wie wir dies von den deutschen Vertretem der subjektiven Theorie gewohnt sind: Köstlin, System, § 93, S. 275 11; Wächter, Lehrbuch I, S. 147; Nagler, Die Teilnahme am SondelVerbrechen, S. 125; Boculmonn, Strafredttlicbe UnlersuchlDlgen, S. 76; Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 8, 238; v. Buri, Zur Lehre von der Teilnahme an den Verbrecben, S. 1,2,4,8; tkrs., OS 19 (1867),279; GA 1869,234; OS 22 (1870), 4; Gloser, GS 16 (1864), 24, 33 ~~v. Bar, Zur Lehre von Versuch lDld Theilnalune am Velbrecben, S. 66 f. Vgl. oben S. 63. 97 So aber: v. Birkmeyer, Teilnahme am Velbrechen (RStGB §§ 47-50), in: VDA Strafrecht AT, Bd. 2,1908, I, 104.

204

Dritter Teil: Rechtsvergleichende Wertung

jedoch dann noch, wie die französische Literatur, einem restriktiven Täterbegriff zuordnen zu wollen, fällt allerdings schwer. Zwar ist zum einen eine (fonnal-)objektive Theorie nicht mit dem restriktiven Täterbegriff und zum anderen eine subjektive Theorie nicht mit dem extensiven Täterbegriff identisch, wenn sie auch eng miteinander zusammen hängen. 98 Aber das Vorgehen der Rechtsprechung läßt einen beachtlichen Spielraum, eine Übertragung auf das Schema "restriktiver/extensiver Täterbegriff" erscheint nicht ohne weiteres möglich. Wendet sie fonnal-objektive Kriterien an, vertritt sie einen restriktiven Täterbegriff, stützt sie sich auf subjektive Abgrenzungsmerkmale, nähert sie sich dem extensiven Täterbegriff. Immerhin läßt sich sagen, daß sie, da sie überwiegend subjektive Kriterien verwendet, dem extensiven Täterbegriff näher steht als dem restriktiven. Wenn wir hier von einer subjektiv-objektiven Theorie der französischen Rechtsprechung reden, dann sei abschließend darauf hingewiesen, daß damit keine der gemischten (subjektiv-objektiv/objektiv-subjektiv) Theorien deutscher Vorstellung gemeint sein kann, wie wir sie mittlerweile auch in der deutschen Rechtsprechung finden. 99 Derartige gemischte Theorien 1OO machen für eine Abgrenzung gleichzeitig, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, subjektive wie objektive Merkmale nutzbar. Die französische Rechtsprechung stützt sich innerhalb einer Entscheidung jedoch entweder nur auf objektive oder nur auf subjektive Kriterien, bringt sie aber niemals gleichzeitig zur Anwendung. Man könnte die französische Rechtsprechung am ehesten mit der Lehre Stübeis vergleichen, der, ausgehend von einer fonnal-objektiven Theorie,101 auch alle "b e y und w ä h ren d" der Ausführung geleisteten Tatbeiträge für täterschaftsbegründend erklärt. 102 Aber wir haben bereits gesehen, daß die französische Rechtsprechung, wenn sie auf die Gleichzeitigkeit der gemeinsam ausgeführten Tathandlungen abstellt, nicht grundsätzlich von (Mit-)Täterschaft ausgeht. 103

98 Jescheclc, Lehrbuch, S. 568, 588; Bio], Zurechmmgstypus, S. 116; a.A. Dietz, Täterschaft und Teilnahme im ausilindischen Recht, S. 30. 99 BGHSt 28, 346, 249; 34, 124, 125; BGll, JR 1955, 304, 305; GA 1977, 306; StV 1983, 501; GA 1984,284 f; NStZ 1987, 224, 225,233,364; vgl. 7ll dieser Entwiclc:lung: Küpper, GA 1986, 437 439 ff; Rann, Tilterschaft und Tathemchaft, S. 578 ff. 100 Stübel, Ueberden Thatbestand der Verbrechen, S. 34 ff; Tjaben, GA 1894,218,221; Haupt, ZStW 15 (1895), 202, 214, 569, 579; v. Bar, Gesetz und Schuld n, S. 610; vgl. i.fl.: Roxin, Täterschaft und Tathemchaft, S. 57 f; Winter, Die Entwickllmg der Mittäterschaft im 19. Jahrhundert, S.222ff. 101 Stübel, Ueber den Thatbestand der Vetbrechen, S. 34. 102 Stübei, Ueber den Thatbestand der Vetbrechen, S. 36 (Hervorbebung von Stübel). 103 Vgl. oben S. 46.

1. Absclmitt: EinordlllDlg des französischen Systems

205

2. Kritische Bewertung Im Rahmen der Würdigung der französischen Rechtsprechung soll nicht sämtliche Kritik der französischen Literatur wiederholt werden, insoweit sei vielmehr auf die oben gegebene Darstellung verwiesen. 104 Der Sache nach schließen wir uns dieser Wertung jedoch an. Unter rechtsvergleichenden Gesichtspunkten ist die französische Rechtsprechung in dreifacher Hinsicht Kritik ausgesetzt. Zunächst ist eine rein subjektive Abgrenzung, auch wenn sie von der französischen Rechtsprechung nicht in allen Fällen angewandt wird, zumindest mit der positiven Regelung deutschen Rechts, dem § 25 Abs. I StGB, nicht vereinbar. Es entspricht der ganz überwiegenden Meinung des deutschen Schrifttums, daß § 2S Abs. 1 StGB einer rein subjektiven Abgrenzung, nach der auch der sämtliche Tatbestandsmerkmale Erfüllende Gehilfe sein kann, wenn er nur mit "animus socii" handelte, eine Absage erteilen wollte. 105 Wenn es in § 2S Abs. 1 StGB "selbst ... begeht" heißt, dann läßt dies nicht zu, jemanden, der eigenhändig und vorsätzlich alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht, als Gehilfen zu strafen, nur weil er allein mit Gehilfenvorsatz handelte. 106 Darüber hinaus muß sich die französische Rechtsprechung, soweit sie subjektiv abgrenzt, auch mit der gegen die subjektiven Theorien deutschen Rechts geäußerten Kritik konfrontieren lassen. Gerade die Vorgehensweise der französischen Rechtsprechung macht deutlich, wie sehr subjektive Abgrenzungskriterien zur "Zauberformel" im Dreher'schen Sinne 107 werden können. Damit kommen wir zu Punkt zwei der Kritik, der sich die französische Rechtsprechung selbst im eigenen Lande ausgesetzt sieht: 108 Die Anwendung subjektiver Kriterien erfolgt durch sie selbst nicht einheitlich. Zunächst werden in gleichgelagerten Fällen nicht immer subjektive Kriterien angewandt. Dies gilt vor allem für die rechtliche Behandlung von Veranlassern einer Straftat. So werden manche Tatveranlasser als "provocateurs" im

104 Vg\. oben S. 64 ff.

105 Bloy, Zu~chlllDlgStypus, S. 96 f; Cranter, FS-BocItelrnann, S. 392; Henberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 5 f, Fn. 7; Eser, Strafrecht 11, Fall 37, Arun. 13; lalcbs, Strafrecht AT, 21/36, S. 615 f; leseheek, Lehrbuch, S. 590; Küpper, GA 1986,437,438; Ronn, Täterschaft WId Tatherrschaft, S. 547 m.w.N.; LA. Ba_nnIWeber, Strafrecht AT, S. 532, Fn. 26; Baumann, FS-Jescbeck:, S. 108 f; Laeber, StGB, § 25 Arun. 1 a; Sehmidhäuser, AT Lehrbuch, 14/168, S. 581; rur Ext~m­ flIlle~aucbleseheek, Lehrbuch, S. 590, Fn. 28; vg\. auch Prot. V, S. 1647 ff, 1821 ff. 1 Dazu, daß dies, entgegen Laekner, uO, dem Willen des Gesetzgebers entspricht, vg\. Roxin, Täterschaft und Tathemchaft, S. 548 ff. 107 Dreher, NJW 1970,217. 108 Vg\. oben S. 65 ff.

206

Dritter Teil: Rechtsvergleichende Wertung

Sinne des art. 60 al. I und damit als "complices" gestraft,I09 andere werden - meist aus kriminalpolitischen Gründen, 110 teilweise aber auch ohne repressiven HintergrundIll - als "auteurs intellectuels" behandelt. Die Anerkennung der "auteurs intellectuels" rechtfertigt sich auch nicht dadurch, daß diese sich für die Verwirklichung der Straftat stärker eingesetzt hätten als diejenigen, die sich nur als "provocateurs" zu verantworten hatten. Man könnte eher das Gegenteil unterstellen, weil eine Provokation nur dann angenommen werden kann, wenn der Provokateur eines der in art. 60 al. I genannten Tatmittel eingesetzt hat. Sodann vertauscht die französische Judikatur, selbst unter Berücksichtigung ihrer eigenen Kriterien, die Begriffe Täterschaft und Teilnahme. Faßt man die Rechtsprechung zur gemeinsamen Tatbeteiligung zusammen, dann besagt diese in überspitzter Form: Mittäter helfen sich notwendigerweise und sind deshalb Gehilfen; Gehilfen kooperieren notwendigerweise miteinander und sind deshalb Mittäter. So gesehen sind die Begriffe völlig austauschbar, das Gedankenspiel eine Kette ohne Ende. Freilich will die französische Rechtsprechung die Begriffe Täterschaft und Teilnahme nicht derartig beliebig verstanden wissen; wir wollen hiermit nur auf die Gefahr dieses Begriffssystems, wie sie auch in der französischen Literatur erkannt wird, hinweisen. Diese Gefahr ist um so größer, als Abgrenzungskriterien schwer zu finden sind. Dabei soll nicht der Ruf nach einem geschlossenen System von Begriffen und Sätzen laut werden, aus denen sich die Abgrenzung gleich einem mathematisch exakten Rechenvorgang mit Notwendigkeit ergibt. Dennoch sollte der Wert von Begriffen nicht zu gering eingeschätzt werden; ohne sie ist ein Rechtssystem nicht denkbar, Rechtsanwendung nicht möglich. Die französische Rechtsprechung läuft hier Gefahr, kriminalpolitische Erwägungen über ein System leitender Prinzipien und konkretisierungsbedürftiger Wertmaßstäbe zu stellen. Zudem steckt in der Prämisse, daß sich Mittäter gegenseitig helfen und Gehilfen miteinander kooperieren, so daß Mittäter als Gehilfen und Gehilfen als Mittäter qualifiziert werden können, auch deshalb eine begriffliche Vertauschung, weil so verstanden "helfen" nicht gleich "helfen" und "kooperieren" nicht gleich "kooperieren" bedeutet. Freilich helfen sich Mittäter im Sinne eines alltäglichen Begriffes des Helfens. Wenn zwei Personen gemeinsam einen Bankraub begehen, bei dem der eine die Anwesenden mit einer Maschinenpistole in Schach hält, während der andere die Kassenbestände ausräumt und in einer mitgebrachten Tasche verstaut, dann helfen sie sich beide instW 88 (1976), 162, 175); vgI. weiter Herzberg, 'l1>tW 88 (1976), 68, 84 f, der zwischen wertbezogenen W1d wertneutralen Mertmalen W1terscbeiden will; Ronn, LK. § 28 Rdnr. 30 ff, der W1ter § 28 StGB nur die speziellen Schuldrnertmale sowie die Werscbaftsbegrilndenden PflichtenstellWlgen fassen will; ähnlich: Langer, PS-Lange, S. 260 ff; vgI. auch die Einheitslösung Schünemanns, Jura 1980, 354, 364 ff W1d GA 1986~293, 339, nach der alle persönlichen Mertcmale solche des § 28 StGB sind. 3 Vgl. in Deutschland: a) die herrschende MeinWlg, nach der § 29 StGB nur die Schuld im eigentlichen Sinne erlaßt (vgI. nurSamson, SK, § 28 Rdnr. 8,14; Stratenwerth, AT, § 12 C I I, Rdnr. 926, S. 2S5; BGHSt 8, 205, 209), b) die teilweise vertretene Auffassung, nach der § 29 StGB auch

234

Dritter Teil: Rechuvergleichende Wertung

sätzlich der Feststellung Redslobs zugestimmt werden, daß im französischen Recht die Hauptfrage die ist, ob "eine individuelle Anrechnung von Deliktsmomenten prinzipiell gerechtfertigt werden könne; ist diese Frage aber bejaht, so ist man über den Begriff der persönlichen Momente ziemlich einig".40 Daß sich das französische Recht für die Nichtzurechenbarkeit der persönlichen Umstände entschieden hat, ist bereits festgestellt worden. Immerhin bleibt aber zu bedenken, daß die Einigkeit über den Begriff der persönlichen Merkmale durch die Ausgliederung der sog. "circonstances mixtes" erreicht wurde, die wiederum in ihrer begrifflichen Fassung nicht ganz unumstritten sind. 41 Insoweit läßt sich aber eine Parallele ziehen. So wie die Zuordnung der strafbegründenden persönlichen Merkmale - und nur insoweit ist der Streit im Ergebnis entscheidungsrelevant - für die Zurechnung auf die übrigen Beteiligten Bedeutung hat, so entscheidet die Zuordnung der "circonstances" über Zurechnung oder Nichtzurechnung. Auch tatbezogene persönliche Merkmale des Haupttäters, die nach herrschender Meinung in Deutschland nicht unter § 28 StGB fallen,42 jedoch nach den allgemeinen Regeln der Akzessorietät auch die Strafbarkeit des Teilnehmers berühren können, werden dem "complice" nicht zugerechnet, selbst wenn dieser von ihrer Verwirklichung durch den Haupttäter weiß. Aber auch hier ist darauf hinzuweisen, daß die Rechtsprechung mit der Bildung der Gruppe der "circonstances mixtes" zugleich die Möglichkeit geschaffen hat, Umstände, die nach deutschem Recht als besondere persönliche Merkmale zu qualifizieren wären (z.B. Hausangestellteneigenschaft, Hebammeneigenschaft), dem Teilnehmer zuzurechnen. Die Einordnung der "circonstances mixtes" hat sie damit begründet, daß derartige Umstände zur Tat zugehörig seien.43 Ähnliche Begründungen finden wir in den Entscheidungen des BGH zur Beschreibung der tatbezogenen Umstände, die nach den allgemeinen Grundsätzen der Akzessorietät zugerechnet werden. 44 In früheren Zeiten schwankte die französische Rechtsprechung auf diesem Gebiet jedoch. Dies wird besonders deutlich bei der Einordnung des "parricide": Zunächst qualifizierte sie die Angehörigeneigenschaft als strafbegründenden "element constitutif',45 dann als "circonstance mixte".46 Bei der Zurechnung des "parritatbestandIich typisierte Schuldmedanale elfasse (J~sch~ck, Lehrbuch, S. 598; Schmidhiius~r, AT Smdienbucb, 10/35, S. 278 f; Jakobs, Strafrecht AT, 23/12 fI, S. 682 ft, MaurachJGÖss~IIZipt. Strafrecht AT Bd. 2, § 53 III D 4 c, Rdnr. 145, S. 393), c) die ebenfalls teilweise vertretene Auffassung, nach der § 29 StGB auch strafbegrUndende spezielle Schuldmedanale umfaßt (Roxin, LK, § 28 Rdnr. 13; H~rzb~rg, 'ZJ3tW 88 (1976), 68, 711). 40 R~dslob, Die persönlichen Eigenschaften, S. 36. 41 Vgl.obenS.170f. :; Vgl. nur J~sch~ck, Lehrbuch, S. 596; Sarnson, SK, § 28 Rdnr. 16 ff. Vgl. oben S. 17l. 44 BGHSt 6, 260, 262; 8,70,72; 17,215,217. 45 Crim., 16 juill. 1842, B.C. n° 184, S. 288.

S. Abschnitt: Die Strafe der Beteiligten

23S

cide" unter Mittätern hat sie sich weder für die eine noch für die andere Zuordnung ausgesprochen und über die "theorie de la complicite corespective"47 den Mittäter zum "complice" erklärt, so daß nunmehr über den "emprunt de criminalite" eine Zurechnung erfolgen konnte. Allerdings setzt diese Theorie voraus, daß es sich um die Zurechnung nicht-persönlicher Umstände handelt, denn "circonstances personnelles" sind auch unter Mittätern nicht zuzurechnen. 48 Das Fehlen strafausschließender "circonstances personnelles" befreit das französische Recht zwar von Abgrenzungsschwierigkeiten zu den "excuses", die rechtliche Behandlung bereitet der Rechtsprechung dennoch Schwierigkeiten. Als Beispiel sei an den Fall erinnert, in dem sich die Schwester beim Diebstahl zum Nachteil ihres Ehemannes durch ihren Bruder helfen ließ.49 Als Ehefrau war sie gemäß art. 380-1 0 nicht strafbar. Mangels Haupttat wäre der Bruder als Gehilfe ebenfalls straflos geblieben, wenn nicht entschieden worden wäre, daß der Bruder als Mittäter zu qualifizieren sei, da er willentlich und wissentlich an der Vollendung des Diebstahls mitgewirkt und gewußt habe, daß die Beute Eigentum beider Eheleute war. Nach deutscher Vorstellung wäre die Vorschrift des art. 380-1 0 als persönlicher Strafausschließungsgrund zu behandeln.so Als solcher fände er gemäß § 28 Abs. 2 StGB nur bei dem Beteiligten Berücksichtigung, bei dem er vorliegt. Das französische Recht löst diesen Fall hingegen nicht mit Hilfe der "circonstances personnelles", sondern läßt das Vorliegen einer strafbaren Haupttat überhaupt entfallen. Dies überrascht in zweifacher Hinsicht. Zum einen hat die französische Rechtsprechung die Zurechnung persönlicher Umstände grundsätzlich abgelehnt; warum dies nur für "circonstances attenuantes" und "circonstances aggravantes" gelten soll, wird nicht dargelegt Zum anderen hat sie für den Fall der "amnistie personnelle" entschieden, daß diese die Strafbarkeit der Haupttat als solcher unberührt lasse. sl Auch das französische Recht hätte die Möglichkeit gehabt, art. 380-1 0 als einen persönlichen Umstand zu qualifizieren, der nur für die Strafbarkeit der Schwester Bedeutung hat. Der Bruder hätte als Gehilfe eines durch seine Schwester verwirklichten einfachen Diebstahls (art. 379) bestraft werden können, die Strafbarkeit der Schwester wäre nur gemäß art. 380-1 0 aus in ihrer Person liegenden Gründen ausgeschlossen gewesen. Ein letzter Unterschied zwischen französischem und deutschem Recht ergibt sich daraus, daß Frankreich nicht zwischen strafbegfÜndenden und straf46 47

48 49 SO SI

Crim., 23 man 1843, B.C. n° 66, S. 130 (= S. 1843,1,544). Vgl. oben S. 40 ff. Vgl. oben S. 173. Vgl. oben S. 46. Vgl. z.B. die §§ 2S8 Abs. 6, 218 Abs. 4 Satz 2 StGB. Vgi. oben S. 97.

236

Dritter Teil: RechuvergJeichende Wertung

ändernden persönlichen Merkmalen differenziert. Während erstere in Deutschland auch dem Teilnehmer unter obligatorischer Strafmilderung zuzurechnen und letztere nur bei der Strafbarkeit des Beteiligten zu berücksichtigen sind, in dessen Person sie verwirklicht werden, berühren persönliche Umstände in Frankreich immer nur die Strafbarkeit des Beteiligten, der diese in seiner Person erfüllt. Das französische Recht vermeidet damit erneut Abgrenzungsschwierigkeiten, die wir aus dem deutschen Recht kennen. 52 Redslob favorisiert die französische Entscheidung, nicht zwischen strafbegründenden und strafändernden persönlichen Merkmalen zu differenzieren, denn den Tatbeteiligten, der das strafbegründende Merkmal nicht aufweise, treffe keine eigene Pflicht, gegen die er sich auflehne, so daß ihn auch nicht das Gefiihl der Verletzung einer eigenen Pflicht von seinem Handeln habe abhalten können. 53 Es sei daher begrüßenswert, daß das französische Recht den Grundsatz, solidarische Haftung für die Tat, aber individuelle Haftung für die Willensmomente (persönliche Umstände), konsequent durchhalte.54 Wenn man aber mit Redslob die Existenz strafbegründender Merkmale anerkennt,55 so ist ihm entgegenzuhalten, daß erst durch sie überhaupt der Tatbestand einer strafbaren Handlung vorliegt, und ihr Fehlen beim Teilnehmer daher auch erst als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden kann und - wegen des zweifelsfrei geringeren Unrechts- und Schuldgehalts - auch muß. Wollte man das strafbegründende persönliche Merkmal für den Teilnehmer außer acht lassen, so fehlte es an einer strafbaren Haupttat, nach der sich die Strafbarkeit des Teilnehmers richtete. Dieser von Redslob erkannte Bruch der Akzessorietät rechtfertigt sich auch nicht mit dem "Vorzug, das unglückliche Ergebnis zu vermeiden, dass ein Beteiligter, bei dem solche Momente fehlen, als Teilnehmer strafbar ist, während er als Täter straflos bliebe". 56 Die Straflosigkeit des "Mittäters" ergibt sich daraus, daß er wegen Fehlens des strafbegründenden persönlichen Merkmals in seiner Person den Straftatbestand gar nicht - auch nicht mittäterschaftlich - begehen kann. Der Teilnehmer hingegen verwirklicht Unrecht - wenn auch in geminderter Form -, weil er die Haupttat fördert. Insoweit lockert § 28 Abs. 1 StGB nur die Akzessorietät, während 52 Vgl. Jescheck, LeIubuch, S. 597; Stratenwerth, AT, § 12 C I 3 b, Rdnr. 940, S. 258; Samson, SK, § 28 Rdnr. 23: Unselbstllndige Abwandhmgen eines Gnmddeliktes (Qualifizienmgen,

Privilegienmgen) sowie selbstllndige Abwandhmgen, sofern die Merkmale des einen Tatbestandes völlig in dem anderen aufgehen, \Ulterfallen § 28 Abs. 2 StGB. Vgl. hingegen MaurachIGösseIlZip/, Strafrecht AT Bd. 2, § 53 III D 7, Rdnr. 164, S. 398: StIatbarteitsbegrilndende Wirlrung hat ein Merkmal nur dann, wenn bei seinem Wegfall keine tatbestandliche Rechtsgutbeeintrlchtigwtg vorliegt. 53 Redslob, Die persönlichen Eigenschaften, S. 49 f. 54 Redslob, Die persönlichen Eigenschaften, S. 56. 55 Insoweit \Ulterscheidet er sich vom französischen Recht, das nur strafmodif"1Zierende persönliche Merkmale kennt. Mit der Anedtenn\Ulg von "circonstances mixtes" weicht es dann allerdings doch vom Grundsatz der individuellen Haftung für persönliche Umstllnde ab. 56 Redslob, Die persönlichen Eigenschaften, S. 50, Fn. 1.

5. Abschnitt: Die Strafe der Beteiligten

237

§ 28 Abs. 2 StGB eine Ausnahme vom Grundsatz der Akzessorietät darstellt (limitierte Akzessorietät).57

57 Vgl. nur: Samson, SI(, § 28Rdnr. 3; Schmidhiiuser, AT Lehrbuch, 14/65 tJ, S. 537 tJ; ders., AT Studienbuch, 10/30, S. 277. A.A. Costes Rosa, 'lJ3tW 90 (1978), 413, 438, Fn. 64; Ronn, LI{, § 28 Rdnr. 4; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsfonnenlehre, S. 41: § 28 stellt nur eine Strafzumessungsregel dar.

ZUSAMMENFASSUNG Einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in der französischen Rechtsprechung. 1 Trotz der Regelung des art. 59, nach dem die Teilnehmer an einem Verbrechen oder Vergehen mit derselben Strafe bedroht werden wie die Täter dieses Verbrechens oder Vergehens, sofern das Gesetz nicht eine Sonderregelung vorsieht, besteht auch in Frankreich die Notwendigkeit2 zur Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungsformen. Sie ist insbesondere für die Teilnahme an "contraventions" sowie die versuchte Teilnahme von Bedeutung, da beide Handlungsweisen im Gegensatz zur täterschaftlichen Begehung straflos sind. Auch die Zurechnung von "circonstances aggravantes" und "circonstances attenuantes" erfolgt zwischen Tätern und Teilnehmern unterschiedlich und setzt daher eine Abgrenzung der beiden Beteiligungsformen voraus. Im Gegensatz zum objektiv abgrenzenden Schrifttum3 stützt sich die französische Rechtsprechung - überwiegend um anderenfalls entstehende Strafbarkeitslücken zu schließen - stark auch auf subjektive Kriterien,4 jedoch ohne dabei die Begriffe "animus auctoris" oder "animus socii" zu verwenden. Mit der sog. "theorie de la complicite corespective"s hat die Rechtsprechung schließlich die Begriffe Täterschaft und Teilnahme aufgeweicht und entschieden, daß Beteiligte - obwohl sie Straftatbestandsmerkmale in ihrer Person verwirklichten - als Gehilfen zu qualifizieren seien, da ein Mittäter notwendigerweise dem anderen Mitschuldigen bei der Tatverwirklichung helfe und somit aus der Natur der Sache heraus sein gesetzmäßiger Gehilfe werde. Umgekehrt straft sie einen nach objektiven Gesichtspunkten als "complice" zu Qualifizierenden als Mittäter, da er bei der Straftatverwirklichung notwendigerweise als Mittäter kooperiere beziehungsweise weil er im Einzelfall deIjenige gewesen sei, der die Straftat veranlaßt habe. 6 Schließlich kann ein Verurteilter nach der von der Rechtsprechung vertretenen "theorie de la peine justifiee", die ihren Niederschlag in art. 598 cpp gefunden hat, sein Rechtsmittel mit Erfolg nicht allein auf die Begründung stützen, er sei zu Unrecht als Täter statt als

1 2 3 4 S 6

Vgl. oben S. 39 ff. Vgl. oben S. 34. Vgl. oben S. 36 ff. Vgl. oben S. 62, 201 ff. Vgl. oben S. 40 ff. Vgl. oben S. 43 ff.

240

ZusammenfasSlUlg

"complice" bestraft worden, sofern eine dem Strafmaß nach gerechte Strafe verhängt wurde. 7 Auch wenn sich das französische Recht in art. 59 zum Grundsatz der Gleichbestrafung von Täterschaft und Teilnahme bekennt, so hat die vorliegende Untersuchung ergeben, daß sich der ursprünglich strenge Grundsatz des "emprunt de criminalite" heute dem deutschen Prinzip der limitierten Akzessorietät genähert hat, ohne jedoch eine vorsätzliche Haupttat zwingend vorauszusetzen. 8 Strafbare Teilnahme setzt eine objektiv strafbare Haupttat voraus. 9 Die Haupttat kann nur ein Verbrechen oder ein Vergehen sein. Mangels Haupttat bleibt die Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen straflos. IO Die Tötung auf Verlangen ist hingegen als Totschlag beziehungsweise als Mord zu strafen. Eine Vorschrift im Sinne des § 216 StGB fehlt, jedoch kann über die Zubilligung von "circonstances attenuantes" im Einzelfall eine Strafmilderung gewährt werden. Sowohl das Schrifttum als auch die Rechtsprechung grenzen die straflose Teilnahme am Selbstmord von der strafbaren Tötung auf Verlangen objektiv nach der vom Opfer im Verlauf des Gesamtgeschehens eingenommenen Rolle ab. Überwiegend wird zur Annahme strafloser Teilnahme gefordert, daß das Opfer selbst eine Tötungshandlung vornimmt, ein Abstellen auf die bis zum Todeseintritt bestehende Möglichkeit des Opfers, die Tötungshandlung abzuwenden, wird als zu unbestimmtes Abgrenzungskriterium abgelehnt. 11 Bei Nichtausführen der Haupttat bleibt der "complice" mangels Haupttat und Fehlens einer mit § 30 StGB vergleichbaren Vorschrift straflos.1 2 Ein Ergebnis, das aus dem Prinzip des "emprunt de criminalite" folgt Für den Fall der versuchten Anstiftung wird daher de lege ferenda ein Spezialdelikt gefordert. I3 Auch eine rechtmäßige Haupttat läßt die Strafbarkeit des an ihr "Teilnehmenden" entfallen. 14 Da der Vorsatz, dem kausalen Ansatz des französischen Rechts entsprechend, allein als Schuldform aufgefaßt wird, ist Teilnahme an einer Fahrlässigkeitstat strafbar, sei sie ihrerseits vorsätzlich15 oder fahrlässig 16 gewesen. Ob der fahrlässige Gehilfe seinerseits als Täter einer Fahrlässigkeitsstrafttat zu qualifizieren ist,11 wird kaum diskutiert. I8 Die Zu7 8

9 10 11 12 13 14 IS 16 17 18

Vg). oben S. 60 ff. Vg). oben S. 194. Vgl. oben S. 70 ff. Vgl. oben S. 71 ff. Vgl. oben S. 8S ff. Vg). oben S. 89 ff. Vg). oben S. 94, 215. Vgl. obenS. 96. Vgl. oben S. 144. Vgl.obenS.I45ff. Vgl. oben S. 222,224. Vgl.obenS.I50f.

ZusamrnenfasSWlg

241

lassung strafbarer Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat macht es dem französischen Recht darüber hinaus möglich, Strafbarkeitslücken zu schließen, die z.B. die Nichtanerkennung der mittelbaren Täterschaft, namentlich des den fehlenden Vorsatz des Werkzeuges ausnutzenden Hintennannes, nach sich zieht. 19 Die durch art. 60 beschriebenen Teilnahmefonnen entsprechen weitgehend der Legaldefinition des § 34 des preußischen Strafgesetzbuchs.20 Teilnahme durch Unterlassen ist grundsätzlich straflos, da strafbare Teilnahme aus französischer Sicht ein positives Tun voraussetzt. 21 Selbst wenn man der Teilnahme durch Unterlassen eine kausale Wirkung zugestehen wolle, entspreche ein Unterlassen nicht dem positiven Tun und sei weniger tadelnswert als dieses. Auch wenn die grundsätzliche Straflosigkeit der Teilnahme durch Unterlassen allgemein anerkannt ist, wirft die Literatur der Rechtsprechung vor, im Einzelfall zu oft ein venneintliches Unterlassen und damit Stratlosigkeit anzunehmen, obwohl der Teilnehmer durchaus Ansätze positiven Tuns gezeigt habe.22 Während die Rechtsprechung früher eine Strafbarkeit des Teilnehmers durch Unterlassen durch Annahme einer fahrlässigen Teilnahme erreicht hat, nimmt sie in neuerer Zeit eine Strafbarkeit des Teilnehmers durch Unterlassen dann an, wenn Täter und Teilnehmer vor der Begehung der Haupttat Absprachen getroffen haben, wenn sich das Unterlassen für den Haupttäter als "aide morale" darstellt und schließlich dann, wenn den Teilnehmer ein "devoir juridique" zum Einschreiten verpflichtet. Die Dogmatik hierzu ist noch wenig ausgefeilt. Immer wieder wird versucht, diese Fälle als eigentliche Teilnahme durch positives Tun zu qualifzieren, um den Grundsatz der Stratlosigkeit der Teilnahme durch Unterlassen nicht aufzugeben. Kausalitätsfragen werden aus deutscher Sicht nur oberflächlich behandelt. Urteile lassen Ausführungen hierzu in der Regel vennissen. Während früher die Beihilfe zur Beihilfe wegen fehlender "direkter Beziehung" zum Haupttäter für straflos erklärt wurde, geht die neuere Rechtsprechung und Literatur zunehmend von einer Strafbarkeit aus. 23 Die Anordnung der Gleichbestrafung von Tätern und "complices" ist schließlich keineswegs ein Bekenntnis zum Einheitstäterbegriff. Sie geht auch nicht mit einer zwingend identischen Strafe für Täter und "complice" einher. Persönliche Umstände der einzelnen Beteiligten können unterschiedliche Strathöhen zur Folge haben.24 Die Anordnung der Gleichbestrafung ist des19 20 21 22

23 24

Vgl. oben S. 226. Vgl. oben S. 27. Vgl. oben S. 107 ff. VgL oben S. 110. Vgl. oben S. 114 f,l25 ff. Vgl. oben S. 167 ff.

16 Czcp1uch

242

Zusammenfassung

halb auch nie ernstlich angegriffen, sondern vielmehr als Konsequenz des "emprunt de criminalite" verstanden worden. Dieses System des "emprunt de criminalite" war jedoch überwiegend von der Literatur kritisiert worden und wird heute als "emprunt de penalite" verstanden, der "nur" die gleiche Natur der Strafe androht. Die vorliegende Untersuchung zeigt jedoch, daß die französische Rechtsprechung und teilweise auch die französische Literatur durchaus "wandlungsfähig" argumentieren. Auf der einen Seite wird die Anordnung der Gleichbestrafung damit verteidigt, daß "meme" nicht gleich "meme" im Sinne von "identique" bedeute, auf der anderen Seite wird z.B. den Befiirwortern der Bestrafung des Anstifters als Täter entgegengehalten, daß die Einordnung des "provocateur" als "complice" insofern unschädlich sei, als der "complice" mit der gleichen Strafe wie der Täter belegt werde. Auf diese Weise nähert man sich dann doch wieder dem Einheitstätersystem, das auf die Unterscheidung der verschiedenen Beteiligungsformen keinen besonderen Wert legt. Dieser Eindruck wird durch die "theorie de la peine justifiee" sowie die damit verbundene Aufweichung der Beteiligungsformen verstärkt. Bei aller Kritik - auch auf französischer Seite - ist letztlich jedoch die Flexibilität des französischen Rechts hervorgehoben worden. Was für den deutschen Rechtswissenschaftier, der gewohnt ist, mit dogmatischen Kriterien zu arbeiten, bedenklich für Rechtsfrieden und -sicherheit erscheinen mag, hat sich in Frankreich über Jahrzehnte - auch unter Kritik aus dem eigenen Lande - behaupten können. Seit die Anwendung von "circonstances personnelles" eine flexiblere Ausgestaltung im Strafmaß ermöglicht, sind bedeutende Eingriffe in das französische System von Täterschaft und Teilnahme nicht für erforderlich gehalten worden. An einigen Stellen wurde der "emprunt de criminalite" spezialgesetzlich durchbrochen,25 eine grundsätzliche Änderung des Systems lassen auch die bisher vorgelegten "(avant-)projets" nicht erkennen. Auch hier begnügt man sich mit Korrekturen wie der Gleichstellung des "provocateur" mit dem Täter oder der Einführung der Strafbarkeit versuchter Anstiftung.

25

Vgl. oben S. 117f.

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