TRIPS im Gemeinschaftsrecht: Zu den innergemeinschaftlichen Wirkungen von WTO-Übereinkünften [1 ed.] 9783428506002, 9783428106004

Mit dem Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) wurde weltweit ein neuer Standard im

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TRIPS im Gemeinschaftsrecht: Zu den innergemeinschaftlichen Wirkungen von WTO-Übereinkünften [1 ed.]
 9783428506002, 9783428106004

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CHRISTOPH JULIUS HERMES

TRIPS im Gemeinschaftsrecht

Veröft'entHchungen des Walther-Schücking-lnstituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von Jost Delbrück und Rainer Hofmann Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

138

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts:

Daniel Bardonnet l'Universit6 de Paris ll Rudolf Bemhardt Heidelberg Lucius Caftisch Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Gen~ve Antonius Eitel Münster

Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis Albrecht Randelzhofer Freie Universität Berlin Krzysztof Skubiszewski Polish Academy of Sciences, Warsaw; The Hague

Luigi Ferrari Bravo Universita di Roma

Christian Tomuschat Humboldt-Universität zu Berlin

Louis Renkin Columbia University, NewYork

Sir Artbur Watts London

Tommy T. B. Koh Singapore John Norton Moore University of Virginia, Charlottesville

Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

TRIPS im Gemeinschaftsrecht Zu den innergemeinschaftlichen Wirkungen von WTO-Übereinkünften

Von

Christoph Julius Hermes

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hennes, Christoph Julius:

TRIPS im Gemeinschaftsrecht : zu den innergemeinschaftlichen Wirkungen von WTO-Übereinkünften I Christoph Julius Hermes. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel ; Bd. 138) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10600-8

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 2002 Duncker &

ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-10600-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit war im November 2000 abgeschlossen und wurde im Wintersemester 2000/01 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel als Dissertation angenommen. Das am 14. Dezember 2000 erlassene Urteil des EuGH in den Rechtssachen Dior und Assco (EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98) konnte noch für die Drucklegung eingearbeitet werden. Mein Dank gilt vor allem Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann, der die Arbeit betreut und mich während ihres Entstehens stets unterstützt hat. Für die zahlreichen Anregungen und die vielfältige Förderung, die ich durch ihn von meiner Studienzeit in Köln an bis hin zur Mitarbeit am Kieler Walther-Schücking-Institut erfahren habe, möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Herrn Privatdozent Dr. Christian Tietje danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Wertvolle Impulse für die Beschäftigung mit dem Thema der Arbeit erhielt ich während meines Studiums an der University of Califomia at Berkeley. Meinem academic advisor, Herrn Prof. David D. Caron, danke ich für die dortige Betreuung und die anregenden völkerrechtlichen Veranstaltungen. Entstanden ist die Arbeit im wesentlichen während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht in Kiel. Die Mitarbeiter und Freunde am Institut haben auf vielfältige Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Mein besonderer Dank gilt Frau Britta Buchenau für die wertvollen Korrekturhinweise und Frau Rotraut Wolf für die kompetente Betreuung des Layouts. Den Institutsdirektoren, Herrn Prof. Dr. Jost Delbrück und Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts. Finanzielle Förderung verdanke ich dem Auswärtigen Amt, das die Veröffentlichung dieser Arbeit mit einem Druckkostenzuschuß fördert. Kiel, im Juni 2001

Christoph Julius Hermes

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

A. Historische Entwicklung bis zum 1RIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorläufer des 1RIPS.im internationalen Schutz geistigen Eigentums . . . . . . II. Defizite im internationalen Immaterialgüterrechtsschutz als Verzerrung des Welthandels............. . ................. . ................ . .. III. Schwächen der traditionellen Konventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einbeziehung der handelsbezogenen Aspekte des Schutzes des geistigen Eigentums in die Uruguay-Runde. .. .... .. ..... . . .. . .. . . ...... . .... V. 1RIPS als integrierender Bestandteil des WTO-Übereinkommens.. . . . . .. . VI. Überblick über Ziel und Inhalt des 1RIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 24

B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

C. Motivation für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktisches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dogmatisches Interesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 37

D. Gang der Untersuchung........ . .. . ..... . .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

25 26 27 28 30

Teil]

Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

42

A. Die Geltung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung . I. Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Geltung. . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normenhierarchische Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung. . . . . . . . III. Konsequenzen der innergemeinschaftlichen Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegungszuständigkeit des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsvorrang. . ... . .......... .. . . ................. . ... . IV. Zusammenfassung. .. ..... . .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 43 44 45 45 46 47

B. 1RIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffund Bedeutung der gemischten Abkommen..... .. ....... . . . .. . II. Die Reichweite der EG-Vertragsabschlußzuständigkeit für das 1RIPS nach dem Gutachten l/94 des EuGH.......... .. . . . . . .. .... ..... .. . .. . . .

47 47 49

10

Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) TRIPS und Art. 133 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach Art. 133 EGV . . . . . . . . . bb) Die Auffassungen der Verfahrensbeteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Auffassung des Gerichtshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) TRIPS und AETR-Doktrin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach der AETR-Doktrin . . . . . bb) Die Auffassungen der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Auffassung des Gerichtshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) TRIPS und 1/76-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach der 1/76-Doktrin. . . . . . . bb) Die Ansichten der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Auffassung des Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) TRIPS und Art. 95 und 308 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung und weitere Entwicklung. . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung...... . ..... . ...........

.................. .................. ................ .. .. ......... .... . ..

49 52 52 52 53 54

55 55 57

59 60 60 61 62 62

.... .... .... ....

63 65 66 68

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS . . . . . . . . I. Die völkerrechtliche Bindung als Vorfrage der innergemeinschaftlichen Geltung.......... . . ..... . ........... .. ... . . . . . ....... . ......... . 1. Die Reichweite der völkerrechtlichen Bindung bei gemischten Abkommen mit Offenbarung der Zuständigkeitsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der völkerrechtlichen Bindung bei gemischten Abkommen ohne Offenbarung der Zuständigkeitsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Reichweite der völkerrechtlichen Bindung an das TRIPS . . . . . . . . . . II. Die Reichweite der innergemeinschaftlichen Geltung gemischter Abkommen 1. Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsprechung des EuGH vor den Rechtssachen "Hermes" und "Dior und Assco"................. . .. .. . . .............. . .. .

69

b) Die Rechtssache "Hermes". ............ . .. . .. . . . . .. . ..... . .. . aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansichten der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtssachen "Dior und Assco" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Urteil des Gerichtshofs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 71 72 73 73 74 76 77 78 79 80 81 81 82 84 86

Inhaltsverzeichnis 2. Das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Trennungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 87 88

b) Einheitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Differenzierende Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Kritik an den Ansätzen der Rechtsprechung und des Schrifttums . . . . . 93 aa) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Kritik an verschiedenen Ansätzen im Schrifttum. . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Abwägung der Interessen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten.... . 97 aa) Umfassende völkerrechtliche Haftung der Gemeinschaft und Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Einheitlichkeit als Bedingung für die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Speziell auf das WfO-Übereinkommen bezogene Argumente . . . . I 00 dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Ergebnis für das TRIPS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Teil2 Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen im Gemeinschaftsrecht 103 A. Unmittelbare Anwendbarkeit... ... . . .... . . ......... . .... . .. . . .. . . . ... I. Das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tenninologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Weites Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Enges Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenes Verständnis.. . ... .. . .. .. . .... .. . .... .. .. . .... . .... . 3. Völkerrechtliche und interne Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit. . . . aa) Allgemeines Völkerrecht.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 104 105 105 106 106 107 110 111 111

bb) Verpflichtung aus dem Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Verfassungsrechtliche Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit. 115 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

li. Die Bestimmung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 7 1. Keine Regelung durch EGV oder Genehmigungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Die Auslegungszuständigkeit des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Die Auslegungsmethode . ... .. .. . . . ..... . .... ..... ...... . . . . . . . 120 III. Die Rechtsprechung des EuGH zu einzelnen Gemeinschaftsabkommen . ... 121 1. Die Rechtsprechung zum GATI 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

12

Inhaltsverzeichnis a) Die Rechtsprechung seit ,.International Fruit". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil,.Deutschland/Rat"............... . ........... . .. . .. 2. Die Rechtsprechung zu anderen Gemeinschaftsabkonunen . . . . . . . . . . . . a) Das Urteil ,,Bresciani" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil,.Razanatsimba". ............ . .. . ............ .. .. . . c) Das Urteil,.Pabst" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Urteil ,.Polydor" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Urteil ,.Kupferberg" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleich des Abkonunens mit GATI 1947, Assoziierungsabkommen und EWGV .. . ... . ........... . .. . .... . ....... . . . .. . bb) Einseitige Anerkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auslegungsdivergenzen ............. . ............. . .... . . dd) Exklusivität der Gemischten Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Schutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Konkrete Bestinunung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Urteile ,.Demirel" und ,.Sevince". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Urteil ,.Kziber" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Das Urteil "Chiquita ltalia" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswertung der Rechtsprechung des EuGH: Die gemeinschaftsrechtlichen Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkonunen I. Ziel des Abkonunens. . . . ..... . . . . . ........... .... .. .. . . . .. . ... 2. Flexibilität des Abkonunens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streitbeilegungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorschriften über Ausnahmegenehmigungen und Schutzmaßnahmen . 3. Konkrete Bestinunung des Abkonunens................. . .. . .... . . a) Präzision der Vorschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorbehaltslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragsparteien als Adressaten der Bestinunung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleich mit Bestinunungen des EGV..... . ........ .. . ... . .... 4. Reziprozitätserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reziproke Pflichtenstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reziprozitätsstörungen wegen einseitiger Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit .. . ... .. .... . .. .. . ...... . . .. . ..... . .. . . . . c) Reziprozitätsstörungen wegen dezentraler Rechtsanwendung . . . . . . . . 5. Zusanunenfassung und Kritik.......... .. ... . ... . . . ... . ....... . . V. Verwandte Wirkungen: UnmittelbareAnwendbarkeit von Sekundärrecht und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122 125 126 127 129 129 130 131 131 133 134 135 136 136 138 140 141 143 144 145 145 147 147 149 149 150 150 151 151 153 155 156 159

I. Unmittelbare Anwendbarkeit von Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

a) Abstrakt-generelles Sekundärrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Streitbeilegungsentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Inhaltsverzeichnis

13

a) Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegen Mitgliedstaaten 165 3. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 B. Mittelbare Anwendbarkeit.... . ..... . ........... . .............. . .. . . . I. Die Fediol-Doktrin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Nakajima-Doktrin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erkennbarkeil der Umsetzungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung durch Ergänzung bestehender Sekundärrechtsakte . . . . . . . . . III. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

168 169 171 172 173 174

C. Völkerrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Prinzip der völkerrechtskonformen Auslegung in anderen Rechtsordnungen .. . ................................. . .. . ........... . ... . . II. Die "Gemeinschaftsabkommen-konforme" Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die "Gemeinschaftsabkommen-konforme" Auslegung mitgliedstaatliehen Rechts . ...... . ..................... . ....... . ...... . .... . .. . .. IV. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 175 176 177 178

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Teil3 Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

180

A. Keine Regelung auf Abkommensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund der Begründungserwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirkung der Begründungserwägung....... . .. . . . ...... ..... . .. .. ·. . . 1. Verbindliche Regelung .. . . ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bloße Meinungskundgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unilateraler Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normenhierarchisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkte Funktion des Genehmigungsbeschlusses. . . . . . . . . . . . . . d) Lokalisierung in der Präambel und zurückhaltende Formulierung . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183 184 185 185 186 187 188 188 189 190

C. Auslegung des TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auslegung des TRIPS und anderer WTO-Übereinkünfte durch den EuGH 1. Die Urteile "T. Port" und "Affish" . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Urteil "T. Port" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Schlußanträge von Generalanwalt Eimer . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 191 191 192 192

14

Inhaltsverzeichnis bb) Das Urteil des Gerichtshofs ........ . .. . ............. . . .. .. 193 b) Das Urteil"Affish".... . ............... .. .. . .......... . .. . . . 193 aa) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Urteil"Hermes"... . . . ............... .. . . ........... . . . . . . a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 196 196 197

aa) Kritik an der Rechtsprechung zum GATI 1947 . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Flexibilität des WfO-Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( 1) Ausnahmevorschriften und Schutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . (2) Streitbeilegungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konkrete Vorschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202 202

b) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Urteil"Portugal/Rat" . ......... .. ..... . . .... . ... ·. . . . . . . . . . . a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Saggio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zum GATI 1947. . . . . . .

203 204 204 205

199 199 200 201

bb) Gesamtbetrachtung des WfO-Übereinkommens ......... . .... . 205 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Keine völkerrechtliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit . . bb) Die Entschädigungsmöglichkeit nach Art. 22 DSU ... . ... . . . ... cc) Das Ziel des WfO-Übereinkommens . .. .. . ........... . . . ... dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207 208 209 209

4. Das Urteil "Dior und Assco" .... ... ....... . .. . .. ......... . . . . .. . a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil des Gerichtshofs ......... . .. .. . . ......... . .. . . . .. : 5. Zusammenfassung .... . . ..... . ...... .... .. . ... . .. . . .. .. . . . .. .

210 211 212 213

II. Kritische Überprüfung ...... . ............... .. . . ........... . .. . . . 214 1. Ziele von TRIPS und WfO-Übereinkommen . . .............. . .... . 215 a) WfO-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Immaterialgüterrechte als Rechte einzelner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Schutzrechtsinhaber. . 221 cc) TRIPS als Harmonisierungsabkommen . . .. . ... . ..... . . .. . . . . 222 dd) Regelung der effektiven Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung ....... .. .. . . . . .. . . . . . ..... . . .. .... . ..... 2. Flexibilität von TRIPS und WfO-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Streitbeilegungsmechanismus nach dem DSU . . . . . . . . . . . . . . . .

223 223 224 224

Inhaltsverzeichnis

15

aa) Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Argumente für und wider die unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . 226 (1) Diplomatisch-konsensuale Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

(a) Ausgleichsmaßnahmen nach Art. 22 DSU . . .... . .. . ... 227 (b) Konsultationen, gütliche Einigung und Schiedsverfahren . . 229 (c) Interpretationsmonopol der Ministerkonferenz. . . . . . . . . . 230 (2) Justizförrnige Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (a) Prinzip des negativen Konsenses . . . . . . ....... . .... .. 231 (b) Institutionelle Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (c) Besetzung der Spruchkörper und Verfahren

. . . . . . . . . . 234

(3) Vereinbarkeil von WTO-Streibeilegung und unmittelbarer Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Zusammenfassung . . . . .......... . ..... . ............ . . .. . 235 b) Vorschriften über Schutzmaßnahmen und Ausnahmegenehmigungen . 236 aa) WTO-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) TRIPS ............... . . . ... . . . .. . ... ... ... . ..... . .. . . 238 c) Zusammenfassung .. . .. . ................ . ............ . ... . . 240 3. Konkrete Vorschriften des TRIPS ....... . ............. . .... . .... 240 a) Die Relevanz der Praxis internationaler und interner Gerichte zu TRIPS-Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 aa) WTO-Streitbeilegungsgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 bb) Gerichte von Verbandsstaaten der PVÜ und RBÜ .. . . . . .. . .. . . 244 cc) Gemeinschaftsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Teil I des TRIPS ...... . ............. . ................ . .... 249 aa) Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Grundprinzipien ... . . .. .. ... . .. . .. . ....... . . . ........... 250 (1) Inländerbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

(2) Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Teil II des TRIPS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Urheberrecht und Nachbarrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Marken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Geographische Angaben ... .. . ...... . . . . ... ... .. . .. . . . . .. 257 dd) Gewerbliche Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 ee) Patente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 ff) Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise . . . . . . . . 259 gg) Schutz nicht offenbarter Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 hh) Bekämpfung wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen ............ . ... .. .. .. .. .... ........ . . . ..... . .... . 261 d) Teil III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

16

Inhaltsverzeichnis aa) Hintergrund und Inhalt von Teil III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (1) Allgemeine Pflichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (2) Zivil- und Vewaltungsverfahren und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . 263 (3) Einstweilige Maßnahmen ....... . . . ................. . . 263 (4) Besondere Erfordernisse bei Grenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . 264 (5) Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Bewertung der unmittelbaren Anwendbarkeit ............ . .... 265 (1) Offene Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

(2) Voraussetzung bestehender Verfahren .............. . .... 268 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 e) Teil IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 f) Teile V bis VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 D. Unmittelbare Anwendbarkeit und Reziprozität .. .... . .. . .......... . ... . .. 273 I. Das Ausgangsproblem: Der Status des WTO-Übereinkommens bei Handelspartnern der EG........ . .. . ............................... . . . .. 274

1. Vereinigte Staaten von Amerika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Japan . ............. . .. . ... . . . ......... . ..... . ........ . .. . .. 276 3. Andere Handelspartner in der WTO . ........ . .. .. . . ........ . .. . .. 277 II. Das Reziprozitätsargument in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . 278

1. Die rechtliche Seite des Reziprozitätsarguments. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) EuGH .......... .. .. . .......... . .... . .. . ........ . .. . .. . .. 279 aa) Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro in .,Hermes" . . . . . . . . . 279 bb) Schlußanträge von Generalanwalt Saggio in .,Portugal/Rat" . . .. .. 281 cc) Gerichtshof in ,,Portugal/Rat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Zusammenfassung . . .. . ... . ..... . .. .. . ... ............... . .. 284 2. Die tatsächliche Seite des Reziprozitätsarguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlust von Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstentwaffnung im Hinblick auf Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Benachteiligung der Wirtschaftsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an dem Reziprozitätsargument in rechtlicher Hinsicht. . . . . . . . . . . . . 1. Reziprozität im Rahmen von WTO-Übereinkommen und TRIPS . . . . . . . a) Das völkerrechtliche Konzept der Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reziprozität bei Entstehung und Durchführung völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kriterien für die Typisierung völkerrechtlicher Verträge. . . . . . . . .

285 285 286 287 287 288 288 288 290 291

Inhaltsverzeichnis

17

b) Die Rolle der Reziprozität bei der Entstehung von WTO-Übereinkommen und 'IRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Die Rolle der Reziprozität bei der Durchführung von WTO-Übereinkommen und 'IRIPS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 aa) WTO-Übereinkommen ........... . .. . ............. . .. . . . bb) 'IRIPS ........................ .... ............ ....... (1) Die Sonderstellung des 'IRIPS im WTO-Kontext ..... . .. . .. (2) Einbindung des 'IRIPS in das WTO-System . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einbindung über Sanktionen im 'IRIPS-Bereich . . . . . . . . (b) Praktikabilität von Sanktionen im 'IRIPS-Bereich . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methode der Vertragsumsetzung und Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorüberlegungen ... . ... . .. . .................... . .... . .. . . . aa) Unterscheidung zwischen Vertragsumsetzung und Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verknüpfung zwischen Vertragsumsetzung und Vertragsdurchführung bei völkerrechtlicher Regelung der Methode der V ertragsumsetzung ........ .. .. . ........ . .. . .. . . .. ....... ·. . . . . . . . . cc) Die Situation beim WTO-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik an den Ansätzen einer Verknüpfung von Vertragsumsetzung und Gegenseitigkeit in der Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ansatz des EuGH in "Portugal/Rat". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansatz von "Generalanwalt Tesauro" in "Hermes" . . . .... . . .. . . cc) Ansatz von "Mengozzi" .. . ........ . . . . . . ........... . . . .. . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik an dem Reziprozitätsargument in tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . . . . .

294 297 297 302 302 303 308 308 309 309

309 311 312 313 314 315 317 317

1. Wert einer "Freiheit zum Vertragsbruch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Aussetzung von WTO-Pflichten bei unmittelbarer Anwendbarkeit . . . . . . 319 3. Vorteile auch unilateraler Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 V. Zusammenfassung ........ . ................ . .. . ............. . ... 321 E. Rechtspolitische Erwägungen hinsichtlich der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit . . .. .. . ........ . ... . .. .. . . ......... . . . ............ . ... 1. Gerichtliche Selbstbeschränkung im Bereich der Handelspolitik . . . . . . . . 2. Funktion der Mitgliedstaaten bei der Kontrolle des Gemeinschaftsgesetzgebers . . ..... . .. . ... . ........... . .. . .. . .... . ..... . .. . .... . . 3. Freiheit zum Vertragsbruch versus Konstitutionalisierung. . . . . . . . . . . . . 4. Demokratischer und diplomatischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dezentralisierung der WTO-Streitbeilegung . .. . .. . ........ . . . .. . . . . 6. Verbesserung der Umsetzungseffizienz von Völkerrecht. . . . . . . . . . . . . .

322 323 323 324 325 326 326

F. Zusammenfassung ...... .. . . . ... . . ..... . . . . .. ... ... ... . . ... . . . . .. . . 327 2 Hennes

18

Inhaltsverzeichnis

Teil4

Mit der unmittelbaren Anwendbarkeit verwandte Wirkungen des TRIPS 329 I. Innergemeinschaftliche Wirkungen der WTO-Streitbeilegungsentscheidungen zum TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrechtliche Bindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. WTO-Streitbeilegungsentscheidungen als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Streitbeilegungsentscheidungen. . II. Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von TRIPS-Bestimmungen 1. Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegen Mitgliedstaaten . III. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

329 330 330 331 333 333 336 337

Tei/5

Mittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

338

A. Berufung auf das TRIPS im Rahmen der Fediol-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

B. Berufung auf das TRIPS im Rahmen der Nakajima-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Topographien von Halbleitererzeugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gemeinschaftsmarke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutz von Sorten und von biotechnologischen Erfindungen . . . . . . . . . . . .

340 341 342 343

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

Tei/6

Völkerrechtskonforme Auslegung anband des TRIPS

346

Teil7

Zusammenfassung und Ausblick

350

A. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

Literaturverzeichnis

356

Sachwortverzeichnis

373

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. 0. a.E. a. F.

anderer Ansicht am angegebenen Ort amEnde alte Fassung

ABI. Abs.

Amtsblatt Absatz

AEL

Collected Courses of the Academy of European Law American Journal of International Law Aktuelle Juristische Praxis Alternative Anmerkung Artikel Archiv des Völkerrechts Band Bundesfinanzhof Bundesgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof

AJIL AJP Alt. Anm. Art. AVR Bd. BFH BGBI. BGE BGH BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

CMLR

Common Market Law Review

ders.

derselbe

dies.

dieselben

Dok.

Dokument

DSB

Dispute Settlement Body

DSU

Dispute Settlement Understanding

EFAR

European Foreign Affairs Review

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

20

Abkürzungsverzeichnis

European Intellectual Property Review European Journal of International Law European Law Review Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerrecht folgende(r) f., ff. Fußnote Fn. Festschrift FS GATS General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade GATI gegebenenfalls ggf. GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil GRURint. German Yearbook of International Law GYIL h.M. herrschende Meinung Harvard Int'l L. J. Harvard International Law Journal HbStR Handbuch des Staatsrechts der Bundesrebublik Deutschland Herausgeber Hg. Halbsatz Hs. Internationaler Gerichtshof IGH Yearbook of the International Law Commission ILC-Yearbook im Sinne des/der i. s. d. i. S. V. im Sinne von i.V.m. in Verbindung mit JDI Journal du droit international JIEL Journal of International Economic Law Journal ofWorld Trade JWT Law & Policy Int'l Bus. Law and Policy in International Business UIL Leiden Journal of International Law Mich. J. Int'l L. Michigan Journal of International Law Millionen Mio. m.w.N. mit weiteren Nachweisen North American Free Trade Agreement NAFfA EIPR EJIL ELR EPIL EU EuG EuGH EuGRZ EuR EuZW EWS

Abkürzungsverzeichnis n. F.

21

neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift Nummer Nr. Nordisk Tidsskrift for International Ret NTIR NYIL Netherlands Yearbook of International Law NYU J. Int'l L. & Pol. New York University Journal oflnternational Law and Politics OLG Oberlandesgericht PVÜ Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums in der Stockholmer Fassung von 1967 RA Internationales Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (Rom-Abkommen) von 1961 RBDI Revue beige de droit international RBÜ Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, Pariser Fassung von 1971 Recueil des Cours de l' Academie de Droit international de La RdC Haye RGDIP Revue Generale de Droit International Public RIW Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie RL Revue du Marche Unique Europeen RMUE Randnummer Rn. Rechtssache Rs. Rspr. Rechtsprechung Seite s. Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht SchwJIR Slg. Amtliche Sanunlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz ständige st. TRIMs Agreement on Trade-Related Investment Measures TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights u. a. unter anderem UFITA Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Uruguay Round Agreements Act URAA NJW

us

USA USTR Vand. J. Transnat'l L. vgl.

vo

United States United States of America United States Trade Representative Vanderbilt Journal ofTransnational Law vergleiche Verordnung

22

Abkürzungsverzeichnis

Vol.

Volurne

WCT

WIPO Copyright Treaty

WIPO WPPT

World Intellectual Property Organization WIPO Performances and Phonograms Treaty World Trade Organization Welturheberrechtsabkommen, in der Pariser Fassung von 1971 Wiener Vertragsrechtskonvention

WTO

WUA WVRK Yale J. Int'l L. ZaöRV

z. B. ZPO ZUM

Yale Journal oflntemational Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zi vilprozeßordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht

Einleitung A. Historische Entwicklung bis zum TRIPS Geistiges Eigentum ist als unkörperlicher Gegenstand nirgends real belegen und überall auf der Welt gleichzeitig und wiederholt nutzbar. Es macht nicht an Staatsgrenzen halt. Nicht nur Musik kennt keine Grenzen. Auch Werke der Literatur und der bildenden Kunst, Filme und Computerprogramme zielen heutzutage auf ein weltweites Publikum. Das gleiche gilt für Erfindungen, Muster, Marken oder Geheimnisse. Trotz dieser örtlichen Allgegenwart (Ubiquität) richtet sich der Schutz geistigen Eigenturns stets nach der Rechtsordnung, in der Schutz begehrt wird (Schutzlandprinzip 1). Die Rechte des geistigen Eigenturns 2 werden von den Gesetzen eines jeden einzelnen Landes selbständig und in der Regel unabhängig von den am selben Imrnaterialgut im Ausland bestehenden Rechten bestimmt. Auch verleihen die Rechte dem Berechtigten die Herrschaft über das geistige Eigentum allein für das Gebiet des einzelnen Landes. Diese streng territoriale Wirkung der Rechte des geistigen Eigenturns (Territorialitätsprinzip3) bedeutet, daß jeder Staat zunächst nur inländische Immaterialgüterrechte schützt, ausländische dagegen grundsätzlich nicht. Die Herrschaft des Territorialitätsprinzips und 1 Vgl. BGHZ 118, 394 (397); Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 82 f.; Troller, Bd. I, 148 f. 2 Zu den Rechten des geistigen Eigentums gehören einerseits das Urheberrecht und die angrenzenden Leistungsschutzrechte (sog. Nachbarrechte) sowie die gewerblichen Schutzrechte (z. B. Patente, Gebrauchsmuster, Marken und Geschrnacksmuster) andererseits. Der Begriff des geistigen Eigentums wurde früher in der deutschen Rechtslehre kritisiert, da der Begriff ,,Eigentum" falschlieherweise einen Bezug zum sachenrechtliehen Eigentum nahelege (vgl. Rehbinder, 62). Inzwischen hat sich der Begriff des geistigen Eigentums wegen des internationalen Einflusses ("intellectual property, propriete intellectuelle") auch im deutschsprachigen Rechtsraum durchgesetzt. Als Synomym zum Begriff der Rechte des geistigen Eigentums wird im folgenden auch der Begriff der Immaterialgüterrechte verwandt. 3 Eingehend zum Territorialitätsprinzip Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 80 ff.; Schade, Zur Anknüpfung des Urheberrechts im internationalen Privatrecht, 19 ff.; Bemhardt/Krasser, 61 f.; Benkard/Bruchhausen/Rogge/Schäfers/Ullmann, lnt Teil, Rn. I; Troller, 134 ff.

24

Einleitung

die Ubiquität der lmmaterialgüter mußten daher zwangsläufig zu völkerrechtlichen Vereinbarungen führen, als der zunehmende internationale Handelsverkehr und die kommerziellen Nutzungsmöglichkeiten geistiger Güter einen Schutz gerade auch außerhalb des eigenen Staatesgebietes notwendig machten. 4

I. Vorläufer des TRIPS im internationalen Schutz geistigen Eigentums So kam es zunächst im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Abschluß mehrerer bilateraler Handelsabkommen, in denen die Rechtsstellung der beiderseitigen Immaterialgüterrechtsinhaber mitgeregelt wurde. Diese Staatsverträge basierten auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit.5 Schutz wurde nur den ausländischen Rechtsinhabern gewährt, deren Heimatstaat mit den Rechtsinhabern des Schutzlandes ebenso verfährt. Diese Vorherrschaft des Reziprozitätsprinzips im internationalen Immaterialgüterrecht wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch die beiden bedeutenden multilateralen Abkommen, die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) zum Schutz des gewerblichen Eigentums6 und die Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) zum Schutz von Werken der Literatur und Kunse, überwunden. Diese Konventionen verbesserten den Schutz ausländischer Rechtsinhaber, indem sie die Vertragsstaaten zur Inländerbehandlung verpflichteten. Nach dem Grundsatz der Inländerbehandlung (vgl. Art. 2 Abs. 1 PVÜ und Art. 5 Abs. 1 RBÜ) genießt der ausländische Rechtsinhaber - im Vergleich mit dem inländischen Rechtsinhaber Gleichbehandlung, darf also nicht benachteiligt werden.8 Da die Anwendung des Prinzips der Inländerbehandlung in Staaten mit einem niedrigen Schutzniveau 4 V gl. Nordemann/Vinck/Hertin, International Copyright, Introduction, Rn. 1; Schack, JZ 1986, 824 (825). 5 Ausführlich zum Begriff der Reziprozität unten Teil 3, D. I. 1. a). 6 Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3.1883, revidiert in Stockholm am 14.7.1967 (BGBl. 1970 II, 293). 7 Revidierte Bemer Übereinkunft (RBÜ) zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, Pariser Fassung vom 24.7.1971 (erstmals revidiert in Berlin am 13.11.1908; urspr. Bemer Übereinkunft vom 9.9.1886) (BGBI. 1973 II, 1069; 1985 II, 81). Zur Entwicklung des Urheberrechts im 19. Jahrhundert Dölemeyer, UFITA 123 (1993), 53 ff.; allgemein zur Geschichte des Urheberrechts Ulmer, Urheber- und Urheberverlagsrecht, 50 ff., sowie die Beiträge in VFITA 106 (1987). 8 Nur ausnahmsweise- von größerer praktischer Bedeutung ist allein der Schutzfristenvergleich des Art. 7 Abs. 8 RBÜ - wird der Grundsatz der Inländerbehandlung im Sinne der materiellen Gegenseitigkeit des Schutzes eingeschränkt; siehe hierzu Katzenberger, in: Schricker, Vor§§ 120 ff., Rn. 19 f.

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entsprechend wertlos ist, wurde es durch Mindestrechte ergänzt, auf die sich Angehörige der Konventionsstaaten im Schutzland selbst dann berufen können, wenn dessen Rechtsordnung sie (noch) nicht kennt. Hierdurch wurde über die Nichtdiskriminierung hinaus internationale Rechtsvereinheitlichung bewirkt. Neben PVÜ und RBÜ entstanden im Laufe der Zeit weitere internationale Konventionen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums.9 Zahlreiche dieser Konventionen werden von der World Intellectual Property Organization (WIPO) verwaltet. Während einigerJahrzehntehaben diese Konventionen einen zufriedenstellenden Schutz vermitteln können.

II. Defazite im internationalen Immaterialgüterrechtsschutz als Verzerrung des Welthandels Seitdem die wirtschaftlichen Bedeutung des geistigen Eigentums in den letzten vier Jahrzehnten gewachsen ist, nahm auch dessen Schutzbedürftigkeit stetig zu. 10 Infolge des rasanten technologischen Fortschritts und der erweiterten Nutzungsmöglichkeiten stieg der Anteil des Handels mit Immaterialgütern an der Weltwirtschaft. 11 Vor allem erhöhten die immensen Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in den Industriestaaten und der zunehmende Technologieexport in Entwicklungs- und Schwellenländer das Schutzbedürfnis gegen Immaterialgüterrechtsverletzungen. 12 Mangels ausreichenden Schutzes geistigen Eigentums in 9 Siehe etwa auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte: Weiturheberrechtsabkommen (WUA) vom 6.9.1952, revidiert in Paris am 24.7.1971 (BGBI. 1974 II, 1309); Rom-Abkommen (RA) über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen vom 26.10.1961 (BGBI. 1965 II, 1243); Treaty on Intelleemal Property in Respect oflntegrated Circuits (IPIC-Vertrag) vom 26.5.1989 (nicht in Kraft, abgedruckt in GRUR lnt. 1989, 772 ff.); World Copyright Treaty vom 20.12.1996 (ABI. 2000 L 89, 8); World Performances and Phonograms Treaty 20.12.1996 (ABI. 2000 L 89, 15). Im Patentrecht: Patentzusammenarbeitsvertrag (PCT) vom 19.6.1970, revidiert am 28.9.1979 und am 3.2.1984; Budapester Vertrag über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren vom 28.4.1977. Gewerbliche Muster und Modelle: Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle (HMA) vom 6.11.1925, revidiert in Den Haag am 28.11.1960. Markenrecht Madrider Markenabkommen (MMA) über die internationale Registrierung von Marken vom 14.4.1891, revidiert in Stockholm am 14.7.1967, und Madrider Protokoll (MMP) vom 28.6.1989. 10 Siehe dazu Katzenberger, GRUR lnt. 1995,447 (450 f.); Staehelin, 1RIPs, 34 ff. 11 Zur Globalisierung der Märkte für immaterialgüterrechtlieh geschützte Produkte Ullrich, GRUR Int. 1995, 623 (629 ff.). 12 Vgl. dazu Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 294 f.

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vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nahm dort die Marken- und Produktpiraterie sowie der Export der Piraterieware zu, was in den Industriestaaten zu Milliardenverlusten führte. Neben immensen Verlusten für die betroffenen Unternehmen brachte dies für die Industriestaaten Arbeitsplatz- und Steuereinnahmeverluste in gewaltiger Höhe mit sich. 13 Dabei führten die oft eklatanten Unterschiede im Schutzrechtsniveau und in der Wirksamkeit der Durchsetzung der Schutzrechte-so gab es etwa in zahlreichen Entwicklungs- und Schwellenländern keinen Patentschutz gegen das Nachahmen pharmazeutischer oder chemischer Produkte - zu Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels. 14 In den Fällen der Marken- und Produktpiraterie besteht die wesentliche Verzerrung und Behinderung des internationalen Handels im Hinblick auf Staaten, die keine Schutzrechte oder keine ausreichenden Mittel zu ihrer Durchsetzung gewähren, darin, daß Originalerzeugnisse aufgrundihrer Belastung mit Urheber- und Erfindungsvergütungen sowie Entwicklungs- und Marketingkosten im Preis nicht mit Piraterieware konkurrieren können, die solche Kosten vermeidet. Dies gilt um so mehr, wenn Piraterieware, wie z. B. mit moderner Technik hergestellte Tonträger, eine vergleichbare Qualität wie Originalware aufweist. 15

111. Schwächen der traditionellen Konventionen Die traditionellen internationalen Instrumente zum Schutz geistigen Eigentums wurden den soeben beschriebenen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ein Mangel der traditionellen Konventionen lag darin, daß sie eine universelle Geltung nicht haben erreichen können und für die Konsensbildung im Hinblick auf notwendige inhaltliche Fortentwicklungen keinen Anreiz boten. 16 Vor allem aber fehlte den traditionellen von der WIPO verwalteten Konventionen ein wirksamer Streitbeilegungs- und Durchsetzungsmechanismus. So waren Streitigkeiten nach Art. 33 RBÜ und Art. 28 PVÜ an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verwiesen, wegen der politischen Dimensionen einer

Vgl. die Schätzungen bei Staehelin, TRIPs, 36 f. m. w. N. Die Handelsverzerrungen infolge uneinheitlichen Immaterialgüterschutzes werden neben Zöllen und nichttarifaren Handelsbenmissen auch als "third generation of actual and potential trade distortions" begriffen, vgl. Cottier, CMLR 28 (1991), 383. 15 Vgl. Katzenberger, GRUR lnt. 1995,447 (448 f.); zur Tonträgerpiraterie vgl. Kloth, 29 ff. m. w. N. 16 Zur RBÜ siehe Katzenberger, GRUR Int. 1995,447 (451 ff.). 13

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solchen Inanspruchnahme und den V arbehalten der Mitgliedstaaten jedoch nie dorthin gelangt. 17

IV. Einbeziehung der bandeisbezogenen Aspekte des Schutzes des geistigen Eigentums in die Uruguay-Runde Um der kommerziellen und handelspolitischen Dimension des Immaterialgüterschutzes gerecht zu werden, bot es sich an, eine Lösung der handelsbezogenen Problematik der Immaterialgüter nicht mehr im Rahmen der WIPO, sondern im Kontext des General Agreements on Tariffs and Trade (GATT) zu suchen. 18 Diese Möglichkeit war eröffnet, als mit der Ministererklärung von Punta del Este vom 20. September 1986 die Uruguay-Runde eingeleitet wurde, die nicht nur neue Zollverhandlungen und eine grundlegende institutionelle Reform des GATI-Systems mit sich bringen sollte, sondern auch das Mandat zu Verhandlungen über die "Trade-Related Aspects of lntellectual Property Rights, including Trade in Counterfeit Goods" erteilte. 19 Die ersten Jahre der Uruguay-Runde waren von unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen den Entwicklungsländern einerseits und den Industrieländern andererseits geprägt. 20 Letztere befürworteten einen weitgehenden Verhandlungsansatz, der ein adäquates Schutzniveau auf allen Gebieten des geistigen Eigentums, Regeln über die Rechtsdurchsetzung, Sanktionen und die Heranziehung des GATT-Streitbeilegungsmechanismus umfaßte. 21 Die Entwicklungsländer hingegen versprachen sich von einem effektiven internationalen Schutz geistigen Eigentums im Rahmen des GATT- im Gegensatz zu den technologieexportierenden Industriestaaten - keine wirtschaftlichen Vorteile und wollten das Verband-

17 Siehe hierzu Lee/von Lewinski, in: Beier/Schricker (Hg.), From GATT to TRIPS, 278 ff. 18 Weiterführend zu den damaligen Überlegungen die Beiträge in Beier!Schricker (Hg.), GATT or WIPO, I ff. 19 Doc. GATI/1395 vom 25.9.1986, BISD 33 S/19; siehe auch BullEG 9-1986, 1.4.1. und 1.4.4. Schon während der Tokyo-Runde (1973 bis 1979) hatten die USA und die EG versucht, die Bekämpfung der Marken- und Produktpiraterie im GATI zu verankern, allerdings ohne Erfolg; vgl. Cottier, CMLR 28 (1991), 383 (386). 20 Umfassend zur Verhandlungsgeschichte Ross/Wassermann, in: Stewart (Hg.), Bd. II, 2245 (2264 ff.); vgl. auch Drexl, Enwicklungsmöglickeiten des Urheberrechts im Rahmen des GATT, 305 ff.; Faupel, GRUR lnt. 1990, 255 (257 f .); Gervais, 10 ff. 21 Vgl. Faupel, GRUR Int. 1990, 255 (257); Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 307; Gervais, 13.

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lungsmandat daher auf die Bekämpfung der Produktpiraterie und wettbewerbsbeschränkender Praktiken von Schutzrechtsinhabern beschränken. 22 Erst auf der sog. Mid-Term-Review23 im April 1989 stimmten die Entwicklungsländer zu, die Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde umfassend auf die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigenturns zu erstrecken. Dieses Einverständnis wurde von den Industrieländern durch Zugeständnisse, vor allem durch die Marktöffnung für landwirtschaftliche Produkte und Textilien aus den Entwicklungsländern, erkauft. 24 Die substantiellen Verhandlungen über den Immaterialgüterschutz waren beendet, als am 20.12.1991 ~er vom damaligen GAIT-Generaldirekter Dunkel erstellte Entwurf einer Schlußakte (sog. Dunkel-Enwurf) angenommen wurde. 25

V. TRIPS als integrierender Bestandteil des WTO-Übereinkommens Als nach demAbschluß der Verhandlungen (15. Dezember 1993 in Genf) am 15.4.1994 in Marrakesch die Schlußakte der Uruguay-Runde mit dem WTOÜbereinkommen26 unterzeichnet wurde, bildeten die Regeln über die handelsbezogenen Aspekte des Schutzes des geistigen Eigenturns ein eigenes Abkommen, das TRIPS. 27 Das TRIPS ist eine der in den Anlagen 1 bis 3 zum WTO-Überein22 V gl. Joos/Moufang, GRUR Int. 1988, 887 (900); Primo Braga, Vand. J. Transnat'l L. 22 (1989), 243 ff.; Stoll, 33 ff.; Christians, 206 f.; Pac6n, GRUR Int. 1995, 875 ff. Dabei kritisierten die Entwicklungs- und Schwellenländer die Neigung der Industrienationen, den Begriff der "handelsbezogenen Aspekte" denkbar weit auszulegen, vgl. Faupel, GRUR Int. 1990, 255 (257). 23 Doc. GATI MTN.TNC/11 vom 21.4.1989. 24 Zu diesem "package deal" siehe Faupel, GRUR Int. 1990, 255 (256); Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 304 f. 23 Draft Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, Doc. GATI MTN.TNC/W/FA vom 20.12.1991. Hauptthema der restlichen Verhandlungen der Uruguay-Runde waren der Agrarbereich und die audiovisuellen Medien; vgl. Ross/Wassennann, in: Stewart (Hg.), Bd. li, 2245 (2284 ff.). 26 Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (Agreement Establishing the World Trade Organization) vom 15.4.1994, BGBI. 1994 li, 1442 (englisch), 1625 (deutsche Übersetzung); ABI. 1994 L 336, 3. Der Text des WfO-Übereinkommens (und aller seiner Anhänge) findet sich in allen amtlichen Sprachen der WfO (Englisch, Französisch, Spanisch) auf der Website der WfO (www.wto.org). 27 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15.4.1994, BGBI. 1994 li, 1565 (englisch), 1730 (deutsche Übersetzung); ABI. 1994 L 336, 2!3. Die Abkürzung TRIPS der englischsprachigen Bezeichnung "TradeRelated Aspects of Intellectual Property Rights" wird im folgenden sowohl für die handels-

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kommen enthaltenen Übereinkünfte und damit- wie das GATT 199428 und das GATS 29 - nach Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen "integral par[t] of this Agreement, binding on all Members". 30 Alle Mitglieder des WTO-Übereinkommens sind seit dessen lokrafttreten am 1.1.1995 damit auch Vertragsparteien des 1RIPS geworden. Die Welthandelsorganisation (WTO) bildet nach Art. II Abs. 1 WTO-Übereinkommen den gemeinsamen institutionellen Rahmen, um die Handelsbeziehungen der Mitglieder in Angelegenheiten, die die Anwendung der WTO-Übereinkünfte betreffen, wahrzunehmen. 31 Die Einbindung des TRIPS in das WTO-Übereinkommen ist vor allem für den Bereich der Streitbeilegung relevant. Nach Art. 64 1RIPS findet auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der 1RIPS-Bestimmungen die allgemeinen Streitbeilegungsbestimmungen der Art. XXII und XXIII GATT 1994, so wie sie im DSU32 fortentwickelt wurden, Anwendung. Danach können WTO-Mitglieder die Einhaltung der in den WTO-Übereinkünften enthaltenen Bestimmungen, wenn Konsultationen zu keinem Erfolg führen, durch das Streitbeilegungsgremium (DSB )33 in einem gerichtsförmigen Verfahren überprüfen lassen. Stellt der DSB eine WTO-Verletzung fest und stellt die verurteilte Streitpartei den Verstoß nicht binnen einer bestimmten bezogenen Aspekte des geistigen Eigentums verwandt als auch als Kurzbezeichnung für das Abkommen, in dem sie geregelt sind. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung als TRIPS-Übereinkommen oder TRIPS-Abkommen. Die Auffassung von Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (778), die Bezeichnung des TRIPS als Abkommen sei irreführend, da es als Anhang des WfO-Übereinkommens nicht selbständig gelte, trifft insofern zu, als es sich beim TRIPS nicht um einen selbständigen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Doch ist bei der Bezeichnung des TRIPS als Abkommen der englische Vertragstext (,,Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights") zu berücksichtigen. 28 Das geltende GATT 1994 baut auf dem GATT 1947 aufund löst dieses ab. 29 Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services) vom 15.4.1994, BGBl. 1994 II, 1643 (deutsch); ABI. 1994 L 336, 190. 30 Im folgenden wird das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation als "WfO-Übereinkommen" und die diesem angehängten Abkommen als "WfO-Übereinkünfte" bezeichnet. 31 Nach Art. VIII Abs. 1 WfO-Übereinkommen besitzt die WfO ausdrücklich Völkerrechtspersönlichkeit Beim GATT 1947 war die Rechtslage unklar; vgl. Benedek, 73 ff. Ausführlich zur WfO als Institution siehe Senti, 107 ff. 32 Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures Goveming the Settlement of Disputes; im folgenden: DSU) vom 15.4.1994, BGBl. 1994 II, 1473, 1598 (englisch), 1643, 1749 (deutsch); ABI. 1994 L 336, 234. Das DSU ist als Anhang 2 zum WfO-Übereinkommen ebenfalls integraler Bestandteil desselben (vgl. Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen). 33 Der Dispute Settlement Body (DSB) ist eine ständige Arbeitsgruppe des Allgemeinen Rates (vgl. Art. 2 DSU, Art. IV WTO-Übereinkommen).

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Frist ab, so kann die beschwerdeführende Partei den DSB letztendlich um die Genehmigung bitten, die Anwendung von Zugeständnissen oder sonstigen Pflichten gegenüber der verurteilten Partei auszusetzen. 34 Diese Möglichkeit, die Einhaltung von Rechten des geistigen Eigenturns international in einem rechtsförmigen Verfahren zu erzwingen, stellt ein Novum im internationalen Immaterialgüterschutz dar. 35

VI. Überblick über Ziel und lobalt des TRIPS Das TRIPS zielt nach seiner Präambel darauf ab, Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu verringern, indem es einerseits einen wirksamen und angemessenen Schutz der Rechte des geistigen Eigenturns fördert und andererseits sicherstellt, daß die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigenturns ihrerseits nicht den rechtmäßigen Handel beschränken. 36 Um diese Ziele zu erreichen, trifft das TRIPS Regelungen, die in sieben Teile gegliedert sind. 37 Ein erster Teil enthält allgemeine Bestimmungen und Grundprinzipien. Hier sind - neben der Regelung des Anwendungsbereichs des TRIPS in Art. 1 - vor allem die beiden Grundsätze der Nichtdiskriminierung zu nennen. Nach dem Grundsatz der Inländerbehandlung gewähren die Mitglieder den Angehörigen anderer Mitglieder eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die, die sie eigenen Angehörigen in bezug auf den Schutz geistigen Eigentums gewähren (Art. 3 TRIPS). Der Grundsatz der Meistbegünstigung verlangt, Vorteile, die ein Mitglied Angehörigen eines anderen Mitglieds gewährt, sofort und bedingungslos den Angehörigen aller anderen Mitglieder zu gewähren (Art. 4 TRIPS). Während der Grundsatz der Inländerbehandlung bereits aus dem Kontext der PVÜ und der 34 Ausführlicher zum Streitbeilegungsverfahren nach

dem DSU unten Teil3, C. II. 2. a). Zutreffend Reichmann, Vand. J. Transnat'l L. 29 (1996), 363 (367): "For the first time in history, ( .. . ), the [TRIPS] provisions make it likely that states willlodge actions against other states before duly constituted international bodies, with a view to vindicating the privately owned intellectual property rights of their citizens against unauthorized uses that occur outside the domestic territorial jurisdictions." 36 Ausführlich zum Ziel des TRIPS unten Teil3, C. II. 1. b). Zu den beiden Aspekten der Sicherung der Handelsfreiheit (Verstärkung und Harmonisierung des weltweiten Schutzes des geistigen Eigentums, kein Mißbrauch der Rechte des geistigen Eigentums) siehe auch Katzenberger, GRUR Int. 1995, 447 (448 ff.). 37 Ausführlich zum Inhalt der einzelnen Abschnitte des TRIPS unten Teil 3, C. li. 3. 35

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RBÜ bekannt ist, stellt das Prinzip der Meistbegünstigung auf dem Gebiet der multilateralen Immaterialgüterrechtskonventionen eine Neuheit dar. Der zweite und umfangreichste Teil des TRIPS regelt den materiellen Schutz der wichtigsten Immaterialgüterrechte. Dazu baut das TRIPS auf den Regelungen der PVÜ, der RBÜ und des (nie in Kraft getretenen) IPIC auf, indem materielle Verpflichtungen aus diesen Konventionen in das TRIPS inkorporiert werden. Wo Gebiete von den Konventionen gar nicht erfaßt wurden oder der Schutzstandard der Konventionen als nicht ausreichend erachtet wurde, fügt das TRIPS zahlreiche neue oder höhere Schutzstandards hinzu (sog. Bern- oder Paris-Plus-Elemente). In acht Abschnitten enthält Teil II des TRIPS Regeln über den Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, der Marken, geographischer Angaben, gewerblicher Muster und Modelle, der Patente, Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise, nicht offenbarter Informationen und über die Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen. Teil III des TRIPS schreibt den WTO-Mitgliedern vor, welche Verfahren in ihren Rechtsordnungen vorhanden sein müssen, damit die durch das TRIPS gewährten materiellen Rechte auch durchgesetzt werden können. Dazu enthält das TRIPS in den fünf Abschnitten von Teil III sehr detaillierte Regeln über die allgemeinen bei der Rechtsdurchsetzung zu beachtenden Pflichten, die Zivil- und Verwaltungsverfahren sowie Rechts behelfe, einstweilige Maßnahmen, besondere Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen und über Strafverfahren. Teil III des TRIPS findet in den traditionellen immaterialgüterrechtliehen Abkommen keine Entsprechung und wird als eine der wichtigsten Neuerungen betrachtet, die das TRIPS mit sich gebracht hat. 38 Der vierte Teil des TRIPS stellt Mindeststandards hinsichtlich des Erwerbs und der Aufrechterhaltung von Immaterialgüterrechten auf. Teil V des TRIPS regelt die Streitvermeidung und -beilegung. Die Übergangsregelungen in Teil VI des TRIPS sind von besonderer Bedeutung für die WTO-Mitglieder, die mit der Umsetzung der TRIPS-Verpflichtungen die größten Schwierigkeiten haben. Den Mitgliedern werden differenzierte Fristen bis zur vollen Umsetzung des TRIPS eingeräumt, und zwar den entwickelten Ländern ein Jahr seit lnkrafttreten, Entwicklungsländern fünf Jahre, Ländern im Prozeß des Übergangs von der Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft ebenfalls fünf Jahre und den am wenigsten entwickelten Ländern zehn Jahre und länger. Der letzte Teil des TRIPS, Teil VII, enthält institutionelle Regelungen und Schlußbestimmungen. 38

Vgl. Faupel, GRUR Int. 1990, 255 (264 f.); Reinbothe, GRUR Int. 1994, 777 (784).

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B. Gegenstand der Untersuchung Das 1RIPS hat die unterschiedlichsten - teils äußerst kontrovers geführten rechtspolitischen Diskussionen ausgelöst, die hier nur schlagwortartig benannt sein sollen: 1RIPS und die Rolle der Entwicklungsländer im internationalen Immaterialgüterschutz39, die Auswirkungen des 1RIPS auf den Beitritt neuer Mitglieder zur WT040, die Folgen der 1RIPS-Streitbeilegung für die Entwicklung des internationalen Immaterialgüterschutzes41 , TRIPS und die Entwicklung eines internationalen Wettbewerbsrechts42 . All diese Themen sind nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Auch zielt die vorliegende Untersuchung nicht darauf ab, einen Überblick über die Regelungen des 1RIPS zu bieten43 oder sich gar mit den einzelnen Schutzrechten oder sämtlichen Abschnitten des 1RIPS intensiver auseinanderzusetzen44 • 39 Siehe dazu Abbott, Chicago Kent L. Rev. 72 (1996), 385 ff.; Sodipo, 1 ff.; Gana, Vanderbilt I. Transnat'l L. 29 (1996), 735 ff.; Heath, GRUR Int. 1996, 1169 ff.; Orten, Vanderbilt I. Transnat'l L. 29 (1996), 391 ff.; Hamilton, Vanderbilt I. Transnat'l L. 29 (1996), 613 ff.; Giust, Indiana Int'l & Comp. L. Rev. 8 (1997), 69 ff.; Correa, Developing Countries, 1 ff.; Otten, IIEL 1 (1998), 523 ff.; Reichmann, IIEL 1 (1998), 585 ff.; Levy, Law & Policy Int'l Business 31 (2000), 789 ff. ; Samahon, Law & Policy Int'l Business 31 (2000), 1051 ff. 40 Vgl. Feaver, I . Transnat'l Law & Policy 5 (1996), 431 ff. (China); Cheng, Fordham Int'l L. I. 21 (1998), 1941 ff. (China); Broadbent, Duke I. Comp. & Int'l L. 8 (1998), 519 ff. (Rußland). 41 Weiterführend Geiler, GRUR Int. 1995,935 ff.; Getlan, ColumbiaJ. ofTransnat'l L. 34 (1995), 173 ff.; grundlegend über den Beitrag des TRIPS zur Entwicklung des Welthandelsrechts Katzenberger/Kur, in: Beier/Schricker (Hg.), From GATI to TRIPS, 1 ff.; Peifer, GYIL 39 (1996), 100 ff.; Abbott, Hastings Int'l and Comp. L. Rev. 20 (1997), 661 ff.; ders., IIEL I (1998), 497 ff.; Correa (Hg.), 1 ff.; Dreyfuss/Lowenfeld, Virginia I. Int'l L. 37 (1997), 275 ff. 42 Siehe dazu Fikentscher, GRUR Int. 1995, 529 ff.; Heinemann, GRUR Int. 1995, 535 ff.; Fox, Vanderbilt I. Transnat' l L. 29 (1996), 481 ff.; Reichmann, NYU I. Int'l Law & Pol. 29 (1996/97), 11 ff.; Marschall, Law & Policy Int'l Business 28 (1997), 1165 ff.; Smith, IIEL 2 (1999), 435 ff.; Reger, 1 ff. 43 Den umfassendsten Überblick über die materiellen Regelungen des TRIPS bieten Staehelin, TRIPs, 2. Auflage 1999, und die Beiträge in Beier/Schricker (Hg.), From GA1T to TRIPS (1996), 1 ff. 44 Zum Urheberrecht Reinbothe, ZUM 1996, 735 ff.; Dünnwald, ZUM 1996, 725 ff. (Leistungsschutzrechte); Woodward, Texas Int'l L. I. 31 (1996), 269 ff.; Smith, Vanderbilt I. Transnat'l L. 29 (1996), 559 ff.; Netanel, Virginia I. Int'l L. 37 (1997), 441 ff.; Waldhausen, ZUM 1998, 1015 ff. (Bootlegs); Kloth, 48 ff. (Schutz ausübender Künstler). Zum Markenschutz Kur, in: Beier/Schricker (Hg.), From GATI to TRIPS, 93 ff.; Kelbrick, South Africa Yearbook Int'l L. 22 (1997), 15 ff. (Markenschutz UK und Südafrika); Schmidt-Szalewski, Duke I. Comp. & Int'l L. 9 (1998), 189 ff. Zu den geographischen

B. Gegenstand der Untersuchung

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Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Frage, welche Wirkungen die Bestimmungen des 1RIPS in der durch das Recht der Europäischen Gemeinschaft geschaffenen Rechtsordnung entfalten. Die Europäischen Gemeinschaften haben an den Verhandlungen der UruguayRunde teilgenommen, haben die Schlußakte mit dem WTO-Übereinkommen -neben ihren Mitgliedstaaten- unterzeichnet und ratifiziert. 45 Mit lokrafttreten des WTO-Übereinkommens ist die EG eines der ursprünglichen Mitglieder der WTO geworden (vgl. Art. XI Abs. 1 WTO-Übereinkommen). 46 Als Vertragspartei des WTO-Übereinkommens ist die EG an die Bestimmungen des TRIPS gebunden. Insofern kann man vom TRIPS als einem Gemeinschaftsabkommen sprechen. Untersucht werden soll jedoch nicht primär die völkerrechtliche Bindung der Gemeinschaft an das TRIPS. Es geht also nicht in erster Linie darum, ob die EG dazu imstande ist, die unterschiedlichen TRIPS-Bestimmungen zu erfüllen oder ob sie gar Streitbeilegungsverfahren wegen der Nichterfüllung des TRIPS ausgesetzt ist. Vielmehr richtet sich der Blick von der WTO-Rechtsordnung ausgehend Angaben Knaak, GRUR Int. 1995, 642 ff. Zu den gewerblichen Mustern und Modellen Kur, in: Beier/Schricker (Hg.), From GATI to 1RIPS, 141 ff.; Frenkel, Loyola University L. Rev. 32 (1999), 531 ff. Zu den Patenten Straus, GRUR Int. 1996, 179 ff. ; Ade/man, Vanderbilt J. Transnat'l L. 29 (1996), 507 ff. (Indien); Bai, Texas Int'1 L. J. 32 (1997), 139 ff.; Tarasofsky, Rev. EC & lnt. Environmental L. 6 (1997), 148 ff. (,.bio1ogical diversity"); Ackennann, Texas Int'l L. J. 32 (1997), 489 ff.; Schiuma, GRUR lnt. 1998, 852 ff. (Software); Ford, American U. Int'l L. Rev. 15 (2000), 941 ff. Zum Schutz nicht offenbarter Informationen Krasser, in: Beier/Schricker (Hg.), From GATT to TRIPS, 216 ff. Zu den Problemen im Zusammenhang mit der Rechtsdurchsetzung Reichmann, Virginia J Int'l L. 37 (1997), 335 ff. ; Haedicke, GRUR Int. 1999,497 ff.; Pac6n, GRUR Int. 1999, 1004 ff. (Rechtsdurchsetzung Südamerika). 45 Gemeinschaftsintern genehmigt wurde die Schlußakte mit dem WTO-Übereinkommen durch den Beschluß 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezugauf die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche, ABI. 1994 L 336, 1. Die EG besitzt gemäß Art. 281 EGV Rechtspersönlichkeit. Das Vertragsabschlußverfahren ist - abgesehen von den Sonderregelungen der Art. 133 Abs. 3-5 EGV und Art. 111 EGV- in Art. 300 EGV geregelt. Zu den Einzelheiten siehe Tomuschat, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 18 ff. 46 Ausführlich zur Rolle der Europäischen Gemeinschaften bei Verhandlung, Unterzeichnung und Ratifizierung des WTO-Übereinkommens siehe unten Teil 1, B. II. I. und 3. Mitglied der WTO sind ,.the European Communties", d. h. die Europäische Gemeinschaft (EG), aber auch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG). Da im Rahmen der WTO bislang allein Kompetenzen der EG betroffen sind, gehen die folgenden Ausführungen auf EGKS und EAG nicht mehr ein. 3 Hermcs

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Einleitung

auf die Gemeinschaftsrechtsordnung. Es geht in der vorliegenden Untersuchung um die innergemeinschaftlichen Wirkungen der TRIPS-Bestimmungen. Die Bestimmungen von Gemeinschaftsabkommen sind - was noch zu zeigen sein wird - "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung", sie erlangen dort mit lokrafttreten des Gemeinschaftsabkommens Geltung. Wegen dieser innergemeinschaftlichen Geltung, die den Vorschriften aller Gemeinschaftsabkommen zukommt, ist der EuGH zuständig, sie im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren auszulegen. Auch genießen sie Anwendungsvorrang vor jeglichem mitgliedstaatlichem Recht. Darüber hinaus können Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen unter Umständen weitergehende Wirkungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten. Eine solche Wirkung ist die Möglichkeit einzelner, sich vor den Gerichten der EG-Mitgliedstaaten47 auf eine Abkorrunensbestimmung zu berufen, um die Ungültigkeit von sekundäremGemeinschaftsrecht bzw. die Unanwendbarkeit mitgliedstaatlichen Rechts geltend zu machen, das mit der Abkommensbestimmung nicht in Einklang steht (unmittelbare Anwendbarkeit). Unter Umständen können EGMitgliedstaaten vor dem EuGH geltend machen, ein Sekundärrechtsakt sei wegen Verstoßes gegen eine Vorschrift aus einem Gemeinschaftsabkommen ungültig. Eng damit verwandt ist die Möglichkeit, wegen der Verletzung von Gemeinschaftsabkommen Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinschaft oder Mitgliedstaaten zu erheben oder sich auf Streitbeilegungsentscheidungen internationaler Gerichte zu berufen, in denen Gemeinschaftsabkommen ausgelegt werden. Nicht jede Bestimmung jedes Gemeinschaftsabkommens vermag in der Gemeinschaftsrechtsordnung die eben genannten Wirkungen zu entfalten. In bestimmten Konstellationen können Vorschriften aus Gemeinschaftsabkommen dann jedoch vermittelt durch einen internen Rechtsakt, etwa eine EG-Verordnung, Wirkungen entfalten (mittelbare Anwendbarkeit) oder den Gemeinschaftsgerichten zumindest Maßstab für die völkerrechtskonforme Auslegung internen Rechts sein. Die vorliegende Untersuchung will klären, inwieweit die Bestimmungen des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung derartige Wirkungen entfalten.

47 Die Gerichte der EG-Mitgliedstaaten werden im folgenden auch als Gemeinschaftsgerichte bezeichnet. Damit umfaßt der hier verwendete Begriff der Gemeinschaftsgerichte nicht nur die durch den EGV geschaffenen Gerichte, den EuGH und das EuG, sondern auch die Gerichte der Mitgliedstaaten, da diese ebenfalls das Gemeinschaftsrecht anzwenden haben.

C. Motivation für die Untersuchung

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C. Motivation für die Untersuchung An dem soeben beschriebenen Untersuchungsgegenstand besteht sowohl ein praktisches als auch ein dogmatisches Interesse.

I. Praktisches Interesse Die Rechtsanwender in der Gemeinschaftsrechtsordnung werden dann ein Interesse an den innergemeinschaftlichen Wirkungen von TRIPS-Bestimmungen haben, wenn zwischen den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen oder mitgliedstaatlichen Normen und den ihnen günstigen TRIPS-Bestimmungen Konflikte bestehen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn gemeinschaftsrechtliche oder mitgliedstaatliche Regeln über den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums hinter dem durch das TRIPS gesetzten Standard zurückblieben. Oftmals wird behauptet, das geistige Eigentum werde in den Industriestaaten "gut bis sehr gut geschützt"48 und deutliche Konflikte zwischen den Verpflichtungen aus dem TRIPS und dem internen Recht träten hauptsächlich in den Entwicklungs- und Schwellenländern auf.49 Diese Einschätzung erscheint als zu pauschal. Schon die zahlreichen WTO-Streitbeilegungverfahren,50 die gegen die Gemeinschaft oder einzelne ihrer Mitgliedstaaten wegen angeblicher TRIPS-Verletzungen angestrengt wurden oder noch anhängig sind, belegen, daß die TRIPS-Konformität von Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht zumindest nicht außer Frage steht. So werfen die USA der EG in dem Verfahren EC- Proteerion of Trademarksand Geographicallndications vor, die EG-Verordnung Nr. 2081/92 So Staehelin, TRIPs, 35. Vgl. die Begründung zum deutschen Vertragsgesetz, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode (1991-1994), BT-Drucks. 1217655 (neu), 345: "Das TRIPS-Übereinkommen enthält im Vergleich zum bisherigen Stand der Entwicklungen im internationalen Bereiche auf sehr hohem Niveau angesiedelte Mindestverpflichtungen zum Schutz des geistigen Eigentums. Diese Verpflichtungen entsprechen weitgehend dem Rechtszustand, wie er in den westlichen Industrieländern bereits erreicht ist. Dies bedeutet im Ergebnis, daß das deutsche Recht den Verpflichtungen aus dem TRIPS-Übereinkommen schon heute weitgehend entspricht, so daß Änderungen der Gesetze auf dem Gebiet des Schutzes des geistigen Eigentums nicht erforderlich sind." Einen Anpassungsbedarf sah die Bundesregierung allein bei der Schutzdauer für Patente aus der ehemaligen DDR. so Die Website der WTO (www.wto.org) enthält nicht nur Veröffentlichungen aller Streitbeilegungsentscheidungen, sondern gibt auch einen ständig aktualisierten Überblick über den Stand sämtlicher laufender Verfahren. 48

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Einleitung

gewährleiste keinen ausreichenden Schutz von Marken und geographischen Angaben für landwirtschaftliche Produkte und Nahrungsmittel und verletze daher die Art. 3, 16, 24, 63 und 65 TRIPS. 51 In EC- Patent Proreetion for Pharmaceutical and Agricultural Products vertritt Kanada die Ansicht, die in den Verordnungen EG Nr. 1768/92 und Nr. 1610/96 getroffene Regelung, wonach ein bestimmtes System zur Verlängerung der Laufdauer von Patenten nur auf pharmazeutische und landwirtschaftliche Produkte Anwendung findet, verstoße gegen die Verpflichtung aus Art. 27 Abs. 1 TRIPS, wonach beim Patentschutz nicht zwischen verschiedenen Gebieten der Technik diskriminiert werden darf. 52 In drei weiteren Fällen gehen die USA parallel gegen die EG und gegen Mitgliedstaaten der EG vor. Wegen des Vorwurfs, in Griechenland würden keine effektiven Maßnahmen gegen die Urheberrechtsverletzung bei Filmen und Fernsehprogrammen unternommen (angebliche Verletzung von Art. 41 und 61 TRIPS), laufen die Verfahren EC- Enforcement oflntellectual Property Rights for Motion Pictures and Television Programs53 und Greece- Enforcement of lntellectual Property Rights for Motion Pictures. and Television Programs. 54 In den Verfahren Ireland- Measures Affecting the Grant of Copyright and Neighbouring Rights55 und EC- Measures Affecting the Grant of Copyright and Neighbouring Rights56 machen die USA geltend, Schutzlücken im Urheberrecht und den Nachbarrechten Irlands verletzten die Art. 9-14, 63, 65 und 70 TRIPS. Um die Pflichten zur Durchsetzung der Immaterialgüterrechte (Art. 50, 63 und 65 TRIPS) geht es in Denmark- Measures Affecting the Enforcement of lntellectual Property Rights, wö die USA Dänemark Versäumnisse beim einstweiligen Rechtsschutz vorwerfen. 57

51 European Communities - Profeetion of Trademarks and Geographical lndieations (WT/DS 17411), Antrag der USA auf Konsultationen vom 1.6.1999. 52 European Communities - Patent Profeetion for Pharmaeeutieal and Agrieultural Produets (WT/DS15311), Antrag Kandas auf Konsultationen vom 2.12.1998. 53 European Communities - Enforeement of Intelleetual Property Rights for Motion Pietures and Television Programs (WT/DS124/1), Antrag der USA auf Konsultationen vom 30.4.1998. 54 Greeee- Enforeement of Intelleetual Property Rights for Motion Pietures and Television Programs (WT/DS 125/1 ), Antrag der USA auf Konsultationen vom 30.4.1998. 55 Ireland - Measures A.ffeeting the Grant of Copyright and Neighbouring Rights (WT/DS82/l), Antrag der USA auf Einsetzung eines Panels vom 9.1.1998. 56 EC - Measures A.ffeeting the Grant of Copyright and Neighbouring Rights (WT/DS11511), Antrag der USA auf Einsetzung eines Panels vom 9.1.1998. 57 Denmark - Measures Affeeting the Enforeement of Intelleetual Property Rights (WT/D83/1), Antrag der USA auf Konsultationen vom 14.5.1997.

C. Motivation für die Untersuchung

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Neben diesen noch anhängigen Verfahren (Stand: November 2000) gibt es zwei Fälle, in denen EG-Mitgliedstaaten mit den USA Streitigkeiten durch gütliche Einigung beilegen konnten. 58 Nach Auffassung einiger Autoren im Schrifttum entspricht auch die deutsche Rechtsordnung nicht allen Anforderungen des TRIPS. So bleibe etwa die deutsche Zivilprozeßordnung hinter den Anforderungen von Teil III des TRIPS zurück. 59 Im Hinblick auf Art. 50 TRIPS wird darauf hingewiesen, daß es im deutschen Recht keine ausreichenden Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Besichtigungs- und Beschlagnahmeansprüche gebe. 60 Andere Autoren sehen einen Konflikt zwischen der deutschen Regelung zum Schutz der ausübenden Künstler, Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen und Art. 14 TRIPS. 61 Auf europäischer Ebene wird die Vereinbarkeit des Ausschlußes von Computerprogrammen als solchen in Art. 52 EPÜ mit Art. 27 Abs. 1 TRIPS diskutiert. 62 Die genannten Beispiele dürften deutlich gernacht haben, daß es auch innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung von Interesse sein kann, ob sich TRIPS-Bestimmungen - dank der zu untersuchenden besonderen Wirkungen - im Konfliktfall gegen Normen des Gemeinschaftsrechts oder des mitgliedstaatliehen Rechts durchsetzen können.

II. Dogmatisches Interesse Darüber hinaus will die vorliegende Untersuchung, indem sie die Wirkungen des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung analysiert, einen Beitrag zum Verständnis des Verhältnisses von Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht liefern. Zwar gehört die Frage nach dem Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht nicht mehr, wie Triepel im Jahre 1899 feststellen mußte, "zu den stiefmütterlich be58 Sweden - Measures Affecting the Enforcement of lntellectual Property Rights (Wf/DS86/l) betraf die Art. 50, 63 und 65 TRIPS und Portugal- Patent Proteerion under the lndustrial Property Act (WT/DS37) die Art. 33, 65 und 70 TRIPS. 59 Dreier, GRUR Int. 1996, 205 (217 f.); Krieger, GRUR Int. 1997,421 (422) mit Blick auf Art. 43 und 50 TRIPS; Bogdandy, NJW 1999, 2088 (Art. 50 TRIPS). Demgegenüber geht der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf Teil 111 TRIPS davon aus, das deutsche Recht stehe "mit diesen Regelungen voll in Einklang"; Begründung zum deutschen Vertragsgesetz, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode (1991-1994), BT-Drucks. 1217655 (neu), 347. 60 Straus, in: Müller-Graff (Hg.), 157 (173). 61 Fromm/Nordemann/Vinck/Hertin, Vor§ 120, Rn. 2. 62 Vgl. Schiuma, GRUR Int. 1998,852 ff.

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Einleitung

handelten Lehren der Jurisprudenz". 63 Zahlreiche Abhandlungen haben seitdem beleuchtet, wie das Verhältnis von Völkerrecht und staatlichem Recht zu begreifen sei.64 Doch besteht gerade im Hinblick auf die Gemeinschaftsrechtsordnung noch Klärungsbedarf, wie völkerrechtliche Normen, an die die Gemeinschaft gebunden ist, in deren interne Rechtsordnung hineinwirken. Lebhaft diskutiert wurde die Frage nach den innergemeinschaftlichen Wirkungen von Völkervertragsrecht im Zusammenhang mit der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1947.65 Der EuGH, der die Bestimmungen vieler Gemeinschaftsabkommen als unmittelbar anwendbar anerkennt, urteilte wiederholt, einzelne könnten sich auf Bestimmungen des GATI 1947 nicht vor den Gemeinschaftsgerlebten berufen, und begründete dies in ständiger Rechtsprechung mit dem Ziel und der Struktur des GATI 1947. Ebenso verwehrte er den EG-Mitgliedstaaten den Rückgriff auf das GATI 1947, wenn sie vor dem EuGH gegen Sekundärrechtsakte vorgingen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ließ der EuGH eine mittelbare Anwendung oder die völkerrechtskonforme Auslegung anband des GATI 1947 zu. In zwei jüngeren Entscheidungen übertrug der EuGH diese Rechtsprechung - mit leicht modifizierten Argumenten - auf die WTOÜbereinkünfte, wobei er ausdrücklich das 1RIPS miteinbezog. 66 An diesem Punkt setzt die vorliegende Untersuchung an. Die Einschätzung des EuGH, die WTO-Übereinkünfte eigneten sich nicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit, wird im Hinblick auf das 1RIPS kritisch überprüft. Dabei sprechen drei Gründe für das 1RIPS als Untersuchungsgegenstand. Zum einen wird allgemein anerkannt, dem 1RIPS komme im Kontext der WTO-Übereinkünfte wegen seines Zieles, der weltweiten Stärkung und Harmonisierung des Schutzes des geistigen Eigentums, seiner personenbezogenen Anknüpfung und der Inkorporierung bereits bestehender Abkommen eine Sonderrolle zu. So unterstrich das Panel in dem Streitbeilegungsverfahren India- Patent Profeetion for Pharmaeeutieal and Agrieultural Chemieal Produets, das 1RIPS nehme "a relatively self-contained, sui generis status in the WTO Agreement" ein. 67 Auch im Schrifttum wird darauf hingewiesen, 1RIPS sei "unique in the

Triepel, 1. Vgl. Verdross/Simma, §§ 71 ff., sowie Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. 1/1, 99 ff., jeweils m. w. N. 65 Ausführlich unten Teil 2, A. III. 1. 66 Ausführlich unten Teil3, C. I. 67 Panel Report lndia- Patent Proteerion for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products vom 5. September 1997 (WT/DS50/R), Tz. 7.19. 63

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D. Gang der Untersuchung

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WTO context".68 Es wird daher zu untersuchen sein, inwiefern sich diese Sonderrolle auf die innergemeinschaftlichen Wirkungen des TRIPS auswirkt. Daneben wirft das TRIPS -ebenso wie das GATS - besondere Probleme auf, da die EG für dessen Materie keine umfassende Vertragsabschlußzuständigkeit besitzt. Vielmehr fallen Teile des TRIPS in die Zuständigkeit der EG-Mitgliedstaaten. Das TRIPS ist insofern ein gemischtes Abkommen. Bislang ungeklärt ist, welche Konsequenzen dieser Umstand für den innergemeinschaftlichen Status des TRIPS hat. Schließlich gibt das TRIPS als Immaterialgüterrechtskonvention Gelegenheit, die neuerdings vom EuGH vertretene These, Reziprozitätserwägungen sprächen gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte, besonders kritisch zu hinterfragen. Indem die Untersuchung die Rechtsprechung des EuGH am Beispiel des TRIPS kritisch überprüft, will sie einen Beitrag zu einer differenzierten Betrachtung der innergemeinschaftlichen Wirkungen der WTO-Übereinkünfte liefern.

D. Gang der Untersuchung Der erste Teil der Arbeit untersucht, inwieweit das TRIPS Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist. Dazu wird in einem ersten Abschnitt dargelegt, daß Gemeinschaftsabkommen mit ihrem völkerrechtlichen Irrkrafttreten auch innergemeinschaftlich Geltung erlangen. Ein zweiter Abschnitt führt aus, wie beim TRIPS die Vertragsabschlußzuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten aufgeteilt sind und welche Folgen dies für die Verhandlung, die Unterzeichnung und den Abschluß des TRIPS hatte. Anschließend wird untersucht, welche Konsequenzen sich daraus für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS ergeben. In einem zweiten Teil werden die unterschiedlichen Wirkungen vorgestellt, die Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfiuten können.

68 Petersmann, The GAIT/WfO Dispute Settlement System, 213 f.; ebenso Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785); ders. , in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (48); Schäfers, GRUR lnt. 1996, 763 (775); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (32 f.); Helfer, Harvard Int'l L. J. 39 (1998), 357 (359 ff. und 387 f.). Fikentscherffheiss, in: Adrian/Nordemann/Wandtke (Hg.), 55 (72), meinen sogar: .,1RIPS ist ein Fremdkörper im GAIT und in der WfO ( . .. )."

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Einleitung

Das Hauptaugenmerk gilt dabei der unmittelbaren Anwendbarkeit. Nach einer Beschreibung des Konzepts der unmittelbaren Anwendbarkeit und der Klärung, wo in der Gemeinschaftsrechtsordnung entschieden wird, ob eine Abkommensbestimmung unmittelbar anwendbar ist, wird die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen ausführlich dargestellt. Anschließend wird die Rechtsprechung ausgewertet, um die gemeinschaftsrechtlichen Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen herauszuarbeiten. Auch wird kurz auf Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen eingegangen, die mit der unmittelbaren Anwendbarkeit eng verwandt sind. Ein zweiter Abschnitt steHt die mittelbare Anwendbarkeit als eine weitere mögliche Wirkung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Der dritte und letzte Abschnitt des zweiten Teils behandelt die völkerrechtskonforme Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatliebem Recht anband der Bestimmungen aus Gerneinschaftsabkommen. Auf diesen "allgemeinen" Teil folgen die "besonderen" Teile 3 bis 5, die untersuchen, ob das TRIPS die soeben beschriebenen Wirkungen entfaltet. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet dabei Teil 3, der die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS als die für die Rechtsanwendung weitreichendste und wissenschaftlich am kontroversesten diskutierte Wirkung behandelt. Nach der Prüfung, ob das Abkommen selbst (erster Abschnitt) oder der Ratsbeschluß zur Genehmigung des WTO-Übereinkommens (zweiter Abschnitt) die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit beantworten, wird das TRIPS im dritten Abschnitt unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansichten daraufhin ausgelegt, ob sich seine Bestimmungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit eignen. Dabei werden auch Regelungen des WTOÜbereinkommens und des DSU berücksichtigt. Da in Rechtsprechung und Schrifttum zunehmend vertreten wird, die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte in der Gemeinschaftsrechtsordnung hänge davon ab, daß auch andere WTO-Mitglieder deren unmittelbare Anwendbarkeit anerkennen, überprüft der vierte Abschnitt, ob solche Reziprozitätserwägungen einen Einfluß auf die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung haben können. Ein fünfter Abschnitt gibt einen Überblick über die rechtspolitischen Argumente, die im Zusammenhang mit der unmittelbaren Anwendbarkeit vertreten werden.

D. Gang der Untersuchung

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Teil4 gilt den beiden Wirkungen, die auf der unmittelbaren Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen aufbauen, der Frage, ob einzelne sich vor Gerneinschaftsgerichten auf Streitbeilegungsentscheidungen des DSB zum TRIPS berufen können, und der Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen gegen Gerneinschaft und Mitgliedstaaten wegen der Verletzung von TRIPS-Bestimmungen. Im Gegensatz dazu behandeln die Teile 5 und 6 mit der mittelbaren Anwendbarkeit und der völkerrechtskonformen Auslegung Wirkungen, die weniger im Rampenlicht der wissenschaftlichen Diskussion stehen, für die Rechtsanwendung aber von großem Interesse sein werden. Die Arbeit schließt in Teil 7 mit einem Ausblick auf die mögliche weitere Rechtsentwicklung und der Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse.

Teil]

Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung Die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS ist Voraussetzung für die weitergehenden Wirkungen, die das TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten könnte. 1 Daher ist in diesem Teil zu klären, welche Voraussetzungen und Folgen die innergemeinschaftliche Geltung von Gemeinschaftsabkommen hat. Dabei beziehen sich die Ausführungen in Abschnitt A zunächst auf die sog. reinen Gemeinschaftsabkommen, d. h. diejenigen Abkommen, die allein von der Gemeinschaft, und nicht zusätzlich von deren Mitgliedstaaten (sog. gemischte Gemeinschaftsabkommen) abgeschlossen werden. Die innergemeinschaftliche Geltung der reinen Gemeinschaftsabkommen wirft keine größeren Probleme auf. Bei dem TRIPS handelt es sich jedoch, was Abschnitt B zeigen wird, um ein gemischtes Abkommen. In Abschnitt C wird zu untersuchen sein, welche Konsequenzen dies für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS mit sich bringt.

A. Die Geltung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung WennVölkerrechtssubjekte einen Vertrag schließen, hängt es von deren jeweiliger Rechtsordung ab, unter welchen Voraussetzungen die Vertragsbestimmungen intern Geltung erlangen, welche normenhierarchische Stellung sie einnehmen und und welche Konsequenzen mit der internen Geltung verbunden sind. Zu untersuchen ist, wie diese verfassungsrechtlichen Fragen2 in der Gemeinschaftsrechtsordnung3 gelöst werden.

1 Zur Differenzierung von Geltung und Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen im innerstaatlichen Rechtsraum siehe Kunig, in: Vitzthum (Hg.), 101 (123 f.), Rn. 41. 2 Zum verfassungsrechtlichen Charakter siehe Verdross/Simma, § 847. 3 Zur Schaffung einer eigenen Rechtsordnung durch den E(W)GV siehe die st. Rspr. des EuGH seit EuGH- Van Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (24 f.) und EuGH - Costa/ ENEL, 6/64- Slg. 1964, 1251 (1269).

A. Geltung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung

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I. Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Geltung In einigen Rechtsordnungen gelten die Vertragsbestinunungen intern, sobald der Vertrag völkerrechtlich in Kraft getreten ist. Andere machen die interne Geltung von internen Ausführungsakten abhängig. In wieder anderen Rechtsordnungen gelten die Vertragsbestinunungen vennittelt durch ein Gesetz, mit dem der Gesetzgeber vor dem Abschluß des völkerrechtlichen Vertrages seine Zustinunung hierzu erteilt. 4 Die einzige Vorschrift des EGV, die die innergemeinschaftliche Geltung von Gemeinschaftsabkonunen anspricht, ist Art. 300 Abs. 7 EGV ("Die nach Maßgabe dieses Artikels geschlossenen Abkonunen sind für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich."). Zunächst wird dort lediglich die gemeinschaftsrechtliche Bindung der Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsabkommen angeordnet. 5 Nach der Interpretation des EuGH regelt Art. 300 Abs. 7 EGV darüber hinaus jedoch umfassend die innergemeinschaftliche Geltung der Gerneinschaftsabkonunen. In dem Urteil Haegeman hat der EuGH die Formel geprägt, die Bestinunungen eines Gemeinschaftsabkommens bildeten "seit dessen lokrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung".6 Zutreffend wurde darauf hingewiesen, der EuGH Siehe zum Ganzen Doehring, § 13, Rn. 706. Damit tritt für die Gemeinschaftsorgane neben die völkerrechtliche Verpflichtung, die Gemeinschaftsabkommen zu beachten, auch eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Pflicht. Die Mitgliedstaaten, die anders als die Gemeinschaftsorgane nicht an der völkerrechtlichen Bindung teilhaben, werden hierdurch gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet, die Gemeinschaftsabkommen zu erfüllen. Irreführend demgegenüber EuGH - Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982, 3641 (3662), Rn. 13 ("Indem die Mitgliedstaaten dafür sorgen, daß die Verpflichtungen aus einem von den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommen eingehalten werden, erfüllen sie eine Pflicht, die nicht nur dem betroffenen Drittland, sondern auch und vor allem der Gemeinschaft gegenüber besteht, die die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat."; Hervorhebung nicht im Original). Eine völkerrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten gegenüber den Vertragspartnern der Gemeinschaft liegt- außer im Fall der gemischten Abkommen (dazu unten Teil!, B. 1.)- gerade nicht vor. 6 EuGH- Haegeman, 181/73- Slg. 1974, 449 (460), Rn. 2/6. Der EuGH begründete hiermit seine Zuständigkeit, Bestimmungen eines Assoziierungsabkommens im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 234 EGV) auszulegen. Die Formel taucht jedoch seit dem Haegeman-Urteil in ständiger Rechtsprechung nicht nur im Zusammenhang mit Assoziierungsabkommen (vgl. etwa EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3750), Rn. 7; EuGH- Griechenland/Kommission, 30/88- Slg. 1989, 3711 (3737), Rn. 12; EuGH - Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 3461 (3500), Rn. 8; alle zum Assoziierungsabkommen mit der Türkei vom 12.9.1963), sondern auch bei sonstigen Gemeinschaftsabkommen (vgl. EuGH- Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982, 3641 (3662), Rn. 13 (Freihandelsabkomrnen mit 4

5

44

Teil l: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

habe mit dieser lapidaren Formel die praktischen Rechtsprobleme der gemeinschaftsinternen Geltung von Gemeinschaftsabkommen im wesentlichen gelöst. 7 Mit der einzigen Maßgabe, daß das fragliche Gemeinschaftsabkommen "ordnungsgemäß abgeschlossen" wurde, 8 werden dessen Bestimmungen Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung, sobald das Abkommen völkerrechtlich in Kraft tritt. Die Geltung der Abkommensbestimmungen wird nicht durch interne Rechtsakte vermittelt. Die Beschlüsse oder Verordnungen9, mit denen der Rat die Gemeinschaftsabkommen im Rahmen des innergemeinschaftlichen Genehmigungsverfahrens nach Art. 300 EGV für die Gemeinschaft genehmigt, haben in der Gemeinschaftsrechtsordnung keine Umsetzungsfunktion. Ihnen kommt eine rein "instrumentale Bedeutung" zu. 10 Mangels eines Umsetzungsaktes erfährt ein Gemeinschaftsabkommen keine inhaltliche Veränderung, wenn es mit seinem völkerrechtlichen lokrafttreten Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung wird, sondern wird Teil des Gemeinschaftsrechts, ohne seine völkerrechtliche Natur zu verlieren. 11 Festzuhalten bleibt, daß einzige Voraussetzung für die innergemeinschaftliche Geltung eines Gemeinschaftsabkommens dessen völkerrechtliches lokrafttreten ist.

II. Normenhierarchische Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung

In der Normenhierarchie der Gemeinschaftsrechtsordnung stehen die Gemeinschaftsabkommen im Rang zwischen dem primären und dem sekundären Gemeinschaftsrecht 12 Artikel 300 Abs. 6 EGV, wonach ein Gutachten des Gerichtshofs Portugal vom 22.7 .1972); EuGH- CMC/Kommission, 118/83 R- Slg. 1983, 2583 (2590), Rn. 20 (zweites AKP-EWG-Abkommen vom 3l.l0.1979) auf. 1 Tomuschat, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Art. 228, Rn. 58. 8 So ausdrücklich EuGH- CMC/Kommission, 118/83 R- Slg. 1983, 2583 (2590), Rn. 20. 9 Einen Überblick zur insofern uneinheitlichen Praxis des Rates bietet Tomuschat, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Art. 228, Rn. 44. 10 Schlußanträge der Generalanwältin Sirnone Rozes zu EuGH- Polydor, 270/80- Slg. 1982, 351 (353); siehe auch Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1070 ff.). 11 Tomuschat, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Art. 228, Rn. 58 f., sieht in dem Verzicht auf eine inhaltsmodifizierende Einvernahme des Gemeinschaftsabkommens, d. h. darin daß das Gemeinschaftsabkommen nicht ,.vergemeinschaftet" wird, sondern innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung seine Rechtsnatur als völkerrechtliches Instrument bei behält, eine eindeutig monistische Prägung der Gemeinschaftsrechtsordnung. 12 V gl. Schlußanträge von Generalanwalt Lenz zu Nakajirna, C-69/89, Slg. 1991, 1-2112 (2127), Rn. 53.

A. Geltung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung

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über die Vereinbarkeil von Vertragsentwürfen mit dem EGV eingeholt werden kann, zeigt, daß das gemeinschaftliche Primärrecht den Gemeinschaftsabkommen vorgeht. Andererseits ergibt sich aus Art. 300 Abs. 7 EGV, daß die Gerneinschaftsabkommen gegenüber dem Sekundärrecht höherrangig sind. 13

111. Konsequenzen der innergemeinschaftlichen Geltung Als "integrierender Bestandteil der Gerneinschaftsrechtsordnung" sind die Gerneinschaftsabkommen Teil des in der Gemeinschaft geltenden positiven Rechts. Sie gehören neben dem Primärrecht und den vorn Gemeinschaftsgesetzgeber erlassenen internen Rechtsakten zu den Rechtsquellen des Gerneinschaftsrechts. Diese innergemeinschaftliche Geltung bringt folgende Konsequenzen mit sich.

1. Auslegungszuständigkeit des EuGH

Der EuGH hat in der Rechtssache Haegeman auf die Qualität von Gerneinschaftsabkommen als "integrierenden Bestandteil der Gerneinschaftsrechtsordnung"14 hingewiesen, um damit zu begründen, warum er zuständig ist, Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen im Wege der Vorabentscheidung (Art. 234 Abs. llit. (b) EGV) auszulegen. 15 Aber auch im Rahmen anderer Verfahren, etwa der Nichtigkeitsklage (Art. 230 EGV) 16, bejaht der EuGH seine Zuständigkeit zur Auslegung von Bestimmungen aus Gerneinschaftsabkommen. Indern der Gerichtshof die Abkommensbestimmungen ebenso zentral auslegt wie die Vorschriften der Gründungsverträge oder des Sekundärrechts, trägt er zu deren einheitlicher Geltung in der Gemeinschaftsrechtsordnung bei. So betont der EuGH in der Rechtssache Kupferberg: "Wegen ihres gemeinschaftsrechtlichen Charakters können diese vertraglichen Bestimmungen innerhalb der Gerneinschaft keine unterschiedlichen Rechtswirkungen entfalten, ( ... ).Es ist also Sache des Gerichtshofes, im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Auslegung der Bestimmungen von Abkommen 13 Allgemeine Meinung, vgl. statt aller Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228, Rn. 53. 14 EuGH- Haegeman, 181173- Slg. 1974,449 (460), Rn. 2/6. 15 Seine Zuständigkeit hat der EuGH allerdings auch auf das zusätzliche Argument gestützt, die Bestimmungen des Abkommens seien deswegen tauglicher Gegenstand einer Vorlage nach Art. 177 Abs. 1, lit. b), EWGV (Art. 234 EGV), weil das Abkommen vom Rat geschlossen wurde und somit als Handlung eines Gemeinschaftsorgans anzusehen sei, EuGH- Haegeman, 181173- Slg. 1974,449 (460), Rn. 2/6. 16 Vgl. EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 ff.

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Teil 1: Die Geltung des 1RIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

deren einheitliche Anwendung innerhalb der gesamten Gemeinschaft sicherzustellen."17 Durch die zentrale Auslegung sucht der EuGH also zu vermeiden, daß der Bedeutungsgehalt der Abkommensbestimmungen innerhalb der Gemeinschaft von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variiert. Da die Gemeinschaftsabkommen-wie oben dargelegt- in die Gemeinschaftsrechtsordnung integriert werden, ohne ihre völkerrechtliche Natur zu verlieren, darf bei ihrer Auslegung nach Ansicht des Gerichtshofes "der völkerrechtliche Ursprung der fraglichen Bestimmungen nicht außer acht gelassen werden". 18 Die Auslegung hat daher nach den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln zu erfolgen, und nicht etwa nach dem Prinzip der dynamischen, am effet utile orientierten, Auslegung19, das bei der Interpretation primärrechtlicher Vorschriften anzuwenden ist. Dies kann dazu führen, daß der EuGH Bestimmungen von Gemeinschaftsabkommen eine andere Bedeutung beimißt als gleichlautenden Normen des EGV. 2°Für die Wirkung von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung kann dies weitreichende Konsequenzen mit sich bringen.

2. Anwendungsvorrang

Als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung können die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen nicht nur vom EuGH ausgelegt werden, sondern sie haben auch an dem für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts wichtigen Anwendungsvorrang gegenüber jedem mitgliedstaatliehen Recht teil. In dem Urteil Costa/ENEL hat der EuGH den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor mitgliedstaatlichem Recht aus der Autonomie der Gemeinschaftsrechtsordnung entwickelt. 21 Als "integrierender Bestandteil" ebendieser Gemeinschaftsrechtsordnung gehen auch die Gemeinschaftsabkommen jedem mitgliedstaatliehen Recht vor. 22 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3662 f.), Rn. 14. EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3641 (3663), Rn. 17. 19 Siehe hierzu Oppennann, Europarecht, Rn. 685 f. 20 So in EuGH- Polydor, 270/80- Slg. 1982, 329 (348 f.), Rn. 15 ff, wo der EuGH dem Rechtsbegriff der Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen in den Freihandelsabkommen mit den EFTA-Ländem eine restriktivere Deutung gibt als in Art. 28 EGV. 21 EuGH- Costa/ENEL, 6/64- Slg. 1964, 1251 (1269 f.). 22 Die Frage, ob sich der Vorrang einer Abkommensbestimmung im Einzelfall vor den mitgliedstaatliehen Gerichten oder dem EuGH erstreiten läßt, hängt jedoch von weiteren Faktoren ab, die im Zusammenhang mit den besonderen Wirkungen von Gemeinschafts17

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B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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IV. Zusammenfassung Die innergemeinschaftliche Geltung der Gemeinschaftsabkommen als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" hängt allein von deren völkerrechtlichem lokrafttreten ab. Der Vermittlung durch interne Rechtsakte bedarf es nicht. Im Rang stehen die Gemeinschaftsabkommen zwischen dem Primärrecht und dem Sekundärrecht Infolge der gemeinschaftsinternen Geltung ist der EuGH zuständig, die Gemeinschaftsabkommen zentral auszulegen, wobei er die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze anzuwenden hat. Als Teil des Gemeinschaftsrechts haben die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen am Anwendungsvorrang gegenüber mitgliedstaatlichem Recht teil.

B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen Wäre das WTO-Übereinkommen allein von der EG unterzeichnet und ratifiziert worden, so wäre das TRIPS als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens (vgl. Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen) ohne weiteres seit dem lokrafttreten des WTO-Übereinkommens am 1.1.1995 "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" mit den oben beschriebenen Konsequenzen. Tatsächlich wurde das WTO-Übereinkommen sowohl von der Gemeinschaft als auch von den Mitgliedstaaten unterzeichnet und ratifiziert. Insofern handelt es sich beim WTOÜbereinkommen einschließlich des TRIPS um ein "gemischtes Abkommen". In einem ersten Teil dieses Abschnitts wird der Begriff der gemischten Abkommen erläutert und aufgezeigt, daß der gemischte Abschluß eines Abkommens eng mit der Reichweite der Vertragsabschlußkompetenzen einer internationalen bzw. supranationalen Organisation zusammenhängt. Danach wird analysiert, wie weit die Vertragsabschlußzuständigkeit der EG für das TRIPS nach dem Gutachten 1194 des EuGH reichte. Anschließend wird aufgezeigt, daß sich die Vertragsabschlußzuständigkeit der EG für das TRIPS seit dem Gutachten 1/94 erweitert hat und für die Zukunft eine weitere Ausdehnung zu erwarten ist.

I. Begriff und Bedeutung der gemischten Abkommen Ein gemischtes Abkommen liegt vor, wenn eine internationale Organisation gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten einen völkerrechtlichen Vertrag mit einem abkommen zu diskutieren sind. Siehe zu dieser Frage bereits die Schlußanträge von Generalanwalt Lagrance zu Costa/ENEL, 6/64, Slg. 1964, 1279 (1285 ff.).

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

dritten Völkerrechtssubjekt abschließt. 23 In der Gemeinschaftsrechtsordnung werden gemischte Abkommen, auch wenn sie ausdrücklich nur in Art. 102 EAGV vorgesehen sind, von der Rechtsprechung24 und vom Schrifttum25 auch im Anwendungsbereich des EGV gemeinschaftsrechtlich für grundsätzlich zulässig gehalten. Die EG und ihre Mitgliedstaaten schließen gemischte Abkommen dann ab, wenn die Regelungsmaterie eines Abkommens weiter ist als die Vertragsabschlußkompetenzen der EG. 26 Erst durch den gemeinsamen Abschluß wird in diesen Fällen die Teilnahme an dem Abkommen möglich. 27 Oftmals wird es im Vorfeld des Vertragsabschlusses Differenzen geben zwischen der Kommission einerseits und Rat bzw. Mitgliedstaaten andererseits, wie genau die Außenkompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten abzugrenzen sind. In solchen Fällen dienen gemischte Abkommen dazu, Spannungen zwischen den Organen zu vermeiden und den "interinstitutionellen Frieden" zu erhalten. 28 Dies wird erreicht, indem die Kompetenzabgrenzung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten gegenüber den Vertragspartnern nicht offengelegt wird. 29 Dadurch bleibt die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten

Schermers, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 23 (25 f.). V gl. EuGH- Gutachten 1/76, Stillegungsfonds für die Binnenwirtschaft- Slg. 1977, 741 ff.; EuGH- Gutachten 1/78, Naturkautschuk-Übereinkomrnen- Slg. 1978, 2871 ff.; EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkomrnen- Slg. 1994, I-5267 ff. 25 Dauses, in: Ress (Hg.), Souveränitätsverständnis, 171 (187 f.); Meessen, EuR 1980, 36 (40 ff.); Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228, Rn. 18. 26 Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (5); Dauses, EuR 1979, 138 (150). 27 Schermers, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 23 (25 f.), definiert: "A mixed agreement is any treaty to which an international organization, some or all of its Member States and one or more third States are parties and for the execution of which neither the organization nor its Member States have full competence." 28 Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (7 f.). 29 Es gibt nur wenige Abkommen, die ein solches Vorgehen verbieten und verlangen, daß internationale Organisationen und deren Mitgliedstaaten beim Vertragsschluß ausdrücklich mitteilen, wie die Zuständigkeiten zwischen ihnen verteilt sind. So müssen etwa nach dem Annex IX der Seerechts-Konvention der Vereinten Nationen (UNCLOS) vom 10.12.1982 (UN Doc. A/Conf. 62/122) beitrittswillige internationale Organisationen und ihre Mitgliedstaaten förmlich erklären, welche Befugnisse von den Mitgliedstaaten auf die Organisation übertragen wurden, welcher Art und welchen Ausmaßes diese Kompetenzen sind, und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln (vgl. Art. 5 des Anhangs IX zur UNCLOS, welcher die Teilnahme internationaler Organisationen regelt). Auch die Gemeinschaft mußte eine entsprechende Erklärung abgeben. Zu den Problemen, die mit einer solchen Offenlegung verbunden sind, siehe Bemhardt, EuR 1983, 199 (207 ff.). 23 24

B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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eine "interne Frage". 30 Dieses Schweigen nach außen hat den VorteiV' daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten überbrückt werden und die anderen Vertragsparteien zumindest sicher sein können, daß- je nach interner Kompetenzaufteilung- entweder die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten völkerrechtlich haften. 32

II. Die Reichweite der EG-Vertragsabschlußzuständigkeit für das TRIPS nach dem Gutachten 1/94 des EuGH Die Kommission war während der Uruguay-Runde der Auffassung, daß die EG die Vertragsabschlußzuständigkeit für alle Verhandlungsmaterien einschließlich des 1RIPS besitzt, und favorisierte daher den Abschluß als ,,reines" Gemeinschaftsabkonunen. Die Mitgliedstaaten hingegen verneinten eine Gemeinschaftszuständigkeit unter anderem für das 1RIPS und betonten insofern ihre eigenen V ertragsabschlußkompetenzen. Erst der EuGH vermochte in seinem Gutachten 1/94 zu klären, wie weit die Vertragsabschlußzuständigkeit der EG für das 1RIPS reicht. 1. Hintergrund des Gutachtens Nachdem in der Ministererklärung von Punta del Este vom 20. September 198633 die Ziele, Themen und Modalitäten der Uruguay-Runde festgelegt worden 30 V gl. EuGH - Beschluß 1178, Übereinkommen über den Objektschutz von Kernmaterial- Slg. 1978, 2151 (2180 f.), Rn. 35: ,,Es genügt, den anderen Vertragsparteien gegenüber festzustellen, daß in der Materie die Zuständigkeiten innerhalb der Gemeinschaft verteilt sind, wobei die genaue Beschaffenheit dieser Verteilung eine interne Frage ist, in die sich die dritten Länder nicht einzumischen haben. Worauf es hier ankommt, ist, daß das Übereinkommen lückenlos durchgeführt wird." 31 Andererseits bringen die gemischten Abkommen sowohl für die EG als auch deren Vertragspartner gewisse Nachteile mit sich. Tomuschat weist auf mögliche Unsicherheiten für die anderen Vertragsparteien hin, Tomuschat, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 125 (129 ff.). Vedder befürchtet, daß die Völkerrechtssubjektivität der EG und ihre Vertragsabschlußkompetenzen international nur unvollständig zur Geltung kommen, Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228, Rn. 18. 32 Daneben haben die EG-Mitgliedstaaten ein offensichtliches Interesse daran, Vertragspartei des Abkommens zu werden, um nicht "völlig von der völkerrechtlichen Bühne abzutreten"; vgl. Tomuschat, in: von der Groeben!Ibiesing!Ehlermann, Art. 228, Rn. 10; Eh/ermann, in: O' Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (6), weist daraufhin, daß dieses Interesse noch verstärkt wird, wenn es um den Erhalt von Stimmrechten in internationalen Organisationen geht. 33 Doc. GATI/1395 vom 25.9.1986, BISD 33 S/19; siehe auch BuliEG 9-1986, 1.4.1. und 1.4.4. 4 Hermes

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Teil 1: Die Geltung des 1RIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

waren, legte die Kommission, die vom Rat dazu ermächtigt worden war, dort für die Gemeinschaft aufzutreten,34 die genannte Erklärung dem Rat zur Genehmigung vor und bat ihn, sie nach Art. 300 Abs. 1 EGV zur Einleitung der erforderlichen Verhandlungen zu ermächtigen. Obgleich bei dieser Gelegenheit einige Mitgliedstaaten geltend machten, daß nicht alle Punkte auf dem Programm der Uruguay-Runde in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fielen, wollte man bei den Verhandlungen ein Höchstmaß an Kohärenz gewährleisten und einigte sich deshalb darauf, daß die Kommission als einziger Unterhändler der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten auftreten sollte. 35 Im Protokoll der Ratstagung wurde festgehalten, daß die Verhandlungsführung durch die Kommission "der Frage der Zuständigkeit der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten bei spezifischen Themen nicht vor[greifen]" sollte.36 Gemeint waren hiermit in erster Linie die Bereiche der Dienstleistungen (GA TS) und des Schutz des geistigen Eigenturns (TRIPS). Auf der Grundlage dieses Mandates verhandelte die Kommission dann für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten während der gesamten UruguayRunde, d. h. von September 1986 bis Dezember 1993.37 Am 15. Dezember 1993 beschloß der Ausschuß für multilaterale Handelsverhandlungen formal die Verhandlungen, indem er in Genf die Schlußakte, die die Ergebnisse der Uruguay-Runde enthielt, billigte. 38 Für die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten nahm das Kommissionsmitglied Sir Leon Brittan das Verhandlungsergebnis an. Der bis dahin verdeckte Konflikt brach während der Ratstagung vom 8. März 1994 erneut auf, als es darum ging, ob die Gemeinschaft die Schlußakte allein oder zusammen mit den Mitgliedstaaten unterzeichnen sollte. Die Kommission bekräftigte ihre Auffassung, die Schlußakte mit dem gesamten WTO-Übereinkommen fiele in die ausschließliche Zuständigkeit der EG. Demgegenüber waren die Vertreter der Mitgliedstaaten der Ansicht, das WTO-Übereinkommen beträfe mit dem GATS und dem TRIPS auch in die nationale Zuständigkeit fallende Fragen. Daher sei das WTO-Übereinkommen von der Gemeinschaft

Sog. Overall Approach, Ratsbeschluß vom 17.6.1986, BullEG 6-1986, 2.2.2. Vgl. die Darstellung in EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5389), Rn. 3. Siehe auch Van den Bossche, in: Jackson/Sykes (Hg.), 23 (56). 36 Vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5389), Rn. 3. 37 Zu den Einzelheiten des Verhältnisses von Kommission zu den Mitgliedstaaten und dem Rat während der Uruguay-Runde siehe Van den Bossche, in: Jackson/Sykes (Hg.), 23 (57 ff.). 38 BullEG 12-1993, 1.3.99. 34 35

8. 1RIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zu unterzeichnen.39 Der Rat schloß sich dem an und beschloß, daß die Schlußakte mitsamt dem WTO-Übereinkommen am 15. April 1994 in Marrakesch nicht nur von der Gemeinschaft, sondern auch durch die Mitgliedstaaten unterzeichnet werden sollte. Hiergegen wehrte sich die Kommission und reichte am 6. April 1994, also nur wenige Tage vor dem für die Unterzeichnung des WTO-Übereinkommens vorgesehenen Zeitpunkt, beim Gerichtshof einen Antrag auf ein Gutachten nach Art. 300 Abs. 6 EGV ein. 40 Hierin fragte sie den Gerichtshof in erster Linie, ob "die Europäische Gemeinschaft die Zuständigkeit zum Abschluß aller Teile des Abkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation in bezug auf den Dienstleistungsverkehr (GATS) und auf die handelsbezogenen Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum einschließlich des Handels mit nachgeahmten Waren (TRIPS) auf der Grundlage des EG-Vertrags" hat. 41 Sie wollte also geklärt wissen, ob die Gemeinschaft nicht nur für den Bereich des Warenhandels (GATT 1994), sondern auch für die Bereiche GATS und TRIPS ausschließlich zuständig sei. 42 Noch bevor sich der Gerichtshof in seinem Gutachten zu dieser Frage äußern konnte, wurde die Schlußakte mitsamt dem WTO-Übereinkommen auf der Ministerkonferenz von Marrakesch am 15. April 1994, wie im Ratsbeschluß vom 8. März vorgesehen, sowohl von der Europäischen Gemeinschaft - vertreten durch den damaligen Ratspräsidenten Panga/os und den Kommissar Sir Leon Brittan- als auch von den Vertretern der damals zwölf Mitgliedstaaten unterzeichnet. Dennoch blieb die Frage der Zuständigkeitsverteilung von Interesse, hing von ihrer Beantwortung doch ab, in welchem Umfang das WTO39 Siehe zum Ganzen EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 15267 (5389), Rn. 5. 40 Art. 107, § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1991 stellt klar, daß sich ein Gutachten nach Art. 300 Abs. 6 EGV auch .,auf die Zuständigkeit der Gemeinschaft oder eines ihrer Organe für den Abschluß eines solchen Abkommens erstrecken" kann. 41 EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5390 f.), Rn. 6. 42 Daß es um die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft ging, ergab sich zwar nicht klar aus der Formulierung des Antrags. Doch ging es nach Auffassung aller Verfahrensbeteiligten und des Gerichtshofes .,um die grundlegende Frage, ob die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluß des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge eine ausschließliche ist oder nicht", EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994,1-5267 (5393), Rn. 14. Dies zeigt auch der Anwortvorschlag der Kornmission ("Die auschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft für den die Rechte an geistigem Eigentum (1RIPS) betreffenden Teil des WTO-Übereinkommens beruht( ... ) auf( . .. )."). EuGHGutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5351).

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Übereinkommen intern von der Gemeinschaft zu genehmigen sei und wie es danach zu ratifizieren sei.

2. Inhalt des Gutachtens Im folgenden ist zu analysieren, wie weit die Zuständigkeit der EG für die im TRIPS geregelte Materie aufgrundder ihr durch den EGV eingeräumten Vertragsabschlußkompetenzen nach Auffassung des EuGH reichte.

a) TRIPS und Art. 133 EGV

aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach Art. 133 EGV Aufgrund ihrer Völkerrechtssubjektivität, die ihr durch Art. 281 EGV verliehen wird,43 ist die EG in der Lage, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. 44 Im Unterschied zu originären Völkerrechtssubjekten hat die EG jedoch keine umfassende Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge. Das in Art. 5 Abs. 1 EGV festgeschriebene Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gilt für die gesamte Tätigkeit der EG, mithin auch für den Bereich der Vertragsabschlußkompetenzen. Die EG besitzt in Art. 133 EGV (gemeinsame Handelspolitik) eine ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz.45 Im Bereich einer ausschließlichen EG-Kompetenz dürfen die Mitgliedstaaten nur noch aufgrundeiner besonderen Ermächtigung durch die zuständigen Gemeinschaftsorgane oder als "Sachwalter des gemeinsamen Interesses" (alleine) tätig werden. 46 Nach Art. 133 Abs. 1 EGV umfaßt die gemeinsame Handelspolitik "den Abschluß von Zoll- und Handelsabkommen". Der Sachbereich der gemeinsamen Handelspolitik ist traditionell zwischen Kommission und Rat umstritten. Nach der engen, sog. "finalistischen", Auffassung des Rates fallen nur solche Rechtsakte unter Art. 133 EGV, die "zur 43 Allgemeine Meinung; siehe statt aller Pipkom, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, 529 f. 44 EuGH- AETR, 22170- Slg. 1971, 263 (274); EuGH- Kramer, 3, 4 und 6176- Slg. 1976, 1279 (1310). 45 St. Rspr. seitEuGH-Gutachten 1175, Vereinbarungüber Ausfuhrkredite- Slg. 1975, 1355 (1363 f.); zu den geringfügigen Relativierungen in der späteren Rechtsprechung siehe Bourgeois, in: von der Groeben!Thiesing/Ehlermann, Art. 113, Rn. 29 ff. 46 EuGH- Donckerwo1cke, 41176- Slg. 1976, 1921 (1937); EuGH- Kommission/ Vereinigtes Königreich, 804179- Slg. 1981, 1045 (1075 f.).

B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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Beeinflussung des Handelsvolumens oder der Handelsströme" vorgenommen werden.47 Demgegenüber vertritt die Kommission einen weiten, sog. "instrumentalen" Begriff der gemeinsamen Handelspolitik, wonach bei der Beurteilung einer handelspolitischen Maßnahme "vor allem von deren besonderem Charakter als Instrument zur Regelung des internationalen Handels ausgegangen werden" müsse. 48 Im Schrifttum werden finale und instrumentale Theorie vielfach kombiniert und durch ein "Spezifizitäts"-Kriterium ergänzt. So faßt Ehlermann unter die gemeinsame Handelspolitik "an measures which regulate openly and specifically trade with third countries, whatever their purpose and motivation rnight be, unless the Treaty contains a derogation"49 Der Gerichtshof hat zu dem Streit zwischen dem finalistischen und dem instrumentalen Ansatz nie ausdrücklich Stellung bezogen, den Geltungsbereich von Art. 133 EGV aber in zahlreichen Gutachten und Entscheidungen nach und nach präzisiert. 50 bb) Die Auffassungen der Veifahrensbeteiligten

Die Kommission führte drei Argumente an, warum die EG für den Abschluß des TRIPS nach Art. 133 EGV ausschließlich zuständig sei. Zum einen seien der Warenverkehr und der Schutz des geistigen Eigenturns eng verknüpft, was sich etwa inder-auf Art. 133 EGV gestützten- Verordnung (EWG) Nr. 3842/84 des Rates über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmterWaren in den zollrechtlich freien Verkehr 1 zeige. 52 Zweitens könnten aufgrund des "neuen 47 So in EuGH- Gutachten 1178, Naturkautschuk-Übereinkommen- Slg. 1979, 2871 (2910), Rn. 39. 48 So in EuGH- Gutachten 1178, Naturkautschuk-Übereinkommen- Slg. 1979, 2871 (2910), Rn. 38. 49 Ehlermann, Melanges aTeitgen (1984), 145 (152). 50 Siehe den Überblick bei Bourgeois, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Art. 113, Rn. 4 ff. Im Hinblick auf das GATS hat der Gerichtshof im Gutachten l/94 festgestellt, daß "der offene Charakter der gemeinsamen Handelspolitik im Sinne des Vertrages es angesichts der Entwicklung des internationalen Handels nicht zuläßt, den Dienstleistungsverkehr von vomeherein und grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 113 auszuschließen", wobei er allerdings nur den internationalen Dienstleistungsverkehr unter Art. 133 EGV faßte, der der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen gilt und keinen Grenzübertritt von Personen erfordert, vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTOÜbereinkommen- Slg. 1994, I-5267 (5401 f.), Rn. 41 ff. 51 Verordnung (EWG) Nr. 3842184 des Rates vom I. Dezember 1986 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr, ABI. 1986 L 357, I. 52 Standpunkt der Kommission, EuGH- Gutachten l/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, I-5267 (5404 ff.), Rn. 54 ff.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

handelspolitischen lnstruments"53 und aufgrundder Verordnung 4257/88/EWG5\ die beide auf Art. 133 EGV gestützt sind, Maßnahmen auch zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums getroffen werden. 55 Schließlich enthielten einige von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossene Abkommen Bestimmungen über den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum. 56 Der Rat, die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament traten den Argumenten der Kommission entschieden entgegen und betonten, daß für das TRIPS - mit Ausnahme des Abschnitts 4 des Titels III des TRIPS - keine Gemeinschaftszuständigkeit aus Art. 133 EGV bestünde.57

cc) Die Auffassung des Gerichtshofes Der Gerichtshof nahm eine ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit nach Art. 133 EGV nur für Teil III Abschnitt 4 (Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum durch Maßnahmen an den Grenzen) des TRIPS an. Insofern umfasse Art. 133 EGV als rechtliche Grundlage für Maßnahmen der Zollbehörden an den Außengrenzen der Gemeinschaft nicht nur den Erlaß von Maßnahmen wie der Verordnung (EWG) Nr. 3842/84, sondern auch den Abschluß internationaler Abkommen. Im übrigen jedoch reiche ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Warenhandel und den Rechten an geistigem Eigentum nicht aus, um das gesamte TRIPS in den Anwendungsbereich von Art. 133 EGV fallen zu lassen. Das TRIPS gelte nicht in erster Linie dem internationalen Warenaustausch, sondern mindestens in gleichem Maße dem Binnenhandel. Sein Hauptzweck liege darin, den Schutz des geistigen Eigentums weltweit zu verstärken und zu harmonisieren. Die 53 Verordnung 2641/84/EWG des Rates vom 17. September 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken, ABI. 1984 L 252, 1. 54 Verordnung 4257/88/EWG des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Anwendung allgemeiner Zollpräferenzen für bestimmte gewerbliche Waren mit Ursprung in Entwicklungsländern im Jahr 1989, ABI. 1988 L 375, 1. 55 Standpunkt der Kommission, EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5406), Rn. 62 und 64, mit den entsprechenden Nachweisen auf die Praxis. 56 Die Kommission erwähnt Vorschriften zum Marken-, Muster- und Modellschutz in bilateralen Textilabkommen, Vorschriften über Ursprungsbezeichnungen in bilateralen Abkommen über den Weinhandel und generelle Vereinbarungen über die Erhöhung des Schutzniveaus bei geistigem Eigentum in den Europa-Abkommen mit osteuropäischen Ländern, vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5408 f.), Rn. 66 ff., mit den entsprechenden Nachweisen. 57 Vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5315 ff.).

B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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gemeinschaftsinterne Harmonisierung, die nach den Art. 94, 95 und 308 EGV an besondere Verfahren geknüpft ist, würde umgangen, erkennte man der Gemeinschaft die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 133 EGV zu. 58 Auf das zweite Argument der Kanunission entgegnete der Gerichtshof, daß selbst in den Fällen, in denen auf der Grundlage außenpolitischer Instrumente Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums ergriffen würden, die Sanktionsmaßnahmen selbst doch nach wie vor klassische Maßnahmen der Handelspolitik blieben, die mit dem Hauptzweck des 1RIPS, der Harmonisierung des Schutzes des geistigen Eigentums nichts zu tun hätten. 59 Schließlich seien die dem Schutz des geistigen Eigentums geltenden Klauseln in den aufgrund Art. 133 EGV geschlossenen Gemeinschaftsabkommen in ihrer Tragweite so begrenzt, daß sie eine entsprechende Praxis der Gemeinschaft auf dem Gebiet nicht belegen könnten. 60 Eine ausschließliche Vertragsabschlußzuständigkeit der EG aufgrund Art. 133 EGV sei daher allein für den in Teil III Abschnitt 4 TRIPS geregelten Bereich gegeben.

b) TRIPS und AETR-Doktrin

aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach der AETR-Doktrin Eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz zum Abschluß von Abkommen kann sich nicht nur aus audrücklichen Ermächtigungen, wie Art. 133 EGV, ergeben. In demAETR-Urteil führte der Gerichtshof erstmals aus, daß sie "auch aus anderen Vertragsbestimmungen und aus in ihrem Rahmen ergangenen Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane fließen" 61 kann. In Bereichen, in denen "die Gemeinschaft zur Verwirklichung einer vom Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Politik Vorschriften erlassen hat, die in irgendeiner Form gemeinsame Rechtsnormen vorsehen", seien "die Mitgliedstaaten weder einzeln noch selbst gemeinsam handelnd berechtigt, mit dritten Staaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Normen beeinträchtigten".62 Mit Fortschreiten der Gemeinschaftsrechtssetzung in einer bestimmten Materie erwachse der Gemeinschaft auch die ausschließliche Zuständig58 EuGH - Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen - Slg. 1994, 1-5267 (5404 f.), Rn. 55 ff. 59 EuGH - Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen - Slg. 1994, 1-5267 (5407), Rn. 63 ff. 60 EuGH - Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen - Slg. 1994, 1-5267 (5408 f.), Rn. 67 ff. 61 EuGH- AETR, 22170- Slg. 1971, 263 (274 f.), Rn. 15119. 62 EuGH- AETR, 22170- Slg. 1971, 263 (274 f.), Rn. 15119.

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Teil I : Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

keit zum Abschluß von Abkommen mit dritten Staaten zu, da dann ein konkurrierendes Tätigwerden der Mitgliedstaaten "mit der Einheit des Gemeinsamen Marktes und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts unvereinbar" wäre. 63 In späteren Entscheidungen hat der Gerichtshof das Erfordernis, daß die Sekundärrechtsakte zur Verwirklichung einer im EGV vorgesehenen "gemeinsamen Politik"64 erlassen werden müssen, gelockert. Nach heutiger Rechtsprechung reicht auch der Erlaß von Rechtsakten aufgrund einer jeden internen Befugnisnorm aus. 65 Hinsichtlich der Dichte der zu schützenden internen Sekundärrechtssetzung schließt der EuGH ein mitgliedstaatliches Handeln dann aus -geht also von einer ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit aus -, wenn "ein Gebiet( ... ) bereits weitgehend von Gemeinschaftsrechtsvorschriften erfaßt ist"66• In der Literatur wird verschiedentlich behauptet, daß der EuGH in der Rechtssache Kramel'1 eine ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz der EG allein aufgrund einer internen Rechtssetzungsbefugnis, d. h. unabhängig davon angenommen habe, ob die Gemeinschaft in einer Materie bereits Sekundärrecht erlassen habe.68 Diese Behauptung findetjedoch in der angeführten Entscheidung keine Stütze.69 Zusammenfassend kommt der EG nach der AETR-Doktrin70 also eine implizite ausschließliche Zuständigkeit dann zu, wenn sie auf der Grundlage interner Zuständigkeiten in einer Sachmaterie verbindliche Rechtsakte in einem solchem Ausmaß erlassen hat, daß es die Gemeinschaftsrechtssetzung beeinträchtigte, falls die Mitgliedstaaten sich auf dem Gebiete völkervertraglich binden könnten.

EuGH- AETR, 22170- Slg. 1971,263 (275 f.), Rn. 15/19 und 30/31. So noch in EuGH- AETR, 22/70- S1g. 1971, 263 (275 f.), Rn. 23/29, wo es um die Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik (Art. 3f, Titel IV EGV a. F.) ging. 65 So implizit EuGH -Gutachten Il76, Stillegungsfond für die Binnenschiffahrt - Slg. I977, 741 (755), Rn. 3; ausdrücklich EuGH - Gutachten 2/9I, ILO-Übereinkommen Nr.I70-Slg.I993,I-I06I (1077),Rn. l0f. 66 EuGH- Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr. 170- Slg. 1993, I-1064 (1080). 67 EuGH- Kramer, 3, 4 und 6176- Slg. I976, 1279 ff. 68 Statt vieler Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228, Rn. 10; Oppennann, Europarecht, 733, Rn. I704. 69 So betont derEuGH- Kramer, 3, 4und 6176- Slg. I976, I279 (13I2), Rn. 39, vielmehr umgekehrt, daß aus der fehlenden Gemeinschaftsrechtssetzung die verbleibende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten folge: "Da die Gemeinschaft ihre Aufgaben auf diesem Gebiet noch nicht in vollem Umfang wahrgenommen hatte, sind die gestellten Fragen nach alledem dahin zu beantworten, daß die Mitgliedstaaten( .. .) befugt waren,( ... ) Verpflichtungen zu übernehmen( . .. )". 70 In der I 0. Erklärung in der Schlußakte des Maastrichter Vertrages hat die AETR-Doktrin sogar primärrechtlichen Niederschlag gefunden. 63

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bb) Die Auffassungen der Verfahrensbeteiligten

Die Kommission begründete die ausschießliehe Zuständigkeit der Gemeinschaft im Bereich des TRIPS mit dem Hinweis auf "Rechtsakte des abgeleiteten Rechts, die im Sinne des Urteils AETR beeinträchtigt sein könnten, wenn die Mitgliedstaaten am Abschluß des Abkommens mitwirkten". 71 Die Gemeinschaft habe alle vom TRIPS erfaßten Schutzrechte so weitgehend intern harmonisiert, daß sich eine ausschließliche Gemeinschaftzuständigkeit ergebe. Um dies zu belegen, wies die Kommission auf gemeinschaftliche Sekundärrechtsakte auf den Gebieten des Urheberrechts und der Nachbarrechte (Teil II, Abschnitt 1 TRIPS) 72, der Marken (Teil II, Abschnitt 2 TRIPS) 73 , der geographischen Herkunftsangaben (Teil II, Abschnitt 3 TRIPS)74, der Patente (Teil II, Abschnitt 5 TRIPS) 75, der Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise (Teil II, Abschnitt 6 TRIPSf6 und der Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum (Teil III TRIPS)77 hin. 78 71 Standpunkt der Kommission, EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994,1-5267 (5417), Rn. 99. 72 Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABI. 1991 L 122, 42; Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABI. 1992 L 346, 61; Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harrnonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABI. 1993 L 290, 9; Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Richtlinie zum Rechtsschutz von Datenbanken, ABI. 1993 C 308, 1. 73 Erste Richtlinie 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABI. 1989 L 40, 1; Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABI. 1994 L 11, l. 74 Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABI. 1979 L 33, 1; Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABI. 1992 L 208, l. 75 Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel, ABI. 1992 L 182, 1. Zusätzlich vertrat die Kommission den Standpunkt, das Europäische Patentrechtsübereinkommen vom 5. Oktober 1973 (BGBI. 1976 II, 826) und die nicht in Kraft getretene Luxemburger Vereinbarung über das europäische Patent für den gemeinsamen Markt vom 15. Dezember 1989 (ABI. 1989 L 401 , 1) seien "Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung". · 76 Richtlinie 87/54/EWG des Rates vom 16. Dezember 1986 über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen, ABI. 1987 L 24, 36. 77 Verordnung (EWG) Nr. 3842/84 des Rates vom 1. Dezember 1986 über Maßnahmen

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Teil1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Im Gegensatz dazu waren der Rat und die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten der Auffassung, die Sekundärrechtssetzung der Gemeinschaft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums sei bislang so unvollständig, daß von einer ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz nach der AETR-Doktrin nicht die Rede sein könne. 79 So seien etwa weite Teile des Urheberrechts nicht harrnonisiert.80 Auch im Bereich der Marken sei die Harmonisierung unvollständig. So beschränke sich die Richtlinie 89/104/EWG nach ihrer dritten Begründungserwägung auf die Angleichung derjenigen Rechtsvorschriften, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkten. Bei der Verordnung (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke handele es sich nicht um eine Harrnonisierungsmaßnahme, sondern um eine eigenständige gemeinschaftliche Schutzregelung, die neben die mitgliedstaatliehen Markenregeln trete. 81 Auf anderen Gebieten, wie dem der gewerblichen Muster (Teil II, Abschnitt 4 TRIPS)82 und dem Schutz vertraulicher Informationen (Teil II, Abschnitt 7 TRIPS)83 gebe es gar keine Harrnonisierungsmaßnahmen. Da es sich bei der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel nicht um eine Harmonisierungsmaßnahme, sondern - wie bei der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke - um eine gemeinschaftliche Schutzregelung handele, gelte dies auch für den Bereich der Patente. 84 Im Bereich der Durchsetzung (Teil III TRIPS) gebe es mit der Verpflichtung, Verwaltungs-, Zivil- und Strafverfahren für die Durchsetzung der einzelnen Rechte an geistigem Eigentum einzuführen, sogar Bereiche, die innerhalb der Gemeinschaft nicht nur nicht harmonisiert seien, sondern die grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr, ABI. 1986 L 357, 1. 78 Standpunkt der Kommission, EuGH- Gutachten l/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5333 ff.). 79 Vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994,1-5267 (5337 ff.). 80 Siehe etwa den Standpunkt des Vereinigten Königreiches, EuGH- Gutachten l/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5340), der zentrale Art. 9 TRIPS fände in den Gemeinschaftsrechtsakten keine Entsprechung, da zwar die Mitgliedstaaten, nicht aber die Gemeinschaft Vertragspartei der RBÜ seien. 81 Standpunkt des Rates, EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5338 f.). 82 Standpunkte des Rates und des Vereinigten Königreiches, EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5338, 5340). 83 Standpunkt des Vereinigten Königreiches, EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5340). 84 Standpunkte des Rates und des Vereinigten Königreiches, EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5338 f., 5340).

B. 1RIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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seien. 85 Allein auf den Gebieten der geographischen Herkunftsangaben und der Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise räumten Rat und Mitgliedstaaten eine gewisse Dichte gemeinschaftlicher Harmonisierung ein. 86

cc) Die Auffassung des Gerichtshofes Nach Ansicht des Gerichtshofes bestand keine ausschließliche Vertragsabschlußzuständigkeit der EG nach der AETR-Doktrin. Wie schon der Rat und die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten verwies auch der Gerichtshof auf die Unvollständigkeit der Sekundärrechtssetzung der Gemeinschaft auf dem vom TRIPS geregelten Gebiet. Er gehe daher nicht davon aus, daß "die im Rahmen der Gemeinschaft erlassenen Rechtsakte des abgeleiteten Rechts im Sinne des Urteils AETR beeinträchtigt sein können, wenn die Mitgliedstaaten am Abschluß des TRIPS mitwirken".87 In bestimmten vom TRIPS erfaßten Bereichen sei im Rahmen der Gemeinschaft jedenfalls nur eine teilweise Harmonisierung verwirklicht worden. So bestehe auf dem Gebiet des Markenschutzes (Teil II, Abschnitt 2 TRIPS) mit der Richtlinie 89/1 04/EWG nur eine teilweise Harmonisierung, da sich die Richtlinie ausdrücklich auf die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften beschränke, "die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken". In anderen vom TRIPS erfaßten Bereichen seien gar gemeinschaftlichen Harmonisierungsmaßnahmen erlassen worden. Dies gelte für die Bereiche des Schutzes vertraulicher Informationen (Teil II, Abschnitt 7 TRIPS), der gewerblichen Muster (Teil II, Abschnitt 4 TRIPS) und der Patente (Teil II, Abschnitt 5 TRIPS)88•89 Am Ende wies der Gerichtshof noch klarstellend darauf hin, daß die Gemeinschafttrotz der bislang lückenhaften internen Rechtsetzung in allen Bereichen eine Zuständigkeit für die Harmonisierung der nationalen Vorschriften habe, 85 Standpunkt des Rates, EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5339); Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland, EuGH - Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5342). 86 Standpunkt des Rates, EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5337 f.); vgl. auch EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5340). 87 EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- S1g. 1994, 1-5267 (5418), Rn. 102. 88 Der Gerichtshof unterstrich, daß das EPÜ ein zwischenstaatliches Übereinkommen und kein Gemeinschaftsakt sei und die Luxemburger Vereinbarung über Gemeinschaftspatente nicht in Kraft sei; EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- S1g. 1994, 1-5267 (5418), Rn. 103. 89 EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5418), Rn. 103.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken (vgl. Art. 94 EGV). 90 Auch wenn also der Regelungsbereich von Teil III TRIPS gemeinschaftsintern bislang nur im Bereich des Abschnitts 4 harmonisiert wurde, gebe es deswegen nicht etwa eine "domaine reserve" der Mitgliedstaaten.

c) TRIPS und 1/76-Doktrin aa) Die Vertragsabschlußzuständigkeit nach der 1176-Doktrin

Neben der ausdrücklichen ausschließlichen Vertragsabschlußzuständigkeit aus Art. 133 EGV und der impliziten ausschließlichen Zuständigkeit nach der AETR-Doktrin kam für das TRIPS noch eine implizite konkurrierende Zuständigkeit der EG (und ihrer Mitgliedstaaten) in Frage. In dem Gutachten 1176 sah der EuGH solche konkurrierenden Vertragsabschlußzuständigkeiten dort, wo die Gemeinschaft zwar interne Regelungsbefugnisse innehat, diese aber noch nicht ausgeübt hat. 91 Im Schrifttum wurde daraufhin der Begriff der "Parallelität zwischen Innen- und Außenkompetenzen" geprägt. 92 Der Gerichtshof hatte in dem Gutachten 1/7693 zu klären, ob die Gemeinschaft zuständig sei, ein geplantes Abkommen über die Errichtung eines Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt abzuschließen. Für die Materie bestand weder eine ausdrückliche Vertragsabschlußkompetenz, noch konnte sich die Gemeinschaft auf die AETR-Doktrin stützen, da sie auf dem Gebiet noch keine internen Rechtsakte erlassen hatte. Um dennoch eine Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft begründen zu können, weitet der Gerichtshof die stillschweigenden Vertragsabschlußkompetenzen der EG in seinem Gutachten 1176 erheblich aus. Seiner Ansicht nach bestand eine stillschweigende Vertragsabschlußkompetenz der Gemeinschaft bereits dann, wenn der Vertragsabschluß - wie im Falle des Stillegungsfonds - notwendig ist, um ein Ziel der Gemeinschaft zu erreichen, und eine interne Rechtsetzungskompetenz zwar noch nicht ausgeübt ist, aber anläßlich des Abschlusses bzw. der Inkraftsetzung des Ab-

EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5419), Rn. 106. EuGH- Gutachten 1176, Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt- Slg. 1977, 741 (756). 92 Streinz, Europarecht, Rn. 594. Ehlennann, in: O'Keefe/Schermers, 3 (5 f.) , spricht von "virtual, non-exclusive Community powers". 93 EuGH- Gutachten 1176, Stillegungsfond für die Binnenschiffahrt- Slg. 1977,741 ff. 90

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B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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kornmens ausgeübt werden soll.94 Unklar war bis zum Gutachten 1194 des EuGH, ob es sich bei der Vertragsabschlußzuständigkeit aufgrund der 1176Doktrin um eine ausschließliche95 oder nur um eine konkurrierende96 Vertragsabschlußzuständigkeit handelte.

bb) Die Ansichten der Veifahrensbeteiligten Die Kornmission meinte, eine ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit für den Abschluß des TRIPS ergebe sich auch nach den Grundsätzen der 1176-Doktrin. Der exklusive Abschluß des TRIPS durch die Gemeinschaft sei aus internen und externen Gründen erforderlich. Intern sei sonst eine Beeinträchtigung der Kohärenz des Binnenmarktes zu befürchten, die aus Verzerrungen des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt und Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen auf den Märkten von Drittstaaten entstehen könnte. Extern sei zu besorgen, daß sich die Gemeinschafts international isoliere, wenn sie das WTO-Übereinkornmen nicht abschließe. Daher müsse die Gemeinschaft auch ohne vorherige interne Rechtsetzung nach außen hin tätig werden können. 97 Die anderen Verfahrensbeteiligten traten bereits der Grundannahme der Kommission, es gebe nach den Grundsätzen des Gutachtens 1176, d. h. ohne vorherige Sekundärrechtssetzung, ausschließliche Vertragsabschlußkompetenzen entgegen.98 94 EuGH- Gutachten 1176, Stillegungsfond für die Binnenschiffahrt- Slg. 1977, 741 (755), Rn. 4. 95 Nach Auffassung des EuGH könnte die Kompetenz dann ausschließlich werden, wenn Vertragsabschlüsse der Mitgliedstaaten "die Gefahr einer Desintegration des Gemeinschaftswerkes" mit sich brächten; vgl. EuGH- Gutachten 1176, Stillegungsfond für die Binnenschiffahrt- Slg. 1977,741 (755), Rn. 14, wo der Gerichtshofwegen der Gefahr der Desintegration die Beteiligung einiger Mitgliedstaaten in der geplante Form für unzulässig und das Abkommen für insgesamt nicht mit dem EWGV vereinbar hielt; zustimmend Groux, CDE 1978,3 (31): "( ... ) lacompetencede laCommunaute (. .. ) peut, au moins dans certaines circonstances, presenter un caractere exclusif (. .. )". Geiger, ZaöRV 37 (1977), 640 (663), scheint generell von einer ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit auszugehen. 96 So Dauses, EuR 1979, 138 (144 f.); Krück, 107; Groux, CDE 1978,3 (31 f.) ; Groux/ Manin, 11; einschränkend Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228, Rn. 10. 97 Standpunkt der Kommission, EuGH- Gutachten 1194, WfO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5318); vgl. auch EuGH- Gutachten l/94, WfO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5336 f., 5413, Rn. 83). 98 Standpunkte des Rates, des Vereinigten Königreiches, Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland, Portugals und des Europäischen Parlaments, EuGH - Gutachten l/94, WfO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5318 f.).

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

cc) Die Auffassung des Gerichtshofes Der Gerichtshof lehnte eine ausschließliche Zuständigkeit der EG für das TRIPS aufgrundder 1176-Doktrin ab, weil er das Erforderlichkeitskriterium verneinte.99 Beim TRIPS sei die Berufung auf das Gutachten 1176 ebensowenig stichhaltig wie für das GATS, da die Vereinheitlichung oder Harmonisierung des Schutzes des geistigen Eigentums im Rahmen der Gemeinschaft, um praktisch wirksam zu sein, nicht notwendig durch Abkommen mit Drittstaaten begleitet werden müsse. 100 Insgesamt ergebe sich daher auch aufgrundder Gutachten-1176Doktrin für das TRIPS keine ausschließliche Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft.

d) TRIPS und Art. 95 und 308 EGV In ihrem letzten Begründungsansatz vertrat die Kommission schließlich den Standpunkt, die Art. 95 und 308 EGV räumten der EG eine ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz für den Bereich des TRIPS ein. 101 Hiergegen wandten die anderen Verfahrensbeteiligten ein, die Art. 95 und 308 EGV begründeten zunächst allein interne Zuständigkeiten, woraus sich ohne vorherige Sekundärrechtssetzung genausowenig ausschließliche Außenzuständigkeiten ergeben könnten wie nach der Gutachten-1176-Doktrin. 102 Auch der Gerichtshof sah in den Art. 95 und 308 EGV selbst keine externen Zuständigkeiten der Gemeinschaft. Ohne Ausübung im Inneren könnten sie allen99 Auf die Frage, unter welchen Umständen eine mit der Gutachten-1176-Doktrin begründete Vertragsabschlußzuständigkeit eine ausschließliche ist, geht der EuGH nicht ausdrücklich ein. Es scheint jedoch, daß er erst nach dem Tätigwerden der Gemeinschaft nach außen, d. h. nach dem Vertragsschluß, von einer ausschließlichen Zuständigkeit ausgeht, womit die These der Kommission, schon vorher seien die Mitgliedstaaten ausgeschlossen, widerlegt wäre; vgl. seine Deutung der Gutachten-1176-Doktrin in EuGH- Gutachten 1/94, WTOÜbereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5414), Rn. 85: "( ... )verständlich, daß die externe Zuständigkeit ausgeübt werden kann, ohne daß zuvor ein interner Rechtsakt erlassen worden ist, und damit zu einer ausschließlichen Zuständigkeit werden kann" (Hervorhebungen nicht im Original). 100 EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkomrnen- Slg. 1994, 1-5267 (5417), Rn. 100. 101 Standpunkt der Kommission, EuGH - Gutachten 1/94, WfO-Übereinkomrnen- Slg. 1994, 1-5267 (5318 ff.). 102 Standpunkte des Rates, des Vereinigten Königreiches, Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland, Portugals und des Europäischen Parlaments, EuGH- Gutachten 1/94, WfO-Übereinkomrnen- Slg. 1994, 1-5267 (5318 f.).

B. 1RIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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falls Basis für eine konkurrierende Außenzuständigkeit im Sinne der Gutachten1176-Doktrin sein, nicht aber für eine ausschließliche Außenzuständigkeit 103 Es gebe demnach jenseits des bereits von der AE1R-Doktrin erfaßten Bereiches keine ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz aufgrund der Art. 95 und 308 EGV. 104

e) Ergebnis Insgesamt erfaßten die Vertragsabschlußkompetenzen der EG nach Ansicht des Gerichtshofes nur Teile des 1RIPS. Sie konnte sich für bestimmte Bereiche auf Art. 133 EGV und die AE1R-Doktrin berufen. Die Grundsätze des Gutachtens 1176 und die internen Befugnisnormen der Art. 95 und 308 EGV verliehen ihr für die Materie des 1RIPS keine Vertragsabschlußzuständigkeiten. Aus den Ausführungen des Gerichtshofes im Gutachten 1194 ergab sich insgesamt folgende Zuständigkeitsverteilung: Ausschließlich zuständig ist die Gemeinschaft nur für zwei Abschnitte des 1RIPS. 105 Teil III, Abschnitt 4 1RIPS (Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr) fällt aufgrund Art. 133 EGV in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft. Daneben ergibt sich aufgrundder AETR-Rechtsprechung eine ausschließliche Zuständigkeit für Teil II, Abschnitt 3 103 EuGH - Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen - Slg. 1994, 1-5267 (5418), Rn. 87 ff., 101. 104 Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, in der aus Art. 95 und 308 EGV zwar Außenzuständigkeiten abgeleitet hat, nich jedoch solche ausschließlicher Art, vgl. zum Ganzen Tomuschat, in: von der Groeben!Thiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 7, der zu Recht darauf hinweist, daß es "geradezu widersinnig [wäre], wollte man der Gemeinschaft aus allen potentiell dem Art. 235 oder der Rechtsangleichung unterliegenden Sachgebieten eine ausschließliche Außenzuständigkeit zusprechen". Anders jedoch Schwartz, EuR 1976, Sonderheft, 27 (36 ff.), der aus Art. 95 und 308 EGV ausschließliche Vertragsabschlußzuständigkeiten ableitet. 105 Der EuGH verwendet den Ausdruck "ausschließlich" nur im Zusammenhang mit dem gesamten 1RIPS (z. B. "Die EG ist für den Abschluß des 1RIPS nicht ausschließlich zuständig."); hier soll er auch mit Bezug auf einzelne Abschnitte- vor allem solcher, die einem bestimmten Schutzrecht gelten- des 1RIPS benutzt werden (z. B. "Die EG ist ausschließlich zuständig für den Abschluß des 1RIPS, soweit es um den Schutz geographischer Angaben (Teil II, Abschnitt 31RIPS) geht."); vertretbar, aber möglicherweise irreführend wäre es, von einer ausschließlichen Zuständigeit der Gemeinschaft bereits im Hinblick auf einzelne Bestimmungen des 1RIPS zu sprechen (z. B. "Die EG ist ausschließlich zuständig für den Abschluß des 1RIPS, soweit es um die Regelung der Vermietrechte (Art. 11 1RIPS) geht.").

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

TRIPS (geographische Herkunftsangaben), den die Gemeinschaft umfassend harmonisiert hat. In anderen Bereichen besitzt die Gemeinschaft zwar Vertragsabschlußzuständigkeiten aufgrundder AETR-Doktrin. Doch sind diese nicht ausschließlich, weil die Gemeinschaft diese Bereiche nicht umfassend - oder wenigstens weitgehend106- harmonisiert hat. Die Gemeinschaft besitzt dort Außenzuständigkeiten nur, soweit die interne Harmonisierung reicht. Solch eine teilweise Zuständigkeit aufgrund teilweiser Hannonisierung besteht in den Bereichen des Urheberrechts (Teil II, Abschnitt 1 TRIPS), der Marken (Teil II, Abschnitt 2 TRIPS) und der Topographien integrierter Schaltkreise (Teil II, Abschnitt 6 TRIPS). Eine gewisse Sonderrolle spielt der Bereich der Marken, wo die EG mit der Gerneinschaftsmarke ein eigenes Schutzrecht, das unabhängig von den nationalen Marken besteht, geschaffen hat. 107 Hier ist die Gemeinschaft umfassend zuständig, soweit es um die Gemeinschaftsmarke geht. 108 Im Hinblick auf die mitgliedstaatliehen Marken hingegen ist sie nur soweit zuständig, wie die enge Harmonisierung durch die Erste Richtlinie reicht. Die Mitgliedstaaten behalten in den zuletzt genannten Abschnitten des TRIPS ihre Außenkompetenzen, solange und soweit nicht gemeinschaftsintern harmonisiert wurde. Das gilt erst recht für die Bereiche, in denen es gar keine Harmonisierungsmaßnahmen gibt: Gewerbliche Muster (Teil II, Abschnitt 4 TRIPS), Patente (Teil II, Abschnitt 5 TRIPS), Schutz vertraulicher Information (Teil II, Abschnitt 7 TRIPS), Kontrolle wettbewerbshindernder Praktiken in Lizenzverträgen (Teil II, Abschnitt 8 TRIPS), Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum (Teil III TRIPS; außer Abschnitt 4). Insgesamt verneinte der EuGH daher die Frage der Kommission, ob die Gemeinschaft für den Abschluß des TRIPS ausschließlich sei. Im Hinblick auf das TRIPS lautete seine Antwort auf die Gutachtenfrage: "Die Zuständigkeit für den Abschluß des TRIPS ist zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten geteilt. " 109

106 Dies nur fordert der Gerichtshof in EuGH- Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr.170-Slg.1993,1-1064(1080). 107 Bei der Einführung eines solchen Gemeinschaftsregimes wie der Gemeinschaftsmarke handelt es sich strenggenommen nicht um .,Harmonisierung", was sich auch daran zeigt, daß die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke nicht auf Art. 94 oder 95 EGV, sondern auf Art. 308 EGV gestützt ist. 108 Drex/, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (35) spricht insofern von .,parallel competence". 109 EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5422).

B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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3. Folgen des Gutachtens Als der Gerichtshof sein Gutachten arn 15. November 1994 veröffentlichte, waren die Weichen in Richtung eines gemischten Abschlusses des WTO-Übereinkommens bereits gestellt, da die Schlußakte der Uruguay-Runde mitsamt dem WTO-Übereinkommen bereits am 15. April1994 von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten unterzeichnet worden war. Der Rat durfte sich daher durch das Gutachten in seiner Auffassung, die Gemeinschaft sei nicht für alle Materien des WTO-Übereinkommens zuständig, bestätigt sehen. Durch die Unterzeichnung der Schlußakte hatten sich die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Abkommen der Uruguay-Runde ihren zuständigen Stellen zur Zustimmung vorzulegen (Art. 2 der Schlußakte). Seitens der Gemeinschaft erließ der Rat nach Veröffentlichung des Gutachtens 1/94 arn 22. Dezember 1994 den Beschluß 94/800/EG über den Abschluß der Uruguay-Übereinkommen und genehmigte darin mit gemeinschaftsinterner Wirkung das WTO-Übereinkommen und einige andere Rechtsakte der Schlußakte. 110 Dort machte sich der Rat die Auffassung des Gerichtshofes zu eigen. Er unterstrich die beschränkte Zuständigkeit der Gemeinschaft für die im WTO-Übereinkommen erfaßten Materien und genehmigte die genannten völkerrechtlichen Verträge und sonstigen Rechtsakte "[i]m Namen der Europäischen Gemeinschaft( .. . ) hinsichtlich des in ihre Zuständigkeit fallenden Teils" (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 94/800/EG). Parallel zur Gemeinschaft führten auch die Mitgliedstaaten ihre internen Genehmigungsverfahren 111 bis Ende Dezember 1994 erfolgreich durch. 112 Nachdem die internen Genehmigungsverfahren der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten erfolgreich durchgeführt worden waren, konnten die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten ihre Ratifikationsurkunden gleichzeitig am 30. Dezember 1994 beim Generaldirektor des GATT in Genf hinterlegen. Seit lokrafttreten des WTO-Übereinkommens am 1. Januar 1995 sind Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ursprüngliche Mitglieder der WTO (vgl. Art. XI Abs. 1 WTO-Übereinkommen) und Vertragsparteien des WTO-Übereinkommens.

110 Beschluß 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der U ruguay-Runde ( 1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezugauf die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche, ABI. 1994 L 336, 1. 111 Siehe etwa das deutsche Zustimmungsgesetz vom 30. August 1994, BGBl II, 1438. 112 Eine dem Ratsbeschluß 94/800/EG entsprechende Einschränkung, nur die Teile der Uruguay-Abkommen zu billigen, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen, findet sich in den entsprechenden Rechtsakten der Mitgliedstaatenjedoch nicht, vgl. Van den Bossche, in: Jackson/Sykes (Hg.), 23 (83), Fn. 300. 5 Hennes

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Teil I: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

111. Bewertung und weitere Entwicklung Im Schrifttum wurde das Gutachten 1194 des EuGH unterschiedlich aufgenommen. Teils wurde es als "programmed disaster" kritisiert, 113 andere hielten es für "no surprise, but wise". 114 Der Kritik an dem Gutachten 1194 ist insofern beizupflichten, als es dem EuGH nicht gelungen ist, die aus der "geteilten Zuständigkeit" der EG und der Mitgliedstaaten für das GATS und das 1RIPS resultierenden Konflikte allein damit zu lösen, daß er auf die Verpflichtung von Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorganen zur Zusammenarbeit hinwies.115 Tatsächlich verursacht das Nebeneinander von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten in der praktischen Arbeit im Rahmen der WTO zahlreiche Schwierigkeiten. 116 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist diese Problematikjedoch nicht relevant. Von Interesse ist das Gutachten vielmehr insofern, als dort die begrenzte Vertragsabschlußzuständigkeit der EG für die Materie d~s TRIPS festgestellt wurde. Der Auffassung des Gerichtshofes, die Vertragsabschlußzuständigkeiten der EG reichten nicht aus, um die ganze Spannweite der TRIPS-Regelungen abzudecken, ist zuzustimmen. Allerdings ist die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, wie sie sich aus dem Gutachten 1194 ergibt, nicht statisch. Dies ergibt sich bereits aus der Aussage des Gerichtshofes, es könne für die Sachbereiche, in denen die Gemeinschaft eine interne Harmonisierungskompetenz hat, keine "domaine reserve" der Mitgliedstaaten geben. 117 Das Verhältnis von Gemeinschafts- und Mitgliedstaatenkompetenzen im Bereich des 1RIPS ist wegen der Logik der AETR-Doktrin einer dynamischen Veränderung unterworfen. Je weiter die Gemeinschaft intern Harmonisierungsmaßnahmen erläßt, desto stärker weitet sich ihre Vertragabschlußzuständigkeit aus. Dies kann am Beispiel der TRIPS-Regeln zum Urheberrecht verdeutlicht werden: Bereits zum Zeitpunkt des Gutachtens 1194 besaß die Gemeinschaft in dem von Teil II, Abschnitt 1 TRIPS erfaßten Sachbereich gewisse aus interner Rechtsetzung resultierende AußenSo Pescatore, CMLR 36 (1999), 387 ff. So Hilf, EJIL 1995, 245 ff.; vgl. auch: ders. , EuZW 1995, 7 ff.; Appella, ICLQ 45 (1996), 440 (460 ff.). 115 EuGH - Gutachten l/94, WTO-Übereinkomrnen - Slg. 1994, 1-5267 (5419), Rn. 106 ff. 116 So räumte sogar der Repräsentant der EU bei der WTO anläßlich eines Trade Policy Review Body (TPRB) Treffens gegenüber anderen WTO-Mitgliedem ein, daß im Hinblick auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Bereich TRIPS "the situationwas not always clear for trading partners", WTtrPRIM/30, 170, Anm. 55. 117 EuGH- Gutachten l/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5419), Rn. I 06. 113

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B. TRIPS als gemischtes Gemeinschaftsabkommen

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zuständigkeiten (etwa im Hinblick auf die Regelung des Schutzes von Computerprogrammen, bestimmter Nachbarrechte und der Schutzdauer). Wegen der Lükkenhaftigkeit der Harmonisierung war ihre Vertragsabschlußkompetenz für den Bereich des Urheberrechts nicht ausschließlich. Die Mitgliedstaaten haben Außenzuständigkeiten dort behalten, wo die Gemeinschaft nicht harmonisiert hatte. Wenn nun aber die Gemeinschaft im Bereich des Urheberrechts weiter intern harmonisiert, wächst damit auch ihre Außenzuständigkeit Harmonisiert sie die mitgliedstaatliehen Regeln über das Urheberrecht umfassend, so wird sie für den Abschnitt des Urheberrechts ausschließlich zuständig. Falls die Gemeinschaft sämtliche Schutzrechte des geistigen Eigenturns und die Regeln ihrer Durchsetzung umfassend harmonisiert, so gewönne sie die ausschließliche Zuständigkeit für das gesamte TRIPS. Diese mögliche Ausdehnung der GemeinschaftsauBenzuständigkeit durch fortschreitende Harmonisierung im Inneren wurde im Schrifttum zutreffend als "principle of dynarnic competence" bezeichnet. 118 Potentiell reicht daher die Vertragsabschlußkompetenz der Gemeinschaft im Bereich des TRIPS soweit wie ihre Befugnisse zur internen Harmonisierung der Rechte an geistigem Eigentum. Seit dem Gutachten 1194 des EuGH ist die Gemeinschaft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht untätig gewesen. Im sachlichen Anwendungsbereich des TRIPS hat sie sowohl weitere Harmonisierungsmaßnahmen erlassen als auch ein weiteres eigenes Gemeinschaftsschutzrecht geschaffen. Für die Verwirklichung der Ziele des Art. 14 EGV (Binnenmarkt) haben die Organe der Gemeinschaft auf der Grundlage von Art. 95 EGV Richtlinien auf dem Gebiet des Urheberrechts 119, des Musterschutzes 120 und des Patentrechts 121 erlassen. Neben diesen eigentlichen Harmonisierungsrnaßnahmen wurde ebenfalls aufgrundvon Art. 95 EGV durch Verordnung ein die nationalen Patentregelungen ergänzendes Schutzrecht geschaffen. 122 Durch diese Rechtsetzungstätigkeit im Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (36). Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABI. 1996 L 77, 20. 120 Richtlinie 98171/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABI. 1998 L 289, 28. 121 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABI. 1998 L 213, 13. 122 Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Pflanzenschutzmittel, ABI. 1996 L 198, 30; im Gegensatz zu diesem mit den Patentregeln im Zusammenhang stehenden Schutzrecht, findet die auf Art. 308 EGV gestützte Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABI. 1994 L 227, 1, im TRIPS keine Entsprechung. 118 119

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Inneren sind die Außenzuständigkeiten der Gemeinschaft für die entsprechenden Abschnitte des TRIPS in der Reichweite der Sekundärrechtssetzung angewachsen. Die in jüngster Zeit ständig zunehmende Aktivität der Gemeinschaft auf dem Gebiet des geistigen Eigenturns 123 läßt erwarten, daß ihre Vertragsabschlußzuständigkeit nach der AETR-Doktrin auch in Zukunft weiter zunehmen wird. 124

IV. Zusammenfassung Bereits während der Verhandlungen der Uruguay-Runde zeichneten sich innerhalb der Gemeinschaft Differenzen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten darüber ab, ob die gesamte Spannbreite des WTO-Übereinkommens von den ausschließlichen Vertragsabschlußzuständigkeiten der Gemeinschaft abgedeckt sei (so die Kommission) oder ob die Materien des GATS und des TRIPS im wesentlichen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen (so die Mitgliedstaaten). In seinem Gutachten 1/94 führte der Gerichtshof aus, die Gemeinschaft besitze aufgrund Art. 133 EGV und der AETR-Doktrin die Vertrags123 Auch wenn weder die Unterzeichnung noch die gemeinschaftsinterne Genehmigung völkerrechtlicher Abkommen interne Harrnonisierungsakte im Sinne der AETR-Doktrin sind, sondern Vertragsabschlußzuständigkeiten der Gemeinschaft gerade voraussetzen, so zeigt doch die Unterzeichnung des WCT (WIPO Copyright Treaty; ABI. 2000 L 89, 8) und des WPPT (WIPO Performancesand Phonograms Treaty; ABI. 2000 L 89, 15) die zunehmende Aktivität der Gemeinschaft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums. Inzwischen hat der Rat die beiden Abkommen "im Nahmen der Gemeinschaft für die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche genehmigt" (Ratsbeschluß 2000/278/EG vom 16.3.2000, ABI. 2000 L 89, 6). Im dritten Erwägungsgrund dieses Ratsbeschlusses äußert der Rat seine Ansicht, daß die in dem WCT- und dem WPPT-Vertrag geregelten Materien "weitgehend in den Anwendungsbereich der einschlägigen gemeinschaftlichen Richtlinien" fallen, was für eine weitgehende Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaftaufgrund der AETR-Doktrin spricht. 124 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang jedoch auf Art. 133 Abs. 5 EGV, wonach die Gemeinschaft die Vertragsabschlußkompetenz nach Art. 13 3 EGV künftig auch auf den Bereich der Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums ausdehnen kann, sofern ein Konsens im Rat besteht. Siehe hierzu Krenzier/da Fonseca-Wollheim, EuR 1998, 223 ff. ; Dashwood, CMLR 35 (1998), 1019 (1020 ff.). Wenn das TRIPS auch ein gemischtes Abkommen bleibt, so können Abkommen auf dem Gebiet des Immaterialgüterschutzes damit künftig auch als reine Gemeinschaftsabkommen abgeschlossen werden. Die auf der Regierungskonferenz von Nizza (Dezember 2000) zu verhandelnden Vorschläge für eine Neufassung des Art. 133 Abs. 5 EGV sehen vor, daß der Rat Verhandlungen und Abschlüsse von Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums künftig sogar mit qualifizierter Mehrheit erlauben kann, vgl. http://europa.eu.int/comm/trade/faqs/ revl33-en.htm. Das geltende TRIPS wird hiervon nicht berührt.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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abschlußzuständigkeit für einige Teile des 1RIPS, während für andere Teile des 'IRIPS die Mitgliedstaaten zuständig seien. Die Zuständigkeit für den Abschluß des 'IRIPS sei daher zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten geteilt. Aufgrund des Gutachtens des EuGH wurde das WTO-Übereinkommen sowohl von der Gemeinschaft als auch den Mitgliedstaaten jeweils intern genehmigt und anschließend ratifiziert. Das WTO-Übereinkommen und gerade auch speziell das 'IRIPS stellen daher gemischte Gemeinschaftsabkommen dar. Sowohl die Gemeinschaft als auch ihre Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des WTO-Übereinkommens und damit auch des 'IRIPS. Wegen der der AETR-Doktrin innewohnenden Dynamik haben sich die EG-Vertragsabschlußkompetenzen seit dem Gutacben 1194 infolge nachfolgender Sekundärrechtssetzung erweitert und werden sich auch künftig ausdehnen. Trotzdem besitzt die Gemeinschaft auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht für alle Teile des 'IRIPS die Vertragsabschlußzuständigkeit

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS Für die weitere Untersuchung ist es entscheidend, ob das 'IRIPS umfassend "integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" ist, d. h. in allen seinen Bestimmungen innergemeinschaftlich gilt, oder ob dies nur für diejenigen 'IRIPSBestimmungen gilt, die in die Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fallen. Denn nur soweit das 'IRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung Geltung erlangt, kann es die im folgenden Teil zu diskutierenden besonderen Wirkungen entfalten. Um zu klären, ob das ganze 'IRIPS Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist oder nur der in die Gemeinschaftszuständigkeit fallende Teil, ist zunächts auf die Vorfrage einzugehen, wieweit die Gemeinschaft völkerrechtlich an das 'IRIPS gebunden ist. Sodann wird dargestellt, wie Rechtsprechung und Literatur die innergemeinschaftliche Geltung gemischter Abkommen beurteilen, um schließlich zu einer eigenen Stellungnahme zu gelangen.

I. Die völkerrechtliche Bindung als Vorfrage der innergemeinschaftlichen Geltung Zwischen den völkerrechtlichen und den innergemeinschaftlichen Wirkungen eines Gemeinschaftsabkommens ist klar zu unterscheiden. So betrifft die Frage, ob die Gemeinschaft die Rechte eines Vertragspartners aus dem Abkommen verletzt hat, die völkerrechtlichen Wirkungen desselben, während die Frage, ob sich ein-

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

zeine vor Gemeinschaftsgerichten auf Bestimmungen des Abkommens berufen können, um etwa die Nichtigkeit von Gemeinschaftshandlungen geltend zu machen, mit den innergemeinschaftlichen Wirkungen des Abkommens zusammenhängt. Trotzdem ist die Frage der völkerrechtlichen Bindung an ein Abkommen mit der Frage der innergemeinschaftlichen Geltung insofern verbunden, als letztere von ersterer abhängt. Die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages sind "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" nur soweit, wie die Gemeinschaft an den Vertrag völkerrechtlich gebunden ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Haegeman-Urteil, wo der EuGH unterstrich, die innergemeinschaftliche Geltung trete mit dem lokrafttreten des Abkommens, d. h. dem Beginn der völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft an das Abkommen, ein. 125 Wegen dieser Abhängigkeit der innergemeinschaftlichen Geltung von der völkerrechtlichen Bindung ist in diesem Abschnitt zu klären, inwieweit die Gemeinschaft völkerrechtlich an das TRIPS gebunden ist. Sollte die Gemeinschaft wegen des Charakters des TRIPS als gemischtes Abkommen nur für Teile des Abkommens völkerrechtlich haften, so käme auch nur im Hinblick auf diese Teile des TRIPS eine innergemeinschaftliche Geltung der darin enthaltenen Bestimmungen in Betracht. Wie weit die völkerrechtliche Bindung der Gemeinschaft an gemischte Abkommen reicht, hängt davon ab, ob die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den dritten Vertragspartnern gegenüber ihre Zuständigkeitsaufteilung offenbaren oder nicht.

1. Die Reichweite der völkerrechtlichen Bindung bei gemischten Abkommen mit Offenbarung der Zuständigkeitsaufteilung Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten versuchen es in der Regel zu vermeiden, in gemischten Abkommen den anderen Vertragsparteien gegenüber die Aufteilung ihrer Zuständigkeiten aufzeigen. Denn gemischte Abkommen werden in der Praxis vor allem deswegen gewählt, um Differenzen über die Abgrenzung der Außenkompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten zu verdecken. 126 Die Aufteilung der Zuständigkeiten soll gerade eine "interne Frage" bleiben. 127 FolgEuGH- Haegeman, 181/73- Slg. 1974,449 (460), Rn. 2/6. Vgl. Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (7 f.). 127 Vgl. EuGH- Beschluß 1/78, Übereinkommen über den Objektschutz von Kemmaterial- Slg. 1978, 2151 (2180 f.), Rn. 35: ,,Es genügt, den anderen Vertragsparteien gegenüber festzustellen, daß in der Materie die Zuständigkeiten innerhalb der Gemeinschaft verteilt sind, wobei die genaue Beschaffenheit dieser Verteilung eine interne Frage ist, in die sich die dritten Länder nicht einzumischen haben. Worauf es hier ankommt, ist, daß das Übereinkommen lückenlos durchgeführt wird." 125

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C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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lieh legen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeitsabgrenzung nur dann offen, wenn das abzuschließende Abkommen dies verlangt. Ein Beispiel für ein solches Abkommen ist das Seerechts-Übereinkommen der Vereinten Nationen. Nach dessen Annex IX müssen beitrittswillige internationale Organisationen und ihre Mitgliedstaaten förmlich erklären, wie die Kompetenzen zwischen ihnen aufgeteilt sind, welcher Art und welchen Ausmaßes diese Kompetenzen sind, und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln. 128 Der EuGH hat die Frage, wie weit die völkerrechtliche Bindung der Gemeinschaft im Falle einer solchen Offenlegung der Kompetenzaufteilung reicht, bisher nicht beantworten müssen. Im Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten hafteten, sofern sie den anderen Vertragspartnern die Aufteilung ihrer Zuständigkeiten mitteilen, völkerrechtlich nur jeweils für den Teil des Abkommens, für den sie erkennbar zuständig sind. 129

2. Reichweite der völkerrechtlichen Bindung bei gemischten Abkommen ohne Offenbarung der Zuständigkeitsaufteilung In der Regel legen die EG und ihre Mitgliedstaaten, wenn sie ein gemischtes Abkommen abschließen, ihre Kompetenzaufteilung gegenüber den anderen Vertragsparteien nicht offen. Der EuGH hat bislang nicht ausdrücklich entschieden, ob die Gemeinschaft in solchen Fällen völkerrechtlich auch für die Teile des Abkommens haftet, für die ihr intern die Vertagsabschlußzuständigkeit fehlt. Doch scheint der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zu gemischten Abkommen von einer uneingeschränkten völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft auszugehen. In der Rechtssache Demirel, die ein gemischtes Abkommen ohne Offenlegung der Kompetenzaufteilung betraf, begründete der Gerichtshof seine Zuständigkeit, Bestimmungen des Abkommens auszulegen, damit, daß die Gemeinschaft für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens völkerrechtlich hafte. 130 Dabei differenzierte er nicht zwischen der Haftung für einen "Gemeinschafts-Teil" und der Haftung für einen "Mitgliedstaaten-Teil" des Abkommens. Da der Gerichtshof uneingeschränkt auf die völkerrechtliche Haftung der Gemeinschaft abstellte, ging er wohl von einer umfassenden Bindung an das gesamte Abkommen aus. In dieselbe Richtung weist das Urteil Parlament/Rat, wo 128 Art. 5 des Anhangs IX der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) vom 10.12.1982, UN Doc. NConf. 621122. Auch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten mußten eine entsprechende Erklärung abgeben. 129 Statt aller Tomuschat, in: von der Groeben!fhiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 55. 130 EuGH-Demirel, 12/86-Slg.1987,3719(3751),Rn.11.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

es mit dem vierten AKP-EWG-Abkommen ebenfalls um ein gemischtes Abkommen ohne offene Zuständigkeitsaufteilung ging. Der EuGH vertrat dort die Auffassung, daß "die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten als Partner der AKP-Staaten gemeinsam gegenüber diesen Staaten für für die Erfüllung aller eingegangenen Verpflichtungen ( ... )verantwortlich" seien. 131 Auch der überragende Teil des Schrifttums nimmt eine umfassende Haftung sowohl der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten für das gesamte gemischte Abkommen an, wenn die Zuständigkeit den anderen Vertragsparteien nicht offengelegt wird. 132 Dem ist zuzustimmen. Dritten Vertragsparteien kann nicht zugemutet werden, die oft undurchschaubare Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu klären, um die Erfüllung des Abkommens verlangen zu können. Das wäre aber der Fall, wenn sich Gemeinschaft und Mitgliedstaaten gegenüber dritten Vertragsparteien auf die interne Zuständigkeitsaufteilung berufen könnten. Dieses Ergebnis steht zudem im Einklang mit der allgemeinen Regel, wonach multilaterale Abkommen alle Vertragsparteien in allen ihren Bestimmungen verpflichten, sofern nicht aus Wortlaut oder Sinn des Abkommens etwas Gegenteiliges hervorgeht. 133

3. Die Reichweite der völkerrechtlichen Bindung an das TRIPS

Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten haben den anderen WTO-Mitgliedern weder bei der Unterzeichnung noch bei der Ratifikation des WTO-Übereinkommens offengelegt, wie zwischen ihnen die Zuständigkeiten im Hinblick auf das TRIPS aufgeteilt sind. Hierzu waren sie nach dem WTO-Übereinkommen auch nicht verpflichtet. Folglich ist die Gemeinschaft völkerrechtlich nicht nur an den Teil des TRIPS gebunden, für den sie die Vertragsabschlußzuständigkeit besitzt, sondern an das gesamte TRIPS. Dasselbe gilt für die Mitgliedstaaten. Nur wegen dieser umfassenden völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft an das 131 EuGH- Parlament/Rat, C-316/91- Slg. 1994,1-625 (660), Rn. 29 (Hervorhebung nicht im Original). 132 Krück, 141 f.; Tomuschat, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 125 (130); Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATT und Europäische Gemeinschaft, 11 (32); Gaja, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 133 (140); K. D. Stein, 106 f. ; Nolte, CMLR 25 (1988), 403 (408 f.); Neuwahl, CMLR 28 (1991), 717 (733 ff.); Oehmichen, 77; Pipkom, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, 543; Castillo de la Torre, JWT 29 (1995), 53 (67 f.); Tomuschat, in: von derGroeben!Thiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 55; Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32, Fn 109); zweifelnd Bemhardt, EuR 1983, 199 (209); anders, allerdings ohne nähere Begründung, nur Amold, AVR 19 (1980/81 ), 419 (454). 133 Vgl. Krück, 141.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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1RIPS kommt die umfassende innergemeinschaftliche Geltung des 1RIPS überhaupt erst in Betracht.

II. Die Reichweite der innergemeinschaftlichen Geltung gemischter Abkommen Mit der Feststellung, daß die Gemeinschaft völkerrechtlich an alle Bestimmungen des 1RIPS gebunden ist, ist noch nicht geklärt, ob alle Bestimmungen des 1RIPS "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind. Wie weit die innergemeinschaftliche Geltung gemischter Abkommen reicht, ist eine äußerst umstrittene Frage. Meist wird sie im Zusammenhang mit der Frage diskutiert, ob der EuGH zuständig ist, auch die Bestimmungen aus dem Teil gemischter Abkommen auszulegen, 134 für den die Mitgliedstaaten die Vertragsabschlußzuständigkeit besitzen. 135 Es geht im folgenden ausschließlich um gemischte Abkommen ohne Offenlegung der Zuständigkeitsaufteilung.

1. Die Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat die Frage, ob gemischte Abkommen umfassend "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind, oder ob dies nur für diejenigen Bestimmungen gilt, die in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fallen, lange offen gelassen. In der Rechtssache Hermes 136 erörterte der EuGH zwar ausführlich seine Zuständigkeit, eine Bestimmung des 1RIPS auszulegen, doch ging er nicht ausdrücklich auf die Frage ihrer innergemeinschaftlichen Geltung ein. Erst in dem Urteil Dior und Assco 131 scheint der EuGH von einem geteilten innergemeinschaftlichen Status gemischter Abkommen auszugehen.

134 In der Praxis geht es meist um die Auslegungszuständigkeit des EuGH im Rahmen der Vorabentscheidung (Art. 234 EGV). Auf die Auslegung von Bestimmungen aus gemischten Abkommen kann es aber auch im Rahmen anderer Verfahren, etwa nach Art. 226 EGV oder Art. 230 EGV, ankommen. 135 V gl. aber EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - Urteil vom 14.12.2000, n. n. in Slg., abrufbar unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 32 ff., wo der EuGH zwischen der Frage der Auslegungszuständigkeit und der Frage nach der innergemeinschaftlichen Geltung differenziert. 136 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, I-3603 ff. 137 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392198- Urteil vom 14.12.2000, n. n. in Slg., abrufbar unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 45 ff. '

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

a) Die Rechtsprechung des EuGH vor den Rechtssachen "Hermes" und "Dior und Assco" Das Urteil Haegeman 138 , in demder EuGH die Formel, Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen seien "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung", prägte, betraf ein gemischtes Abkommen 139 • Der EuGH begründete mit der innergemeinschaftlichen Geltung des Abkommens seine Zuständigkeit, Bestimmungen des Abkommens im Wege der Vorabentscheidung auszulegen. 140 Daß er dabei nicht zwischen einem "Gemeinschaftsteil" und einem "Mitgliedstaatenteil" differenzierte, könnte darauf hindeuten, daß er das Abkommen umfassend als "integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" ansah. Andererseits ließe sich die fehlende Differenzierung auch damit erklären, daß die auszulegende Bestimmung in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fiel und deshalb die hier interessierende Problematik gar nicht aufwarf. Auch in den Fällen Bresciani141, Razanatsimba 142 und Pabst143 legte der EuGH Vorschriften aus gemischten Abkommen aus, ohne auf die Problematik der Zuständigkeitsverteilung einzugehen. Erstmals erörtert wurde die hier interessierende Frage in dem Verfahren der Rechtssache Demirel. Dort ging es darum, ob der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zuständig sei, Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in dem (gemischten) Assoziierungsabkommen EWGTürkei sowie dem Zusatzprotokoll hierzu auszulegen. 144 Zwei am Verfahren beteiligte Mitgliedstaaten bestritten die Auslegungszuständigkeit des EuGH, indem sie behaupteten, die vorgelegten Bestimmungen fielen in die Vertragsabschlußzuständigkeitder Mitgliedstaaten und könnten deswegen vom EuGH nicht ausge-

EuGH- Haegeman, 181173- Slg. 1974, 449 (460), Rn. 2/6. Abkommen vom 9. Juli 1961 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland, abgeschlossen durch Ratsbeschluß 631106/EWG vom 25. September 1961, ABI. 1963, 294. 140 Zusätzlich stützte der EuGH seine Auslegungszuständigkeit darauf, daß das Abkommen vom Rat geschlossen wurde und "somit für die Gemeinschaft die Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Art. 177 Abs. I Buchstabe b" darstelle, EuGH- Haegeman, 181173- Slg. 1974,449 (460), Rn. 2/6. 141 EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 (139 ff.), Rn. 15 ff. 142 EuGH- Razanatsimaba, 65177- Slg. 1977, 2229 (2238 ff.), Rn. 9 ff. 143 EuGH - Pabst, 17/81 - Slg. 1982, 1331 ( 1350), Rn. 26 f. 144 Abkommen zur Gründung einer Assoziierung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963, geschlossen durch Ratsbeschluß vom 23. Dezember 1963, ABI. 1964, 3685; Zusatzprotokoll vom 23. November 1970, geschlossen durch VerordnungNr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972, ABI. 1972L293, 1. 138 139

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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legt werden. 14s Nach Ansicht des Gerichtshofs war für die fraglichen Bestimmungen die Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft nach Art. 310 EGV gegeben, weswegen er nicht beantworten mußte, ob seine Auslegungszuständigkeit auch die Bestimmungen aus dem "Mitgliedstaatenteil" eines gemischten Abkommens umfasse. 146 Doch sah er das Assoziierungsabkommen als "integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" an, ohne dabei nach den Vertragsabschlußzuständigkeiten zu differenzieren.147 Auch unterstrich er in einem obiter dictum, die Mitgliedstaaten erfüllten "indem sie dafür sorgen, daß die Verpflichtungen aus einem von den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommen eingehalten werden, im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung eine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft, die die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat" . 148 Die Betonung, aus der (umfassenden) völkerrechtlichen Haftung der Gemeinschaft ergebe sich für die Mitgliedstaaten nach dem Prinzip der Gemeinschaftstreue die Pflicht, die Verpflichtungen aus dem Abkommen einzuhalten, könnte als Hinweis auf eine umfassende Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofes zu verstehen sein. Dieser Eindruck verdichtet sich, wenn man das Urteil Sevince hinzuzieht. Dort begründete der EuGH seine Zuständigkeit, Beschlüsse des durch das Assoziationsabkommen EWG-Türkei geschaffenen Assoziationsrates auszulegen, mit der Qualität der Beschlüsse als "integrierender Bestandteil der Gerneinschaftsrechtsordnung" und dem Bedürfnis nach zentraler Auslegung, die "die einheitliche Anwendung aller zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehörenden Bestimmungen innerhalb der Gemeinschaft sichern und damit verhindem soll, daß die Bestimmungen je nach der Auslegung, die ihnen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gegeben wird, unterschiedliche Rechtswirkungen entfalten". 149 Damit übertrug der Gerichtshof ein Argument, das er zu "reinen" Gemeinschaftsabkommen entwickelt hatte, ISO auf

14s Schriftliche Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königreichs, EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3725, 3729). 146 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3750 f.), Rn. 9. 147 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3750 f.), Rn. 7. Ebenso im Hinblick auf die Beschlüsse des durch das Abkommen geschaffenen Assoziationsrates EuGH - Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 1-3461 (3501), Rn. 9. 148 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987; 3719 (3750 f.), Rn. 6 ff, unter Verweis auf das Urteil in der Rechtssache Kupferberg, EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 (3662), Rn. 13. 149 EuGH- Sevince, C-192/89- Slg. 1990,1-3461 (3501), Rn. 9 f. Ebenso die Schlußanträge von Generalanwalt Walter van Gerven zu EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991, 1-208 (210). Iso Vgl. EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3662), Rn. 13.

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Teil 1; Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

gemischte Gemeinschaftsabkommen, ohne auf die diesen inhärente Zuständigkeitsaufteilung einzugehen. 151 Insgesamt neigte der EuGH bis zur Rechtssache Hermes dazu, seine Zuständigkeit, Bestimmungen aus gemischten Abkommen auszulegen, damit zu begründen, diese seien "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" und müßten daher zentral ausgelegt werden. Dabei mußte er nie zwischen "Gemeinschaftsteil" und "Mitgliedstaatenteil" der gemischten Abkommen differenzieren, da sich die ausgelegten Bestimmungen stets der Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft zuordnen ließen.

b) Die Rechtssache "Hermes" Dies war in der Rechtssache Hermes 152 nicht mehr der Fall. Hier war der Gerichtshof aufgerufen, Art. 50 Abs. 6 TRIPS 153 auszulegen, eine Bestimmung, die nicht eindeutig in die Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fällt. 154 151 Kritisiert wurde diese Tendenz, gemischte Abkommen im Hinblick auf die Auslegungszuständigkeit des EuGH nach Art. 234 EGV den reinen Gemeinschaftsabkommen gleichzustellen, von der deutschen Regierung in der Rechtssache Kus. Sie bat den Gerichtshof zu überdenken, ob er den Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrats - wie in Sevince geschehen- nach Art. 234 EGV auslegen dürfe, obwohl dieser mit der Freizügigkeit ein Gebiet betreffe, für das die Gemeinschaft nach dem Gemeinschaftsvertrag nicht kompetent sei. Da der fragliche Beschluß in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, stelle er keinen gemeinschaftlichen Rechtsakt dar, für den Art. 234 EGV gelte, Schriftliche Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, EuGH- Kus, C-237/91- Slg. 1992, I-6781 (6786). Der Gerichtshof ist auf diesen Einwand nicht eingegangen. 152 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 ff. 153 Art. 50 Abs. 6 TRIPS: "Without prejudice to paragraph 4, provisional measures taken on the basis of paragraphs 1 and 2 shal1, upon request by the defendant, be revoked or otherwise cease to have effect, if proceedings leading to a decision on the merits of the case arenot initiated within a reasonable period, tobe deterrnined by the judicial authority ordering the measures where a Member' s law so perrnits or, in the absence of such a deterrnination, not to exceed 20 working days or 31 calendar days, whichever is the longer." 154 Art. 50 Abs. 6 TRIPS ist eine Vorschrift aus Teil III des TRIPS (Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums). Für diesen Teil des TRIPS besitzt die Gemeinschaft Vertragsabschlußzuständigkeit nach Art. 133 EGV, soweit es um Teil Ill, Abschnitt 4 TRIPS (Besondere Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen) geht (vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen - Slg. 1994, 1-5267 Rn. 55 ff.). Im übrigen erstreckt sich ihre Vertragsabschlußzuständigkeit nach der AETR-Doktrin auf die Bereiche, in denen sie bereits intern Rechtsvorschriften erlassen hat (vgl. EuGH- Gutachten 1194, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 Rn. 106). Im dritten Abschnitt von Teil III TRIPS, der aus Art. 50 TRIPS besteht, sind einstweilige Maßnahmen zum Schutz der TRIPS-Rechte

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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aa) Sachverhalt

Den Ausgangspunkt für die Rechtssache Hennes bildete ein markenrechtlicher Streit zwischen Hermes International, einer französischen Gesellschaft, und FHT Marketing Choice BV, einer Gesellschaft niederländischen Rechts, in dem es um die Verletzung einer von Hermes für die Benelux-Staaten eingetragenen internationalen Marke 1ss ging. Auf Antrag von Hermes erließ die Arrondissementsrechtbank Amsterdam gegen FHT Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. Diese einstweiligen Maßnahmen richteten sich nach Art. 289 der niederländischen Zivilprozeßordnung156. Nach Art. 50 Abs. 61RIPS müssen einstweilige Maßnahmen, die zum Schutz von geistigen Eigentumsrechten angeordnet wurden, auf Antrag des Antragsgegners oder sonstige Weise außer Kraft gesetzt werden, wenn das Hauptsacheverfahren nicht innerhalb einer angemessenen Frist eingeleitet wird. Diese Frist ist von dem Gericht, das die einstweiligen Maßnahmen angeordnet hat, festzulegen. Die Arrondissementsrechtbank erwog nun, Hermes eine solche Frist für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens zu setzen. Dazu wäre sie dann verpflichtet gewesen, wenn es sich bei den angeordneten Maßnahmen aufgrund Art. 289 der niederländischen ZPO um "provisional measures" im Sinne von Art. 50 Abs. 6 lRIPS gehandelt geregelt. Hier hat die Gemeinschaft bislang nur Regelungen über einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaftsmarke getroffen; vgl. Art. 99 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABI. 1994 L 11, 1: "Bei den Gerichten eines Mitgliedstaats-einschließlich der Gemeinschaftsmarkengerichte- können in bezug auf eine Gemeinschaftsmarke oder die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke alle einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt werden, die in dem Recht dieses Staates für eine nationale Marke vorgesehen sind, ( ... )". Einstweilige Maßnahmen zum Schutz der mitgliedstaatliehen Markenrechte oder gar anderer vom 1RIPS erfaßter Immaterialgüterrechte hat die Gemeinschaft bisher nicht geregelt. Iss Bei der internationalen Eintragung einer Marke nach dem Madrider Markenabkommen (Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 14. April 1891, BGBI. 1970 II, 418, geändert am 2. Oktober 1979, BGBI. 1984 II, 799) kann der Inhaber einer in einem Ursprungsland registrierten Marke durch eine einzige Registrierung beim Internationalen Büro in Genf in jedem Markenverbandsstaat den gleichen Schutz erlangen, wie wenn die Marke dort unmittelbar hinterlegt worden wäre; die Eintragung im internationalen Markenregister begründet kein einheitliches internationales Markenrecht, sondern eine Vielzahl nationaler Markenrechte (ein "Bündel nationaler Marken"), deren Inhalt und Umfang sich nach dem nationalen Recht der einzelnen Markenverbandsstaaten richten; vgl. zum ganzen Fezer, Markenrecht, Vorb MMA, Rn. 1. 1s6 Art. 289 Abs. 1 der niederländischen Zivilprozeßordnung: "In allen Rechtssachen, in denen aus Gründen der Dringlichkeit unter Berücksichtigung der Interessen aller Parteien eine sofortige einstweilige Maßnahme erforderlich ist, kann ein entsprechender Antrag in einer Sitzung gestellt werden, die der Präsident zu diesem Zweck an den dafür von ihm festgesetzten Werktag abhält."; Übersetzung nach EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 (3643), Rn. 8.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

hätte. Um dies zu klären, ersuchte sie den EuGH um eine Auslegung von Art. 50 Abs. 6 TRIPS im Wege der Vorabentscheidung (Art. 234 EGV). 157

bb) Ansichten der Veifahrensbeteiligten Die am Verfahren beteiligten Regierungen der Niederlande, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs hielten den Gerichtshof nicht für zuständig, diese Vorlagefrage zu beantworten. Sie bezogen sich auf das Gutachten 1/94 des EuGH, wonach der Großteil der Vorschriften aus Teil III des TRIPS, einschließlich Art. 50 TRIPS, nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, sondern die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. Deswegen dürfe der Gerichtshofes diese Bestimmung nicht auslegen. 158 Die Kommission hingegen meinte, die Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofes müsse unabhängig von der Vertragsabschlußzuständigkeit der Gemeinschaft bestimmt werden. Erstere müsse nicht auf "aktuellen Gemeinschaftsbefugnissen" fußen, sondern könne sich auch aus "potentiellen Gemeinschaftsbefugnissen" ergeben. Eine "potentielle Befugnis" stehe der Gemeinschaft, wie der Gerichtshof im Gutachten 1194 unterstrichen habe, für den gesamten Teil III des TRIPS zu. Der Gerichtshof sei daher zuständig, Art. 50 Abs. 6 TRIPS auszulegen. Als weiteres Argument hierfür führte die Kommission an, gemischte Verträge seien von ihrer Natur her einheitliche Übereinkunfte zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Drittstaaten andererseits. Außerdem entstünde die Gefahr von Auslegungsdivergenzen und Verzerrungen des Binnenmarktes, wenn die Auslegungszuständigkeit auf die Teile des TRIPS beschränkt würde, die in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fallen. Das Risiko abweichender Auslegungen durch den Gerichtshof und die nationalen Gerichte gelte es besonders in Fragen von großer Bedeutung, wie zum Beispiel der unmittelbaren Anwendbarkeit, zu vermeiden. 159 ts? Die Frage der Arrondissementsrechtbank lautete: "Fällt eine einstweilige Maßnahme, wie siez. B. in den Artikeln 289 ff. der niederländischen Zivilprozeßordnung vorgesehen ist, wonach beim Präsidenten des Gerichts eine sofortige einstweilige Maßnahme beantragt werden kann, unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums?", EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998,1-3603 (3646), Rn. 21. tss Standpunkte der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Niederlande zu EuGH- Hermes, C-53/96 -, nichtveröffentlichter Sitzungsbericht in niederländischer Sprache, Anm. 17 ff. 1s9 Standpunkt der Kommission zu EuGH - Hermes, C-53/96 -, nichtveröffentlichter Sitzungsbericht in niederländischer Sprache, Anm. 30 ff.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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cc) Die Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro Auch Generalanwalt Tesauro verwarf die von einigen Verfahrensbeteiligten vertretene Ansicht, aus der geteilten Zuständigkeit der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten für das TRIPS, die der Gerichtshof im Gutachten 1194 konstatiert hatte, sei zu folgern, "daß ,Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung' nur die Teile des Übereinkommens oder Gruppen von Bestimmungen wären, die in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fielen, und daß der Gerichtshof nur für deren Auslegung zuständig wäre, also den nationalen Gerichten eine Auslegungsautonomie für die Bereiche und die Bestimmungen verbliebe, für die die Mitgliedstaaten Gedenfalls für den Augenblick) ihre eigene Zuständigkeit behalten hätten". 160 Vielmehr umfasse die Auslegungszuständigkeit des EuGH sämtliche Bestimmungen des TRIPS, also auch Art. 50 Abs. 6 TRIPS. Hierfür führte er drei Argumente an. Zum einen seien die Bestimmungen eines gemischten Abkommens möglicherweise miteinander verknüpft, so daß es nicht immer einfach festzustellen sei, ob eine Bestimmung zum Gemeinschafts- oder zum Mitgliedstaatenteil gehöre. Zweitens könne eine Aufteilung der Auslegungszuständigkeiten im Falle von Art. 50 TRIPS zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß die Vorschrift bei bestimmten Sachverhalten vom EuGH und bei anderen von den mitgliedstaatliehen Gerichten auzulegen wäre. 161 Drittens habe die Gemeinschaft, die für das gesamte TRIPS völkerrechtlich verantwortlich sei, ein berechtigtes Interesse daran, durch eine einheitliche Auslegung und damit einheitliche Anwendung der Bestimmungen des TRIPS sicherzustellen, daß sie nicht für Zuwiderhandlungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten verantwortlich gemacht wird. Eine beim EuGH zentralisierte Auslegung des gesamten TRIPS ergebe sich insofern aus dem Gebot der im Gutachten 1194 postulierten "Verpflichtung zur Zusammenarbeit" 162• Denn das Rechtssystem der Gemeinschaft sei - bei aller Differenziertheil nach innen- ein System, das nach außen hin einheitlich funktionieren und gelten wolle. 163

160 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro zu EuGH- Hermes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3615), Anm. 15. 161 Dieses Argument hat der Gerichtshof aufgegriffen, weswegen es unten bei der Darstellung des Urteils wiedergegeben wird. 162 Vgl. EuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994,1-5267 (5419 ff.), Rn. 106 ff. 163 Schlußanträge des Generalanwalts Giuseppe Tesauro zu EuGH- Hermes, C-53/96Slg. 1998,1-3606 (3619), Anm. 20 f.

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Teil I: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

dd) Das Urteil des Gerichtshofs Der Gerichtshof hielt sich für zuständig, Art. 50 Abs. 6 TRIPS auszulegen und brachte hierfür drei Argumente vor. Zum einen sei es Sache des vorlegenden nationalen Gerichts, die Erforderlichkeil einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils zu beurteilen. Der Gerichtshof sei grundsätzlich zu einer Entscheidung verpflichtet. 164 Daneben unterstrich er, Gemeinschaft und Mitgliedstaaten hätten das WTO-Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert, ohne dabei die Aufteilung ihrer Vertragsabschlußzuständigkeiten den anderen Vertragsparteien gegenüber zu offenbaren. 165 Vor allem bestehe ein Interesse der Gemeinschaft daran, daß er die Vorschrift nicht nur in den Fällen auslegen kann, die dem Gemeinschaftsrecht unterfallen, sondern auch in Fällen wie dem vorliegenden, die dem Gemeinschaftsrecht nicht unterstehen. Dieses entscheidende dritte Argument ist näher zu erläutern. Der Gerichtshof argumentierte, seine Zuständigkeit, Art. 50 TRIPS auszulegen, stehe in den Fällen außer Frage, in denen einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaftsmarke getroffen wurden. Artikel 99 der GemeinschaftsmarkenVerordnung166 enthält eine entsprechende Befugnis. Artikel 50 TRIPS verpflichtet die WTO-Mitglieder, beim Erlaß einstweiliger Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigenturns bestimmte Verfahren einzuhalten. Folglich finde er auf Maßnahmen nach Art. 99 der Gemeinschaftsmarken-Verordnung Anwendung. Wegen der völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft an Art. 50 TRIPS seien die Gemeinschaftsgerlebte bei der Anwendung von Art. 99 der Gemeinschaftsmarken-Verordnung verpflichtet, "im Rahmen des Möglichen den Wortlaut und den Zweck des Artikels 50 des TRIPS zu berücksichtigen". Folglich sei in jenen Fällen letztlich "der Gerichtshof für die Auslegung von Art. 50 des TRIPS zuständig" .167 Im vorliegenden Fall nun gehe es, so der Gerichtshof, zwar nicht um einstweilige Maßnahmen zum Schutz eines Gemeinschaftsschutzrechts aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Befugnis, sondern um einstweilige Maßnahmen zum 164 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 (3648), Rn. 31, unter Verweis auf EuGH- Dzodzi, Verb. Rs. C-297/88 u. C-197/89- Slg. 1990,1-3763 (3793), Rn. 34 f. 165 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 (3647), Rn. 24. 166 Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABI. 1994 L 11, 1; Art. 99 der Verordnung lautet: "Bei den Gerichten eines Mitgliedstaats - einschließlich der Gemeinschaftsmarkengerichte - können in bezug auf eine Gemeinschaftsmarke oder die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke alle einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt werden, die in dem Recht dieses Staates für eine nationale Marke vorgesehen sind,( ... )". 167 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 (3648), Rn. 28 f.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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Schutz eines mitgliedstaatliehen Schutzrechts 168 auf der Grundlage mitgliedstaatliehen Rechts. Doch müsse er auch hier zuständig sein, Art. 50 1RIPS auszulegen. Denn bei einer Vorschrift, die wie Art. 50 TRIPS sowohl auf Sachverhalte, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen, als auch auf Sachverhalte, die dem mitgliedstaatlichen Recht unterliegen, anwendbar ist, bestehe "ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, daß diese Vorschrift unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, einheitlich ausgelegt wird, um in der Zukunft voneinander abweichende Auslegungen zu verhindern". Wegen dieses Interesses der Gemeinschaft an einheitlicher Auslegung des Gemeinschaftsrechts sei er zuständig, Art. 50 TRIPS auch im vorliegenden Fall auszulegen. 169 Festzuhalten ist, daß sich der Gerichtshof, um künftige Auslegungsdivergenzen zu verhindern, auch dann für zuständig hält, Art. 50 TRIPS auszulegen, wenn sich dieser auf rein mitgliedstaatliche Sachverhalte bezieht. Inwieweit Art. 50 1RIPS oder gar das gesamte TRIPS "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" ist, hat der Gerichtshof damit nicht angesprochen.

c) Die Rechtssachen "Dior und Assco" In dem Urteil Dior und Assco 110 hatte der EuGH erneut seine Zuständigkeit zur Auslegung von Art. 50 1RIPS zu bestimmen. Zusätzlich- im Zusammenhang mit der Frage nach dessen unmittelbarer Anwendbarkeit - äußerte er sich zu der Frage, inwieweit die Bestimmung als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung aufzufassen ist.

aa) Sachverhalt Die Frage der Auslegungszuständigkeit für Art. 50 TRIPS wurde in dem Ausgangsverfahren der RechtssacheAssco (C-392/98) aufgeworfen. Die Firmen 168 Der Umstand, daß die fragliche Marke international eingetragenen war, läßt den nationalen Charakter der Marke unberührt, vgl. Fezer, Markenrecht, Vorb MMA, Rn. 1 ff. 169 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998,1-3603 (3648 f.), Rn. 30 ff., unter Verweis auf die Urteile EuGH- Leur-Bloem, C-28/95- Slg. 1997, 1-4161 (4201), Rn. 32, und EuGH - Giloy, C-130/95- Slg. 1997, 1-4291 (4304), Rn. 28., in denen der Gerichtshof ebenfalls auf das Interesse der Gemeinschaft an einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts abstellte. 170 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392198- Urteil vom 14.12.2000, n. n. in Slg., abrufbar unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 45 ff. 6 Hermes

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Layher Deutschland und Layher Niederlande machten geltend, die Firma Assco bringe ein Gerüstsystem auf den Markt, das eine sklavische Nachahmung des von ihnen hergestellten Gerüstsystems darstelle. Sie beantragten daher bei der Rechtbank Utrecht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, Assco zu verbieten, das Gerüstsystem in den Niederlanden zu vertreiben. Dabei stützten sie sich auf Bestimmungen des niederländischen Rechts, wonach man die rechtswidrige Nachahmung eines gewerblichen Modells verbieten lassen kann. 171 Der Präsident der Rechtbank gab dem Antrag statt und setzte die Frist des Art. 50 Abs. 6 TRIPS auf ein Jahr fest. Die Berufung von Assco zum Gerechthof Amsterdam hatte nur insofern Erfolg, als die Fristsetzung nach Art. 50 Abs. 6 TRIPS aufgehoben wurde. Auf die Kassationsbeschwerde von Assco hin setzte der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren aus und legte dem EuGH unter anderem folgende zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor: "1. Ist der Gerichtshof für die Auslegung des Artikels 50 des TRIPs-Übereinkommens auch insoweit zuständig, als die Bestimmungen dieses Artikels sich nicht auf einstweilige Maßnahmen beziehen, die die Verletzung eines Markenrechts verhindern sollen? 2. Ist Artikel 50 des TRIPs-Übereinkommens, insbesondere Absatz 6, unmittelbar anwendbar?" 172

bb) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas

Generalanwalt Cosmas hielt den EuGH nicht für zuständig, Art. 50 TRIPS in der der Rechtssache Assco zugrundeliegenden Fallkonstellation auszulegen. 173 Denn anders als in der Rechtssache Hermes, in der es mit dem Markenrecht um eine Materie ging, in der die Gemeinschaft mit Art. 99 der Gemeinschaftsmarken-Verordnung bereits intern Rechtsvorschriften über einstweilige Maßnahmen erlassen hatte, betreffe der Ausgangsfall der Rechtssache Assco das Gebiet des 171 Vgl. EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 -Urteil vom 14.12.2000, Rn. 10 f. 172 EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - Urteil vom 14.12.2000, Rn. 27. Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS wurde dem EuGH auch in der Rechtssache Dior (C-300/98) vorgelegt, wo es um eine markenrechtliche Streitigkeit ging (Rn. 15 ff.). Die dritte dem EuGH in der Rechtssache Assco vorgelegte Frage betrifft die Auslegung des Begriffs "intellectual property rights" in Art. 50 Abs. 1 TRIPS (vgl. Rn. 50 ff.), und hat für die vorliegende Untersuchung keine Relevanz. 173 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, n. n. in Slg., abrufbar (auf griechisch, französisch und niederländisch) unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 31 ff.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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Schutzes gewerblicher Modelle, in dem die Gemeinschaft ihre internen Rechtssetzungbefugnisse insofern noch nicht ausgeübt habe. 174 Die Argumentation aus dem Urteil Hermes könne daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Im übrigen spreche die Abwägung dreier Faktoren dagegen, den Gerichtshof TRIPS-Bestimmungen aus solchen Bereichen auslegen zu lassen, in denen die Gemeinschaft intern noch keine Rechtssetzung betrieben hat. Der erste Aspekt, die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts zwischen Gemeinschaftsorganen und nationalen Stellen, sei für die Anerkennung einer weiten Auslegungszuständigkeit des EuGH noch kein .,obstacle insurmontable", da sich die Kompetenzaufteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Zuge fortschreitender Gemeinschaftsrechtssetzung dynamisch verändere. 175 Doch störe eine Ausdehnung der Auslegungszuständigkeit des EuGH das institutionelle Gleichgewicht zwischen dem Gerichtshof und anderen Gemeinschaftsorganen, die nach den Vorschriften der Art. 94, Art. 95 und Art. 308 EGV zur Harmonisierung berufen seien. Die Spielräume der Legislativorgane einzuengen, widerspreche der .,logique constitutionnelle" des EGV und stelle letztlich eine unzulässige .,politique pretorienne" dar. 176 Gegenüber diesem Interesse, die Auslegungszuständigkeit des EuGH zugunsten der Rechtssetzungsbefugnisse von Rat, Konunission und Parlament, zu begrenzen, müsse der dritte zu beachtende Gesichtspunkt, das Interesse an einer einheitlichen Auslegung des TRIPS, zurückstehen. 177 174 Die Richtlinie 98171/EG vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABI. 1998 L 289, 28, ändere daran nichts, da sie erst nach dem Vorlagebeschluß in Kraft getreten sei und keine Regeln über den einstweilige Maßnahmen enthalte. 175 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - vom 11.7.2000, Rn. 42 ff. 176 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, Rn. 46 ff. 171 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, Rn. 52 ff. Dennoch seien die mitgliedstaatliehen Gerichte, wenn sie die Bestimmungen des TRIPS aus den noch nicht harmonisierten Bereichen auslegen, nicht von der Pflicht entbunden, durch Abstimmung mit den Gemeinschaftsorganen, vor allem dem Rat und der Kommission, ein nach außen einheitliches Auftreten der Gemeinschaft sicherzustellen. Diese Kooperationspflicht begründe jedoch keine Pflicht zur Vorlage entsprechender Fragen an den EuGH, sondern müsse in einem "cadre juridique alternatif, sovent marque par une absence de rigueur (soft law)" erfüllt werden; Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, Rn. 71 ff., 76. So sollten die mitgliedstaatliehen Stellen von den Auslegungsentscheidungen des EuGH, etwa zu Bestimmungen aus bereits harmonisierten Bereichen des TRIPS, nur mit guten Gründen abweichen (Rn. 75).

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Da der Gerichtshof im Ergebnis nicht zuständig sei, Art. 50 TRIPS in der Rechtssache Assco auszulegen, stelle sich auch die Frage nach dessen unmittelbarer Anwendbarkeit nicht. 178

cc) Das Urteil des Gerichtshofs Im Gegensatz zu Generalanwalt Cosmas bejahte der Gerichtshof seine Zuständigkeit, Art. 50 TRIPS auch in Konstellationen wie in der Rechtssache Assco auszulegen. Doch löste der EuGH diese Frage nach seiner Auslegungszuständigkeit von dem Problem der innergemeinschaftlichen Geltung von Art. 50 TRIPS. Der Gerichtshof beschränkte seine Auslegungszuständigkeit nicht auf markenrechtliche Fallkonstellationen. Vielmehr nahm er eine Zuständigkeit zur Auslegung von Art. 50 TRIPS auch dann an, wenn bei den mitgliedstaatliehen Gerichten einstweilige Maßnahmen zum Schutz anderer, zum Geltungsbereich des TRIPS gehöriger Immaterialgüterrechte, wie etwa zum Schutz gewerblicher Modelle, beantragt werden. Hierzu verwies er auf das Urteil Hermes, in dem er seine Auslegungszuständigkeit in rein mitgliedstaatliehen Sachverhalten mit dem Erfordernis einer einheitlichen Auslegung von Art. 50 TRIPS begründete.179 Er unterstrich, daß Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorgane insofern die Pflicht treffe, bei der Erfüllung der 1RIPS-Verpflichtungen eng zusammenzuarbeiten. Bei der Verfahrensvorschrift des Art. 50 TRIPS, die sowohl auf mitgliedstaatliche als auch gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte anwendbar sei, gebiete es diese Pflicht zur engen Zusammenarbeit "sowohl aus praktischen wie aus rechtlichen Gründen, dass die Stellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft sie einheitlich auslegen". Nur er selbst könne durch W ahmehmung seiner Vorabentscheidungskompetenz nach Art. 234 EGV diese einheitliche Auslegung gewährleisten. Seine Zuständigkeit könne "somit nicht auf die unter das Markenrecht fallenden Sachverhalte beschränkt" werden. 180 178 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosrnas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, Rn. 77. Zu den hilfsweisen Ausführungen von Generanwalt Cosmas zur unmittelbaren Anwendbarkeit (Rn 78 ff.) siehe unten Teil3, C.l. 179 Vgl. EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - Urteil vom 14.12.2000, Rn. 34 f., unter Verweis auf EuGH- Herm~s. C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 Rn. 28 ff. 180 Vgl. EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - Urteil vom 14.12.2000, Rn. 36 ff.

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

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Damit machte der Gerichtshof seine Zuständigkeit zur Auslegung von Art. 50 TRIPS nicht davon abhängig, ob die von den Vorlagegerichten angeordneten einstweiligen Maßnahmen dem Schutze von Markenrechten oder dem Schutze anderer, vorn 1RIPS erfaßter Immaterialgüterrechte, etwa gewerblichen Modellen, gelten. Insbesondere stellte der EuGH nicht darauf ab, ob die Gemeinschaft zum Schutz eines bestimmten Immaterialgüterrechts bereits Regelungen über einstweilige Maßnahmen getroffen hat. 181 Entscheidend war für den Gerichtshof allein, daß Art. 50 1RIPS als Verfahrensvorschrift für alle in seinen Geltungsbereich fallenden Sachverhalte in gleicher Weise gilt, 182 und deshalb im Interesse der Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft einheitlich auszulegen sei. Insofern bedeutet das Urteil in der Rechtssache Assco eine Klarstellung gegenüber dem Urteil Hermes. Fest steht insofern, daß der EuGH stets zuständig ist, Art. 50 TRIPS auszulegen, wenn bei mitgliedstaatliehen Gerichten einstweilige Maßnahmen zum Schutz von im TRIPS geregelten Immaterialgüterrechten beantragt worden sind. Die umfassende Zuständigkeit zur Auslegung von Art. 50 TRIPS, die der Gerichtshof für sich in Anspruch nimmt, bedeutetjedoch nicht, daß er deswegen auch von einer umfassenden innergemeinschaftlichen Geltung dieser Norm oder gar des ganzen TRIPS ausginge. Im Rahmen seiner Erörterung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS 183 führte er aus, daß die Vorschrift nur insoweit "der Sphäre des Gemeinschaftsrechts zuzurechnen" 184 sei, als es sich um einen Bereich handele, "in dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat". 185 In einem solchen Bereich - der Gerichtshof er181 Das ist bei der Gemeinschaftsmarke der Fall (vgl. Art. 99 der GemeinschaftsmarkenVerordnung), nicht jedoch bei den übrigen Markenrechten oder den gewerblichen Mustern und Modellen. 182 Art. 50 TRIPS gilt sowohl für gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte (z. B. einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaftsmarke) wie auch für dem mitgliedstaatliehen Recht unterliegende Sachverhalte (z. B. einstweilige Maßnahmen zum Schutz international eingetragener Marken oder einstweilige Maßnahmen zum Schutz gewerblicher Modelle nach allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften). 183 Ausführlich dazu unten Teil 3, C. I. 184 Der EuGH versteht die ihm vorgelegte Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS als Frage danach, "ob und gegebenenfalls inwieweit die Verfahrensvorschriften des Artikels 50 Absatz 6 des TRIPs-Übereinkommens der Sphäre des Gemeinschaftsrechts zuzurechnen sind und ob sie deshalb von den nationalen Gerichten( ... ) angewandt werden müssen". V gl. EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 41 (Hervorhebungen nicht im Original). 185 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392198- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 47, 49.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

wähnt als Beispiel das Markenrecht - sei Maßstab für die Beurteilung der gemeinschaftsinternen Wirkung von Art. 50 Abs. 6 TRIPS das Gemeinschaftsrecht. 186 Zuständig, die Wirkungsweise zu bestimmen, wäre hier der EuGH. Umgekehrt sei Art. 50 Abs. 6 TRIPS in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat, 187 den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zuzurechnen. Dort hätten die mitgliedstaatliehen Stellen- nach Maßgabe der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen - über die interne Wirkung der Vorschrift zu entscheiden. Nach Auffassung des Gerichtshofes ist Art. 50 Abs. 6 TRIPS somit je nach Fallkonstellation mal Teil des Gemeinschaftsrechts und mal nicht. Insgesamt ergibt sich aus dem Urteil in den Rechtssachen Dior und Assco daher folgendes Bild: Der EuGH ist umfassend zur Auslegung von Art. 50 TRIPS zuständig. Diese umfassende Auslegungszuständigkeit bedeutet jedoch keine umfassende Kompetenz, die internen Wirkungen von Art. 50 TRIPS zu bestimmen. Der EuGH kann diese nur in den Bereichen des TRIPS - und dort nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen- bestimmen, in denen die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat. Im übrigen sind die mitgliedstaatlichen Stellen zuständig, die internen Wirkungen nach Maßgabe mitgliedstaatlichen Rechts festzulegen. Der Grund für diese Aufteilung liegt darin, daß Art. 50 TRIPS nur in den ersteren Fällen der Gemeinschaftsrechtsordnung, ansonsten aber den mitgliedstaatliehen Rechtsordungen zuzurechnen ist.

d) Zusammenfassung Vor den Urteilen zum TRIPS hatte der EuGH mehrmals Bestimmungen aus gemischten Abkommen ausgelegt und seine Auslegungszuständigkeit damit begründet, daß die Abkommen ,.Handlungen der Organe der Gemeinschaft" im Sinne von Art. 234 Abs. 1 Buchstabe b EGV dartellten, ihre Bestinunungen 186 Wie unten (Teil 3, C. 1.) näher ausgeführt wird, lehnt der EuGH insoweit die unmittelbare Anwendbarkeit ab und befürwortet lediglich die Berücksichtigung im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung. 187 Der EuGH nennt für solche Bereiche keine Beispiele. Möglicherweise spielt er auf den Bereich des Schutzes gewerblicher Muster und Modelle an, der in der Rechtssache Assco einschlägig war. Zu bedenken ist jedoch, daß die Gemeinschaft selbst in diesem Bereich "bereits Rechtsvorschriften erlassen hat", nämlich die Richtlinie 98171/EG vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABI. 1998 L 289,28.

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"integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" seien und die Gemeinschaft angesichts ihrer umfassenden völkerrechtlichen Haftung für gemischte Abkommen ein Interesse an deren einheitlicher Auslegung und Anwendung habe. Der Umstand, daß der EuGH dabei nicht zwischen einem "Gemeinschaftsteil" und einem "Mitgliedstaatenteil" differenzierte, reicht nicht aus, um auf eine einheitliche innergemeinschaftliche Geltung gemischter Abkommen zu schließen. Vielmehr konnte der Gerichtshof seine Auslegungszuständigkeit ohne größeren Begründungsaufwand bejahen, da die die auszulegenden Bestimmungen stets in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fielen. Die Urteile in den Rechtssachen H ermes und Dior und Assco hingegen betrafen mit Art. 50 TRIPS eine Vorschrift, die sich nicht eindeutig der Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft zuordnen läßt. Es fällt auf, daß der Gerichtshof hier nicht die oben genannten Argumente bemühte, sondern allein darauf abstellte, daß Art. 50 TRIPS als Verfahrensvorschrift sowohl auf mitgliedstaatliehe als auch gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte anwendbar sei und daher einheitlich ausgelegt werden müsse. In dem Urteil Dior und Assco unterstrich der EuGH, seine umfassende Auslegungszuständigkeit für Art. 50 TRIPS bedeute nicht, daß er deswegen auch dessen innergemeinschaftliche Wirkungen in jedem Fall bestimmen dürfe. Der "Sphäre des Gemeinschaftsrechts" sei Art. 50 TRIPS nur in den Bereichen zuzuordnen, in denen die Gemeinschaft bereits intern Rechtsvorschriften erlassen hat. Überträgt man diese Einschätzung einer geteilten innergemeinschaftlichen Geltung von Art. 50 TRIPS auf das gesamte TRIPS, so wären dessen Bestimmungen nur in den Bereichen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung", in denen die Gemeinschaft interne Rechtsvorschriften erlassen hat. Die 1RIPS-Bestimmungen aus den Bereichen hingegen, in denen die Gemeinschaft noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat, wären demgegenüber den mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen zuzuordnen.

2. Das Schrifttum Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert, ob auch solche Bestimmungen gemischter Abkommen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind, für die eine Abschlußzuständigkeit der Mitgliedstaaten besteht. Wie auch in der Judikatur wird das Problem meist im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob der EuGH zuständig ist, sämtliche Bestimmungen eines gemischten Abkommens auszulegen.

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a) Trennungsmodell Ein Teil der Autoren 1ss geht davon aus, gemischte Abkommen seien rechtlich in zwei Teile zu trennen: einen Gemeinschaftsteil, der Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung wird, und einen Mitgliedstaatenteil, der nationales Recht bleibt. 1s9 Demnach wären bei gemischten Abkommen nur die Bestimmungen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung", die in die Vertragsabschlußzuständigkeit der EG fallen. Die Bestimmungen, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, wären kein Gemeinschaftsrecht 190 Die Auslegungszuständigkeit des EuGH beschränkte sich auf diejenigen Bestimmungen gemischter Abkommen, für die die Gemeinschaft zuständig ist. Für die anderen Bestimmungen bestünde ein Auslegungsmonopol der mitgliedstaatliehen Gerichte. Diese Auffassung wird unterschiedlich begründet. Teilweise wird rein begrifflich argumentiert. Die Aufteilung der Vertragabschlußzuständigkeiten bringe bei gemischten Abkommen eine Aufteilung der internen Geltung mit sich. Da nur ein Teil eines gemischten Abkommens Gemeinschaftsrecht sei, umfasse die Auslegungszuständigkeit des EuGH auch nur diesen Teil.l91 Andere stellen entscheidend darauf ab, daß eine umfassende beim EuGH zentralisierte Auslegungszuständigkeit die Mitgliedstaaten in unzulässiger Weise in ihren Kompetenzen beeinträchtigte. Ein Kompetenzübergriff zulasten der Mitgliedstaaten, der bei Abschluß des Abkommens durch die Beteiligung der Mitgliedstaaten gerade vermieden werden sollte, würde bei Anerkennung einer unbeschränkten Auslegungszuständigkeit des EuGH durch dessen innerhalb der Gemeinschaft bindende Entscheidungen nachgeholt. 192 Der Abschluß eines gemischten Abkommens dürfe aber für keine innerhalb der ,Gemeinschaftsgruppe' beteiligten Seiten einen Kompetenzgewinn oder-verlust-gegenüber der von den 188 Amold, AVR 19 (1980/81), 419 (455); Meessen, EuR 1980, 36 (47 f.); Vedder, Die auswärtige Gewalt des Buropa der Neun, 226; Schermers, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Essays in European Law and Integration, 167 (174 f.); Ehlermann, in: O' Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (18 f.); Louis/Steenbergen, RBDI 1983, 355 (362); Hailbronner, EuR 1984, 54 (64); Macleod/Hendry/Hyett, 157 f. 189 So ausdrucklieh Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (18 f.). 190 So Hailbronner, EuR 1984, 54 (64). 191 Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (18 f.); Amold, AVR 19 (1980/81), 419 (455); Schermers, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Essays in European Law and Integration, 167 (174 f.); E. Stein, AEL Vol. I (1990), Book 1, 115 (165). 192 Meessen, EuR 1980, 36 (47 f.); Petrovic, 300.

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Gemeinschaftsverträgen getroffenen Zuständigkeitsabgrenzung- bewirken.193 Aus Respekt vor den mitgliedstaatliehen Außenkompetenzen müsse man daher eine Parallelität von Vertragsabschluß- und Auslegungszuständigkeiten anerkennen. Dabei wird durchaus das Problem erkannt, der EuGH und die unterschiedlichen mitgliedstaatliehen Gerichte könnten infolge der getrennten Auslegungszuständigkeit den Bestimmungen der gemischten Abkommen ganz unterschiedliche Wirkungen zuerkennen, ..yas wiederum Zersplitterung, internes Ungleichgewicht des Abkommens, Rechtsunsicherheit und Reziprozitätsprobleme gegenüber Drittstaaten zur Folge haben könnte. Doch könne diese Gefahr nicht gebannt werden, indem der mitgliedstaatliche Teil der gemischten Abkommen der Zuständigkeit des Gerichtshofes unterworfen wird. Stattdessen müsse man seltener auf gemischte Abkommen zurückgreifen 194 und die Kompetenzen in den Gemeinschaftsverträgen neu verteilen 195 •

b) Einheitsmodell Andere Stimmen im Schrifttum fassen alle Bestimmungen gemischter Abkommen einheitlich als Gemeinschaftsrecht auf. 196 Hiernach hätte das gesamte gemischte Abkommen den einheitlichen Status als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung". Dementsprechend wäre der EuGH zuständig, alle Bestimmungen gemischter Abkommen auszulegen. Soweit dieser Standpunkt mit Argumenten belegt wird, 197 lassen sich auch hier verschiedene Begründungsansätze ausmachen. 193 Drexl, GRUR lnt. 1994, 777 (778 f.); Tomuschat, in: von der Groeben!Thiesing/ Ehlermann, Art. 228, Rn. 89; Schmalenbach, in: Callies/Ruffert (Hg.), Art. 300 EGV, Rn. 71. 194 Gilsdorf, EuR 1996, 145 (161 f.). 195 Meessen, EuR 1980, 36 (4 7 f.). 196 Pescatore, RdC 1961 II, I (132 f.); Bleckmann, EuR 1976, 301 (305 ff.); Groux/ Manin, 118; K. D. Stein, 187 f.; Oehmichen, 77; Castillo de Ia Torre, JWT 29 (1995), 53 (67 f.); Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (62); Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32, Fn 109); Oppermann, Europarecht, Rn. 1721; einschränkend Krück, 172, nach dem das gesamte Abkommen erst dann Gemeinschaftsrecht ist, wenn die Gemeinschaft von den dritten Vertragspartnern völkerrechtlich für den Teil der Mitgliedstaaten in Anspruch genommen wird; zweifelnd, aber im Ergebnis für den einheitlichen Status Rancher, NYIL 25 (1994), 259 (284 f.); noch zurückhaltender Bebr, EuR 1983, 128 (134). 197 Groux/Manin, 118, Oppennann, Europarecht, Rn. 1721, und Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (62), befürworten die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH ohne nähere Begründung.

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Es wird darauf hingewiesen, bei gemischten Abkommen sei es oftmals schwierig, zwischen den Teilen, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, und denen, für die die Mitgliedstaaten zuständig sein sollen, zu unterscheiden. 198 Gemischte Abkommen hätten deswegen keinen "mixed internal status", sondern einen einheitlichen internen Status. 199 Dies gelte besonders für das WTO-Übereinkommen, dessen verschiedene Teile "inextricably linked" seien. 200 Bei den Vorschriften, die in verschiedenen WTO-Übereinkünften vorkommen (z. B. die Inländerbehandlung in Art. III GATT und Art. XVII GATS), stelle sich die Frage, ob deren interne Wirkungen je nach Abschlußkompetenz in einem Fall nach Gemeinschaftsrecht (so bei Art. m GATT) und in einem anderen Fall nach mitgliedstaatliebem Recht (so bei Art. XVII GATS, soweit für Dienstleistungen die Mitgliedstaaten kompetent sind) zu beurteilen sind. Wegen der vielfältigen Verbindungen zwischen den einzelnen WTO-Übereinkünften habe der Gerichtshof Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Gutachten 1/94 zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die Zuständigkeitsbereiche von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten seien auch deswegen schwer zu bestimmen, weil sie sich wegen der Dynamik der EG-Außenzuständigkeiten ständig änderten. 201 Das Hauptargument der Vertreter des Einheitsmodells ist jedoch, bei einer beschränkten Auslegungszuständigkeit des EuGH könne es zu Auslegungsdivergenzen zwischen dem EuGH und den unterschiedlichen mitgliedstaatliehen Gerichten kommen, was wiederum eine Gefahr für die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts mit sich brächte. 202 Nur die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts könne die Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaften sichern.203 Um das Gebot der einheitlichen Wirkung des Gemeinschafts198 Rideau, RGDIP 1990, 289 (347); Oehmichen, 77; Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32, Fn 109). 199 Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32, Fn 109). 200 Castillo de Ia Torre, JWT/1 29 (1995), 53 (67 f.); vgl. dazu auch T. Stein, EuZW 1998, 261 (262 ff.), der wegen der Verknüpfung zwischen den unterschiedlichen WTOÜbereinkünften die Auslegungszuständigkeit der mitgliedstaatliehen Gerichte unterstreicht, weil gerade die Mitgliedstaaten von eventuellen Gegenmaßnahmen der WTO-Vertragspartner betroffen seien. 201 Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (20 ff.); ähnlich Epiney, EuZW 1999,5 (8), die wegen dieser Unklarheiten den EuGH im Zweifel als zuständig ansieht. 202 Petersmann, ZaöRV 33 (1973), 266 (280 ff.); Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATT und Europäische Gemeinschaft, 11 (32); K. D. Stein, 187 f. ; Rideau, RGDIP 1990, 289 (347); Neuwahl, CMLR 28 (1991), 717 (733 ff.); Oehmichen, 77;Amold, in: Dauses (Hg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K. I, Rn. 101. 203 Petersmann, ZaöRV 33 (1973), 266 (280 ff.), unter Verweis auf das von H. P. lpsen, 200, 280 ff., beschriebene Prinzip der Sicherung der Funktionsflihigkeit der Gemeinschaften.

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rechts im gesamten Gemeinschaftsgebiet zu erfüllen, müsse dem EuGH die umfassende Auslegungszuständigkeit für gemischte Abkommen eingeräumt werden. Der EuGH solle sich zur Auslegung aller im WTO-Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen für zuständig erklären, um so "the establishment of one legal order rather than sixteen divergent interpretations" zu sichern. 204 Eine Fragmentarisierung des WTO-Rechts infolge getrennter Auslegungszuständigkeiten gefährdete nicht nur die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft, sondern trüge auch zur Verunsicherung der Marktteilnehmer in der Gemeinschaft bei, da diese mit einer Unmenge komplexer Zuständigkeitsfragen und unterschiedlichsten Auslegungen konfrontiert wären. 205 Gegenüber diesen Erwägungen müsse das Interesse der Mitgliedstaaten, ihren Vertragsabschlußzuständigkeiten entsprechende Auslegungszuständigkeiten beizubehalten, zurücktreten. Dies folge aus dem Gebot der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV). Da die Gemeinschaft für die Erfüllung gemischter Abkommen umfassend völkerrechtlich hafte, hätten divergierende nationale Auslegungsentscheidungen Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Gemeinschaft gegenüber den dritten Vertragspartnern des gemischten Abkommens. Um der Gemeinschaft eine solche völkerrechtliche Haftung zu ersparen, müßten die Mitgliedstaaten dadurch zu einer koordinierten und einheitlichen Erfüllung der Verpflichtungen aus gemischten Abkommen beitragen, daß sie die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH für alle Bestimmungen gemischter Abkommen akzeptieren.206 Gegen das Interesse der Mitgliedstaaten an der teilweisen Auslegungszuständigkeit für gemischte Abkommen wird auch angeführt, daß diese deren Durchführung in der Praxis häufig der Gemeinschaft überließen, indem sie mit dieser entsprechende Durchführungsabkommen abschlössen.207 In solchen Fällen zeigten die Mitgliedstaaten gar kein Interesse, die Durchführung der Abkommen- etwa durch Beibehaltung der Auslegungszuständigkeit - entscheidend mitzugestalten. Auch müßten die Mitgliedstaaten eine beim EuGH zentralisierte Auslegung als Korn-

Einhorn, CMLR 35 (1998), 1069 (1097). Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (14 ff.). 206 Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATI undEuropäische Gemeinschaft, 11 (32); K. D. Stein, 187 f.; Nolte, CMLR 25 (1988), 403 (408 f.); Neuwahl, CMLR 28 (1991), 717 (733 ff.); Oehmichen, 77; Castillo de la Torre, JWT 29 (1995), 53 (67 f.); Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32, Fn 109). Vgl. hierzu auch die dogmatisch interessante Konstruktion von Pescatore, RdC 1961 II, 1 (132 f.), wonach gemischte Abkommen zum Gemeinschaftsrecht im weiteren Sinnne ("comme faisant partie lato sensu du droit communautaire") gehören, weil die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue nach Art. 10 EGV auch die Erfüllung der gesamten gemischten Abkommen umfasse. 207 Petersmann, ZaöRV 33 (1973), 266 (280 ff.). 204 205

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pensation dafür akzeptieren, daß gemischte Abkommen häufig in Gebieten abgeschlossen würden, wo die Gemeinschaft aus rein rechtlichen Gründen auch allein handeln könne.208

c) Differenzierende Lösungen Einige Autoren vertreten bei der Frage der innergemeinschaftlichen Geltung gemischter Abkommen und der Auslegungszuständigkeit differenzierende Ansichten. So wird teilweise nach der Verfahrensart differenziert und eine umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH dann befürwortet, wenn im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EGV) zu beurteilen ist, ob ein Mitgliedstaat seine aus der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) resultierende Pflicht erfüllt hat, die Bestimmungen gemischter Abkommen einzuhalten. Im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EGV) soll der EuGH hingegen nicht zuständig sein, sämtliche Bestimmungen gemischter Abkommen auszulegen. 209 Andere Stimmen im Schrifttum meinen, der EuGH sei zwar nicht zuständig, Bestimmungen gemischter Abkommen auszulegen, die nicht in die Gemeinschaftszuständigkeit fallen, doch habe er die ausschließliche Zuständigkeit, die Reichweite ebendieser Gemeinschaftszuständigkeit zu bestimmen. Sobald ein mitgliedstaatliches Gericht unsicher sei, in wessen Zuständigkeit eine Bestimmung falle, müsse es diese Frage dem Gerichtshof vorlegen. Dieser müsse dann, um die Grenzlinie zwischen Gemeinschafts- und Mitgliedstaatenzuständigkeit richtig bestimmen zu können, das gemischte Abkommen "in seinem Gesamtzusammenhang" auslegen dürfen. Jenseits dieser Grenzziehung sei der EuGH aber nicht zuständig, Vorschriften, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, auszulegen.210 Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (20 ff.). Gaja, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 133 (140). Kritisiert wird eine solche Differenzierung von Neuwahl, CMLR 28 (1991), 717 (736 ff.), die daraufhinweist, daß Vorabentscheidungen unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsinteresses wertvoller als Vertragsverletzungsverfahren seien, da sie prophylaktisch wirkten und in den Händen privater Akteure vor den mitgliedstaatliehen Gerichten ein dezentrales, effizienteres Mittel seien, die Einhaltung gemischter Abkommen sicherzustellen. 210 Tomuschat, in: von der Groebenffhiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 89. Ott, 214 ff., unterstreicht, der EuGH dürfe jenseits der Grenzbestimmung für die Bestimmungen des Mitgliedstaatenteils keine Wirkungsbestimmungen (etwa über die unmittelbare Anwendbarkeit) treffen. Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (22), hält es für inkonsequent und unökono208

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3. Stellungnahme Zur Frage, ob sämtliche Bestinunungen eines gemischten Abkonunens Teil des Gemeinschaftsrechts und dementsprechend vom EuGH auszulegen sind, werden in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Antworten gegeben. Hierzu soll in diesem Abschnitt der Untersuchung kritisch Stellung bezogen werden.

a) Kritik an den Ansätzen der Rechtsprechung und des Schrifttums Das Problem, wie weit die innergemeinschaftliche Geltung und somit die Auslegungszuständigkeitdes EuGH bei gemischten Abkonunen reicht, kann aufgrund des Ansatzes des EuGH und zahlreicher im Schrifttum vertretener Auffassungen nicht angemessen gelöst werden.

aa) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH Soweit sich der EuGH in den Urteilen Hermes und Dior und Assco für zuständig hielt, Art. 50 TRIPS immer dann auszulegen, wenn bei mitgliedstaatliehen Gerichten einstweilige Maßnahmen zum Schutz von TRIPS-Rechten beantragt werden, ist der Rechtsprechung im Ergebnis zuzustinunen. 211 Allerdings erfaßt die misch, den EuGH zwar stets umfassend die Vorfrage der Zuständigkeitsabgrenzung beurteilen zu lassen, ihm aber eine umfassende Auslegungszuständigkeit abzusprechen. 211 An der Begründung des EuGH im Urteil Hennes wurde im Schrifttum vereinzelt überzeugend Kritik geübt. So wurde dem Argument des Gerichtshofes, nicht er selbst, sondern das Vorlagegericht habe seine Zuständigkeit nach Art. 234 EGV zu beurteilen, mit Recht entgegengehalten, er als das um die Entscheidung ersuchte Gericht müsse die eigene Zuständigkeit selbst bestimmen, vgl. Bogdandy, CMLR 36 (1999), 663 (668); Gagliardi, ELR 24 (1999), 276 (284 f.). Auch wurde das Kernargument des Gerichtshofes, bei einstweiligen Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaftsmarke könne Art. 50 TRIPS für die Auslegung von Art. 99 der Gemeinschaftsmarken-Verordnung relevant werden, insofern relativiert, als es auf eine Auslegung von Art. 99 der Gemeinschaftsmarken-Verordnung nie entscheidend ankommen werde, da die Vorschrift keine materiellen Regeln über einstweilige Maßnahmen enthalte, sondern sich in einem Verweis auf die nationalen Vorschriften erschöpfe, vgl. Bogdandy, CMLR 36 (1999), 663 (668). Schließlich wurde dem EuGH vorgeworfen, er habe sich unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Auslegung nicht auf seine Urteile in Giloy und Leur-Bloem stützen dürfen, da er dort seine Auslegungszuständigkeit in rein nationalen Sachverhalten damit begründen konnte, eine mitgliedstaatliche Norm verweise auf gemeinschaftsrechtliche Normen, was in der Rechtssache Hennes nicht der Fall gewesen sei, vgl. Gagliardi, ELR 24 (1999), 276 (285 ff.), nach dessen Ansicht der Gerichtshof seine Zuständigkeit - wie in Haegeman, Demirel und Sevince - besser damit

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ratio decidendi dieser Urteile nur solche Vorschriften des TRIPS, die wie Art. 50 TRIPS sowohl auf gemeinschaftsrechtliche als auch auf dem mitgliedstaatliehen Recht unterfallende Sachverhalte Anwendung finden. Dies ist außerhalb der Verfahrensvorschriften von Teil ill TRIPS nicht der Fall. Insofern hat der Gerichtshof auch mit der Klarstellung durch das Urteil in der RechtssacheAssco die Frage, wie beim TRIPS oder gar anderen gemischten Gemeinschaftsabkommen die Auslegungskompetenzenzwischen mitgliedstaatliehen Gerichten und dem EuGH aufgeteilt sind, bislang nicht grundsätzlich geklärt. Die deutliche Betonung der Kooperationspflicht, die Mitgliedstaaten und Gemeinschaft bei der Erfüllung des TRIPS-Übereinkommens trifft, und der Hinweis auf das Gebot einer einheitlichen Auslegung lassen allenfalls vorsichtig darauf schließen, daß der EuGH seine Zuständigkeit, Bestimmungen aus gemischten Gemeinschaftsabkommen auszulegen, tendenziell weit versteht.

Die Ausführungen des Gerichtshofes zur geteilten innergemeinschaftlichen Geltung von Art. 50 TRIPS im Urteil Dior und Asscovermögen hingegen nicht zu überzeugen. Zunächst wirft der Ansatz des EuGH, Art. 50 TRIPS nur in den Bereichen dem Gemeinschaftsrecht zuzuordnen, in denen die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat, die Frage auf, welche Anforderungen an die Dichte der fraglichen Gemeinschaftsrechtssetzung zu stellen sind. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Gemeinschaft in einem gewissen Umfang nicht nur in dem vom Gerichtshof erwähnten Bereich des Markenrechts Rechtsvorschriften erlassen hat, sondern in fast allen Abschnitten des TRIPS-Übereinkommens, etwa in den Bereichen des Urheberrechts und der Nachbarrechte212, der geographischen Herkunftsangaben213 , der Patente214 und der Layout-Designs (Topobegründet hätte, daß es sich bei dem WfO-Übereinkommen um eine "Handlung der Organe der Gemeinschaft" im Sinne von Art. 234 EGV handele. V gl. zum Urteil Hermes auch Bogdandy, NJW 1999, 2088 f.; Epiney, EuZW 1999, 5 (9). 212 V gl. Richtlinie 911250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABI. 1991 L 122, 42; Richtlinie 921100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABI. 1992 L 346, 61; Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harrnonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABI. 1993 L 290, 9. Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABI. 1996 L 77, 20. 213 Richtlinie 791112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABI. 1979 L 33, 1; Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen

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graphien) integrierter Schaltkreise215• Selbst im Bereich des Schutzes gewerblicher Modelle und Muster, 216 um den es in der Rechtssache Assco ging, hat die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen. Da davon auszugehen ist, daß der EuGH nicht eine umfassende interne Harmonisierung fordert, 217 dürfte der Anwendungsbereich für die zweite vom EuGH entwickelte Kategorie, d. h. die Bereiche ohne Gemeinschaftsrechtssetzung, daher - zumindest nach der insofern unscharfen Formulierung des EuGH - verschwindend klein ausfallen218 und im Zuge zunehmender Gemeinschaftsaktivität auf dem Gebiet des geistigen Eigentums stetig abnehmen. Vor allem aber weist das Urteil Dior und Assco einen Wertungswiderspruch auf. Denn auf der einen Seite nimmt der Gerichtshof eine umfassende ZuständigAngaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABI. 1992 L 208, 1. 214 Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel, ABI. 1992 L 182, 1; Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABI. 1998 L 213, 13. 21 s Richtlinie 87/54/EWG des Rates vom 16. Dezember 1986 über den Rechtsschutz der Topographien von Halb1eitererzeugnissen, ABI. 1987 L 24, 36. 216 V gl. Richtlinie 98171/EG vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABI. 1998 L 289, 28. 217 Die Formulierung, nur "in einem Bereich, in dem die Gemeinschaft noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat" unterliege der lmmaterialgüterschutz nicht dem Gemeinschaftsrecht (Rn. 48), legt den Schluß nahe, daß ein Bereich bereits dann der "Sphäre des Gemeinschaftsrechts" zuzurechnen ist, wenn die Gemeinschaft dort nicht umfassend, sondern nur überhaupt rechtssetzend tätig geworden ist. Auch der Verweis des EuGH auf den Bereich des Markenrechts (Rn. 47) als einen Bereich, "in dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat", spricht dafür, daß er Gerichtshofkeine umfassende Rechtssetzung seitens der Gemeinschaft fordert, ist doch die gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung im Bereich des Markenrechts nur eine teilweise. So beschränkt sich die Erste Richtlinie 8911 04/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABI. 1989 L 40, 1, ausdrücklich auf die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften, "die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken". An der Lückenhaftigkeit der gemeinschaftsinternen Rechtssetzung ändert auch die Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABI. 1994 L 11, 1, nichts, da diese eine eigenständige gemeinschaftliche Schutzregelung schafft, die neben die mitgliedstaatlichen Markenregeln tritt. 218 Selbst das Patentrecht, in dem es nur ausgesprochen rudimentäre Gemeinschaftsvorschriften gibt, wäre demnach ein vom TRIPS-Übereinkommen erfaßter Bereich, .~n dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat". Soweit ersichtlich hat die Gemeinschaft in den vom TRIPS geregelten Bereichen derzeit allein in Teil II, Abschnitt 7 TRIPS (Schutz nicht offenbarter Informationen) überhaupt keine Rechtsvorschriften erlassen.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

keit zur Auslegung von Art. 50 TRIPS in Anspruch, um sicherzustellen, daß dieser von den Stellen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt wird. Auf der anderen Seite spricht er sich gegen eine einheitliche innergemeinschaftliche Geltung der Bestimmung aus. Soweit Art. 50 TRIPS nach dem differenzierten Ansatz des EuGH nicht dem Gemeinschaftsrecht zuzuordnen ist, kann seine interne Wirkung somit von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat divergieren. Der EuGH bleibt dabei nicht nur die Anwort schuldig, wie es dogmatisch zu erklären ist, daß er zwar umfassend zur Auslegung der Norm befugt sein soll, nicht aber zur Bestimmung von deren internen Wirkungen, die doch nach seiner bisherigen Rechtsprechung durch Auslegung vorzunehmen ist. 219 Vor allem fragt sich, welchen Wert die einheitliche Auslegung von Art. 50 TRIPS durch den EuGH hat, wenn die Bestimmung aufgrund ihrer geteilten internen Geltung innerhalb der Gemeinschaft unterschiedliche Rechtswirkungen entfalten kann. 220

bb) Kritik an verschiedenen Ansätzen im Schrifttum Abzulehnen sind die Ansätze im Schrifttum, die die innergemeinschaftliche Geltung gemischter Abkommen danach beurteilen wollen, ob die Abkommen "ihrem Wesen nach geteilt oder ein Ganzes" sind. Eine solcher Ansatz klingt bei den Verfechtern des Trennungsmodells an, die ohne weiteres von der geteilten Abschlußzuständigkeit auf die geteilte Geltung und die geteilte Auslegungszuständigkeit schließen. 221 Außer einer solchen begrifflichen Argumentation erscheint es auch verfehlt, wenn Befürworter des Einheitsmodells die umfassende Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung gemischter Abkommen daran festmachen, bei diesen handele es sich um "Handlungen der Organe der Gemeinschaft" im Sinne

219 Vgl. EuGH-Kupferberg, 104/81-Slg. 1982,3641 (3663), Rn. 17, wonach "der Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeitaufgrund des Vertrages über diese Frage [der unmittelbaren Wirkung] ebenso wie über jede andere Auslegungsfrage im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens in der Gemeinschaft zu entscheiden" hat. 220 In diesem Zusammenhang ist es beachtlich, daß im Schrifttum selbst Gegner einer einheitlichen gemeinschaftsinternen Geltung gemischter Abkommen anerkennen, daß Zersplitterung, internes Ungleichgewicht und Rechtsunsicherheit einträten, sofern der EuGH gewissen Abkommensbestimmungen die Direktwirkung zuerkennte, die Wirkung anderer Vorschriften jedoch je nach Mitgliedstaat unterschiedlich bliebe, vgl. etwa Gilsdorf, EuR 1996, 145 (161 f.). 221 So Ehlermann, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 3 (18 f.); Amold, AVR 19 (1980/81), 419 (455); Schermers, in: O'Keefe/Schermers (Hg.), Essays in European Law and Integration, 167 (174 f.); E. Stein, AEL Vol. I (1990), Book 1, 115 (165).

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

97

von Art. 234 Abs. 1 Buchstabe b EGV. 222 Hierbei wird nämlich verkannt, daß die Gemeinschaftsorgane, die am Abschluß der gemischten Abkommen beteiligt sind, stets darauf bedacht sind, die interne Zuständigkeitsaufteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Schwer nachzuvollziehen ist schließlich das Argument, gemischte Abkommen seien in allen ihren Bestimmungen Teil des gemeinschaftlichen Primärrechts (!),weil der EGV beim Abschluß gemischter Abkommen ad hoc "punktuell" im Verhältnis zu den anderen Vertragsparteien geändert und das gesamte gemischte Abkommen auf den Rang des Primärrechts gehoben würde.223 Abgesehen davon, daß sich das Verfahren für den Abschluß von Gemeinschaftsabkommen (Art. 300 EGV) von dem für die Änderung der Gründungsverträge geltenden Verfahren (Art. 48 EUV) unterscheidet, ließe sich nicht erklären, warum gemischte Abkommen als Primärrecht gelten sollen, während andere Gemeinschaftsabkommen im Rang zwischen Primär- und Sekundärrecht stehen. Die soeben erwähnten Ansätze vermögen insgesamt keine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem innergemeinschaftlichem Status gemischter Abkommen zu geben .

.b) Abwägung der Interessen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten Bei der Frage nach der innergemeinschaftlichen Geltung gemischter Abkommen handelt es sich um ein Wertungsproblem. Auf der einen Seite haben die Mitgliedstaaten ein Interesse daran, in der Reichweite ihrer Vertragsabschlußzuständigkeit auch die Zuständigkeit für die Auslegung der Abkommensbestimmungen zu besitzen. Dies kann am Beispiel des TRIPS verdeutlicht werden: Da die Gemeinschaft beim Abschluß des TRIPS auf dem Gebiet des Patentrechts keine Harmonisierungsmaßnahmen erlassen hatte und demnach keine Vertragsabschlußzuständigkeit nach der AE1R-Doktrin innehatte, war eine Beteiligung der Mitgliedstaaten erforderlich. Nähme man dessen ungeachtet an, auch die patentrechtliehen Vorschriften des TRIPS seien "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" und unterfielen der Auslegungszuständigkeit des EuGH, so würden die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Patentrechts erheblich beeinträchtigt. Sie verlören nicht nur das "Auslegungsmonopol" für die entsprechenden TRIPS-Vorschriften, sondern müßten auch befürchten, daß sich diese wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber ihren nationalen Patentregelungen durch222 223

So Gagliardi, ELR 24 (1999), 276 (285 ff.). So aber Bleckmann, EuR 1976, 301 (305 ff.).

7 Hermes

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

setzen, was vor allem dann möglich wäre, Würde der EuGH den fraglichen 1RIPSBestimmungen besondere Wirkungen, wie z. B. die unmittelbare Anwendbarkeit, zuerkennen. 224 Im Gegensatz dazu liegt es im Interesse der Gemeinschaft, durch eine zentralisierte Auslegung sämtlicher Bestimmungen gemischter Abkommen Auslegungsdivergenzen zu vermeiden und so die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu wahren. Im folgenden sollen drei Gesichtspunkte hervorgehoben werden, die für die Abwägung der Interessen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten entscheidend sind. 225

aa) Umfassende völkerrechtliche Haftung der Gemeinschaft und Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue Wie bereits dargestellt haftet die Gemeinschaft den dritten Vertragspartnern gegenüber umfassend für die Erfüllung gemischter Abkommen. 226 Die Mitgliedstaaten wiederum trifft unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftstreue227 (Art. 10 EGV) und Art. 300 Abs. 7 EGV die gemeinschaftsrechtliche Pflicht, dazu beizutragen, der Gemeinschaft eine völkerrechtliche Inanspruchnahme zu ersparen. Bei einer Fragmentarisierung der Geltung und der Auslegungszuständigkeit für gemischte Abkommen liegt das Risiko, daß es bei Gemeinschaft oder MitSiehe dazu unten Teil 2, A. Die Interessen der anderen Vertragsparteien gemischter Abkommen fallen demgegenüber nicht so stark ins Gewicht. Da es bei gemischten Abkommen für die dritten Vertragsparteien schwierig sein kann, den richtigen Schuldner verletzter Verpflichtungen zu ermitteln, bevorzugen diese ohnehin den Abschluß "reiner Gemeinschaftsabkommen" ohne Beteiligung der EG-Mitgliedstaaten, vgl. Tomuschat, in: O'Keefe/Scherrners (Hg.), Mixed Agreements, 125 (129 ff.). Es ist bemerkenswert, daß sogar der Repräsentant der EG bei der WTO anläßlich eines Trade Policy Review Body (TPRB) Treffens gegenüber anderen WTO-Mitgliedem einräumte, daß im Hinblick auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Bereich TRIPS "the situation was not always clear for trading partners", WT/I'PRIM/30, 170, Anm. 55. Wenn die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten aus internen Gründen schon nicht umhin können, gemischte Abkommen zu schließen, so dürften die anderen Vertragspartner im Interesse der Klarheit jedenfalls eine einheitliche Auslegung des Abkommens durch den EuGH bevorzugen, statt sich mit sechzehn möglicherweise divergierenden Auslegungen befassen zu müssen. 226 Anders liegt es nur im Fall der hier nicht interessierenden gemischten Abkommen, in denen die Kompetenzaufteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten nach außen offenbart wird. 227 Umfassend zum Grundsatz der Gemeinschaftstreue Lueck. 224

225

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

99

gliedstaaten zu Verletzungen des Abkommens kommt, höher als bei einer einheitlichen Geltung der Abkommensbestimmungen als Gemeinschaftsrecht und einer beim EuGH zentralisierten Auslegungszuständigkeit Den Mitgliedstaaten ist daher unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) abzuverlangen, einen einheitlichen innergemeinschaftlichen Status gemischter Abkommen als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" ebenso zu akzeptieren wie die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH.

bb) Einheitlichkeit als Bedingung für die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft Auch ist die zentrale Bedeutung der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts für das Funktionieren der Gemeinschaft hervorzuheben. Das Erfordernis einheitlicher Auslegung und Geltung des Gemeinschaftsrechts hat der EuGH bereits in einer so wegweisenden Entscheidungen wie Costa/ENEL betont: "( ... ) es würde eine Gefahr für die Verwirklichung der in Art. 5 Abs. 2 [Art. 10 EGV] aufgeführten Ziele des Vertrages bedeuten und dem Verbot des Art. 7 [Art. 12 EGV] widersprechende Diskriminierungen zur Folge haben, wenn das Gemeinschaftsrecht ( ... ) von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte. " 228 In Kupferberg betonte der EuGH das Bedürfnis nach einheitlicher Geltung gerade im Hinblick auf die Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen: "Wegen ihres gemeinschaftsrechtlichen Charakters können diese vertraglichen Bestimmungen innerhalb der Gemeinschaft keine unterschiedlichen Rechtswirkungen entfalten, je nachdem, ob sie in der Praxis von den Gemeinschaftsorganen oder von den Mitgliedstaaten anzuwenden sind, und im letztgenannten Fall je nachdem, welche Wirkungen das Recht des jeweiligen Mitgliedstaats den von diesem abgeschlossenen internationalen Abkommen innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung zuerkennt. Es ist also Sache des Gerichtshofes, im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Auslegung der Bestimmungen von Abkommen deren einheitliche Anwendung innerhalb der gesamten Gemeinschaft sicherzustellen. " 229 Dabei ist die einheitliche Auslegung und Geltung des Gemeinschaftsrechts kein Selbstzweck. Nach Hans Peter lpsen ist die "unantastbar[e] Eigenschaft, in der Gemeinschaft ganzheitlich und einheitlich zu gelten" eine Qualität des Gemeinschaftsrechts, die diesem kraft des "Prinzips der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften" zukommt. Hierbei handele es sich "um das Prinzip, das die Existenz der Gemeinschaften als solcher und ihre 228 229

EuGH- Costa/ENEL, 6/64- Slg. 1964, 1251 (1269 f.). EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 (3662 f.), Rn. 14.

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Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Wirksamkeit sichert". 230 Das ,.Prinzip der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften" ist nach Ipsen ,.ein das Gemeinschaftsrecht ausrichtender und qualifizierender Leitsatz", der sich ,.ungeschrieben aus dem Wesen der Integration" ergibt. 231 Dieses Prinzip besagt, wenn die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft funktionieren will, müsse die einheitliche Auslegung und Geltung aller ihrer Normen sichergestellt sein. Dazu dient nicht nur der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht232 , sondern auch die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH. Mit Blick auf gemischte Abkommen wird man dem ,.Prinzip der Funktionssicherung der Gemeinschaften" nur dann gerecht, wenn man den umfassenden gemeinschaftsrechtlichen Status und die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH anerkennt.

cc) Speziell auf das WIO-Übereinkommen bezogene Argumente Besonders deutlich muß die Interessenahwägung beim WTO-Übereinkommen zugunsten der Gemeinschaft ausfallen. Im Rahmen des WTO-Übereinkommens sind die Zuständigkeiten von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten besonders schwer zu trennen. Der Gerichtshof gestand der Kommission im Gutachten 1/94 zu, ihre Befürchtung, die zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit zum Abschluß von GATS und TRIPS könnte bei deren Durchführung zu Schwierigkeiten führen, sei eine ,.völlig legitime Besorgnis". Dies treffe zu ,.wegen des zwischen [den WTO-Übereinkünften] bestehenden unauflöslichen Zusammenhangs". So wäre es etwa einem Mitgliedstaat, dessen TRIPS-Rechte von einem anderen WTO-Mitglied verletzt wurden und der deshalb vom DSB errnächtig wurde, Retorsionsrnaßnahmen zu ergreifen, unmöglich, solche Maßnahmen nach den Grundsätzen der cross-retaliations233 - im Bereich der Warenverkehrsfreiheit zu ergreifen, da dort die Gemeinschaft ausschließlich zuständig ist. Auch könnte die Gemeinschaft bei einer streng isolierten Betrachtung der Zuständigkeitssphären umgekehrt keine cross-retaliations in weiten Teilen des TRIPS und des GATS ausüben. Solche Schwierigkeiten bei der Durchführung des Abkommens könnten zwar an der Beantwortung der Frage nach den AbschlußzuständigH. P. /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 200. H. P. /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 280. m Dazu H. P. /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 277 ff. 233 Nach Art. 22 Abs. 3 DSU kann ein WTO-Mitglied als Antwort auf eine vom DSB festgestellte Verletzung von Vertragspflichten gegen den Verletzer unter Umständen eigene Pflichten auch aus anderen als dem verletzten Abkommen aussetzen; siehe dazu Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, 192 f. 230 231

C. Die Konsequenzen für die innergemeinschaftliche Geltung des TRIPS

I0 I

keiten nichts ändern. Doch treffe Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Durchführung eines Abkommens wie des WTO-Übereinkommens, dessen Gegenstand teils in die Zuständigkeit der Gemeinschaft, teils in diejenige der Mitgliedstaaten fällt, eine "Pflicht zur Zusammenarbeit". 234 Auch wenn der Gerichtshof diese Pflicht zu einer engen Zusammenarbeit im Gutachten 1194 primär auf die Durchführung des Abkommens nach außen bezog, so erscheint es doch angesichts der oben beschriebenen ungeteilten völkerrechtlichen Haftung der Gemeinschaft und der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue zwingend, die Pflicht zur Zusammenarbeit auch auf das Innenverhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu beziehen. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die umfassende Geltung aller Bestimmungen von GATS und TRIPS als Gemeinschaftsrecht und vor allem die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH anzuerkennen. 235 Ein weiterer entscheidender Grund, gerade beim TRIPS die Interessen der Mitgliedstaaten an einem geteilten internen Status geringer zu bewerten als das Interesse der Gemeinschaft an einer einheitlichen internen Geltung ist die Tatsache, daß sich beim TRIPS die Zuständigkeitsaufteilung dynamisch auf Kosten der Mitgliedstaaten verändert. 236

dd) Ergebnis Wägt man die Interessen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bezüglich der internen Geltung gemischter Abkommen gegeneinander ab, so überwiegt das Gemeinschaftsinteresse, die gemischten Abkommen umfassend als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung aufzufassen und zentral durch den EuGH auszulegen. Dies gilt für alle gemischten Abkommen, da die Gerneinschaft für deren Erfüllung, sofern nicht ausnahmsweise die Kompetenzen nach außen begrenzt werden, umfassend völkerrechtlich haftet und die Mitgliedstaaten das Risiko einer völkerEuGH- Gutachten 1/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5420), Rn. I 08. Bogdandy, CMLR 36 (1999), 663 (668); ders., NJW 1999,2088 f., weist daraufhin, daß eine beim beim EuGH zentralisierte Auslegung für die Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Sanktionsmechanismus des DSU sogar von Vorteil sein könnte. In der WTO-Praxis würden Streitbeilegungsverfahren auf die EG konzentriert, soweit eine Vertragsverletzung auf der Entscheidung eines ihrer Organe beruhe (z. B. European Communities- Customs Classification of Certain Computer Equipment, Panel Report vom 5. Februar 1998 (98-0277), WT/DS62/R, WT/DS67/R, WT/DS68/R, Anm. 8.15 ff.). Wäre die Verletzung materieller WTO-Normen auf eine Vorabentscheidung durch den EuGH zurückzuführen, so würden Streitbeilegungsverfahren gegen die EG und nicht den Staat des letztlich entscheidenden Gerichts durchgeführt. 236 Siehe dazu oben Teil I, B. III. 234

235

102

Teil 1: Die Geltung des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung

rechtlichen Inanspruchnahme reduzieren müssen, indem sie durch den Verzicht auf die Auslegungszuständigkeit einer Fragmentarisierung der Auslegungen entgegenwirken. Auch das Argument, die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft hinge von der einheitlichen Geltung der Abkommensbestimmungen ab, gilt für alle gemischten Abkommen. Für das WTO-Übereinkommen schließlich fällt die Abwägung noch deutlicher zugunsten des Gemeinschaftsinteresses aus, da die Zuständigkeitsbereiche von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten dort nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern vielfältig miteinander verwoben sind und sich zudem dynamisch verändern.

111. Ergebnis für das TRIPS Die interne Geltung gemischter Abkommen ist nicht in dem Sinne geteilt, daß die Vorschriften, die in die Abschlußzuständigkeit der Gemeinschaft fallen, Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und diejenigen, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, mitgliedstaatliches Recht sind. Vielmehr sind sämtliche Bestimmungen der gemischten Abkommen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung". Folglich ist auch die Auslegungszuständigkeit nicht zwischen dem EuGH und den mitgliedstaatliehen Gerichten geteilt. Für das TRIPS bedeutet dies, daß alle Bestimmungen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind. Sämtliche TRIPS-Bestimmungen genießen daher Anwendungsvorrang vor den Normen der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen. Der EuGH ist zuständig, sämtliche TRIPS-Bestimmungen im Wege der Vorabentscheidung oder anderer Verfahren auszulegen.

Tei/2

Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen im Gemeinschaftsrecht

Der bisherige Befund, daß sämtliche Bestimmungen des TRIPS seit Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind und vom EuGH auszulegen sind, ist für die weitere Untersuchung von großer Bedeutung. Denn da das ganze TRIPS innergemeinschaftlich gilt, sind die auf der innergemeinschaftlichen Geltung basierenden besonderen Wirkungen des TRIPS ausschließlich nach Gemeinschaftsrecht, und nicht aus der Perspektive der 15 verschiedenen mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen zu bestimmen. Mit den besonderen Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen sind die unterschiedlichen Möglichkeiten gemeint, deren Bestimmungen vor den Gemeinschaftsgerichten, d. h. den mitgliedstaatliehen Gerichten sowie dem EuGH und dem EuG, geltend zu machen. Die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer etwa sind nicht bloß daran interessiert, daß bestimmte Normen aus Gemeinschaftsabkommen innergemeinschaftlich gelten, sondern sie werden versuchen, sich vor den Gemeinschaftsgerichten auf die ihnen günstigen Abkommensbestimmungen zu berufen, um diese in der Praxis zu nutzen. Auch könnten Mitgliedstaaten unter Umständen ein Interesse daran haben, die Gültigkeit von Sekundärrechtsakten vom EuGH am Maßstab von Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen überprüfen zu lassen. Es lassen sich drei besondere Wirkungen unterschiedlicher Intensität unterscheiden. Einzelne werden primär daran interessiert sein, sich vor den Gemeinschaftsgerichten direkt, d. h. ohne eine vermittelnde interne Norm bemühen zu müssen, auf Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen zu berufen, etwa um geltend zu machen, daß damit unvereinbares Sekundärrecht nichtig oder damit unvereinbares mitgliedstaatliches Rechtunanwendbar ist (unmittelbare Anwendbarkeit). Falls diese Möglichkeit ausscheidet, werden sie versuchen, Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen auf indirekte Weise geltend zu machen und sich auf interne Rechtsakte stützen, die ihrerseits auf die ihnen günstigen Abkommensbestimmungen verweisen oder zu deren Umsetzung erlassen wurden (mittelbare Anwendbarkeit). Sollte im Einzelfall ein solcher Sekundärrechtsakt nicht greifbar sein, könnten

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

sie immer noch darauf hinwirken, daß die zuständigen Gerichte einschlägige mitgliedstaatliche oder sekundärrechtliche Nonnen im Einklang mit den Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen auslegen (völkerrechtskonfonne Auslegung). Bevor im vierten Teil der Arbeit untersucht wird, inwieweit die Bestimmungen des TRIPS solche Wirkungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten, sollen die genannten Wirkungen in diesem Teil zunächst allgemein behandelt werden.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit Wenn die Anwendung einer einschlägigen Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen im Einzelfall zu günstigeren Ergebnissen führt als die Anwendung eines anwendbaren mitgliedstaatliehen oder sekundärrechtlichen Rechtsaktes, so wird der einzelne vor einem Gemeinschaftsgericht geltend machen, die mitgliedstaatliche Nonn sei wegen des Konfliktes mit der Abkommensbestimmung unanwendbar bzw. die sekundärrechtliche Nonn sei wegen des Konfliktes nichtig. Die Unanwendbarkeit des mitgliedstaatliehen Rechtsaktes wäre Folge des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsabkommens vor mitgliedstaatlichem Recht, die Nichtigkeit des sekundärrechtlichen Aktes Konsequenz der Nonnenhierarchie in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Das Gemeinschaftsgericht wird nicht nur zu entscheiden haben, ob ein Konflikt zwischen der Abkommensbestimmung und dem mitgliedstaatliehen bzw. sekundärrechtlichen Rechtsakt besteht, sondern vor allem, ob es einzelnen überhaupt möglich ist, sich auf die Abkommensbestimmung zu berufen. Mit der letzteren Frage ist die unmittelbare Anwendbarkeit der Abkommensbestimmung angesprochen.

I. Das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit

Das Problem, ob sich einzelne vor internen Gerichten auf völkervertragliche Nonnen berufen können, stellt sich nicht nur in der Gemeinschaftsrechtsordnung, sondern in der Rechtsordnung eines jeden Völkerrechtssubjektes. Deswegen soll im folgenden Abschnitt zunächst das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit umrissen werden, bevor anschließend geklärt wird, welche konkreten Antworten die Gemeinschaftsrechtsordnung gibt.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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1. Terminologie Die Möglichkeit, sich vor internen Gerichten auf völkervertragliche Normen berufen zu können, wird im folgenden als "unmittelbare Anwendbarkeit" bezeichnet. Häufig anzutreffen sind auch die Begriffe "unmittelbare Wirksamkeit", "direkte Wirksamkeit" oder "unmittelbare Gültigkeit". Im anglo-amerikanischen Raum wird der Begriff "self-executing" gebraucht. Insgesamt herrscht eine geradezu babylonische Sprachverwirrung. 1 Problematisch ist hieran vor allem, daß die genannten Begriffe teils als Synonyme, teils mit subtilen Differenzierungen gebraucht werden. Selbst die Terminologie des EuGH ist nicht einheitlich. Zumeist spricht er von "unmittelbarer Wirkung", benutzt gelegentlich aber auch den Begriff der "unmittelbaren Anwendbarkeit", ohne damit einen anderen Inhalt zu verbinden. 2 Teilweise tauchen beide Begriffe als Synonyme in ein und derselben Entscheidung auf. 3 Der Begriff "self-executing" soll allein schon deswegen nicht verwandt werden, weil er zu leicht mit dem Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten, das nicht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht, in Verbindung gebracht würde. Im folgenden soll daher, um vom Eigentlichen ablenkende Begriffsverwirrungen zu vermeiden, ausschließlich von "unmittelbarer Anwendbarkeit" die Rede sein.

2. Definition Der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit wird von Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich verwendet. Das große publizistische Interesse an dem Verhältnis von Völker- und Landesrecht hat die unmittelbare Anwendbarkeit zu einem "schillernden Begriff'4 werden lassen und zu einer "gefährlichen Sprach1

Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1065).

Der Vorschlag von Generalanwalt van Gerven in dessen Schlußanträgen zu EuGH Fediol, 70/87- Slg. 1989, 1781 (1806), Fn, 8, zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und unmittelbarer Wirkung ausdrücklich zu differenzieren, wurde vom Gerichtshof nicht aufgegriffen. 3 So in EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3665 f.), Rn. 26 f.: .,Diese Bestimmung kann als solche von einem Gericht angewandt werden und kann daher unmittelbare Wirkungen in der gesamten Gemeinschaft erzeugen.( .. . ) also dahin zu beantworten, daß Art. 21 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und Portugal unmittelbar anwendbarund geeignet ist, den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern Rechte zu verleihen, die von den Gerichten zu schützen sind." (Hervorhebung nicht im Original) 4 Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 49. 2

I 06

Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

verwirrung" geführt, welche "grösste Uneinigkeit" geschaffen hat und das "Definitionsproblem ( ... ) bis heute ungelöst" ließ. 5 Dem Apell von Riesenfeld, "the concept of self-executing treaties is in need of clarification",6 kann insofern nur beigepflichtet werden. Betrachtet man die schillernde Begriffsvielfalt mit der nötigen Bereitschaft, die Komplexität drastisch zu reduzieren, lassen sich zwei Ansätze ausmachen.

a) Weites Verständnis Einige Autoren im Schrifttum bezeichnen eine Bestimmung aus einem völkerrechtlichen Vertrag bereits dann als unmittelbar anwendbar, wenn sie ohne konkretisierendes Dazwischentreten internen Rechts die Grundlage von Entscheidungen innerstaatlicher Rechtsanwendungsorgane (Gerichte und Behörden) bilden kann. 7 Sie verbinden damit nicht notwendig die Möglichkeit einzelner, sich auf diese Bestimmung zu berufen. Vielmehr sprechen sie auch dann von unmittelbarer Anwendbarkeit, wenn die Völkerrechtsnorm in einem objektiven Verfahren entscheidungserheblich werden kann, ohne daß internes Recht dazwischentritt.

b) Enges Verständnis Demgegenüber verwendet die Mehrheit im Schrifttum den Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit ausschließlich dann, wenn es um die Möglichkeit einzelner geht, sich vor internen Gerichten direkt auf Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu berufen.8 Dabei wird teilweise vertreten, die rechtspolitischen Hintergründe für beide Wirkungen, die oben beschriebene Anwendbarkeit im Sinne objektiven Rechts und die engere Anwendbarkeit im Sinne der Berufungsmöglichkeit einzelner, könnten divergieren. 9 Andere Autoren erfassen beide WirSo Koller, 53. Riesenfeld, AJIL 74 (1980), 892 (896). 7 Koller, 81; Peters, GYIL 40 (1997), 9 (44). 8 Bleckmann, EPIL 7 (1984), 414; Riesenfeld, AJIL 74 (1980), 892 (896 f.); ders., Yale J. Int'l L. 14 (1989), 455 (463); Tomuschat, GS Constantinesco (1983), 801, Fn. 3, umschreibt dieses Konzept auch als "lndividualwirksarnkeit"; ebenso ders., in: von der Groebenflbiesing/Eh1ermann, Art. 228, Rn. 61. 9 So geht Jackson, AJIL 86 (1992), 310 (317 f.), davon aus, es sei "analytically preferab1e (to avoid confusion and potential error) toseparate these concepts, particularly since the policies that re1ate to each one differ considerably. For example, direct application rnay primarily be a question of intent of one or more of the treaty parties, while invocability may 5 6

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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kungen, differenzieren aber zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit im engeren Sinne (i. e. die Berufungsmöglichkeit einzelner) und unmittelbarer Anwendbarkeit im weiteren Sinne (i. e. die Anwendbarkeit als objektives Recht). 10 Skepsis ist geboten, soweit Autoren aus dem deutschen Rechtskreis im Zusammenhang mit der unmittelbaren Anwendbarkeit den Begriff des "subjektiven Rechts" verwenden.11 Das subjektive Recht ist ein Konzept, das von der deutschen Zivilrechtslehre seit Savigny geprägt wurde. 12 In anderen Rechtskreisen findet es keine genaue Entsprechung.

c) Eigenes Verständnis Um zu entscheiden, welche Definition für die vorliegende Untersuchung am zweckmäßigsten erscheint, ist zu berücksichtigen, daß es um die Beurteilung der besonderen innergemeinschaftlichen Wirkungen eines Gemeinschaftsabkommens geht. Daher darf bei der Definition der unmittelbaren Anwendbarkeit das Verständnis des EuGH nicht außer Acht gelassen werden. Im Gemeinschaftsrecht sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Einerseits gibt es Fälle, in denen sich einzelne vor mitgliedstaatliehen Gerichten auf Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen berufen, etwa um die Ungültigkeit von Sekundärrecht oder die Unanwendbarkeit mitgliedstaatliehen Rechts geltend zu machen. Die Gerichte werden die Frage, ob den einzelnen eine solche Berufung möglich ist, in der Regel (vgl. Art. 234 EGV) dem EuGH vorlegen. 13 Ob depend on the precision of the language, definitions of categories of persons (e. g. ,citizen,' ,adult male'), or concepts of justiciability or , political question'." 10 Verdross/Simma, § 864. 11 So aber Fikentscher, FS Steindorff (1990), 1175 ( 1187 ff.), der bei der Definition des Begriffs "self-executing" zwischen (a) Anwendungsbefugnis i. S. v. "Geltung zwischen den Bürgern des transformierenden/adoptierenden Staates" und (b) der "Bedeutung als subjektives Recht", d. h. daß "zugunsten der Bürger des transformierendenladoptierenden Staates subjektive Rechte, und entsprechend zu Lasten dieser Bürger subjektive Pflichten entstehen" unterscheidet. 12 Savigny beschreibt dieses Konzept folgendermaßen: "( . .. )so erscheint uns darin zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unsrer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugnis: Manche nennen es das Recht im subjectiven Sinn.", System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, § 4, S. 7. 13 Siehe etwa die zahlreichen Vorlagen, in denen der Gerichtshof zu klären hatte, ob eine Bestimmung des GATI 1947 "ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen kann, sich vor Gericht auf sie zu berufen": EuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1227), Rn. 7/9; EuGH- Schlüter, 9/73- Slg. 1973, 1135 (1157), Rn. 27; EuGH-

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

der Vorschrift des Gemeinschaftsabkommens eine solche Qualität zukommt, bezeichnet der EuGH als Frage der "unmittelbaren Anwendbarkeit" bzw. "unmittelbaren Wirkung" der Abkommensbestimmung. 14 Hiervon zu unterscheiden ist die Konstellation, daß nicht ein einzelner, sondern ein Mitgliedstaat eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen geltend macht. Es gibt Fälle, in denen Mitgliedstaaten die Gültigkeit von Sekundärrechtsakten im Wege der Nichtigkeitsklage (Art. 230 EGV) vor dem EuGH mit der Begründung angreifen,· diese verstießen gegen Vorschriften aus Gemeinschaftsabkommen. 15 Der EuGH fragt in solchen Fällen nicht nach der "unmittelbaren Wirksamkeit" oder "unmittelbaren Anwendbarkeit" der Abkommensbestimmung, sondern danach, ob er sie "für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit" eines Sekundärrechtsaktes zu berücksichtigen hat 16 bzw. ob sie "zu den Vorschriften [gehört], an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gerneinschaftsorgane mißt" 17 • Angesichts dieser begrifflichen Trennung seiten~ des EuGH wäre es denkbar, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zwischen der Frage, ob sich einzelne vor den Gerichten auf Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens berufen können, und der Frage, ob eine solche Abkommensbestimmung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage als "Rechtmäßigkeitsmaßstab" für Sekundärrechtsakte in Betracht kommt, zu differenzieren. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der EuGH- wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird 18 - beide Fragen nach denselben Kriterien beurteilt. So führte er in der Rechtssache Deutschland/Rat aus, die Gründe, die gegen die "unmittelbare Wirkung"- im Sinne der Geltendmachung durch einzelne- des dort untersuchten Abkommens sprächen, verhinderten es auch, daß sich Mitgliedstaaten auf das Abkommen im Rahmen einer Nichtigkeitsklage berufen. 19 In dem Urteil Dior und Assco argumentierte SIOT, 266/81 - Slg. 1983, 731 (780), Rn. 28; EuGH- SPI und SAM!, 267-269/81 - Slg. 1983, 801 (830 ff.), Rn. 21 ff.; EuGH- Chiquita Italia, C-469/93 - Slg. 1995, 1-4533 (4565), Rn. 29. 14 Vgl. etwa EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3665 f.), Rn. 26 f. 15 Denkbar wären nach Art. 230 Abs. I EGV auch Klagen des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments, nach Art. 230 Abs. 2 EGV sogar von Individuen. 16 So in EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5073), Rn. 109 ff. 17 So in EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395, Rn. 47. 18 Siehe unten Teil 2, A. III. I. und Teil 3, C. I. 19 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994,1-4973 (5073), Rn. 109. Generalanwalt Gulmann machte deutlich, es sei zwar "möglich, daß sich die Betroffenen in einem Verfahren nach Art. 173 auf ein Abkommen berufen können, auch wenn dies keine unmittelbare Wirkung hat", daß es ,jedoch auch so sein [kann], daß die Gründe, die zur Vernei-

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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er in umgekehrter Richtung. 20 Aus der Sicht des EuGH hängen also beide Wirkungen, die Rechtswirkungen zugunsten einzelner und die Rechtswirkungen im Rahmen objektiver Rechtsschutzverfahren, von denselben Voraussetzungen ab. Gegen diesen Ansatz des EuGH wurden im Schrifttum gute Argumente vorgebracht. So wurde kritisiert, die Berücksichtigung von Gemeinschaftsabkommen im Rahmen objektiver Rechtsschutzverfahren (z. B. Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 EGV) unterscheide sich in dogmatischer Hinsicht grundlegend von der Frage, ob sich einzelne vor den Gerichten darauf berufen können. 21 Vorschriften aus Gemeinschaftsabkommen müßten daher im Rahmen objektiver Rechtsschutzverfahren auch dann als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden können, wenn sie nicht den Anforderungen genügen, die an ihre Individualwirksamkeit gestellt werden. 22 Trotz dieser berechtigten Einwände sollen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung - entsprechend dem Ansatz des EuGH - beide Wirkungen als Unterfälle der unmittelbaren Anwendbarkeit begriffen werden. Damit soll nicht etwa die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen kritiklos hingenommen werden. Vielmehr wird sich die Kritik, indem sie die Kriterien des EuGH für die unmittelbare Anwendbarkeit und deren Anwendung im Einzelfall hinterfragt, auf beide Facetten der unmittelbaren Anwendbarkeit beziehen. Wenn daher im folgenden von unmittelbarer Anwendbarkeit die Rede ist, so ist damit sowohl die Möglichkeit einzelner gemeint, sich vor mitgliedstaatliehen Gerichten auf eine Abkommensbestimmung zu berufen, etwa um die Ungültignung der unmittelbaren Wirkung des Abkommens führen, so geartet sind, daß sie zugleich zu der Auffassung führen müssen, daß das Abkommen kein Teil der Grundlage der Rechtmäßigkeitsprüfung des Gerichtshofes sein kann", Schlußanträge von Generalanwalt Claus Gulmann zu EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4980 (5023), Anm. 137. Bisher hat der EuGH in seiner Rechtsprechungspraxis stets im letzteren Sinne entschieden. 20 EuGH- Diorund Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, n. n. in Slg., abrufbar unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 44, wo der Gerichthof einzelnen die Berufung auf Abkommensbestimmungen aus denselben Gründen verweigerte, die er bereits in einem anderem Urteil (EuGH- PortugaVRat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 ff.) gegen deren Berücksichtigung im Rahmen einer von Mitgliedstaaten angestrengten Nichtigkeitsklage angeführt hatte. 21 Vgl. die Kritik von Everling, CMLR 33 (1996), 401 (421 ff.), an dem Urteil EuGHDeutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4980 ff. 22 So Berrisch/Kamann, EWS 2000, 89 (94), im Hinblick auf EuGH - PortugaVRat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 ff. Vgl. zum Völkergewohnheitsrecht das Bundesverfassungsgericht im Botschaftskonten-Fall, wonach "Vorlagen nach Art. 100 Abs. 2 GG auch dann zulässig [sind], wenn die völkerrechtliche Regel ihrem Inhalt nach nicht geeignet ist, unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen zu erzeugen, sondern sich nur an Staaten oder ihre Organe als Normadressaten wendet", BVerfGE 46, 342 (362).

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

keit von Sekundärrecht oder die Unanwendbarkeit mitgliedstaatliehen Rechts geltend zu machen, als auch die Möglichkeit von Mitgliedstaaten (oder Gemeinschaftsorganen), die Vorschrift vor dem EuGH als Rechtmäßigkeitsmaßstab geltend zu machen, um daran die Gültigkeit von Sekundärrechtsakten messen zu lassen.

3. Völkerrechtliche und interne Perspektive Im Schrifttum wird eine Kontroverse darüber geführt, ob sich die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge aus dem jeweiligen Vertrag ergibt oder aus den Rechtsordnungen der Vertragspartner. Mit anderen Worten wird gefragt, ob es sich bei der unmittelbaren Anwendbarkeit um eine völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Frage handelt. 23 Diese Kontroverse ist sinnlos und irreführend. Denn die beiden Fragen schließen einander nicht aus. 24 Vielmehr ist zu differenzieren zwischen der völkerrechtlichen Frage, ob die Parteien eines Abkommens zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlich verpflichtet sind, und der internen Frage, unter welchen Voraussetzungen das Verfassungsrecht einer Vertragspartei die unmittelbare Anwendbarkeit anordnet. 25

23 Vgl. einerseits Verhoeven, RBDI 15 (1980), 243 (258 f.), Meessen, CMLR 13 (1976), 485 (493 f.) und Waelbroeck, SchwnR 29 (1973), 131 (131), die die unmittelbare Anwendbarkeit als völkerrechtliche Frage bezeichnen, und andererseits Tomuschat, GS Constantinesco (1983), 801 (807), Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 138, und Riesenfeld, AJIL 74 (1980), 892 (890 f.), die den verfassungsrechtlichen Charakter der Frage hervorheben. 24 Zutreffend Koller, 123 f.: "Die Streitfrage nach dem Vorrang der völkerrechtlichen oder der landesrechtliehen Fragestellung ist ein Scheinproblem Sie beruht auf zwei durchaus möglichen, aber unterschiedlichen Fragestellungen. Es kommt auf den Gesichtspunkt an." Ebenso Peters, GYIL 40 (1997), 9 (45 f.); Buergenthal, RdC 235 (1992-IV), 303 (320 f.). 23 Besonders deutlich Doehring, § 13 II, Rn. 707 und Fn. 15: "Bestimmt der völkerrechtliche Vertrag, daß seine Bestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrages vom nationalen Rechtssubjekt unmittelbar in Anspruch genommen werden können, spricht man( ... ) von einem self-executing Vertrag im völkerrechtlichen Sinne. Bestimmt eine nationale Rechtsordnung, daß mit Inkrafttreten des Vertrages der Anspruch des nationalen Rechtssubjektes, sich auf ihn berufen zu können, unmittelbar eintritt, spricht man von einer selfexecuting Wirkung im innerstaatlichen Recht. ( ... ) Die Unterschiede zwischen Völkerrechtlieh vereinbarter self-executing-Wirkung und einer durch das innerstaatliche Recht und für seine Belange angeordneter [sie] self-executing-Wirkung wird nicht immer ganz klar gesehen;( . .. )."

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a) Völkerrechtliche Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit Aus völkerrechtlicher Sicht kann man fragen, ob die Vertragsparteien eines Abkommens verpflichtet sind, dessen Bestimmungen innerhalb ihrer Rechtsordnung unmittelbar anzuwenden. Eine solche Pflicht könnte sich aus dem allgemeinen Völkerrecht oder aus demjeweiligen Abkommen ergeben.

aa) Allgemeines Völkerrecht Das allgerneine Völkerrecht kennt keine Pflicht, völkerrechtliche Verträge unmittelbar anzuwenden. Es legt die Modalitäten des Vollzugs völkerrechtlicher Verträge durch die beteiligten Vertragsparteien nicht fest. 26 Artikel 26 WVRK27 , der das geltende Völkergewohnheitsrecht zu diesem Punkt kodifiziert hat, bestimmt allein, völkerrechtliche Verträge müßten von den Vertragsparteien nach Treu und Glauben erfüllt werden ("Every treaty in force is binding upon the parties to it and must be perforrned by them in good faith."). An den Modus der Umsetzung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Von dieser Offenheit des allgerneinen Völkerrechts, was den Modus der Durchsetzung von völkerrechtlichen Verträgen angeht, geht auch der EuGH in seinem Urteil Kupferberg aus: "Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts muß jedes Abkommen von den Parteien nach Treu und Glauben erfüllt werden. Wenn somit jede Vertragspartei für die vollständige Erfüllung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen verantwortlich ist, steht es ihr doch zu, die rechtlichen Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung dieses Ziels innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind, es sei denn, die Auslegung des Abkommens nach seinem Sinn und Zweck ergibt, daß diese Maßnahmen im Abkommen selbst festgelegt sind. "28 26 Verdross/Simma, § 848, 540; Jennings/Watts, Bd. I, Teil 1, § 21, 82 f.; Tomuschat, GS Constantinesco (1983), 801 (807); allgernein zur grundsätzlichen Offenheit des Völkerrechts hinsichtlich des "wie" seiner Durchsetzung Dahm!Delbrück!Wolfrum, 101 f. ; Henkin, International Law, 63. 27 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vorn 23.5.1969, BGBI. 1985 II, 927. 28 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3641 (3663 f.), Rn. 18. Besonders deutlich auch Generalanwalt Gulrnann in seinen Schlußanträgen zu EuGH - Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (1-5021), Rn. 128: "Die bindende Wirkung internationaler Abkommen ist natürlich von den Vertragspartnern zu respektieren. Es besteht jedoch, sofern nicht etwas anderes aus dem betreffenden Abkommen hergeleitet werden kann, kein Anspruch darauf, daß die Rechtsprechungsorgane in den internen Rechtsordnungen die internationalen Verpflichtungen anwenden. Eine solche Rechtsanwendung ist selbstverständlich möglich und würde dazu beitragen, die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

bb) Verpflichtung aus dem Abkommen

Der EuGH hat in Kupferberg zutreffend unterstrichen, daß ein völkerrechtlicher Vertrag ausnahmsweise festlegen kann, auf welche Weise er in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien umzusetzen ist. So ist es denkbar, daß ein Abkommen die Parteien ausdrücklich oder implizit verpflichtet, seine Bestimmungen unmittelbar anzuwenden. In einem solchen Fall müßten die Vertragsparteienihren Angehörigen die Möglichkeit einräumen, sich vor den internen Gerichten auf die Bestimmungen des Abkommens zu berufen. Wäre dies den einzelnen verwehrt, so läge ein Verstoß der Vertragspartei gegen das Abkommen vor. 29 Sie könnte sich dann nicht darauf berufen, ihre Verfassung lasse die unmittelbare Anwendbarkeit generell oder im Hinblick auf das konkrete Abkommen nicht zu. Dies wäre eine im Völkerrecht unzulässige Berufung auf interne Umstände, um sich völkerrechtlicher Pflichten zu entledigen. 30 Gegen eine derart vertragsbrüchige Partei könnten die anderen Vertragsparteien wegen der Vertragsvorletzung vorgehen, indem sie ein vertragsinternes Verletzungsverfahren beschreiten oder Retorsion und/oder Repressalie 31 anwenden. Allerdings finden sich in der Praxis kaum völkerrechtliche Verträge, die eine Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit enthalten. Dies liegt zum einen daran, daß die Staaten, deren Verfassungen die unmittelbare Anwendbarkeit nicht kennen, solchen Regelungen nicht zustimmen würden. Außerdem ist es den Parteien völkerrechtlicher Verträge in der Regel gleichgültig, auf welche Weise die anderen Vertragsparteien den Vertrag intern umsetzen, solange die Verpflichtungen nur erfüllt werden. 32 Völkerrechtliche Verträge, die die Ver-

sicherzustellen; es stellt jedoch als solches keine Verletzung des Völkerrechts dar, wenn die Rechtsordnungen der Vertragsparteien keine Vorschriften enthalten, die den Rechtsprechungsorganen eine solche Rechtsanwendungskompetenz verleihen." 29 Tomuschat, GS Constantinesco (1983), 801 (807). 30 Speziell zur völkervertraglichen Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit Verhoeven, RBDI 15 (1980), 243 (258 f.): "( ... ) il est deraisonnable de croire, par ailleurs, qu'un Etat accepterait de voir sa responsabilite mise en cause parce qu'il n'applique pas ,directement' une regle alors que son droit interne Je permet, tout en se voyant denier Je droit de mettre en cause Ja responsabilite de son cocontractant qui se refuse a cette applicabilite directe parce que son droit interne Je lui interdirait. Tout en legitimant une variation dangereuse des obligations a priori uniformes consenties par chacun, cela parait contredire Ja regle - traditionnelle- selon laquelle aucun Etat ne saurait exciper des dispositions de son droit interne pour se soustraire a ses responsabilites internationales." 31 Hierzu lpsen, Völkerrecht, § 59, Rn. 44 ff., 953 ff. 32 Buergenthal, RdC 235 (1992-IV), 303 (320): "( ... ); what matters isthat they comply with the substantive obligations."

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tragsparteien ausdrücklich verpflichten, die Vertragsbestimmungen unmittelbar anzuwenden, gibt es daher keine.33 Aber auch implizite vertragliche Verpflichtungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit sind äußerst selten. Die einzige Entscheidung eines internationalen Gerichts, in der eine implizite völkervertragliche Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit festgestellt wurde, ist das Rechtsgutachten des StiGH Jurisdiction ofthe Courts of Danzig aus dem Jahre 1928.34 Hier war der StiGH aufgerufen zu entscheiden, ob Bestimmungen eines Abkommens zwischen Polen und Danzig über den Status bestimmter Bahnbeamter von diesen Beamten unmittelbar vor den Danziger Gerichten gelten gemacht werden konnten. Der StiGH war der Auffassung, "it cannot be disputed that the very object of an international agreement, according to the intention of the contracting Parties, may be the adoption by the Parties of some definite rules creating individual rights and Obligationsand enforceable by the national courts. That there is such an intention in the present case can be established by reference to the terms of the Beamtenabkommen. ( ... ) The wording and general tenor of the Beamtenabkommen show that its provisions are directly applicable as between the officials and the Administration."35 Der StiGH machte die Frage, ob ein völkerrechtlicher Vertrag die Parteien zur unmittelbaren Anwendbarkeit verpflichtet bzw. die unmittelbare Anwendbarkeit "the very object" des Abkommens ist, von der Absicht der Vertragsparteien abhängig, welche wiederum durch Auslegung der Abkommensbestimmungen zu ermitteln sei. Nach der Auslegung des Beamtenabkommens kam der Gerichtshof zum Schluß, daß "the object of the Beamtenabkommen is to create a speciallegal regime governing the relations between the Polish Railway Administration and the Danzig officials".36 Wegen der Absicht der Parteien, ein solches "speciallegal regime" zu schaffen, bejahte der StiGH die völkervertragliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit. Seit 33 Selbstverständlich könnten die Parteien eines Abkommens ausdrücklich festlegen, daß es in allen ihren Rechtsordnungen unmittelbar anzuwenden ist. So betont der EuGH in Kupferberg, es bleibe "den Gemeinschaftsorganen, die für das Aushandeln und den Abschluß eines Abkommens mit einem dritten Land zuständig sind, unbenommen, mit diesem Land zu vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen des Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen". EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982,3641 (3663), Rn. 17. 34 Gutachten des StiGH über die Jurisdiction ofthe Courts ofDanzig vom 3. März 1928, Series 8, Nr. 15. 3' Gutachten des StiGH über die Jurisdiction ofthe Courts ofDanzig vom 3. März 1928, Series 8, Nr. 15, 17 f. 36 Gutachten des StiGH über dieJurisdiction ofthe Courts ofDanzig vom 3. März 1928, Series 8, Nr. 15, 18. 8 Hermes

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

diesem Gutachten gibt es jedoch keine einzige Entscheidung des StiGH oder des IGH, in der entschieden worden wäre, ein Abkommen verpflichte seine Parteien zur unmittelbaren Anwendbarkeit. Auf derselben Linie liegt die Rechtsprechung des EGMR, der zwar betont hat, die unmittelbare Anwendbarkeit sei eine besonders effektive Methode, die EMRK37 durchzuführen, 38 der aber gleichzeitig geurteilt hat, daß "neither Article 13 nor the Convention in generallays down for the Contracting States any given rnanner for ensuring within their intemallaw the effective implementation of any provisions of the Convention". 39 Das einzige Gericht, das neben dem StiGH in Jurisdiction of the Courts of Danzig eine implizite völkervertragliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit festgestellt hat, ist der EuGH. Seit seiner grundlegenden Entscheidung Van Gend & l..oos hat der EuGH aus dem Sinn und der Systematik des E(W)GV gefolgert, zahlreiche seiner Bestimmungen seien in den Rechtordnungen der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar.40 Ähnlich wie schon bei dem vom StiGH beurteilten Abkommen handelt es sich auch beim EGV um ein "speciallegal regime". Denn im Gegensatz zu den gewöhnlichen völkerrechtliche Abkommen haben die Gründungsverträgeeine eigene "supranationale" Rechtsordnung geschaffen. Das Verhältnis von primärem Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht unterscheidet sich daher grundlegend von der Beziehung zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Insgesamt ist festzuhalten, daß es bis auf das Gutachten des StiGH Jurisdiction of the Courts of Danzig aus dem Jahre 1928 und der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit gemeinschaftlichen Primärrechts keine Fälle internationaler Gerichte41 gibt, in denen eine implizite völkervertragliche Verpflichtungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit festgestellt wurde.

37 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4.11 .1950, BGBl. 1952 li, 559 ff. 38 EGMR- Ireland v. United Kingdom- Urteil vom 18. Januar 1978, Series A, Bd. 25, 5 (91). 39 EGMR- Swedish Engine Drivers' Union Case- Urteil vom 6. Februar 1976, Series A, Bd. 20, 1 (18). 40 EuGH- V an Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (24 f.). 41 Diskutiert wurde eine völkervertragliche Verpflichtung der Vertragsstaaten zur unmittelbaren Anwendbarkeit beim Europäischen Abkommen über das auf Schuldvertragsverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, abgedruckt in ILM 19 (1980), 1492. Vgl. dazu die Diskussion in Matscher/Siehr/Delbrück, BDGVR 27 (1986).

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b) Verfassungsrechtliche Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit Doch selbst wenn ein völkerrechtlicher Vertrag die Parteien verpflichten sollte, die Vertragsbestirrunungen unmittelbar anzuwenden, so bedeutete dies allein, daß eine völkerrechtliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit bestünde. Ob sich einzelne tatsächlich vor den internen Gerichten auf die Bestirrunungen des Vertrages berufen könnten, wäre damit irruner noch nicht geklärt. Denn letztere Frage zielt nicht auf die völkerrechtliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit, sondern auf die verfassungsrechtliche Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit ab. Sie kann als verfassungsrechtliche Frage von Rechtsordnung zu Rechtsordnung unterschiedlich ausfallen.42 So gibt es Verfassungen, die die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge generell ausschließen. Ein Beispiel hierfür ist das Rechtssystem des V ereinigten Königreichs, wo es den Gerichten verwehrt ist, Bestirrunungen völkerrechtlicher Abkorrunen unmittelbar anzuwenden. Justiziabel sind erst die konkretisierenden Parlamentsakte, die die Abkommen implementieren.43 Ähnliches gilt für die Verfassungen Schwedens, Dänemarks und Norwegens. 44 Verfassungen, die die unmittelbare Anwendbarkeit von Völkervertragsrecht generell anordnen, gibt es nicht. Die meisten Verfassungen machen die unmittelbare Anwendbarkeit davon abhängig, daß die anzuwendenden Abkommen bzw. Abkorrunensbestirrunungen eine bestirrunte Qualität haben. So sind in Deutschland Bestirrunungen völkerrechtlicher Verträge unmittelbar anwendbar, wenn sie nach Inhalt, Zweck und Fassung so gestaltet sind, daß sie zur Anwendung durch die staatlichen Rechtsanwendungsorganekeiner weiteren völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Akte bedürfen. 45 Vergleichbar ist die rechtliche Situation zahlreichen anderen EGV gl. Buergenthal, RdC 235 (1992-IV), 303 (320 f.). Jennings!Watts, Bd. I, Teil1 , § 19,58 ff.; zu den Besonderheiten im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Gemeinschaftsverträge im Vereinigten Königreich, ibid, 70 ff. 44 Zur Rechtslage in Schweden siehe Melander, NTIR 53 (1984}, 63 ff.; zur dänischen und norwegischen Situation - speziell im Hinblick auf die EMRK, aber mit weiteren Nachweisen- siehe Hofmann, EuGRZ 1992,253 ff., und EuGRZ 1985, 119 ff.; zur Situation in Finnland, die der in Deutschland ähnelt ("de facto Monismus"), siehe Pellonpää, EuGRZ 1993, 590. 45 So schon das RG seit RGZ 117, 280 (284); fortgesetzt von der Rechtsprechung des BGH, etwa BGHZ 11, 135 (138), und des BVerfG, etwa BVerfGE 29, 349 (360): "Die Vertragsbestimmung muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sein." Siehe zum Ganzen Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz,§ 32 II 3 a, 174 ff. 42

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Mitgliedstaaten46 und den USA47 • Ob die fraglichen Abkommensbestimmung den verfassungsrechtlichen Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit genügen, wird in diesen Verfassungssystemen in der Regel von den Gerichten durch Auslegung der Abkommensbestimmung und des Abkommens als Ganzem ermittelt. Diese Auslegung macht jedoch die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht etwa zu einer Frage des Völkerrechts.48 Denn die Frage, ob die unmittelbaren Anwendbarkeit von Völkervertragsrecht grundsätzlich möglich ist und welche Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen, bleibt den unterschiedlichen Verfassungen vorbehalten. 49

c) Zusammenfassung Es ist zu unterscheiden zwischen der Frage, ob die Parteien eines Abkommens verpflichtet sind, dessen Bestimmungen unmittelbar anzuwenden (völkerrechtliche Frage), und der Frage, ob sich einzelne vor den internen Gerichten tatsächlich auf die Bestimmungen eines Abkommens berufen können (verfassungsrechtliche Frage). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung geht es allenfalls am Rande um die Frage, ob die Gemeinschaft zur unmittelbaren Anwendbarkeit des 1RIPS verpflichtet ist. Denn aus der Perspektive der einzelnen kommt es hierauf nicht an. Selbst wenn die Gemeinschaft gegenüber den anderen WTO-Mitgliedem zur unmittelbaren Anwendbarkeit der 1RIPS-Bestimmungen verpflichtet wäre, so könnten doch allein die WTO-Mitglieder die Verletzung dieser Pflicht im Rahmen

Einen Überblick bietet Ott, 55 ff. Der Supreme Court hä1t seit dem Fall Foster v. Neilson, 27 U.(2 Pet.) 253 (1829), eine Vorschrift eines Abkommens für "self-executing", "whenever it operates of itself without the aid of any legislative provision", ibid 314; das Restatement enthä1t eine negative Definition ,,An international agreement of the United States is ,non-self-executing' (a) if the agreement manifests an intention that it shall not become effective as domestic law without the enactment of implementing legislation ( ... )", Restatement (Third) of Foreign Relations law ofthe United States, Kapitel2, Abschnitt 111,4 a. Vgl. hierzu auch Jackson, AJIL 86 (1992), 310 ff. 48 So aber Waelbroeck, SchwJIR 29 (1973), 131 (131); Meessen, CMLR 13 (1976), 485 (493 f.). 49 Besonders deutlich Riesenfeld, Yale J. Int'l L. 14 (1989), 455 (465): "Whether the treaty is capable of having that effect [i. e. direct effect] without further legislative action is left by intemationallaw to the domestic law of each party." Ebenso Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 138; Riesenfeld, AJIL 74 (1980), 892 (890 f.); Bourgeois, FS Stein (1987), 112 (117 f.); Peters, GYIL 40 (1997), 9 (45 f.). 46

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des WTO-Streitbeilegungssystems geltend machen. 50 Auch bliebe der Gemeinschaft ungeachtet ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung die Möglichkeit, sich weiterhin vertragsbrüchig zu verhalten und ihren Angehörigen die unmittelbare Anwendbarkeit intern zu verwehren. Daher sind die einzelnen nicht an der völkerrechtlichen Pflicht der Gemeinschaft, sondern an der verfassungsrechtlichen Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit interessiert. Sie wollen wissen, ob sie sich vor den internen Gerichten effektiv auf Bestimmungen dieses Abkommens berufen können. Folglich geht es in der folgenden Untersuchung primär um die verfassungsrechtliche Frage, ob sich einzelne vor Gemeinschaftsgerichten auf Bestimmungen des 1RIPS berufen können.

II. Die Bestimmung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Da in der vorliegenden Untersuchung primär die Frage nach der verfassungsrechtlichen Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit interessiert, ist zu klären, wie es sich nach dem Verfassungsrecht der Gemeinschaft51 bestimmt, ob ein Gemeinschaftsabkommen unmittelbar anwendbar ist.

1. Keine Regelung durch EGV oder Genehmigungsakte

Ob die Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind, ergibt sich weder aus dem EGV, noch aus anderen primärrechtlichen Akten. 52 Auch die sekundärrecht50 Einzelne können in WTO-Streitbeilegungsverfahren nicht Partei sein. Es steht nur den WTO-Mitgliedem offen. V gl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 DSU (" .. . settlement of disputes between Members ... "). 51 Zum Verfassungscharakter der durch die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften geschaffenen Rechtsordnung siehe EuGH- Les Verts/Parlament, 294/83Slg. 1986, 1339 (1365), Rn. 23 (EGV als "Verfassungsurkunde der Gemeinschaft"), und EuGH- Gutachten 1191, EWR-Abkommen- Slg. 1991, I-6079 (6102), Rn. 21 (EGV als "Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft"). 52 Der bisher einzige Versuch, im EGV eine ausdrückliche Regelung der unmittelbaren Anwendbarkeit zu treffen, wurde während der zweiten Dubliner Konferenz 1996 (Dublin li) unternommen. Dort wurde vorgeschlagen, in einem Art. 113a EGV die unmittelbare Anwendbarkeit von multilateralen Handelsabkommen in den neuenGebieten (IRIPS, Investitionen, Dienstleistungen) ausdrücklich auszuschließen (vgl. CONF/2500/96 CAB, 79). Diese Vorschläge wurden während der Regierungskonferenz von Amsterdarn 1997 nicht aufrechterhalten. Siehe hierzu Cottier/Nadakavukaren Schefer, REL 1 (1998), 83 (106).

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

liehen Akte, mit denen der Abschluß von Gemeinschaftsabkommen, die bereits von der Kommission unterzeichnet wurden, gemeinschaftsintern genehmigt werden, sagen nichts über die unmittelbare Anwendbarkeit der Abkommensbestimmungen aus. Wie bereits ausgeführt, kommt diesen Beschlüssen bzw. Verordnungen eine "rein instrumentale" Bedeutung zu. 53 Sie vermitteln nicht etwa die Geltung der Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Dies bringt zwei Konsequenzen mit sich. Zum einen kann aus der Rechtsnatur des Genehmigungsaktes nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit des genehmigten Abkommens geschlossen werden. 54 Zum anderen haben die Gemeinschaftsorgane- im Gegensatz zu zahlreichen Staaten wie etwa Deutschland, in denen der Übernahmeakt eine größere Bedeutung hat55 - keine Möglichkeit, in dem Genehmigungsakt die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen wirksam auszuschließen. 56 Nach dem Verfassungsrecht der Gemeinschaft ist vielmehr der EuGH zuständig, die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen durch Auslegung derselben zu ermitteln. Somit ergeben sich die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit- wie in zahlreichen anderen Rechtssystemen auch57 -aus der Entscheidungspraxis der Gemeinschaftsgerichte, d. h. letztendlich des EuGH. Dogmatisch läßt sich diese Rechtsprechung des EuGH- wie schon die Rechtsprechung

53 Schlußanträge der Generalanwältin Sirnone Rozes zu EuGH- Polydor, 270/80- Slg. 1982, 351 (353). 54 Auch wenn der Rat ein Gemeinschaftsabkommen (ausnahmsweise) durch Verordnung genehmigt, bedeutet dies nicht, daß sich dessen Wirkung nach Art. 249 Abs. 2 EGV ("Die Verordnung ( . .. ) gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat".) bestimmt. Generalanwältin Rozes hat in der Rechtssache Kupferberg unterstrichen, daß "man, was die Wirkung der verschiedenen Bestimmungen dieses Abkommens betrifft, nichts aus der Form des Rechtsaktes herleiten [kann], durch den der Rat das Abkommen im Namen der Gemeinschaft geschlossen und gebilligt hat", Schlußanträge der Generalanwältin Sirnone Rozes zu EuGH - Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3671 (3673). 55 So hat die Bundesrepublik Deutschland im Zustimmungsgesetz zum Europäischen Abkommen über das auf Schuldvertragsverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 die unmittelbare Anwendbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen, BGBI. 1986 II, 81 0; die deutschen Gerichte sind hieran gebunden, vgl. Jacobs/Roberts (Hg.), 63 (72). 56 Zum Beschluß 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der muHtlateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde ( 1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABI. 1994 L 336, 2, mit dem das WTO-Übereinkommen für die Gemeinschaft genehmigt wurde, siehe unten Teil3, B. 57 Zur Rechtslage in Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten siehe die rechtsvergleichende Studie von Jacobs/Roberts (Hg.), 1 ff.

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zur innergemeinschaftlichen Geltung der Gemeinschaftsabkommen - als Auslegung von Art. 300 Abs. 7 EGV deuten. ss

2. Die Auslegungszuständigkeit des EuGH Bereits aus der Geltung von Gemeinschaftsabkommen als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" ergibt sich, daß der EuGH im Rahmen der ihm durch den EGV eingeräumten Kompetenzen für ihre Auslegung zuständig ist. So betonte der Gerichtshof in der Rechtssache Kupferberg, die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen könnten "innerhalb der Gemeinschaft keine unterschiedlichen Rechtswirkungen entfalten", weswegen er "im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Auslegung der Bestimmungen von Abkommen deren einheitliche Anwendung innerhalb der gesamten Gemeinschaft sicherzustellen" habe.s9 Dies gilt vor allem für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit. Solange die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht ausdrücklich oder implizit im Abkommen selbst geregelt ist, 60 "haben die zuständigen Gerichte und hat insbesondere der \ Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit aufgrund des Vertrages über diese Frage ebenso wie über jede andere Auslegungsfrage im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens in der Gemeinschaft zu entscheiden. " 61 Meist hat der EuGH Gemeinschaftsabkommen im Hinblick auf deren unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV ausgelegt. 62 In einigen bedeutenden Fällen wurde der EuGH jedoch auch in Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 EGV mit der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit 58 So Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1 070 ff.), nach dem Art. 300 Abs. 7 EGV den primärrechtlichen Befehl zur innergemeinschaftlichen unmittelbaren Anwendung geeigneter Abkommensbestimmungen darstellt; ebenso Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (41). 59 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3662 f.), Rn. 14. 60 In Kupferberg unterstrich der EuGH die theoretische Möglichkeit, die Vertragsparteien könnten "vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen des Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen". Die Gerichte hätten über die unmittelbare Anwendbarkeit nur zu entscheiden, solange diese Frage nicht durch das Abkommen selbst geregelt sei, EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3663), Rn. 17. Bislang gibt es hierzu keine Praxis. 61 EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 (3663), Rn. 17. 62 Siehe etwa EuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 ff. ; EuGHSchlüter, 9173- S1g. 1973, 1135 ff.; EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1974, 129 ff.; EuGH - Pabst, 17/81 - Slg. 1982, 1331 ff. ; EuGH - Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 ff.; EuGH- SIOT, 266/81- Slg. 1983, 731 ff.; EuGH- SPI und SAMI, 267-269/81- S1g. 1983, 801 ff.; EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 ff.; EuGH - Chiquita ltalia, C-469/93 - Slg. 1995, I-4533 ff.

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

befaßt.63 Denkbar wäre es auch, daß der EuGH Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen im Rahmen anderer Verfahren auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit hin auslegt. So könnte etwa die Kommission gegen einen Mitgliedstaat, dessen Gerichte Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen nicht unmittelbar anwenden, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV mit der Begründung anstrengen, der Mitgliedstaat verstoße durch die Versagung der gemeinschaftsrechtlichen unmittelbaren Anwendbarkeit gegen seine Pflichten aus Art. 300 Abs. 7 EGV und Art. 10 EGV. Unter den engen Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 2 EGV könnten natürliche oder juristische Personen gegen Entscheidungen und Verordnungen vorgehen, die ihrer Meinung nach gegen unmittelbar anwendbare Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen verstoßen. Dazu ist es in der Praxis bislang jedoch nicht gekommen.

3. Die Auslegungsmethode Obwohl die Bestimmungen von Gemeinschaftsabkommen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind, darf bei ihrer Auslegung "der völkerrechtliche Ursprung der fraglichen Bestimmungen nicht außer acht gelassen werden". 64 Der Grund hierfür liegt darin, daß die Normen durch die Integration in die Gemeinschaftsrechtsordnung keine inhaltliche Veränderung erfahren, ihre völkerrechtliche Natur also nicht verloren haben. Die Gemeinschaftsgerichte dürfen daher, wenn sie durch Auslegung ermitteln wollen, ob die Abkommensbestimmungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind, keine gemeinschaftsrechlichen, sondern müssen völkerrechtliche Auslegungsregeln anwenden. 65 Auf die einschlägigen gewohnheitsrechtliehen Auslegungsregeln, die im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen vom 21. März 1986 kodifiziert sind,66 ist der EuGH dennoch nie aus63 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 ff.; EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 ff. 64 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3641 (3663), Rn. 17. 65 Diese Absage an die dynamische Auslegung, wie sie beim Primärrecht vorzunehmen ist, führt dazu, daß die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Vorschriften des EGV, vgl. EuGH- Van Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (24 f.), für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen eine nur äußerst begrenzte Aussagekraft hat. 66 BGBI. 1990 II, 1414; zum Entwurf der ILC vgl. Report of the International Law Corninissionon the work ofits thirty-fourth session, G.A.O.R.: 37th session, Suppl. No. 10 (A/37/10), 6 ff.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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drücklieh eingegangen. Seit dem Urteil in der Rechtssache International Fruit muß zur Prüfung, "ob die Bestimmungen ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen, sich vor Gericht auf sie zu berufen, ( .. .) auf Sinn, Aufbau und Wortlaut dieses Abkommens zurtickgegriffen werden. " 67 Diese Auslegungskriterien hat der EuGH in der folgenden Rechtsprechung schrittweise präzisiert. Im Fall Bresciani machte der EuGH klar, zur Auslegung sei nicht nur auf den Charakter des Abkommens insgesamt, sondern vor allem auch "auf Sinn, Aufbau und Wortlaut ( ... ) der genannten Vorschrift" zurückzugreifen. 68 Am deutlichsten sind die Auslegungskriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit im Urteil Demirel formuliert: "Eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens ist als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen. " 69

111. Die Rechtsprechung des EuGH zu einzelnen Gemeinschaftsabkommen Um zu bestimmen, zu welchem Ergebnis der EuGH kommen wird, wenn er Bestimmungen des 1RIPS auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit hin auslegt, liegt es zunächst nahe, seine Rechtsprechung zu anderen Gemeinschaftsabkommen zu analysieren. In diesem Abschnitt werden daher die wichtigtsen Urteile des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit unterschiedlicher Gemeinschaftsabkommen untersucht. Im folgenden Abschnitt wird die Rechtsprechung dann ausgewertet, 67 EuGH- International Fruit, 21 -24/72- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 19/20. Noch ausführlicher die Schlußanträge von Generalanwalt Mayras: "Es handelt sich hier also um ein Auslegungsproblem, zu dessen Lösung die verschiedenen Verfahren der juristischen Technik beizutragen haben: - Analyse des einschlägigen Textes, - Untersuchung des Zusammenhangs und des allgemeinen Aufbaus des Vertrages, - Zweck der fraglichen Bestimmung unter Berücksichtigung der Gesamtzielsetzung des Vertrages, - schließlich die Voraussetzungen, unter denen die Vertragsparteien die Durchführung des Vertrages beschlossen haben." Schlußanträge des Generalanwalts Henri Mayras zu EuGH - International Fruit,21-24/72-Slg. 1972, 1231 (1237). 68 EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1974, 129 (140), Rn. 16; allerdings bleibt der EuGH bei den Fällen, die das GATT 1947 betreffen, bei dem eingliedeigen Test, wie er ihn in International Fruit formuliert hat; siehe die Rspr. von EuGH- Schlüter, 9173 - Slg. 1973, 1135 (1157), Rn. 28, bis EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, I-4533 (4565), Rn. 25. 69 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 14.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

um die Kriterien zu ermitteln, die aus Sicht des EuGH für oder gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen sprechen.

1. Die Rechtsprechung zum GAIT 1947 Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 194770 ist für die vorliegenden Untersuchung nicht nur deshalb von besonderem Interesse, weil das GATT 1947 gewissermaßen die Vorstufe für das WTO-Übereinkommen darstellt und das nunmehr geltende GA TI 1994 eine der WTO-Übereinkünfte darstellt. Vor allem nimmt das GATT 1947 in der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen eine herausragende Rolle ein. Es ist das erste Gemeinschaftsabkommen, das der EuGH im Hinblick auf seine unmittelbare Anwendbarkeit untersucht hat. Auch war der EuGH mit der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1947 häufiger befaßt als mit der irgend eines anderen Gemeinschaftsabkommens. Schließlich sind die Urteile zur unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 1947 die wohl umstrittenste Rechtsprechung des EuGH, was das Verhältnis von Völker- und Gemeinschaftsrecht angeht.

a) Die Rechtsprechung seit "International Fruit" Mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Bestimmungen des GATT 1947 hat sich der EuGH erstmals bereits im Jahre 1972 in der Rechtssache International Fruit11 auseinandergesetzt In dem zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hatten vier Obstimportunternehmen aus Rotterdam die Ungültigkeit mehrer von der Kommission erlassener Verordnungen wegen Unvereinbarkeit mit Art. XI GATI geltend gemacht. Das College van Beroep voor het Bedrijfsleven hat dem EuGH daraufhin im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, ob die Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen (Art. 234 Abs. 1 Buchstabe b) EGV) auch durch Unvereinbarkeit mit völkerrechtlichen Normen berührt werden könne, und, falls ja, ob dann die fraglichen Verordnungen wegen Verstoßes gegen Art. XI des GATI ungültig seien.

70 71

Mit GATT 1947 ist das GATT bezeichnet, das am 1.1.1996 außer Kraft getreten ist. EuGH- International Fruit, 21-24172- S1g. 1972, 1219 ff.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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Der Gerichtshof führte aus, die Gültigkeit von Sekundärrecht könne nur unter zwei Bedingungen an völkerrechtlichen Bestimmungen gemessen werden. Die Gemeinschaft müsse zum einen an die fragliche Bestimmung gebunden sein. Zum anderen müsse es sich um eine unmittelbar anwendbare Bestimmung handeln: "Falls die Ungültigkeit vor einem staatlichen Gericht geltend gemacht wird, ist weiterhin erforderlich, daß diese Bestimmung ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen kann, sich vor Gericht auf sie zu berufen. " 72 Hinsichtlich der ersten Bedingung sah der EuGH die Gemeinschaft, obwohl sie nicht Vertragspartei des GATI 1947 war, an das GATI 1947 gebunden, weil sie seit dem Ende der Übergangszeit 1970 im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik die Mitgliedstaaten in der laufenden Arbeit des GATI 1947 mehr und mehr ersetzt habe (sog. Funktionennachfolge73 ).74 Was die zweite Bedingung, die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. XI GATI 1947, anging, so stellte der EuGH bei seiner Auslegung nicht auf diese konkrete Vorschrift, um deren unmittelbare Anwendbarkeit es dem vorlegenden Gericht ging, ab, sondern allgemeiner darauf, "ob die Bestimmungen des GATI ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen, sich vor Gericht auf sie zu berufen, um die Gültigkeit einer Handlung der Gemeinschaft in Frage zu stellen". Um die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 zu klären, mußte nach dem Ansatz des EuGH "auf Sinn, Aufbau und Wortlaut dieses Abkommens zurückgegriffen werden".75 Bei der Auslegung des GATI 1947 nahm der Gerichtshof mithin eine Gesamtbetrachtung des Abkommens vor, ohne näher auf die konkret interessierende Vorschrift einzugehen. Die Passage, mit der der EuGH das GATI 1947 sodann charakterisierte, sollte seine gesamte Rechtsprechung zu diesem Abkommen prägen: "Dieses Abkommen, das nach seiner Präambel ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' ausgehandelt wurde, ist durch die große Geschmeidigkeit seiner Bestimmungen gekennzeichnet: Dies gilt insbesondere für die V orschriften über Abweichungen von den allgemeinen Regeln, über Maßnahmen, die bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können, und über die Regelung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien."76 EuGH -International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1227), Rn. 7/9. Zur Mitwirkung der E(W)G im GAIT siehe Petersmann, Die EWG als GATI-Mitglied, in: Hi1f/Petersmann (Hg.), GAITund Europäische Gemeinschaft, 119 (123 ff.). Umfassend Berrisch, Der völkerrechtliche Status der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im GAIT, 85 ff. 74 EuGH -International Fruit, 21-24/72- S1g. 1972, 1219 (1227 f.), Rn. 10/13-14118. 1s EuGH -International Fruit, 21-24/72- S1g. 1972, 1219 (1228), Rn. 19/20. 76 EuGH -International Fruit, 21-24/72- S1g. 1972, 1219 (1228), Rn. 21. 72 73

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Aus diesem Zitat ergibt sich, daß nach Ansicht des EuGH zwei Aspekte des GATI 1947 gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit sprachen: seine Zielsetzung und die Flexibilität seiner Bestimmungen ("Geschmeidigkeit"). Bei der Untersuchung des Zieles des Abkommens beschränkte sich der EuGH auf den Hinweis, daß das GATI 1947 "nach seiner Präambel ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' ausgehandelt wurde". Für die "große Geschmeidigkeit" der GATI-Bestimmungen führte der EuGH wiederum zwei Charakteristika des GATI 1947 an. Zum einen verwies er auf dessen Streitbeilegungsverfahren, indem er den Inhalt von Art. XXII und Art. XXIII GATI 1947 wiedergab. 77 Danach sind bei Streitigkeiten hinsichtlich der Anwendung des GATI Konsultationen zwischen den Vertragsparteien bzw. einer oder mehrerer Vertragsparteien und den VER'IRAGSPARTEIEN, dem Hauptorgan des GATI, vorgesehen (Art. XXII GATI 1947). Bei Erfolglosigkeit der Konsultationen können die VERmAGSPARTElEN nach dem Verfahren des Art. XXIII GATI 1947 letztlich Vertragsparteien zur Suspendierung von Konzessionen oder GATI-Verpflichtungen ermächtigen. Neben dem Streitbeilegungsverfahren wertete der EuGH auch die Existenz von Schutzklauseln wie Art. XIX GATI 1947, wonach Vertragsparteien in Notsituationen GATI-Pflichten einseitig suspendieren bzw. Handelskonzessionen aufheben oder modifizieren können, als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947. Mit den "Vorschriften über Abweichungen von den allgemeinen Regeln" meinte der EuGH vermutlich die Regelung des Art. XXV Abs. 5 GATI 1947, nach der die VER'IRAGSPARTEIEN eine Vertragspartei unter außergewöhnlichen Umständen von einer GATI-Verpflichtung entbinden können (sog. Waiver). Die vom Gerichtshof zitierten GATI-Bestimmungen zeigten seiner Ansicht nach "zur Genüge, daß Art. XI des GATI nach dem Zusammenhang, in den er gestellt ist, kein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen kann, sich vor Gericht auf ihn zu berufen". Die Gültigkeit der im Ausgangsverfahren angegriffenen Verordnungen könnten daher nicht durch Art. XI des GATI berührt werden. 78 Neben der Auslegung des GATI 1947 als Ganzem hat sich der EuGH in keinem Wort mit der konkreten Vorschrift, Art. XI GATI 1947, um deren unmittelbare Anwendbarkeit es in International Fruit ging, befaßt. Ebenso hielt er es im Urteil Schlüter mit Art. II GATI79, in S/OTmit Art. V GArrs0 , in SPI und SAM/ EuGH- International Fruit, 21-24/72- S1g. 1972, 1219 (1228 f.), Rn. 22/23-25126. EuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1229), Rn. 27 f. 79 EuGH- Schlüter, 9173- Slg. 1973, 1135 (1157), Rn. 28 ff. 80 EuGH- SIOT, 266/81- Slg. 1983,731 (780), Rn. 28. 77 78

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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mit Art. I, III, IV, VI und VIII81 und in Chiquita ltalia mit Art. III GArrs2 • In Deutschland/Rat spezifizierte der EuGH erst gar nicht, um welche Vorschriften des GATI es ging. 83 Die in International Fruit vorgenommene Einschätzung, daß Bestimmungen des GATI 1947 wegen dessen Ziel und Geschmeidigkeit nicht unmittelbar anwendbar sind, ist seitdem ständige Rechtsprechung des EuGH. 84

b) Das Urteil "Deutschland/Rat" Die Rechtssache Deutschland/Rars5 spielt im Fallrecht des EuGH zum GATI 1947 insofern eine besondere Rolle, als dort dem EuGH nicht im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt wurde, ob sich ein einzelner gegenüber nationalem Recht oder gemeinschaftlichem Sekundärrecht auf Vorschriften des GATI 1947 berufen kann. Es handelte sich hierbei vielmehr um eine von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 230 Abs. 1 EGV erhobene Klage auf Nichtigerklärung von Teilen der EG-Bananenmarktverordnung86• Die Bundesrepublik hatte in dem Verfahren geltend gemacht, die ständige Rechtsprechung des EuGH zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 1947 betreffe allein die Möglichkeit für die Bürger, Ansprüche "in Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten auf das Abkommen als Anspruchsgrundlage zu stützen, und sei deshalb in einem Verfahren, das ein Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof anstrenge und in dem er die Nichtigerklärung eines Rechtsaktes der Gemeinschaft wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung der Gemeinschaft aus dem GATI beantrage, nicht erheblich.87 DasGATT 1947 seijedenfalls eine mögliche Grundlage für eine Rechtmäßigkeilsprüfung in einem nach Art. 230 Abs. 1 EGV eingeleiteten Verfahren.

EuGH- SPI und SAMI, 267-269/81- Slg. 1983, 801 (830), Rn. 23. EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4558 (4565 f.), Rn. 24 ff. 83 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, I-4973 (5071 ff.), Rn. 103 ff. 84 St. Rspr., siehe nur EuGH- Schlüter, 9n3- Slg. 1973, 1135 (1157), Rn. 29 f. ; EuGH - SIOT, 266/81- Slg. 1983, 731 (780), Rn. 28; EuGH- SPI und SAMI, 267-269/81- Slg. 1983,801 (830), Rn. 23; EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5071 ff.), Rn. 103 ff.; EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4558 (4565 f.), Rn. 24 ff. 85 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93 - Slg. 1994, 1-4973 ff. 86 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 überdie gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABI. 1993 L 47, 1. 87 Vgl. Schlußanträge von Generalanwalt Gulmann zu EuGH - Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, I-4973 (5020). 81

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Der Gerichtshof hingegen urteilte, die Gründe, wegen derer er dem GATI in ständiger Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit (im Sinne der Möglichkeit einzelner, sich auf das GATI 1947 zu stützen) absprach, sprächen auch dagegen, es als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen einer Nichtigkeitsklage anzuerkennen: "Diese Besonderheiten des GATI, auf die der Gerichtshof für die Feststenm\g hingewiesen hat, daß sich ein Gemeinschaftsangehöriger vor Gericht nicht auf dieses Abkommen berufen kann, um die Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu bestreiten, schließen es auch aus, daß der Gerichtshof die Bestimmungen des GATI für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung im Rahmen einer von einem Mitgliedstaat nach Art. 173 EWG-Vertrag [Art. 230 EGV] erhobenen Klage berücksichtigt. " 88 Der EuGH hat dem GATI also in ständiger Rechtsprechung nicht nur die unmittelbare Anwendbarkeit in dem Sinne, daß sich einzelne darauf vor mitgliedstaatlichen Gerichten berufen, abgesprochen, sondern auch die unmittelbare Anwendbarkeit im Sinne der Qualität als Rechtmäßigkeilsmaßstab im Rahmen einer Nichtigkeitsklage. Es spielt für den Gerichtshof mithin keine Rolle, ob sich ein einzelner vor einem Gemeinschaftsgericht auf eine GATI-Bestimmung beruft, um die Ungültigkeit einer Gemeinschaftshandlung oder einer mitgliedstaatliehen Rechtsnorm geltend zu machen, oder ob ein Mitgliedstaat sich vor dem EuGH im Rahmen einer Nichtigkeitsklage auf eine GATI-Bestimmung beruft. 89

2. Die Rechtsprechung zu anderen Gemeinschaftsabkommen Seit dem Urteilinternational Fruit hat der EuGH auch zahlreiche andere Gemeinschaftsabkommen auf deren unmittelbare Anwendbarkeit hin ausgelegt und letztere oftmals bejaht. Diejenigen Entscheidungen, in denen Auslegungskriterien 88 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5073), Rn. 109. In seinen Schlußanträgen hatte Generalanwalt Gulmann die Möglichkeit angedeutet, daß ein Abkommen zwar nicht unmittelbar anwendbar ist, aber dennoch als Rechtsmäßigkeitsmaßstab im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 230 EGV dienen könne: ,,Es ist möglich, daß sich die Betroffenen in einem Verfahren nach Art. 173 [Art. 230 EGV] auf ein Abkommen berufen können, auch wenn dies keine unmittelbare Wirkung hat. Es kann jedoch auch so sein, daß die Gründe, die zur Vemeinung der unmittelbaren Wirkung des Abkommens führen, so geartet sind, daß sie zugleich zu der Auffassung führen müssen, daß das Abkommen kein Teil der Grundlage der Rechtsmäßigkeitsprüfung des Gerichtshofes sein kann." (5023, Anm. 137) Letztere Möglichkeit sah der Generalanwalt beim GAIT als gegeben an. 89 Siehe dazu schon oben Teil2, A. I. 2. c). Zum Urteil des EuGH in Deutschland/Rat siehe Castillo de La Torre, JWT 2911 (1995), 53 ff., und- sehr kritisch- Everling, CMLR 33 (1996), 401 (421 ff.).

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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zu Tage treten, die für die Untersuchung des TRIPS von Interesse sein könnten, sollen im folgenden kurz wiedergegeben werden. a) Das Urteil "Bresciani" In der Rechtssache Bresciam-90 wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Vorschrift aus dem Abkommen von Jaunde von 19639 1, einem Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und bestimmten afrikanischen Staaten, unmittelbar anwendbar sei. In dem Ausgangsverfahren vor dem Tribunale Genua hatte sich eine italienische Importeurin darauf berufen, daß Abgaben, die Italien für gesundheitspolizeiliche Untersuchungen bei der Einfuhr von Rinderhäuten aus dem Senegal erhob, gegen Art. 2 Abs. 1 des Abkommens, das Verbot, auf Importe aus den assoziierten Staaten Abgaben zollgleicher Wirkung zu erheben, verstießen.92 Wie schon in International Fruit ging der EuGH bei seiner Auslegung von der Gesamtbetrachtung des Abkommens aus. Das Ziel der Abkommen, die Assoziierung der EWG mit bestimmten unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten und Madagaskar aufrechtzuerhalten und "den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete [zu] dienen und ihren Wohlstand [zu] fördern, um sie der von ihnen erstrebten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung entgegenzuführen", sprach aus der Sicht des Gerichtshofes nicht gegen deren unmittelbare Anwendbarkeit. 93 Auch störte es den EuGH nicht, daß in den Abkommen ein Ungleichgewicht zwischen den Verpflichtungen der Gemeinschaft und denen der assoziierten Staaten angelegt war. Während die EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 ff. Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und bestimmten afrikanischen Staaten und Madagaskar, unterzeichnet am 20. Juli 1963 in Jaunde, genehmigt durch Ratsbeschluß 64/345/EWG vom 5. November 1963, ABI. 1964, 1430; ergänzt durch das Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und bestimmten afrikanischen Staaten und Madagaskar, unterzeichnet am 29. Juli 1969 in Jaunde, genehmigt durch Ratsbeschluß 70/539/EWG vom 29. September 1970, ABI. 1970 L 282, 1. 92 Art. 2 Abs. 1 des Jaunde-Abkommens von 1963 bestimmt: "Die Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung wie diese Zölle werden bei der Einfuhr von Erzeugnissen mit Ursprung in den assoziierten Staaten in die Mitgliedstaaten schrittweise in dem Maße abgeschafft, wie dies zwischen den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Art. 12, 13, 14, 15 und 17 des Vertrages und der gefaßten oder noch zu fassenden Beschlüsse über die beschleunigte Verwirklichung der Vertragsziele geschieht." Art. 2 Abs. 1 des Jaunde-Abkommens von 1969 lautet: ,,Erzeugnisse mit Ursprung in den assoziierten Staaten werden frei von Zöllen und Abgaben mit gleicher Wirkung in die Gemeinschaft eingeführt; ( .. . )." 93 EuGH-Bresciani,87175-Slg.1976,129(140),Rn.17118. 90

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Tei12: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

EWG-Mitgliedstaaten die unter ihnen geltenden Regelungen des EWGV über Zölle und zollgleiche Abgaben einseitig auf Importe aus den assoziierten Staaten erstreckten (Art. 2 Abs. 1), konnten die assoziierten Staaten nicht nur einseitig Konsultationen im Assoziationsrat beantragen (Art. 2 Abs. 5), sondern auch- im Gegensatz zur EWG -unter Umständen zollgleiche Abgaben beibehalten (Art. 3 Abs. 2). Da ein solches Ungleichgewicht zugunsten der assoziierten Staaten nach der Zielsetzung der Abkommen von den Vertragsparteien gewollt war, sprach es nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des Abkommens: "Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß das Abkommen nicht geschlossen wurde, um gleiche Verpflichtungen für die Gemeinschaft und die assoziierten Staaten aufzustellen, sondern vielmehr, um die Entwicklung dieser Staaten zu fördern, wie es der Zielsetzung des dem Vertrag beigefügten ersten Abkommens entspricht. Das Ungleichgewicht zwischen den Verpflichtungen der Gemeinschaft und denen der assoziierten Staaten, das im Wesen des Abkommens selbst begründet ist, schließt nicht aus, daß die Gemeinschaft die unmittelbare Geltung bestimmter Vorschriften des Abkommens anerkennt. " 94 Anders als in International Fruit hat sich der Gerichtshof nicht mit der Flexibilität des Abkommens, etwa mit Streitbeilegungsregeln oder Ausnahme- und Schutzklauseln, auseinandergesetzt Von seinem Ansatz in International Fruit ist der EuGH auch insofern abgerückt, als er nach der Gesamtbetrachtung des Abkommens die konkrete Vorschrift ausgelegt hat. Für die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 1 des Abkommens von 1963 ("Die Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung wie diese Zölle werden bei der Einfuhr von Erzeugnissen mit Ursprung in den assoziierten Staaten in die Mitgliedstaaten schrittweise in dem Maße abgeschafft, wie dies zwischen den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Artikel 12, 13, 14, 15 und 17 des Vertrages und der gefaßten oder noch zu fassenden Beschlüsse über die beschleunigte Verwirklichung der Vertragsziele geschieht.") sprach einerseits, daß sie auf Art. 13 EWGV Bezug nahm. Damit habe die Gemeinschaft gegenüber den assoziierten Staaten die gleiche Verpflichtung übernommen wie die Mitgliedstaaten untereinander. Zum anderen sei die genannte Verpflichtung inhaltlich bestimmt, und unterliege weder einem stillschweigenden noch einem ausdrücklichen Vorbehalt seitens der Gemeinschaft. 95 Nach der Auslegung des gesamten Abkommens und der konkreten Vorschrift kam der Gerichtshof somit zum Ergebnis, "daß Art. 2 Abs. 1 des Jaunde-Abkommens von 1963 den Gemeinschaftsangehörigen seit dem 1. Januar 1970 das- von 94 95

EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 (141), Rn. 22/23. EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 (141), Rn. 25.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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den innnerstaatlichen Gerichten der Gemeinschaft zu beachtende - Recht verleiht, keine Abgaben zollgleicher Wirkung an einen Mitgliedstaat zu entrichten"96 • b) Das Urteil "Razanatsimba" Auch wenn der EuGH in der Rechtssache Razanatsimba91 auf die ihm vorgelegte Frage, ob Art. 62 des Abkommens von Lome98 unmittelbar anwendbar sei, nicht eingehen mußte, sind die Schlußanträge des Generalanwalts Reischi von Interesse. Der Generalanwalt verneinte die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschrift99, weil sie in ihrem zweiten Satz Raum für Ermessensentscheidungen lasse und es für Gerichte daher schwer abzuschätzen sei, ob ihre Voraussetzungen gegeben seien oder nicht. Daher handele es sich bei Art. 62 des Abkommens lediglich um eine an die Staaten gerichtete Verpflichtung, deren Einhaltung allenfalls nach den im Abkommen vorgesehenen Vermittlungs- und Schiedsverfahren überprüft werden könne. 100 c) Das Urteil "Pabst" Bei der Auslegung des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und Griechenland101 in der Rechtssache Pabst sah der EuGH in dessen Ziel, "durch die Errichtung einer Zollunion, die Abstimmung der Agrarpolitiken, die Einführung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und andere Maßnahmen zur schrittweisen EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 (141), Rn. 26. EuGH- Razanatsimba, 65177- Slg. 1977, 2229 ff. 98 Abkommen zwischen EWG und den AKP-Staaten, am 28. Februar 1975 in Lom~ unterzeichnet, vom Rat genehmigt durch Verordnung Nr. 199176 vom 30. Januar 1976, ABI. 1976 L 25, 1. 99 Art. 62: .,Hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsregelung wenden die AKP-Staaten einerseits und die Mitgliedstaaten andererseits gegenüber Staatsangehörigen und Gesellschaften der Mitgliedstaaten bzw. Staatsangehörigen und Gesellschaften der AKP-Staaten keine diskriminierende Behandlung an. Ist jedoch in einer bestimmten Tätigkeit ein AKP-Staat oder ein Mitgliedstaat nicht in der Lage, Gleichbehandlung zu gewähren, so sind die Mitgliedstaaten bzw. die AKP-Staaten nicht verpflichtet, bei dieser Tätigkeit den Staatsangehörigen und Gesellschaften des betreffenden Staates eine solche Behandlung zu gewähren." 100 Schlußanträge des Generalanwalts Gerhard Reischi zu EuGH- Razanatsimba, 65177 - Slg. 1977, 2241 (2244). 101 Akbommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland, am 9. Juli 1961 in Athen unterzeichnet, genehmigt durch Ratsbeschluß vom 25. September 1961, ABI. 1963, 1. 96 97

9 Hermes

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Anpassung an die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts den Eintritt Griechenlands in die Gemeinschaft vorzubereiten", ein Indiz für dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Für die unmittelbare Anwendbarkeit der konkreten Vorschrift, Art. 53 Abs. 1 des Assoziationsabkommens 102, sprach, daß sie Art. 95 EWGV [Art. 90 EGV], dessen unmittelbare Geltung vom EuGH bereits anerkannt war103, nachgebildet war und "im Rahmen der Assoziation zwischen der Gemeinschaft und Griechenland die gleiche Funktion" wie jene Norm in der Gemeinschaftsrechtsordnung erfüllte. Insgesamt ergebe sich "[a]us dem Wortlaut des zitierten Artikels 53 Absatz 1 sowie aus Zweck und Wesen des Assoziierungsabkommens, zu dem er gehört", daß die Vorschrift einem mitgliedstaatliehen steuerlich diskriminierenden Gesetz entgegenstehe. Die Vorschrift enthalte "eine klare und eindeutige Verpflichtung, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Rechtsaktes abhängig sind" und sei deswegen unmittelbar anwendbar. 104

d) Das Urteil "Polydor" Der Umstand, daß der EuGH in der Rechtssache Pabst eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen unter anderem deshalb für unmittelbar anwendbar hielt, weil sie einer unmittelbar anwendbaren Vorschrift des EWGV nachgebildet war, darf jedoch nicht zu dem Schluß verleiten, der EuGH käme, wenn Bestimmungen in Gemeinschaftsabkommen gleich lauten wie Vorschriften des E[W]GV, notwendig stets zum selben Auslegungsergebnis. In der Rechtssache Polydor hatte ihm der Court of Appeal of England and Wales die Fragen vorgelegt, ob die Art. 14 Abs. 2 und 23 des Abkommens mit Portugal 105 im Hinblick auf die innergemeinschaftliche Erschöpfung von Urheberrechten genauso wie die Art. 30 und 36 EWGV [Art. 28 und 30 EGV], denen sie im Wortlaut weitgehend 102 ,,Eine Vertragspartei erhebt aufWaren der anderen Vertragspartei weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Eine Vertragspartei erhebt auf Waren der anderen Vertragspartei keine inländischen Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen. Spätestens mit Beginn des dritten Jahres nach lokrafttreten dieses Abkommens heben die Vertragsparteien die bei seinem lokrafttreten geltenden Bestimmungen auf, die den obengennanten Vorschriften entgegenstehen." 103 St. Rspr. seit EuGH- Lütticke, 57/65- Slg. 1966, 257 (267). 104 EuGH - Pabst, 17/81 - Slg. 1982, 1331 ( 1350), Rn. 26 f. 105 Abkommen zwichen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik, am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichnet, mit der Verordnung Nr. 2844/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABI. 1972 L 301, 165) im Namen der Gemeinschaft geschlossen und gebilligt.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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entsprachen, auszulegen seien. Auch wollte das Gericht wissen, ob die Abkommensvorschriften unmittelbar anwendbar seien. Da der EuGH die erste Frage verneinte, kam er auf die unmittelbare Anwendbarkeit nicht zu sprechen. Was die Frage des Inhalts der beiden Abkommensbestimmungen anging, so war deren Wortlaut für den Gerichtshof kein ausreichender Grund, die Rechtsprechung zur innergemeinschaftlichen Erschöpfung von Urheberrechten auf das System des Abkommens mit Portugal zu übertragen. Der EuGH meinte, das Ziel des Freihandelsabkommens (Festigung und Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zu Portugal) bleibe hinter der Zielsetzung des EWGV (Schaffung eines Binnenmarktes) zurück, was es wiederum rechtfertige, die sich ähnelnden Vorschriften voneinander abweichend auszulegen. 106

e) Das Urteil "Kupferberg" Das Urteil in der Rechtssache Kupferberg 107 ist neben International Fruit die wichtigste Entscheidung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen. Die mit der unmittelbaren Anwendbarkeit zusammenhängenden Probleme wurden dort ausführlicher und tiefgehender erörtert als in jeder anderen Entscheidung. Deswegen soll im folgenden auch auf die Argumente der Verfahrensbeteiligten eingegangen werden, die vom Gerichtshof in seinem Urteil nicht aufgegriffen wurden. Dem EuGH wurde in Kupferberg vom Bundesfinanzhöf die Frage vorgelegt, ob Art. 21 Abs. 1 des Abkommens der EWG mit Portugal 108 unmittelbar anwendbar sei.

aa) Vergleich des Abkommens mit GATT 1947, Assoziierungsabkommen undEWGV Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des Freihandelsabkommens EWGPortugal wandte der vorlegende Bundesfinanzhof ein, es sei geschmeidiger als das EuGH- Polydor, 270/80- Slg. 1982, 329 (346 ff.), Rn. 8 ff., 15. EuGH - Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 ff. 108 Abkommen zwichen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik, am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichnet, mit der Verordnung Nr. 2844/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABI. 1972 L 301, 165) im Namen der Gemeinschaft geschlossen und gebilligt. 106 107

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Assoziierungsabkommen, dem der EuGH in Bresciani die unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt hatte. 109 Die französische Regierung fügte dem hinzu, das Abkommen sei in seiner Zielsetzung, der Schaffung einer Freihandelszone, beschränkter als der EWGV. 110 Noch weiter ging die Generalanwältin Rozes. Ihrer Ansicht nach blieb das Freihandelsabkommen nicht nur in seinen Zielen und Inhalten hinter dem EWGV und den Assoziierungsabkommen zurück, sondern stand auf einer Stufe mit dem GATI 1947. Sie bemängelte, daß "in demAbkommen EWG-Portugal- wie in den übrigen Freihandelsabkommen-keine gerichtliche Instanz zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten vorgesehen ist, sondern allein auf das politische Verfahren des ,Gemischten Ausschusses' verwiesen wird". Deshalb hielt sie die Bestimmungen des Freihandelsabkommens für ebenso geschmeidig wie die des GATI 1947. 111 Diesem Ansatz, das Freihandelsabkommen im Hinblick auf seine unmittelbare Anwendbarkeit dem GATI 1947 gleichzustellen, nur weil es weniger intensiv verpflichte als der EWGV und ein auf Entwicklungshilfe abzielendes Assoziierungsabkommen, trat die Kommission mit einem engagierten Plädoyer für die unmittelbare Anwendbarkeit vehement entgegen. Sie war nicht der Auffassung, daß "die schwächere Struktur des Abkommens für sich allein betrachtet ausreiche, den Bestimmungen dieses Abkommensapriori eine Direktwirkung abzusprechen". Ihrer Ansicht nach würde eine solche These dazu führen, eine Direktwirkung praktisch nur bei solchen völkerrechtlichen Vertragswerken anzuerkennen, die den Gemeinschaftsverträgen ähnliche institutionelle Strukturen aufwiesen oder für die Regelung von Streitfragen verpflichtende Schiedsverfahren vorsähen. Eine solche These aber erschien ihr "angesichts der Entwicklung des modernen Völkerrechts nicht haltbar". Die Kommission wies darauf hin, die Direktwirkung- auch wenn sie weit davon entfernt sei, als allgemeines Rechtsprinzip in bezug auf einzelne Bestimmungen völkerrechtlicher Abkommen anerkannt zu werden - werde in zahlreichen staatlichen Rechtsordnungen von den Gerichten anerkannt. Die Anerkennung der Direktwirkung für völkerrechtliche Abkommen sei geeignet, ähnlich wie im Bereich des Gemeinschaftsrechts "diesen Abkommen stärkere Durchschlagskraft zu verleihen und damit die Wirksamkeit der Völkerrechtsordnung insgesamt zu stärken". Es könne "nicht das Anliegen der Gemeinschaft als eines auf das gute Funktionieren der internationalen Rechtsordnung besonders 109 Vorlagebeschluß des Bundesfinanzhofes zu EuGH- Kupferberg, l 04/81 - Slg. 1982, 3647 f. 110 Schriftliche Erklärung der französischen Regierung zu EuGH - Kupferberg, l 04/81 - Slg. 1982, 3651. 111 Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81 - S1g. 1982, 3671 (3673 f.).

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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angewiesenen Völkerrechtssubjekts sein, diesen Prozeß durch eine a priori restriktive Haltung zu behindern". Schließlich "würde die Möglic~keit für den einzelnen, sich vor den Gerichten auf Vorschriften des Abkommens zu berufen, die Bedeutung des Abkommens im Rechtsbewußtsein der Bürger der Staaten stärker verankern und damit auch mit zur Verwirklichung der Zielsetzung des Abkommens beitragen". 112 Der EuGH ist auf den Ansatz des Vorlagegerichts und der Generalanwältin, die unmittelbare Anwendbarkeit des Freihandelsabkommens dadurch zu bestimmen, daß es in ein "ranking" von Abkommen nach dem Grad ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit eingeordnet wird, nicht eingegangen.

bb) Einseitige Anerkennung Als nächstes erörterten die Verfahrensbeteiligten, ob der Umstand, daß die Gerichte Portugals einigen Bestimmungen des Freihandelsabkommens die unmittelbare Anwendbarkeit absprachen, die Gemeinschaft daran hindere, "einseitig" die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen des Abkommens anzuerkennen. Die französische und die dänische Regierung lehnten eine einseitige Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit ab, da sie ihrer Ansicht nach zu einer Störung des Prinzips der Gegenseitigkeit, auf welchem das Freihandelsabkonnnen- anders als etwa das Abkommen von J aunde (Bresciani)- basiere, führen würde. 113 Auch die Generalanwältin Rozes war der Auffassung, daß das Abkonnnen "auf dem Grundsatz strikter Gleichheit beruht", weswegen die Gemeinschaft bei einseitiger Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit unangemessen benachteiligt würde: "Wenn man einer Bestimmung dieses Abkommens unmittelbare Wirkung zuerkennen würde, ohne die Garantie zu haben, daß sich ein einzelner in Portugal auf dieselbe Bestimmung unter gleichen Bedingungen und mit gleichen Konsequenzen, was den Rechtsschutz anbelangt, berufen kann, so liefe das wegen fehlender Gegenseitigkeit auf eine Benachteiligung der Gemeinschaft hinaus, was nicht im Einklang mit dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien stünde. " 114 112 Schriftliche Erklärung der Kommission zu EuGH - Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982,3654. 113 Schriftliche Erklärungen der französischen und dänischen Regierungen zu EuGH Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982, 3650. 114 Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH - Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982, 3671 (3673 f.). Demgegenüber verwies die Firma Kupferberg darauf, daß Divergenzen, die aus der ungleichmäßigen Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit resultieren könnten, durch die im Freihandelsabkommen vorgesehenen Organe gelöst werden

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Der EuGH lehnte das Argument, die Gegenseitigkeit der Vertragserfüllung könne dadurch gestört werden, daß sich eine Vertragspartei gegen und eine andere für die unmittelbare Anwendbarkeit der Vertragbestinnnungen entscheidet, ab. Er bestritt nicht die reziproke Struktur des Freihandelsabkonnnens. Doch betonte er, es gebe grundsätzlich neben der unmittelbaren Anwendbarkeit auch andere Wege, ein Abkonnnen nach Treu und Glauben zu erfüllen: "Nach den allgmeinen Regeln des Völkerrechts muß jedes Abkonnnen von den Parteien nach Treu und Glauben erfüllt werden. Wenn somit jede Vertragspartei für die vollständige Erfüllung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen verantwortlich ist, steht es ihr doch zu, die rechtlichen Maßnahmen zu bestinnnen, die zur Erreichung dieses Ziels innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind, es sei denn, die Auslegung des Abkommens nach seinem Sinn und Zweck ergibt, daß diese Maßnahmen im Abkonnnen selbst festgelegt sind. Mit dieser Einschränkung ist in dem Umstand, daß die Gerichte der einen Partei möglicherweise einigen Bestinnnungen des Abkonnnens unmittelbare Geltung zuerkennen, während die Gerichte der anderen Partei diese unmittelbare Geltung möglicherweise ablehnen, für sich allein noch keine fehlende Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkonnnens zu sehen." 115

cc) Auslegungsdivergenzen Die dänische und die französische Regierung sahen das Gleichgewicht der Vertragsdurchführungbei unmittelbarer Anwendbarkeit auch dadurch gefährdet, daß die Gerichte der Vertragsparteien den Vorschriften des Abkonnnens unterschiedliche Inhalte geben könnten. Ohne das Korrektiv einer zentralen Auslegungsinstanz könnte aus solchen Auslegungsdivergenzen ein Ungleichgewicht der Vertragsdurchführung resultieren. 116 Die Kommission sah eine solche Gefahr allenfalls bei Bestinnnungen, die der richterlichen Auslegung einen echten Gestaltungsspielraum lassen. Selbst dort ließen sich Auslegungsdivergenzen dadurch vermeiden, daß sich die staatlichen Gerichte an der Rechtsprechung der übrigen Vertragsstaaten orientieren. Dennoch auftretende Divergenzen könnten im Rahmen der politischen Organe gelöst werden. Vor allem dürften "die Anforderungen an das Prinzip der Gegenseitigkeit

könnten, Schriftliche Erklärung der Finna Kupferberg zu EuGH- Kupferberg, 104/81 Slg. 1982, 3649. 115 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3663 f.), Rn. 18. 116 Schriftliche Erklärung der dänischen und französischen Regierung zu EuGH Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3651.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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nicht übersteigert" werden. Auch sollte nichtjede divergierende Gerichtsentscheidung Veranlassung geben, von einer Infragestellung dieses Prinzips zu reden und hieraus rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Anders wäre es nach Ansicht der Kommission, wenn es in der Rechtsprechung der Vertragsstaaten zu dauerhaften und schwerwiegenden Differenzen käme. Doch scheine diese Möglichkeit eher theoretisch zu sein, sofern wiederum der richterliche Spielraum bei der Auslegung der in Frage stehenden Bestimmungen beschränkt bleibe. 117 Der Gerichtshof ist auf die Frage, ob es infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit zu Auslegungsdivergenzen unter den Gerichten der Vertragsparteien kommen könnte, nicht eingegangen.

dd) Exklusivität der Gemischten Ausschüsse Im Rahmen ihrer Gesamtbetrachtung des Freihandelsabkommens wiesen die am Vefahren beteiligten Regierungen auf die "Gemischten Ausschüssen" hin, in denen über die Anwendung des Abkommens beraten und verhandelt werden sollte. Den Beschlüssen dieser Gremien könnte vorgegriffen werden, wenn bei Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit die Gerichte der Vertragsparteien über die Abkommensbestimmungen judizieren könnten. Nach Ansicht des Gerichtshofes reichte jedoch "[d]ie Tatsache allein, daß die Vertragsparteien einen besonderen institutionellen Rahmen für Konsultationen und Verhandlungen untereinander über die Durchführung des Abkommens geschaffen haben, ( ... ) nicht aus, jegliche Anwendung dieses Abkommens durch die Gerichte auszuschließen. Wendet ein Gericht einer Vertragspartei auf einen konkreten, vor ihm anhängigen Rechtsstreit eine Bestimmung des Abkommens an, die eine unbedingte und eindeutige Verpflichtung zum Gegenstand hat und deshalb keine vorherigen Einschaltung des Gemischten Ausschusses erforderlich macht, so werden dadurch die diesem Ausschuß durch das Abkommen übertragenen Kompetenzen nicht geschmälert." 118 Nach Ansicht des EuGH wird die Kompetenz der Gemischten Ausschüsse also nicht in Frage gestellt, wenn Gerichte der Vertragsparteien unbedingte und eindeutige Bestimmungen, die ja allein für die unmittelbare Anwendbarkeit in Frage kommen, anwenden.

117 Schriftliche Erklärung der Kommission zu EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3654 f. 118 EuGH- Kupferberg, 104/81- S1g. 1982,3641 (3664), Rn. 20.

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ee) Schutzklauseln In Anlehnung an das Urteil des EuGH in International Fruit machten die am Verfahren beteiligten Regierungen geltend, das Freihandelsabkonunen sei wegen seiner Schutzklauseln zu flexibel, um unmittelbar angewendet zu werden. Im Falle von "Schwierigkeiten" sei es den Vertragsparteien erlaubt, "geeignete Maßnahmen" zu ergreifen und Verpflichtungen auszusetzen, wobei die Einschätzung der Vertragsparteien, ob solche "Schwierigkeiten" vorliegen, nicht überprüft werden könne. 119 Da das Abkonunen "eine Reihe derogatorischer Klauseln von großer Tragweite" enthalte, stufte Generalanwältin Rozes es als ebenso flexibel ein wie das GATI. 120 Der EuGH hingegen nahm die Schutzklauseln - anders als in International Fruit - nicht zum Anlaß, dem Freihandelsabkonunen die unmittelbare Anwendbarkeit abzusprechen. Er betonte, daß den Vertragsparteien eine Derogation nur unter strengen prozeduralen Einschränkungen möglich sei. Deswegen stehe "die bloße Existenz dieser Klauseln ( ... ) der möglichen unmittelbaren Geltung bestinunter Vorschriften des Abkonunens nicht entgegen" .121

ff)

Konkrete Bestimmung

Wie schon in den Rechtssachen Pabst und Polydar ging es auch im Verfahren Kupferberg darum, wie es sich auf die Auslegung der fraglichen Abkonunensbestinunung, Art. 21 Abs. 1 des Freihandelsabkonunens ("Die Vertragsparteien wenden keine Maßnahmen oder Praktiken interner steuerlicher Art an, die unmittelbar oder mittelbar eine diskriminierende Behandlung der Erzeugnisse einer Vertragspartei und gleichartiger Ursprungserzeugnisse der anderen Vertragspartei bewirken.") auswirkt, daß sie einer Vorschrift aus dem EWGV, Art. 95 EWGV [Art. 90 EGV] nachgebildet war. Da Art. 95 EWGV bereits als unmittelbar anwendbar anerkannt war, stellte sich die Frage, ob dies wegen der Wortlautähnlichkeit auch für Art. 21 des Freihandelsabkonunens gelten sollte. Die dänische Regierung und Generalanwältin Rozes lehnten eine Übertragung ab, weil Art. 21 des Abkonunens weniger absolut formuliert sei als Art. 95 EWGV und die Zielset119 Schriftliche Erklärung der dänischen und französischen Regierung zu EuGHKupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3651. 120 Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81 - S1g. 1982, 3671 (3674). 121 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3641 (3664), Rn. 21.

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zung des EWGV (Schaffung des Gemeinsamen Marktes durch Herbeiführung wirtschaftlicher Integration) erheblich weiter gehe als die des Freihandelsabkommens mit Portugal (Liberalisierung des Warenverkehrs zwischen der Gemeinschaft und Portugal). 122 Im Hinblick auf die Präzision der Vorschrift entgegnete die Kommission, Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen kämen erst dann für die unmittelbare Anwendbarkeit nicht mehr in Frage, wenn sie offene Talbestandsmerkmale oder unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten, die einen erheblichen Beurteilungsspielraum zum Inhalt haben und damit wirtschaftspolitische oder ähnliche Erwägungen erfordern. Der Teil des Art. 21 Abs. 1 des Abkommens, der das enge steuerliche Diskriminierungsverbot enthält, lasse jedoch gerade keinen weiten Beurteilungsspielraum zu. In jenem Kernbereich sei Art. 21 Abs. 1 des Abkommens deshalb als unmittelbar anwendbar anzuerkennen. 123 Der Gerichtshof kam bei seiner Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Freihandelsabkommens zum selben Ergebnis wie die Kommission. Die Bestimmung sei unbedingt und präzise und deswegen unmittelbar anwendbar. Das Ziel des Abkommens, ein System des Freihandels zu schaffen, solle vor allem durch die Beseitigung der Zölle und Abgaben gleicher Wirkung sowie der mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung erreicht werden. Artikel 21 Abs. 1 des Abkommens solle in diesem Zusammenhang verhindern, daß die durch die genannten Maßnahmen erreichte Liberalisierung des Warenhandels durch steuerliche Praktiken der Vertragsparteien vereitelt wird. Außerdem begründe Art. 21 Abs. 1 des Abkommens für die Vertragsparteien eine unbedingte Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung im steuerlichen Bereich, die allein von der Feststellung abhänge, daß die einem bestimmten Steuersystem unterliegenden Erzeugnisse einander gleichartig sind, und deren Grenzen sich unmittelbar aus dem Zweck des Abkommens ergeben. Auch sei die Vorschrift präzise genug, um "als solche von einem Gericht angewandt [zu] werden. 124 Insgesamt kommt der Gerichtshof daher zu dem Ergebnis, "daß Art. 21 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Gerneinschaft und Portugal unmittelbar anwendbar und geeignet ist, den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern Rechte zu verleihen, die von den Gerichten zu schützen sind. " 125 122 Schriftliche Erklärung der dänischen und französischen Regierung zu EuGH Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, (3651); Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3671 (3673 ff.). 123 Schriftliche Erklärung der Kommission zu EuGH - Kupferberg, I 04/81 - S1g. 1982, (3655 f.). 124 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3665), Rn. 23 ff. 125 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3666), Rn. 27.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

f) Die Urteile "Demirel" und "Sevince"

Das Urteil in der Rechtssache Demirel ist eine der wenigen Entscheidungen des EuGH außerhalb der GATI-1947-Rechtsprechung, in der der Gerichtshof einer Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen die unmittelbare Anwendbarkeit versagt hat. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 12 i. V. m. Art. 7 des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei 126 und Art. 36 des Zusatzprotokolls 127 ein gemeinschaftsrechtlich unmittelbar geltendes Verbot beinhalte, neue Freizügigkeitsbeschränkungen gegenüber den in einem Gemeinschaftsland legallebenden türkischen Arbeitnehmern einzuführen. Nachdem der EuGH klargestellt hatte, daß "[e]ine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens( ... ) als unmittelbar anwendbar anzusehen [ist], wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen" 128, legte er das Assoziierungsabkommen unter Anlegung dieser Kriterien aus. Nach Ansicht des Gerichtshofes war das Abkommen insgesamt "seinem Aufbau und seinem Inhalt nach dadurch gekennzeichnet, daß es allgemein die Ziele der Assoziierung nennt und Leitlinien für die Verwirklichung dieser Ziele festlegt, ohne selbst genaueRegeln dafür aufzustellen, wie diese Verwirklichung zu erreichen ist". 129 Neben dem "Sinn und Zweck des Abkommens" sprach auch die Wortlautauslegung nicht dafür, daß es sich bei den Art. 12 des Abkommens und Art. 36 des Protokolls 130 um "klare und eindeutige Verpflichtung [handelte], deren Erfül-

126 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, am 12.9.1963 in Ankara unterzeichnet, genehmigt durch Ratsbeschluß vom 23.12.1963, ABI. 1964,3685. 127 Zusatzprotokoll, am 23.11.1970 in Brüssel unterzeichnet, genehmigt durch Verordnung des Rates Nr. 2760/72 vom 19.12.1972, ABI. 1972 L 293, 1. 128 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 14. 129 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 16. 130 Art. 12 des Abkommens: "Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen." Art. 36 des Zusatzprotokolls: ,,Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei wird nach den Grundsätzen des Art. 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und demEnde des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem

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lung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen". Der Gerichtshof war der Auffassung, "daß diese Bestimmungen im wesentlichen Programmcharakter haben und keine hinreichend genauen, nicht an Bedingungen geknüpfte Vorschriften sind, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unmittelbar regeln könnten". Auch die allgemeine Vertragsförderungspflicht des Art. 7 des Abkommens 131 hielt der EuGH für nicht unmittelbar anwendbar, da "[d]urch diese Bestimmung, die den Vertragsparteien nur eine allgemeine Verpflichtung auferlegt, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens zusammenzuarbeiten, ( ... ) den einzelnen nicht unmittelbar Rechte eingeräumt werden [könnten], die ihnen nicht bereits durch andere Bestimmungen des Abkommens zuerkannt werden" .132 Zum umgekehrten Ergebnis kam der EuGH im Fall Sevince 133 • Dort ging es nicht um die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen des Assoziierungsabkommens, sondern um die unmittelbare Anwendbarkeit von Beschlüssen des Assoziationsrates, der durch das Abkommen geschaffen worden ist. Der EuGH wertete die Beschlüsse des vom Assoziierungsabkommen eingerichteten Rates - anders als das Assoziierungsabkommen selbst- als nicht programmatisch: "Der Umstand, daß die vorerwähnten Bestimmungen des Abkommens und des Zusatzprotokolls im wesentlichen Programmcharakter haben, schließt nicht aus, daß den Beschlüssen des Assoziationsrates, durch die die in dem Abkommen vorgesehenen Programme in bestimmten Punkten verwirklicht werden, unmittelbare Wirkung zukommen kann." 134 Während also das Sekundärrecht des Assoziationsrates unmittelbar anwendbar ist, gilt dies nicht für das lediglich programmatische Primärrecht

Inkrafttreten des genannten Abkonunens schrittweise hergestellt. Der Assoziationsrat legt hierfür die erforderlichen Regeln fest." 131 Art. 7 des Abkonunens: "Die Vertragsparteien treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Abkonunen. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele des Abkonunens gefährden könnten." 132 EuGH- Demirel, 12186- Slg. 1987, 3719 (3753), Rn. 19 ff. Auch Generalanwalt Darmon führte gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der fraglichen Bestinunungen deren programmatischen Charakter an, Schlußanträge des Generalanwalts Marco Darmon zu EuGH- Demirel, 12186- Slg. 1987, 3737 (3742 ff.), Anm. 17 ff. 133 EuGH- Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 1-3461 ff. 134 EuGH- Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 1-3461 (3501 ff.), Rn. 14 ff.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

g) Das Urteil "Kziber" In der Rechtssache Kziber135 wurde dem EuGH von der Cour du travail Lüttich die Frage vorgelegt, ob Art. 41 Abs. 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und Marokko 136 unmittelbar anwendbar sei. Die Zielsetzung des Abkonunens, die Förderung einerunfassenden Zusammenarbeit zwischen der EWG und Marokko als Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos und zur Vertiefung der wechselseitigen Beziehungen, sprach nach Auffassung von Generalanwalt und Gerichtshof nicht gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Für die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommens kam es nach der Ansicht von Generalanwalt van Gerven nur darauf an, daß es über die Festlegung gegenseitiger Verpflichtungen zwischen den Vertragsparteien hinausgeht und die Rechtsstellung einzelner regeln will. Andererseits müsse das Abkommen nicht- wie etwa die Gemeinschaftsverträge- auf Integration ausgerichtet sein. 137 Auch dem Gerichtshof reichte es, daß mit dem Abkommen im wesentlichen die wirtschaftliche Entwicklung Marokkos gefördert werden soll und daß es sich darauf beschränkt, eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien einzuführen. Der Umstand, daß das Abkommen weder auf eine Assoziierung, noch einen künftigen Beitritt Marokkos zu den Gemeinschaften abziele, spreche nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit einiger seiner Bestimmungen. 138 Entgegen der Einschätzung einiger Verfahrensbeteiligter 139 hielt der Gerichtshof auch die konkrete Vorschrift, Art. 41 Abs. 1 des Abkommens 140, für geeignet, unmittelbar angewendet zu werden. Die Vorschrift habe keinen programEuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991,1-199 ff. Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko, unterzeichnet am 27.4.1976 in Rabat, geschlossen im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26.9.1978 (ABI. 1978 L 264, 1). 137 Schlußanträge des Generalanwalts Walter van Gerven zu EuGH- Kziber, C-18/90Slg. 1991, 1-208 (211 ff.). 138 EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991,1-199 (226), Rn. 21 f. 139 Erklärungen der belgiseben Behörde, Frankreichs und der Kommission, EuGH Kziber, C-18/90- Slg. 1991, 1-199 (204 ff.). 140 Art. 41 Abs. 1 des Abkommens: "Vorbehaltlich der folgenden Absätze wird den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung gewährt, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt." 135

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A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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matischen Charakter, sondern begründe ein klares, eindeutiges und unbedingtes Diskriminierungsverbot Auch der Umstand, daß Art. 42 Abs. 1 die Durchführung der in Art. 41 niedergelegten Grundsätze durch einen Kooperationsrat vorsieht, sprach nach Ansicht des EuGH nicht gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Dies dürfe nicht dahin ausgelegt werden, daß die Durchführung oder Wirkungen von Art. 41 vom Erlaß eines weiteren Aktes abhänge. Die Rolle, die Art. 42 Abs. 1 dem Kooperationsrat zuweist, bestehe vielmehr darin, die Beachtung des Diskriminierungsverbots zu erleichtern. Die unmittelbare Anwendung des Diskriminierungsverbots werde dadurch nicht von einer Bedingung abhängig gemacht. 141 Somit kam der Gerichtshof insgesamt zu dem Ergebnis, daß "Art. 41 Abs. 1 sowohl seinem Wortlaut nach als auch dem Sinn und Zweck des Abkommens nach, zu dem er gehört, geeignet ist, unmittelbar angenwandt zu werden" .142

h) Das Urteil "Chiquita Italia" Von besonderem Interesse für das Verständnis der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen ist schließlich die Rechtssache Chiquita Italia, in der es nicht nur um die unmittelbare Anwendbarkeit des GATT 1947, sondern auch um die einiger Bestimmungen des Vierten AKP-EWG-Abkommens 143 (sog. Lome-Abkommen) ging. 144 Die Diskussion aus der Rechtssache Kupferberg, ob es gegen die unmittelbare Anwendbarkeit eines Abkommens spricht, wenn es in seiner Zielsetzung hinter den Gemeinschaftsverträgen zurückbleibt, tauchte auch in Chiquita Italia auf. Die italienische Regierung machte geltend, das Lome-Abkommen sei genausowenig unmittelbar anwendbar wie das GATT 1947, da es- anders als der EGV- nicht darauf abziele, den Handelsverkehr innerhalb eines einheitlichen Marktes zu regeln, sondern lediglich die Förderung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung der AKP-Staaten bezwecke. 14~ Demgegenüber wies GeneralEuGH - Kziber, C-18/90 - Slg. 1991, 1-199 (226), Rn. 17 ff. EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991, l-199 (227), Rn. 23; vgl. zum seihen Abkommen EuGH- Yousfi, C-58/93- Slg. 1994,1-1353 (1368 f.), Rn. 16 ff., worin das Urteil in Kziber voll bestätigt wird. 143 Viertes AKP-EWG-Abkomrnen, unterzeichnet am 15.12.1989 in Lome, genehmigt durch Beschluß des Rates und der Kommission Nr. 91/400 vom 25.2.1991 (ABI. 1991 L 229, 1). 144 EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- S1g. 1995, I-4533 ff. 145 EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4567), Rn. 30. 141

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anwaltLenz auf das Urteil Bresciani hin, wo der EuGH die Vorschriften eines Abkommens als unmittelbar anwendbar anerkannt hatte, obgleich es ebenfalls entwicklungspolitische Ziele verfolgte und somit gleichfalls hinter den Zielen des EWGV zurückblieb. 146 Der Gerichtshof legte seinen Akzent darauf, daß im Hinblick auf die Geschmeidigkeit, die er in International Fruit dem GATI 1947 attestiert hatte, "das GATI einerseits und das Vierte AKP-EWG-Abkommen, die früheren AKPEWG-Abkommen sowie die Assoziierungsahkoronen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den afrikanischen Staaten und Madagaskar andererseits nicht gleichartig" seien. 147 Wie schon im Urteil Bresciani ging es auch in Chiquita ltalia anschließend um die Frage, ob das im Abkommen angelegte Ungleichgewicht der Verpflichtungen gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit spricht. Der Gerichtshof befand, die von den Vertragsparteien im Lome-Abkommen eingegangenen Verpflichtungen seien von ganz unterschiedlichem Gewicht: "Die Abkommen bezwecken nämlich allgemein, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Drittstaaten, die Parteien dieser Abkommen sind, insbesondere durch Verbesserung der Bedingungen des Zugangs ihrer Erzeugnisse zum Gemeinschaftsmarkt zu fördern. Dieses Ungleichgewicht könnte der Möglichkeit entgegenstehen, daß Bestinunungen der Abkommen unmittelbare Wirkung haben." 148 Doch kam der EuGH in der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit zum selben Ergebnis wie in Bresciani, indem er ausführte, "daß das Ungleichgewicht zwischen den jeweiligen Verpflichtungen der Gemeinschaft und der assoziierten Staaten, das im Wesen des Abkonunen selbst begründet ist, es nicht ausschließt, daß die Gemeinschaft die unmittelbare Geltung bestimmter Vorschriften des Abkommens anerkennt." 149 Auf seine Entscheidung in Bresciani berief sich der Gerichtshof auch, als die italienische Regierung geltend machte, die im Lome-Abkommen enthaltenen Vorschriften über die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien sprächen gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des Abkommens. Der Gerichtshof fand, ein besonderes Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten stünde der generellen unmittelbaren Anwendbarkeit des Abkommens nicht entgegen. Auch das Jaunde-Abkommen enthalte in Art. 53 eine vergleichbare Regelung, was 146 Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz zu EuGH C-469/93- Slg. 1995, 1-4536 (4546), Anm. 25. 147 EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4567), Rn. 148 EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, I-4533 (4567), Rn. 149 EuGH- Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4567), Rn.

Chiquita ltalia, 31. 32-35. 32-35.

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ihn seinerseits nicht daran gehindert habe, einigen seiner Bestimmungen die unmittelbare Anwendbarkeit zuzuerkennen. 150 Die konkrete Vorschrift, um deren unmittelbare Anwendbarkeit es in Chiquita Italia ging, Art. 1 des Protokolls Nr. 5 zum Lome-Abkommen betreffend Bananen151, hielt Generalanwalt Lenz für unmittelbar anwendbar. Lenz stellte darauf ab, daß es sich bei der Vorschrift um eine Stillhalteverpflichtung handele, wie sie auch im Bereich des EG-Vertrags bekannt sei. Die Feststellung, ob es sich im Einzelfall um "herkömmliche Märkte" handele, dürfe sich ohne Mühe treffen lassen, da es sich um eine reine Tatsachenfrage handelt. Artikel 1 des Protokolls habe keinen Programmcharakter und sei klar, eindeutig und unbedingt gefaßt. Schließlich spreche auch der Umstand, daß die Bestimmung als Begünstigte die AKP-Staaten- und nicht die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer- nennt, nicht gegen deren unmittelbare Anwendbarkeit. Denn auch die Stillhalteverpflichtung des Art. 12 EWGV (jetzt Art. 25 EGV), deren unmittelbare Wirkung in Van Gend & Loos bejaht wurde, richte sich dem Wortlaut nach lediglich an die Mitgliedstaaten.152 Auch der Gerichtshof wertete Art. 1 des Bananprotokolls als hinreichend "klar, eindeutig und unbedingt gefaßt, so daß sich der einzelne unmittelbar auf ihn berufen kann". 153

IV. Auswertung der Rechtsprechung des EuGH: Die gemeinschaftsrechtlichen Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen Aus der soeben dargestellten Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen ergibt sich ein facettenreiches, allerdings nicht immer widerspruchsfreies Bild. Es gilt, aus der Rechtsprechung diejenigen Kriterien herauszuarbeiten, die der EuGH für relevant hält, wenn er Gemeinschaftsabkommen und deren Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Anwendbarkeit auslegt. 150 EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, I-4533 (4568), Rn. 36 f. 151 Art. 1 des Protokolls Nr. 5 betreffend Bananen: "Kein AKP-Staat wird bei der Aus-

fuhr seiner Bananen nach den Märkten der Gemeinschaft hinsichtlich des Zugangs zu seinen herkömmlichen Märkten und seiner Vorteile auf diesen Märkten ungünstiger gestellt sein als bisher oder jetzt." 152 Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz zu EuGH - Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, I-4536 (4555), Anm. 46. 153 EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, I-4533 (4572), Rn. 57.

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Tei12: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

1. Ziel des Abkommens

Der EuGH hat mehrfach betont, die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen hänge von dem Ziel des Abkommens ab. Ausgangspunkt hierfür ist seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von primärem Gemeinschaftsrecht Bereits in der Leitentscheidung Van Gend & Loos hat der EuGH einen Zusammenhang zwischen der Zielsetzung eines Abkommens und der unmittelbaren Anwendbarkeit seiner Bestimmungen hergestellt: "Das Ziel des EWG-Vertrages ist die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, daß dieser Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet. Diese Auffassung wird durch die Präambel des Vertrages bestätigt, die sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an die Völker richtet."154 Für die unmittelbare Anwendbarkeit des EWGV sprach also sein ambitioniertes Ziel, den gemeinsamen Markt zu schaffen, und vor allem der Umstand, daß er sich mit diesem Ziel nicht allein an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die einzelnen richtete. Den Gegenpol zu dieser Entscheidung stellt das Urteil in International Fruit dar, wo der EuGH dem GATI 1947 -in bewußter Kontrastierung zu Van Gend & Loos- die unmittelbare Anwendbarkeit unter anderem deswegen versagte, weil es "nach seiner Präambel ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' ausgehandelt wurde" 155 • Hieraus darf jedoch nicht geschlußfolgert werden, Gemeinschaftsabkommen, die weniger ambitionierte Ziele verfolgen als der EGV, seien allein deswegen nicht unmittelbar anwendbar. So sprach das Ziel eines Gemeinschaftsabkommens, den Vertragspartner mit der Gemeinschaft zu assoziieren, um dessen späteren Beitritt vorzubereiten, nicht gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit. 156 Auch mit dem Ziel, eine Freihandelszone zu schaffen, 157 welches ebenfalls hinter dem Ziel der Gründungsverträge zurückbleibt, kommt ein Gemeinschaftsabkommen für die unmittelbare Anwendbarkeit in Betracht. Selbst Bestimmungen aus AbEuGH- V an Gend & Loos, 26/62- S1g. 1963, 1 (24 f.). m EuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 21. 1' 6 Vgl. EuGH- Pabst, 17/81- Slg. 1982, 1331 (1350), Rn. 26 f. Allerdings ist das Ziel der Beitrittsassoziierung allein kein hinreichender Grund, die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen des Assoziierungsabkomrnmens anzunehmen, wenn diese Vorschriften einen programmatischen Charakter haben, EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3753), Rn. 23 f. 157 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3666), Rn. 27; EuGH- Anastasiou, C-432/92- Slg. 1994, 1-3087 (3127 f.), Rn. 22. 1' 4

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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kommen, die der Gemeinschaft gezielt strengere Verpflichtungen auferlegen als den anderen Vertragsparteien, um dadurch deren Entwicklung zu fördern, hat der Gerichtshof als unmittelbar anwendbar anerkannt. 158 Insgesamt ergibt sich daraus folgende Hierarchie von Zielen: Am ehesten eignen sich für die unmittelbare Anwendbarkeit Abkommen, die - wie der EGV auf Integration abzielen und sich dabei direkt an die einzelnen richten. Unterhalb dieser Schwelle, die allerdings bisher von keinem Gemeinschaftsabkommen erreicht wurde, spricht am deutlichsten das Ziel der Beitrittsassoziierung für die unmittelbare Anwendbarkeit. Aber auch die Schaffung einer Freihandelszone und sogar die Entwicklungsassoziierung sind Ziele, die zumindest nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit sprechen. Entscheidend ist allein, ob das Abkommen "über die Festlegung gegenseitiger Verpflichtungen zwischen den unterzeichnenden Staaten hinausgeht" und "bezweckt, die Rechtsstellung einzelner zu regeln". 159 Dem wurde das GATT 1947 nach Ansicht des EuGH nicht gerecht.

2. Flexibilität des Abkommens

Das zweite Kriterium, das für den EuGH bei seiner Auslegung von Gerneinschaftsabkommen eine große Rolle spielt, ist die Frage, wie intensiv das Abkommen die Vertragsparteien verpflichtet. Diese "Geschmeidigkeit" oder ,,Flexibilität" eines Abkommens beurteilt der EuGH anband des Streitbeilegungsmechanismusses, der Ausnahmevorschriften und der Schutzklauseln des Abkommens. Bislang hat der Gerichtshof allein das GATT 1947 als insgesamt zu flexibel eingeschätzt, als daß dessen Bestimmungen unmittelbar angewendet werden könnten.

a) Streitbeilegungsmechanismus In International Fruit wertete der EuGH das Streitbeilegungssystem, wie es in den Art. XXll und XXlll GATT 1947 geregelt war, als Indiz für die "große Geschmeidigkeit" des GATT 1947. 160 Allerdings beschränkte sich der Gerichtshof bei seiner Auslegung dieser Bestimmungen darauf, deren Wortlaut wiederzuge158 EuGH - Bresciani, 87175 - Slg. 1976, 129 (140), Rn. 17/18; EuGH - Kziber, C-18/90- Slg. 1991,1-199 (226), Rn. 21 f.; EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, I-4533 (4567), Rn. 32-35. 159 Schlußanträge des Generalanwalts Walter van Gerven zu EuGH- Kziber, C-18/90Slg. 1991, I-208 (211), Anm. 8. 160 EuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 21.

10 Hennes

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

ben, ohne die Praxis der GATI-Organe zu Art. XXITI GATI 1947 zu berücksichtigen oder wenigstens anzugeben, worin genau die Schwäche dieses Systems liegen soll. Vermutlich meinte der Gerichtshof den hohen Stellenwert der Konsultationen und den Umstand, daß Panel-Entscheidungen von den VERmAGSPARTElEN nur im Konsens angenommen werden konnten. Jedenfalls hat der EuGH die in International Fruit vorgenommene Einschätzung, das GATI 1947 sei wegen seines Streitbeilegungsverfahrens zu "geschmeidig", um unmittelbar angewendet zu werden, in ständiger Rechtsprechung wiederholt. 161 Um so erstaunlicher ist es, daß der EuGH in Kupferberg eine Bestimmung des Freihandelsabkommens mit Portugal als unmittelbar anwendbar anerkannt hat, obwohl das Streitbeilegungssystem dieses Abkommens nicht stärker als das des GATI 1947 war. 162 Neben der Frage, wie konsensorientiert der Streitbeilegungsmechanismus eines Abkommens ist, wurde in Verfahren vor dem EuGH auch erörtert, ob die Existenz eines zentralen Organs, welches für Fragen der Anwendung des Abkommens zuständig ist, gegen die unmittelbare Anwendbarkeit sprechen könnte. In der Rechtssache Kupferberg wurde von einigen Verfahrensbeteiligten das Argument vorgebracht, die Zuständigkeiten des "Gemischten Ausschusses" würden umgangen, wendeten die Gerichte der Vertragsparteien die Bestimmungen des Abkommens dezentral an. Der EuGH entgegnete hierauf, die Existenz eines solchen institutionellen Rahmens für Konsultationen und Verhandlungen reiche nicht aus, ,jegliche Anwendung dieses Abkommens durch die Gerichte auszuschließen". Falls die Gerichte der Vertragsparteien unbedingte und eindeutige Vorschriften anwendeten, so würden "dadurch die diesem Ausschuß durch das Abkommen übertragenen Kompetenzen nicht geschmälert". 163

161 EuGH- Schlüter, 9173- Slg. 1973, 1135 (1157), Rn. 29 f.; EuGH- SIOT, 266/81 - Slg. 1983, 731 (780), Rn. 28; EuGH- SPI und SAMI, 267-269/81 - Slg. 1983, 801 (830), Rn. 23; EuGH - Deutschland/Rat, C-280/93 - Slg. 1994, 1-4973 (5071 ff.), Rn. 103 ff.; EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4558 (4565 f.), Rn. 24 ff. 162 Nur Generalanwältin Rozes hatte kritisiert, daß "in dem Abkommen EWG-Portugal -wie in den übrigen Freihandelsabkommen-keine gerichtliche Instanz zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten Vorgesehen ist, sondern allein aufdas politische Verfahren des ,Gemischten Ausschusses' verwiesen wird", weswegen sie das Freihandelsabkommen für ebenso geschmeidig hielt wie das GATT 1947, Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3671 (3673 f.). 163 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3641 (3664), Rn. 20; ähnlich mit Blick auf das Lome-Abkommen, EuGH - Chiquita ltalia, C-469/93 - Slg. 1995, 1-4533 (4568), Rn. 36 f.

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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b) Vorschriften über Ausnahmegenehmigungen und Schutzmaßnahmen Der zweite Aspekt, unter dem der Gerichtshof einem Abkorrunen eine zu große Flexibilität attestieren könnte, sind dessen Regelungen von Ausnahmegenehmigungen und Schutzmaßnahmen. Auch hier ist die Auslegungspraxis des EuGH uneinheitlich. In International Fruit begründete er seine These von der "Geschmeidigkeit" des GATT 1947 auch mit den "Vorschriften über Abweichungen von den allgemeinen Regeln, [und] über Maßnahmen, die bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können" .164 Er begnügte sich damit, den Wortlaut von Art. XIX GATI 1947, wonach GATI-Vertragsparteien in Notsituationen GATI-Pflichten einseitig suspendieren bzw. Handelskonzessionen aufheben oder modifizieren können, wiederzugeben, spielte wahrscheinlich aber auch an die Waiver-Regelung des Art. XXV:S GATT 1947 an. Im Gegensatz dazu sah er in der Rechtssache Kupferberg in den Schutzklauseln des Freihandelsabkommens mit Portugal keinen Grund, dem Abkorrunen die unmittelbare Anwendbarkeit abzusprechen. Obwohl die dortigen Regelungen sich nicht wesentlich von denen des GATI 1947 unterschieden, 165 hielt der EuGH sie für unbedenklich, weil sie "nur unter bestimmten Umständen und grundsätzlich nur nach einer unter Beteiligung beider Parteien erfolgten Prüfung im Gemischten Ausschuß anwendbar" seien und das im Fall fragliche steuerliche Diskriminierungsverbot gar nicht erfaßten. Die "bloße Existenz dieser Klauseln" stand seiner Ansicht nach "der möglichen unmittelbaren Geltung bestirrunter Vorschriften des Abkorrunens nicht entgegen". 166

3. Konkrete Bestimmung des Abkommens Seit dem Urteil Bresciani steht fest, daß der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestirrunung aus einem Gemeinschaftsabkorrunen nicht nur von Sinn, Aufbau und Wortlaut "des Abkommens", sondern auch "der genannten Vorschrift" abhängig macht. 167 Der EuGH legt die Vorschriften, um deren unEuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 21. Die beteiligten Regierungen und die Generalanwältin hatten die unmittelbare Anwendbarkeit des Abkommens wegen der mangelnden Strenge der derogatorischen Klauseln verneint, vgl. Schriftliche Erklärung der dänischen und französischen Regierung zu EuGH - Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3651., Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982,3671 (3674). 166 EuGH- Kupferberg, 104/81- S1g. 1982,3641 (3664), Rn. 21. 167 EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1974, 129 (140), Rn. 16. 164

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mittelbare Anwendbarkeit es geht, also in zwei Stufen aus. Zunächst würdigt er das Abkommen als Ganzes, indem der dessen Ziel und dessen Flexibilität untersucht. Als zweites analysiert er die fragliche Bestimmung des Abkonunens.168 Bei der Auslegung des GATI 1947 ist der Gerichtshof nie über die erste Stufe hinausgelangt. Weder in International Fruit, noch in der folgenden Rechtsprechung ist er auf die konkreten GAlT-Bestimmungen, deren unmittelbaren Anwendbarkeit in Frage stand, eingegangen, da seiner Ansicht nach das gesamte Abkommen wegen seiner strukturellen Schwäche nicht unmittelbar anwendbar war. 169 Andererseits gibt es zu anderen Gemeinschaftsabkommen durchaus Fälle, in denen die unmittelbare Anwendbarkeit einerVorschriftnicht allein am Gesamtcharakter des Abkommens, sondern vor allem an ihrer eigenen Gestaltung scheiterte. 170 Damit eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar ist, verlangt der EuGH, daß sie "unbedingt und hinreichend klar gefaßt ist" 171 bzw. "eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen" 172 •

168 Vgl. auch EuGH- Pabst, 17/81- Slg. 1982, 1331 (1350), Rn. 27: "Aus dem Wortlaut des zitierten Art.( ... ) sowie aus Zweck und Wesen des Assoziierungsabkommens, zu dem er gehört, ergibt sich ( ... )." EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3641 (3663 ff.), Rn. 17 ff.: abzustellen auf "Rechtsnatur" und "Systematik" des Abkommens (Rn. 18-22) sowie "ob eine derartige Bestimmung unbedingt und hinreichend klar gefaßt ist" (Rn. 23-26); EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3152), Rn. 14: "Eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens ist als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen." Ebenso EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991,1-199 (225), Rn. 15. 169 EuGH- International Fruit, 21-24172- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 19/20 ff.; EuGH - Sch1üter, 9173- Slg. 1973, 1135 (1151), Rn. 29 f.; EuGH- SIOT, 266/81 - Slg. 1983, 731 (780), Rn. 28; EuGH- SPI und SAMI, 267-269/81- Slg. 1983, 801 (830), Rn. 23; EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5071 ff.), Rn. 103 ff.; EuGHChiquita Italia, C-469/93- S1g. 1995, I-4558 (4565 f.), Rn. 24 ff. 170 Siehe etwa EuGH.., Demirel, 12/86- Slg. 1987,3719 (3753), Rn. 19 ff., wo der Gerichtshof auf den programmatischen Charakter der fraglichen Bestimmung verwies. 171 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3663 ff.), Rn. 23. 112 EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 14.

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a) Präzision der Vorschrift Die konkrete Vorschrift, um deren unmittelbare Anwendbarkeit es geht, muß zunächst präzise gefaßt sein. Programmatische Vorschriften wie etwa Art. 12 des Assoziierungsabkommens mit der Türkei, wonach die Freizügigkeit der Arbeitnehmer "schrittweise herzustellen" ist, kommen für die unmittelbare Anwendbarkeit nicht in Frage. 173 Ebensowenig eignen sich Bestimmungen, die eine allgemeine Vertragsförderungspflicht im Stil von Art. 10 EGV enthalten. 174 Diskriminierungsverbote hingegen, die weder programmatisch gefaßt sind, 175 noch einen erheblichen (wirtschafts- oder fiskalpolitischen) Beurteilunsspielraum einräumen, 176 hat der EuGH als unmittelbar anwendbar anerkannt. Berücksichtigt man zusätzlich die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des primären Gemeinschaftsrechts, so kommen Verbote eher für die unmittelbare Anwendbarkeit in Betracht als Gebote in Fonn staatlicher Handlungspflichten. 177

b) Vorbehaltslosigkeit Die fragliche Vorschrift darf ferner nicht einem Vorbehalt unterliegen, etwa daß ihre Erfüllung von einem internen Rechtssetzungsakt abhängt oder ihr Vollzug eines Eingriffs des staatlichen Gesetzgebers bedürfe. Dies hat der EuGH für das Pimärrecht schon in Van Gend & Loos betont. 178 In Bresciani hat der Gerichtshof ergänzt, eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen könne unmittelbar angewendet werden kann, wenn sie "weder einem stillschweigenden noch einem ausdrücklichen Vorbehalt seitens der Gemeinschaft" unterliegt. 179 Keine Bedingung stellt es aus Sicht des EuGH dar, wenn der Inhalt der fraglichen EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3753), Rn. 23. Vgl. EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987,3719 (3753), Rn. 24, zu Art. 7 des Assoziierungsabkommens mit der Türkei: ,.Durch diese Bestimmung, die den Vertragsparteien nur eine allgemeine Verpflichtung auferlegt, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens zusammenzuarbeiten, können den einzelnen nicht unmittelbar Rechte eingeräumt werden, die ihnen nicht bereits durch andere Bestimmungen des Abkommens zuerkannt werden." 175 EuGH-Kziber,C-18/90-Slg.1991,1-199(226),Rn.17,21 f. 176 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3665), Rn. 26. 177 In Van Gend & Loos hielt der EuGH Art. 12 EWGV deswegen für ,.vorzüglich" geeignet, unmittelbare Wirkung zu entfalten, weil sein Wortlaut ,.ein klares und uneingeschränktes Verbot, eine Verpflichtung, nicht zu einem Thn, sondern zu einem Unterlassen" enthielt, EuGH- V an Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (25 f.). 178 EuGH- V an Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (25 f.). 179 EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 129 (141), Rn. 25. 173

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Bestimmung noch durch Beschlüsse vertraglicher Organe präzisiert werden kann. In der Rechtssache Kziber ging es um die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 41 des Kooperationsabkommens mit Markokko, eines Diskriminierungsverbots, das nach Art. 42 Abs. 1 desselben Abkommens ("Vor Ablauf des ersten Jahres nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens erläßt der Kooperationsrat die Bestimmungen zur Gewährleistung der Anwendung der in Artikel41 niedergelegten Grundsätze.") durch den Kooperationsrat zu präzisieren war. Der Gerichtshof sah dadurch jedoch die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 41 des Abkommens nicht in Frage gestellt. Die Rolle des Kooperationsrates sei es, "die Beachtung des Diskriminierungsverbots zu erleichtern", ohne "die unmittelbare Anwendung des Diskriminierungsverbots von einer Bedingung abhängig" zu machen. 180

c) Vertragsparteien als Adressaten der Bestimmung Schon in Van Gend & Loos hielt es der EuGH im Hinblick auf die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 12 EWGV für unschädlich, wenn eine Vorschrift ihrem Wortlaut nach nicht an die einzelnen, sondern an die Mitgliedstaaten gerichtet ist: "Der Umstand, daß dieser Artikel die Mitgliedstaaten als Adressaten der Unterlassungspflicht bezeichnet, schließt nicht aus, daß dieser Verpflichtung Rechte der einzelnen gegenüberstehen können. " 181 Dies scheint, folgt man den Ausführungen von Generalanwalt Lenz in Chiquita Italia, auch für Gemeinschaftsabkommen zu gelten. 182

d) Vergleich mit Bestimmungen des EGV Wenn eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen ähnlich formuliert ist wie eine Vorschrift des EGV, deren unmittelbare Anwendbarkeit der EuGH bereits anerkannt hat, so kann das für deren unmittelbare Anwendbarkeit sprechen. In der Rechtssache Pabst wertete es der Gerichtshof als Argument für die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 53 Abs. 1 des AssoziierungsabkomEuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991, 1-199 (226), Rn. 19. EuGH- Van Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, l (25 f.). 182 Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz zu EuGH - Chiquita ltalia, C-469/93 - Slg. 1995, 1-4536 (4555), Anm. 46: "Der Umstand, daß diese Bestimmung [Art. 1 des Protokolls Nr. 5 zum Vierten AKP-EWG-Abkommen] als Begünstigte die AKP-Staaten- und nicht die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer- nennt, steht dieser Schlußfolgerung [bzgl. der unmittelbaren Anwendbarkeit] nicht im Wege." 180 181

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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mens, daß sie dem- als unmittelbar anwendbar anerkannten- Art. 95 EWG-Vertrag (Art. 90 EGV) in Wortlaut und Funktion ähnelte. 183

4. Reziprozitätserwägungen Legt der Gerichtshof eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen daraufhin aus, ob sie unmittelbar anwendbar ist, so kommen in einigen Entscheidungen Erwägungen zum tragen, die mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit oder Reziprozität zusammenhängen. Die Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität läßt sich nach Simma einerseits als "als ein Verhältnis von entweder in der Gewährung von Vorteilen oder in der Zufügung von Nachteilen bestehenden Vorgängen definieren, deren jeder von dem anderen abhängig, d. h. durch den anderen bedingt ist". Ebenso könne man die Gegenseitigkeit jedoch auch als Zustand begreifen, nämlich als "eine Situation( ... ), in der die Gewährung von Vorteilen und die Zufügung von Nachteilen durch Vorteilsgewährung und Schadenszufügung beantwortet bzw. vergolten wird" .184 In der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen spielt die Gegenseitigkeit unter drei Aspekten eine Rolle, von denen nur der erste unmittelbar mit der Auslegung des Abkommens zusammenhängt, die beiden anderen jedoch mit der Praxis der anderen Vertragsparteien.

a) Reziproke Pflichtenstruktur Im Urteilinternational Fruit wies der EuGH in dem Absatz, in dem er die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 verneinte, darauf hin, das GATI 1947 sei "nach seiner Präambel , auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' ausgehandelt" worden. 185 Auf den ersten Blick könnte der EuGH mit dieser Formulierung suggerieren, Gemeinschaftsabkommen, bei deren Entstehung ("auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ... ausgehandelt") die Reziprozität eine herausgehobene Rolle gespielt hat, seien deswegen nicht unmittelbar anwendbar. Hiergegen sprichtjedoch bereits, daß Gegenseitigkeitserwägungen beim Zustandekommen von Abkommen unterschiedlichster Art eine Rolle spielen können. 186 Deshalb ist davon auszugehen, daß es dem EuGH 183

EuGH - Pabst, 17/81 - Slg. 1982, 1331 (1350), Rn. 26.

184

Simma, Das Reziprozitätselement in der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts, 46.

185

EuGH- International Fruit, 21 -24172- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 21.

186

Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 55.

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

beim GATI 1947 nicht um die Gegenseitigkeit bei der Entstehung, sondern um die Gegenseitigkeit in der Pflichtenstruktur des Abkommens geht. Vermutlich wollte der EuGH mit der obigen Beschreibung den Kontrast zwischen dem GATT 1947 und demEWGV, der nach dem Urteil in Van Gend & Loos "mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet" 187, hervorheben. Es kommt dem Gerichtshof also nicht so sehr darauf an, ob Gegenseitigkeitserwägungen bei der Aushandlung eines Abkommens eine Rolle gespielt haben, sondern auf die Frage, ob ein Abkommen durch die Gegenseitigkeit der in ihm enthaltenen Rechte und Pflichten gekennzeichnet ist. Gemeinschaftsabkommen mit einer reziproken Pflichtenstruktur scheinen sich nach Ansicht des EuGH weniger für die unmittelbare Anwendbarkeit zu eignen als nicht-reziprok strukturierte Gemeinschaftsabkommen. 188 Auch Generalanwalt van Gerven hält ein Gemeinschaftsabkommen in der Rechtssache Kziber nur dann für unmittelbar anwendbar, wenn es "über die Festlegung gegenseitiger Verpflichtungen zwischen den unterzeichnenden Staaten hinausgeht". 189 Andererseits schließt eine reziproke Pflichtenstruktur die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommen nicht zwingend aus. So hat der EuGH in der Rechtssache Kupferberg eine Vorschrift des Freihandelsabkommens zwischen der Gemeinschaft und Portugal als unmittelbar anwendbar anerkannt, 190 obwohl das Abkommen "auf dem Grundsatz strikter Gleichheit beruht".191 EuGH- V an Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (24 f.). In dieselbe Richtung gehen die Schlußanträge von Generalanwalt Trabucchi in der Rechtssache Bresciani: "Ich hätte aber Bedenken, vorbehaltslos und ohne weitere Prüfung zu behaupten, daß jedes von der Gemeinschaft geschlossene internationale Abkommen, das gleichartige wechselseitige Verpflichtungen beinhaltet und demnach streng an das Gegenseitigkeitsprinzip gebunden ist, geeignet ist, den Bürgern Rechte sowohl der Gemeinschaft als auch den Mitgliedstaaten gegenüber zu verleihen." Schlußanträge des Generalanwalts Alberto Trabucchi zu EuGH- Bresciani, 87175- Slg. 1976, 143 (147 ff.). Die Ausführungen von Trabucchi sind allerdings in einiger Hinsicht verwirrend, zumal sie einem Abkommen gelten, das nicht-reziprok strukturiert ist. 189 Schlußanträge des Generalanwalts Walter van Gerven zu EuGH- Kziber, C-18/90Slg. 1991, I-208 (211), Anm. 8. 190 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3666), Rn. 27. 191 So ausdrücklich Generalanwältin Rozes in ihren Schlußanträgen zu EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3671 (3673 f.); auch die beteiligten Regierungen unterstrichen, daß das Freihandelsabkommen - im Gegensatz zum in Bresciani behandelten Abkommen - auf den Prinzip der Gegenseitigkeit beruhe, schriftliche Erklärungen der französischen und dänischen Regierungen zu EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3650. Der EuGH hat dem nicht widersprochen. Vielmehr zeigen seine Ausführungen zu der Frage, ob eine einseitige Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit die "Gegenseitigkeit bei der 187

188

A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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b) Reziprozitätsstörungen wegen einseitiger Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit Neben der Frage der reziproken Struktur eines Abkommens, die sich noch - wie die anderen oben behandelten Gesichtspunkte - durch Auslegung des Abkommens beantworten läßt, hat sich der EuGH mit der Reziprozität auch unter einem anderen Gesichtspunkt befaßt, der mit der Praxis der anderen Vertragsparteien zusarmnenhängt. Es geht dabei um die Frage, ob der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit einer Abkommensbestimmung anerkennen kann, obwohl andere Vertragsparteien deren unmittelbare Anwendbarkeit ausgeschlossen haben. Aufgeworfen wurde dieses Problem in der Rechssache Kupferberg. Unter den Verfahrensbeteiligten war es umstritten, ob es gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 1 des Freihandelsabkommens der EWG mit Portugal spreche, daß Portugal und andere EFTA-Staaten dessen unmittelbare Anwendbarkeit nicht anerkannt hatten. Die französische und die dänische Regierung lehnten eine einseitige Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit durch die Gemeinschaft ab, da sie ihrer Ansicht nach zu einer Störung des Prinzips der Gegenseitigkeit, auf welchem das Freihandelsabkommen - anders als etwa das Abkommen von Jaunde (vgl. die Rechtssache Bresciani) - basiere, führen würde. 192 Dem hielt die Firma Kupferberg entgegen, der Gerichtshof sei in der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht an die Rechtsprechung in den EFTA-Staaten gebunden und divergierende Beurteilungen der unmittelbaren Anwendbarkeit könnte erforderlichenfalls durch die politischen Organe vereinheitlicht werden. 193 Die Generalanwältin Rozes wiederum teilte die Bedenken der französischen und dänischen Regierung gegen eine einseitige Anerkennung. Sie unterstrich zunächst die reziproke Struktur des Freihandelsabkommens mit Portugal: "Auch sind die bisherigen Urteile des Gerichtshofes zur unmittelbaren Wirkung von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und dritten Ländern, wie das vorlegende Gericht zu Recht hervorhebt, hier nicht einschlägig. So haben Sie eine derartige unmittelbare Wirkung verschiedenen Bestimmungen des Jaunde-Abkommens von 1973 zuerkannt, weil dieses Abkommen nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, sondern darauf gerichtet war, einigen afrikanischen Durchführung des Abkommens" beeinträchtigen könne, EuGH- Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982,3641 (3663 f.), Rn. 18, daß er unausgesprochen von der reziproken Struktur des Abkommens ausgeht. 192 Schriftliche Erklärungen der französischen und dänischen Regierungen zu EuGH Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3650. 193 Schriftliche Erklärung der Firma Kupferberg zu EuGH - Kupferberg, l 04/81 - Slg. 1982, 3649.

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Staaten und Madagaskar besondere Vorteile zukommen zu lassen. In bezugauf das Abkommen EWG-Portugal, das auf dem Grundsatz strikter Gleichheit beruht, kann man dagegen nicht von einer solchen Asymmetrie sprechen." 194 Sodann behauptete sie, diese Gegenseitigkeit würde gestört, indem die Gemeinschaft bei einseitiger Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit gegenüber den anderen Vertragsparteien benachteiligt würde: "Wenn man einer Bestimmung dieses Abkommens unmittelbare Wirkung zuerkennen würde, ohne die Garantie zu haben, daß sich ein einzelner in Portugal auf dieselbe Bestimmung unter gleichen Bedingungen und mit gleichen Konsequenzen, was den Rechtsschutz anbelangt, berufen kann, so liefe das wegen fehlender Gegenseitigkeit auf eine Benachteiligung der Gemeinschaft hinaus, was nicht im Einklang mit dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien stünde." 195 Der Gerichtshof ist dieser These nicht gefolgt. Er betonte, es stehe den Parteien eines Abkommens grundsätzlich frei, auf welche Weise sie die Pflichten aus dem Abkommen intern umsetzen. Wenn eine Partei sich für die unmittelbare Anwendbarkeit entscheidet und eine andere Partei für eine andere Methode der Umsetzung, so bedeute dies keine Störung der Gegenseitigkeit in der Vertragsdurchführung: "Nach den allgmeinen Regeln des Völkerrechts muß jedes Abkommen von den Parteien nach Treu und Glauben erfüllt werden. Wenn somitjede Vertragspartei für die vollständige Erfüllung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen verantwortlich ist, steht es ihr doch zu, die rechtlichen Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung dieses Ziels innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind, es sei denn, die Auslegung des Abkommens nach seinem Sinn und Zweck ergibt, daß diese Maßnahmen im Abkommen selbst festgelegt sind. Mit dieser Einschränkung ist in dem Umstand, daß die Gerichte der einen Partei möglicherweise einigen Bestimmungen des Abkommens unmittelbare Geltung zuerkennen, während die Gerichte der anderen Partei diese unmittelbare Geltung möglicherweise ablehnen, für sich allein noch keine fehlende Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkommens zu sehen." 196 Für die Beurteilung der Gegenseitigkeit bei der Durchführung eines Abkommens kommt es also nicht darauf an, wie (Modus der Umsetzung), sondern nur ob (Erfüllung bonafide) ein Abkommen von allen Seiten erfüllt wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn das wie zum Gegenstand des völkerrechtlichen Vertrages ge194 Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH - Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3671 (3673). 193 Schlußanträge der Generalanwältin Rozes zu EuGH- Kupferberg, 104/81 - Slg. 1982, 3671 (3674). 196 EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3663 f.), Rn. 18.

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macht wird. Hiernach kann also, solange ein Abkommen die Parteien nicht völkerrechtlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit verpflichtet (in Kupferberg war diesebenso wie in allen anderen vom EuGH bisher ausgelegten Gemeinschaftsabkommen-nicht der Fall), die Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung nicht dadurch gestört werden, daß die Gemeinschaft die unmittelbare Anwendbarkeit einseitig anerkennt. Auch wenn der EuGH dies in Kupferberg nicht ausdrücklich klarstellt, kann man vermuten, daß es nach dem Verfassungsrecht der Gemeinschaft möglicherweise gegen die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommenssprechen könnte, wenn hierdurch die Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung gestört würde. Eine solche Störung der Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung würde wohl dann vorliegen, wenn eine Partei die unmittelbare Anwendbarkeit anerkennt und eine andere Partei sie ausschließt, obwohl alle Vertragsparteien völkervertragsrechtlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit verpflichtet sind. Verpflichtet das Abkommen die Parteien jedoch nicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit, kann die Gegenseitigkeit des Abkommens nicht dadurch gestört werden, daß eine Partei sich dafür entscheidet, dessen Bestimmungen durch Erlaß interner Rechtsnormen umzusetzen, während eine andere Partei die unmittelbare Anwendbarkeit der Abkommensbestimmungen bevorzugt.

c) Reziprozitätsstörungen wegen dezentraler Rechtsanwendung Auf mögliche Asymmetrien in der Durchführung von Gemeinschaftsabkommen sind die Verfahrensbeteiligten in der Rechtssache Kupferberg auch unter einem weiteren Aspekt eingegangen. Die dänische und die französische Regierung sahen bei unmittelbarer Anwendbarkeit die Gefahr, daß die Gerichte der Vertragsparteien den Vorschriften des Abkommens unterschiedliche Inhalte geben könnten. Ohne das Korrektiv einer starken zentralen Auslegungsinstanz- das Abkommens sah nur schwache politische Organe vor - könnte aus solchen Auslegungsdivergenzenein Ungleichgewicht der Vertragsdurchführung resultieren.197 Demgegenüber räumte die Kommission zwar grundsätzlich ein, daß durch unterschiedliche Entscheidungen staatlicher Gerichte Ungleichgewichte bei der Vertragsdurchführung entstehen könnten. Allerdings sah die Kommission eine solche Gefahr allenfalls bei Bestimmungen, die der richterlichen Auslegung einen echten Gestaltungsspielraum lassen. Nur bei einem zu großen richterlichen Auslegungs197 Schriftliche Erklärung der dänischen und französischen Regierung zu EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3651.

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spietraum könnte es zu so schwerwiegenden Differenzen kommen, daß das Prinzip der Gegenseitigkeit in einem rechtlich erheblichen Maße in Frage gestellt würde. Selbst dort ließen sich Auslegungsdivergenzen dadurch vermeiden, daß sich die staatlichen Gerichte an der Rechtsprechung der übrigen Vertragsstaaten orientieren. Dennoch auftretende Divergenzen könnten im Rahmen der politischen Organe gelöst werden. Vor allem dürften "die Anforderungen an das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht übersteigert" werden. Auch sollte nicht jede divergierende Gerichtsentscheidung Veranlassung geben, von einer Infragestellung dieses Prinzips zu reden und hieraus rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Anders wäre es nach Ansicht der Kommission, wenn es in der Rechtsprechung der Vertragsstaaten zu dauerhaften und schwerwiegenden Differenzen käme. Doch sei dies ausgeschlossen, sofern wiederum der richterliche Spielraum bei der Auslegung der in Frage stehenden Bestimmungen beschränkt bleibe. 198 Da der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit der fraglichen Vorschrift anerkannt hat, scheint er der Auffassung der Kommission gefolgt zu sein.

5. Zusammenfassung und Kritik Auch wenn aus der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen selten hervorgeht, aus welchem präzisen Grund er die unmittelbare Anwendbarkeit einer Vorschrift anerkennt oder ablehnt, 199 so lassen sich doch drei verschiedene Ebenen differenzieren. Wenn der EuGH eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen daraufhin auslegt, ob sie in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar ist, untersucht er zunächst, ob das Abkommen seinem Gesamtcharakter nach dazu geeignet ist, unmittelbar angewendet zu werden. Auf dieser ersten Stufe seiner Auslegung erörtert der Gerichtshof zum einen, ob das Abkommen darauf abzielt, die Rechtsstellung einzelner zu regeln. Daneben bemißt er die Flexibilität des Abkommens daran, wie gerichtsförmig sein Streitbeilegungsmechanismus ist, und wie streng seine Ausnahmevorschriften und Schutzklauseln sind. Es fällt auf, daß der EuGH bislang allein das GAIT 1947 als zu flexibel eingeschätzt hat, um unmittelbar angewendet zu werden. 198 Schriftliche Erklärung der Kommission zu EuGH - Kupferberg, I 04/81 - Slg. 1982, 3654 f. 199 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Claus Gulmann zu EuGH - Deutschland/Rat, Rs. C-280/93- Slg. 1994, 1-4980 (5024 ff.): ,,Es ist vermutlich richtig, davon auszugehen, daß es nicht so ist, daß die vom Gerichtshof genannten Gründe isoliert gesehen und jeder für sich für das Ergebnis maßgebend sind."

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Bei allen Gemeinschaftsabkommen außer dem GATT 1947 hat der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit auf einer zweiten Stufe auch davon abhängig gemacht, wie die konkrete Bestimmung gefaßt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die fragliche Bestimmung ausdrücklich an die einzelnen gerichtet ist. Der Gerichtshof verlangt aber, daß sie präzise, vorbehaltslos und inhaltlich abgeschlossen ist. Auf das Prinzip der Gegenseitigkeit ist der EuGH in seiner Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen bisher unter drei Gesichtspunkten eingegangen. Zum einen scheinen sich reziprok strukturierte Abkommen weniger für die unmittelbare Anwendbarkeit zu eignen als nicht-reziprok strukturierte. Andererseits hat der EuGH auch reziprok strukturierte Abkommen als unmittelbar anwendbar anerkannt. Bei diesen Abkommen scheidet die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht deswegen aus, weil andere Vertragsparteien sie ablehnen. DemPauschalargument, infolge unmittelbarer Anwendbarkeit könnten sich Störungen der Gegenseitigkeit in der Vertragsdurchführung dadurch ergeben, daß die Gerichte der Vertragsparteien den Bestimmungen divergierende Inhalte geben, räumt der EuGH in seiner Rechtsprechung keine Relevanz ein. Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen fand im Schrifttum ein geteiltes Echo. Während die Urteile, die nicht das GATT 1947 betrafen, überwiegend positiv aufgenommen werden, sah sich der EuGH angesichts seiner GATT 1947-Rechtsprechung einer teils harrsehen Kritik ausgesetzt. 200 Dem Gerichtshof wurde vorgeworfen, er habe allein dem GATT 1947 wegen seines Gesamtcharakters die Eignung zur unmittelbaren Anwendbarkeit abgesprochen, während er bei allen anderen Gemeinschaftsabkommen auch die konkret anzuwendende Vorschrift analysiere. Hierdurch habe der EuGH übersehen, daß zahlreiche GATT-Vorschriften ebenso präzise seien wie entsprechende Vorschriften des primären Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof als unmittelbar anwendbar anerkannt habe. 201 Auch zeige sich hierin, daß der Gerichtshof das GATT 1947 und andere Gemeinschaftsabkommen an unterschiedlichen Standards messe. 202 Auf das Argument 200 Siehe etwa Kapteyn, The International Lawyer 1974, 74 ff.; Petersmann, CMLR 20 (1983), 397 (427 f.); ders., in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATI und Europäische Gemeinschaft, 119 (139 f.); ders., EuZW 1997,325 ff.; Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATI und Europäische Gemeinschaft, 11 (53 ff.); Hahn/Schuster, EuR 1993, 261 (279 f.). 201 Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATI und Europäische Gemeinschaft, 11 (50), weist auf Art. III Abs. 2 GATI 1947 und Art. 95 Abs. l EWGV (Art. 90 EGV) hin. 202 Zu diesem "dual approach" sieheMontana i Mora, JWT 30/5 (1996), 43 (45 ff.), der einen Wertungswiderspruch zwischen der GATI-Rechtsprechung und den Entscheidungen

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des EuGH, das GAIT 1947 eigne sich wegen seiner Zielsetzung, der Schaffung reziproker Verpflichtungen, nicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit, wurde entgegnet, Reziprozität sei bei einem multilateralen Abkommen mit einem derartig großen Teilnehmerkreis nicht handhabbar und man habe die Reziprozität mit der Pflicht zur Meistbegünstigung gerade überwinden wollen. Auch durchbreche Art. XXXVI Abs. 8 GAIT ausdrücklich jegliche Gegenseitigkeit gegenüber Entwicklungsländern ("the developed contracting parties do not expect reciprocity for commitments made by them in trade negotiations to reduce or remove tariffs and other barriers to the trade of less-developed contracting parties"). Selbst wenn nach Art. XXVIII Abs. 2 GAIT bei Verhandlungen über die Änderung von Listen mit Zollzugeständnissen "the contracting parties concerned shall endeavour to maintain a generallevel of reciprocal and mutually advantageaus concessions", so sei doch der ökonomische Sinn von Reziprozitätserwägungen angesichts flexibler Wechselkurse entfallen. Ferner wurde dem EuGH vorgehalten, bei seiner Einschätzung des Streitbeilegungsmechanismusses die zu Art. XXIII GAIT 1947 ergangene Praxis völlig außer acht gelassen zu haben, weswegen er die tatsächliche Effizienz des Mechanismusses falsch eingeschätzt habe. Schließlich wurde darauf hingewiesen, daß die angebliche Flexibilität des GAIT nicht aus der Existenz von Schutz- und Ausnahmeklauseln abgeleitet werden könne, da alle internationalen Handelsabkommen und sogar die Gemeinschaftsverträge solche Regeln enthielten, was vom Gerichtshof in Kupferberg auch eingesehen werde. 203 Da das GAIT 1947 nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist, soll auf diese Kritikpunkte an den entsprechenden Stellen nur dann eingegangen werden, soweit sie für die Auslegung des TRIPS und des WTO-Übereinkommens relevant wird.

zu anderen Gemeinschaftsabkommen ausmacht. So habe der Gerichtshof etwa in Kupferberg eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen als unmittelbar anwendbar anerkannt, obwohl das entsprechende Abkommen dem GATT vergleichbare Ausnahmeklauseln und Streitbeilegungsregeln enthielt. Sehr deutlich auch die Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Herrnes, C-53/96- Slg. 1998, I-3606 (3628), Anm. 30, Fn. 54: "Allgemein sollte wohl unterstrichen werden, daß das GATT das einzige Abkommen ist, bei dem der Gerichtshof aufgrund seiner , Charakteristika • zu dem Schluß gelangt ist, daß keine seiner Bestimmungen unmittelbare Wirkung haben könne. Im Gegensatz hierzu ist der Gerichtshof in allen anderen Fällen, in denen er sich zu von der Gemeinschaft abgeschlossenen internationalen Abkommen zu äußern hatte, nie davon ausgegangen - auch wenn er gegebenenfalls für die einzelne von ihm zu prüfende Bestimmung eine unmittelbare Wirkung verneint hat -, daß diese Abkommen Merkmale hätten, die es einzelnen nicht erlaubten, sich vor den Gerichten auf die entsprechenden Bestimmungen zu berufen." 203 Petersmann, CMLR 20 (1983), 397 (427 f.).

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V. Verwandte Wirkungen: Unmittelbare Anwendbarkeit von Sekundärrecht und Schadensersatzansprüche In der Praxis geht es meist darum, ob sich einzelne vor mitgliedstaatliehen Gerichten auf Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen berufen können, um geltend zu machen, eine Gemeinschaftshandlung sei ungültig oder eine mitgliedstaatliche Rechtsnorm dürfe nicht angewendet werden. Gelegentlich kann es auch darauf ankommen, ob EG-Mitgliedstaaten vor dem EuGH behaupten können, eine Gemeinschaftshandlung sei wegen Unvereinbarkeit mit einer Abkonunensbestimmung ungültig. Diese beiden bereits diskutierten Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen sind dadurch gekennzeichnet, daß Gerichte Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen anwenden, ohne daß eine vermittelnde interne Norm dazwischentritt. Das ist auch dann der Fall, wenn sich einzelne unmittelbar nicht auf die Bestimmung des Abkommens selbst berufen, sondern eine sekundärrechtliche Norm geltend machen, die von Organen erlassen wurde, die durch ein Gemeinschaftsabkommen geschaffen wurden. Eng verwandt mit der unmittelbaren Anwendbarkeit ist auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen.

1. Unmittelbare Anwendbarkeit von Sekundärrecht Unter den vielfältigen Gemeinschaftsabkommen gibt es einige, die Organe schaffen, welche befugt sind, Rechtsakte zu erlassen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob neben den Vorschriften jener Abkommen auch dieses von den Vertragsorganen geschaffene Sekundärrecht unmittelbar anwendbar ist.

a) Abstrakt-generelles Sekundärrecht Selten sind die Fälle, in denen durch Gemeinschaftsabkommen geschaffene Organe befugt sind, abstrakt-generelle Rechtsakte zu erlassen, also eine im eigentlichenSinne normsetzende Tätigkeit auszuüben. Um die unmittelbare Anwendbarkeit solcher abstrakt-genereller Sekundärrechtsakte ging es in der Rechtssache Sevince. 204 Das Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei sah als Vertragsorgan einen Assoziationsrat vor, der die Kompetenz besaß, Beschlüsse zu erlassen. In Sevince ging es um die Frage, ob sich einzelne vor Gemein204

EuGH- Sevince, C-192/89- Slg. 1990,1-3461 ff.

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Schaftsgerichten auf Beschlüsse berufen können, die Rechte der türkischen Arbeitnehmer in der Gemeinschaft regelten. Der EuGH entschied zunächst, daß "die Beschlüsse des Assoziationsrates aufgrund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Abkommen, zu dessen Durchführung sie ergehen, ebenso wie das Abkommen selbst von ihrem lokrafttreten an integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind". Wegen dieser Geltung der Assoziationsratsbeschlüsse als Gemeinschaftsrecht habe er deren einheitliche Geltung in der Gerneinschaftsrechtsordnung sicherzustellen.205 Was die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen dieser Beschlüsse anging, so könne sie "nur dann zuerkannt werden, wenn sie dieselben Voraussetzungen erfüllen, wie sie für die Bestimmungen des Abkommens selbst gelten". Die fraglichen Beschlüsse hielt der Gerichtshof für unmittelbar anwendbar, da sie "nach ihrem Wortlaut klar, eindeutig und ohne daß dies an Bedingungen geknüpft wäre, türkischen Arbeitnehmern ( ... )das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis" verliehen, was durch "eine Prüfung von Sinn und Zweck der Beschlüsse" erhärtet werde. 206 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit anderer abstrakt-genereller Sekundärrechtsaktehat sich der EuGH bisher nicht geäußert. Nach dem Urteil Sevince sind diese im Hinblick auf die unmittelbare Anwendbarkeit genauso zu behandeln wie die (primärrechtlichen) Vorschriften der Gemeinschaftsabkommen. Sie gelten in der Gemeinschaftsrechtsordnung vom Zeitpunkt ihres lnkrafttretens an. 207 Ihre unmittelbare Anwendbarkeit ist durch Auslegung nach denselben Kriterien wie bei Abkommensbestimmungen zu ermitteln. Im Schrifttum wird vertreten, diese Grundsätze könnten auch auf anderes Sekundärrecht übertragen werden. 208 EuGH- Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 1-3461 (3501 ff.), Rn. 9 ff. EuGH- Sevince, C-192189- Slg. 1990,1-3461 (3501 ff.), Rn. 14 ff. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in weiteren Fällen zu Beschlüssen des Assoziationsrates desselben Abkommens bestätigt; vgl. EuGH - Kus, C-237/91 - Slg. 1992, 1-6781 (6816 ff.) und EuGH- Eroglu, C-355/93- Slg. 1994,1-5113 (5137 f.). Im Gegensatz zu den Assoziationsratsbeschlüssen hielt der EuGH die Bestimmungen des Assoziierungsabkommens selbst für nicht unmittelbar anwendbar, da sie seiner Ansicht nach einen programmatischen Charakter hatten; vgl. EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3753), Rn. 24. 207 Die Einschränkung von Tomuschat, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 75, wonach dies nur gelte, "wenn es sich um einen (vertragsähnlichen) einstimmigen Beschluß eines Vertragsgremiums handelt, in dem sich die Gemeinschaft und der jeweilige Vertragspartner gleichberechtigt gegenüberstehen", was "insbesondere bei den Gemischten Ausschüssen der Freihandelsabkommen sowie den verschiedenen Assoziationsräten" der Fall sei, findet in der Rechtsprechung des EuGH keine Stütze. 208 Vgl. Vedder, OS Grabitz, 795 (797 ff.); Ott, 177; ausführlich Gilsdoif. EuZW 1991, 459 (462 ff.). 205

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A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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b) Streitbeilegungsentscheidungen Problematischer ist die unmittelbare Anwendbarkeit von Streitbeilegungsentscheidungen internationaler Gerichte. Bislang hat der EuGH nicht entschieden, ob die Entscheidungen von Gerichtsorganen, welche durch Gemeinschaftsabkommen geschaffen wurden, unmittelbar anwendbar sein können. 209 Allerdings hat er im Gutachten 1191 einen interessanten Hinweis auf die innergemeinschaftlichen Wirkungen solcher Entscheidungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung gegeben. In Fällen, in denen ein internationales Abkommen ein eigenes Gerichtssystem mit einem Gerichtshof vorsieht, der für die Regelung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien dieses Abkommens und damit für die Auslegung seiner Bestimmungen zuständig ist, seien die Entscheidungen dieses Gerichtshofes für die Organe der Gemeinschaft, einschließlich des Gerichtshofes, verbindlich. Dies gelte auch dann, wenn er im Wege der Vorabentscheidung oder im Rahmen einer Klage über die Auslegung des internationalen Abkommens als Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft zu entscheiden habe. 210 Hiernach wäre der EuGH, wenn er Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens auslegt, an die Auslegungen gebunden, die die entsprechenden Bestimmungen in Entscheidungen vertraglicher Gerichtsinstanzen gefunden haben. Der EuGH präzisierte nicht, ob er auch an die Auslegungen gebunden sei, die in Streitbeilegungsverfahren erfolgt sind, an denen die Gemeinschaft nicht beteiligt war. Dagegen spricht die strikte Inter-partes-Wirkung solcher Streitbeilegungsentscheidungen. 211 In der weiteren Rechtsprechungspraxis des EuGH hat die zitierte Passage des Gutachtens 1191 keinen Widerhall gefunden. So hat der Gerichtshof in dem Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994, in dem er Deutschland, das die Ungültigkeit der Bananenmarktordnung212 angrei209 Im Schrifttum war die unmittelbare Anwendbarkeit der Berichte der GATI-Panels umstritten. Für die unmittelbare Anwendbarkeit sprachen sich Bast/Schmidt, RIW 1991 , 929 (933), aus; dagegen Ott, 179. Zum Begriff des Sekundärrechts im Bereich des GATI 1947 siehe ausführlich Benedek, 94 ff. Auf die Diskussion um die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Streitbeilegungsentscheidungen soll erst unten, in Teil4, A., eingegangen werden. 210 EuGH- Gutachten 1191- Slg. 1991, 1-6079 (6106), Rn. 39. 211 Zur möglichen Berücksichtigung von Panel-Entscheidungen zum GAlT 1947 als nachfolgende Praxis im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVRK siehe Benedek, 144, 153 ff. Im Rahmen des WTO-Streitbeilegungssystems kann eine Vertragsänderung durch nachfolgende Praxis wegen der Überwindung des (positiven) Konsenserfordernisses im DSU nicht mehr angenommen werden; differenzierend Tietje, 127 ff. 212 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABI. 1993 L 47, 1. II Hermes

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Tei12: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

fen wollte, die Berufung auf das GATI 1947 verwehrt, 213 und dabei ignoriert, daß ein GATI-Panel schon am 18. Januar 1994 festgestellt hatte, daß die fragliche Verordnung gegen einige Vorschriften des GATI 1947 verstößt. 214 Vermutlich lehnt der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit von Streitbeilegungsentscheidungen dann ab, wenn sie ein Abkommen betreffen, dem er die unmittelbare Anwendbarkeit abspricht. Dabei übersieht er, daß Streitbeilegungsentscheidungen eine größere Präzision aufweisen können als die betroffene Abkommensbestimmung, weswegen eine besondere Beurteilung ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit angezeigt sein könnte. 215

2. Schadensersatzansprüche Wenn die Gemeinschaft oder ein Mitgliedstaat Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen verletzen und einzelnen dadurch Schäden entstehen, so werden diese daran interessiert sein, wegen der Abkommensverstöße im Klagewege Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dabei können sich Ansprüche sowohl gegen die Gemeinschaft als auch gegen die Mitgliedstaaten richten.

a) Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft Zunächst ist an den Fall zu denken, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber Sekundärrecht schafft oder beibehält, welches gegen Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen verstößt. Sofern einzelne hierdurch Schäden erleiden, werden sie diese vor dem EuG bzw. dem EuGH nach Art. 288 Abs. 2 EGV geltend machen und sich darauf berufen, die Gemeinschaftsorgane hätten bei ihrer legislatorischen Tätigkeit gegen die höherrangigen Abkommensbestimmungen verstoßen. Die Gemeinschaft haftet nach Art. 288 Abs. 2 EGV für den "durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994,1-4973 (5071 ff.), Rn. 103 ff. Panel Report vom 18. Januar 1994 "EEC-Import Regime forBananas", GATT Doc. DS38/R. Allerdings wurde der Panel-Bericht von den VERTRAGSPARTElEN nicht angenommen und hat damit keine Bindungswirkung entfaltet. Zur GATT-Widrigkeit der EGBananenmarktordnung ausführlich Cascante/Sander, 72 ff. 21 s V gl. für den Fall abstrakt-generellen Sekundärrechts das Urteil EuGH - Sevince, C-192/89- Slg. 1990, 1-3461 (3501 ff.), Rn. 14 ff., in dem der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit eines Sekundärrechtsaktes bejahte, obwohl das Abkommen selbst seiner Ansicht nach nicht unmittelbar anwendbar war, EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3753), Rn. 24. 213

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A. Unmittelbare Anwendbarkeit

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Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind". Solche Ansprüche sind nach Art. 235 EGV vor dem EuGH geltend zu machen. Es kann an dieser Stelle nicht auf alle Voraussetzungen der Haftung eingegangen werden, die der EuGH rechtsvergleichend entwickelt hat. 216 Jedenfalls muß die verletzte Normden Schutz der Interessen des Geschädigten bezwecken.217 Da also eine individualschützende Schutzrichtung gefordert wird, kann nur die Verletzung unmittelbar anwendbarer Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen geltend gemacht werden. In der Rechtssache Atlanta, wo die Klägerin gegenüber der Gemeinschafts einen Schadensersatzanspruch u. a. mit der Begründung geltend machte, die Bananenmarktverordnung verstoße gegen Vorschriften des GATI 1947, lehnte das EuG diese Anspruchsbegründung unter Verweis auf das Urteil des EuGH in Deutschland/Rat ab.218 Dort war die Berufung auf das GATI 1947 als Rechtmäßigkeitsmaßstab gescheitert, weil der Gerichtshof dessen Vorschriften die unmittelbare Anwendbarkeit abgesprochen hatte. 219 Aus Sicht des EuG sprach also die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 dagegen, im Falle von GATI-Verletzungen durch die Gemeinschaft Schadensersatzansprüche nach Art. 288 Abs. 2 EGV zu erheben. Soweit es um die Haftung von Gemeinschaftsorganen für legislatorisches Unrecht geht, hat der EuGH, um einer ausufernden Haftung entgegenzuwirken, bereits früh das weitere einschränkende Kriterium eingefügt, es müsse sich um eine "hinreichend qualifizierte Verletzung" höheren Rechts handeln. 220 Nach den Grundsätzen des Urteils Brasserie du Pecheur21 ist zu fragen, ob der Normsetzer 216 Siehe hierzu Gilsdorf/Oliver, in: von der Groeben!Thiesing/Ehlermann, Art. 215, Rn. 12 ff. 217 St. Rspr. seit EuGH- Kampffmeyer/Kornmission, 5, 7/66- Slg. 1967, 351 ff. 218 EuG- Atlanta/Rat und Kommission- Slg. 1996, 11-1707, Rn. 77 f. 219 EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5073), Rn. 109. In seinen Schlußanträgen hatte Generalanwalt Gulmann die Möglichkeit angedeutet, daß ein Abkommen zwar nicht unmittelbar anwendbar ist, aber dennoch als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 173 EWGV dienen könne: ,,Es ist möglich, daß sich die Betroffenen in einem Verfahren nach Art. 173 auf ein Abkommen berufen können, auch wenn dies keine unmittelbare Wirkung hat. Es kann jedoch auch so sein, daß die Gründe, die zur Vemeinung der unmittelbaren Wirkung des Abkommens führen, so geartet sind, daß sie zugleich zu der Auffassung führen müssen, daß das Abkommen kein Teil der Grundlage der Rechtsmäßigkeitsprüfung des Gerichtshofes sein kann." (5023, Anm. 137) Letztere Möglichkeit sah der Generalanwalt beim GATT als gegeben an. 220 St. Rspr. seit EuGH- Schöppenstedt/Rat, 5171- Slg. 1971, 975 ff. 221 Das Urteil Brasserie du Pecheur betrifft nicht die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. I EGV, sondern den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

"die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat". Um dies zu beurteilen, sind "das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift", der "Umfang des Ermessensspielraurns", die Frage, ob Verstoß und Schaden vorsätzlich oder nur fahrlässig herbeigeführt wurden, zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sei jedenfalls dann "offenkundig qualifiziert, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungsverlabren oder aber einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat". 222 Überträgt man dies auf den Fall der Verletzung von Gemeinschaftsabkomrnen, so hätte ein Schadensersatzanspruch jedenfalls dann Aussicht auf Erfolg, wenn Gemeinschaftsorgane gegen Gemeinschaftsabkommen verstoßendes Sekundärrecht erließen oder beibehielten, obwohl der EuGH oder das EuG dazu bereits entschieden haben. Ob wegen Offenkundigkeit ein "hinreichend qualifizierter Verstoß" gegen ein Gemeinschaftsabkommen bereits dann vorliegt, wenn nicht der EuGH, sondern ein internationales Streitbeilegungsgremium feststellt, die Gemeinschaft habe gegen das Abkommen verstoßen, ist bisher offen. 223 Die Konsequenzen eines solchen Ansatzes wären im Hinblick auf die Feststellung "qualifizierter Verstöße" beträchtlich. Ein internationales Streitbeilegungsgremium würde nämlich, wenn es in einem Vertragsverletzungsverfahren zu beurteilen hätte, ob die Gemeinschaft eine bestimmte Abkommensbestimmung verletzt hat, nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Abkommensbestimmung eingehen, da die unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen solcher Verfahren auf internationaler Ebene keine Bedeutung hat. Folglich würde es Verstöße der Gemeinschaft gegen Vorschriften aus Gemeinschaftsabkommen auch dann feststellen, wenn der EuGH auf interner Ebene wegen fehlender unmittelbarer Anwendbarkeit der Vorschriften darüber nicht judizieren würde. Insofern könnte sich die Offenkundigkeit eines Verstoßes aus internationalen Streitbeilegungsentscheidungen auch dann ergeben, wenn es wegen fehlender unmittelbarer Anwendbarkeit

tungsanspruch gegen Mitgliedstaaten. Doch hat der Gerichtshof unterstrichen, das Kriterium des ,,hinreichend qualifizierten Verstoßes" in beiden Konstellationen- mutatis mutandis- gleich zu verstehen, EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93 - Slg. 1996, 1-1029 (1150), Rn. 55. 222 EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93- Slg. 1996, 1-1029 (1150), Rn. 55 ff. 223 Für einen "hinreichend qualifizierten Verstoß" in solchen Fällen Reinisch, EuZW 2000, 42 (49 f.).

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keine Judikatur des EuGH gäbe. 224 Vieles spricht für die Annahme, ein offenkundiger und damit "hinreichend qualifizierter" Verstoß des Gemeinschaftsgesetzgebers gegen ein Gemeinschaftsabkommen läge bereits dann vor, wenn ein internationales Streitbeilegungsgremium festgestellt hat, daß die fragliche Gemeinschaftshandlung gegen das Abkommen verstößt. Denn der EuGH selbst hat solchen Entscheidungen internationaler Streitbeilegungsgremien innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung einen hohen Stellenwert eingeräumt. 225 Im Ergebnis wird man auf die Qualität des jeweiligen Streitbeilegungssystems abzustellen haben. Die dritte Haftungsvoraussetzung, die Kausalität zwischen der Abkommensverletzung durch die Gemeinschaft und dem Schaden,226 dürfte in der Praxis die wenigsten Schwierigkeiten bereiten.

b) Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegen Mitgliedstaaten Da die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" sind, dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen treffen, die damit nicht im Einklang stehen. Verstoßen sie gegen Gemeinschaftsabkommen und erleiden einzelne dadurch einen Schaden, so kommen Ansprüche gegen die Mitgliedstaaten in Betracht. Einen solchen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, mit dem einzelne gegen Mitgliedstaaten vorgehen können, hat der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu verwirklichen. Ausgangspunkt war das Urteil in Francovich221 , wo die Haftung der Mitgliedstaaten für die Nichtumsetzung von Richtlinien entwickelt wurde. In dem Urteil Brasserie du Pecheur28 hat der EuGH die Haftung auf Fälle ausgedehnt, in denen Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften beibehalten, die gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstoßen. Der EuGH hat sich bislang nicht dazu geäußert, ob einzelnen Schadensersatzansprüche gegen Mitgliedstaaten auch dann zu224 Ein Anspruch aus Art. 288 Abs. 1 EGV würde in solchen Fällen wohl dennoch scheitern, da die erste Haftungsvoraussetzung, die individualschützende Richtung, zu verneinen wäre. 225 Vgl. EuGH- Gutachten l/91- Slg. 1991, 1-6079 (6106), Rn. 39. 226 Vgl. EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93 - Slg. 1996, 1-1029 (1149), Rn. 51. 227 EuGH- Francovich, C-6/90 und C-9/90- Slg. 1991 , 1-5357 ff. 228 EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93- Slg. 1996, 1-1029 ff.

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Teil2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

stehen, wenn letztere Rechtsnormen schaffen oder beibehalten, die Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen verletzen. Für eine solche Ausweitung der Rechtsprechung spricht zunächst, daß Gemeinschaftsabkommen ebenso wie Richtlinien oder primärrechtliche Vorschriften Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind. Insofern scheint also die ratio für den Staatshaftungsanspruch, wie sie in Franeovieh formuliert wurde, 229 auch den Fall der Verletzung von Gemeinschaftsabkommen zu erfassen. Zu prüfen wäre in jedem Einzelfall, ob die im Urteil Brasserie du Peeheur aufgestellten Haftungsvoraussetzungen, "daß die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, daß der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und schließlich daß zwischen dem Verstoß( ... ) und dem( ... ) Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht", 230 vorliegen. Während die dritte Voraussetzungwie beim Anspruch nach Art. 288 Abs. 1 EGV - in der Regel keine Problerne bereiten dürfte, können die ersten beiden Haftungsvoraussetzugen in der Praxis Schwierigkeiten bereiten. Die Bestimmung aus dem Gemeinschaftsabkommen, gegen die der Mitgliedstaat verstößt, müßte unmittelbar anwendbar sein. In Brasserie du Peeheur, wo es um die Verletzung von Vorschriften des EGV durch einen Mitgliedstaat ging, führte der EuGH aus, daß "der Entschädigungsanspruch die notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung" darstelle, und stützte die Haftung darauf, daß die verletzten primärrechtlichen Vorschriften unmittelbar anwendbar waren. 231 Dies ergibt sich auch aus den Schlußanträgen von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache Chiquita ltalia. Dort waren dem EuGH die Fragen vorgelegt, ob das GATT 1947 unmittelbar anwendbar sei undob-fallsja-bestimmte italienische Steuergesetze dagegen verstießen und deswegen von den mitgliedstaatliehen Gerichten nicht angewendet werden dürften. Die in dem Ausgangsrechtsstreit beteiligte Firma Chiquita ltalia bat den Gerichtshof, er möge die Vereinbarkeit der nationalen Vorschrift mit dem GATT 1947 auch prüfen, falls er die unmittelbare Anwendbarkeit des GATT 1947 verneint. Die Firma berief sich 229 EuGH- Francovich, C-6/90 und C-9/90- Slg. 1991, 1-5357 (5379), Rn. 33: "Die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wäre beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der einzelne nicht die Möglichkeit hätte, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, daß seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzte werden, der einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist." 230 EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93- Slg. 1996, 1-1029 (1149), Rn. 51. 231 EuGH- Brasserie du Pecheur, C-46/93 und C-48/93- Slg. 1996, 1-1029 (1143), Rn. 22 f., 54.

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auf das Urteil in Franeovieh und meinte, eine enstprechende Entscheidung des EuGH könnte die Grundlage für eine spätere Schadensersatzforderung gegen den italienischen Staat bilden.232 Generalanwalt Lenz lehnte diese Argumentation ab. Da das GATI 1947 nicht unmittelbar anwendbar sei, komme auch ein Schadensersatzanspruch wegen dessen angeblicher Verletzung nicht in Betracht. Denn der GATI-Rechtsprechung des EuGH liege "letztlich die Erwägung zugrunde, daß eine Verletzung durch einzelne Vertragsparteien nichtjustiziabel sein soll, sondern vielmehr von den betroffenen Vertragsparteien oder allen Vertragsparteien zusammen auf der Grundlage der im GATI vorgesehenen Konfliktregelungsmechanismen zu behandeln ist". Die Regelung von Konflikten sei also den Vertragsparteien des GATI vorbehalten. Hiermit sei die Auffassung der Firma Chiquita Italia nicht zu vereinbaren. Denn "[s]präche man( ... ) den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern im Falle der Verletzung von Vorschriften des GATI durch einen Mitgliedstaat einen Schadensersatzanspruch gegen diesen Mitgliedstaat zu, so würde man diesen Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit geben, die Einhaltung des GATI - mittelbar - zu erzwingen".233 Auch bei dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen Mitgliedstaaten kommt es, sofern es sich um Fälle legislatorischen Unrechts handelt, darauf an, daß der Verstoß des Normsetzers gegen das Gemeinschaftsabkommen "hinreichend qualifiziert" ist. Man wird hier ebenso wie bei der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. 1 EGV die Offenkundigkeil des Verstoßes für den Gesetzgeber dann bejahen können, wenn entweder der EuGW34 oder ein internationales Streitbeilegungsgremium feststellt hat, die fragliche Maßnahme verstoße gegen das Abkommen. 232 V gl. Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz zu EuGH - Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4542 f.), Anm. 19. 233 Schlußanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz zu EuGH - Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4543), Anm. 21. Der EuGH äußerte sich hierzu nicht, da er die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1947 verneinte und deshalb auf die weiteren Fragen nicht mehr einzugehen hatte, EuGH - Chiquita Italia, C-469/93 Slg. 1995, 1-4533 (4565 ff.), Rn. 24 ff. , 39. 234 So hätte die Firma Chiquita Italia vor den italienischen Gerichten mit guten Erfolgsaussichten gegen den italienischen Staat vorgehen können, wenn sie dabei nicht auf die Verletzung des GATI 1947, sondern auf die des Lome-Abkornmens abgestellt hätte. Da der EuGH in Chiquita Italia sowohl die unmittelbare Anwendbarkeit der fraglichen Bestimmung des Lome-Abkornmens als auch die Unvereinbarkeit der einschlägigen italienischen Steuervorschriften mit dieser Vertragsbestimmung, EuGH - Chiquita Italia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4533 (4568 ff.), Rn. 30 ff., 38 ff., waren beide Haftungsvoraussetzungen, unmittelbare Anwendbarkeit und .,hinreichende Qualifikation" gegeben.

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Tei12: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

3. Zusammenfassung Der EuGH erkennt abstrakt-generelle Rechtsnormen, die von Organen erlassen werden, die durch Gemeinschaftsabkommen geschaffen wurden (Sekundärrecht), unter denselben Voraussetzungen als unmittelbar anwendbar an wie die völkervertraglichen Bestimmungen (Prirnärrecht) selbst. Im Schriftturn wird dies ebenfalls befürwortet. Die Haltung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Entscheidungen internationaler Streitbeilegungsgremien ist noch offen. Einerseits sieht er sich im Gutachten 1191 an die Entscheidungen solcher Gremien gebunden, wenn sie durch Gemeinschaftsabkommen eingesetzt sind und Bestimmungen des Abkommens auslegen. Andererseits wird er die unmittelbare Anwendbarkeit solcher Streitbeilegungsentscheidungen dann ablehnen, wenn sie Vorschriften betreffen, deren gemeinschaftsrechtliche unmittelbare Anwendbarkeit er ablehnt. Verstoßen Gemeinschaftsorgane gegen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens und erleiden einzelne dadurch einen Schaden, so könnten letztere gegen die Gerneinschaft Schadensersatzsprüche nach Art. 288 Abs. 1 EGV geltend machen. Bei Verstößen von Mitgliedstaaten kommen gegen diese gemeinschaftsrechtliche Staatshafungsansprüche in Betracht. Der EuGH hat noch nicht geklärt, wie das Kriterium des "hinreichend qualifizierten Verstoßes" zu verstehen ist, wenn Gemeinschaftsorgane oder Mitgliedstaaten gegen Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen verstoßen. Richtigerweise liegt ein offenkundiger, und damit "hinreichend qualifizierter" Verstoß nicht erst dann vor, wenn der EuGH diesen festgestellt hat, sondern bereits dann, wenn eine einschlägige Entscheidung eines internationalen Streitbeilegungsgremiurns vorgelegen hat.

B. Mittelbare Anwendbarkeit Die unmittelbare Anwendbarkeit ist zwar die stärkste, aber nicht die einzige Wirkung, die eine Bestimmung eines Gemeinschaftsabkommens in der Gerneinschaftsrechtsordnung entfalten kann. Unterhalb der Schwelle der unmittelbaren Anwendbarkeit gibt es andere Wirkungen, auf die einzelne sich vor den Gemeinschaftsgerlebten berufen können, wenn sie die ihnen günstigen Rechtsfolgen von Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen nutzen wollen. Eine davon ist die sogenannte "mittelbare Anwendbarkeit". Im Unterschied zur unmittelbaren Anwendbarkeit ist es den einzelnen hier nicht möglich, sich unmittelbar, d. h. ohne daß eine interne Rechtsnorm dazwischentritt, auf die Abkommensbestimmung zu

B. Mittelbare Anwendbarkeit

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stützen. Vielmehr müssen die Wirkungen der Abkommensbestimmung durch einen internen Rechtsakt vermittelt werden. Eine solche "mittelbare Anwendbarkeit" von Abkommensvorschriften hat der EuGH in zwei Konstellationen anerkannt. Die indirekte Berufung auf Gemeinschaftsabkommen ist möglich, wenn ein in einem Rechtsstreit einschlägiger Sekundärrechtsakt auf ein Gemeinschaftsabkommen verweist (Fediol-Doktrin) oder der einschlägige Sekundärrechtsakt erkennbar erlassen wurden, um ein Gemeinschaftsabkommen umzusetzen (Nakajima-Doktrin).

I. Die Fediol-Doktrin In der Rechtssache Fediol hatte sich die Vereinigung der Ölmühlenindustrie der EWG (Fediol) im Wege der Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung der Kornmission gewandt, die diese aufgrund der Verordnung Nr. 2641184 (sog. "Neues Handelspolitisches Instrument")235 getroffen hatte. Im Rahmen der Verordnung Nr. 2641184 war es Gemeinschaftserzeugern möglich, sich an die Kommission zu wenden, damit diese gegen Handelspraktiken von Drittländern vorgehe, die "was den internationalen Handel betrifft, mit den Regeln des Völkerrechts oder den allgemein anerkannten Regeln unvereinbar sind" (Art. 2 Abs. 1). Fediol hatte sich in ihrem Antrag gegen eine Handelspraktik Argentiniens - es handelte sich um ein System differenzierter Abgaben auf die Ausfuhr unterschiedlicher Sojaerzeugnisse - gewandt, die ihrer Auffassung nach gegen die Art. III, XI, XX und XXIII GATT 1947 verstieß. Die Kornmission wies diesen Antrag in der angefochtenen Entscheidung zurück, weil die argentimsehe Praktik ihrer Meinung nach die von Fediol angeführten GATI-Bestimmungen nicht verletzte. Gegen diese Entscheidung der Kornmission erhob Fediol eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 2 EGV zum EuGH. Während die Kornmission im Verfahren vor dem EuGH meinte, die Klage sei unzulässig, da die von ihr ausgelegten GATIBestimmungen nicht unmittelbar anwendbar seien,236 war der Gerichtshof anderer 235 Verordnung (EWG) Nr. 2641184 des Rates vom 17.9.1984 zur Stärkungder gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken, ABI. 1984 L 252, 1. Das "Neue Handelspolitische Instrument" ist inzwischen durch die Handelshemmnis-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates vom 22.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABI. 1994 L 349, 71; geändert durch Verordnung (EG) Nr. 356/95, ABI. 1995 L 41, 3) ersetzt. Ausführlich hierzu Berrisch/Kamann, EuZW 1999, 101 ff. 236 Vgl. EuGH- Fediol, 70/87- Slg. 1989, 1781 (1830), Rn. 18.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Auffassung. Aus seiner Rechtsprechung zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1947 könne man "nicht herleiten, daß die Rechtsbürger sich vor dem Gerichtshof nicht auf die Bestimmungen des GATI berufen können, um feststellen zu lassen, ob ein Verhalten, das in einem gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 2641184 gestellten Antrag beanstandet wird, eine unerlaubte Handelspraktik im Sinne dieser Verordnung darstellt". Die GATI-Bestimmungen seien "Bestandteil der Regeln des Völkerrechts, auf die Artikel 2 Absatz 1 der genannten Verordnung verweist". Die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des GATI hindere den Gerichtshof "nicht daran, die Regeln des GATI im Hinblick auf einen bestimmten Fall auszulegen und anzuwenden, um zu prüfen, ob gewisse Handelspraktiken als unvereinbar mit diesen Regeln anzusehen sind". Die GATI-Bestimmungen hätten "einen eigenständigen Gehalt, der bei ihrer Anwendung im Einzelfall im Wege der Auslegung näher zu bestimmen ist". 237 Der Gerichtshof schlußfolgerte: "Da die Verordnung Nr. 2641/84 den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern das Recht verleiht, sich in dem von ihnen bei der Kornmission eingereichten Antrag auf die Bestimmungen des GATI zu berufen, um darzulegen, daß die Handelspraktiken, durch die sie sich für geschädigt halten, unerlaubt sind, haben diese Wirtschaftsteilnehmer folglich auch das Recht, den Gerichtshof anzurufen, um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen zu lassen, mit der die Kornmission diese Bestimmungen angewandt hat. " 238 Im Ergebnis war die Klage von Fediol daher zulässig. 239 Aus der Rechtssache Fediol ergibt sich nicht nur, daß der EuGH auch Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen, die - wie die des GATI 1947 - aus seiner Sicht nicht unmittelbar anwendbar sind, auslegen und anwenden kann. Denn dies ergibt sich bereits aus deren Geltung als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung". 240 Entscheidend ist vielmehr, daß sich einzelne vor dem EuGH auf diese Abkommensbestimmungen - ungeachtet deren

EuGH - Fediol, 70/87 - Slg. 1989, 1781 (1830 f.), Rn. 19 f. EuGH- Fediol, 70/87- Slg. 1989, 1781 (1831), Rn. 22. 239 Im Rahmen der Begründetheit konnte der EuGH jedoch keinen Verstoß der argentinischen Handelspraktik gegen das GATT 1947 feststellen, vgl. EuGH- Fediol, 70/87Slg. 1989, 1781 (1832 ff.), Rn. 24 ff. 240 Sehr deutlich Generalanwalt van Gerven in seinen Schlußanträgen zu EuGH - Fediol, 70/87- Slg. 1989, 1797 (1806), Anm. 12, wo er betont, daß der Gerichtshof berechtigt und verpflichtet ist, "Vertragsbestimmungen auszulegen, wenn diese Bestimmungen in der eigenen Rechtsordnung( ... ) anwendbar geworden sind, und dies ungeachtet der Frage, ob, in welchem Umfang und wie leicht einzelne aus der betreffenden Bestimmung Rechte herleiten können". 237 238

B. Mittelbare Anwendbarkeit

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fehlender unmittelbarer Anwendbarkeit - berufen können, wenn ein gemeinschaftlicher Sekundärrechtsakt, der ihnen Rechte verleiht, darauf verweist.

II. Die Nakajima-Doktrin

Eine weitere Möglichkeit für einzelne, vor Gemeinschaftsgerichten Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen geltend zu machen, auch wenn diese nicht unmittelbar anwendbar sind, eröffnet das Urteil des EuGH in der Rechtssache Nakajima. Dort hatte die Firma Nakajima, deren Produkteaufgrund der Verordnung Nr. 2423/88 (sog. Antidumping-Verordnung)241 mit einem Antidumpingzoll belegt worden waren, vor dem EuGH geltend gemacht, Vorschriften der Verordnung verstießen gegen den GATT-Antidumping-Kodex242 und seien deshalb unanwendbar. Im Verfahren vor dem EuGH wandte der Rat ein, die Klägerin könne sich nicht auf Vorschriften des Anti-Dumping-Kodex berufen, da diese- wie die Bestimmungen des GATI 1947- nicht unmittelbar anwendbar seien. Der Gerichtshof hielt dieses Argument des Rates für nicht stichhaltig, da es auf die unmittelbare Anwendbarkeit des Anti-Dumping-Kodex gar nicht ankomme. Denn aus der zweiten Begründungserwägung der Präambel der Verordnung Nr. 2423/88 ("Diese Regelung wurde in Übereinstimmung mit den bestehenden Verpflichtungen festgelegt, insbesondere denjenigen, die sich aus Artikel VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens - nachstehend ,GATI' genannt-, aus dem dem Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des GATI (Antidumping-Kodex von 1979) und aus dem Übereinkommen zur Auslegung und Anwendung der Artikel VI, XVI und XXIII des GATI (Kodex über Subventionen und Ausgleichszölle) ergeben.")243 sei ersichtlich, daß die angegriffene Verordnung "zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft erlassen" wurde. In einem solchen Fall müsse der Gerichtshof überprüfen, ob die internationalen Verpflichtungen tatsächlich einge241 Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern, ABI. 1988 L 209, 1. 242 Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, angenommen seitens der Gemeinschaft durch den Beschluß 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979, ABI. 1979 L 71, 1. 243 Zweite Begründungserwägung der Präambel zur Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern, ABI. 1988 L 209, 1.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

halten wurden oder ob "der Rat den in dieser Weise festgelegten rechtlichen Rahmen überschritten hat". 244 Aus dem Urteil in der Rechtssache Nakajima geht hervor, daß einzelne die Ungültigkeit einer Gemeinschaftshandlung vor dem EuGH mit der Begründung, sie verstoße gegen die Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens, geltend machen können, wenn die Gemeinschaftshandlung erkennbar erlassen wurde, um die Verpflichtungen der Gemeinschaft aus dem Gemeinschaftsabkommen zu erfüllen. In ihren Konturen ist diese Nakajima-Doktrin bislang jedoch äußerst unscharf. Vor allem ist angesichts einer fehlenden Entscheidungspraxis des EuGH weitgehend ungeklärt, welche Anforderungen dieser an die Qualität der vermittelnden Gemeinschaftshandlung stellt.

1. Erkennbarkeif der Umsetzungsabsicht

Zunächst stellt sich die Frage, inwieweit die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, mit dem Sekundärrechtsakt die Verpflichtung der Gemeinschaft aus einem Gemeinschaftsabkommen zu erfüllen, im Wortlaut des Sekundärrechtaktes zum Ausdruck kommen muß. Bei der Verordnung Nr. 2423/88, die dem Urteil Nakajima zugrunde lag, ergab sich die Umsetzungsabsicht eindeutig aus deren Präambel. Klar im Anwendungsbereich des Nakajima-Urteils liegen daher die Fälle, in denen die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, Verpflichtungen aus einem Gemeinschaftsabkommen umzusetzen, in der Präambel des fraglichen Sekundärrechtsaktes zum Ausdruck kommt. Dies hat der EuGH in Nakajima jedoch nicht ausdrücklich gefordert, stellte er doch vor allem darauf ab, daß der fragliche Sekundärrechtsakt "zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft erlassen" wurde. Dies wäre auch bei solchen Sekundärrechtsakten der Fall, die zur Umsetzung von Gemeinschaftsabkommen erlassen werden, ohne daß diese Absicht in der Präambel ihren Ausdruck findet. Im Schrifttum wird daher die Ansicht vertreten, der Anwendungsbereich der Nakajima- Doktrin sei bereits dann eröffnet, wenn sich die Umsetzungsabsicht des Gemeinschaftsgesetzgebers aufgrund objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Umstände, wie Ziel und Inhalt des Rechtsaktes, ermitteln lasse. 245 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da zentrales Element der ratio decidendi des Nakajima-Urteils die Umsetzungsabsicht des 244 EuGH- Nakajima, C-69/89- S1g. 1991, 1-2069 (2178), Rn. 28 ff. Im Ergebnis konnte der EuGH keine Verletzung des Antidumping-Kodex durch die Verordnung feststellen, vgl. Rn. 33-42. 245 So Berrisch/Kamann, EWS 2000, 89 (95 f.).

B. Mittelbare Anwendbarkeit

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Gemeinschaftsgesetzgebers ist, und nicht deren Festschreibung in der Präambel. Andererseits gilt es zu bedenken, daß der Anwendungsbereich der NakajimaDoktrin als Ausnahme zum Prinzip, daß die Gültigkeit von Sekundärrechtsakten nur an unmittelbar anwendbaren Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen gemessen werden kann, nicht überdehnt werden sollte. Insofern darf die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, durch eine Gemeinschaftshandlung Verpflichtungen aus einem Gemeinschaftsabkommen umzusetzen, nicht vorschnell unterstellt werden. Eindeutig außerhalb des Anwendungsbereichs liegen daher die Fälle, in denen ein Sekundärrechtsakt bloß ein allgemeines Bekenntnis "zur Einhaltung verschiedener internationaler Verpflichtungen" enthält. 246 Die als selbstverständlich zu unterstellende Absicht, internationale Verpflichtungen einzuhalten, ist nicht gleichbedeutend mit der Absicht, ein konkretes Gemeinschaftsabkommen umzusetzen. 247

2. Umsetzung durch Ergänzung bestehender Sekundärrechtsakte Ein weiteres ungeklärtes Problem im Zusammenhang mit der NakajimaDoktrin ist die Frage, wie Sekundärrechtsakte zu behandeln sind, die bereits bestehende Sekundärrechtsakte ändern oder ergänzen, um den Verpflichtungen aus Gemeinschaftsabkommen zu entsprechen. Kommt der Gemeinschaftsgesetzgeber erkennbar den Verpflichtungen aus einem Gemeinschaftsabkommen dadurch nach, daß er einen bereits bestehenden Rechtsakt ändert, so könnte entweder nur die Neuregelung oder aber der gesamte (konsolidierte) Rechtsakt inklusive der Alt- und Neuregelungen als Umsetzungsakt im Sinne der NakajimaDoktrin anzusehen sein. Für die erste Auffassung könnte sprechen, daß nur der neue Teil geschaffen wurde, um Pflichten aus einem Gemeinschaftsabkommen umzusetzen. Andererseits könnte es in der Praxis schwierig sein, zwischen der Neuregelung und dem Rest des novellierten Rechtsaktes zu differenzieren, falls diese eng ineinandergreifen. Außerdem bringt der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Neuregelung zum Ausdruck, daß seiner Ansicht nach nicht nur die Neurelung für sich, sondern auch die nicht veränderten Vorschriften den Anforderungen des Gemeinschaftsabkommens genügen. Dies spricht letztlich 246 So die dritte Begründungserwägung der Bananenmarktverordnung Nr. 404/93, ABI. 1993 L 47, 1. 247 Zutreffenderweise sah daher der EuGH in der dritten Begründungserwägung der Bananenmarktverordnung Nr. 404/93 keinen Anwendungsfall der Nakajima-Doktrin und prüfte die Verordnungtrotz dieses Bekenntnisses nicht am Maßstab des GATI 1947, vgl. EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 (5073 f.), Rn. 111.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

dafür, auch deren Überprüfung anband des Gemeinschaftsabkommens zuzulassen.248

ßl. Zusammenfassung Nach den Prinzipien, die der EuGH in den Urteilen Fediol und Nakajima entwickelt hat, können sich einzelne auf Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen auch dann berufen, wenn letztere nicht unmittelbar anwendbar sind. Dies ist dann möglich, wenn der angegriffene Sekundärrechtsakt (i. d. R. eine Kommissionsentscheidung) auf einem anderen Sekundärrechtsakt beruht, der ausdrücklich auf Gemeinschaftsabkommen verweist (Fediol), oder der angegriffene Sekundärrechtsakt erkennbar erlassen wurde, um eine konkrete völkervertragliche Verpflichtung der Gemeinschaft zu erfüllen (Nakajima). 249 Gegenüber der unmittelbaren Anwendbarkeit hat die Berufung auf Abkommensbestimmungen nach der Fediol- und der Nakajima-Doktrin den Vorteil, daß an die Qualität der Abkommensbestimmungen keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Das Augenmerk des EuGH gilt weniger der Abkommensbestimmung als vielmehr der einschlägigen "vermittelnden" sekundärrechtlichen Bestimmung. Der Nachteil dieser Wirkung besteht allerdings darin, daß sie stets über einen - verweisenden oder implementierenden - Sekundärrechtsakt vermittelt werden muß. Soweit solche Sekundärrechtsakte nicht einschlägig sind, bleibt den einzelnen die mittelbare Anwendbarkeit versperrt. 250

C. Völkerrechtskonforme Auslegung Sind Bestimmungen aus einem Gemeinschaftsabkommen nicht unmittelbar anwendbar und bietet sich auch kein Ansatzpunkt für eine mittelbare Anwendbarkeit, so heißt dies nicht, daß sie in Verfahren vor Gemeinschaftsgerichten keine Bedeutung erlangen können. Sie können dadurch Berücksichtigung finden, daß 248 So auch Berrisch/Kamann, EWS 2000, 89 (96). 249 Bestätigt wurde diese Rechtsprechung in EuGH - Deutschland/Rat, C-280/93 - Slg. 1994, 1-4973 (5073 f.), Rn. 111. 250 Im Schrifttum wurde deshalb kritisch bemerkt, diese Doktrin ,.clear1y has a dualistic streak"; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (46).

C. Völkerrechtskonforme Auslegung

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die Gemeinschaftsgerichte sekundärrechtliche oder mitgliedstaatliche Vorschriften im Einklang mit diesen Abkommensbestimmungen auslegen.

I. Das Prinzip der völkerrechtskonformen Auslegung in anderen Rechtsordnungen Der Grundsatz, internes Recht nach Möglichkeit im Einklang mit dem anwendbaren Völkerrecht auszulegen, findet sich in zahlreichen Rechtsordnungen. Insbesondere in den Rechtssystemen, in denen völkerrechtliche Vertragsbestimmungen und Parlamentsgesetze auf gleicher Rangstufe stehen, sollen die Gerichte hiernach versuchen, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Verträgen und nachfolgenden Gesetzen dadurch zu venneiden, daß sie letztere im Einklang mit ersteren auslegen. 251 Soweit die betreffenden internen Rechtsakte eine solche Auslegung zulassen, kann hierdurch vermieden werden, daß der völkerrechtliche Vertrag intern durch den nachfolgenden Rechtsakt (Iex posterior derogat legi priori) verdrängt wird und so die völkerrechtliche Haftung ausgelöst wird. In den Vereinigten Staaten wurde dieses Prinzip früh durch den Supreme Court entwickelt. Chief Justice Marshall urteilte 1804 in dem Fall Charming Betsy "that an act of congress ought never to be construed to violate the law of nations, if any other possible construction remains". 252 Obwohl in der amerikanischen Rechtsordnung Bundesgesetze als lex posterior früheren völkervertraglichen Bestimmungen vorgehen, kann durch dieses Prinzip der .,consistent interpretation" in einigen Fällen vermieden werden, daß sich die Vereinigten Staaten völkerrechtswidrig verhalten. 253 Die deutschen Gerichte254 wenden das Prinzip der völker-

251 Dahinter steht die Vermutung, der nationale Gesetzgeber, dessen Konsens ja oftmals die Basis für die völkerrechtliche Bindung des Staates darstellt, habe keinen Konflikt zwischen der einschlägigen völkerrechtlichen Regel und dem nationalen Recht gewollt, vgl. Jennings/Watts, Bd. 111, § 20, 81 f. 252 Alexander Murray v. The Schooner Charming Betsy, 6 U.S. (2 Cranch) 64, 118 (1804); vgl. auch das Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States, Section 114 und 115 (1986). 253 Slyz. NYU J. Int'l L. & Pol. 28 (1996), 65 (85). 254 BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89); 64, 1 (20); siehe schon Preussisches Obertribunal (1851), Entscheidungen Bd. 21,442 (452); RGZ 24, 12 (13); zurdogmatischen Herleitung des Gebots der völkerrechtsfreundlichen Interpretation des deutschen Rechts siehe Tomuschat, HbStR VII, § 172, Rn. 27 f.

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

rechtsfreundlichen Interpretation ebenso an wie die Gerichte anderer europäischer Rechtsordnungen. 255

II. Die "Gemeinschaftsabkommen-konforme" Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts Im Gemeinschaftsrecht hat der EuGH für die unterschiedlichsten Konstellationen das Gebot aufgestellt, niedrigrangiges Recht nach Möglichkeit konform mit höherrangigem Recht auszulegen. So sind etwa Sekundärrechtsbestimmungen im Einklang mit Bestimmungen der Gründungsverträge, 256 Durchführungsverordnungen im Einklang mit der Grundverordnung257 und mitgliedstaatliches Recht im Einklang mit Richtlinien258 auszulegen. Den Grundgedanken dieser Rechtsprechung, Konflikte zwischen Normen unterschiedlicher Rangstufen durch Auslegung zu lösen, wendet der EuGH auch an, soweit es darum geht, Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen zu berücksichtigen. So folgerte der EuGH in der Rechtssache Poulsen und Diva Navigation aus der Prämisse, "die Befugnisse der Gemeinschaft [seien] unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben", die Auslegung einer Verordnung und die Bestimmung ihres Anwendungsbereichts habe "im Lichte des einschlägigen Seevölkerrechts zu erfolgen".259 In Kommission/Deutschland entschärfte der EuGH einen möglichen Konflikt zwischen einer EG-Verordnung und der im Rahmen der Tokyo-Runde ausgehandelten Internationalen Übereinkunft über Milcherzeugnisse, indem er die Verordnung im Einklang mit der Übereinkunft auslegte. Seiner Ansicht nach "gebietet es der Vorrang der von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, diese nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen".260 m Siehe die Hinweise zur dänischen, französischen, italienischen und britischen Rechtsordnung in Jacobs/Roberts, 33, 60, 100, 135, 137. 256 EuGH- Spanien/Kommission, C-135/93- S1g. 1995, 1-1651 (1683), Rn. 37. 257 EuGH- Dr. Tretter, C-90/92- Slg. 1993, 1-3569 (3581), Rn. 11. m EuGH- Marleasing, C-106/89- S1g. 1990, 1-4135 (4159), Rn. 8. 239 EuGH - Poulsen und Diva Navigation, C-286/90- S1g. 1992, 1-6019 (6052 f.), Rn. 9f. 260 EuGH- Kommission/Deutschland, C-61/94- Slg. 1996, 1-3989 (4021), Rn. 52. Auch in der Rechtssache Bettati, wo es um die Vereinbarkeit einer EG-Verordnung mit dem Wiener Übereinkommen und dem Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht ging, forderte der Gerichtshof, "Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ( ... )nach Mög-

C. Völkerrechtskonforme Auslegung

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Da der Vorrang der Gemeinschaftsabkommen vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht die Grundlage für das Gebot der "Gemeinschaftsabkommen-konformen Auslegung" ist, gilt das Gebot für alle Gemeinschaftsabkommen. Denn dieser Vorrang der Gemeinschaftsabkommen gilt unabhängig davon, ob das einschlägige Abkommen unmittelbar anwendbar ist oder nicht. So hat der EuGH das Gebot bei den unterschiedlichsten Gemeinschaftsabkommen berücksichtigt. 261 Einzelne können daher vor den Gemeinschaftsgerichten verlangen, daß Sekundärrechtsakte im Einklang mit Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen ausgelegt werden, ohne die unmittelbare Anwendbarkeit der fraglichen Abkommensbestimmungen nachweisen zu müssen. 262

m. Die "Gemeinschaftsabkommen-konfonne" Auslegung mitgliedstaatliehen Rechts

Das Gebot, internes Recht im Einklang mit Gemeinschaftsabkommen auszulegen, gilt auch, wenn Gemeinschaftsgerichte - hier sind ausschließlich die mitgliedstaatliehen Gemeinschaftsgerichte angesprochen- mitgliedstaatliches Recht auslegen. Dies folgt bereits daraus, daß die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" jeder mitgliedstaatliehen Norm vorgehen und die Mitgliedstaaten nach Art. 300 Abs. 7 EGV gegenüber der EG zur Einhaltung der Gemeinschaftsabkommen verpflichtet sind. Auch bei der Auslegung mitgliedstaatliehen Rechts gilt das Gebot der "Gemeinschaftsabkommen-konformen" Auslegung unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit der fraglichen Abkommensvorschrift. 263 Die mitgliedstaatliehen

lichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen", EuGH- Bettati, C-341/95- Slg. 1998, 1-4355 (4369 ff.), Rn. 20 ff. 261 EuGH - Poulsen und Diva Navigation, C-286/90- Slg. 1992, 1-6019 (6052 f.), Rn. 9 f. (UN-Seerechtskonvention von 1982 und Seevölkergewohnheitsrecht); EuGH Wemer, C-70/94- Slg. 1995, 1-3189 (3225), Rn. 23, und EuGH- Leifer, C-83/94- Slg. 1995,1-3231 (3247), Rn. 24 (Art. XI GATI 1947); EuGH- Kommission/DeutschlandSlg. 1996, 1-3989 (4021), Rn. 52 (Tokyoter Übereinkunft über Milcherzeugnisse von 1973); EuGH- Bettati, C-341195- Slg. 1998, 1-4355 (4369 ff.), Rn. 20 ff. (Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht und Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen). 262 Peters, GYIL 40 (1997), 9 (71 ff.); Heukels, ZEuS 3 (1999), 313 (322 f.). 263 V gl. die Parallelproblematik der richtlinienkonformen Auslegung mitgliedstaatliehen Rechts, bei der eine Auslegung im Lichte der einschlägigen Richtlinie auch dann geboten ist, wenn der Richtlinie eine unmittelbare Wirkung nicht zukommt, vgl. EuGH - Marleasing, C-106/89- Slg. 1990, 1-4135 (4158 f.), Rn. 6 ff. 12 Hennes

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Teil 2: Mögliche Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen

Gerichte haben daher innerstaatliches Recht nach Möglichkeit nicht nur richtlinienkonform, sondern auch "Gemeinschaftsabkommen-konform" auszulegen. 264

IV. Zusammenfassung Insgesamt bietet das Prinzip der völkerrechtskonformen Auslegung eine weitere Möglichkeit, Bestimmungen aus Gemeinschaftsabkommen in Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten geltend zu machen. Der Vorteil der völkerrechtskonformen Auslegung liegt darin, daß an die Qualität der Bestimmung aus dem Gemeinschaftsabkommen, die die Auslegung der Gemeinschaftshandlung oder der mitgliedstaatliehen Norm leiten soll, keine besonderen Ansprüche gestellt werden. Voraussetzung ist allein die innergemeinschaftliche Geltung. Andererseits findet die völkerrechtskonforme Auslegung ihre Grenze dort, wo der auszulegende mitgliedstaatliche oder sekundärrechtliche Akt keinen Auslegungsspielraum bietet. Ist die einschlägige gemeinschaftsrechtliche oder mitgliedstaatliche Norm eindeutig, so kann ein Konflikt mit einer Bestimmung aus einem Abkommen, an das die Gemeinschaft gebunden ist, nicht im Wege der Auslegung gelöst werden. Um die Ungültigkeit eines Sekundärrechtsaktes oder die Unanwendbarkeit eines mitgliedstaatliehen Rechtsaktes geltend zu machen, bedarf es stärkerer Wirkungen, der unmittelbaren Anwendbarkeit oder der mittelbaren Anwendbarkeit.

D. Zusammenfassung Wegen ihrer Geltung als "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" können die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen in dieser Rechtsordnung die unterschiedlichsten Wirkungen entfalten, die ihrerseits wiederum unterschiedliche Voraussetzungen haben. Die intensivste Wirkung, die einer Bestimmung eines Gemeinschaftsabkommens in der Gemeinschaftsrechtsordnung zukommen kann, ist die unmittelbare Anwendbarkeit. Auf unmittelbar anwendbare Abkommensbestimmungen können sich einzelne vor Gemeinschaftsgerichten berufen, ohne daß eine interne Rechtsnorm dazwischentreten müßte. Auf diese Weise können sie geltend machen, 264

So zutreffend Heukels, ZEuS 3 (1999), 313 (326 f.).

D. Zusammenfassung

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Sekundärrechtsakte seien wegen Unvereinbarkeit mit der Abkonunensbestimmung ungültig oder mitgliedstaatliche Rechtsakte unanwendbar. Mitgliedstaaten können Sekundärrechtsakte vor dem EuGH mit der Begründung angreifen, sie seien wegen Verstoßes gegen die Abkommensbestimmung nichtig. Wegen dieser direkten unvermittelten Geltendmachung ist die unmittelbare Anwendbarkeit die stärkste mögliche Wirkung, die ein Gemeinschaftsabkonunen entfalten kann. Der Nachteil dieser Wirkung liegt darin, daß eine Abkommensbestimmung nur dann unmittelbar anwendbar ist, wenn sowohl das Gemeinschaftsabkommen insgesamt als auch die besondere Vorschrift eine bestimmte Qualität haben. Hierauf kommt es bei der mittelbaren Anwendbarkeit nicht an. Insofern sind die Voraussetzungen dieser Wirkung geringer. Andererseits kommt die mittelbare Anwendbarkeit einer Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen nur dann in Betracht, wenn ein Sekundärrechtsakt entweder ausdrücklich auf das fragliche Gemeinschaftsabkommen verweist oder erkennbar erlassen wurde, um das Gemeinschaftsabkommen gemeinschaftsintern umzusetzen. Wie bei der unmittelbaren Anwendbarkeit können die einzelnen vor den Gemeinschaftsgerichten auch hier geltend machen, eine Gemeinschaftshandlung sei wegen Unvereinbarkeit mit der Abkommensbestimmung ungültig. Letzteres kann im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung nicht erreicht werden. Hier sind die Gemeinschaftsgerichte nur verpflichtet, sekundäres Gemeinschaftsrecht oder mitgliedstaatliches Recht nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen auszulegen. Insofern ist diese Wirkung die schwächste. Ihr Vorteilliegt jedoch darin, daß sie nicht mehr voraussetzt, als die bloße innergemeinschaftliche Geltung der Abkommensbestimmung, die die Auslegung der mitgliedstaatliehen oder sekundärrechtlichen Norm leiten soll.

Tei/3

Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS Wie im vorigen Teil der Arbeit aufgezeigt, ist die effektivste Wirkung, die eine Bestimmung aus einem Gemeinschaftsabkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten kann, die unmittelbare Anwendbarkeit. Denn nur bei dieser Wirkung kann eine Abkommensbestimmung vor den Gemeinschaftsgerichten geltend gemacht werden, ohne daß es auf vermittelnde interne Rechtsakte ankäme. Daher ist in diesem Teil der Arbeit zunächst zu untersuchen, ob die Bestimmungen des TRIPS in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind. Hierbei geht es - wie auch bei der Behandlung der übrigen Wirkungen allein um die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften der anderen WTO-Übereinkünfte, etwa des GATT 1994 oder des GATS, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Andererseits darf man das TRIPS, wenn man die unmittelbare Anwendbarkeit seiner Bestimmungen untersucht, nicht völlig aus dem WTOKontext herauslösen. Denn das TRIPS ist als eines der dem WTO-Übereinkommen angehängten multilateralen Handelsabkommen integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens (Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Dies zeigt sich nicht nur daran, daß das TRIPS- wie die anderen WTO-Übereinkünfte auch-am 1. Januar 1995 als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens mit diesem in Kraft getreten ist. Auch über das gemeinsame organisatorische Dach der WTO und vor allem die Regelung der Streitbeilegung im DSU ist das TRIPS eng in den WTO-Kontext eingebunden. Wie im letzten Teil der Untersuchung dargelegt, kommt es bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht nur auf die Qualität der jeweils anzuwendenden konkreten Vorschrift an, sondern auch auf den Gesamtcharakter des Abkommens, insbesondere dessen Ziel und Streitbeilegungsmechanismus. Da die für das TRIPS geltenden Regeln über Ziele und Streitbeilegung nicht ausschließlich im TRIPS selbst enthalten sind, sondern vor allem im WTO-Übereinkommen und dem DSU, sind diese bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit des TRIPS mitzuberücksichtigen.

A. Keine Regelung auf Abkommensebene

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Im folgenden wird zunächst untersucht, ob das TRIPS oder das WTO-Übereinkommen die unmittelbare Anwendbarkeit ihrer Bestimmungen auf völkervertraglicher Ebene anordnen. Sodann geht es um die Frage, ob die Begründungserwägung in dem Ratsbeschluß 94/800/EG, mit dem die Gemeinschaft das WTO-Übereinkommen genehmigt hat, möglicherweise die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit entscheidet. In einem dritten Abschnitt soll dann das TRIPS und- soweit erforderlich- das WTO-Übereinkommen daraufhin ausgelegt werden, ob sie in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind. Der vierte Abschnitt gilt der Frage, ob Reziprozitätserwägungen bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit des TRIPS eine Rolle spielen. In einem fünften und letzten Abschnitt werden rechtspolitische Argumente für und gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS vorgestellt.

A. Keine Regelung auf Abkommensebene Der EuGH hat in der Rechtssache Kupferberg ausgeführt: "Nach den Grundsätzen des Völkerrechts bleibt es den Gemeinschaftsorganen, die für das Aushandeln und den Abschluß eines Abkommens mit einem dritten Land zuständig sind, unbenommen, mit diesem Land zu vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen des Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen. Nur wenn diese Frage durch das Abkommen nicht geregelt worden ist, haben die zuständigen Gerichte und hat insbesondere der Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit aufgrund des Vertrages, über diese Frage ebenso wie über jede andere Auslegungsfrage im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens in der Gemeinschaft zu entscheiden." 1 Fände sich also im TRIPS oder im WTO-Übereinkommen eine Vorschrift, die die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen anordnete oder ausschlösse, so wäre dies nicht nur auf völkerrechtlicher Ebene, etwa für eine mögliche Haftung der Gemeinschaft wegen fehlerhafter Umsetzung, relevant. Nach dem zweiten Satz des obigen Zitates hätte eine solche Regelung auf Abkommensebene zusätzlich die gemeinschaftsinterne Konsequenz, daß der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen nicht durch Auslegung ermitteln müßte, sondern sich schlicht an die völkervertragliche Anordnung halten würde. Im TRIPS und im WTO-Übereinkommen fehlt eine solche Regelung der unmittelbaren Anwendbarkeit auf Abkommensebene. Die Schweiz hatte während der Verhandlungen der Uruguay-Runde eine Anordnung der unmittelbaren Anwend1

EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 (3663), Rn. 17.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des 1RIPS

barkeit im WTO-Übereinkommen vorgeschlagen, um sicherzustellen, daß das WTO-Übereinkommen mitsamt seinen Anhängen in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Status habe. 2 Doch ist diese schweizerische Initiative am Widerstand der wichtigsten Handelsrnächte, vor allem der USA und der EG, gescheitert. 3 Die einzige Stelle, an der die unmittelbare Anwendbarkeit einer WTO-Übereinkunft geregelt ist, findet sich in der "lntroductory Note" zur "Schedule of Specific Comrnitments" der EG und ihrer Mitgliedstaaten für das GATS, wo festgelegt ist, daß "[t]he rights and Obligations arising from the GATS, including the schedule of comrnitments, shall have no self-executing effect and thus confer no rights directly to individual natural persans or juridicial persons". 4 Die übrigen WTO-Übereinkünfte und vor allem das TRIPS enthalten keine vergleichbaren Regelungen. Nach den Regelungen des TRIPS haben die WTO-Mitglieder dessen Bestimmungen zwar zu erfüllen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 TRIPS: ,,Members shall give effect to the provisions of this Agreement."), doch steht es ihnen dabei frei, auf welche Weise sie das TRIPS intern umsetzen (Art. 1 Abs. 1 S. 3 TRIPS: ,,Members shall be free to deterrnine the appropriate method of implementing the provisions of this Agreement within their own legal system and practice.").s Wegen dieser ,,Freiheit der Wahl der Mittel"6 bleibt es den WTO-Mitgliedem überlassen, ob sie die TRIPS-Vorschriften im Wege der unmittelbaren Anwendbarkeit oder auf andere Weise, etwa durch legislatorisches Tätigwerden, umsetzen. Artikel I Abs. 1 S. 3 TRIPS läßt damit die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen ausdrücklich offen. 7 GATT-Doc. MlN.GNG/NG 8/W/67 v. 24.1.1990. Vgl. hierzu Kuijper, in: Bourgeois/Berrod/Fournier (Hg.), 87 (106). 4 European Communities and their Member States, Schedule of Specific Commitments, Introductory Note, Abs. 3, GATS/SC/31 vom 15. April 1994, 1. Diese Regelung ist nach Art. XX Abs. 3 GATS ("Schedules of specific commitments shall be annexed to this Agreement and shall form an integral part thereof. ") integraler Bestandteil des GATS. Ob sie auf völkervertraglicher Ebene - und nach der soeben zitierten Passage aus dem KupferbergUrteil des EuGH damit auch innergemeinschaftlich -die unmittelbare Anwendbarkeit der entsprechenden Bestimmungen wirksam ausschließt, hängt davon ab, ob es sich hierbei um einen nach den Art. 19 ff. WVRK zulässigen Vorbehalt handelt. s Nach Staehelin, lRIPs, 235, haben sich damit- wie schon im Fall der schweizerischen Initiative- diejenigen Staaten durchgesetzt, die trotzdes Engagements in der WTO ein größtmögliches Maß an Souveränität wahren wollten. Staehelin meint, es wäre angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung des TRIPS (vor allem in den Entwicklungsländern) sinnvoller gewesen, die "wirksamste im jeweiligen nationalen Verfassungsrecht zulässige Implementierung" zu fordern. 6 Staehelin, lRIPs, 236. 7 Nicht nachvollziehbar ist das Argument von Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785), der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 S. 31RIPS ähnele dem der entsprechenden Vorschriften ande2

3

B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG

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Da weder das 1RIPS noch das WTO-Übereinkommen die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen regeln, ist nach dem Verfassungsrecht der Gemeinschaft der EuGH zuständig, deren unmittelbare Anwendbarkeit durch Auslegung von TRIPS und- soweit erforderlich- WTO-Übereinkommen zu untersuchen.

B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG Zweifel an der entsprechenden Zuständigkeit des EuGH können allenfalls noch vor dem Hintergrund des Beschlusses 94/800/EG aufkommen. In die Präambel dieses Beschlusses, mit der das WTO-Übereinkommen- in bezugauf die in die Gemeinschaftszuständigkeit fallenden Bereiche - genehmigt wurde, hat der Rat folgende 'ßegründungserwägung aufgenommen: "Das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation einschließlich seiner Anhänge ist nicht so angelegt, daß es unmittelbar vor den Rechtsprechungsorganen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angeführt werden kann ( .. . )".8 Bevor diskutiert wird, ob der EuGH an diese Begründungserwägung gebunden ist, wenn er die unmittelbare Anwendbarkeit von Vorschriften der WTO-Übereinkünfte bestimmt,9 soll kurz auf den Hintergrund dieser Passage eingegangen werden.

rer immaterialgüterrechtlieber Abkommen, Art. 25 Abs. 1 PVÜ und Art. 36 Abs. 1 RBÜ (beide wortgleich: "Any country party to this Convention undertakes to adopt, in accordance with its constitution, the measures necessary to ensure the application of this Convention. "),und spreche deswegen für die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS, weil die Bestimmungen von PVÜ und RBÜ in den Rechtsordnungen einiger Vertragsstaaten unmittelbar angewendet würden. Denn auch wenn einige Vertragsstaaten des PVÜ und der RB Ü Bestimmungen dieser Abkommen unmittelbar anwenden, so sind doch die Art. 25 Abs. 1 PVÜ und Art. 36 Abs. 1 RBÜ im Hinblick auf den Modus der Implementierung genau so indifferent wie Art. 1 Abs. 1 S. 3 des TRIPS; zutreffend insofern Ruck, 43, nach der sich die Bedeutung von Art. 25 Abs. 1 PVÜ und Art. 36 Abs. 1 RBÜ in der völkerrechtlich ohnehin selbstverständlichen Umsetzungspflicht erschöpft, der Modus der Umsetzung jedoch dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten überlassen bleibt. 8 Letzte Begründungserwägung zum Beschluß 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der mulitlateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABI. 1994 L 336, 2. 9 Ob der Rat auch die Wirkungen unterhalb der Schwelle der unmittelbaren Anwendbarkeit- Anwendbarkeit durch Verweis und völkerrechtskonforme Auslegung - erfassen wollte, ist unklar; siehe hierzu Castillo de la Torre, JWT 29/1 (1995), 53 (65 f.); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (38 f.).

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

I. Hintergrund der Begründungserwägung Die genannte Begründungserwägung10 ist als Reaktion auf den 1994 vom Kongress der Vereinigten Staaten erlassenen Uruguay Round Agreement Act11 zu verstehen. Dort schloß derKongreß, als er die Ergebnisse der Uruguay-Runde umsetzte, aus, daß sich einzelne vor den innerstaatlichen Gerichten auf WTO-Vorschriften berufen können, und verbot, nationales Recht wegen Verstoßes gegen WTO-Recht unangewendet zu lassen. 12 Damit wurde die unmittelbare Anwendbarkeit des gesamten WTO-Übereinkommens mitsamt seiner Anhänge für die Rechtsordnung der Vereinigten Staaten wirksam ausgeschlossen. 13 Auf diese Maßnahme des wichtigsten Handelspartners der EG hin schlug die Kommission dem Rat vor, in den gemeinschaftsinternen Genehmigungsbeschluß zum WTO-Übereinkommen folgende Begründungserwägung aufzunehmen: "Es handelt sich um Übereinkommen, Abkommen und Übereinkünfte zwischen Regierungen, so daß ausgeschlossen werden muß, daß natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sich vor den Gerichten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft unmittelbar auf die Bestimmungen der vorgenannten Übereinkommen, Abkommen und Übereinkünfte berufen können." 14 Sie begründete ihren Vorschlag mit der Sorge, es könne ohne eine entsprechende Klausel gegenüber den Handelspartnern der EG, die die unmittelbare Anwendbarkeit bereits ausgeschlossen haben, zu einem Ungleichgewicht in der Umsetzung des WTO-Übereinkommens kommen. 15 Der Rat hat diesen Kommissionsvorschlag - wohl auch auf die 10 Auch andere Sekundärrechtsakte im Zusammenhang mit dem WTO-Übereinkommen, die hier jedoch nicht einschlägig sind, enthalten in ihren Präambeln vergleichbare Klauseln (z. B. die Richtlinien Nr. 97/52 vom 13.10.1997 und Nr. 98/4 vom 16.2.1998 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Aufträge); siehe hierzu Heukels, ZEuS 3 (1999), 313 (325, Fn. 42). 11 Uruguay Round Agreement Act, Pub. L. 103-465,8. Dezember 1994, 108 Stat. 4809. 12 Section 102(a)(l) regelt den Vorrang von Bundesrecht ("United States law to prevail in conflict- No provision of any of the Uruguay Round Agreements, nor the application of any such provision to any person or circumstance, that is inconsistent with any law of the United States shall have effect."), Section 102(b)(A) den von Staatenrecht gegenüber WI'ONormen. 13 Ausführlich zum internen Status der WTO-Übereinkünfte in den USA unten Teil 3, D. I. l. 14 KOM (94), 143 v. 15.4.1994, 6a.

15 KOM (94), 143 v. 15.4.1994, 5a: "Im übrigen kommt es darauf an auszuschließen, daß die Bestimmungen des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge eine direkte Wirkung haben, dergestalt, daß sie von natürlichen oder juristischen Personen des privaten Rechts bei den Gerichten ihrer Länder in Anspruch genommen werden können. Bereits jetzt ist bekannt, daß die Vereinigten Staaten ebenso wie eine Reihe unserer Handelspartner eine

B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG

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pointierte Kritik im Schrifttum hin 16 - in der Formulierung abgeändert, ist ihm im Kern jedoch gefolgt.

II. Wirkung der Begründungserwägung Unabhängig davon, wie man die Begründungserwägung in der Präambel des Ratsbeschlusses rechtspolitisch bewerten mag, 17 ist die entscheidende Frage, ob es dem Rat damit gelungen ist, mit dem Kongreß der Vereinigten Staaten "gleichzuziehen" und so eine "egalite negative d'execution interne" 18 herzustellen. Ob der Rat auf diese Weise die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte in der Gemeinschaftsrechtsordnung wirksam ausschließen konnte, wird unterschiedlich beurteilt.

1. Verbindliche Regelung Teil weise wird vertreten, die Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/800/EG sei eine für die Gemeinschaftsgerichte und insbesondere den EuGH verbindliche Regelung. So ging der britische High Court im Fall Lenzing davon aus, der EuGH solche unmittelbare Anwendbarkeit ausdrücklich ausschließen. Ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Ausschluß in dem Rechtsakt der Gerneinschaft über die Annahme der Ergebnisse könnte es zu einem erheblichen Ungleichgewicht bei dertatsächlichen Umsetzung der Verpflichtungen der Gemeinschaft einerseits und der genannten Drittländer andererseits kommen." 16 Kritisiert wurde das Argument der Kommission, die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte müsse verhindert werden, weil es sich um "Abkommen und Übereinkünfte zwischen Regierungen" handele. Zutreffend insofern Mengozzi, RMUE 4 (1994), 165 (168): "Cet argument estentotale contradiction avec Je fait que tous Jes accords internationaux sont inter-gouvernementaux. Si I' applicabilit~ directe devait etre exclue pour tous Jes accords intergouvernementaux, il n'y aurait eu aucune place pour J'applicabilit~ directe de Ia moindre disposition d'origine conventionelle." Ähnlich Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 ( 1064), für den die Formulierung der Kommission ein "verräterischer Zungenschlag" ist. 17 Siehe etwa die scharfe Kritik von Pescatore, in: Pescatore/Davey/Lowenfeld, Bd. I, Teil2, 3 (11, Fn. 3): "These attempts at altering ex post the effect of a multilateral treaty by internal Jegislation of some parties is incompatible with good faith in international relations and with the principle of legal protection of individual rights in democratic societies." 18 Mengozzi, RMUE 4 (1994), 165 (169), sieht in der Begründungserwägung den Versuch, nach dem Scheitern einer (positiven) Regelung der unmittelbaren Anwendbarkeit im WTO-Übereinkommen eine negative Regelung derselben in den Umsetzungsakten herbeizuführen.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

sei an die Klausel gebunden. 19 Auch im Schrifttum wird der Begründungserwägung vereinzelt .,eine gesteigerte Bedeutung" beigemessen, die "grundsätzlich zu respektieren" sei. 20

2. Bloße Meinungskundgabe

Der EuGH selbst sieht sich durch die Begründungserwägung des Ratsbeschlusses nicht gebunden. In PortugaVRat, dem bislang einzigen Urteil, in dem er sich mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Bestimmungen einer WTO-Übereinkunft befaßt hat, ließ er sich nicht von der Begründungserwägung leiten, sondern suchte die unmittelbare Anwendbarkeit allein durch Auslegung des WTO-Übereinkommens zu bestimmen. Erst am Ende seiner Ausführungen stellte er lapidar fest, daß die in der Begründungserwägung ausgedrückte Auffassung des Rates seiner Auslegung entspreche? 1 Auch die überragende Mehrheit im Schrifttum sieht in der Begründungserwägung eine bloße Meinungskundgabe des Rates. 22 Auch wenn dieser eine gewisse Autorität zukomme, weil sie von den an den Verhandlungen beteiligten Organen

19 High Court, R v. Controller of Patents, Designs and Trademarks ex parte Lenzing A.G. (Jacob), 1LR 17/1/97, (1997) RCP 245: "The Council's Decision, whereby the WTO Agreement was ratified for the Community contains the following recital: ( ... ) So, in the face ofthe fact that TRIPS (one of the Annexes) is an agreement which all Member States explicitly considered (through the recital) not to create direct effect, it is said that the [European] Court of Justice may nonetheless hold otherwise. I think that is fantastic." 20 So ohne nähere Begründung Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (775). Offenlassend Eeckhout, der die Frage aufwirft, ob diejenigen Gemeinschaftsorgane, die kompetent sind, mit anderen Vertragsparteien die unmittelbare Anwendbarkeit im Abkommen selbst zu regeln, als Minus nicht auch kompetent sein müssen, die unmittelbare Anwendbarkeit im gemeinschaftsinternen Genehmigungsbeschluß zu regeln. Dies hänge davon ab, wie man die Funktionen der politischen Organe und der Gerichtsbarkeit voneinander abgrenze; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (38 f.). Tomuschat hingegen weicht der Frage nach der Organkompetenz- Rat oder EuGH?- aus, wenn er unterstreicht, die Festlegung der Vollzugsmodalitäten falle grundsätzlich in die Eigenkompetenz einer jeden Vertragspartei; Tomuschat, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 228, Rn. 71. 21 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8439), Rn. 48. Ausdrücklich gegen die Verbindlichkeit bereits die Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, I-3606 (3623), Anm. 24, und von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95 - Slg. 1997, I-4317 (4357), Anm. 127. 22 Ausdrücklich Timmennans, RMUE 4 (1994), 175 (177), noch zum Kommissions vorschlag; Beneyto, EuZW 1996, 295 (299, Fn. 36); Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (65); Weiss, CMLR 32 (1995), 1177 (1188, Fn. 37).

B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG

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stamme23 und im Einklang mit der bis dato homogenen Rechtsprechung des EuGH zum GATI 1947 stehe, 24 habe doch der Gerichtshof das letzte Wort in der Sache.25 Es lassen sich hierfür verschiedene Begründungsansätze ausmachen.

a) Unilateraler Charakter Einige Autoren meinen, die unmittelbare Anwendbarkeit könne nur auf völkervertraglicher Ebene, nicht aber im Genehmigungsbeschluß ausgeschlossen werden. So meint Generalanwalt Tesauro in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache Hermes, der Gerichtshof habe in Kupferberg klargestellt, daß die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommens nur auf der Ebene des Abkommens wirksam ausgeschlossen werden könne. In Abwesenheit einer völkervertraglichen Regelung bleibe es "immer noch Sache des Gerichtshofes, ( ... ) die Feststellung zu treffen, ob die WTO-Bestimmungen unmittelbare Wirkung haben oder nicht". 26 Jedenfalls stellt die Begründungserwägung keinen wirksamen Vorbehalt im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchstabe b WVRK II dar. 27 Ohne verbindliche Regelung auf völkervertraglicher Ebene bleibe es Aufgabe des EuGH, durch Auslegung zu bestimmen, ob die Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens 23 Hilpold, 255, weist darauf hin, daß die in der Präambel enthaltene Bestimmung die von der Kornmission während der Uruguay-Runde vertretene Ansicht zum Ausdruck bringt, welche sich mit der der meisten Verhandlungspartner deckte. 24 Cottier, The Impact of the TRIPS-Agreement, 12 f., hält es insofern für wahrscheinlich, daß der Gerichtshof diese Tendenz beibehält und sich - vor allem aus politischen Gründen (keine Gefährdung des politischen Kräftegleichgewichts mit den USA durch unmittelbare Anwendbarkeit)- an die Vorgabe des Rates halten wird. 25 Besonders deutlich Kuijper, in: Bourgeois/Berrod/Foumier (Hg.), 87 (105 f.): "The Court, of course, has the last word on direct effect of Comrnunity treaty provisions, but there is no reason why it should be the only Comrnunity institution with a view on this matter and why it should not be advised of the views of the institution having negotiated and the institution having adopted the treaty concemed so that it may take them into account." Ebenso Berkey, EJIL 9 (1998), 626 (649). 26 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Herm~s. C-53/96 Slg. 1998, I-3606 (3622 ff.), Anm. 23 ff. 27 V gl. Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, Art. 300 EGV, Rn. 69; auf die Einseitigkeit weisen auch Oppermann/Cascante, in: Petersmann (Hg.), 469 (483), hin. Irreführend hingegen Lee/Kennedy, JWf 30/1 (1996), 67 (86 ff.), die erwägen, ob alle WfO-Bestimrnungen wegen der Begründungserwägung einem Vorbehalt ("reservation") der Gemeinschaft unterliegen und daher nicht unmittelbar anwendbar sind. Gegen die Wirksamkeit als Vorbehalt spricht schon die fehlende Mitteilung an die Vertragsstaaten (vgl. Art. 23 Abs. 1 WVRK). Vor allem aber sind Vorbehalte zum WfO-Übereinkommen und zum TRIPS unzulässig (vgl. Art. XVI Abs. 5 S. 1 WfO-Übereinkomrnen und Art. 72 TRIPS).

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des '!RIPS

in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind. Andere Organe, wie Rat und Kommission, könnten zwar ihre Rechtsansichten mitteilen, seien letztendlich aber nicht zuständig, eine solche Auslegung anstelle des Gerichtshofes vorzunehmen. 28 b) Normenhierarchisches Argument Andere Autoren betonen die Position des Genehmigungsbeschlusses in der gemeinschaftsrechtlichen Normenhierarchie. So enthalte Art. 300 Abs. 7 EGV den primärrechtlichen Befehl, geeignete Abkommensbestimmungen innergemeinschaftlich unmittelbar anzuwenden. Dieser primärrechtliche Befehl stehe "nicht zur Disposition des Ministerrates", sondern bände ihn gerade. 29 Da die unmittelbare Anwendbarkeit eine Frage des Primärrechts sei, könne eine auf dieser Ebene zu bejahende unmittelbare Anwendbarkeit nicht durch einen Sekundärrechtsakt ausgeschlossen werden. 30 Insbesondere sei es dem Rat verwehrt, durch einen Sekundärrechtsakt die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte zu beschneiden. Insofern habe die Begründungserwägung "un caractere purement politique et ne peut, en tant que teile, avoir aucune incidence sur la competence dujuge, qu'il s'agisse du juge cornrnunautaire ou du juge national, pour interpreter les regles des accords de l'OMC". 31 c) Beschränkte Funktion des Genehmigungsbeschlusses Entscheidend sei ferner die sehr beschränkte Funktion, die den Genehmigungsbeschlüssen nach dem Verfassungsrecht der Gemeinschaft zukonune. Da ihnenanders als etwa einem Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG- keine UmsetDrexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (41). Meng, FS Bemhardt (1995), 1063 (1070 ff.). 30 Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (41 ); ebenso Hilpold, 255; sehr weitgehend Mengozzi, RMUE 4 (1994), 165 (169 ff.), nach dem die Begründungserwägung deswegen nicht 28 29

verbindlich sein könne, weil "le droit communautaire a adopte, comme principe fondamental et inviolable, Je principe qui etablit Je droit des individus, agissant dans Ia Communaute, d'avoir acces aux juridictions (!es Cours et tribunaux des Etats membres et Ia Cour de justice) et de faire valoir devant celles-ci des droits susceptibles d'etre deduits d'actes communautaires et d'accords internationaux auxque1s Ia Communaute accorde des effets juridiques"; kritisch hiergegen Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (40), der das von Mengozzi behauptete umfassende Prinzip des Individualrechtsschutzes mit Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Direktwirkung von Richtlinien in Frage stellt. 31 Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96 - Slg. 1999, 1-8395 (8397 ff.), Anm. 20.

B. Der Ratsbeschluß 94/800/EG

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zungsfunktion zukomme, könnten sie nicht den Inhalt des genehmigten Abkommens beeinflussen. 32 Wegen der monistischen Tradition der Gemeinschaftsrechtsordnung sei es dem Rat unmöglich, im Genehmigungsbeschluß die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommens wirksam auszuschließen. 33 Stufte man die Begründungserwägung im Genehmigungsbeschluß als verbindlich ein, so wäre dies eine "deviation non negligeable" von der monistischen Tradition, welche "confererait en consequence une importante intonation ,dualiste' aIa maniere dont I' ordre communautaire se positionne par rapport aI' ordre intemational". 34

d) Lokalisierung in der Präambel und zurückhaltende Formulierung Abgestellt wird auch darauf, daß sich die Begründungserwägung lediglich in der Präambel des Genehmigungsbeschlusses befindet und außerdem eher zurückhaltend formuliert ist. Rechtliche Wirkungen könnten Erwägungsgründe in der Präambel eines Gemeinschaftsrechtsaktes nur dann entfalten, wenn sie zur Auslegung einzelner Bestimmungen dieses Rechtsaktes herangezogen werden. Dies sei im Falle des Ratsbeschlusses 94/800/EG jedoch unmöglich, da dessen materielle Bestimmungen die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit gar nicht ansprächen.35 Da die Begründungserwägung nicht in den verfügenden Teil des Beschlusses aufgenommen wurde, sei ihre rechtliche Bedeutung erheblich verringert. 36 Teilweise wird angenommen, Kommission und Rat hätten die Klausel in der Präambel plaziert, um die Kompetenzen des Gerichtshofs zu respektieren und diesem den nötigen Spielraum zu lassen, in einem Urteil auf die Umstände des Einzelfalles einzugehen. 37 Dies sei auch der Grund für die zurückhaltende Formulierung der Klausel. 38 Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (41). Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1070 ff.). 34 Mengozzi, RMUE4 (1994), 165 (173 f.); auch Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (38 f.), würde eine solche Aufwertung der Bedeutung des Genehmigungsbeschlusses als Abkehr von der monistischen Tradition des Gemeinschaftsrechts werten. 35 Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (41); Hilpold, 255. 36 Mengozzi, RMUE 4 (1994), 165 (169 ff.); so auch die Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH ·- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3606 (3623), Anm. 24, und von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95- Slg. 1997, 14317 (4357), Anm. 127. 37 Kuijper, EJIL 6 (1995), 222 (236). 38 Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (38 f.), weist darauf hin, daß die Begründungserwägung deutlich schwächer formuliert ist als die Klausel in der Schedule of Commitments der EG zum GATS; Ott, 222, meint, es hätteangesichtsder grundsätzlich völkerrechtsfreundli32 33

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

3. Stellungnahme Insgesamt überzeugen die Argumente, die Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/800/EG nicht als verbindliche Regelung der unmittelbaren Anwendbarkeit anzusehen. Dabei ist der Hinweis auf den unilateralen Charakter der Begründungserwägung noch am wenigsten überzeugend, da es durchaus Rechtsordnungen gibt, in denen die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Abkommen durch interne - und damit unilaterale - Legislativakte wirksam augeschlossen werden kann. 39 Entscheidend ist jedoch das verfassungsrechtliche Argument, in der Gemeinschaftsrechtsordnung komme den Genehmigungsbeschlüssen des Rates eine nur begrenzte Funktion zu. Die innergemeinschaftlichen Wirkungen eines Gemeinschaftsabkommens können durch einen Sekundärrechtsakt nicht beeinflußt werden. Dies muß der Kommission und dem Rat auch bewußt gewesen sein, da sie die Klausel sonst nicht mit einer derart schwachen Formulierung in der Präambel des Beschlusses plaziert hätten. Im Ergebnis sind daher die Gemeinschaftsgerichte nicht an die Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/ 800/EG gebunden und bleiben zuständig, die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte durch Auslegung zu bestimmen.

C. Auslegung des TRIPS In diesem Abschnitt ist das TRIPS daraufhin auszulegen, ob seine Bestimmungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind. Wie oben dargelegt, wird es bei der Beurteilung des "Gesamtcharakters" des TRIPS auch darum gehen, Bestimmungen des WTO-Übereinkommens und des DSU mit in Betracht zu ziehen. In der Rechtspraxis sind die Gemeinschaftsgerichte zuständig, im Einzelfall durch Auslegung zu bestimmen, ob eine TRIPS-Bestimmung unmittelbar anwendbar ist. Sofern ein mitgliedstaatliches Gericht mit dieser Frage konfrontiert ist, wird es sich an der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH orientieren oder - falls es eine solche nicht gibt - dem EuGH die Auslegungsfrage nach Art. 234 eben Aufnahme des Völkervertragsrechts in die Gemeinschaftsrechtsordnung für einen derart atypischen Anwendungsvorbehalt einer deutlicheren Festlegung bedurft. 39 Siehe etwa zur Rechtsordnung der USA unten Teil 3, D. I. 1. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob ein solcher intern wirksamer Ausschluß der unmittelbaren Anwendbarkeit auch völkerrechtlich zulässig ist. Letztere Frage ist von Interesse, wenn ein völkerrechtliches Abkommen die Vertragsparteien zu einer bestimmten Methode der Umsetzung verpflichtet; vgl. oben Teil 2, A. I. 3.

C. Auslegung des TRIPS

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EGV vorlegen. Sofern der EuGH eine Entscheidung zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer TRIPS-Bestimmung trifft, ist hieran zwar grundsätzlich nur das vorlegende Gericht gebunden,40 doch wird den entsprechenden Entscheidungen des EuGH als dem höchsten Gemeinschaftsgericht eine überragende Autorität zukommen. Deswegen wird im folgenden zunächst die Rechtsprechung des EuGH untersucht, um diese anschließend unter Berücksichtigung des Schriftturns einer eingehenden Kritik zu unterziehen.

I. Die Auslegung des TRIPS und anderer WTO-Übereinkünfte durch den EuGH Über die unmittelbare Anwendbarkeit von WTO-Übereinkünften wurde bislang in fünf Verfahren verhandelt. In den Urteilen T. Port und Affish, die andere WTOÜbereinkünfte als das TRIPS betrafen, hat der EuGH eine Auseinandersetzung mit dem Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit ebenso vermieden wie im Urteil Hermes, der ersten Entscheidung zum TRIPS. In Portugal/Rat schließlich legte der Gerichtshof "die WTO-Übereinkünfte" insgesamt unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Anwendbarkeit aus und übertrug diese Rechtsprechung in dem Urteil Dior und Assco ausdrücklich auf das TRIPS.

1. Die Urteile" T. Port" und "Affish" Seitdem die Ergebnisse der Uruguay-Runde feststanden, d. h. spätestens mit dem Abschluß der Verhandlungen am 15. Dezember 1993 in Genf, wurde im Schrifttum lebhaft diskutiert, ob die Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte angesichts der Fortentwicklung des Welthandelssystems in der Gemeinschaftsrechts40 Hinsichtlich der Bindungswirkungen von Vorabentscheidungsurteilen ist zu differenzieren. Soweit der EuGH im Rahmen einer Vorabentscheidung Gemeinschaftsrecht auslegt, sind an diese Auslegung das Vorlagegericht und die anderen Gerichte, die in derselben Sache zu entscheiden haben, gebunden. Wenn der EuGH die Handlung eines Gemeinschartsorgans für ungültig erklärt hat, folgt aus dem Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Rechtssicherheit, daß Bindungswirkungen nicht nur inter partes, sondern erga omnes entstehen; so Nicolaysen, 216; Schwarze, in: Schwarze (Hg.), Art. 234, Rn. 64. Zurückhaltender demgegenüber der EuGH- International Chemical Corporation, 66/80- Slg. 1981, 1191, Rn. 12 f. (Ungültigkeitserklärung nach Art. 234 EGV stelle für jedes andere Gericht "einen ausreichenden Grund dafür dar, diese Handlung bei den von ihm zu erlassenden Entscheidungen als ungültig anzusehen").

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Tei13: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

ordnung unmittelbar anwendbar sein würden. Der EuGH ließ sich von dieser Diskussion zunächst nicht beeindrucken. Selbst nach der Unterzeichnung der Schlußakte in Marrakesh durch die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten am 15. April 1994 ging der EuGH in den beiden Urteilen Deutschland/Rat vom 5. Oktober 199441 und Chiquita ltalia vom 12. Dezember 199442 mit keinem Wort auf die Neuerungen der Uruguay-Runde ein, mußte dies aber auch nicht, da beide Verfahren noch das alte GATI 1947 betrafen. Aber auch seit Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens blieb der EuGH zunächst sehr zurückhaltend, was Aussagen zum innergemeinschaftlichen Status dieses Abkommens und seiner Anhänge angeht. So hat er in den Urteilen T. Port und Affish zwei Gelegenheiten ausgelassen, sich zum Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit von WTO-Vorschriften zu äußern. a) Das Urteil "T. Port" Das erste Verfahren vor dem EuGH, in dem über die unmittelbare Anwendbarkeit von Vorschriften aus dem WTO-Übereinkommen verhandelt wurde, waren die verbundenen Rechtssachen T. Port3• Das Finanzgericht Harnburg hatte dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob einige GATI-Bestimmungen als Vorschriften aus einem "Altvertrag" Deutschlands nach Art. 307 Abs. 1 EGV Anwendungsvorrang vor bestimmten sekundärrechtlichen Vorschriften44 hätten. Falls ja, wollte das Vorlagegericht ferner wissen, ob der Anwendungsvorrang die Gültigkeit der Sekundärrechtsakte beeinträchtigte und ob sich einzelne vor den mitgliedstaatliehen Gerichten darauf berufen können.

aa) Die Schlußanträge von Generalanwalt Eimer Im Hinblick auf die erste Frage räumte Generalanwalt Eimer zwar ein, daß es sich beim GATI 1947 insofern um einen "Altvertrag" nach Art. 307 EGV handele, als es vor dem Inkrafttreten des EWGV abgeschlossen wurde. Andererseits sei eine Kollision mit gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften schon deshalb ausgeEuGH- Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994, 1-4973 ff. EuGH- Chiquita ltalia, C-469/93- Slg. 1995, 1-4558 ff. 43 EuGH- T. Port, Verb. Rs. C-364 u. C-365/95- Slg. 1998,1-1023 ff. 44 Verordnung (EG) Nr. 478/95 der Kommission vom 1. März 1995 mit ergänzenden Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates betreffend die Zollkontingentregelung für die Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1442/93, ABI. 1995 L 49, 13. 41

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C. Auslegung des TRIPS

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schlossen, weil die Einfuhren von Bananen aus Ecuador, um die es im Ausgangsrechtsstreit ging, vom GATI 1947 gar nicht erfaßt wurden, da Ecuador zur betreffenden Zeit gar keine GATI-Vertragspartei gewesen sei. 4s Es bestand demnach also gar kein Konflikt zwischen GATI 1947 und gemeinschaftlichem Sekundärrecht. Trotzdem ging Generalanwalt Eimer im folgenden auf die Frage ein, ob die Gültigkeit der fraglichen Verordnung (EG) Nr. 478/95 wegen eines denkbaren Verstoßes gegen Art. XIII des (neuen) GATI 1994 berührt werden könnte. Nach einem Verweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH zum GATI 1947 und die letzte Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/800 bemerkte er dazu knapp: "Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum GATI 1947 läßt sich nach meiner Meinung entsprechend auf das GATI 1994 übertragen."46

bb) Das Urteil des Gerichtshofs Der Gerichtshof folgte den Empfehlungen des Generalanwalts zur ersten Frage und befand, daß Art. 307 Abs. 1 EGV "keine Anwendung findet, wenn es um die Einfuhr von Bananen aus einem Drittland geht, das nicht Partei [des Altvertrages] ist". 47 Da die weiteren Fragen nach der Gültigkeit der Verordnung und der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1994 nur eventualiter gestellt waren, fand der EuGH, daß "sich der Gerichtshof hierzu nicht zu äußern" brauche. 48

b) Das Urteil "Affish" Im Ausgangsrechtsstreit zur Rechtssache Affish49 wehrte sich eine niederländische Fischimporteurin gegen eine Entscheidung der Kornmission über die Einfuhr von Fischerzeugnissen aus Japan. 50 Die Firma machte vor dem niederländi4 ' Schlußanträge von Generalanwalt Michael B. Eimer zu EuGH- T. Port, Verb. Rs. C-364 u. C-365/95- Slg. 1998, 1-1023 (1030), Anm. 16 ff. 46 Schlußanträge von Generalanwalt Michael B. Eimer zu EuGH- T. Port, Verb. Rs. C-364 u. C-365/95- Slg. 1998, 1-1023 (1032 f.), Anm. 27 ff., 29. 47 EuGH- T. Port, Verb. Rs. C-364 u. C-365/95- Slg. 1998,1-1023 (1051 f.), Rn. 58 ff. 48 EuGH- T. Port, Verb. Rs. C-364u. C-365/95- S1g. 1998,1-1023 (1053), Rn. 66--69. 49 EuGH- Affish, C-183/95- Slg. 1997, 1-4315 ff. 50 Entscheidung 95/119/EG der Kommission vom 7. April1995 über bestimmte Schutzmaßnahmen bezüglich aus Japan stammender Fischereierzeugnisse, ABI. 1995 L 80, 56. Die Entscheidung der Kommission war gestützt auf Richtlinie 90/675/EWG des Rates vom

13 Henncs

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

sehen Gericht geltend, die Entscheidung sei ungültig, da sie nicht nur gegen die Grundverordnung und allgerneine gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze verstoße, sondern auch auch gegen einige Vorschriften des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkommen), welches sich in Anhang 1 A zum WTO-Übereinkommen befindet. Das niederländische Gericht legte dem EuGH daraufhin die Frage nach der Gültigkeit der Kommissionsentscheidung vor, ohne jedoch in der Vorlagefrage die genannte WTO-Übereinkunft als möglichen Gültigkeitsmaßstab zu erwähnen.

aa) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas Trotz der engen Vorlagefrage hielt es Generalanwalt Cosmas für nötig, auf die unmittelbare Anwendbarkeit des SPS-Abkommens - und darüber hinaus des WTO-Übereinkommens- einzugehen, "um dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort zu geben und jeden Zweifel an der Gültigkeit der streitigen Entscheidung zu beseitigen". 51 Da die Bestimmungen der Gemeinschaftsabkommen gegenüber sekundärem Gemeinschaftsrecht Vorrang haben, sei zu prüfen, "inwieweit sich aus Sinn, Aufbau und Wortlaut entnehmen läßt, daß sich der einzelne unmittelbar auf die Vorschriften des neuen Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, das als Anhang das fragliche Übereinkommen enthält, berufen kann, um vor Gericht die Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung anzufechten".52 Nachdem Cosmas kurz rekapitulierte, warum der EuGH dem GATT 1947 in ständiger Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit abgesprochen hatte, untersuchte er, ob das WTO-Übereinkommen dasselbe Maß an Flexibilität aufweise. Zunächst wandte sich Cosmas dem neuen Streitbeilegungsrnechanismus nach dem DSU zu. Zwar folge dieser einem "gerichtsnahen Modell", doch sei der das GATT 1947 prägende "Verhandlungsgeist" noch immer gegenwärtig, etwa in der Möglichkeit, nach Art. 22 DSU Entschädigung zu zahlen, anstau die WTOPflichtverletzung zu beseitigen. Auch werde der "gerichtsähnliche Charakter" durch Art. XI Abs. 2 WTO-Übereinkommen abgeschwächt, der allein die Ministerkonferenz und den Allgerneinen Rat ermächtige, das WTO-Übereinkommen 10. Dezember 1990 zur Festlegung von Grundregeln fiir die Veterinärkontrollen, ABI. 1990 L 373, 1. 51 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95Slg. 1997, 1-4315 (4351), Anm. 111. 52 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH - Affish, C-183/95 Slg. 1997, 1-4315 (4352), Anm. 114.

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und die multilateralen Handelsabkommen auszulegen. Zum neuen Abkommen über Schutzmaßnahmen bemerkte er, daß dieses zwar den Rückgriff auf Schutzmaßnahmen verfahrensmäßig einschränke, es den Mitgliedstaatenjedoch weiterhin möglich bleibe, einseitig GATI-Pflichten auszusetzen. Die "flexible Grundhaltung" des gesamten WTO-Übereinkommen werde schließlich in den Art. XX und XXI GATS deutlich, wonach die Mitgliedstaaten in ihren Schedules of Specific Commitments selbst festlegen können, welche Marktbereiche sie Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten öffnen, und diese Verpflichtung auch nach drei Jahren einseitig widerrufen können.53 Auch die konkreten Bestimmungen, Art. 2 und 5 des SPS-Abkommens, seien "nicht so deutlich und konkret gefaßt ( ... ),daß sich der einzelne vor einem nationalen Gericht hierauf berufen könnte". Dies ergebe sich daraus, daß die dort getroffenen Regelungen an die WTO-Mitglieder adressiert sind, Pflichten auch zum Tätigwerden enthalten und detaillierte Durchführungsbestimmungen verlangen.54 Dieses Ergebnis seiner Auslegung von WTO-Übereinkommen und SPS-Abkommen sah der Generalanwalt durch die elfte Begründungserwägung des Beschlusses 94/800/EG bestätigt. Zwar könne "diese Erwägung für sich genommen einer unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen des Übereinkommens nicht entgegenstehen", weshalb es auch "einer Prüfung von Sinn, Aufbau und Wortlaut des Übereinkommens und allgemein der im Rahmen der Uruguay-Runde abgeschlossenen multilateralen Handels übereinkommen" bedurft habe. Doch zeige die Klausel, "daß die schwerwiegenden Gründe, aus denen der Gerichtshof entschieden hat, daß dem GATI ( 1947) keine unmittelbare Wirkung zukommen kann, mit dem neuen GATI ( 1994) nicht entfallen sind". ss Der Generalanwalt kam zu dem Schluß, daß "das Übereinkommen zwar eine für seine Mitglieder bindende neue Regelung eingeführt hat, aber keine unmittelbare Wirkung hat, was bedeutet, daß der einzelne sich vor den nationalen Gerichten nicht darauf berufen kann". 56

53 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH - Affish, C-183/95 Slg. 1997,1-4315 (4354), Anm. 119, Fn. 92. 54 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95Slg. 1997,1-4315 (4354 ff.), Anm. 120 ff. 55 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95Slg. 1997, 1-4315 (4357), Anm. 127. 56 Schlußanträge von Generalanwalt Georges Cosmas zu EuGH- Affish, C-183/95S1g. 1997, 1-4315 (4357), Anm. 128.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

bb) Das Urteil des Gerichtshofs Wie schon in T. Port- und später in Hermes- konnte der Gerichtshof auch in Affish auf die Formulierung des Vorlagebeschlusses verweisen, um einer Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von WTO-Vorschriften auszuweichen. Auf das SPS-Abkommen oder das WTO-Übereinkommen ist der Gerichtshof mit keinem Wort eingegangen. Er bemerkte hierzu lediglich: "Was den von Affish vorgetragenen angeblichen Verstoß gegen das Übereinkommen angeht, so hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht ersucht, die streitige Entscheidung anband dieses Übereinkommens zu prüfen, und der Gerichtshof braucht diese Prüfung auch nicht von Amts wegen vorzunehmen. " 57

2. Das Urteil "Hermes" Auch in der Rechtssache Hermes 58 , dem ersten Fall zum TRIPS, ging der EuGH der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit aus dem Wege. Der Sachverhalt, der dem Urteil zugrunde liegt, wurde ausführlicher bereits weiter oben- im Zusarnmenang mit der Problematik der gemischten Abkommenwiedergegeben.59 In einem markenrechtlichen Streit hatte die Arrondissementsrechtbank Amsterdam auf Antrag von Hermes gegen ein anderes Unternehmen Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach Art. 289 der niederländischen Zivilprozeßordnung erlassen. 60 Das Gericht erwog daraufhin, Hermes nach Art. 50 Abs. 6 TRIPS eine Frist für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens zu setzen. 61 EuGH- Affish, C-183/95- Slg. 1997, I-4315 (4372), Rn. 28. EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, I-3603 ff. 59 Teil!, C. II. 1. b). 60 Art. 289 Abs. 1 der niederländischen Zivilprozeßordnung: "In allen Rechtssachen, in denen aus Gründen der Dringlichkeit unter Berücksichtigung der Interessen aller Parteien eine sofortige einstweilige Maßnahme erforderlich ist, kann ein entsprechender Antrag in einer Sitzung gestellt werden, die der Präsident zu diesem Zweck an den dafür von ihm festgesetzten Werktag abhält." Zitiert nach EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, I-3603 (3643), Rn. 8. 61 Art. 50 Abs. 6 TRIPS (" . .. provisional measures taken on the basis of paragraphs 1 and 2 shall, upon request by the defendant, be revoked or otherwise cease to have effect, if proceedings leading to a decision on the merits of the case arenot initiated within a reasonable period .. .") unterstreicht den provisorischen Charakter der von Art. 50 TRIPS erfaßten einstweiligen Maßnahmen. Hiernach werden einstweilige Maßnahmen, die zum Schutz von geistigen Eigentumsrechten angeordnet wurden, auf Antrag des Antragsgegners aufgehoben oder auf sonstige Weise außer Kraft gesetzt, wenn das Hauptsacheverfahren nicht innerhalb 57 58

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Hierzu hätte sich das Gericht dann verpflichtet gesehen, wenn es sich bei den Maßnahmen nach Art. 289 der niederländischen Zivilprozeßordnung um "provisional measures" im Sinne von Art. 50 TRIPS handelte. Um dies zu klären, setzte die Arrondissementsrechtbank das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Frage nach der Auslegung von Art. 50 TRIPS vor: "Fällt eine einstweilige Maßnahme, wie sie z. B. in den Artikeln 289 ff. der niederländischen Zivilprozeßordnung vorgesehen ist, wonach beim Präsidenten des Gerichts eine sofortige einstweilige Maßnahme beantragt werden kann, unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums?"62

a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro Generalanwalt Tesauro nahm diese Vorlage an den EuGH als willkommenen Anlaß, sich grundlegend mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte auseinanderzusetzen, wobei er leider - dies sei vorausgeschickt - die Besonderheiten des TRIPS gänzlich ignorierte. Obwohl sich die Vorlagefrage der Arrondissementsrechtbank nicht ausdrücklich auf die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS bezog, war Tesauro "der Meinung, daß der Gerichtshof, auch wenn eine spezifische Frage in dieser Richtung nicht gestellt wurde, befugt ist, sich zur unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung des TRIPS zu äußern, gerade um dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort zu geben, das ja die unmittelbare Wirkung der Bestimmung, um dessen Auslegung es ersucht, als gegeben vorausgesetzt hat. " 63 Seiner Ansicht nach war das Vorlagegericht von der unmittelbaren Anwendbarkeit ausgegangen und habe im Vorlageurteil lapidar bemerkt, Art. 50 TRIPS komme unmittelbare Wirkung zu. Deswegen habe sich auch die Aufmerksamkeit der am V erfahren Beteiligten auf diese Frage konzentriert. 64 Vor allem aber sei die Frage einer angemessenen Frist eingeleitet wird. Diese "angemessene" Frist zur Einlegung des Hauptsacheverfahrens ist von dem Gericht, das die einstweiligen Maßnahmen angeordnet hat, festzulegen, sofern das entsprechende nationale Recht dies zuläßt. Falls nicht, läuft die Frist nach 20 Arbeitstagen oder 31 Kalendertagen ab. 62 EuGH- Hermi;!s, C-53/96- Slg. 1998, 1-3603 (3646), Rn. 21. 63 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Hermi;!s, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3622), Anm. 22. 64 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermi;!s, C-53/96 Slg. 1998, 1-3606 (3610), Anm. 8; zu den Einzelheiten siehe den (unveröffentlichten) Sitzungsbericht in niederländischer Sprache; aus diesem geht hervor, daß alle am Verfahren

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nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS für die eigentliche Vorlagefrage "offensichtlich" und "unbestreitbar" erheblich und der eigentlichen Vorlagefrage vorgelagert. Denn sollte Art. 50 Abs. 6 TRIPS nicht unmittelbar anwendbar sein, so könne Hermes sich beim vorlegenden Gericht hierauf nicht berufen, "um die Unvereinbarkeit der entsprechenden nationalen Regelung und damit gegebenenfalls ihre Unanwendbarkeit auf den Rechtsstreit geltend zu rnachen". 65 Der EuGH aber müsse dem Vorlagegericht "alle zweckdienlichen Anhaltspunkte für die Auslegung" geben. Konsequenterweise nehmen die Ausführungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit den größten Teil der ausführlichen Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro ein.

aa) Kritik an der Rechtsprechung zum GATI 1947 Generalanwalt Tesauro legte es darauf an, die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte zu thematisieren, weil er davon ausging, daß sich die Rechtsprechung des EuGH zur (fehlenden) unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 1947 nicht ohne weiteres auf die WTO-Übereinkünfte übertragen ließe. Im Schrifttum war, seitdem sich die Ergebnisse der Uruguay-Runde herauskristallisiert hatten, lebhaft diskutiert worden, ob der EuGH angesichts der Neuerungen des WTO-Übereinkommens einen Paradigmenwechsel vollziehen und seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit aufgeben würde. Es ging also um die Frage, "ob die Veränderungen beim Übergang vom GATT 1947 zur WTO für den Bereich des Problems der unmittelbaren Wirkung zu derselben oder zu einer anderen Lösung führen sollten. " 66

Tesauro zeigte Verständnis für die Kritik des Schrifttums. Auch er hielt die Rechtsprechung des EuGH zum GATT 1947 für falsch. Er fand sie insofern widersprüchlich, als "die Merkmale des GATT, wie mir scheint, nicht so verschieden von denen anderer Abkommen sind, bei denen der Gerichtshof ohne viele Erklärungen undtrotzder Geschmeidigkeit einiger Bestimmungen und des Verhandlungsmoments als Teil des Mechanismus der Streitbeilegung anerkannt hat, daß sich einzelne vor den nationalen Gerichten auf solche klaren, genauen und unbedingten Vorschriften berufen können." Auch seien die konkreten Bestimmunbeteiligten Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Niederlande, sowie der Rat und die Kommission gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 61RIPS argumentiert haben. 6~ Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Herrnes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3621 f.), Anm. 22. 66 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Hermes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3622 ff.), Anm. 23 ff.

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gendes GAlT 1947, die der Gerichtshof irrigerweise nie berücksichtigt habe, "nicht weniger klar, genau und unbedingt als andere Abkornrnensbestirnrnungen, denen der Gerichtshof, überdies bewußt großzügig, unmittelbare Wirkung zuerkannt hat". 67

bb) Flexibilität des WTO-Übereinkommens Nach dieser Kritik an der überkommenen Rechtsprechung des EuGH wandte sich Tesauro der Frage zu, "ob es beim Übergang vom GATI zur WTO ( ... ) zu solchen Änderungen gekommen ist, daß sich vernünftigerweise an eine andere Ausrichtung der Rechtsprechung zu den WTO-Bestirnrnungen denken ließe". Dazu sei zu überprüfen, "ob die dem GATI-System insgesamt beigemessenen Merkmale, die als Beleg für das Fehlen unmittelbarer Wirkung gedient haben, also Geschmeidigkeit der Regelung und ein zu lockerer und an Verhandlungen ausgerichteter Mechanismus der Streitbeilegung, im Zusammenhang der WTO als überwunden angesehen werden können". 68 Bei der sich anschließenden Auslegung des WTO-Übereinkommens "als Ganzem" ging Generalanwalt Tesauro auf dessen Ausnahmevorschriften, Schutzklauseln und vor allem den.Streitbeilegungsmechanismus ein.

( 1) Ausnahmevorschriften und Schutzklauseln Die Geschmeidigkeit des GATI 1947, die der Gerichtshof unter anderem an dessen Ausnahme- und Schutzmaßnahmevorschriften festgernacht hatte, sah Tesauro beim WTO-System durch "die Umkehrung des Verhältnisses von Regeln und Ausnahmen" als überwunden an. Er belegte dies mit der Vereinbarung über Zahlungsbilanzschwierigkeiten (Understanding on Balance-of-Payments Provisions of the General Agreement on Tariffs and Trade 1994) und der Vereinbarung über Befreiungen von Verpflichtungen (Understanding in Respect ofWaivers of Obligations under the General Agreement on Tariffs and Trade 1994), welche eine stärkere Kontrolle und Transparenz dieser Institute ermöglichen. Denselben Zweck verfolge das Agreement on Safeguards, welches die Kontrolle über Schutzmaßnahmen nach Art. XIX des GATI wiederherzustellen suche und die schritt67 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Herrnes, C-53/96 Slg. 1998, 1-3606 (3625 f.), Anm. 27. 68 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Herrnes, C-53/96 Slg. 1998, 1-3606 (3626), Anm. 28.

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weise Abschaffung der sogenannten Grauzonen-Maßnahmen vorsieht. Für die Erteilung von Befreiungsregelungen ("Waiver") auch außerhalb des Warenhandels enthalte Art. IX WTO-Übereinkommen wichtige Einschränkungen, so daß im Gegensatz zu früher "die materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Gewährung von Ausnahmen heute ausreichend streng geregelt" seien. Insgesamt konstatierte Tesauro ein als "natürlich" erscheinendes Verhältnis von Regeln und Ausnahmen. 69

(2) Streitbeilegungsmechanismus Im Bereich der Streitbeilegung sah Generalanwalt Tesauro in den Regeln des DSU einen deutlichen Fortschritt gegenüber denen des GATT 1947. So sei das dem GATT 1947 zugrundeliegende Konsensprinzip, nach dem die unterlegene Partei die Annahme eines Panel-Berichtes durch DIE VERTRAGSPARTEIEN blockieren konnte, dem Prinzip des "negativen Konsenses" gewichen. Hiernach können Entscheidungen des DSB, etwa die Annahme von Berichten der Panels (Art. 16 Abs. 4 S. 1 DSU) oder des Appellate Body (Art. 17 Abs. 14 S. 1 DSU) oder die Zulassung von Sanktionsmaßnahmen (Art. 22 Abs. 6 S. 1 DSU), nur durch Konsens zurückgewiesen werden. Der Umstand, daß die im Streitverfahren unterlegene Partei nicht länger ihre Verurteilung blockieren könne, müsse als "kopernikanische Wende" gewertet werden. Auch in institutioneller Hinsicht habe sich der Mechanismus durch die funktionelle Ausdifferenzierung in einen Dispute Settlement Body, ad hoceingesetzte Panels und ein ständiges Berufungsgremium, den Appellate Body, beachtlich fortentwickelt. Nach Auffassung von Tesauro wird die Überwindung des konsensualen Charakters durch das DSU auch dadurch nicht in Frage gestellt, daß die sofortige Umsetzung der Streitbeilegungsentscheidungen nach Art. 22 DSU durch ein System von Ausgleichsmaßnahmen ersetzt werden kann. Der nach Art. 22 DSU mögliche Ausgleich sei "eine nur vorläufige Maßnahme, die daher keine Methode der Streitbeilegung, sondern lediglich ein vorübergehendes Instrument" darstelle. Hiermit solle nicht die dauernde Nichtbefolgung von Entscheidungen des DSB erkauft werden können. Vielmehr solle die Regelung "verhindern, daß die Nichtbefolgung binnen der im Einzelfall festgelegten angemessenen Frist die den anderen Vertragsparteien daraus entstandenen Vorteile beseitigt oder verrin69 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Herm~s. C-53/96 Slg. 1998, 1-3606 (3626 f.), Anm. 29.

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gert, und zugleich sicher[stellen], daß die Partei nicht dazu verleitet wird, auf unbestimmte Zeit bei ihrer Nichtbefolgung zu bleiben". Ein "Provisorium auf Dauer" sei nicht zu befürchten. Selbst das Gemeinschaftsrecht sehe in Art. 228 EGV eine vergleichbare Möglichkeit vor, bei vorübergehender Nichtbefolgung eines EuGH-Urteils ein angemessenes Zwangsgeld zu verhängen. Generell dürfe die unmittelbare Anwendbarkeit "nicht von den mehr oder weniger langen Zeiträumen abhängen( ... ), die ein Staat benötigt, um sich einer Entscheidung eines Gerichtes oder eines Panels anzupassen, und noch viel weniger von Instrumenten, die fallweise eingesetzt werden können, um die Wirkungen der Nichtbefolgung auszugleichen und/oder einen Anreiz zur Befolgung zu schaffen".70

(3) Fazit Nach diesem Vergleich des WTO-Übereinkommens mit dem GATT 1947 anhand der Kriterien, die der EuGH für die Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit für wesentlich hält, kam Generalanwalt Tesauro zu dem Schluß: "Mithin muß auf der Grundlage der soeben dargestellten Merkmale des WTOSystems die Frage gestellt werden, ob die Veränderungen gegenüber dem GATTSystem dazu führen können, daß der Gerichtshof in der Frage der unmittelbaren Wirkung seinen Standpunkt ändert. Meine Antwort lautet, daß er es notfalls könnte, ja müßte, wenn man überdies die Rechtsprechung zu den anderen von der Gemeinschaft abgeschlossenen Abkommen einbezieht, die, wie man wohl einräumen muß, im Vergleich zum WTO-Übereinkommen, was die Geschmeidigkeit und das Verhandlungsmoment bei der Streitbeilegung anlangt, nicht so tiefgreifend unterschiedliche Merkmale aufweisen. Letztlich bin ich der Auffassung, daß sich die Lage im Vergleich zum GATT 1947 geändert hat und daß die Einwände, die der Gerichtshof bisher erhoben hat, gegenüber dem WTOKontext als überwunden anzusehen sind. Unter diesem Blickwinkel müßte daher die Einhaltung der WTO-Übereinkommen, darunter des TRIPS, von nun an von den einzelnen vor Gericht geltend gemacht werden können, wohlgemerkt nur bei den Bestimmungen, die dafür in Frage kommen. " 71

70 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Herrnes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3627 f.), Anm. 29 und Fn. 52. 71 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96 Slg. 1998,1-3606 (3628), Anm. 30.

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cc) Konkrete Vorschrift Galten die vorausgehenden Erwägungen noch unspezifisch dem gesamten WTO-Übereinkommen, so setzte sich Tesauro anschließend mit der konkreten Vorschrift, Art. 50 Abs. 61RIPS, auseinander. An deren unmittelbarer Anwendbarkeit könne man seiner Ansicht nach "keinen vernünftigen Zweifel" haben. Sie erweise sich "bereits auf den ersten Blick als hinreichend klar, genau und nicht durch einen weiteren Akt bedingt". Auf Einwände der Kommission und der französischen Regierung, die Vorschrift sei - wie andere Bestimmungen von Teil III des 1RIPS auch - zu allgemein formuliert, eindeutig an die Vertragsparteien gerichtet und enthielte eine Pflicht zum Tätigwerden, entgegnete er, "daß es zumindest gewagt wäre, aus Wendungen, die sich in internationalen Abkommen ständig finden, Schlüsse bezüglich der Rechtsqualität ihrer Bestimmungen ableiten zu wollen". Entscheidend komme es allein darauf an, "ob die betreffende Bestimmung sich als solche zur Anwendung eign[e]", was zu bejahen sei, "wenn es keines weiteren Aktes bedarf, damit sie die ihr eigenen Wirkungen entfalten kann". Das sei für die "überaus klare und detaillierte Vorschrift" des Art. 50 Abs. 61RIPS der Fall.72

dd) Ergebnis Die Auslegung des WTO-Übereinkommens führte Generalanwalt Tesauro zum Ergebnis, es sei seinem Gesamtcharakter nach- insbesondere unter Berücksichtigung des neuen Streitbeilegungsmechanismus- für die unmittelbare Anwendbarkeit in der Gemeinschaftsrechtsordnung geeignet. Auch die konkrete 1RIPSBestimmung eigne sich wegen ihrer Präzision und Ausführlichkeit für die unmittelbare Anwendbarkeit. Daher mag es überraschen, daß Tesauro dem Gerichtshof dennoch empfahl, Art. 50 Abs. 6 1RIPS nicht als unmittelbar anwendbar anzuerkennen und sogar die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Übereinkommens insgesamt zu verneinen. Der Grund hierfür liegt jedoch nicht in der Auslegung des 1RIPS oder des WTO-Übereinkommens, sondern in einem Umstand, der außerhalb der Vertragsauslegung liegt. Da die wichtigsten Handelspartner der EG - allen voran die USA, aber auch Japan - die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften des WTO-Übereinkommens intern wirksam ausgeschlossen hatten, sah Generalanwalt Tesauro eine Gefahr für die Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung, sollte die EG dessen ungeachtet die unmittelbare Anwendbarkeit des 72 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hennes, C-53/96 Slg. 1998, 1-3606 (3631 f.), Anm. 36 f.

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WTO-Übereinkommens anerkennen. 73 Der Gerichtshof sollte daher die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Übereinkommens unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit verneinen.74 Dieses Reziprozitätsargument von Generalanwalt Tesauro, das über den Bereich der Vertragsauslegung hinausweist, soll in einem eigenen Kapitel dargestellt und eingehend kritisiert werden. 75 Festzuhalten bleibt, daß Tesauro das WTO-Übereinkommen und die konkrete TRIPS-Bestimmung auf der Grundlage seiner Auslegung durchaus für unmittelbar anwendbar hielt, und nur aus anderen Gründen, nämlich der Sorge um die Reziprozität bei der Vertragsdurchführung, im Ergebnis gegen die unmittelbare Anwendbarkeit votierte.

b) Das Urteil des Gerichtshofs Die ausführlichen Schlußanträge von Generalanwalt Tesauro haben den EuGH nicht dazu bewogen, sich ebenfalls mit der Frage zu befassen, ob Art. 50 Abs. 6 TRIPS unmittelbar anwendbar ist. Er nahm die eng gefaßte Vorlagefrage der Arrondissementsrechtbank Amsterdam zum Anlaß, einer Auseinandersetzung mit diesem Problem aus dem Wege zu gehen. Der Gerichtshof bemerkte lapidar: "Über die Frage der unmittelbaren Wirkung des Artikels 50 des TRIPS wurde verhandelt; gleichwohl hat der Gerichtshof hierüber nicht zu entscheiden. Er hat lediglich die Auslegungsfrage zu beantworten, die ihm das nationale Gericht vorgelegt hat, um die niederländischen Verfahrensvorschriften unter Berücksichtigung dieses Artikels auslegen zu können. " 76 Anschließend beschränkte sich der 73 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96 Slg. 1998,1-3606 (3629 ff.), Anm. 31 ff. 74 Generalanwalt Tesauro hielt es "für richtiger, die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung im Grundsatz der Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkommens zu verankern, als Formeln zu bekräftigen, die zwar in bezugauf das GATT 1947 gefestigt sind, im Rahmen der WfO-Übereinkommen aber keine Daseinsberechtigung mehr haben und daher lediglich die schon verbreitete Meinung bestärken würden, wonach eine solche Lösung eher eine politische als eine rechtliche wäre". Tesauro schlug daher dem Gerichtshof vor, "bei seiner Entscheidung auf die Gegenseitigkeit abzustellen - falls er sich nicht mit dem Gedanken trägt, die Auslegung und ganz allgemein die , Verwaltung' der uns hier beschäftigenden Abkommensbestimmungen den ,politischen' Organen, d. h. der Kommission und dem Rat, zu überlassen." Wenn der Gerichtshof auf das von ihm vorgegschlagene Reziprozitätsargument abstellte, würde sich zwar nicht das praktische Ergebnis ändern, "Gewicht und rechtlicher Gehalt der Argumentation würden indessen gewinnen"; Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96 - Slg. 1998, 1-3606 (3631), Anm. 34 f. 75 Siehe unten Teil 3, D. II. 1. a) aa) und II. 2. b) bb). 76 EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3606 (3650), Rn. 35.

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

EuGH darauf, die TRIPS-Bestimmung auszulegen, ohne auf deren unmittelbare Anwendbarkeit einzugehen.

3. Das Urteil "PortugaVRat" Bei der Rechtssache Portugal/Rat71 handelte es sich - anders als bei den Rechtssachen T. Port, Affish und Hermes- nicht um ein Vorabentscheidungsverfahren, sondern um eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 1 EGV. Portugal hatte auf Nichtigerklärung des Ratsbeschlusses 96/386/EG78 geklagt, in dem dieser mit qualifizierter Mehrheit - Portugal war überstimmt worden - zwei Abkommen zwischen der EG und Pakistan sowie der EG und Indien über den Marktzugang von Textilwaren genehmigt hatte. Die portugiesische Regierung war der Auffassung, der angefochtene Beschluß verletze u. a. Vorschriften verschiedener WTO-Übereinkünfte, nämlich des GATI 1994, des Übereinkommens über Textilien und Bekleidung (A TC-Übereinkommen) und des Übereinkommens über Einfuhrlizenzen. Entgegen der Auffassung des Rates, der Kommission und Frankreichs hielt die portugiesische Regierung eine Überprüfung des Ratsbeschlusses anband der genannten WTO-Übereinkünfte für möglich, wiesen doch die WTO-Übereinkünfte "bedeutende Unterschiede gegenüber dem GATI 1947 auf, insbesondere weil sie das Streitbeilegungssystem weitgehend umgestaltet haben". 79

a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Saggio Generalanwalt Saggio nutzte- wie Generalanwalt Tesauro in der Rechtssache Hermes- die Gelegenheit, um sich grundsätzlich damit auseinanderzusetzen, inwieweit die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 1947 die im Fall gestellte Frage beeinflußte.

EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 ff. Beschluß 96/386/EG des Rates vom 26. Februar 1996 über den Abschluß von Vereinbarungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan sowie zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Indien über den Marktzugang für Textilwaren, ABI. 1996 L 153,47. 19 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8435), Rn. 31 f. 77

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aa) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zum GATT 1947 Wie schon Generalanwalt Gulrnann in Deutschland/Rat, 80 betonte Saggio zunächst, die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommens müsse nicht dagegen sprechen, es als Rechtmäßigkeitsmaßstab ("parametre de Iegalite") in einem Verfahren nach Art. 230 Abs. 1 EGV heranzuziehen: "[U]ne regle issue d'une convention internationale peut eventuellement ne pas etre d'application directe sans que celajustifie qu'on lui denie tout effet obligatoire a l'egard des institutions communautaires et, par consequent, Ia fonction de parametre (communautaire) de Iegalite". 81 Darüber hinaus kritisierte er die Rechtsprechung des EuGH zum GATI 1947 scharf. Die einzelnen in der Gemeinschaft lediglich auf die Fediol- bzw. Nakajirna-Doktrin zu vertrösten, "reviendrait asubordonner l'application des regles de l'accord aIa condition que I' ordre juridique communautaire ait ete adapte al'accord international par le biais d'un acte d'execution ou de transposition et, par consequent, arestreindre Ia portee des dispositions de l'article 228, paragraphe 7 [Art. 300 Abs. 7 EGV], du traite". Hiermit verleugne der Gerichtshof das in Art. Art. 300 Abs. 7 EGV zum Ausdruck gebrachte monistische Konzept, das dem Verhältnis von Völkervertragsrecht und Gemeinschaftsrecht zugrunde liege. 82

bb) Gesamtbetrachtung des WTO-Übereinkommens Generalanwalt Saggio sah in dem WTO-Übereinkommen mitsamt seinen Anhängen gegenüber dem GATI 1947 eine bedeutende Fortentwicklung. Mit der WTO sei eine internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit ge80 Schlußangträge von Generalanwalt Gulmann zu EuGH- Deutschland/Rat, C-280/93 - Slg. 1994,1-4973 (5023), Anm. 137: ,,Es ist möglich, daß sich die Betroffenen in einem Verfahren nach Art. 173 auf ein Abkommen berufen können, auch wenn dies keine unmittelbare Wirkung hat. Es kann jedoch auch so sein, daß die Gründe, die zur Vemeinung der unmittelbaren Wirkung des Abkommens führen, so geartet sind, daß sie zugleich zu der Auffassung führen müssen, daß das Abkommen kein Teil der Grundlage der Rechtmäßigkeitsprüfung des Gerichtshofes sein kann." Nach Auffassung von Gulmann war letzteres beim GATI 1947 derFalL Auch der Gerichtshof entschied, daß die Gründe, die gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 sprechen, es auch verhinderten, das Abkommen als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen einer Nichtigkeitsklage anzuerkennen, EuGH -Deutschland/Rat, C-280/93- Slg. 1994,1-4973 (5073), Rn. 109. 81 Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96 - Slg. 1999, 1-8395 (8397 ff.), Anm. 18. 82 Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH -Portugal/Rat, C-149/96 - Slg. 1999, 1-8395 (8397 ff. ), Anm. 18.

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Tei13: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

schaffen worden "dote d'une structure plus equilibree et plus stable que celui institue avec l'accord de 1947". Sehr viele der Bestimmungen der WTO-Übereinkommen schüfen unbedingte und präzise Verpflichtungen. Auch die Reform des Streitbeilegungsmechanismus83 sei beachtenswert.84

cc) Ergebnis Generalanwalt Saggio sah- anders als Generalanwalt Tesauro in Hermes- in dem Umstand, daß einige WTO-Mitglieder die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Übereinkommens ausgeschlossen hatten, keinen Grund, dessen unmittelbare Anwendbarkeit bzw. Anwendbarkeit als Rechtsmäßigkeitsmaßstab in der Gemeinschaftsrechtsordnung abzulehnen. 85 Daher kam er zum Ergebnis "que dans le cas d'espece, s'agissant d'un recours direct fondee sur l'article 173 [Art. 230 EGV] du traite, introduit parunEtat membre aI' encontre d' un acte du Conseil, I' invocation des accords de l'OMC par le requerant ne souleve aucun problerne de recevabilite".86 Die WTO-Übereinkünfte eigneten sich also seiner Ansicht nach dazu, in der Gemeinschaftsrechtsordnung als Rechtsmäßigkeitsmaßstab für Gemeinschaftshandlungen herangezogen zu werden. 87 b) Das Urteil des Gerichtshofs Dem Vorschlag des Generalanwalts, eine Überprüfung des Ratsbeschlusses am Maßstab der fraglichen WTO-Übereinkünfte zuzulassen, ist der Gerichtshof nicht 83 Widersprüchlich erscheint es hingegen, wenn Saggio das Streitbeilegungssystem des DSU an anderer Stelle als "systeme de conciliation des sujets de droit international" bewertet, Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96 - Slg. 1999, I-8395 (8397 ff.), Anm. 23. 84 Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96 - Slg. 1999, I-8395 (8397 ff.), Anm. 19. 85 Nach der Ansicht von Generalanwalt Saggio kann eine solche Praxis von Drittstaaten "aucune incidence sur la portee de ces dispositions et, par consequent, sur leureffet obligatoire a l'interieur de !'ordre juridique comrnunautaire" haben; Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, I-8395 (8397 ff.), Anm. 21 f. Ausführlich zu den Reziprozitätserwägungen Saggios unten Teil3, D. II. 1. a) bb). 86 Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96 - S1g. 1999, I-8395 (8397 ff.), Anm. 24. 87 In der Begründetheit jedoch fand Saggio im Ergebnis keinen Verstoß des Ratsbeschlusses gegen die Vorschriften der einschlägigen WTO-Übereinkünfte; Schlußanträge von Generalanwalt Antonio Saggio zu EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, I-8395 (8397 ff.), Anm. 25 ff.

C. Auslegung des TRIPS

207

gefolgt. Seiner Ansicht nach gehören "die WTO-Übereinkünfte wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane mißt". 88 Es ist bemerkenswert, daß sich der EuGH, um dieses Ergebnis zu begründen, nicht auf die überkommenen Argumente gestützt hat, mit denen er in Deutschland/Rat abgelehnt hatte, Gemeinschaftshandlungen arn Maßstab des GATI 1947 zu messen. Vielmehr hat er sich erstmals, nachdem er der Konfrontation in T. Port, Affish und Hermesaus dem Wege gehen konnte, mit der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Übereinkommens auseinandergesetzt. 89

aa) Keine völkerrechtliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit Zunächst rekapitulierte der Gerichtshof die Grundsätze aus der Rechtssache Kupferberg, wonach die Gemeinschaftsgerichte die unmittelbare Anwendbarkeit nur dann durch Auslegung zu bestimmen haben, wenn das Gemeinschaftsabkommen den Modus der internen Umsetzung nicht ausdrücklich anordnet. Letzteres ist nach Auffassung des Gerichtshofes bei den WTO-Übereinkünften der Fall. In ihnen sei "nicht festgelegt ( ... ), mit welchen rechtlichen Maßnahmen die Mitglieder diese Übereinkünfte nach Treu und Glauben in ihre interne Rechtsordnung umzusetzen haben" ,'JIJ Dies ist wenig überraschend, hat doch der EuGH bei bisher keinem Gemeinschaftsabkommen - auch nicht bei den zahlreichen unmittelbar anwendbaren91 - angenommen, in ihnen sei eine völkerrechtliche Pflicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit geregelt.92 Nach den verfassungsrechtlichen Regeln

EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437, 8439), Rn. 41 und 47. Da es um die Berücksichtigung der WTO-Übereinkünfte als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen von Verfahren nach Art. 230 EGV ging, sprach der EuGH nicht von "unmittelbarer Anwendbarkeit". Wie oben, Teil2, A. III. 1. b), im einzelnen dargelegt, beurteilt der EuGH die Frage des Rechtsmäßigkeitsmaßstabs und die der Berufungsmöglichkeit einzelner seit der Rechtssache Deutschland/Rat nach denselben Kriterien. Aus diesem Grunde wird die Frage des Rechtsmäßigkeitsmaßstabs im Rahmen der vorliegenden Untersuchung als Unterfall der unmittelbaren Anwendbarkeit begriffen. 90 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437), Rn. 41. 91 Vgl. etwa EuGH- Kupferberg, 104/81- Slg. 1982, 3641 ff. 92 Das Urteil Portugal/Rat ist insofern etwas unscharf formuliert, als dort die Frage der völkerrechtlichen Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit und die interne Frage nach der verfassungsrechtlichen Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht deutlich getrennt werden. Insgesamt legt der EuGH das WTO-Übereinkommenjedoch genauso nach den gemeinschaftsrechtlichen Kriterien aus wie in seiner sonstigen Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen. 88 89

208

Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

der Gemeinschaft kam es mithin auf die Auslegung des Abkommens und der konkreten Vorschriften an.

bb) Die Entschädigungsmöglichkeit nach Art. 22 DSU Im Rahmen seiner Auslegung vermied es der EuGH, einfach die Argumente aus seiner ständigen GATI-1947-Rechtsprechung auf das WTO-Übereinkommen zu übertragen. Stattdessen pflichtet er der portugiesischen Regierung bei, daß "sich die WTO-Übereinkünfte ( ... ) insbesondere aufgrund der Stärkung der Schutzregelung und des Streitbeilegungsmechanismus erheblich vom GATI 1947" unterschieden. Trotz dieser Fortentwicklung des WTO-Systems gegenüber dem GATI 1947 gehörten "die WTO-Übereinkünfte wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane mißt"93 , denn immer noch räume "das mit diesen Übereinkünften geschaffene System der Verhandlung zwischen den Mitgliedern einen hohen Stellenwert ein. "94 Diesen konsensualen Charakter der WTO-Übereinkünfte machte der Gerichtshof an einer Vorschrift des im DSU geregelten Streitbeilegungsmechanismus fest: Art. 22 DSU. Nach Art. 22 Abs. 2 S. 1 DSU soll ein WTO-Mitglied, das eine Streitbeilegungsentscheidung des DSB nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums (vgl. Art. 21 Abs. 3 DSU) umsetzt, falls es darum ersucht wird, mit der Partei, die das Streitbeilegungsverfahren angestrengt hat, Verhandlungen aufnehmen, um einvernehmlich eine Entschädigung festzulegen. Der EuGH verstand dies als Option für die WTO-Mitglieder, WTO-widrige Rechtsnormen gegen eine finanzielle Kompensation beizubehalten. Daher argumentierte er, die in Art. 22 Abs. 2 DSU geregelte Möglichkeit, immerhin für einen Übergangszeitraum eine Entschädigung zu vereinbaren, liefe leer, könnte der EuGH die Rechtmäßigkeit von Sekundärrecht an den WTO-Übereinkommen messen und dadurch WTO-widriges Sekundärrecht kassieren bzw. entsprechende mitgliedstaatliche Normen für unanwendbar erklären: "Dürften die Gerichte mit den WTO-Übereinkünften unvereinbare innerstaatliche Rechtsvorschriften nicht anwenden, so würde den Legislativ- und Exekutivorganen der Mitglieder somit die ihnen in Art. 22 DSU eingeräumte Befugnis genommen, auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen, selbst wenn diese nur als vorübergehende zulässig sind." 9s Nach Auffassung des Gerichtshofes EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437, 8439), Rn. 41 und 47. EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8436), Rn. 36. 9 s EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437), Rn. 40. 93

94

C. Auslegung des TRIPS

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läßt Art. 22 Abs. 2 DSU mit der Vereinbarung von Kompensationen zum einen den Verhandlungscharakter auch des reformierten Streitbeilegungsmechanismusses erkennen. Zum anderen argumentierte er, die Vorschrift würde gegenstandslos, nehme man den WTO-Mitgliedern durch die unmittelbare Anwendbarkeit die Möglichkeit, WTO-widrige Regelungen auch gegen interne Angriffe beizubehalten. cc) Das Ziel des WTO-Obereinkommens

Nachdem also der EuGH selbst im reformierten Streitbeilegungsmechanismus noch Elemente fand, die seiner Ansicht nach gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften im Gemeinschaftsrecht sprachen, stellte er zusätzlich auf ein Argument ab, das schon aus seiner GATI-1947-Rechtsprechung hinlänglich bekannt wat. Der Gerichtshof wertete es als Hinweis gegen die unmittelbare Anwendbarkeit, daß "das Übereinkommen zur Errichtung der WTO einschließlich seiner Anhänge nach seiner Präambel - ebenso wie das GATI 1947 - auf dem Prinzip von Verhandlungen ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' aufbaut". Hierin unterscheide es sich von anderen Gemeinschaftsabkommen, "die eine gewisse Asymmetrie in den Verpflichtungen oder besondere Integrationsbeziehungen mit der Gemeinschaft begründen".96 Da das Ziel des WTO-Übereinkommens dahinter zurückbleibe, sei es nicht unmittelbar anwendbar.97

dd) Ergebnis

Insgesamt kam der Gerichtshof zum Ergebnis, die WTO-Übereinkünfte gehörten "wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane mißt". 98 In seinem Auslegungsergebnis sah er sich im Einklang mit der Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/800.99 Neben der Auslegung "der WTO96 Als Beispiel für ein solches, seinem Ziel nach über die Schaffung gegenseitiger Pflichten hinausgehendes und damit ambitioniertes, Gemeinschaftsabkommen führt der EuGH das im Urteil Kupferberg ausgelegte Freihandelsabkommen mit Portugal an. 91 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, I-8395 (8438), Rn. 42. 98 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437, 8439), Rn. 41 und 47. 99 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8439), Rn. 48. Der Gerichtshof sieht sich augenscheinlich nicht an die Begründungserwägung gebunden, hätte er doch sonst nicht selbst die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Übereinkommens untersucht.

14 Hermes

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Tei13: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

Übereinkünfte" war dabei für den EuGH auch das von Generalanwalt Tesauro in

Hermes vorbereitete Reziprozitätsargument entscheidend. 100 Im Ergebnis konnte daher "die Portugiesische Republik nicht geltend machen, daß der angefochtene Beschluß unter Verstoß gegen bestimmte Vorschriften und Grundsätze der WTO erlassen worden ist". 101 ·

4. Das Urteil "Dior und Assco" Mit dem Urteil in den vebundenen Rechtssachen Dior und Assco 102 , der nach dem Urteil Hermes zweiten Entscheidung zum TRIPS, übertrug der EuGH seine Argumentation aus dem Urteil PortugaVRat, die sich dort noch auf .,die WTOÜbereinkünfte" insgesamt bezogen hatte, ausdrücklich auf das TRIPS. Der Sachverhalt der Rechtssache Assco wurde bereits weiter oben- im Zusammenhang mit der Problematik der gemischten Abkommen- wiedergegeben. 103 In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zwischen den Firmen Layher Deutschland und Layher Niederlande einerseits und der Firma Assco andererseits um den Schutz eines gewerblichen Modells hatte der Hoge Raad der Nederlanden den EuGH um Vorabentscheidung folgender Frage gebeten: .,Ist Artikel 50 des TRIPsÜbereinkommens, insbesondere Absatz 6, unmittelbar anwendbar?" 104 Dieselbe 100 Der EuGH hielt das WfO-Übereinkommen für ein reziprok strukturiertes Abkommen und sah die Gegenseitigkeit der Vertragsdurchführung gefährdet, falls die EG die unmittelbare Anwendbarkeit einseitig anerkenne, EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8438 f.), Rn. 43 ff. Ausführlich zu den Reziprozitätserwägungen des EuGH unten Teil 3, D. li. 1. a) cc). 101 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8440), Rn. 52. Entgegen der Auffassung von Berrisch/Kamann, EWS 2000, 89 (92 ff.), spricht der EuGH den WTOÜbereinkünften damit nicht die innergemeinschaftliche Geltung ab. Er verneint nur eine besondere Wirkung, nämlich die Geltendmachung als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen der Nichtigkeitsklage (ein Unterfall der unmittelbaren Anwendbarkeit). Die völkerrechtskonforme Auslegung anband der WfO-Übereinkünfte erkennt der EuGH hingegen an (vgl. EuGH- Hermes, C-53/96- Slg. 1998, 1-3606 (3650), Rn. 35). Letztere setzt die innergemeinschaftliche Geltung voraus, vgl. EuGH- Kommission/Deutschland, C-61/94- Slg. 1996, 1-3989 (4021), Rn. 52(" ... gebietet es der Vorrang der von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, diese nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen"). 102 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, n. n. in Slg., abrufbar unter http://curia.eu.int/jurisp/. 103 Siehe oben Teil 1, C. li. 1. 104 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392198- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 27.

C. Auslegung des TRIPS

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Frage wurde dem EuGH auch in der Rechtssache Dior, einer markenrechtlichen Streitigkeit zwischen den Firmen Dior und Tuk, von der Arrondissementsrechtbank 's-Gravenhage vorgelegt. 105

a) Die Schlußanträge von Generalanwalt Cosmas Generalanwalt Cosmas hielt die Vorlage in dem Verfahren der Rechtssache

Dior für unzulässig, da das Vorlagegericht dort nicht hinreichend deutlich ge-

macht habe, inwieweit die Beantwortung für das Ausgangsverfahren erheblich sein könnte. Da zwischen dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 TRIPS keine Verbindung herzustellen sei, ergebe sich keine objektive Notwendigkeit, darauf zu antworten. 106 Im Rahmen des Verfahrens der Rechtssache Assco verneinte Generalanwalt Cosmas, wie oben dargelegt, 107 die Auslegungszuständigkeit des EuGH für Art. 50 TRIPS, so daß aus seiner Sicht auch dort die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschrift nicht zu bestimmen war. 108 Nur für den Fall, daß der Gerichtshof die Vorlage in Dior für zulässig erachten und seine Auslegungszuständigkeit für Art. 50 TRIPS in Assco bejahen sollte, führte Cosmas hilfsweise aus, die Argumente, die der Gerichtshof im Urteil PortugaVRat gegen die Berücksichtigung der WTO-Übereinkünfte als Rechtrnäßigkeitsmaßstab angeführt hatte, sprächen auch gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 50 TRIPS. Da die Kriterien für die "invocabilite" einer Abkommensbestimmung identisch seien mit den Kriterien für deren "effet direct", führe die "exclusion ( ... ) de l'invocabilite en generaldes dispositionsdes accords OMC" automatisch dazu "a ecarter 1' effet direct de 1' ensembledes dispositions de l'accord TRIPs". Auf die Präzision von Art. 50 TRIPS komme es daher gar nicht mehr an. 109 105 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn.19. 106 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - vom 11.7.2000, n. n. in Slg., abrufbar (auf griechisch, französisch und niederländisch) unter http://curia.eu.int/jurisp/, Rn. 26 ff. 107 Siehe oben Teil 1, C. II. 1. 108 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 - vom 11 .7 .2000, Rn. 31 ff. 109 Schlußanträge des Generalanwalts Georges Cosmas zu EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- vom 11.7.2000, Rn. 77 ff. Generalanwalt Cosmas unterstreicht jedoch, daß im Rahmen der Rechtssache Dior Art. 50 TRIPS in jedem Fall im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung zu berücksichtigen sei (Rn. 80). Im Verfah-

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Tei13: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

b) Das Urteil des Gerichtshofs Im Gegensatz zu Generalanwalt Cosmas hielt der Gerichtshof die Vorlage in der Rechtssache Dior für zulässig. 110 Da er ferner seine Auslegungszuständigkeit in der Rechtssache Assco, wie oben dargelegt, 111 bejahte, hatte er sich auch wegen der zweiten Vorlagefrage in dieser Rechtssache mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS auseinanderzusetzen. Wegen der oben beschriebenen Auffassung des Gerichtshofes, Art. 50 TRIPS sei nicht in allen Fallkonstellationen dem Gemeinschaftsrecht zuzurechnen, 112 beziehen sich die anschließend wiedergegebenen Ausführungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit allein auf die Konstellationen, in denen Art. 50 Abs. 6 TRIPS aus der Sicht der EuGH der "Sphäre des Gemeinschaftsrecht zuzurechenen" ist. Der Gerichtshof zitierte zunächst seine Formel aus dem Urteil DemireI, wonach eine Abkommensbestimmung dann unmittelbar anwendbar ist, "wenn aus dem Wortlaut, dem Gegenstand und der Art des Abkommens zu schließen ist, dass sie eine klare, eindeutige und unbedingte Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen" .113 Sodann bezog er sich auf seine Feststellung aus dem Urteil Portugal/Rat, "die WTOÜbereinkünfte und ihre Anhänge [gehörten] wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Gerichtshof die Handlungen der Gemeinschaftsorgane [gemäß Art. 230 EGV] mißt". 114 Anschließend stellte der Gerichtshof klar, daß die Argumente, wegen derer er den WTO-Übereinkünften insgesamt die Qualität als Rechtsmäßigkeitsmaßstab im Rahmen einer ren Assco sei das zuständige mitgliedstaatliche Gericht - im Interesse guter Zusammenarbeit zwischen Gemeinschafts- und nationalen Stellen -gehalten, bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 TRIPS nur mit guten Gründen von der Entscheidung des EuGH in PortugaVRat abzuweichen (Rn. 81). 110 Der Gerichtshof wies darauf hin, das vorlegende Gericht sei zum Erlaß einstweiliger Maßnahmen angerufen und müsse daher wissen, ob es dabei die in Art. 50 Abs. 6 TRIPS vorgesehenen Befristungen zu beachten habe. Auch sei die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 Abs. 6 TRIPS identisch mit der zweiten Vorlagefrage in der Rechtssache Assco, deren Zulässigkeit nicht in Abrede gestellt worden sei, EuGH - Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 30. 111 Siehe oben Teill, C. II. 1. 112 Siehe oben Teill, C. II. 1. 113 EuGH- DiorundAssco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 42, unter Verweis aufEuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 14. 114 EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 43, unter Verweis auf EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437, 8439), Rn. 47.

C. Auslegung des TRIPS

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Nichtigkeitsklage abgesprochen hatte, es auch ausschlössen, daß sich einzelne vor den mitgliedstaatliehen Gerichten auf die Vorschriften des TRIPS berufen: "Aus den gleichen Gründen wie den vom Gerichtshof in den Randnummern 42 bis 46 des Urteils Portugal/Rat angeführten begründen die Bestimmungen des dem WTO-Übereinkommen als Anhang beigefügten TRIPs-Übereinkommens für den einzelnen keine Rechte, auf die er sich nach dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar vor den Gerichten berufen könnte. " 115 Damit verneinte der EuGH ausdrücklich die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung.

5. Zusammenfassung In den Verfahren der Rechtssachen T. Port, Affish, und Hermes wurde über die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte verhandelt. In seinen Schlußanträgen zu der Rechtssache Hermes, die erstmals das TRIPS betraf, hat Generalanwalt Tesauro im Hinblick auf die unmittelbare Anwendbarkeit einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung des EuGH vorbereitet. Der Gerichtshof hat es in diesen Verfahren jedoch vermieden, sich mit dem Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte einschließlich des TRIPS auseinanderzusetzen. Erst in der Rechtssache PortugaVRat war der Gerichtshof gezwungen, die unmittelbare Anwendbarkeit von WTO-Übereinkünften zu erörtern. Seiner Auffassung nach sprach die Auslegung der WTO-Übereinkünfte- der EuGH stellte auf das Ziel des gesamten WTO-Übereinkominens und die Kompensationsregelung in Art. 22 DSU ab - dagegen, deren Bestimmungen in Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 EGV als Maßstab zur Beurteilung der Gültigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht heranzuziehen. In dem Urteil Dior und Assco stellte der Gerichtshof klar, daß seine Argumentation auch für die andere Spielart der unmittelbaren Anwendbarkeit, die Möglichkeit einzelner, sich vor den Gerichten auf Abkommensbestimmungen zu berufen, gelte. Dies war nicht anders zu erwarten, da der EuGH schon in seiner Rechtsprechung zum GATT 1947 dessen unmittelbare Anwendbarkeit im Sinne der Berufungsmöglichkeit einzelner aus denselben Gründen ablehnte wie die unmittelbare Anwendbarkeit im Sinne der Berücksichtigung als Rechtmäßigkeilsmaßstab im Rahmen von Nichtigkeitsklagen. 116 Auch verdeutlichte der EuGH in Dior und Assco, daß er bei der Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte nicht zwischen 11 s EuGH- Dior und Assco, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98- Urteil vom 14.12.2000, Rn. 44. 116 V gl. oben Teil 2, A. III. 1.

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

den unterschiedlichen Übereinkünften differenziert und das TRIPS ausdrücklich miteinbezieht Diese pauschale Herangehensweise war ebenfalls zu erwarten, da keines der im Urteil Portugal/Rat angeführten Argumente den Besonderheiten der dort einschlägigen WTO-Übereinkünfte galt, sondern sich stets auf "die WTOÜbereinkünfte" insgesamt bezog. 117 Mit den Urteilen in den Rechtssachen Portugal/Rat und Dior und Assco steht nunmehr fest, daß der EuGH den WTO-Übereinkünften insgesamt und insbesondere den Bestimmungen des TRIPS, soweit er letztere dem Gemeinschaftsrecht zurechnet, die unmittelbare Anwendbarkeit abspricht.

II. Kritische Überprüfung Die Rechtsprechung des EuGH ist, wie soeben dargelegt, dadurch gekennzeichnet, daß er aufgrundseiner Auslegung "der WTO-Übereinkünfte" insgesamt deren unmittelbare Anwendbarkeit verneint und diese Argumente ohne weitere Differenzierung auf die Bestimmungen des TRIPS überträgt. Die Kritik an der Rechtsprechung des EuGH hat daher eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen werden die vom Gerichtshof in Portugal/Rat entwickelten Argumente als solche angegriffen. Zum anderen geht es daruni, die pauschale Einschätzung "der WTOÜbereinkünfte" seitens des EuGH gerade im Hinblick auf das TRIPS zu hinterfragen. Diese Vorgehensweise ergibt sich aus der vom EuGH selbst eingeübten Auslegungspraxis, nach der er zur Bestimmung der unmittelbaren Anwendbarkeit auf einer ersten Stufe zunächst den Gesamtcharakter eines Abkommens (Ziel und Flexibilität) beurteilt und, falls der Gesamtcharakter nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit spricht, anschließend auf einer zweiten Stufe die konkret anzuwendende Abkommensbestimmung auslegt. Sollte also die Untersuchung zum Ergebnis kommen, daß der EuGH ürt und "die WTO-Übereinkünfte" aufgrundihres Gesamtcharakters nicht für die unmittelbare Anwendbarkeit ausscheiden, so würde damit das Tor für die Untersuchung der einzelnen TRIPS-Bestimmungen aufgestoßen. Dabei ergibt sich keine starre Zweiteilung derart, daß der Gesamtcharakter allein durch Auslegung des WTO-Übereinkommens und des DSU zu bestimmen wäre und Vorschriften des TRIPS ausschließlich auf der zweiten Stufe eine Rolle spielen. Denn schon im Rahmen der Gesamtbetrachtung ist sowohl das Ziel des WTO-Übereinkommens als auch das Ziel des TRIPS zu berücksichtigen. 117 Siehe etwa EuGH - Portugal/Rat, C-149/96 - S1g. 1999, 1-8395 (8437, 8439), Rn. 41,47: "Die Auslegung der WTO-Obereinkünfte im Licht ihres Zieles und Zweckes ergibt mithin,( .. .)." "Somit gehören die WTO-Obereinkünfte wegen ihrer Natur und Struktur ( ... )." (Hervorhebungen nicht im Original)

C. Auslegung des 1RIPS

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Das gleiche gilt für die Beurteilung der Ausnahmeregelungen. Folglich kann die Überzeugungskraft der generalisierenden Rechtsprechung des Gerichtshofs gerade daran gemessen werden, ob sie auch für das 1RIPS Geltung hat. Im folgenden Abschnitt soll daher der Standpunkt des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte mit den im Schrifttum vertretenen Ansichten kontrastiert und beide kritisch im Hinblick auf das 1RIPS gewürdigt werden.

I. Ziele von TRIPS und WTO-Übereinkommen Der EuGH hat dem WTO-Übereinkommen mitsamt den ihm angehängten Übereinkünften die unmittelbare Anwendbarkeit unter anderem deshalb abgesprochen, weil "das Übereinkommen zur Errichtung der WTO einschließlich seiner Anhänge nach seiner Präambel- ebenso wie das GATT 1947- auf dem Prinzip von Verhandlungen ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' aufbaut". Es unterscheide sich dadurch von anderen Gemeinschaftsabkommen, "die eine gewisse Asymmetrie in den Verpflichtungen oder besondere Integrationsbeziehungen mit der Gemeinschaft begründen". 118 Diese Einschätzung ist zunächts daraufhin zu überprüfen, ob sie in dieser Pauschalität auf das WTOÜbereinkommen zutrifft. Vor allem aber wird zu hinterfragen sein, ob sie auch für das 1RIPS gilt.

a) WTO-Übereinkommen Um das Ziel des WTO-Übereinkommens zu charakterisieren, hat der EuGH auf die dritte Begründungserwägung in der Präambel des WTO-Übereinkommens abgestellt ("Being desirous of contributing to these objectives by entering into reciprocal and mutually advantageaus arrangements directed to the substantial reduction of tariffs and other barriers to trade and to the elimination of discriminatory treatment in international trade relations"). Diese Begründungserwägung wurde fast wortwörtlich aus der Präambel des GATT 1947 übernommen 119, auf welche der EuGH bereits in International Fruit - dort als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947- hingewiesen hatte. EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8438), Rn. 42. Vgl. die zweite Begründungserwägung des GAlT 1947: "Being desirous of contributing to these objectives by entering into reciprocal and mutually advantageous arrangements directed to the substantial reduction of tariffs and other barriers to trade and to the elirnination of discrirninatory treatment in international commerce". 118 119

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

Aus der genannten Begründungserwägung abzuleiten, das WTO-Übereinkommen eigne sich nicht für die unmittelbare Anwendbarkeit in der Gemeinschaftsrechtsordnung, ist nicht überzeugend. Mit dem Hinweis auf diese Begründungserwägung will der EuGH einen Kontrast zwischen dem WTO-Übereinkommen einerseits und den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften andererseits aufbauen. So stellt er den EWGV im Urteil Van Gend & Loos als Prototyp des unmittelbar anwendbaren Vertrages dar ("Das Ziel des EWG-Vertrages ist die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, daß dieser Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet."12~, während das WTO-Übereinkommen als Abkommen, das "auf dem Prinzip von Verhandlungen ,auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen' aufbaut" für die unmittelbare Anwendbarkeit nicht geeignet sei. Zwar trifft es zu, daß das WTO-Übereinkommen kein dem EGV vergleichbares Ziel verfolgt, strebt es doch eindeutig nicht die Schaffung einer supranational verfassten Integrationsgemeinschaft an. Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, das Abkommen eigne sich deswegen nicht für die unmittelbare Anwendbarkeit. Denn die Analyse der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen zeigt, daß auch Ziele, die hinter dem der Integration zurückbleiben, nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der betreffenden Abkommen sprechen müssen. Der EuGH hat Bestimmungen aus Abkommen als unmittelbar anwendbar eingeschätzt, welche darauf abzielten, die anderen Vertragspartner auf einen Beitritt zur Gerneinschaft vorzubereiten, deren Entwicklung zu fördern oder mit ihnen eine Freihandelszone zu gründen. Die Zielsetzung des WTO-Übereinkommens erscheint demgegenüber nicht weniger ehrgeizig. 121 120 EuGH- Van Gend & Loos, 26/62- Slg. 1963, 1 (24 f.), Hervorhebung nicht im Original. 121 Der Einwand von Lee/Kennedy, JWT 3011 (1996), 67 (82 ff.), das WTO-Übereinkommen bleibe in seiner Zielsetzung hinter den vom EuGH untersuchten Assoziierungsund Freihandelsabkommen deutlich zurück, vermag angesichts der sachlichen Breite und Vielfaltigkeit des WTO-Übereinkommens nicht zu überzeugen. Auch bleiben sie die Antwort schuldig, warum es gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit sprechen soll, daß die als unmittelbar anwendbar angesehenen Abkommen entweder bilateral waren oder Vertragspartner hatten, die der EGgegenüber wirtschaftlich unterlegen waren (Jaunde-/LomeAbkommen), die EG es im Rahmen der WTO hingegen mit mächtigen Vertragspartnern wie den Vereinigten Staaten oder Japan zu tun habe.

C. Auslegung des TRIPS

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Auch unterschlägt der EuGH, daß die Präambel des WTO-Übereinkommens eine gegenüber dem GATI 1947 ambitioniertere Zielsetzung erkennen läßt. Die vierte Begründungserwägung schreibt die Entschlossenheit der Parteien des WTOÜbereinkommens "to develop an integrated, more viable and durable multilateral trading system" fest. Insofern geht die Präambel des WTO-Übereinkommens über die des GATI 1947 deutlich hinaus. Schließlich kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH vor allem darauf an, daß das fragliche Abkonunen "über die Festlegung gegenseitiger Verpflichtungen zwischen den unterzeichnenden Staaten hinausgeht" und "bezweckt, die Rechtsstellung einzelner zu regeln". 122 Um zu klären, ob ein Abkommen sich darauf beschränkt, reziproke Pflichten zwischen den Staaten zu regeln, oder ob es sich (auch) an die einzelnen in den Vertragsstaaten richtet, reicht es nicht aus, willkürlich eine Begründungserwägung aus dessen Präambel herauszugreifen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche Stellung die einzelnen im WTO-System einnehmen, findet sich im Panel-Bericht United States - Sections 301-310 ofthe Trade Act of 1974. 123 In dem Verfahren hatte die EG eine Regelung des amerikanischen Außenwirtschaftsrechts angegriffen, wonach der United States Trade Representative (USTR) auf die Initiative heimischer Unternehmen hin die Feststellung treffen kann, daß andere WTO-Mitglieder Rechte der USA aus dem WTO-Übereinkommen verletzen, ohne daß die Behörde auf den Ausgang entsprechender Verfahren vor dem WTO-Streitbeilegungsgremium warten müßte. Die EG sah hierin einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 Buchst. (a) DSU 124, der es den WTO-Mitgliedern verbietet, unilateral WTO-Verstöße festzustellen. Die Vereinigten Staaten wiesen darauf hin, daß die EG nicht gegen eine konkrete Anwendung ihres Gesetzes klage. Es sei nicht möglich, eine abstraktgenerelle Regelung als solche, d. h. unabhängig von ihrer Anwendung im Einzelfall, anzugreifen, schon gar nicht, wenn die Rechtsnorm Ermessen einräume. Denn der USTR müsse nach der Vorschrift zwar nach einer bestimmten Frist 122 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Walter van Gerven zu EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991, I-208 (211), Anm. 8. 123 Panel Report United Stares- Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), veröffentlicht unter http://www.wto.org/. 124 Art. 23 DSU: "I. When Members seek the redress of a violation of obligations ( . . .), they shall have recourse to, and abide by, the rules and procedures of this Understanding. 2. In such cases, Members shall: (a) not make a detennination to the effect that a violation has occurred, ( . .. ), except through recourse to dispute settlement in accordance with the rules and procedures ofthis Understanding, and shall make any such detennination consistent with the findings contained in the panel or Appellate Body report adopted by the DSB or an arbitration award rendered under this Understanding".

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entscheiden, ob ein Verstoß gegen das WTO-Übereinkommen vorliege. Der USTR sei jedoch -in Ermangelung einer Entscheidung des DSB - nicht gezwungen festzustellen, daß ein WTO-Verstoß seitens anderer Staaten vorliegt. 125 Das Panel hatte somit zu klären, "whether- given, on the one hand, the duty in some cases to make a unilateral determination prior to exhaustion of multilateral proceedings and, on the other hand, the full discretion as to the content ofthat determination - Section 304 violates, in and of itself rather than with reference to any particular instance of its application, the obligations assumed by Members under Article 23.2(a) ofthe DSU." 126 Zur Frage, ob eine abstrakt-generelle Regelung als solche gegen WTO-Pflichten der Mitgliedstaaten verstoßen kann, konnte das Panel auf eine gefestigte Rechtsprechung von Panels zum GATI 1947 verweisen.127 Dieser "GATI acquis" wurde in Art. XVI:4 des WTO-Übereinkommens kodifiziert. 128 Zu erörtern blieb jedoch, ob dies auch dann gilt, wenn die abstraktgenerelle Regelung staatlichen Behörden ein Ermessen einräumt. Hierzu legte das Panel die WTO-Vorschrift nach Wortlaut, Treu und Glauben sowie Ziel und Zweck des WTO-Übereinkommens aus. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem von Interesse, wie das Panel die Norm vor dem Hintergrund des Ziels des WTO-Übereinkommens auslegte. Um zu begründen, warum Art. 23 Abs. 2 Buchst. (a) DSU schon der bloßen Möglichkeit entgegenstehe, einen WTO-Verstoß unilateral, d. h. unabhängig vom Verfahren nach dem DSU, festzustellen, verwies das Panel darauf, das WTO-Übereinkommen bezwecke vor allem, Marktbedingungen zu schaffen, die für die wirtschaftliche Betätigung einzelner auf nationalen und globalen Märkten förderlich sind. Ziel des WTO-Übereinkommens sei die Herstellung eines "secure and predictable multilateral trading system". Das Panel rückte damit die einzelnen wirtschaftlichen 123 Panel Report United States - Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), Tz. 7.30. 126 Panel Report United States- Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), Tz. 7.34. 127 So wurden etwa mehnnals Gesetze von Vertragsparteien, die Importe diskriminierend besteuerten, für GATT-widrig angesehen, bevor sie tatsächlich auf importierte Waren angewendet wurden. Begründet wurde dies damit, daß das GATT 1947 es nicht nur bezwecke .,to protect current trade but also to create the predictability needed to plan future trade", Panel Report United States- Taxes on Petroleum and Certain Imported Substances vom 17. Juni 1987, BISD 345/136, Tz. 5.2.2. Art. III:2 GATT 1947 sei insofern .,not önly a promisenot to discriminate in a specific case, but is also designed to give certain guarantees to the market place and the operators within it that discriminatory taxes will not be imposed", Panel Report United States- Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), Tz. 7.85. 128 V gl. zum Ganzen Tietje, 396 ff.

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Akteure in den Mittelpunkt der WTO-Rechtsordnung. Zwar seien die einzelnen in dieser Rechtsordnung keine Rechtssubjekte, da sich die Rechte und Pflichten aus dem WTO-Übereinkommen allein an die WTO-Mitglieder richteten. 129 Doch dürfe man hieraus nicht schließen, "that the position of individuals is of no relevance to the GATIIWTO legal matrix". Viele der Vorteile, die den Mitgliedern aus der Beachtung der WTO-Regeln zukonunen sollen, hingen von der Aktivität einzelner wirtschaftlicher Akteure auf den nationalen und globalen Märkten ab. Eines der Hauptziele der WTO sei es "to produce certain rnarket conditions which would allow this individual activity to flourish". Das multilaterale Handelssystem, welches das WTO-Übereinkommen schaffen will, bestehe nicht nur aus Staaten, "but also, indeed mostly, of individual economic operators". Auch treffe die Verletzung von WTO-Pflichten zwar in rechtlicher Hinsicht allein die WTO-Mitglieder, tatsächlich aber zunächst die einzelnen Wirtschaftsakteure. Insofern könne man von einem "indirect effect" der WTO-Rechtsordnung für die einzelnen sprechen. 130 Wegen dieser auf die einzelnen ausgerichteten Zielsetzung könne das WTOÜbereinkommen - wie schon das GATI 1947 - durch die bloße Existenz WTOwidriger interner Rechtsnormen verletzt werden, da "the mere existence of legislation could have an appreciable , chiHing effect' on the economic activities of individuals". Auch die durch die Section 304 drohende schiere Möglichkeit, daß die USA unilateral WTO-Verstöße anderer Mitglieder feststellen (und dann Strafmaßnahmen anordnen), könne auf die einzelnen wirtschaftlichen Akteure einen "chilling effect" haben und so den internationalen Wettbewerb verzerren. m Daher stehe Art. 23 Abs. 2 Buchst. (a) DSU der amerikanischen Regelung entgegen. 132 Insgesamt hat das Panel in dieser bedeutenden Entscheidung unterstrichen, daß sich der Zweck des WTO-Übereinkommens nicht darin erschöpft, wechselseitige Verpflichtungen zwischen den Mitgliedern zu regeln. Vielmehr sei die WTO dazu da, für die einzelnen wirtschaftlichen Akteure vorhersehbare und günstige Markt129 Das Panel bezeichnet dies als Fehlen eines "direct effect", macht jedoch klar, es wolle damit keineswegs ausschließen, daß WTO-Mitglieder dem WTO-Recht in ihren Rechtsordnungen unmittelbare Anwendbarkeit zuerkennen, Tz. 7.72, Fn. 661. 130 Panel Report United States - Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), Tz. 7.73 ff. 131 Panel Report United States- Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 vom 22. Dezember 1999 (WT/DS152/R), Tz. 7.81, 7.92 ff. 132 Letztendlich hat das Panel aus den genanntenGrunden nur prima facie eine Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Buchst. (a) DSU festgestellt. Einer Verurteilung sind die USA entgangen, indem die Regierung durch Verwaltungsvorschrift sichergestellt hat, daß der USTR Verstöße gegen das WTO-Übereinkommen nicht vor der Entscheidung des DSB in der Sache feststellen würde, Tz. 7.99 ff.

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bedingungen zu sichem. 133 Den einzelnen - in ihrer Rolle als wirtschaftliche Akteure- kommt demnach im WTO-Kontext durchaus eine herausragende Bedeutung zu, der sich auch der EuGH nicht länger verschließen sollte.

b) TRIPS Erscheint schon die Annahme des EuGH, das Ziel des WTO-Übereinkommens spreche gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit, nicht als überzeugend, so gilt es nun, diese Einschätzung speziell im Hinblick auf das TRIPS zu hinterfragen. Ziel des TRIPS ist es nach der Präambel, Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu beseitigen, indem geistige Eigenturnsrechte effektiv und angemessen geschützt werden, ohne daß die Durchsetzung dieser Rechte wiederum zu einem Handelshemnis wird. Unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Anwendbarkeit geht es darum, ob das TRIPS damit bezweckt, die Rechtsstellung einzelner zu regeln, und sich damit - wegen dieser Zielsetzung - für die unmittelbare Anwendbarkeit prädestiniert. Was seine Zielsetzung betrifft, so nimmt das TRIPS innerhalb des WTO-Systerns eine Sonderrolle ein. Dies betont sowohl das WTO-Streitbeilegungsgremium als auch zahlreiche Autoren im Schrifttum. So unterstrich das Panel in seinem Bericht zum Verfahren Jndia- Patent Proreetion for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, das TRIPS nehme "a relatively self-contained, sui generis status in the WTO Agreement" ein. 134 Viele Autoren weisen darauf hin, TRIPS sei "unique in the WTO context". 135 aa) Immaterialgüterrechte als Rechte einzelner Seine Regelungsmaterie, die weltweite Stärkung und Harmonisierung des Immaterialgüterrechtsschutzes 136, unterscheidet das TRIPS nicht nur von den WTO133 Ähnlich weitgehend bereits zur Zielsetzung des GATT 1947 Petersmann, CMLR 20 (1983), 397 (427 f.), und grundlegend ders., Constitutional Functions, 210 ff. 134 Panel Report lndia- Patent Protectionfor Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products vom 5. September 1997 (WT/DS50/R), Tz. 7.19. m Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, 213 f.; ebenso Drexl, GRUR lnt. 1994,777 (785); ders., in: Beier/Schricker(Hg.),18 (48); Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (775); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (32 f.); Helfer, Harvard Int'l L. J. 39 (1998), 357 (359 ff.und 387 f.). 136 Vgl. EuGH- Gutachten l/94, WTO-Übereinkommen- Slg. 1994, 1-5267 (5423), Rn. 58.

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Übereinkünften, die der Liberalisierung des Waren- bzw. Dienstleistungshandels dienen, sondern macht auch den ausgeprägten Individualbezug des Abkommens deutlich. Die Immaterialgüterrechte, deren weltweiten Schutz das TRIPS bezweckt, sind von Natur aus Rechte einzelner, d. h. von natürlichen Personen oder Unternehmen. Das TRIPS selbst unterstreicht dies in der vierten Begründungserwägung seiner Präambel: "Recognizing that intellectual property rights are private rights; ( ... )".Aus dem Umstand, daß das TRIPS auf den Schutz von privaten Rechten abzielt, folgern zahlreiche Autoren im Schrifttum zu Recht, daß es sich für die unmittelbare Anwendbarkeit eignet. So sei die besondere, "für das GATI-System atypische" 137 Rechtsmaterie des TRIPS ein Indiz für dessen unmittelbare Anwendbarkeit. 138 Die Besonderheit des TRIPS liege darin, daß dort "Rechte und Pflichten von Einzelpersonen und Unternehmen und damit die Privatrechtsebene im Vordergrund stehen"Y9 Das in der Präambel zum Ausdruck gekommene Verständnis der Rechte des geistigen Eigentums als privater Rechte lasse darauf schließen, daß die TRIPS-Bestimmungen "grundsätzlich unmittelbar innerstaatlich anwendbar sind". 140

bb) Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Schutzrechtsinhaber Der Individualbezug des TRIPS, der sich aus dessen Regelungsmaterie ergibt, bringt es auch mit sich, daß die Regeln des TRIPS nicht- wie die des GATI- an das Warenstatut, sondern an das Personalstatut anknüpfen (vgl. Art. 1 Abs. 3 S. 1 TRIPS: "Members shall accord the treatrnent provided for in this Agreement to the nationals of other Members."). Während etwa das GATT auf inländische oder ausländische Warenproduktion abstellt, 141 ohne die daran beteiligten Personen auch nur zu erwähnen, stellt das TRIPS auf die Staatsangehörigkeit142 anderer Mitglieder ab. Dies gilt sogar auch für die allgemeinen Prinzipien der InländerbehandStaehelin, TRIPs, 236. So Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785). 139 Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (775). 140 So Katzenberger, in: Schricker (Hg.), Urheberrecht, §§ 120 ff. , Rn. 116, für die TRIPS-Bestimmungen über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte. 141 Vgl. etwa die Meistbegünstigungsverpflichtung in Art. 1:1 GATI 1994: "( ... ), any advantage, favour, privilege or immunity granted by any contracting party to any product originating in or destined for any other country shall be accorded immediately and unconditionally to the like product originating in or destined for the territories of all other contracting parties". 142 Der Begriff "nationals of other Members" ist nach Art. I Abs. 3 S. 2 TRIPS unter Rückgriff auf die RBÜ, die PVÜ und das Abkommen von Rom zu bestimmen. 137 138

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lung (Art. 3 Abs. 1 TRIPS: "Each Member shall accord to the nationals of other Members treatment no less favorable than that it accords to its own nationals with regard to the protection of intellectual property,") und Meistbegünstigung (Art. 4 S. 1 TRIPS: "With regard to the protection of intellectual property, any advantage, favour, privilege or immunity granted by a Mernber to the nationals of any other country shall be accorded inunediately and unconditionally to the nationals of all other Members. "). Zutreffenderweise wird daher aus der Bezugnahme von Art. 1 Abs. 3 S. 1 TRIPS auf die Staatsangehörigkeit gefolgert, das TRIPS wolle die rechtlichen Beziehungen von Individuen regeln. 143 Vor allem der Umstand, daß das TRIPS umfassend, d. h. selbst in den genannten großen Prinzipien der Inländerbehandlung und Meistbegünstigung, an die Staatsangehörigkeit der Schutzrechtsinhaber anknüpft, muß als Argument für dessen unmittelbare Anwendbarkeit gelten. 144

cc) TRIPS als Harmonisierungsabkommen Nicht nur im Regelungsgegenstand und dem Anknüpfungsfaktor, sondern auch in der Methode der Regelung erweist sich der sui generis Status des TRIPS unter den WTO-Übereinkünften. Während die Prinzipien der Inländerbehandlung (Art. 3 TRIPS) und der Meistbegünstigung (Art. 4 TRIPS) auch aus anderen WTO-Übereinkünften bekannt sind (vgl. Art. I, Ill GATT 1994; Art. II, XVII GATS), zeichnet sich das TRIPS dadurch aus, daß dort ein Mindestniveau für den Schutz von Imrnaterialgüterrechten festgeschrieben wird. So bestimmt etwa Art. 33 TRIPS, daß die Schutzdauer von Patenten nicht weniger als 20 Jahre von der Anmeldung an betragen darf. Durch einen solchen Mindestschutz wird ein homogenes Mindestmaß an Schutz in allen vertragsschließenden Staaten hergestellt, wobei weitergehendes nationales Recht zulässig ist, sofern es dem TRIPS-Abkommen nicht widerspricht (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 TRIPS). 145 Insgesamt wird hierdurch eine internationale Rechtsvereinheitlichung bewirkt. Im Schrifttum wird diese Eigenart des TRIPS, durch die es sich deutlich vorn GATT 1994 unterscheidet, als Argument für dessen unmittelbare Anwendbarkeit gewertet. Die meisten Bestimmungen des TRIPS seien von ihrer Natur her "Standards" und keine "principles, prohibitions or exceptions" wie beim GATT. Daher müsse das TRIPS als "harmonizing agreement", als "instrument of positive inteSo Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (32 f.). Zutreffend insofern Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785); ihm folgend Staehelin, TRIPs, 236 f. 145 Ausführlicher hierzu Staehelin, TRIPs, 52 f. 143

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gration" angesehen werden. 146 Diese Eigenschaft des TRIPS als umfassende weltweite Harmonisierung der grundlegenden Standards geistigen Eigenturnsschutzes wird zurecht als für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit relevant gehalten.147

dd) Regelung der effektiven Durchsetzung Eine weitere Besonderheit des TRIPS im Kontext des WTO-Übereinkommens liegt darin, daß es in seinem Teil III (Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums) Mindestverpflichtungen darüber enthält, wie die in seinem Teil II enthaltenen materiellen Standards durchzusetzen sind. Auch dies ist als Argument für die unmittelbare Anwendbarkeit des 1RIPS zu werten. Es wäre sinnwidrig, auf der einen Seite die Einführung eines effektiven Durchsetzungssysterns vorzuschreiben, andererseits aber die Durchsetzung der materiellen Vorschriften durch Versagung der unmittelbaren Anwendbarkeit zu schwächen. 148

c) Zusammenfassung Die Ziele von WTO-Übereinkommen und TRIPS sprechen nicht gegen, sondern für die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen. Stellt man, um die Zielsetzung des WTO-Übereinkommens zu bestimmen, nicht bloß auf den Wortlaut einer der in der Präambel enthaltenen Begründungserwägungen ab, sondern befaßt sich -wie das Panel im Fall United States - Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 - eingehender mit der Schutzrichtung des WTO-Systerns, so erkennt man, daß es beim WTO-Übereinkommen um mehr als die Vereinbarung von "reciprocal and mutually advantageous arrangements" geht. Indem das WTO-Übereinkommen für die einzelnen wirtschaftlichen Akteure vorhersehbare und günstige Marktbedingungen sichern will, geht es über die 146 Cottier, The Impact ofthe TRIPS-Agreement, 9. 147 V gl. Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (32 f.); ebenso Helfer, Harvard Int'l L. J. 39

(1998), 357 (359 ff. und 387 f.), die das TRIPS als .,minimum rights agreement" bezeichnet; anders, aber ohne nähere Begründung nur Correa, NYU J. Int'l L. & Pol. 29 (1997), 109 (127), nach dessen Ansicht die Formulierung von TRIPS-Bestimmungen als "minimum standards" gegen deren unmittelbare Anwendbarkeit spricht. 148 Zutreffend Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (49): "TRIPS would require effective enforcement of its provisions by national courts and simultaneously prohibit nationaljudges from applying the substantive provisions of TRIPS that are declared to be enforced."

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

Festlegung gegenseitiger Pflichten zwischen den Mitgliedern hinaus. Es richtet sich insofern auch an die einzelnen. Daher spricht der Zweck des WTO-Übereinkommens nicht gegen, sondern für dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Dies gilt erst recht für das TRIPS, bei dem schon die Präambel klarstellt, daß die von ihm geregelten Rechte "private rights" sind. Da das TRIPS nicht an den Ursprungsort von Waren oder Dienstleistungen anknüpft, sondern an die Staatsangehörigkeit der Schutzrechtsinhaber, unterscheidet es sich hierdurch von anderen WTO~Übereinkünften ebenso deutlich wie durch seinen Charakter als Harmonisierungsabkommen und sein Kapitel über die Rechtsdurchsetzung. Daher ist Eeckhout zuzustimmen, wenn er ausführt: "In my view, the TRIPSagreement is clearly not a diplomatic arrangement between countries, or a forum for permanent negotiation of trade issues. As regards its substance, it is difficult to find persuasive objections against it having direct effect. " 149

2. Flexibilität von TRIPS und WTO-Übereinkommen Um die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen des TRIPS zu bestimmen, gilt es, das TRIPS und das WTO-Übereinkommen daraufhin zu untersuchen, ob sie für die unmittelbare Anwendbarkeit als zu flexibel erscheinen. Der EuGH spricht Gemeinschaftsabkommen die unmittelbare Anwendbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Flexibilität oder "Geschmeidigkeit" dann ab, wenn entweder ihr Streitbeilegungsmechanismus zu stark konsensgeprägt bzw. nichtjustiziell genug ist oder Regelungen über Ausnahmegenehmigungen und Schutzmaßnahmen die Verpflichtungen aus dem Abkommen verwässern. 150

a) Der Streitbeilegungsmechanismus nach dem DSU Streiten WTO-Mitglieder151 um die Anwendung und Auslegung des TRIPS, so finden nach Art. 64 Abs. I TRIPS die allgemeinen Streitbeilegungsbestimmungen 149

Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (32 f.).

tso Siehe oben Teil 2, A. IV. 2. tst Einzelne können im WfO-Streitbeilegungsverfahren nicht Partei sein; zur mittelbaren Beteiligung von Verbänden und Unternehmen durch Unterstützung verfahrensbeteiligter Staaten siehe Lukas, JWT 25/5 (1995), 181 ff.; Ohlhoff. EuZW 1999, 139 ff. ; Pearlmann, Law & Policy lnt'l Bus. 30 (1999), 399 ff.; der Appellate Body hat hierzu in United States -Import Prohibition of Cerrain Shrimp and Shrimp Products vom 12. Oktober 1998 (WT/DS58/AB/R), Tz. 88 ff., Stellung bezogen.

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der Art. XXII und XXIII GATI 1994 so, wie sie vom DSU ausgeformt werden, Anwendung. 152

aa) Funktionsweise Das Streitbeilegungsverfahren nach dem DSU läuft folgendermaßen ab: Führen bei einem Streit zwischen WTO-Mitgliedern über die Anwendung von WTO-Bestimmungen gegenseitige Konsultationen, Vermittlung oder Mediation zu keinem Erfolg, so können die WTO-Mitglieder die Einsetzung eines Panels beantragen (Art. 6 DSU). Dieses Panel wird vom DSB, welcher in seiner Zusammensetzung dem Allgemeinen Rat der WTO entspricht (Art. IV Abs. 2 WTO), eingesetzt (Art. 2 DSU). Ein Panel besteht grundsätzlich aus drei Mitgliedern, die nach dem Verfahren des Art. 8 DSU ausgewählt werden. Beantragt ein Mitgliedstaat, ein Panel einzusetzen, so muß diesem Antrag spätestens auf der nächsten DSB-Sitzung entsprochen werden, sofern nicht der DSB durch Konsens die Nichteinsetzung beschließt (Art. 6 Abs. 1 DSU). Hinsichtlich seines Prüfungsumfangs und des Untersuchungsgegenstandes (terms of reference) ist das Panel an diejenigen Vorschriften gebunden, auf die sich die Streitparteien beziehen (Art. 6 Abs. 2, Art. 7 DSU). Das Panel erstellt einen vorläufigen Bericht, der zur Stellungnahme an die Parteien weitergegeben wird. Dann wird der endgültige Panelbericht an die Mitglieder verteilt und danach innerhalb von 60, nicht aber vor Ablauf von 20 Tagen durch den DSB zur Annahme vorgesehen (Art. 16 DSU). Der Panelbericht wird angenommen, es sei denn, eine Streitpartei zeigt förmlich ihre Entscheidung an, Rechtsmittel einzulegen, oder der DSB entscheidet durch Konsens, den Bericht nicht anzunehmen (Art. 16 Abs. 4 DSU). Legt eine Streitpartei Revision ein, so wird die Angelegenheit dem ständigen Revisionsgremium, dem Appellale Body, vorgelegt. Dieses Gremium besteht aus sieben Personen, von denen drei sich mit jeweils einem Fall befassen (Art. 17 Abs. 1 DSU). Der Appellate Body kann die Rechtsfindung des Panels aufrechterhalten, abändern oder aufheben, nicht jedoch an dieses zurückverweisen. Der Bericht des Appellate Body wird vom DSB angenommen, sofern nicht der DSB durch Konsens beschließt, diesen

152 Nach Art. 64 Abs. 2 und 3 TRIPS waren die sog. ,,Non-Violation-Complaint"-Fälle des Art. XXIII Abs. I Buchst. b und c GATI 1994 im Regelungsbereich des TRIPS für eine Übergangszeit von fünf Jahren seit Inkrafttreten des WTO-Übereinkomrnens ausgeschlossen. Hiermit waren Beschwerden gegen staatliche Maßnahmen gemeint, welche zwar das TRIPS nicht verletzen, aber dennoch aus dem TRIPS resultierende V orteile vermindern oder beseitigen. Zu Einzelheiten siehe Staehelin, TRIPs, 197 f. Mit Ablauf der Übergangszeit am 1. Januar 2000 ist die Regelung obsolet geworden. 15 Henncs

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Bericht nicht anzunehmen (Art. 17 Abs. 4 DSU). Stellt das Panel oder der Appellale Body eine Verletzung des WTO-Übereinkommens fest, so spricht es zugleich eine Empfehlung aus, wie der Verstoß zu beheben ist (Art. 19 Abs. I DSU). Die Streitparteien sind zur umgehenden Beachtung der Entscheidung verpflichtet (Art. 21 Abs. 1 DSU). Für die Umsetzung wird dem betreffenden Mitglied ein angemessener Zeitraum eingeräumt, wobei dieser Zeitraum auch durch eine gemeinsame Vereinbarung der Streitparteien festgelegt werden kann (Art. 21 Abs. 3 DSU). Wird die Umsetzungsfrist nicht eingehalten, so können die Beteiligten für eine Übergangszeit eine Entschädigung vereinbaren oder der DSB die Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstigen Pflichten beschließen (~. 22 DSU).

bb) Argumente für und wider die unmittelbare Anwendbarkeit Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum unbestritten, daß der Streitbeilegungsmechanismus nach dem DSU eine bedeutende Fortentwicklung gegenüber dem des GATI 1947 darstellt, welchen der EuGH in ständiger Rechtsprechung als Indiz gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 wertete. So räumt selbst der EuGH in Portugal/Rat ein, daß "sich die WTO-Übereinkünfte ( ... )insbesondere aufgrundder Stärkung ( ... ) des Streitbeileglingsmechanismus erheblich vom GATI 1947" unterscheiden. 153 Im Schrifttum wird- selbst von einigen Gegnern der unmittelbaren Anwendbarkeit- die Verrechtlichung des WTO-Streitbeilegungsmechanismus anerkannt. 154 Umstritten ist allein, ob diese Verrechtlichung die Durchsetzungsfähigkeit der WTO-Übereinkünfte so stark verbessert, daß sie als Argument für deren unmittelbare Anwendbarkeit herangezogen werden kann.

(1) Diplomatisch-konsensuale Elemente Die Gegner der unmittelbaren Anwendbarkeit sind der Auffassung, der Streitbeilegungsmechanismus des DSU sei trotz der unbestrittenen Verrechtlichung immer noch so stark konsens- bzw. verhandlungsgeprägt, daß er gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte spricht.

EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999,1-8395 (8436), Rn. 36. Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785 f.); Kohona, JWT 28/2 (1994), 23 (27 f.); Flory, JDI 1995,877 (882 ff.); Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (63); Lukas, JWT 25/5 (1995), 181 (198 f.); Thomas, JWT 30/2 (1996), 53 (58 ff.); Beneyto, EuZW 1996, 295 (296 ff.); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (34 ff.); Becker-Celik, EWS 1997, 12 (14 f.). 153

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(a) Ausgleichsmaßnahmen nach Art. 22 DSU Der konsensuale Charakter der WTO-Streitbeilegung wird häufig an der Regelung des Art. 22 Abs. 2 DSU festgemacht. Danach soll die unterlegene Streitpartei, der es nicht gelingt, einen festgestellten WTO-Verstoß innerhalb des nach Art. 21 Abs. 3 DSU festgelegten Zeitraums abzustellen, mit der obsiegenden Partei eine "mutually acceptable compensation" vereinbaren. In dieser Möglichkeit, bis zur Umsetzung der DSB-Entscheidung einvernehmlich eine Entschädigung festzulegen, sehen manche Autoren im Schrifttum das Fortbestehen eines "esprit de negociation", wie er das GAIT 1947 geprägt habe. Auch wenn Art. 22 Abs. 1 DSU die Entschädigung als eine nur vorübergehende Maßnahme kennzeichne und der vollen Umsetzung der DSB-Entscheidung den Vorrang gebe, so gebe es jedoch keine Sicherung dagegen, daß sich ein "provisoire qui dure" einstelle. 155 Auch würde dem betreffenden WTO-Mitglied, sollte man die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte anerkennen, die Möglichkeit genommen, die Umsetzung der DSB-Entscheidungen durch die Vereinbarung von Ausgleichsmaßnahmen hinauszuzögern. Denn wenn die internen Gerichte die Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte unmittelbar anwenden könnten, würden sie WTO-vvidrige interne Rechtsnormen sofort unangewendet lassen. Hierdurch würden die staatlichen Handlungsmöglichkeiten auf der internationalen Ebene beschränkt und das Ziel des WTO-Übereinkonunens, ein "Ievel playing fields in trade policy" zu sichern, geschrnälert. 156 Dieses Argument hat sich der EuGH in Portugal/Rat zu eigen gemacht, wo er Art. 22 Abs. 2 DSU als eine "den Legislativ- und Exekutivorganen der Mitglieder( ... ) eingeräumte Befugnis( .. . ), auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen" verstand, welche den WTO-Mitgliedem bei interner Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit genommen würde. 157 Andere Autoren im Schrifttum bringen gewichtige Gründe dagegen vor, aus der Regelung des Art. 22 Abs. 2 DSU auf den konsensualen Charakter des WTOStreitbeilegungsmechanismusses zu schließen. So schmälere die Möglichkeit, eine Entschädigung für die zeitlich begrenzte Beibehaltung eines rechtswidrigen Zustands auszuhandeln, nicht den Anspruch des verletzten Staates darauf, daß der Verstoß letztendlich abgestellt und dies auch mit Sanktionen durchgesetzt wird. 158 Die Verpflichtung des unterlegenen Mitglieds, die Streitbeilegungsentscheidung "in rem" umzusetzen, indem es die gegen eine WTO-Übereinkunft verstoßende Timmennans, RMUE 4 (1994), 175 (178). Cottier/Nadakavukaren Schefer, JIEL I (1998), 83 (113). 157 EuGH- Portugal/Rat, C-149/96- Slg. 1999, 1-8395 (8437), Rn. 40. ISS Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1084). Iss

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Maßnahme mit dem Abkommen in Einklang bringt, werde durch die subsidiären und vor allem nur temporär zulässigen Kompensationszahlungen und Suspendierungen nicht in Frage gestellt. 159 Im Gegensatz zum GATI 1947 werde diese Präferenz sogar ausdrücklich in Art. 22 Abs. 1 DSU festgeschrieben. 160 Die freiwilligen Ausgleichsmaßnahnlen und die Sanktionen seien nur Mittel, um auf das verurteilte Mitglied Druck auszuüben, damit dieses den Verstoß abstelle. 161 Auch Generalanwalt Tesauro unterstreicht den Charakter der Ausgleichsmaßnahmen als "temporary measures" (vgl. Art. 22 Abs. 1 DSU). Zudem sehe selbst der EGV in Art. 228 die Möglichkeit vor, daß ein Mitgliedstaat bei vorübergehender Nichtbefolgung eines EuGH-Urteils Zwangsgeld zahlt. Die unmittelbare Anwendbarkeit dürfe "nicht von den mehr oder weniger langen Zeiträumen abhängen ( ... ), die ein Staat benötigt, um sich einer Entscheidung eines Gerichtes oder eines Panels anzupassen, und noch viel weniger von Instrumenten, die fallweise eingesetzt werden können, um die Wirkungen der Nichtbefolgung auszugleichen und/oder einen Anreiz zur Befolgung zu schaffen". 162 In der Tat sprechen die besseren Gründe dafür, die Regelung des Art. 22 Abs. 2 DSU nicht als Indiz gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTOÜbereinkünfte zu werten. Die Ausgleichsmaßnahmen werden nicht nur in Art. 22 Abs. 1 S. 1 DSU ausdrücklich als "temporary measures" charakterisiert. In Art. 22 Abs. 1 S. 2 wird darüber hinaus ausdrücklich klargestellt, daß "neither compensation nor the suspension of concessions or other obligations is preferred to full implementation of a recommendation to bring a measure into conformity with the covered agreements". Dieser Grundsatz, daß WTO-Verstöße in jedem Fall entsprechend den Entscheidungen des DSB abzustellen sind, ergibt sich bereits aus Art. 3 Abs. 7 Sätze 4 und 5 DSU ("( ... ), the first objective of the dispute settlement mechanism is usually to secure the withdrawal of the measures concerned if these are found to be inconsistent with the provisions of any of the covered agreements. The provision of compensation should be resorted to only if the immediate withdrawal of the measure is impractical and as a temporary measure pending the withdrawal of the measure which is inconsistent with a covered agreeement. "). Auch in der Praxis der WTO-Streitbeilegungsgremien gibt es keine Hinweise darauf, daß die Kompensationsregelung des Art. 22

159 Vgl. die überzeugende systematische Auslegung der einschlägigen DSU-Bestimmungen durch Griller, JIEL 2000,441 (451 f.). 160 Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (340). 161 Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (34 f.). 162 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Herm~s. C-53/96 Slg. 1998, I-3606 (3627 f.), Anm. 29.

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Abs. 2 DSU von den WTO-Mitgliedern als "dauerndes Provisorium" genutzt würde. 163

(b) Konsultationen, gütliche Einigung und Schiedsverfahren Das Ziel, Streitigkeiten zwischen WTO-Mitgliedern möglichst gütlich zu regeln, spiegelt sich in mehreren Vorschriften des DSU wider. So kann nach Art. 4 Abs. 7 DSU die Einsetzung eines Panels erst beantragt werden, wenn der Streit nicht innerhalb von 60 Tagen durch Konsultationen beigelegt werden konnte. Zu jedem Stadium eine~ Streitverfahrens, also auch wenn eine Partei beim DSB bereits beantragt hat, ein Panel einzusetzen, können die Parteien einvernehmlich den Versuch unternehmen, den Streit durch Gute Dienste, Vermittlung oder Mediation beizulegen (Art. 5 DSU). Auch die Panels sollen den Parteien regelmäßig Gelegenheit geben, eine beiderseitig zufriedenstellende Lösung zu entwickeln (Art. 11 Abs. 1 S. 3 DSU). Nur wenn den Parteien dies nicht gelingt, unterbreiten die Panels ihre Feststellungen in einem Bericht dem DSB (Art. 12 Abs. 7 S. 1 DSU). Schließlich steht den WTO-Mitgliedern mit dem Schiedsverfahren nach Art. 25 DSU eine· alternative Form der Streitbeilegung zur Verfügung, die in stärkerem Maße der Gestaltung durch die Parteien offensteht Ob aus diesen Bestimmungen des DSU zu folgern ist, der WTO-Streitbeilegungsmechanismus basiere insgesamt auf Konsens und sei deswegen zu schwach, um die unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte zuzulassen, erscheint äußerst fraglich. So findet sich in zahlreichen Rechtsordnungen die Präferenz, Rechtsstreitigkeiten durch gütliche Einigung anstau durch streitige Entscheidungen zu lösen.164 Auch gibt es in der Vielfalt der Rechtsordnungen eine große Spannbreite von Streitbeilegungsverfahren, von eher konsensual orientierten bis hin zu strengen Gerichtsverfahrensordnungen, die auf objektive Rechtsverwirklichung abzielen. 165 In diesem Rahmen erscheint der WTO-Streitbeilegungsmechanismus jedenfalls durchsetzungsstärker als die Mechanismen zahlreicher anderer völkerrechtlicher Abkommen - einschließlich derjenigen,

163 Siehe allgemein zur Umsetzungspraxis von Streitbeilegungsentscheidungen Stol/1 Steinmann, Max Planck UNYB 3 (1999), 408 ff. 164 V gl. nur § 279 der deutschen ZPO. 165 V gl. etwa das Verfahren nach Art. 41 f. des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II, 1534) einerseits mit dem Rechtsschutzsystemder EGMR vom 4.11.1950 (BGBl. 1952 II, 685, 953) in der Fassung des 11. Protokolls vom 11.5.1994 (BGBl. 1995 II, 579) andererseits.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

deren unmittelbare Anwendbarkeit der EuGH anerkannt hat. 166 In der Praxis schließlich stellt sich die Arbeit der Panels nicht als bloße Verlängerung der vorausgegangenen Konsultationen dar. Auch wenn die Streitparteien oftmals außerhalb der Panel-Verfahren weiter bilaterale Verhandlungen führten, beeinträchtige dies nicht die Arbeitsweise der Panels. 167 In diesem Zusammenhang ist vor allem darauf hinzuweisen, daß es in der Praxis des DSB zu zahlreichen streitigen Entscheidungen gekommen ist. 168

(c) Interpretationsmonopol der Ministerkonferenz Es wird argumentiert, gegen die Verrechtlichung des WTO-Streitbeilegungsverfahrens spreche, daß das letzte Wort über die Auslegung von WTO-Bestimmungen nicht dem DSB, sondern politischen Organen der WTO zusteht. Nach Art. IX Abs. 2 S. 1 WTO-Übereinkommen haben die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat "the exclusive authority to adopt interpretations of this Agreement and of the Multilateral Trade Agreements". Insofern könnten politische Organe die durch den DSB getroffenen Auslegungen aushebeln. 169 Hiergegen spricht bereits, daß die Kompetenz eines zentralen politischen Organs, Normen authentisch auszulegen, mit der Kompetenz eines gerichtlichen Organs, Normen in konkreten Streitfällen auszulegen, gar nicht in Konflikt treten muß. Während die Entscheidungen des Streitschlichtungsgremiums grundsätzlich nur "inter partes" wirken, 170 kommt den Entscheidungen nach Art. IX Abs. 2 S. 1 WTO-Übereinkommen eine Wirkung "erga ornnes" zu. Auch erscheint es nicht realistisch, daß in der WTO-Praxis Streitbeilegungsentscheidungen durch Auslegungen nach Art. IX Abs. 2 S. I WTO-Übereinkommen hintergangen werden könnten. In diesem Zusammenhang ist nur nur auf die prozeduralen Einschränkungen des Art. IX Abs. 2 S. 3 WTO-Übereinkommen (Dreiviertelmehrheit der Mitglieder) hinzuweisen. 166 So zutreffend Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (35 f.). Vgl. die Rechtsprechung des EuGH oben Teil2, A. IV. 2. a). 167 Vgl. die Darstellung bei Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (347). 168 Die vom DSB angenommenen Berichte der Panels bzw. des Appellate Body sind auf der Hornepage der WTO unter http://www. wto.orglwto/dispute/dispute.htm veröffentlicht. Dort finden sich auch detaillierte Statistiken und ein ständig aktualisierter Überblick über den Stand aller bisheriger Verfahren. 169 Timmermans, RMUE 4 (1994), 175 (178). 170 Zur Berücksichtigung der DSB-Entscheidungen als nachfolgende Praxis im Sinne von Art. 31 Abs. 31it. b) WVRK differenzierend Tietje, 127 ff., 129.

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(2) Justizfönnige Elemente Nach der hier vertretenen Auffassung wiegen die konsensualen Aspekte des WTO-Streitbeilegungsmechanismus nicht so schwer, als daß sie dessen Durchsetzungsfähigkeit in Frage stellten. Der Mechanismus erscheint nicht als "diplomatisches Forum" oder gar "zu geschmeidig", um die WTO-Übereinkünfte als unmittelbar anwendbar anzuerkennen. Verstärkt wird dieser Eindruck von den eindeutig gerichtsfönnigen Elementen des Streitbeilegungssystems.

(a) Prinzip des negativen Konsenses Im Streitbeilegungsverfahren des GATI 1947 konnte die unterlegene Partei die Annahme eines Panelberichtes durch den GAIT-Rat blockieren, da dort das Konsensprinzip herrschte. Dadurch kam es vor allem in den späten 1980er Jahren - insbesondere im Rahmen von Antidumping-Streitbeilegungsverfahren - wiederholt dazu, daß Panelberichte wegen einer solchen Blockade im GAIT-Rat nicht angenommen wurden. 171 Im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens ist dies nicht mehr möglich. Bei allen wichtigen Entscheidungen des DSB gilt nicht das Konsensprinzip, sondern das sog. ,,Prinzip des negativen Konsenses". So wird dem Antrag des Beschwerdeführers auf Einsetzung eines Panels stattgegeben, wenn nicht der DSB einstimmig beschließt, ein Panel nicht einzusetzen (Art. 6 Abs.1 DSU). Das gleiche gilt für die Annahme von Panelberichten (Art. 16 Abs. 4 S. 1 DSU) und von Berichten des Appellate Body (Art. 17 Abs. 14 S. 1 DSU): Sie werden vom DSB automatisch angenommen, solange kein gegenteiliger Konsens besteht. Ebenso ermächtigt der DSB auf Antrag die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen, wenn dies nicht einstimmig abgelehnt wird (Art. 22 Abs. 6 S. 1 DSU). Da nicht davon auszugehen ist, daß die beschwerdeführende Partei gegen die Einsetzung des von ihr beantragten Panels stimmen wird, und bei der Annahme der Berichte und der Entscheidung über Sanktionen zumindest die obsiegende Parei einen negativen Konsens verhindern wird, führt diese Regelung zu einem Quasi-Automatismus, der sehr für die Durchsetzungsfähigkeit des WTO-Streitbeilegungssystems spricht. Dementsprechend wird die Einführung des Prinzips des "negativen Konsenses" im Schrifttum fast einhellig als deutliche Abkehr vom Streitbeilegungssystem des 171 Ausführliche Statistiken und Auswertung hierzu bei Hudec, Enforcing International Trade Law, 285 ff.; ders., Minn. J. Global Trade 8 (1999), 1 ff.; allgemein zum Streitbeilegungsverfahren des GATT 1947 siehe Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, 66 ff.

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GATT 1947 und vielfach als starkes Argument für die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte gewertet. 172 So verdeutliche das Prinzip des "negativen Konsenses", daß im Rahmen der WTO "nicht mehr die Politik das Recht, sondern umgekehrt das Recht die Politik" kontrolliere. 173 Der Übergang vom positiven zum negativen Konsens sei die bedeutendste Stärkung des WTO-Streitbeilegungssysterns und "turns upside down the old system". Für den EuGH müsse diese Fortentwicklung ein Anstoß sein, seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 1947, die stets auf die Schwäche des Streitbeilegungssysterns des GATT 1947 abgestellt hat, für das WTO-Übereinkornmen neu zu bewerten. 174 Denn das neue Streitbeilegungssystem sei ein "virtually complete judicial system", in dem die unterlegene Partei in der Praxis die Annahme eines Panelberichtes nicht länger blockieren könne. 175 Generalanwalt Tesauro wertet letzteres als ein "kopernikanische Wende". 176 Während die Mehrheit im Schrifttum die Abkehr vom Veto-Prinzip hin zum Prinzip des "negativen Konsenses" als Stärkung des WTO-Streitbeilegungssysterns begreift, gibt es auch Stimmen, die von einer umgekehrten Wirkung, also einer Schwächung, ausgehen. Es wird vorgebracht, das frühere Konsenserfordernis habe auf die Panelmitglieder eine mäßigende Wirkung gehabt ("un rappel constant de la necessite de s'inspirer des exigences de mesure et de ponderation")177, da sie bemüht sein mußten, allen Vertragsparteien gerecht zu werden. Ein unter diesen Bedingungen angenommener Bericht habe stets eine besonders hohe Legitimität gehabt. Die Berichte, die nach der neuen Regelung auch gegen den Willen einzelner Mitglieder angenommen werden können, hätten demgegenüber eine geringere Legitimität. Es sei zu befürchten, daß sie deswegen seltener beachtet werden. 178 Dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen. Zum einen ist es ausgesprochen fragwürdig, ob die "Legitimität" einer Streitbeilegungsentscheidung daran gemes172 Drexl, GRUR lnt. 1994, 777 (786); Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (63); Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1084); Castillo de Ia Torre, JWT 29/1 (1995), 53 (67); Beneyto, EuZW 1996, 295 (296 f., 298 f.); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (34 f.); Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (336 ff.). 173 Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (786). 174 Beneyto, EuZW 1996, 295 (296 f., 298 f.). m Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (63). 176 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3627 f.), Anm. 29. 177 Rasmussen, RMUE 4 (1994), 185 (187 f.). 178 Rasmussen, RMUE 4 (1994), 185 (187 f.); ebenso Vermulst!Driessen, JWT 29/2 (1995), 131 (153); ähnlich Lee/Kennedy, JWT 3011 (1996), 67 (82).

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sen werden kann, daß alle am Streit Beteiligten mit ihr einverstanden sind. Vor allem aber sieht das WTO-Streitbeilegungssystem nicht nur in Art. 21 DSU ein Verfahren zur Überwachung der Umsetzung von Entscheidungen des DSB vor. Vielmehr gibt es in Art. 22 DSU auch effektive Sanktionsrnaßnahmen, mit denen auch solche Mitglieder, die eine Verurteilung durch den DSB für nicht legitim halten, angehalten werden können, dessen Entscheidungen umzusetzen.

(b) Institutionelle Verbesserungen Vielfach wird die institutionelle Ausdifferenzierung in einen DSB, ad hoc eingesetzte Panels und den Appellate Body als Beleg für die Stärkung des WTOStreitbeilegungsmechanismus gewertet. 179 Insbesondere die Schaffung eines ständigen Revisionsgremiums wird als Argument für die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte vorgebracht. 180 Dem ist zuzustimmen, da die Entscheidungspraxis des Appellate Body in den ersten fünf Jahren seinesBestehenseinen entscheidenden Beitrag zur Konsolidierung des WTO-Rechts mit sich gebracht hat.tst Gesteigert wurde die Effizienz des WTO-Streitbeilegungssystems gegenüber dem GATT 1947 auch dadurch, daß fast alle Streitigkeiten über die Anwendung von WTO-Übereinkünften (vgl. Art. 1 Abs. 1 DSU i. V. m. Anhang 1 zum DSU) in einem integrierten System behandelt werden können. Eine Zerfaserung von Streitschlichtungsverfahren wie nach den Regeln des GATI 1947, wo für jedes Nebenabkommen (z. B. Antidumping-Übereinkonunen) eigene Streitschlichtungssysteme bestanden, wird so verhindert. So können Panels nunmehr auch mit komplexen, mehrere Abkonunen berührenden Streitigkeiten umgehen. 182

179 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Henn~s. C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3627 f.), Anm. 29; Beneyto, EuZW 1996, 295 (297); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (34 f.); Cottier!Nadakavukaren Schefer, JIEL 1 (1998), 83 (92 f., 104). 18 Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (338 f.), geht davon aus, der Appellale Body steigere die "continuity, consistency, predictability and legal security" der WTO-Streitbeilegung; skeptischer und abwartend Hilf, Mich. J. Int'l L. 18 ( 1997), 321 (345); eine rechtsvergleichende Beurteilung der Institution des Appellate Body findet sich bei Joergens, Law & Policy Int'l Bus. 30 (1999), 193 ff. 181 Siehe etwa die Auswertung von Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33/2 (1999), 1 ff.; speziell zu Verfahrens- und Zuständigkeitsfragen Palmeter/Mavroidis, 19 ff. 182 Beneyto, EuZW 1996, 295 (296 f., 298 f.).

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

(c) Besetzung der Spruchkörper und Verfahren Im Schrifttum wird die Justizförmigkeit des WTO-Streitbeilegungsverfahrens zutreffend auch an der Besetzung von Panels und Appellate Body sowie an dem von diesen angewandten Verfahren festgemacht. Was die Besetzung der Spruchkörper angeht, so wird die Unabhängigkeit und Kompetenz der Panelmitglieder herausgestrichen, auch wenn es sich bei diesen nicht stets um Juristen, sondern teilweise um Handelsdiplomaten und Wirtschaftsexperten handele. Auch die unumgängliche Unterstützung der Panels durch das WTO-Sekretariat, welches während der Streitschlichtungsverfahren wegen seiner Sachkenntnis und Ressourcen eine bedeutende Rolle spielt, mindert nicht den justiziellen Charakter des Verfahrens, da ein Mißbrauch jedenfalls durch die Kontrolle seitens des Appellate Body verhindert werden könne. 183 Hervorzuheben ist ferner der Umstand, daß Panels und Appellate Body im Rahmen klar definierter "terms of reference" (Art. 7 DSU) operieren, was zu einem insgesamt rechtsstaatliehen Verfahren ebenso beiträgt wie die Beweisregeln oder der Anspruch auf rechtliches Gehör.184 Schließlich sprechen auch der ambitionierte Zeitplan, nach dem die WTO-Streitbeilegungsgremien ihre Entscheidungen zu treffen haben (Anhang 3 zum DSU), und die strenge Kontrolle derUmsetzungder DSB-Entscheidungen (Art. 21 DSU) für die verbesserte Durchsetzungsfähigkeit des Streitbeilegungssystems. 185

(3) Vereinbarkeil von WTO-Streibeilegung und unmittelbarer Anwendbarkeit Schon aus der weiter oben analysierten Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen ergab sich, daß die schiere Existenz eines völkervertraglichen Streitbeilegungssystems keinesfalls gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Vertragsbestimmungen spricht. 186 Dies gilt auch für das WTO-Übereinkommen. Sofern WTO-Mitglieder die unmittelbare AnEingehend hierzu Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (348 f.). So auch Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (337 f.). 185 Zutreffend Beneyto, EuZW 1996, 295 (296 ff.); Eeckhout, CMLR 34 (1997), 11 (34 f.); Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (340, 343 f.), weist darauf hin, daß die WTO-Streitbeilegungsgremien insofern sogar zu größerer Effzienz angehalten werden als die meisten internen Gerichte. Die umgekehrte Schlußfolgerung zieht Sack, EuZW 1997, 650 (651 ), der in dem WTO-Streitschlichtungssystem wegen der Zeitvorgaben "eine ausgesprochene Schnellschuß-Justiz" sieht. 186 Siehe oben Teil2, A. IV. 2. a). 183 184

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wendbarkeil anerkennen, würde dadurch der WTO-Streitschlichtungsmechanismus nicht obsolet, sondern allenfalls entlastet. Denn das internationale Streitschlichtungsverfahren und die interne Rechtsdurchsetzung stünden dann in einem kumulativen und nicht alternativen Verhältnis. Eine solche Dezentralisierung spiegelt sich auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung wieder, wo dank der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts der EuGH wesentlich entlastet wird. Hierdurch wird das rechtspolitische Postulat der Subsidiarität bezüglich der Judikative zur Geltung gebracht. Auch der umgekehrte im Rahmen der WIPO beschrittene Weg, wo man den in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien oftmals unmittelbar anwendbaren Konventionen ein internationales Streitbeilegungsverfahren zur Seite stellen will, würde keine der beiden Durchsetzungsmöglichkeiten entbehrlich werden lassen, sondern würde allein zu einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten führen. 187

cc) Zusammenfassung Schon das Urteil International Fruit, in dem der EuGH von dem Streitbeilegungssystem der Art. XXII und XXIII GAIT 1947 auf die "Geschmeidigkeit" der GAIT-Regeln schloß, war ausgesprochen fragwürdig und wurde vom Schrifttum - wie oben dargestellt - heftig kritisiert. Das reformierte WTO-Streitbeilegungssystem kann - nach der hier vertretenen Auffassung - nunmehr keinesfalls als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften in den Rechtsordnungen der Mitglieder herangezogen werden. Durch die Regelungen des DSU wurde das System gegenüber dem des GAlT 1947 entschieden gestärkt. Besonder wichtig sind hierbei die institutionelle Ausdifferenzierung, die BündeJung der Verfahren in einem System, die Einführung eines Zeitrahmens und die ausdrückliche Präferenz zugunsten einer Umsetzung der Entscheidungen des DSB "in rem". Als "kopernikanische Wende" kann schließlich der Übergang vom Konsensprinzip zum Grundsatz des "negativen Konsenses" gewertet werden. Die Einschätzung des EuGH in PortugaVRat, die Kompensationsregelung des Art. 22 Abs. 2 DSU verleihe dem System Verhandlungscharakter, geht daher fehl. Insgesamt stellt sich .das Verfahren nach dem DSU als ein durchsetzungsfähiges Streitbeilegungssystem dar, welches deutlich für die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte spricht.

187

Siehe dazu Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785).

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b) Vorschriften über Schutzmaßnahmen und Ausnahmegenehmigungen Wie bereits dargestellt, hatte der EuGH in dem Urteil International Fruit die angebliche Geschmeidigkeit des GATI 1947 auch an den "Vorschriften über Abweichungen von den allgerneinen Regeln" und an den "Maßnahmen, die bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können," festgernacht. 188 Im Rahmen des WTO-Systerns gibt es ebenfalls Regeln über Ausnahmegenehmigungen und Schutzrnaßnahmen. Es ist zu untersuchen, ob sie die Verpflichtungen aus den TRIPS-Bestimmungen so verwässern, daß diese von den internen Gerichten nicht unmittelbar angewendet werden können.

aa) WIO-Übereinkommen Die Vorschriften über Schutzmaßnahmen und Ausnahmegenehmigungen, auf die sich der EuGH in International Fruit bezogen hatte, finden sich auch im GATI 1994 (Art. XIX und Art. XXV Abs. 5 GATI 1994). Nach dem neuen Übereinkommen über Schutzmaßnahmen (Agreement on Safeguard Measures) ist der Rückgriff auf Schutzmaßnahmen jedoch in verschiedener Hinsicht stark eingeschränkt worden. 189 Dasselbe gilt für die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen ("Waiver") im Bereich des GATI 1994, die durch die Vereinbarung über Befreiungen von Verpflichtungen (Understanding in Respect of Waivers of Obligations under the General Agreement on Tariffs and Trade 1994) zeitlichen Beschränkungen, einer verstärkten Kontrolle und mehr Transparenz unterworfen wurden. 190 Im Schrifttum werden diese Reformen als Argument für die unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1994 gewertet. 191 Für die unmittelbare AnwendbarEuGH- International Fruit, 21-24/72- Slg. 1972, 1219 (1228), Rn. 21. So werden zentrale Begriffe, wie etwa "serious injury", "threat of serious injury" oder "domestic industry" (Art. 4), definiert, die Einführung von Schutzmaßnahmen verfahrensmäßig (Art. 3, 5, 7) beschränkt und durch einen Ausschuß überwacht (Art. 13). 190 Intensiviert wurden die Pflichten aus dem GA1T 1994 auch dadurch, daß die Meistbegünstigungsverpflichtung nach der neuen Vereinbarung über die Auslegung von Art. XXVI des GATT 1994 auf die sog. Preferential Trade Agreements erstreckt wurde. Präzisiert wurden die Pflichten schließlich auch durch die Vereinbarung über Zahlungsbilanzschwierigkeiten (Understanding on Balance-of-Payments Provisions of the General Agreement on Tariffs and Trade 1994); siehe hierzu Cottier, EFAR 1 (1996), 149 ff.; ders., CMLR 35 (1998), 325 (331). 191 Castillo de Ia To"e, JWT 29/1 (1995), 53 (66 f.); Kuijper, JWT 29/6 (1995), 49 (63); Lee/Kennedy, JWT 30/1 (1996), 67 (80, 82), weisen daraufhin, daß die prozeduralen Einschränkungen des Gebrauchs von Schutzmaßnahmen im Übereinkommen über Schutzmaßnahmen der WfO detaillierter sind als die im Freihandelsabkommen EWG-Portugal, 188 189

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keit des TRIPS spielen sie jedoch keine Rolle, da sie sich allein auf das GAIT 1994 beziehen. 192 Etwas anderes gilt für die Regelung des Art. IX Abs. 3 WTO-Übereinkommen, wonach ein WTO-Mitglied unter außergewöhnlichen Umständen durch die Ministerkonferenz von einer Verpflichtung aus dem WTO-Übereinkonunen oder einem der multilateralen Handelsübereinkommen - somit auch des TRIPS - entbunden werden kann. Hierfür hat es zunächst einen Antrag an den TRIPS-Rat zu richten (Art. IX Abs. 3 Buchst. (b) WTO-Übereinkonunen). Nach einer Frist von maximal 90 Tagen unterbreitet dieser den Antrag der Ministerkonferenz. Die Ministerkonferenz entscheidet über die Gewährung einer Ausnahmegenehmigung ("Waiver") mit einer Mehrheit von drei Vierteln der WTO-Mitglieder. Es erscheint fraglich, ob diese Regelung über "Waiver" für die zu große "Geschmeidigkeit" des WTO-Übereinkonunens und damit gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen angeführt werden kann. Bei den Ausnahmegenehmigungen nach Art. IX WTO-Übereinkommen handelt es sich um rechtlich gebundene Ausnahmen, so daß ihre Existenz nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts spricht. 193 Davon geht auch Generalanwalt Tesauro aus. Er meint, das Paradigma der angeblich großen Geschmeidigkeit der GAIT-1947-Bestimmungen, die vielfach auf "die ,Webart' des Systems mit Ausnahmen, Sondennaßnahmen und ähnlichem" zurückgeführt wurde, müsse im Hinblick auf das WTOÜbereinkommen aufgegeben werden, da das WTO-System "die Umkehrung des Verhältnisses von Regeln und Ausnahmen" aufweise. Da Art. IX WTO-Übereinkommen für die Erteilung von Befreiungsregelungen ("Waiver") wichtige Einschränkungen enthalte, seien- im Gegensatz zu früher- "die materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Gewährung von Ausnahmen heute ausreichend streng geregelt". 194

welche seinerzeit den EuGH in Kupferberg bewogen, dem Abkommen die unmittelbare Anwendbarkeit trotz der Existenz von Schutzklauseln zuzusprechen. Ebenso Eeckhout, CMLR 34 ( 1997), 11 (36). Generalanwalt Tesauro sieht in den genannten Reformen Indizien für die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkünfte, Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96 - Slg. 1998, I-3606 (3626 f.), Anm. 29. 192 Dort wäre jedoch zu berücksichtigen, daß auch das Gemeinschaftsrecht Schutzklauseln kennt, ohne daß deshalb seine Qualität als unbedingter Rechtsrahmen in Frage gestellt wird. Zur Funktion der Schutzklauseln im Gemeinschaftsrecht siehe Weber, 405 ff. 193 So im Ergebnis Meng, FS Bernhardt (1995), 1063 (1082, 1084 f.). 194 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Hermes, C-53/96Slg. 1998, I-3606 (3626 f.), Anm. 29.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

bb) TRIPS Eine mit Art. XXV Abs. 5 GATI 1994 vergleichbare Regelung über "Waiver" kennt das TRIPS ebensowenig wie eine Vorschrift über Schutzmaßnahmen im Bereich des Irnrnaterialgüterschutzes. Insofern bleibt es bei der bereits diskutierten allgerneinen Vorschrift des Art. IX Abs. 3 WTO-Übereinkommen. Zu zahlreichen 1RIPS-Verpflichtungen gibt es jedoch Ausnahrneregelungen. So gelten etwa für die in Art. 3 1RIPS geregelte Pflicht zur Inländerbehandlung die Ausnahmen, die in der PVÜ, der RBÜ und dem RA enthalten sind (Art. 3 Abs. 1 S. 1 1RIPS). Ebenso enthält Art. 4 S. 2 TRIPS zahlreiche Ausnahmen zur Meistbegünstigungsverpflichtung des Art. 4 S. 1 1RIPS. Ausgenommen sind beispielsweise diejenigen Vorteile, Vergünstigungen, Sonderrechte und Befreiungen, die sich aus internationalen Rechtshilfe- oder Vollstreckungsübereinkünften ableiten, die allgerneiner Art sind und sich nicht speziell auf den Schutz des geistigen Eigenturns beschränken (Art. 4 S. 2 Buchst. (a) 1RIPS). Ein weiteres Beispiel für eine Ausnahmeregelung findet sich in Art. 27 1RIPS, wo den Mitgliedern gegenüber der Verpflichtung aus Abs. l, Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren erhältlich zu machen, in den Abs. 2 und 3 Ausnahmen (z. B. der Ordre-public-Vorbehalt in Abs. 2) zugestanden werden. Neben zahlreichen anderen vergleichbaren Vorschriften zu speziellen TRIPS-Verpflichtungen, sind in Art. 73 TRIPS schließlich Ausnahmen zurWahrungder Sicherheit (Sicherheitsinteressen der Mitglieder, Pflichten aus Kapitel VII UN-Charta195) geregelt. Soweit ersichtlich, gibt es keine Stimmen in Rechtsprechung oder Literatur, die aus solchen Ausnahmevorschriften auf die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit eines Abkommens schließen. Von ihrer Struktur her unterscheiden sich die Ausnahmen im TRIPS nicht wesentlich von denen in anderen Gerneinschaftsabkornrnen, denen der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit bereits attestiert hat. Auch im EGV und in nationalen Rechtsordnungen gibt es ähnliche Regelungen. 196 Eine Besonderheit des TRIPS sind hingegen die Übergangsregelungen des Teil VI (Art. 65-671RIPS). Mit dem lokrafttreten des WTO-Übereinkommen arn 1. Januar 1995 mußten nicht alle 1RIPS-Bestimmungen von allen WTO-Mit195 Charta der Vereinten Nationen vom 26.6.1945 (UN-Charta), UN Conference on International Organization Documents, Bd. XV (1945), 335 ff.; UNTS Bd. 557, 143; BGBL 1973 li, 431. 196 Cottier/Nadakavukaren Schefer, JIEL 1 (1998), 83 (92), sind der Ansicht, die Ausnahmen im WTO-System seien generell hinreichend präzise, um unmittelbar angewandt zu werden.

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gliedern sofort umgesetzt werden. Vielmehr ergibt sich aus den Art. 65 bis 67 TRIPS eine gewisse Staffelung. Allen Mitgliedern kam nach Art. 65 Abs. 1 TRIPS eine einjährige Übergangsfrist bis zum 1. Januar 1996 zugute, wovon allein die Art. 70 Abs. 8 TRIPS (sog. Mailbox-Regelung für Staaten ohne Patentschutz für pharmazeutische und agro-chemische Produkte) und Art. 65 Abs. 5 TRIPS (kein Absinkenunter den TRIPS-Mindestschutz während der Übergangsphase) ausgenommen waren. Um den besonderen Schwierigkeiten einiger Staatengruppen bei der Umsetzung des TRIPS Rechnung zu tragen, wurde diesen zusätzliche Umsetzungsfristen gewährt. 197 Entwicklungsländer und Staaten im Übergang von Plan- zur freien Marktwirtschaft hatten bis zum 1. Januar 2000 Zeit, die TRIPS-Bestimmungen umzusetzen (Art. 65 Abs. 2 und 3 TRIPS). 198 Die am wenigsten weit entwickelten Staaten können die TRIPS-Bestimmungen bis zum 1. Januar 2006 umsetzen, wobei der TRIPS-Rat diese Frist sogar noch verlängern kann (Art. 66 Abs. 1 TRIPS). Es versteht sich von selbst, daß während der einjährigen Übergangsfrist vom 1. Januar 1995 bis zum 1. Januar 1996 eine unmittelbare Anwendbarkeit von TRIPS-Bestimmungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht in Frage kam. Seitdem ist die Europäische Gemeinschaft jedoch zur vollen und sofortigen Umsetzung der TRIPS-Bestimmungen verpflichtet. Es spricht auch nichts dafür, aus dem Umstand, daß für bestimmte Staatengruppen Sonderregelungen gelten, Rückschlüsse auf die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen zu ziehen. Nur weil im TRIPS denjenigen Mitgliedern, deren Immaterialgüterschutz noch am stärksten entwicklungsbedürftig ist, im Rahmen eines Kompromisses zusätzliche Umsetzungsfristen zugestanden wurden, erscheint das TRIPS insgesamt nicht etwa als "geschmeidig" und deshalb für die unmittelbare Anwendbarkeit ungeeignet. Was schließlich Vorbehalte gegen TRIPS-Verpflichtungen angeht, so sind diese nach Art. 72 TRIPS nur mit Zustimmung aller anderen Mitglieder zulässig.199 Insgesamt verleihen weder die "Waiver"-Regelung des Art. IX Abs. 3 WTOÜbereinkommen, noch die unterschiedlichen Ausnahmen zu den TRIPS-Ver197 Diese Übergangsfristen galten bzw. gelten jedoch nicht für die Verpflichtung aus Art. 3 TRIPS (lnländerbehandlung), Art. 4 TRIPS (Meistbegünstigung) und Art. 5 TRIPS (Ausnahme bestimmter Verfahren aus WIPO-Übereinkünften). 198 Siehe auch die Regelung in Art. 65 Abs. 4 TRIPS, wonach Entwicklungsländer für die Erstreckung von Patentschutz auf neue Gebiete der Technik eine zusätzliche Frist von fünf Jahren in Anspruch nehmen können. 199 Vorbehalte im Hinblick auf Vorschriften des WTO-Übereinkomrnen sind nach Art. XVI Abs. 5 S. 1 WTO-Übereinkomrnen ausgeschlossen.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

pflichtungen, noch die Übergangsregelungen zugunsten bestimmter Staatengruppen dem TRIPS eine Qualität, die es den Gemeinschaftsgerichten erlauben dürfte, es als zu "geschmeidig" oder "flexibel" für die unmittelbare Anwendbarkeit einzuschätzen. c) Zusammenfassung Die Untersuchung des für das TRIPS anwendbaren DSU-Streitbeilegungsmechanismus sowie der für das TRIPS geltenden Ausnahmeregelungen läßt das TRIPS nicht als "geschmeidig" oder "flexibel" erscheinen. Sowenig das WTOÜbereinkommen mit dem GATI 1947 zu vergleichen ist,200 so sehr spricht dessen Gesamtcharakter und vor allem der des TRIPS für die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen. Daher ist Generalanwalt Tesauro zuzustimmen, wenn er im Laufe seiner Schlußanträge in der Rechtssache Hermes zu dem Zwischenergebnis gelangte: "Letztlich bin ich der Auffassung, daß sich die Lage im Vergleich zum GATI 1947 geändert hat und daß die Einwände, die der Gerichtshof bisher erhoben hat, gegenüber dem WTO-Kontext als überwunden anzusehen sind. Unter diesem Blickwinkel müßte daher die Einhaltung der WTO-Übereinkommen, darunter des TRIPS, von nun an von den einzelnen vor Gericht geltend gemacht werden können, wohlgemerkt nur bei den Bestimmungen, die dafür in Frage kommen. " 201

3. Konkrete Vorschriften des TRIPS Hat die bisherige Untersuchung ergeben, daß das TRIPS seinem Gesamtcharakter nach unmittelbar anwendbar ist, so sind im folgenden die unterschiedlichen 200 Teilweise wird die nunmehr ausdrücklich geregelte Völkerrechtspersönlichkeit der WfO (Art. VIII Abs. I WTO-Übereinkommen) als Argument für die unmittelbare Anwend· barkeit der WTO-Übereinkünfte gewertet; so Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785); ebenso die Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH - Herrnes, C-53/96 - Slg. 1998,1-3606 (3626), Anm. 28. Der provisorische Charakter des GATT 1947 und dessen unklare Völkerrechtssubjektivität wurde teilweise, vgl. Jackson, World Trade and the Law of GATT, 106 ff., als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen des GATT 1947 vorgebracht. Auch wenn die klare Regelung im WTO-Übereinkommen das Provisorium des GATT 1947 überwindet, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Regelung der Völkerrechtspersönlichkeit einer internationalen Organisation für die unmittelbare Anwendbarkeit der von ihr verwalteten materiellen Abkommensbestimmungen sprechen kann. 201 Schlußanträge von Generalanwalt Giuseppe Tesauro zu EuGH- Herrnes, C-53/96Slg. 1998, 1-3606 (3628), Anm. 30.

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Bestinunungen des TRIPS zu untersuchen. Denn für die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestinunung eines Gemeinschaftsabkonunens in der Gemeinschaftsrechtsordnung reicht es nicht aus, daß sich das Abkommen nach seinem Gesamtcharakter für die unmittelbare Anwendbarkeit eignet. Vielmehr ist zusätzlich die konkrete Vorschrift daraufhin auszulegen, ob sie "unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkonunens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen. "202 Die oben durchgeführte Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu dieser sogenannten zweiten Stufe der Auslegung von Gemeinschaftsabkonunen im Hinblick auf deren unmittelbare Anwendbarkeit hat gezeigt, daß es vor allem auf die Präzision, die Vorbehaltslosigkeit und die inhaltliche Abgeschlossenheil der fraglichen Vorschrift ankonunt. Nicht entscheidend ist, ob sie ihrem Wortlaut nach an die Vertragsparteien und nicht an die einzelnen addressiert ist. Für die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestinunung kann es sprechen, wenn sie einer vom EuGH bereits als unmittelbar anwendbar anerkannten Vorschrift des primären Gemeinschaftsrechts ähnelt. 203 Im Schrifttum betonen zahlreiche Autoren, die Bestinunungen des TRIPS seien insgesamt sehr detailliert und präzise formuliert und eigneten sich daher für die unmittelbare Anwendbarkeit besonders gut. 204 Die Vorschriften seien in vielen Gebieten so detailliert, daß sie sich in ihrer normativen Qualität nicht von denen des nationalen Rechts oder des Gemeinschaftsrechts unterschieden. 205 Selbst dort, wo TRIPS von einer Verpflichtung spricht, bestinunte Rechte einzuführen, spreche dies nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit, solange die Verpflichtung hinreichend genau und bestinunt formuliert sei, um vom nationalen Gericht angewendet zu werden. 206 Ebensowenig dürfe es darauf ankonunen, ob eine TRIPSBestinunung als absoluter Grundsatz oder als an die Vertragsparteien adressierte Verpflichtung ausgestaltet sei. Die redaktionelle Gestaltung des TRIPS sei in dieser Hinsicht nicht konsequent. 207 Diese eher pauschale Einschätzung gilt es zu überprüfen. Nun ist es im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, sämtliche Regelungen der oft umfangreichen EuGH- Demirel, 12/86- Slg. 1987, 3719 (3752), Rn. 14. Siehe oben Teil 2, A. IV. 3. d). 204 Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785); Schäfers, GRUR lnt. 1996, 763 (776); Staehelin, AJP 1996, 1488 (1493); Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (331). 20s Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (331 ). 206 Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785); dies gelte jedoch nicht für Art. 14 Abs. 1 TRIPS, wo die besonders schwache Formulierung aus Art. 7 RA übernommen wurde. 207 Schäfers, GRUR lnt. 1996, 763 (776). 202 203

16 Hennes

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

73 Artikel des TRIPS- hinzu kommen noch die durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 TRIPS inkorporierten Vorschriften der PVÜ und RBÜ- daraufbin auszulegen, ob sie klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder Wirkungen keiner weiteren Akte mehr bedürfen. Stattdessen sollen die verschiedenen Teile des TRIPS im Hinblick auf die unmittelbare Anwendbarkeit der darin enthaltenen Bestimmungen untersucht und dabei einige Bestimmungen der TRIPS beispielhaft herangezogen werden. Da es jedoch für ein Gerneinschaftsgericht, das die unmittelbare Anwendbarkeit einer konkreten TRIPS-Bestimmung zu beurteilen hat, entscheidend darauf ankommen wird, wie andere Gerichte diese Norm bereits eingeschätzt haben, soll vorher noch die Relevanz der Praxis unterschiedlicher Gerichte besprochen werden.

a) Die Relevanz der Praxis internationaler und interner Gerichte zu TRIPS-Bestimmungen Seit dem lokrafttreten des TRIPS am 1. Januar 1995 haben sich sowohl internationale als auch interne Gerichte zunehmend mit dem Abkommen auseinandergesetzt Für ein Gemeinschaftsgericht, das in einem konkreten Fall die unmittelbare Anwendbarkeit einer TRIPS-Norm bestimmen will, kann diese Praxis unter mehreren Gesichtspunkten von Bedeutung sein.

aa) WTO-Streitbeilegungsgremium Seit lokrafttreten des WTO-Übereinkommens am 1. Januar 1995 wurden im Rahmen des WTO-Streitbeilegungssysterns weit über 150 Streitigkeiten über die Verletzung von Rechten aus WTO-Übereinkünften verhandelt. 208 Einige der Verfahren betrafen Bestimmungen des TRIPS. 209 In den meisten dieser Verfahren kam es nicht zur Einsetzung von Panels, da sich die Parteien anderweitig einigten. Bislang hat der DSB in folgenden Fällen Berichte von Panels oder des Appellate Body angenommen. In /ndia- Patent Protectionfor Pharmaceutical and Agricul208 Die vom DSB angenommenen Berichte der Panels bzw. des Appellate Body sind auf der Hornepage der WTO unter http://www. wto.orglwto/dispute/dispute.htm veröffentlicht. Dort finden sich auch detaillierte Statistiken und ein ständig aktualisierter Überblick über den Stand aller bisheriger Verfahren. Die vorliegende Bearbeitung geht vom Stand November 2000 aus. 209 Siehe den Überblick bei Dörmer, GRUR lnt. 1998, 919 ff.; Geuze/Wager, JIEL 2 (1999), 347 ff.; Staehelin, TRIPs, 202 ff.

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tural Chemieal Produets, der ersten Streitbeilegungsentscheidung zum TRIPS, stellte das Panel auf eine Beschwerde der USA hin fest, daß Indien, indem es während der zehnjährigen Übergangsfrist des Art. 65 Abs. 2 und 4 TRIPS für die Anmeldung von Stoffpatenten für pharmazeutische und agro-chemische Erfindungen kein angemessenes "Mailboxsystem" zur Verfügung stellte, gegen Art. 70 Abs. 8 TRIPs und Art. 63 TRIPs, und wegen des fehlenden Systems zur Gewährung ausschließlicher Vermarktungsrechte gegen Art. 70 Abs. 9 TRIPs verstoße. 210 Der Appellate Body bestätigte den Bericht des Panels im wesentlichen. 211 In dem Fall Indonesia- Certain Measures Affecting the Automobile Industry hatten die USA Beschwerde gegen ein indonesisches Programm zur Förderung der heimischen Autoindustrie erhoben. Die USA machten geltend, das Programm verstoße mit einer markenrechtlichen Regelung u. a. gegen Art. 3, 20 und 65 Abs. 5 TRIPS. Das Panel entschied, daß eine Verletzung des TRIPS nicht vorlag. 212 Im Fall Canada- Patent Proteerion of Pharmaeeutieal Produets bejahte das Panel einen Verstoß Kanadas gegen Art. 28 Abs. 1 TRIPS. 213 In Canada- Term of Patent Proteerion hat ein Panel festgestellt, daß der kanadische Patent Act in seiner Section 45 gegen Art. 33 TRIPS verstößt. 214 In United States- Seetion 110(5) ofthe US Copyright Aet wurde ein Verstoß der USA gegen Art. 13 TRIPS und damit gegen die durch Art. 9 Abs. I TRIPS inkorporierten Art. 1I bis Abs. l (iii) und Art. Il Abs. I (ii) RBÜ festgestellt. 215 Die Auslegung von TRIPS-Bestimmungen durch Panels und den Appellate Body hat für die nachfolgenden Panels eine große Bedeutung. Zwar gibt es im Rahmen der WTO-Rechtsordnung keine Bindung an Präzedenzfälle. So hat der Appellate Body in Japan- Taxes on Aleoholie Beverages unterstrichen, daß vom DSB angenommene Berichte zwar häufig von späteren Panels berücksichtigt werden, sie jedoch- außerhalb des konkreten Streites zwischen den konkreten 210 Panel Report lndia- Patent Proteetionfor Pharmaeeutieal andAgrieultural Chemieal Produets vom 5. September 1997 (WT/DS50/R), Tz. 7.30 ff.; vgl. auch die inhaltsgleiche Beschwerde der EG, die zum Panel Report lndia- Patellt Proteerion for Pharmaeeutieal and Agrieultural Chemieal Products vom 24. August 1998 (WT/DS/79/R) filhrte, in der ebenfalls ein Verstoß Indiens gegen Art. 70 Absätze 8 und 9 TRIPS festgestellt wurde. 211 Appellate Body Report lndia - Patent Proteerion for Phannaeeutieal and Agrieultural Chemieal Produets vom 19. Dezember 1997 (WT/DS50/R), Tz. 33 ff. 212 Panel Report lndonesia - Certain Measures Affeeting the Automobile lndustry vom 2. Juli 1998 (WT/DS55/R, WT/DS64/R, WT/DS54/R, WT/DS59/R), Tz. 14.273 ff. 213 Panel Report Canada- Patent Proteerion ofPhannaeeutieal Produets vom 17. März 2000 (WT/DS114/R). 214 Panel Report Canada- Tenn of Patent Proteerion vom 5. Mai 2000 (WT/DS 170/R). 215 Panel Report United States- Seetion 110(5) of the US Copyright Aet vom 15. Juni 2000 (WT/DS 160/R).

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des 1RIPS

Streitparteien - nicht verbindlich seien. 216 Doch auch ohne eine formale Bindung spielen die Berichte früherer Panels und des Appellate Body in der Praxis der WTO-Streitbeilegung eine herausragende Rolle für die Auslegung von WTOVorschriften. 217 Auch Gemeinschaftsgerichte, die in einem konkreten Fall eine 'IRIPS-Bestimmung auszulegen und anzuwenden haben, werden sich an einschlägigen Entscheidungen des WTO-Streitbeilegungsgremiums zum TRIPS orientieren. Selbstverständlich werden Panels oder der Appellate Body nie auf die Frage zu sprechen kommen, ob sich Bestimmungen des TRIPS für die unmittelbare Anwendbarkeit in den Rechtsordnungen der Mitglieder eignen. Denn wie bereits oben dargelegt, enthalten weder das WTO-Übereinkommen noch das TRIPS eine Verpflichtung der Mitglieder, die TRIPS-Bestimmungen auf eine bestimmte Weise intern umzusetzen. Aber allein der Umstand, daß die TRIPS-Bestimmungen durch die Spruchpraxis des WTO-Streitbeilegungsgremiums runetunend präzisiert werden, bewirkt, daß sie sich auch in den Rechtsordnungen der Mitglieder, d. h. auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung, zunehmend für die unmittelbare Anwendbarkeit eignen. Je mehr WTOBestimmungen von Panels und Appellate Body ausgelegt und angewandt werden, desto deutlich wird, daß sie auch von internen Gerichten "handhabbar" sind. 218 Insofern wird die Spruchpraxis des WTO-Streitbeilegungsgremiums "facilitate direct effect step by step in coming years, perhaps decades". 219

bb) Gerichte von Verbandsstaaten der PVÜ und RBÜ Eine weitere Orientierung, was die Auslegung von Vorschriften des 'IRIPS angeht, können Gemeinschaftsgerichte im Hinblick auf die in das 1RIPS inkorporierten Vorschriften der PVÜ und RBÜ gewinnen. 220 Denn diese Bestimmungen 216 Appellate Body Report Japan- Taxes on Alcoholic Beverages vom 4. Oktober 1996 (WT/DS8/AB/R, WT/DSlO/AB/R, WT/DS11/AB/R), Anm. 13 ff., 15. 217 Palmeter/Mavroidis, AJIL 92 (1998), 398 (413), bezeichnen das WfO-Streitschlichtungssystem daher sogar als weitgehend in sich abgeschlossen: "Most WTO disputes will be resolved primarily, if not solely, with reference to the texts and to prior reports, andin this sense the WTO legal system may be thought of as largely self-contained." 218 So Cottier/Nadakavukaren Schefer, JIEL 1 (1998), 83 (92 f., 104, 112), die zusätzlich darauf hinweisen, daß die Orientierung an dem wachsenden WfO-Fallrecht auch die- stets mit der unmittelbaren Anwendbarkeit zusammenhängende - Gefahr divergierender Auslegungen durch die internen Gerichte vermindere. 219 So Cottier, CMLR 35 (1998), 325 (368). 220 Inkorporiert werden durch Art. 351RIPS auch Vorschriften des Washingtoner Halbleiterschutzvertrages (IPIC-Abkommen) vom 26. Mai 1989. Allerdings ist dieses Abkom-

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sind bereits in einem anderen Kontext von den Gerichten der Vertragsparteien von PVÜ und RBÜ vielfach ausgelegt worden. Einer der Hauptgründe für die Verhandlung des TRIPS waren die Mängel des traditionellen internationalen Schutzes des geistigen Eigentums. 221 Sein Ziel, den Schutz geistigen Eigentums weltweit zu verstärken und zu harmonisieren, verfolgt das TRIPS jedoch nicht etwa dadurch, daß es die bis dahin bestehenden multilateralen Abkommen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums außer Kraft setzt und durch neue Regeln ersetzt. 222 Vielmehr inkorporiert das TRIPS Bestimmungen zweier wichtiger bestehender Abkommen, der PVÜ und der RB Ü, und ergänzt sie an zahlreichen Stellen (sog. "Paris-plus"- bzw. "Bern-plus"-Ansatz). So schreibt Art. 2 Abs. 1 TRIPS den Mitgliedern vor, im Hinblick auf die Teile II, III und IV des TRIPS die Art. 1 bis 12 sowie 19 der PVÜ in ihrer Stockholmer Fassung von 1967 einzuhalten. Damit werden mit Ausnahme einiger administrativer und institutioneller Vorschriften sämtliche Artikel der PVÜ in das TRIPS inkorporiert. Für das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte übernimmt Art. 9 Abs. 1 TRIPS die Art. 1 bis 21 sowie den dazugehörigen Anhang der RBÜ in ihrer Pariser Fassung von 1971. Hierdurch werden sämtliche materielle Schutzbestimmungen dieser Übereinkunft Teil des TRIPS. 223 Die Eingliederung der genannten Vorschriften der PVÜ und der RBÜ in das TRIPS bewirkt, daß auch WTO-Mitglieder, die an diesen immaterialgüterrechtliehen Konventionen nicht beteiligt sind, hieran als Teil des TRIPS gebunden sind. Bei Nichtbeachtung der Verpflichtungen aus der PVÜ und der RBÜ ist der WTO-Streitbeilegungsmechanismus anwendbar. Gegenüber anderen Lösungen hat die Inkorporation zunächst den Vorteil, daß so Konflikte zwischen dem TRIPS und den bestehenden Konventionen vermieden werden können. In redaktioneller Hinsicht war es außerdem sinnvoll, die bestehenden Konventionen nicht abzuschreiben.

men wegen des fundamentalen Widerstandes u. a. der USA und Japans nicht in Kraft getreten. Da das Abkommen somit "lettre morte" geblieben ist, gibt es keine gerichtliche Praxis dazu. 221 Ausführlicher hierzu Katzenberger, GRUR lnt. 1995, 447 (451 ff.). 222 Art. 2 Abs. 2 TRIPS bestimmt, daß die Teile I bis IV des TRIPS die gegenseitigen Verpflichtungen der Mitglieder aus der PVÜ, der RBÜ, dem RA und dem IPIC-Vertrag nicht außer Kraft setzen. 223 Eine Ausnahme gilt nach Art. 9 Abs. 1 S. 2 TRIPS nur in bezug auf die in Art. 6bis RBÜ geregelten urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse (sog. "moral rights"), die auf den großen politischen Druck der USA hin ausgenommen wurden; hierzu Staehelin, TRIPs, 65 f.

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des 1RIPS

Auf einen weiteren wichtigen Vorteil der Inkorporierung weist Abbott hin. Seiner Ansicht nach könne die reichhaltige Praxis der Verbandsstaaten -in erster Linie die der Gerichte - zu den inkorporierten Vorschriften berücksichtigt werden, wenn WTO-Streitbeilegungsgremien diese Vorschriften (als Teil des TRIPS) auszulegen und anzuwenden haben. Auch wenn es sich bei dieser Praxis in den verschiedenen Rechtsordnungen der Verbandsstaaten nicht um nachfolgende Praxis im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVRK handele, da sie ja vor Inkrafttreten des TRIPS entstanden sei, so müßte sie doch realistischerweise als "source of interpretative evidence with respect to the TRIPS Agreement" betrachtet werden. Ihr Ziel, einen angemessenen Mindestschutz geistigen Eigentums im WTOSystem zu verankern, haben die WTO-Mitglieder erreichen wollen "by adopting the most prevalent multilateral IPRs rule systems in force at the time of concluding the TRIPS Agreement, supplementing or amendingsuch rules as appropriate". Wenn es den Mitgliedern dabei um den reinen Text jener Konventionen gegangen wäre, hätten sie statt des Verweises allein den Text übernommen. 224 Nach Ansicht von Abbott ging es ihnen vielmehr darum, auch die bisherige Praxis zu übernehmen: "In adopting the rules of external IPRs conventions, the WTO members took them subject to existing state practice, including interpretative decisions." Bei der Auslegung von TRIPS-Bestimmungen, die auf andere Konventionen verweisen, müsse daher die Staatenpraxis dazu in Betracht gezogen werden. 225 Auch wenn sich Abbott primär auf die Auslegung des TRIPS durch WTO-Streitbeilegungsgremien bezieht, so müßte dasselbe für die Gerichte der WTO-Mitglieder gelten, die TRIPS-Bestimmungen auslegen. Tatsächlich gibt es zu den Bestimmungen der RBÜ und der PVÜ eine rege Praxis der Gerichte der Verbandsstaaten. So haben etwa schweizerische und Österreichische Gerichte Normen des nationalen Urheberrechts im Einklang mit Bestimmungen der RBÜ ausgelegt. 226 Von zentraler Bedeutung für die vorliegenden Untersuchung ist es darüber hinaus vor allem, daß Gerichte der Verbandsstaaten zahlreiche Bestimmungen der RBÜ als unmittelbar anwendbar anerkannt 224 Abbott führt das Beispiel von Art. 2 der RBÜ an. Durch dessen Inkorporierung wollten die Mitglieder seiner Ansicht nach eine Vorschrift mit lOOjähriger Staatenpraxis, welche das Konzept des geschützten Werkes sehr detailliert ausdifferenziert hat, eingliedern. Der bloße Wortlaut der Norm hätte ihrem Ziel, geschützte Werke zu definieren, nur eine "minimalistic structure" geliefert. 225 F. M. Abbott, in: Petersmann (Hg.), 415 (415 f., 420 ff.). 226 Als Beispiele für die Auslegung nationalen Urheberrechts im Einklang mit Bestimmungen der RBÜ siehe etwa das schweizerische Bundesgericht im Fall SUISA, Urteil vom 20. Januar 1981, ECC 1982, 481, und den Österreichischen Obersten Gerichtshof, Urteil vom 28. Mai 1991, AZ 4 Ob 19/91, ECC 1992,456.

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haben. So überprüfte der Bundesgerichtshof in einer frühen Entscheidung, ob § 22a LitUrhG mit Art. 13 Abs. 1 und 2 der Rom-Fassung der RBÜ vereinbar war. Da die Rom-Fassung der Bemer Übereinkunft durch Ratifikation und Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt Bestandteil des deutschen Rechtes geworden sei, könne sich ,jeder nichtdeutsehe Urheber verbandseigener Werke unmittelbar auf ihre Bestimmungen berufen, soweit sie nach Inhalt und Fassung als privatrechtliehe Rechtssätze anwendbar sind". Eine solche unmittelbare Anwendbarkeit bejahte der Bundesgerichtshof bei Art. 13 Abs. 1 und 2 der RBÜ. 227 Auch in Österreich wurden Bestimmungen der RBÜ als unmittelbar anwendbar anerkannt. So entschied der Oberste Gerichtshof im Jahre 1995, daß sich ein Urheber aus einem anderem Verbandsland uninittelbar auf den über das nationale Recht hinausgehenden Mindestschutz nach Art. 9 RBÜ berufen kann. 228 Der Umstand, daß zahlreiche der in das TRIPS inkorporierten Vorschriften der PVÜ und RBÜ in den Rechtsordnungen der Verbandsstaaten unmittelbar angewendet wurden, spricht dafür, daß sie auch als TRIPS-Bestimmungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar anwendbar sind. Die Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertraglicher Normen unterscheiden sich in den meisten Rechtssystemen zu wenig voneinander, als daß eine abweichende Beurteilung für die Gemeinschaftsrechtsordnung gerechtfertigt sein könnte. Insofern sollten sich die Gemeinschaftsgerichte, wenn sie die unmittelbare Anwendbarkeit einer TRIPS-Bestimmung durch Auslegung zu ermitteln haben, von der Rechtsprechung in den Verbandsstaaten der PVÜ und RBÜ zu den inkorporierten Vorschriften leiten lassen. Zuzustimmen ist daher den zahlreichen Autoren, die die TRIPS-Bestimmungen, deren unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen der genannten Übereinkünfte erprobt ist, auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung als unmittelbar anwendbar einschätzen.229 Die Gemeinschaftsgerichte sollten berücksichtigen, daß andere interne Gerichte die in das TRIPS inkorporierten geistigen Eigentumsrechte "seit vielen Jahren als unmittelbar anwendbare justiziable Völkerrechtsgarantien geschützt" haben. 230 Da die entsprechenden Vorschriften im Rahmen des "plus Beme and Paris approach" nicht nur in das TRIPS inkorporiert, 227 BGHZ ll, 135 (138). Einen Widerspruch zwischen dem deutschen Gesetz und Art. 13 RBÜ konnte der BGH jedoch im Ergebnis nicht feststellen. 228 Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 31. Januar 1995, AZ 4 Ob 143/94, GRUR Int. 1995, 729 (730), mit Anm. von Dillenz. 229 Meng, FS Bemhardt (1995),1063 (1079, 1085); Katzenberger, GRUR Int. 1995,447 (459); der., in: Schricker (Hg.), Urheberrecht, Vor§§ 120 ff., Rn. 116; Schäfers, GRUR Int. 1996,763 (776); Petersmann, EuZW 1997, 325 (327); Cottier, The Impact ofthe TRIPSAgreement, 13 f.; Cottier/Nadakavukaren Schefer, JIEL I (1998), 83 (104). 230 So Petersmann, EuZW 1997, 325 (327).

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

sondern auch präzisiert wurden, eignen sie sich deshalb als TRIPS-Bestimmungen mindestens ebenso gut wie als Bestimmungen von PVÜ und RBÜ für die unmittelbare Anwendung. 231 Insgesamt ist es also ein wertvoller Indikator für die unmittelbare Anwendbarkeit einer in das 1RIPS inkorporierten Bestimmung von PVÜ und RBÜ, wenn sie in anderem Zusammenhang bereits als unmittelbar anwendbar anerkannt worden ist.

cc) Gemeinschaftsgerichte Wenn ein Gemeinschaftsgericht zu beurteilen hat, ob eine konkrete 1RIPS-Bestimmung unmittelbar anwendbar ist, wird es sich primär an den Auslegungen anderer Gemeinschaftsgerichte, allen voran des EuGH, orientieren. Neben den Entscheidungen des EuGH wird es auch die Rechtsprechung der mitgliedstaatliehen Gerichte berücksichtigen. Auch die mitgliedstaatliehen Gerichte waren bisher äußerst zurückhaltend, was die Einschätzung angeht, ob das 1RIPS unmittelbar anwendbar ist oder nicht. Bisher gibt es nur wenige Entscheidungen deutscher Gerichte, die Bestimmungen des TRIPS überhaupt ansprechen. 232 In keiner dieser Entscheidungen wird die unmittelbare Anwendbarkeit der erwähnten 1RIPS-Bestimmungen problematisiert. Im Lenzing-Falllehnte der englische High-Court die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 32 1RIPS ab, weil die Vorschrift nicht hinreichend klar und präzise gefaßt sei. Für dieses Ergebnis sprach aus der Sicht des entscheidenden Richters auch die Begründungserwägung im Ratsbeschluß 94/800/EG und der Umstand, daß die USA die unmittelbare Anwendbarkeit intern ausgeschlossen hatten. 233 Mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 26 TRIPS hat sich das Patentamt des Vereinigten Königreichs in Re Azrak Hamway International Inc. befaßt. 234 In einem Verfahren zur Anmeldung eines gewerblichen Musters meinte eine Verfahrenspartei, die einschlägige Lizenzierungsvorschrift aus Section 237 des Copyright, Design and Patents Act von 1988 sei wegen Unvereinbarkeit mit Zutreffend Cottier!Nadakavukaren Schefer, llEL 1 (1998), 83 (104). BGH, GRUR 1999,707 (713) (Art. 9, 13 TRIPS); OLG Schleswig, Beschluß vom 23.9.1996, AZ 6W15/96 (Art. 65 Abs. 1 TRIPS). 233 R v. Controller ofPatents, Designsand Trademarksexparte Lenzing A. G. v. Courtaids Fibres (Holding) Ltd and others (Jacob), TLR 17/1/97, (1997) RCP 245, 24 f., 31. 234 Azrak-Hamway International Inc's License of Right Application, Entscheidung des Supefintending Examiner S. N. Dehenney für den Comptroller, U.K. Patent Office, vom 28.10.1996; zitiert und kommentiert von McConnick, EIPR 19 (1997), 205 ff. 231

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dem in Art. 26 TRIPS vorgeschriebenen Mindestschutz für gewerbliche Muster und Modelle unanwendbar. Die Behörde trat dieser Auffassung entgegen. Da die Gerneinschaft auf dem Gebiet des Muster- und Modellschutzes keine Vertragsabschlußzuständigkeit besitze, sei die fragliche TRIPS-Bestimmung kein Gerneinschaftsrecht Folglich komme eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 26 TRIPS als Gemeinschaftsrecht nicht in Frage. 235 Solche Entscheidungen werden für Gemeinschaftsgerichte, die in einem Einzelfall TRIPS-Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit auszulegen haben, möglicherweise eine gewisse Orientierung darstellen. Doch sind sie daran keinesfalls gebunden. Sie werden die in ihrem Fall einschlägige TRIPS-Bestimmung selbst auszulegen haben oder die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen.

b) Teil I des TRIPS Wie oben dargelegt sollen die einzelnen TRIPS-Bestimmungen im Rahmen ihrer Abschnitte auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit hin untersucht werden. Der mit "General Provisions and Basic Principles" überschriebene Teil I des TRIPS enthält die Art. 1 bis 8. Für die Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit ist zwischen den Allgerneinen Bestimmungen und den Grundprinzipien zu unterscheiden.

aa) Allgemeine Bestimmungen Zu den "General Provisions" sind die Art. 1, 2 und 6 bis 8 zu zählen. Artikel 1 TRIPS legt das Wesen und den Umfang der TRIPS-Pflichten fest. Nach Art. 1 Abs. 1 TRIPS müssen die WTO-Mitglieder die TRIPS-Bestimmungen umsetzen. Sie dürfen intern einen weitergehenden Schutz schaffen, solange dies dem TRIPS nicht widerspricht. In der Methode der Umsetzung sind sie frei. Neben der Definition des Begriffs "intellectual property" (Abs. 2) klärt der erste Artikel in Abs. 3, daß das TRIPS an die Staatsangehörigkeit der Schutzrechtsinhaber anknüpft. m Nach der hier vertretenen Auffassung, daß das gesamte TRIPS integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, würde dieses Argument nicht greifen. Das gleiche gilt für das vom Patentamt im Fall Re Azrak Hamway International Inc. hilfsweise angeführte Argument, die Begründungserwägung in der Präambel zum Ratsbeschluß 94/800/EG spreche gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS; vgl. McCormick, EIPR 19 (1997), 205 (206).

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

Artikel 2 TRIPS stellt neben der Inkorporation der Art. 1 bis 12 und 19 der PVÜ in ihrer StockholmerFassung von 1967 (Abs. 1) klar, daß das 1RIPS die Mitglieder nicht von ihren gegenseitigen Verpflichtungen aus der PVÜ, RBÜ, dem RA und dem IPIC-Abkommen entbindet (Abs. 2). In Art. 6 TRIPS wird die für den internationalen Handel besonders wichtige Frage der internationalen Erschöpfung geistiger Eigenturnsrechte weitgehend in die Souveränität der Mitglieder gestellt. Schließlich sprechen die Art. 7 und 8 1RIPS die Ziele, zu deren Erreichung der Immaterialgüterschutz beitragen sollte, und die Gefahr des Mißbrauchs geistigen Eigenturns an. Die aufgeführten Vorschriften sind ihrem Inhalt nach ausschließlich mitgliederbezogen. Für die unmittelbare Anwendbarkeit kommen sie nicht in Betracht.

bb) Grundprinzipien Etwas anderes hingegen gilt für die beiden schon aus dem Kontext des GATI 1947 bekannten Diskriminierungsverbote, die Pflicht zur Inländerbehandlung (Art. 3 1RIPS) und die Pflicht zur Meistbegünstigung (Art. 4 1RIPS).

(1) Inländerbehandlung

Nach Art. 3 TRIPS sind die Mitglieder verpflichtet, Angehörige der anderen Mitglieder in bezug auf den Schutz geistigen Eigenturns nicht weniger günstig zu behandeln als die eigenen Angehörigen. Ausnahmen zu dieser Verpflichtung können sich aus den oben genannten vier WIPO-Konventionen ergeben (vgl. auch Art. 5 TRIPS), wobei die Anwendung von Ausnahmen in Art. 3 Abs. 2 TRIPS wiederum eingeschränkt wird (z. B. darf sie nicht zu einer versteckten Diskriminierung führen). Das Prinzip der Inländerbehandlung ist sowohl in der PVÜ (Art. 2 Abs. 1) als auch in der RBÜ (Art. 5 Abs. 1) enthalten. Artikel 2 Abs. 2 PVÜ läßt Diskriminierungen von Ausländern zu im Hinblick auf Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie die Regelung von Zuständigkeit, Zustellung und Bevollmächtigung. In der RBÜ finden sich keine ausdrücklichen Ausnahmen, doch ist dort die Inländerbehandlung durch das Prinzip der materiellen Gegenseitigkeit236 an einigen Stellen durchbrachen.

236 Ein Beispiel hierfür ist der Schutzfristenvergleich nach Art. 7 Abs. 3 RBÜ; eingehender zum Prinzip der materiellen Gegenseitigkeit Bergsma, 26 ff.

C. Auslegung des TRIPS

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Für die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 3 TRIPS spricht zunächst, daß die entsprechenden Pflichten zur Inländerbehandlung in PVÜ und RBÜ von Rechtsprechung und Schriftturn als unmittelbar anwendbar eingeschätzt wurden.237 Soweit der Grundsatz der Inländerbehandlung im Rahmen von PVÜ und RBÜ unmittelbar anzuwenden war, sollte dies- nach dem oben Gesagten- auch für Art. 3 TRIPS gelten. 238 Darüber hinaus ist die Vorschrift ihrem Wortlaut nach hinreichend präzise und unbedingt. 239 Die Rechtsprechung des EuGH zu anderen Gerneinschaftsabkornrnen hatte gezeigt, daß Diskriminierungsverbote sich aus Sicht des Gerichtshofes durchaus zur unmittelbaren Anwendbarkeit eignen.240 Auch läßt sich die Regel des Art. 3 TRIPS mit dem als unmittelbar anwendbar anerkannten Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV241 vergleichen. 242 Nach alledem erscheint Art. 3 TRIPS daher als unmittelbar anwendbar. 243

(2) Meistbegünstigung Das in Art. 4 TRIPS geregelte Prinzip der Meistbegünstigung ist zwar aus dem Kontext des GATI bekannt und gilt als einer der Stützpfeiler des GATI 1994, doch stellt es sich im Bereich der Immaterialgüterrechte als absolutes Novum dar (vgl. Art. 19 PVÜ und Art. 20 RBÜ). 244 Nach Art. 4 S. 1 sind alle Vorteile, Vergünstigungen, Sonderrechte und Befreiungen, die ein Mitglied den Angehörigen eines anderen Mitgliedes gewährt, sofort und unbedingt den Angehörigen aller anderen Mitglieder zuzugestehen. Ausnahmen zu dieser Verpflichtung sind inS. 2 enthalten. Es wird vielfach vertreten, die Meistbegünstigungsverpflichtung des Art. 4 TRIPS lasse sich ebenso gut unmittelbar anwenden wie das Prinzip der InländerVgl. Katzenberger, in: Schricker (Hg.), Vor§§ 120 ff., Rn. 117m. w. N. So Schäfers, GRUR lnt. 1996, 763 (776). Kritisch Ullrich, GRUR Int. 1995, 623 (632), der in der Inländerbehandlung des TRIPS und der der PVÜ unterschiedliche Zielrichtungen ausmacht. 239 Zutreffend Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (51). 240 Siehe etwa EuGH- Kziber, C-18/90- Slg. 1991,1-199 (226), Rn. 19, zurunmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 41 des Kooperationsabkommens mit Marokko. 241 Vgl. Zuleeg, in: von der Groeben!Thiesing/Ehlermann, Art. 6, Rn. 14. 242 Vgl. Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (776). 243 So auch die Begründung der Bundesregierung zum deutschen Vertragsgesetz, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode (1991-1994), BT-Drucks. 12/7655 (neu), 344; Ott, 242; Waldhausen, ZUM 1998, 1015 (1016); Kloth, 109. 244 Ausführlich zu den Spannungen, den das Meistbegünstigungsprinzip im internationalen Immaterialgüterschutz hervorrufen kann, Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 341 ff. 237 238

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

behandlung in Art. 3 TRIPS. 245 Unproblematisch ist dies jedoch nicht. Denn im Einzelfall kann die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips des Art. 4 TRIPS Schwierigkeiten mit sich bringen. Während die Anwendung der Meistbegünstigungsverpflichtung im Rahmen des GATI (Art. I Abs. 1 GATI 1994) noch verhältnismäßig überschaubar ist, wenn sich etwa der Rechtsanwender beim Vergleich von Zollsätzen auf Zollisten stützen kann oder beim Vergleich innerstaatlicher Maßnahmen nur eine überschaubare Zahl von Rechtsordnungen zu berücksichtigen hat, ist die Situation im Bereich der Immaterialgüter sehr viel komplexer. So kommt es beispielsweise zu einer Multiplikation der Vergleichsvarianten, wenn es mehrere meistbegünstigte Staaten gibt. Möglich ist dies etwa, wenn ein ausländischer Urheber ein Vervielfältigungsrecht geltend macht und hinsichtlich des Rechtsinhalts Staat A, hinsichtlich der Schutzdauer Staat B und dem aus der Verletzung folgenden Schadensersatzanspruch Staat C der meistbegünstigte ist. Wegen dieser Anwendungsschwierigkeiten wurde die Aufnahme des Meistbegünstigungsprinzips in das internationale Recht des geistigen Eigenturns im Schrifttum lange abgelehnt. 246 Aber auch wenn die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 4 lRIPS wegen dieser berechtigten Bedenken weniger evident ist als die von Art. 3 lRIPS, so spricht doch der Umstand, daß es sich bei beiden um in siCh abgeschlossene präzise formulierte Diskriminierungsverbote handelt, dafür, auch Art. 41RIPS unmittelbar anzuwenden. 247

c) Teil II des lRIPS Wie die RBÜ, so will auch das lRIPS sein Ziel, den Schutz des geistigen Eigenturns weltweit zu verstärken und zu harmonisieren nicht nur durch Diskriminierungsverbote, sondern vor allem durch die Regelung von Mindestrechten erreichen. Daher enthält das TRIPS in Teil II ("Standards Concerning the Availability, Scope and Use of Intellectual Property Rights") materielle Schutzstandards, die die inkorporierten Regeln aus der PVÜ und der RBÜ ergänzen (sog. "Parisplus"- bzw. ,,Bern-plus"-Ansatz). 245 So etwa die Begründung der Bundesregierung zum deutschen Vertragsgesetz, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode (1991-1994), BT-Drucks. 1217655 (neu), 344 ff. Siehe auch Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (776); Ott, 242; Waldhausen, ZUM 1998, 1015 (1016); Kloth, 109. 246 Aus der Perspektive vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 357 f. 247 So scheint auch Drexl seine Bedenken gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Meistbegünstigungsverpflichtung im Hinblick auf Art. 4 TRIPS aufgegeben zu haben, Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 18 (51).

C. Auslegung des TRIPS

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Bevor die Mindeststandards zu den unterschiedlichen Schutzrechten näher untersucht werden, ist zu erörtern, ob es für deren unmittelbare Anwendbarkeit eine Rolle spielt, daß einige Bestimmungen in Teil II TRIPS als absolute Standards formuliert sind, während sich andere dem Wortlaut nach an die Mitglieder richten und diese verpflichten, bestimmte Rechte zu regeln. Beispiele für die erste Gruppe sind etwa die Art. 10 TRIPS ("Computer programs, whether in source or object code, shall be protected as literary works under the Berne Convention (1971).") oder Art. 18 TRIPS über die Schutzdauer von Patenten ("The term of protection available shall not end before the expiration of a period of twenty years counted from the filing date."). Als Beispiel für die zweite Gruppe läßt sich Art. 23 Abs. 1 TRIPS anführen, wonach die Mitglieder verpflichtet sind, für geographische Herkunftsangaben von Weinen und Spirituosen einen weitgehenden Schutz im Sinne einer "absoluten" Reservierung vorzusehen (,,Each Member shall provide the legal means for interested parties to prevent use of a geographical indication identifying wines for wines not originating in the place indicated by the geographical indication in question ( ... )."). Nach der Auffassung der deutschen Bundesregierung kommen für die unmittelbare Anwendbarkeit nur die "als unmittelbar geltende Rechtssätze" formulierten Mindestandards in Frage, während die Mindeststandards, die "als Verpflichtungen oder Ermächtigungen der Mitglieder, bestimmte Regelungen zu treffen"248 gefaßt sind, nicht unmittelbar anwendbar seien. Laut der Begründung zum Vertragsgesetz "soll den Verpflichtungen aus dem TRIPS-Abkommen insoweit Rechnung getragen werden, als solche Regelungen, die ihrem Wortlaut nach hierfür in Betracht kommen, unmittelbar anwendbar sind. Dies gilt zum Beispiel für die Verpflichtung zur Inländerbehandlung und zur Meistbegünstigung und auch für die als absolute Rechtssätze formulierten Rechte der Schutzrechtsinhaber. " 249 Die Auffassung des Bundestages ist zu pauschal. Auch wenn einzelne materielle TRIPS-Bestimmungen an die Mitglieder addressiert sind und diese zu einem gesetzgebensehen Tätigwerden verpflichten, ist zu untersuchen, wie genau und präzise die entsprechende Verpflichtung gefaßt ist. Ausgeschlossen ist eine unmittelbare Anwendbarkeit dann, wenn die Verpflichtung sehr allgemein gehalten ist. 250 Andererseits darf bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit 248 V gl. die Begründung zum deutschen Vertragsgesetz, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode (1991-1994), BT-Drucks. 1217655 (neu), 344. 249 BT-Drucksache 12/7655 (neu), 345. 250 So spricht Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 29, zutreffenderweise Art. 1Obis Abs. 1 PVÜ ("The countries of the Union are bound to assure to nationals of such countries effective protection against unfair competition.") die unmittelbare Anwendbarkeit ab.

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Teil3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

einer TRIPS-Bestimmung nicht bloß darauf abgestellt werden, ob sie dem Wortlaut nach als absoluter Grundsatz oder als an die Vertragsparteien adressierte Verpflichtung ausgestaltet ist. 231 Im Schrifttum wird zurecht darauf hingewiesen, daß die redaktionelle Gestaltung des TRIPS in dieser Hinsicht nicht konsequent sei. 252 Insofern ist es geboten, selbst dort, wo TRIPS von einer Verpflichtung spricht, bestimmte Rechte einzuführen, danach zu fragen, ob die Verpflichtung hinreichend genau und bestimmt formuliert ist, um von einem nationalen Gericht angewandt zu werden.m

aa) Urheberrecht und Nachbarrechte Der erste Abschnitt von Teil II TRIPS enthält in den Art. 9 bis 14 die Regeln für Urheberrechte und die Nachbarrechte ("Copyright and Related Rights"). Artikel 9 Abs. 1 TRIPS enthält zunächst die Grundverpflichtung, die materiell-rechtlichen Bestimmungen der RBÜ (Art. 1 bis 21 RBÜ) einzuhalten, wovon allerdings das Urheberpersönlichkeitsrecht des Art. 6bis RBÜ ausgenommen wird. Artikel 9 Abs. 2 TRIPS schreibt den allgemeinen Urheberrechtsgrundsatz fest, daß sich der Schutz auf Ausdrucksformen erstreckt und nicht auf Ideen, Verfahren, Arbeitsmethoden oder mathematische Konzepte. Der "Bernplus"-Ansatz zeigt sich in den Art. 10 bis 13 TRIPS, wo die Schutzstandards der RBÜ ergänzt werden. So bestimmt Art. 10 Abs. 1 TRIPS, daß Computerprogramme als Werke der Literatur zu schützen sind. Artikel10 Abs. 2 TRIPS regelt den Schutz von Datenbanken. Von besonderer Praxisrelevanz ist schließlich das in Art. 11 TRIPS geregelte Verrnietrecht, welches jedenfalls für Computerprogramme und Filmwerke als Verbotsrecht auszugestalten ist. Artikel 12legt die Mindestschutzdauer für das Urheberrecht fest. Für den Bereich der Leistungsschutzrechte, der auf internationaler Ebene im Rom-Abkommen von 1961 geregelt ist, enthält das TRIPS keinen dem "Bern-plus" vergleichbaren "Romplus"-Ansatz. Stattdessen werden die Rechte über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen selbständig in Art. 14 TRIPS geregelt.

251 Die Analyse der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsabkommen hatte gezeigt, daß der Gerichtshof nicht darauf abstellt, ob eine Bestimmung dem Wortlaut nach an die Vertragsparteien addressiert ist; siehe oben Teil2, IV. 3. c). 252 Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 (776). 253 So auch Drexl, GRUR Int. 1994, 777 (785).

C. Auslegung des TRIPS

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Von den nach Art. 9 Abs. 1 TRIPS inkorporierten RBÜ-Bestimmungen eignen sich jedenfalls diejenigen für die unmittelbare Anwendbarkeit, die bereits im Kontext der RBÜ als unmittelbar anwendbar anerkannt waren. Im Schrifttum wird die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften der RBÜ allgemein bejaht, sofern das jeweilige Verfassungsrecht des Vertragsstaates dies zuläßt. Die Vorschriften der RBÜ begründen demnach nicht nur völkernichtliehe Verpflichtungen der Staaten, sondern, sofern sie ihrem Inhalt nach bestimmt genug sind, innerstaatlich unmittelbar anwendbares Recht. 254 Dies gelte jedenfalls für diejenigen Vorschriften der RB Ü, die Mindestrechte enthalten, 255 sowie für die Verpflichtung zur Inländerbehandlung. 256 Auszunehmen von der unmittelbaren Anwendbarkeit seien die Bestimmungen der RBÜ, die erst im Zusammenspiel mit Vorschriften des nationalen Rechts anwendbar werden. 257 Im Rahmen des "Bern-plus"-Teils erscheinen die Art. 10 (Schutz von Computerprogrammen und Datenbanken) und 12 TRIPS (Schutzdauer) als hinreichend präzise und unbedingt. 258 Die in Art. 11 TRIPS enthaltene Verpflichtung, Vermietrechte zu schaffen, dürfte hingegen zu programmatisch sein, um von einem Gericht in einem konkreten Fall angewendet werden zu können259 • Artikel 13 TRIPS richtet sich mit seinen Vorgaben, was die gesetzgeberischen Beschränkungen exklusiver Rechte angeht, inhaltlich allein an die Mitglieder. 260 Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 TRIPS spricht, daß hier - wohl mit Bedacht - die besonders schwache Formulierung aus Art. 7 RA

254 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 67; Katzenberger, GRUR Int. 1995,447 (459); Nordemann/Vinck/Hertin, § 121, Rn. 2; Katzenberger, in: Schricker (Hg.), Urheberrecht, Vor§§ 120 ff., Rn. 116. Nach der Auffassung von Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 29 f., ist die RB Ü "grundsätzlich darauf ausgerichtet, den konventionsgeschützten Personen unmittelbar Rechte zu verschaffen". Er schlußfolgert daraus, daß "die völkerrechtlichen Vorschriften der RBÜ ( ... )in ihren materiellen Bestimmungen i. d. R. unmittelbar anwendbar sind". m So ausdrücklich Schade, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 849. 256 Fikentscher, FS Steindorff, 1175 (1187 f.). 257 So habe ein geschützter Rechtsinhaber nach Art. 16 Abs. I und 3 RBÜ erst dann einen unmittelbar anwendbaren Anspruch auf Vornahme der Beschlagnahme von unbefugt hergestellten Werkstücken, wenn das nationale Recht passende Beschlagnahmevorschriften kennt, Nordemann/Vinck/Hertin, Art. 16 RBÜ, Rn. 2. 258 So auch Staehelin, AJP 1996, 1488 (1493). 259 A. A. Ott, 242. 260 Dennoch hat derBGH, GRUR 1999,707 (713) = NJW 1999,1953 (1958), Art. 9 und Art. 13 TRIPS- ohne nähere Begründung- für unmittelbar anwendbar erklärt.

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Teil 3: Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS

übernommen wurde. 261 Die Regelung über die Schutzdauer in Art. 14 Abs. 5 TRIPS erscheint hingegen als unmittelbar anwendbar.

bb) Marken

Die Vorschriften des TRIPS über Marken finden sich im zweiten Abschnitt von Teil II des TRIPS (Art. 15 bis 21 TRIPS). Bereits über Art. 2 Abs. 1 TRIPS werden (auch) markenbezogene Vorschriften der PVÜ inkorporiert, insbesondere Art. 2, Art. 4, Art. 5 C und D, Art. 6 bis 7bi