Transferieren, Transkulturieren und Verstehen: Interkulturelles Lernen am Beispiel der musikalischen Früherziehung in Südkorea 9783839438459

Which processes play a role in the transfer of pedagogical concepts into another cultural context? And which possible co

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Transferieren, Transkulturieren und Verstehen: Interkulturelles Lernen am Beispiel der musikalischen Früherziehung in Südkorea
 9783839438459

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Ziele, Methoden und Einordnung in den Forschungsstand
2. Carl Orff und die musikalische Früherziehung
3. Einflussgrössen auf Gesellschaft, Bildung und Erziehung in Südkorea
4. Quantitative Datenerhebung: Fragebögen
5. Qualitative Datenerhebung: Interviews mit Dozent(innen)
6. Schlussbetrachtung
Anhang

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Roland Kisker Transferieren, Transkulturieren und Verstehen

Pädagogik

Roland Kisker (Dr. phil.) hat ev. Theologie, elementare Musikerziehung und Gesang studiert und ist heute am Konservatorium als Gesangs- und Musiklehrer sowie in der Tanzpädagogen- und Erzieherausbildung tätig.

Roland Kisker

Transferieren, Transkulturieren und Verstehen Interkulturelles Lernen am Beispiel der musikalischen Früherziehung in Südkorea

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlag: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Die Zeichnung auf dem Cover wurde mit freundlicher Unterstützung von Lee Seongnam (Jeju/ ) erstellt. Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3845-5 PDF-ISBN 978-3-8394-3845-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9

1 Z IELE, M ETHODEN UND E INORDNUNG IN DEN F ORSCHUNGSSTAND | 11 1.1 Ziele der Arbeit | 11

1.1.1 Entstehung und erste Überlegungen zur Fragestellung | 12 1.1.2 Entwicklung der Fragestellungen | 14 1.2 Methoden | 19

1.2.1 Erhebungs- und Untersuchungsinstrumente | 19 1.2.2 Methodisches Vorgehen | 22 1.2.3 Theoretischer Rahmen | 24 1.3 Einordnung in den Forschungsstand | 27

1.3.1 Kultur | 27 1.3.2 Interkultureller Musikunterricht | 48 1.3.3 Komparative Musikpädagogik | 60 1.3.4 Begriffsdefinitionen: Transferieren, Transkulturieren und Verstehen | 64

2 CARL ORFF UND DIE MUSIKALISCHE

FRÜHERZIEHUNG |

2.1 Perspektiven auf die Musikpädagogik Orffs | 77

2.1.1 Historische Perspektive | 78 2.1.2 Anthropologische Perspektive | 91 2.1.3 (Musik-)pädagogische Perspektive | 99 2.1.4 Kritische Perspektive | 121

77

2.2 Weiterentwicklung des Orff-Schulwerks zur musikalischen Früherziehung | 126

2.2.1 Entwicklung zur musikalischen (Früh-)Erziehung im 19. Jahrhundert | 128 2.2.2 Entwicklung der musikalischen (Früh-)Erziehung im 20. Jahrhundert | 132 2.2.3 Entwicklung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff | 135 2.3 Zusammenfassung | 155 2.4 Wege der musikalischen Früherziehung nach Südkorea | 157

3 EINFLUSSGRÖSSEN AUF GESELLSCHAFT , BILDUNG UND ERZIEHUNG IN SÜDKOREA | 167 3.1 Einflussgrössen auf die Gesellschaft in Südkorea | 168

3.1.1 Einflüsse aus dem Schamanismus | 170 3.1.2 Einflüsse aus dem Buddhismus | 175 3.1.3 Einflüsse aus dem Konfuzianismus und dem Neo-Konfuzianismus | 179 3.1.4 Einflüsse aus dem Christentum | 192 3.1.5 Einflüsse aus der Zeit der Militärregierungen und der Ökonomisierungen | 204 3.1.6 Zusammenfassung | 211 3.2 Einflüsse auf Bildung und Erziehung in (Süd-)Korea | 215

3.2.1 Bildung und Erziehung vor 1945 | 215 3.2.2 Einflüsse auf Bildung und Erziehung nach 1945 | 223 3.2.3 Entwicklung der Vorschulerziehung in Südkorea | 238 3.2.4 Zusammenfassung | 255

4 QUANTITATIVE DATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 4.1 Datenerhebung | 259

4.1.1 Soziographische Anmerkungen zur Zielgruppe | 259 4.1.2 Zielsetzung | 261 4.1.3 Generierung der Items | 261 4.1.4 Die Entwicklung kategorialer Fragen | 263 4.1.5 Der Aufbau der Fragebögen | 265

259

4.2 Datenauswertung | 266

4.2.1 Fragen zu den Umständen der musikalischen Früherziehung | 266 4.2.2 Wünsche der Lehrer(innen), was sie erlernen wollen | 267 4.2.3 Unterrichtsinhalte und -aktivitäten, die pro Woche angewandt werden | 272 4.2.4 Deutungen der koreanischen und europäischen/US Musik | 277 4.2.5 Methodische Fragen nach den Aktivitätsformen der Kinder und Lehrer(innen) | 283

5 QUALITATIVE DATENERHEBUNG: INTERVIEWS MIT DOZENT ( INNEN) | 291 5.1 Datenerhebung | 291

5.1.1 Die Umstände, unter denen die Interviews geführt und ausgewertet wurden | 291 5.1.2 Die Interviewpartner(innen) | 292 5.1.3 Inhalte der Interviewfragen | 294 5.1.4 Kategorien | 294 5.2 Datenauswertung | 296

5.2.1 Zum Thema ‚Organisation und Umstände des Transfers‘ | 296 5.2.2 Zum Thema ‚Definition der elementaren Musikerziehung im Sinne von Carl Orff‘ | 299 5.2.3 Zum Thema ‚Anthropologische Standpunkte‘ | 301 5.2.4 Zum Thema ‚Inhalte des Transfers‘ | 303 5.2.5 Zum Thema ‚Methodik des Transfers‘ | 309 5.2.6 Zum Thema ‚Ziele des Transfers‘ | 314 5.2.7 Zum Thema ‚Differenzerfahrungen‘ | 318

6 SCHLUSSBETRACHTUNG |

325

6.1 Sichtbares und Unsichtbares | 325 6.2 Möglichkeiten und Grenzen | 327 6.2.1 Methoden am Beispiel der Lehrertätigkeiten | 327 6.2.2 Zielvorstellungen zwischen Wollen und Tun | 329 6.2.3 Deutungen musikalischer Inhalte | 331 6.2.4 Präferenzen des Gemeinsamen und Individuellen | 337 6.2.5 Rolle der Interessengruppen | 340 6.2.6 Können und Sein | 342 6.2.7 Kommunikation, Rollenzuweisung und Reflexionskultur | 345

6.2.8 Dauerhaftes Transkulturieren | 351 6.2.9 Handlungsoptionen | 353 6.3 Wandelbare Verortungen durch Brückennutzung | 364

㽞⪳ |

371

Anhang | 377

Fragebögen | 377 Literaturverzeichnis | 385 Filme, Photographien und Tondokumente | 415 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 415

Danksagung

Diese Schrift ist im Sommersemester 2015 als Dissertation an der Hochschule für Musik Würzburg eingereicht worden. Vielen Menschen bin ich für das Zustandekommen dieser Arbeit zu großem Dank verpflichtet. Zunächst ist meinen Mentoren Prof. Dr. Bernd Clausen und Prof. Dr. Birgit Jank für ihre Betreuung zu danken. Herrn Prof. Dr. Bernd Clausen (Würzburg) danke ich für die Gespräche, seine scharfsinnigen Analysen, seine kritischen Nachfragen, die Diskussionen und seinen Rat bei der Suche nach Lösungen, wenn so mancher Gedankengang in einer Sackgasse zu landen drohte. Frau Prof. Dr. Birgit Jank (Potsdam) gebührt der Dank für ihre Ermutigung und Orientierungshilfen. Zu danken habe ich allen südkoreanischen Lehrer(inne)n. Ihr Musizieren und Unterrichten, ihre Aussagen und Wünsche haben erst die Differenzerfahrungen ermöglicht, ohne die eine Motivation zur Entwicklung von Fragen, die diese Untersuchung behandelt, gar nicht denkbar gewesen wären. Das Gleiche gilt auch für die Dozent(inn)en, die mir ihre Zeit für Interviews zur Verfügung stellten. Ihre Aussagen haben sich als sehr wertvoll für diese Forschung herausgestellt. Zu danken habe ich auch den Teilnehmer(inne)n des Doktorandenkolloquiums in Würzburg, deren Nachfragen es mir ermöglichten, Erkenntnisse besser einzuordnen und auf Bruchstellen hin zu überprüfen. Mein Dank gebührt Frau Misi Ahn (㞞⹎㰖SGSeoul) und Frau Yong-Mi Lee (㧊㣿⹎SGLübeck), die mir hilfreich bei Fragen der koreanischen Sprache zur Seite standen, sowie Frau Eun-Hyang Lee (㧊㦖䟻SGHamburg), die mir darüber hinaus als kritische Gesprächspartnerin in diversen Diskussionen zu Fragen kultureller Differenzerfahrungen weitere Fragehorizonte eröffnete. Frau Dr. Maya Kelterborn (Bern) gehört mein Dank für ihre Durchsicht in allen Fragen der chinesischen Sprache. Frau Prof. Dr. Cilja Harders (Berlin) bin ich für ihre Hinweise auf unterschiedliche Denkansätze zu Dank verpflichtet.

Der allergrößte Dank gebührt meiner Familie. Sie haben so manche Zeit auf mich verzichten müssen, wenn ich in einer wissenschaftlichen Gedankenwelt entschwand. Ihre Geduld und ihr Verständnis sind nicht hoch genug einzuschätzen! Würzburg, im Juni 2016

Roland Kisker

1. Ziele, Methoden und Einordnung in den Forschungsstand

1.1 Z IELE DER ARBEIT Im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung steht die Sichtbarmachung von Prozessen und Konturen des Transfers einer musikpädagogischen Konzeption1 von einer spezifischen kulturellen Umgebung in eine andere. Dies geschieht exemplarisch am Beispiel der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff in Südkorea. Diese Studie hat explorativen Charakter, ist in der komparativen musikpädagogischen Forschung verortet und berücksichtigt daher die Schwesterdisziplinen Ethnomusikologie und Musikwissenschaft. Fokussiert wird ein Phänomen, das durch weltweite Distributions- und Vermarktungsprozesse verstärkt an Bedeutung gewinnt, bisher jedoch in deutsch-koreanischen Zusammenhängen nur in geringem Maße wissenschaftlich untersucht wurde: der zunehmende Transfer musikpädagogischer Konzeptionen und Konzepten aus einem spezifischen kulturellen Entstehungskontext in einen anderen, bzw. die dadurch zu erwartende Veränderung von Methoden und Lerninhalten. Das melioristische Interesse geht einher mit einer grundsätzlichen, kritischen Hinterfragung eines solchen Transfers aus verschiedenen Perspektiven. Damit soll diese Arbeit zugleich einen Beitrag leisten zur Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens. Forschungsgegenstand ist also der vielgestaltige Transfer, genauer gesagt die Beschreibung desselben im Sinne einer thick description.2

1

Unter dem Begriff ‚Konzeption‘ wird hier ein methodisch-didaktisches Unterrichtswerk verstanden. Neben der reinen Erstellung des Werkes fließen darin auch die Elemente der jeweiligen Organisations- und Realisierungsphasen ein.

2

Geertz, Clifford (1987).

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Transfer Die musikalische Früherziehung → nach Orff → nach den gängigen deutschsprachigen Publikationen → nach den Vorstellungen der Dozent(innen)

Die musikalische Früherziehung → im Blickwinkel der Verantwortlichen in Südkorea → im Blickwinkel der Lehrer(innen) → Pädagogisches Umfeld, kulturelle Hintergründe

Abbildung 1: Transfer 1.1.1 Entstehung und erste Überlegungen zur Fragestellung Seit 2002 gibt es ein Abkommen zwischen einer südkoreanischen Firma und einer deutschen Musikakademie, die als privates Musikinstitut auch musikpädagogische Fortbildungsangebote im Portfolio hat. Der südkoreanische Partner bat um die Erstellung eines Konzepts für eine Fortbildung in ‚musikalischer Früherziehung‘ für südkoreanische Lehrer(innen), die bereits eine musikalische oder pädagogische Berufsausbildung absolviert hatten. Nach Abschluss dieser Weiterbildungsmaßnahme sollten diese Personen in der Lage sein, musikalische Früherziehung in Südkorea zu unterrichten. Das daraufhin erstellte Konzept sah vor, dass die südkoreanischen Lehrer(innen) zunächst in Deutschland sechs Wochen lang von Montag bis Samstag von deutschen und österreichischen Dozent(inn)en unterrichtet und in einer zweiten Phase in Südkorea von den deutschen Ausbilder(innen) einer Supervision unterzogen wurden. Gleichzeitig fand zu diesem Zeitpunkt eine Nachschulung statt. Der Ablauf, die Inhalte und Tätigkeiten wurden von deutscher Seite von Beginn an durch Protokolle und zahlreiche Gespräche dokumentiert. Waren diese ursprünglich zur internen Dokumentation und Evaluation gedacht, dienen sie dieser Studie als eine Datenquelle. In den kommenden Jahren waren Erfolge und Misserfolge im Sinne der Aufgabenstellung zu beobachten. An Stellen, wo das Konzept nicht wie gewünscht zu laufen schien, wurden Probleme artikuliert. Von Seiten der koreanischen Musikschulen wurde beispielsweise die Frage gestellt, ob das von den Auftraggebern vorgegebene Ziel eines solchen Transferprozesses, dass musikalische Früherziehung erfolgreich unterrichtet werden konnte, erreicht wurde. Auf Seiten der Dozent(inn)en gab es Fremd- und Differenzerfahrungen, die im Kern darin bestanden, nicht ausmachen zu können, ob die Lerninhalte in der intendierten Weise verstanden wurden. Die deutsch/österreichischen Dozent(inn)en suchten nach Lösungswegen, die sie aus ihrer teilweise großen Lehrerfahrung kannten. Anfangs schienen sich erste Erfolge einzustellen, waren aber aufgrund der großen Entfernung nicht mit Sicherheit zu bewerten.

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So entstand der Wunsch, durch eine Umfrage valide Resultate zu diesen und anderen Fragen zu erhalten. Bereits während der Vorbereitung der Datenerhebung wurde klar, dass bei einer genauen Beschreibung dieses Phänomens unterschiedliche Blickwinkel eingenommen werden mussten. Denn je näher einzelne Beobachtungen herauspräpariert wurden, desto problematischer wurde der Ausgangspunkt. Allein die Betrachtungsweise, dass deutsch/österreichische Institutionen und ihre Vertreter(innen) mit südkoreanischen Institutionen und ihren Vertreter(innen) arbeiteten, ergab ein ‚Wir/Die-Schema‘, das von vorneherein einen Sachverhalt konstruierte. Durch dieses Vor-Denken waren Grenzen gezogen, welche die Betrachtungsweise lenkten. Bei der Durchsicht von Aufzeichnungen und Protokollen wurde klar, dass zuweilen ein Objekt von außen beschrieben wurde und ein Dialog nicht oder nur sehr unzureichend geführt wurde. Auch bei der in dieser Untersuchung verwendeten Umfrage wurde ein Großteil der Fragen aus einer Beschreibung der Musikpädagogik, wie sie in Deutschland/Österreich geführt wurde, entwickelt. Das war auch kaum anders möglich, denn zum einen lautete der Auftrag, eine in Deutschland/Österreich entstandene Musikpädagogik nach Südkorea zu transferieren, zum anderen konnten die Dozent(inn)en – mit wenigen Ausnahmen – schon aufgrund eingeschränkter Kenntnisse von den Gegebenheiten in Südkorea die Prozesse nur aus einer etische Sichtweise betrachten. Dadurch wurden Fragen wie Antworten in der eigenen Sichtweise gestellt und die Antworten nur im Lichte des eigenen Vorverständnisses gedeutet. Validität erhielten die Ergebnisse dadurch bloß in einem engen Bedeutungskreis. Die Einnahme einer reflektierenden Haltung, wie sie für alle Forschungsprozessen, insbesondere komparativen konstitutiv sein muss, führte dazu, den aus den Dokumenten entgegen scheinenden Transfer zum Anlass zu nehmen, eine umfassende Untersuchung über die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Transfers zu erstellen. Daher verfolgt diese Arbeit das Ziel, die einzelnen Mechanismen dieses Transfers zu konturieren, also in welcher Weise eine als europäisch verstandene musikpädagogische Konzeption in einem nicht-europäischen Umfeld gewünscht oder abgelehnt wird, wie ein Transfer möglich oder begrenzt ist, welche Überschneidungen und Unterschiede der inhaltlichen Vorstellungen und Unterrichtsmethoden es in Deutschland und Südkorea gibt und wie die kulturellen und institutionellen Bedingungen sind.

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1.1.2 Entwicklung der Fragestellungen Dieser Studie werden in Hinsicht auf Musik zwei Annahmen zu Grunde gelegt. 1. Musik ist über eine Definition durch musikalische Parameter (Rhythmus. Melodie, Harmonie, Klangfarbe usw.) hinaus auch funktional als Ausdruck und Konstruktion eines Menschen zu verstehen. Erst in der Anwendung einer bestimmten Kombination von Parametern in einer Komposition, z.B. in der Stärke des Kontrastes, in der proportionalen Größe zu anderen – auch außermusikalisch gedachten – Formen erweist sich der Sinn von Musik als gesellschaftliche und damit kulturelle Handlung. Dieses Verhältnis von formalen Kriterien und Funktion, von Form und Inhalt, ist permanent einem geschichtlichen Wandel unterworfen und muss stets neu ausgelotet werden. Erst dadurch wird musikbezogenes Tun mit Bedeutung versehen, nicht allein durch rein formal beschreibbaren Kriterien.3 2. Kulturelles Tun ist gleichzeitig Ausdruck oder zumindest Suche nach Identität. Diese steht in einer Wechselwirkung mit der einem Menschen real begegnenden Musik. Je nach dem, mit welchen musikalischen Merkmalen und unter welchen Bedingungsfaktoren ein Mensch in Kontakt kommt, wirkt die Musik auf ihn, aber auch umgekehrt kann ein Mensch die Musik in Aufnahme und Wiedergabe und Spiel formen. Die Bedeutung einer Musik liegt dann nicht allein in ihren beschreibbaren formalen Kriterien, die in abzugrenzenden Kulturzusammenhängen vorhanden sind und geprüft und beurteilt werden kann, sondern auch in ihrer Funktion, die ihr die musizierenden und hörenden Menschen im Moment des Geschehens zuweisen. Die Migration von Musiken und von damit einhergehenden musikbezogenen Vermittlungsstrategien ist nichts Neues und geschieht schon sehr lange.4 Wanderungen von Musik und Musikern prägen auch die europäische Musikgeschichte. Bemerkenswert ist jedoch, wie bis heute darüber berichtet wird. Über eine Migration von Musik und Musikern wird in der Regel zeitlich und räumlich erzählt und die Deutungen aus kulturellen Zusammenhängen eher nebensächlich vorgenommen oder gar nicht in Erwägung gezogen. So werden Musik und ihre Ausführenden historisch in bestimmte musikhistorische Epochen und lokal bestimmte Gebiete eingeordnet. Die Orte werden dabei nicht selten als relativ abgeschlossene Räume betrachtet. Dass dieses Bild nicht stimmen kann, weil sich alleine schon

3

Ganz anders argumentieren hier Dahlhaus und Eggebrecht, wenn sie sagen: „Musikalischer Sinn [ist] allein in der Form bzw. im ‚Formsinn‘ der Musikstrukturen verdinglicht.“ (Dahlhaus, Carl; Eggebrecht, Hans Heinrich [1985], S. 68)

4

Siehe dazu auch Leopold, Silke (2013).

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durch die Reisetätigkeiten, die durch die ökonomische Notwendigkeit des Konzertierens hervorgerufen wurde, übernationale Interessengemeinschaften bildeten, rückt erst langsam in den Fokus musikwissenschaftlicher Forschungsinteressen.5 Eine Einordnung von Musikern und Musikpädagogik in lokale und historische Raster ist auch möglich. Sie greifen aber als alleinige Merkmale zu kurz. Wenn von dem ‚klassischen deutschen Musiker Beethoven‘ gesprochen wird, so wird das von den Teilnehmern eines spezifischen Bildungsdiskurses verstanden Aber sehr oft wird das Wort ‚klassisch‘ für jede nicht elektronische Musik verwendet6 und der Begriff ‚Deutschland‘ kann als lokaler, nationalstaatlicher oder als ein dann näher zu definierender Kulturausdruck verstanden werden und wird dadurch zu unterschiedlichen Deutungen Beethovens führen. Einer solcher Zuordnung wohnen oft unausgesprochen Wertungen inne, die in musikpädagogischen Prozessen zu Fragen führen, die nur einfach zu beantworten wären, wenn Fragender und Antwortender den gleichen historischen, lokalen und kulturellen Deutungshorizont teilten. Ist das nicht der Fall ist, bedürfen Antworten darauf mehr Zeit, da das Verständnisumfeld erst geklärt werden muss. In der Praxis drückt sich das in dem hier zu betrachtenden Beispiel dadurch aus, dass in südkoreanischen Werbebroschüren stets betont wird, dass es sich bei der musikalischen Früherziehung um ein aus Deutschland stammendes Konzept handele. Dadurch partizipiert das musikpädagogische System an dem ökonomischen Label eines ‚Made in Germany‘7

5

So schreibt Andreas Gestrich: „Die Konstruktion eines transnationalen Sozialraumes richtet den Blick auf die durch Migration bewirkten Zusammenhänge und Transferprozesse zwischen Räumen, in denen sich Migranten zugleich sozial positionieren müssen. Sie nimmt daher soziale Aufstiegs- und Abstiegsprozesse in den Blick und verbindet diese mit Elementen wie gesellschaftliche Geschmacks- und Stilbildung, Konkurrenz auf dem Markt kultureller Güter und sozialer Habitus.“ (Gestrich, Andreas [2013], S. 297)

6

Die Einteilung in Musikläden oder Online-Verkaufsforen haben in ihrer ‚Klassikabteilung‘ in der Regel alles, was zwischen Barockmusik und Musik im 20. Jahrhundert angeboten wird. Dies dehnt die historische Zuordnung der musikalischen Klassik ins kaum Charakterisierbare aus.

7

Dies trat auch in Gesprächen mit südkoreanischen Eltern zutage. Dort erklärte eine Frau, dass „wir in Korea“ (!) in der Schule gelernt hätten, dass alles, was aus Deutschland käme, sich schon lange bewährt und einen großen Erfolg vorzuweisen hätte. Es müsse daher qualitativ gut sein. Dies bezog sie nicht nur auf ökonomische, sondern auch auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Wenn z.B. gesagt würde, die Wasserqualität in einem Gebiet sei gut, so sei das in Deutschland glaubwürdig, weil es ein funktionierendes, vertrauensvolles System gäbe. In Südkorea wäre sie da weitaus skeptischer.

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und wird implizit als Produkt von großer pädagogischer Qualität angepriesen, indem auf eine kulturessentialistische Stereotype verwiesen wird. Ob musikalische Früherziehung auf beiden Seiten übereinstimmend verstanden wird, ist damit nicht gesagt. Beispielsweise stellte eine besorgte Mutter bei einem Elterngespräch in Südkorea die Frage, ob das Hören klassischer Musik für ihr Kind besser sei als das Hören von Jazz, was die Mutter, wie sie sagte, gerne tue. In solch einer Frage schwingt ein Urteil mit, das in einer Zuordnung zu musikalischen Genres pädagogisch mehr oder minder wertvolle Inhalte vermutet. Ebenso ist die Frage einer südkoreanischen Studentin nicht eindimensional nach politischen Zuordnungen zu beantworten: „Ist Beethoven ein Deutscher, weil er in Bonn geboren wurde oder ein Österreicher, weil er in Wien lebte?“ Es wird einsichtig, dass die bloße Beschreibung einer musikalischen Früherziehung ohne das Umfeld des Woher und Wohin eines Transfers ebenso wenig infrage kommt wie eine Reflexion über die in der musikalischen Früherziehung innewohnende geistigen Vorstellungen und die damit verknüpften Methoden und Inhalte notwendig ist. Pädagog(inn)en haben sich bezüglich Musik zu fragen, welche musikalischen Inhalte und Methoden sie mit Blick auf den Schüler anwenden sollen. Bei dem hier behandelten Forschungsgegenstand konkretisiert sich das zum Beispiel in der Frage, ob Methoden, die sich aus einem situationsorientierten Ansatz oder einer erfahrungserschließenden Musikerziehung ableiten, in gleicher Weise gedeutet

Dies bezog sie auch auf weitere Inhalte, eben auch auf pädagogische Systeme, Inhalte und Methoden. „Wir in Südkorea“ hingegen hätten noch nicht lange diese Erfolge. Die Wahl der Transferinhalte wird so an bestimmte Prestigehierarchien gekoppelt. Einer musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs haftet dadurch auch ein solchermaßen gedeutetes ‚Made in Germany‘ an. Der ökonomische Erfolg in Südkorea (wie die große Konsumfreude) ist auch darauf zurückzuführen, dass ein Konsumartikel durch von außen vorgegebene Normen eine Zugehörigkeit konnotiert wird, aus denen heraus sich dann einzelne Individuen definieren können. Dies ist kein spezifisch südkoreanisches Charakteristikum, aber hier besonders ausgeprägt, weil es auf die traditionelle anthropologische Sichtweise zurückgreifen kann, sich aus einem Gemeinsamen heraus zu definieren. Dies gilt auch für Erfolge in Musik. Zumindest mit mancher Popmusik in Europa vergleichbar, ist die koreanische Popmusik, der ‚K-Pop‘, von außen genormt und ein von äußeren Vorstellungen geleitetes Musizieren. Die Musiker(innen) ordnen sich in Vorgänge ein und suchen sie nicht in sich selbst. K-Pop ist daher aber eben nicht wie z.B. manche Rockmusik Ausdruck eines Protestes, sondern spielt mit Versatzstücken zur besseren Verkäuflichkeit. Aus den jeweiligen Mustern heraus wird musikalisches Handeln so als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ gewertet.

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werden können. Bezüglich der Inhalte stellt sich die Frage, ob die Nutzung koreanischer oder europäisch-amerikanischer Musik zielführend ist. Die Fragestellung geht aber über die reine Materialfrage hinaus, weil es eine genuine Verbindung der Wahl der Lerninhalte mit dem Hintergrund der individuellen Bedeutungszuweisung gibt. Die Wahl des im Musikunterricht gewählten Gegenstandes muss stets Rücksicht auf die Ausgangssituationen der Schüler(innen) nehmen, wenn sie durch und zur Musik hin gebildet werden sollen.8 Ob ein Übertrag von europäischen oder anderen nicht-koreanischen Erziehungssystemen nach Südkorea sinnvoll ist und dann auch noch gelingen kann, hängt von unterschiedlichen Dingen ab: 1. Es hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob die Wertvorstellungen9 des Umfeldes, aus dem das jeweilige Erziehungssystem kommt, mit dem, wohin es

8

Entsprechend verwendet auch Hermann Josef Kaiser den Begriff der „usuellen Musikpraxis“, den er vom Begriff der „verständigen Musikpraxis“ unterscheidet: „Der Begriff Usuelle Musikpraxis meint das Ensemble von musikbezogenen Fähigkeiten, über das Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene unhinterfragt verfügen und situationsbezogen jeweils aktivieren. Darin eingeschlossen ist jegliche Form des alltäglichen Musikmachens und des Hörens von Musik; gleichfalls das im Kontext der eigenen sozialen Gruppe stattfindende Sich-Äußern, das Stellung nehmen, die Artikulation der durch Musik angeregten emotionalen Befindlichkeiten. Gegenüber einer Verständigen Musikpraxis werden in einer Usuellen Musikpraxis alle Formen musikbezogener Tätigkeit (noch) nicht Gegenstand eines expliziten Nachdenkens, eines selbstbezüglichen NachDenkens darüber mit der Möglichkeit des Darüber-Sprechens. Verständige Musikpraxis dagegen ist das Ineins von musikbezogenen Tätigkeiten (wie zuvor beschrieben) und distanzierender Reflexion, das über den ‚Gegenstand Musik‘ hinausgeht. Der differenzierte individuelle Umgang damit wird für das musizierende, über Musik nachdenkende Subjekt thematisch. Es wird im ‚Gegenstand Musik‘ sich selbst zum Thema (der Auseinander-Setzung). Dabei geht es keineswegs nur um Fragen technischer Art wie z.B. Habe ich richtig gespielt? Ist mein Tempo dem Stück angemessen? produktiv: Gibt es in meiner Produktion eine Logik des Aufbaus? Welcher harmonischen, formalen und instrumentalen Mittel habe ich mich bedient? usf. Es geht vielmehr um die Reflexion des Bezuges, den ich als hörendes, musizierendes usf. Subjekt gegenüber meinen musikbezogenen Tätigkeiten einnehme.“ (Kaiser, Hermann Josef [2010], S. 51)

9

Zur Wichtigkeit der Werterziehung in Südkorea schreibt Kim, Jeong-Eim: „Die erzieherischen Handlungen im Kindergarten sind sowohl für die Kinder als auch für den Fortbestand der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Denn durch die Erziehung im Kindergarten werden über die kindgemäße Vermittlung von gesellschaftlich relevanten Normen und Werten – unter Achtung der Persönlichkeit des Kindes in seiner

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kommen soll, zumindest soweit miteinander vereinbar sind, dass es zu Auseinandersetzungen über musikpädagogisches Tun kommen kann. Daher benötigt die Übersetzung von einer Methode aus einem kulturellen Umfeld in ein anderes kulturelles Umfeld auch immer ein Verständnis der in der Methode mitschwingenden kulturellen Zielvorstellungen. 2. Es hängt von der Beantwortung der Frage ab, welches gegenseitige Interesse auch über enger gefasste Grenzen des transponierten Gegenstandes, in diesem Falle der musikalischen Früherziehung, hinaus bestehen. Existieren zum Beispiel Möglichkeiten, sich darüber auszutauschen und ggf. Änderungen für die Wahrnehmung, deren Verarbeitung und die damit verbundene Konstruktion der eigenen Anschauung vornehmen zu können? Denn erst dadurch kann ein Konsens, oder zumindest ein Kompromiss über Inhalte und Methoden des Gegenstandes erzielt werden. Die vergleichende Erziehungswissenschaft kann dabei Argumentationshilfen zu Betrachtung und Vergleich liefern. Allerdings muss eine wissenschaftliche Betrachtung dabei immer erklären, unter welchen Prämissen und Vorurteilen sie ihr methodisches Vorgehen durchführt. Die kritische Hinterfragung des Transfers zielt somit zunächst auf die Offenlegung der zugrunde liegenden einzelnen Mechanismen. Darin sind auch die Wert- und Zielvorstellungen des Umfeldes und das gegenseitige Interesse zu untersuchen. Darüber hinaus wird danach gefragt, ob sich daraus eine Theorie ableiten lässt. Im nächsten Abschnitt werden die hierfür angewandten Methoden näher erläutert.

Ganzheit – Grundlagen gelegt, die die Voraussetzung für ein späteres aktives Mitgestaltenkönnen in der Gesellschaft bilden, d.h. eine Erziehung, welche die Bedürfnisse des Kindes und die kindlichen Bedingungen grundsätzlich mit einbezieht, befähigt die Kinder später zu autonomem, demokratischen Handeln.“ (Kim, Jeong-Eim [1997], S. 76). Aber: „… das konfuzianische Gedankengut Koreas, das die menschlichen Handlungen (der Mensch als Angehöriger einer Gruppe) leitete, kannte keinerlei Naturrechte, die als moralische Rechtfertigungen für ein Streben nach Demokratie westlichen Zuschnitts dienen konnten. […] Die im westlichen Sinne demokratisch orientierte Denkweise (z.B. gleichberechtigte horizontale Denkweise und eigenes Selbstverantwortungsbewusstsein) ist den Koreanern auf der Handlungsebene fremd. Vorherrschend ist eine gewisse hierarchisch strukturierte Autorität im Denken und Handeln. Menschenrechte – im westlichen Sinne – und aufeinander bezogenes Pflichtbewusstsein waren und sind während der Modernisierungsprozesse Koreas schwer miteinander in Einklang zu bringen, weil es galt, für aus dem Westen übernommenen politische, rechtliche, soziale und philosophische Begriffe, aber auch technologisch-wissenschaftliche Ideen, neue koreanische terminologische Entsprechungen zu schaffen.“ (a.a.O., S. 26f.)

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1.2 M ETHODEN Nachfolgend werden die Untersuchungsinstrumente, das methodische Vorgehen und die theoretische Rahmung der Untersuchung dargelegt. 1.2.1 Erhebungs- und Untersuchungsinstrumente Neben den o.e. Fortbildungsprotokollen und diversen Befragungen der teilnehmenden Lehrer(innen) wurden während der Unterrichtsphasen für die hier vorliegende Forschungsarbeit weitere Interviews, Gespräche und Befragungen systematisiert, durchgeführt und anschließend einer Inhaltsanalyse unterzogen. Eine ursprünglich zur Evaluation der Fortbildung gedachte Umfrage10 mit 52 südkoreanischen Lehrer(inne)n wurde zur Befragung für diese Untersuchung ausgebaut. Da es sich als unmöglich erwies, alle in Südkorea mit der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff beteiligten Personen anzusprechen, denn nicht alle sind in Verbänden organisiert und über das Land verstreut, kann die Umfrage nicht als repräsentativ gelten. Aufgrund dieser Einschränkung wird die Umfrage in ihren quantitativ erhobenen Daten nur deskriptiv genutzt. Sechs Interviews mit deutsch/österreichischen und südkoreanischen Dozent(inn)en, die im Transfer der musikalischen Früherziehung nach Südkorea tätig sind, ergänzen die durch die Umfrage gewonnenen Erkenntnisse. Die Wahl der zu Befragenden erfolgte zum einen, indem mit den zwei größten Organisationen, die sich in Südkorea mit der musikalischen Früherziehung im Sinne von Orff beschäftigen, Kontakt aufgenommen wurde und zum anderen durch das Anschreiben an Einzelpersonen, die dem Autor aus Literatur oder persönlichen Begegnungen bekannt waren. Das alles floss in einem Datenpool zusammen, der aus Datenerhebungen, Protokollen (Unterrichtsbeobachtungen), Interviews, Audioaufnahmen sowie Photographien besteht. Darüber hinaus wurde alle zugängliche Literatur in den Sprachen Deutsch, Englisch und Koreanisch zu Rate gezogen. Um die Qualitäten der Daten, also ihre Reliabilität und ihre Validität zu ermitteln und zu sichern, wurde auf die Merkmale einer qualitativen Forschung, die Philipp Mayring11 in Form von fünf Forderungen zusammenfasst, zurückgegriffen.

10 Die für diese Untersuchung erstellten Fragebögen sind im Anhang beigefügt. 11 Mayring stellt fünf Merkmale einer qualitativen Forschung in Form von fünf Forderun-

gen zusammen. Diese führt er 13 Spezifikationen weiter aus: 1) Orientierung am Subjekt und Ganzheitlichkeit (es sind nicht einzelne Variablen, sondern das gesamte Forschungsobjekt interessant), Historizität (die Art und Weise, wie das zu untersuchende

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Mayrings Forderungen wird entsprochen, indem im 1. Kapitel die theoretische Rahmung der Untersuchung und das Vorverständnis des Autors in dem vorliegenden Kapitel ausgeführt werden. Es umfasst die Darlegung der Ziele, der angewandten Methode, sowie die Erörterung des Forschungsstandes hinsichtlich der Deutungen der für die Arbeit wesentlichen Begrifflichkeiten. Im 2. Kapitel wird der Kontext der Untersuchung beschrieben. Denn je mehr die Materialien durch Kontextualisierung angereichert werden, desto objektiver und valider werden Aussagen über ein Faktum.12 Diese Anreicherung erfolgt, indem die sozialen, politischen, pädagogischen und musikalischen Umstände in ihrer historischen Entwicklung wie in ihrer aktuellen Entfaltung dargestellt werden. Zunächst wird die Entwicklung der Orffschen Musikpädagogik und ihre Einbettung in das geistige, soziale, politische, pädagogische und musikalische Umfeld beschrieben und dabei die Kerncharakteristika der musikalischen Früherziehung im Sinne von Orff herausgearbeitet. Am Ende dieses Kapitels wird dann eine Deskription des faktischen Transferverlaufes in seinem historischen Ablauf vorgenommen. Nach dieser Darstellung des Woher des Transfers folgt im 3.Kapitel die Beschreibung des Kontextes, in den der Transfer hineinläuft, indem das geistige, soziale, politische, pädagogische und musikalische Umfeld Südkoreas dargestellt

Objekt zu dem geworden ist, was er ist), Problemorientierung (die qualitative Forschung ist praxis- und lösungsorientiert). 2) Deskription als Ausgangspunkt (qualitative Forschung fängt bei einem Einzelfallbezug an): Offenheit (induktives Verfahren = Kategorien Deskription werden nicht aus theoretischen Vorannahmen abgeleitet, sondern aus dem Datenmaterial exzerpiert), Kontrolle (Dokumentation der Forschungsschritte). 3) Interpretation: 3a Interpretation (der Gegenstand muss durch Interpretation erschlossen werden, weil er nicht direkt zugänglich ist). 3b Vorverständnis (Das Objekt der Forschung wird immer aus der Sicht eines Vorurteils gedeutet, daher ist dies Vorurteil deutlich zu machen). 3c Introspektion (die eigenen Gedanken und Reaktionen beobachten und die Forscher-Gegenstands-Interaktion als Prozess erkennen, da die Forschung alleine schon den erforschten Gegenstand wie die forschende Person verändern kann). 4) Alltagsnähe (Untersuchung des Forschungsobjektes in seinem natürlichen Kontext und Umfeld). 5) Schrittweise Verallgemeinerung, argumentative Verallgemeinerung, Induktion, Quantifizierung (eine Kombination qualitativer und quantitativer Vorgehensweisen), Regelbegriff (also keine allgemeingültigen Gesetzen, sondern Gleichförmigkeiten, für die er den Begriff der ‚Regel‘ nutzt.). (Mayring, Philipp [2010], S. 1939) 12 Glaser, Barney G.; Strauss, Anselm (2010).

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wird. Hierbei werden die Einflüsse von Schamanismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Christentum, die Einflüsse aus der Zeit der Militärregierungen und der ökonomischen Veränderungen beleuchtet. Danach wird das südkoreanische Schulsystem, soweit es für diese Untersuchung von Belang ist, in den Grundzügen beschrieben. Im 4. Kapitel erfolgt die Untersuchung als Datenerhebung und Datenauswertung, die in Form einer Umfrage bei 52 südkoreanischen, aktuell in der musikalischen Früherziehung in Südkorea tätigen Lehrer(inne)n vorgenommen wurde. Im 5. Kapitel schließen sich Interviews mit im Transfer tätigen Dozent(inn)en aus unterschiedlichen Generationen an. Der von Mayring geforderten praxis- und lösungsorientierten Problemorientierung dieser Untersuchung wird durch die Wahl des Themas aus einem realen, in der Praxis verlaufenden Transfer mit der Zielstellung nach den Möglichkeiten und Grenzen eines Transfers entsprochen. Die im 4. und 5. Kapitel genutzten Daten wurden im Kontext der befragten Personen in Südkorea bzw. in Deutschland erhoben. Die Interviews fanden in oder bei den Institutionen in Südkorea statt, sodass Mayrings Forderung nach Alltagsnähe Genüge geleistet wird.13 Die von ihm geforderte Nähe zum Gegenstand wurde außerdem durch das emische Betrachten der Phänomene in mehrfachen, auch längeren Aufenthalten des Autors in Südkorea ermöglicht, sodass das Feld selbst auch zum Gegenstand der Untersuchung wurde. Die Daten aus den Interviews und die Daten aus der Umfrage werden, soweit sie einer quantitativen Erhebung entstammen, deskriptiv genutzt und induktiv weiter geführt, um die subjektiven Deutungen und Sinnzusammenhänge zu verstehen. Die Kategorien für die Auswertung der Interviews und der Umfrage wurden aus dem Datenmaterial abgeleitet, die Forschungsschritte dokumentiert und in den Kapiteln über die Umfrage und die Interviews niedergelegt. Im 6. Kapitel werden die aus den Kontextualisierung, der Umfrage und den Interviews gewonnenen Erkenntnisse zusammengefügt, um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens anhand der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff in Südkorea zu beantworten.14

13 Eine kommunikative Validierung konnte nur teilweise hergestellt werden, da dafür nicht alle befragten und interviewten Personen in der benötigten Zeit zur Verfügung standen. 14 Ganz grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob die Methoden der in Deutschland und Österreich entwickelten musikalischen Früherziehung auf südkoreanische Verhältnisse übertragbar sind. Die im Transfer tätigen Personen werden zu entscheiden, zu begründen und zu verantworten haben, woran sie sich ausrichten wollen, sollen oder können. Es gibt die Möglichkeiten, sich an teleologischen Vorgaben der koreanischen oder der

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1.2.2 Methodisches Vorgehen Die Quellen werden nach textanalytischen und nach qualitativen Gesichtspunkten untersucht. Literatur, Richtlinien des MEST 15 , Lehrwerke, Kommentare und Fachdidaktiken werden textanalytisch, Protokolle, Lehrerbefragungen während der Fortbildungen, Umfrageergebnisse, einzelne Kommentare und Interviews qualitativ untersucht. Diese Datenstämme werden miteinander in Verbindung gesetzt, sodass Erkenntnisgewinne ermöglicht werden. Dies geschieht mittels einer Triangulation. Nun liefert Triangulation „nicht übereinstimmende oder einander widersprechende Abbildungen des Gegenstandes, sondern zeigt unterschiedliche Konstruktionen eines Phänomens – etwa auf der Ebene des Alltagswissens und auf der Ebene des Handelns – auf. Triangulation wird nur dann angemessen und aufschlussreich sein, wenn darin nicht nur methodische Zugänge, sondern auch die mit ihnen verbundenen theoretischen Perspektiven verknüpft werden.“16

Eine erklärende Wissenschaft verlangt sowohl vom Sender wie vom Empfänger Anpassungsleistungen von Wissen, damit die Erkenntnisse in unterschiedlichen Kontexten gleich verstanden werden. Das wird aber nur gehen, wenn alle Leser wissenschaftliche Publikationen aufgrund gleicher Verständnisstandards rezipieren. Um miteinander zu kommunizieren, muss also eine Sprache der Wissenschaft vorhanden sein. Sie kann nicht nur positivistisch gefunden werden, also nur als objektiv erkanntes Gegebenes, in der etwas nur innerhalb eines vorgegebenen Deutungszusammenhanges objektiv richtig sein kann. Es kann nicht eine Wissenschaft von der Musik, dem Menschen etc. geben. Eine Wissenschaft, die kommunizieren will, muss sich daher selbst auch anpassen, weil sie eben nicht kontextfrei arbeitet. Das Umfeld, aus dem heraus sie arbeitet, ist ebenso wichtig wie die in den Forschungsprozessen entwickelten Ergebnisse. Übertragen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand bedeutet das, dass ein solcher Transfer, der nur nach ‚Transfer gelingt‘ oder ‚gelingt nicht‘ beurteilt wird, zu kurz greift. Denn dann würde aus der Sicht der Sender der musikalischen Früherziehung in Deutschland / Österreich gleichzeitig gesagt: die Empfänger haben sich im Transfer soweit

deutschen Seite auszurichten oder sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren. Diese sind nicht immer deckungsgleich. Darin eingeschlossen sind zu treffende Erkenntnisse und Entscheidungen bezüglich der anthropologischen Vorannahmen und Grunddefinitionen der jeweils handelnden Personen. 15 Korean Ministry of Education, Science and Technology. 16 Flick, Uwe (2008), S. 25.

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anzupassen, dass sie das musikpädagogisches Modell in der vom Sender gewünschten Form deuten und durchführen können. Eine solche Sichtweise ist zwar evaluierbar, schließt aber auch ein, dass die Empfänger als Objekt, letztlich auch als zu Erziehende im Sinne der Wissengeber gesehen werden und vielleicht auch so gesehen werden wollen. Dieser Sichtweise kann hier nicht gefolgt werden. Daher wird ein anderer Weg gewählt, indem auch die Position des Forschenden wie das Umfeld aller im Transfer beteiligten Personen zum Gegenstand der Untersuchung werden. Denn es ist nicht möglich, von einem deutschen / österreichischen Standpunkt aus von ‚denen in Südkorea‘ zu sprechen, weil seit Clifford Geertz klar ist, dass sich die Forschenden nur selbst beschreiben würden. Bezogen auf die hier vorliegende Untersuchung ist der Blick auf die Positionierung des Forschenden deshalb eine conditio sine qua non. Die Frage muss daher sein, wie ein Transfer beschrieben werden kann, ohne tendenziös zu werden. Die Reflexion der Positionierung des Forschenden ist umso wichtiger, als der Autor selbst in das Transfergeschehen mit eingebunden und somit zumindest teilweise auch Objekt der eigenen Forschung ist. Bei einer solchen Forschungslage stehen die Gefahr einer viel zu geringen Distanz zum Forschungsobjekt mit einer einher gehenden Deutung ohne Objektivität und die Chance eines viel tieferen, direkten Verständnisses nebeneinander. „Aus dieser Problematik resultiert der immer noch aktuelle Werturteilsstreit in den Sozialwissenschaften. Das Prinzip der Wertfreiheit fordert die rigorose Trennung wissenschaftlicher Aussagen über einen Gegenstand der sozialen Wirklichkeit von subjektiv wertenden Aussagen. Methodologisch erfolgt aus dem Wertfreiheitsprinzip die Forderung nach einer intersubjektiven Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen bzw. nach einer Nachvollziehbarkeit des Zustandekommens wissenschaftlicher Befunde.“17

Die Trennung des Forschers von seinem Objekt ist jedoch nie vollkommen zu bewerkstelligen. Denn jeder Forscher muss von einer Setzung ausgehen. Diese ist letztlich ein Vorurteil, also eine subjektiv wertende Aussage. Nur unter dieser Prämisse kann die forschende Person das zu erforschende Phänomen beleuchten. Wichtig ist dann aber, nicht nur das Phänomen zu beleuchten, sondern auch zu reflektieren, ob die der Methode zugrunde liegende Auffassung auch dem Gegenstand angemessen ist. Eine Forderung nach Wertfreiheit wird daher auch nicht mehr von allen Forschern erhoben. Die Forderung, die Argumentation nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar zu gestalten, bleibt davon allerdings unberührt.

17 Schäfers, Bernd (2003), S. 232f.

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Objektivierbares Wissen im Sinne einer positivistischen Tradition zutage zu fördern ist somit nicht Ziel dieser Untersuchung. Daher sind die dieser Arbeit zugrunde gelegten Methoden, durch die die wissenschaftlichen Befunde transparent und nachvollziehbar werden, hermeneutisch. Die Traditionslinie dieser Methoden soll im Folgenden kurz beleuchtet werden. 1.2.3 Theoretischer Rahmen Für Hans-Georg Gadamer wohnt allem Verstehen eine Vorurteilsstruktur inne. Das Verstehen selbst wird daher ein hermeneutisches Prinzip. „Wir hatten gezeigt, daß das Verstehen nicht so sehr eine Methode ist, durch die sich das erkennende Bewußtsein einem von ihm gewählten Gegenstande zuwendet und ihn zu objektiver Erkenntnis bringt, als vielmehr das Darinstehen in einem Überlieferungsgeschehen zur Voraussetzung hat. Verstehen erwies sich selber als ein Geschehen und die Aufgabe der Hermeneutik besteht, philosophisch gesehen, darin zu fragen, was das für ein Verstehen was für einer Wissenschaft ist, das in sich selbst vom geschichtlichen Wandel fortbewegt wird.“ 18

Es geht Gadamer um die Auslegung der Vorurteile und um einen Dialog der verschiedenen Horizonte des Verstehens. Ein hermeneutischer Prozess wird dadurch zur Verschmelzung eines gegenwärtigen mit einem vergangenen Horizont. Verschmelzung ist dabei nicht als einfaches Zusammenfließen gedacht, sondern es kommt auf den „kontrollierten Vollzug solcher Verschmelzung“ 19 an. Pragmatisch bezieht sich Gadamers Hermeneutik dabei nicht nur auf Texterkenntnis, sondern auf jede Art von Wissen. In seiner philosophischen Hermeneutik geht es ihm nicht um Hermeneutik als „Methode“20, sondern um „Wahrheit“. Eine Hermeneutik bedient sich der Parameter sprachlicher Verfasstheit von Erkenntnis, die durch eine vorstrukturierte Verstehensfähigkeit, also der Abhängigkeit jedes forschenden Menschen von Vorurteilen, und durch ein „Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“21, charakterisiert sind. Jeder erkennende Mensch erschließt sich seine aktuelle Welterkenntnis durch das immer wieder neue Interpretieren vergangener Erkenntnisse.

18 Gadamer, Hans-Georg (1960), S. 314. 19 A.a.O., S. 312. 20 Der Begriff ‚Methode‘ wird hier als Verfahrensweise im Sinne einer mathematischnaturwissenschaftlichen Methode verstanden. 21 A.a.O., S. 274.

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Bezogen auf die hier vorliegende Untersuchung geht es darum, zu erkunden, wie sich in dem Überlieferungsgeschehen, hier vorläufig als ‚Transfer‘ bezeichnet, Vergangenheit und Gegenwart vermitteln. Dazu kommt noch das beständige Vermitteln in lokal und kulturell unterschiedlichen Gebieten, also die unterschiedliche, ähnliche oder gleiche Deutung der Phänomene des Transfers. Insofern ist diese Untersuchung auch eine Deskription des beständigen Vermittelns. Es wird daher in dieser Untersuchung nicht darum gehen, im Sinne einer positivistischen Wissenschaftsdeutung normative Gesetzmäßigkeiten aufzustellen, sondern hermeneutisch interpretativ Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Dies geschieht im Sinne eines interpretativen Paradigmas. „Nach dem interpretativen Paradigma können daher, im Unterschied zum normativen Paradigma, Situationsdefinitionen und Handlungen nicht als ein für allemal, explizit und implizit, getroffen und festgelegt angesehen werden. […] Vielmehr müssen Situationsdefinitionen und Handlungen angesehen werden als Interpretationen, die von den an der Interaktion Beteiligten an den einzelnen ‚Ereignisstellen‘ der Überarbeitung und Neuformulierung unterworfen sind.“22

Wertneutralität wird auch von einigen Vertreterinnen der feministischen Wissenschaftstheorie dekonstruiert. Forscherinnen sollten den sozialen Ausgangpunkt (z.B. ihre Gruppenzugehörigkeit[en]) als elementaren Teil ihrer Arbeit ansehen.23 Donna Haraway nennt dies „culture of no-culture“24, da die forschende Person immer auch Teil des zu erforschenden Feldes ist. Erkenntnisse seien stets von Menschen vermittelt, die in bestimmten Traditionen verortet sind. Das Erreichen einer wissenschaftlichen Objektivität wird folglich verneint. In der Epistemologie fragen die Forscherinnen, die einer feministischen Sichtweise zugerechnet werden, zunächst nach der forschenden Person, ihrer Geschichte und Position in einer Gesellschaft, nach ihren Erfahrungen, kulturellen Werten und Normen. Donna Haraway bezeichnet dies als „situiertes Wissen“.25 In ihrem gleichnamigen Text befasst sie sich mit dem Dekonstruieren von Erklärungsmustern. Aber sie geht darüber hinaus und spricht sich beim epistemologischen Zugang für den Blick auf die Positionierung des Forschenden aus. Die Positionierung der Forschenden, die durchaus kritisch, aber auch beweglich sein kann, ist laut Haraway die „entscheidende wissensbegründende Praktik“. 26 Für Haraway ist es nicht nur wichtig, über

22 Wilson, T.P., (1973), S. 61. 23 So argumentiert z.B. Harding, Sandra (1994). 24 Haraway, Donna (1997), S. 23. 25 A.a.O., S. 73-97. 26 A.a.O., S. 87.

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das Woher des Wissens Auskunft zu geben, sondern auch über die eigenen Ziele und die darin immanenten Werte und Normen. Der Autor der vorliegenden Studie ist nicht in der südkoreanischen Gesellschaft aufgewachsen, hat sich aber in den letzten zehn Jahren öfter und längerfristig in Südkorea aufgehalten sowie teilweise dort gelebt. Daher steht er im Feld emischer und etischer Betrachtungsweisen.27 Viele – wenn gewiss auch nicht alle – Handlungen, Umgangsformen, Riten, Denkmuster sind von daher vertrauter als bei einer rein etischen Betrachtung. Dadurch wird die Möglichkeit einer breiteren Verstehensebene eröffnet. Andererseits liegt der Untersuchung auch eine etische Betrachtungsweise zugrunde, was einmal der Verortung dieser Studie in eine deutsche Bildungslandschaft geschuldet ist, da von Deutschland aus der Blick auf das Geschehen fällt und die Prozesse zunächst einem deutschen Fachpublikum vermittelt werden sollen.28 Der Autor ist zudem als Dozent in der Praxis des Transfers eingegliedert und wird dabei von den meisten Beteiligten der ‚deutsch-österreichischen Seite‘ zugerechnet. So versteht sich diese Studie nicht als entweder etisch oder emisch angelegt, sondern es liegt ihr an der Vermittlung unterschiedlicher Sichtweisen.29 Dabei muss beachtet werden, dass es nicht nur einen emischen und etischen Aspekt im Sinne von Sichtweisen der Handelnden in Deutschland/Österreich gegenüber denen in Südkorea gibt. Eine Betrachtung allein unter der Vor-

27 Emisch ist die Untersuchung einer kulturellen Gruppe oder Gesellschaft von innen. Sie untersucht etwas mit den Kategorien und Deutungen, die ihrem Habitus entsprechen. Etisch ist die Untersuchung einer kulturellen Gruppe oder Gesellschaft von außen. Hier werden Betrachtungen aus der Position der betrachtenden Person vorgenommen. Wird eine solch etische Position als kulturübergreifende Position postuliert, dient sie unter Umständen dazu, universelle Systeme und Parameter zur Deskription bereitstellen zu wollen. Diese Ansicht wird hier nicht vertreten. Hier sollen sich beide Betrachtungsweisen ergänzen, indem die auftretenden Differenzen sowohl charakterisiert werden und zugleich ihre Berechtigung behalten können. Siehe dazu auch Allemann-Ghionda, Christina (2004), S. 159 und Segall, Marshall H.; Dasen, Pierre R.; Berry, John W.; Poortinga, Ype.H. (1999). 28 Diese Sichtweise ähnelt den Ausführungen von Clausen, Bernd (2009), S. 5f. 29 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Bernd Clausen: „Um jetzt nicht eurozentristische Überlegenheitsstrategien in der Betrachtung der Musik zu bekommen, muss jetzt der emische Aspekt dazukommen. Das bedeutet die musikalische Erfahrung wird mit Material unterfüttert, denn sonst wäre es ein Verharren im Moment des Genusses von Exotischem.“ (Clausen, Bernd [2003], S. 144)

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stellung nationaler oder kulturell definierter Grenzen wird der Realität nicht gerecht. Es gibt ebenso intrakulturelle wie lokale Ausgestaltungen, also Diversitäten innerhalb des jeweiligen Deutungsmusters.

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Im Folgenden wird der Forschungsstand zu den bezeichneten Themen nur soweit beleuchtet, wie er für die vorliegende Untersuchung relevant ist. Verweise auf genauere Ausarbeitungen zum Thema werden in Fußnoten ausgewiesen. 1.3.1 Kultur Um eine Unterrichtsmethode aus einem Land in einem anderen Land anzuwenden, müssen die dortigen kulturellen Kontexte berücksichtigt werden. Denn über das rein fachliche Know-how von Erziehungsmethoden und -inhalten hinaus wird, so denn auf ein Verstehen- und Anwenden-Können als Ziel hingearbeitet werden soll, auch der jeweilige Verstehens- und Interpretationsrahmen in die Arbeit mit einfließen. Wenn hier von einem Land gesprochen wird, so ist damit zunächst eine geographische und/oder politische Größe (Nation) in einem bestimmten Gebiet der Welt gemeint und insofern ist der Begriff relativ klar umrissen. Weniger klar ist hingegen, ob damit auch eine bestimmte kulturelle Repräsentation, die sich z.B. in unterschiedlichen Sprachen, Normen und Werten darstellen kann, gemeint ist und ob dafür der Begriff ‚Kultur‘ angewandt werden kann.30 Die Gültigkeit einer solchen Begriffsbedeutung ist nicht durch geographische oder politische Gebiete begrenzt. Er ist unterschiedlich zu definieren. Dennoch müssen die in der jeweiligen Kultur lebenden Akteure – in dieser Untersuchung wären das die Vertreter(innen) der Institutionen, die Dozent(innen), Lehrer(innen), Eltern und Kinder – das Transferieren und das Transferierte deuten und verstehen können, denn „Kulturen sind, zumal als explizite handlungsleitende Wissensbestände, Deutungs- oder Interpretationskonstrukte. Ihre diskursive Vergegenständlichung ist prekär und dennoch unumgänglich.“31 Um reflektieren zu können, also sich zu vergegenwärtigen, wie in einem kulturellen Umfeld gehandelt wird, muss sich somit jeder der Handelnden der für ihn gültigen Kulturvorstellung gewahr werden.

30 In dem Zusammenhang tauchen dann die Begriffe ‚multikulturell‘, ‚interkulturell‘, ‚transkulturell‘ auf. 31 Straub, Jürgen (2010), S. 63.

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Zumeist denken wir über Kultur erst nach, wenn wir einer als different wahrgenommenen anderen Kultur aktiv gegenübertreten oder mit ihr zufällig in Kontakt kommen. Erst die Differenzerfahrung, die sich z.B. in einem ungewohnten Verhalten manifestiert, aktiviert eine Verwunderung und ein Nachdenken. Solange wir uns gar nicht dieser Relativität unseres Lebens im Vergleich mit anderen Lebensmöglichkeiten bewusst sind, seien es reale oder gedachte, gibt es keinen Anlass darüber zu reflektieren. Genau solche Differenzerfahrungen treten im Lehren und Lernen mit Akteuren unterschiedlicher kultureller Umfelder auf. Sprachhistorisch wird der Begriff ‚Kultur‘ vom lateinischen ‚colere‘ (bebauen, pflegen) hergeleitet. Dies verweist darauf, dass Menschen aktiv an der Erschaffung von Kultur beteiligt sind.32 In einem einschlägigen Lexikonartikel wird Kultur definiert als „Gesamtheit der typ. Lebensformen größerer Gruppen einschließlich der sie tragenden Geistesverfassung, bes. der Wertvorstellungen; Kultur gilt im i.w.S. als Inbegriff für die im Unterschied zur Natur und durch deren Bearbeitung selbst geschaffene Welt des Menschen.“33

Alfred Louis Koerber definiert 1952: „Kultur besteht, explizit oder implizit, aus Verhaltensmustern, die mittels Symbolen erworben und überliefert werden, die die charakteristischen Errungenschaften von Gruppen von Menschen darstellen und auch deren Niederschlag in Artefakten einschließt. Der wesentliche Kern von Kultur liegt in den traditionellen (d.h. historisch entwickelten und selektierten) Vorstellungen und besonders in den mit ihnen verknüpften Werten. Kulturelle Systeme können einerseits als Produkte von Handlungsweisen, andererseits aber auch als Voraussetzungen für weiteres Handeln betrachtet werden.“34

Koerber spricht hier von der Weitergabe von Vorstellungen, die sowohl selbst erschaffen als auch Voraussetzungen für weiteres Handeln seien. Wie aber sind sie erschaffen worden und wer legt fest, ob sie noch gültig sind? Straub stellt fest: „‚Kultur‘ kann als soziale, wissensbasierte bzw. symbolisch vermittelte Praxis aufgefasst werden, die ihre Objektivationen und Objektivierungen mit umfasst. Im Unterschied zu den

32 Kultur wird zuweilen auch zur näheren Definition in Form von Komposita eingesetzt, z.B. als ‚Hochkulturen‘, ‚Volkskulturen‘, ‚Alltagskulturen‘ usw. 33 Dtv Brockhaus Lexikon (1984), S. 182. 34 Koerber, Alfred Louis; Kluckholm, Clyde, Culture. A Critical Review of Concepts and Definitions, in: Papers of the Peabody Museum of American Archaeology and Ethnology 47/1. Harvard University Press, Harvard 1952, S. 181, zitiert nach Utz, Christian (2002), S. 19.

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in psychologischer Perspektive ‚äußerlichen‘ kulturellen Artefakten, die traditionell als Objektivationen bezeichnet werden – man denke an Dinge oder Apparate, Bauwerke, Straßen oder Plätze, an Kleidung oder einer Mahlzeit –, sind Objektivierungen die ‚in‘ den Subjekten selbst verfestigten Spuren kultureller Praktiken. […] Beispiele für Objektivierungen sind auch kulturspezifische Dispositionen in bestimmter, habitualisierter Weise zu denken, zu fühlen oder zu handeln. Solche Dispositionen werden im Prozess der Sozialisation, Enkulturation oder Akkulturation […] erworben. Sie sind veränderlich, gleichwohl stabile, integrale Bestandteile der psychischen Struktur von Personen.“35

Phänomenologische Ausdrücke kultureller Handlungen seien auch Ausdruck der veränderlichen und dennoch stabilen, integralen Bestandteile der Psyche einer Person, führt Straub weiter aus. Kultureller Ausdruck hat demnach mit der Identität36 eines Menschen zu tun. Die Entscheidung für ein bestimmtes Kulturverständnis ist daher entscheidend für das Beschreiben und Interpretieren von Vorgängen. Die Handelnden konstruieren und definieren über ihr Kulturverständnis ihre Identität und beurteilen ihre Handlungen. Für diese Untersuchung ist daher ein Verständnis der kulturellen Konstruktionsprozesse notwendig. Ganz knapp definiert Kim Ji-Hye den Begriff: Kultur „ist von Menschen produzierte und gestaltete Umwelt – materiell, geistig, sozial.“37 Sind aber solche traditionellen oder gestalteten Vorstellungen und Werte statisch oder dynamisch? Und wie kommen sie zustande, wer setzt diese Vorstellungen? Der Begriff ‚Kultur‘ wird im Koreanischen als munhwa (ⶎ䢪 /肫财) 38 wiedergegeben, was wörtlich übersetzt mun (ⶎ) ‚Schrift/Sprache‘ und hwa (䢪) ‚Einheit‘ bedeutet. Das Wort beinhaltet eine Weltsicht, deren Definitionen schriftlich umschrieben werden können oder auf schriftlichen Quellen ruhen. Sie ist darin mit den Anschauungen aus dem chinesischen Raum verwandt. Als gegen Ende des 19. Jahrhundets die erzwungene politisch-gesellschaftliche Öffnung Koreas

35 Straub, Jürgen (2010), S. 53. 36 Straub schreibt dazu weiter: „Jede kulturelle Praxis ist in einem ‚konstitutiven‘, ‚intrinsischen‘ Sinn mit orientierungsstiftendem und handlungsleitendem Wissen verwoben […]. Das gilt für alle psychischen Phänomene, deren Entstehung, Entwicklung und je aktuelle Erscheinung unweigerlich kulturell ‚imprägniert‘ ist.“ (a.a.O., S. 54) 37 Kim, Ji-Hye (2011), S. 12. 38 Die in koreanischer Schrift geschriebenen Worte werden nach den überarbeiteten Transliterationsregeln zur verbundübergreifenden einheitlichen Katalogisierung koreanischer Titel konvertiert (CJK-Erfassung). Die Nennung der koreanischen Namen erfolgt in koreanischer Schreibweise, bei der zunächst der Familien- und dann der Vorname genannt werden.

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stattfand, nahmen große Teile der koreanischen Bevölkerung die technische Überlegenheit anderer Nationen wahr und folgerten aus dieser Anschauung, dass die neuen Ideen, die vor allem über Japan ins Land fluteten, auf der Grundlage einer vor allem machtvollen und ökonomisch erfolgreichen Weltanschauung erlangt sein mussten. Das Erscheinen bis dahin unbekannter, moderner Fahrzeuge, Waffen, die Elektrifizierung usw. führten zu der Einsicht, dass die geistigen und materiellen Inhalte, die ihrer bisherigen Lebensweise entstammten, mit diesen Neuerungen nicht mithalten konnten. Daher fanden die modernen Gelehrten gegen Ende der Joseon Dynastie den Begriff gaehwa (Ṳ䢪 / 筛财), womit ein aktives Tun zur (zivilisatorischen) Öffnung und Erneuerung gemeint ist: ein Mensch öffnet sich und akzeptiert andere kulturelle Deutungen.39 Der Begriff ‚gaehwa‘ wurde allerdings im Zuge der politischen Ereignisse imperialistisch konnotiert, denn ein zentraler Streitpunkt in der koreanischen Geschichte war die Frage, ob die in Korea lebenden Menschen den neuen Ideen folgen oder aber den bis dahin gelebten Stil weiter behalten sollten. Letztlich wurde das zumindest an der phänomenologischen Oberfläche des koreanischen Alltagslebens politisch entschieden und nicht etwa diskursiv. Als sich die japanischen Interessen gewaltsam durchsetzten, wurde der Begriff ‚gaehwa‘ daher als teilweise recht euphemistischer Ausdruck zur erzwungenen zivilisatorischen Modernisierung Koreas verwendet. Aber in Wirklichkeit war der Weg der Modernisierung genau umgekehrt zur ‚munwha‘-Vorstellung, dass nämlich nicht die Begriffe (Bedeutungen) die Realität, sondern die Realität die Bedeutungen lenkte. Der Begriff ‚gaehwa‘ wird heute kaum noch verwendet, gleichwohl sind – wie noch zu zeigen sein wird – die darin vertretenen Ideen nach wie vor lebendig. Kultur kann als etwas Essentielles aufgefasst werden, was von einer Generation zur anderen weitergegeben werden muss, um zu bestehen oder als etwas, was stets neu erschaffen (konstruiert) wird, indem Handlungen immer wieder neue Bedeutungen und Wertungen zugemessen werden. Beiden Kulturbegriffen immanent ist die Frage, wie die jeweiligen Bedeutungen, Werte und Normen konstruiert werden und für wie lange sie gelten. Je länger Deutungen gelten, je länger sie Menschen nutzen, desto mehr Allgemeingültigkeit können sie bekommen. Aber ändern sich die Lebensumstände, können Kulturbegriffe ihre Fähigkeit zur Deutung dieser neuen Lebensumstände auch verlieren, wenn sie erstarren und unfähig werden, die reale Welt darstellen zu können. Sind Bedeutungen aber nur kürzer und individueller gültig, dann können sie sich wahrscheinlich veränderten Lebensumständen und Einzelsituationen besser

39 Der Begriff ‚gaehwa‘ wurde aus dem Buch der Wandlungen I-Ching (㡃ἓ [蜇㏃]) entnommen und auf die neue politisch-gesellschaftliche Situation hin definiert.

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anpassen. Aber sie sind weniger fassbar und allgemeingültig und bieten weniger Halt bis hin zu aufgelösten Begrifflichkeiten, die dann jeweils immer wieder neu konstruiert werden müssen. Das fordert von den Akteuren ein zunehmend hohes Maß an Wahrnehmungs-, Kommunikations- sowie Reflexionsvermögen. Die nachfolgenden Ausführungen greifen diese Polarität auf. Dabei wird im Rückgriff auf Dorothee Barth zwischen einem „ethnisch-holistischen“ und einem „bedeutungsorientierte[n] Kulturbegriff“40 unterschieden. 1.3.1.1 ‚Kultur‘ als ethnisch-holistischer Begriff Holistisch wird ein Kulturverständnis, wenn Phänomene nicht primär durch gesellschaftliche Prozesse oder geschichtliche Entwicklungen, sondern umgekehrt das Verhalten von Menschen anhand von Strukturen erklärt werden. Ethnisch-holistisch wird es, wenn diese Struktur auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschengruppe, gar Volk oder Rasse gegründet wird. Herders41 Begriff von ‚Kultur‘ stellt ein historisch dauerhaftes und integriertes Ganzes dar, das darüber hinaus eine unverwechselbare Einheit bildet.42 Er ist charakterisiert „durch die ethnische Fundierung, die soziale Homogenisierung und durch die Abgrenzung nach außen.“43 Damit handelt es sich um einen holistischen, statischen oder zumindest fast statischen Kulturbegriff. Kulturen werden wie Entitäten beschrieben, die stark voneinander getrennt sind.44

40 Barth, Dorothee (2007), S. 36ff.; S. 39ff. 41 Dargelegt in: Herder, Johann Gottfried (1989). Der Begriff ‚Kultur‘ ohne weitere Einschränkung (z.B. ohne Genitiv wie ‚Kultur der Griechen‘ usw.) erscheint erstmals bei Samuel von Pufendorf: „Altero modo statum hominis naturalem consideravimus, prout opponitur illi culturae, quae vitae humanae ex auxilio, industria, et inventis aliorum hominum propria meditatione et ope, aut divino monitu accessit.“ Übersetzt bedeutet das: „Wir betrachten den Naturzustand des Menschen, insofern er jener Kultur gegenüber gestellt wird, die zu dem menschlichen Leben aus der Hilfe, der Rührigkeit und den Erfindungen der anderen Menschen durch eigenes Nachdenken und Vermögen oder durch göttliche Anleitung hinzugekommen ist.“ Pufendorfs Schriften hat Herder vermutlich gekannt. (Pufendorf, Samuel von [1686], S. 219) 42 Nach Wimmer, Andreas (2005), S. 125. 43 Welsch, Wolfgang (2002). 44 Allerdings wird diese Interpretation von Herder durch Cvetko infrage gestellt. Er weist nach, dass Herder nicht von derart abgeschlossenen Kulturräumen spricht und kritisiert damit Welsch, der für seine Argumentation ein abgeschlossenes Kulturkonzept als Abgrenzung zu seinem Modell benötigt und dazu Herders Sicht nutzt. (Cvetko, Alexander [2008], S. 97-149). Cvetko konstatiert in diesem Aufsatz im Übrigen einen möglichen

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Dieser Kulturbegriff ist nachvollziehbar, solange eine Weltsicht im Allgemeinen nur von einem Ort der Welt aus zu deuten war, weil die Fortbewegung von einem Ort zum anderen kraft- und zeitintensiv war und eine allgemeine Austauschmöglichkeit nur in geringem Maße bestand.45 Die inzwischen durch Transportmittel und Medien entstandenen beschleunigten Kontakte haben diese Definition relativiert. Angesichts schneller Abläufe in allen Bereichen des Lebens ist er so nicht mehr haltbar. Er gilt nicht zwischen den nationalen Grenzen und er gilt nicht innerhalb nationaler Grenzen, da durch mediale Einflüsse und die erweiterten Möglichkeiten persönlicher Begegnungen Kulturen nur noch in seltenen Ausnahmefällen wie auf Inseln46 angetroffen werden. Dennoch versuchen bis heute Gemeinschaften, Gesellschaften oder Staaten Gemeinsamkeiten zu definieren, um – zumeist politisch oder ideologisch motiviert – Gruppenidentitäten zu schaffen. Gemeinsamkeiten werden oft über Sprache, Religion, Gewohnheiten, Symbole und Feste, aber auch Rechtsregeln oder Betonung familiärer Blutsverwandtschaften, solange sie sich innerhalb einer klar umrissenen Gruppe bewegen, hergestellt und zuweilen gar beschworen. Begründet wird das zumeist mit einer – freilich ebenso Konstruktionsprozessen unterliegenden – gemeinsamen Geschichte. Ein Beispiel dafür ist die Definition von ‚Kultur‘ durch Lee Ki Sook von der Ewha Universität für Frauen in Seoul: „Culture refers to values, language, beliefs, and customs, commonly shared by a group of people at a given period of time that greatly influence their opinions and actions. It is the totality of human behavior that future generations will inherit from their ancestors. Cultural characteristics of a particular group are not formed in a day. Rather, they are distinctive, historical traits founded on accumulated, commonly shared experiences of people living in

Einfluss Herders auf Carl Orff. Es scheint danach „eine direkte Linie von Herder zu Orff zu geben, denn bei der historisch-philosophischen Fundamentierung des Gedankenguts Orffs habe u.a. Herder mit seinen ‚Untersuchungen über das Wesen der Sprache‘ zu einer wissenschaftlichen Begründung bei Orff beigetragen.“ (a.a.O., S. 134) 45 Lange Zeit lebten Menschen nur in ihrem Umkreis, den sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln erreichen konnten. Ein Austausch mit Menschen aus weiter entlegenen Gebieten fand im Normalfall nur durch Handel oder Kriege statt. Erst mit der heute möglichen Mobilität haben sich die daraus ergebenden Möglichkeiten einer Weltsicht stark verändert und das Miteinander von Menschen aus weiter entfernt liegenden Gebieten stärker in den Fokus des aktuellen Interesses gerückt. 46 Welsch verwendet auch den Begriff ‚Kugeln‘, um die Abgeschlossenheit der Systeme zu verdeutlichen (Welsch, Wolfgang [2002]).

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the same environment over an extended period of time. Therefore, it is sociocultural adaptation or design for living that people have worked out in the course of their history.“47

Doch kann Kultur vor allem mit Hilfe historisch gewachsener Verhaltensformen definiert werden? Wer in Korea die Aufführung der traditionellen Ritualmusik des Jongmyo Jeryeak (㫛⵮ 㩲⪖㞛) hört, der kann dies als ‚koreanische Musik‘ etikettieren. Diese Zuweisung stimmt und stimmt auch wieder nicht. Zwar ist diese Musik Teil der koreanischen Geschichte, hat aber heute nicht mehr einen alltäglichen oder rituell im Alltag eingebundenen und von allen begreifbaren, sondern einen eher musealen Charakter. Sie ist zwar auch Ausdruck einer bestimmten geistigen Haltung, die teilweise auch heute noch den südkoreanischen Alltag bestimmt. Aber diese Zusammenhänge zu begreifen, fällt auch vielen Südkoreanern schwer, denn das Hören oder gar Musizieren dieser Form der Musik ist eher die Ausnahme.48 Außerdem ist sie auch nur rudimentär im Radio zu hören und ist auch nur im geringen Maße Teil der regulären (Schul-)Musikausbildung. Deswegen werden bei öffentlichen Aufführungen klassischer koreanischer Musik in den Pausen teilweise wie in einer Konzertpädagogik Erläuterungen nicht nur für die ausländischen Besucher, sondern auch für Koreaner(innen) gegeben. So nachvollziehbar daher die obige Kulturdefinition von Lee auf den ersten Blick scheint, so ist sie zur Definition in Zeiten einer beschleunigten, medialen Kommunikationen und ihrer gesellschaftlichen Folgen nicht geeignet. Lee Ki Sook definiert Kultur als relativ statischen Begriff. Zuzustimmen ist dieser Vorstellung insofern, als es Konstanten gibt, die in einem stark ritualisierten Verhältnis der Menschen untereinander, wie es in Südkorea der Fall ist, bis heute wirksam sind. Aber es gibt eben auch Veränderungen, die Südkorea nicht nur äußerlich verändern.49 Ihre Definition greift daher zu kurz. 47 Lee, Ki Sook (1996), S. 167. Die Autorin bezieht sich dabei auf eine Veröffentlichung von Ogbu, John Uzo (1987). 48 Vgl. dazu: Shin, Hyesu (2013). 49 Diese Veränderungen führen zu nicht unerheblichen Verwerfungen in Südkorea. Nur als ein – zugegeben dramatisches – Beispiel dafür sei die Krankheits- und Selbstmordrate angeführt. 2005 war Krebs die häufigste Todesursache in Südkorea. Jeden Tag starben 179 Südkoreaner an dieser Krankheit, was 26,7% aller Verstorbenen des Jahrs entsprach (Quelle: Statistisches Amt Südkorea nach KBS world Radio vom 18.09.2006). Die Selbstmordrate lag 2005 bei 24,7 Menschen je 100.000 Einwohner (Angaben nach F.A.Z., 22.02.2007, Nr. 45 / S. 7). 2010 lag sie bei 33,5 Menschen je 100.000 Einwohner (Quelle: http://www.oecd-ilibrary.org/sites/9789264090118-de/12/01/03/index. html; jsessionid=yptevwad4v8.x-oecd-live-02?contentType=&item Id=/con-tent/chapter/factbook-201-97-de&containerItemId=/content/serial/23073764 &acces-sItem Ids=

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1.3.1.2 Multikulturalität Multikulturalität bedeutet, dass mehrere soziale Strukturen einer Gesellschaft gleichzeitig nebeneinander bestehen können. Welsch kritisiert dies, da sich dahinter ein Kulturbegriff verbirgt, der die unterschiedlichen Kulturen homogen und nach außen abgegrenzt versteht. Denn sollte es nun zu Konflikten kommen, könnten sie dadurch nur innerhalb der kulturellen Grenzen gelöst werden. Eine Lösung durch die Vermischung der Kulturen, was ggf. ein Schritt zur Verständigung sein könnte, gelingt dadurch nicht. Ein solcher Kulturbegriff kann sogar zur Festigung kultureller Grenzen missbraucht werden.50 Eher positiv konnotiert Wolfgang Martin Stroh eine „multikulturelle Musikerziehung“ für Deutschland. Er geht davon aus, dass Multikulturalität die „Beschreibung eines Zustands“51 ist. Ziel einer Musikpädagogik müsse daher der mündige Bürger sein.52 1.3.1.3 ‚Kultur‘ als bedeutungsorientierter Begriff 1.3.1.3.1 Transkulturalität

Nach dem auch in der Musikpädagogik stark rezipierten Begriffsverständnis von ‚Transkulturalität‘, wie ihn Wolfgang Welsch in mehreren Beiträgen propagiert, werden Kulturen nicht als homogene, klar voneinander abgrenzbare Einheiten beschrieben, sondern als Netzdesign. 53 Kultur existiert nicht als Entität, sondern als

/content/book/9789264090118-de&mimeType=text/html [download vom 22.11.2013]) und hat danach zugenommen. Suizide kommen in allen gesellschaftlichen Schichten vor und können als Ausdruck enormen gesellschaftlichen Druckes gedeutet werden. Frauen sind stark davon betroffen, aber auch bei älteren Menschen ist die Rate stark gestiegen und nicht wenige Beobachter führen das auf die veränderten Lebensverhältnisse zurück, denen ältere Menschen nicht mehr folgen könnten, da die Wertvorstellungen, die sie erlernt haben, in relativ kurzer Zeit ihre Bedeutung verloren hätten. Auch in der Literatur schlägt sich das nieder. So beschreibt z.B. Hwang Sok-Yong in seinem Roman ‚Der ferne Garten‘ solch ein Nicht-Zurechtkommen mit der neuen Welt anhand der Geschichte eines Häftlings, der nach 17 Jahren wieder frei kommt und ein völlig neues Korea vorfindet, das nicht mehr seiner inneren wie äußeren Heimat entspricht. 50 Siehe dazu: Welsch, Wolfgang (2009). 51 Stroh, Wolfgang Martin (2011), S. 60. 52 Stroh führt das aus: „Ihr Ziel war, kurz gesagt, der musikalisch mündige Bürger. In einer multikulturellen Gesellschaft bedeutet dieses Ziel, dass eine Person in der Lage ist, die vorhandene Multikulturalität aktiv, bewusst, selbstbestimmt und sozial zu handhaben.“ (a.a.O., S. 60). 53 Welsch, Wolfgang (2002).

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dauerhafter Austausch von Inhalten, aus dem sich stets erneuernde kulturelle Ausdrücke erschließen. Kultur wird hier als ständige Kombination von verschiedenen Austauschprozessen gesehen. „Nur transkulturelle Übergangsfähigkeit wird uns auf Dauer noch Identität und so etwas wie Autonomie und Souveränität verbürgen können. Die Entdeckung und Akzeptanz der transkulturellen Binnenverfassung der Individuen ist eine Bedingung, um mit der gesellschaftlichen Transkulturalität zurechtzukommen.“54

Differenzierungen zwischen Menschen werden in seiner Konzeption nicht durch geographische, ethnische oder nationale Grenzen vorgegeben, sondern durch Austauschprozesse. Das „Konzept der Transkulturalität entwirft ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen. Nicht eines der Isolierung und des Konflikts, sondern eines der Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit.“ 55 Während der Welsche Transkulturalitätsbegriff prominent, wenn auch nicht unwidersprochen in zahlreichen Fachdiskursen als Vokabel für eine spezifische Verfasstheit der Welt und des Individuums optiert wurde, bleibt seine eigentliche Herkunft zumeist unbeachtet.56 1.3.1.3.2 Kultur als Gewebe aus Bedeutungen

Die ‚interpretatorische Wende‘ in der Ethnologie läutete Clifford Geertz, der Vertreter der reflexiven Anthropologie, ein. Kultur ist nach ihm „ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln.“57

Wie in einem Text hermeneutisch, so kann sich ein ethnologisch Forschender nur interpretatorisch einer Beschreibung annähern. Clifford Geertz schreibt: „Der Kulturbegriff, den ich vertrete und dessen Nützlichkeit ich in den folgenden Aufsätzen zeigen möchte, ist wesentlich ein semiotischer. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst

54 Welsch, Wolfgang (1995). 55 A.a.O. 56 Siehe dazu: Clausen, Bernd (2013), S. 16f. 57 Geertz, Clifford (1987), S. 46.

36 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN rätselhaft scheinen. Diese Ankündigung, ein Programm in einem Satz, bedarf jedoch selber der Erläuterung.“58

Menschen werden sich danach innerhalb eines Systems durch Handlungen, Sprache und Symbole miteinander auseinandersetzen können. Betrachtungen aus anderen Fachgebieten kommen zu ähnlichen Grundannahmen: Der Wirtschaftswissenschaftler Reiner Manstetten bezeichnet mit dem Begriff Kultur den „strukturellen Zusammenhang aller Denk-, Sprach-, Empfindungs- und Handlungsformen des Menschen.“59 Bei der Betrachtung der ökonomischen internationalen Zusammenarbeit kommen der Psychologe Philipp R. Harris und der Professor für internationales Management Robert T. Morgan auf acht Kategorien60, nach denen sich ein Verständnis der interkulturellen Zusammenarbeit beurteilen lässt. Dies sind (1) Kommunikation und Sprache, (2) Kleidung und Erscheinungsbild, (3) Essen und Essgewohnheiten, (4) Sinn für und Umgang mit der Zeit, (5) Zwischenmenschliche Beziehungen, (6) Religion und Weltbild, (7) Werte und Normen, (8) Arbeitsgewohnheiten und Arbeitspraktiken. 1.3.1.3.3 Kultur als Aushandeln von Bedeutungen

Der Soziologe Andreas Wimmer, der sich auf Michel Foucault und Pierre Bourdieu bezieht, vertritt ebenfalls einen dynamischen Kulturbegriff.61 Kultur sei „Resultat eines Prozesses des Aushandelns von Bedeutungen zwischen kulturell geprägten, aber zur reflexiven Hinterfragung und Innovation fähigen Individuen.“62 Letzteres sei insofern notwendig, als in vielen Ländern – so auch in Deutschland – der Anteil der nicht sprachlichen und seit vielen Jahrzehnten gewachsenen Gemeinschaften schnellen Änderungen unterworfen ist. So nimmt z.B. der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund zu. Zur kulturellen Verankerung von

58 A.a.O., S. 9. 59 Manstetten, Reiner (2000), S. 106. 60 Nach Harris, Philip Robert; Moran, Robert T. (2003), S. 4-7. Diese Einteilungen sind als Praxis-Parameter inzwischen recht beliebt. Zum Beispiel bezieht sich das PraxisTrainingsprogramm von Brüch, Andreas; Thomas, Alexander (2012) darauf. 61 Wimmers Aussagen stehen sicherlich in der Tradition von Geertz. Eine klare Nuancierung tritt aber darin zutage, dass bei Wimmer die Bedeutungsfindung noch mehr ein Akt interpersonalen Tuns ist, während bei Geertz zunächst die individuelle Interpretation, die sich aus geschichtlichen Bedeutungsvorgaben speist, im Mittelpunkt steht. 62 Wimmer, Andreas (2005), S. 13.

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Menschen in die örtliche Nachbarschaft kommen – je nach Zugang zu den technischen Möglichkeiten – auch die medialen Verortungen63 oder die schnelle und leicht mögliche Mobilität hinzu. Eine abgeschlossene staatliche Entität zu postulieren, sei nur noch möglich, wenn Fakten64 ausgeblendet werden. Kultur ist laut Andreas Wimmer ein Prozess, der sich in einem stets stattfindenden „Aushandeln von Bedeutungen“65 vollzieht. Er konstituiert sie anhand der drei Aspekte Habitus, kollektive Repräsentation und kulturelle Distinktion. Mit ‚Habitus‘ bezeichnet Wimmer eine verinnerlichte Kultur, was bedeutet, dass es Grundmuster und Ziele der Handlungen gibt, die ein Mensch aus dem Zusammenhang seines Lebens lernt. „Die Handlungs- und Denkschemata […] verinnerlichen eine Matrix, die aus dem eigenen Lebenszusammenhang über Lernprozesse erst aufgebaut [werden]. [Es sei]…davon auszugehen, daß der Habitus nach Maßgabe einer kulturunabhängigen und allgemein menschlichen Fähigkeit gebildet wird, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen und dabei die eigenen Interessen wahrzunehmen. Die Wahrnehmung dessen, was einem nützt, hängt tatsächlich von ersten Anpassungen an kulturelle Setzungen und der eigenen gesellschaftlichen Position ab; beide Vorgaben sind ja bereits im Habitus inkorporiert. Die Individuen sind jedoch dank dieser universalen Kompetenz in der Lage, ihre eigene Situation kritisch einzuschätzen und Strategien zu entwerfen, welche auch von den vorgegebenen kulturellen Mustern abweichen können […]. Der modifizierte Habitusbegriff ermöglicht es, zwischen einer Theorie zweckrationalen Handelns und dem Modell normativ-kultureller Prägung zu vermitteln, also gleichsam zwischen der Skylla des Materialismus und der Charibdis des Idealismus hindurchzusteuern.“66

63 Das kann bis hin in Zweitwelten im world wide web gehen, die nur noch indirekten Bezug zu der sozial-ökonomischen Welt haben. In China, Korea und Japan ist dies teilweise sehr weit gediehen. Menschen sind miteinander vernetzt, obwohl sie örtlich ggf. weit voneinander entfernt getrennt sind und dennoch miteinander in Beziehung stehen. Siehe dazu auch Hanerz, Ulf (1995), S. 64-84. 64 Danach hat zum Beispiel 2010 inzwischen jeder fünfte in Deutschland lebende Mensch einen Migrationshintergrund. Für Statistiker sind dies nach 1950 in Deutschland Eingewanderte oder Menschen mit einem nicht-deutschen Elternteil. Das sind etwa 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (aus: http://www.tagesschau.de/ inland/migranten112.html, eingesehen am 07.10.2011). 65 Wimmer, Andreas (2005), S. 16ff. 66 A.a.O., S. 33–34.

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Die Grundmuster werden konstruiert. Diese können, müssen aber nicht statisch sein, denn ein Mensch verändert Grundmuster, wenn er nur dadurch Lebenssituationen bewältigen kann. Als ‚kollektive Repräsentation‘ bezeichnet Wimmer eine öffentliche Kultur, in der Menschen die Bedeutungen ihrer Ideen, Taten und Worte untereinander aushandeln. Eine Kultur wird so immer aus prozesshaften Kompromissen bestehen, die Menschen miteinander abschließen.67 „Ein Kompromiß gründet also auf der Zustimmung der durch eine gemeinsame Öffentlichkeit aufeinanderbezogenen Akteure, denn moralische Kategorien und soziale Klassifikationen müssen für gültig befunden und für wahr genommen werden. Sie können nicht einfach von einem Machtzentrum definiert und durchgesetzt werden, wie es in gegenwärtigen Diskurstheorien behauptet wird, sondern müssen sinnvoll vom Interessenstandpunkt aller Betroffenen sein, um auf breiter Basis akzeptiert zu werden.“68

An anderer Stelle schreibt er: „Der Begriff des ‚kulturellen Kompromisses‘ erlaubt es also, die Verhandelbarkeit und Wandlungsfähigkeit des Kulturellen zu erfassen und somit totalisierende Kulturkonzepte zu

67 Ähnlich angelegt ist Dirk Baeckers Ansatz. In Baeckers Kulturtheorie ist der Beobachter per se Schöpfer einer Kultur, allerdings nicht im Sinne einer positivistischen Bestimmung und in Abgrenzung zum Naturbegriff, sondern durch eine Negation. Kultur „ist selber Natur, Technik und Gesellschaft, jedoch als deren Negativität und damit immer in einer begrenzten Reichweite. Kennzeichen des kultivierten Menschen ist nicht deren Einklang mit sich selbst, sondern dessen reflexive, um nicht zu sagen rebellische Unruhe.“ (Baecker, Dirk [2013], S. 12). Eine statisch festgelegte Identität des Menschen gibt es danach ebenso wenig wie eine festgelegte Kultur. Baecker führt seine Gedanken aus einer früheren Schrift weiter aus, in der er schrieb: „Wer sich kulturell für identisch hält, vergisst, dass er seine Identität aus dem Vergleich gewonnen hat und der und das Andere daher im Zentrum dieser Identität sitzt.“ (Baecker, Dirk [2001], S. 9). Danach konstituieren sich kulturelle Vorstellungen im Austausch und Vergleich mit anderen Menschen. In dieser Ansicht steht er Wimmer nahe. Doch Wimmers Ansatz eignet sich für diese Untersuchung besser, da er seine Gedanken an der Praxis bereits erprobt und aus ihr entwickelt hat und vor allem diese auch näher ausführt. Baecker selbst sagt auch über sein Buch: „Es lädt zu Anwendungen ein, die es selbst nicht versucht. […] Für mich persönlich markiert das Buch eine Schwelle, jenseits derer nur noch die Anwendung weiterführt.“ (Baecker, Dirk [2013], S. 10) 68 Wimmer, Andreas (2005), S. 35.

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relativieren, ohne andererseits beim Okkasionalismus interaktionistischer Ansätze zu landen.“69

Mit ‚kultureller Distinktion‘ geht nach Wimmer eine soziale Schließung einher. In jeder kulturellen Definition, auch in der durch Kompromisse gefundenen, muss immer auch die Einschließung bzw. Anschließung nach außen folgen. „Prozesse sozialer Schließung können zur Bildung von Klassen, Ethnien, Subkulturen, Geschlechtergruppen oder nationalen Großgruppen führen. Häufig werden die Grenzen zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ durch kulturelle Alltagspraktiken sichtbar gemacht. […] Wenn diese kulturelle Distinktion zum Kernelement des Wirgefühls einer Gruppe wird und sie sich als historische Abstammungsgemeinschaft versteht, also als Menschen gleicher Kultur und Herkunft, sprechen wir – wiederum in der Weberschen Begriffstradition – von Ethnien.“70 „Ethnizität ist deshalb als Folge sozialer Abschließungsprozesse zu werten, und nicht als Ausdruck kultureller Differenz.“71

Bei der Entscheidung über kulturelle Bedeutungen geht es zugleich um die Frage der Macht. Macht ist bei Andreas Wimmer, der sich hierbei auf Foucault bezieht, eine schöpferische, jedem Diskurs innewohnende Potenz, die „Subjektivität und Sinn überhaupt erst hervorbringt.“72 Durch diese Definition von Macht kommt es erst zu einem „schöpferischen Prozess“ und zu „einer Kompromissbildung zur Anschließung sozialer Gruppen und entsprechenden kulturellen Grenzmarkierungen.“73 Dabei versucht jeder der am Prozess beteiligte Teilnehmer, sei es eine einzelne Person oder eine Gruppe, die Kompromisse mit dem für ihn günstigsten Ziel auszulegen, indem er die eigenen Ansprüche als gerechtfertigt und moralisch darstellt, sodass der eigene Nutzen wie ein Allgemeinwohl erscheint. Die Menschen, die nicht an der Kompromissbeteiligung beteiligt waren, sind dennoch dessen Resultat unterworfen und treten Wertentscheidungen als externe Macht entgegen74,

69 A.a.O., S. 37f. 70 A.a.O., S. 40; in Südkorea stellen sich Gruppen durch Abschließungssymbole, z.B. durch das Tragen von Firmenlogos, starke Gruppenbildung, die durch die Durchführung gemeinsamer Riten gestärkt wird, u.a. dar. 71 Wimmer, Andreas (2005), S. 41. 72 Wimmer, Andreas (1996), S. 406. 73 A.a.O., S. 413. 74 Wimmer sagt weiter: „In diesem eingeschränkten Sinne sind Macht und Diskurs tatsächlich so eng miteinander verschränkt, wie dies in der Foucaultschen Theorie vorgesehen ist.“ (a.a.O., S. 416)

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die andere Wege gehen können und dabei eigene, verborgene Wertigkeiten aufstellen.75 Letztlich steht bei Wimmers Definition der Kontraktualismus Pate, wie ihn in ähnlicher Form bereits Jean Jacques Rousseau 1762 als ‚contrat sociale‘ vorgelegt hatte. Die Art und Weise, wie Absprachen getroffen werden, sind in den jeweiligen Kulturgegenden unterschiedlich. So gilt z.B. bei einigen Menschen der Handschlag, bei anderen die schriftliche Abmachung, bei wieder anderen die aus einer Beziehung heraus gewachsene Abmachung innerhalb einer Hierarchie. Dies ist z.B. innerhalb Südkoreas der Fall. Hier existieren untereinander viele, auch nicht diskursiv erörterte Abmachungen und Verpflichtungen aus Beziehungsgeflechten. Dieser Wimmersche Dreischritt zum Aushandeln von Bedeutungen als erlernte Schemata (Habitus), als das Aushandeln von Bedeutungen in prozesshaften Kompromissen (kollektive Repräsentation) und als die Neuziehung von relativen Grenzen (kulturelle Distinktion) bildet den theoretischen Rahmen dieser Untersuchung. Danach ist zu untersuchen, ob eine methodische Konzeption, die in Deutschland und Österreich entwickelt worden ist und die jetzt in Südkorea angewendet wird, gleich oder anders gedeutet wird. Es ist zu erforschen, ob es sich tatsächlich um ein Aushandeln von Bedeutungen handelt. Ob zum Beispiel die Personen, die die musikalische Früherziehung im Sinne von Orff in Südkorea anwenden, über Methoden in der Form, wie es Lehrer(innen) nach deutschen Maßstäben professionell tun (sollten), reflektieren. 1.3.1.3.4 Hybridität und Transdifferenz

Mit Hybridität ist eine gemischte Form gekennzeichnet, die aus der eigenen und der fremden Identität gebildet wird. Die hybride Form geht dabei über diese beiden hinaus (und ist darin mit dem Begriff der ‚Transkulturation‘ verwandt). Wie

75 Wimmer stellt dazu folgendes fest: „Die Ausgeschlossenen werden deshalb jedoch nicht zu Gehilfen ihrer eigenen diskursiven Entmachtung. Denn gemäß der hier vertretenen Auffassung sind Diskurse nicht Subjekte eigener Ordnung, welche sich der Menschen zu bedienen vermögen. Vielmehr entwerfen die Individuen diskursive Strategien, um ihre wahrgenommenen Interessen zu vertreten. Die von der Öffentlichkeit verdrängten Gruppierungen entwickeln ihre eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht, ihre eigenen Weltdeutungen und Klassifikationen – sie können auch mittels Sanktionsgewalt nicht zur Anerkennung der Legitimität einer Ordnung gezwungen werden. Bei Begegnungen mit den Herrschenden mimen sie zwar vielleicht eine Zustimmung zur herrschenden Kultur. Aber in den sozialen Räumen, die ihnen allein zugänglich sind, formulieren sie jenen verborgenen Gegendiskurs, den der Politologe James Scott (1990) als ‚hidden transcript‘ bezeichnet hat.“ (a.a.O., S. 416)

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die Form gemischt wird, durch Aushandeln oder durch Machtausübung, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Doch gerade um die Ausschaltung von Macht im Dialog geht es Homi K. Bhabha. Er entwickelt seine These von Hybridität in der kulturellen Begegnung anhand der Orient-Okzident Begegnung.76 In seiner postkolonialen und poststrukturellen Sichtweise gibt es keine essentialisierende Kultur77, denn eine kulturelle Differenz kommt erst in einer kulturellen Äußerung zustande und hat dabei schon verfremdende Elemente in sich. Sie ist eine „interne Differenz, die jeder kulturellen Äußerung innewohnt.“ 78 Damit gibt es keine Differenz zwischen zwei Kulturen, sondern nur innerhalb einer kulturellen Äußerung. Eine Differenz kann nach Bhaba nicht von der Grenze der eigenen zu anderen Kulturen definiert werden, sondern eine Differenz trennt Kultur vom Zentrum aus.79 Dadurch entsteht eine Mischung der eigenen mit einer fremden Identität, die dabei über diese beiden hinausgeht. „Hybridität hat keine derartige Perspektive von Tiefe oder Wahrheit zu bieten: sie ist kein dritter Begriff, der die Spannung zwischen zwei Kulturen oder die beiden Szenen des Buches in einem dialektischen Spiel der ‚Erkenntnis‘ auflöst“, sondern „Hybridität ist der Name für diese Deplatzierung des Wertes vom Symbol zum Zeichen, die zur Aufspaltung des dominanten Diskurses entlang der Achse seines Vermögens führt, repräsentativ, autoritativ zu sein.“80

76 Die westlichen Repräsentationen des Orients, so ist Bhabas These, haben eine grundlegende Ambivalenz gegenüber dem ‚Anderen‘. Das ‚Andere‘ sei für dieses Menschen „zugleich ein Objekt des Begehrens und der Verachtung […]. Dazu gehört die Faszination des exotischen Fremden ebenso wie die furchteinflößende Fremdheit des Anderen. Dem Abspaltungsprozess des Anderen durch die Festschreibung von Differenzen ist damit immer auch schon inhärent, dass sich die binären Kategorien nie in jenes komplementäre und damit trennscharfe Verhältnis zueinander bringen lassen, das man sich von ihnen verspricht. Die Identitätspolitik der Zuschreibung muss immer mit einer Unsicherheit rechnen, die als Ambivalenz – als Hybridität (Bhaba 1994) – auf sie zurückfällt.“ (Dannenbeck, Clemens [2002], S. 48; mit „Bhaba 1994“ bezieht er sich auf Bhabha, Homi K., The Location of Culture. London 1994) 77 Er sagt weiter: „Kulturen sind niemals in sich einheitlich, und sie sind auch nie einfach dualistisch in ihrer Beziehung des Selbst zum Anderen.“ (Bhabha, Homi K. [2000], S. 54) 78 Bronfen, Elisabeth; Marius, Benjamin (1997), S. 12. 79 In Abgrenzung dazu werden laut Bhaba Herrschaftsdiskurse durch die Vorstellung einer Homogenität gekennzeichnet. 80 Bhabha, Homi K. (2000), S. 168.

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So entsteht zwischen Identität und Differenz ein dritter Raum. In ihm können sich Differenzen außerhalb einer Hierarchiebildung treffen. Solch eine Hierarchielosigkeit ist nach Bhaba eine Grundvoraussetzung für Hybridisierung. Erst in diesem dritten Raum können Bedeutungen ausgehandelt werden und „Strategien – individueller oder gemeinschaftlicher – Selbstheit ausgearbeitet werden.“81 „Hybridität ist für die Kultur, was Dekonstruktion für den Diskurs ist: das Transzendieren binärer Kategorien. Eine weitere Beschreibung von Hybridität ist Dazwischensein. Die Anerkennung der Zwischenräume und -fugen heißt, über Dualismus, binäres Denken und aristotelische Logik hinauszugehen. Methodisch ist dies das Kennzeichen des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion; […] In seinem konstruktiven Sinn beinhaltet dies ein tiefgreifendes Moment kollektiver Reflexivität, die das Bewusstsein, dass Grenzen historische und soziale Konstruktionen sind, einschließt; sie sind außerdem kognitive Barrieren, deren Gültigkeit von epistemischen Ordnungen abhängt, die letztendlich arbiträr oder zumindest kontingenter Natur sind.“82

Zunächst ist die Idee einer Hybridität nicht neu, denn jeder Wandel erzeugt zwangsläufig Hybridität, will sie denn Wandel sein: Neues muss mit Altem in einen Einklang oder zumindest in einen Kompromiss gebracht werden. Bhaba kommt aber in seiner Kritik aus einer speziell postkolonialistischen Denkweise 83 und somit spielt hier die Frage der Macht eine Rolle. Seine Konzeption ist theoretisch nachvollziehbar und vor allem bezüglich seiner Vorstellung eines hierarchiefreien dritten Raumes zum Aushandeln von Bedeutungen interessant. Sein Modell ist auch dazu geeignet, um absolut gesetzte Kulturbegrifflichkeiten zu dekonstruieren und dadurch die Macht solcher Setzungen zu relativieren. Aber im Rahmen dieser Untersuchung ist sie schwer ein- bzw. umsetzbar. Das liegt vor allem in

81 Bhaba, Homi K. (1997), S. 124. 82 Pieterse, Jan Nederveen (2005), S. 425. 83 Diese Denkweise setzt – obwohl sie hybrid ist – den ‚Gegner‘, also die Vorstellung einer essentiell reinen Kultur voraus. „Die auch von Edward Said postulierte Behauptung, ‚[a]lle Kulturen sind hybrid, keine ist […] [rein] […], keine bildet ein homogenes Gewebe‘ wird u. a. von Terry Eagleton aufgegriffen, der darauf hinweist, dass ‚Hybridisierung Artenreinheit voraussetzt. Streng genommen kann man nur eine Kultur hybridisieren, die rein ist‘; er räumt jedoch – wiederum mit Said – ein, dass ‚alle Kulturen miteinander verwoben [sind], keine ist vereinzelt und rein, alle sind hybrid, heterogen, hochdifferenziert und nicht monolithisch‘.“ (Wolf, Michaela [2008]. Die von ihr verwendeten Zitate stammen aus Eagleton, Terry [2001], S. 26 und Said, Edward [1997], S. 37).

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seiner poststrukturellen Sichtweise. Erziehung wird stets eine mindestens dynamisch-normative Vermittlung von Objektivationen und Objektivierungen im Sinne Straubs sein müssen, will sie denn ihre Legitimation als allgemeingültig anerkannter Prozess behalten. Dass diese in einem hierarchiefreien dritten Raum, in dem Bedeutungen stetigem Wandel unterworfen sind, ganz oder teilweise stattfinden könnte, ist zu bezweifeln. Wie ein steter Bedeutungswechsel ohne mittelfristige Bedeutungssicherheit in einem pädagogischen Prozess zur Grundlage werden und aus ihm methodisch-didaktische Schritte abgeleitet werden könnten, ist dem Autor zumindest derzeit nicht plausibel. Kultur als dauerhaft zeit- und ggf. ortloses und nur im Moment definierbares Phänomen kann die Realität eines Prozesses treffen, ist aber für einzelne Menschen nur schwer auszuhalten. Denn es bleibt die Frage, ob sich Menschen – wenn sie nicht von außen ohnehin einer kulturellen Identität zugeordnet werden – nicht von selbst einer Identität zuordnen wollen.84 Ein permanenter bewusster Aufenthalt im dritten Raum, „im ständigen wechselseitig offenen fluiden Prozess des Werdens, Wandels und Vergehens auf Mikro- Meso- und Makroebene“85 kann zu Heimatlosigkeit führen. Auch wenn dieses Modell der Hybridität eine Wirklichkeit darstellen kann, da jede Kultur sich wandeln kann und dann hybride wird,

84 Siehe dazu auch die Kritik an Bhabas Konzept z.B. durch Hepp, Andreas (1999), S. 57. 85 Kim, Ji-Hye (2011), S. 38. Kim, Ji-Hye, die sich mit der Identitätsbildung einer koreanischen konnotierten Musik (Samulnori) im deutschen Kontext beschäftigt, weist ebenfalls immer wieder auf die Machtfrage hin, die in vielen Kulturvorstellungen nicht hinreichend behandelt oder beantwortet wird. Es widerspricht ihrem demokratischen Vorverständnis, das auf Gleichheit in Fragen der Macht abzielt, dass bei fast allen kulturellen Konzeptionen ein Ungleichgewicht zwischen den handelnden Personen beibehalten wird. Dagegen setzt sie ein „Zusammenspiel von Intersektionalität und Transdifferenz“ (a.a.O., S. 58). Ihre Ideen sind dabei idealistisch gedacht, z.B.: „Das Verstehen und Verständnis anderer Kulturen basiert weder auf der These der westlichen Universalität noch auf ökonomischem Interesse, noch auf der kulturrelativistischen Vorstellung.“ (a.a.O., S. 54). Obwohl ihre Ideen als Gedankenmodell nachvollziehbar sind, ist es als praktizierbares Modell ungeeignet. Denn die Idee, dass „westliche Musik“ nicht universell ist, ist allein schon faktisch falsch; europäische und amerikanische Popmusik ist – mit ein paar Ausnahmen – in fast allen Winkeln der Welt zu hören und die Medienbranchen haben ein Interesse an ihrer Vermarktung. Damit soll nicht eine Normativität des Faktischen propagiert werden, sondern Kim, Ji-Hyes Aussagen als eine Zielvorstellung anerkannt werden, die unter den gegebenen Umständen idealistisch ist. Pädagogik aber geschieht aus den realen Gegebenheiten heraus, auf die sie Rücksicht zu nehmen hat.

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kann sie in dieser Form nicht in gleiches didaktisches Handeln umgesetzt werden. Ein dauerhafter, prozessualer Wechselzustand86 ist für Kinder in einer musikalischen Früherziehung ungeeignet. Denn er kann kein Identitätsgefühl und damit eine Sicherheit hervorbringen.87 Anders gesagt: solange dem Begriff der Hybridität nicht eine Methode an die Seite gestellt wird, durch die ein Mensch bei allem Wechsel dennoch ein Identitäts- und Heimatgefühl aufbauen kann, bleibt sie – pädagogisch gesehen – fragwürdig. Ohne vorgegebene Werte und Normen, die jeder Mensch dann wiederum auch ändern kann, ist es kaum möglich, Charakteristika darzustellen. Doch jede Festlegung kann schon als eine Essentialisierung aufgefasst werden und dies würde einen hybriden Charakter von Kultur zunichtemachen. Dennoch ist Bhabhas Sichtweise bedenkenswert, da sie einen Perspektivwechsel hervorruft. „Theoretisch innovativ und politisch entscheidend ist die Notwendigkeit, über Geschichten von Subjektivitäten mit einem Ursprung oder Anfang hinaus zu denken und sich auf jene Momente oder Prozesse zu konzentrieren, die bei der Artikulation von kulturellen Differenzen produziert werden.“88 Zudem ist der Gedanke an Hybridität als stetes Memento dann hilfreich, wenn es um die Relativität von Grenzziehungen und Identitäten geht. 89 Während Bhaba als Vertreter der Sichtweise eines hybriden Kulturverständnisses zwar binäre Sichtweisen dekonstruiert, aber den dritten Raum konstruiert,

86 Eine solchermaßen aufgefasste Hybridität kann die Situation in immer wieder wechselnden Orten schnell handeln müssenden Menschen beschreiben, nicht jedoch die Situation aller Menschen. Das Sprach- und Wertesystem von Menschen, die sich weitgehend an einem Ort aufhalten, wird sich zwar ebenfalls schneller ändern als in den Jahrhunderten davor, jedoch im Gegensatz zu international agierenden Menschen sehr viel langsamer. Die Erfahrung des Wertewandels wird von den jeweiligen Gruppen unterschiedlich wahrgenommen werden; negativ, wenn sie keine Geborgenheit hervorruft oder positiv, wenn sie bessere Begegnungen ermöglicht. 87 Michaela Wolf beschreibt es vergleichbar: „Als Zwischen-Raum, als Übergang, durch dessen Vorstellung ‚Unverträgliches, Verschwiegenes, Unbewusstes ansichtig wird‘, ist er nicht als statische, identitätsstiftende Einheit aufzufassen, sondern als Prozess: ‚Ein Ort lässt sich beschreiben, seine Geschichte aber muss immer wieder neu geschrieben werden‘.“ (Wolf, Michaela [2008]) 88 Bhaba, Homi K. (1997), S. 124. Es ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung zu untersuchen, wie dies im Erziehungsalltag umzusetzen wäre. Doch es wäre sicherlich lohnenswert und würde Bhabas Ideen einem Realitätstest unterziehen. 89 Pieterse, Jan Nederveen (2005), S. 426.

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gehen Vertreter der Transdifferenz, die ebenfalls zunächst Begrifflichkeiten dekonstruieren, noch einen Schritt weiter. Solveig Mill definiert Transdifferenz: [Sie ist] „überall dort zu verorten, wo die Bestimmung von Identität nicht eindeutig möglich ist, oder genauer, wo diejenigen Aspekte von Identität, die sich (oft aus machtpolitischen, der gesellschaftlichen Vormachtstellung gehorchenden Gründen) der exakten Zuordnung entziehen, überschrieben oder unterdrückt werden.“90

In der Sichtweise der Transdifferenz werden Wahrnehmungen, Prozesse und Deutungen zwar miteinander in eine Beziehung gesetzt, aber nebeneinander gesehen und die Unterschiede nicht aufgelöst. Der Widerspruch bleibt bestehen. 91 Transdifferenz wird durch die „Gleichzeitigkeit, in der die Sinnkonstituierenden mehreren Sinnwelten angehören, sich also zugleich innerhalb von mehreren Realitätsbereichen befinden“ umschrieben und ist ein Prozess, in dem „mit Ungewissheiten, Unentscheidbarkeiten und Widersprüchen umgegangen werden, die aus der gegenseitigen Inkohärenz und Inkonsistenz der involvierten Sinnelemente resultieren.“92 Damit dies nicht zur Ortlosigkeit führt, muss jeweils auf Zeit eine Übereinkunft erzielt werden. Das setzt voraus, dass sich Menschen in stetem Dialog über die Wertbedeutungen klar werden müssen. Das bedeutet wiederum eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit zur Kommunikation, was zur Frage führt, wieviel Kommunikation und vor allem wieviel schnellen Wandel Menschen vertragen können. Im pädagogischen Rahmen kann (muss aber nicht) lang anhaltende Ortlosigkeit eher Verlorenheit denn Anstoß zum Eigenkonstruieren und Kommunizieren bedeuten. Daher sind Deutungen stets zu begründen und müssen hinterfragbar und auswechselbar bleiben. 1.3.1.4. Zusammenfassung und Stellungnahme zum Kulturbegriff In diesem Abschnitt wurden verschiedene Kulturbegriffe skizziert. Als Ausgangspunkt fungierten die von Barth herausgearbeiteten ethnisch-holistischen und bedeutungsorientierten Kulturbegriffe. Davon ausgehend wurde Kultur beleuchtet als x holistisch, historisch dauerhafte und integrierte Grundvorstellung (Rezeption von Herder). x eine historisch gewachsene Verhaltensform (Lee).

90 Mill, Solveig (2005), S. 431. 91 Vgl. dazu auch Lösch, Klaus (2005), S. 252 f. 92 Srubar, Ilja (2009), S. 129.

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x ein Nebeneinander unterschiedlicher Lebenswelten innerhalb einer Gesellschaft (Multikulturalität). x eine Konstruktion durch eigene Bedeutungen, die ein Mensch dem Geschehen um sich herum gibt (Geertz). x ein Strukturzusammenhang der Denk-, Sprach-, und Handlungsformen (Manstetten). x eine durch acht Kategorien beschreibbare Vorstellung (Morgan und Harris). x durch Aushandeln zwischen den Akteuren entstandene Bedeutungseinheiten (Wimmer). x ein hybrides Konstrukt, in dem im hierarchiefreien dritten Raum Bedeutungen ausgehandelt werden (Bhaba). x das Aushalten von Differenzen bei zeitlich befristeten Bedeutungsaushandlungen (Transdifferenz). Konstitutiv für alle Kulturbegriffe ist die Feststellung, dass dabei eine Abgrenzung einer Gruppe oder eines Individuums gegenüber anderen Gruppen oder Individuen hergestellt wird. Denn um etwas zu benennen, muss es gegen anderes abgegrenzt werden. Angenommen, es gäbe so etwas wie eine Essenz von Kultur, dann wird die Abgrenzung in aller Regel stärker ausfallen, da bei Differenzerfahrungen unterschiedliche Deutungen, deren Setzungen nicht so einfach verhandelbar sind, direkt aufeinander treffen. Da die Identität eines Menschen von der Auslegung seiner kulturellen Einbettung mitbestimmt wird, würde durch eine Hinterfragung der Essenz einer Kultur auch die Identität eines Menschen hinterfragt werden. Sich darauf einzulassen, ist weitaus schwerer als bei einem Menschen, in dessen kulturellen Zusammenhängen die Freiheit des Hinterfragens schon erlernt und geübt wurde. Bei der Konstruktion eines eher hybriden Kulturbegriffes sind die Grenzen fließender, müssen aber auch hier zur Benennung definiert werden, was wiederum den hybriden Charakter angreift. Sich einer Kultur zugehörig zu fühlen, bedeutet auch, sich ihrer Repräsentationen zu bedienen, um daraus in Interaktion, Annahme oder Verweigerung die eigenen Wesensmerkmale zu entwerfen. Verhalten, Denkweisen, Vorstellungen, Kunst usw. werden so konnotiert, dass sie dem Großteil der einer Kultur zugehörigen Menschen verständlich erscheinen. Das Verständlich-Machen-Können und das Verstehen sind wiederum Grundlage für die Ausbildung einer Identität.93 Das

93 Der Begriff ‚Identität‘ ist danach dynamisch aufzufassen. Er vermag nur für eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Rahmen Charakteristika hervorzuheben. Dies entspricht in etwa der Definition von Fürstenau und Niedrig, die den Begriff im Rahmen

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kann für den Augenblick wie ein geschlossenes System erscheinen. Doch jede Aktion bewirkt auch Veränderung, sodass ein scheinbar geschlossenes Kultursystem immer in Veränderung begriffen ist, wobei das Tempo sehr unterschiedlich sein kann. Insofern ist jede Kultur auch hybrid. Dorothee Barth stellt dazu fest: „Die weltweiten Modernisierungsprozesse müssen anerkannt und jeder Kultur zugebilligt werden. Der Erhalt von Traditionen hängt nicht nur von ihrer Überlieferung ab, sondern auch davon, ob sie in sich in veränderten Umwelten bestätigen, überflüssig werden oder modifiziert werden können.“94

Für diese Untersuchung eignet sich der Kulturbegriff von Wimmer, weil durch ihn die unterschiedlichen kulturellen Bedeutungen beschrieben werden können und damit auch die Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Handelns erfasst werden können. Kultur ist demnach ein Geflecht, innerhalb dessen Denken und Handeln von Menschen geschieht. Dieses Geflecht ist heterogen und normativ-dynamisch, d.h. es stellt zwar punktuell eine Norm dar: Doch diese Norm ist verhandelbar und ständigem Wandel unterworfen. Normen und Wandel (oder die Beibehaltung von Werten) werden sozial konstruiert bzw. ausgehandelt und sind nicht etwas dauerhaft Essentielles, Wesenhaftes („doing culture“, nicht „being culture“95). Dieses Aushandeln geschieht in Machtbeziehungen. Der Betrachtungsweise kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Wenn die Handelnden sich (kulturelle) Differenzen eingestehen, so sind – wie Bhabha schrieb96 – diese Prozesse zu beleuchten.

ihres Aufsatzes über Selbstverortungen jugendlicher Transmigrant(innen) definieren: : „[…] wird der Begriff der Identität, der durch die Dekonstruktion der Vorstellung von einem einheitlichen Subjekt in Frage gestellt worden ist, inzwischen in der Regel unter Vorbehalt benutzt. Der Begriff ‚Selbstverortung‘ im Titel versteht sich als Versuch einer begrifflichen Konkretisierung unseres Untersuchungsgegenstands hinsichtlich des eher vagen und umstrittenen Identitätsbegriffs. Ausgehend von der poststrukturalistischen Sprachtheorie soll ‚Identität‘ als nachträglicher Effekt diverser (willkürlicher und temporärer) Positionierungen innerhalb eines diskursiven Repräsentationsprozesses gefasst werden.“ (Fürstenau, Sara; Niedrig, Heike [2007], S. 248) 94 Barth, Dorothee (2000). 95 Der Begriff ‚doing culture‘ bezieht sich auf das Konzept von Garfinkel und Sacks, wodurch methodisch eine Analyse von Alltagspraktiken umschrieben wurde. (Sacks, Harvey [1984]); vgl. dazu auch Hörning, Karl Heinz; Reuter, Julia (2004). 96 Bhabha, Homi K. (1997), S. 124.

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So sehr sich die Definition von Kultur an Andreas Wimmers Vorstellungen auch orientiert, so werden die darin implizierten Fragestellungen auf die hier vorliegende Untersuchung zugeschnitten werden müssen: Gibt es in Südkorea so etwas wie ein Aushandeln von Deutungen zu Kompromissen? Dieser Frage folgt unmittelbar jener nach den Machtbezügen: wer setzt in einem Kompromiss die eigene Bedeutungshoheit erfolgreich durch? Da dieser Prozess in Kontexten eingebunden ist, führt das zu der Frage, durch welche Umstände kulturelle Bedeutungen in Südkorea bestimmt werden. Denn erst auf der Grundlage dieses Verständnis wird ein ursprünglich in Deutschland entstandenes musikpädagogisches System auch in Südkorea mit Sinn gefüllt werden. Dadurch ist nach der Rolle der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff im Sinne einer positiven Resignifizierung97 zu fragen. Welche Bedeutungen werden ihr im ursprünglichen Sinn und in Südkorea zugewiesen? Wo gibt es Übereinstimmungen und wo gibt es Differenzen? Daraus wird sich auch ableiten lassen, ob es sich bei dem hier beschriebenen Prozess überhaupt um einen Transfer handelt. 1.3.2 Interkultureller Musikunterricht Der ursprünglichen Aufgabenstellung, die musikalische Früherziehung so zu lehren, dass sie die südkoreanischen Lehrer(innen) in Südkorea unterrichten können, wohnt bezüglich der Rezeption im jeweiligen Land ein zwangsläufiger Vergleich inne. Dabei lohnt es sich, zunächst den Begriff des ‚interkulturellen Musikunterrichtes‘ zu beleuchten, wobei die Begriffsvielfalt hier nicht weiter ausgeführt wird. Wenn in deutschsprachigen Publikationen von interkulturellem Musikunterricht

97 Der Begriff ‚Resignifizierung‘ bezieht sich auf Judith Butler. Ihrer Ansicht nach gibt es keine direkte Wiederholung von einem Tun, weil durch Wiederholung Differenz entsteht. Denn die handelnden Personen wie der Kontext des Geschehens ist stets ein anderer. Sie spricht im Sinne eines Dekonstruktionalismus: „Die kritische Aufgabe besteht [...] darin, Strategien der subversiven Wiederholung auszumachen, [...] und die lokalen Möglichkeiten der Intervention zu bestätigen, die sich durch die Teilhabe an jenen Verfahren der Wiederholung eröffnen, [...] und damit die immanente Möglichkeit bieten, ihnen zu wiedersprechen.“ (Butler, Judith [1991], S. 216). Ihre Ideen ins Positive gewandt bedeutet dann zu erforschen, wie ein Geschehen in einem bestimmten Kontext zu einem bestimmten Zeitpunkt von Personen gedeutet werden kann. Denn auch wenn Butler dekonstruiert, so wird sie nicht darum herum kommen, irgendwann Deutungen zuzulassen. Resignifikationen sind Umdeutungen und kommen somit nicht ohne Setzungen in der Aneignung aus. Diese können allerdings laut Butler nicht wiederholt werden.

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die Rede ist, so bezieht sich das in der Mehrzahl der Fälle auf den Musikunterricht an deutschen Schulen, dem eine Musik oder gar ein Musikunterricht, der aus einem anderen kulturellen Umfeld stammt, gegenüber gestellt wird. 98 Hier wird quasi umgekehrt der Musikunterricht aus dem deutsch-österreichischen Umfeld zum ‚fremden‘ Unterricht, dessen Weg nach Südkorea beleuchtet wird. Insofern ist beides eine interkulturelle Bewegung und von daher sind Fragen zur interkulturellen Musikpädagogik von Bedeutung. Je nachdem, welche Begriffsdefinition von Kultur ein Mensch internalisiert hat, wird er auch pädagogische Aktivitäten bewerten. Im Folgenden werden Modelle, aus deren Tradition in Zustimmung oder Ablehnung Methoden und Ziele dieser Arbeit entwickelt wurden, skizziert.99 Denn wenn ein Lehrsystem transferiert werden soll, werden darin immanent auch geistesgeschichtliche Anschauungen transferiert werden. Ob sie in der Rezeption auch so gedeutet werden, ist dann erst noch zu erforschen. 1.3.2.1 ‚Ausländerpädagogik‘ Seit den 1970er Jahren wurde in der westdeutschen Bundesrepublik Deutschland deutlich, dass es notwendig war, sich stärker mit den Bedingungen und Umständen von Menschen auseinanderzusetzen, die durch Anwerbemaßnahmen der deutschen Industrie in den 1960er Jahren aus anderen Ländern hergekommen waren. In der Erziehungswissenschaft fand diese Auseinandersetzung unter dem Label ‚Ausländerpädagogik‘ statt. Dahinter stand eine Defizittheorie, denn es wurden kognitive, soziale oder psychische Mängel der nicht-deutschen gegenüber den deutschen Kindern wahrgenommen. Nicht selten wurde dann von ausländischen versus einheimischen Kindern gesprochen. Die Ursachen der vermeintlichen Defizite wurden in der Familie und in ihrer Herkunft verortet. So wurden Maßnahmen entwickelt, diese Kinder in das Lebensumfeld der damaligen Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die Ausländerpädagogik verfolgte klar kompensatorische Ziele, wodurch die Kinder einerseits in einen vorgestellten deutschen Kulturraum aufgenommen bzw. darin assimiliert werden sollten, andererseits auch ihre Rückkehrfähigkeit erhalten bleiben sollte. Diese doppelte Zielsetzung wurde im Laufe der Zeit umgedeutet, indem diese Pädagogik nicht nur als Kompensation von Defiziten aufgefasst wurde, sondern die Auffassungen aus den Herkunftsländern der Familien ebenfalls berücksichtigt wurden. Oftmals blieb es dabei aber bei

98 Beispiele dafür sind die Studien von Merkt, Irmgard (1983) oder näher an dem hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand die Untersuchung von Ham, Hee-Ju (1990). 99 Einen guten Überblick und wesentlich ausführlicheren Ausblick zum Thema gibt Knigge, Jens (2013).

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einer recht statischen Auffassung von Kultur. Ein dynamischer, prozesshafter Aspekt fehlte diesem Denken und Handeln. Lange Zeit hielt sich das Motiv, die Kinder in eine gedachte deutsche Monokultur zu integrieren, wobei der Spracherwerb meist im Vordergrund stand. Letztlich erwies sich das als zu kurz gedacht. Für alle sichtbar hatte die Ausländerpädagogik nicht den erwünschten Erfolg, weil die Kinder oftmals im dreigliedrigen westdeutschen Schulsystem Haupt- und ggf. Realschulen besuchten, keine höheren Abschlüsse erreichten oder ganz ohne Abschluss blieben.100 Der Ausländerpädagogik lag also die Idee zugrunde, dass Menschen in ein bestehendes Ganzes integriert werden sollten. Integrieren heißt etwas, was noch nicht Teil eines Ganzen ist, in das Ganze hinein zu fügen.101 Negativ gedeutet bedeutet das, das dem Ganzen noch Fremde so zu integrieren, dass es

100 Merkt, Irmgard (1983), S. 23 und öfter. 101 Hinter den Bemühungen um eine Integration stand, dass sie es Menschen erleichtern sollte, in einen ihnen ursprünglich fremden Bereich gut leben zu können. In der Presse wird über den Erfolg von Integration oft nach Nationalitäten unterschieden ganz verschieden berichtet. Dabei gelten in der Regel „die Koreaner“ als besser integriert als Menschen, die nicht integriert in Parallelgesellschaften leben: „Die Koreaner, die wie er in Deutschland geblieben sind, gelten als sehr gut integriert, ihre Kinder als erfolgreich.“ (aus dem Artikel: Rosen, Björn, Bergarbeiter in Deutschland: Aufbauhelfer, Tagesspiegel vom 25.03.2014, http://www.tagesspiegel.de/themen/korea-2014/bergarbeiter-indeutschland-aufbauhelfer/9653120.html [download vom 2.5.2014]. Dagegen hört es sich 2007 gegenüber den nach Deutschland Einwandernden so an: „Eigentlich klingt es ganz plausibel. Wir haben zwar ein Problem, dafür aber auch gleich eine Diagnose. Das Problem heißt Migration, und die Diagnose lautet: mangelnde Integrationsbereitschaft. Konkreter: Wer nach Deutschland einwandert (offenbar nur noch Menschen aus der Türkei oder aus arabischen Ländern), der wandert gar nicht wirklich in die deutsche Gesellschaft ein. Stattdessen sucht er sich seinen Platz in migrantischen Parallelgesellschaften. Und die sind vor allem eines: bewusst nichtdeutsch.“ (Kaschuba, Wolfgang, Wie Fremde gemacht werden Artikel im ‚Tagesspiegel‘ vom 14.01.2007; http://hi-stor-age.com/texte/tagesspiegel_parallel.pdf [download vom 8.1.2009]). Dass es bei den nach Deutschland migrierten, ursprünglich aus Korea stammenden Menschen ebenso ‚Parallelgesellschaften‘ gibt, z.B. in kirchlichen Vereinigungen u.a. wird nicht berücksichtigt. Integriert gilt danach vermutlich jemand, der nicht gegen die Gesetze verstößt, nicht allzu auffällig ist und erfolgreich strebend ist im Sinne gerade geltender Werte wie z.B. höhere Bildungsabschlüsse oder beruflicher und sozialer Erfolge.

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sich den Abläufen des Ganzen anpasst, wodurch es etwas verliert, also letztlich eine Assimilation.102 Etwas positiver formuliert: „Das Ziel ist dessen Integration in das Eigene, mit der Aussicht auf eine erweiterte Erfahrung und Erkenntnis über diesen Gegenstand. Das Fremde wird damit in seiner Eigenständigkeit abgeschwächt, da es nunmehr zu etwas Begreifbarem gemacht wird.“ 103

1.3.2.2 Pädagogik im ‚Differenzmodell‘ Differenz bedeutet das Vorliegen von Verschiedenheit und Unterschied. Bei einem Differenzmodell wird davon ausgegangen, dass Unterschiede nicht in einer gemeinsamen Lösung durch das Recht des Stärkeren oder Kompromisse zusammengeführt werden, sondern zunächst bestehen bleiben. Etwas ist erst einmal nur anders. In den 1980er Jahren wird die Ausländerpädagogik von der Idee dieses Differenzmodelles abgelöst. Nun tritt die interkulturelle Pädagogik stärker in Erscheinung. Arnd-Michael Nohl unterscheidet in seiner Publikation104 vier Konzepte, die sich gegenseitig ergänzen: x x x x

die Ausländerpädagogik, die klassische interkulturelle Pädagogik, die Antidiskriminierungspädagogik, die Pädagogik kollektiver Zugehörigkeit. 105

102 Mecheril beschreibt die Assimilationsgedanken, die einer Ausländerpädagogik zugrunde liegen. Ein Ausländer wird dieser Pädagogik zufolge durch Nationalität und Herkunft und seine Sprachfertigkeiten definiert. Sie will durch Förderung ein vermeintliches Defizit aus differenter Herkunft, sprachlichen Mängeln und kulturell anderem Habitus kompensieren und ihn so in die Zielgesellschaft assimilieren. Demgegenüber geht eine interkulturelle Pädagogik davon aus, dass alle Menschen durch kulturelle Zugehörigkeit und Identitätsvorstellungen charakterisiert und einander auch fremd sein können. Ziel einer interkulturellen Pädagogik soll daher die Anerkennung von Differenz sein, die dadurch zum Verstehen führt. (Mecheril, Paul [2010], S. 61). 103 Clausen, Bernd (2003), S. 139f. 104 Nohl, Arnd-Michael (2006). 105 Da hinein gehört auch die antirassistische Erziehung. Unter anderem aufgrund der Gewaltexzesse aus dem rechtsradikalen Umfeld rückte in den 1990er Jahren der Begriff der ‚Antirassistischen Erziehung‘ in den Fokus. Themen wie die Teilhabe an gesellschaftlichen Veränderungen (die Berliner Mauer war gefallen), offene und versteckte Diskriminierung (in Deutschland wurden Aussagen über ‚Ossis‘ und die

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Die zentralen Fragen einer interkulturellen Pädagogik sind: Wie können Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander lernen? Müssen wir die Unterschiede aushalten, können wir sie akzeptieren oder gar voneinander lernen? Sind wir gleichberechtigt? Oder gibt es so etwas wie eine Leitkultur? In der Musikpädagogik löste Irmgard Merkt 106 1983 die Vorstellung einer Ausländerpädagogik zugunsten einer interkulturellen Musikpädagogik ab und entwarf einen ‚Schnittstellen-Ansatz‘. Schnittstellen sind praktische Erfahrungen beim Musizieren. Diese Erfahrungen können laut Merkt von Kindern der diversen Kulturen verstanden werden. Damit geht es ihr nicht um die Erfahrung des Fremden, sondern um die des Gemeinsamen, wobei in der Reflexionsphase nach dem Musizieren auch das Differierende zu Wort kommen soll. Hinter solch einer Idee steht die Vorstellung einer universellen Kultur. Merkts Ideen wurden rezipiert und z.T. weiter entwickelt. So bemerkt Wolfgang Martin Stroh107, dass Merkt zwar musikpraktische Ansätze inszeniere, diese aber nicht wirklich zu interkulturellen Erfahrungen verarbeite. Deshalb schlägt er vor, zwischen dem Musizieren und dem Reflektieren ein szenisches Spiel durchzuführen:

‚Wessis‘ gemacht), aber auch Rassismus in der Gesellschaft wurden thematisiert. Bis heute werden immer wieder gesellschaftliche Probleme zum Ausgangspunkt pädagogischer Verbesserungsvorschläge gemacht. Das kann bis zu der Idee führen, dass sich mit pädagogischen Konzepten, Methoden, Didaktiken solche gesellschaftlichen Probleme lösen lassen könnten. So werden aufgrund von offen publizierten PISAVergleichen Probleme in den Vordergrund gestellt, die ein Leistungsdefizit der in Deutschland lernenden Schüler erkennen lassen sollen. Es entstehe dadurch das Problem, dass die zukünftige Gesellschaft nicht mehr leistungs- und konkurrenzfähig sei. Formal ist diese Situation in der Welt der globalisierten Konkurrenz mit der Zeit nach dem ‚Sputnik-Schock‘ und der damaligen Konkurrenz zwischen ‚Ost- und Westgesellschaften‘ vergleichbar. 106 Irmgard Merkt kommt ursprünglich von der Sonderpädagogik. Sie unterrichtete also etwas, was bis heute als ‚anders‘ wahrgenommen wird. Und sie entwickelte ihre Schrift in einer Zeit, als über Ausländer nach den wirtschaftlichen Problemen in den 1970er Jahren zunehmend als problematische und weniger als hilfreiche Menschen wie noch in den 1960er Jahren berichtet wurde. (Merkt, Irmgard [1983]) 107 Wolfgang Martin Stroh entwickelt seine Gedanken in den Zeiten der accelerierenden Globalisierung nach dem Fall der Berliner Mauer. Global handelnde Menschen werden gesucht und verglichen. Wie findet sich ein Mensch in den Orten nach den gefallenen Grenzen wieder? Auch Strohs Ansatz rekurriert auf die allgemeinen Fragen seiner Zeit; siehe dazu: Stroh, Wolfgang Martin (2009).

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„Die Methoden der szenischen Interpretation erlauben die Verbindung von Erlebnis und Verarbeitung in einem einheitlichen Spielprozess. Sie garantieren, dass die Musikpraxis kein Selbstzweck wird. Sie betten die Musik in ihren Kontext ein. Sie organisieren Musiklernen so, wie es im wirklichen Leben geschieht: analog, ganzheitlich, inhaltsbezogen.“ 108

Stroh will dadurch mehr den handelnden Menschen als die Musik in den Mittelpunkt des Unterrichtes stellen. Damit wird der Fokus von der sich in Musik manifestierenden Differenz hin zu dem die Menschen umgebenden Fremden gelenkt. Nicht die Kenntnis und der Umgang mit different verstandenen musikalischen Inhalten ist das Ziel, sondern der Mensch soll durch das Musizieren und Reflektieren die Qualifikation erreichen, sich in einer vielschichtigen, differenten Welt zurecht zu finden. Sehr ausführlich beschreibt Reinhard C. Böhle die interkulturell orientierte Musikdidaktik. 109 Er konstatiert zwar, dass die Musikwissenschaft ein bestimmtes System der Kategorisierung von Musik hervorgebracht hat110, mit dem europäische musikbezogene Phänomene beschrieben werden könnten. Dies wäre aber nur ein mögliches Verständnis. Denn nicht alle Musik der Welt könne damit dargestellt werden. Auch würden die Antworten der Schüler auf die von ihnen als different empfundene Musik zu kurz kommen.111 Böhle wendet sich ebenso gegen Vertreter, die einen abgeschlossenen Kulturbegriff haben wie gegen solche eines

108 Stroh, Wolfgang Martin (2005), S. 187. 109 „Als Basis übernimmt er hierfür die allgemeinen Ziele der Interkulturellen Pädagogik (Nieke 2008, S. 75f.; vgl. Bohle 1996a, S. 116): (1) Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus, (2) Umgang mit der Befremdung, (3) Grundlegung von Toleranz, (4) Akzeptanz von Ethnizität, (5) Thematisierung von Rassismus, (6) das Gemeinsame betonen, (7) Ermunterung zur Solidarität, Berücksichtigen der asymmetrischen Situation zwischen Mehrheit und Minoritäten, (8) Einüben in Formen vernünftiger Konfliktbewältigung – Umgehen mit Kulturkonflikt und Kulturrelativismus, (9) Aufmerksamwerden auf Möglichkeiten gegenseitiger kultureller Bereicherung, (10) Thematisieren der Wir-Identität: Aufheben der Wir-Grenze in globaler Verantwortung oder Affirmation universaler Humanität?“ (Knigge, Jens [2013], S. 53) 110 Böhle, Reinhard C. (1996), S. 73. 111 „Die Beschreibung von Ausdruck und Wirkung, funktionaler Gebrauch und Verhaltensweisen sowie Kreativität und Gestaltung sind Merkmale von musikalischen Fähigkeiten, die kulturzentristischen Besonderheiten unterliegen. Verständnisprobleme entstehen immer dann, wenn Menschen als Teilhaber verschiedener Musikkulturen aufeinandertreffen.“ (a.a.O., S. 131)

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eher relativistischen oder gar egalitären Kulturbegriffs.112 Böhle ist den Vertretern eines bedeutungsorientierten Kulturbegriffs zuzurechnen: „Während anfänglich das forschende Sammeln von Musik und Instrumenten und die Weitergabe der Ergebnisse in der Lehre an Universitäten und Hochschulen die zentralen Aufgaben dieser Disziplin waren, setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es ebenso wichtig ist herauszufinden, welche Bedeutung die Musik für die Menschen hat.“ 113

Außereuropäische Musik ist danach immer auch in der Gesamtheit der Kultur zu sehen, wobei es sehr schwierig sein kann, sie zu begreifen. „Die Beschreibung von Ausdruck und Wirkung, funktionaler Gebrauch und Verhaltensweisen sowie Kreativität und Gestaltung sind Merkmale von musikalischen Fähigkeiten, die kulturzentristischen Besonderheiten unterliegen. Verständnisprobleme entstehen immer dann, wenn Menschen als Teilhaber verschiedener Musikkulturen aufeinandertreffen.“114

Auf die sich daraus ergebende Frage, nach welcher Kategorie Menschen Musik erfahren und beschreiben können, antwortet er: „Indessen muss letztlich die zentrale Forderung nach einer Kategorie Mensch im Blickfeld stehen und nicht primär national gedacht werden.“115 Zumal für ihn jede Kultur so vielfältig ist, „daß von

112 So verfolge z.B. Borelli „die Überwindung von Kulturunterschieden als gedankliche Entwertung von Kulturzugehörigkeit…“ Derartige „Konzepte nehmen Abschied von Vorstellungen der Kulturen aus nationalstaatlicher Sicht und zielen auf eine Weltgesellschaft. Diese evolutionären Vorstellungen werfen Methodenfragen zur Überwindung der kulturellen Unfreiheit in der Bildung auf. Niekrawitz (1990, S. 36) bezeichnet diesen Ansatz zumindest in der Konsequenz als kulturimperialistisch, da sich die Zielgesellschaft mit eine Einheitskultur vermutlich aus Einzelkulturen zusammensetzen wird.“ (Böhle, Reinhard C. [1996], S. 107); bei den genannten Literaturverweisen handelt es sich um: Borelli, Michele [1986] und Niekrawitz, Clemens [1990], S. 36) 113 Böhle, Reinhard C. (1996), S. 81; er verweist dabei auf eine Publikation von Bose, Fritz (1953), S. 11. 114 A.a.O., S. 131. 115 A.a.O., S. 82f. Diesen anthropologischen Ausgangspunkt kritisiert wiederum Schatt, nach dessen Ansicht darin die Inhalte der Musik und deren Reflexion zu kurz kämen. (Schatt, Peter W. [2007], S. 111)

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einer Kultur nicht gesprochen werden kann.“ 116 Ziel des interkulturellen Musikunterrichtes ist es daher nicht, eine Kultur nachzubilden, um sie zu verstehen 117, sondern Elemente herauszugreifen, die einen Menschen durch eigene Erfahrungen der anderen Kultur und sich selbst näherbringen. „Also, so lässt sich das Fazit ziehen, lernen wir nicht den afrikanischen Tanz, sondern Elemente des afrikanischen Tanzes, spüren durch die Musik und die Bewegung unseren Körper und lernen unseren eigenen Körper dadurch besser kennen und gebrauchen … Man hält sich gleichsam gegenseitig den Spiegel vor und spiegelt sich in sich selbst zurück.“ 118 „Böhle formuliert als Ziel der interkulturellen Musikpädagogik die Förderung und Bereicherung von Musikalität, Kreativität und Lernen einer kultivierten Toleranz durch bisher unbekannte, musikalische Phänomene bzw. die Begegnung mit heterogenen, fernstehenden oder neuen Prägungen einer Musikkultur.“119

116 Böhle, Reinhard C. (1996), S. 89. Weiter sagt er dazu: „Im vergleichenden Zusammenhang mit der Außereuropäischen Musik sind unbedingt auch ästhetische Vorstellungen von Bedeutung (z.B. Spiel der Empfindungen nach Kant; Abbild der Wirklichkeit im Sozialismus; vom Musikwerk zum kommunikativen Handlungszusammenhang und Beziehungsnetz bei Reinecke). Ihre Vielfältigkeit im historischen Kontext aufzuzeigen, würde diese Argumentation sprengen.“ (a.a.O., S. 73) 117 Böhle wendet sich bei aller Bewunderung für das dahinter stehende Engagement gegen einen folkloristischen Zugang zur Kultur: „Charakteristisch für Folklore sind Volkslieder, Volkstänze und Volkstrachten. Diese empfundenen Traditionen sind oftmals trügerisch, da sie z.B. aus kommerziellen Gründen (Schlagerbranche, Werbung, Tourismus) oder aus Gründen der Selbstdarstellung von bestimmten ethnischen Kulturangehörigen gepflegt werden und eine Reduktion von Kultur sind. Nicht nur seitens der Politik, sondern auch in der Schule wird bis heute an diesen folkloristischen Darbietungen festgehalten. Diese Art von Vorführungen, die oftmals mit großem Engagement vorbereitet werden, lassen jedoch einen Großmut erkennen oder projizieren ein Wunschbild.“ (a.a.O., S. 133) 118 Lüderwaldt, Andreas, Musikalische Annäherung an fremde Kulturen, in: Musik und Unterricht, Heft 22, September 1993, S. 35f., zitiert nach Böhle, Reinhard C. (1996), S. 137. Die Idee, eine andere Kulturrepräsentation als Spiegel der eigenen Kultur aufzufassen und sie als Korrektiv zu nutzen, nimmt auch Siegmund Helms aus: „Einer der wichtigsten Gründe für die Einbeziehung von Musik anderer Kulturen in den Musikunterricht ist die Tatsache, daß man durch die Andersartigkeit das Wesen unserer eigenen Musik besonders deutlich erkennt.“ (Helms, Siegmund [1974], S. 3) 119 Kim, Ji-Hye (2011), S. 64; sie bezieht sich bei diesem Zitat auf: Böhle, Reinhard C. (1996), S. 131f.

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Eine Seitenansicht zum Thema liefert aus ökonomisch-kultureller Perspektive Lee-Peuker Mi-Yong. Sie reagiert auf die Erfahrung, dass durch die höhere Dichte und Geschwindigkeit an Kontaktmöglichkeiten, sei es durch Reisen, Medien oder internationales, ökonomisches ‚Just-in-time Produzieren‘ Grenzen schneller zu überwinden sind und fragt, ob dadurch so etwas wie eine gemeinsame Kultur aller Kulturen entsteht. Recht deutlich verneint sie dies aus ökonomisch-kultureller Perspektive. Sie vertritt die Auffassung, dass die Globalisierung zwar Menschen näher zusammengebracht habe. An eine Verbindung zu einer gemeinsamen Kultur glaubt sie aber nicht, im Gegenteil: „Die Intensivierung der wechselseitigen Abhängigkeiten führt vielmehr zu einer Betonung, Verteidigung und Neubestimmung der lokalen Kultur.“120 Lee-Peuker Mi-Yong bezieht sich dabei auf Aussagen, wie sie Ulrich Beck zu dem Begriff ‚Globalisierung‘ macht: „Global – wörtlich genommen – kann niemand produzieren. Auch und gerade global produzierende und ihre Produkte vermarktende Firmen müssen lokale Bindungen entwickeln, und zwar, indem erstens ihre Produktion auf lokalen Beinen entstehen [sic] und stehen [sic] und zweitens auch global vermarktbare Symbole aus den Rohstoffen lokaler Kulturen, die deswegen lebendig, eruptiv, disparat bleiben und gedeihen, abgeschöpft werden müssen.“121

Wichtiger erscheint es daher, sich zu überlegen, ob von aktuell volks- oder ländertypischen Kulturbegriffen in der Klarheit geredet werden kann. Um eine kulturelle Äußerung zu verstehen, müsse jeder Mensch begreifen, aus welchem Fühlen und Denken heraus das geschieht. „Es kommt auf den Kontext an, in welchem kulturell gehandelt wird.“122 Nur aus einem solchen Kontext heraus können die Äußerungen des Gegenübers verstanden werden. Zu solchen Äußerungen gehört auch die Musik. Musik kann in ihrer ursprünglichen Aussage, also was die Musiker ausdrücken wollen, nur in dem Maße verstanden oder missverstanden werden, in dem der Kontext verstanden wird. Deshalb meint Böhle auch: „Musik ist keine Weltsprache, und Musik kann ebenso eine Verständnisbarriere wie die Sprache sein.“123

120 Lee-Peuker, Mi-Yong (2004), S. 369. 121 Beck, Ulrich (1997), S. 86. Rein sachlich betrachtet ist Globalisierung eine formale Bezeichnung: „ Globalisation is a process of integrating the globe through increasing flows of capital, products, services, ideas and people across international borders.“ (Yang, By Jin; Yorozu, Rika [2015], S. 13). 122 Moosmüller, Alois (2000), S. 25. 123 Böhle, Reinhard C. (1996), S. 291.

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Bernd Clausen kritisiert an Böhles Konzeption, dass er darauf aus sei, Gemeinsamkeiten zwischen Musiken zu finden. 124 Durch diese Funktionalisierung aber könne fremde Musik entmündigt werden. Clausen sieht darin eine etische Herangehensweise, nach der Menschen die Musik zwangsläufig mit den Bezeichnungen, dem Wissen und Vokabular der eigenen Vorstellungen aufnehmen und werten. „[Dadurch] wird das Fremde vom Standpunkt des Betrachters vereinnahmt im Sinne einer Aneignung unter dem didaktischen Postulat der Ausbildung individueller und sozialer Kompetenzen in einer multikulturell verstandenen Gesellschaft. Böhle gesteht den Abwehrimpuls gegenüber den Fremden zu, nivelliert aber das innewohnende Potential zugunsten einer Überwindung von Kulturunterschieden.“125

Für Clausen aber kann „das Fremde selbst nicht zum Gegenstand einer Betrachtung gemacht werden […], weil es seine Eigenständigkeit, die ihm ja umgekehrt zugestanden wird, verliert.“126 Denn Musik wird in allen Konzepten stets als Objekt immer in Abhängigkeit von der eigenen Verfasstheit und Umwelt gesehen.127 Er schlägt daher einen anderen Zugang zur Musik vor. Ausgehend von den Überlegungen des Theologen und Philosophen Franz Volkmar Reinhard128 meint er:

124 „Das binnenweltliche Stadium der Sammlung mit gleichzeitiger Komparation des Materials erhält nun zusätzlich eine didaktische Komponente, wobei das Konzept des Interkulturellen Lernens auf einen Erkenntnisgewinn hinaus angerichtet ist, der zu bestimmten Kompetenzen führen soll.“ (Clausen, Bernd [2003], S. 136). 125 Clausen, Bernd (2003), S. 137. 126 A.a.O., S. 148. 127 Clausen bemerkt dazu: „Aus dem Quellenstudium ergeben sich für die musikpädagogische Debatte zwei Erkenntnisse. Dies ist zum einen die Einsicht, dass die Vergegenständlichung des Fremden nicht nur eine Form der Aneignung in sich birgt, die das Fremde zu entmündigen und einzuverleiben droht und auch der Sachverhalt selbst unkorrekt werden lassen kann. Zum anderen ist erkennbar, dass der erfahrungsbezogene Aspekt in der Diskussion um das Fremde zwar ein Korrektiv sein kann, den eigenen Standort aber nicht grundsätzlich zu verändern im Stande ist.“ (a.a.O., S. 123). Und weiter: „Das Fremde wird in enger Abhängigkeit der eigenen Gegenwart und des eigenen subjektiven Standortes beschrieben. Die Distanzen werden zwar vordergründig eingestanden (z.B. in der Kriegsmusik), die Musik Chinas wird jedoch so weit in die eigene Realität hineingeholt, dass jene Distanz als Rückständigkeit künstlich hergestellt wird, nachdem diese zur Erhellung der eigenen Entwickeltheit gedient hat.“ (a.a.O., S. 125) 128 Reinhard, Franz Volkmar (1782).

58 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Es gibt für das Erfahrene keine hinreichenden Begrifflichkeiten, sodass eine Verknüpfung mit den bisherigen Erlebnissen nicht möglich ist. Stattdessen werden Ähnlichkeiten aufgerufen, damit das Namenlose nicht form- oder gestaltlos und damit unverknüpfbar bleibt. Ferner ist Erstaunen Quelle der Neugier und damit Ausgangspunkt fortschreitender Erkenntnis.“129

Unter dem Hinweis auf Waldenfels schlägt er die Vorstellung von Zwischenwelten vor, „die einander fremd sind und fremd bleiben. Eigenes […] entsteht hier in der Antwort auf fremde Ansprüche.“ 130 Um musikalische Repräsentationen im Unterricht zu behandeln, müssen diese mit den Schülern zugänglichen Zeichensystemen benannt werden, ggf. mit Hilfe universal gedachter oder erarbeiteter Kategorien. Das tut ein Integrationsmodell. Oder aber eine andere Musik bleibt als fremd bestehen. Das wäre ein Differenzmodell. „Zwischen jenem und dem Differenzmodell, das bemüht ist, die Grenzen des Fremden herauszustellen, gibt es möglicherweise einen dritten Weg. Dieser besteht in einer Synthese des emischen Zugangs mit dem zuvor dargestellten Differenzmodell.“131

Clausen meint, dass beim Anhören und Tun anderer Musiken der kontemplative Zugang ein Impuls sein kann. Daraus entwickeln sich dann Verwunderung132 und Erstaunen. Diese können sowohl als Emotion, Quelle der Neugier und dann als Infragestellung des Eigenen 133 verstanden werden. 134 Dieses Sich-Stellen neuer

129 Clausen, Bernd (2003), S. 125. 130 Clausen, Bernd (2003), S. 139; die im Text kursiv gesetzten Zitate sind aus Waldenfels, Bernhard (1997), S. 81 entnommen. 131 Clausen, Bernd (2003), S. 143. 132 „Der Kategorie ‚Verwunderung‘ wohnt jener Antwortcharakter inne, der von Waldenfels beschrieben wird. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir uns im Moment der Verwunderung in jener von ihm beschriebenen Zwischenwelt bewegen. In der Verwunderung manifestiert sich das unbestimmte Fremde als Emotion (Abneigung – Genuss), als Neugier auf die Gestalt des Gehörten und als Unterschied zu bisherigen musikalischen Erfahrungen dynamisch und ist damit kein Zugehen auf das Fremde, sondern in der Tat eine Art Grenzverkehr: In dieser Weise ist es das, worauf eine antwortet, und kein Was, wie Waldenfels formuliert. Das Fremde nimmt Gestalt an im hörenden Subjekt“ (Clausen, Bernd [2003], S. 144) 133 A.a.O., S. 143f. 134 Clausen, der zum ostasiatischen Umfeld einen emischen wie etischen Zugang hat, wodurch vielleicht einige Ideen dieser Zugänge zur Musik beeinflusst worden sein können, sagt aber auch: „Dies beschreibt jedoch nur einen Wirkungsmechanismus ei-

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Beeindruckung wird von Clausen dann pädagogisch untermauert. 135 Nach der Verwunderung müssen laut Clausen jetzt durch Erlernen und durch Musikethnologie geförderte emische Aspekte hinzukommen, um die Musik auch aus dem Verständnis eines in der Kultur Lebenden zu sehen. „Die Verwunderung kann hier zu einer pädagogischen Kategorie werden, um jenen Grenzverkehr, bei dem wir die Repräsentationen anderer Musiken begegnen, stattfinden zu lassen.“136 Zusammenfassend lässt sich sagen: Stroh hebt das Anthropologische des Prozesses hervor. Auch die Auffassungen Böhles setzen beim Menschen an und nicht an der Musik als Lehrfach. Seine Vorstellung, Elemente herauszugreifen, damit durch eigene Erfahrungen andere Kulturrepräsentationen einem Menschen und sich selbst nähergebracht werden, ist Teil des zu beschreibenden Transfergeschehens. Allerdings kommt es dabei auf den Blickwinkel an. Die hier vorliegende Untersuchung nimmt diesen Ansatz auf und versucht nicht nur ein musikpädagogisches Modell und deren Implantation in Südkorea zu beschreiben, sondern sucht nach Deutungsmustern aller im Transfer beteiligten Personen in ihrem jeweiligen Umfeld und beschreibt dadurch die Auffassungen der musikalischen Früherziehung. Dies muss in der obligatorischen Beschreibung und Reflexion des Standpunktes des Forschenden als sine qua non bestehen, aber auch darin, nicht durch

ner pädagogisch aufbereiteten Verwunderung. Vielmehr stehen alle drei Sinnesrichtungen in einem dynamischen Verhältnis zueinander, denn jede kann Ausgangspunkt musikalischen Nachdenken und Tuns sein.“ (a.a.O., S. 144) 135 Clausen fordert vier Ziele: „Strukturen und Prinzipien anderer Musiken praktisch kennen lernen; Musik als Ausdruck von Kulturen sowie als Abbild und Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Vorgänge kennen lernen, und damit den eigenen musikalischen Standort erkennen und verändern lernen und andere Musiken in interdisziplinären Zusammenhängen erproben.“ Als „Inhalte der Ausbildung“ nennt er: „Methoden ethnomusikalischer Erschließung von Musiken, Musikinstrumentenkunde, Musizieren – Singen, Tonsysteme, Musik und Bewegung.“ (Clausen, Bernd [2004], S. 142ff.) Clausen „empfiehlt weiterhin vier Lehrformen: Theorieveranstaltungen, Exkursionen, Werkstätten und Projekte. Damit bedeutet der Entwurf von Clausen einen Paradigmenwechsel zur bisherigen Praxis, denn er versucht mit seinem Modell, die bisherigen hierarchisierenden Dichotomisierung aufzubrechen. Das ist m.E. ein Schritt in die richtige Richtung. Denn damit zielt er auf eine langfristig grundsätzliche Umgestaltung der Wissensproduktion: Auf die Bestimmung der Auswahl von Musiken; auf die Überwindung von Hierarchisierungen; auf die Rekrutierung neuer AusbilderInnen.“ (Kim, Ji-Hye [2011], S. 67) 136 Clausen, Bernd (2003), S. 148.

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die Beschreibung das Beschriebene zu verändern. Clausens Hinweis, neben einer etischen auch eine emische Sichtweise zu stellen, kann dazu verhelfen, sich das zu Beschreibende nicht einzuverleiben, also mithin doch wieder ein Integrationsmodell durch die Hintertür einzuführen. 1.3.3 Komparative Musikpädagogik Komparative Musikpädagogik137 ist an sich nicht neu, denn verglichen wird in der Musik schon lange, da jede Neuerung gewertet wird, indem sie mit dem Bekannten konfrontiert wird. Dabei ist nicht immer klar, was genau verglichen wird, z.B. die Musik in formal-theoretischer Hinsicht oder deren Funktion oder deren Wirkung. Welche Musik jemand hört oder spielt, heisst in vielen Fällen zugleich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu zeigen: die Begriffe ‚Raver‘, ‚Rocker‘ oder ‚Opernfreund‘ rufen bei vielen Menschen mehr Assoziationen hervor als nur ein Liebhaber bestimmter musikalischer Gattungen oder Formen zu sein.138 Was für die individuelle Einstellung gilt, gilt auch für die Einstellung gegenüber ganzen Gruppen, mitunter sogar ganzen Völkern oder Nationen. Vergleichende musikpädagogische Forschung dagegen untersucht die Lehr- und Lernvollzüge und verbindet diese mit Theorien. Es geht in ihr um mehr als nur um unterschiedliche Musikpädagogik. Daher ist bereits die Konstruktion von Unterschieden in ihren historischen und zeitlichen Dimensionen zu erforschen. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen wie gemeinsamen Prozesse müssen dabei mit Theorien in Verbindung gesetzt werden. In einer Nachbesprechung eines Unterrichtes beklagte eine deutsche Dozentin, dass „die Koreaner“, wenn man sie nur fordere, zwar eine technisch hohe Beherrschung in der Musikausübung aufweisen würden, aber den von ihnen musizierten Klängen mitunter der Geist der Musik fehle. Es wäre so statisch. Wenn jetzt von der Pauschalisierung einer solchen Aussage abgesehen wird, beschreibt dieser

137 Einen ausführlichen Überblick zum Thema gibt Clausen, Bernd (2009), S. 9-36; ders. (2007), S. 91-113. 138 Oft sind damit auch Kleidung, Umgangsformen und Verhaltenscodices konnotiert. Ob und welche Musik ein Mensch hört und/oder spielt, ist auch eine Reaktion auf sein Umfeld oder eben auch nicht. Aus dieser Erfahrung und ihrer Einbindung in das eigene Leben entstehen Urteile (‚gut‘, ‚doof‘, ‚macht Spass‘ etc.). In diesen – oftmals kaum reflektierten – Prozessen wird ein Mensch in die Lage versetzt, in verschiedenen Abstufungen Musik für die eigene Entfaltung nutzen zu können Um diese Prozesse zu verstehen, würde ein rein formales Beschreiben von Musik zu kurz greifen.

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Vorwurf eher die Auffassung der Musiklehrerin als dass es eine Aussage über „koreanische Musikschaffende“ ist. Denn hinter ihrer Äußerung steht eine Auffassung von Musik, die mit Begriffen einer oft nicht näher beschriebenen Sinnhaftigkeit der Musik umschrieben wird. Sie lässt sich – zumindest manchmal – an Begriffen wie ‚Original‘ oder ‚Werktreue‘ festmachen. ‚Koreanern‘ wird hierbei allgemein eine solche Verständigkeit der Interpretation abgesprochen. Jemand, der Musik hört, selbst musiziert oder tanzt, will etwas zum Ausdruck bringen. Insofern wohnt jedem Musizieren ein Sinn inne. Es ist aber zu fragen, ob dieser Auffassung eine extern normative Betrachtung der Musik zugrunde liegt. Das Wie und Was des Musizierens wird in vielen Fällen zu Wertungen führen. Diese Wertmaßstäbe, die aus Erlerntem (im besseren Fall aus der eigenen musizierenden Erfahrung) erwachsen, werden dann zu Maßstäben der Musik eines Menschen, die im beschriebenen Beispiel generalisiert wurden. Ein differenter Ausdruck wird an den eigenen Wertvorstellungen gemessen. Wird dieser Prozess nicht reflektiert, gar aus statischer Wertung gedeutet, werden Veränderungen und Weiterentwicklung blockiert. Antworten auf die im Unterricht auftauchende Frage, ob jemand ‚richtig‘ spielt, ‚gut‘ spielt oder sein Spiel eine ‚musikalische Qualität‘ aufweist, werden ohne Berücksichtigung des Frageumfeldes zur Tradierung statischer Kategorisierungen. Denn in der Frage verbirgt sich die Vorstellung, dass die Lehrkraft die korrekten Parameter zu Beantwortung parat hat, sie letztgültig vorgibt und den Schülern die Mühe der Entwicklung und Reflexion der für ihn in seiner Zeit und Raum gültigen Maßstäbe abnimmt. Die Frage an das befremdende Phänomen greift zu kurz, wenn das Umfeld nicht mit betrachtet wird. Dies würde der von Böhle benannten Praxis, durch eigene Erfahrungen uns sowohl der anderen Kultur als auch uns selbst näherzubringen, zuwider laufen. Das Sich-Einlassen auf das fremde, für einige dann eben ‚falsche‘ Erklingen scheinbar bekannter Musik wäre eher ein Anlass zum Nachspüren und Nachforschen, denn zum Werten. Mit anderen Worten, gerade der Dissens wäre ein Anlass zum Nachfragen. Wenn hier eine Untersuchung des Transfers der musikalischen Früherziehung mit einem komparativen Forschungsparadigma vorgenommen wird, dann ist zu fragen: was wird hier verglichen? Musik und Musikpädagogik kann nur verglichen werden, wenn die kulturellen Zusammenhänge zur Deutung mit herangezogen werden.139 Das bedeutet, bei der Beschreibung und späteren Einordnung musikpäda-

139 Vgl. dazu auch die Gedanken bezüglich der international vergleichenden Erhebungsverfahren (PISA usw.) von Schubert, Volker (2005); S. 26. u.ö.

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gogischer Phänomene nicht den Kontext des zu betrachtenden Phänomens, sondern auch den eigenen Kontext, aus dem heraus verglichen wird, zu erkennen und zu reflektieren. Andernfalls wäre es kein Vergleichen, sondern ein als Vergleich getarntes Integrieren in die eigene Gedankenwelt. Die Aufgabe einer komparativen Musikpädagogik ist also komplexer als nur die Blicke auf die sichtbaren Phänomene im Unterrricht zu lenken. Von diesem Standpunkt aus ist auch der in dieser Untersuchung verwendete Begriff einer komparativen Musikpädagogik zu verstehen. Ausgehend von Walter Gieselers Definition140 geht es zunächst um eine Beschreibung. Diese Beschreibung muss zwar musikpädagogische Inhalte und Methoden umfassen, führt aber darüber hinaus und muss die Phänomene auch im Sinne des Umfeldes beleuchten.141 Die Forderungen, ausgehend von einer Theorie eine valide und reliable Datenerhebung zu gestalten, eine nachvollziehbare Analyse daraus anzufertigen und die Theorie daran zu überprüfen bzw. eine neue Theorie zu bilden, bleiben davon unangetastet. Diese Untersuchung versteht sich daher als Teil komparativer musikpädagogischer Forschung wie sie Bernd Clausen definiert: „Zentrales Anliegen einer Komparativen Musikpädagogik ist die Beobachtung, Beschreibung und Deutung der Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten der Aneignung und Vermittlung von Musik in unterschiedlichen Kontexten. Voraussetzung dafür ist nicht nur das Verständnis von Musikunterricht als kulturelles Phänomen, sondern gleichfalls das Bewusstsein für Subjektbezogenheit des Betrachters. Komparative Musikpädagogik soll die Verwendung eigener Begriffe und Praktiken reflektieren helfen und gleichzeitig den Horizont für unterschiedliche Problemlösungsstrategien öffnen.“142

140 „Komparatives Denken bewahrt vor unüberlegter und vorschneller Definition Adaption von Methoden, die z.B. die Modelle von Orff, Kodaly und Suzuki nur oberflächlich imitieren, um damit vermeintliche Patentrezepte zu erhalten.“ (Gieseler, Walter [1984], S. 144, Sp. 1. Diese Aussagen wurden in der Ausgabe des Neuen Lexikons der Musikpädagogik von 1994 gestrichen!). 141 Es sind also nicht im Sinne eines positivistischen Denkens normierte und dadurch evaluierbare Inhalte und Methoden wie z.B. zu lernende Inhalte im Sinne einer Comprehensive musicianship, wie sie im MMCP (Manhattanville Music Curriculum Project) niedergelegt sind, die im Fokus dieser Untersuchung stehen. Gleichwohl ist dem Autor bewusst, dass genau diese evaluierbaren Inhalte und Methoden teilweise Grundlage mancher, auch in Testverfahren (PISA, TIMSS usw.) verfolgten Wege des Vergleiches sind. 142 Clausen, Bernd (2009), S. 33.

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Entsprechend definiert Clausen die Methoden einer komparativen Musikpädagogik: „Ungeachtet der Nähe oder Ferne des Untersuchungsgegenstandes muss komparative musikpädagogische Forschung eine Perspektive einnehmen, die qualitativ gewonnene Daten in einer wechselseitig funktionalen Abhängigkeit auf den drei Ebenen Datenerhebung, analyse und Theoriebildung […] vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Musikunterricht als primär kulturell determiniertem Diskursfeld versteht.“143

Auf den hier zu untersuchenden Gegenstand bezogen bedeutet das, nicht bei einer Beschreibung der Orff-Musikpädagogik in Südkorea aus einer Sichtweise stehen zu bleiben, sondern x zu beschreiben, aus welchem kulturellen Zusammenhang der zu transferierende Gegenstand (hier also die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff) entstand und wie er heute in Deutschland und Österreich verstanden wird. x ihn in seinem Kontext bei und nach dem Transfer zu beschreiben, also auch ethnologische, sozialwissenschaftliche, politische und historische Umstände zu berücksichtigen und von daher das Verständnis zu beschreiben. Parameter einer solchen Beschreibung der Musik in kulturellen Zusammenhänge benannte Helms.144 Sie können für die hier vorliegende Untersuchung leitend sein. Allerdings sind sie unterschiedlich gewichtet, was im Übrigen auch Helms zugestand.145 So wird zum Beispiel die Beschreibung der traditionellen, einheimischen Musik beleuchtet werden müssen. Allerdings wird dabei auch deutlich, wie hier

143 Clausen, Bernd (2009), S. 36. 144 Die Aufgaben der komparativen Musikpädagogik nach Siegmund Helms (Helms, Siegmund [1994], S. 151) sind: (1) Beschreibung der historischen, geographischen und ökonomischen Kontexte. (2) Beschreibung der traditionellen, einheimischen Musik sowie der gegenwärtigen Situation des Musiklebens. (3) Beschreibung der Ziele der Musikpädagogik des Landes (nach Holmes: child centered aims oder society centered aims oder subject orientated aims). (4) Beschreibung der nationalen, regionalen oder lokalen Stellen oder Autoritäten, falls sie die Ziele der Musikpädagogik mitbestimmen. (5) Beschreibung der monetären Gegebenheiten des Faches. (6) Beschreibung der Struktur und Organisation des Bildungswesens insgesamt. (7) Beschreibung der Curricula und ihres Entwicklungsprocedere. (8) Beschreibung der Musiklehrerausbildung und -weiterbildung. 145 Helms, Siegmund (1994), S. 152.

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in mehreren Fällen eher kulturpolitische Funktionen denn anthropologische oder gar musiktheoretische Faktoren die Positionierung dieser Musik bestimmen. 1.3.4 Begriffsdefinitionen: Transferieren, Transkulturieren und Verstehen Um die folgenden Gedanken nachvollziehbar zu gestalten, sollen hier zunächst die im Titel genannten Begriffe ‚Transferieren‘, ‚Transkulturieren‘ und ‚Verstehen‘ definiert werden. 1.3.4.1 Transferieren Transferieren bedeutet in diesem Zusammenhang die aktive, von spezifischen Akteuren vorgenommene zielgerichtete Weitergabe von pädagogischen Paradigmen, die aus methodisch-didaktischen Patterns und Strukturen bestehen. Sie werden aus einem kulturellen, räumlichen und zeitlichen Entstehungskontext in einen anderen übertragen. Es soll dabei mit dem transferierten Ganzen auch eine identische Deutung transferiert werden. In der aus einer bestimmten Intention gedachten Aufforderung, in Südkorea ein Konzept der musikalischen Früherziehung einzuführen, müssen damit die transferierten Materialien und Konzepte und deren Deutung durch die transferierenden Personen (Dozent[inn]en wie Lehrer[innen]) bei Wissensgebern und -nehmern übereinstimmen. Solch ein Bild von Transfer kann aber in sich nicht schlüssig sein, weil ein Transfer immer auf Veränderung angelegt ist und somit die Bedingungen einer gleichbleibenden Deutung verliert. Ein Transfer geht stets von einem Unterschied von Wissenden (Geber) und Unwissenden (Nehmer) aus. „Oftmals ist dabei das Ziel des Verweises auf das Fremde, das es anzueignen gelte, der Wunsch nach Veränderung/Modernisierung der eigenen Kultur. Dieses Motiv steuert die Auswahl der Transfergüter und die Art und Weise ihrer Modifikation für die eigenen Zwecke.“146

Was als gut oder sinnvoll erachtet wird, um transferiert zu werden, richtet sich nach Wert- bzw. Prestigehierarchien der jeweiligen Umgebung. Daher kommt dem Verständnis des Kontextes eine große Bedeutung zu. Dabei ist es für das System des Transfers unerheblich, ob es aufgrund militärischen Druckes einherging, wie er z.B. durch die gewaltsame Öffnung Koreas ab 1876 in Gang gesetzt wurde, oder auf freiwillige Anfragen von Wissensnehmern, wie es in der hier dargelegten Untersuchung der Fall ist.

146 Middell, Matthias (2000), S. 21.

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„Wissenstransferprozesse beruhen auf epistemischen und sozialen Asymmetrien, denn zwischen den personalen und impersonalen Trägern von Wissen und den ‚Nehmern‘ dieses Wissens bestehen Unterschiede in der Verteilung von Wissen und seiner Bewertung, aber auch soziale Ungleichheiten, welche die Vorgänge der Weitergabe initiieren und moderieren. Besonders transferträchtig sind Wissensbestände, die als stabil bzw. unproblematisch gelten und/oder von reputationsträchtigeren Wissensgebern stammen; sie werden besonders dann abgefragt, wenn sie die Lösung von bestimmten Problemen in einem Zielkontext versprechen.“147

Doch jeder Transfer vom Wissenden zum Unwissenden führt notgedrungen zu Modifikationen der Überzeugungen auf beiden Seiten. „Den Transfermechanismen liegt eine Dynamik zugrunde, durch die es im Zuge von Verwandlungs- und Durchdringungsprozessen […] zu Sinnverschiebungen und Funktionsverlagerungen kommt […], bei denen die Bedürfnisse und Erwartungen des Aufnahmekontextes eine entscheidende Rolle spielen.“148

Was wie gedeutet wird, ist auch von normierenden Faktoren abhängig, die sich aus einem historischen wie aktuellen Kontext entwickelt haben. Wer dabei die Deutungshoheit hat und welche Regulierungen bestimmte Deutungen zulassen und andere ausgrenzen, ist jeweils zu erforschen. Die Frage der Macht, wie sie bei Foucault im Fokus seiner Überlegungen steht, bestimmt zwar das Was und Wie eines Transfers mit, nicht aber zwangsläufig dessen grundsätzlichen Verlauf. 1.3.4.2 Transkulturieren Der Begriff ‚Transkulturation‘ wurde 1940 in Abgrenzung zum Begriff der ‚Akkulturation‘ von Fernando Ortiz beschrieben. Unter ‚Akkulturation‘ wird (in einer teilweise mechanistischen Anschauung) ein Prozess verstanden, in dem in einem kulturellen Raum das Wert-, Norm- und Deutungssystem aus einem anderen kulturellen Raum übernommen wird. Implizit ist diesem Modell die Annahme, dass ein Schwacher als Reaktion auf eine Begegnung etwas von einem Starken übernimmt und Eigenes dabei abstößt. Dies führte bisweilen zu eurozentristischen Standpunkten und zu Aussagen, die kolonialistische Züge stützten. Solche Gedanken einer Akkulturation können auch in pädagogischen Modellen auftauchen, in denen es vornehmlich darum geht, dass Menschen aus einer Kultur eine andere Kultur in Teilen oder ganz annehmen (sollen). Pädagogisch gesehen wäre dies das

147 Behrs, Jan; Gittel, Benjamin; Klausnitzer, Ralf (2013), S. 272. 148 Wolf, Michaela (2011), S. 94.

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Hineinwachsen in eine neue Umwelt durch Erziehung. Mit dem Begriff ‚Akkulturation‘ bezeichnen die Autoren Redfield, Linton und Herskovits die Übernahme von Elementen einer Kultur in eine andere: „Acculturation comprehends those phenomena which result when groups of individuals having different cultures come into continuous first-hand contact, with consequent changes in the original cultural patterns of either or both groups.“ 149

Akkulturation kann laut diesen Autoren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: „Acceptance“ als die Übernahme einer anderen Kultur; „Adaption“ als Kombination originaler und fremder Kulturzüge zu einem reibungslos funktionierenden kulturellem Ganzen welches ein historisches Mosaik bildet und „Reaction“, als eine gegen die Übernahme gerichtete Bewegung. 150 Problematisch bei diesem Modell ist, dass es viele Elemente im Sinne statisch einheitlicher Formen beschreibt, statt von einer dynamischen Gemengelage auszugehen. Ortiz’ Begriff der ‚Transkulturation‘ beinhaltet zwar auch eine Akkulturation wie einen zumindest teilweisen Verlust kultureller Ausdrucksformen (Dekulturation). 151 Der Prozess bei der Begegnung differierender kultureller Phänomene führt aber bei ihm nicht automatisch zu einer Subtraktion und Addition der einzelnen Ausdrucksformen, sondern es entstehen neue kulturelle Artikulationen (Neokulturation).152

149 Redfield, Robert; Linton, Ralph; Herskovits, Melville J. (1936), S. 149. 150 A.a.O., S. 152. 151 Vergleiche dazu die Aussagen von Mignolo: „Ortiz’s concept of transculturation largely contributed to move the discourse on race to the discourse on culture“ (Mignolo, Walter D. [2000], S. 167). Er sagt weiter, dass Ortiz weniger aus einer kolonialistischen Sichtweise denn aus einer nationalen Sichtweise der Transkulturation argumentiere: „Ortiz was interested in defining a national feature of Cuban history. I am more interested in critical reflecting on coloniality and thinking from such an experience, than in identifying national (or subcontinental, e.g., ‚Latin American‘) distinctive features. This is the main reason why I prefer the term colonial semiosis to transculturation, which, in the first definition provided by Ortiz, maintains the shadows of ‚mestizaje.‘ Colonial semiosis emphasized, instead, the conflicts engendered by coloniality at a level of social-semiotic interactions, and by that I mean, in the sphere of signs.“ (a.a.O., S. 14). Mignolo selbst knüpft daran an und verschiebt die Theorie der Transkulturation im Sinne von Ortiz auf eine semiontische Betrachtungsebene. 152 Während Transkulturalität Kultur nur als eine ständige Kombination verschiedener Austauschprozesse von Inhalten beschreibt, aus dem sich stets erneuernde kulturelle

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Fernando Ortiz spricht davon, im Prozess einer Transkulturation vollziehe sich auch ein Verlust von einer bisher für einen Menschen bestimmenden Kultur (partielle Deskulturation). Dies führe zur Erschaffung neuer kultureller Ausdrucksarten (Neokulturation). Transkulturation beschreibt also einen Verlust und eine Neuschaffung. Ortiz vergleicht das mit dem Bild einer Kopulation von Menschen. Er sagt, das, was dann herauskommt, sei wie bei den aus der Kopulation entstandenen Kindern, die immer etwas von den Eltern hätten, jedoch auch stets unterschiedlich von den Eltern seien. „Das Wort Transkulturation drückt die unterschiedlichen Phasen des transitiven Prozesses von einer Kultur zur anderen besser aus, weil dieser nicht nur darin besteht, eine andere Kultur anzunehmen, was streng genommen das angelsächsische Wort acculturation bezeichnet, sondern dieser Prozess impliziert notwendigerweise auch den Verlust oder Entwurzelung von einer vorhergehenden Kultur, was eine partielle Deskulturation genannt werden könnte, und bedeutet außerdem die darauffolgende Kreation neuer kultureller Phänomene, die als solche der Neokulturation bezeichnet werden könnte. Letztendlich geschieht, wie die Schule Malinowskis trefflich behauptet, bei jeder Umarmung von Kulturen das gleiche wie bei der genetischen Kopulation der Individuen: der Nachwuchs besitzt immer etwas von beiden Elternteilen, ist aber immer unterschiedlich von jedem einzelnen von ihnen.“153

Mit ‚Transkulturation‘ beschreibt Ortiz somit keinen Zustand, sondern einen Prozess, der von Menschen vollzogen wird, die dadurch ihre kulturelle Umgebung beeinflussen, was wiederum auf sie selbst zurückwirkt.154 Aus zwei oftmals differenten materiellen oder auch immateriellen Gütern und Bedeutungszuweisungen entstehen neue Inhalte, Ausdrucks- und Deutungsräume. Wichtig ist, dass Ortiz dies als einen dynamischen und andauernden Prozess begreift, in dem sich durch unterschiedliche Bedingungen die Deutungen verändern und von denen in seiner ursprünglichen Umwelt unterscheiden können. Dabei bleiben Elemente der Ursprungsdeutung bestehen. Im untersuchten Prozess können so Deutungen einer

Ausdrücke erschließen, geht es bei der Transkulturation um ein neues Drittes. Auch dieses Modell ist wie das der Hybridität aus dem postkolonialen Blickwinkel entwickelt worden und auch dieses Modell setzt das Vorhandensein zu beschreibender Entitäten von Kultur voraus. Es kann ihr also keine Form reiner Hybridität zugrunde liegen. 153 Ortiz, Fernando (1963), S. 260. Die Übersetzung entstammt der Quelle Userwikis der Freien Universität Berlin:http://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Trans kulturation. (download vom 5.6.2013). 154 Siehe dazu auch die Ausführungen von Clausen, Bernd (2013), S. 16-18.

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musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff wie auch Muster musikalischen Tuns in Südkorea erhalten bleiben, andere aber können neu interpretiert werden oder durch (Teil-)Kombinationen oder Ersetzungen kann Neues entstehen. Über Ortiz Aussagen hinaus ist der Begriff der Transkulturation noch genauer zu umschreiben. Bei einer Transkulturation muss ein kultureller Ausdruck nicht in allen Bereichen verändert werden, sondern dies kann auch nur in Teilen geschehen. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass zwei oder mehrere Deutungen nebeneinander bestehen. Das Problem ist, wie diese unterschiedlichen Deutungen in ihrer Gänze sichtbar gemacht werden können. Auf der einen Seite können verborgene Deutungsmuster in der historischen Entwicklung der einzelnen Kulturräume quasi unsichtbar neue Phänomene bestimmen. Sie sind unter Umständen den handelnden Personen gar nicht bewusst und können schon dadurch nur mit Mühe oder gar nicht reflektiert werden. Umgekehrt aber können scheinbar eindeutige Veränderungen nur ein äußerliches Fenster, eine Fassade sein, hinter der andere Wirkund Deutungsmuster als die der gebenden Seite wirksam sind.155 Ob solche Parallelismen zweier gleichzeitig ablaufender Vollzüge auch bei dem hier untersuchten Prozess vorhanden sind, ist auch ein Teil dieser Untersuchung. Solch ein Suchen nach Selektivität bei einer Transkulturation mahnt z.B. Ángel Rama an. Er will Ortiz' Theorie dahingehend erweitert wissen, dass herauszufinden sei, wo die jeweilige nehmende Seite Inhalte, Formen, Konventionen usw. auswählt, übernimmt oder umdeutet und welcher Erfindungsreichtum bei diesem Tun zu einer Neokulturation führen kann. 156 Im Rahmen dieser Untersuchung bedeutet das: was übernehmen die im Prozess handelnden Personen warum und wie gestalten sie es um oder bauen daraus Neues? Nach Rama verläuft eine Transkulturation als Verlust, Selektivität, Erfindungsreichtum, Wiederentdeckung und Einfügung. Ob diese Verläufe auch bezüglich des untersuchten Prozesses zu verfolgen sind, wird sich erweisen müssen. Um etwas zu transkulturieren, müssen überhaupt mindestens zwei unterschiedliche Deutungen aufeinander treffen, da sonst von einem ‚trans‘ als ‚(hin-) über‘ nicht gesprochen werden könnte.157 Solch eine differente Erfahrung kann

155 Elemente eines solchen gleichzeitigen Nebeneinanders lassen sich z.B. bezüglich der Ausführung der christlichen Inhalte in Südkorea nachweisen (siehe Kapitel 3.1.4.). Ob es sich hierbei um einen wirklichen Parallelismus handelt, wäre, da es sich bei diesem Thema nicht um den Gegenstand dieser Untersuchung handelt, noch genauer zu untersuchen und bleibt daher mit einem Fragezeichen versehen. 156 Zu den Äußerungen Ramas siehe: Schwarzwald, Doris (2007). 157 Siehe zum Begriff des ‚trans‘ und zum Thema der Differenzerfahrungen auch Clausen, Bernd (2013), S. 16ff., 24ff.

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innerhalb einer Person, aber auch außerhalb zwischen Personen, Personengruppen oder gesellschaftlichen Zusammenschlüssen bestehen. Da jeder Mensch seine Identität aus dem Vergleich mit gleichen wie differenten Phänomenen gewinnt, kann es nicht darum gehen, Differenzerfahrungen zu vermeiden, sondern den Umgang mit ihnen zu schulen. Bezüglich der Musikpädagogik bedeutet das, auf das Musizieren selbst zu blicken und dieses aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.158 Ein Musizieren als Teil kultureller Repräsentationen steht in einer Wechselwirkung zwischen dem Ausgangspunkt, wie und was ein Mensch musiziert, und dem, wie dieses Musizieren dann wieder Kultrausdrücke und darin Kulturauffassungen prägt. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie, um miteinander in Beziehung stehen zu können, auf einen Austausch angewiesen sind, mithin also irgendeine Form transkultureller Kommunikation pflegen müssen. Wenn in der Transkulturation im Bilde von Ortiz etwas entsteht, das von beiden Herkunftsorten etwas hat, aber immer auch unterschiedlich von jedem einzelnen ist, so heißt das nicht, dass bei einer Transkulturation nur zwei Punkte aufeinander treffen. Denn diese Vorstellung käme einem Bild von klar abgegrenzten kulturellen Entitäten sehr nahe. Es handelt sich eher um die Begegnung von mindestens zwei prozessualen Gemengelagen. Verglichen mit Ortiz’ Bild der Kopulation von Menschen hieße das, dass hier Genpools aufeinander träfen. Damit ist ein rein dualistisches Denken, dass ein kultureller Ausdruck aus Deutschland/Österreich auf Südkorea trifft, nicht denkbar. Es soll damit nicht einer rein hybriden Vorstellung von Menschen jenseits nationaler Identitäten das Wort geredet werden. Denn Menschen verstehen sich auch als einer Nation zugehörig und haben in Aushandlungs- und sozialen Schließungprozessen mehr oder minder Teile ihrer Identitäten gefunden. Der Rückgriff auf nationale Identitäten kann für diese Untersuchung aber nur eine Umschreibung sein. Zwar verstehen sich die im Prozess handelnden Personen als einer Nation zugehörig und konstatieren, wie noch gezeigt werden wird, wenn sie etwas als ‚koreanisch‘, ‚deutsch‘ oder ‚österreichisch‘ bezeichnen, damit bestimmte Deutungen. Insofern ist die Begrifflichkeit einer Staats- oder einer damit

158 Nach Schippers können die einzelnen Teilnehmer(innen) beim Aushandeln von Deutungen unterschiedliche Vorstellungen von Kultur haben. Er beschreibt dabei vier Kategorien (monokulturell, multikulturell, interkulturell, transkulturell), die er jedoch nicht klar voneinander getrennt haben will, sondern: „It should be clear that these are not four clear-cut categories, but they tend to blend into one another.“ (Schippers, Huib [2010], S. 31)

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vermischten national-kulturellen Konnotation treffend. Aber es bleibt ein Unbehagen, würde es dabei bleiben. Denn gerade im Prozess einer Transkulturation werden Grenzziehungen in Frage gestellt, kulturelle Räume als nicht eindeutig, sondern in sich selbst auch vielfältig wahrgenommen. Doris Schwarzwald folgert daraus: „Es ist also wichtig zwischen transkulturellem Volk und transkulturellem künstlerischem Phänomen zu unterscheiden.“ 159 Um einen Transkulturationsprozess zu beschreiben, ist daher stets die Vielfalt in den Ausdrücken bei den drei Aspekten ‚Habitus‘, ‚kollektive Repräsentation‘ und ‚kulturelle Distinktion‘ zu berücksichtigen. Dazu kommt, dass Transkulturation komplexe Prozesse kultureller Transformationen in alle Richtungen beinhaltet, also nicht nur von einer übergeordneten in eine subalterne Richtung. Das bedeutet, dass auch ein Wissensgeber durch die Prozesse des Gebens seine Deutungen verändern kann. Die Anwendung des Begriffes ‚Transkulturieren‘160 für diese Untersuchung fordert ein methodisches Vorgehen. Denn bevor überhaupt etwas transkulturiert werden kann und dieser Prozess untersucht werden kann, muss bestimmt werden, um welche Gemengelagen es sich handelt, wie also Umgebungen durch Transferprozesse kulturell determiniert werden. Hierzu wird auf die Konzeption Gadamers Bezug genommen. Wenn einem Menschen etwas begegnet „was uns in unserer eigenen Welterfahrung noch nicht begegnet ist“161, so fordert solch eine Differenzerfahrung zu einer Antwort heraus. Um eine Antwort zu geben, ist es notwendig, sich der Fragen bewusst zu werden, die sich ein Mensch in seiner Zeit an seinem Ort stellt. Zeit und Ort beeinflussen die Weltwahrnehmung und die Deutungen der einzelnen Menschen. Diese Deutungen stehen in gegenseitiger Wechselwirkungen mit den jeweiligen Inhalten, was wiederum ihre kulturelle Umgebung mit konstituiert, sie ständig wandelt und neue Ausdrucksarten entstehen lässt. Gleichzeitig werden diese Änderungen wiederum auf die Geber von anderen Ausdrucksformen zurückwirken. Darin einge-

159 Schwarzwald, Doris (2007). Lateinamerikanische Literatur im Lichte der Transkulturation, in: Trans: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, vol. 14 (www.inst. at.trans/14Nr/schwarzwald14.htm [Zugriff vom 10.04.2007]). Schwarzwald spricht daher in ihrem Aufsatz von einer „plurikulturellen Bevölkerung“. 160 Bei dem Begriff ‚Transkulturation‘ weist die Endung „-tion“ darauf hin, dass hier ein Verb, das den andauernden Verlauf einer Handlung bezeichnet, in ein Substantiv umgewandelt wurde. Um diese kontinuativen Gesichtspunkte in den Fokus zu rücken, wird im Folgenden die Verbform ‚Transkulturieren‘ verwendet, solange sich die Handlungen auf den hier untersuchten Prozess beziehen. 161 Gadamer, Hans-Georg (1986), S. 192; S. 211; S. 238.

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bettet ist allerdings auch hier die Frage der Macht zu beleuchten, wer die Bedingungen zur Anwendung von Inhalten und dem Aushandeln von Bedeutungszuweisungen bestimmt. 1.3.4.3 Verstehen Um den Begriff des ‚Verstehens‘ in der hier verwendeten Definition einzuordnen, muss auf die bereits in Kapitel 1.2.3 erörterte Definition im Sinne Gadamers zurückgegriffen werden. Verstehen lässt sich nur etwas aus einem Vorverständnis (Vorurteil) heraus, da dieses einen Verstehensprozess gliedert, indem es Fragen erschafft und einen zumindest vorläufigen Erwartungshorizont beschreibt. In Abgrenzung zu Diltheys bekanntem Satz „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“162, wonach Erklären und Verstehen als Dichotomie dargestellt werden und in der Rezeption daraus unterschiedliche Erkenntniswege in Natur- und Geisteswissenschaften methodologisch abgeleitet wurden, wird hier der Begriff ‚Verstehen‘ in der Tradition von Gadamer als ein Seinsbegriff und weniger als ein Methodenbegriff der Epistemologie aufgefasst. Verstehen wohnt eine Doppeldeutigkeit inne. Auf der einen Seite geht es um eine Grundlage von Miteinander, das ohne einen Austausch von Wissen durch Kommunikation nicht möglich wäre. Auf der anderen Seite beinhaltet Verstehen oft auch eine Machtungleichheit. So sollen z.B. Schüler ihre Lehrer(in) verstehen, Einheimische die Ausländer usw. Mecheril schreibt dazu „Verstehen findet in den Kategorien desjenigen statt, der versteht. Verstehen tendiert dazu, Prozesse der Begegnung abzuschließen und nicht zu eröffnen. In dieser Hinsicht steht das Verstehen immer zwischen Illusion und Bemächtigung.“163

Er weist dabei auf den Ansatz von Christoph Wulf, nach dessen Meinung Verstehen auf Assimilation des Fremden abzielt und der daraus folgert: „Nicht der Anspruch, den Anderen zu verstehen, sondern die Erkenntnis, dass der Andere different und nicht verstehbar ist, muß zum Ausgangspunkt interkultureller Bildung werden“164

162 Dilthey, Wilhelm (1894), S. 139-240, hier S. 144. 163 Mecheril ergänzt dies weiter: „Der illusionäre und zugleich vereinnahmende Charakter des Verstehens ist im Übrigen eine der wirkmächtigsten Leitlinien der europäischen Geschichte des assimilativen, des vereinnahmenden Verstehens Anderer.“ (Mecheril, Paul [2009], S. 9) 164 Wulf, Christoph (1999), S. 61. Er zeigt das Dilemma des Verstehens auf: „… als völlig Unbekanntes ist das Fremde weder sprachlich noch gedanklich faßbar; greifbar

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Ihm geht es um die wechselseitige Akzeptanz der Differenz, nicht um deren Auflösung. Im Folgenden wird Verstehen nicht als solches Egalisieren von Differenz aufgefasst. Verstehen wird als dialogischer, nicht abschließbarer und nur auf Zeit und Ort beschränkte Antworten gebender Prozess gedeutet. Dabei bleiben die Ergebnisse stets ein Deutungsangebot, da ein Forscher keine universalen fundamental-ontologischen Strukturen aufweisen kann, denn diese böten nur eine einseitige Betrachtung des untersuchten Prozesses.165 Es geht immer auch um ein ‚audiatur et altera partes‘. Verstehen wird so immer eine Zuordnung auf Zeit beinhalten. Um nachvollziehen zu können, wie ein Phänomen gedeutet wird, ist es nötig, die Erkenntnisumstände in Erfahrung zu bringen. Dabei geht es um die kontextuale Anreicherung der Deutungsbestimmungen: Welche Umstände und welches Wissen, Zielvorstellungen, Ursachen usw. führen dazu, dass etwas in einer bestimmten Art in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort gedeutet wird. Das zu erforschen ist zunächst eine Aufgabe der empirischen Forschung. Zugleich sind die Voraussetzungen des Verstehens bei der forschenden Person zu berücksichtigen. Die Vorurteile der forschenden Person, die wiederum mit den Zeit- und Kulturumständen in einer Relation stehen, gilt es mit den Deutungen in eine Beziehung zu setzen, welche die in der Untersuchung involvierten Personen ihren Kontexten geben. Dabei geht es weniger um die Sinndeutung von Phänomenen, sondern vielmehr um ein im Überlieferungsgeschehen prozesshaft Seiendes. Phänomene werden im Sinne eines hermeneutischen Zirkels aus dem Vorwissen und den Vorurteilen der forschenden Person gedeutet und verändern diese wiederum. Aus diesem Grunde ist der sogenannte ‚hermeneutische Zirkel‘ auch kein primär methodischer Zirkel, sondern beschreibt ein ontologisches Strukturmoment des Verstehens. Verstehen kann als sich selber verstehen, als Verstehen der aktuellen Phänomene in einem Überlieferungsprozess zwischen vergangener und zukünftiger Deutung und als Verstehen von Deutungen anderer Menschen immer nur Antworten auf Zeit geben und ist ein nicht endender Prozess. Verstehen ist ein Antworten auf Fragen, die gestellt, aber nicht immer bewusst sind. Diese Fragen zu finden ist daher ebenso ein Teil des Verstehens.

wird es erst, wenn es in etwas transformiert wird, das so strukturiert ist, daß es auch Momente des Vertrauten enthält.“ (a.a.O., S. 62) 165 Vgl. dazu auch die Aussagen von Ram Adhar Mall: „Inkulturiertes Verstehen des Fremden ist Selbstverstehen mit einer Maske, ist ein maskiertes Verstehen. Das verstehende Subjekt eignet sich das zu verstehende Objekt an, indem es nach seinem eigenen Entwurf, nach seinen eigenen Vorurteilen verändert, zurechtlegt und vergewaltigt.“ (Mall, Ram Adhar [2005], S. 116)

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Dennoch müssen einer Definition, in der das Subjektive ein konstituierender Parameter der Beschreibung ist, objektivierende Strukturen an die Seite gestellt werden. Andernfalls bliebe eine Untersuchung im Erfahren und Erleben stehen und es könnten sich keine nachvollziehbaren und allgemeingültigen Strukturen bilden. Ein Verstehen, das sich als dialogisch-fragender Charakter begreift, benötigt Kommunikationsstrukturen und objektivierende Beschreibungsparameter. Dazu ist auch eine Distanz zum Prozess, aus dem heraus objektivierend erklärt und in Sinnzusammenhänge eingeordnet werden kann, notwendig. Aber diese Distanz darf dann nicht zu Verabsolutierungen von Kategorien führen, also eine Reliabilität voraussetzen, die sich den verändernden Situationen nicht anpassen. Vasilache, dessen Überlegungen diesem Verständnis zugrunde liegen, benennt diese Bedingtheit von Verstehen: „Ein Wissenschaftsideal, das das zu Verstehende als verfügbares Objekt klassifiziert, gerät in Widerspruch zum Imperativ der Anerkennung. Doch wenn die cartesianische Dichotomie von Subjekt und Objekt dem interkulturellen Verständnis nicht angemessen ist, wie kann sich dann ein flexibles Verhältnis von Subjekt und Objekt speziell im interkulturellen Verstehen produktiv darstellen und entfalten? […] Verstehen aus der Distanz impliziert zugleich ein gewisses Maß an Objektivierung. Insbesondere dort, wo nicht auf Anhieb erfahren und verstanden werden kann, wird die Notwendigkeit manifest, zunächst distanziert und begrenzt objektivierend zu erklären, ohne die Objektivierung allerdings zu überdehnen und damit den dialogisch-fragenden Charakter des Versehens preiszugeben, sowie dem Gebot der Anerkennung entgegenzuwirken.“ 166

Aus dieser Definition von Verstehen heraus ergibt sich, dass es keine für alle gleiche Deutung musikpädagogischer Konzeptionen geben kann. 167 Zusammenfassend bedeutet das: ‚Verstehen‘ wird in der Tradition von Gadamer als ein Seinsbegriff aufgefasst. Ein Mensch hat ein Vorverständnis (Vorurteil), auf dessen Hintergrund Fragen und Erwartungshorizonte generiert werden. Antworten sollen aber nicht den Erwartungen entsprechen, indem sie Differenzen egalisieren. Verstehen bedeutet Antworten aus der eigenen Wirklichkeit zu geben, sie anderen zur Verfügung zu stellen und zur Verallgemeinerung anzubieten. Verstehen ist das Aushandeln von Deutungen, ein dialogischer, nicht abschließbarer und nur aus dem Kontext des jeweiligen verstehenden Menschen darstellbarer Prozess. 166 Vasilache, Andreas (2003), S. 122f. 167 Christoph Richter fasst das zusammen: „Es geht immer um meine eigene Wirklichkeit, die ich anderen zur Verfügung stelle und der Verallgemeinerung anbiete.“ (Richter, Christoph [2012], S. 47)

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Der hier untersuchte Transfer wird daher unter dem Gesichtspunkt eines dialogischen Prinzips betrachtet. Ein innerer Dialog wird zugleich mit der Wirkungsgeschichte und den Deutungen anderer Menschen in ihrem Feld im aktuellen Kontext begutachtet. Dem Dialog mit den eigenen Vorstellungen, aus denen die Vorurteile entstehen, die ein(e) Dozent(in) wie ein(e) Lehrer(in) als Grundlage ersten Verstehens nehmen muss, werden Deutungsauseinandersetzungen mit der Geschichte und der Tradition des zu Vermittelnden, der jeweiligen Felder und den Vorstellungen anderer Menschen im aktuellen Geschehen an die Seite gestellt. In Bezug auf diese Untersuchung gilt somit, aus den Antworten der befragten Personen die Fragen ebenso herauszuarbeiten wie die Horizonte, unter denen der Autor arbeitet. Daher ist die Rückschau auf Entstehungsprozesse von aktuellen Deutungen, wie sie in den Kapiteln 2 und 3 ausgeführt werden, zur Einordnung der Phänomene in eine Wirkungsgeschichte, aus der sich Werturteile ableiten, unerlässlich. Auch wenn zu bedenken ist, dass die dort gegebenen Antworten aus einem bestimmten sozialen Feld heraus gegeben werden, so können doch aus den Antworten der Menschen in diesem Feld die Fragen abgeleitet werden, auf welche die Untersuchung des Prozesses Antworten geben soll. Erst daraus kann dann nachgewiesen werden, ob der Sinn der Orffschen Musikpädagogik in der Rezeption wie in der realen Durchführung der musikalischen Früherziehung in Südkorea gleich bleibt oder ganz oder in Teilen umgedeutet wird. Der Transfer musikpädagogischer Systeme kann zwar durch Bemühungen der Dozent(inn)en wie dem Erlernen von Wissen, Deutungsmustern usw. aus den Zielgebieten des Transfers in etischer wie emischer Form gut vorbereitet werden. Eine Auseinandersetzung, das Verstehen und Anwenden musikpädagogischer Konzeptionen werden jedoch stets in den Menschen selbst geschehen. Verstehen ist wandelbar und gebunden an Ort und Zeit und kann nur als kurzer Punkt auf einer langen Wirkungsgeschichte gesehen werden. Eine musikpädagogische Konzeption kann daher auch nicht statisch festgelegt sein, sondern ist einem „wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein“ 168 unterworfen, das wiederum stets eine Offenheit für neue Auslegungen fordert. Wenn die Musikerziehung im Sinne von Carl Orff in den hier untersuchten Fällen ganz oder auch nur teilweise eine andere Frage beantwortet als dessen Urheber zu beantworten meinte, dann liegt bereits hierin schon ein Dissens, auf den für ein (gegenseitiges) Verstehen eingegangen werden müsste. Daher werden die Antworten der Lehrer(innen) und Dozent(inn)en dazu genutzt, ihr Vorverständnis und ihre Fragen und Wünsche aufzudecken. Vorverständnisse oder Vorurteile

168 Eine „Wirkungsgeschichte“ bedeutet für Gadamer „im Verstehen selbst die Wirklichkeit der Geschichte aufzuweisen.“ (Gadamer, Hans-Georg [1960], S. 283.)

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werden nur bei einer statischen Verwendung Prozesse zum Verstehen blockieren, insofern sie die jeweilige Deutung von Phänomenen in einem hermeneutischen Zirkel unterbinden. 169 Zum Anknüpfen neuer Phänomene an bekannte Muster aber sind Vorurteile eine Bedingung für jedes Verstehen. Sie können als Teile eines Ganzen gesehen werden und bei entsprechender Häufigkeit und Intensität wiederum als Phänomene einer Verallgemeinerung und somit als Deutungsmuster ganzer Gruppe genutzt werden. Aber auch dies kann nur dynamisch-normativ für eine bestimmte Zeit und Ort gelten. Es geht um eine Annäherung an gegenseitiges Verstehen. Daher dürfen die Ergebnisse dieser Untersuchung auch nicht als endgültiges Verstehen, sondern als Verstehen auf Zeit in einem Feld aufgefasst werden. Und schließlich muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Annäherung an gegenseitiges Verstehen nicht notwendigerweise auch ein gleiches Handeln impliziert. Denn rein gedankliches Nachzeichnen bedeutet noch keine automatische Wertung im Sinne von ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ mit daraus folgendem Handeln. So sprechen Kim Hye-On und Siegfried Hoppe-Graff davon, dass einem Wissen von etwas nicht notwendigerweise eine Handlungsfähigkeit folgen muss: „Der koreanische Gelehrte verfügt über ein beachtliches Maß an Verständnis der europäischen Kultur, ohne dass daraus ein wirksames Handeln erwächst und ohne dass es zu diesem Lernen einer ‚verunsichernden‘ Erfahrung im Zusammentreffen mit einer anderen Kultur bedurft hätte. Es zeigt sich: Die Beziehung zwischen interkulturellem Lernen, Verstehen und Handeln ist komplexer […].“170

169 Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn die Aktionen südkoreanischer Lehrer(inn)en lediglich aus dem Blickwinkel von in Deutschland sozialisierten Dozent(inn)en betrachtet und beurteilt werden. Wenn also die Vorstellungen der Dozent(inn)en nicht als Verallgemeinerung angeboten werden, also in einen hermeneutischen Zirkel zur Aushandlung von Deutungen eingebracht werden, sondern sie von vorne herein als absolut gesetzt werden (als ein „Man“ im Sinne Heideggers). 170 Kim, Hye-On; Hoppe-Graff, Siegfried (2003), S. 182. Die Autoren grenzen sich bei diesem Text gegen Thomas, Alexander (2003) ab. Dieses Zitat aus dem Jahr 2003 ist durchaus vergleichbar mit der Erfahrung von Karl Löwith aus dem Jahr 1940, die er in seinem japanischen Exil machte. Er schreibt: „Dieser Charakter der freien Aneignung scheint mir in Japan meist zu fehlen. Die Studenten studieren zwar mit Hingabe unsere europäischen Bücher und verstehen sie auch dank ihrer Intelligenz, aber sie ziehen aus ihrem Studium keine Konsequenzen für ihr eigenes, japanisches Selbst. […] sie leben wie in zwei Stockwerken; einem unteren, fundamentalen, in dem sie

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Im nachfolgenden Kapitel werden Entwicklung und Charakteristik der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff dargestellt, indem die Entwicklungsprozesse, in dem diese Inhalte und Methoden entstanden, aus ihrem kulturellen Umfeld heraus erklärt werden. Der gleiche Weg wird dann im dritten Kapitel bezüglich der Rezeption der musikalischen Früherziehung in Südkorea beschritten, bevor danach die Untersuchungswege und -ergebnisse dargelegt werden.

japanisch fühlen und denken, und einem oberen, in dem die europäischen Wissenschaften von Platon bis zu Heidegger aufgereiht stehen, und der europäische Lehrer fragt sich: wo ist die Treppe, auf der sie vom einen zum anderen gehen?“ (Löwith, Karl [1983], S. 536)

2. Carl Orff und die musikalische Früherziehung

2.1 P ERSPEKTIVEN

AUF DIE

M USIKPÄDAGOGIK O RFFS

Es ist nicht möglich, die Musikpädagogik Orffs objektiv zu beschreiben. Denn eine allgemeingültige Sichtweise kann aus dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial nicht exzerpiert werden. In jeder Überlieferung von Orffs musikpädagogischem Wirken schwingt auch ein subjektiver Standpunkt mit. Jenseits der harten Fakten wie Biographie, Werke usw. sind Überlieferungen gleichzeitig eine Interpretation, weil in die Überlieferung von Orff auch die Deutungsmuster der Überlieferer einfließen. Die Annäherung an die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff erfolgt an dieser Stelle daher nicht chronologisch im Sinne einer konstruierten Objektivität. Für die Deskription der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff wird aus verschiedenen Perspektiven auf Carl Orffs musikpädagogisches Werk geblickt werden müssen. Es sind dies eine historische, eine anthropologische, eine (musik-)pädagogische und eine kritische Perspektive. Dass auch hier hinein Deutungsmuster des Forschers einfließen, ist nicht zu vermeiden. Sie sind aber zu benennen. So zeigt allein schon die Entscheidung, statt einer scheinbar objektiven chronologischen Abfolge unterschiedliche Perspektiven zu wählen, ein Deutungsmuster des Autors auf. Denn hinter der Entscheidung steht die Vorstellung, dass die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff aus unterschiedlichen Blickwinkeln stets neu gedeutet werden muss, dadurch auch Änderungen unterliegt und kein statischer Ist-Zustand sein kann.

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2.1.1 Historische Perspektive In diesem Abschnitt wird der zeitgeschichtliche Kontext, in dem Orff seine musikpädagogischen Überzeugungen entwickelte, skizziert. Carl Orffs Lebensspanne (1895–1982) ist geprägt von zum Teil massiven gesellschaftlichen und weltanschaulichen Veränderungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erodierte zunehmend der existenzielle Halt an die christliche Gottesvorstellung und andere metaphysische oder transzendentale Glaubens- und Weltbilder. Mit den naturwissenschaftlichen und technisch umsetzbaren Erkenntnissen der (auch militärischen) Industrie wurde die Sicherheit der erlebten physikalischen Welt brüchig. Es kam zum 1. Weltkrieg, und mit ihm brach nicht nur in Europa eine – wenngleich nur scheinbar – heile Welt in allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und damit auch der Kultur offensichtlich zusammen. Nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung mussten neue Wege gesucht werden, denn die herkömmlichen, auch künstlerischen Ausdrucksmittel reichten nicht mehr aus. Künstler(innen) versuchten, das ehemals Statische der Gesellschaft, das auch zur Katastrophe des 1. Weltkrieges geführt hatte, zu überwinden, indem sie neue Ausdrucksformen ausprobierten. Ein wesentliches Merkmal wird die Bewegung und die Suche nach einem anderen Verständnis von Raum und Zeit. So werden alte Formen in allen Bereichen zerlegt oder zerrissen und wieder neu zusammengesetzt. Einen gehörigen Teil zur Verbreitung der damit einhergehenden Vielfalt trugen die aufkommenden Medien bei. Sie beeinflussten das Leben der Menschen ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich und nachhaltig. Dies ist zusammen mit der Verkürzung von Distanzen zu sehen, die durch den technologischen Fortschritt auch die Distributionswege intensivierten und die Begegnung mit neuen Ideen und Ausdrücken über größere Entfernungen und in immer kürzerer Zeit möglich machten. Dass die dadurch ermöglichten Begegnungen mit neuen Ansichten ebenso Verunsicherung und Angst auslösten, aber auch die Chance boten, weltweit unterschiedliche Lebensausdrücke kennenzulernen und das eigene Leben zu erweitern, ist hinlänglich bekannt und untersucht. Zwischen der Angleichung der Weltwahrnehmung und kulturellen Bereicherung in Vielfalt gibt es diverse Nuancen. Der Umgang mit der Musik änderte sich.171 Musik stand nunmehr im „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“.172 Walter Benjamin sprach in dem

171 1887 wird die Schallplatte erfunden. 1948 kamen dann die ersten Vinylplatten auf den Markt, ab 1978 auch in digitalisierter Form. Heute werden Platten weitgehend von CDs, mp3 Formaten u.a. in tragbarer Form abgelöst. 172 So lautet der Buchtitel von Benjamin, Walter (1986).

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gleichnamigen Aufsatz dem technisch reproduzierbaren Kunstwerk (er kannte nur Radio, Film und Schallplatte, heute kommen ja noch Video, Fernsehen, Internet u.a. dazu) vor allem die Aura173 ab. Joachim Ernst Berendt, der sich vor allem mit dem Jazz befasste, schreibt „Es ist nahezu unmöglich, den Einfluß der Schallplatte auf die Entwicklung des Jazz in vollem Umfang abzuschätzen. Begnügen wir uns mit einer Feststellung: Ohne dieses Medium wäre der Jazz allenfalls eine regional begrenzte «Volksmusik» geblieben.“174

Carl Orff war an den Möglichkeiten, die die neuen elektronischen Medien und die dadurch ermöglichten Kompositionen beinhalteten, durchaus interessiert. Auf die Frage, wie er denn zu den Tendenzen der zeitgenössischen Musik eingestellt sei, antwortete er: „Durchaus positiv! Meine besondere Aufmerksamkeit gilt der Entwicklung der Elektronischen Musik. Seinerzeit habe ich das Siemensstudio für Elektronische Musik in München selbst mit ins Leben gerufen. Bei meinem letzten Besuch in Japan konnte ich mit großer Freude beobachten, wie lebhaft zustimmend die Japaner auf Stockhausens Werk reagierten. Da ergeben sich – ganz in meinem Sinne – Kommunikationen von Zukunftsbedeutung.“175

Mit den zunehmenden technischen Möglichkeiten änderte sich auch die Funktion des Musizierens. Musik wurde durch ihre Reproduzierbarkeit in vielen Fällen zum Massenprodukt. Der Musikwissenschaftler Wolfgang Suppan bemerkt dazu: „Die Geschichte der sogenannten ‚abendländischen‘ Musikkultur ist gekennzeichnet durch die Verselbständigung der Musik zu einer ‚autonomen‘ Kunst. Nach Kant sei das Wesen der ästhetischen Erziehung von ‚interesselosem Wohlgefallen‘ bestimmt. Am Ende dieser Entwicklung steht die Denaturierung der Musik zum Schmuck, zur Verzierung, zum Prestigeobjekt – und das Motto ‚L’art pour l’art‘. Wobei der Wert des einzelnen Musikstückes

173 Dahinter steht sicherlich der Kunstbegriff des 19. Jahrhunderts, dass ein Kunstwerk bewundert werden soll und es etwas Besonderes ist. Im 20. Jahrhundert findet bei diversen Kunstwerken ein Funktionswandel statt. Nicht mehr (allein) Bewunderung ist wichtig, sondern auch Benutzung. Kunst ist nicht mehr dazu da, um es nur wahrzunehmen, sondern auch zur eigenen „performance“. Kunst ist nicht selten ein Ambiente zur Selbstdarstellung. Statt passiv das mehr oder minder zufällig Angebotene hinzunehmen, wollen manche aktiv wählen. Dass solch ein Wählen zum Teil eine Pseudoaktivität (wie das „Zappen“ der Fernsehkanäle) ist, steht auf einem anderen Blatt. Grundsätzlicher scheint der Wandel eines Kunstwerks vom Bewunderten zum Benutzten. 174 Berendt, Joachim Ernst (1986), S. 88. 175 Orff, Carl in: Lohmüller, Helmut (1965), S. 195.

80 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN von Ästhetiken geregelt wird: von Konventionen, von Übereinkünften, die in bestimmten gesellschaftlichen Systemen von bestimmten gesellschaftlichen Schichten getroffen werden: im Grund also Ideologien sind. Musik wird zu einer Ware, um nichts als um ihrer selbst willen begehrt und gehandelt.“176

Neben diesem Verständnis von Musik als Ware gibt es laut Suppan allerdings auch eine Art Rückbesinnung. So bedeute z.B. Free Jazz eine „Rückgewinnung dieser – wenn sie so wollen – ‚primitiven‘ oder, genauer: primären Bestimmung von Musik – und er bedeutet für den Angesprochenen, für den in den Kreis Einbezogenen (es ist nicht der ‚Hörer‘) Rückverweisen auf solche Bestimmung. Es handelt sich um ein zeitliches und gesellschaftliches Zurückspringen, um ein Wiederholen von Ritualbeziehungen, in deren Kontext Musik kraft des ihr innewohnenden Informationsgehaltes und kraft der ihr spezifischen Reflexionsstruktur bewußtseinsbildend wirken kann.“ 177

Nach Suppans Überzeugung findet das Musizieren im Free Jazz und in der Neuen Musik wieder zum Gebrauchswert zurück, denn dort ginge es um das Verstehen von Sinnzusammenhängen. „Das Musikverständnis in den westeuropäischen Industriekulturen ist unter diesem Aspekt im Wandel begriffen. Musizieren wird immer weniger als reine Bildungsaufgabe, als prestigemehrendes Gesellschaftsspiel elitärer Klassen betrachtet, sondern integriert in die allgemeinen Aufgaben menschlichen Zusammenseins.“178

In solch ein Rückverweisen auf eine das Bewusstsein bildende Grundidee sind auch die Musik und der musikpädagogische Duktus, den Carl Orff verkörpert, einzuordnen. Und nicht nur die Musik, sondern auch die pädagogischen Konzeptionen wurden im 20. Jahrhundert in Frage gestellt. Verschiedene Bewegungen, die aus der Kritik an den Schulordnungen des 19. Jahrhunderts hervorgingen, wurden (sicherlich etwas undifferenziert) unter dem umfassenden Begriff der ‚Reformpädagogik und ihre Folgen‘179 zusammengefasst. Ganz grundsätzlich ging es

176 Suppan, Wolfgang (1976), S. 183. Er kommentiert weiter: „Da Kompositionen und Interpretationen durch nichts anderes als durch ihr An-sich-Sein Repräsentationscharakter bekommen, müssen innermusikalische, gestaltanalytische Gegebenheiten (wie Töne, Melodien, Rhythmen, Harmonien in sich funktionieren) zu den Bestimmungsmerkmalen ihres Marktwertes werden.“ (a.a.O., S. 183). Suppan verweist dabei auf eine Schrift von Holz, Hans Heinz (1972), S. 16. 177 A.a.O., S. 185. 178 A.a.O., S. 185. 179 Dazu gehört die Wandervogelbewegung, die um 1895 in Berlin entsteht. Sie ist eine

Bewegung der bürgerlichen Jugend der Städte, vor allem von Gymnasialschülern, die

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den Vertreter(innen) reformpädagogischer Ideen darum, aus der Vorstellung einer natürlichen Entwicklung des Menschen heraus eine Pädagogik aufzubauen, die nicht nur rein formal Inhalte vermittelt, sondern sich auf das Leben bezieht und sich als Lernen in Lebensgemeinschaften versteht. Dabei war ungeachtet der jeweiligen Grundannahmen der einzelnen pädagogischen Richtung in den meisten Fällen die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit in Freiheit, eigener Aktivität und Eigenverantwortung das Ziel. In diesem zeitgenössischen musikpädagogischen Rahmen sind auch die Ideen und Gestaltungen von Carl Orff zu verorten. Parallel zu der Entwicklung von Carl Orffs Stil entwickelte sich in Deutschland der ‚deutsche Ausdruckstanz‘. Die Ideen dieses Tanzstils beeinflussten Carl Orffs musikalische Kompositionen und seine musikpädagogische Arbeit, zumal er sie auch innerhalb seiner Tätigkeit in der Tanzschule von Dorothee Günther 180 nutzte.

„in Feld und Wald“ hinauszogen. Weiter ist auch der Versuch zu nennen, einer ‚Unterrichtsschule‘ eine ‚Erziehungsschule‘ entgegen zu stellen. Beispielhaft dafür sind die Werke von Lietz, Wyneken und Geheeb. Die Montessori Pädagogik oder der anthroposophischen Walddorfpädagogik von Rudolf Steiner, die Suche nach der ‚Arbeitsschule‘, die durch die Schulreformen von Kerschensteiner und Gaudig und – für den kommunistischen Teil – durch Blonskij in der UdSSRumgesetzt wurden, sowie die Einrichtung von polytechnischen Schulen in der DDR können auch dazu gezählt werden. 180 Dorothee Günther (1896-1975) studierte unter anderem an der Kunstgewerbeschule Dessau Graphik, Kunstgeschichte und Anatomie und arbeitete 1916/17 als Regieassistentin am Staatlichen Schauspielhaus in Hamburg. Sie lernte die Systeme von Émile Jaques-Dalcroze, Rudolf von Laban und Beth Mensendieck (durch Kurse mit Mensendieck Gymnastik verdiente sie zunächst ihr Geld) und machte sich mit Atemgymnastik und Sprechtechnik vertraut. Sie wollte eine Schule für Körper- und Tanzerziehung gründen, in der neben einer Grundausbildung Gymnastik, Rhythmik und künstlerischer Tanz unterrichtet werden sollten. Dabei ging es ihr um die (Wieder-) Herstellung Einheit von Musik und Bewegung/Tanz. Sie war ˀ wie Orff ˀ davon überzeugt, dass in allen Menschen rhythmische Schwingung, Tanz- und Musizierlust erweckt werden konnten. Hierbei war nicht die Komposition das Ziel. Jeder sollte als Bewegungslehrer und Tänzer dazu in der Lage sein, aus dem Stegreif Bewegungen zu begleiten, so wie in früherer Zeit jeder Musiker dazu in der Lage war, zur gegebenen Melodie den Generalbaß zu spielen. Nicht die „Begabung“ war hier entscheidend, sondern das entwickelte rhythmisch-melodische Empfinden. 1924 gründete sie daher gemeinsam mit Carl Orff den ‚Bund für angewandte und freie Bewegung e. V.‘, der dann später zur ‚Günther-Schule München‘ wurde.

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Der deutsche Ausdruckstanz wurde durch die von Francois Delsarte (18111871) beeinflussten Ruth St.Denis (1878-1968) und Isadora Duncan (1878-1927), von Mary Wigman (1886-1973), Harald Kreutzberg (1902-1968) und anderen entwickelt. Er war auch eine Reaktion auf Tanzkonventionen, die von vielen dieser Künstler(innen) als Entsinnlichung des Körpers in Verbindung mit der Disziplinierung des Ausdrucks empfunden wurde. Körperlichkeit ließ sich danach nur in einem Korsett von Konventionen ausdrücken.181 Die ganze Kraft und der Ausdruckswille des Körpers kämen dadurch nur mittelbar zum Ausdruck. Dies galt auch für das Musizieren: „Dementsprechend wandelt sich auch das Instrumentalspiel. Es entfernt sich rasch von der Ausdrucksästhetik des ausgehenden 18. Jahrhunderts und wird durch das Virtuosentum zum Ausdruck einer motorischen Akrobatik, deren Leistungsansprüche sich bis zum Sinnverlust steigern und der Musik die Fähigkeit nehmen, auf differenzierte Weise innere Zustände und Affekte mitzuteilen.“ 182

181 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also parallel mit der Zeit, in der Orff seine Ideen generierte, entwickelten Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung ihre Theorien, die in vielen Teilen auf dem Zwiespalt einer durch Konventionen geforderten äußeren Entsinnlichung bei einem gleichzeitig im Menschen verlangenden Ausdruckswillen beruhen. Aus der Diskrepanz zwischen Gefühl und Ausdrucksmöglichkeit entwickelten sie ihre Konzeptionen. 182 Kugler, Michael (2000), S. 318. Und Orff schreibt: „Durch unser klassisches Musikgut, das fast für jeden heutigen Laien die Basis seiner musikalischen Empfindungswelt darstellt, ist der Weg zur primitiven Urmusik verdeckt. Das kindlich primitiv Schöpferische ist von einer ungeheuren Kunsttradition überschattet.“ (Orff, Carl [1932/33], S. 218). Verblüffend ähnlich, jedoch aus anderem Blickwinkel kommt Kim Ji-Hye zu einer vergleichbaren Aussage hinsichtlich dem Lehren und Lernen von Samulnori: „Samulnori, bzw. traditionelle koreanische Musik, orientiert sich zunächst ausschließlich an den Körpersinnen wie Hören, Singen, Fühlen, Bewegen usw. Ohne die Stütze durch Noten, nur durch das Auswendiglernen mit Körperbewegungen werden die komplexeren musikalischen Ausdrücke verinnerlicht, indem die Selbsterfahrung der Schüler ohne eine von vorneherein vom Lehrer erwartete kognitive Erklärung der Erkenntnis bewirkt. Für Samulnori als Gruppenmusik ist entscheidend, dass das Mitgehen und Mitfühlen der SpielerInnen durch das gemeinsame Atmen in Einheit gebracht wird und Aufgabenverteilung und Instrumente in Balance gehalten werden. Diese an Körper und Prozess orientierte Methode wirkt bei den SchülerInnen

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Der Ausdruckstanz wurde somit auch als Möglichkeit einer Befreiung empfunden. Der einzelne Mensch mit seinem körperlichen wie seelischen Erleben, seinen Hoffnungen und Ängsten wurde Thema dieses Tanzes. Dabei war der Tanz der 1920er Jahre alles andere als einheitlich.183 Er war genauso widersprüchlich und kämpferisch wie die Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik. Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse ermuntert, wurde es möglich, in Experimenten zu erfinden, auszuprobieren und zu verwerfen. Überall in Deutschland gab es Gastspiele und Schulneugründungen, weil Tänzer(innen) allein schon aus Existenzgründen gezwungen waren, oft aufzutreten oder irgendwo eine Schule zu gründen, sodass auch in den kleineren Städten Laientanz- oder Gymnastikschulen aus dem Boden wuchsen. Eine solche Schulneugründung war auch die Günther-Schule in München. Orff studierte an der Akademie der Tonkunst und arbeitete dann als Schauspielkapellmeister. Dabei traf er auch Mary Wigman184, die ihn beeindruckte. In

ganz neu und eröffnet einen neuen Blick auf jenes Musizieren, an das sich die europäische Musikausbildung seit der Frühen Neuzeit gewöhnt hat.“ (Kim, Ji-Hye [2011], S. 249f.) 183 Um die Jahrhundertwende beeindruckte bereits Loie Fuller durch Bewegungs-, vor allem aber durch die Beleuchtungseffekte. Sie war, wie einige es nannten, eine ‚Tänzerin der flüchtigen Impression‘. Isadora Duncan oder die Geschwister Gertrud und Ursula Falke waren in der Zeit um den 1.Weltkrieg herum bekannte Tänzerinnen. Aber die Spannweite war enorm groß: Die Wienerin Grete Wiesenthal, die Tänzerin ‚La belle Otero‘, die Nacktdarstellerin Olga Desmond, die ‚Schönheitstänzerin‘ Cleo de Merode oder Mata Hari waren ebenso Tänzerinnen dieser Zeit. 184 Mary Wigman studierte 1910/11 bei Émile Jaques-Dalcroze, war aber mit der Methode von Émile Jaques-Dalcroze letztlich nicht zufrieden. 1913 lernte sie auf dem Monte Verità bei Laban, bei dem sie auch bis 1917 blieb. Danach 1917 tanzte sie mit unterschiedlichen Programmen und eröffnete 1920 eine Schule für modernen Tanz in Dresden. Dort unterrichteten u.a. Harald Kreutzberg, Gret Palucca oder Dore Hoyer. Vor allem aber choreographierte sie immer neue (Solo-)Tänze und trat damit bis 1942 in Europa und den USA öffentlich auf. Danach arbeitete sie als Lehrerin. Wigman war in den 1920er Jahren einer der führenden Personen des deutschen Ausdruckstanzes. Ihr ging es auch darum, den Tanz aus der Unterordnung unter die Musik lösen. So tanzte sie oft lediglich mit der Begleitung durch Gongs oder Trommeln und in manchen Stücken ganz ohne Musik. Sie meinte Tanzen sei „sich bewegen, innere unsichtbare Bewegtheit zu körperlich sichtbarer Bewegung zu wandeln.“ (Wigman, Mary [1925], S. 12) Für sie enthält Tanz das Erkennen einer über dem Menschen stehenden

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ihrem musiklosen absoluten Tanz sah er den Ausdruck des Elementaren, den er in der Musik suchte. „Alle ihre Tänze waren von unerhörter Musikalität beseelt. Sie konnte mit ihrem Körper musizieren und Musik in Körperlichkeit umsetzen. Auch ich suchte das Elementare, die elementare Musik“. 185 Beim Schauspiel konnte er ebenso die Möglichkeiten und Parallelen von Bewegung und musikalischen Ausdruck kennen lernen, wie sie ihm auch durch die Einflüsse des modernen Ausdruckstanzes nahe gebracht wurden. Auf musikwissenschaftlichem Gebiet war es Curt Sachs186, der in diversen Gesprächen und Briefen mit Carl Orff korrespondierte und ihn in Fragen der Instrumentation, der Aufführungspraxis und natürlich auch der Komposition beriet. Orff strebte danach, eine elementare Musik zu finden. In einem Gespräch aus dem Jahr 1923, also noch vor der Eröffnung der Günther-Schule für Gymnastik und Tanz im Jahr 1924, sagte Curt Sachs zu Carl Orff: „Sie verfolgen mit ihrem Plan ganz eigene Absichten und denken auf diesen Wegen zu Quellen zu kommen, die sonst unbeachtet bleiben oder doch übersehen werden. Sie wollen ‚zu den Müttern‘ hinabsteigen, dorthin wo aller Anfang liegt. Je mehr ich es bedenke, könn-

Macht. Tänzer(innen) sind danach Auserwählte, die sich im Tanzen dieser Macht verpflichten und sie zum Ausdruck bringen. Mary Wigman betonte im Gegensatz zum Ätherisch-Feenhaften des klassisch-romantischen Ballettes das Körperlich-Bodenhafte. Raum und Boden wurden wichtig. Die Tanzthemen waren expressionistisch, zum Teil düsterer Art: Schrei, Klage, Totentanz, ‚Ecce homo‘, Vision usw. waren Inhalte ihrer Darstellung. Aus dem Unterbewusstsein drangen ihrer Aussage nach geistiges und seelisches Erleben hervor und kamen im Tanz zum Ausdruck: „Dort, wo das Wissen um die Dinge aufhört, wo nur das Erlebnis Gesetz ist, dort beginnt der Tanz. Nicht Gefühle tanzen wir! Sie sind schon viel zu fest umrissen, zu deutlich. Den Wandel und Wechsel seelischer Zustände tanzen wir, wie er sich in jedem Einzelnen auf seine besondere Art vollzieht und in der Sprache des Tanzes zum Spiegel des Menschen wird, zum unmittelbarsten Symbol alles lebendigen Seins wird.“ (Wigman, Mary [1923]) „Tanzen heißt: Sich bewegen, innere unsichtbare Bewegtheit zu körperlich sichtbarer Bewegung zu wandeln. [...] Ausdruck ist Durchbruch unbewußter, seelischer Vorgänge zu körperlich bewußtem Zustand.“ (Wigman, Mary [1925], S. 7) 185 Orff, Carl (1976), S. 8; siehe dazu auch Jungmair, Ulrike (1992), S. 93. 186 Curt Sachs (1881-1959) war Lehrer, Musiktheoretiker und Direktor der ‚Sammlung alter Musikinstrumente an der Staatlichen Hochschule für Musik zu Berlin‘. Er veröffentlichte 1914 mit Erich von Hornbostel die bis heute gültige Systematik der Klassifikation von Musikinstrumenten. 1933 wurde Sachs entlassen und emigrierte über Paris nach New York, wo er bis 1953 an der New York University arbeitete.

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ten gerade Sie dabei für Ihre Musik und Ihre Ideen wichtige Anregungen und Impulse erhalten. Das Elementare ist Ihr Element und das werden Sie, wenn ich Ihre weitgespannten Darlegungen begreife, dort wiederfinden.“187

Cornelia Fischer fasst zusammen: „Kerngedanke bei der Gründung der Günther-Schule München durch Dorothee Günther und Carl Orff war es, einen neu statuierten Konnex zwischen Klang und Gebärde, Musik und Tanz zu schaffen.“188

Orff war zunächst Musiker und Komponist, bevor er sich als musikalischer Leiter der Günther Schule in Zusammenarbeit mit Dorothee Günther auch pädagogischen Themen zuwandte. „Orffs Zielstrebigkeit, das Musizieren im allgemeinen wieder einer natürlichen Grundlage zuführen zu wollen, passte auf ideale Weise in das Konzept Günthers; und was von Günther gesucht wurde, tanzbare Musik, Musik, die nicht tänzerische Formen, sondern Inhalte bieten konnte, verwirklichte Orff auf einmalige Art und Weise.“189

Orff nutzte die schulischen Aktivitäten auch als Experimentierfeld für seine Ideen: „Als Musiker interessierte es mich, eine neue Art der Musikerziehung zu erproben. An der geplanten Schule würde sich mir, wie ich dachte, ein ideales Versuchsfeld bieten. Ohne auf irgendwelche Vorgänger oder deren Vorleistungen auf diesem Gebiet zurückzugreifen, wollte ich das Problem auf meine Weise angehen. Damit verschob sich der Ausgangspunkt von einem rein pädagogischen auf einen künstlerischen.“190

Für Orff sind der Lebensausdruck eines Menschen und musikalisches Handeln, das sich im Klang, Bewegung und Sprache ausdrückt, eins; Biologie und Soziologie überschneiden sich im musikalischen Ausdruck.191 Jeder Mensch sollte seinen Lebensumständen entsprechend musizieren. Er schreibt:

187 Curt Sachs, zitiert nach Orff, Carl (1976), S. 14. Das Zitat entstammt einem Gespräch über die Möglichkeiten der zu dieser Zeit sich noch im Planung befindlichen Güntherschule in München. Mit ‚dort‘ im letzten Satz ist die Verbindung mit der Bewegungskunst, Gebärde und Tanz gemeint. 188 Fischer, Cornelia (2010), S. 71. 189 Jungmair, Ulrike (1992), S. 93. 190 Orff, Carl (1976), S. 13. 191 Orff sieht in seinen früheren Aussagen die Möglichkeit des Muszierens in jedem Menschen biologisch-naturhaft angelegt. Er sprach lange Zeit davon, dass Mensch und Musik in einer parallelen Entwicklung verliefen. So sieht er z.B. eine Deckungs-

86 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Der musikalische Laie soll NICHT Kunstmusik (wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf) LAIENHAFT betreiben, sondern eine eigens ihm entsprechende. Das ist keine Herabsetzung des Laien, sondern eine Höherstellung. Es wird viele Menschen nicht befriedigen, in der heutigen Zeit, in der man viel zu viel Musik und sog. gute Musik auch gut hören kann, mit seinen technisch unvollkommenen Mitteln mit der Wiedergabe von Kunstmusik in Wettstreit zu treten. Ebensowenig wie es einen wirklich musikalischen Menschen auf die Dauer befriedigen kann, nur zu hören.“192

Neben Dorothee Günther war es Gunhild Keetman193, die Orffs Ideen teilte und mit ihm zusammen Konzeptionen entwickelte. „Orffs konzeptionelle Arbeit beruht auf Austausch und Wechselwirkung, die sich im theoretischen Ansatz mit D. Günther vollzieht, im musikpädagogischen mit Keetman und Bergese.“194 Gunhild Keetman nutzte neben den europäischen Instrumenten – für sie war es besonders die Flöte – auch außereuropäische Instrumente. Da zudem Gastauftritte mit afrikanischer, indischer und indonesischer Musik in der Günther-Schule stattfanden und Platten mit nicht-europäischer Musik vorhanden waren, wurden im Schulalltag auch außereuropäische Klänge genutzt. Der Durchbruch der Methode im gleichheit zwischen der Entwicklung des Kindes und dem Aufbau über die Pentatonik. Das führt dazu, dass Werner die Pentatonik nicht nur als „dem mentalen Wachstum des Kindes entsprechend“ bezeichnet, sondern dies auch historisch mit der Entwicklung der „Zeit der sich entfaltenden abendländischen Mehrstimmigkeit“ in eine Beziehung setzt. (Werner, Thomas [1964], S. 267) 192 Orff, Carl (1931), S. 5; diese Aussage könnte sich auch heute auf eine in manchem Musikunterricht auftretenden Problematik beziehen, wonach Kinder sich an medial vermittelten Ausdrucksmöglichkeiten messen und weniger auf sich selbst hören, mithin also mehr fremdbestimmt urteilen und handeln und weniger darüber reflektieren, ob dies Musizieren mit ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmt. 193 Gunild Keetman (1904-1990) kam 1925 als Schülerin an die Günther Schule und wurde nur ein Jahr später Orffs Mitarbeiterin. Sie probierte zusammen mit Orff z.B. das ‚Instrumentarium der Welt‘ aus. Darunter sind allerlei Stabspiele (Glockenspiele, Xylophone, Metallophone) zu verstehen, aber auch das ‚kleine Schlagwerk‘, Membranophone wie Trommeln und Pauken und weitere Instrumente, die ihnen zugänglich wurden. Diese Instrumente bezog sie dann auf den Gymnastik- und Tanzunterricht und komponierte Spiel- und Tanzstücke. An einem großen Teil der Kompositionen in der Schulwerkausgabe ‚Musik für Kinder‘ ist Keetman beteiligt. Ab 1949 gab Keetman am Mozarteum in Salzburg Orff-Schulwerk-Kinderkurse und fuhr ins Ausland, um dort das Orff-Schulwerk bekannt zu machen. 1970 erschien ihr Buch ‚Elementaria‘, als didaktischer Leitfaden für den Umgang mit dem Orff-Schulwerk. 194 Kugler, Michael (2000), S. 301.

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Sinne von Carl Orff waren dann die Schulwerkkurse in Stuttgart und Berlin und das Erscheinen der ersten Schulwerkhefte im Jahr 1932. Das Orff-Schulwerk entsprang also der Praxis und war keine allein in der Theorie entwickelte Konzeption. „Günthers Interesse galt tanztheoretischen und tanzpädagogischen Problemen und der anthropologischen Frage, warum der Mensch tanzt.“195 Die Aufgabe der Bewegungsschulung beschreibt sie: „Das Ziel der Bewegungserziehung innerhalb des Orff-Schulwerks ist eng umrissen: sie dient der elementaren Musikerziehung und will Mittel in die Hand geben, rhythmisch dynamische Erlebniswerte in einfacher Weise durch die Bewegung zur Darstellung zu bringen, da die rhythmische Aufnahme- und Wiedergabefähigkeit – zumal im kindlichen Alter – aufs engste mit dem motorischen Lernen gekoppelt ist.“196

Umgekehrt war es für Orff wichtig, dass jeder Bewegungslehrer und Tänzer fähig sein sollte, Tanz und Bewegung an Instrumentalklänge zu binden (z.B. indem zu einer gegebenen Melodie den Generalbass gespielt wurde). Die zu nutzenden Instrumente sollten einfach zu spielen sein. Er wollte, dass die Schüler(innen) ein rhythmisch-melodisches Empfinden entwickelten und aus und für Bewegung musizierten. Sein pädagogisches Tun war zuerst künstlerisches Tun. Künstlerisches und pädagogisches Handeln sollten daher auch bei seinen Schüler(innen) zusammen wirken. „Orff hat an der Günther-Schule in München in experimenteller Werkstattarbeit zusammen mit seinen Mitarbeitern Gunhild Keetman und Hans Bergese aus der intuitiven Idee einen an Bewegung gebundenen, vorwiegend perkussiven, improvisatorischen Musikstil entwickelt. Im Unterricht sah er sich weniger als Lehrer als an Lösungen arbeitender Künstler, der seine Schüler am Arbeitsprozess teilnehmen lässt.“197

In der Günther-Schule arbeitete Orff zum einen mit (freiem) Tanz, z.B. mit einer ‚Dirigierübung‘, einer Art tänzerischer bzw. gestischen Improvisationsarbeit. Diese war zwar in manchem anders gestaltet als die von Émile Jaques-Dalcroze198, 195 Kugler, Michael (2000), S. 275. 196 Günter, Dorothee (1964), S. 61. 197 Kugler, Michael (2003), S. 112. 198 Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950) war ein Musikpädagoge, der zunächst in Dresden-Hellerau und danach in der Schweiz eine rhythmische Schule eröffnet hatte und zu seiner Zeit auch mit Tänzer(inne)n des Ausdruckstanzes zusammen arbeitete. Auch er kritisierte die Konventionen des Balletts. Kugler beschreibt diese Kritik: „Ballettkritik richtet sich gegen das ästhetische Ideal der Schwerelosigkeit, den auditiven Aufbau von Choreographien und den Mangel an unmittelbarem Gefühlsausdruck. Sie offenbart im Übrigen, dass der Musiker Dalcroze nicht akzeptieren will, dass der Tanz

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ging aber wie diese davon aus, Musik zunächst körperlich zu empfinden und zu gestalten. Zum anderen setzte er Perkussionsorchester ein, die zunächst mit den Pauken gespielt wurden und dann – vor allem durch Gunhild Keetman – durch das Spiel auf Xylophonen und Handtrommeln erweitert wurden. Erwachsen ist diese Art des Musizierens u.a. auch aus Orffs Gesprächen mit Curt Sachs und den Ideen einer ‚primitiven Musik‘199, der eine Art Vorgängerbegriff zu dem später verwendeten Terminus ‚elementare Musik‘ ist. So entstand ein ‚primitives Orchester‘. Orffs Ideen sind von den Möglichkeiten beeinflusst, die außereuropäische Musik bietet, die z.B. beim Spielen auf den Orff-Instrumenten, deren Klang- und Bauweise unter anderem aus indonesischer Musik entlehnt ist, zu hören ist. Sie sind aber nicht daran gebunden. Alle Klänge, die Aufforderungscharakter haben und zum Musizieren motivieren, sind für Orff geeignet. Die Reduktion der Klänge im ‚Orff-Instrumentarium‘ hat den Sinn, für alle, also auch Ungeübte, spielbare Instrumente zu nutzen und Erwartungshaltungen an perfekte Musik im Sinne einer in der Musikgeschichte entwickelten Idealgestalt, die an europäische Orchesterinstrumente gebunden sind, nicht aufkommen zu lassen. Aus den Experimenten, die Orff an der Günther Schule ausprobierte, entstanden verschiedene Aufzeichnungen. 1930/31 kam der Plan zustande, neben den Schulwerkheften ein Werk für Kinder herauszubringen: ‚Musik für Kinder, Musik von Kindern‘. Diese ‚Rhythmisch-melodische Übung‘ genannten Hefte waren eine Sammlung von Rhythmen und Melodien mit über 250 Beispielen und Modellen. Die erste Publikation mit dem Titel ‚Elementare Musikübung‘ erschien 1932-35. Von da an trugen die pädagogischen Werke Orffs meist den Gesamttitel ‚Orff-Schulwerk‘. An dieser ersten Publikation wirkten neben Orff auch Hans Bergese, Wilhelm Twittenhoff und Gunhild Keetman mit. Orff berichtet: „Gunhild Keetman, ein Naturtalent gleichermaßen für Bewegung wie für Musik, die bald nach Lex in die Schule eintrat, wurde schon nach kurzer Zeit meine Helferin und Mitarbei-

aus einem eigenständigen Formenkanon schöpft und nicht die Elemente der Musik in Bewegung umsetzt.“ (Kugler, Michael [2000], S. 307) 199 „Primitiv ist die Musik der Kinder (die Urmusik, nicht die anerzogene), die in selbstverständlicher Einheit mit der Bewegung körpergebunden ist. Alles, was unmittelbar dieser Wurzel entstammt, alles, was noch die ungebrochene Einheit von Musik- und Bewegungsausdruck als Grundlage erkennt, alles, was nur aus dieser Einstellung realisierbar ist, ist primitive Musik. Nicht Musik zu irgendeiner Bewegung oder Bewegung zu einer Musik, zwei Faktoren, die selbstverständlich immer zusammenfließen können, sondern die von Anfang an bestehende, nicht wegzudenkende Einsverbundenheit ist das Entscheidende.“ (Orff, Carl [1932/33], S. 215)

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terin beim weiteren Aufbau der musikalischen Ausbildung. Sie war es, der ich die Erprobung der verschiedenen Spieltechniken auf den neu entwickelten Instrumenten anvertraute. Sie war es auch, die die ersten Spielstücke für diese Instrumente aufzeichnete. Ich greife nicht zu hoch, wenn ich sage, daß ohne Keetmans entscheidende Mitarbeit, durch ihre Doppelbegabung, das ‚Schulwerk‘ nie hätte entstehen können.“200

Dabei war das Schöpferische beim Musizieren immer Kernpunkt von Orffs Überlegungen. Die Kinder sollten mit möglichst wenigen Vorgaben von selbst eigene Melodien und Rhythmen erfinden, sich gegenseitig zeigen und beibringen. So entstanden Spiele zur Bewegung und zur Erfindung von Melodien. Die Kinder musizierten ohne sich einer besonderen Tat bewusst zu sein. Die „Unbewußtheit, das Hineingleiten in die Musik, nicht die Musik, die man lernt, sondern die jeder Mensch in sich trägt, jeder in sich findet, das ist das Entscheidende.“201 Orff stand in Kontakt mit Leo Kestenberg, dem er 1932 begegnete. Doch bevor es zu einer Zusammenarbeit zwischen Orff und Kestenberg kam, wurde letzterer von den Machthabern der nationalsozialistischen Regierungsstellen in Berlin seines Postens enthoben. Zwar wurde 1933 eine Zweigstelle der Günther Schule in Berlin in der vormaligen Trümpy Schule eröffnet, jedoch ging die programmatische Arbeit immer schleppender voran. Die Arbeit am Schulwerk wurde nicht weiter ausgebaut, da sie nicht weiter von Behörden gefördert wurde und zudem Orff der Vorwurf gemacht wurde, dass er als Grundlage Musikbausteine verwende, „die er aus artfremden außereuropäischen Kulturschichten zusammengetragen hat.“ 202 Orff zog sich langsam aus der pädagogisch-öffentlichen Arbeit zurück.203 Die GüntherSchule zog 1936 in München in neue Räume um. Orff erschien fast nur noch zu Prüfungszwecken. Im Juli 1944 wurden die Schulräume beschlagnahmt und am 7.1.1945 wurden sie durch Bomben zerstört. Nach dem Krieg, ab dem Herbst 1948 gab Gunhild Keetman am Salzburger Mozarteum Kurse für Kinder, anfangs in Musik- und Bewegungskursen getrennt. 200 Orff, Carl (1976), S. 67. 201 Orff, Carl (1931), S. 6. 202 Sonner, Rudolf, Musik aus Bewegung, in: Die Musik XXIX/11, August 1937, zitiert nach Gersdorf, Lilo (1981), S. 62. Die zwischen 1932-1935 erstmals unter dem Titel ‚Elementare Musikübung‘ erschienene Publikation des Orff Schulwerks wurde nicht weiter ausgebaut, weil seine Klänge nicht ‚deutsch‘ waren und die darin enthaltene Methode der Improvisation den ideologischen Idealen der nationalsozialistischen Zeit widersprachen. 203 „Tiefe Depression über die Zeitläufte und eine böse Vorahnung des früher oder später Kommenden veranlaßten mich, meine Arbeit in der Öffentlichkeit nach und nach aufzugeben.“ (Orff, Carl [1976], S. 203)

90 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Beide Gruppen wurden in den Grundlagen einer elementaren Musik- und Bewegungsbildung geschult: durch rhythmische Übungen, Sprechen, Singen, Instrumentalspiel (Trommel, Pauken, Stabspiel, Blockflöten), Improvisations- und Dirigierübung. Dazu kam eine Bewegungsschulung in Form rhythmisch-gymnastischer Übungen und einfacher kindlicher Bewegungsspiele, die zum großen Teil auch Instrumente wie Schellentrommeln, Stäbe, Fußschellen, Pauken u.a. in die Bewegung einbezogen. Hieraus entwickelten sich kleine Tänze, zu denen Keetman eine den jeweiligen Fähigkeiten der Spieler entsprechende Musik entwarf. Die auf diese Weise entstandenen Musik- und Bewegungsspiele konnten schon nach kurzer Zeit im internen Kreis des Mozarteums gezeigt werden.“204

Als am 15.September 1948 im Schulfunk des Bayerischen Rundfunks eine Reihe zum Orff-Schulwerk startete, wurde Orffs pädagogische Arbeit wieder überregional bekannt. Zur Schulfunkreihe wurden Hefte herausgegeben, die zur Grundlage des neuen Orff-Schulwerks wurden. Zwischen 1950-54 erschien so die zweite Publikation von ‚Musik für Kinder‘.205 1949 eröffnet Klaus Becker-Ehmck die Werkstatt ‚studio 49‘, in der Instrumente nach Orffs Ideen gebaut werden.206 1953 fand am Mozarteum in Salzburg eine internationale Tagung für Hochschuldirektoren statt. Dort musizierten auch Kindergruppen von Gunhild Keetman. Dies sahen unter anderen der Direktor des Royal Conservatory of Music in Toronto, Arnold Walter und der Direktor des Musashino Musikakademie in Tokyo, Naohiro Fukui, was zum Anlass wurde, dass erste Studierende aus Kanada bei Gunhild Keetman in Salzburg studierten und dass Naohiro Fukui eigene Bände 204 Orff, Carl (1976), S. 226. 205 „Das Werk wurde Band für Band editiert, wie es aus der fortschreitenden Arbeit mit Kindern und später auch Jugendlichen am Bayerischen Rundfunk entstand. Der Gesamttitel ‚Musik für Kinder‘ wurde beibehalten, obwohl ein Teil der Stücke des 4. und 5. Bandes über den kindlichen Horizont hinausgeht.“ (a.a.O., S. 227) 206 Die im Orff-Schulwerk verwendeten Stabspiele wurden ab 1930 durch den Freund Orffs, dem Münchner Instrumentenbauer Karl Maendler gebaut. Nach der zunächst durch den Krieg bedingten Schließung der Firma Maendler-Schramm 1944 und späteren Erblindung Maendlers lernte Orff durch seinen Schüler Paul Müller den Maschinenbaustudenten Klaus Becker-Ehmck kennen. Er baute für Orff Xylophone, Lithophone usw. und schließlich entwickelte sich ab 1949 daraus die Firma ‚studio 49‘, die bis heute die im Orff-Schulwerk verwendeten Instrumente baut. Becker-Ehmck war verständlicherweise am Erfolg des Orff-Schulwerks interessiert. Da sich in der Nachkriegszeit die wirtschaftliche Lage nur langsam verbesserte, erklärte er sich 1953 dazu bereit, an die Zentralstelle in Österreich zu 45% Rabatt Instrumente zu liefern und in Deutschland sowohl Leihinstrumente herauszugeben als auch Ratenzahlung zuzulassen. (siehe dazu Fischer, Cornelia [2010], S. 261)

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des Orff-Schulwerks in Japan herausbrachte. Ab 1953 wurden auf Veranlassung von Eberhard Preußner207 Schulwerkkurse für Student(inn)en eingerichtet. Hier lernten Student(inn)en und Lehrer(innen) aus dem In- und Ausland das OrffSchulwerk kennen. Diese Ideen trugen sie in ihre jeweiligen Länder und arbeiteten dort damit ganz oder teilweise. Erste eigene Publikationen zum Orff-Schulwerk erschienen in der jeweiligen Landessprache. 1954 entstand der Schulwerk-Film ‚Musik für Kinder‘. Ab dem 15.6.1961 wurde am Mozarteum in Salzburg eine ‚Zentralstelle für das Orff-Schulwerk‘ eingerichtet, die offiziell eine reguläre Ausbildung im Orff-Schulwerk anbot. Ab dem 25.10.1963 gab es das neu gebaute ‚Orff-Institut‘. Zwischen 1963 und 1975 gelangte das Orff-Schulwerk in Auszügen unter dem Titel ‚musica poetica‘ auf Schallplatten in den Verkauf. Die Orff-Schulwerk Gesellschaft wurde am 18.6.1965 gegründet. Anfangs gab sie materielle Hilfen z.B. zur Anschaffung von Lehrmaterialien, später unterstützte sie „die Durchführung von Lehrgängen, Vorträgen, Seminaren und anderen Veranstaltungen, die der Information, Ausbildung, Fort- und Weiterbildung dienen.“208 Ab 1976 veranstaltete das Orff-Schulwerk eigene Lehrgänge und auch Symposien.209 2.1.2 Anthropologische Perspektive Nach der Betrachtung des historischen Umfeldes sind in diesem Abschnitt die anthropologischen Vorannahmen Orffs und deren Auswirkungen auf seine musikpädagogischen Grundgedanken Gegenstand des Interesses. Orffs diesbezügliche Gedanken sind auch als eine Reaktion auf die Musikauffassungen seines Umfeldes zu begreifen. Daher werden diese zunächst beleuchtet. Kugler weist mit Blick auf das 19. Jahrhundert auf Folgendes hin:

207 Eberhard Preußner (1899-1964) war früher ein Mitarbeiter von Leo Kestenberg. Er war noch Anfang der 1930er Jahre damit betraut gewesen, an Berliner Schulen das Orff-Schulwerk versuchsweise einzuführen. Aufgrund des politischen Machtwechsels 1933 kam es dazu nicht mehr. Dafür hatte Orff nach dem 2.Weltkrieg in ihm einen Fürsprecher und diese Verbindung führte auch zum Entstehen des Orff-Zentrums in Salzburg, dessen Direktor er wurde. 208 Aus der Satzung des Orff-Schulwerks, zitiert nach Alliger, Karl (1987), S. 36. 209 Dies ist im Wesentlichen bis heute so geblieben. Allerdings ändert es sich in Einzelheiten, zumal die Vertreter(innen) des Orff-Schulwerks auf die schulpolitischen Anforderungen ihrer Zeit zu reagieren hatten. Genauere Informationen dazu bietet neben den (halb-)jährlich erscheinenden Orff-Schulwerk Informationen auch Widmer, Manuela (2011).

92 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „An die Stelle einer differenzierten musikalischen Ausdruckskunst tritt eine auf rasante Geschwindigkeit und auf Egalität großer Tongirlanden, sog. Passagen angelegten Musik, wie sie uns am deutlichsten in den Etüden und Bravourstücken der Klavier- und Violinvirtuosität und den, von einem geradezu seiltänzerischen Exhibitionismus geprägten Virtuosenkonzerten entgegentritt. […] Die für diese Musik notwendige spieltechnische Perfektion wird durch eine Instrumentalpädagogik und einem Typus von Instrumentalisten geschaffen, der sich ohne Wenn und Aber der industriellen Arbeitsideologie unterwirft und die Verkettung von Instrumentalspiel mit Arbeit und Askese zum Prinzip erhebt.“210

Der Umgang mit dieser Gemengelage beschäftigte diverse Musiker: „Musikpädagogische Reformbestrebungen richten sich deshalb seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder darauf, das ausdrucksvolle, gestaltende vokale oder instrumentale Hervorbringen zu lehren und dabei entweder den musikalischen Ausdruck in ein Regelsystem zu fassen, mit dessen Hilfe die Notenschrift adäquat in Erklingen umgesetzt werden kann, wie es M.Lussy getan hat, oder Notenausgaben mit peinlich genauen Bezeichnungen herauszugeben, wie es H.Riemann u.a. versucht haben.“211

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchten viele Künstler(innen) 212 und Forscher(innen)213 dafür Impulse in außereuropäischen Kulturerscheinungen. Kugler begründet das: 210 Kugler, Michael (2000), S. 318f. 211 A.a.O., S. 327. Etwas radikal urteilt Kugler, dass die abendländische Kunstmusik sich entfaltet „als Teil einer von Mönchstum und Klerus auf Transzendenz, Entsinnlichung und Entkörperlichung festgelegten christlichen Kultur. Sie wird aufgrund einer spezifischen Verbindung von Notation und Aufführung hervorgebracht, die es nahelegt, in eine interkulturellen Perspektive von einem Sonderfall Abendland zu sprechen.“ (a.a.O., S. 326). Er verweist dabei auf einen Artikel von Rösing, Helmut (1993). Der Begriff ‚Sonderfall Abendland‘ ist hier nicht angemessen, denn einerseits gibt es auch im Abendland durchaus Musik, die körperlich und sinnlich ausgedrückt wurde und nicht immer von der Kirche unterdrückt wurde (z.B. Volksmusik) und andererseits gibt auch in anderen Kulturen hochstilisierte Musik. In Korea gibt es zum Beispiel genauso wie in Europa vorgeschriebene Bewegungsformen im Tanz, die eher an einen symbolischen denn an einen sinnlichen Ausdruck gemahnen. Ein Beispiel dafür ist die königliche Schrein Musik Jongmyo Jeryeak und der dazu gehörige Tanz (siehe dazu auch Jongmyojeryeak [2009]). 212 Debussy, Gaugin, Nolde, Picasso, van Gogh usw. 213 In Berlin schuf Carl Stumpf (1848–1936) das psychologische Institut an der FriedrichWilhelms-Universität, in dem auch Untersuchungen zu außereuropäischer Musik angestellt wurden. Sein Assistent war der Musikethnologe Erich von Hornbostel (1877–

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„Bei der Begegnung mit fremden Kunsttraditionen spielt ein Ursprüngliches, Elementares, Primitives eine wichtige Rolle, durch das der Künstler in stärkeren Kontakt mit seinen gestalterischen Kräften zu kommen hofft.“214 „Einen wesentlichen Bestandteil der künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Primitiven bildet die Begegnung mit der Körperlichkeit.“215

Auch Carl Orff spürte der Ursprünglichkeit des musischen Ausdrucks nach. Musikpädagogisch ging es ihm um das Wieder-Aufzudeckende. Unter einer Schicht von Kunstmusik wollte er ein ursprüngliches Musizieren aufspüren. Dies sollte zum Musizieren von jedermann führen. Dadurch wirkte es für manche Zeitgenossen auch wie ein „Ausstieg aus der Musik der Zeit“.216 Denn für erwachsene Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Methode, Musik über (Tanz-)Bewegungen, Improvisation und elementare Satztechniken zu lernen, zwar als Vergnügen möglich, aber als musikpädagogische Konzeption eher eine „Quelle der Verunsicherung“ 217 denn ein alltägliches Verfahren. Orffs Ansicht nach nahm mit dem Zivilisationsprozess die musikalische Ausdrucksfähigkeit ab, was eine Trennung in Publikum und Ausführende förderte. Das Publikum wurde zu reinen Rezipienten, denen letztlich das Schaffen von Kunst fremd war.218 Musikalische Ausdrücke blieben dadurch nicht originär Ausdruck der eigenen Erfahrung, sondern besondere Äußerungen anderer, die von außen auf einen Menschen einwirken konnten. Wenn aber das Hören und Miterleben nicht auf Grundlage eigener Erfahrung und psychosomatischen Erlebens geschieht, können Menschen eher „Technik mit Formung verwechseln und damit 1935), der zusammen mit Otto Abraham (1872–1926) Tondokumente und Studien zusammentrug. Daraus entstand das Berliner Phonogramm-Archiv. Von Hornbostel wiederum beeinflusst Curt Sachs, mit dem Carl Orff in Kontakt stand. 214 Kugler, Michael (2000), S. 320. 215 A.a.O., S. 322; Kugler verweist in dem Zusammenhang auch auf Romane wie Flauberts ‚Madame Bovary‘ oder die in dieser Zeit entwickelten psychoanalytischen Systeme. 216 So bezeichnet Horst Leuchtmann in seinem gleichnamigen Artikel die Musik von Carl Orff (Leuchtmann, Horst [1988]). 217 Kugler, Michael (2000), S. 276. 218 Diese Trennung in aktive Musikanten und passive Zuhörer gab es schon früher. So spricht z.B. Peter Schleuning von der Einteilung von Musikinteressierten im 19. Jahrhundert in „Kenner und Liebhaber“ (Schleuning, Peter [1984], S. 101ff.). Dabei waren damals noch beide Gruppen sachkundig. Allerdings driftete das im 19. Jahrhundert immer stärker auseinander und die Schere zwischen spezialisiert produzierenden Musikern und staunend konsumierenden Zuhörer öffnete sich stärker.

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dem einseitigen Könnertum (den reinen Fertigkeiten), dem Kunstbetrieb, bar jedes Wesenhaften, dem Künstlertum ohne Menschentum Vorschub leisten.“ 219 Die Ausführung von Kunstmusik ohne eigenes Musizieren führt dann zu reinem Bestaunen und zu bloßer Betrachtung von Musik mit einer Trennung in aktive Musikanten und passive Zuhörer. Das kann den schöpferischen Ausdruckswillen von Menschen verdecken. 220 Orff geht es aber genau um diesen schöpferischen Ausdruckswillen. Er bildet den Kernpunkt seiner musikpädagogischen Anschauung. Er geht davon aus, dass in jedem Menschen die Möglichkeit zum Musizieren angelegt ist. Auf diesem Postulat sind seine musikpädagogischen Ideen aufgebaut. Dieses unbewusst in einem Menschen liegende Potential bestehe immer und sei in vielerlei musikalischen Ausdruck historisch gesehen stets vorhanden gewesen. Dies gelte für alle Menschen zu jeder Zeit in jedem Leben. Orff spricht mit dem Verweis auf Curt Sachs davon, dass er nicht annehme, dass „[…] die primitive Musik unserer Vorfahren anders beschaffen wäre, im Gegenteil wir finden in alten Überlieferungen die Bestätigung, dass die Musikübung, die wir heute nur im Außereuropäischen finden, absolut gleichen muß. Somit ist auch die primitive Musikübung nicht ein Zurückgreifen auf außereuropäische Gegebenheiten – nicht die Südsee oder sonst wo sind die Ahnen dieser Musik zu suchen – sondern in unserer eigenen, zwar vielfach längst verschütteten Kindheitsmusik, im Kinde in uns und nicht zuletzt in aller wahren, heute allerdings ganz selten anzutreffenden Volksmusik, die die Tradition noch nicht verloren hat, finden wir den psychologischen Kern und den geschichtlichen Absenker primitiver Musikübung.“221

Michael Kugler kommentiert dies wie folgt:

219 Günther, Dorothee (1932), S. 12; zitiert nach Kugler, Michael (2000), S. 279. 220 Gemeint ist dabei sicherlich nicht, dass Kunstmusik als Ganzes zu verdammen sei. Orff weist lediglich auf Auswirkungen hin. Übertragen auf die aktuelle mediale Gesellschaft gibt es heute ebenso Risiken wie Chancen. Menschen, die als Vorbild bestimmte Musiker(innen) haben und diesen nacheifern, gehen vielleicht von professionell veröffentlichten Aufnahmen aus. Oft sind diese aber so perfekt aufgenommen, dass sie jenseits des Studios gar nicht zu wiederholen sind. Diese Musik hat mit der selbst erschaffenen, alltäglichen Musik nichts mehr zu tun. Das kann dann zu Frustrationen führen. Die Wirklichkeit solcher Aufnahmen ist ‚besser‘ als die Wirklichkeit, also letztlich virtuell. Umgekehrt aber schaffen gerade medialen Möglichkeiten Anregungen für Menschen, sich musikalisch auszudrücken, eben weil die Omnipräsenz von Musik zu Nachahmungen anregen kann. 221 Orff, Carl (1932/33), S. 215f.

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„Die sog. Primitivität in der Musik der Naturvölker wie der Kinder avanciert bei Orff zu einer pädagogischen Wertvorstellung, womit er sich sowohl von der bürgerlichen Musikanschauung wie von der retrospektiven Haltung der Jugendmusikbewegung distanziert.“ 222

Festzuhalten bleibt Orffs Ausgangsthese, dass unabhängig von biographischen, geschichtlichen oder kulturellen Grenzen in jedem Menschen ein musikalisches Potential vorliegt. Es geht Orff daher nicht darum, eine von außen erlernte Musik zu spielen, sondern die Musik, die jeder Mensch in seiner individuellen Art in sich findet. „Spielen, Gespieltwerden, Musik in sich finden, damit skizzierte Carl Orff die entscheidenden Momente musikalischen Spiels, eben der Improvisation.“223 Solch eine musikalische Potenz steht in enger Verbindung mit dem von Musikern der elementaren Musikerziehung immer wieder verwendeten Begriff des ‚Elementaren‘. Dies Elementare wird dabei oft als nicht planbar und nicht in eine Methode einzubringen geschildert. Laut Juliane Ribke ist das „Elementare […] eine nicht weiter rückführbare Entität“224 und ‚Elementarisierung‘ bedeute „Freilegung des Grundsätzlichen.“225 Wilhelm Keller benennt dies: „Elementare Musik wollen wir daher die Verwirklichung einer ursprünglichen, zentralen musikalischen Potenz, die in jedem Menschen angelegt ist, nennen.“ 226 Ulrike Jungmair sieht in der Pädagogik im Orff-Schulwerk eine intraanthropogene Sicht. „Der sich selbst organisierende, aus sich selbst erneuernde, sich selbst findende, sich verwirklichende Mensch ist Objekt und Subjekt, Ursache und Wirkung zugleich. Der elementare Prozeß geht nicht zuerst von einer Ich-Du-Beziehung im Sinne Martin Bubers aus, sondern ist auf Begegnung eines sich bewußt gewordenen Teils seiner Persönlichkeit mit dem ihm unbewußten Teil angelegt, nach Jungscher Version auf die Begegnung des Ich mit dem Selbst.“227

Die Autorin droht ins Esoterische228 abzugleiten, wenn sie die Folgen dieses Musizierens beschreibt: „Das Elementare ist immer zeugerisch, heißt es bei Carl Orff, und zeugerisch heißt wohl: Es dreht dich um, verhindert dein Denken, dein Wahrnehmen, dein Empfinden. Du verfällst 222 Kugler, Michael (2000), S. 308. 223 Jungmair, Ulrike (1992), S. 214. 224 Ribke, Juliane (1995), S. 35. 225 A.a.O., S. 35. 226 Keller, Wilhelm (1980), S. 18. 227 Jungmair, Ulrike (1992), S. 194f. 228 Was sie hier esoterisch anmutend beschreibt, ähnelt in manchem dem in anderer musik-pädagogischer Literatur verwendeten ‚Flow‘-Begriff, z.B. bei Gruhn, Wilfried (2013).

96 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN in Ratlosigkeit und in das Glück des Suchenden, dem plötzlich eine innere Gewißheit – kein Wissen – sagt, daß du auf einer Spur bist, die dich zu etwas führt, das dich erlöst. Ein Vorgang, der sich in unserem Leben immer wieder ereignet, ein unendlicher, nie auszuschöpfender Vorgang, an dem wir für Augenblicke teilhaben. Augenblicke, die uns zu uns selbst bringen, Augenblicke, die uns teilhaben lassen an einem zwar Unbegreiflichen, aber latent in uns Wirksamen: eben an dem Elementaren.“229

Elementare Musik entspricht somit einem Musizieren, bei dem Bewegung, Tanz, Geste, Sprache und Klangausdruck miteinander verbunden in Erscheinung treten. „Derart zum anthropologischen Kern des Musikalischen vorgestoßen, ist es in dieser Konzentration C.Orffs nur konsequent und naheliegend, damit auch ein entwicklungs- und lernpsychologisches Konzept zu formulieren, eine anthropologisch begründete Musikerziehung ‚avant la lettre‘. Denn auch bei Kindern oder musikalischen Laien zeige sich, daß Musik synästhetisch ganzheitlich aufgefasst wird in der Einheit von Klang, Laut, Geste Bewegung.“230

Die einem Mensch und seiner Entwicklung und Umwelt entsprechende Musik kann keine abstrakte, formale Musik sein, sondern sie ist bei Orff immer ein in Klang umgesetztes Phänomen der im Menschen liegenden jeweiligen musikalischen Potenz. „Schon Orffs Redeweise führt vor, wie scheinbar ‚rein musikalische‘ Begriffe mit weit darüber hinausgehender Bedeutung aufgeladen werden. Worte, die im einen Satz allein Klangelemente zu beschreiben scheinen, erweisen sich im anderen Satz als stets zusammengedacht mit einem Weltbild, das im elementaren Laienspiel nicht anders als in der Kunst gestaltet und erfahren werden soll.“231

Orff schreibt dazu: „Elementare Musik ist nie Musik allein, sie ist mit Bewegung, Tanz und Sprache verbunden, sie ist eine Musik, die man selbst tun muss, in die man nicht als Hörer, sondern als Mitspieler einbezogen ist. Sie ist vorgeistig, kennt keine große Form, keine Architektonik, sie bringt kleine Reihenformen, Ostinati, kleine Rondoformen. Elementare Musik ist erdnah, naturhaft, körperlich, für jeden erlern- und erlebbar“. So ist dann auch Rhythmus „kein Abstraktum. Rhythmus ist das Leben selbst. Rhythmus wirkt und bewirkt, er ist die einigende Kraft von Sprache, Musik und Bewegung.“232

229 Jungmair, Ulrike (1992), S. 193. 230 Khittl, Christoph (2007), S. 32. 231 Wallbaum, Christopher (2009), S. 86. 232 Orff, Carl (1963), S. 16.

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Die logische Folge ist, dass es für Musikerzieher(innen) nicht darum gehen kann, stets Neues beizubringen, sondern bereits Vorhandenes freizulegen. Denn laut Orff müssen die Pädagog(inn)en das in jedem Menschen Angelegte nur fördern.233 Michael Kugler leitet aus der anthropologischen Vorstellung Orffs sogar eine Allgemeingültigkeit der Musik ab. „The Schulwerk is concerned with what is basic and universal in the art of music.“234 Da dieses elementare Musizieren potentiell in allen Menschen vorhanden ist, dient es ihm auch als Klammer zwischen den Differenzen von einzelnen Menschen und Gruppenvorstellungen. Einer möglichen Differenz zwischen dem Wollen und Tun des Einzelnen und dem anderer Personen oder Gemeinschaften wird dadurch die Spitze genommen. Orff meinte: „Aus dem Spieltrieb erwächst die geduldige Tätigkeit, damit die Übung und aus dieser die Leistung.“ 235 Kugler bemerkt dazu: „Diese Gedankenkette zeigt allerdings auch, dass sich Orff nie mit den methodischen Problemen des schulischen Musikunterrichts auseinandersetzen musste.“236 Diese anthropologische Grundvorstellung Orffs 237 kommt in seiner Pädagogik zum Ausdruck, die wiederum in enger Beziehung zu seinen gesamten künstlerischen Tätigkeiten zu sehen ist. Auf die Frage, in welchem Verhältnis sein Schulwerk zu seinem weiteren künstlerischen Schaffen, also den Kompositionen stünde, antwortet Orff: „Beides entstammt der gleichen Wurzel, beides der Idee der ‚Musike‘, der Verbindung von Wort, Ton und Gebärde. Wie diese Idee das Credo meines ganzen Bühnenwerks ist, so liegt sie auch meinem Schulwerk zugrunde. Das Schulwerk ist Erziehung durch elementare Musik, doch darüber ist schon soviel gesagt und geschrieben worden […].“238

233 Orff, Carl (1931). Damit steht Orff in einer Traditionslinie mit Rousseau und dessen Gedanken einer ‚negativen Erziehung‘. 234 Joachim Matthesius Introduction, in: Music for Children Vol. 2 (1977), S. 203, zitiert nach Kugler, Michael (2005), S. 11. 235 Kugler, Michael (2003), S. 125. 236 A.a.O., S. 125, Anmerkung 96. 237 Nykrins Rezension von Ribke, Juliane (1995) könnte in diesem Zusammenhang auch für Orffs Ideen gelten: „Diesem Konzept liegt eine erklärtermaßen anthropologische Orientierung zugrunde. Es will Identitätsbildung fördern, indem es den beteiligten Personen Gelegenheit gibt, die Erziehung zu ihren »sensorischen Urmatritzen« zu aktualisieren sowie mit und zur gegenständlichen und sozialen Umwelt Kontakte aufzubauen.“ (Nykrin, Rudolf [1998], S. 31) 238 Orff, Carl (1965), S. 195.

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Diese Idee der ‚Musike‘ sah er quasi unverdorben in den elementaren Ausdrucksweisen – nichts anderes ist mit ‚primitiv‘ gemeint – der Naturvölker. Der aus dem antiken Griechenland stammende Begriff der musike (μουσική) bedeutet für Orff nicht nur ‚Musik‘ im klanglichen Sinne, sondern das Zusammenwirken von ‚Singen‘, ‚Tanzen‘ und ‚Instrument spielen‘. Orff glaubte, dass es wichtig sei, der „naturhaften Musik des Kindes“239 wieder zum Ausdruck zu verhelfen. Das Verlangen, sich selbst musikalisch auszudrücken, postulierte Orff in dem Text weltweit bei allen Kindern: „Und wenn wir selbst primitive Musik machen, so kann dies immer nur ein Ausdruck der in uns noch oder wieder lebendig gewordenen Primitivität sein, des in uns wieder erwachenden ‚Ursprünglichen‘, das sich auch in der wiedererwachenden Körperfreude äußert und äußern will. Unsere primitive Musik ist insofern ‚Musik der Kindheit‘, Musik des Laien. Nicht in Übersee sind ihre Ahnen zu suchen, sondern im Kind in uns.“240

Bei Kindern sind nach Orffs Meinung der Gestaltungswille und die Fähigkeit zur Selbstäußerung noch vorhanden. Dorothee Günther nimmt bei Kindern angeborene Strukturen an. Diese werden durch den „Gestaltungswillen“, den „Bewegungsdrang und Nachahmungstrieb“ ganz von alleine „ohne erzieherisches Hinzutun“ 241 entwickelt. Sowohl in Günthers als auch in Orffs Gedankengängen gibt es eine Polarität zwischen dem naturhaften Menschen und dem Zivilisationsmenschen. Während des Enkulturationsprozesses ist danach die Ausdrucksfähigkeit der Zivilisationsmenschen, das spontane musikalische Sich-Äußern Könnens verdeckt oder gar verloren gegangen. 242 So dient in Carl Orffs Musikpädagogik Musizieren dazu, im Dienste der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit das in jedem Menschen liegende Potential freizulegen. Zum Musizieren ist jeder Mensch potentiell mithilfe eines als Einheit empfundenen Musik- und Bewegungsausdruck (später kam der

239 Orff, Carl (1932/33), S. 218. 240 Orff, Carl (1931/32), S. 673; siehe Kugler, Michael (2000), S. 287. 241 Günther, Dorothee (1929), S. 10. 242 Khittl fasst diese Gedankengänge prägnant zusammen: „Von Carl Orff zwar selbst unausgesprochen, wird er hier jedoch so interpretiert, daß er ganz im Sinne der im frühen 20. Jahrhundert vorherrschenden Anthropologie der Meinung war, eine musikanthropologische Konstante gefunden zu haben, die über Zeiten und Kulturen hinweg wirkt, im Individuum selbst angelegt ist und für dessen musikalische Entwicklung entscheidend ist. Und Musikpädagogik als elementare Musikpädagogik müsse diese anthropologische Konstanten entsprechend berücksichtigen.“ (Khittl, Christoph [2007], S. 32f.)

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Sprachausdruck dazu) in der Lage und er möchte sich selbst auch musikalisch ausdrücken. Orffs Nachfolger, vor allem Rudolf Nykrin, haben später diese als naturgegeben postulierte Verbindung von Mensch und Musik gelockert. Ein Mensch muss danach Musik erst erfahren. Musik und Mensch sind also nicht per se gleich, sondern eine musikalische Erfahrung wird kulturrelativ vermittelt. Erst dann kann eine musikalische Erfahrung auch quasi ‚von innen heraus‘ antworten. Das Erfahren einer universalen Gestalt bleibt aber bestehen, manifestiert im Begriff des ‚Elementaren‘. 243 Dieses sei durch „Momente schöpferischer Innenschau“ der „Sphäre des Spiels“244 verknüpft. Durch die kulturrelativistische Sichtweise wird die personalisierte Gründung der Musikerziehung aufgeweicht. Zugleich ist es nunmehr notwendig, das Umfeld des Musizierens stärker in den Fokus des Unterrichtes zu rücken, da musikalisches Tun im Hören wie im Spielen je nach kulturellem Hintergrund unterschiedlich sein kann. Um musikpädagogisch im Sinne von Carl Orff handeln zu können, ist daher eine Kenntnis vom kulturellen Habitus unumgänglich, da sonst die Deutung der Musik – auch einer elementaren Musik – nicht möglich wäre. 2.1.3 (Musik-)pädagogische Perspektive Das Ziel einer Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs muss es daher sein, die angelegte musikalische Ausdrucksfähigkeit zu fördern bzw. wieder zu gewinnen. Günther wie Orff bezeichnen dies als „Ziel der Befreiung und Erhaltung eines expressiven Potentials“.245 Damit legen beide viel Wert auf die individuelle Entwicklung des Menschen. „Insgesamt findet in Günthers Konzeption die individuelle Eigenart des Schülers eine wesentlich stärkere Berücksichtigung als die soziale Umwelt. Freimütig gesteht Günther ein, dass das Problem der Umsetzungsmöglichkeit in der Umwelt noch nicht gelöst sei.“246

Gemeinschaftliche Verhaltensweisen werden von Orff und Günther aus musikalischer und tänzerischer Sicht thematisiert. Orff glaubte, dass es etwas Verbindendes in allen Menschen gäbe. Bezüglich der Akzeptanz seines Werkes sagte er:

243 Nykrin findet dafür Worte wie ‚Erleuchtung‘, ‚Erschütterung‘ oder ‚Befreiung‘ (Nykrin, Rudolf [1994], S. 52f.). 244 A.a.O., S. 52. 245 Kugler, Michael (2000), S. 313. 246 A.a.O., S. 292.

100 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Unter Breitenwirkung verstehe ich jenen Appell an das Unbewußte, von dem ich bereits sprach. Ein Beispiel: ‚Die Kluge‘ ist bereits in mehr als zwanzig Sprachen aufgeführt worden. Überall wird dieses Märchenspiel verstanden, überall ist es zu Hause. Jeder entdeckt darin etwas, was in ihm selber ist. Solche Reaktionen bestätigen mir, daß ich offenbar gewusst oder gespürt habe, welche Erlebnisse bindend sind. “247

Orff sah diese Verbundenheit zwischen allen Menschen weltweit. Er sagte, „daß ich die Hauptaufgabe meines Schaffens stets darin gesehen habe, das Unbewusste und geistig Verbindende im Menschen anzusprechen, ganz gleich welcher Rasse oder Nation er angehört. Die Menschen sind doch überall gleich in ihren elementaren Empfindungen. Wir leben heute nicht mehr – wie in vergangenen Jahrhunderten – isoliert in einzelnen Kulturkreisen. Die Menschen unseres Zeitalters sind durch die modernen Kommunikationsmittel einander so nahe gerückt, daß eine Verständigung nicht nur in wirtschaftlichen und politischen Fragen unerlässlich ist, sondern daß auch im künstlerischen Bereich jene Elemente hervorgehoben werden müssen, die das Bewusstsein einer übereinstimmenden Verbundenheit wachrufen und wach halten. Jede Zeit hat einen geistigen Auftrag.“248

Interessant ist dabei, dass Orff das allen Menschen Gemeinsame im Unbewussten des Menschen sah und folglich eine Pädagogik am einzelnen Menschen das „Bewusstsein einer übereinstimmenden Verbundenheit“ 249 wachrufen wollte. Einerseits also fundiert er seine Gedankengänge in Antike, Mittelalter und Renaissance, andererseits sieht er darin auch etwas Grundsätzliches, die kulturellen Grenzen Überschreitendes und alle Menschen Verbindendes, was in seiner Musik mitschwingt. Er nennt dies das ‚Elementare‘ seiner Musik250, eine die Menschen verbindende Klammer, auf die Orff auch den gemeinschaftlichen Aspekt seiner Musikpädagogik gründet.

247 Orff, Carl in: Lohmüller, Helmut (1965), S. 194. 248 A.a.O., S. 194. 249 A.a.O., S. 194. 250 Thomas Werner sagt, dass in Orffs Denken das Elementare immer auch unabhängig von Zeiterscheinungen vorhanden ist: „Hier haben Sie Orffs Bekenntnis zum Gültigen, zum Alten, zum ‚Wirklichen‘ (in des Wortes genauer Bedeutung!) und seine Absage an das Talmi des Aktuellen, Zeitbezogenen, Vordergründigen, dem die Bildkraft fehlt und damit auch die Kraft zu bilden. […] Die zeitenthobene Kraft dieser Grundund Urbilder leuchtet in Orffs Gesamtschaffen; so auch in den Sprachfiguren des Schulwerks. Sie sind somit von jeder Gefahr des Veraltens geschützt. Es war die bewußte Entscheidung Orffs, dass er das Schulwerk von jeder Aktualität, von allem mo-

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Ein solcher alle Menschen verbindender elementarer Musikausdruck ist aber kein Leistungskatalog, der wie ein Kanon des musikalischen Könnens festgelegt und gelehrt werden kann. Denn weil seine Methode beim einzelnen Menschen ansetzt, zielt er auf die Förderung der oben bereits erwähnten Ausdruckskraft, nicht auf die Unterweisung eines allgemeingültigen Lehrkanons oder die Reproduktion eines Inhalts. Da Menschen bei aller kulturellen Prägung251 immer auch unterschiedlich agieren können, bleiben pädagogische Inhalte deshalb offen für neue Entwicklungen. Es kann also keine Musik entstehen, die kraft formal vorgegebener allgemeingültiger Kriterien auch als Lernergebnis kontrollierbar ist. Kugler bezeichnet diese Methode als „künstlerische Handwerkslehre, in der weit gefaßte, offene Zielformulierungen in Verbindung mit einem veränderungsbereiten musikkulturellen Hintergrund offene Vorgehensweisen nach sich ziehen. Dieses Ergebnis kann als Bestätigung eines Lehrsatzes von AbelStruth zum Zielbezug verstanden werden: ‚Umgrenzte, stabile Lernziele können festere Methoden an sich binden als offene, in sich differenzierte Lernziele‘.“252

Auch wenn die musikpädagogischen Vorstellungen Orffs offene und aus einem Subjektiven gedeutete Lernziele beinhalten, soll im Folgenden die Frage nach konkreten Phänomenen der Musikpädagogik Orffs gestellt werden, weil sie ohne eine konkrete Ausgestaltung in nachvollziehbaren Kriterien nur schwer vermittelbar wäre. 2.1.3.1 Ziele und Inhalte des Orff-Schulwerks Musikpädagogik im Sinne von Carl Orff hat primär ein anthropologisch fundiertes pädagogisches Ziel. Inhalte und Methoden der Musikpädagogik sind dieser Zielvorstellung untergeordnet.

dischen Trend freigehalten hat. Was nicht modern ist, kann auch nicht unmodern werden, hat er des öfteren gesagt. Die Eigenart des Schulwerks sah er bestimmt durch die Qualität des Elementaren und Vorartistischen.“ (Werner, Thomas [1985], S. 26) 251 Orffs Musik ist neben der Prägung aus mittelalterlicher bis vorbarocker Musik stark von seiner bayrischen Umgebung geprägt. „Ich bin als Bayer in München geboren und diese Stadt, dieses Land, diese Landschaft hat mir viel gegeben und mein Wesen und mein Werk mit geprägt.“ (Was heute geschah – Todestag von Carl Orff [2012]) Doch Orff will den Sinn, nicht aber die der eigenen Umwelt entstammenden Inhalte auf andere Menschen übertragen. Es geht ihm nicht um Reproduktion, sondern um Transformation. 252 Kugler, Michael (2000), S. 315; Kugler bezieht sich hier auf Abel-Struth, Sigrid (1982), S. 40.

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Bis heute gilt das ‚Orff-Schulwerk‘ als das Hauptwerk seiner pädagogischen Ideen. Es ist eine Niederschrift von Improvisationen, die im Vollzug des Lehrens entstanden sind. Die Einzelhefte des Orff-Schulwerks, wie es heute noch erhältlich ist, entstammen den Niederschriften der 1948 gestarteten Schulfunkreihe. 1950-54 folgt die zweite Publikation ‚Musik für Kinder‘. In diesen Heften sind Musikstücke unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades aufgeführt. Sie dienen als Modelle für einen handlungsorientierten Musikunterricht und nicht als festgelegte Kompositionen. Denn der Kern des Musizierens im Orff-Schulwerk liegt nicht in der ständigen Wiederholung einer niedergelegten Komposition, sondern im Musizieren nach pädagogischen Prinzipien. 253 So ist das gedruckte Orff-Schulwerk nichts anderes als ein Beispiel einer pädagogische Entfaltung von Carl Orffs anthropologisch inspirierten Ideen einer ‚Elementaren Musik‘, die aus Improvisationen entstand und in der Kultur seiner Zeit entwickelt und verortet ist. „Im OSW ist eine Improvisationspraxis niedergelegt, die an modellhaften Stücken exemplifiziert wird.“254 Dem Orff-Schulwerk kann man daher nur gerecht werden, wenn es als Teil einer ‚abendländischen Tradition‘ 255 beleuchtet wird. Und es ist nie fertig: „Immer will das Schulwerk in jeder seiner Phasen Anregungen zum selbständigen Weitergestalten geben; so ist es niemals endgültig und abgeschlossen, sondern immer in der Entwicklung, im Werden, im Fluß. Hierin liegt natürlich auch eine große Gefahr, die Gefahr der Entwicklung in eine falsche Richtung. Selbständiges Weiterführen hat zur Voraussetzung gründliche fachliche Schulung und unbedingtes Vertrautsein mit dem Stil, den Möglichkeiten und Zielen des Schulwerks.“256

253 Aber diese Prinzipien sind nicht unumstößlich festzulegen. Denn es ist zu bedenken, dass sie als modellhaften Niederschriften auch immer Ausdruck eines von der Zeit und Kultur beeinflussten Musizierens sind und somit wandelbar sein können. 254 Kugler, Michael (2000), S. 314. Er schreibt danach weiter: „Als musikalische Lerninhalte des OSWs Elementare Musikübung lassen sich erstens die Rhythmen, Melodien und Sätze von Orffs Rhythmisch-melodischer Übung und zweitens die von Bergese, Keetman und Orff geschaffenen Modellkompositionen festmachen. Deren rhythmische Strukturen sind gekennzeichnet durch Taktwechsel, variable Metren, Polymetrik und asymmetrische Bildungen, die melodische Strukturen durch modale Tonarten sowie regelmäßige und unregelmäßige Abschnittsbildung und die klanglichen Strukturen durch Bordun und Stufenklänge. Auf allen drei Ebenen wirkt sich das Ostinatoprinzip aus.“ (a.a.O., S. 314) 255 Siehe dazu die genaueren Untersuchungen von Weinbuch, Isabell (2010), S. 100 u.ö. 256 Orff, Carl (1963), S. 13.

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Das Orff-Schulwerk257 ist von diversen Autoren erklärt und untersucht worden, z.B. Schatz-Kieckert258, Keller259, Thomas260, Kugler261, Weinbuch262 u.a. Unter– titel

Erscheinungsjahr 1950; 1980 überarbeitet

Seitenzahl 164 & Bilder

Band 1

Im Fünftonraum

Band 2

Dur: Bordun und Stufen

1952; 1980 überarbeitet

127

Band 3

Dur: Dominanten

1953; 1981 überarbeitet

128

Band 4

Moll: Bordun und Stufen

1954; 1982 überarbeitet

158

Band 5

Moll: Dominanten

1954; 1982 überarbeitet

152

1.Teil Reime und Spiellieder Nr.1-64 Bordun: Lieder und Spielstücke mit sechs Tönen (Nr.1-12) und mit sieben Tönen (Nr.13-26)

2.Teil

3.Teil

Rhythmische melodische Übung I: Beispiele und Aufgaben Stufen: Die erste und zweite Stufe (Nr.1-18) und die erste und sechste Stufe (Nr.9-12)

Spielstücke in drei Abschnitten: I: Nr.1-64 II Nr. 15-30 III Nr. 31-44

Dominanten: Die fünfte Stufe (Nr.1-10); andere Tonarten (Nr.11-14); die vierte Stufe (Nr.1524); mit Septen und Nonen (Nr.25-36) Bordun: äolisch (Nr.125) und dorisch (Nr.2640) und phrygisch (Nr.4150)

Stufen: Die erste und siebte Stufe (Nr.1-7) Die erste, dritte und andere Stufen (Nr.8-20) Dominanten: Die fünfte Stufe ohne Leitton (Nr.1-10); fünfte Stufe mit Leitton (Nr.11-20); vierte Stufe (Nr.21-35); zum Beschluss (Nr.3640); rhythmisch-melodische Übung II; Sprechstücke, Rezitativ und Finale

Tabelle 1: Das Orff Schulwerk im Überblick

257 Orff, Carl; Keetman, Gunhild (1981). Dieses Orff-Schulwerk wurde in verschiedene andere Länder transportiert und dort ganz oder in Teilen übersetzt und angewandt. Das geschah auch in Südkorea. 258 Schatz-Kiekert, Ingeborg (1965). 259 Keller, Wilhelm (1963). 260 Thomas, Werner im Vorwort von Keetman, Gunhild (1981). 261 Kugler, Michael (2000). 262 Weinbuch, Isabell (2010).

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2.1.3.2 Musikalische Merkmale des Orff-Schulwerks Der Rhythmus erhält in Orffs Musikpädagogik eine herausragende Rolle. Orff deutet den Rhythmus als „einigende Kraft“ 263 und als eine der ursprünglichen Ausdrucksformen des Menschen. Elementare Musikübungen aus dem Rhythmus sind es, die an die „Urkräfte und Urformen der Musik heranführen“.264 Der Rhythmus wurde in der Orffschen Pädagogik zunächst aus der Bewegung durch Körperperkussion, tänzerische Bewegungsformen, Stimme und dem Spiel auf Schlaginstrumenten, später auch auf Melodieinstrumenten entwickelt. Gegenüber dem rein mathematischen Zählen stellt Orff das Zählen durch die körperliche Tätigkeit. „Über das Zählen allein dringt man nicht in das Wesen des Taktwechsels ein: jede Art von Bewegtsein getragen vom Atem, sei es im Klatschen, Stampfen bis zum Tanz, lässt die Vielfalt rhythmischer Abläufe lebendig werden.“265

Die Rhythmen im Orff-Schulwerk verlaufen von einfachen zum komplizierten Formen. „Der rhythmische Aufbau des Schulwerks geht ungeachtet von Sachs’ Erkenntnissen von einem einfachen konstanten Pulsieren über rhythmische Pattern zu regulären und später zu irregulären, synkopischen Rhythmen und entspricht damit einer der individuellen musikalischen Entwicklung gerechten Fortschreitung.“266

So gibt es zunächst einfache rhythmische Muster und nur wenige polyrhythmische Stücke267 oder Stücke mit Taktwechsel. 268 Letztere sind der Musik des voralpinen Umfeldes, aus dem Orff kam, geschuldet. Im Laufe seines späteren Schaffens hat Orff den Rhythmus mehr vom Text als von der Bewegung heraus entwickelt.269 „Orff legt in seinem Bühnenwerk wie in seinem Schulwerk zum Nachteil thematischer, harmonischer und polyphoner Entwicklung entgegen abendländischer Tradition den Fokus wieder auf den Rhythmus, was seine Musik mit ihren monophonen Strukturen und ihren

263 Orff, Carl (1976), S. 17. 264 Orff, Carl (1963), S. 15. 265 Orff, Carl; Keetman, Gunhild (1954b), S. 145; dadurch grenzt er sich auch von Émile Jaques-Dalcroze ab. 266 Weinbuch, Isabell (2010), S. 98. 267 Ein Beispiel dafür ist ‚Aufgeteilte Rhythmen für zwei Spieler oder zwei Gruppen‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1954b], Nummer 103 & 104). 268 Zum Beispiel der ‚Zwiefache aus dem Bayrischen Wald‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1953], Nummer 34). 269 Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass er nach Kriegsende 1945 nicht weiter an einer Tanzschule unterrichtete.

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Formen früher Mehrstimmigkeit in die Nähe mittelalterlicher Musik und die Musik anderer Kulturen, heute Weltmusik genannt, rücken ließ.“270

Während tradierte Melodien im Orff-Schulwerk oft aus dem Rhythmus erwachsen, entwickelte Orff nicht tradierte Melodien mehrfach aus der Improvisation. Dabei geht Orff von den Sachs’ Ideen aus. „Sachs setzt die makrogenetische musikgeschichtliche Entwicklung von Melodietypen in Beziehung zur onto- bzw. mikrogenetischen musikalischen Entwicklung von Kindern: Im Laufe von ca. drei Jahren entwickeln die Kinder zunächst Eintonlitaneien, später Zweitonmelodien, deren Töne zunächst meist im Abstand einer Terz und dann einer Sekunde zueinander stehen, Dreitonmelodien und zuletzt Melodien mit absteigenden Tetrachorden. Das Formprinzip besteht in der Wiederholung von kleinen Motiven: ‚In diesem Fall wird das ontologische Gesetz vollauf bestätigt: Das Einzelindividuum fasst die Entwicklung der Menschheit zusammen‘.“271

Orff geht vom Zweitonruf 272 aus zur Dreiton-Leiermelodik. 273 Das Prinzip der Terzenketten führte laut Sachs in Europa zum Dur/Moll System. 274 Dabei steht dem „Terz-Quint-Gerüst Europas, das sich besonders in der Instrumentalmusik durchsetzen konnte und durch die in den Terzen verborgenen Dreiklänge zu ausgeprägtem harmonischen Bewusstsein führte, […] das tetrachordale System gegenüber, das in Form von absteigenden Quarten häufig in der Volksmusik zu finden ist.“275

270 Weinbuch, Isabell (2010), S. 134. 271 A.a.O., S. 129. Das darin enthaltene Zitat entstammt Sachs, Curt; Elsner, Jürgen (1968), S. 40. Sie verweist hier auf einen weiteren Zusammenhang der zwischen den Ideen von Sachs und Orff bestehen könnte. Sie sagt, Sachs verwerfe „den von vielen Zeitgenossen beschriebenen und von ihm in frühen Werken vertretenen Zusammenhang zwischen der Höhe der Entwicklungsstufe und der Weite des Tonraumes (Ambitus). Er beweist deren Unabhängigkeit insbesondere mit Improvisationen von Kindern, die das Intervall der Terz zunächst bevorzugen und erst später in kleineren Intervallen wie Sekunden singen – eine Tatsache, die Orff mit der schon erwähnten Rufterz als erste melodische Einführung im Schulwerk möglicherweise unbewusst berücksichtigt.“ (a.a.O., S. 128) 272 Zum Beispiel: ‚Sieh Beck‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1978], S. 3). 273 Zum Beispiel: ‚Lirum larum Löffelstiel‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1950], S. 5). 274 Sachs, Curt, Elsner, Jürgen (1968), S. 278. 275 Weinbuch, Isabell (2010), S. 130; sie bezieht sich dabei auf eine Aussage von Sachs, Curt; Elsner, Jürgen (1968), S. 281.

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Sprechen, Rezitieren, Rufen oder Summen, das in Singen übergehen kann, sind Ausgangspunkte. Aber auch das Spiel auf Melodieinstrumenten wie Flöten oder Stabspiele, die im Schulwerk verwendet werden, kann zum Ausgangspunkt für eine Melodie werden. Dieses pädagogischen Nacheinander melodischer Heranführung an die Musik verteidigt 1970 Werner Thomas: „Dass die ersten Übungen im pentatonischen Raum beginnen, vom Zweitonruf über die Dreitonleiermelodik bis zum leittonfreien Fünftonbereich aufbauend, bedarf heute keiner Rechtfertigung mehr. Selbst wenn die Einwände gegen die Primärbedeutung der Pentatonik in unserem musikalischen Bewusstsein berechtigt wären, würde sich doch die Anfangsarbeit mit Kindern im pentatonischen Raum empfehlen, um die durch Gewöhnung übermächtige Dominanz der Dur-Moll-Tonalität zu neutralisieren und damit das Bewusstsein für die modalen Klangbereiche, aber auch für die musikalischen Sprach- und Stilleben unseres Jahrhunderts wieder frei zu machen.“276

Manche formalen Strukturen im Orff-Schulwerk sind auf Quellen vorbarocker Zeit und lokal gesehen zumindest teilweise auf bayerische Volksmusik zurück zu führen. Dazu zählen die Parallelführung von Stimmen277, Pentatonik278, Bordunpraxis und Heterophonie. Für Curt Sachs waren derartige Stimmsysteme Überbleibsel archaischer Praktiken des Musizierens. Diese waren nach seiner Auffassung beim Musizieren in Kulturen außerhalb Europas gebräuchlich. 279 Bei der Analyse des Orff-Schulwerks kommt Weinbuch zu dem Ergebnis: „Die Elementare Musik hat zwar von der Seite der Melodik und Tonalität betrachtet ihren Wurzelgrund eher in abendländischer Musik – bestätigt u.a. durch die melodische und textliche Motivik der ersten drei Bände, die sich fast ausschließlich auf den deutschsprachigen Raum erstreckt, – aber es schwingt in der Pentatonik und vor allem in der Entwicklung des

276 Thomas, Werner im Vorwort zu Keetman, Gunhild (1981), S. 11. 277 Sie ist auf bayerische Volksmusik „[…] zurückzuführen, und sicherlich weniger auf afrikanische Einflüsse.“ (Weinbuch, Isabell [2010], S. 118) 278 „Tatsächlich wird die weltweite Verbreitung der Pentatonik, auf die auch in der Elementaren Musik das Hauptgewicht gelegt wird und in der die Entwicklung tonaler Systeme nach den oben beschriebenen Bi- und Tritonismen einen ersten Höhepunkt fand, auf ein universales zugrunde liegendes Tonsystem zurückgeführt. […] Neben den älteren, von einem Ursprungszentrum ausgehenden Theorien vertreten neuere Theorieansätze die These, dass die Pentatonik sich in verschiedenen Kulturkreisen aus unterschiedlichen Anstößen heraus (z.B. aufgrund der tonalen asiatischen Sprachmelodie oder kosmologischer Vorstellungen) unabhängig und eigenständig entwickelt hat.“ (Weinbuch, Isabell [2010], S. 131f.) 279 Nach Sachs, Curt (1936), S. 26.

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Tonraums eine transkulturelle Konstante mit, die die interkulturelle Relevanz des Schulwerks auszeichnet.“280

Weitere formale Bildungen erfolgen durch Formbildungen wie z.B. Chaconne281, Ostinati, Kanons282 oder durch die Technik des Diskantierens.283 „Wie das Parallelsingen wird eine andere sehr frühe Form der Mehrstimmigkeit, der Kanon, zunächst einer zufälligen Entdeckung zugeschrieben. Der Kanon beruht auf dem Prinzip der zeitversetzten Imitation, die für das rhythmische und melodische Gedächtnistraining auch ein grundlegendes Prinzip des Schulwerks ist (OSW I, rhythmisch-melodische Übung).“284

Wiederholung und Variation, Ruf-Antwort-Schema, Echospiele, Rondo sind weitere, häufig anzutreffende Stilmittel. Weinbuch verweist darauf, dass diese von Orff und Keetman verwendeten Formen wie Pentatonik, Ostinati usw. auch in anderen Kulturen vorkommen.285 280 Weinbuch, Isabell (2010), S. 133. 281 Eine Chaconne ist nach Orff und Keetman ein „Instrumentalstück, bei dem über einen mehrtaktigen Ostinato freie Variationen ausgeführt werden. Diese Übung entwickelt sich aus früheren Übungen über Ostinato (vergleiche Band IV S. 137) und dem vorhergegangenen Diskantieren. Für Fortgeschrittene ergibt sich von da aus ein weites Betätigungsfeld, das den hier gesteckten Rahmen verlässt und bis zur Komposition vordringt.“ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1954b], S. 143) 282 Z.B. ‚Gläserspiel‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1950], S. 149ff. u.ö.). 283 Das Diskantieren ist nach Orff und Keetman „eine Improvisationsübung: Zu einer gegebenen Melodie oder zu einem Satz wird frei überspielend eine neue Stimme gebildet. Wichtig bei dieser auch das Formgefühl schulenden Übung ist, daß die neue Melodie einen fließenden Charakter hat; gelegentliche Parallelführungen oder Härten des Zusammenklangs mit der gegebenen Melodie sind nicht zu scheuen. Die Beispiele zeigen, in welcher Weise diskantiert werden kann. Sie sind in dieser Form keinesfalls als ausgearbeitete Spielstücke zu betrachten. Für den Anfang werden skalenmäßige Überspielungen am leichtesten gelingen. Dann sollen Übungen in Terzen und Sexten folgen.“ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1954b], S. 142) 284 Weinbuch, Isabell (2010), S. 136. 285 Weinbuch schreibt dazu: „Die frühen Formen der Mehrstimmigkeit, der Bordun, der Ostinato, die Heterophonie, der Kanon und schließlich das Parallelsingen sind entgegen der komplexen Polyphonie vieler europäischer Komponisten einfache, elementare Formen des Klangsatzes. Sie existieren in vielerlei Kulturkreisen darunter z.B. dem ostasiatischen und dem islamischen, in denen der Schwerpunkt auf der Melodik und nicht auf der Harmonik liegt.“ „Die Ausdehnung der einzelnen Klangflächen mit ihren changierenden Klangschattierungen richtet sich nach sprachlichen Gegebenheiten in

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Nach Kugler strebt Orff „gleichermaßen eine Loslösung von der Funktionsharmonik wie von den kompositorischen Eigenschaften der neuen Musik an.“ 286 Zwar gibt es die Verwendung von Dreiklängen. Sie werden aber weniger für die Funktionsharmonik (z.B. als Kadenzen) genutzt. Orff verwendet sie eher als Klänge, denen Orgelpunkte287, Klangparallelen, Bordune und Ostinati zur Seite gestellt werden. Die Klangfarben der Musik waren Orff wichtiger als die Funktion. „Die ‚schwebenden Klänge‘ bzw. vielfarbigen Klangteppiche entfalten sich häufig über geschichteten Ostinati und grundierenden Bordunen.“288 Schatz-Kieckert gelangt zu dem Schluss: „Im Gegensatz zu Rhythmus und Melodik spielt die Harmonik bei Orff eine völlig untergeordnete Rolle.“289 Hinsichtlich des Instrumentariums nutzte Orff in seiner pädagogischen Arbeit zunächst den Körper als erstes Instrument. Dies galt für die Bewegung und den Tanz, aber auch für die Tonerzeugung. „Die Verstärkung, Vervielfältigung und Nachahmung körpereigener Töne und Klänge wird in der Günther Schule durch tanznahe Instrumente nachvollzogen: Die Geräusche der Tanzschritte werden durch Fußrasseln verstärkt, das Händeklatschen durch Schlagstäbe, Einfelltrommeln und Handklappern; Armrasseln und Rasselstäbe dienen der Akzentuierung der Tanzbewegungen; die Flöte tritt für die menschliche Singstimme ein.“290

Davon ausgehend war Orff an Instrumenten interessiert, die der perkussiven und klangfarbenreichen Art des Musizierens nahe standen und vor deren Nutzung nicht jahreslanges Üben zu stehen hatte.291 Dazu dient sowohl die bauliche Beschaffenheit der Instrumente (Holz, Metall, Plastik, Fell usw.) als auch die Art der

Orffs Bühnenwerk und die Gegenüberstellung unterschiedlicher Klangregister und Klangteppiche übernimmt Form bildende Funktionen.“ (a.a.O., S. 139) 286 Kugler, Michael (2000), S. 298. 287 Z.B. ‚Zum Beschluß‘ (Orff, Carl; Keetman, Gunhild [1954b], S. 64). 288 Weinbuch, Isabell (2010), S. 140. 289 Schatz-Kiekert, Ingeborg (1965), S. 207. 290 Weinbuch, Isabell (2010), S. 102; Weinbuch verweist hier als Beleg auf Günther, Dorothee (1962), S. 161. 291 Dieses Instrumentarium wurde nicht von allen Menschen akzeptiert, denn es passte nicht unbedingt in die Mode der Zeit. Daraus folgert Kugler: „Fachlich gesehen hat das OSW mit seinem ungewöhnlichen Instrumentarium und dem Prinzip der Improvisation die verbreitete Singpraxis der Jugendmusikbewegung mit ihrer Betonung des Gemeinschaftsgedankens gegen sich. Schließlich macht der Nationalsozialismus eine sachgerechte Weiterführung des OSWs unmöglich.“ (Kugler, Michael [2000], S. 302)

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Tonerzeugung. Das Instrumentarium der elementaren Musik konstituiert sich zunächst aus dem sogenannten ‚kleinen Schlagwerk‘.292 Laut Gunhild Keetman sind die im Anfangsunterricht zu verwendende Instrumente: „Schlaginstrumente: Hartholz- oder Bambusstäbe; Rasseln, Schellenbänder, Kokosschalen, Kastagnetten, Holzblocktrommel, Holzröhrentrommel, Triangel, Becken, Zymbeln, Fingerzymbeln, Bongos, Rahmentrommeln, Schellentrommel, große Trommel, Pauken. Dazu kommen die melodietragenden Instrumente: Xylophone, Glockenspiele, Metallophone, Gläserspiel, Blockflöten, Cello, Gambe oder Bordun, Gitarre oder Laute.“293

Ganz im Melodischen spielen die Flöten.294 Später kamen auch Chordophone wie Fideln oder als Bassinstrumente Lauten, Gamben, Celli und Kontrabässe dazu.295 Insgesamt aber sind schwerer spielbare Aerophone und Chordophone im OrffSchulwerk kaum anzutreffen. Diese Instrumente haben sich zwar als ‚Orff-Schulwerk-Instrumente‘ am Markt durchgesetzt, sind jedoch jenseits dieser Namensgebung als gemeinsame Identität für eine musikalische Früherziehung im Sinne von Orff nur begrenzt geeignet. Denn wie oben dargelegt müssen die Instrumente in enger Beziehung zu Bewegung und Sprachausdruck stehen. Das könnten daher auch andere Instrumente sein, die aus dem Umfeld der Kinder stammen. Dabei kommt es nicht auf den regionalen Charakter der Instrumente an, sondern auf deren Möglichkeit, die

292 Zum rhythmischen Musizieren können Idiophone unbestimmbarer Tonhöhe, z.B. Holzinstrumente wie Claves, Rasseln, Holzblocktrommel, Kastagnetten, oder Metallinstrumente wie Zimbeln, Becken, Triangeln, u.ä. herangezogen werden. Eine andere Gruppe sind Membranophone wie Rahmentrommel, Zylindertrommel und Doppelfelltrommeln, die die Klangmöglichkeiten der Körperperkussion erweitern und sogar melodisch spielen können, wenn sie, wie z.B. die (Dreh-)Pauke, die Tonhöhe ändern können. Zum rhythmisch-melodischen Spielen eignen sich die Stabspiele. 293 Keetman, Gunhild (1981), S. 20. 294 Die Verwendung von Flöten mag einmal der Tatsache geschuldet sein, dass Gunhild Keetman, deren Hauptinstrument die Flöte war, mit Carl Orff zusammen das Orff Schulwerk entwickelte und dadurch ihre instrumental-biographische Note in das Orff Schulwerk einfloss. Zum andern ist das Spielen auf der Flöte mit ein wenig Übung und Disziplin auch im Grundschulalter gut zu erlernen. Sie wird bis heute dort als Instrument eingesetzt. Und nicht zuletzt ist die (Block-)Flöte ein verhältnismäßig kostengünstiges Instrument, das aus rein ökonomischen Gründen von vielen genutzt werden kann. 295 Vgl. dazu auch Orffs Ausführungen in: Orff, Carl (1976), S. 70 und S. 135f.

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Kinder zum Musizieren anzuregen, einfach spielbar zu sein und zugleich differenzierbare Klänge erzeugen zu können. Eine Erweiterung des Instrumentariums in diesem Sinne ist jederzeit denkbar. In der Instrumentengeschichte Südkoreas gibt es z.B. einfache Lithopohone. Schlagwerke, die aus unterschiedlichen Wasserund Vorratsbehältern gebaut werden, sind ebenso nutzbar, wenn sie nicht gar schon länger in abgewandelter Form in der tradierten koreanischen Musik auftreten. Manche traditionelle Instrumente wie die Idiophone Bag (⹫), eine Holzklapper, Mogtag (⳿䌗), eine hölzerne kleine Tempelglocke oder Membranophone wie die Fasstrommel Bug (⿗), Sogo (㏢ἶ), eine kleine in der Hand gehaltene Doppelfelltrommel oder Melodieinstrumente wie Hun (䤞), eine Okarina aus gebranntem Ton entsprächen – rein spieltechnisch und klanglich gesehen – der Forderung an ein solches Instrumentarium.296 Nykrins grundsätzlicher Charakteristik des Orff-Schulwerks ist aus pädagogischer Sicht zuzustimmen, wenn er schreibt: „Das »Orff-Schulwerk« soll Bindeglied sein: aus der Klangwerkstatt berichtend, in die Klangwerkstatt führend. Dabei gibt es nur wenige sich unmittelbar entschlüsselnde Hinweise auf die intendierte praktische Arbeit. Orff selbst war kein methodisch interessierter Pädagoge. Er hat seine diesbezüglichen Überzeugungen in die Vielzahl der kunstsinnig geprägten Modelle für praktische Arbeit eingeschlossen, hat Pädagogik künstlerisch fokussiert. Es gilt, die Grundsätze des Werkes bedenkend, in den Notationen zu »lesen« und innerhalb des Werkes Beziehungen herzustellen.“297

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Orff und Keetman ausgehend von ihrer anthropologischen Vorstellung im Orff-Schulwerk ein Paradigma ihrer Ideen vorlegten. Sie schöpften dabei aus den musikalischen Formen der vorbarocken Zeit und den Inhalten ihres bayerischen Umfeldes. In den zu Papier gebrachten Improvisationen des Orff-Schulwerks entwickelt sich rhythmisch gesehen ein Aufbau von einfachen zu polyrhythmischen Strukturen. Im Hintergrund standen anfangs noch die der menschlichen Bewegung nahestehenden Rhythmen. Im OrffSchulwerk, so wie es heute auf dem Markt ist, geht der rhythmische Ansatz eher von Sprachrhythmen aus. Dazu verwendet Orff oft monophone Strukturen, z.B.

296 Orff selbst hat immer wieder neue Instrumente gesucht, Das Xylophon, das heute als ein typisches Orff-Instrument angesehen wird, führte Orff ein, nachdem ihm aus Afrika ein Instrument mitgebracht wurde und er darauf die ihm wichtigen Klänge in erlernbarer Technik ausführen konnte. Es ging ihm aber nicht um das Instrument an sich, sondern welche Ausdrucksmöglichkeiten darauf zu erzielen waren. Bei ihm zuhause gab es ein ganzes Zimmer voll mit Instrumenten, die er ausprobierte. 297 Nykrin, Rudolf (1995), S. 11.

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durch eine Parallelführung von Stimmen, Pentatonik, Bordunpraxis und Heterophonie. Formal treten wiederholt Ostinati und Kanons auf. Der Funktionsharmonik eines Dur/Moll Systems werden modale Klänge entgegen gesetzt. Die von ihm genutzten Instrumente waren oft perkussiv und klangfarbenreich und er war stets auf der Suche nach neuen Instrumenten, mit denen die Musiker(innen) musikalischen Ausdruck hervorbringen konnten. 2.1.3.3 Methoden in der Musik des Orff-Schulwerks Orff zielte beim Unterrichten auf das selbständige Musizieren, das in der eigenen Persönlichkeit verortet ist, und nicht auf ein künstlerisches Ergebnis, das im Sinne einer möglichst gut nachprüfbaren, an zeitgemäßen Kunstvorstellungen gemessenen Idealvorstellung abzielt. Manche Gedankengänge gingen daher über die rein künstlerische Beschäftigung hinaus. „Die Arbeit an der Günther-Schule dient keinem L’art-pour-l’art Standpunkt und deshalb ist ihre künstlerische Anwendung nur eine Möglichkeit von mehreren. Wenn die Ausdrucksfähigkeit befreit worden ist und der Mensch sich wieder als bewegungsnaher Mensch fühlt, dann kann die Arbeit auf die Gebiete des plastischen Formens und des Zeichnens von Körper- und Bewegungsabläufen ausgeweitet werden.“298

Orff verstand sich in erster Linie als Künstler. Aus diesem Selbstverständnis erwuchs sein musikpädagogischer Ansatz. Werner Thomas kommentiert: „Orff hat mit den Begriffen Methodik und Didaktik nichts anfangen können. Er hat das Schulwerk durch und durch von der Elementarität der Kinderwelt her nach künstlerischen Maßstäben und Zielen konzipiert.“ 299 Werner Thomas selbst fordert vom Lehrer, der nach dem Orff-Schulwerk unterrichtet, vor allem: „Das grundlegende Erfordernis ist das Gefühl für Qualität. […] Es ist bedauerlich, daß viele junge Kollegen, die durch die Mühlen einer selbstherrlichen Didaktik gedreht wurden, jedes pädagogische Tun unter vorgefertigten Kategorien stellen. Sie fragen nach Jahrgangsstufen, nach Schularten, nach programmierten Lernzielen und erwarten von Lehrbuch und Mentor fertige Rezepte. Das bedeutet für mich geradezu eine Entwürdigung des Pädagogen und kommt einer Selbstaufgabe der individuellen Einzelpersönlichkeit gleich.“300

Schon diese Aussagen legen dar, dass das Orff-Schulwerk keine methodische Gesamtkonzeption sein will.301 Wilhelm Keller meint dazu: 298 Kugler, Michael (2000), S. 291. 299 Werner, Thomas (1985), S. 26. 300 A.a.O., S. 27. 301 Kugler relativiert allerdings diese Aussage: „Ausnahmen bilden lediglich Keetmans Kleines Flötenbuch und Orffs Rhythmisch-melodische Übung. Letztere liefert den

112 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Das Orff-Schulwerk ist keine Methode, sondern ein Wegweiser. Alles Methodische, das wir im Folgenden vorschlagen, bleibt den oben angedeuteten Grundsätzen zugeordnet und zeigt nur einige Wege unter vielen möglichen. Alles Vorgeschlagene ist daher jederzeit abzuwandeln und den jeweiligen Verhältnissen anzupassen.“302

Was hier noch relativ offen formuliert ist, fassen die nachfolgenden, das OrffSchulwerk tradierenden und weiter entwickelnden Pädagog(inn)en konkreter. Sie schreiben z.B., dass der elementare Musik- und Bewegungsansatz „auf die fortschreitende Erschließung rhythmischer und tonaler, vokaler und instrumentaler, improvisatorischer und reproduktiver Fähigkeiten“ 303 des Menschen ausgerichtet sein soll. Es sei als eine „lebendige, sich mit den Bedingungen der Umwelt ständig verändernde, neuen Erkenntnissen und Impulsen offene Musik- und Tanzerziehung“304 aufzufassen. Das aufgeschriebene Orff-Schulwerk bietet eine Momentaufnahme von erklungener Musik, keine durchgeformte Gesamtkonzeption. Diese Offenheit und der ständige Wandel machen es schwierig, die Musikerziehung Orffs exakt zu fassen. In der Zielvorstellung entsteht dadurch eine Rangfolge. Die Ziele des im OrffSchulwerk beschriebenen Musizierens liegen zunächst im Musizieren zum Aufbau der menschlichen Persönlichkeit und nicht in der Vorbereitung auf eine objektivierende Musikvorstellung. Aber „[…] das Orff-Schulwerk will keineswegs die solistische Ausbildung begabter Schüler oder das Musizieren mit anderen Instrumenten ersetzen oder gar verhindern, sondern im Gegenteil: vor und neben jeder stilistischen Bindung oder Spezialausbildung allen Kindern eine musikalische Grundausbildung vermitteln, die sich nicht im Erlernen einiger Lieder und einiger Kenntnisse der Musiklehre erschöpft. Zu diesem Zweck ist eine anfängliche Beschränkung des Ton- und Klangraumes nötig, um die Befreiung und Erprobung persönlichschöpferischer Fähigkeiten zu ermöglichen.“305

Etwas poetischer und weitläufiger beschreibt Hermann Regner die Charakteristika und gleichzeitig die Ziele des Musizierens im Sinne Carl Orffs: Schlüssel für das Verständnis der gesamten Elementaren Musikübung.“ (Kugler, Michael [2000], S. 305) 302 Keller, Wilhelm (1963), S. 5; Mit dem Begriff ‚Grundsätzen‘ meinte Keller, dass das Orff Schulwerk einen „kindertümlichen Klang- und Tonraum“ habe, der sowohl geübten wie ungeübten Musizierenden die Möglichkeiten künstlerischen Ausdruckes biete und Freude am Zusammenspiel ermögliche. 303 Nykrin, Rudolf (1995), S. 9. 304 Regner, Hermann (1980), S. 13. 305 Keller, Wilhelm (1963), S. 28.

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„Das Schulwerk will elementare Erfahrungen auslösen, die Grundlagen von Musik und Tanz aufschließen. Diese elementaren Erlebnisse sind dann der Ausgangspunkt für das Erkunden aller ästhetischen Erscheinungen. Auch die der Gegenwart. Vor allem zwei Charakteristika sind es, die das Schulwerk befähigen zu den elementaren Erkenntnissen und Erlebnissen. Das eine ist die Einfachheit. Nicht nur technisch, sondern auch in den verwendeten Satztechniken. Ein Ostinato zum Beispiel ist nicht langweilig. Er kann, richtig erlebt, zu einem vollkommenen Eintauchen in Musik und Bewegung führen. […] Damit bin ich beim zweiten Charakteristikum des Schulwerks, bei der Kraft, die alle (fast alle) Stücke der Musik für Kinder ausstrahlen. Es ist eine Empfindung, die schwer mit Worten zu beschreiben ist, die aber Spieler, Tänzer und Zuhörer von der ‚Aufrichtigkeit‘ (so hieß vorher eine Wortbedeutung) überzeugt. Sie zwingt den Menschen zu einem Üben, zu einem Immer-nochschöner-Spielen, zum Sich-selbst-Zuhören. Und der Zuhörer ist immer wieder betroffen und gepackt von der unmittelbaren Wirkung der Musik und des elementaren Tanzes.“ 306

Orffs Vorstellung war, dass die Menschen musizierten und nicht Musik konsumierten.307 Das hatte aber auch Auswirkungen auf seine Methoden. „Die Zurückweisung musikalischer Reproduktion von Orff geht einher mit dem Ziel einer generellen Loslösung vom Notentext, der eine stereotype Ausführung und Interpretation begünstigt.“308 Orff nutzte einfache Formen, die einerseits für nicht ausgebildete Laien spielbar waren und andererseits auch Mittel zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit werden konnten. Die praktische Umsetzung beschreibt Gunhild Keetman: „Aus ‚rhythmischen Bausteinen‘ werden durch Aneinanderreihen selbständige Formen gebaut, als kleinstmögliche Vorder- und Nachsätze von je zwei Takten, wie sie aus Kinderreimen bekannt sind.“309 Die Methode bekommt durch die Reduktion auf elementare Formen und Strukturen etwas Überschaubares, aber eben auch einfacher zu Musizierendes, de-

306 Regner, Hermann (2005), S. 12f. 307 Dieses ist der Hintergrund, wenn Orff sagt, auf „das allzu individualistische, hochdifferenzierte 19. Jahrhundert musste ein Rückschlag ins Elementare erfolgen, um der Notwendigkeit willen, wieder eine Breitenwirkung zu erreichen.“ (Carl Orff in: Lohmüller, Helmut [1965], S. 195) 308 Weinbuch, Isabell (2010), S. 120. Aus historischer Sicht gesehen bemerkt Kugler dazu: „Die Erneuerung primärer musikalischer Verhaltensweisen, vor allem die Verbindung von Musik und Bewegung sowie die schriftlose Improvisation auf der Basis von Ostinatostrukturen durchbricht die ein halbes Jahrtausend alte, allzu enge Fixierung an die Notenschrift und die Dualität von Musikwerk und Interpret.“ (Kugler, Michael [2000], S. 330) 309 Keetman, Gunhild (1981), S. 16.

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ren Ausgestaltung weniger an den technischen Fähigkeiten, denn an dem Ausdruckswillen der Ausführenden hängt. Methodisch gingen Orff und Günther eher synthetisch denn analytisch vor. In der Zeit ihrer gemeinsamen Arbeit an der Günther-Schule musizierte er und Dorothee Günther entwickelte daraus eine Bewegungsfolge oder umgekehrt begann sie in der Bewegung und er ließ diese dann zu Musik werden. Da sich Bewegung und Musik in der Zeitstruktur treffen, war es naheliegend, die Schnittstelle beider Bereiche als methodischen Übergang zu nutzen. Viele Instrumente aus dem Orff-Instrumentarium sind daher zunächst Rhythmusinstrumente und setzen an der klanglichen Strukturierung der Zeit an. Im Unterricht ließ Orff oft mit einfachen Bausteinen improvisatorisch musizieren. Diese Bausteine wurden dann durch Mittel wie Wiederholung, Variation, aber auch Unterschiede in Dynamik und Tempo aufeinander aufgebaut. Dabei ging es Orff nie um reine Übung. Bei Orff zielt „die Aufgabenstellung immer auf das Zustandekommen eines künstlerischen Ergebnisses, nicht nur auf eine Übung.“310 Musiziert wurde fast immer in Gruppen. Die Lehrer(innen) ließen die Schüler(innen) musikalische Ideen ausprobieren, wiederholen, verändern und erst später festlegen. „Die Form der Schulwerk-Arbeit ist der Gruppenunterricht. Er ist hier nicht aus einer Lehrer- oder zeitsparenden Notlage entstanden, sondern entspricht der Natur des elementaren Musizierens. Freilich bleibt daneben das Einzelüben unumgänglich, um die Beherrschung der elementaren Darstellungsmittel und ihrer Techniken zu fördern.“311

Dabei bestand die kleinste Gruppe aus zwei Personen. Die Begrenzung nach oben war eher abhängig von räumlichen Grenzen oder der Anzahl der Instrumente oder anderen Faktoren der Überschaubarkeit, als dass hier eine konkrete Zahl zu nennen wäre: „[…] eine Vorbedingung ist allerdings unerläßlich: das Vorhandensein eines Raumes, der allen Musizierenden genügend Bewegungsfreiheit zum Klatschen, Stampfen, Patschen und Spielen an den Instrumenten und nicht zuletzt für tänzerische Bewegung der ganzen Gruppe läßt. [… Die Inhalte sind] hauptsächlich auf den Bereich des Pflichtschulalters (6 bis 14 Jahre) abgestimmt.“312

Im Unterrichtsablauf gingen Bewegen, Sprechen, Singen und das Spielen auf Instrumenten auseinander hervor bzw. wurden aufeinander bezogen. Dass die bereits erwähnten kleineren, möglichst überschaubare Einheiten Grundlage des Musizierens waren, diente der Spiel- und Überschaubarkeit, damit eine zu schwierige 310 Kugler, Michael (2000), S. 304. 311 Thomas, Werner im Vorwort zu Keetman, Gunhild (1981), S. 11. 312 Keller, Wilhelm (1963), S. 6.

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technische Gestaltung die Schüler(innen) nicht vom Musizieren abhielt. Abschließende Vorführungen konnte es auch geben, sie waren aber nicht Ziel der musikalischen Gestaltungen. Eine wesentliche Methode war dabei die Improvisation. 313 Improvisation ist die Kunst, etwas ohne Vorbereitung aus dem Stegreif mit den in dem Moment vorhandenen Mitteln heraus darzubieten. Improvisation und Regeln sind nicht Gegensätze, stehen aber in einem Spannungsfeld. Letztlich gibt es in Improvisationen auch zu beachtende Einschränkungen durch Regeln. Doch diese Regeln sind nicht unumstösslich, bewegen sich immer in einer Art dynamischer Normativität. „Das bedeutet für den improvisierenden Musiker, dass er sich die strukturellen Grundlagen die vorgegebenen Patterns, Modi, Skalen, Formen und Formeln, Gestaltungsmodelle etc. durch assimilierende und imitative Prozesse aneignet, und es bedeutet für den Rezipienten improvisierender Musik, dass er die vorgegebenen Strukturen kennen muss, weil er sonst das Besondere der Spontangestaltung nicht würdigen kann.“314

Für die Lehrkräfte ist die Improvisation nicht minder schwer.

313 Pädagogisch kann zwischen freier und gebundener Improvisation unterschieden werden. Frei Improvisieren ist weitgehend selbständiges Tun und bedeutet (fast) ohne Anleitung zu improvisieren. Der/Die Lehrer(in) beobachtet soweit es nur irgend möglich ist. Die Teilnehmer(innen) übernehmen viel Eigenverantwortung und erleben (in einer Gruppenimprovisation) die gegenseitige Abhängigkeit von anderen. In freien Improvisationen muss daher ein Mindestmaß an Können und sozialem Zusammenhalt vorhanden sein. Andernfalls entsteht mangels Können Frustration und die dominantesten Menschen übernehmen eine Führungsposition. Die gebundene Improvisation ist dagegen eine angeleitete und damit eingeschränkte Improvisation. So kann z.B. ein Gerüst wie ein Grobablauf, eine Zeitvorgabe oder eine Bewegungseinschränkung vorgegeben sein. Oder es wird unter choreographischen Vorgaben (Imitationen, Gegensätze, Rhythmen, Erweiterungen usw.) oder musikalischen Vorgaben (bei Orff sind das oft modale Skalen, Pentatonik, monoklangliche Bordunklänge, kadenzierende Bässe, oft im Patternprinzip gestaltete Ostinati, ggf. auch Strukturpläne) improvisiert. Führt ein(e) Lehrer(in) an, so hat er/sie in der Regel ein Lehrziel. Der/Die Lehrer(in) begleitet dann die kreativen Einfälle und Umsetzungen, gibt Vorstellungshilfen, leitet die Assoziationen und gibt im Unterricht Zeit zu Reflexionen (d.h. zur gedanklichen Neuverknüpfung der Wahrnehmungen in Gesprächen). Orff verwandte zumeist die gebundene Improvisation. 314 Kugler, Michael (2003), S. 126.

116 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Nichts bedarf sorgfältigerer Vorbereitung als die Durchführung und Überwachung von Erfindungs- und Improvisationsübungen! Noch deutlicher gesagt: nichts darf weniger vom Lehrer her improvisiert werden als Improvisationsübungen der Schüler!“315

Um zu improvisieren oder Improvisation zu unterstützen oder anzuleiten, müssen sich Lehrer(innen) viel Wissen über die Ausdrucksmöglichkeiten und Ausdruckscodes des Umfeldes der Schüler(innen) aneignen und die musikalisch technischen Fertigkeiten kennen, auf die die Schüler(innen) zurückgreifen könnten. Und schließlich ist Improvisation an kulturellen Habitus gebunden. Die Musiker(innen) müssen die Regeln der Kultur kennen, um Improvisation zu verstehen. Das bedeutet für den hier untersuchten Prozess: Improvisation in Korea und Deutschland muss nicht gleich sein. Formal ist Improvisation „in ihrer Eigenart und Zwischenstellung zwischen Tradition und Neuschöpfung bzw. Reproduktion und Kreation im konkreten musikalischen Kontext eng verknüpft mit der Wiederholung und der Variation.“316

In Orffs Klavierunterricht lernten die Schüler(innen), über einem gegebenen oder eigenen Rhythmus Melodien zu finden und zu diesen wieder neue, auf einfachem oder geschweiftem Bordun gebaute Begleitungen, die zunächst auf dem Klavier gespielt, dann auf dafür geeignete Stabspiele übertragen wurden. Bei der Wiederholung und Festlegung der auf solche Weise entstandenen Melodien konnten dazu kleine Bewegungsstudien für Solo oder Gruppen entworfen werden. Aber Orff ging auch den umgekehrten Weg. Zu einem Bewegungsablauf oder Tanz sangen die Schüler(innen) eine Melodie, die dann je nach Charakter der Bewegung auf Flöten, Glockenspiele, Xylophone oder Metallophone übertragen und entsprechend begleitet wurden. Zu sehen ist das z.B. in der ‚rhythmisch-melodischen Übung‘, wo über einem oftmals als Bordun konzipierten Grundklang ein monophoner Rhythmus und Melodie gespielt wird. Darüber konnte durch Parallelen, Schichtungen oder ggf. auch harmonischen Änderungen improvisiert werden. Bewegung und Klang gehören in Orffs Musikpädagogik zusammen. „Wie für Sachs war für Orff der Körper historisch gesehen eines der ersten Instrumente.“ 317 Wenn Orff von Bewegung spricht, so meint er damit nicht (nur) den choreographierten Tanz, sondern – er hatte enge Verbindungen mit den Künstler(innen) im deutschen Ausdrucktanz – die freie Bewegung.318 Er kennt „als Lerninhalte die Klanggesten 315 Keller, Wilhelm (1963), S. 29. 316 Weinbuch, Isabell (2010), S. 119. 317 A.a.O., S. 102. 318 Dorothee Günther beschreibt das: „Die Bewegung selbst fließt ununterbrochen in selbstverständlichem Reflex jeder inneren Anteilnahme und Spiegelbild jedes inneren

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Klatschen und Stampfen, das variable Gestenrepertoire die Orffschen Dirigierübung sowie das, auf den Schulwerkkursen allerdings zurückgestellte Repertoire des Elementaren Tanzes.“319 Günther wie Orff ging es darum, Bewegungspattern auszuprobieren und von kleinen Bausteinen zu größeren Einheiten zu gelangen. Musikrhythmen wurden aus Bewegungsrhythmen abgeleitet. Auch dem Instrumentalspiel ging eine rhythmisch-melodische Gestaltung oder Übung oder Ursprung der Ableitung voraus. „Die Stegreifproduktion des Kindes und die besondere Eigenart des kindlichen Spiels, im Sandkasten und mit den Baukasten immer wieder aus kleinen Anfängen und stückhaften Material schöpferisch zu größeren Gestaltungen fortzuschreiten, wird für Orff zum wegweisenden Prinzip.“320

Diese kleinen, vom der Lehrerkraft vorgegebenen, musikalischen Bausteine (z.B. ein Sprechtext in Rhythmus, Melodie, ggf. durch einen Bordun oder ein Ostinato strukturiert) wurden in Wiederholungen und Variationen gespielt, ausgestaltet und zu einem größeren Musikstück zusammengesetzt. „Orff hat bekanntlich den Kinderreim zum Ausgangspunkt seines Schulwerks genommen, seine potentielle Qualitäten an Bewegung, Sprache und Musik aufgegriffen und in eine Sammlung von Modellen umgesetzt, die in unerschöpflicher Variabilität zugleich als künstlerisch stimmige Muster wie als offene Strukturvorlagen der Improvisation erscheinen.“ 321

Beispielsweise konnte über einer gegebenen, oft ostinaten Begleitung eine Melodie und instrumentale Vor-, Zwischen- oder Nachspiele improvisiert und immer weiter ausgeschmückt werden. Bei mehreren Melodiestimmen nutzte Orff dabei auch hier gerne die Pentatonik.322 Kugler beschreibt das: „In der ‚Rhythmisch-melodischen Übung‘ bildet meist ein rhythmischer Baustein, der durch Körperperkussion und kleines Schlagwerk zu einer Ausgangsstruktur zu erweitern ist, die

und äußeren Vorgangs. Sie kennt die stehende, abgerissene Geste ebenso wie die rhythmische Wiederholung mit steigender und fallender Dynamik, die fließende tänzerische Drehung (und sei es zu Leierkasten) wie die nachahmende Geste des Alltags. Der kindliche Organismus probiert die Bewegungsmechanik, die das praktische Leben von ihm fordert, mit ebensolcher Geduld (Tür auf- Tür zu) wie das Kunststück (vielleicht Kopfstehen).“ (Günther, Dorothee [1932], S. 3f.) 319 Kugler, Michael (2000), S. 313. 320 A.a.O., S. 309. 321 Thomas, Werner (1987), S. 31f. 322 Vergleiche dazu auch Orff, Carl (1976), S. 29 und S. 66; Weinbuch, Isabell (2010), S. 123.

118 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN dann durch Stimme und Instrument der melodischen und klanglichen Ebenen zugeführt wird. Daraus folgt die instrumentengerechte Ausgestaltung, die auch schwierigere Spieltechniken einbezieht und sich gegebenenfalls mit dem Tanz verbindet. Bewegungsaufgaben kommen in Orffs Unterricht nur innerhalb der gestischen Dirigierübung vor, bei Keetman auch in Verbindung mit Tanz.“323

Ein für Orff wichtiger methodischer Weg verläuft über das Hören. Zunächst sollte jeder auf sich selbst hören, was aus Orffs anthropologischen Ideen her nur eine konsequente methodische Forderung ist. „Nicht an irgendeinem Instrument, nicht mit irgendwelcher Technik, mit irgendwelcher Übermittlung von Kenntnissen wird begonnen. Das erste ist die eigene Stille, das in sich Horchen, das Bereitsein, das Hören auf den Herzschlag und Atem, auf den Urrhythmus, auf die Urmelodie.“324

Kugler führt Orffs Überzeugungen weiter aus: „Zum Globalziel der Ausdrucksfähigkeit gehört vor allem die Fähigkeit zur Entspannung und das Zulassen einer gewissen Aktivitätsunlust im Hinblick auf Bewegung und Musik sowie die Fähigkeit zu Einfühlung und Reaktion. Zum globalen Ziel der Bewegungsfähigkeit gehört das Beherrschen eines Bewegungsrepertoires, das dem Körper sein volles Bewegungsvermögen sichert, sowie die Fähigkeit, rhythmische Gestalten in Tanz und Musik durch improvisatorische Akte hervorzubringen. Diese Fähigkeiten bilden die Voraussetzung für die künstlerische Äußerung in Bewegung, Sprache und Musik. Das Improvisieren verlangt nach Orff vor allem die Fähigkeit, selbst körperlich Musik zu empfinden sowie die Fähigkeit zu differenzierter klanglicher Wahrnehmung.“325

Neben der Verbindung mit der körperlichen Motorik war auch die Verbindung von Sprache und Musik für Orffs pädagogisches Schaffen wegweisend. Dies galt umso mehr bei der Entwicklung des Orff-Schulwerks. Für Werner Thomas ist dabei

323 Kugler, Michael (2000), S. 303. 324 Orff, Carl (1932/33), S. 216; so auch bei Kugler, Michael (2000), S. 288. 325 Kugler, Michael (2000), S. 312f. Neben einen technischen Ausdruck in körperlicher Bewegung, Instrumentalspiel und stimmlichem Ausdruck stellte Orff aber auch das Sich-Hineinversetzen-Können in den (eigenen) Ausdruck durch Musik. Orff spricht an einer Stelle von einer „absoluten Verbundenheit mit dem Instrument“ (Orff, Carl [1932/33], S. 223) und an anderer Stelle spricht er vom „Höchstmaß an Einfühlung, bis hin zum Vergessen des Instruments, bis zum Einswerden mit dem Klang“ (Orff, Carl [1931/32], S. 672). Eventuell liegen hierin auch Überschneidungen mit meditativen Elementen.

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„zu bedenken, dass das Charakteristikum der Erstgestalt, nämlich die Bewegungsimprovisation durch den Rundfunk nicht vermittelbar war, so daß nach einer neuen Grundlegung gesucht werden musste. Orff hat mit seinem eminenten Gespür für das Machbare und das Wünschenswerte entdeckt, daß die Sprache die neue Basis des Musizierens sein müsse – die Grundlage seiner künstlerischen Physiognomie überhaupt.“326 Inhaltlich wandte er sich dabei den Traditionen zu: „Gültiger Ausgangspunkt für diese Arbeit ist das alte Kinderliedgut.“327

Formal ging er dabei oft von dem Rhythmus der Sprache aus. „Die verbalisierte Vorstellung melodisch-rhythmischer Phrasen deckt sich mit Orffs Intention, aus der Sprache den Rhythmus und die Musik zu erfassen und zu produzieren. Schon im ersten Band des Schulwerks weisen die Sprechübungen auf die klangliche und rhythmische Qualität des Wortes hin, aus der instrumentale Klänge und Rhythmen abgeleitet werden. (so z.B. OSW I, Nr. 39-43; OSW I/V, Rhythmisch-melodische Übung) Durch Wortrhythmen können verschiedene rhythmische Strukturen wie z.B. der Auftakt, Taktwechsel, ungerade Taktarten, die Synkope und die komplementäre Rhythmik (durch das gleichzeitige Sprechen mehrerer Wörter mit je unterschiedlicher Skandierung und durch komplementäre Sprechkanons gezeigt werden.“328

Es ist naheliegend, dass, wenn Lehrer(innen) in anderen kulturellen Umfeldern diese Orffsche Methode beibehalten wollen, sich rhythmisch-sprachliche und tradierte Inhalte den sprachlichen und inhaltlichen Repräsentationen der jeweiligen Kulturkreise nähern müssen. Orff und seine Mitstreiter erkennen die Dynamik sprachlicher Veränderungen und mithin auch die Wandelbarkeit der Inhalte an. „Soll Sprache erweckt werden zu lebendigem Wort, so muss die Musik als freie Schöpfung hinzutreten, aber eben nicht in Gestalt einer subjektiven Deutung, nicht als Komposition, sondern gemäß dem Gesetz der als Geschichte begriffenen Sprache.“329

Musikalische Formen nutzt Orff oft, indem er sie ständig wiederholt, dann verändert und so einübt. Keller bezeichnet die Wiederholung als „Urform des Gestaltens“.330 Hier werden Patterns angewandt, wiederholt, variiert usw. Weinbuch beschreibt die Nutzung der Formen:

326 Werner, Thomas (1985), S. 25. 327 Orff, Carl; Keetman, Gunhild (1978), aus dem Vorwort. 328 Weinbuch, Isabell (2010), S. 95. 329 Thomas, Werner (1955), S. 31. 330 Keller, Wilhelm (1963), S. 28.

120 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Die Aneinanderreihung von mehreren variierten Phrasen, Motiven oder melodischen Mustern (Pattern) bzw. deren Einschub einer neuen Phrase zwischen dem Motiv und seiner Wiederholung führt zu melodischen Formen wie den global praktizierten, in allen Volks- und Kunstmusikkulturen sowie auch im Schulwerk vorhandenen frühen Reprisen- und Reihungsform. […] Strukturgebende Formen bilden außerdem die Techniken der kanonischen Führung, der Imitation, der Variation und der Sequenzbildung. Periodizität und Wiederholung als wichtigste Form bildende Bestandteile der Improvisation werden im Schulwerk in sog. Ergänzungsübungen durch textliche bzw. rhythmische oder melodische Ergänzung eines Vordersatzes (Frage) mit einem passenden Nachsatz (Antwort) in die Praxis umgesetzt.“331

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es Orff ausgehend vom Ziel, den musikalischen Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu entwickeln, um das selbständige Musizieren ging. Er ließ die Menschen durch die Kunst lernen und nicht für die Kunst. Dabei ging er von einer im Menschen angelegten musikalischen Potenz und von einer Verbindung von menschlicher Sprache, Bewegung und Musik aus. Auf dieser Verbindung gründete er seine Unterrichtsmethode. Musikalische Inhalte sind veränderlich, da die Menschen sich verändern und Musik Ausdruck der Menschen ist. Menschen sind den sich stets verändernden, neuen Erkenntnissen und Impulsen ausgesetzt. Es ging Orff daher beim Musizieren nicht um eine musikalische Reproduktion und Notation, sondern um die Schaffung eigener Ausdrucksmöglichkeiten, wobei die Inhalte aus der Umgebung der Menschen aufgenommen werden sollten. Dabei spielte das Hören eine große Rolle, damit die Kinder erst einmal die Strukturen ihrer Umwelt aufnahmen. Diese Strukturen nutzt Orff und so kamen einfachere Muster wie Wiederholung, Bordun, Sequenz, Periodizität, Reihungsformen, Ostinato, Kanon usw. zustande. Der Gruppenunterricht war bei Orff die am weitesten verbreitete Sozialform. Der Unterricht wird als „personzentriert und partnerschaftlich orientiert – individualisierend orientiert“332 beschrieben. Das bedeutet, dass der einzelne Mensch wichtig ist, aber ebenso in die Gruppe eingebunden sein sollte. Innerhalb dieser vorrangigen Sozialform wurden vor allem durch die Improvisation Modelle geschaffen, sodass ein Baukastenprinzip entstand, also kleinere miteinander kombinierbare Einheiten, die auch auf andere Musik übertragen und aus- bzw. umgestaltet werden können.

331 Weinbuch, Isabell (2010), S. 126f. 332 Widmer, Manuela (2011), S. 445.

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2.1.4 Kritische Perspektive So sehr Orffs Musikpädagogik auch Einfluss auf die Musikpädagogik genommen hat, so gab und gibt es doch von Anfang an kritische Stimmen und Fragen. Ein erster Kritikpunkt richtet sich gegen die fehlende methodisch-didaktische Begleitung des Orff-Schulwerks. Das Orff-Schulwerk ist kein für Pädagog(inn)en und Kinder methodisch-didaktisch aufgearbeitetes Programm. Es ist eine notierte Aufzeichnung von entwickelter Musik aus seiner Zeit heraus. Basierend auf der Grundlage der ‚Elementaren Musikübung‘ aus den 1930er Jahren und zunächst durch die Schulfunksendungen des Bayerischen Rundfunks bekannt geworden, kamen die Hefte des Orff-Schulwerks erst deutlich nach der Ausstrahlung der Sendungen heraus. Sie sind zumindest teilweise auch als Materialsammlung zur Sendereihe zu sehen. Ein methodisch-didaktischer Kommentar fehlte. 333 Orff und Keetman scheinen sich der Problematik, die ein solch integraler Ansatz von Musikerziehung, dem es um die Entwicklung des musikalischen Ausdrucks von innen heraus ging und der sich nicht scheute, statt eines vorgeschriebenen Musiklernkanons eigenständig musisch zu entwickelnden Stücke zu fordern, zumindest anfangs nicht bewusst gewesen zu sein. „Den mündigen und richtig verstandenen Umgang des Pädagogen mit diesem beispielhaften Material nehmen sie als selbstverständlich an – eine Fehleinschätzung, die weitreichende Folgen in der Rezeption des Orff-Schulwerks nach sich zieht.“334

Ohne eine begleitende Erklärung konnte das Schulwerk als eine Art Vorschrift gedeutet werden, eine Vorlage, deren Spielen als verbindlich angesehen wurde. Dadurch wurde das Musizieren zu einer Wiederholung, ggf. einer Kopie der aufgezeichneten Musik, was den Intentionen Orffs und Keetmans vollkommen widersprach. Die Gründe dafür mögen zum einen in der Zeitgeschichte gelegen haben. Eine eigenständige Auseinandersetzung mit Lehr- und Lerninhalten, eine Abänderung gar, war in den Jahren bis zum Ende des 2.Weltkrieges trotz einiger Ansätze in reformpädagogischen Bestrebungen kaum gefördert worden. Zum anderen waren weder Orff noch Keetman nach ihrer eigenen Schulzeit jemals besonders mit dem Schulalltag beschäftigt gewesen. Obwohl ‚Musik für Kinder‘ für schulpflichtige Kinder gedacht war, waren ihnen die Bestimmungen und Um-

333 So erschien der erste Band des Orff Schulwerks erst ein Jahr nach der erstmaligen Ausstrahlung des Schulfunks. Er hat ein Inhaltsverzeichnis, 1,5 Seiten Vorwort und 17 Seiten Hinweise und Anmerkungen. Dem gegenüber stehen 153 Seiten Notentext. 334 Fischer, Cornelia (2010), S. 267.

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stände des schulischen Alltags nur aus allgemeinen, nicht aus beruflich nahestehenden Quellen bekannt. Um weiteren Missverständnissen und Fehldeutungen des Orff-Schulwerks vorzubeugen, wurden später Erklärungen nachgeliefert.335 Im Zuge der Kritik am Schulmusikunterricht in den 1960/70er Jahren336 entstand ein zweiter Vorwurf. Er besagt, dass die Musikpädagogik Orffs auf der Stufe des Einfachen stehen bleibe, letztlich so etwas wie primitiv oder simpel sei.337 Diese Kritik, das Musizieren nach dem Orff-Schulwerk sei simpel und helfe weder bei der musikalischen Entwicklung noch bei der kritischen Aufnahme von Musik weiter, führt bei näherer Betrachtung des Orff-Schulwerks allerdings ins Leere. So sagt Cornelia Fischer: „Ohne Wissen um die kulturanthropologische Dimension, aus der die Publikationen Elementare Musikübung und Musik für Kinder entstanden sind, wird vor allem das dem gedruckten Material zugrunde liegende Konzept einer Elementaren Musikerziehung falsch gedeutet. Und damit kommt es auch zu einem verzerrten Bild über die Ziele und Inhalte des Schulwerks. Nicht das jeweilige musikalische Werk steht im Vordergrund, sondern die individuelle Entwicklungsstufe des Kindes. Korrelierend mit der in vielen Ethno- und Volkskulturen noch anzutreffenden Einheit von rhythmisch, tänzerisch und improvisatorisch geprägten musikalischen Ausdrucksmitteln versuchen Orff und Keetman eine Pädagogik zu begründen, deren musikanthropologisch motivierte Perspektive sich auf das primäre Ausdrucksbedürfnis des Menschen beruft: den bewegungsgebundenen Musizierprozess, der sowohl beim Kind, als auch in vielen oral tradierten Kulturen noch anzutreffen ist. Der steigende Schwierigkeitsgrad innerhalb der fünf Bände Musik für Kinder zeugt davon, dass dieser elementare Ansatz jedoch keine Gleichstellung mit Banalität verdient. Denn das Elementare ist tatsächlich Grundlage einer Erziehung, die alle Lebensbereiche berührt, und

335 Dazu zählen die Schriften von Reusch, Friedrich (1954), Keller, Wilhelm (1963) und von Keetman, Gunhild (1981), deren Erstausgabe 1970 herauskam. 336 Es ging dabei um die curricularen Diskussionen, ob und wieweit der Musikunterricht wissenschaftsorientiert sein müsse; siehe auch Fischer, Cornelia (2010), S. 275ff. 337 Antholz warnte vor einer „Sackgasse fiktiver Kindermusik“ (Antholz, Heinz [1976], S. 77) und meinte damit auch eine Orffsche Musikpädagogik, wie er sie verstand. Hermann Regner, Grandseigneur der Musikpädagogik im Sinne von Carl Orff, bezog sich darauf, wenn er schreibt: „Und er hat recht, wenn er das »Exerzieren von Begleitformeln«, das aussichtslose Verharren in pentatonischen Klangwelten und in ostinaten Endlosschleifen kritisiert.“ (Regner, Hermann [2000], S. 7)

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Ausgangspunkt für ein umfassendes Musikverständnisses, bedeutet jedoch nie Beschränkung auf Einfaches oder Simples sowie ebenso wenig das Fernhalten oder gar Leugnen von Kunstmusik.“338

Ein dritter Kritikpunkt besteht darin, dass das Orff-Schulwerk der europäischen Musik verhaftet sei und daher nicht zum Musizieren außerhalb dieses Raumes geeignet sei. So schreibt Wallbaum: „Schließlich sei ein Zweifel erwähnt, der der Musikbeschreibung von Orff-B einen (leise) universalistischen Zungenschlag geben könnte: Ist nicht schon das Festhalten an der Idee eines – ‚des‘ – Elementaren als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Kultur zu deuten, die in ihrer Musik nicht die Differenz, sondern das Verbindende zwischen den Kulturen sucht und erfährt? (Dies wäre eine materiale Erweiterung des formalen Konzepts.)“339

Die im Orff-Schulwerk notierte Musik von Carl Orff und Gunhild Keetman ist in der Tat in der europäischen Musik verankert. Im Orff-Schulwerk gibt es bayerische schwäbische, österreichische Liedtexte, aber auch Texte aus Brentanos ‚Des Knaben Wunderhorn‘, Boehmes ‚Altdeutsches Liederbuch‘ usw., also von Musik, die entweder aus dem konkreten Lebensumfeld der Beiden oder aus Orffs bevorzugten historischen Musikstilen stammen. Die Elemente aber, aus denen Musik zusammengesetzt ist und auf deren Verwendung Orff und Keetman beim Musizieren besonders viel Wert legten, gehen über den zu ihrer Zeit praktizierten eurozentrischen Musikbegriff hinaus. „Nun war der Musikbegriff des Orff-Schulwerks, Orffs Idee der Elementaren Musik, von Anfang an auf eine Erweiterung des europäischen Musikbegriffs angelegt. Er brachte drei wichtige Elemente der Performance zurück, die im Lauf der Musikgeschichte verloren gegangen waren: Motion, Perkussion und Improvisation, also die Verbindung der Musik mit dem Tanz, die Rehabilitierung des perkussiven Instrumentariums und die Improvisation, also die Möglichkeit, Musik im Rahmen gegebener Strukturen durch regelhafte oder spontane Prozesse zu gestalten. Im Grunde ist Orffs Elementare Musik und die daraus hervorgegangene musikpädagogische Konzeption Orff-Schulwerk. Elementare Musikübung bereits das Ergebnis eines interkulturellen Musikaustauschs.“340

338 Fischer, Cornelia (2010), S. 281. 339 Wallbaum, Christopher (2009), S. 89. Wallbaum unterscheidet in seinen Ausführungen zwischen den historisch gesehen frühen Aussagen Orffs (Orff-A) und denen des späteren Orff (Orff-B). 340 Kugler, Michael (2005), S. 10f.

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Dass es Orff und Keetman beim Übertrag des Orff-Schulwerks in andere Kulturen nicht um die Musikwerke per se, sondern um die Verbindung von Musik als Ausdruck persönlicher Bildung ging, wies Cornelia Fischer nach. „Aus Briefen mit dem Schott-Verlag ist bekannt, dass bereits 1953 inoffizielle Richtlinien für die internationale Verbreitung des Schulwerkkonzepts formuliert wurden, damit man auch Ǽim Ausland Aussicht auf Erfolg habenǽ und zugleich die Qualität der ausländischen Bearbeitungen sicherstellen kann. Um eine weltweit gültige Elementare Musikerziehung zu begründen, soll demnach die Adaption mit dem Ziel betrieben werden, authentisches bzw. traditionelles Material aus den jeweiligen Kulturen und Teilkulturen zu verwenden.“341

Orff und Keetman widersetzten sich einem Verständnis, nach dem nur europäische Musik Grundlage des Orff-Schulwerks sein könnte. Eine rein sprachliche Übersetzung konnte dann natürlich wieder zur Grundlage der o.e. Kritik werden. Aber es geht eben nicht um eine sprachliche Übersetzung, sondern mehr darum, das Grundprinzip in andere Kulturkreise zu übertragen. Doch Wallbaums Kritik ist nicht aus der Welt zu schaffen. Denn eben dieses Grundprinzip könnte schon als zu einer Kultur zugehörig gedeutet werden.342 Einem Übertrag von einem Deutungsraum in einen anderen muss irgendeine kompatible Vorstellung oder Deutung vorliegen, um anknüpfen zu können. Andernfalls werden zwar ein Inhalt und eine Methode in einen anderen Raum transferiert, verändern sich aber in den Deutungsmustern der anderen Seite dergestalt, dass sie aus der Ursprungssicht heraus als different betrachtet oder gar nicht wiedererkannt werden könnten. Diese Veränderung kann sogar so weit gehen, dass sich die Frage stellt, ob überhaupt noch von ‚Musikerziehung im Sinne Carl Orffs‘ gesprochen werden kann. Ein Übertrag von einem Raum in einen anderen setzt immer auch

341 Fischer, Cornelia (2010), S. 288; sie verweist dabei auf die Briefe Ludwig Streckers an Orff vom 7.9.1953 und den Brief Paul Müllers an Strecker vom 18.9.1953. 342 Wallbaum zeichnet die Entwicklung Orffs und die sich daraus entwickelnde Ungenauigkeit in der Grundlage Orffscher Musik etwas überspitzt so: „Das Machen einer ästhetischen Erfahrung ist im Sinne Orffs nicht vom Kunstwerk abhängig, sondern entscheidend davon, dass die Welt des Subjekts und der Erfahrungsgegenstand zusammenpassen. Insofern besteht kein Unterschied zwischen einer musikalischen Erfahrung im elementaren Laienspiel und der Erfahrung von Kunstmusik. Widersprüchliche Aussagen über Elementaria lassen sich theoretisch fassen, wenn man eine material-universalistische Theorie Orff-A und eine formal-kulturrelative Theorie Orff-B polarisiert, wobei Orff-B (im Gefolge von Nykrins Analyse) so vieler persönlicher Besonderheiten des Komponisten entkleidet ist, dass kaum mehr als die Idee eines Elementaren übrigbleibt.“ (Wallbaum, Christopher [2009], S. 89)

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eine Kommunikation voraus und die benötigt ein Mindestmaß an vergleichbaren Deutungsmustern. Diese sind auszuhandeln und sie könnten das von Wallbaum beschriebene „Verbindende zwischen den Kulturen“ werden. Es geht bei einem Transfergeschehen um das Verbindende und die Differenz. Wird jetzt Wimmers Kulturbegriff angelegt, und daraus das Geschehen des Orffschen Begriffes in der südkoreanischen Realität untersucht, so wird sich zeigen müssen, was mit den Kernpunkten der Orffschen Sichtweise geschieht. Sind überhaupt Erfahrungen im Sinne elementarer Musik möglich, und wenn ja, werden sie gleich oder unterschiedlich gedeutet werden können? Sind die Repräsentationen einer musikalischen Früherziehung in Südkorea und Deutschland bzw. Österreich so weit kompatibel, dass von den gleichen kollektiven Repräsentationen gesprochen werden kann? Auf diese Frage wird später noch einzugehen sein. Ein vierter Kritikpunkt, der weiter oben schon kurz angedeutet wurde, bezieht sich auf die subjektiven Zugänge in der Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs. An die Reformpädagogik stellt Lee Jung-In die Frage: „[…] könnte man kritisch fragen, wo im Bildungsprozess das gesicherte systematische Wissen bleibt, wenn das Lernen zufälligen Erfahrungen der Kinder und ihren Lebenswelten, nicht aber von anspruchsvollen Curricula bestimmt wird? Welche Bildungsinhalte sollen die Kinder heute lernen, um den künftigen Anforderungen der Gesellschaft optimal gewachsen zu sein? Diese Fragen werden in der Reformpädagogik wenig berücksichtigt.“343

Diese Aussage bezieht sich auf die Reformpädagogik. Aus ihr könnte aber auch eine kritische Frage an eine Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs abgeleitet werden. In einer Musikpädagogik Orffs ist die Überprüfung von Gelernten nach einem inhaltlichen, öffentlich zugänglichen Leistungskatalog nicht möglich. Orffs Anliegen und Ziel einer musikalischen Erziehung ist es, die angelegte musikalische Ausdrucksfähigkeit, die unbewusst in jedem Menschen angelegt und das geistig Verbindende aller Menschen ist, wieder zu gewinnen. Wie ist das allgemeingültig definierbar und wie können daraus Parameter der Beurteilung abgeleitet werden? Die Problematik bei dieser Grundanschauung besteht darin, dass eine Musikpädagogik dadurch im Subjektiven stecken bleiben kann, weil eine im Menschen angelegte musikalische Potenz als Parameter schwerer allgemeingültig charakterisiert werden kann als ein äußerer, in hör- und sichtbaren Phänomenen beschreibbarer Lernkatalog. Anstatt gesicherten systematisch aufgearbeiteten Lerninhalte sind Lernerfolge an die vorhandenen Erfahrungen und Deutungen der Kin-

343 Lee, Jung-In (2014), S. 302.

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der und ihre Dispositionen, sowie an ihren Umweltbedingungen gebunden. Parameter müssen aus dem Umfeld der musizierenden Menschen stets neu hervorgeholt werden. Genau diese Frage aber, welche Bildungsinhalte gelernt werden sollen, wird von den südkoreanischen Lehrer(inne)n der musikalischen Früherziehung gestellt. Darauf wird später noch einzugehen sein. Darauf nur eine Antwort, die in der rein subjektiven Erfahrung liegt, zu geben, greift zu kurz, zumal gemeinsame Erfahrungs- und Deutungshorizonte nicht grundsätzlich vorausgesetzt werden können. Um musikalische Früherziehung auf diese Weise zu lernen und zu lehren, ist es unabdingbar, dass über die Erfahrungen nicht nur individuell reflektiert werden kann, sondern auch zwischen den Lernenden und Lehrenden ein Austausch stattfindet. Zu einem subjektiven Agieren muss ein auf intersubjektives Kommunizieren und Handeln ausgerichtetes Reflektieren kommen. Daher wird auch auf die Möglichkeiten und Grenzen des Reflektierens im weiteren Verlauf dieser Untersuchung einzugehen sein.

2.2 W EITERENTWICKLUNG DES O RFF -S CHULWERKS ZUR MUSIKALISCHEN F RÜHERZIEHUNG Carl Orff hat keine musikalische Früherziehung verfasst. Daher wird hier auch nur von einer musikalischen Früherziehung ‚im Sinne von Carl Orff‘ gesprochen. Um diesen ‚Sinn‘ geht es hierbei. Denn Orff stand in Traditionen und hat diese aufgegriffen. Deshalb wird nach der Definition des Begriffes ‚Musikalische Früherziehung‘in diesem Abschnitt die Entwicklung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff nachgezeichnet, wie sie sich aus dem historischen Zusammenhang und den zeitgenössischen didaktischen Konzeptionen heraus entwickelte. Der Begriff ‚musikalische Früherziehung‘ lässt sich formal und inhaltlich definieren. Formal wird mit ‚musikalischer Früherziehung‘ ein Musikunterricht für Vorschulkinder bezeichnet. In den letzten Jahren ist dieser Begriff dann um ‚Eltern-Kind-Kurse‘ für Eltern mit Kindern zwischen 1,5 und 3 Jahren und ‚Musikalische Grundausbildung‘ für 6-8-jährige Grundschulkinder erweitert worden. In Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff ‚musikalische Früherziehung‘ für den Unterricht mit 4-6-jährigen Kindern vor dem Schuleintritt, der in Deutschland und Südkorea etwa mit 6 Jahren stattfindet, verwendet. Der Begriff ist in Musikschulen gebräuchlich und wird außerhalb davon, z.B. in Kindergärten nur genutzt,

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wenn er das Angebot einer Fachkraft von außen bezeichnen soll. 344 Die musikalische Früherziehung hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert.345 Karl Heinz Zarius meint, dass die musikalische Früherziehung keine rein musikalischselektive oder gar fachspezifische Zielsetzung habe. Sie will „wie ihr Name schon sagt, über Bildung hinausgehen und auch auf Erziehung ausgerichtet sein.“ 346 Knapp 10 Jahre später steht 1994 im Lehrplan des Verbandes deutscher Musikschulen, dass durch die musikalische Früherziehung neben der Schulung des musikalischen Ausdrucksvermögens auch „positive Auswirkungen auf das ästhetische Verhalten, die auditive Wahrnehmung, die Lernbereitschaft, das Sozialverhalten und allgemein auf den emotionalen, den kognitiven und motorischen Bereich“347 zu erwarten sind. Und 2010 wird der Begriff ‚Musikalische Früherziehung‘ im Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe als Unterrichtsangebot für 3-6-jährige Kinder an einer Musikschule definiert. In den Aktionsbereichen Singen, Instrumentalspiel, Bewegung, Wahrnehmen und Erleben, Denken und Symbolisieren und dem Verbinden von Musik mit anderen Ausdrucksformen sind neun Zielsetzungen angegeben. Danach sollen die Kinder „*Musik als vitalisierend und ihre eigene Ausdruckskraft verstärkend empfinden *das aktive Musizieren als kommunikationsfördernd sowie als persönlich bereichernd erleben *ihren Körper und die Bewegung als wesentliche Wahrnehmungs- und Ausdrucksmittel im Zusammenhang mit Musik erfahren *eine Breite an musikalischen Inhalten in Stilistik, Epochen und Genres kennenlernen * sich möglichst aktiv in gestalterische Prozesse einbringen

344 Zwischen einer Erzieherausbildung und der Fort- oder Ausbildung in elementarer Musikerziehung bestehen erhebliche Unterschiede. So wird z.B. in den „Hamburger Bildungsempfehlungen“ der Bereich ‚Musik‘ mit Zielkompetenzen der Kindergartenarbeit verküpft. Die Kenntnis der musikalischen Zusammenhänge mit diesen Kompetenzzielen kommt bei vorgeschriebenen 100 Schulstunden zu kurz. Ob das in der vorgesehenen Zeit bei den Vorkenntnissen der Schüler an Fachschulen zu leisten ist, müsste erst noch evaluiert werden. (Hamburger Bildungsempfehlungen [2009], S. 56f; HIBB [2007] S. 13 und S. 21) 345 Solche Veränderungen sind auch im Orff-Schulwerk anzutreffen. Der Erfolg des OrffSchulwerks förderte Entwicklungen, die Orff dazu bewogen, die ungeregelte Dynamik dieses Erfolges auch kritisch zu sehen: „Rückblickend möchte ich das Schulwerk als Wildwuchs bezeichnen.“ (Orff, Carl [1963], S. 13) 346 Zarius, Karl-Heinz (1985), S. 18. 347 Dieses Zitat tauchte erstmals im Verband deutscher Musikschulen (1981) auf und wird bis heute fast wörtlich in diversen anderen regionalen Publikationen wiederholt, z.B. Bildung von Anfang an (2014), S. 8.

128 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN können * ein Repertoire an Liedern, Rhythmen, Versen, Bodypercussion und instrumentalen Spielstücken aufbauen * einen persönlichen Geschmack und Vorlieben im Hören und aktiven Musikmachen entwickeln * Musik als selbstverständlichen Bestandteil in den Alltag integrieren * am kulturellen Angebot der Umgebung teilnehmen und teilhaben.“ 348

Von den neun Zielsetzungen haben in der hier gewählten Formulierung zwei Zielsetzungen einen geistig-materiellen Inhalt des Erhaltens und Verarbeitens (Kennenlernen musikalischer Inhalte in Stilistik, Epochen und Genres; Repertoire an Liedern, Rhythmen, Versen, Bodypercussion und instrumentalen Spielstücken). Alle anderen Zielsetzungen gehen zunächst von der Entwicklung der individuellen Persönlichkeit (eigene Ausdruckskraft; persönlich bereichernd; persönlichen Geschmack) aus, um dann deren Wirksamkeit Gruppenprozessen zu erarbeiten. Die Verfasserinnen zielen also auf eine Verbindung von Musik als Ausdruck einer persönlichen Bildung ab und stehen damit Orffs Ideen durchaus nahe. Dass die musikalische Früherziehung so viel Anklang gefunden hat, lässt sich aber nicht nur aus musikalischen, konzeptionellen oder anthropologischen Ursachen heraus erklären, sondern dafür müssen auch die zeitlichen Umstände berücksichtigt werden. Die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs erwächst aus Traditionen. Sie zu kennen ist unumgänglich, um aktuelle Fehldeutungen zu vermeiden. 2.2.1 Entwicklung zur musikalischen (Früh-)Erziehung im 19. Jahrhundert Vorschulerziehung beinhaltete in einigen Konzeptionen auch früher schon Musikerziehung. Daher wird hier die geschichtliche Entwicklung zur musikalischen Früherziehung kurz skizziert. 349 Als die Ideen von Jean Jacques Rousseau in Europa Fuß fassten, hatte das auch Auswirkungen auf die Musikerziehung. Rousseau geht zunächst davon aus, dass der Mensch gut ist. Seine Ideen gründen auf einem Verständnis, nach dem die Natur ihrem eigenen Willen folgt. In diesen einzugreifen bringe eher Unheil als Nutzen. Daraus leitet er die Vorstellung eines natürlichen Heranwachsens von Menschen ab, den ein Erzieher nur unterstützend zu begleiten hat. In der Tradition von Rousseau ist es dann Pestalozzi, der die Rousseauschen Ideen weiter entwickelt und vor allem praktisch durchführt. Andere Pädagogen nahmen sich der 348 Metzger, Barbara; Greiner, Jule; Stiller, Barbara; Schäfer, Christa (2010), S. 38. 349 Für den im Folgenden behandelten Rückblick sei auch auf die Arbeiten von Sowa, Georg (1973), Ribke, Juliane (1995), S. 15ff. und Widmer, Manuela (2013) verwiesen.

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Ideen aus den Rousseauschen Tradition an und setzen sie auch musikpädagogisch in die Tat um, wobei das z.T. eine Art „Gelehrtenstuben-Erziehung“350 war. Dazu zählen Georg Christian Friedrich Schlimbach 351 oder Carl Gottlieb Horstig. 352 Horstig, der auch Kinderlieder aufschrieb, meinte, dass die Kinder nach einer hinlänglich guten Schulung vom Gehör auf dem Klavier spielen und improvisieren sollten. Ein anderer Erzieher und Musiktheoretiker der musikalischen Früherziehung war der Theologieprofessor Friedrich Heinrich Christian Schwarz.353 Für ihn „ist Hörerziehung nicht nur Anliegen musikalischer Bildung. Das menschliche Gehör erregt unmittelbar den Intellekt, bereichert das Gedächtnis, erregt die Phantasie und läßt ‚Geistiges fühlen‘. Auch werden religiöse Gefühle angesprochen. Hören bedeutet für ihn ‚Horchen‘ und Horchen führt zum ‚Gehorchen‘. Damit führt Schwarz die musikalische Erziehung (im engeren Sinne die Hörerziehung) in das Zentrum allgemein pädagogischer Intentionen. […] Befragt man die Autoren daraufhin, welche Inhalte und Methoden sie bei der musikalischen Früherziehung für empfehlenswert halten, kann eine recht einheitliche Antwort gegeben werden. 1. Die Materialien (Lehrgegenstände) haben sich dem Kleinkind in der Weise zu öffnen, dass Freude und Lust an der Musik als Hörkunst erweckt werden. 2. Es wird ein klarer Stufengang vorgezeichnet: Gehörschulung – Stimmbildung – instrumentale Unterweisung.“354

Weitere Erzieher und Theoretiker der Früherziehung dieser Zeit waren Fritz März oder der Philosoph Christian Friedrich Michaelis.355

350 Sowa, Georg (1973), S. 7. 351 Georg Christian Friedrich Schlimbach (1759–1813) war Kantor und Organist in Prenzlau, später in Berlin. 352 Carl Gottlieb Horstig (1763-1835) ist Theologe, Pädagoge und Erfinder einer Kurzschrift. 353 Weitere Informationen zu Schwarz finden sich bei Reichert, Ursula (1985), S. 61f. 354 Sowa, Georg (1973), S. 8f. 355 Michaelis meinte, bei der Sprech- und Singerziehung komme es „wesentlich mit auf die Beschaffenheit und Entwickelung des Gehörs an.“ (Michaelis, Christian Friedrich [1804], Sp.118) Und er schrieb weiter: „Bey dem innigen Zusammenhange und der genauen Wechselwirkung der menschlichen Kraftäusserungen scheint mir die musikalische Bildung nicht etwa einseitige, sondern allgemeine und intensive Entwickelung der Kräfte zu gewähren, unter der Voraussetzung, dass die Methode des Unterrichts sich den Entwicklungsgesetzen und den individuellen Anlagen, Richtungen und Stimmungen des ganzen Menschen anzuschmiegen weiss. In den höheren Ständen rechnet man zu unseren Zeiten fast allgemein Musik zu den vorzüglichsten Stücken

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Einen – vielleicht gar nicht von ihm so intendierten – Anschub der musikalischen Früherziehung gab Friedrich Wilhelm August Fröbel356, indem er in seinen Kindergärten eine Art musikalische Früherziehung durchführte, wenngleich er sie so nicht nannte. Das Singen spielte darin eine Rolle. Jedoch war es eher Hilfsmittel für die von ihm bezeichneten Ziele der „Pflege des freitätigen Lebens“ der Kinder, sowie der „Lebenseinigung“. Die Pflege sollte auch durch die Bereitstellung geeigneter Spielmaterialien gewährleistet werden. Seine Gedankengänge wären nach heutiger Lesart mit dem Begriff ‚ganzheitlich‘ zu umschreiben. Die von ihm eigens zusammen gestellten Lieder brachte er in einer Handreichung für Mütter heraus, die ‚Mutter- und Koselieder‘. Mit Wort, Gesang und Gebärde sollten Mutter und Kind lernen. „Da Musik nach übereinstimmender Überzeugung in jedem Kind schlummerte und nur geschickt geweckt zu werden brauchte, konnte Musikerziehung sogar einen zentralen Platz einnehmen. Hinreichend gesichert war auch jene Theorie, wonach Musik mehr als jede andere Kunst Geistes- und Seelenkräfte zu entwickeln vermochte. Musik im Spiel zu erfahren und nicht Spiel in Musik! Mit dieser Umkehrung war faktisch der Weg für eine immanente musikalische Früherziehung freigegeben worden.“357

Bei Fröbel358 diente musikalische Früherziehung als Hilfsmittel und wurde zielorientiert und rational als Hilfe für die in seinem Menschenbild verankerten Entwicklungsschritte eines Kindes genutzt. „In dem Konzept der Fröbel-Kindergärten scheitert die Verbindung von Gesang und Spiel an dem lehrhaften und rationalistischen Ansatz ihres Begründers, der auf die sinnenhaften, altersgemäßen Bedürfnisse von Kindern keine Rücksicht nimmt.“359

einer eleganten Erziehung, oft freilich mehr aus Modegeist und Sucht zu glänzen, als aus Achtung für den inneren Werth der Kunst und für ihre bildenden, veredelnden Wirkungen. Aber auch in den niederen Ständen würde einige musikalische Bildung bey der zarten Jugend, sowohl der angegebenen allgemeinen, als andrer besonderer Vortheile wegen, zu wünschen seyn.“ (a.a.O., Sp.123f.) 356 Siehe dazu Moissl, Gustav (1952/53). 357 Sowa, Georg (1973), S. 9. 358 Vergleiche dazu auch den Bericht einer Kindergärtnerin in: Sowa, Georg (1973), sowie die Dissertation von Kürth, Brigitte, Das deutsche Kinderlied im 19. Jahrhundert (1800-1850), Halle 1955, S. 61f. 359 Kugler, Michael (2000), S. 320; so auch Sowa, Georg (1973), S. 9.

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Fröbels Konzept beinhaltet Musikerziehung als Mittel zum Zweck. Kindergärten waren in der Nachfolge Fröbels zunächst an das Engagement einzelner Pädagoginnen gebunden. Zum Beispiel gab es das Institut von Caroline Wiseneder360 in Braunschweig. Dort „bekamen sowohl Kinder wie auch Erwachsene je zwei Stunden pro Woche Musikunterricht (3-6-jährige in der ‚Vorstufe‘, Schulkinder in der ‚Musikschule‘ und 15-20-jährige in der ‚Erwachsenenschule‘). Das Spielmaterial in der ‚Vorstufe‘ waren kleinen Fasstrommeln, Bilderbücher, in denen die Kinder mit den Tonnamen in schriftlicher und Wortform vertraut werden sollten. Finger- und Gliederspiele a la Fröbel wurden gemacht, ein ‚Kinderorchester‘, die Jungen mit Becken, Triangel, Trommeln und Schellenbaum, die Mädchen mit Kastagnetten und Tamburin. Ihr ging es auch am Anfang um das Hören. Lieder sollten durch rhythmische Schall-Instrumente unterstützt werden. Danach sollten fixierte Töne wiedererkannt und benannt werden können: ‚Schall und Ton müssen durchlebt und zu dauerndem Gefühlseigentum erhoben‘ werden. Ebenso insistiert sie – im Gegensatz zum späteren Fröbel – auf das durch das Klavier begleitete Lied. ‚Nur dadurch, dass das Kind fortwährend fühlt, sein Ton müsse im Einklang bleiben mit einer Fülle von Tönen, die miterklingen, kommt die Sicherheit für eine richtige Intonation und für die Logik der Tonfolge ins Ohr hinein‘.“361

Da diese Kindergärten und Musikschulen in aller Regel Privatinstitutionen waren, wurden sie nicht mit öffentlichen Geldern unterstützt, konnten nur von den Honoraren der Schüler(innen) leben und beinhalteten immer ein ökonomisches Risiko. Deshalb sind diese Ansätze nicht über punktuelle Engagements hinaus gekommen. In ihnen aber sind bereits Ideen Orffscher Früherziehung wiederzufinden. „Die Forderung nach einer Früherziehung, in der Musik als Hörkunst in den Mittelpunkt gestellt werden sollte“362 entspricht Orffscher Pädagogik. Auch Eigengesetzlichkeiten der kindlichen Entwicklung wurden im Rahmen des damaligen Wissensstandes zumindest teilweise durchaus bedacht.

360 Wiseneder, Caroline (1867). 361 Sowa, Georg (1973), S. 10. Die darin verwendeten Zitate stammen von Wiseneder, Caroline (1867). 362 Sowa, Georg (1973), S. 7.

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2.2.2 Entwicklung der musikalischen (Früh-)Erziehung im 20. Jahrhundert Der für musikalische Angelegenheiten im preußischen Kulturministerium zuständige Leo Kestenberg forderte 1921 vom Staat eine verbesserte musikalische Ausbildung. Daher strukturierte er die Musikausbildung der Lehrkräfte und die Musikausbildung in den Schulen neu. Jedoch blieben seine Ausführungen bezüglich der Musikerziehung in Kindergärten Absichtserklärungen.363 Dennoch hat er an der Verbesserung der Musikerziehung einen großen Anteil gehabt. Auch Fritz Jöde364 bemühte sich darum, ab 1924 Musikschulen aufzubauen, deren inhaltlicher Aufbau sich in drei Abschnitte gliederte: (1) Vorbereitung für den Gesamtunterricht, (2) Instrumentalunterricht, (3) Musikhören. All diese Bemühungen gingen aber in den nationalsozialistischen Umwälzungen nach 1933 unter. Nach 1945 rückten nach der Linderung der allergrößten Not die musikpädagogischen Entwicklungen erst langsam wieder in den Fokus des Interesses. Eine musikalische Früherziehung gab es zwar auf Initiative einiger Pädagog(inn)en, war aber immer von deren Engagement abhängig. Erst mit der Institutionalisierung bekamen die Ideen der musikalischen Früherziehung mehr Durchschlagskraft. 1952 schlossen sich in der damaligen Bundesrepublik Deutschland die Jugend- und Musikschulen zum Verband deutscher Musikschulen (VdM) zusammen. Deren Konzeption war dreigegliedert: (1) ‚Elementarunterricht‘ (Singen, rhythmische Erziehung, elementares Instrumentalspiel); (2) ‚Sing- und Instrumentalunterricht‘ (inklusive Chor- und Ensemblespiel); (3) ‚Sing- und Spielkreise‘. Der ‚Elementarunterricht‘ sollte von der 3.Volksschulklasse an – das entspricht etwa dem 8. Lebensjahr – gegeben werden und dauerte 2 Jahre bis zum Ende der zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch fünfklassigen Volksschule. Da sich das Erlernen eines Instrumentes erst nach der Volksschule aber als nicht praktikabel erwies, wurde in den nächsten Jahren der ‚Elementarunterricht‘ immer weiter vorverlegt. Ab 1976 begann er mit der Einschulung. Über einen musikalischen Vorschulunterricht außerhalb des Kindergartens dachten zwar manche Pädagog(inn)en nach, aber erst mit dem ab 1968 erprobten ‚Programm Musikalische Früherziehung‘, das später in ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ umbenannt wurde, wurde dies in die Tat umgesetzt. Das ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ entstand als Reaktion auf die Absicht der

363 Kestenberg, Leo (1921), S. 13 und öfter. 364 Jöde, Fritz (1924).

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Firma Yamaha 365, die ab 1967 2000 Kindermusikschulen einrichten wollte (es wurden später nicht so viele).366 So manche Ideen der Yamaha Konzeption übernahmen der VdM, z.B. eine Unterrichtsabfolge als Programm festzulegen oder das gesamte Programm mit Schülerheften und Lehrerband, Hörbeispielen und Elterninformationen zu bestücken. Sogar eine Art ‚corporate identity‘ wurde geschaffen, indem jedes Kind, das nach diesem Programm unterrichtet wurde, eine rote Tasche bekam, in die die Kinder alle ihre Unterlagen stecken konnten. Auch an die Entwicklung eines Tasteninstrumentes war gedacht worden. Es ist also nicht falsch zu sagen, dass dadurch, dass die musikalische Früherziehung in das Interesse ökonomischer Marktteilnehmer geriet, die Entwicklung überhaupt erst richtig in Fahrt kam. Dabei war die Zeit nach dem ‚Sputnik-Schock‘ genau der richtige Zeitpunkt, um sich der Aufmerksamkeit für frühpädagogische Entwicklung sicher zu sein und dankbare Konsumenten für Programme der Entwicklungsförderung zu finden, die dann mit dem Absatz von allerlei didaktischen Instrumenten, Spielzeugen usw. vermarktet werden konnten. Die praktische Umsetzung der musikalischen Früherziehung fand danach recht schnell statt. Die Nachfrage war enorm. Es fehlten jedoch geeignete Lehrkräfte. Da es kein Ausbildungsprogramm gab, wurden Weiterbildungen und Informationstage veranstaltet, auf denen das relativ klar gegliederte Programm dargestellt wurde. Das führte jedoch teilweise dazu, dass auch Lehrer(innen) unterrichteten, die eifrig bemüht waren, eine musikalische Vorbildung jedoch nur rudimentär aufwiesen, „die sog. Hausfrauen mit Blockflötenkenntnissen“.367 So polemisch dieser Ausdruck auch war, zeigte er doch ein Problem auf. Die musikalische Schulung der Lehrkräfte konnte allein schon aufgrund von Zeitmangel nicht

365 Die Firma Yamaha wurde 1889 vom Harmoniumbauer Yamaha Torakusu gegründet, der später auch andere Musikinstrumente baute. 1954 eröffnete die Firma die erste Yamaha-Musikschule. 1965 expandierten die Musikschulen in die USA und die erste Musikschule eröffnete in Los Angeles. Ab 1966 gab es sie auch in Europa. 366 Die Referentin des Kultusministeriums für Musik in Nordrhein-Westfalen, MarieTherese Schmücker, fragte daraufhin beim VdM an, wie er zu den Absichten der Firma Yamaha stand. Auch die Klavierindustrie war über die Konkurrenz von Yamaha äußerst besorgt. Um über eine Zusammenarbeit der Firma Yamaha mit den deutschen Musikschulen zu sprechen, trafen sich so Vertreter des VdM mit Vertretern der Firma Yamaha, konnten aber keine Einigung erzielen. Daher entwickelten Wilhelm Twittenhoff, Diethard Wucher, Lucie Steiner, Irmgard Benzing und Rainer Mehlig ein eigenes Programm für die Musikschulen in Deutschland, eben das ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘. 367 Probst, Werner (1999), S. 47.

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gründlich sein. Im besseren Fall unterrichteten sie ein Programm ohne die tiefer liegenden Inhalte und musikalischen Verwurzelungen zu verstehen. Die methodischen und didaktischen Inhalte wurden bisweilen nur nach Vorgaben und nicht aus einer Durchdringung des Stoffes heraus unterrichtet. Die Ausbildung der Lehrkräfte war anfangs „beim VdM ein schnelles Reagieren auf eine Situation, die man z.T. selbst in Gang gesetzt hatte, mit hohem Risiko des Dilettierens. Dieser Gefahr mussten die Lehrgänge zur Weiterbildung begegnen.“ 368 Diese Weiterbildungen orientierten sich lange Zeit am ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘. Dieses wurde im Laufe der Zeit jedoch auch offener gestaltet, sodass es nicht mehr nur ein rein abzuleistendes Programm war. Solche Weiterbildungen werden bis heute an Musikakademien und Konservatorien angeboten. An den Hochschulen gab es ab 1984 den Studiengang ‚Allgemeine Musikerziehung‘ bzw. ‚Allgemeine Musikpädagogik‘, der später in ‚Elementare Musikerziehung‘ umbenannt wurde. Curricula der Früherziehung wurden zumindest teilweise evaluiert. So wurde von 1973-1975 das ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ in einer Studie überprüft. Bis weit in die 1970er Jahre hinein war das VdM-Programm369 ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ fast konkurrenzlos, hatten sich die Yamaha Kinderschulen doch nicht durchgesetzt. Dann aber kamen weitere Curricula auf den Markt.370 Danach konnten sich die Aus- und Weiterbildungen nicht mehr allein am ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ orientieren, sondern hatten auch andere Konzeptionen zu berücksichtigen. Unabhängig von der einzelnen Konzeption wird in den meisten Fällen nach Sachbereichen (Singen und Sprechen, Elementares Instrumentalspiel, Musik und Bewegung, Hören, Instrumenteninformation, Musiklehre) unterrichtet. Dazu kommt die Vermittlung von Grundkenntnissen in Methodik und Didaktik des Unterrichtens. Heute sind viele Hochschulen dazu übergegangen, die Ausbildung in der ‚Elementaren Musikpädagogik‘ nur im Zusammenhang mit dem Erlernen eines künstlerischen Faches in Gesang oder Instrumentalspiel anzubieten. Dadurch wirkt es – negativ gewertet – als Anhängsel oder Zusatz zur künstlerischen Fach oder – positiv gewertet – wird die Fähigkeit einer EMP-Lehrkraft aufgewertet, weil sie neben der pädagogischen auch künstlerischen Ansprüchen genügt.

368 A.a.O., S. 48. 369 Es gab auch eine Kindergartenfassung des ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘. Sie wurde allerdings wenig genutzt. Das ‚Curriculum Musikalische Früherziehung‘ wurde und wird im Wesentlichen in der Musikschule angewandt. 370 Eine genauere Auflistung und Kommentierung anderer musikalischer Früherziehungsprogramme findet sich bei Dartsch, Michael (2010a), S. 15ff.

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Musikalische Früherziehung ist heute Teil des regulären Angebots an Musikschulen. Es gibt Erweiterungen der Programme, z.B. die o.e. Förderung der Kinder in noch jüngeren Jahren durch Musik in sogenannten ‚Eltern-Kind-Kursen‘ für Eltern mit ein- bis dreijährigen Kindern. Andere sehen Musik an sich eher als Mittel zum Zweck.371 Auch werden immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen zur musikalischen Früherziehung angestellt, die entweder ihre Wichtigkeit für die Persönlichkeitsbildung unterstreichen oder aber die der musikalischen Früherziehung innewohnenden Möglichkeiten zur besseren Vorbereitung auf das Lernen und Verstehen darlegen wollen.372 In letzter Zeit verlagert sich die musikalische Früherziehung zunehmend von den Musikschulen in die Kindergärten, da aufgrund des seit ein paar Jahren anhaltenden Trends, in Kindergärten und (Vor-) Schulen eine ganztägige Betreuung einzurichten, die Kinder nachmittags teilweise nicht mehr in die Musikschulen kommen können. 2.2.3 Entwicklung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff In diese Gemengelage einer musikalischen Vorschulerziehung in der Bundesrepublik Deutschland reiht sich auch die Entwicklung der musikalischen Früherziehung, die auf den Grundgedanken Orffs fußt, ein. Das Orff-Schulwerk war für Schulkinder konzipiert. Um es für das Musizieren mit Vorschulkindern zu benutzen, musste es verändert werden. „Es bedarf kaum der Erwähnung, dass in entsprechend abgewandelter (vereinfachter oder komplizierter) Form sowohl im vorschulpflichtigen Alter als auch im Alter ab 15 in der Art des Orff-Schulwerks musiziert werden kann.“373

Diese Abwandlung für eine Vorschulerziehung im Sinne einer vereinfachten Form, wie sie Wilhelm Keller hier 1963 beschreibt, muss, um eine musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff zu sein, all die Grundeigenschaften des Schulwerks von der anthropologischen Begründung bis hin zu der Wahl der Methoden aufweisen. Doch da solch eine musikalische Früherziehung nicht nur in der Tradition der musikpädagogischen Überzeugungen Orffs steht, sondern auch

371 So geht es z.B. bei Berger, Ulrike (1998) stark um Wahrnehmungsschulung; Hören und das soziale Miteinander; die Vermittlung musikalischer Inhalte stehen nicht mehr an erster Stelle. 372 Siehe dazu Bastian, Hans Günther (2000). 373 Keller, Wilhelm (1963), S. 6.

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in einem bestimmten geistesgeschichtlichen Umfeld entstand, das auf die Pädagogik wie auch die Musikpädagogik einwirkte, ist es wichtig, sich die Kontexte der Musikerziehung und die Vorschulerziehung in der Zeit der Entstehung der musikalischen Früherziehung, also ab den 1960er Jahren zu vergegenwärtigen. 2.2.3.1 Der musikpädagogische Kontext in den 1970er und 1980er Jahren Die bisherigen Ausführungen über die Vorschulerziehung waren allgemein pädagogischer Natur. Hier soll nun auf den musikpädagogischen Kontext, der in didaktischen Konzepten zum Ausdruck kommen und in die auch die Entwicklung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff verwoben ist, kurz verwiesen werden. Didaktische Konzeptionen sind sind laut Brigitta Helmholtz „[…] grundlegende theoretische Orientierungen, die als Vorschläge, Anregungen, Hinweise für den Unterricht in einem Fach wirksam werden. Musikdidaktische Konzeptionen sind demnach in engerem Sinne pädagogische und ästhetische Grundlagen für die Planung, Durchführung und Auswertung im Unterrichtsfach Musik.“374

In den 1970er/1980er Jahren entstand ausgehend von Saul B. Robinsohns Schrift „Bildungsreform als Revision des Curriculums“375 eine Diskussion über Inhalte und Formen des Unterrichtes angesichts der wissenschaftsorientierten und auf Technologie fixierten gesellschaftlichen Situation. In den Vordergrund rückte die Absicht, einen Demokratisierungsprozess im Unterrichtsgeschehen anzuleiten. Schlagwörter der Zeit waren Handlungsorientierung, Kreativitätsförderung und Schülerorientierung. Sie fanden Eingang in musikpädagogische Überlegungen zum Schulunterricht. Grundlegende Fragen waren das Verhältnis von Musik und der Situation der Schüler376, ob ein Musikunterricht eher am Schüler orientiert sein sollte377, welche Ziele (z.B. die Verbesserung des Hörens, der Kommunikations-

374 Helmholz, Brigitta (1996), S. 9. 375 Robinsohn, Saul B. (1967). 376 Gemeint ist damit in welcher Weise die Situation und die Ideen der Schüler im Unterricht berücksichtigt wurden und wie stark und in welcher Form die Musik als Inhalt des Unterrichtes federführend sei. 377 Es gab sogar den Begriff ‚schülerorientierter Unterricht‘, was aber letztlich ein schillernder Begriff bleiben musste, denn jeder Unterricht muss schülerorientiert sein. Wenn ein(e) Lehrer(in) lediglich Inhalte vermitteln möchte, so muss sie/er doch den Unterricht so gestalten, dass die Inhalte den Schüler erreichen und sich dafür auf ein Mindestmaß von Schülerorientierung einlassen.

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fähigkeit) und welche Folgerungen (z.B. für das Handeln oder für die Beschäftigung mit Musik) der Musikunterricht haben sollte. Der ‚Ansatz am Kunstwerk‘ (Abraham378), die ‚didaktische Interpretation von Musik‘ (Ehrenforth379), die ‚auditive Wahrnehmungserziehung‘ (Frisius 380 ), die ‚integrative Musikpädagogik‘ (Roscher381), der ‚handlungsorientierter Musikunterricht‘ (Rauhe, Ribke 382) und die ‚erfahrungserschließende Musikerziehung‘ (Nykrin) bildeten die musikpädagogischen Hintergrund, in deren Kontext sich die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff entwickelte. Besonders erwähnt werden muss hierbei die ‚erfahrungserschließende Musikerziehung‘ nach Rudolf Nykrin383, denn Nykrin war maßgeblich an der Entwicklung eines Curriculums für musikalische Früherziehung im Rahmen des Orff-Institutes beteiligt. Er wandte sich gegen das reine Lernen von Bildungsinhalten, wenn dies ohne eine Verknüpfung der Inhalte mit der jeweiligen Lebenswirklichkeit des Schülers geschieht. Er meinte, dass „die bloße Weitergabe ‚fachlich‘ (=fachwissenschaftlich und fachtechnologisch) orientierter Lerninhalte an den Schüler weder genügt, um eine defiziente musikalische Sozialisation

378 Segler, Helmut; Abraham, Lars Ulrich (1966). 379 Ehrenforth, Karl Heinrich (1971), S. 5. 380 Frisius, Rudolf (1972). In diese Konzeption fließen auch die Ideen Hartmut von Hentigs ein, der die ästhetische Erziehung als Wahrnehmungserziehung verstanden wissen will. Siehe dazu: Hentig, Hartmut von (1969). 381 Roscher, Wolfgang (1976); Roscher studierte bei Carl Orff, Walter Felsenstein u.a. An der Universität Hildesheim entwickelt er die ‚Polyästhetische Erziehung‘ und wurde zum Mitbegründer des Studiengangs ‚Kulturpädagogik‘. Er begründete als Ordinarius für Musikpädagogik am Salzburger Mozarteum das ‚Institut für Integrative Musikpädagogik und Polyästhetische Erziehung‘. 382 Rauhe, Hermann; Reineke, Hans-Peter; Ribke, Wilfried (1978), S. 172. 383 Rudolf Nykrin war von 1972-1975 als Dozent der Lehrerausbildung der Hochschule Münster unter anderem am Aufbau der Bielefelder Laborschule von Hartmut von Hentig beteiligt, bei der er das Fach ‚Musik‘ bearbeitete. Nykrin promovierte über das Konzept einer ‚Erfahrungserschließenden Musikerziehung‘ und war ab 1982 bis zu seiner Emeritierung Professor am ‚Institut für Musik- und Tanzpädagogik – OrffInstitut‘. Dort ist er maßgeblicher Mitherausgeber des für die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff wichtigen Werkes ‚Musik und Tanz für Kinder‘. In seinen Handlungsfeldern bündelt sich somit eine pädagogische Traditionslinie, die von Dewey über Hartmut von Hentig bis zu den Ideen von Carl Orff reicht.

138 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN zu verhindern, noch im Rahmen des schulischen Erziehungskontextes überhaupt möglich ist.“384

Er betont in seiner ‚schülernahen Curriculumentwicklung im Bereich musikalischer Erziehung‘, die er dann 1978 in das Konzept der ‚erfahrungserschließenden Musikerziehung‘ weiterentwickelte, die Bedeutung der Kommunikation und die Bevorzugung von Projekten aus einem situativen Ansatz heraus. Unterrichtsinhalte bekommen dadurch eher sekundäre Bedeutung. „Die Frage kann nicht mehr sein, ob wir mit dem Musikunterricht Bezüge zum individuellen, schulischen oder gesellschaftlichen Leben herstellen wollen, […], sondern nur, ob wir sie aufdecken und in welcher Weise wir sie gestalten wollen.“385

Die Erfahrungen der Schüler mit Musik sollten verstanden und erweitert und die Fähigkeiten und das Wissen im Musizieren (‚musikalischem Handeln‘) umgesetzt werden. Nykrins Konzept ist demnach handlungs- und schülerzentriert. Die Musikerziehung muss danach versuchen, „die Schülerrollen neu zu schreiben und […] dem Belehren das Entdecken, dem Darlegen das Beobachten, der Leitung die Mitverantwortung entgegenzusetzen.“ 386 Die Erfahrungen und Interessen der Schüler bilden dabei den Ausgangspunkt des Unterrichtes.387 Nykrin greift dabei auf den Erfahrungsbegriff von John Dewey zurück, nach dem Lernen nur auf der Basis gemachter Erfahrungen388 möglich ist. Sie müssen die Motivation für weiteres Lernen wecken. Die Motivation liegt in der jeweiligen Situation der Schüler. Daher sollte auch die Planung des Curriculums vom jeweiligen aktuellen Erfahrungshorizont der Schüler ausgehen (situativer Ansatz).

384 Nykrin, Rudolf (1978), S. 10f; Nykrin wendet sich dagegen, dass Schüler zu einem vorab definierten Lernergebnis ohne Rücksicht auf die Vorerfahrungen der Schüler geführt werden. Er nennt das eine „zweckrational-geschlossene Unterrichtsplanung“ (a.a.O., S. 96ff.). 385 A.a.O., S. 10. 386 A.a.O., S. 12. 387 Hier spielt vermutlich der Einfluss der Pädagogik Hartmut von Hentigs und der Anspruch, die allgemeinen Ziele der Schule auch in Fachcurricula umzusetzen, hinein. 388 Erfahrung liegt nach Nykrin unter der Oberfläche eines Menschen und muss kommunikativ und interpretativ erschlossen werden. (Nykrin, Rudolf [1978], S. 10f.). Erfahrung ist die Wahrnehmung von Reizen, Situationen und Geschehnissen durch einen Menschen, der es selbst erlebt hat, selbst beteiligt war und der diese Wahrnehmung zu einem individuellen Handlungs- und Deutungshintergrund verarbeitet (a.a.O., S. 23).

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Schüler sollen in die Lage versetzt werden selbst zu handeln. Handeln ist für Nykrin „eine subjekthafte Tätigkeit, die in selbstentschiedener, mittel- und folgenbewusster Weise Motive, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer sinngerichteten Einheit wirksam macht“.389 Quasi im Rückgriff auf Pestalozzi vertritt er die Auffassung, dass das Handeln in den drei Dimensionen des Sinnlichen (Herz), des Theoretischen (Kopf) und des Aktiven (Hand) erfolge. Sein Ziel, dass die Schüler einen Handlungsspielraum der Musik gegenüber gewinnen, will er durch die Grundschritte musikalischen Handelns: Produktion, Rezeption, Reflexion, Vermittlung und Interaktion erreichen. Musikerziehung wird hier als Persönlichkeitserziehung gedeutet. Noch deutlicher tritt das in Nykrins ‚vier Grundfunktionen‘ der Musikerziehung zutage: 1) Musikerziehung muss die biographischen Erfahrungen mit einbeziehen, sie erschließen (ggf. rekonstruieren und deuten), um sie als Grundlage aktueller persönlicher Erfahrung kenntlich zu machen. 2) Die eigenen Interessen und Vorstellungen müssen begründet werden und mit allen anderen am Unterricht beteiligten Personen abgestimmt werden. 3) Musikerziehung muss den Schülern neues Wissen und Können beibringen. Da Neues naturgemäß außerhalb der konkreten Erfahrungen der Schüler liegt, muss das Neue im Unterricht durch Prozesse eingeführt werden, statt nur neues Lernmaterial einzuarbeiten. 4) Das neu Gelernte muss danach im Handeln erfahren und in der Umwelt des Schülers eingeübt werden, um beim Schüler in seiner Umwelt zu wirken. Die Aufgabe der Musikerziehung ist als ‚Ausbildung introspektiver, reflexiver und instrumenteller Kompetenz im Rahmen musikalischer Tätigkeit‘ zu verstehen.“390 Kritik erfuhr Nykrins Konzept der ‚erfahrungserschließenden Musikerziehung‘ durch Werner Jank.391 Er bemängelte, Nykrin habe die inhaltliche Seite der Erfahrung nicht näher bestimmt; ein systematischer Lehrplan sei so nicht zu erstellen. Erfahrungserschließende Musikerziehung löse sich von einer objektiv vergleichbaren, gegenstandsbezogenen Systematik. Dadurch sei der musikalische Lernfortschritt nur schwer allgemeingültig zu verstehen und von der Beliebigkeit des Erziehers abhängig. Dahinter steht die Kontroverse zwischen formaler und materialer Bildung. Mit ‚formal‘ ist gemeint, dass Bildung auch einen formalen Nutzen hat, da sie seelische Kräfte und das Ausdrucksvermögen schule. Dagegen meint ‚material‘, dass die jeweilige Inhalte (Fachwissen, prüfbares Können) gelernt werden. Innerhalb dieser Debatte wurde immer wieder ein Antagonismus

389 A.a.O., S. 29f. 390 A.a.O., S. 35. 391 Jank, Werner (1989).

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zwischen ‚formal‘ und ‚material‘ postuliert.392 Nykrin ordnet danach die materialen Gesichtspunkte den formalen Forderungen unter. Dadurch kann die inhaltliche Seite der Erfahrungen und des Handelns nicht objektiv bestimmt werden. Musikerziehung wird zu einer subjektiven Persönlichkeitserziehung. In der Praxis mag dieses Problem weniger virulent sein, denn, wie Kemmelmeyer bemerkt, müsse dort ohnehin zugleich mit einer „objektorientierten musikdidaktischen Position“ und einer „schülerorientierten Position“ gearbeitet werden.393 Dies aber schrieb Kemmelmeyer vor den Installationen schulpolitischer Bestrebungen und Maßnahmenkatalogen, die im Gefolge der PISA Studien nach 2000 echte oder vermeintliche Defizite zu beseitigen suchen. Daher ist die Debatte wieder entflammt. Und wie später noch aufgezeigt wird, ist diese Kritik auch bezüglich des hier untersuchten Gegenstandes von Bedeutung. Nykrins den subjektiven Ausdruck des Menschen betonende System ist z.T. mit Orffs Verständnis kompatibel. Allerdings postuliert Orff darüber hinaus bestimmte Vorannahmen, z.B. das ‚Elementare‘, was letztlich dann wieder übersubjektiv und allgemeingültig ist, sodass hierin ein Widerspruch in sich liegen kann. Dennoch sind die Schnittmengen groß. Nykrin wurde wohl auch deshalb an das Orff-Institut berufen und ist dort maßgeblicher Herausgeber eines ‚Curriculums für musikalische Früherziehung‘ geworden.

392 Dahinter steht Frage nach dem Ziel des Lernens. Soll ein Mensch bestimmte Inhalte lernen und beherrschen und gilt dann als gebildet? Wenn ja, welche Inhalte sind es? Brigitta Helmholz verweist hierbei auf Jank und Meyer, nach denen „die Verpflichtung der Erziehung auf die historisch überlieferte Norm der Aufklärung und Emanzipation […] das sinnvollste und tragfähigste Postulat auf allgemeiner Ebene“ ist (Jank, Werner; Meyer, Hilbert, Didaktische Modelle, Frankfurt 1991, S. 79ff.; zitiert nach Helmholz, Brigitta [1996], S. 93). In der Tat dürfte ein eigener Standpunkt notwendig sein, wenn ein(e) Lehrer(in) Schüler(inne)n etwas beibringt. Ob es ein solches Postulat ist oder aber eine andere Idee, darüber lässt sich diskutieren. Gefährlich wird aber eine Standpunktlosigkeit. In Südkorea ist in großen Teilen genau dieser materiale Standpunkt zentrales Anliegen der Pädagogik. Inhalte sind zentral vorgeschrieben und diese – sehr große – Menge an Inhalten ist zu lernen. Die Gefahr, dass dabei formale Aspekte der Erziehung und Bildung hintangestellt werden, ist dadurch sehr groß. Hierauf wird im Verlauf dieser Studie noch einzugehen sein. 393 Kemmelmeyer, Karl-Jürgen (1986), S. 455.

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2.2.3.2 Vorschulerziehung in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren Auch wenn der Erfolg der musikalischen Früherziehung seit den 1970er Jahren vor allem im privaten Sektor der Musikschulen stattfand, so waren Kinder zugleich im gesamten Bereich der institutionalisierten Vorschulerziehung eingebunden. Und die fand in privaten, kirchlichen und staatlichen Kindergärten statt. Deshalb ist ein Blick auf die curricularen Entwicklungen in der Vorschulerziehung seit den 1970er Jahre sinnvoll. Der Anstoß zur Entwicklung von neuen Curricula in Schulen war ein politischer. Unter dem Eindruck des ‚Sputnik-Schocks‘ wurde die Qualität des Bildungssystems in den westlichen Staaten kritisch überprüft. 394 Noch Anfang der 1970er Jahre bringt das ‚Statistische Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland‘ Informationen über die Vorschulerziehung unter der Rubrik „Einrichtungen der Öffentlichen Jugendhilfe“. 395 Das Ansehen der Vorschulerziehung, speziell des Kindergartens entsprach dadurch eher die Anschauung einer Kompensationseinrichtung für Kinder in problematischen Situationen. Für einen pädagogischen Grundauftrag schien nur wenig zu sprechen. „Der Kindergarten galt als sozialpädagogische Nothilfeeinrichtung, die die Kinder berufstätiger Mütter zu versorgen hatte.“396 1970 brachte der 1965 gegründete Deutsche Bildungsrat den ‚Strukturplan für das Bildungswesen‘ heraus. Darin besprochen wird auch der Kindergarten, der als Elementarstufe im Bildungssystem eingeordnet wurde und dadurch erstmals eine davor nicht da gewesene Wertigkeit bekam. In den 1970er Jahren kam es zu einer Art von Forschungsboom im wissenschaftlichen Nachdenken über die Vorschulerziehung. Ziel war es, die Chancengleichheit der Kinder zu fördern und beruflich eingespannte Eltern zu entlasten. Es ging um den quantitativen Ausbau von Vorschuleinrichtungen und die Verbesserung von Rahmenbedingungen. Die darin entstandenen pädagogischen Ideen lassen sich auf vier größere Ansätze reduzieren, den sozialisationsorientierten, den

394 1964 erschien die (dann 1965 in Buchform gedruckte) Schrift „Die deutsche Bildungskatastrophe“ von Georg Picht (Picht, Georg [1965]), die Anlass zu diversen Verbesserungen in der westdeutschen Bildungslandschaft war. So stieg z.B. der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1965 bis 1975 von 3,4 Prozent auf 5,5 Prozent. 395 So tauchen im statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland für 1972 die Ausgaben für Kindertagesstätten auf S. 393 unter der Rubrik „E. Sozialhilfe, Kriegsopferfürsorge und öffentliche Jugendhilfe“ neben ‚Maßnahmen zur Pflegeaufsicht‘ und ‚Jugendheimen‘ auf. 396 Hebenstreit, Sigurd (1980), Einführung, S. 35.

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wissenschaftsorientierten, den funktionsorientierten und den situationsorientierten Ansatz. Zwar sind einige dieser Ansätze für die Grundschule erdacht worden. Sie hatten jedoch Auswirkungen auf die Vorschulerziehung, sodass sie im Sinne dieser Untersuchung von Belang sind. In diesen Ansätzen spiegeln sich theoretische Grundfragen an jede Pädagogik wieder: Ist die Theorie formal oder eine material begründet? Bezogen auf die Musikpädagogik hieße das: Soll das Musizieren eine musikalisch-ästhetische Aktion zur Ausbildung einer Persönlichkeit sein oder muss das Musizieren ein Ergebnis im Sinne eines Kunstwerkes hervorbringen? Woran kann eine ‚gute‘ Musikpädagogik gemessen werden, kann sie an objektiven oder an subjektiven Parametern beurteilt werden?397 Und: In welchem Umfang gelten diese Parameter, sind sie lokal, glokal oder universell aufzustellen? Die Beantwortung der Frage hängt von der Antwort der Entwickler von Curricula und der Lehrkräfte auf dem Hintergrund ihres kulturellen Habitus ab. Der sozialisationsorientierte Ansatz entstammt einer Defiziterfahrung in den USA: Dort wurden in den 1960er Jahren verschiedene Programme aufgelegt, die vermeintlich zu schlechte Ergebnisse im Verhältnis zum ‚Wissensvorsprung‘ in Staaten des Warschauer Paktes kompensieren sollten. Die diversen Frühförderprogramme aus den 1960/1970er Jahren (Home Start, Child and Family Resource Program, Parent-Child Development Centers, Parent-Child Centers) bezogen auch strukturelle (z.B. Einbettung der Maßnahmen in das familiäre Umfeld) und situative Ansätze mit ein und waren teilweise im Sinne ihrer Zielsetzung erfolgreich. Fast alle damaligen Programme, die innerhalb dieser Auseinandersetzung um Bildung entstanden, wurden zur Debatte um das Lernen und das Lernen wurde wiederum mit Wissensvermittlung gleichgesetzt. Es ging häufig darum, Wissen quantitativ anzuhäufen. „Wenn bisher von Intelligenz die Rede war, so wurde der Begriff Intelligenz dazu benutzt, um qualitative Unterschiede in der Kompetenz von Individuen herauszustellen.“398 Flankiert wurde das Programm durch psychologische Ansätze. Zwar gab es in den USA den positivistisch orientierten Zweig der

397 So ähnlich fragt auch Wallbaum, Christopher (2009), S. 83. 398 Jendrowiak, Hans-Werner (1978), S. 179. Eine ähnliche Situation ist heute nach ‚PISA‘, ‚IGLU‘, ‚TIMSS‘ entstanden. Diese Vergleichsstudien sind allesamt Kompetenztests und keine Bildungstests. Die Gefahr einer falschen Anwendung der Begriffe besteht darin, dass Erzieher meinen, das Beibringen von Inhalten und Methoden wäre ausreichend. Inzwischen scheint die Messbarkeit in Noten und Abschlüssen für Menschen ein Indiz für Bildung zu sein. In dem Sinne gemessene Leistung kann aber nur einen Teil abdecken. Bildung umfasst mehr. Ein Erzieher, der sich der o.e. Definition

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Entwicklungspsychologie, der relativ klar zeigte, was ein Kind wann können sollte, aber in „den deutschen Kindergärten hatte diese Art von Entwicklungspsychologie wenig Resonanz, u.a. weil die Fröbel-Tradition der deutschen Kindergärten starke Affinitäten zur Entwicklungspsychologie William Sterns und der Bühler-Schule hatte, die kindliche Entwicklung immer als Ergebnis einer höchst subtilen und komplexen Wechselwirkung von Umweltreizen und Reizung interpretieren.“399

Bereits in den 1960/1970er Jahren hatte dazu in der Psychologie ein Wechsel der Ansichten weg von der Reifungs- und hin zu der Lerntheorie400 stattgefunden. Es

entsprechend nur an der Vermittlung von Kompetenzvermittlung messen lässt, verneint dadurch letztlich einen freien Menschen als sich auch selbständig entwickeln könnendes Wesen. Der Begriff ‚Bildung‘ hingegen beschreibt ein ideales Werden des ‚Menschseins‘, was zwar auch mithilfe äußerer Einflüsse geschieht, die bestimmte Fähigkeiten und ggf. Voreinstellungen setzen. Aber sie bleibt nicht im nur lernökonomisch-messbar verstandenen Bereich, sondern geht darüber hinaus, indem sie vom Menschen einen inneren Prozess des individuellen Sich-Bildens fordert. Die Auseinandersetzung mit der Welt ist so nicht nur eine Anpassung, wie es Kompetenzdefinitionen heißt, sondern ein Mensch gestaltet und prägt ebenso die Welt. Bildung wohnt dadurch auch immer der Begriff von ‚Freiheit‘ inne, der dem Kompetenzbegriff in weiten Teilen abgeht. Die Frage ist dann natürlich, was mit ‚Menschseins‘ gemeint ist. Dazu werden Kenntnisse von kulturellen Vorstellungen benötigt. Zunächst fällt darunter auch die Definition, was unter ‚Kultur‘ eigentlich verstanden wird. 399 Klaßen, Theodor F. (1985), S. 29. 400 Lerntheorien besagen, dass das Lernen von auch von Umwelteinflüssen gesteuert wird. Hier spielt also das Milieu und die darin eingebetteten Lernmöglichkeiten und Werte eine große Rolle. Zwar wird das Vorhandensein von Voraussetzungen (z.B. Intelligenz) nicht geleugnet, aber erst das Zusammenwirken mit dem Lernvorgang in einer bestimmten Umwelt führt zum Lernen (Vertreter dieser Idee ist z.B. Lotte Schenk-Danzinger; ausführlicher: van Risswick, Julia [2006], S. 43ff.). Die Reifungstheorie geht von einem statischen, von außen kaum beeinflussbaren Verlauf aus und besagt, dass sich ein Kind von sich durch seine Wachstums- und Reifungskräften entwickelt, weil es alle Anlagen bereits in sich trägt. Das wurde z.B. damit begründet, dass das Krabbeln, Stehen oder Laufen auch ohne äußerliche Einflussnahme geschieht. Einzuschulende Kinder der damaligen Zeit wurden entsprechend dieser Idee auf die ‚Schulreife‘ hin nach des Ideen des Heidelberger Professors Artur Kern (19021988) geprüft. Schulreife erlangen Kinder danach durch biologisch und endogen gesteuerte Reifungsprozesse. Ein Zeichen für die Schulreife waren z.B. der Zahnwechsel

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wurden wissenschaftsorientierte Ansätze erforscht. Ein wissenschaftsorientierter Ansatz geht von der These aus, dass einzelne Fachinhalte auf Grundbegriffe beschränkt werden können, sodass sie auch in der Vorschule vermittelt werden können. Oft gehen diese Curricula von einer Grundschulmethodik und -didaktik aus und vereinfachen sie, damit sie in der Vorschule verwendet werden können. In der Realität wurden Methoden und teilweise auch Inhalte der Grundschule in den Vorschulbereich vorverlegt (z.B. Lesen, biologische Themen usw.). Solche Modelle wurden in den 1970er Jahren in mehreren Ländern der Bundesrepublik Deutschland erprobt und teilweise auch wissenschaftlich begleitet. Dies geschah in Nordrhein Westfalen, Hamburg und Stuttgart401 und weist erstaunliche Ähnlichkeiten

oder der ‚Philippi-Ohrläppchen-Test‘. Kern entwickelte dafür einen ‚Grundleistungstest‘ (GLT). Die körperlichen Merkmale und die Ergebnisse dieses GLT waren auf Basis der Reifungstheorie Merkmal des Entwicklungsstandes. In den 1950er und 1960er Jahren wurde dieser Test an ca. 2,5 Millionen Kindern durchgeführt. Doch nachdem Kemmler und Heckhausen 1970 feststellten, dass sich in den ersten sechs Wochen nach Schulbeginn die Fähigkeiten eines Schulneulings enorm verbesserten, sahen sie das als Beleg dafür an, dass frühes Lernen und eine Umwelt, die zum Lernen anregte, Veränderungen hervorrufen kann. 401 Im großen Modellversuch in Nordrhein-Westfalen wurde eine vergleichende Längsschnitt-Untersuchung zwischen 1970 und 1977 in 50 Modellkindergärten und 50 Vorklassen durchgeführt. Ziel war, herauszufinden, wie der Übergangsbereich vom Kindergarten in die Grundschule zu gestalten sei; letztlich also die Frage, ob Fünfjährige weiterhin im Kindergarten verbleiben sollten oder im Sinne einer Begabungs- und Bildungsförderung in der Schule besser aufgehoben seien. In den Kindergärten orientierte sich der Umgang eher an den zufälligen Möglichkeiten und den individuellen Bedürfnisse der Kinder, währenddessen das schulische Arbeiten auf eine systematische Unterrichtsgestaltung mit Stoffplänen und bestimmten Lernzielen ausgerichtet war. Dabei wurden keine größeren Unterschiede bei Lernfortschritten zwischen den Gruppen festgestellt. Dieser Versuch wurde von drei unabhängigen Forschungsgruppen wissenschaftlich begleitet und die Ergebnisse später publiziert: Ewert, Otto; Braun, Marianne (1978, S. 7-51); Twellmann, Walter/ Jendrowiak, Hans-Werner (1978), S. 53-113; Winkelmann, Wolfgang; Holländer, Antje; Schmerkotte, Hans; Schmalohr, Emil 1977). In Hamburg wurde das fächerübergreifend konzipierte Vorschulmodell von Belser erprobt. Danach ist Spielen die Grundlage des Lernens. Es gab allgemeine Lernfelder (Leben in sozialen Bezügen, Sprechen, Spielen) und spezielle Lernfelder (Sachwelt, Natur, Rechnen, Musik, Erziehung, Sport). Zuerst wurde gehandelt, dann erklärt. In Belsers Curriculum sind die Inhalte und Methoden der Vorschule auf das vorschulische Lernen zurechtgeschnitten worden, wobei Belser betont,

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zu Verfrühungstendenzen in aktuellen Erwägungen zu Lerninhalten in der Vorschulerziehung auf. Das wissenschaftsorientierte Curriculum wurde von vielen Erzieher(innen) abgelehnt, teilweise auch, weil es letztlich Grundschuldidaktik voraussetzte. Andererseits sind einzelne Lernprogramme zu bestimmten Fächern gerne im Kindergarten angeboten worden. Dazu gehört auch die musikalische Früherziehung. Auch der funktionsorientierte Ansatz geht von einer Defiziterfahrung aus, nach der die Potentiale der Vorschulkinder nicht richtig ausgeschöpft wurden. Vor allem durch US-amerikanische Forschungen wurde auf die große Lernfähigkeit der Kinder im Vorschulalter hingewiesen. Daher schien eine intensive Förderung in den ersten Lebensjahren genau die richtige Antwort zu sein, um die scheinbaren Defizite kompensieren zu können und „Bildungsreserven“ auszuschöpfen. Das geschah mithilfe systematisch aufgebauter und strukturierter Trainingsprogramme. Die Bildung im Kindergarten sollte sich dabei an einer vorgestellten Intelligenzentwicklung orientieren. Parallel wurden innerhalb der Lernpsychologie vor allem in den USA kleine, von Computerprogrammen gesteuerte Lernschritte entwickelt.402 Es war dabei nicht geklärt, welche Einflüsse die strukturellen und

dass sie auch in der vereinfachten Form wissenschaftlich richtig sein müssten. (Belser, Helmut, Banerjee-Schneider, Kornelia [1972]). Das Stuttgarter Modell nach Gebauer u.a. will Inhalte nach Fächern geordnet vermitteln. Danach sollen in der Vorschulerziehung die Bereiche Spiel, Spracherziehung, kognitiver Förderung, Begegnung mit der Umwelt, Musik, Bewegung, bildnerisches Gestalten und religiöse Erziehung behandelt werden (Gebauer, Theodor; Müller, Erich; Sagi, Alexander [1971]). 402 Diese Anregung nahm auch Werner Correll auf, der das „programmierte Lernen“ einführte. Das entwickelte er zur ‚Frühlesebewegung‘. In ihrem Zusammenhang wurden diverse pädagogische Materialien auf den Markt gebracht. Es gab sogar eine Leselernmaschine. Aus der Idee seiner Zeit heraus sagt er: „Während z.B. beim nichtmaschinellen Programm der Programmtext durch die Mutter oder eine Kindergärtnerin dargeboten werden muss, und hierbei allerlei subjektive emotionale Beziehungen das Ergebnis positiv oder negativ beeinflussen können, ist für die Darbietung des Programms bei Verwendung unserer Maschine keine Betreuungsperson mehr nötig. Vielmehr befindet sich hier das Kind im ausschließlichen Dialog mit der Maschine […] Die Maschine bleibt in ihren Anweisungen immer gleich höflich und freundlich, selbst wenn das Kind sie zwingt, ein und dieselbe Information 10- oder 20mal zu wiederholen.“ (Correll, Werner [1970]), S. 20) Was hier von Correll als positiv gewertet wird, die Unabhängigkeit von subjektiven emotionalen Beziehungen, würde heute vermutlich von Menschen gerade als negativ bewertet. Die Frühlesebewegung

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entwicklungsbedingten Faktoren auf den Fördereffekt hatten. Kompensatorische Erziehung wurde oft mit Chancengleichheit für sozial benachteiligte Kinder gedeutet und damit nicht als Chance für alle Kinder, sondern als Förderprogramm für Kinder, die noch etwas nachzuholen hatten, wahrgenommen. „Daher sollte die kompensatorische Erziehung nur im Zusammenhang mit einer sozioökonomischen und sozialpolitisch beeinflussten Erziehung gesehen werden, damit eine Kompensation unabhängig von anderen Bereichen bewirkt werden könnte.“403 Es bleibt bei kompensatorischen Programmen immer die Frage, was denn die Norm für das Zu-Lernende ist. „Etliche Förderungsprogramme – z.B. zur Förderung der Lernfähigkeit, Bereitstellung von Arbeitsmaterialien, Intelligenztraining oder Sprachförderung usw. – waren nicht den Lerndefiziten der Kinder aus der Unterschicht angepasst, sondern eher auf das Lernmilieu für Kinder aus der Mittelschicht abgestimmt. Die gesellschaftspolitischen Implikationen (Verflechtungen) der kompensatorischen Vorschulerziehung verwiesen auf Probleme der Wissenschaftsnormen, denn ihre offizielle Zielrichtung richtete sich auf einen Ausgleich schichtspezifischer Unterschiede. Sie orientierte sich aber an einem schnellen Erfolg und an sogenannten gesellschaftlichen Interessen, d.h. sie berücksichtigte zu wenig die Interessen und Bedürfnisse des Kindes aus der Unterschicht.“404

Die Erprobung eines situationsorientierten Ansatzes ging aus einem Vorschlag der Bildungskommission des deutschen Bildungsrates aus dem Jahr 1973 hervor, der forderte, „bei der Entwicklungsarbeit von der realen Lebenssituation der Kinder auszugehen und durch gezielte Förderung die Kinder instand zu setzen, ihre Lebenssituation zu beeinflussen und zunehmend selbständig zu bewältigen; zugleich sollen die Kinder befähigt werden, sachliche Probleme soweit als möglich gemeinsam zu lösen, und soziale Konflikte zu verstehen, zu meistern oder zu ertragen.“405

Diese Empfehlung wurde von 1971 bis 1976 in Hessen und Rheinland-Pfalz in elf Modellkindergärten durch das ‚Curriculum soziales Lernen‘ erprobt. Danach

wurde schon bald kritisiert, z.B. aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf unterschiedliche Lehr- und Lernprozesse stütze (z.B. von Winkelmann, Wolfgang; Holländer, Antje; Schmerkotte, Hans; Schmalohr, Emil [1977]). 403 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 118. 404 A.a.O., S. 118. Eine Folge solch kompensatorischer Förderung war auch die Entwicklung der Sendung ‚Sesamstrasse‘, die durch das Fernsehen vermittelt allen Kindern die gleiche Chance geben wollte (siehe dazu: Schleicher, Klaus [1972]). 405 Deutscher Bildungsrat/Bildungskommission (1973), S. 25.

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sollte die Lebenssituation für die Kinder erfahrbar werden und „im Rahmen pädagogischer Arbeit mit drei- bis fünfjährigen Kindern beeinflussbar erscheinen.“ 406 Die Erzieher waren diejenigen, die dafür die Rahmenbedingungen herstellen sollten. Sie lernten genauso wie die Kinder aus der jeweiligen Situation heraus. Solche geschaffenen Situationen (z.B. mit Themen wie ‚Im Krankenhaus‘ oder ‚Wir kommen in die Schule‘ usw.) wurden in dem Curriculum in didaktische Einheiten eingeteilt, die je nach den Vorkommnissen vor Ort auch verändert werden konnten (‚offenes Curriculum‘). Begleitet wurde das Programm von Jürgen Zimmer, der meinte, dass ein solches Programm neben Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft ein bestimmtes Maß an Weiterbildung verlange. Entsprechend wurde dieses Programm von diversen Tagungen flankiert. Kinder sollten innerhalb ihres Vorstellungs- und Anschauungsvermögens eigene Erfahrungen machen und autonome Kompetenzen zur Bewältigung der Situationen, also Möglichkeiten zum Handeln erwerben. „Ein auf Autonomie gerichtetes Handeln bedient sich der Kompetenz in instrumenteller Weise und wird so zu sozialverantwortlichem, politischem Handeln.“ 407 Rein instrumentelles, inhaltliches Lernen wurde damit unter soziale Zielsetzungen gestellt. Bei dieser Form des Unterrichtens mussten die Erzieher(innen) auch ein neues Rollenverständnis lernen, da der situative Ansatz sehr viel mehr Kommunikation erforderte, denn die Situationen waren nicht immer vorher zu bestimmen. Im Curriculum wurde auch die Mitarbeit der Eltern geprobt. Hinter diesem Konzept stand der Versuch, demokratische Formen zu entwickeln, da die Kinder zum einen lernen sollten, ihren Anspruch zu formulieren und durchzusetzen, zum anderen aber auch, dass dieses ebenso für andere Kinder gilt und sie für ihre Handlungen im Miteinander Verantwortung zu tragen hätten. 2.2.3.3 Musikalische Früherziehung in Deutschland seit der Entwicklung der Curricula des Verbandes Deutscher Musikschulen Bis in die 1960er Jahre hinein war die musikalische Früherziehung in der Regel eine Aufgabe, derer sich einzelne Personen oder Gruppen annahmen. Sie war dadurch weniger koordiniert oder mit umfassenden Curricula ausgestattet. Als sich dann das Musikschulwesen in Deutschland entwickelte, verabschiedete der VdM 1969 ein dreigliedriges Stufensystem, in deren Unterstufe sich die ‚Musikalische Früherziehung‘ für vier bis sechsjährige Kinder wiederfand. Die Zielsetzung der musikalischen Früherziehung war 1981:

406 Gerstacker, Ruth; Zimmer, Jürgen (1978), S. 194. 407 A.a.O., S. 195.

148 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „[…] der Musikunterricht dient der Vorbereitung der instrumentalen und vokalen Ausbildung in der Musikschule. Dabei wird von der Erkenntnis ausgegangen, dass ein früher musikalischer Beginn sowohl die musikalischen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes zu wecken und zu entwickeln vermag, als auch zu seiner Gesamtentwicklung beitragen kann.“408

Aufgegliedert war der Musikunterricht in die sechs Sachbereiche (1) ‚Singen und Sprechen‘, (2) ‚Elementares Instrumentalspiel‘, (3) ‚Musik und Bewegung‘, (4) ‚Musikhören‘, (5) ‚Instrumenteninformation‘, (6) ‚Musiklehre‘. Juliane Ribke kritisierte 1995 wohl zu Recht, dass eine musikalische Früherziehung als Vorbereitung auf vokalen und instrumentalen Unterricht zu kurz greift. Kognitiv fördern sollte die musikalische Früherziehung nach Ribke mehr als die musikalische Lesefertigkeit und das Begreifen musikalischer Strukturen. Sie motiviere zum Musizieren, fördere einen Zugang zur Musik mit allen Sinnen, übe die Bewegungen ein und sei auch wichtig, um das gemeinsame Musizieren und den sozialen Aspekt der Musik zu erfahren. Allerdings gelte es, diese Inhalte nach Qualität 409 und Quantität zu unterscheiden. 410 Für Ribke hat die musikalische Früherziehung eine „Erschließungsfunktion und kann damit zum zentralen Kern werden, aus dem sich weitere, speziellere Bewältigungsstrategien und erhöhte Geschicklichkeit fordernde musikalische Leistungen herausentwickeln.“411 „Somit führen wir die Menschen in der Elementaren Musikpädagogik nicht zur Musik hin, sondern wir sind mit ihnen von Anfang an mittendrin. Mittendrin deshalb, weil die Elementaren Musikpädagogik das Angebot bereithält, vielfältige Erlebnisweisen zu aktivieren, Eindruck in Ausdruck zu verwandeln, Klangverläufe zu gestalten, sich selbst als handelndes oder mithandelndes Subjekt in eine Welt der Klänge zu erleben, Klänge zu erzeugen und zu interpretieren und damit auch etwas über sich selbst zu erfahren.“412

408 Verband deutscher Musikschulen (1981), S. 1. 409 Sie sagt weiter zur Qualität: „Die qualitativen Aspekte einer möglichen Vorbereitung auf den Instrumentalunterricht sind jedoch nicht so vordergründig, nicht so offensichtlich und deshalb auch schwerer zu legitimieren – insbesondere in einem Bildungssystem, in dem die Güte von Inhalten danach bewertet wird, ob man sie ‚schwarz auf weiß‘ mit nach Hause nehmen kann, gleichgültig, was dann mit ihnen geschieht.“ (Ribke, Juliane [1995], S. 32) 410 A.a.O., S. 31f. 411 A.a.O., S. 32. Ribke entwickelt daraus ein ‚Elementarrad‘, durch das sie alle musikalischen Aktivitäten in einem zylindrischen Schaumodell aufzeichnet und einem Elementaren zuordnet. 412 A.a.O., S. 38.

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2010 lautet das Lernziel des VdM für die Unterstufe: „Das erste ‚Begreifen‘ des Instruments, die Erkundung seiner klanglichen Möglichkeiten und eine positive Grundhaltung schaffen die Basis für eine Einheit von Körper und Instrument, von Klangvorstellung und Technik. Wichtige Anknüpfungspunkte bilden Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Elementarstufe/Grundstufe. Die technischen und gestalterischen Grundlagen des Umgangs mit dem Instrument oder der Stimme sollen soweit erarbeitet werden, dass die SchülerInnen einfache Stücke realisieren und musikalisch gestalten können. Improvisation und gemeinsames Musizieren gehören von Anfang an zur musikalischen Ausbildung. Zugleich sind Grundlagen der Musiklehre zu vermitteln, um die Notentexte der gespielten Literatur in formaler, harmonischer und struktureller Hinsicht verstehen und darstellen zu können.“413

Kommentiert werden diese Ziele in zwei Aufsätzen einmal übergreifend zur elementaren Musikpädagogik von Michael Dartsch414 und dann speziell zur musikalischen Früherziehung/elementaren Musikpädagogik von der Autorengemeinschaft Barbara Metzger, Jule Greiner, Barbara Stiller und Christa Schäfer.415 Dartsch geht von der Leitvorstellung einer Bildung aus, die sich nicht nur funktionsorientiert als Bildung im Dienst zur technischem, wirtschaftlichen, sozialen und anderem Nutzen versteht, sondern auch als Bildung, die einem Kind Sinnmuster gibt, damit es die Welt persönlich deuten kann. „All das wird vor dem Hintergrund der bisherigen Biografie stetig so weiterentwickelt, dass es für das Individuum möglichst ‚stimmig‘ ist, das heißt, dass die Sinnstrukturen sich nicht widersprechen, miteinander harmonieren und einem befriedigenden Leben dienlich sind.“416

Ziel dieser musikalischen Bildung sei es, dass die Kinder zunächst Grunderfahrungen machen. „Grunderfahrungen können dabei nicht von außen ‚hergestellt‘ werden, sie müssen sich vielmehr im Kind selbst einstellen und werden auch mit der individuellen Disposition des Erlebens und Verhaltens zusammenhängen.“417

Daraus entwickeln sich nach Dartsch Verhaltens-, Fühl- und Denkmuster, die immer differenzierter werden. Dafür müssen die Lehrer(innen) Gegenstände und 413 Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe (2010), CD Punkt 2.2. 414 Dartsch, Michael (2010b), S. 15-25. 415 Metzger, Barbara; Greiner, Jule; Stiller, Barbara; Schäfer, Christa (2010), S. 37-42. 416 Dartsch, Michael (2010b), S. 15. Für Dartsch spielt das Ziel der ‚Stimmigkeit‘ des Menschen eine große Rolle. Siehe auch Dartsch (2010a) S. 159ff. u.ö. 417 A.a.O., S. 19.

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Materialien bereitstellen. Diese sind kulturell geprägt und das bedeutet, das Kind begegnet „der es umgebenden Kultur von Anfang an in der Interaktion und Kommunikation mit anderen Menschen“.418 Die Kinder sollen sich diese Materialien aneignen, in ihr Denk- und Fühlsystem einordnen und sich dadurch in der sie umgebenden Welt verorten. „Dabei bringen sie ureigene Impulse in den Umgang mit den Materialien ein und schaffen so etwas Individuelles und Neues.“419 Dartsch weist auf die soziale und kulturell geprägte Komponente der Musikerziehung hin, aber er sagt auch, dass im Unterricht zwar musikalische Grundlagen erworben werden, aber „das Kind wird die verschiedenen Erfahrungen mit je eigenen Bedeutungen versehen; was letztlich welche Bedeutung für es gewinnen wird, entscheidet sich in ihm selbst. Es kann nicht darum gehen, das Kind in eine bestimmte Richtung festzulegen, sondern darum, ihm vielerlei Wege zu eröffnen, die es schließlich selbstbestimmt beschreiten und individuell ausgestalten kann.“420

Damit schlägt Dartsch den Bogen, bei der er nicht wie Orff in seinen früheren Äußerungen von einer im Menschen selbst verankerten Musik ausgeht, sondern, eher den späteren Interpretationen Orffs vergleichbar, von einer kulturell bedingten im Kinde zu vermittelnden Musik, deren materiellen Inhalt er vom kulturellen Habitus abhängig macht. Die Autorengemeinschaft Metzger, Greiner, Stiller und Schäfer flankieren diese Zielsetzungen praktisch. Die Kinder sollen „ihrem Alter entsprechend vielfältige Erfahrungen mit Musik gewinnen können, ihre Interessen und Neigungen erkennen und Anregung finden, sich möglichst weiterhin mit Musik zu beschäftigen.“421 Musik soll die eigene Ausdruckskraft verstärken, den Körper als Ausdrucksmittel der Musik erfahrbar machen, sodass sich Menschen aktiv in gestalterische Prozesse einbringen können. Inhaltlich sollen die Menschen ein Repertoire an Musiken und eine musikalische Breite an Stilen kennen lernen und Musik als selbstverständlichen Teil ihres Lebens in ihren Alltag integrieren können. Methodisch streben die Autorinnen eine Stundendramaturgie an, in denen ein bestimmter Ablauf entwickelt werden sollte. Umgangsweisen mit Musik könnten dabei Rezeption, Reflexion, Reproduktion, Produktion und Transformation sein.

418 Dartsch, Michael (2010b), S. 15. 419 A.a.O., S. 20. 420 A.a.O., S. 22. 421 Metzger, Barbara; Greiner, Jule; Stiller, Barbara; Schäfer, Christa (2010), S. 38.

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Der Schwerpunkt in der Zielsetzung der musikalische Früherziehung hatte sich damit von der vorbereitenden Funktion auf den Instrumental- und Gesangsunterricht in dem VdM Curriculum 1981 auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder im Zusammenhang mit der kulturellen Umgebung in dem VdM Curriculum 2010 verschoben.422 Dabei postulieren die Autor(inn)en im Curriculum 2010, dass es nicht um den Gegensatz von musikalischen, in einer Kultur allgemein anerkannten Fertigkeiten gegen die persönliche, individuelle Entwicklung, der sich die allgemeine Idealvorstellung unterzuordnen hat, geht. Sie versuchen vielmehr, die Musik als Verbindung zwischen der Welt, in der sich die Kinder befinden und der Welt, die sie in sich entwickeln, zwischen dem Außen und Innen des Menschen, zwischen gesellschaftlichem und individuellem Sein zu deuten. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die aktuelle musikalische Früherziehung in Deutschland als ein für 4-6-jährige Kinder gedachter Musikunterricht beschrieben wird, deren Inhalte aus sechs Sachbereichen stammen. Ziel ist es, den Kindern Sinnmuster zur persönlichen Deutung der Welt zu geben. Dies geschieht auch dadurch, dass die Kinder Muster und Materialien ihrer Umwelt aufnehmen und diese mit ihren eigenen Mustern in eine Verbindung bringen, ihnen ihre Bedeutung geben und so etwas Neues schaffen. 2.2.3.4 Musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff Im Folgenden wird die Verknüpfung der Fäden aus den allgemein pädagogischen und musikpädagogischen mit den anthropologischen und musikalisch-pädagogischen Überzeugungen Orffs, hergestellt. Da Orff selbst das Orff-Schulwerk herausgebracht hatte, kann es als Vergleich für die Entwicklung einer musikalischen Früherziehung in seinem Sinne herangezogen werden. Die Ziele des im Orff-Schulwerk beschriebenen Musizierens liegen zunächst im Musizieren zum Aufbau der menschlichen Persönlichkeit und nicht in der Vorbereitung auf ideale Musik. In den praktischen Ausführungen von Vertretern des Orff Instituts bedeutet das methodisch-didaktisch, zunächst den Ton- und Klangraum zu beschränken, „um die Befreiung und Erprobung persönlich-schöpferischer Fähigkeiten zu ermöglichen.“ 423 Dass etwas mit einfachen Mitteln zum Klingen gebracht werden soll, zielt darauf ab, dass das Musizieren Menschen nicht frustriert, sondern zum weiteren Musizieren motiviert. Ob also formale, im Orff-Schulwerk vorkommende Strukturen wie Parallelführung von Stimmen, Pentatonik, Bordunpraxis, Kanons, Ostinati usw. in jedem

422 Interessant ist, dass in beiden Publikationen der Begriff des ‚Elementaren‘ nicht definiert, wohl aber umschrieben wird. 423 Keller, Wilhelm (1963), S. 28; s.a. Anm. 305.

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Fall auch in einer Früherziehung vorkommen müssten, ist zweitrangig, weil es im Orff-Schulwerk keinen inhaltlichen Lernkanon gibt, da sich Inhalte der Person unterzuordnen haben. Zudem geschieht der Unterrichtsprozess unter sich wandelnden Bedingungen, weshalb die persönliche Entwicklung und die Musiziermöglichkeiten der einzelnen Vorschulkinder berücksichtigt werden müssen. Ein inhaltlicher Lehrplan mit überprüfbaren Zielen kann daher nicht festgelegt werden.424 Nun kann es zu einer contradictio in adjecto kommen, wenn in einem Curriculum einerseits die individuelle Betrachtungsweise eines Menschen gefordert wird, um daraus die Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln, andererseits aber eine festgelegte curriculare Gestalt genau diese Möglichkeiten durch eine methodisch didaktische Entscheidungen im Unterricht immer auch einschränken muss.425 Denn völlige Freiheit kann eine curriculare Begleitung des Unterrichtes zu einer Willkür oder Belanglosigkeit ausarten lassen und so gibt es entweder die Möglichkeit, alle Kreation des Unterrichts allein auf eine(n) Lehrer(in) zu übertragen oder ihr/ihm eine Fülle von Möglichkeiten anzubieten, aus der sie/er dann auswählen kann. Also gilt es einen stets neu auszulotenden Kompromiss zu finden zwischen methodisch-didaktischer Entscheidung und Freiheit. Dies ist schon für eine(n) Lehrer(in) nicht leicht. 426 Für etwas Geschriebenes wie ein Curriculum aber ist es noch schwerer, weil es sich eben nicht stets individuell wandeln kann.

424 Siehe das bereits erwähnte Zitat von Abel-Struth „Umgrenzte, stabile Lernziele können festere Methoden an sich binden als offene, in sich differenzierte Lernziele.“ (Abel-Struth, Sigrid [1982], S. 40) 425 Kugler schreibt dazu „Gegen die Fixierung von methodischen Modellen bestand aber sowohl bei Günther als auch bei Orff eine starke Abneigung. Beide sahen dies als Aufgabe der Auseinandersetzung mit der späteren Berufspraxis an. Da Orff zudem in der Günther-Schule und auf den Schulwerkkursen sehr situationsbezogen und intuitiv gearbeitet hat, lassen sich seinen Aufsätzen nur ganz wenige explizite methodische Prinzipien entnehmen: 1. Musikrhythmen aus Bewegungsrhythmen […] 2. Methoden aus spontanen Vokaläußerungen entwickeln […] 3. Instrumentalspiel als Erweiterung der Körperperkussion […] 4. Musikalische Aktivität vor dem Gebrauch von Notation.“ (Kugler, Michael [2000], S. 292) 426 Laut Kugler bietet Orff zwar „eine Einführung in die Werkstattarbeit mit Stimme, Klanggesten und Instrumenten“, aber er setze damit „eine unmittelbare, professionelle Einweisung in die nicht notierbaren Komponenten des musikalischen Ausdrucks voraus.“ Dadurch kam es „beim OSW […] nach der Publikation zu massiven Irrtümern und Fehldeutungen…“ (Kugler, Michael [2000], S. 305f.). Gemeint ist dabei z.B. das reine Reproduzieren seiner Musik.

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Eine solche Kompromissfindung geschieht im Curriculum ‚Musik und Tanz für Kinder‘, das von Autor(inn)en des Orff Instituts herausgegeben wird und das hier als Beispiel für eine musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff beleuchtet werden soll. Im Laufe der Zeit sind zwar für die musikalische Früherziehung viele unterschiedliche Programme, Curricula etc. entwickelt worden. Anhand von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ allerdings lässt sich am besten die Umsetzung beschreiben, da es nicht nur von Autor(inn)en des Orff Instituts geschrieben wurde, sondern eben auch im Sinne des Orff-Schulwerks427 entstand. ‚Musik und Tanz für Kinder‘ erschien 1984/85 im Schott Verlag und wurde 2007 überarbeitet neu herausgebracht.428 Das Programm ist für die Musikerziehung vier- bis sechsjähriger Kinder über einen Zeitraum von zwei Jahren gedacht. „In musikalisch-fachlicher Hinsicht bezieht sich das Unterrichtswerk ausdrücklich auf die Sachbereiche des damaligen VdM Lehrplans“ 429 und weist Sachbereiche wie Singen und Sprechen, Tanz und Bewegung, Elementares Instrumentalspiel, Musikhören, Elementare Notenlehre (u.U. auch als „Erfahren von Inhalten der Musiklehre in praktischer Form“ zu bezeichnen430) auf. Allerdings grenzt es sich auch dagegen ab. Nykrin kommentiert das: „Zu sehr unterschied sich das im Sinne

427 Die Verbindungen von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ mit den Traditionen des OrffSchulwerkes zeigen diverse Verbindungen in Inhalten und Aufbau des Werkes. Dennoch ist es an eine moderne Musikpädagogik gebunden und nimmt die Fragen und Intentionen aus der Zeit mit wesentlich erweiterten Zielrichtungen auf (siehe dazu Nykrin, Rudolf [2010], S. 92ff.). 428 Haselbach, Barbara; Regner, Hermann; Nykrin, Rudolf (1984/85). Inzwischen gibt es eine überarbeitete Ausgabe (Nykrin, Rudolf; Grüner, Michaela; Widmer, Manuela [2007]; Nykrin, Rudolf; Grüner, Michaela; Widmer, Manuela [2008]. Dazu wurde zum Teil in Anlehnung daran auch ein Programm für Eltern-Kind-Kurse entwickelt (Ensslin, Corinna; Widmer, Manuela [2012]). 429 Dartsch, Michael (2010a), S. 16. 430 Kugler schreibt dazu: „Orffs Grundsatz Von der Improvisation zur Notation, nach dem er selbst konsequent unterrichtet hat, verdient in Anbetracht der ganz andersartigen musikkulturellen Normen seiner Zeit besondere Beachtung. Im Anfangsstadium des musikalischen Lernens spielt anstelle von aufgezeichneter Musik das musikalische Hervorbringen die primäre Rolle. Die Notenschrift soll erst eingesetzt werden, wenn es darum geht, das Ergebnis eines Gestaltungsvorgangs festzuhalten. Für die Anwendung der Notenschrift stellt Orff eine klare Hierarchie der Umgangsweisen mit Musik auf. Er fordert zunächst das Musikmachen, danach die Schrift und die Aufzeichnung der eigenen Musik, danach erst die Deutung fremder.“ (Kugler, Michael [2000], S. 293f.)

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des Orff-Instituts konzipierte erlebnisorientierte Konzept von dem sachlogisch bestimmten Programm, welches die Musikalische Früherziehung damals prägte.“431 Ganz ausdrücklich geht es darum, innerhalb dieser Sachbereiche die Persönlichkeit der Kinder zu fördern. Die Autor(inn)en sagen weiter, dass darin Phantasie, Lust am Spiel, Wahrnehmungsfähigkeit, Vergnügen am eigenen körperlichen Ausdruck, Sinnesschulung und soziale Bezüge gelernt werden sollen.432 ‚Musik und Tanz für Kinder‘ nimmt Inhalte noch weiterer musikpädagogischer Konzeptionen auf. Wie im handlungsorientierten Musikunterricht ist das Kind das Subjekt des Handelns. Dies geschieht z.B. in der von Orff genutzten Verbindung von Bewegung und Musizieren, wobei das Kind handelt und die Musik Partner oder Objekt des Kindes ist. Aus der erfahrungserschliessenden Musikerziehung von Rudolf Nykrin fliesst die Bedeutung des situativen Ansatzes in das Programm mit ein. Daher wird den Unterrichtsinhalten auch eher eine sekundäre Bedeutung zugemessen. Aus einer konkreten Erfahrung der Kinder werden Unterrichtsprozesse geschaffen, in denen sie beim Musizieren neu lernen und das Gelernte auch wieder auf die Umwelt der Kinder rückwirkt. Dazu zählt Bevorzugung von Projekten, die Idee eines offenen Curriculums, in dem die Kinder aus ihrer Situation heraus lernen, die Ermöglichung von Erfahrungen beim Musizieren, aus denen die Kinder lernen und letztlich auch die Persönlichkeitserziehung.433 Formal ist ‚Musik und Tanz für Kinder‘ in vier Halbjahre (‚Musikater‘ 1.Halbjahr), (‚Tripptrappmaus‘ 2.Halbjahr), (‚Kluger Mond und Schlaue Feder‘ 3.Halbjahr), (‚Tamukinder‘ 4.Halbjahr) eingeteilt, in denen jeweils Themenkomplexe behandelt werden. Die Erstausgabe und die Neuauflage434 von 2007 unterscheiden

431 Nykrin, Rudolf (2010), S. 92f. 432 Nykrin, Rudolf; Grüner, Michaela; Widmer, Manuela (2007), Lehrerband, S. 15. 433 Dabei können manche gutgemeinten Methoden bisweilen Nebenziele erreichen, die so nicht gemeint sein dürften. Zum Beispiel gibt es in der Erstauflage von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ Personifizierungen der Dynamik als ‚Liese Leise‘ und ‚Leo Laut‘, was sicherlich nicht im Sinne einer gleichberechtigten Gender-Zuordnung gewesen sein dürfte, denn so wurde den Vorschulkindern eine Geschlechtsidentität mitgegeben, die vermutlich einer Reflexion bedurfte. (Haselbach, Barbara; Regner, Hermann; Nykrin, Rudolf (1984/85), Kommentar für die Lehrer, S. 188ff.) 434 Nykrin schreibt zur Begründung einer Neuauflage: „Erst spät war eine kleine Gebrauchskrise spürbar geworden; neue Konkurrenzwerke hatten sich zum Ausprobieren und als Abwechslung angeboten. In einer großen Umfrage wurden der PraxisStatus von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ und die Erwartungen an ein überarbeitetes Werk erhoben. Darauf gegründet erschien ab 2007 die Neufassung des Werks.“

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sich dabei eher graduell denn prinzipiell. Es werden mögliche Unterrichtsabläufe dargestellt, die dann mit einer grossen Fülle möglicher Alternativgestaltungen (Basis- und Vertiefungsstunden) und Materialien (gedruckte Bilder, Noten wie auch CDs) auch für weiterführende Projekte bestückt werden, sodass die Lehrkraft entsprechend der aktuellen Situation sehr viele Möglichkeiten zur Auswahl hat. In den zwei sehr ausführlichen Lehrerkommentaren, die für jede Stunde die Inhalte und Ziele kommentieren, werden diese Alternativen ebenfalls eingeordnet. Dadurch kann bei Bedarf der Unterricht von der Lehrperson auch stark individuell abgewandelt und verändert werden. Die Anpassung des Unterrichts an die Umstände der Schüler(innen) kommt der Orffschen Sichtweise entgegen. Die Kinder sollen in ihren Heften suchen, Bilder betrachten und thematische Bezüge suchen, wiederentdecken und gestalten. Die Musik, vor allem die Lieder, sind teilweise für das Programm komponiert worden, es werden jedoch auch tradierte Lieder genutzt. Im Bewegungsunterricht gibt es einige Tänze in gebundenen Formen, vieles ist jedoch im improvisatorischen Rahmen angelegt, innerhalb derer Raumund Bewegungsparameter erlernt werden können. Beim Instrumentalspiel wird im Wesentlichen auf das Orffinstrumentarium zurückgegriffen, es sei denn, es geht um Instrumenteninformation, in denen auch andere Orchesterinstrumente vorgestellt werden oder wenn eigene Instrumente gebastelt werden sollen. Da Orff dem Hören einen hohen Stellenwert zumass, greift die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff auch auf Elemente der auditiven Wahrnehmungserziehung zurück. Das Musizieren im Gruppenunterricht wird daher auch immer zum Hören, zu Kommunikation und Reflexion genutzt.

2.3 Z USAMMENFASSUNG Ausgehend von Carl Orffs früher Setzung, dass unabhängig von biographischen, geschichtlichen oder kulturellen Grenzen in jedem Menschen ein musikalisches Potential liegt, dient das (pädagogische) Musizieren dazu, dieses Potential freizulegen und eine musikalische Ausdrucksfähigkeit wieder zu gewinnen. Diese ist laut Orff unbewusst in jedem Menschen angelegt. Musik erklingt danach im Dienste der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit. Dabei nutzt ein

(Nykrin, Rudolf [2010], S. 93). Formal quantitativ gesehen gibt es statt 26 Themen (1984) 28 Themen (2007) und die Anzahl der Hörbeispiele ist vergrößert; qualitativ sind die Themen in der Neuauflage mit einer Basis- und einer Vertiefungsstunde versehen und die Grundstruktur ist jetzt nicht mehr allein an die Jahreszeiten gebunden, sondern offener gestaltet.

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Mensch die als Einheit gedeuteten Möglichkeiten von Musik, Bewegung und Sprache435 und kann alleine wie miteinander durch Sprach- Körper-, und Instrumentalausdruck musizieren. In der Musikpädagogik geht es somit zunächst nicht um eine musikalische Reproduktion und Notation, sondern um die Schaffung eigener Ausdrucksmöglichkeiten. Das Hören spielt eine große Rolle, damit erst einmal Strukturen ihrer Welt aufgenommen werden. Dabei sollte vom ‚Elementaren‘ ausgegangen werden, das Orff in seinen frühen Schriften als „vorgeistig“ und universell ansah. Musiziert werden sollte in einer Entwicklungslogik von einfachen zu komplexen Strukturen. Diese Strukturen treten in Orffs musikpädagogischen Paradigmen als Muster z.B. als Wiederholung, Bordun, Sequenz, Periodizität, Reihungsformen, Parallelführung von Stimmen, Pentatonik und Heterophonie, Ostinati, Kanons usw. auf. In den späteren Auffassungen seiner Nachfolger (paradigmatisch steht dafür Rudolf Nykrin) besteht zwar weiterhin die These musikalisch universeller Dispositionen, aber es wird ein kulturrelativistischer Vorbehalt eingezogen. 436 Die Inhalte einer Musikpädagogik müssen danach aus dem Umfeld der musizierenden Menschen stets neu hervorgeholt und genutzt werden. Die formalen Strukturen werden daher zwar auch heute genutzt, müssten aber im Sinne der Weiterentwicklung der Orffschen Setzung unter einem kulturrelativistischen Vorbehalt kritisch begutachtet werden. Da musikalischer Ausdruck auch Kommunikation ist, wird in der Gruppe musiziert, z.B. in einer musikalischen Spiel- und Werkstattform mit Bausteinen, mit denen improvisiert werden kann (bzw. die aus der Improvisation heraus entstehen). Innerhalb dieser vorrangigen Sozialform werden daraus Modelle komponiert. Solche Einheiten können danach aus- bzw. umgestaltet werden. Das dabei zu verwendende Instrumentarium sollte klangfarbenreich und dennoch in der Tonerzeugung nicht zu kompliziert sein. Idiophone und Membranophone werden daher öfter im Unterricht genutzt.

435 „In den Ursprungstheorien zur Musik haben sich die Aspekte der Bewegung und der Sprache sowie die Einheit von Musik, Bewegung und Sprache als wegweisend herausgestellt.“ (Weinbuch, Isabell [2010], S. 81) 436 Wallbaum fasst das zusammen: "Die musikalisch-ästhetische Erfahrung von Ganzheit (oder auch Vollendung) gründet also nicht auf einem soziobiologisch-‚naturhaft‘ gegebenen Zusammenhang von Subjekt und Objekt im Rahmen einer universalistischkulturübergreifend vorgezeichneten Entwicklungslogik, sondern ist die selbstreflexive Erfahrung eines Subjekts mit einem kulturrelativen Objekt.“ (Wallbaum, Christopher [2009], S. 89)

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Formal lehnt sich die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff, wie sie paradigmatisch im Lehrwerk ‚Musik und Tanz für Kinder‘ dargelegt ist, an die Tradition vorheriger Vorschulcurricula für 4-6-jährige Kinder an. Es ist in die Sachbereiche ‚Singen und Sprechen‘, ‚Elementares Instrumentalspiel‘, ‚Musik und Bewegung‘, ‚Musikhören‘, ‚Instrumenteninformation‘ und ‚Musiklehre‘ eingeteilt. Doch Stundenabläufe werden als Beispiele zusammen mit einer großen Menge alternativer Möglichkeiten aufgeführt, sodass die Lehrkraft den Unterricht von der Situation aus, in der die Kinder leben, gestalten kann. ‚Musik und Tanz für Kinder‘ ist offen gestaltet, situations- und erlebnisorientiert und erst danach sachlogisch aufgebaut. Dabei wird die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs wie dessen ganzer pädagogischer Duktus als künstlerischer Prozess aufgefasst: Lehrer(in) und Schüler(innen) sind künstlerisch Handelnde.

2.4 W EGE DER MUSIKALISCHEN F RÜHERZIEHUNG NACH S ÜDKOREA Behandelten die Themen der vorhergehenden Abschnitte die Entwicklung, Deskription und Einordnung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff, so wird im Folgenden beschrieben, wie die Orffsche Musikpädagogik nach Südkorea kam. Die Musik von Carl Orff wurde durch Aufführungen seiner Werke oder durch Schüler(innen)437, die bei ihm studierten, in Südkorea bekannt. In den 1960er Jahren erschienen einzelne musikpädagogische Publikationen 438 , die alle eine Art Einführung in das Orff-Schulwerk beinhalteten und im Wesentlichen auf englischsprachige Quellen zurückgegriffen. Initiativen einzelner Personen begleiteten diese Bemühungen. Zwei solcher Aktivitäten sind zumindest in Teilen dokumentiert. Der Ingenieur Fritz Hohmann, der eine Schule in Naju (⋮㭒PSG das sogenannte ‚Hohmaneum‘439 leitete, lernte

437 So studierte der koreanische Komponist Lee Young Jo in München bei Carl Orff. Das Lernen war dabei auch gegenseitig. Lee berichtet: „Als ich bei Carl Orff in München studierte, sagte er zu mir, ich hätte eine höchst europäische und zugleich antieuropäische Klangfarbe. Er hat sich sogar bei mir bedankt, dass er durch mich eine neue musikalische Tradition kennenlernen durfte.“ (Lee, Hyo-Won [2013]) 438 Ein Beispiel dafür ist Chung, Se-Mun (1968). 439 An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass gegen Hohmann Ermittlungen wegen sexuellem Kindesmissbrauch liefen, der aber, wie Martin Hyun berichtet, trotz relativ eindeutiger Indizien aus politischen Gründen nicht weiter verfolgt wurden. Erst über

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Orff in Tokio 1962 persönlich kennen und schätzte seine musikpädagogischen Ideen. In dieser Schule, in der südkoreanische Kinder für den deutschen Arbeitsmarkt ausgebildet wurden, wurden neben Deutsch und industriellen Fachtechniken (Metallverarbeitung u.a.) auch deutsche Kultur und Musik vermittelt.440 Hohmann stand in brieflichem Kontakt mit Orff und berichtet darin immer wieder von Orff-Abenden in seiner Wohnung, in denen er südkoreanischen Freunden und Interessent(inn)en Orffs Musik nahe brachte. Er berichtet auch von halböffentlichen Vorführungen, die Ende April 1970 vor 70 Zuhörer(innen) in Daegu und vor über 100 Personen in Seoul stattgefunden hatten.441 Eine andere, teilweise dokumentierte Einführung des Orff-Schulwerks in Südkorea geschah durch Margrit Cronmüller-Smith442, die von 1970 bis 1974 in Seoul lebte, als ihr Mann dort beruflich tätig war. Sie führte in der Zeit an verschiedenen Universtäten das Orff-Schulwerk vor und unterrichtete an einer internationalen Nonnenschule eine sechste Grundschulklasse. Sie unterstützte auch Fritz Hohmann bei der Vorführung des OrffSchulwerks in der o.e. Präsentation in Seoul.443

30 Jahre später wurden Einzelheiten darüber durch die Öffnung der Archive des Auswärtigen Amtes zugänglich. Hohmann musste mutmaßlich deswegen Ende 1967 das ‚Hohmaneum‘ verlassen, nahm die südkoreanische Staatsbürgerschaft an und war für die deutschen Behörden damit nicht mehr belangbar. Er eröffnete eine Schule in Yeosu und „wurde später für seine Dienste in den deutsch-koreanischen Beziehungen mit dem koreanischen Verdienstkreuz ausgezeichnet, welches ihm Präsident Park persönlich an sein Revers heftete. Er arbeitete weiter als Professor der koreanischen Yeongnam Technical Universität in Daegu und ist als freier Mann 1982 im Alter von 83 Jahren in Korea gestorben.“ (Hyun, Martin [2013]) 440 Offensichtlich wurde auf die materielle und nicht-materielle Erziehung in der Schule Wert gelegt. Das legt zumindest eine Rede von Ahn, Duja aus dem Mai 1967 in der Hohmann-Schule nahe: „Man kann zwei Hauptziele der Erziehung aufzeigen: auf der materiellen Seite das Leben zu meistern, und auf der geistigen Seite Tugenden zu erreichen.“ (Hohmaneum [1967], S. 3) 441 Hohmann, Fritz (1970). 442 Margrit Cronmüller-Smith ist Absolventin des Orff-Instituts. Sie studierte von 1968– 1970 nigerianische Musik und Tanz in Lagos, bevor sie von 1970–1974 in Südkorea Gayagum lernte und sich dort neben ihren pädagogischen Tätigkeiten auch mit Musik und Tanz in Korea beschäftigte. 1976 legte sie ihren M.A. in Performing Arts in den USA ab und gründete zusammen mit Merrie Bremer das Duo ‚MUSICA MUNDI‘. 2011 publizierte sie ihre Essays und Interviews in der Schrift ‚The Mande Kora, A west African system of Thoughts‘. 443 Cronmüller-Smith, Margrit (1971/72).

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Eine größere Wirkung auf die Entwicklung einer Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs hatten die Kurse, die nach 1972 von Chung Chung-Sik und Schwester Maria Michaelis Hwang, die von 1971–1972 am Orff Institut studierten, mit Vorträgen, Seminaren und Übungen zur Musikerziehung im Sinne von Carl Orff angeboten wurden. Der erste direkte institutionelle Kontakt zwischen europäischen und südkoreanischen Personen in Südkorea, die sich für die Pädagogik im Sinne von Carl Orff interessierten, fand im Rahmen eines Seminars von Karin Reissenberger 444 und Hermann Regner445 statt, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut 1976 einen Kurs in Seoul leiteten. Es gibt hiervon eine kurze, zeitgenössische filmische Dokumentation, in der darüber hinaus über die Durchführung der Musikpädagogik im Sinne Orffs in Südkorea berichtet wird.446 Hermann Regner schreibt in einem Kurzbericht über diesen Lehrgang: „Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß eine Information über das Orff-Schulwerk und eine angeregte Auseinandersetzung mit seinen pädagogischen Grundideen 1. die eigenständige Entwicklung der um ihre kulturelle Identität besorgten asiatischen Völker nicht stört, 2. durch das Studium der Grundlagen des Schulwerks eine Rückbesinnung auf das eigene kulturelle Erbe, auf Texte, Lieder und Tänze aus der eigenen Kultur eingeleitet werden kann, und 3. sowohl sachorientierte, auf Musik und Tanz bezogene, als auch verhaltensorientierte Richtziele des Schulwerks in Ländern Asiens sich decken mit den eigenen pädagogischen Vorstellungen, genauso wie 4. in Asien überlieferte musik– und tanzpädagogische, wie auch allgemein pädagogische Einsichten und Erfahrungen für unsere Arbeit von Bedeutung sein können.“447

Bemerkenswert ist, dass Regner eine Förderung der Erbes der eigenen Kultur durch das Orff-Schulwerk propagiert und zugleich eine Deckungsgleichheit der

444 Karin Schumacher, geb. Reissenberger absolvierte 1973 die Lehramtsprüfung für das Fach ‚Elementare Musik- und Bewegungserziehung‘ am Orff-Institut und arbeitete u.a. als Musiktherapeutin an psychiatrischen Kliniken. Seit 1984 ist sie Professorin an der Universität der Künste Berlin. 445 Hermann Regner (1928-2008) studierte Dirigieren und Komposition in Augsburg und Musikwissenschaft und Volkskunde an der Universität München. Bis 1964 war er Dozent an der Musikhochschule in Trossingen, danach lehrte er bis 1993 am OrffInstitut. Hermann Regner war ein sehr enger Mitarbeiter Carl Orffs und organisierte bis zu seinem Lebensende maßgeblich die Kontakte und Erweiterungen des Orff Schulwerks in alle Welt. 446 Orff-Schulwerk in aller Welt, Korea. 447 Regner, Hermann, (1976), S. 33.

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Richtziele des Schulwerks mit den Zielen „in Ländern Asiens“ annimmt. Aus dieser Äußerung lässt sich Regners Vorstellung ableiten, dass Musikpädagogik im Sinne von Carl Orff Menschen zu den Quellen seiner kulturellen Wurzeln zurückführt. Regner benennt diese Wurzeln aus musikpädagogischer Sicht „Texte, Lieder und Tänze aus der eigenen Kultur“. Was aber die eigene Kultur in (Süd-)Korea ist, ob sie in einem Traditionsstrang verläuft, wie der, aus dem Carl Orff in seinem Umfeld schöpfte, bleibt ebenso unbesprochen, wie die Konkretisierung der Aussage, die relativ undifferenziert von den Zielen „in Ländern Asiens“ spricht. Spätestens mit diesem Kurs beginnt eine institutionelle Zusammenarbeit, die – wenn auch bis zur Jahrtausendwende recht schleppend – im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Orff-Schulwerk Gesellschaft bis heute fortgeführt wird. In deren Folge erschienen weitere Publikationen. Wichtig ist hierbei das 1977 erschienene Buch von Chung Chung-Sik448 und Schwester Maria Michael Hwang.449 Es entstand in Reaktion auf den Kurs von Karin Reissenberger und Hermann Regner. Beide Autorinnen gaben das Buch mit Billigung von Carl Orff und Hermann Regner heraus. Orff sagte ihnen zu, dass sie ein paar Stücke aus dem Orff-Schulwerk übernehmen könnten, aber ansonsten sollten sie auf Lieder und Texte aus der koreanischen Musik zurückgreifen und sie musikpädagogisch ausgestalten. So kam es, dass in dieser Publikation neben Adaptionen aus dem deutschsprachigen OrffSchulwerk, das übersetzt 450 wurde, auch koreanische Instrumente, Lieder und (Wort-)Spiele auftauchen. Die danach folgende Rezeption des Orff-Schulwerks in wissenschaftlichen Veröffentlichungen speiste sich weiterhin hauptsächlich aus englischsprachigen oder japanisch verfassten Quellen. Dazu gehört z.B. Yu Dok-Hee.451 Yu Dok-Hee

448 ‚Chung, Chung-Sik‘ würde nach korrekter Transkription ‚Jeong, Jeong-Sik‘ geschrieben, im Buch wird sie jedoch so angeführt. 449 Chung, Chung-Sik; Hwang, Myong-Ja (1977). 450 Dies geschah nicht ohne Fehler, wie Cho Suni (1999, S. 52) darstellt. Inhaltlich besteht der Band aus einer Erklärung des Klatschens, Stampfens und Patschens; der Einführung von Sprechübungen und Melodiebildungen in einer Verbindung mit Begleitung durch rhythmische Ostinati. Es folgt die Vorstellung des gesamten Orffschen Instrumentariums und ihre Handhabung mit Fotos von koreanischen Schüler(innen). Dem schließt dich eine Einführung der Rhythmik-Instrumente und dialogische Spielstücke mit Ostinati an. Danach werden die Melodieinstrumente vorgestellt mit Übungsstücken und Stücken, in denen die Melodieinstrumente begleiten. Dabei werden einige koreanische Kinderlieder genutzt. Zum Schluss werden einige Stück aus dem deutschen Orff-Schulwerk Bänden angefügt. 451 Yu, Dok-Hee (1983).

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ging darin auch auf Carl Orff ein, dessen Anliegen sie anhand der Publikation von Chung Chung-Sik und Schwester Maria Michael Hwang untersuchte. Ein anderes Beispiel ist der Aufsatz von Lee Yeon-Hee.452 Auch sie förderte für ein Fachpublikum das Interesse an der Orff-Pädagogik. Einen knappen Überblick zur weiteren Rezeptionen bietet hier die Dissertation von Cho Suni.453 Interessant ist dabei, wie in diesen publizierten Rezeptionen Zentralbegriffe des Orff-Schulwerks interpretiert wurden. Ein Begriff wie ‚elementar‘ wird in manchen Arbeiten454 materiell als ‚Elemente der Musik‘ verwendet und nicht als im Orffschen Sinne „vorgeistig“. Das Erlernen von Musik über Sprache und körperliche Aktivität wird von Forscher(innen) akzeptiert. „Aber auf die rhythmischen Bewegungsübungen in der Verbindung mit dem ‚Tanz‘ wird kaum verwiesen.“455 Improvisation wird vor allem im Zusammenhang mit Instrumentalspiel genutzt; bei einigen werden auch – in z.T. direkter Analogie mit ihren englischsprachigen Quellen, die dann nur mit koreanischen Wörtern versehen wurden – koreanische Wortspiele eingeführt. Die Verwendung von Ostinati und Bordunspiel wird als sinnvoll bezeichnet, soweit es als einfaches Mittel zur Weiterführung in Melodie- und Rhythmusbildungen dienen, und als bedenklich, sobald es zu mechanischem Auswendiglernen führt. Viel Aufmerksamkeit wird dem Instrumentarium geschenkt. Cho Suni berichtete im Gespräch mit dem Autor, dass heute viele der sich an Schulen und Hochschulen Südkoreas mit dem Orff Schulwerk beschäftigten Personen dieses als Vorbereitung auf den Instrumentalunterricht ansähen und die dahinter liegende Konzeption nur im Hinblick auf dieses Ziel interpretierten. In ihrer Publikation beendet Cho Suni ihre Darlegungen zur Rezeption mit der Feststellung: „Trotz allem wurde die Anregung und Forderung Orffs, die Idee seines Schulwerks mit den einheimischen volkstümlichen Instrumenten, mit einheimischen Volks- und Kinderliedern, der Muttersprache und mit den im Alltag zu findenden musikpädagogischen Stoff in jeder

452 Lee, Yeon–Hee (1984). 453 Cho, Suni (1999), S. 54-64. 454 Eine solch andere Rezeption des Begriffes ‚elementar‘ liegt z.B. bei Chung, Se-Mun (1968) vor. 455 Cho, Suni [1999], S. 60. Und sie schreibt weiter: „Den Grund dafür sieht z.B. KimJong-Hwan in folgendem Sachverhalt und kritisiert: Koreanischer Musikunterricht habe sich von alters her nur auf Gesang (Singen) konzentriert, und deshalb sei es schwierig, das Orffsche ‚System‘ oder die ‚Orff-Methode‘ in Korea anzuwenden. Somit scheint ein übergreifender Unterricht, der das Tanzen einbezieht, in den 70er Jahren und auch heutzutage noch nicht in wünschenswerter Weise verwirklicht worden zu sein.“ (a.a.O. S.60f.)

162 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN eigenen Kultur und Tradition weiter zu entwickeln von allen Orff-Forschern in Korea fast einhellig als umsichtig begrüßt und entsprechend aufgenommen.“456

Um die Jahrtausendwende nahm die Zusammenarbeit bezüglich der Musikpädagogik, die sich auf Carl Orff beruft, zwischen den deutsch/österreichischen und US-amerikanischen Institutionen mit den Personen und Institutionen in Südkorea richtig Fahrt auf. Denn einerseits kamen an deutschen und österreichischen Institutionen ausgebildete Musikpädagog(inn)en nach Südkorea zurück, andererseits hatte sich das gesellschaftliche wie politische Klima in Südkorea verändert. Vom 13. bis 18. August 2000 fand in Bucheon ein Kurs unter ausschließlicher Leitung von Koreaner(inne)n statt. Den Kurs mit 25 Teilnehmer(innen) leiteten Kim Kyu-Sik457, Kim Young–Jean, Chung Chung-Sik und Schwester Maria Michael Hwang. Darin flossen auch Ideen ein, die aus dem US Varianten des OrffSchulwerks stammten, da z.B. Kim Kyu-Sik das Orff-Schulwerk in Amerika kennen gelernt und in den davor liegenden Jahren bereits drei Kurse in Korea durchgeführt hatte. 2002 fanden Kurse in Bucheon, Daegu und Andong mit ca. 25 bis 30 Teilnehmern statt. Dazu wurden auch Dozent(inn)en aus Europa eingeladen.458 Am 12.Juni 2004 wurde die Koreanische Orff-Schulwerk Gesellschaft (KOSA) (䞲ῃ 㡺⯤㓦⻶⯊䋂 䡧䣢) gegründet und Schwester Maria Michaelis Hwang zur Vorsitzenden gewählt.459 Ab 2007 erscheint die von der koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift ‚Orff People Magazine‘. 2008 456 A.a.O., S. 64. 457 Kim Kyu-Sik leitete in Südkorea die Privatschule ‚Institut für Orff-Musikpädagogik‘. 458 Seminare der KOSA werden seit der Jahrtausendwende im Rahmen der Orff-Schulwerk Gesellschaft relativ regelmäßig abgehalten, soweit sich genügend Interessent(inn)en finden. Die Kurse haben zwischen 10 und 50 Teilnehmer(innen). Oftmals wurden dazu auch europäische oder US-amerikanische Dozent(inn)en eingeladen. Die eintägigen bis einwöchigen Kurse finden fast immer in den Großstädten (Seoul, Daegu, Daejon u.a.) statt. Die Teilnehmer(innen) entstammen im Wesentlichen (musik-)pädagogischen Berufen und sind Universitätsprofessor(inn)en, (Musik-)Pädagogikstudent(inn)en, Musikstudent(inn)en, Musiklehrer(inn)en, Musiktherapeut(inn)en und Kindergärtner(innen). Auch Ordensschwestern sind darunter. Es ist immer wieder erstaunlich, wie der Transfer europäisch-amerikanischer pädagogischer Systeme sehr oft gerade von Vertretern christlicher Denominationen gefördert wird. Die Begründung dafür kann hier nicht untersucht werden, wäre aber eine Erforschung allemal wert. 459 Überlegungen, eine Orff-Schulwerk Gesellschaft zu gründen, gab es schon seit Mitte der 1970er Jahre. Sie verliefen aber wenig erfolgreich. Hermann Regner schrieb 1981 in einem Brief an Chung, Chung-Sik und Schwester Maria Michaelis Hwang: „Es ist

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wechselte der Vorsitz der Orff-Schulwerk Gesellschaft zu Frau Kim Young Jeon460, 2012 wurde Lee Hee Sook zur Präsidentin gewählt. In den folgenden Jahren wurden Zertifizierungskurse für Lehrer(innen) angeboten. Darüber hinaus gibt es zahlreiche öffentliche und private Bildungsstätten, die im Bereich der elementaren Musikpädagogik tätig sind, aber keinen direkten Kontakt zur koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft pflegen. Ein größeres Unterfangen ist das seit 2002 stattfindende Ausbildungsabkommen zwischen einer sehr großen Privatschule, einem Hagweon, und einer deutschen Akademie. Anders als in der Fortbildung der koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft, die ihre Kurse in Südkorea anbietet und dafür auch Dozent(inn)en von außerhalb Südkoreas einlädt, verlief die Zusammenarbeit in diesem Abkommen über sieben Jahre derge-

von hier aus nicht zu beurteilen, ob es richtig ist, ein eigenes Zentrum zu gründen. Gibt es nicht Institutionen, die bereit sind, eine Abteilung für Orff-Schulwerk einzurichten? Ich denke dabei natürlich an die Verbindung des Orff-Instituts mit der Hochschule ‚Mozarteum‘. Dadurch ist es uns gelungen, dem Orff-Schulwerk einen ständigen und vom Staat finanzierten Platz an einer anerkannten Ausbildungsstätte für Musiker und Musiklehrer zu sichern. Bitte denken Sie darüber einmal nach und schreiben sie mir, in welcher Weise sie in Korea in der Lage sind, die Arbeit als eine offizielle, vom Staat genehmigte, anerkannte und subventionierte betreiben zu können. Es wird sicher nicht bei der Beantwortung von Fragen bleiben. Sie werden dort auch Kinderkurse einrichten. Sie werden dort Fortbildungskurse für Eltern und Erzieher betreiben wollen. Bald wird auch der Wunsch auftauchen, solche Kursteilnehmer mit einem Zeugnis auszustatten. Wenn Sie von Anfang an dieses Zentrum als eine private Einrichtung führen, wird ein solches Zeugnis den Absolventen nicht allzu viel nützen. Vielleicht wollen Sie mir dazu noch einmal schreiben. Haben Sie schon wegen einer Stiftung mit dem Leiter des Goethe-Instituts, mit dem Kulturattachée der deutschen Botschaft gesprochen? Vielleicht sollten Sie da Kontakte aufnehmen. Auch mit der österreichischen Botschaft sollten Sie diesen Plan beraten.“ (Regner, Hermann [1981]) 460 Kim Young Jeon studierte in den USA und protegierte US-amerikanische Ideen in der KOSA. Das führte zu Differenzen innerhalb der KOSA, sodass sich ein Teil der südkoreanischen Dozent(inn)en von der Arbeit in der KOSA zurückzogen. „Although this is very stimulating, there have been many problems concerning the commercialization of Orff-Schulwerk on one hand and its real meaning, its philosophical and pedagogical concept beyond just using or selling ‚Orff Instruments‘. I understand my mission as president as one of information and diffusing the educational ideas of the Schulwerk.“ (Kim, Young Jeon [2009], S. 69f.)

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stalt, dass die Lehrer(innen) zunächst einen vier- bis sechswöchentlichen Intensivkurs in Deutschland durchliefen, darauf folgend in Südkorea unterrichteten, um danach in Südkorea von den aus Deutschland kommenden Dozent(inn)en einer Supervision unterzogen zu werden und eine weitere Fortbildung zu bekommen.461 Die Dozent(inn)en fuhren durch Südkorea und besuchten den Unterricht in den diversen Unterrichtsstätten (Kindergärten und Musikschulen). Dem folgten dann Nachgespräche und teilweise waren sie auch bei Elterngesprächen dabei. Die Dozent(inn)en wurden öfters dazu angehalten, vor interessierten Personen Informationsvorträge zu halten und z.T. auch auf Wunsch der Dozent(inn)en Unterricht zu geben. An der Seite der Dozent(inn)en war immer ein(e) Dolmetscher(in). Rein quantitativ übertraf anfangs die Anzahl der Stunden die der Fortbildung in der koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft. Ob qualitative Unterschiede auftreten, war mit den vorhandenen Möglichkeiten, Daten zu erheben, nicht zu beurteilen. Eine diesbezügliche Bitte um Mithilfe bei der Verteilung der Umfragebögen wurde von Vertretern der KOSA abschlägig beschieden. Beide Ausbildungsgänge entsprechen sich in Vielem und sind inhaltlich und formal vor allem seitens der Dozent(inn)en strukturiert worden. Den Dozent(inn)en werden in beiden Fällen nur sehr selten Vorgaben gemacht, was sie unterrichten sollen. Die KOSA wie das Hagweon bilden vornehmlich für den Privatschulsektor aus. Unterschiede bestehen vor allem in der Zielökonomie. Bei der koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft steht die Orff-Schulwerk Gesellschaft Pate, die an der Verbreitung der Pädagogik im Sinne von Carl Orff interessiert ist. Am Ausbildungsgang der KOSA nehmen Personen teil, die aus privatem, eigenem Interesse oder im Auftrag von einzelnen Institutionen dorthin kommen. Die ökonomischen Interessen der Fortbildung stehen dadurch in der Regel nicht sofort im Vordergrund. Allerdings stehen auch die Teilnehmer(innen) der angebotenen KOSA-Kurse unter ökonomischen Zwängen. Die Kurse sind teuer und die Teilnehmer(innen) sind spätestens beim Einsatz des Gelernten dazu gezwungen, die erlernten Methoden und Inhalte mit der Realität zum Broterwerb in eine Verbindung zu bringen. Die direkt von einem Hagweon betriebene Fortbildung arbeitet dagegen von Anfang an profitorientiert. Die Lehrer(innen) sind beim Hagweon angestellt oder inzwischen zum Teil auch freiberuflich tätig und treten im Block als Vertreter(innen) einer Firma auf. Letztlich haben dadurch im Konfliktfall pädagogische, methodische, inhaltliche und formale Strukturen hinter ökonomischen Interessen zurück zu stehen.

461 Seit 2011 verläuft auch diese Zusammenarbeit wie bei der KOSA dergestalt, dass die Fortbildung gekürzt und teilweise komplett nach Südkorea verlagert wurde und die deutsch/österreichischen Dozent(inn)en auch hier direkt nach Südkorea kommen.

C ARL O RFF UND DIE

MUSIKALISCHE

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Der beim Hagweon angesiedelten Aus- und Fortbildung lag von Anfang an ein Curriculum zugrunde. Bei der ersten Anfrage im Jahr 2002 wollten die Vertreter des Hagweons, dass Dozent(inn)en der deutschen Akademie lediglich ein Curriculum schriftlich erstellten. Erst im Laufe der Verhandlungen wurde vereinbart, dass über den reinen Transfer eines schriftlichen Curriculums hinaus auch eine praktische Fortbildung sinnvoll wäre. Das schriftliche Curriculum wurde nach Südkorea transferiert, dort übersetzt und mit Bildern, Kinderheften und Elterninformationen versehen und gelangte so zur Anwendung. Es ist bis heute im Besitz des Hagweons und wurde nicht öffentlich publiziert. Selbst die deutschen bzw. österreichischen Ausbilder(innen) haben die Übersetzung nur teilweise einsehen können. Da 2002 die Inhalte des Curriculums in Deutschland ohne Kenntnisse der südkoreanischen Lebensumstände, Kultur und pädagogischen Realität verfasst wurden, beinhalten sie die Vorstellungen und Deutungen einer pädagogischen Realität, die der in Deutschland entspricht. So lag zunächst als ein ins Koreanische übersetztes und den deutschen Vorstellungen entsprechendes Curriculum vor. Dessen im Laufe der Zeit in Südkorea von den Vertreter(innen) des Hagweons vorgenommene Anpassung erfolgte, indem in wenigen Fällen inhaltliche und methodische Schritte leicht variiert wurden oder das Design (beiliegende Bilder, Elterninformationen etc.) gemäß der gerade in Südkorea entsprechenden Mode umgestaltet wurden. Es verblieben aber weitgehend die in Deutschland verbreiteten Inhalte wie z.B. ins Koreanische übersetzte Kinderlieder, die Verwendung von Tanzformen, die aus den europäischen Traditionen erwuchsen oder eben auch die Verwendung von Instrumenten wie die seit dem VdM Curricula als ‚typisch‘ für eine frühkindliche musikalischen Bildung geltenden Instrumente wie Xylophone, Rasseln etc. Diese werden seitdem in Südkorea auch entsprechend vermarktet. 2013 wurde in Südkorea ‚Musik und Tanz für Kinder, Manual für Lehrer erstes Jahr, Grundlagenbuch der Musikpädagogik, Unterrichtsstunden und Lehrmaterialien‘462 öffentlich publiziert. Es ist weitgehend eine Übersetzung der ersten beiden Bände von der Zweitauflage ‚Musik und Tanz für Kinder‘463 aus 2007. Allerdings werden insgesamt 47 koreanische Lieder und manche Bemerkungen eingefügt. Am Ende der Übersetzung werden darüber hinaus auch einige wenige im koreanischen Umfeld entstandene Lieder, die sich auf Musik bezüglich der Jahreszeiten in Südkorea sowie die Festen Seolnal (㍺⋶) und Chuseog (㿪㍳) beziehen, mit sehr kurzen Verweisen angefügt. Die dazu gehörenden Kinderhefte sind in Gänze eine Übersetzung der im deutschsprachigen Raum verwendeten Hefte.

462 Rosensteiner, In-Hye; Lee, Hee-Sook (2013). 463 Nykrin, Rudolf; Grüner, Michaela; Widmer, Manuela (2007); dies. (2008).

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Auch die Bilder und Illustrationen entstammen der deutschsprachigen Vorlage. Die beigefügte Doppel CD unterscheidet sich durch Weglassung von Stücken und in 9 Fällen gibt es eine Übersetzung der Liedtexte ins Koreanische. Beide, das nicht veröffentlichte Curriculum des Hagweons und die öffentlich publizierte Übersetzung von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ gehen damit den gleichen Schritt, aus dem deutsch/österreichischen entstammende Inhalte und methodische Ideen sprachlich ins Koreanische zu übersetzen und diese dann in Südkorea anzuwenden. Ein paar Verweise an die Lehrer(innen) werden angefügt. Eine grundsätzliche Veränderung der Inhalte wird nur sehr zaghaft vorgenommen. Beide sind nicht eine aus der südkoreanischen Realität heraus neu geschaffene Publikation, sondern sind in der Absicht geschaffen, den Transfer eines musikpädagogischen Modells zu bewerkstelligen. In-Hye Rosensteiner, eine der beiden Übersetzerinnen der südkoreanischen Ausgabe von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ schreibt: „Unser Anliegen bei der Übersetzung war nicht nur eine Übertragung ins Koreanische, sondern wir wollten damit auch die fachlichen und methodischen Gedanken des Orff-Schulwerks in Südkorea weiter verbreiten und fördern. Es soll koreanische PädagogInnen ermutigen, entgegen des allgemeinen Drucks des leistungsorientierten Gesellschafts- und Bildungssystems in Korea, den spielerischen, prozessorientierten Unterricht zu fördern. Das Werk soll Impulse geben, aus den Themenbausteinen individuelle Stundenbilder zu erstellen, eigene Ideen auszuprobieren und für koreanische Kinder geeignete Unterrichtskonzepte zu entwickeln.“464

Danach geht es den Übersetzer(inne)n auch um eine Veränderung der Bildungslandschaft. Um zu erforschen, ob und wie eine Veränderung greifen kann, wo also die Möglichkeiten und Grenzen solch einer Übertragung sind, muss sich der Fokus im folgenden Kapitel – nachdem das deutsche Umfeld beschrieben wurde – auf das südkoreanische Umfeld richten.

464 Rosensteiner, In-Hye (2014), S. 48.

3. Einflussgrössen auf Gesellschaft, Bildung und Erziehung in Südkorea

Nachdem im vorherigen Kapitel dargelegt wurde, in welchen Zusammenhängen die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff entstand und wie sie zu charakterisieren ist, geht es in diesem Kapitel um den Kontext in Südkorea, in dem die musikalische Früherziehung unterrichtet und durchgeführt wird. Dabei kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht die Frage nach einer kulturellen Identität Südkoreas im Zusammenhang mit historischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen umfassend beantwortet werden. Im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema sind aber die Kontexte in Alltag und Erziehung und die darin zu vermittelten Werte465 sowie deren Ausgestaltungen in Normen466 soweit darzulegen, dass Lehren und Lernen darin verortet werden können. Die Darstellung der Wertigkeiten und Ansichten hilft Schnittstellen wie Bruchstellen des Transfers besser zu erklären.

465 Werte sind „grundlegende bewusste oder unbewusste Vorstellungen vom Wünschenswerten, die die Wahl von Handlungsarten und Handlungszielen beeinflussen. […] Soziokulturelle Werte als zentrale Elemente der Kultur einer Gesellschaft dienen den durch Instinktreduktion und Verhaltensunsicherheit gekennzeichneten Menschen als generelle Orientierungsstandards. […] Je widerspruchsfreier Werte aufeinander in einem Wertesystem oder in einer Wertehierarchie bezogen sind, desto stärker ist die Integration und Stabilität der Gesellschaft.“ (Schäfers, Bernd [2003], S. 435) 466 „Normen sind allgemein geltende und in ihrer Allgemeinheit verständlich mitteilbare Vorschriften für menschliches Handeln, die sich direkt oder indirekt an weit verbreiteten Wertvorstellungen orientieren und diese in die Wirklichkeit umzusetzen beabsichtigen. Normen suchen menschliches Verhalten in Situationen festzulegen, in denen es nicht schon auf andere Weise festgelegt ist. Damit schaffen sie Erwartbarkeiten. Sie werden durch Sanktionen abgesichert.“ (Bahrdt, Hans Paul [2003], S. 49)

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Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Lehrer(innen) wie Schüler(innen) der musikalischen Früherziehung in Südkorea in eine spezifische schulische Sozialisierung eingebunden sind. Daher gilt es herauszuarbeiten, welche Rolle die Bildungsvorstellungen und deren Ausgestaltung in schulischen Konzepten in ihrer jeweiligen Zeit gespielt haben und welche Ziele, Inhalte und Methoden daraus abgeleitet wurden. Denn sie sind in Südkorea ein Referenzrahmen, in dem die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff gedeutet, durchgeführt und gewertet wird. Das Verständnis des Kontextes ist wichtig, weil darin Parameter für das Reflektieren und Verstehen der hier untersuchten Geschehnisse aufgezeigt werden können.467 Mit einer größeren Kontextualisierung sollen verkürzte Ansichten, Essentialisierungen und vorschnelle Deutungen468 verhindert werden. Zudem gab und gibt es in Südkorea große Veränderungen in unterschiedlichen, multipolaren Formen und dies in – im Verhältnis zu Europa – recht kurzer Zeit. Kontextuale Deskriptionen sind so immer nur temporär gültig.

3.1 E INFLUSSGRÖSSEN IN S ÜDKOREA

AUF DIE

G ESELLSCHAFT

Es gibt verschiedene Traditionen, aus denen Menschen in (Süd-)Korea Werte entlehnen, aus denen dann Normen abgeleitet werden. Oft wird hier der ‚Konfuzianismus‘ genannt. Doch Umgangs- und Denkformen in Südkorea sind allein aus einem noch näher zu beschreibenden Konfuzianismus heraus nicht zu klären. Auch andere Weltanschauungen und Religionen469 beeinflussen die Verhaltens-

467 Siehe dazu auch Helms, Siegmund [1994], S. 151ff. und Clausen, Bernd (2009), S. 33ff. 468 Dazu zählen alle Formen des Schwarz-Weiß Denkens, dessen Dualität Gegensätze aufbaut, sie essentialisiert und daraus wiederum Erklärungen für Differenzerfahrungen ableitet. Solche Denkmuster lauten dann in Europa z.B. ‚Ost gegen West‘, was dann als ‚Lerneifer gegen Nachdenken‘, ‚Kopieren gegen Neuschaffen‘ usw. dargestellt wird; in Südkorea gibt es z.B. ‚West gegen Ost‘, was dann als ‚Egoismus gegen Altruismus‘, ‚Sittenlosigkeit gegen Sittlichkeit‘ u.a. gedeutet wird. 469 Mit ‚Religion‘ (von religere = zurückbinden oder laut Cicero von relegere = wieder lesen) sind Formen und Inhalte der Suche eines Menschen nach metaphysischen Wegen, Erkenntnissen und Glaubenshaltungen gemeint. Darin eingeschlossen sind Ordnungs- und Sinnfragen, z.B. die nach den Ordnungen der diesseitigen und jenseitigen

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und Denkweisen der Menschen, die im kulturellen Umfeld Südkoreas sozialisiert sind und sich darin verorten. Dazu gehören Einflüsse aus dem Buddhismus, dem Schamanismus und – historisch relativ jung – dem Christentum. Zudem schaffen die Anforderungen des modernen Lebens in Südkorea Wertigkeiten, die zum Teil mit den traditionellen Vorstellungen schwer in Einklang zu bringen sind. Denn auch die Zeit der Besatzungen, der Militärregierungen und der Ökonomisierung des Landes haben Spuren hinterlassen. Die dabei entstehenden Reibungen führen zu Brüchen und Verständnisschwierigkeiten. Die koreanische Regierung ist deshalb seit Jahren damit beschäftigt, eine koreanische Identität nach innen wie nach außen470 zu fördern und darzustellen. Im Folgenden werden die Traditionen nicht in allen Details aufgeführt, sondern nur insoweit, als sie in Bezug auf das hier behandelte Thema relevant sind. Mit der Beschreibung von Einflussgrössen wird hier keine ethnisierende Deskription471 vorgelegt, sondern die Momentaufnahme in einem stetigen Veränderungsprozess.

Welt, der Lebenszusammenhänge auch über den Tod hinaus, letztlich die Beschäftigung bzw. der Suche nach transzendenten Wahrheiten. Eine Weltanschauung ist die Sichtweise auf die Welt als ein sinnvolles Ganzes, woraus sich dann ein Weltbild ergeben kann, das einen gesamten Ordnungs- und Sinnzusammenhang der erfahrenen Wirklichkeit beschreibt. In diesem Zusammenhang kann sich dann ein eigenes Lebensverständnis verorten. Der Unterschied zwischen Weltanschauung, Weltbild und Religion ist fließend, denn ob sich Ordnungs- und Sinnfragen auch in metaphysische Fragen ausdehnen, hängt von der kulturellen Umgebung und ggf. der davon beeinflussten persönlichen Disposition ab. 470 Als Beispiele für eine interne Förderung gibt es z.B. die Feiertage, die auch als Ausdruck koreanischer Identität wahrgenommen werden. So werden Seolnal und Chuseog nach wie vor auch als Tage der Familie, Feste mit Verweisen auf einzelne Rollenzuweisungen (Kindertag, Elterntag, Lehrertag usw.) oder Nationalfeiertage (3.10. oder der 18.8. als Befreiungstag) als rituelle Festigung südkoreanischer Identität genutzt und gewertet. Mehr nach außen richten sich Aktionen wie ‚sparkling Korea‘ oder auch ‚Hallyu‘, aber auch die Exporterfolge von südkoreanischen Großkonzerne (LG, Samsung, Hyundai usw.) als Aushängeschild Südkoreas. 471 Mit ‚Ethnisierung‘ ist das Zuweisen von spezifischen Sollensvorstellungen auf Mitglieder anderer Kulturen gemeint. Aus solchen Deskriptionen eine essentielle Seinsweise „der Koreaner(innen)“ und „der Deutschen“ abzuleiten ist falsch. Wohl aber werden Grundlagen von Weltsichten genannt, aus denen unterschiedliche operative Handlungsweisen erklärbarer werden. Die Gefahr eines unreflektierten essentiellen Denkens, wie es u.a. bei einer Ethnisierung auftritt, besteht darin, Verhaltensweisen und pädagogische Handlungen als überzeitlich gegen andere Verhaltensweisen und

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3.1.1 Einflüsse aus dem Schamanismus Der Schamanismus Musog (ⶊ㏣)472 ist eine Volksreligion, die vermutlich aus der zentralasiatischen oder sibirischen Gegend kommend schon zur Zeit der Gründung Koreas (2457 v. Chr.) existiert haben dürfte.473 Mit der Einführung des Buddhismus ab 372 n.Chr. verlor der Schamanismus zwar seinen offiziellen Stellenwert, denn seine Rituale wurden verworfen oder ins Abseits gedrängt. 474 Doch der Schamanismus wird heute noch praktiziert und hat mitunter großen Einfluss im alltäglichen Leben, auch wenn er nicht offiziell gefeiert wird. 475 Dies liegt möglicherweise daran, dass er eine auf einen Götter- und Geisterglauben gegründete Religion ist, die unterdrückte Gefühle freisetzt und einer Katharsis unterzieht und so einen kompensatorischen Gegenpol zu den mitunter rigorosen Pflichten und Anforderungen des südkoreanischen Alltags bilden kann. Während der Buddhismus und später der Konfuzianismus zur Staatsreligion erhoben und dadurch tradiert wurden, ist die Idee und der Glaube des Schamanismus eher von den Menschen durch ihre alltägliche Gewohnheiten und Deutungsmuster bewahrt worden. Der Schamanismus nahm viele Elemente anderer Religionen in sich auf und gab auch Riten und Inhalte an andere Religionen ab. 476 Ohnehin ist in Südkorea wie auch in China ein eher undogmatisches Verhältnis zur Religion anzutreffen. In

pädagogische Handlungen, die dann oftmals ebenfalls überzeitlich gedacht werden, in Stellung zu bringen. Eine solche Abgrenzung nach außen schärft zwar die Konturen, was für ein Aushandeln von Deutungen wichtig ist. Sie wird aber ohne das Regulativ einer zeitlichen Begrenzung und Verhandelbarkeit zur Erstarrung führen. Solches Denken auf Dauer behindert Verständigung und ist dadurch (gesellschafts-)politisch gefährlich. 472 ‚Musog‘ umschreibt die Methode, die Zeremonie und die Lebensart im Schamanismus. Oft wird auch der Begriff Musul (ⶊ㑶) gebraucht. Damit ist aber eher die Ausführung des Schamanismus in den Zeremonien Kut (῕) gemeint. Und es gibt den eher abwertenden Begriff Misin (⹎㔶). Damit wird ein Aberglaube bezeichnet. 473 Nach Son, In-Su (1991). 474 Hwang, Lucy (2001), S. 52. 475 So kann es in Südkorea auf einer Bergwanderung passieren, dass, wenn sich ein Wanderer verlaufen hat, dieser nicht mit Namen gerufen wird, weil sonst die Berggeister wissen, wer da ist und ihn ergreifen könnten. Dahinter stehen Vorstellungen aus der schamanischen Gedankenwelt. 476 „Grundsätzlich sind alle in Korea relevanten Religionen miteinander durch die schamanischen Wurzeln der koreanischen Religiosität verbunden.“ (Lee-Peuker, Mi-Yong [2004], S. 115); eine Ausnahme bildet laut Lee-Peuker lediglich der Islam.

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allen Religionen sind synkretistische Elemente anzutreffen.477 Die Zugehörigkeit zu einer Religion ist – außerhalb des Christentums478 – in der Regel nicht an eine institutionelle formale Zugehörigkeit oder ein Bekenntnis gebunden. Vielmehr zeigt sich eine Religionszugehörigkeit eher an einer bestimmten Haltung und ggf. Lebensführung.479 Der Schamanismus ist eine wichtige Einflussgröße, weil viele Religionen ihre Repräsentationen aus seinen Traditionen ableiten und seine Denkweisen unausgesprochen bis heute wirkmächtig sind. „Im Allgemeinen besteht der Schamanismus aus vier Faktoren: Gottheit, Schamane und Anhängerschaft, die in der Zeremonie miteinander verbunden sind.“480 Es gab vermutlich nie den Schamanismus, sondern nur einen Schamanismus in einer bestimmten Zeit. Durchgehend ist die Vorstellung, dass ein Mensch im Einklang mit einer vorgestellten Natur steht. Jeder Gegenstand, ob Baum, Stein, alles physisch Existierende ist nach schamanischem Glauben mit Göttlichem versehen. Darüber hinaus gibt es diverse Götter und Geister, die in den jeweiligen Gegenständen und Gegenden leben, die sogenannten Sansillyeong (㌆㔶⪏).481 Diese Naturidee wird aber auch in einer

477 „Mit der Entstehung einer staatlichen Organisation wurden im koreanischen Schamanismus jedoch zwei Phänomene sichtbar: Eine Differenzierung in Staatsschamanen und Volksschamanen einerseits und ein Synkretismus mit den aus China eingeführten Religionen, wie Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus andererseits.“ (Cho, Hung-Youn [1982], S. 122; s.a. Stoffel, Berno [2001], S. 9) 478 Vor allem die protestantischen Christen haben den Schamanismus angegriffen, weil sie deren Welt ablehnen. Gleichwohl weisen viele der in Südkorea praktizierten Gottesdienstverläufe bisweilen Ähnlichkeiten mit den schamanischen Riten wie z.B. die katharische Wirkung von religiösen Abläufen auf. Allerdings sind die dort ausgelösten Tranceerlebnisse nicht gleich. „Während die Trance-Besessenheit im koreanischen Schamanismus als typischer Ausdruck von extremen Umständen sehr intensiv und ursprünglich ist, zeigt sich im Christentum und in den neuen Religionen in einer künstlichen Umgebung, die von den Glaubensbekenntnissen und Ritualen ihrer Gründer geprägt ist, welche als Persönlichkeiten der Geschichte zum Verursacher der Besessenheit werden. Folglich unterscheidet sich solche Trance-Besessenheit von der des Schamanismus.“ (Kim, Tae-Kon; Chei, Woon-Jung [2001], S. 31). Das katholische Christentum findet in seiner Struktur Anknüpfungspunkte mit dem Schamanismus, da die vielen Heiligenverehrungen zumindest Ähnlichkeiten mit den vielen ‚schamanischen Geistern‘ aufweisen. 479 Wippermann, Carsten (2000), S. 69. 480 Lee, Joung-Jae (1998), S. 111. 481 Diese Sansillyeong werden manchmal ikonographisch als alter Greis (eine alte mythologische Gestalt) in einer Bergweltlandschaft dargestellt, u.a. wurde der legendäre

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kosmischen Dimension (Schicksal) 482 gedacht und mit Beziehungsgeflechten innerhalb der Gesellschaft, mit ethisch-moralischen Bezüge zwischen Menschen, vor allem dem Familienmodell, verbunden. So ist auch der Ahnenritus ein Bestandteil schamanischer Religiosität. Danach sind Menschen nach ihrem Tod weiter wirksam und beeinflussen alle möglichen Geschehnisse im Leben. Die Priester(inne)n des schamanischen Glaubens, die Mudang (ⶊ╏) vermitteln zwischen den im Diesseits Lebenden und den Ahnen im Jenseits und zeigen Wege auf, wie Menschen Konflikte lösen können. All dies weist erhebliche Ähnlichkeiten zu buddhistischen und konfuzianischen Ideen auf; bisweilen sind sie von der phänomenologischen Ideenwelt kaum voneinander zu unterscheiden. Die Schaman(inn)en haben heute immer noch eine Beratungsfunktion, die teilweise über eine spirituell-religiöse Funktion hinausgeht. Zuweilen nehmen sie Funktionen wahr, die in Europa oder den USA Seelsorger oder Therapeuten abdecken. Anders aber als die Psychotherapeuten, denen es um eine Lebensfähigkeit durch das Erkennen der eigenen Aktionen und Reaktionen zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit geht, ist das Ziel der Schaman(inn)en in erster Linie nicht der Selbstfindungsprozess, sondern „dass hauptsächlich die (Re)Integration des Individuums, die gefühlte Zugehörigkeit zu eine Gemeinschaft mit kollektiver Identität, im Mittelpunkt der Aktivitäten steht. […] Auf diese Weise werden dem Wertepluralismus und der fragmentierten Sozialwelt der modernen Gesellschaft traditionelle Konzepte der Problemlösung und Orientierung entgegengestellt, die offensichtlich auf fruchtbaren Boden fallen, weil gerade der Verlust tradierter Lebensfor-

erste König Koreas Dangun (┾ῆ㢫Ỗ) nach seinem Tod zum Sansillyeong. Sie sind Symbol für die Bereitschaft des Menschen, in einer außerhalb des Menschen existierenden Natur zu leben; heute sind sie damit auch Symbol für die Harmonie zwischen Mensch und Natur. Auf diese Zusammenhänge greift z.B. die südkoreanische Ökologiebewegung zurück. 482 Hier ist ein Konfliktpotential, wenn Menschen nur innerhalb eines bestimmten Spielraumes handeln können. Die theologische Diskussion, inwiefern ein Mensch frei ist zu entscheiden und inwiefern er ein vorbestimmtes Leben hat, ist nicht genuin koreanisch, sondern auch in anderen Auseinandersetzungen immer wieder geführt worden (z.B. in der calvinistischen Lehre der Vorherbestimmung und anderen religiösen Richtungen). Die aktuelle koreanische Erziehung aber zielt eher darauf ab, dass ein Mensch sein Leben durch Bildung verbessern kann und das Schicksal überwinden kann. Das widerspricht teilweise schamanischen Lehren.

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men, die in den letzten Jahrhunderten maßgeblich von den inzwischen als überholt geltenden konfuzianischen Morallehren beeinflusst worden sind, als Destabilisierung von individuellen und sozialen Identitäten wahrgenommen wird.“483

Heute wird der Schamanismus in Südkorea unterschiedlich bewertet.484 Manche ordnen ihn bestimmten Gesellschaftsschichten485 zu oder er wird bestimmten Dichotomien zugerechnet. 486 Wieder andere erklären seinen Wert in einem Paradox. 487 Einerseits werden Schaman(inn)en verachtet, andererseits gehen Menschen zu Schaman(inn)en488, obwohl der Schamanismus keine offizielle Religion

483 Schlottmann, Dirk (2007) S. 449f. Der Aussage des Autors, dass konfuzianischen Morallehren als „überholt“ gelten, kann hier nur teilweise zugestimmt werden. Richtig ist sicherlich, dass es viele Menschen gibt, die dem teilweise rigiden Konzept der Einweisung in seine Rollen durch die konfuzianischen Morallehren entfliehen wollen. Andererseits aber haben viele Menschen genau diese Vorstellungen durch Erziehung und Alltagsleben längst internalisiert und drücken allein durch ihr (von vielen auch erwartetes) Verhalten mit konfuzianischen Ideen verwandte Lebenseinstellungen aus. Es ist durchaus noch üblich, dass die Verbeugungen vor den Eltern zu den Festtagen durchgeführt werden oder die Rolle der Frau der des Mannes zwar juristisch inzwischen gleichberechtigt, im Alltag jedoch nicht gleich ist (Bezahlung im Beruf, Konversation zwischen Männern und Frauen usw.). 484 Inzwischen nimmt der Schamanismus eine Rolle als (auch touristisch gut zu vermarktender) Ausdruck nationaler Kultur und Identität ein. Aber die Aktivitäten gehen eben weit über den touristischen Anteil hinaus. 485 „Korean shamanism is a professional elaboration upon Korean household religion. Shaman and housewife perform analogous tasks and deal with the same spirits.“ (Kendall, Lauren [1985], S. 166) 486 „The psyche is composed of a number of contrasting elements – the rational and the emotional, the masculine and the feminine, the phenomenal and the superphenomenal. What Korean shamanic elements do and will continue to do is activate the latter elements in each of these dichotomies.“ (Rhi, Bou Yong [1992], S. 35) 487 „Shamanism is superstition, so it should not be used. Shamanism is not superstition, because it is actually used. Again, Shamanism is superstition, so paradoxically, it is used.“ (Kim, Chong-ho [2003], S. 223 u.ö.). 488 Cho, Hung-Youn (1982), S. 124 u.ö. Um das zu verstehen, sollten wir laut Kim Chong-Ho erkennen „that we can only make sense of shamanism if we first recognize that, in rational terms, shamanism does not make sense. It is this irrationality of shamanism that makes it unacceptable, but it is the same irrationality that makes useful to ordinary people, who reject it but still use it when they find themselves in the ‚field

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ist, sondern eher als Aberglaube Misin (⹎㔶) gilt.489 Der Schamanismus wird als Kulturerbe geschätzt und ist eine lebendige religiöse Erscheinung. 490 „Im neuen Millennium haben koreanische Schamaninnen alternative Wege gefunden, ihre herkömmlichen Aufgaben in eine veränderte Gesellschaft zu integrieren und auf diese Weise konsequent für den Erhalt und die Kontinuität schamanischer Ritualpraxis gesorgt. Diese Entwicklung ist zum Teil das Ergebnis eines ethnisch-nationalen Selbstfindungsprozesses, der bereits während der japanischen Besatzungszeit begonnen hatte, als Musog von den Japanern verfolgt wurde. Die Suche nach kulturellen und nationalen Wurzeln, bei der sich die Vorstellungen von Nation und Nationalkultur des Landes zu Bezugspunkten in einem oft politisch motivierten Differenzierungsprozess entwickelten, der die Zugehörigkeit zu einer bewusst konstruierten Gemeinschaft einerseits über die Abgrenzung von ‚dem Fremden‘ und andererseits durch die Wahrnehmung der Anderen konstatierte, förderte das Interesse am koreanischen Schamanismus, der abwechselnd als Protestkultur, urkoreanisches Kulturgut, Symbol gegen kulturelle Globalisierung oder auch als Quelle indigenen Kunstformen verstanden wurde.“491

of misfortune‘. This is the message from the cultural paradox of Korean shamanism.“ (Kim, Chong-ho [2003], S. 225) 489 Keine anerkannte Religionsgemeinschaft zu sein, ergibt ökonomische Nachteile, weil die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft Steuervorteile nach sich zieht. 490 Quasi aus der Normativität des Faktischen bewertet dies Rudolf Kranewitter: „Allen Religionen liegt eine Religiosität zugrunde, die nicht als Religion im eigentlichen Sinn deklariert ist, keine schriftlich überlieferte Lehre und nur ansatzweise über organisatorische Strukturen verfügt: die am Schamanismus orientierte Religiosität. Der Schamanismus stellt den Nährboden dar, von dem die etablierten Religionen zehren, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Die religiösen Funktionäre des Schamanismus, die Schamaninnen haben den Modernisierungsprozeß nicht nur überstanden, sondern sind gestärkt daraus hervorgegangen. Schamaninnen sind im Jahr 2000 in allen sozialen Schichten der Gesellschaft präsent und vollziehen ihre Riten, auch in höchste Politikerkreisen und Manageretagen. Übers Internet sind sie jederzeit erreichbar. Die soziokulturellen Elemente, die vom Schamanismus getragen werden, erweisen sich sehr häufig als wichtige Ansatzpunkte bei der Durchsetzung demokratischer Wertvorstellungen.“ (Kranewitter, Rudolf [2005], S. 484) 491 Schlottmann, Dirk (2007), S. 447. Zur Rolle des Schamanismus als Teil der Protestkultur siehe auch Pak, Hee Seok (2009).

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3.1.2 Einflüsse aus dem Buddhismus Der Buddhismus Bulgyo (⿞ᾦ) in seinen einzelnen Gestalten wirkt in Asien länderübergreifend, fand jedoch in jedem Land eine ländertypische Ausprägung. So kann auch in Korea von einer Art ‚koreanischen Buddhismus‘ gesprochen werden. Er kam vor allem als Mahayana Buddhismus 372 n. Chr. über China nach Korea.492 535 wurde der Buddhismus zur Staatsreligion, der die Zentralgewalt des Königs stärkte. Er war im Einheitsstaat Shilla (䐋㧒 㔶⧒) (668–936) und über die meiste Zeit in der Goryeo (ἶ⩺) Dynastie (918–1392) hinweg eine der Säulen des Staates493 und wurde neben dem koreanischen Hof auch vom Adel unterstützt. Seine Vertreter mischten sich zunehmend nicht nur in Kunst, Bildung und Moralvorstellungen, sondern auch in die Staatsgeschäfte ein. 958 führte König Gwangjong (ὧ㫛, 籦褒) ein buddhistisches Examen ein, wodurch er eine institutionelle Verbindung zwischen Buddhismus und Staat knüpfte. Die buddhistische Lehre wurde koreanischen Weltsichten angepasst und mit bereits in Korea ansässigen Formen der religiösen Kulthandlungen, vor allem mit schamanischen Elemente wie z.B. die Adaption einheimischer Götter als Erscheinungsformen Buddhas Bodhisattvas verbunden.494

492 Er kam zunächst in das koreanische Gogureyo-Reiches (ἶῂ⩺) (37 v. Chr. ˀ 668 n.Chr.) (㑲☚, 菲纊) und in das Königreich Paekche (⺇㩲) (18 v. Chr.ˀ660 n. Chr.) (Kranewitter, Rudolf [2005], S.116ff.). 493 Aber der Buddhismus ist nicht die alleinige Instanz. Der Buddhismus war lange Zeit eher eine Religion der herrschenden Klasse, zumal nur die herrschenden Eliten die Möglichkeit hatte, die in Chinesisch abgefassten Schriften überhaupt zu lesen. Die Mehrheit der Bevölkerung blieb den althergebrachten Riten des Schamanismus weiterhin zugewandt. Und „diese religiös-moralische Rechtfertigung erfolgte nicht durch Schaffung einer einheimischen staatstragenden Religion, sondern durch die Einführung und staatliche Verbreitung des chinesisch religiös-moralischen Rechtfertigungssystems, des chinesischen Mahayana-Buddhismus und des Konfuzianismus. Beide religiös-moralischen Systeme stellen jedoch nur den staatlichen Überbau für die schon seit der Zeit der Stammesherrschaften vorhandene religiöse Grundlage dar.“ (Kranewitter, Rudolf [2005], S. 123) 494 Nach Grayson, James H. (1989), S. 113. So wurden z.B. die schamanischen Götter des Regens und des Wassers und der Drachengott zu einem Hüter des Dharmas umgedeutet. Allerdings wurden nicht alle Götter aufgenommen oder umgedeutet. Andere Umdeutungen waren Kwanum (ὖ㦢), die Schutzgöttin der Barmherzigkeit im Buddhismus, die aus der Schutzgöttin des Ackerbaus umgedeutet wurde.

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Es gab aber nicht den Buddhismus in Korea. Er war in unterschiedliche Ausrichtungen gespalten. Klöster befehdeten sich teilweise auch untereinander. Hervorgerufen durch die große Macht der Klöster, diversen Machtmissbrauch des Klerus495 und einen Dynastiewechsel wurde der Buddhismus zu Beginn der Joseon Dynastie (㫆㍶) (1392–1910) zugunsten des Konfuzianismus unterdrückt.496 Auch in der Zeit nach der Öffnung Koreas 1876 fand der Buddhismus nicht mehr zu seiner alten Machtposition zurück.497 Im Zuge der Modernisierung Südkoreas öffnete er sich dann zunehmend neuen Ideen. In den 1970 und 1980er Jahren studierten manche Mönche z.B. an der buddhistischen Universität Donggug

495 Die buddhistischen Würdenträger führten im Gegensatz zur recht armen Bevölkerung eine opulente Lebensführung und wurden korrupt. Daher war die Entmachtung des Buddhismus schon vor Beginn der Joseon Dynastie durch seine innere Aushöhlung quasi vorbereitet worden. Die Steuerfreiheit der Klöster wurde abgeschafft, die Ländereien wurden verstaatlicht, die Anzahl der Tempel verkleinert. Nach etwa 800 Jahren war damit die Vormachtstellung des Buddhismus in Korea geschwächt. 496 „Die Unterdrückung und Abwertung des buddhistischen Mönchtums war nicht zuletzt wohl auch bedingt durch den Umstand, dass die meisten Mönche höheren Grades mit der entmachteten Königsfamilie in verwandtschaftlicher Beziehung standen. Andererseits war die Vertreibung buddhistischer Mönche auch notwendig, um die religiöse Rechtfertigung der Staatsmacht, die von den Mönchen in Tempeln vollzogen worden waren, den konfuzianischen Staatsbeamten zu übertragen. Durch die Abhaltung des Ahnenkults (für den Herrscher und dessen Ahnen, für den Staat und seinen Erhalt) führten sie im Dienste des Staates die religiöse Rechtfertigungsfunktion aus, womit die Ausübung religiöser Macht wieder dem Herrscher zukam. (Also in gewissem Sinne eine Zurücknahme der ursprünglichen Trennung von politischer und religiöser Macht.) Eine eventuell notwendige Definition des religiösen Welt- und Menschenbildes, das auch die Staatsordnung umfasste, stand allein dem Herrscher und seinen Hofbeamten zu.“ (Kranewitter, Rudolf [2005], S. 473) 497 Das hatte auch soziale Ursachen. Manche Söhne von Konkubinen oder unterlegene Aristokraten gingen in die Klöster und obwohl es einige Mönche gab, die wirklich am Buddhismus interessiert waren und auch diverse Reformvorschläge in Klöstern ausgearbeitet wurden, waren buddhistische Institutionen von einflusslosen oder armen Menschen umgeben, was das wirtschaftliche Überleben der Gemeinschaften und Klöster erschwerte. Dazu kam, dass es innerhalb der buddhistischen Vereinigungen Dispute gab, weil z.B. unter der japanischen Herrschaft eine Heiratserlaubnis für Mönche zugelassen wurde. Erst nach der Befreiung von der japanischen Annektion bekam der Buddhismus seine Freiheiten wieder, musste sich aber letztlich wieder neu ordnen.

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(☯ῃ) und trieben Reformbestrebungen voran. So sieht Shim Chae-Ryong eine Verbindung von Buddhismus und demokratischer Staatsform. Zwar sei der Buddhismus zunächst nicht demokratisch. Er deutet den (koreanischen) Buddhismus aber als „[…] loyalty and to Buddha and Buddhism implied loyalty to a centralized titular ruler.“498 Diese hierarchische Struktur im Buddhismus sei aber eben auch sehr vom Konfuzianismus indoktriniert gewesen. Es gibt auch andere Bestrebungen: „The original Buddhism taught by Buddha Sakyamuni is full of democratic ideas.“499 Und daraus schließt er für die Erziehung: „Traditional education in Korea consists mostly in teaching by way of indoctrinating Confucian philosophy. Since the introduction of modern secular educational system, namely general education for all the free citizens in Korea, Confucian ideology of whatever form of political authoritarianism lost its power but it has hardly died out. Philosophy educators must be keenly aware of and critically teach the pitfalls of traditional ideologies embedded in Confucianism and try to reawaken the democratic spirit of Buddhism. “500

Während der Militärregimes wurde der Mirok Buddhismus zum Sammelbecken für regimekritische Menschen. Der Bodhisattva Maitreya, koreanisch Mirok (⹎⯋), wird darin als ein Buddha der Zukunft, überirdisches Wesen und kommender Weltlehrer darstellt und zu einer Erlösergestalt.501 Der koreanische Mahayana Buddhismus wandelte sich zeitweilig zu einer Art Erlöserreligion. Heute ist in Südkorea etwa ein Viertel der Bevölkerung dem buddhistischen Glauben zuzurechnen. Es gibt rund 2000 buddhistische Klöster. Dazu wurden von buddhistischer Seite quasi als Reaktion auf die christlichen Aktivitäten im 20.

498 Shim, Chae-Ryong (1999), S. 253. 499 A.a.O, S. 250. 500 A.a.O, S. 254. 501 Eine solche Erlösergestalt gibt es auch im Christentum, was sicherlich auch zu einem Erstarken der Christen in Korea beitrug. So ist hier auch eine gewisse Überschneidung von christlicher und buddhistischer Glaubensvorstellung zu erkennen. Es gibt eine Reihe von Erlösergestalten, sogenannte Boddhisattvas, die die Stufe der Erleuchtung zwar bereits erreicht haben, aber den Eintritt ins Nirwana verschoben haben, um den Menschen beizustehen, z.B. Amida (㞚⹎┺), der koreanische Name von Amithaba. Cho Gwan-Yeon setzt die Entstehung solch eines ‚volksbuddhistischen‘ Glaubens in die Zeit der Kolonalisierung Koreas: „Die Korruption der Beamten, das Eindringen der Japaner und ihre imperialistische Politik und die daraus entstandene elende Situation der Bauern in Korea. Das alles bot einen Nährboden für die Erwartung einer besseren Welt, in der es weder Unterdrückung durch die Mächtigen, noch Krankheit, noch Armut geben sollte.“ (Cho, Gwan-yeon [1995], S. 262)

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Jahrhundert auch buddhistische Schulen, Universitäten und Krankenhäuser gegründet. Diese Anpassung an eine moderne Gesellschaft ist in manchen buddhistischen Tempeln vor allem in Großstädten zu beobachten. Manche sehen eher wie Kongresszentren, Bürogebäude oder eben wie eine Art religiöses Dienstleistungszentrum aus. Heute gilt in Südkorea als Buddhist „jemand, der wenigstens einmal im Jahr einen Tempel besucht und im Alltag entsprechend der buddhistischen Lehre zu leben versucht […] Trotz der Möglichkeit der formalen Mitgliedschaft ist Zugehörigkeit im Buddhismus nicht formal, sondern an die entsprechende Praxis gebunden.“502

Der Buddhismus beinhaltet auch Erziehungsgedanken. Darin besteht kein speziell gutes oder schlechtes anthropologisches Bild, d.h. der Mensch ist von Geburt an weder gut noch böse. Nach gängiger buddhistischer Vorstellung hat jedes Lebewesen in sich eine Buddha-Natur, die nur vom Leiden überdeckt ist. Deshalb ist es die Lebensaufgabe, sich vom Leiden zu erlösen. Das geschieht durch eine Entfaltung der eigenen Persönlichkeit nach individuellen Regeln, wobei damit nicht allein die Aneignung von Wissen und Fähigkeiten gemeint ist. Das Wissen, das ein Mensch durch seine Sinneseindrücke erwirbt und durch die Verarbeitung des Wissens und Könnens in begrifflich fassbare und logisch begründbare und nachvollziehbare Handlungen weiterführt, reicht danach nicht aus. Der Buddhismus strebt darüber hinaus und möchte, dass die Einheit von erkennendem Geist und erkennendem Objekt hergestellt wird. Damit geht er weit über die seit Descartes vorherrschende Subjekt-Objekt Spaltung in Europa hinaus. Bloßer Wissenserwerb, der nicht auf Einsicht basiert, ist nicht Ziel des Buddhismus, sondern eine Verwirklichung der Buddha-Natur des Menschen. Das bedeutet, dass jeder Mensch sein Leben für sich so akzeptiert, wie es ist und darin nach der BuddhaNatur sucht. Von dieser individuellen Sichtweise aus ergibt sich eine Wirkung für das interpersonale, soziale Leben. Das beinhaltet z.B. die Ausübung von Barmherzigkeit und Toleranz, um den Fortbestand einer humanen Gesellschaft zu garantieren. Daher ist es nach buddhistischen Vorstellungen ein Ziel, durch Selbsteinsicht und durch Meditation Einsicht zu erlangen, um ein Mensch zu sein, der vom fremdbestimmten (heteronomen) zum selbstbestimmten (autonomen) Menschen wird. Äußere und innere Welt sollen dadurch kongruent werden. Beim Lernen geht es nicht nur um das Lernen von anderen durch Belehrung (heteronomes Lernen) sondern auch um das selbständige Lernen (autonomes Lernen). Der Buddhismus fordert so eine Selbstbildung, indem er von bereits vorhan-

502 Lee-Peuker, Mi-Yong (2004), S. 129.

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denen Einsichten des Menschen ausgeht, die durch den Selbstbildungsprozess erweitert werden. 503 Manche dieser Ideen stehen ganz oder teilweise in Opposition zu der Methodik, die in Schulen Südkoreas angewandt werden. So wird z.B. das autonome Lernen durch Suche in Südkorea nicht besonders gefördert, hingegen ist das Erlernen von großen Faktenmengen durch Pauken von (Bücher-)Wissen gefragt. Reformbestrebungen in Südkorea könnten somit in buddhistisch beeinflussten Traditionen Anknüpfungspunkte finden. 3.1.3 Einflüsse aus dem Konfuzianismus und dem Neo-Konfuzianismus Der Konfuzianismus ist begrifflich nicht exakt zu fassen, denn hinter ihm steht eine etwa 2500-jährige Geschichte, in deren Verlauf sich die Aussagen und Interpretationen der Lehren des Konfuzius stark veränderten. So lässt sich nicht alles, was heute als ‚konfuzianisch‘ bezeichnet wird, in konfuzianischen Schriften und Ideen auch verorten. „Stattdessen sollte darüber nachgedacht werden, von einem traditionellen Verhalten im Gegensatz zu demjenigen von Gesellschaften zu sprechen, welche eine Moderne bereits in allen positiven und negativen Konsequenzen durchgemacht haben.“ 504

Im Folgenden werden die Inhalte des Konfuzianismus beleuchtet, soweit sie für das Verständnis dieser Arbeit von Belang sind, um daraus abzuleiten, welche der zumindest von konfuzianischen Sichtweisen abgeleiteten Werte und Vorstellungen im südkoreanischen Lebensumfeld heute noch wirksam sind. Der auch als Ru jia (蛎竖)505 bezeichnete Konfuzianismus506 Yugyo (㥶ᾦ) bekam seinen Namen vom chinesischen Gelehrten Konfuzius, koreanisch Gong

503 Dabei gibt es verschiedene Lernverfahrensweisen. Z.B. kann ein Ding durch das Andere in Metaphern erklärt werden, mit dem Wissensstand des Partners korrespondieren usw. Lehrer müssen sich immer auf das Niveau des Schülers einstellen. Ein (Lehr) Dialog dient dazu, dass die Lernenden durch Frage und Antwort selbst Einsichten erlangen. Das bedeutet wiederum, dass der/die Lehrer(in) eine Vorbildfunktion innehat. 504 Ess, Hans van (2003), S. 115. 505 Mit Ru (蛎) ist eigentlich ein Gelehrter gemeint, der die sechs Künste (Anstand, Musik, Bogenschießen, Wagenlenken, Schreiben, Rechnen) beherrscht (Kang, Jeanie H. [1994], S. 15, Anmerkung 1). 506 Die konfuzianische Philosophie Yugyo Sasang (㥶ᾦ ㌂㌗) wird auch ‚Die Lehren (Instruktionen) des Konfuzius‘ Kongjaui karuchim (㧦㦮 Ṗ⯊䂾) und der Neo-Konfuzianismus als ‚Konfuzianismus der Song-Zeit‘ Seongrihak (㎇Ⰲ䞯) bezeichnet.

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Sa (Ὃ㧦, 簳螲, …ƒǤ552-478 v. Chr.). Er stützte sich früher auf drei zentrale Pfeiler507: den staatlichen Kult des Konfuzius, der teilweise religiöse Züge annahm; die Systematik in Schulen wie z.B. im Lern- und Prüfungswesen und die volkstümliche Verehrung.508 Bei Konfuzius waren das Dao des Himmels Tian Dao (‫מ‬ ଳ und die Lebenszusammenhänge des Menschen Ren Shi (ыз verbunden. Aus diesen Zusammenhängen heraus wird der Mensch stets aus seinen Bezügen heraus definiert.509 In einer so gedachten konfuzianischen Gesellschaft bestimmt sich der Rang zuerst nach dem Stand (König – Beamte - Lehrer usw.), dann nach dem Alter (Großvater - Vater - erster Sohn-zweiter Sohn usw.) und dann nach dem Geschlecht (männlich-weiblich). Da alle Menschen nach dieser Ordnung bestimmt werden sollen, ist es naheliegend, diese Ordnung auch stets einzuüben. Dies geschieht in täglichen gesellschaftlichen Umgangsformen und das findet auch in der Pädagogik seinen Niederschlag. Der Konfuzianismus ist daher auch als ethisches und moralisches System zu charakterisieren, das in der gesellschaftlichen Etikette, in Wissenschaft und Kunst zutage tritt. Doch durch die Hervorhebung des ethischen Bezuges wurde der ontologische Bezug des Konfuzianismus überdeckt und verlor gegenüber den ontologisch verankerten Daoismus und Buddhismus zunehmend an Überzeugungskraft. Daher kam es zu Reformbestrebungen, aus denen sich im 10. und 11. Jahrhundert der Neo-Konfuzianismus510 Songrihakcha (㎇Ⰲ䞯㧦) entwickelte. Er beherrschte die

507 Ess, Hans van (2003), S. 113 und öfter. 508 Ob es sich beim Konfuzianismus um eine religiöse Lehre oder um ein diesseitiges Moralsystem oder gar beides handelt, hängt immer von dem Standpunkt, ggf. der Glaubenszuordnung des Betrachters ab. 509 Das Verhältnis der einzelnen Personen ist in drei Handlungsanweisungen Samgang (㌒ṫ, й㏡) und fünf ethischen Grundsätze für die Gliederung der Gesellschaft Oryun (㡺⮲, ӄٛ) geregelt. Die drei Handlungsanweisungen Samgang sind: 1) Der König ist Vorbild für seine Untertanen. 2) Der Vater ist das Vorbild für seinen Sohn. 3) Der Ehemann ist das Vorbild für seine Frau. Die fünf Prinzipien Oryun sind: 1) Loyalität zwischen König und Untertan. 2) Nähe von Gehorsam zwischen Vater und Sohn. 3) Unter-schiedliche Rollenfunktion von Ehemann und Ehefrau. 4) Rangordnung zwischen Jüngeren und Älteren. 5) Treue zwischen Freunden. 510 Der Neokonfuzianismus wird chinesisch auch als Lehre vom Prinzip Xing li xue xing (翓ᆖ茴) oder Lehre vom Prinzip und vom Herzen (葖翓谷 xīnlǐxué) bezeichnet. „Der Name Xing li xue stammt aus der Grundannahme, dass Xing (menschliche Natur) und Li (Vernunft) identisch sind. Deshalb steht bei dem Xing li xue die philosophische Anthropologie und die Ontologie in untrennbarer Beziehung.“ (Kang, Jeanie H. [1994], S. 15)

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chinesische Kultur ab der Song-Dynastie (960-1279) etwa 700 Jahre lang.511 Der Neo-Konfuzianismus ist ebenfalls keine geschlossene Schule. 512 Er versuchte, Ontologie und Anthropologie zusammen zu bringen, indem er das Urprinzip in allen Dingen der Welt aufzeigen wollte.513 Im Neo-Konfuzianismus gibt es die Grundannahme, dass hinter allem Seienden eine höhere Harmonie herrscht, aus dem heraus das Leben verstanden werden sollte. Dadurch, dass damit der Ordnung eine metaphysische Erklärung gegeben wurde, konnte die Ethik – zumindest nach diesen ursprünglichen neo-konfuzianischen Gedanken – nicht zu einer reinen Gesetzlichkeit erstarren. Ein umfassendes Ordnungsprinzip gibt Menschen sehr viel Sicherheit, denn sie erklärt die Welt in einem relativ statischen Ideal. Aber alle Formen von Widersprüchen, Konflikten und Weiterentwicklungen haben es schwer, denn jede Reform wurde jetzt zugleich auch ein Angriff auf die metaphysische Ordnung des gesamten Lebens. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, warum ein gesellschaftlicher Wandel in allen (neo-)konfuzianisch beeinflussten Staaten lange Zeit nur sehr langsam vonstattenging.

511 „In der Song-Zeit prägt sich ‚eine ontologische Begründungsqualität von Ethik, in Gestalt von Onto-Ethik‘, aus. Die konfuzianischen Moral-Normen werden dabei nicht nur schlechthin kosmologisiert (wie etwa im Konfuzianismus der Han-Zeit); vielmehr haben wir es jetzt mit einer – konfuzianischen – Tugendlehre zu tun, die ontologische Begrifflichkeit benutzt. So ist nicht mehr das einfache – aus der Han-Zeit bekannte – Inbeziehungsetzen von Mensch und Himmel kennzeichnend, sondern beide werden auf etwas Allgemeineres bezogen. Moralnormen werden nicht mehr nur zur Qualität des Himmels, sondern sie werden zu Kategorien des Seins. Mensch und Himmel treten als zwei Erscheinungsweisen einer Moralsubstanz auf, die eine neue, weit intensivere Verklammerungsfunktion gegenüber allen Menschen, allen Dingen und Erscheinungen des Universums erfüllen.“ (Moritz, Ralf; Lee, Ming-Huei [1998], S. 28) 512 Innerhalb der neo-konfuzianischen Diskussionen entwickelten sich ‚rationalistisch‘ und eher ‚idealistisch‘ zu nennenden Zweige. Vertreter des idealistischen Zweiges ist z.B. Wang Yangming (1472-1429), bei dem konfuzianische Gedanken mit buddhistischen Ideen durchmischt sind. Der wohl wichtigste Vertreter des rationalistischen Zweig ist Zhu Xi (褶螲), der u.a. das ˆBuch des Mengzi˄ [耺螲]) schrieb. Pädagogisch ist dies folgenreich gewesen, da es ab 1313 auf Erlass des Kaisers bis 1905 zur Grundlage der chinesischen Examina wurde, deren Bestehen Voraussetzung für die Laufbahn eines Beamten war. (siehe dazu auch: Fung, Yu-lan [1952], S. 424; zitiert nach Kang, Jeanie H. [1994], S. 16) 513 Siehe dazu auch Forke, Alfred (1927), S. 47.

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Nach Korea kamen Kenntnisse des Konfuzianismus spätestens mit den ersten Aufzeichnungen in chinesischer Schrift.514 Durch die bestehenden Beziehungen zu China wurde im Laufe der Jahre der Beamten- und Verwaltungsapparat immer mehr dem chinesischem Vorbild angeglichen und mit konfuzianischen Elementen durchsetzt515 und teilweise sogar wesentlich enger und rigider ausführt.516 In dieser Zeit entwickelte sich mit der neuen Beamtenelite, die vornehmlich aus Adeligen bestand und eine Art Gegengewicht zu den buddhistischen Tempeln und Klöstern bildeten. Unter der Joseon Dynastie wurde der Neokonfuzianismus dann zur staatsordnenden Idealvorstellung 517 und zum Ideal der sozialen und politischen

514 Damit ist die Zeit der drei Königreiche gemeint (Tatsachen über Korea [2003], S. 165) 515 Keilhauser, Anneliese und Peter (1986), S. 42. Andre sprechen sogar davon, dass sich bereits in dieser Zeit der Konfuzianismus zur herrschenden Staatslehre entwickelt habe. So z.B. Lee-Peuker, Mi-Yong (2004), S. 85. 516 Beispielsweise wurde die Bewegungsfreiheit der Frauen eingegrenzt und ihre Rolle stark reglementiert. Auch wenn dies vermutlich zunächst eine politische Aktion zur Herabstufung des Buddhismus war, so wurde mit der Einführung des Konfuzianismus der Besuch in buddhistischen Tempel ab 1404 nur auf wenige Ahnengedenktage reduziert. Zu Schamanen durften sie per Gesetz nicht mehr gehen. (nach Deuchler, Martina [1992], S. 260). In der Goryeo Dynastie war das Prinzip der Abstammung und damit die Wichtigkeit der Familie oder Sippe schon von großer Bedeutung, doch waren in aller Regel noch Töchter und Söhne beim religiösen Ritus und in der Erbfolge gleichgestellt (nach Peterson, Mark A. [1996], S. 4f.). Die jetzt einsetzende Beschränkung der Erbrechte einer Frau bringt sie auch in zunehmende ökonomische Abhängigkeit von der Familie (Sippe), wodurch sie noch weniger Entscheidungsspielraum bekam. Mit der Einführung des (neo-)konfuzianischen Gedankengebildes als Grundlage der Lebensrealität Koreas werden die Geschlechter getrennt und viel stärker als zuvor hierarchisiert. 517 Ein Vertreter des Neokonfuzianismus in Korea ist Yi Hwang (㧊䢿) (1501-1570), der auch den Beinamen T’oegye (㧊䑊Ἒ) trug. Er entwickelte die Lehren des chinesischen Neokonfuzianismus von Zhu Xi auch als Bildungsmethode weiter. T’oegye sah das Leben des Menschen als eine Zeit des Lernens an, was wir heute unter dem Begriff ‚lebenslanges Lernen‘ fassen würden. Nach Kim, Jeong-Eim korrelieren bei T’oegye Wissen und Lernen mit den Begriffen ‚konvergentes‘ und ‚divergentes‘ Denken, die auf dem Postulat der Ehrfurcht Kyung (ἓ㦮) vor dem Leben und vor der unbelebten Natur fußen. Ehrfurcht wiederum erzeuge Harmonie. Es wäre zu erforschen, ob nicht die Gedanken T’oegye Anknüpfungspunkte an anthropologische Vorstellungen böten, die wiederum Schnittmengen mit modernen pädagogischen Vorstellungen gaben könnten (vgl. dazu Kim, Jeong-Eim [1997], S. 222 u.ö.)

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Ordnung. Der gesamte alltägliche Lebensablauf wurde seinen Regeln unterworfen. Vorstellungen, die sich aus dem (Neo-)Konfuzianismus ableiten lassen, wirken bis heute weiter.518 Dazu zählt das anthropologische Verständnis vieler Menschen in Südkorea. Auch heute sind in Südkorea die wichtigsten Kriterien für die Verortungen in der Gesellschaft Geschlecht, Alter, Familienstand, Position innerhalb der Gruppe (Familie, Schulklasse, Universität, Firma, Sportgruppe, aber auch Gruppen auf Zeit wie Reisegruppen usw.) und das formale Bildungsniveau 519 (Berufsabschluss, Universitätsabschluss an einer Universität mit einem bestimmten Status). Danach richtet sich der eigene Stand. Jeder Mensch ist immer Mitglied verschiedener Gruppen. Dabei ist eine freie Wahl der Gruppe nicht immer gegeben. Biographisch die erste Gruppe ist die Familie Gajog (Ṗ㫇)520 oder, etwas weiter gefasst, der Familienverband, die Sippe Hyeolyeon (䡞㡆). Dort wird ein Mensch hineingeboren und das spielt für jeden Koreaner eine große Rolle. Durch die Familie lernen Menschen sich in eine Gruppenhierarchie521 einzuordnen. Der

518 „Zwischen der demokratischen Republik Korea und der feudalen Joseon Dynastie liegen etwa 120 Jahre. Seit den 1960er Jahren hat das Land den Aufbau einer Wirtschaft und eines politischen Systems nach westlichen Maßstäben zu Wege gebracht […] Im Zuge dieser Modernisierung hat der (Neo-)Konfuzianismus seine offizielle Rolle als allein verbindliches Leitbild der gesellschaftlichen Ordnung verloren. Das bedeutet jedoch nicht, dass die mit ihm verbundenen Sinn- und Wertbestimmungen ihre kulturprägende Wirkung verloren haben.“ (Lee-Peuker, Mi-Yong [2004], S. 113) 519 Laut Fong besteht das Lernen im Konfuzianismus nicht darin, „daß der Natur nur etwas zugefügt werden kann, sondern, daß das natürliche Wesen zur Erfüllung kommt. Wer das, was die Natur in ihm erzeugt hat, vollenden kann und es nicht verdirbt, der versteht es zu lernen.“ (Fong, Tsao-Lin [1992], S. 84). Damit ist gemeint, dass die Welt, wie sie im konfuzianischen Deutungsmustern gesehen wird, sich im Menschen entwickelt. Erziehung muss das nur unterstützen. Natur und Kultur sind hier nicht Gegensätze, sondern liegen nahe beieinander. Erziehung konnte daher auch nicht fremdbestimmte Inhalte aufweisen, weil sie die Welt, wie sie in der neokonfuzianischen Deutung gesehen wird, im Menschen als ein Träger derselben zum Ausdruck kommt. 520 Gajog (Ṗ㫇) setzt sich zusammen aus Gebäude Ga (Ṗ) und Volksstamm, Sippe Jok (㫇). Mit dem Begriff Gajog ist also die Großfamilie gemeint, die an einem Ort wohnt und die Sippe durch den Vollzug des Ahnenrituals, dem Gebären von Söhnen und de Beibehalten des Familieneigentums aufrechterhält. 521 Eine hierarchische Zuordnung ist auch in der koreanischen Sprache niedergelegt. Wo im Deutschen nur von ‚Bruder‘ und ‚Schwester‘ die Rede ist, wird in Korea erheblich

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allgemeine Druck, Kinder zur Stabilität einer Familienstruktur zu führen, übt starken Formierungsdruck auf die Menschen in Südkorea aus, dem sie zu entsprechen haben oder aber in Konflikt damit geraten. Doch wie in anderen Industriegesellschaften auch leben Menschen immer seltener in Großfamilien. Die Familien werden kleiner522 und die traditionellen Konzepte der Familie können zumindest nicht mehr in der tradierten Art und Weise weitergetragen werden. Die Ansprüche an die emotionale und soziale Erziehung im Gruppensinne in der Familie bleiben jedoch erhalten. Die bekanntesten Gruppenverbindungen jenseits der Familie oder Sippe sind die Hagbeol (䞯⻢). Diese auch ‚Hagyeon‘ (䞯㡆) genannten Zusammenschlüsse bilden eine Gruppenzugehörigkeit durch schulische bzw. akademische Verbindungen. 523 Jiyeon (㰖㡆) bezeichnet eine Gruppenzugehörigkeit durch gemeinsame regionale Herkunft. Es gibt auch mehr oder minder freiwillig entstandene

differenziert. So wird ein ‚Bruder‘ in Korea ja nach seiner Stellung zum Angeredeten angesprochen: Ist er der ältere Bruder eines Mädchens, heißt er Obba (㡺ザ); ist er der ältere Bruder eines Jungen heißt er Hyeong (䡫); ist er der jüngere Bruder eines Mädchens oder Jungen, heißt er Nam Dong Saeng (⋾☯㌳). Das gleiche Verfahren gibt es auch mit anderen Verwandtschaftsgraden, wodurch es für ein und dieselbe Person je nach Beziehung unterschiedliche Titel gibt. Dazu werden je nach Rangordnung Menschen mit unterschiedlichen Höflichkeitsformen angesprochen. Das hierarchische Beziehungsgeflecht kommt also auch in der Sprache zum Ausdruck. 522 Zwischen 1985 und 2007 ist die Anzahl der Drei-Generationen-Haushalte von 14,9% auf 6,9%, der Zwei-Generationen-Haushalte von 67% auf 55,2% geschrumpft. Die Anzahl der Singlehaushalte stieg von 9,6% auf 16,5% stieg. (Quelle: http://world.kbs. co.kr ‚Infographie‘; download am 12.10.2010) Einerseits haben Familien nach wie vor große Bedeutung (nur 16,5% sind Singlehaushalte), andererseits unterliegt die traditionelle Familienstruktur seit Jahren Erosionsprozessen. Die Anzahl der Mehr-Generationen-Haushalte nimmt ab. Wer einmal zu den großen Festen wie Seolnal oder Chuseog in Südkorea unterwegs ist, wird ermessen können, wie weit Familienmitglieder getrennt sind. Dann gibt es riesige Verkehrsstaus, da dies die Feste sind, an denen sich Familien treffen können. 523 Einen Menschen aus einer guten Gruppe zu kennen bedeutet oft, durch das Fortkommen der eigenen Gruppe auch das eigene Fortkommen zu fördern. Zwar gibt es offizielle Wege, um ein Ziel zu erreichen, z.B. über Anfragen usw. Sehr oft aber ist es in Korea üblich, über soziale Netzwerke und über Empfehlungen sein Fortkommen zu suchen. Geschäfte werden erheblich beschleunigt, wenn einflussreiche Menschen ein Wort außerhalb der offiziellen Wege in ihren Netzwerken sprechen.

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Gruppen, z.B. Pumasi (䛞㞭㧊)524 oder Gye (Ἒ).525 Diese Gruppen dienen neben ihrem ökonomischen Nutzen auch zur sozialen Verbindung. In ihnen herrscht eine gegenseitige Verpflichtung, die immer mit der Hoffnung verbunden ist, dass sich alles irgendwie ausgleicht.526 Angehörige einer Gruppe bemühen sich ständig bewusst oder unbewusst um ein gutes Gibun (₆⿚)527, ein gutes Allgemeingefühl, damit das Wohlbefinden der einzelnen Mitglieder gefördert wird. Das wiederum verlangt Nunchi (⑞䂮)528, eine Art Augenmaß für das Gefühl und die Stimmung. Damit versuchen Gruppenteilnehmer dem Entstehen von Problemen zuvorzukommen, damit die Harmonie

524 Das sind Vereinigungen zur Arbeitshilfe, die früher öfter auf dem Land gegründet wurden, um sich gegenseitig zu helfen. 525 ‚Gye‘ sind Sparvereinigungen zur gegenseitigen ökonomischen Hilfe. Alle zahlten in eine Gemeinschaftskasse ein und eine Familie bekam dann alles oder einen Teil des Geldes, wenn sie es brauchte, z.B. bei Familienfeiern, Anschaffungen oder Investitionen. 526 Probleme tauchen dann auf, wenn das nicht passiert. Denn die ökonomische und die personale Ebene verschmelzen miteinander. Da so die ökonomische Verpflichtung auch immer eine persönliche Verpflichtung ist, kann das zu großen Konflikten führen. 527 ‚Gibun‘ (₆⿚) lässt sich mit den deutschen Begriffen von ‚Gefühl, Atmosphäre, Stimmung‘ oder dem englischen ‚mood‘ vergleichen. Immer im Kontext mit der gerade zu beschreibenden Situation kann damit auch der seelische Zustand, die momentanen Gefühle oder auch die zwischenmenschliche Atmosphäre beschrieben werden. Es geht bei diesem Wort in aller Regel um das Beziehungsgeschehen zwischen den Menschen, nicht so sehr um eine individuelle Befindlichkeit. Daher ist das Erkennen des Status seines Gegenübers auch elementar. Denn schon vor einem Gespräch müssen sich Personen gegenseitig in ihr (hierarchisches) Weltbild einordnen können. Es ist immer ein Ziel, den Zusammenhalt und die Charakteristika der Gruppe zu fördern, sodass das Vertraute, die gemeinsamen Merkmale und Umgehensweisen immer wieder bestätigt und ggf. sehr vorsichtig verändert werden. Dies geschieht selten in direkter Ansprache sondern nach unausgesprochenen Regeln. Das kann es Außenstehenden sehr schwer machen, sich bei einer Zusammenkunft wohl zu fühlen, wenn man lernt, sich nicht um eben jenes Gibun zu bemühen. Jemand, der das nicht bemerkt, wird meistens außerhalb der Gruppe bleiben. Für so manche Nicht-Koreaner ist das eine große Hürde. 528 Das entspricht in etwa den deutschen Begriffen von ‚Taktgefühl, feiner Sinn, Beobachtungsgabe, Absicht erraten, Gedanken und Gefühle lesen können, Empfänglichkeit für das Befinden anderer‘, ist aber immer im Beziehungskontext zu verstehen, aus dem heraus ein der jeweiligen Beziehung entsprechendes Verhalten erwartet wird.

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nicht gestört wird. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird immer wieder durch Repräsentationen bekräftigt. Dazu gehören u.a. tägliches gemeinsames Essen, die gemeinsame Teilnahme an oft handfesten Trinkgelagen, das wechselseitige Beschenken529 oder große Familienfeste wie Seolnal (㍺⋶) und Chuseog (㿪㍳). Eine Gruppe wird oft zunächst durch gegenseitige Verpflichtung zusammengehalten, erst zweitrangig können Sympathie und Liebe Grund für den Zusammenhalt sein. In der Familie sind die Eltern verpflichtet die Kinder groß zu ziehen und danach ist zumindest nach traditionellen Vorstellungen die Familie des ältesten Sohnes umgekehrt für die Versorgung der Eltern zuständig. Ein Außenstehender muss die Gruppenzuordnungen kennen. So ist es unabdingbar, vor jedem Gespräch die Position in der Gruppe zu klären. Denn nur, wenn ein Mensch die Merkmale seines Gesprächspartners kennt, weiß er, welchen Umgang und welche Höflichkeitsform er anwenden muss und welche Umgangsetikette richtig ist. 530 Aus der Stellung heraus werden auch die Kommunikationswege und Entscheidungen geregelt. Ob z.B. etwas richtig oder falsch ist, kann ein Mensch nicht unabhängig von seiner sozialen Stellung her selbst bestimmen, sondern wird mitunter im sozialen Maßstab als richtig oder falsch vom entsprechend Höchststehenden der Gruppe entschieden.531 Neben Pflichtbewusstsein und Solidarität werden so Pietät und ein hierarchisches und patriarchalisches Familienverständnis gefördert. Um die Erscheinungsweisen im Alltagsleben zu verstehen, muss zwischen einem Verhalten innerhalb und außerhalb der jeweiligen Gruppe

529 Das gegenseitige Beschenken spielt in Südkorea eine große Rolle. Zu einer Einladung sollte man mit einem Geschenk kommen. Welches das ist, hängt dabei von der eigenen Stellung in der Gruppe ab. Durch das Beschenken treten die Menschen nach ihrem Verständnis in eine Art Austauschverhältnis ein, wobei es keine schriftlich festgelegten Parameter für Wertigkeiten der Geschenke gibt. Es entstehen gegenseitige Verschuldungsverhältnisse, die auch nie ganz aufgelöst werden. Denn es ist ja gerade der Sinn, dass die Menschen durch gegenseitige Verschuldung in Geschenken miteinander verbunden werden. Auch hier steht die innere Freude am Schenken oft erst an zweiter oder dritter Stelle, wenngleich sie natürlich auch wichtig sein kann. 530 Dafür wird vor allem der Austausch von Visitenkarten durchgeführt. Anhand der dort gemachten Angaben können schon einige dieser Fakten vom Gesprächspartner eingesehen werden. Andere Fakten werden meist sehr direkt abgefragt. Hinter der Frage nach Alter, Familienstand, Anzahl der Kinder steht in der Regel nicht einfach Neugierde, sondern die Notwendigkeit, die Beziehung zueinander aufgrund der Faktenlage einzuordnen. Das gibt dem Gespräch Sicherheit, weil ein Mensch so erkennen kann, wie er seine(n) Gesprächspartner(in) anzureden und sich zu verhalten hat. 531 Vgl. dazu auch Lee-Linke, Sung-Hee (1996), S. 51.

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unterschieden werden. Das Verhalten innerhalb der Gruppe ist vielfach durch Hierarchien geordnet, die aber je nach Zusammenhang wechseln können. Die moralische Grundhaltung von Menschen, die in dieser Deutung verortet sind, scheint daher oft auf Gehorsam532 ausgerichtet zu sein. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass jemand, der eine individuelle Entscheidung trifft, schnell als egoistisch angesehen wird.533 Die Grenzlinie kollektiver und individueller Wünsche führt immer wieder zum Ausbruch von starken Emotionen: Streiterei, Geschrei, handfeste Auseinandersetzungen. Darüber wird soweit wie möglich hinweg gegangen, da es immer wichtiger ist, die Harmonie herzustellen als individuelle Auseinandersetzungen ‚objektiv‘ sachlich zu klären. Das Ausleben individueller Ideen steht dahinter zurück und findet seinen Platz in Subzirkeln der Gruppen oder in persönlichen Parallelwelten.534 Was außerhalb einer Gruppe passiert, ist zweitrangig. Daher ist das Verhalten außerhalb der Gruppe anders strukturiert. Es kommt darauf an, wie groß sich die Gruppe begreift. Bei einer Großgruppe wie dem Staat535

532 Das ist der Gehorsam gegenüber der Familie, dem Arbeitgeber, der Gesellschaft und dem Staat. Der koreanische Soziologe Kyong-Dong Kim meint, dass Gehorsam, Disziplin und das kollektive Denken zwar aus der konfuzianischen Tradition stammt, aber erst durch die Regierungsart der Japaner während der Kolonisierung Japans zwischen 1910 und 1945 verstärkt worden sei. Die konfuzianische Tradition sei hier instrumentalisiert worden. (Kim, Kyong-Dong [1996], S. 62ff) 533 So bedeuten Bemerkungen wie „Er ist westlich“ letztlich „Er ist egoistisch“. Das egoistische Interesse eines einzelnen Menschen, der nur auf das eigene Fortkommen zielt, wird zwar in Südkorea in aller Regel negativ bewertet. Davon zu unterscheiden aber ist das egoistische Verhalten einer Gruppe, die ihre eigenen Interessen durchsetzen will. Dies kann in bestimmtem Rahmen in Südkorea durchaus akzeptiert werden. 534 Hier spielt das Internet eine große Rolle. Andere subtile Möglichkeiten bestehen z.B. in sportlichen und kulturellen Aktivitäten oder auch einem exzessiven Alkoholkonsum. Sogar der Besuch beim Friseur kann dazu gehören. (vgl. dazu Winchester, Simon [2006], S. 305) 535 Ein Staat ist somit nur die logische Folge der konfuzianischen Beziehungsgedanken. „Als Grundannahme galt, daß jeder Mensch einer Gruppe angehörte, die seine Identität weiter formte. Das Prinzip des Gehorsams bezog sich nicht nur auf die Familie, sondern letztlich ebenso auf den Staat.“ (Kühnhardt, Ludger [1987], S. 199). Dabei gab es in den vom Konfuzianismus beeinflussten Staaten nur eine bedingte Ausarbeitung unveräußerlicher Menschenrechte. Es gibt sie in der südkoreanischen Verfassung, jedoch ist deren Auslegung zumindest in der Zeit der Militärregierungen nicht gewährleistet gewesen. Inzwischen hat sich die Lage zwar geändert, wieweit sie aber

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scheint es vordergründig viel Gemeinsinn zu geben, wie es z.B. bei Sportveranstaltungen oder nationalen Festen zu sehen ist. Dies ist aber nur vordergründig so. Gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge wie z.B. der Umweltschutz, Verkehrsproblematiken und manche sozialen Probleme werden nicht derart wahrgenommen. Solche Probleme könnten den staatlichen Zusammenhalt auch entzweien, weil hier die Interessen verschiedener Gruppen aufeinander prallen (z.B. Verkehrsinteressen der Industrie und die der Anwohner usw.). Erklärbar ist das dadurch, dass der Blick immer auf das harmonische Miteinander geht, das natürlich in persönlichen Beziehungen besser zu erreichen ist. Ist eine Gruppe grösser, wird es immer schwerer, dies persönlich zu erreichen. Es ist interessant, wie manche Medien versuchen, Diskurse für größere Gruppen zu initiieren.536 Steht jemand außerhalb der Großgruppe, wird er oft nicht als vollwertig angenommen.537 Bei kleineren Gruppen wie der Familie, Schulklasse oder Firmengemeinschaft ist das innerhalb und außerhalb der Gruppe schon einfacher zu unterscheiden. Gelten innerhalb dieser Gruppe noch bestimmte Regeln, so sind sie außerhalb teilweise außer Kraft. Daher kommt es auch, dass bei Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln jenseits der Bekanntmachungen (z.B. Sitzplätze für Ältere usw.) mitunter eine teilweise rücksichtslose Gleichgültigkeit vorherrscht. Es wird geschubst, gerempelt und gedrängelt und sein eigenes Fortkommen gesucht. Das ist durchaus auch auf konfuzianische Vorstellungen zurück zu führen, denn dort existieren so gut wie keine Verhaltensregeln für Personen, die außerhalb der Gruppe stehen. Da das konfuzianische Denken einen Menschen als Angehörigen einer Gruppe definiert, gibt es auch keine übergeordneten Naturrechte, die als ethisch-moralische Rechtfertigung gelten wie sie z.B. in westlichen Demokratien immer wieder auftritt.538

eingehalten werden, bedürfte einer genaueren Untersuchung, die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. 536 Der Fernsehsender KBS setzt z.B. auf seine Internetseiten immer wieder zu aktuellen Themen Pro-und Contra-Listen, anhand derer die Leser(innen) Argumente der jeweiligen Parteien vermittelt werden, um sich daraus ein eigenes Urteil bilden zu können. 537 Siehe dazu auch Kang, Soon-Won (2010). 538 Wenn westliche Gedanken in Korea aufgenommen wurden, dann geschah das „stets vor dem geistigen Hintergrund der vorherrschenden neokonfuzianischen Anschauungen.“ (Kühnhardt, Ludger [1987], S. 179f.). Und Kim Jeong-Eim, meint: „[…] tradierte Normen und Werte, die als innere Haltung die koreanische Mentalität bestimmen, geraten mit der westlich beeinflussten gesellschaftlichen Realität in Konflikt, was zunehmend zu Identitätsproblemen führt. Die im westlichen Sinne demokratisch orientierte Denkweise, (z.B. gleichberechtigte horizontale Denkweise und eigenes Selbstverantwortungsbewusstsein) ist den Koreanern auf der Handlungsebene fremd.

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So ist es auch für viele Menschen in Südkorea schwer, persönliche Verantwortung zu übernehmen, denn alles, was jemand entscheidet, fällt immer auch auf die ganze Gruppe zurück. Deswegen sind Entscheidungen auf der unteren Ebene der Hierarchie so gut wie gar nicht zu bekommen und es ist sehr sinnvoll, gute Kontakte zu Menschen zu pflegen, die in einem Netzwerk verbunden sind, in dem sich auch hierarchisch höher stehende Personen aufhalten. Über diese Wege erreicht man in aller Regel schneller Lösungen.539 Zuerst kommt immer die Gruppe, aus der heraus entschieden wird. Im Alltag scheinen daher Verhaltensweisen nicht immer sachlich zielgerichtet zu sein. Doch das Ziel der sachlichen Lösung ist in der Regel dem Ziel der Aufrechthaltung der Gruppe bzw. der Harmonie untergeordnet. 540 Manche Handlungen erscheinen daher Menschen, die aus Denkmustern

Vorherrschend ist eine gewisse hierarchisch strukturierte Autorität im Denken und im Handeln.“ (Kim, Jeong-Eim [1997], S. 26.) 539 Lee-Peuker, Mi-Yong beschreibt, wie sich das im wirtschaftlichen Kontext auswirkt: „Die Beurteilung der koreanischen Wirtschaft nach internationalen Standards erfordert, dass man die wirtschaftlichen Beziehungen in Korea vor dem Hintergrund der modernen Wirtschaftswissenschaften beurteilt. Von daher erscheint Handeln im wirtschaftlichen Kontext auch da leicht als irrational oder gar korrupt, wo die Akteure nicht egoistisch ihren individuellen ökonomischen Vorteil suchen, sondern sich innerhalb der ganz alltäglichen und angestammten Praxis der koreanischen Beziehungskultur bewegen. Die Annahme des rationalen Nutzenmaximierers der heutigen Wirtschaftswissenschaften wirft insofern ein negatives Bild auf die koreanische Wirtschaft. Denn das Individuum, das abgegrenzt von allen andren einzig aufgrund seiner privaten Präferenzen im Rahmen gegebener Restriktionen seine Wahl trifft, ist im koreanischen Denken nicht vorgesehen. Hieraus ergeben sich Differenzen in Bezug auf den Umgang mit Rechten, die z.B. durch einen Vertrag entstehen, oder im Verhältnis des Unternehmens zu seinen Mitarbeitern. Ausländische Manager sehen die koreanische Wirtschaft leicht als unterentwickeltes System, das die grundlegenden Standards der Weltwirtschaft noch nicht erfüllt.“ (Lee-Peuker, Mi-Yong [2004], S. 366) 540 Doch selbst wenn ein nicht in Südkorea sozialisierter Mensch begreift, dass das Erhalten der Harmonie das Hauptziel ist, werden die Aktionen nicht immer verständlich sein. Denn die Harmonie einer Gruppe wird nicht zuerst aufgrund der Anwendung sachlicher Maßstäbe erreicht, sondern zumeist aus hierarchischen Denkmustern heraus, sodass sich nicht immer das auf die Lösung hin beste, sondern die den Gruppenzusammenhalt nach hierarchischem Verständnis am besten helfende Lösung durchsetzt. (vgl. dazu z.B. Winchester, Simon [2006], S. 66f.). Manche Musikpädagog(inn)en resümieren nahezu mit aufseufzendem Unterton: „Die Tradition des Har-

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heraus agieren, die einer europäisch-nordamerikanischen Tradition entwachsen, widersinnig und unökonomisch. Andererseits entwickelten sich aus den Statuskriterien heraus innerhalb dieser Strukturen auch Modelle, die sehr manifeste, Ich-zentrierte und egoistische Interessen beinhalten. Das zeigt sich z.B. in der Vorstellung vom Glück (‖䞮┺) 541, mit dem in Südkorea vor allem vier Wertvorstellungen verbunden sind: (1) ein langes Leben, nach dem im irdischen Leben innerhalb der realen Möglichkeiten für sich selbst ein glückliches Leben gesucht wird; (2) Reichtum, der Ausdruck einer klar materialistischen Denkweise ist; (3) sozialer Aufstieg, der mit anerkannter Stellung, z.B. durch Schul-, Universitäts- oder Berufsabschlüsse oder durch Reichtum, auf jeden Fall durch Messbares, Vorzeigbares dokumentiert werden kann; (4) viele Söhne, um den Familienclan und seinen Stammbaum und Namen weiter zu tradieren. Diese Wertvorstellungen sind alle messbar, wodurch das rein Quantitative einen hohen Stellenwert bekommt. Darin könnte u.a. ein Grund dafür liegen, dass Südkorea ein großes Konsumparadies geworden ist und auch die Bildung unter diesen quantitativen Maßstäben eingeordnet wird, sodass Menschen nach solch messbaren Kriterien eingeteilt werden können (je mehr jemand aufzuweisen hat, umso besser). Diese Quantifizierung wirkt sich auf die Pädagogik aus.542 Transzendente oder religiöse Formen, die darüber hinausgehen, müssen

moniestrebens ist im industriellen Zeitalter unserer Gegenwart zu einer fast unlösbaren Aufgabe geworden. Individuation, Sozialisation und Enkulturation sind fragwürdig geworden.“ (Ham, Hee-Ju [1990], S. 33) 541 Das Folgende ist angelehnt an die Aussagen von Choi, Jong-Ho (1992), nach Otto, Wolf Dieter [1995], S. 108 u.ö. 542 Erfolge müssen danach messbar sein: „Diese leistungsorientierte Erziehung in Familie und Schule führt schließlich dazu, dass sich die Kinder sehr egoistisch verhalten, wobei die Eltern auch dieses egoistische Verhalten ihrer Kinder nicht als sozial, sondern als für die Erbringung guter Leistungen notwendig betrachten. Deshalb mangelt es koreanischen Eltern und Kindern weithin an Bewußtsein für die Erfordernisse des gemeinsamen Lebens in der Gesellschaft. [… Die Mütter (RK)] haben sich lange Zeit fast nur durch ihre Kinder verwirklichen können. Sie durften in der von den Männern dominierten patriarchalischen Gesellschaft kein eigenes Leben führen. Dieser Zustand scheint bis heute nachzuwirken, obwohl sich die soziale Situation und die Lebensbedingungen der Frauen allgemein sehr verbessert haben. Dennoch: Das Leben eines Kindes ist nicht nur dasjenige des Kindes selbst, sondern es ist vom Leben der Mutter oft kaum zu unterscheiden. Sie sind eng miteinander verbunden. Ohne eine Veränderung der Einstellung der Eltern, vor allem der Mütter, wird sich, so kann man folgern, das enge Verhältnis zwischen Mutter und Kind weiterhin negativ auswirken.“ (Soe,

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sich in diesem Umfeld erst einmal Gehör verschaffen.543 Eine selbständige künstlerische (oder wissenschaftliche) Tätigkeit außerhalb dieser Parameter hat es dadurch ebenso schwer wie auch der öffentliche Umgang mit differierenden Wertvorstellungen (Wertpluralismus) kaum eingeübt werden kann.544 Allerdings werden inzwischen in Südkorea individuelle Wünsche nicht mehr sofort negativ konnotiert und divergierende Wege zum Aushandeln von gesellschaftlich relevanten Themen zugelassen. Doch das ist ein langsamer Wandel. So laufen Eigeninteressen nach wie vor parallel und oft unverbunden neben oder in den Gruppenbeziehungen. Das führt zu erheblichen Verwerfungen. Es gibt starke Widersprüche innerhalb der Gesellschaft in Südkorea. Oskar Weggel „sieht die zukünftige Entwicklung nicht in der Tendenz zur Verschmelzung oder der Absorption (Verwestlichung), sondern in der Verschichtung. Mit dem Begriff Verschichtung wird das gleichzeitige Nebeneinander von westlichen und östlichen Kulturelementen bezeichnet. […] Entwicklung beinhaltet somit nicht wie in Europa zutreffend ein Nacheinander, sondern ein Nebeneinander der Entwicklungen oder ein ‚simultanes Beibehalten‘. […]

Soo Kyung [2000], S. 146). Dadurch stehen die Kinder oft unter dem enormen Druck, den Ideen, die die Eltern von ‚Glück‘ haben, zu entsprechen. Es ist daher für Kinder schwer, eigene Ideen zu äußern oder gar durchzusetzen. Umgekehrt ist es auch für Eltern schwer, sich dem Erfolgsdruck im Sinne messbarer Leistungen entgegen zu stellen. 543 Das führte dazu, dass Religionen in Südkorea sich genau dieser quantifizierbaren Messbarkeit unterstellten und zu Mittlern persönlicher Glücks- oder Heilsverwirklichung umfunktioniert wurden, wie es u.a. dem Christentum (s.u.) widerfuhr. 544 Choi, Jong-Ho (1992), S. 66ff; nach Otto, Wolf Dieter [1995]; Wolf Dieter Otto kommentiert dieses Konzept von Choi: „Chois Erklärungen stellen als eine der wichtigsten Grundlagen der koreanischen Kultur das individuelle Glücksstreben in das Zentrum. Dieses Interesse bestimmt und durchdringt sämtliche Lebensbereiche und zeitigt negativ die Folge, daß den Koreanern die ‚Anderen‘ und die jenseits des bloß privaten Interesses liegende ‚Öffentlichkeitssphäre‘ sowie die Fähigkeit zur Transzendenz verschlossen sind. Als gewichtige Fundamente auch der gegenwärtigen koreanischen Gesellschaft und Kultur stehen sie der soziokulturellen Entwicklung Südkoreas entgegen. Ihr Einfluß sollte zurückgedrängt werden zugunsten pluraler Wertkriterien und der Entwicklung kritischer Intellektualität. […] Chois Intention kann als der Versuch gewertet werden, einem asiatischen Land eine Periode der Aufklärung zu empfehlen.“ (Otto, Wolf Dieter [1995], S. 108)

192 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN Die logischen Unvereinbarkeiten, die jedem westlichen (teilnehmenden) Beobachter auffallen und an denen er sich abarbeiten wird – auch die vorliegende Arbeit verdankt sich einem ‚Verständnisproblem‘ –, sind ein westliches und kein asiatisches Verständnisproblem.“545

3.1.4 Einflüsse aus dem Christentum Das Christentum546 (䋂Ⰲ㓺䔎ᾦ) wurde zunächst durch den Koreaner Yi Sunhun (㧊㑲䤞) in Korea eingeführt.547 Bereits Anfang des 17. Jahrhundert gab es in Korea eine Art intellektueller Verbindung von reformwilligen Koreanern, die unter dem Namen ‚reale Wissenschaft‘ bzw. ‚praktische Lehre‘ Silhag (㔺䞯) bekannt wurde. Für diese Menschen war das Erlernen der außerkoreanischen, aus Europa und später den USA stammenden Lehren interessant. Sie wollten praktische Verbesserungen und standen damit oft in Opposition zur eher konservativen (neo-) konfuzianischen Staatsbürokratie. Dadurch gelangte die christliche Lehre in Misskredit, was oft mit dem Hinweis begründet wurde, dass sie die Ahnenverehrung Jesa (㩲㌂) nicht durchführe, Es folgten diverse Christenverfolgungen548, die erst mit der Öffnung Koreas eingestellt wurden, was zur weiteren Verbreitung des Christentums führte. Arbeiteten 1910 nur 15 koreanische Priester, so gab es 1945 545 Otto, Wolf Dieter (1995, S. 111); den Begriff ‚simultanes Beibehalten‘ entnahm Otto von Weggel, Oskar (1989), S. 334. 546 Das Christentum heißt auf Koreanisch eigentlich Gidogyo (₆☛ᾦ). Aber heute wird damit oft nur der Protestantismus bezeichnet. Dem gegenüber steht dann der Katholizismus Cheonjugyo (㻲㭒ᾦ). Um hier keine Begriffsverwirrung zu schaffen, wird hier der Begriff Christgyo (䋂Ⰲ㓺䔎ᾦ) für das Christentum benutzt. 547 Bekannt war das Christentum in seiner katholischen Ausprägung bereits seit 1645, als der koreanische Prinz Sohyon (㏢䡚㎎㧦) aus dem China der Ming-Zeit zurückkehrte und Schriftstücke von Matteo Ricci mitbrachte. Eine Missionierung setzte aber erst durch den Koreaner Yi Sunghun (㧊㔏䤞) ein, der sich 1784 in Beijing katholisch taufen ließ und in Korea die erste Gemeinde gründete. 548 Die Ahnenverehrung, ein zentrales Element der (neo-)konfuzianischen Lehre, war von der katholischen Kirche untersagt worden. Die vier größten Verfolgungswellen waren Sinyu (㔶㥶⹫䟊 1801), Gihae (₆䟊⹫䟊 1839), Byeongo (⼧㡺⹫䟊 1846) und Byeongin (⼧㧎⹫䟊 1866). Als dabei Bürger aus Europa und den USA umkamen, sahen sich deren Regierungen gezwungen, einzugreifen, was zu militärischen und diplomatischen Verwicklungen führte. In deren Folge wurde der Umgang gegenüber den Christen weniger rigide. Die Verfolgungen hörten 1886 auf und ab 1899 gab es in Korea Religionsfreiheit. Das Verbot der Ahnenverehrung hat die katholische Kirche in Korea inzwischen aufgehoben.

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etwa 139 koreanische und 169 nicht-koreanische Priester bei ca. 200.000 Katholiken. Heute rechnen sich in Korea ca. 3,7 Millionen Menschen dem Katholizismus Cheonjugyo (㻲㭒ᾦ) zu.549 Die katholische Kirche wurde 1962 zur selbständigen und selbstverwalteten Kirche ernannt.550 Der Protestantismus Singyo (㔶ᾦ) „ist von Anfang an als eine separate Religion neben dem Katholizismus mit eigenen Strukturen, Grundideen und Verhaltensweisen wahrgenommen worden.“551 Er kam in seiner amerikanischen Form mit den amerikanischen Missionaren ab 1885, also etwa 100 Jahre nach dem ersten Kontakt mit dem Katholizismus, nach Korea. Die amerikanischen Reverends552 waren zunächst Presbyterianer 553, später auch Methodisten und Anglikaner. Da ihnen von Regierungsseite her untersagt war, zu missionieren, waren sie nachhaltig sozial tätig, errichteten Schulen, Krankenhäuser und Universitäten. Sie waren diejenigen, die ein funktionierendes Schulsystem in den Orten, in denen sie tätig waren, auf die Beine stellten und nicht die koreanischen Regierungsbehörden oder die japanische Annektionsregierung. Die Reverends ließen dabei in der Regel alle Kinder an Bildung teilhaben. Das ließ das Ansehen der Kirchen, für die die Reverends und ihre diversen Nachfolger standen, steigen und wurde zur besten Werbemaßnahme für die jeweilige protestantische Denomination. Sie wurden alsbald als „Religion des Fortschritts und der Moderne“ 554 identifiziert. Auch die Dezentralisierung und systematische auch sprachliche Koreanisierung der protestantischen Kirchengemeinden trug zu deren Verbreitung in Korea bei. Wichtig

549 Die Daten sind entnommen aus: Wippermann, Carsten (2000), S. 114. 550 Einer der Gründe dafür mag darin liegen, dass sich die offizielle katholische Kirche relativ regierungstreu zeigte. Die Reformen des II. Vatikanischen Konzils (19621965) gaben der katholischen Kirche danach etwas mehr Spielraum, was auch zu differierenden Meinungen und Aktionen innerhalb des Staat-Kirchen Verhältnisses führte. 551 Lienemann-Perrin, Christine; Chung, Mee-Hyung (2006), S. 313. 552 Es kamen von der Northern Presbyterian Mission Reverend Horace G. Underwood (1859-1916) und von der Northern Methodist Mission Henry Gerhart Appenzeller (1859-1902), der 1885 mit der Genehmigung von König Gojong eine Schule gründete, die ab 1886 vom König als ‚höhere Schule‘ (Bae-Jae) bezeichnet wurde. 553 Viele der Missionare waren am Princeton Theological College ausgebildet worden, an dem eine orthodoxe, reformierte Theologie gelehrt wurde. Sie lehnte Bibelkritik ab und hielt an der Unfehlbarkeit der Bibel fest. 16 von 40 Missionaren, die die Northern Presbyterian Church nach Korea entsandte, stammten von dem Princeton Theological College (Conn, Harvie M. [1966], S. 26). 554 Kranewitter, Rudolf (2005), S. 477.

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hierfür erwies sich die ‚Nevius-Regel‘, die wie eine generalstabsmäßig geplante Werbestrategie ziemlich modern anmutet.555 Als Korea immer mehr unter japanischen Einfluss geriet und schließlich annektiert wurde, umgab Christen teilweise ein Nimbus von Kämpfern für die nationale Souveränität. Denn sie boten eine der letzten Rückzugspunkte z.B. dadurch, dass sie in ihren Schulen koreanische Kultur weitergeben konnten. Auf Kirchen

555 Die ‚Nevius-Regel‘ ist nach John Nevius benannt. Der Presbyterianer und ehemalige Missionar in China John Nevius (1829-1893) und seine Frau entwickelten ein Missionskonzept, das sich in China bewährt und nun auch von den protestantischen Missionaren in Korea angewandt wurde. Die Denominationen der koreanischen Christen sollten für die Leitung der Kirche selbst verantwortlich sein und den finanziellen Unterhalt und Mission für die Kirche ohne wesentliche Unterstützung von Seiten der ausländischen Missionsgesellschaft selbst gestalten. Jede Gemeinde wurde so zum eigenständigen Projekt. „1893 verabschiedete der koreanische Missionsrat ein ZehnPunkte-Plan, der auf den Regeln von Nevius aufbaute: (1) Die unteren Bevölkerungsschichten bilden den Schwerpunkt der missionarischen Arbeit. (2) Einheimische Pastoren sollten möglichst aus den unteren Bevölkerungsschichten kommen. (3) Die Evangelisation von Frauen hat Vorrang, weil Frauen den größten Einfluss auf die Erziehung und damit die künftigen Generationen haben. (4) Der Einfluss auf die schulische Erziehung soll erhöht werden. Dazu sind vermehrt junge Menschen für den Lehrerdienst auszubilden. (5) Eine gute koreanische Bibelübersetzung soll möglichst bald zur Verfügung stehen. (6) Jedes literarische Werk soll ausschließlich in der koreanischen Zeichenschrift Hangeul (= die Alltagssprache) herausgegeben werden. (7) Die Gemeinden sollen möglichst selbständig sein. Daher soll die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter möglichst klein bleiben und die Zahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter vergrößert werden. (8) Koreaner sollen durch Koreaner zum Glauben kommen. Daher soll sich die Missionsarbeit auf die Ausbildung von einheimischen Missionaren konzentrieren. (9) Die Ärzte der Missionsstationen sollten über die Behandlung hinaus den Kontakt zu den Patienten halten, denn sie haben die größten Chancen, die Patienten zum Glauben zu führen. (10) Patienten aus ländlichen Regionen sollten durch Visiten in ihrem Dorf weiter betreut werden.“ (Wippermann, Carsten [2000], S. 143). Dazu kam, dass nach einer anderen Abmachung in Gemeinden bis 5000 Einwohnern nur eine Denomination (nämlich die erste, die da war) eine Kirche errichten sollte. All das funktionierte insgesamt erstaunlich gut und führte zu einer relativ hohen Akzeptanz innerhalb breiter Bevölkerungsschichten. Später schlossen sich dann einzelne Missionen zu Kirchen zusammen. Dadurch entstand z.B. 1907 die presbyterianische Kirche Koreas.

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wurde eine Hoffnung auf bessere nationale und soziale Zeiten projiziert. Sie wurden dadurch auch zu Trägern einer politisierten, eschatologischen Hoffnung.556 So stellte sich zumindest ein Teil der Protestanten in Opposition zur japanischen Besatzungsmacht.557 Auch in den leidvollen Folgen des sogenannten558 ‚Koreakrieges‘ (1950-1953) spendeten die christlichen Kirchen559 Hilfe sowohl in Form von Waren oder Verstecken von Verfolgten, aber auch Trost und Beistand, was ebenfalls zur Werbung für und Verbreitung der protestantischen Kirchen beitrug. Durch ihre Beteiligung am (Wieder-)aufbau des Bildungs- und Gesundheitswesen und durch ihre zumindest in den ersten Jahren nach dem Koreakrieg vorhandenen Loyalität oder sogar Patriotismus gegenüber dem südkoreanischen Staat gewannen die christlichen Kirchen viel Einfluss. Doch die Verstädterung Südkoreas sowie den wirtschaftlichen Veränderungen mit ihren Brüchen während der Militärregimes unter Park Chung Hee und Chun Doo Wan (㩚⚦䢮) in den 1960er und 1970er Jahren förderten diverse Spannungen innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft. Darauf reagierten die christlichen Kirchen uneinheitlich. So erkannte der Vatikan als erster Staat die Regierung von Park Chung Hee an. Andererseits wurde im Katholizismus, z.B. durch den ab 1960 wirkenden Kardinal Stephen Kim Sou-Hwan (ₖ㑮䢮) auch Widerstand gegen allzu unsoziale Gesetzgebungen geleistet. In den 1970 und 1980 Jahren wurde die Kathedrale Myong Dong (ⳛ☯) in Seoul zum symbolischen Ort der Demokratiebewegung. 1974 wurde die

556 Eschatologie bedeutet wörtlich „Lehre von den letzten Dingen“ (Jüngstes Gericht, Tod, Auferstehung usw.). Vgl dazu auch Ching, Julia (1989), S. 200. 557 Doch nach der Niederschlagung des Aufstandes von 1919 kam es zu einem Richtungskampf zwischen den politischen Aktivisten und einem Großteil der Missionare, die die eschatologische Hoffnung der Menschen entpolitisierten und eher eine dem Chiliasmus entsprechende Hoffnung entgegen setzten. Die Missionare setzten sich letztlich durch. Ein vergleichbarer Streit wiederholte sich in den 1960er bis 1980er Jahren zwischen der Minjung-Bewegung und den konservativen Kreisen der protestantischen Denominationen. 558 „Sogenannten“ deswegen, weil dieser Krieg zwar ein Bürgerkrieg war, aber je länger er dauerte, desto mehr zum internationalen Stellvertreterkrieg der Großmächte wurde.. Siehe dazu auch Friedrich, Jörg (2007). Der Begriff ‚Koreakrieg‘ wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwendet, weil sich der Begriff inzwischen so eingebürgert hat. 559 Darunter fallen neben der katholischen Kirche auch große protestantischen Denominationen, z.B. die presbyterianischen Kirchen Changnogyo (㧻⪲ᾦ), die methodistischen Kirchen, Gamnigyo (ṦⰂᾦ) und die Heilig Geist Kirche Songgyolgyo (㎇ἆᾦ).

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‚Catholic priest’s association for justice‘ gegründet. Erst nach der Transformation zur Demokratie wurde die katholische Kirche unter dem Nachfolger von Kardinal Stephen Kim Sou-Hwan, Kardinal Cheong Jin Suk (㩫㰚㍳), wieder politisch neutraler. Auch die meisten protestantischen Denominationen begrüßten die harten Aktionen von Park Chung Hee und die Anfänge des Militärregimes, weil damit eine öffentliche Ordnung wiederhergestellt wurde. Allerdings gab es opponierende Kirchengruppen, die mit der Einführung der Yusin (㥶㔶) Verfassung, die oppositionelle Tätigkeiten unterdrückte, größer wurde.560 Die Protestkultur innerhalb der protestantischen Kirche fand ihren Ausdruck in der Minjung Theologie (⹒㭧), die mit messianisch politischen Elementen durchsetzt war. Sie hatte einen apokalyptischen Sprach- und Denkstil, in dem die Machthaber meist als einzige Verursacher des Leids angeklagt wurden. Jesu Leiden und das der Unterdrückten wurde miteinander verglichen, ggf. sogar identifiziert.561 Ihr Denken war dualistisch in ‚Oben und Unten‘ und ‚Entweder – Oder‘ Alternativen strukturiert. Alles, was jenseits der Ideen des Reiches Gottes auf Erden stand, z.B. Kompromisslösungen, wurde oft abgelehnt. Dies äußerte sich auch in Taten. Der Aufnahme des Begriffes ‚Leiden‘ Han (䞲)562 führte bis zur Selbstaufopferung, indem sich z. B. Menschen aus der Minjung Bewegung selbst öffentlich verbrannten.

560 Präsident Park Chung Hee ging damit zwiespältig um, ließ die oppositionellen Gruppen verfolgen, hofierte aber gleichzeitig die Führer der Kirchen mit Einladungen. Letztlich existierten innerhalb der Kirche ‚Subkirchen‘, deren Gläubige z.T. unter Lebensgefahr Hilfe für politisch Bedrängte oder Verfolgte bereitstellten. Allerdings war das keine flächendeckende Erscheinung. 561 Vergleiche dazu Ahn, Byung-Mu: „Here, a distinction has to be made between identifying in the sense of remembering or recognizing one’s own suffering in Jesus’ passion or recognizing Jesus’ passion in the suffering of the minjung, and a direct identification of Jesus with the minjung and vice versa.“ (Ahn, Byung-Mu [2010] S. 75) 562 Der Begriff ‚Han‘ (䞲 / ᚘ) hat eine lange Geschichte. Damit ist ‚bitteres Leiden‘ gemeint. ‚Han‘ (䞲 / ᚘ) setzt sich aus den Zeichen für ‚Herz‘ und ‚Anhalten‘ zusammen, bedeutet also ein Herz, das stehenbleibt. In Südkorea gibt es den Begriff ‘Das Herz/Gefühl verletzen‘ (Ⱎ㦢 ㌂䞮┺), worunter ein ungelöster Konflikt oder auch ‚Gram‘, also eine tiefsitzender, ständig unterdrückter Schmerz verstanden wird. Da Korea über Jahrhunderte hinweg Schauplatz diverser Invasionen war, wurde dieser Han-Begriff zum Merkmal kollektiven Ausdrucks. Dagegen entwickelte sich das schamanische Shinmyong (㔶ⳛ), zusammengesetzt aus dem Begriff für eine Gottheit Shin (㔶 / ⾎) und Myong (ⳛ / ᰾), dem Begriff für Klarheit bzw. durch göttliche Weisheit zur Klarheit gelangen. In schamanischen Ritualen wird einem exorzistischen

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Zwar wuchs in der Zeit der Militärregierungen zwischen 1960 und 1988 das Bruttoinlandsprodukt um jährlich ca. 10%, aber das geschah auf dem Rücken der Arbeiter(innen)563 und ging mit einer großen Migration vom Land in die Industriezonen einher. Menschen einer gemeinsamen regionalen Herkunft, die ihres Umfeldes beraubt und sozial heimatlos waren, fanden in Kirchen eine Art Schutzraum.564 In diesen durch den Koreakrieg wie auch durch die Industrialisierung hervorgerufenen Wanderungsbewegungen boten Kirchen den Inlandsmigranten ein klein wenig Gefühl von alter Heimat am neuen Wohnort, aber auch eine Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, was zu einem Regionalismus und Abschließungstendenzen in den Kirchengemeinden führte. Mit der Demokratisierung Südkoreas565 gelangte die südkoreanische kirchliche Protestkultur in eine Legitimationsproblematik. Ihr kam quasi Zug um Zug der Gegner abhanden, da sich das Leid der Menschen langsam verringerte, als sich neben dem wirtschaftlichen Aufschwung auch eine koreanische Art von Rechtsund Freiheitsverständnis durchzusetzen begann. Viele der ehemals in christlichen Kirchen aktiven Personen wurden staatstreu (Bürger Simin [㔲⹒] statt Volksmasse Minjung [⹒㭧]). Als ein persönliches Fortkommen möglich wurde, hatte eine mögliche gesellschaftliche Totalumwälzung weniger Zugkraft. So rückten

Ritus ähnelnd ‚Han‘ durch ‚Shinmyong‘ abgelöst. Aus dem Leiden wird Klarheit, aus der Bedrückung Begeisterung. Dieser Weg findet sich sehr ähnlich auch in protestantischen Gottesdiensten in Südkorea wieder. Und zumindest damit vergleichbare Bewegungsmuster finden sich in überlieferter koreanischer Musik. Traditionelle Lieder fangen oft leise an und werden lauter. Ebenso gibt es eine Tendenz, in accelerierendem Tempo zu musizieren. 563 Dazu gehörten „Überausbeutung der Arbeitskräfte in den Jahren 1962 bis 1985, brutale Unterdrückung gewerkschaftlicher Aktivitäten, verheerende Umweltzerstörungen in den freien Produktionszonen, um nur die Wichtigsten zu nennen. Einer kleinen Minderheit von gut Situierten bis sehr Reichen stand die Mehrheit der Bevölkerung gegenüber, die in bescheidenen Lebensverhältnissen oder in krasser Armut lebten. Soziale Spannungen und politische Krisen, denen das Regime mit äußerster Härte entgegentrat, waren die Folge.“ (Lienemann-Perrin, Christine; Chung, Mee-Hyung [2006], S. 303.). 564 „Für sozial und kulturell Entwurzelte wurde die Kirche zur neuen Heimat in der Stadt. Arbeitslose und Arme erhielten Unterstützung in Notlagen; dank kirchlicher Kontakte fanden sie Arbeitsplätze, Weiterbildungsangebote, Ehepartner und für die Kinder Zugang zum Schulwesen aller Stufen – lauter neue Lebensperspektiven.“ (a.a.O., S. 314). 565 Ab den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom Dezember 1987 und April 1988.

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bei den kirchlichen Aktivitäten die Wohlfahrtsbestrebungen (Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen usw.) und Bildungsfragen wieder stärker in den Fokus.566 Für einen Großteil der Kirchen gilt auch heute noch ein recht sittenstrenges, konservatives Ideal. Es gibt viele evangelikale Denominationen. 567 Die am schnellsten wachsende Gruppe sind derzeit die Pfingstkirchen.568 Dennoch ist die Minjung Theologie nicht ganz verschwunden. Manche dehnen ihre politisch-theologischen Zielsetzungen auf andere Bereiche aus. So kritisiert die Minjung Theologie die Globalisierung und die Macht der Jaebeol569 oder entwickelt den Minjung Gedanken im Rahmen einer ‚feministischen Theologie‘ weiter. Allerdings ist die Anerkennung feministischer Elemente in Korea nicht einfach. So gibt es in Südkorea z.B. das Problem von Gewalt in der Ehe und der Misshandlung von Frauen. Frauen lebten über Jahrhunderte hinweg nicht gleichberechtigt in einer asymmetrisch geprägten Tradition. Diese reibt sich mit den Bestrebungen für Gleichberechtigung in der Moderne und diese Rollendifferenz ist zumindest auch ein Grund für die Gewaltausbrüche. Das Sich-Kümmern um misshandelte Frauen und das Herausholen von derartigen Themen aus der Heimlichkeit ist bis heute keine Selbstverständlichkeit.570 Das führte zum Beispiel zu einer

566 Es gibt diverse christliche Schulen und Hochschulen, z.B. die Sogang Universität in Seoul (㍲ṫ╖䞯ᾦ). 567 „Die meisten Missionare sind pietistisch und evangelikal orientiert. Schwerpunkte dieser Bewegung sind Evangelisation, Mission, Bekehrung und Frömmigkeit, wobei die eigentliche Theologie in den Hintergrund gerät. Die evangelikale Richtung zeichnet sich weniger durch wissenschaftliche, systematische Theologie als durch Lebendigkeit und Praxisnähe aus. Z.B. die Bibel als das Wort Gottes verstanden scheint jegliche Toleranz gegenüber dem Liberalismus oder der Bibelkritik auszuschließen.“ (Choi, Hyun-Beom [2003], S. 213f.) 568 Sehr starken Zuspruch erhielt z.B. die Jo Yong-gi Kirche (㫆㣿₆), die sich aus Hauszellengruppen zusammensetzt. „Die gesellschaftsverändernde Kraft der Pfingstkirchen in Korea und anderen Ländern Asiens liegt nicht in Kohärenz ihrer Lehre, sondern in ihrer Flexibilität und Fähigkeit zu einer sozialen Praxis im Zuge der raschen sozialen Umbrüche.“ (Lienemann-Perrin, Christine; Chung, Mee-Hyung [2006], S. 318.) 569 „The life that is victimized as the garden and a oasis of life is being turned into a jungle and desert of destroying life. The vitality of life and the power of death are in a bitter contest in the global marketization process.“ (Kim, Yong Book [1998]) 570 Erst seit 1997 wird häusliche Gewalt per Gesetz bestraft, seit 2001 gibt es in Südkorea ein Ministerium für Geschlechtergerechtigkeit. Trotz dieser staatlichen Veränderungen ist das Problem nicht gelöst. Das wissen auch die Kirchenvertreter und haben eine

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Art Machtkampf zwischen feministischen Theolog(inn)en und der Schultheolog(inn)en, die meinten, es sei besser, die Kirchenöffentlichkeit nicht mit Privatangelegenheiten zu belasten. Andere Themen sind die Behandlungen von Migrantinnen (z.B. aus Philippinen oder aus China) oder auch die Aufarbeitung der Massaker, die z.B. auf Jeju (㩲㭒) oder in Gwangju (ὧ㭒) stattfanden.571 Derzeit ist die Kirche insgesamt eher weniger politisiert und in den diakonisch-caritativen Kreisen aktiv. Dazu kommt, dass die christlichen Kirchen sehr stark wirtschaftlich involviert sind und in ständiger Konkurrenz untereinander stehen.572 Protestantische Kirchen bemühen sich mit zum Teil aggressiver Missionstätigkeit darum, weitere Gläubige zu rekrutieren. Dahinter steht auch ein wirtschaftliches Interesse, denn es geht darum, welche Kirche am Meisten vorzuweisen hat.573 Die durch die o.e. Nevius-Theorie entstandene Dezentralisierung führte auch zum Problem der Zusammenarbeit. Die Kirche jenseits der Gemeindegrenze

kirchliche Rechtshilfe für misshandelte Frauen ins Leben (₆☛ᾦ 㡂㎇㌗╊㏢ [KAWT]) gerufen. 571 Lienemann-Perrin, Christine; Chung, Mee-Hyung (2006), S. 325. 572 „Seit Beginn der 90er Jahre setzt sich die sog. ‚Satellite Church‘ durch; reiche Kirchen gründen in vielen Städten Filialkirchen und übertragen den Gottesdienst und ihr sonstiges Programmangebot per Satellit in die Häuser der Filialkirchen. Zahlreiche Filialkirchen können mittlerweile zehn bis fünfzehn Filialkirchen aufweisen. In kirchlichen Kreisen wird mittlerweile diese Form der kirchlichen Ausweitung offen konträr diskutiert; die Gegner diese Entwicklung werfen den reichen Kirchen vor, sich zu kirchlichen Multikonzernen zu entwickeln. Wie in Konzernen der scheidende Konzernchef seinem Sohn die Leitung der Geschäfte überträgt, so sorgen sich die Pfarrer der reichen Kirchen darum, ihren Söhnen die Gemeindeleitung zu übertragen. Es kann in diesem Zusammenhang von Erbdynastien gesprochen werden.“ (Lee, Nam-Beck [2001], S. 172f.) Derartige ‚Erbdynastien‘ sind durchaus mit dem Nepotismus mancher Mönche in der Geschichte des Buddhismus in Korea zu vergleichen. 573 In Korea gibt es keine offizielle Kirchensteuer wie in Deutschland. In christlichen Kirchen wird oft ‚der Zehnte‘ abgegeben, d.h. 10% des Einkommens werden an die Kirche abgeführt. Daraus ergibt sich die einfache Rechnung: Je mehr Anhänger eine Kirchengemeinde hat, desto mehr Einkommen hat sie auch. Auch aus ökonomischen Gründen gibt es teilweise extrem intensive, aggressive Werbestrategien bzw. Missionierungstätigkeiten. Der Gottesdienst vor allem großer Gemeinden wird manchmal zu einer Massenveranstaltung mit großem multimedialem Aufwand. Ein Gottesdienst bekommt dadurch beinahe den Charakter eines rituellen Happenings und hat in protestantischen Kirchen mitunter katharischen Charakter ähnlich den baptistischen Kirchen der USA.

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wurde nicht als Ganzes gesehen. Es entwickelte sich so etwas wie ein gemeindezentrierter Gruppenzentrismus oder -egoismus. Geradezu vernichtende Urteile fallen deshalb auch manche Wissenschaftler bezüglich der Rolle der protestantischen Kirchen in Korea. 574 Die Konkurrenz der Denominationen untereinander war teilweise so stark, dass Konflikte mitunter nur noch durch Abtrennung, also Kirchenspaltungen gelöst werden konnten.575 Es gibt jedoch trotz der Abgrenzungen der Gemeinden untereinander inzwischen auch Tendenzen, dass die liberalen und die konservativen Richtungen in den Kirchen etwas aufeinander zugehen. 576 Vielfach lässt sich bis heute verfolgen, wie der Formalismus, der den (Neo)Konfuzianismus gegen Ende der Joseon-Dynastie auszeichnete, in den christlichen Kirchen weitergeführt wurde. Die Kirchen sind in ihrer Grundstruktur konservativ.577 An dieses moralische Verständnis des Lebens haben vermutlich schon

574 Lee, Nam-Beck spricht von einem „gemeinschaftszerstörenden Ekklesiozentrismus“ (Lee, Nam-Beck (2001), S. 172). Song, Choang-Sen kommt zu dem Schluss, dass sich, während die Kirchen in inneren Auseinandersetzungen verstrickt waren, durch die Modernisierungsprozesse in Südkorea die traditionellen Gesellschaftsstrukturen auflösten. Dadurch entfremdete sich die Kirche von vielen Menschen. Song meint, dass die Weigerung der Kirche, sich mit den Veränderungen in Südkorea bzw. Ostasien auseinander zu setzen, für den Verlust der Familie verantwortlich sei (Song, Choang-Sen [1979], S. 156; s.a. Federschmidt, Karl H. [1977]).

575 So stand z.B. 1952 eine Gruppe, die die Shintoverehrung aus der Zeit unter japanischer Annektion noch aufrecht erhalten wollten gegen eine Partei, die diese aus dem koreanischen Leben entfernen wollte. 1953 kam es zum Streit um die liberale Theologie, als Theologen, die vor allem im Ausland, studiert hatten, die liberale Theologie als Grundlage der Bibelinterpretation in Korea anwandten. Aus Teilen dieser liberalen Theologie entwickelt sich später dann die o.e. Minjung Theologie. 1959 ging es um die Teilnahme der Kirchen am Ökumenischen Rat der Kirchen. In allen drei Fällen kam es zu Kirchenspaltungen. Dies setzte sich in den nächsten Jahren vor allem in den presbyterianischen Kirchen so fort. Kern unterteilt die christlichen südkoreanischen Gemeinden in sozialreformatorische, orthodoxe und pfingstlerisch-charismatische, wobei sich die beiden letzten seiner Ansicht nach zwar theologisch und spirituell stark unterscheiden, jedoch zu starken Abgrenzungen neigen und in der Mehrheit sind (Kern, Thomas (2001), S. 350; S. 346f.). 576 Vgl. dazu Choi, Hyun-Beom (2003), S. 271. 577 „Im Innern orientieren sich die Kirchen jedoch deutlich am (neo-)konfuzianischen Ordnungsideal. Sie werden trotz einer breiten Organisationsstruktur streng hierarchisch und paternalistisch geführt. In der Regel sind Pfarrer und Presbyterium männlich besetzt und genießen eine besondere Ehrerbietung […] Der Pfarrer übernimmt

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die protestantischen Missionare angedockt, denn die meisten von ihnen standen der puritanischen 578 Ausprägung des Protestantismus nahe. So kämpfen heute auch die christlichen Kirchen um ihr Eigenbild, weil der Einbruch individueller Werte auch ihr Selbstverständnis berührt. Es „dominiert weiter die Kultur des konservativen Protestantismus, doch gerade hier sind erste Tendenzen unter den Gläubigen erkennbar, sich der Kontrolle zu entziehen und Autonomie gegenüber der Gemeinde zu gewinnen. Biographie wird zu einem Entwurf in Teilprojekten, und vor allem junge Menschen gehen für eine gewisse Zeit auf Distanz zur Gemeinde, um in anderen Sphären ihres Lebens (Studium, Beruf) voranzukommen, denn der kompromisslose Anspruch der Gemeinde würde sie dabei behindern. Sie zweifeln dabei (zunächst) nicht an der grundsätzlichen Richtigkeit des Gemeindekonzepts, bemerken aber, dass es zu Kollisionen mit ihren eigenen Plänen kommt. Die konservativen Gemeinden verschweigen und bestreiten nach außen diesen Trend. Nach innen aber reagieren sie massiv mit moralischem Druck und betonen, dass Gemeinde und Gottesdienst notwendige Pfeiler der christlichen Existenz seien und absolute Priorität hätten. So erkennen sie die Ansprüche der anderen Sphären nicht an, sehen in ihnen eine existentielle Bedrohung und begegnen ihnen mit offenem Kampf und mit kompromissloser Härte.“579

die Rolle eines geistlichen Führers, der sich durch seine geistige Ausstrahlung legitimiert […] Außerdem gelten für das Verhalten der Gemeindemitglieder die (neo-)konfuzianischen Forderungen der Sittlichkeit, nach denen Höherstehende tugendhaft und Niedrigstehende gehorsam und hilfreich sein sollen.“ (Lee-Peuker, Mi-Yong [2004], S. 137) 578 Mit ‚Puritaner‘ (purus = rein, sauber, rechtschaffen, keusch) wurden ursprünglich im 17. Jahrhundert Gegner der Stuarts im England benannt. Der Begriff verengte sich danach auf Menschen, die im Elisabethanischen Zeitalter sittenstreng lebten. Der Puritanismus fand ab 1620 besonders in den neuen Kolonien Nordamerikas eine neue Heimat (Pilgerväter). Menschen dieser vom Ideal her sittenstrengen und moralischen Form des Glaubens gründeten diverse Missionsgesellschaften, aus denen sich später die Missionare Koreas rekrutierten. Sie hatten letztlich zumindest formal ein ähnlich strenges und konservatives Gesellschaftsbild wie die (neo-)konfuzianischen Vorstellungen im Korea des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 579 Wippermann, Carsten (2000), S. 281.

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Dieses rigorose Verhalten führt auch zu einem antagonistischen Image der christlichen Kirchen in der südkoreanischen Bevölkerung.580 Grundsätzlich ist der Erfolg christlicher Kirchen in den letzten über 100 Jahren auf ihre praktischen Erfolge zurück zu führen. Die Frage bleibt aber offen und ist in diesem Zusammenhang nicht zu klären, welche genuin christliche Sinndeutung die christliche Religion den Koreaner(innen) jenseits der unzweifelhaften Erfolge in ihrem diakonisch-karitativen Tun und vor allem auch in Bildungsfragen und teilweise auch in der Unterstützung des demokratischen Transformationsprozesses gibt. Denn die Umgangsformen aus der vorchristlichen Tradition Koreas wirken in den christlichen Kirchen. 581 Sie stehen

580 Der Autor selbst hat in Gesprächen in Südkorea viele radikale Ansichten über die christlichen Kirchen gehört. Diejenigen, die dafür waren, redeten mit geradezu missionarischem, penetrantem Eifer über Gott und Jesus und bezogen das dabei fast immer auf ihre Gemeinde, über die sie wie über einen Familienverband redeten. Andere sprachen in großer Ablehnung bis zum Hass gegenüber den christlichen Kirchen, manche sagten auch „die Christen“. Sie meinten, dass bei ‚den Christen‘ oder ‚den Kirchen‘ immer nur ein rigoroses dualistisches Denken vorhanden sei. Würde man sich zum christlichen Glauben bekennen, dann würde man mit Wohlwollen aufgenommen, dürfe aber keine gegen kirchliche Grundsätze gerichtete Kritik wagen: „Wenn ich mich als Nicht-Christ oute, dann werde ich nur noch als Mensch behandelt, der noch auf den rechten Weg geführt werden müsse. Da ist keine Toleranz“. (Gespräch des Autors im Februar 2012) 581 Christliche Kirchen vor allem im protestantischen Bereich weisen deutliche Charakteristika auf, die auch in anderen Religionen vorkommen. Dazu zählen die eher dem (Neo-)Konfuzianismus entlehnten paternalistischen Strukturen in den Gemeinden oder auch die dem Schamanismus entlehnte Bezeichnung Hananim (䞮⋮┮) für Gott, was der im Schamanismus verwendeten Bezeichnung Haneunim nahe kommt. Im Schamanismus wird ‚Haneunim‘ transzendental und naturalistisch gedacht, er lebt im Himmel Haneul (䞮⓮) und ist zugleich der Glaube an ihn. Haneunim ist im Schamanismus auch eine Art der Lebenseinstellung: „To follow Heaven is to follow the human duties. An act contrary to Heaven has been deemed immoral, so to believe in Hananim and to follow His will has how become the moral philosophy of Koreans. Thus the faith and philosophy of Hananim have been the primitive substructure of Korean culture.“ (Suh, Kuk-Sung [1983], S. 109). Vielleicht liegt für manche Koreaner(innen) hierin eine Verbindung zu einer Gottesvorstellung im Christentum. Denn christliche Koreaner(innen) beten in der Kirche oft für das eigene Wohlergehen, was genauso im Schamanismus geschieht. Dahinter kann auch eine Vorstellung von Gott stehen, der Harmonie schafft. Ob eine Auseinandersetzung mit diesen Traditionen

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teilweise zwar in Differenz zu christlichen Gedanken, beherrschen diese aber. So gibt es im Christentum das für alle geltende Gebot der doppelten Nächstenliebe.582 Aber was im Christentum noch für alle galt, gilt eben im Konfuzianismus nur in Abstufungen je nach Gruppenzugehörigkeit. Daher wird in der Regel auch in Kirchengemeinden einer Person aus der eigenen Gruppe geholfen, jemandem von außerhalb der Gruppe aber wird eine Hilfszusage zumindest nicht per se gegeben. Zwar wird das Gebot der doppelten Nächstenliebe auch in der koreanischen christlichen Kirche vertreten, aber das kollidiert mit einer koreanischen Alltagsrealität der Zuweisung in Gruppenprozessen. Auch im Alltag christlichen Handelns in Südkorea wird die Diskrepanz zwischen diesen Handlungsmustern oft zugunsten des Gruppendenkens gelöst. In einem Gespräch äußerte sich ein südkoreanischer

überhaupt tiefgreifend stattgefunden hat, erscheint zweifelhaft. So zeigt die Tatsache, dass führende Köpfe einiger protestantischer Denominationen quasi in einer Umkehrung der Verbote des Christentums im 18. und 19. Jahrhundert teilweise bis heute traditionelle Rituale wie die Ahnenverehrung als Götzendienst ansehen. Sie bringen damit ihre Anhänger in unhaltbare Gewissensqualen zeigen zugleich, dass sie den Sinn der Jesa als Ritus des Zusammenhaltes von Familie und Staat nicht erkannt hatten. Jesa wurde nur als religiöser, nicht aber als staatstragenden Ritus gedeutet. Bei einer solchen Kritik setzen sie voraus, dass entweder der Konfuzianismus eine Religion ist, was zwar diskussionswürdig, aber eben auch umstritten ist. Oder sie beziehen den Ahnenritus auf die Traditionen aus Buddhismus oder Schamanismus, erkennen aber nicht an, dass Riten auch unabhängig von religiösen Bezügen zu gemeinschaftsstiftenden Festen werden könnten, die u.U. auch in christliche Zusammenhänge passen könnten. 582 In der christlichen Bibel wird in Markus 12,29ff. nach Deuteronomium 6,5, bekannt als das ‚Schma Israel‘ kombiniert mit dem Text Leviticus 19,18 das Doppelgebot der Liebe entwickelt, Gott und den Nächsten zu lieben. Aus diesem Doppelgebot kann auch eine Teilbegründung des kategorischen Imperativs durch Immanuel Kant abgeleitet werden. Dessen Überlegungen flossen wiederum in die Menschenrechtskataloge der UN ein. Letztlich sollen dessen Erklärungen für die ganze Weltbevölkerung gelten. Die UN Menschenrechte setzen die Gleichheit der Menschen voraus. Diese sind im konfuzianischen Denken nicht gegeben, denn im (neo-)konfuzianischen Denken ist das anthropologische Bild auf die Beziehung zwischen Menschen aus Hierarchien gegründet. Die Auslegung der Menschrechte ist daher mitunter recht verschieden. Aus konfuzianischer Sicht können Menschenrechte eben nur in Abstufungen nach Gruppenzugehörigkeit ‚gelesen‘ werden. Begriffe und Phänomene werden in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgelegt. Siehe dazu auch Beck, Ulrich (1997), S. 92.

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Lehrer gegenüber dem Autor, dass es ihm vorkomme, als sei hinter den christlichen Organisationen letztlich nur ein mit einem Talar oder ähnlichen Glaubensmäntelchen umhüllter Konfuzianismus vorhanden. Einen eigenständigen geistigen Beitrag des Christentums zum kulturellen Ausdruck Südkoreas aus dem Glauben heraus, der nicht mit diakonischen, gesellschaftspolitischen oder ökonomischen Beiträgen verwechselt werden darf, ist trotz alltäglich großer Präsenz der Kirchen im Alltag nicht direkt zu erkennen. Dies bedürfte einer näheren Nachforschung, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden kann. 3.1.5 Einflüsse aus der Zeit der Militärregierungen und der Ökonomisierungen Es gibt in der koreanischen Gesellschaft Wertvorstellungen aus der Zeit der Militärregierungen, eine Art ‚Militärkultur‘ Gunsa munhwa (ῆ㌂ⶎ䢪), die auch heute noch ganz oder in Teilen wirksam ist. Das hat historische Gründe, die auch in der über Jahrzehnte hin fehlenden Freiheit Koreas liegen. Korea konnte seit der Öffnung des Landes im Jahr 1876 durch den japanisch-koreanischen Vertrag von Ganghwado (ṫ䢪☚ 㫆㟓) im Vergleich zu anderen, nicht sinojapanischen Kulturen etwa 100 Jahre lang keinerlei moderne freie, eigenständige (kulturelle) Identität herausbilden. Obwohl es eine reiche Geschichte in Korea gibt, war die Zeit bis zur japanischen Annektion zu kurz, um diese in Freiheit zu einer Eigenständigkeit zu entwickeln. Eine Entwicklung fand nur unter der zeitweise massiven Einmischung von Fremdmächten oder aufgrund der Motivation einzelner, oligarchischer Interessengruppen statt. Eine Einmischung von Fremdmächten gab es auch vorher schon583, jedoch waren es nur zwei und zudem verwandte Kulturkreise, nämlich China und Japan, die sich in das Leben in Korea einmischten, und dabei nie so aggressiv kulturelle Maßnahmen durchsetzen konnten wie es die Japaner dann nach der Öffnung Koreas taten. 584

583 Allein in der Zeit der Joseon-Dynastie zwischen 1392 und 1910 waren die Koreaner rund 360 Kriegen gegen Chinesen und Japanern ausgesetzt. (Bong, Hyeon-Chol [1995], S. 75, zitiert nach Choi, Jinchul [2010], S. 60f.). 584 Die meisten Koreaner(innen) kannten Jahrhunderte lang jenseits der angrenzenden bzw. jenseits der See liegenden Staaten keine andere Welt. Der von 1653 bis 1666 nach einem Schiffbruch zwangsweise in Korea lebende Holländer Hendrick Hamel berichtet darüber: „They believe there are but twelve Kingdoms or Countries in the whole World, which once were all subject, and pay’d Tribute to the Emperor of China; but they have all made themselves free since the Tartar conquer’d China, he not being able to subdue them. […] Their writings give an account, that there are fourscore and

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Nach 1876 kamen quasi als Nebenschauplatz der europäisch-amerikanischen Kanonenbootpolitik auch andere Mächte nach Korea und diese Zeit endete damit, dass Korea von 1910 ab ein Protektorat585 Japans war, das aber wie eine Kolonie behandelt wurde. Japan beutete Korea für seine imperialen Ziele aus. Um das möglichst effektiv zu schaffen, wurde das Land modernisiert und japanische Wirtschafts- und Denkstrukturen in Korea rigoros eingeführt. Das geschah bis zu dem Versuch, alles Koreanische (Sprache, Namen usw.) auszulöschen und durch japanische Worte und Werte zu ersetzen. Selbst der Schintoismus nahm Einzug in Korea. In den Kriegen Japans wurden alle Ressourcen Koreas rücksichtslos ausgebeutet. Das bezog sich nicht nur auf Waren, sondern auch auf Arbeitskraft, Militärzwangsverpflichtungen bis hin zu Gräueltaten.586 Bis heute ist das Verhältnis zwischen Japan und Korea sehr zwiespältig. Es gibt so etwas wie eine heimliche Hassliebe der Koreaner(innen) gegenüber Japan, wobei der Begriff ‚heimlich‘ wichtig ist. Eine Aufarbeitung dieser Zeit im Miteinander geschieht nur mit vielen Rückschlägen und Gespräche darüber sind oft emotional stark aufgeladen, zumal

four thousand several Countries; but most of them do not believe it, and they say, if that were so every little Island and Sand must pass for a Country; it being impossible, say they, for the Sun to light so many in a day. When we nam’d some Countries to them, they laugh’d at us, affirming, we only talk’d of some Town or Village; their Geographical Knowledge of the Coasts reaching no father than Siam, by reason of the little Traffick they have with Strangers farther from them.“ (Hamel, Hendrik [1704], S. 124f.) 585 Der Begriff ‚Protektorat‘ (lat: protegere, ‚schützen‘) bedeutet, dass der jeweilige Staat von einem anderen Staat vertreten wird, selbst aber teilsouverän erhalten bleibt. Eine Kolonie der Besitz eines anderen Staates. Formal bewegte sich das Verhältnis von Korea und Japan in der Zeit von 1906/1910 bis 1945 im Sinne eines Protektorats. Faktisch hingegen nahm es zunehmend die Inhalte eines kolonialen Verhältnisses an. 586 Eines der traurigsten Kapitel ist z.B. die organisierte Zwangsprostitution von Frauen, die Wianbu (㥚㞞⿖) oder auch Ilbongun Seongnoye (㧒⽎ῆ ㎇⏎㡞) genannt wurden oder euphemistisch auch ‚Trostfrauen‘ Wianbu (㥚㞞⿖) hießen. Dass diese nicht nur in den feindlichen Staaten wie China im japanisch-chinesischen Krieg in Bordelle verschleppt wurden, sondern eben auch von dem eigentlich in der Zeit zu Japan gehörigen Korea, also quasi dem eigenen Land, zeigt, dass der Status der Koreaner als nicht gleichberechtigt galt, sondern eher eine auszubeutende Ressource war. Japan kündigte zwar immer die Gleichheit zwischen Koreaner(innen) und Japaner(innen) an, hat sie aber niemals wirklich durchgeführt. Auch die Eheschließung zwischen Japanern und Koreanern blieb stets verboten.

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die negativen Erinnerungen an diese Zeit auch immer wieder politisch instrumentalisiert werden.587 Die Hinterlassenschaft Japans in Korea mit einer (Zwangs-) Modernisierung z.B. in der Infrastruktur, auf der in Korea zumindest in den Anfängen aufgebaut werden konnte, wird hingegen gerne leise übergangen. Nach 1945 kamen in Südkorea ein oligarchisches Regime unter Rhee Syngman (㧊㔏Ⱒ), danach die Militärregimes unter Park Chung Hee und Chun Doo Hwan an die Macht, in deren Folge eine eigenständige Aufarbeitung koreanischer kultureller Eigenheiten nur innerhalb vorgegebener wirtschaftlicher und nationalistischer Gedanken gestaltet werden konnte. Ein langsames Heranwachsen eigener kultureller Identität im von politischen Herrschaftsinteressen freieren Dialog mit vielen anderen Kulturen gab es in Korea nicht. Erst mit der Demokratisierung Koreas war eine diskursive Auseinandersetzung mit koreanischen Kulturrepräsentationen und die Erforschung und Entwicklung einer eigenen Identität in Freiheit möglich. Etwa zur gleichen Zeit aber begann mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 die weltweite Vernetzung an Geschwindigkeit zuzunehmen. Aus dieser Zeit autokratischer Regierungen mit ihren dirigistischen Anweisungen wirken heute im Alltag Koreas noch Umgangsformen und Deutungsmuster. Zur Zeit der Militärherrschaft war die Beziehungsverflechtung von Militär und Firmen groß. Die Firmen erhielten Richtlinien von den Militärmachthabern und manche Militärangehörige wechselten nach ihrem Dienst in Firmen. Diese Verfahren liegen zwar in der Vergangenheit, aber „[…] the Korean way of working is not innocent of Japanese colonial lesson or is own military’s devotion to effiency and economic development.“588 In Firmen können auch heute die Umgangsformen zwischen Vorgesetzen und Untergebenen bei unvorbereiteten NichtKoreaner(innen) Erschrecken auslösen, denn die z.T. militärisch dominante Anrede eines Vorgesetzten ist für heutige Europäer ungewohnt. Es gilt zuweilen noch das ‚Sang myeong Ha bog‘ (㌗ ⳛ 䞮 ⽋) = ‚Oben Befehl unten Gehorsam‘.589

587 Zum Beispiel gibt es immer noch Streitigkeiten um die Dokdo-Inseln (☛☚ ㎂). Die Inseln liegen zwischen Japan und Korea und beide Seiten erheben Anspruch darauf. Faktisch gehören sie derzeit zu Südkorea. In unregelmäßigen Abständen, wenn in Japan etwas (scheinbar) gegen koreanische Interessen gesagt wird, kocht der Streit immer wieder hoch und es führt zu Demonstrationen mit obligatorischem Verbrennen der japanischen Fahne. Gleiches gilt für den Schulbuchstreit. In japanischen Schulbüchern wird bis heute die Zeit der japanischen Okkupation Südkoreas nicht mit der Nennung aller Fakten behandelt. 588 Kearney, Robert P. (1991), S. 62. 589 „Der im Zuge der Kolonialisierung, des Korea-Kriegs und der autoritären Regierungen entstandene Nationalismus bleibt zum Teil weiterhin sehr stark, und die Frage ist

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Auch auf die Bildung hatte dies Einfluss, vor allem unter der Regentschaft von Park Chung Hee.590 Er wollte das südkoreanische Schulsystem effizienter machen und ihm schwebte dabei vor allem die Förderung einer Bildung zum ökonomischen Nutzen vor. 591 Unterstützt durch die Weltbank, Bankiers aus den USA und die US Regierung.592 wurde Erziehung in der Regierungszeit von Park Chung Hee als ein tragender Pfeiler für eine zukunftsfähige Gesellschaft angesehen. Aber sie wurde nicht als Voraussetzung für die Entwicklung von Meinungen und Ideen gesehen, durch die alle an einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft mitwirken können. Deutungen wurden vorgegeben. Die Entwicklung des Erziehungswesens zielte auf die Erlangung ökonomischen Könnens in quantitativ messbaren Parametern, einer Verteidigungsbereitschaft und eines Antikommunismus.593

noch offen, wie die Koreaner in Zukunft in einer interdependenten Welt konstruktiv damit umgehen werden.“ (Choi, Jinchul [2010], S. 55.). 590 „President Park incorporated enduring features from the educational past – an on-going raising of literacy and general education standards; an anticommunist ethos; mechanisms for legitimating state authoritarianism – and organized them into a cross-referenced, centralized arm of state. Moreover, he added significant new dimensions to Korean education, in particular, the critical link between schooling and the economy, as Korea embarked on its industrial ‚miracle‘, and also increased intellectual dependency on the U.S.A.“ (Synott, John P. [1995], S. 36.) 591 „If education in the previous Republics was inefficient and uncoordinated, under Park Chun Hee, education became efficient and industrialised. Like industry, education achieved economies of scale compatible with the ‚comparatives advantages‘ of manufacturing sector. … A version of Fordist model of education was instituted in Korean education under General Park, and if has largely remained.“ (a.a.O. S. 37). Synott bezieht sich hierbei auch auf eine Schrift von Lee, Man Gap (1978). 592 A.a.O., S. 44. John P.Synott spricht weiter davon, dass der Erziehung durch die direkte Einmischung von Park Chung Hee zur Förderung des industriellen Wachstums und der Verteidigungsbereitschaft einen sehr hohen Stellenwert zugemessen wurde. Gleichzeitig sei aber zu bedenken, dass Parks Förderung der Erziehung in einem durch den (Neo-)Konfuzianismus geprägten Lebensstil ohnehin einen fruchtbaren Boden fand. Allerdings sei die starke Ökonomisierung und Effizienz des Lernens in der Form neu gewesen, denn sie galt für jedermann, nicht nur für Anwärter auf Beamtenposten. 593 Als Beispiel sei erwähnt, dass fast bis zum Ende der Militärregierungen in südkoreanischen Schulen das Marschieren für alle oder Sanitätskurse (vor allem für Mädchen) abgehalten wurden. Deren Durchführung war zwar auch immer von einzelnen Lehrer(inne)n abhängig, wurde aber oft umgesetzt, was an der Schule auch eine latent militärische Atmosphäre bewirkte.

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Heute ist Südkorea eine Demokratie und dennoch bleibt die Ökonomisierung der Bildung bestehen. Mit einer Ökonomisierung sind nicht nur die großen Gelder gemeint, die Hagweons594 mit den Bildungsangeboten umsetzen. Es ist damit auch ein ökonomisches Denkschema gemeint. Wer viel an (Fakten-)Wissen sammelt und dies in einer Prüfung und in Konkurrenz zu anderen als gekonnt nachweist, ist ‚besser‘. Und zweifelsohne ist das Bestehen einer solchen Prüfung 595 eine große Leistung. Es geht um Erfolg und in der Regel misst sich der Erfolg im Bestehen bestimmter Prüfungen und im Erreichen bestimmter Grade möglichst an einer der SKY Universitäten. 596 Das Aushängeschild eines Grades ist dann gleichzeitig Teil einer gesellschaftlichen Anerkennung, unabhängig von dem, was mit den aus dem Wissen entstandenen Fähigkeiten gemacht wird.

594 Hagweons waren ursprünglich als Nachhilfeschulen gedacht und haben drei Aufgaben: Sie sollten lernschwache Kinder unterstützen, wobei oft als ‚lernschwach‘ schon gilt, wer die enormen Faktenberge, die in einer Prüfung abgefragt werden, nicht beherrscht. Dann sollen die Nachhilfeschulen das in der Schule nicht vermittelte Wissen unterrichten. So gibt es Hagweons für Mathematik, Sprachen usw. Inzwischen dienen sie aber auch dazu, andere Interessen (MINT-Fächer, Musik, Sport) zu fördern. Privatschulen standen nicht immer in hohem Ansehen. Sie wurden zeitweise als Konkurrenz zum staatlichen Bildungssystem und als Wiederauferstehung der elitären Schulbildung gedeutet. Dennoch gilt heute der Besuch für viele Eltern als notwendig, sodass jemand, der keine Privatschule besucht, eher als Ausnahme gilt. 595 Aufnahmetests an höheren Schulen, vor allem an Universitäten finden an einem bestimmten Tag im Jahr statt. Die Prüfung ist für einen nicht in Ostasien lebenden Menschen von einem unvorstellbaren Schwierigkeitsgrad. Vor den Prüfungen wird zu Hause gepaukt, neben der normalen Schulzeit, in privaten Nachhilfestunden oder in einem Hagweon gelernt mit auch negativen Begleiterscheinung von Schlafmangel bis zu Erkrankungen unterschiedlichster Art. 596 Mit ‚SKY Universitäten‘ sind die drei großen Seouler Universitäten Seoul National University (㍲㤎╖䞯ᾦ), Korea University (ἶ⩺╖䞯ᾦ) und Yonsei University (㡆㎎╖䞯ᾦ) gemeint, die sich größtem Prestige in Korea erfreuen. Ein Großteil der Elite Südkoreas besteht aus Abgängern dieser drei Universitäten, deren Seilschaften in Politik und Wirtschaft wirken. Bisher mussten sich Abgänger dieser Universitäten um ihr berufliches Fortkommen nicht zu große Sorgen machen, wenn sie sich in den Kreisen der Universitätsgruppen eingefügt hatten. Doch das scheint sich teilweise zu ändern. In Gesprächen mit dem Autor erzählten Firmenangehörige, dass größere Firmen aufgrund schlechter Erfahrungen bei den Einstellungsgesprächen inzwischen auch die Sozialfähigkeit der Bewerber prüften, vermutlich, weil Abgänger(innen) auch der im Prestige hochstehenden Universitäten sich z.T. nur schlecht eingliedern

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„Funktionalität steht in der Schule z.T. im Vordergrund, denn die schulische Praxis fördert ein Denken, das nur auf reproduzierbares Wissen gerichtet ist, weil die ‚modernen‘ gesellschaftlichen Normen konvergentes Denken (messbar in IQ Werten) begünstigen […] (vgl. Cropley, McLeod & Dehn, 1988597). Daraus folgt, dass z.B. Bereiche der Kreativität, der emotional-sozialen Kompetenz etc. zurückgedrängt, wenn nicht unterbewertet werden.“598

Die materialistische Tendenz des Besitzergreifens durchdringt so auch das Lernen. Und natürlich ist (Fakten-)Wissen für Bildung eine unverzichtbare Voraussetzung. Aber es ist nur ein Teil von Bildung. Denn in dem Modell steht der Inhalt vor dem Menschen. Der Inhalt soll angeeignet werden und den Menschen formen. Dadurch kann aber „[…] die Komplexität des Menschen, vergleichsweise weniger berücksichtigt werden. Dieser Facettenreichtum an menschlichen Fähigkeiten ist es jedoch, der zunehmend an Bedeutung gewinnt für innovative Prozesse innerhalb einer Gesellschaft, z.B. im Bereich der Bildung mit ihren Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt etc. In westlich orientierten Gesellschaften wird jedoch vielmehr vorwiegend eine starke Konsumhaltung gefördert, die in erheblichem Maße auf suggerierten Bedürfnissen basiert – und sich von ursprünglichen, existentiellen Bedarfen (materiell, geistig, spirituell) immer weiter entfernt.“599

Nach jahrelangem Leben in Armut lässt es die langsam verbesserte Gewinnverteilung mittlerweile zu, dass sich Menschen in Südkorea auch etwas leisten können. Inzwischen hat sich der Konsum sogar bei einigen in Südkorea lebenden Menschen verselbständigt und spielt auch unabhängig von den Notwendigkeiten des Lebens eine große Rolle. In einer guten Wohngegend eine (oft sündhaft überteuerte) Wohnung zu beziehen und einen repräsentativen Wagen zu fahren gehört für viele Menschen zu ihren Zielvorstellungen, wobei oft allein die Tatsache, dass man diese Wege ermöglichen kann, wichtiger sein kann als der Inhalt. Das Zeigen des äußeren Erscheinungsbildes, das in Südkorea eine große Rolle spielt, soll auch durch das Zeigen von erworbenen Waren unterstützt werden. „Dieser Hang zur äußerlichen Darstellung und Überbetonung von Äußerlichkeiten stellt eine Hauptursache des Überkonsums dar, welcher eine der größten Plagen der koreanischen Gesellschaft ist.“600 konnten oder gar für überlegen hielten. Vom reinen Faktenwissen her sei das oftmals gültig, nicht immer aber scheine dem eine emotionale und soziale Entwicklung her entsprochen zu haben. 597 Cropley, A.; McLeod, J; Dehn, D. (1988). 598 Kim, Jeong-Eim (1979), S. 19. 599 A.a.O., S. 18; sie verweist dabei auch auf die Schrift von Schleicher, Klaus (1984). 600 Kim, Hung-Hyon (1998), S. 244f.

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Wenn südkoreanische Eltern ihr Kind nach einem Programm, das aus dem Ausland kommt, unterrichten lassen – und dazu zählt auch die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff –, so ist nicht selten eines der Kriterien für die Entscheidung, dass das Ansehen steigt, wenn Kinder nach einem mehr oder minder bekannten Modell unterrichtet werden. Ein Erziehungsmodell wird auch als Ausdruck des sozialen Status genutzt. Denn damit kann eine Familie etwas Besonderes vorweisen ohne aber zu sehr aus der Gruppe herauszustechen. So liegt in solch einem Streben nach Reichtum und Zeigen desselben auch eine individualistische Note im Beziehungsgefüge der koreanischen Gesellschaft. In der Realität stehen Südkoreaner(innen) zwischen den Polen von Individualität und Gruppeninteressen. Denn nach dem Koreakrieg flossen Werte der modernen Lebensformen vor allem aus den USA in den südkoreanischen Alltag ein. Das galt nicht nur für den Umgang mit Materialien, sondern auch für Ansichten bezüglich Mode, Sport, Musik, aber auch für Umgangsformen. In der aus koreanischer Sicht ‚westlichen‘ Welt gilt in den Augen vieler Koreaner(innen) das Prinzip der Selbstbehauptung. Das Glück wird individuell bemessen. Doch nach traditionellen in Korea verorteten Werteschemata steht der einzelne Mensch nicht alleine, sondern ist Teil einer Gruppenhierarchie. Überspitzt ausgedrückt: Unterstellen nach konfuzianisch beeinflusstem Ideal die Menschen ihre Individualität den Gruppeninteressen oder definieren sie daraus, so sind sie sich der allgemeinen Anerkennung und des Respekts sicher. In der modernen Lebensform gilt dagegen ebenso überspitzt ausgedrückt: Geben die Menschen ihre Orientierung an Beziehungen (z.B. den Gruppeninteressen, so sie nicht des privaten Fortkommens nützlich sind) auf, so sind sie in der Lage, sich und ihre Individualität und Selbständigkeit voll zu entfalten.601 Diese beiden Systeme stehen in Südkorea unverbunden nebeneinander und es ist für Südkoreaner(innen) nicht einfach, sich mit beiden Systemen gleichzeitig zu arrangieren. Da oftmals eine eigene Entscheidung nur unter z.T. maßgeblicher Teilhabe einer von der entscheidenden Person (gedachten) Vorabwertung durch andere Gruppenmitglieder anerkannt wird, werden Entscheidungen immer auch aufgrund ihrer Wirksamkeit auf ein äußeres Erscheinungsbild gefällt. Wichtig bleibt, ob Entscheidungen zu vorgestellten (und nicht unbedingt im Diskurs ausgehandelten) repräsentablen Erscheinungsbildern führen. Die realen Folgen für die eigene, individuell gesehene Persönlichkeit müssen dahinter zurück stehen.

601 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 27.

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3.1.6 Zusammenfassung Die Wirkmacht der einzelnen Weltanschauungen und Religionen ist zwar groß, doch wird sie jenseits der tradierten Grundanschauungen im Alltag oft recht pragmatisch verwandt. Choi Jinchul schreibt etwas generalisierend: „Die einzelnen Religionen füllen funktionale Nischen aus, die sich folgendermaßen lokalisieren lassen: Der Konfuzianismus prägt die strukturelle Gesellschaftsgestaltung, der Buddhismus beantwortet die existentiell wichtigen philosophischen Fragen, das Christentum beeinflusst global-ethische moralische Prinzipien und der Schamanismus greift in real existenten persönlichen Krisen therapeutisch ein.“602

Zudem ist es nicht immer klar, was noch wirklich mit einer Religion oder Weltanschauung verbunden ist und was zum mit ihnen unverbundenen Ritus oder Brauch wurde.603 Und es ist nicht immer eindeutig zu bestimmen, durch welche dynamischen Prozesse in Südkorea Veränderungen in welcher Form stattfinden. Über Jahrhunderte hinweg waren im ‚hermit kingdom‘604 Korea Vorstellungen, Werte und Normen relativ geregelt, wiederkehrend gleich und damit überschaubar gewesen. Wenn es auch vielen Menschen nicht gut ging, so gab es doch einen kulturell relativ einheitlichen und sich nur sehr langsam wandelnden Habitus, der Raum hatte, sich kollektiv zu repräsentieren. Seit 1876 wurde dies durch militärische Zwangsmaßnahmen vor allem von Japan und dann auch in der Zeit nach 1945 durch die ökonomischen und gesellschaftlichen Einflüsse vor allem aus den USA starken Erosionen ausgesetzt. Es kam zu Wertediffusionen. Das dürfte auch ein Grund für die starke soziale Schließung (kulturelle Distinktion) mancher Gruppen in Südkorea sein, die durch die Nutzung von (Teil-)Repräsentationen gesellschaftlicher Traditionen sich eine Heimat schaffen wollen. Denn die Binnenmigration, die zu radikalen Veränderungen in der Lebensstrukturen der Menschen führte605, sowie die Einflüsse weltweiter Vernetzungen bewirkten in Südkorea radikale Veränderungen in den Lebensstrukturen der Menschen und verhinderten

602 Choi, Jinchul (2010), S. 43; vgl. dazu auch Yum, J.O. [1987], S. 71f. 603 So waren in Gesprächen des Autors Koreaner erstaunt, dass das Beerdigungsritual, das üblicherweise am 49.Tag nach dem Tod eines Familienmitglieds durchgeführt wird, keinen genuin koreanischen, sondern einen buddhistischen Hintergrund hat. 604 Der Begriff taucht in diversen Reisebeschreibungen auf, so z.B. bei Griffis, William Elliot (1889). 605 Diese schnelle Umstellung geht auch heute weiter, wie es Kim, Chulhyo am Beispiel der Stadt Ansan beschreibt: „The transformations were dramatic: […] The first transformation – the area’s industrialization and urbanization in the 1980s – was driven by

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eine Kontinuität.606 Das förderte ein Bedürfnis nach Identität aus kulturell gleichen Anschauungen heraus. Die oft radikale Einordnung von Menschen in die Pflichten bestimmter Gruppen, seien es Familien, Schulen, Firmen oder auch weltanschauliche oder religiöse Gruppen, lassen sich auch aus dieser Identitätssuche heraus erklären. Denn sie ermöglichen Menschen Zugänge zu einem Habitus aus einer kollektiven Repräsentation heraus. In Südkorea bieten dazu die Werte und Normen aus den in diesem Kapitel behandelten Einflussgrössen eine ideale Grundlage, derartige Abschließungsprozesse zu intensivieren. Der Schamanismus ist Nährboden vieler Einflussgrössen in Südkorea. Er ist als Volksreligion verankert, eine Art Seelsorge, deren Grundlage das Denken in Beziehungsgeflechten ist. Auch der Ahneneritus ist Teil schamanischer Vorstellungen. Die bis heute praktizierte Durchführung schamanischer Rituale dient dem Umgang mit (unterdrückten) Gefühlen, dem Einordnen in gesellschaftliche Zusammenhänge auf Grundlage einer ontologischen Weltsicht und kann einen kompensatorischen Gegenpol zu den Regeln, Pflichten und Anforderungen des unsteten südkoreanischen Alltags bieten. Da laut Buddhismus jedem Wesen eine Buddha-Natur innewohnt, muss diese nur herausgeholt werden. Daraus leiten sich Selbstbildungsprozesse ab, die neben dem Ansammeln von Wissen, hinaus auch die Verarbeitung des Wissens einschließen. Dies geht über die reine naturalistische Anwendbarkeit hinaus, weil die Einheit von erkennendem Geist und erkennendem Objekt hergestellt werden soll. Es geht auch um die Selbstverwirklichung des Menschen, dass jeder Mensch sein

a national project enacted by the authoritarian developmental regimes. The city was rapidly filled by internal migrant workers from all over the country. The project was about relocating or ‚dumping‘ unwanted industries and working-class people away from Seoul and into a regional city. The unwanted industries created only low addedvalue at the cost of pollution and the exploitation of low-wage workers. From the 1990s onwards, the South Korean economy went through the rapid transformation of neoliberal globalization. This was first initiated by endogenous actors, but later accelerated by international forces. While the chaebols based on high technology took this opportunity to grow into transnational corporations, the small and medium enterprises of these unwanted industries were driven either to closure or to offshoring.“ (Kim, Chulhyo [2015], S. 109f.) 606 Dies unterstützt die These von Lee-Peuker, die sich dabei auf Beck bezieht. Danach können sich lokale Kulturen „heute kaum mehr abgeschottet vom Rest der Welt entwickeln. Die Intensivierung der wechselseitigen Abhängigkeiten führt vielmehr immer wieder zu einer Betonung, Verteidigung und Neubestimmung der lokalen Kultur.“ (Lee-Peuker, Mi-Yong [2004], S. 369)

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Leben für sich so akzeptiert, wie es ist. Die Vorstellung beinhaltet eine Kongruenz der äußeren und inneren Welt. De facto kann das dazu führen, einen auch individuellen Selbstbildungsprozess zu befördern oder im Gegensatz dazu eine Angleichung der inneren an eine äußere Welt in Gang zu setzen und individuelle Vorstellungen verhindern. Der Einfluss des Konfuzianismus ist heute vor allem als moralisch-normatives Konstrukt wirksam.607 Die Zuordnungen der Menschen untereinander sind wichtig. Kommuniziert wird in Formmustern, die nach Rang unterschiedlich seien können. So kann z.B. öffentliche Kritik in aller Regel nur über Umwege geübt werden, weil jede Interaktion immer die Beziehung betrifft und eine Trennung von Sachaspekt und persönlicher Beziehung nur schwer durchsetzbar ist. Die Gruppe revanchiert sich dafür meist durch einen gewissen Protektionismus. Dadurch werden Menschen im Bezug zu der jeweiligen Gruppe gesehen. Ein Naturrecht, das alle Menschen gleich behandelt, hat es darin schwer. Es entwickelte sich eine hierarchisch strukturierte, auf das Interesse der jeweiligen Gruppe ausgerichtete Umgangsform. Im Neokonfuzianismus gibt es zwar auch die Entwicklung des eigenständigen Menschen, der allerdings durch seine Taten immer der Allgemeinheit verpflichtet ist. Da diese Sichtweise ein recht geschlossenes System fordert, wurden die Systemgehalte im Laufe der Jahre zu Lehrinhalten zusammengefasst. Diese konnten dann zur Aufrechterhaltung der Ordnung gelernt und repetiert werden. Dies ist ein wesentlicher Ursprung für die Hochschätzung von Buchorientierung und überprüfbaren (Fakten-)Wissen. Die Notwendigkeit und die Wertschätzung der Bildung sind in Südkorea ‚common sense‘. Die Inhalte dieses Faktenwissens haben sich aber inzwischen verändert und das führt, wie weiter unten noch auszuführen sein wird, zu erheblichen Verwerfungen. Durch die Verbindung von Modernisierungsgedanken und Christentum wurden viele Neuerungen durch die Anhänger christlicher Kirchen befördert. Besonders in Medizin und Bildung waren sie federführend, sodass das moderne Bildungssystem zwar nach staatlichem US-Vorbild strukturiert ist, in vielen Aktionen aber besonders von den Missionsschulen gefördert, wenn nicht gar gegründet

607 Der Konfuzianismus ist bezüglich des Ausgangspunktes vom Buddhismus abzugrenzen: „Ein Unterschied zwischen Buddhismus und Konfuzianismus liegt darin, daß der Buddhismus aufgrund psychologischer Grundlagen von der Entfaltung des Individuums ausgeht, während der Konfuzianismus als Sozialethik die Harmonie innerhalb der Familie und der Gesellschaft bevorzugt, in der sich das Individuum als Mitglied verwirklichen kann. Der Buddhismus richtet sich also auf das Individuum in seinem menschlichen Sein, während der Konfuzianismus das gesellschaftliche Sein des Individuums betrifft.“ (Kim, Jeong-Eim [1997], S. 221.)

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wurde. Viele Kindergärten, Schulen und Hochschulen haben einen kirchlichen Ursprung oder gehören zu einer Kirche. Die teilweise gewährte Unterstützung für Verfolgte der japanischen Protektionsregierung oder aus der Zeit der Militärdiktaturen hat für ein bis heute positives Image der Kirchen gesorgt. Der Einfluss der christlichen Kirchen besteht in ihrer praktischen sozialen Leistungen. Gegen ein positives Image stehen Kämpfe innerhalb der Kirchen sowie ein gemeindezentrierter Gruppenegoismus. Dazu kommt eine sichtbare theologische oder ontologische Verbindung von christlicher Weltsicht und koreanisch tradierten Werten. Viele schamanische und konfuzianische Vorstellungen spiegeln sich in den Vorstellungen und Ausführungen der gemeindezentrierten kirchlichen Aktivitäten wieder. Während der Zeit der Militärregierungen konnten koreanische kulturelle Eigenheiten nur innerhalb der vorgegebenen wirtschaftlichen und nationalistischen Gedanken gestaltet werden. Es war nicht möglich, sich kritisch mit der vorgegebenen Staatsdoktrin der jeweiligen (Militär-)Machthaber auseinander zu setzten. Der Umgangston wurde aus der hierarchischen Beziehungstradition und der engen Verquickung von Militär und Wirtschaft entlehnt und zu dirigistischen Anweisungen verfremdet. Diese Umgangsform beeinflusst den Berufsalltag in Teilen bis heute. Ebenso hat sich ein durch den Koreakrieg und die autoritären Regierungen beförderter Nationalismus erhalten. Die starke Ökonomisierung des Alltags bewirkte zudem ein erstarkendes ökonomisches Denkschema, das einer Pädagogik, in der die Zielorientierung auf eine durch Prüfungen sichtbar zu machende Effizienz jedes Lernens bereits traditionell verlangt wurde, weiter verstärkte. Dies wird im nächsten Kapitel breiter ausgeführt. Nachdem Korea in Kontakt mit nicht sinojapanischen Ländern gekommen war, stehen heute in Südkorea zwei Systeme unverbunden nebeneinander: Das traditionelle geprägte Primat der Gruppe, nach dem Menschen die Entwicklung und das Ausleben ihrer Individualität zugunsten von Gruppeninteressen zurückstellen, und die in Korea jüngere, von außerhalb Koreas gekommene und aus ökonomischen Gesetzen und christlich abendländischer Weltsicht geprägte Vorstellungen von Freiheit und individueller Selbstbestimmung, nach denen Menschen Gruppeninteressen auch einmal zugunsten der Entwicklung individueller Wünsche zurückstellen können. Beides wird in Südkorea zur gleichen Zeit gefordert. Um sich in dieser Verschichtung unterschiedlicher Wertigkeiten zurecht zu finden, bedarf es einer Erziehung mit eindeutigen Wertmaßstäben, die aber verhandelbar und wandelbar sein müssen. Wie sich diese bisher geschilderten geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklungsstränge auf Fragen von Erziehung und Pädagogik auswirkt, soll im nächsten Abschnitt geschildert werden.

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3.2 E INFLÜSSE AUF BILDUNG IN (S ÜD -)K OREA

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E RZIEHUNG

Die Inhalte des hier untersuchten Gegenstandes werden aus einer gesellschaftlichen Umgebung mit einer eigenen Bildungslandschaft in eine davon teilweise differente Umgebung und Bildungslandschaft überführt. Es ist notwendig, Kenntnisse dieses Feldes zu erlangen, um die Deutungen, die das zu transferierende Bildungsprojekt im anderen gesellschaftlichen Feld erfährt, nachvollziehen zu können. Daher werden in diesem Abschnitt ausgehend von Bildungsvorstellungen deren operative Ausgestaltungen in Bildungspolitik und Schulsystem und danach die Musikerziehung im Speziellen beschrieben, soweit dies zum Verständnis des im Rahmen dieser Untersuchung wichtigen Kontextes geboten ist. 3.2.1 Bildung und Erziehung vor 1945 Das koreanische Bildungssystem vor 1876 war stark von den in Verwaltung und Regierung vorhandenen Ideen zur Erhaltung eines relativ statisch gedachten Staates geprägt, die auf konfuzianischen Prinzipien beruhten. Wer Regierungsbeamter werden wollte, hatte Examina bestehen, die Kenntnisse der konfuzianischen klassischen Literatur voraussetzten. Ziel der Erziehung war die Verwirklichung des ‚In‘ (㧎)608, der das Ideal eines Gleichklanges von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung beinhaltet. D.h. der Konfuzianismus zielt mit seinen Normen und Werten auf ein ganzheitliches Menschenbild ab. In einem solch ganzheitlichen Menschenbild kann letztlich eine Dissonanz bzw. differente Einstellung zwischen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft nicht vorhanden sein. In der Erziehung wird das Bestreben eines Menschen verfolgt, sich selbst zu überwinden

608 ‚In‘ ist im Rahmen des Konfuzianismus zu übersetzen mit ‚Edelmut, Menschenliebe, Wohltätigkeit, Humanität‘, meint aber auch ‚praktische Vernunft, Toleranz, Höflichkeit und Vertrauen‘. Laut Kim, Jeong-Eim lässt sich die Bedeutung des Begriffes ‚In‘ „durch fünf Aspekte charakterisieren: 1. […] bedeutet In für den Menschen die aktive, bewusste Selbstüberwindung und die Besinnung auf die herrschenden Sitten und auf geltenden Normen und Werten. 2. In ist Liebe zum Menschen. 3. In ist für die Menschen ein wichtiges Element wie z.B. Wasser und Feuer etc. 4. Wenn der Mensch sich nicht mit In identifiziert, dann verlieren Sitten und Kultur ihre Bedeutung für den Menschen. 5. Wenn der Mensch in seinem Handeln In zeigt, dann ist z.B. Liebe zu den Eltern, Liebe zu den Älteren und Menschenliebe allgemein wesentlicher Bestandteil seines Handelns. Diese allgemeine Liebe war die einfache und doch gewaltige Form der Pädagogik des Konfuzius […].“ (Kim, Jeong-Eim [1997], S. 216f.)

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und dadurch zu sich selbst zu finden. Dieses Zu-sich-selbst-finden bedeutet wiederum, seinen Platz innerhalb des Vorfindlichen einzunehmen, sich also auf die Normen und Werte der geltenden Zeit zu besinnen. Eine von Gesamtmaßstäben abgelöste kritische Reflexion ist nur in engen Grenzen vorgesehen. Handeln aber Menschen unreflektiert nur aus internalisierten Mustern, üben sie nicht, Verantwortung für eigenständige Handlungen zu übernehmen.609 Hinter diesen Ideen steht ein Menschenbild, das sich aus dem Glauben speist, es gäbe ein richtiges Leben, das mit dem zu erreichenden Leben identisch ist; also so etwas wie ein moralisches Handeln, das sich als wahre Handeln ausgibt: „Das grundlegende Bemühen des philosophischen Denkens im Konfuzianismus war es, den Menschen aufgrund folgender Fragen zu verstehen: Was ist ein Mensch? Wie wird man ein Mensch? Und warum sollte man nach dem höchsten Gut streben, um den Sinn des Menschseins zu erfüllen? Die Merkmale der Antwort der Konfuzianer beruhten auf ihrer Behauptung der Einheit dessen, was ist, mit dem, was sein sollte, der angeborenen Gutheit in der menschlichen Natur, der Würde des Menschen und des Primats der harmonischen Balance in einer

609 So sagt auch Kim, Jeong-Eim: „Vor allem werden im Konfuzianismus menschliche Würde, Ehrenhaftigkeit und moralische Bindungen im menschlichen Handeln gefördert. Diese sittlich-ethisch fundierten Handlungen bergen in sich aber auch negative Aspekte, wenn sie angesichts oberflächlicher Formen als bloßes Verhalten verinnerlicht und umgesetzt werden. Dann ist der Mensch häufig durch solche internalisierte Verhaltensmuster nicht in der Lage, bewusste Verantwortung sowohl für sich als auch für die Gesellschaft wahrzunehmen – und in bestimmten Situationen dementsprechend autonom zu handeln.“ (a.a.O., S. 218). Dies ist kein genuin koreanisches Problem. Mit der Schwierigkeit die eigene Vernunft und Ideen mit Forderungen von außerhalb (Lebensnotwendigkeiten, gemeinsame Gesetze usw.) in Einklang zu bringen und dabei selbst zu entscheiden, haben sich auch europäische Denker wie Kant u.a. eingehend beschäftigt. Das Besondere in Südkorea besteht darin, dass Umgangsformen unter dem Ideal stehen, dass kollektive und individuelle Vorstellungen ein symbiotisches Ganzes bilden. Dies zeigt sich im alltäglichen Umgang miteinander. Durch die Verknüpfung von Sachebene und Personalebene in einer Kommunikation sind reine Vernunftentscheidungen erschwert. Je nach Zusammenhang begrenzt oder ermöglicht erst die jeweilige Stellung zueinander die Möglichkeiten der Kommunikation. Wenn Vernunftentscheidungen und Beziehungsentscheidungen darin different sind, wird oftmals die Entscheidung der höherstehenden Person über Vernunftargumenten stehen können. Eine gleichberechtigte Kommunikation unter dem Primat der Vernunft ist nur in bestimmten Bereichen und Situationen möglich. Dadurch bestehen Schwierigkeiten darin, die oftmals – etisch betrachtet – komplexen Möglichkeiten für Lösungen innerhalb dieses Systems auszuloten.

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zweifachen Natur der Weltentwicklung. Diese Sicht ist einmalig, denn sie sehen das Denken als den Prozeß einer Harmonisierung von Subjekt und Objekt durch die Kreativität des Menschen, des Einigers. Die Konfuzianer betonen Kindesliebe als das Mittel zur Aktualisierung eines Ren-reziproken Altruismus, der von der ontologischen Voraussetzung einer dialektischen, monistischen Weltsicht herkommt, welche sich in den symbolischen Beziehungen von Yin-Yang kristallisiert.“610

Solch ein Lernen als Erkennen des Seienden, bereits Existierenden (im Gegensatz zu einem Lernen des noch zu Entdeckenden, neu Zusammenzusetzenden oder ganz neu zu Erfindenden) ist im konfuzianischen Denken gekoppelt mit einer geschichtlichen Tradierung innerhalb von Verbänden (Familie und Gruppen). Daher ist das gemeinsame Tun zum Einüben kollektiver Ideale, der Einordnung in die Gruppe und Harmonisierung des Miteinanders bis heute in Südkorea anzutreffen. Diverse koreanische Autor(inn)en konstatieren die Wirksamkeit dieser gesellschaftlichen Traditionen als persönlich internalisierte Grundideale bis heute: „Das traditionelle Prinzip, seinen Kindern Bildung zukommen zu lassen, um den Geist der Ahnen zu tradieren und die Familie fortzuentwickeln, ist auch im heutigen Zeitalter immer noch ein wichtiges Ziel der Eltern. Der unbewusst in der Psyche der Koreaner existierende, leidenschaftliche Bildungseifer transzendiert die Grenzen der Zeit und fließt in den Adern aller Koreaner.“611

Diese in solch einem Denksystem vorhandenen Verhaltensmuster durchzogen als Idealgestalt das koreanische Alltags- und Erziehungsdenken. Und: Je höher ein Mensch in der Gesellschaft gestellt war, desto mehr hatte er sich daran zu halten. Über Jahrhunderte hinweg hat sich in Korea an diesem Erziehungssystem nur marginal etwas verändert. 612 Gleichwohl gab es natürlich Versuche Erziehungssysteme zu ändern. So kam z.B. das Gwageo (ὒỆ) im Laufe der Zeit in die Kritik, 610 Wimmer, Franz Martin; Tsung-I Dow (1990), Das Zitat entstammt der Zusammenfassung des Aufsatzes unter http://homepage.univie.ac.at/franz.martin. wimmer/uedow90.html (download vom 08.05.2011). 611 Yi, Soon Hyung (2010), S. 14f. 612 „Obgleich es im Laufe der Geschichte auf der koreanischen Halbinsel mehrere Dynastiewechsel gab, machte Korea doch kaum Veränderungen durch, da die dominierende konfuzianische Kultur die Vergangenheit, die Vorfahren, die Weisen und die konfuzianischen Lehren verehrten. Man kann sagen, daß es in der Sozialstruktur oder im Bildungssystem durch die Zeiten des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit hindurch keine substantielle Veränderung gegeben hat. […] Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war die koreanische Gesellschaft stark konservativ-feudalistisch geprägt.“ (Kim, Hio-Jin [2000], S. 51f.)

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weil die konfuzianischen Richtlinien nicht mehr eingehalten wurden. Ahn ByongMan schreibt dazu: „Mediocre candidates from the yangban class were favoured over the commoners of ability. Ascriptive status outshined competency. Even within the system of state examination, the academic ability of candidates was no longer the major determinant for bureaucratic appointment: more often, bureaucratic appointment was based on bribes, favouritism, and personal affiliation with a dominant group. Collective egotism eroded the equilibrium of checks and balances, and the result was rival groups were drawn into bitter factional strifes with no prospect in sight for compromise. “613

Da eine literarisch orientierte Erziehung der konfuzianischen Schriften im Vordergrund der schulischen Ausbildung stand, gehörte bis 1887 Musikerziehung nicht zu den Lehrinhalten. Es gab aber Schulen, die Musiker ausbildeten, die zu offiziellen Anlässen spielen mussten.614 Neben diesen Hofmusikern gab es noch die Gwangdae (ὧ╖), herumziehende Wandermusiker (worunter auch Clowns, Akrobaten usw. fallen), und Gisaeng (₆㌳), die Unterhaltungskünstlerinnen. Die Gwangdae lernten voneinander oder der Vater unterrichtete den Sohn. Sie spielten vor allem Pansori615 (䕦㏢Ⰲ) oder Sanjo (㌆㫆). In dieses sich über Jahrhunderte hinweg reproduzierende Bildungssystem strömten nach der gewaltsamen Öffnung des ‚hermit kingdom‘ Korea innerhalb kurzer Zeit viele pädagogische Impulse ein, die sich seit der Aufklärung und ihren Folgen (Rousseau, von Humboldt, Pestalozzi usw.) im gesellschaftlichen Kontext Europas und der USA über lange Zeit vielfach diskursiv entwickelt hatten. Nach Jahrhunderten nur sehr marginal veränderter Bildungs- und Gesellschaftsvorstellungen mussten die Bewohner Koreas innerhalb weniger Jahrzehnte diese anderen Ideen auf ihrer nicht-europäischen geistesgeschichtlichen Grundlage rezipieren.

613 Ahn, Byong-Man (2003), S. 38f. 614 Als Beispiel sei hier das ab 682 das königliche ‚Ton-Stimmen-Institut‘ Eumseongseo (㦢㎇㍲) in der Zeit des vereinigten Königreich Shilla genannt. Es unterstand dem Ministerium für Riten und Erziehung Yebu (㡞⿖) und instruierte die Musiker für die musischen Aufführungen am Hof in Instrumentalspiel, Gesang und Tanz. Geleitet wurde das Institut von Beamten, nicht von Musikern. 615 Der Begriff ‚Pansori‘ bedeutet in etwa „Gesang an einem zur Unterhaltung bestimmten Platz“. Pansori entstammen den Riten des Schamanismus und sind opernartigen Zwei-Mann-Stücke (Sänger[in] und Changgo Spieler), die der leseunkundigen Bevölkerung Inhalte nahe brachten. Der Humor und die Satire, manche Melodien und die Heiterkeit darin wurzeln im alltäglichen Leben des Volkes.

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Diese sogenannten ‚westlichen‘ Bildungsinhalte (u.a.europäischen Sprachen oder Naturwissenschaften) verfolgten zuweilen auch ganz andere Ziele. Neue Schulen wurden gegründet.616 Zu solchen Schulgründungen gehört die Missionsschule Kyongshin (ἓ㔶䞯ᾦ), aus der die Yonsei Universtät (㡆㎎╖䞯ᾦ) 617 erwuchs, die 1906 gegründete Boseong Jeonmun Haggyo (⽊㎇㩚ⶎ䞯ᾦ), aus der heraus die heutige Goryeo (Korea) Universität (ἶ⩺╖䞯ᾦ) entstand oder auch die Frauenuniversität Ewha (㧊䢪╖䞯ᾦ).618 Häufig waren es christliche Missionare und Missionarinnen, die Schulen eröffneten. Diese Schulen waren oft unabhängig von der sozialen Schichtzugehörigkeit allen Koreaner(inne)n zugänglich619, die Inhalte konnten also sozial differierenden Schüler(inne)n vermittelt werden. Es wurde auf Englisch und auf Koreanisch gelehrt. 620 Als 1894 unter einer japanfreundlichen Regierung die Gabo-Reformen

616 1910 gab es bereits ca. 1000 Missionsschulen. 617 Die Missionsschule Gyeongsin (ἓ㔶䞯ᾦ) wurde 1917 in Yeonhi Privatkolleg (㡆䧞) umbenannt und später dann zur Yonsei Universität (㡆㎎). 618 Gegründet wurde sie 1895 durch Mary F. Scranton. Bis dahin war Nach den Familienritualen nach Zhu Zi war die Frauenerziehung eher eine Vorbereitung auf die Aufgaben als Ehefrau und das Erziehen von Söhnen und Töchtern. Es sollten Charakteristika und Tugenden wie Gehorsam, Treue, Verehrung der Schwiegereltern, Fleiß, Haushaltsführung Sparsamkeit usw. tradiert werden. Je perfekter die Frauen diesem Stereotyp entsprachen, desto geachteter waren sie. Ab dem 7.Lebensjahr sollten Mädchen und Jungen die Mahlzeiten getrennt einnehmen und ab dem 10.Lebensjahr sollten die Mädchen sich in die inneren Wohnräume zurückziehen. Eine akademische Ausbildung war danach nicht vorgesehen. Auch wenn das (neo-)konfuzianische Idealbilder waren, denen in der Realität nicht immer entsprochen wurde oder auch werden konnte, so sind sie als Idealbilder geblieben, und als solche z.T. auch heute noch wirksam. (siehe dazu Chang, Jin-Sook [1993], S. 32). 1895 konnten Frauen sich in aller Regel nur mit einer Art Anstandsdame zu bestimmten Tageszeiten außerhalb des Hauses aufhalten. So erschien am ersten Schultag der Ewha nur eine einzige Schülerin. 619 Literarisch verarbeitet hat das Neue an diesen Schulen z.B. Li, Mirok (1996), S. 67ff. 620 In den modernen Schulen wurden größere Gruppen unterrichtet. „Die Schüler wurden nach einem strengen Leistungsbemessungssystem eingestuft. In den christlichen Privatschulen wurden sogar moderne Lehrmethoden ausprobiert, bei denen die Schüler durch Experimente und anhand realer Gegenstände oder durch kreatives Arbeiten lernen konnten; zudem wurde ein Leistungsbewertungssystem mit Noten, einer Leistungsrangliste der Schüler und Versetzung in Abhängigkeit von den Leistungen eingeführt.“ (Cho, Younsoon [2009], S. 11)

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(ṧ㡺Ṳ䡗) durchgeführt wurden, wurde durch die Abschaffung des Ständewesens allen Koreaner(inne)n auch per Gesetz der Schulbesuch ermöglicht. Das Auslandsstudium wurde gefördert und das Staatsexamen Gwageo abgeschafft. Die Lehrerausbildungsanstalt Hansong (Seoul) 621 wurde eingerichtet. Denn für die entstehenden Primarschulen und Mittelschulen und ab 1924 auch für die Oberschulen wurden Lehrkräfte benötigt. 622 Durch das Musizieren der Missionare und Lehrer(innen) der Missionsschulen mit dem Ziel, das Christentum zu verbreiten, wurde außerasiatische Musik in Korea auch in anderen als nur den an Musik interessierten Kreisen bekannt. 623 Durch das Singen der Kirchenlieder Chansongga (㺂㏷Ṗ) bzw. ihrer Parodien gelangten Kenntnisse europäisch-amerikanischer Notation, von heptatonischen und anderen Formmodellen nach Korea. Doch gestaltete sich eine Verbreitung dieser Musik außerhalb der Kirchen zunächst schwierig, weil es an Lehrkräften fehlte. Aber gerade die im Parodieverfahren auf Melodien aus weltlichen europäischen und amerikanischen Liedern gesungenen Stücke verbreiteten sich und wurden in der Zeit der späteren japanischen Protektoratsregierung als Protestlieder recht populär.624 Es gab auch eine erste Kapelle, die zunächst aus Russland importierte Noten und Instrumente zur Verfügung hatte und die russische Militärmusik spielte. 1900 wurde eine weitere Militärkapelle gegründet. Die Wahl der Leitung fiel auf Franz

621 Die Hansong Lehrerschule gab es ab 1895. Anfangs waren noch keine Voraussetzungen für die Aufnahme in die Schule vorgeschrieben, erst ab 1906 war eine Vorbildung notwendig. Ab 1911 konnten auch Frauen diese Schulausbildung absolvieren. 622 Die für Schüler im Alter von 8 bis 15 Jahren gedachte und im Juli 1895 auf staatliches Dekret hin gegründete Primarschule war sechsjährig, unterteilt in eine dreijährige Grundstufe und eine zwei bis dreijährige erweiterte Stufe. In ihr sollte Grundwissen an Fakten und Fertigkeiten und sittliche Lehre gelernt und die physische Entwicklung unterstützt werden. Neben traditionellen Unterrichtsfächern wie Morallehre und Kalligraphie gab es auch Lesen, Schreiben, Rechnen und Sport. In der erweiterten Stufe kamen die Fächer Geschichte, Natur- und Erdkunde dazu. 1899 wurde auf ein staatliches Dekret hin die Mittelschule gegründet. Um sie besuchen zu können, war der erfolgreiche Abschluss der Primarschule vorgeschrieben. Die Mittelschule hatte eine vierjährige Grundstufe und eine dreijährige erweiterte Stufe. Allerdings gab es bis 1906 nur eine einzige staatliche Mittelschule. Alle anderen Mittelschulen waren privat. 623 Es steht zu vermuten, dass außerchinesische und außerkoreanische Musik einzelnen Personen in Korea bereits vor der Öffnung des Landes bekannt war (nach Kim, SuhYoung [1987], S. 103ff.). 624 Dazu zählt zum Beispiel das Unabhängigkeitslied Dogripa (☛Ⱃ㞚).

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Eckert (1852-1916), der bereits von 1879 bis 1900 in Japan sehr erfolgreich eine Militärkapelle geführt hatte. In dieser Zeit begann sich eine dualistische Deutung von Musikzugehörigkeiten abzuzeichnen. Da die europäisch-amerikanischen Neuerungen als besser und machtvoller angesehen wurden, wurde auch europäisch-amerikanische Musik positiv konnotiert. Die traditionelle Lebensweise Koreas erwies sich dagegen als nicht so machtvoll. Das war ein Grund, warum sich im Gefolge der Umwälzungen in Korea die Wahrnehmung der traditionellen Musik änderte. Sie wurde von nicht wenigen Koreaner(inne)n als veraltet angesehen und später auch in der systematisierten, schulischen Musikausbildung zunehmend vernachlässigt. Ab 1906 wurde das gesamte staatliche Schulwesen nach japanischem Modell umgebaut.625 Schulbücher wurden zensiert und mussten der Protektoratsregierung zur Genehmigung vorgelegt werden. Es gab zeitweise sogar ein Lese- und Besitzverbot koreanischer Geschichts- und Kulturbücher. Die private Lehrerausbildung wurde untersagt, die dreijährige Lehrerausbildung an der Hansong Lehrerausbildungsanstalt durch einen einjährigen Kurs ersetzt. Da die japanische Protektoratsregierung Grundkenntnisse für die Koreaner für wichtig hielt, erhielten sie eine Primarausbildung 626 und zumindest eine berufliche Kurzausbildung. 627 Obwohl von 1922 an Koreaner zum Universitätsstudium zugelassen werden konnten, war es für Koreaner(innen) schwer, eine höhere Bildung zu erlangen. Zwar wurde 1924 in Seoul die Universität Jodai (茱繗; eigentlicher Name Keijō Teikoku Daigaku 箯茱裇ᅜ繗Ꮫ) gegründet. Diese Universität628 nahm jedoch vorwiegend Japaner auf. 1927 waren nur 2% der Studenten Koreaner.

625 Japan wiederum hatte sein Schulsystem nach deutschem Vorbild gestaltet. 1926 wurde an der Universität Seoul Deutsch in den Geisteswissenschaften Pflichtfach. 626 1943 gingen 60% aller koreanischen Kinder zur Primarschule. Verglichen mit den 3,7% im Jahr 1920 war die japanische Protektoratsregierung hierin erfolgreich. Vergleicht man das allerdings mit der Anzahl des Schulbesuchs japanischer Kinder (1920: 91,5%), ist auch die Bevorzugung japanischer Kinder erkennbar. 627 „Durch die Intensivierung der Berufsausbildung beabsichtigten die Japaner einerseits, der traditionellen Geringschätzung der gewerbetreibenden Berufe entgegenzuwirken, andererseits planten sie, immer mehr billige Arbeitskräfte für die Gewinnung von Rohstoffen auf der koreanischen Halbinsel auszubilden.“ (Kim, Hio-Jin [2000], S. 125) 628 Nach 1945 wurde die Universität Jodai (茱繗) die Kaiserliche Universität Kyongsong Kyŏngsŏng Chegug Taehak (ἓ㎇㩲ῃ╖䞯). Am 22. 08. 1946 wurde sie durch die US Militärregierung geschlossen, mit neun anderen Colleges zusammengelegt und Teil der jetzt ‚Seoul National University‘ (㍲㤎 ╖䞯ᾦ) genannten Universität.

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Neben diesen, aus koreanischer Sicht unvorteilhaften Entwicklungen bewirkten die Änderungen der japanischen Protektoratsregierung auch einige, für eine Modernisierung Koreas eher vorteilhafte Änderungen. Durch die Einführung des dem westlichen Vorbild angeglichenen japanischen Schulsystems wurde die Reproduktion der in der Joseon Dynastie herrschenden Klassengesellschaft endgültig gebrochen. Jetzt konnte zumindest formal jeder unabhängig von seiner sozialen Schichtzugehörigkeit durch Bildung neue Chancen auf höheren Status und beruflichen Aufstieg ergreifen, wenngleich de facto diese Möglichkeiten für Koreaner(innen) beschränkt blieben. Der Zugang zur Bildung wurde jetzt statt durch Klassenschranken durch eine Art ‚Rassenschranken‘, also durch die Zugehörigkeit zum koreanischen Han-Volk (Han Min 䞲⹒) erschwert. Dennoch wurde hier der Boden dafür bereitet, dass alle Menschen die Möglichkeit bekamen, durch Bildung aufzusteigen. Jetzt konnte sich der Fleißigste durchsetzen und aufsteigen. Aufstieg war nunmehr vom Bildungsstand abhängig, den sich jeder in harter Konkurrenz erarbeiten können sollte. Diese Schulpolitik hatte weitreichende Folgen. „Auch traditionelle konfuzianische Tugenden wie Gehorsam, Treue und Fügsamkeit standen im Mittelpunkt dieser Schulbildung. Dies wurde im Bewusstsein der SchülerInnen immer tiefer verwurzelt. Die Denk- und Verhaltensweisen, die durch die konfuzianische und japanische Herrschaft anerzogen wurden, waren ein Grund dafür, dass die amerikanische Ideologie und Lebensweise nach der Befreiung Koreas von Japan in Korea leichter übernommen wurden.“629

Aus der Sicht der in Korea lebenden Menschen ist daher die Epoche der japanischen Kolonialzeit aus schulpolitischer Sicht durchaus ambivalent zu werten. Musik wurde ab 1911 in Form von Changgaunterricht nach dem allgemeinen Erziehungs-Changga Buch Botong Gyoyug Changga Jib (⽊䐋ᾦ㥷㺓Ṗ㰧)630 gelehrt, später gefolgt vom Buch der neuen Changgasammlung Sinbyeon changga Jib (㔶⼖㺓Ṗ㰧), in dem es nur noch japanische Lieder gab. Mit den Lockerungen ab 1919 wurde Musik in den allgemeinen Schulen eigentlich zum Pflichtfach,

629 Lee, Eun-Kyoung (2009), S. 79f. 630 Changga sind Lieder, die auf Melodien von Kirchenliedern und dann auf Melodien aus weltlichen europäischen und amerikanischen Liedern gesungen wurden. Das allgemeine Changga Buch entstand 1910, um den populären Changgaliedern, deren Inhalte nicht mit den Zielen der japanischen Protektoratsregierung übereinstimmen, ein eigenes Repertoire entgegen zu setzen. Es enthält 27 Lieder für Schulen und die Lehrerausbildung. Darunter sind 21 japanische Lieder in koreanischer Übersetzung, 5 europäische Volkslieder bzw. Kirchenlieder und ein Lied, das sich mit der Landschaft beschäftigt, stammt von Kim In Sik (ₖ 㧎㔳).

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doch war es den Schulleitern immer noch freigestellt, diesen Unterricht auch durchführen zu lassen. Fand der Unterricht statt, dann wurden meistens japanische Lieder gesungen. In den privaten (Missions-)Schulen aber wurden – zum Missfallen der Regierung – weiterhin gerne Lieder mit zum Teil patriotisch-koreanischen Inhalten gesungen. Die musikalische Fachausbildung in europäisch-amerikanischer Musik ging vermutlich vom Ewha College aus. Ab 1925 gab es dort ein einjähriges Vor- und ein dreijähriges Hauptstudium. Interessanterweise gab es dort auch eine Stunde in traditioneller koreanischer Musik. 631 Gugak (ῃ㞛), die traditionelle koreanische Musik, wurde an staatlichen bzw. kommunalen Schulen nicht unterrichtet. Doch die Bemühungen um Musikpädagogik wurden im Laufe der japanischen Kriege immer mehr zurück gefahren. 3.2.2 Einflüsse auf Bildung und Erziehung nach 1945 Nachdem sich in Korea viele Jahre lang Inhalte und Methoden des Schulunterrichtes aus den Anordnungen des japanischen Protektorates ableiteten, folgte nach 1945 in dem US-amerikanisch verwalteten Südkorea eine erneute außerkoreanische Einflussnahme auf Politik, Kultur und Bildung. Die kurze Zeit zwischen der Öffnung des Landes 1876 und der Kolonisierung durch Japan ab 1910 hatte keine bewährten, bildungspolitisch fortschrittlichen und ausgereiften Konzeptionen für die Bevölkerung Koreas hervorgebracht, an die

631 „Im Ewha-Kolleg für Musik führte man 1927 das Fach ‚Die traditionelle koreanische Musik‘ (eine Wochenstunde) ein, in der Überzeugung, um Fremdes lernen zu können, müsse man zuerst Eigenes richtig kennen.“ (Kim, Suh-Young [1987], S. 192). Kim verweist als Quelle auf die Publikation ‚80 Jahre Geschichte der Ewha Frauenuniversität‘ Ewha 80 nyonsa (㧊䢪 80 ⎚㌂) Seoul 1971, 3.Auflage S. 150-151. Außerhalb dieser Publikation war nichts zu finden, dass eine derartige Begründung für ein Schulfach ‚traditionelle koreanische Musik‘ stützten konnte. Interessant ist aber, dass diese Begründung für das Lernen von Gugak sich sinngemäß im Jahr 2010 im Zusammenhang mit interkulturellem Wissensübertrag im ökonomischen Zusammenhang wieder findet. So schreibt Choi: „Meines Erachtens ist die Lernbereitschaft bezüglich der eigenen Kultur und des eigenen Ethnozentrismus die wichtigste Voraussetzung für einen interkulturellen Lernprozess. Es scheint mir, dass es unmöglich ist, eine andere Kultur ohne Erkenntnisse der eigenen Kultur und der eigenen ethnozentristischen Einstellungen zu verstehen und einen konstruktiven Umgang mit kultureller Verschiedenheit in einem interkulturellen Handlungskontext zu ermöglichen.“ (Choi, Jinchul [2010], S. 253 Anm. 189; s.a. Choe, Jae-Hyeon [1992], S. 281)

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jetzt angeknüpft werden konnte. Die teilweise rigorosen Maßnahmen zur Brechung koreanischer Traditionen durch die japanische Protektoratsregierung hatten eine Generation mit zwiespältigem Verhältnis zur eigenen Tradition hervorgebracht. Es war nicht immer klar, was eigentlich genuin ‚koreanisch‘ war. In der Nomenklatura des Kulturbegriffes von Wimmer gesprochen, gab es in Korea einen Habitus, der gebrochen war, da er mit der kollektiven Repräsentation in der Zeit des japanischen Protektorats nicht kongruent sein konnte und es offiziell auch nicht sein durfte. So änderte sich nach 1945 in Südkorea zumindest die formale Grundstruktur nicht. Denn statt der japanischen kamen jetzt vor allem amerikanische Einflüsse nach Südkorea. Allerdings gab es den Unterschied, dass die Menschen, wenn auch nur sehr langsam und mit vielen Rückschritten, immer mehr Möglichkeiten bekamen, ihren Habitus, also ihre Grundmuster und Ziele und die daraus folgenden Handlungen, zu entwickeln und zu leben. Aber dieser Habitus war kein einheitlicher, traditionell über Jahrhunderte gewachsener kultureller Habitus, der sich zu einer Identität aus Kontinuität und langsamen Wechsel entwickelt hatte. Nach dem Ende des japanischen Protektorats war für die Pädagogik in Südkorea das U.S. Military Government in Korea (USAMGIK) zuständig.632 Ihre bildungspolitischen Maßnahmen zeigten Erfolge. Konnten 1945 noch 77,8% der Bevölkerung nicht lesen und schreiben, waren es 1948 nur noch 41,3% und 1953 26%. Innerhalb von 10 Jahren und trotz des Koreakrieges sank die Analphabetenrate in atemberaubendem Tempo. Wie in Kapitel 3.1. bereits erwähnt, übten bis 1987 die herrschenden Regimes und Militärdiktaturen starken Einfluss auf die Schulpolitik aus. So gab es zwar der Papierform nach Schulziele wie die Hongigingan (䢣㧋㧎Ṛ / 贙蝳蝸笋)633 oder

632 Es gab eine „Abteilung für Bildungsangelegenheiten“ Hagmugug (䞯ⶊῃ) und ein koreanisches Erziehungskomitee Hangug Gyoyuk Shimmuihoe (䞲ῃᾦ㥷㕂㥚䡲). Auf dessen Ideen hin wurden am 24.09.1945 öffentliche Schulen nach amerikanischem Vorbild in eine sechsjährige Grundschule Chodeung Haggyo (㽞❇䞯ᾦ), eine dreijährige Mittelschule Jung Haggyo (㭧䞯ᾦ) und eine dreijährige höhere Schule Godeung Haggyo (ἶ❇䞯ᾦ) umstrukturiert. 633 Die Idee des Hongigingan ist eigentlich ein Mythos der Staatsgründung. ˊMit dem Begriff Hongik Ingan wird ein Prinzip verkündet, das in erster Linie einen religiösen Charakter hat, wie es der Überlieferung nach direkt dem göttlichen Willen entstammt. Dieses Prinzip besagt, dass Menschen nicht nur ausschließlich für ihre eigenen Interessen zu leben haben, sondern zuerst zum Wohle ihres Nächsten. Der Sinn des

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die „Fähigkeit kritischer Betrachtungsweise“.634 Auch John Deweys bereits 1916 verfasstes Buch ‚Democracy and Education‘635 nahm nach 1945 unter der USamerikanischen Verwaltung Einfluss auf die südkoreanische Erziehung. Diese Ideen wurden in pädagogischen Kreisen diskutiert, aber auch z.T. hart kritisiert, widersprachen sie doch in großen Teilen der bisherigen koreanischen Schulpraxis. „Es wurde weiter bemängelt, dass sie selbstsüchtigen Individualinteressen das Wort redeten und das Gemeinwohl kleinschrieben, was zu einem Verfall von Moral und Ethik bei der Jugend führen müsse. Die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen war ein weiterer Streitpunkt. Im Übrigen werde das auf der amerikanischen Erziehungsphilosophie aufbauende Curriculum den Erfordernissen eines Entwicklungslandes nicht gerecht.“ 636

Insgesamt wurde pädagogisches Handeln auf die Ziele der politisch Mächtigen hin funktionalisiert. Die Industrialisierung Südkoreas ab den 1960er Jahren forderte qualifizierte Arbeitskräfte, sodass neben einer Wissensbildung die Vermittlung wirtschaftlich nützlicher Inhalte und deren Verwertbarkeit in der Ökonomie zur Seite standen. Es ging um das Lernen von dem, was Menschen zu qualifizierten Arbeitern macht.637 Letztlich wurden Bildungsfragen dem ökonomischen Erfolg untergeordnet. „Von Seiten des Staates wurde die Zusammenarbeit zwischen

menschlichen Lebens besteht demnach nicht im Wahrnehmen und Verfolgen des eigenen Nutzens und Vorteils. Vielmehr steht vor dem eigenen Interesse das Interesse und Wohlwollen des Nächsten.“ (Lee, Sang-Myung [2007], S. 234f.) Dieser Mythos wurde mit der Vorstellung eines idealen Staatswesens in Verbindung gebracht. Die staatlichen Stellen sollen die Integrität der einzelnen Menschen fördern. Einzelne Menschen gelten dann als gut, wenn sie in der Lage sind einerseits ein selbständiges Leben zu gestalten und gleichzeitig für andere da sein können. Die Idee des Hongigingan wurde vom koreanischen Erziehungsrat bereits 1946 zum Erziehungsziel erhoben. Diese ‚benefits for all mankind‘ steht dann im Artikel 1 des Bildungsgesetzes vom 31.12.1948. 634 Nach Pechmann, Max (2005). 635 Dewey, John (1993). Nach Deweys Überlegungen sollen Schüler fragend und auch diskutierend den Unterricht mitgestalten. Nur dadurch würden sie zu Demokraten erzogen, die auch Verantwortung übernehmen könnten. In Deweys Buch stehen ziemlich deutliche Angriffe gegen reines Auswendiglernen, ausschließlich autoritäre Lehrmethoden und letztlich das kritiklose Übernehmen von Wissen. 636 Ham, Hee-Ju (1990), S. 178. 637 Nach der Bildungsreform von 1963 waren Schlagwörter wie „Selbstbestimmung, Produktivität und Verwendbarkeit“ von Bildung wichtig. In der Regierungszeit von Park Chung Hee wurde in der Verfassung von 1964 im Artikel 27 (1-5) der unentgeltliche

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dem Bildungsbereich und der Industrie durch Verwaltungsanordnungen 1966 und ein eigenes Förderungsgesetz im Jahre 1967 begünstigt.“638 Die Schulklassen waren recht groß.639 De facto wurde die Grundschule immer mehr zum Vorbereitungsinstrument auf die Aufnahmeprüfung zur Mittelschule und die im Curriculum640 vorgegeben Inhalte und Ziele wurden zunehmend zur Makulatur. Lernen blieb im Wesentlichen ein Pauken von Faktenwissen zu Prüfungszwecken. Das hatte auch zur Folge, dass sich die Gesundheit der Schüler(innen) verschlechterte. Es gab zwar immer wieder Reformen dieses Systems641, aber

Pflichtunterricht an der Primarschule festgelegt. Darin wird auch die Unabhängigkeit und politische Neutralität erklärt. Real aber gab es eine politisch gewollte Erziehung. „Die politische Erziehung hat die Aufgabe, durch Pflege des nationalen Gedankengutes die Entwicklung eines Nationalcharakters gemäß den Prinzipien der ‚Nationaldemokratie‘ zu betrieben, die Park und seine Demokratisch-Republikanische Partei im Zweiparteienstaat der Republik Korea vertreten.“ (Wittig, Horst E. [1972], S. 177). So gab es zu der Zeit in der Primarschule einmal wöchentlich das Fach ‚Antikommunismus‘ Bangung Sanjueui (⹮ῗ㌆㭒㦮). 638 Lee, Ok-Bun (2007), S. 58. 639 Anfangs gab es viele Schüler pro Klasse und wenig Lehrer(innen). So kamen im Primarbereich Südkoreas 1945 auf eine(n) Lehrer(in) 69 Schüler(innen), 1950 waren es 58 Schüler(innen), 1989 36 Schüler(innen) und 1992 40 Schüler(innen) (Cho, Suni [1999], S. 71). Zurück zu führen ist das auf die bessere Ausbildung der Lehrer(innen) und den demographischen Wandel. 2005 besuchten im Primarbereich durchschnittlich 33 Schüler eine Klasse (Bildung auf einen Blick [2007], S. 415; 418ff). 640 Das Wort Curriculum (lateinisch: Wettlauf, Umlauf) beschreibt Lehrziele und Ablauf des Lehr- und Lernprozesses und Aussagen über die Rahmenbedingungen des Lernens. Ein Lehrplan zählt in aller Regel die Unterrichtsinhalte auf. Durch den Begriff sollte eben nicht nur Lerninhalt und Lernziel beschrieben werden, sondern auch Organisationsprozesse beschrieben werden. Saul B. Robinsohn brachte Ende der 1960er aus den USA den Begriff ‚Curriculum‘ nach Europa und etwa zu der Zeit wurde er auch in Südkorea populär. 641 Beispielweise wurde 1969 wurde in Seoul das System dahingehend revidiert (und 1971 auf ganz Südkorea übertragen), dass statt der Aufnahmeprüfung ein Losverfahren eingeführt wurde, durch das die Schüler(innen) auf die einzelnen Grundschulen in ihrem Stadtbezirk verteilt wurden. Die Aufnahmeprüfungen für die Oberschulen und Universitäten aber wurden beibehalten. Das ganze Prüfungssystem wurde quasi nur um ein drei Jahre nach hinten verschoben. Jetzt diente der Unterricht an Mittel- und Oberschulen dazu, die Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Der Besuch von Oberschulen ist bis heute freiwillig und je nach Status der Schule kostspielig.

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an dem Erlernen von Faktenwissen und der Prüfungszentrierung änderte das nichts. Für viele Menschen war und ist es das Ziel, dass sie selber bzw. ihre Kinder einen Abschluss an einer hochstehenden Universität ablegen.642 Allerdings haben sich im Laufe der Zeit die Inhalte des Schulunterrichtes verändert. Sie wurden durch das Erziehungsministerium Gyoyuggwa Haggisul (ᾦ㥷ὒ䞯₆㑶⿖ MOE Ministry of Education), das inzwischen in ‚Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Technologie‘ Gyoyuggwa Haggisul (ᾦ㥷ὒ 䞯₆㑶⿖/ MEST [Ministry of education, science and Technology]) umbenannt wurde, zentral vorgegeben. Die Herausgeber(innen) reagieren auf gesellschaftlichen Veränderungen, indem sie die Lehrinhalte, die wiederum an soziale und ökonomische Notwendigkeiten gekoppelt sind, ändern. Die Curricula sind im Schnitt 7 bis 10 Jahre gültig. Waren die Curricula anfangs noch mehr oder minder deutliche Vorgaben, so haben sich die Inhalte im Laufe der Jahre immer weiter liberalisiert und geben derzeit der Ausgestaltung individueller Möglichkeiten mehr Raum als in der Realität umgesetzt werden kann. Mit guter Bildung verbinden Eltern sozialen Aufstieg in der Gesellschaft. Das schlägt sich einmal steigendem Einkommen nieder. Die Hagbeol Seilschaften zeigen auch, dass es – je nach Ansehen des Ausbildungsinstitutes – durch Bildung an den richtigen Instituten die Möglichkeit gibt, zu Macht zu kommen. Das fängt bereits in der Wahl der Grundschule, ggf. sogar des Kindergartens an. Schulbildung wird zur Auslese für die Karriere, bei der ein in starker Konkurrenz erzielter Schulabschluss einer angesehenen Institution das Ziel ist. Nur der/die Beste zählt. So ist es nicht ausgeschlossen, dass Kinder etwas lernen, nur weil es einen Erfolg

642 Das Hochschulsystem setzt sich heute aus staatlichen (z.B. Seoul National University) und privaten (z.B. Yonsei) Universitäten und Colleges mit vierjährigen Bachelor-Studiengängen (sechsjährig für Medizin und Zahnmedizin) zusammen. Dem können weiterführende Studiengänge bis zur Promotion folgen. Andere vierjährige Hochschulausbildungen gibt es z.B. für die Lehrerausbildung sowie berufsvorbereitende zweioder vierjährige Colleges. Fernuniversitäten, sowie mehrere Schulen mit Universitätsstatus bieten zwei- oder vierjährige Studiengänge an. Hochschulen stehen in einem Wettbewerb und haben ein unterschiedlich hohes Ansehen. Wer auf eine der Elite Universitäten will, muss sich sehr schweren Tests wie der Aufnahmeprüfung Suneungsiheom (㑮⓻㔲䠮) unterziehen, in den denen nach wie vornehmlich Faktenwissen abgefragt wird. 2004 gab es in Südkorea insgesamt 411 Institutionen der höheren Bildung mit zusammen 3,56 Millionen Studenten und rund 64.000 Lehrkräften. Es gibt auch spezielle Universitäten nur für Frauen (z.B. die Ewha Universität); Universitäten exklusiv für Männer gibt es heute keine mehr.

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im gesellschaftlichen Aufstieg bringen könnnte oder es andere auch tun, unabhängig davon, ob das auch den Interessen der Kinder entspricht. Denn in Konkurrenz stehen nicht nur die einzelnen Schüler(innen), sondern im Hintergrund damit verbunden auch die Eltern und die Familien. 643 „In einer auf Emporkommen orientierten pädagogischen Atmosphäre kann man gar keine Interesse haben, was und wie die Kinder lernen und welche Fähigkeit oder Unfähigkeit und welche Charakter sie haben, sondern nur an das Erste, das Zweite oder das Beste.“644

Neben den staatlich durchgeführten Bildungsmaßnahmen hat sich in Südkorea ein großer Sektor an Hagweons etabliert. Aus europäischer Perspektive ist es immer noch erstaunlich, dass Schüler(innen) von 09:00 vormittags bis nachmittags in die Schule gehen, um danach weiter bis in den Abend lernen (müssen) und das zum Teil bis 10:00 oder in manchen Gebieten auch 11:00 Uhr nachts.645 Sehr viele Eltern schicken ihre Kinder schon in der Grundschule oder gar im Kindergarten Hagweons oder sie bekommen von Privatlehrer(inne)n Unterricht. Da zudem etwa die Hälfte der Oberschulen646 und ca. 80% der Hochschulen647 in privater Hand

643 Das kann bis zu erstaunlichen Deutungen führen, z.B. dass Bildung als verbesserte Heiratschance angesehen wird: „[…] die Universität wirbt damit, dass kurze Zeit nach dem Studienabschluss 95 Prozent der Absolventinnen verheiratet sind.“ (Hohleiter, Vera [2009], S. 51.) 644 Jeong, Bum-Mo, Die Menschenbildung der Zukunft Mirea-ui Ingangyeoyuk, in: ders. (Hrsg.): Die Analyse der Bildungskrise (Gyeoyuknankuk-ui Heabu) Seoul 1993, S. 408; zitiert nach Lee, Eun-Kyoung (2009), S. 92. 645 Inzwischen sind in diversen Gebieten Südkoreas Gesetze erlassen worden, um die Gesundheit der Kinder zu schützen. Danach dürfen Hagweons nicht länger als bis 10:00 Uhr nachts unterrichten. Wer es trotzdem tut, bekommt beim ersten Mal eine Abmahnung, beim zweiten Mal eine Geldstrafe und beim dritten Mal droht die Schließung des Institutes. Um das zu überwachen, laufen abends Kontrolleure/innen durch die Straßen. 646 Heute gehen annähernd alle Schüler nach Abschluss einer Mittelschule auch auf eine Oberschule. Es gibt allgemeine Oberschulen, aber auch naturwissenschaftliche, Kunst- und Fremdsprachen- und zu ca. 30% auch berufsbildende Oberschulen. Auch sie werden oft zur Vorbereitungsschule für universitäre Zugangsprüfungen. 647 Das MEST gibt Curricula, Prüfungsanforderungen, Qualifikation der Dozenten(innen) und zumindest teilweise Zulassungszahlen vor. Heute studieren etwa 3,6 Millionen Südkoreaner(innen) bei einer Einwohnerzahl von ca. 48 Millionen. Etwa 80% aller Oberschulabgänger(innen) wollen studieren. Seit 1990 hat sich der Anteil der Oberschulabgänger(innen), die studieren wollen, verdoppelt. Diese Dynamik bringt

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sind, liegt hier eine erhebliche Beeinflussung pädagogischer Belange durch ökonomische Bedingungen vor. 648 Doch dies alleine aus den Erfolgen von Werbemaßnahmen der Institute und ihren Verdienstabsichten zu erklären, ist kaum möglich. Es beruht auch auf dem enormen Bildungs- und Konkurrenzdruck, der wiederum auf Traditionen, wonach Bildung Aufstieg bedeutet, zurückzuführen ist. Die über Jahrhunderte tradierte Idealvorstellung, dass eine geistige Bildung auch Sittlichkeit hervorruft649, wirkt bis heute ebenso nach wie die Vorstellung, dass nur sittlich hochstehende Personen, also Gebildete, eine Gesellschaft und einen Staat lenken sollten. Der Wettlauf zum Erreichen hoher Bildungsabschlüssen wird heute auch mit der Wortschöpfung ‚koreanisches Erziehungsfieber‘ Hangug Gyoyugyeol (䞲ῃ ᾦ㥷㡊)650 in Verbindung gebracht. Unter Erziehungsfieber wird das Ausrichten der gesamten Bildung auf das Erreichen eines Zertifikats einer möglichst hoch angesehenen Institiution verstanden. Daran beteiligt sind nicht nur die öffentlichen Schulen und die privaten Hagweons, die daran verdienen und es daher auch befeuern, sondern die gesamte Familie der/des Schülers/in ist davon betroffen. Sie investiert viel Zeit und ökonomische Ressourcen in den erwünschten Erfolg. Da die Erfolge und Misserfolge in Südkorea auch eine familiäre Angelegenheit sind, beschreibt der Begriff ‚Erziehungsfiebers‘ vor allem das Verhalten der Eltern. Denn sie unternehmen enorme Anstrengungen651, um einen solchen Abschluss der

erhebliche qualitative Probleme mit sich. (Bundesministerium für Bildung und Forschung [2014]). 648 Diese Konkurrenz wird auch von staatlichen Maßnahmen befeuert. So will z.B. die Maßnahme ‚Brain Korea im 21. Jahrhundert‘ Dunoe Hangug 21 (⚦␢ 䞲ῃ 21) die internationale Wettbewerbsfähigkeit Südkoreas fördern. Viel Geld wird zur Unterstützung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Universitäten und für Spitzenforschung, die sehr leistungsfähige Hochschulabsolventen hervorbringen soll, ausgegeben. 649 Diese Vorstellung ist durchaus mit in Europa einflussreichen Vorstellungen vergleichbar. So erwähnt z.B. Herbart, dass der Charakter (Sittlichkeit) eines Menschen von seinen Vorstellungen (einem ‚Gedankenkreis‘) abhängig ist. Gudjons bemerkt dazu: „Aus sittlichen Vorstellungen entsteht also der sittliche Charakter. Wissen bewirkt Haltung. Kognitive Strukturen bewirken Charakterstärke. Wir würden heute sagen: Schön wär’s: Sittlichkeit durch Wissen.“ (Gudjons, Herbert [2008], S. 97) 650 S.a. Lee, Eun-Kyoung (2009). 651 Die Bildung wird zwar zentral finanziert (Südkorea gibt ca. 4% des Bruttosozialproduktes für Bildung aus), aber dazu kommen noch einmal 3% durch die Ausgaben der Eltern. Das wird zu einer beträchtlichen Summe. Die finanziellen Belastungen der

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Kinder zu ermöglichen. Da es sich zunehmend um Kleinfamilien handelt, werden diese Prinzipien u.U. auf das einzige Kind hin ausgerichtet, das sich von Geburt an einem enormen Druck und äußeren Leistungsanforderungen ausgesetzt sieht. Das ‚Erziehungsfieber‘ wird unterschiedlich bewertet: positiv, weil es als eine treibende Energie hinter dem Wirtschaftswachstum Südkoreas angesehen wird und negativ, weil durch die permanente Konkurrenzsituation eine soziale Schieflage entstanden ist, da die Kinder reicher Eltern bessere Möglichkeiten bekommen652 und weil das Lernsystem sehr viele Ressourcen verschlingt und zudem großen Stress für alle Beteiligten bereithält. 653 Diejenigen, die das durchstehen, haben den Umgang mit Disziplin und Durchsetzungsvermögen bewiesen und eine Menge abfragbaren Wissens gespeichert. Es ist eine materialistische Weltsicht, in der Wissen wie auf ein Haben-Konto gebucht durch entsprechende schulische Zertifikate gesellschaftlich sanktioniert nachweisbar ist. 654

Haushalte für den schulischen Erfolg der Kinder sind enorm. (vgl. dazu auch Chung, Young Sook; Choe, Minja Kim [2001]). 652 Engelhard beschreibt: „Die immer kostspieliger werdenden privaten Bildungsmaßnahmen überdecken nicht nur die Schwächen des öffentlichen Schulsystems, sie gleichen sie auch aus.“ (Engelhard, Karl [2004], S. 330). Dieses starke Privatschulwesen generiert auch Probleme. Manche Familien verschulden sich. Denn für die meisten Schüler(innen) ist es in den letzten zwei Jahren vor dem Schulabschluss normal, neben der offiziellen Schulzeit täglich zwei und oft auch mehr Stunden Privatunterricht zu nehmen. Schließlich ist die Eingangsprüfung für die Hochschule der vermutlich wichtigste Baustein in einer südkoreanischen Bildungsvita und entscheidet nach gängiger südkoreanischer Einschätzung über Wohl und Wehe des Lebens. 1970 steuerte die Regierung erstmals massiv dagegen, indem sie im Zusammenhang mit der ‚Bildungsreform des 30.Juli‘ und im Zusammenhang mit der Abschaffung der Eingangsprüfungen zwischen der Grundschule und der Mittelschule Privatunterricht und die Aktivitäten der Hagweons verbot. Doch diese Maßnahme funktionierte nicht, da die Eltern sie unterliefen. Das Verbot wurde daraufhin wieder aufgehoben. 653 Gerade auch gegenüber den PISA Studien gibt es kritische Einstellungen, weil darin quantitativ kognitive, nicht aber soziale oder emotionale Kompetenzen gemessen würden (Cheong, Yoo-Seong [2003], S. 4.). 654 Das kann dann bis zu der Ansicht führen, dass Lernen zu einer Selbstoptimierung im Sinne von Wissensanreicherung führen soll. Diese Tendenz wurde für den österreichischen Raum von Luise Gubitzer beschrieben. Sie nennt dies die drei Entwicklungen „der Verbetriebswirtschaftlichung von Bildungsinstitutionen, der Vermarktlichung/Kommerzialisierung von Bildung durch Selbstökonomisierung und der Ökonomisierung des Bildungsauftrages.“ (Gubitzer, Luise [2005], S. 29)

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Die Bildung in Südkorea ist dadurch ambivalent einzuschätzen. Einerseits bringt sie Schüler(innen) auf sehr hohem, technischem Niveau hervor, die zudem das Lernen gelernt haben. Das faktische Nachweisen der Ergebnisse ermöglicht Aufstiegschancen in der südkoreanischen Konkurrenzgesellschaft. Und die Schüler können ihren gesellschaftlichen Wert eindeutig ablesen und müssen nicht erst mühsam nach Maßstäben suchen. Andererseits ist das Lernen ergebnisorientiert auf das vorzeigbare Produkt eines Abschlusses fokussiert. Die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit im Sinne vom Aufbau eines Selbstbewusstseins durch Lernen und Reflexion, oder gar die Suche individueller Lösungswege bzw. die Entwicklung einer Individualität werden erschwert. Der Weg des Lernens und die Verbindung der gelernten Inhalte mit der eigenen Persönlichkeit sind in der Regel nur privat wichtig.655 Jede(r), der sich dem rein ergebnisorientierten Bildungswettlauf widersetzt, muss mit ökonomischen und sozialen Nachteilen rechnen. Ein öffentlicher Diskurs im Umgang mit Angst, Verzweiflung, Sprachlosigkeit, Vereinsamung und Erkrankungen bis hin zum gar nicht so seltenen Selbstmord läuft in Südkorea aber nur sehr schwer an. Die Ergebnisse der diversen OECD Studien wie PISA u.a., in denen Südkorea in aller Regel vordere Plätze belegt, bestätigen – wenn man Bildung als konkurrierenden Evolutionswettlauf von Erziehungsprodukten ansieht – den Erfolg des südkoreanischen Bildungssystems. Das Erlernen und Wissen ist sicherlich ein Kernziel von Bildung und insofern ist das Bildungsmodell in diesem Sinne erfolgreich. (Fakten-)Wissen ist für die Neuentwicklung (Produktion) von Erkenntnissen aber nur eine Voraussetzung und impliziert nicht automatisch Techniken, selbst zu produzieren. 656 Dem entsprechen auch manche Aussagen südkoreanischer Pädagog(inn)en:

655 Hierin zeigt sich die bereits beschriebene tradierte Vorstellung, dass hohe Bildung eine Repräsentation des richtigen Lebens ist, sich bis heute gehalten hat. Die Inhalte haben gewechselt, nicht aber die Deutungsmuster. 656 Regierungsbehörden versuchen dieser Problematik entgegen zu steuern. Smith TongJin berichtet: „Das Problem mit dem koreanischen Schulsystem ist aber der Fokus auf das Auswendiglernen“, sagt Mi-Soo Bae Smith, emeritierte Mathematikprofessorin. „Wenn man koreanische Schülerinnen und Schüler mit offenen Fragen konfrontiert, die sie in der Form noch nicht gehört haben, sind sie meistens nicht in der Lage, sinnvoll darauf zu antworten. Sie können keine Transferleistung erbringen, weil sie nicht lernen zu denken.“ Es sei auch zu beobachten, dass viele Schüler die Fakten kennen, aber im Grunde nicht wissen, worum es geht. Daher protegiere die Regierung die Smart-Education über digitale Medien, „wodurch Schüler selbstgesteuert, motiviert, adaptiv, ressourcenreich und unter Einbeziehung modernster Techniken lernen sollen.

232 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN „Im 21. Jahrhundert, in dem wir leben, benötigt die Welt kreatives Talent mit ausgeprägter Individualität. In Korea, das auch weiterhin gegen das Problem der niedrigen Geburtenrate zu kämpfen hat, wachsen die Kinder oft ganz ohne oder nur mit wenigen Geschwistern auf und entwickeln daher entsprechend stark ausgeprägte individuelle Charakterzüge und verschiedenartige Bedürfnisse und Eigenschaften. Diese Kinder brauchen eine Grundschule, die nicht nur für die Grundbildung sorgt, sondern auch ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird und sie darin unterstützt, ihre Individualität zu entfalten.“657

Nicht alle finden die vorliegende Bildungsstruktur richtig. Manche Lehrer(in) versucht, ihren Schülern Möglichkeiten zu eröffnen, auch unterschiedliche Wege für den Umgang mit diesem Wissen zu erlernen. Eine Lehrerin berichtete dem Autor im Unterrichtsgespräch über ihre Schulzeit: „Wenn ich schon all diesen Müll lernen muss, weil alle das wollen, dann will ich auch was davon haben.“ 658 Sie fand ihre Interessen. Diese allerdings lagen nicht konform mit den Bildungsideen der Eltern/Gesellschaft und der nächste Konflikt war da. Gelernt aber hatte sie Disziplin, Umgehen mit Schlafmangel und Durchhaltevermögen auf ein Ziel hin und konnte diese nun zur Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den Anweisungen aus der Gruppe anwenden. Dies kann aber nicht jeder durchstehen. Daher tritt in Südkorea mitunter ein teilweise nur schwer lösbarer Widerspruch zwischen den Interessen zutage. Ökonomische Interessen, Wertvorstellungen und Traditionen, welche aber nur schwer diskursiv reflektiert werden können, weil dies nicht zum vorrangigen Lernstoff in Bildungsinstitutionen gehören, stehen mitunter in Opposition zu den eigenen Vorstellungen, die unter der Vorrangstellung der Allgemeininteressen hervorkommen können. Es gibt in Südkorea Bewegungen für die Umsetzung alternativer Bildungswege.659 Dazu gehören Konzepte von Montessori- und Waldorfschulen (auch die Lehrern kommt somit auch eine neue Rolle zu. Statt wie bisher an der Tafel Vorlesungen zu halten, deren Inhalte die Schüler dann auswendig lernen müssen, werden sie zu Begleitern ihrer Schüler, die bei der Problemlösung und Wissensvermittlung helfen.“ So würde das „eine Art virtuelles Klassenzimmer. Sozusagen eine kostenlose Hagwon für alle. Wenn die Menschen am Ende gut gebildet, kreativ und problemlösungsorientiert sind und selbständig denken und handeln können, hat die Regierung vielleicht ihr Ziel erreicht, kompetente Arbeitskräfte für die Zukunft hervorzubringen. Aber der Schultag wird für Koreas Jugend dadurch nicht kürzer und der Druck nicht weniger.“ (Smith, Tong-Jin [2015]) 657 Cho, Younsoon (2009), S. 13. 658 Aus einem Gespräch des Autors mit einer Studentin aus im Oktober 2009. 659 Es gab historische Vorläufer. Schon im 17. Jahrhundert gab es Bestrebungen, eine empirisch fundierte Pädagogik einzurichten. Darin wurde nicht nur die individuellen

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hier untersuchte Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs passt in diese Rubrik hinein), aber auch Ideen660, deren Aktivitäten direkt von den südkoreanischen Lehrer(inne)n innerhalb des Schulsystems initiiert wurden.661 Es gibt einige Spezialschulen Gagjong Haggyo (ṗ㫛䞯ᾦ). Dazu zählen Schulen, die einen fächerzentrierten Unterricht anbieten, die Teugsu Mogjeog Godeung Haggyo (䔏㑮⳿㩗 ἶ❇䞯ᾦ), die in der Regel höhere Schulen sind. Sie bieten verstärkt Musik, Kunst, Theater, Sport, Sprachen oder wissenschaftliche Fächer an. Und es gibt die ‚Eigenschaftsschulen‘ Teugseonghwa Haggyo662 (䔏㎇䢪 䞯ᾦ). Darunter fallen reformpädagogische Schulen und Berufsschulen. Diese wurden nicht zuletzt gegründet, um die verhältnismäßig große Zahl der Schulabbrecher663 aufzufangen.

Fähigkeiten der Schüler berücksichtigt werden, sondern auch koreanische Geschichte und die Geschichte koreanischer Gelehrter. Diese Richtung konnte sich nicht durchsetzen. Siehe dazu auch Tschu, Kye Za (1984), S. 17f. 660 Es gibt auch Ideen, die im weiteren Sinne als ‚reformpädagogisch‘ einstufen wären und dabei auch auf die Bildung einer koreanischen Identität abzielen. Das kann an dieser Stelle nicht genauer ausgeführt werden. Problematisch ist, dass sie dabei reformpädagogische Schulsysteme als Gegenpol zu einem Schulsystem, das auf eine nicht-koreanische Kultur zurückgeführt wird, bezeichnen. Dagegen wird eine ‚koreanische Identität‘ gestellt, die sie wieder zu gewinnen erhoffen und diese mit Inhalten füllen. Es geht dabei also nicht nur um eine Zielsetzung einer individuellen Deutung, sondern sie wird anhand inhaltlicher Phänomene (wie Gugak, Malerei, Schreiben, Leben in der Natur in Korea, koreanische Geschichten usw.) als Vermittlung einer ethnisch-kulturell gedachten Einheit umrissen. Der Kulturbegriff selbst wird dabei kaum reflektiert. Vergleiche dazu auch Kim, Moon-Sook (2007), S. 149ff. 661 Dazu zählen z.B. die 1986 von Mittelschullehrern ins Leben gerufene ‚Bewegung zur wahren Erziehung‘ Cham Gyoyuk Undong (㺎 ᾦ㥷 㤊☯), die demokratische Prinzipien einführen wollte. Oder die ‚Bewegung der offenen Erziehung‘ Yeollin Gyoyug Undong (㡊Ⰶ ᾦ㥷 㤊☯), deren Vertreter(innen) die vom Staat vorgeschriebenen Lehrpläne in vielen Teilen ablehnten und eigene Pläne dagegen setzten; zudem wurden Strukturen wie offene Organisationen und Lehrgänge oder ein relativ offener Dialog zwischen Lehrer(inne)n und Schüler(innen) umgesetzt. 662 In Eigenschaftsschulen werden die in der Regelschule vorhandenen Inhalte zugunsten erfahrungsbezogener Erziehung und Erlangung von Eigenständigkeit reduziert (Lee, Jung-In [2014], S. 265ff.). 663 Ca. 10% aller Schüler(innen) in Südkorea brechen die Schule ab. Da es aber offiziell in Südkorea keine Möglichkeit gibt, die Schule abzubrechen, sahen sich die offiziellen Stellen genötigt, hierfür eine Art Auffangsystem zu installieren. Dazu gehören auch die Eigenschaftsschulen. (Genauer ausgeführt in Lee, Jung-In [2014], S. 261-267)

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Seit Beginn der 7.Republik unter Präsident Kim Young-Sam sollte die südkoreanische Gesellschaft als offenere Bildungsgesellschaft gestaltet werden. 664 Bildung sollte in jedem Alter für jeden an jedem Ort möglich sein. „Das heißt, dass sich die Bildung nicht mehr, wie bisher, allein an der wirtschaftlichen Entwicklung des Staates ausrichten sollte, sondern zur Grundlage des Staates werden sollte, der sich auf Bildung gründet.“665

Daher wurden Bildungsziele diversifiziert, der jeweiligen Schulverwaltung mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung zugemessen 666 und auch die freie Schulwahl wieder eingeführt. Da aber das Grundsystem der teleologisch universitätszentrierten Schulausbildung nicht verändert wurde, sind diese Absichten nur schwer umzusetzen. Denn sogar die Kinder in reformpädagogisch beeinflussten Schulen stehen häufig in einer Konkurrenz zueinander, da sich auch hier der Unterricht am Erreichen extern vorgegebener Bildungsziele zu orientieren hat.667 So werden reformpädagogische

664 Dies geschah unter anderem durch die Sin Gyoyuk (㔶ᾦ㥷), auch ‚5.31. Schulreform‘ genannt. Der Name rührt daher, dass sie am 31.Mai 1995 verkündet wurde. 665 Lee, Jung-In (2014), S. 152. 666 So ist das z.B. Konzept der ‚open education‘ in der Vor- und Grundschulerziehung angewandt worden. Ursprünglich wurde unter ‚open education‘ die Einrichtung eines freieren Lernumfeldes, in der die Lerninitiative (Motivation) auch von Schüler(inne)n ausgeht, verstanden. Bei der Evaluation der ‚open education‘ in Südkorea wurden allerdings vornehmlich die Ergebnisse kognitiven Mehrgewinns verglichen, die sozialen oder emotionalen Veränderungen fanden kaum Beachtung. Die Vorstellung einer allgemeingültig messbaren Evaluation und die damit auch in Beziehung stehenden jeweiligen Rollenverständnisse der Lehrer(innen) als ‚Wissensvorgeber‘ oder als ‚Partner‘ waren Indikatoren, dass die ‚open education‘ in Südkorea anders als z.B. in den USA aufgefasst und verarbeitet wurde. Lee, Jung-In schreibt dazu: „Bei differenzierterem Lernen in der Gruppe geht es nicht um Förderung der jeweiligen individuelle besten Leistungen. Es geht vielmehr darum, dass alle Schüler ein durchschnittliches minimales Lernniveau erreichen […]“. (a.a.O., S. 159) 667 Kim Moon-Suk zieht bezüglich des Einflusses reformpädagogischer Bestrebungen ein aus reformpädagogischer Sicht ernüchterndes Fazit: „Es fließen lediglich vereinzelt alternativpädagogische Gedanken ein. Dies könnte zwar als Resultat des Einflusses der alternativen Erziehung verstanden werden, man sollte dies jedoch nicht als Weiterentwicklung der alternativen Erziehung interpretieren. Denn der Reformwille

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Bestrebungen in Südkorea häufig als sozialpädagogische Unterstützung im bestehenden System funktionalisiert. 668 ‚Musik‘ war nach 1945 an Grundschulen Pflichtfach. Grundlage war ein von der US Militärverwaltung herausgegebenes Unterrichtswerk aus sechs Bänden.669 Doch es fehlte es an Lehrkräften und weitergehende pädagogische Neuerungsbestrebungen wurden durch den Koreakrieg zunichte gemacht. Die Einstellung zur Musik war weniger von formalen, denn von sozialen Vorstellungen beeinflusst. „Die Meinung über den Sinn der Musikerziehung, die im allgemeinen heute unter Musikpädagogen in Südkorea herrscht, bezieht sich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Wesen der Musik und dem individuellen Leben, sondern eher auf die sozialen Faktoren, welche die Musik und das Leben verbinden.“670

In der weiteren Entwicklung änderten sich die Schwerpunktsetzungen im Musikunterricht. Bezüglich des hier untersuchten Gegenstandes sei angemerkt, dass im fünften Curriculum (1987 bis 1991) die Erfahrungsebene betont und die Systeme von Kodaly und Orff als mögliche Lehrmittel erwähnt werden. Im sechsten Curriculum (1992 bis 1997) wurde die schöpferische Ausdrucksfähigkeit beim Musizieren in den Vordergrund gerückt. Es finden sich in den Richtlinien Begriffe wie „kreatives Ausdrucksvermögen und die Fähigkeit zum Musikhören entwickeln“, „auf die traditionelle koreanische Musik Wert legen oder das Verstehen des Sinnes

der Regierung und der Reformwille der alternativen Pädagogen stehen eher im krassen Gegensatz zueinander als in einer kooperierenden Beziehung.“ (Kim, Moon-Sook [2007], S. 161) 668 So wird zwar die ‚open education‘ weiterhin in Südkorea angewandt. Sie wird aber laut Rhie vor allem als Kleingruppenarbeit (statt individualisierendem Lernen) und als handlungsorientiertes (statt entdeckendes) Lernen durchgeführt (Rhie, Suk-Jeong [2003] S. 99). Kim, Moon-Sook schreibt: „Die alternativpädagogische Politik der Regierung ist eher sozialpädagogisch und heilpädagogisch als alternativpädagogisch. Sie konzentriert sich auf Berufsbildung und Orientierung von Problemkindern und Schulentlassenen, obwohl sie sich teilweise auf die Bildung der Menschlichkeit bezieht […]. Alternative Erziehung ist aber keine Sozialpädagogik und zugleich keine Heilpädagogik, dies sind nur begleitende Effekte ihrer Anwendung.“ (Kim, Moon-Sook [2007], S. 177) 669 Genauer beschrieben bei Kim, Hio-Jin (2000), S. 146ff. Viele Inhalte und Methoden wurden darin fast unkommentiert aus amerikanischen Plänen übernommen. 670 Cho, Suni (1999), S. 69.

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der Musik zu betonen.“671 Im Curriculum von 2007 (in 2009 und 2012 überarbeitet)672 wurden mehrere individuelle Lernwege zugelassen, die Anzahl der zu lernenden Inhalte gekürzt und flexiblere Möglichkeiten (z.T. Wahlmöglichkeiten) in den letzten zwei Jahren eingeführt, damit die Schüler(innen) sich auf die Berufswahl hin einige Fächer aussuchen konnten. Bei den Inhalten des Musikunterrichtes wurden die vier Kategorien ‚Erfahren‘, ‚Ausdruck‘, ‚Verstehen‘ und ‚Praktizieren von Musik‘ unterschieden.673 Damit setzt sich der seit den 1980-iger Jahren bestehende Trend fort, der im Rahmen der Demokratisierung Südkoreas eine Partizipation von Interessengruppen und eine Dezentralisierung curricularer Entwicklungen zulässt. Das zielt darauf ab, eine Wissensgesellschaft zu ermöglichen. Dazu gehört z.B. die Förderung des lebenslangen Lernens674, wozu auch der Aufstieg der Informationstechniken in Südkorea genutzt wird. Musikschulbücher für den Primarschulunterricht orientierten sich zunächst an Gesang und Lied. Dabei flossen im Laufe der Zeit auch Elemente der Orff Methodik675 wie Singen mit Bodypercussion in einfachster Weise mit ein. Die Lieder im Lehrbuch sind im Fünfliniensystem notiert und bestehen neben der Nationalhymne aus Liedern koreanischer Komponisten und einigen koreanisch sprachigen

671 Südkoreanisches Bildungsministerium (Hrsg.), Lehrplan für die Grundschule Bd.15 Seoul 1997, S. 83; zitiert nach Kim, Ji-Hye [2011], S. 122 Anmerkung 106. 672 Diese sind im Internet auch in der englischen Fassung einzusehen unter http://ncic.kice re.kr/english.kri.org.inventoryList.do# (download vom 24.8.2014). 673 Darin wird den Lehrkräften mehr Freiheit in der Wahl und Gestaltung von Lerninhalten zugestanden: „[…] B. Kreative und unterschiedliche Lehr- und Lernmethoden und Materialien können in Betracht gezogen werden, falls der Lehrer es für die Lehre und das Lernen für notwendig erachtet. C. Die Lehrer können die Inhalte des Curriculums um arrangieren, um die örtlichen Besonderheiten der Schule und der Schüler aufzunehmen.“ (National Curriculum Information Center [2007b]) 674 Eine solche Erwachsenenbildung umfasst neben einer Allgemeinbildung auch die Freizeitgestaltung. Nach Artikel 29, Absatz 5 der südkoreanischen Verfassung ist es Aufgabe des Staates, die lebenslange Bildung zu fördern. Ab dem 31.08.1999 gab es ein eigenes Gesetz für lebenslange Bildung in allen außerschulischen Bildungsaktivitäten. Darin sind nicht nur die vom Staat genehmigten und im Bildungsamt eingetragen Bildungseinrichtungen gemeint, sondern es werden darin auch die Bildungsziele charakterisiert: Selbstbestimmung der Lernenden, Freiwilligkeit der Teilnahme und Gleichberechtigung. 675 Siehe dazu Cho, Suni (1999), S. 103-112.

26 25 24 23 22 21 20 19 18

Weiteres Studium zum Magister Seogsa (석사) 대학 교육대학 päda- 사범대학 päAndere gogische Hochdagogische Studienschule (GrundHochschule gänge schullehrer, Er(Mittelschule) zieher) 고등학교 고등기술학교 특수학교 dreijährige höhere Schule ErwachsenenSchule für schule Menschen mit besonderen 중학교 고등공민학교 Beeinträchtidreijährige Mittelschule Erwachsenengungen schule

대학 Universität (Zahnmedizin, Tiermedizin, Pharmazie, Architektur)

Forschungsstudium zum Doktortitel Bagsa (박사)

전문대학 College (Erzieher, Köche, Design u.a. 각종학교 Spezialschule (Musik, Kunst, Theater, Sprachen, IT u.a.

원격대학 Fernuniversität

기술 대학 Universität für technische Berufe

기능대학 polytechnische Universität

산업 대학 Industriehochschule

개방 대학 offene Universität

17 방송통신 고등학교 16 Fernschule 15 14 13 12 11 초등학교 공민 학교 Erwachsenen10 sechsjährige Grundschule schule 9 8 7 6 5 유치원 / 어린이 집 Kindergarten 4 3 2 Al ter Dieses Schaubild zeigt nur die staatlichen Bildungswege auf. Fast alle diese Schulen und Universitäten gibt es auch als private und kostenpflichtige Institutionen. Daneben existiert die große Menge der Hagweons. Grau unterlegt ist der Bereich, für den Schulpflicht besteht und der kostenfrei ist (Stand: 06/2015).

고등교육 Höhere Erziehung

중등교육 Mittlere Erziehung

초등교육 Elementarerziehung

12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

21 20 19 18 17 16 15 14 13

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Tabelle 2: Südkoreanisches Schulsystem

취학 전 교육 Vorschulerziehung hung Schule 취학 전 교육

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Schuljahr

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Liedern sowie wenigen ‚ausländischen‘ Liedern. 676 Bodypercussion erfolgt stets nur in Verbindung mit einem Lied. Bei den vorgestellten Instrumenten kommt ab dem sechsten Lehrplan neben Triangel, Trommel, Tambourin, Becken, Xylophon oder Kastagnetten auch die kleine Handtrommel Sogo mit Schlägel und die Trommel Puk vor. Dabei werden im Schulbuch bestimmte Rhythmen vorgegeben. Auch das Bauen einfacher eigener Instrumente ist vorgesehen. Einzelne Wege zum Erfinden eigener Lieder bestehen z.B. in Dialogübungen zwischen Lehrer(in) und Schüler(in). Spielerisches Lernen besteht aus dem Umgang mit Geräuschen, Stimmen und Tönen und in rhythmischen Übungen (z.B. durch ‚Lückenrhythmen‘, d.h. bei einem vorgegebenen Rhythmus fehlt ein Takt, den der/die Schüler(in) selbst finden muss). In der Bewegungsschulung, die im Zusammenhang des Faches ‚Das fröhliche Leben‘ oft auch im Sinne von ‚Sport‘ aufgefasst wird, gibt es Vorübungen zu Tänzen, wobei auch traditionelle Tänze mit einbezogen sind. Und auch der Bereich ‚Kunst‘ wird im Zusammenhang des Faches ‚Das fröhliche Leben‘ berücksichtigt, insofern das Malen auf Eindrücke durch Musik oder durch die Abbildung von Instrumenten mit einbezogen wird. 3.2.3 Entwicklung der Vorschulerziehung in Südkorea Da sich die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs an Vorschulkinder wendet, ist es notwendig, den Entwicklungsprozess der Vorschulerziehung in Südkorea einer historischen, politischen und soziologischen Betrachtungsweise zu unterziehen. Die Rolle der Kinder war von Geburt an in hierarchischen Familienbezügen z.B. als Junge oder Mädchen, älter oder jünger usw. definiert. Dabei war Loyalität gegenüber den höheren Familien- oder Clanmitgliedern geboten, was sich auch in der Erziehungsphilosophie niederschlug. Für die Kinder bedeutete das „it first stressed the orderliness of one's own thoughts and mind.“677 Bereits im Korea vor

676 Gemeint sind in der Regel Lieder aus den USA oder Europa. Bei diesen nicht-koreanischen Liedern fehlen allerdings Verweise auf die Komponisten, die Herkunftsländer usw., sodass ein Begreifen der Musik aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus nur durch Eigeninitiative möglich ist. 677 Lee, Ki-Sook (1996), S. 169. Sie schreibt weiter: „This deference for and obedience to the elders was an admirable trait, but also resulted in the development of an adult oriented, rather than child oriented, educational philosophy. […] The topics included lessons on the accurate terms to be used when addressing elder siblings and family elders, exact uses of honorific speech, polite manners in greeting, etiquette in visiting other people's houses, and correct behavior during meals.“ (a.a.O., S. 169f.)

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1876 wurden somit Vorschulkinder in ethisch-moralischen Bezügen erzogen. Diese traditionelle Erziehung zu Loyalität und Anstand spiegelte über lange Zeit eine in sich relative geschlossene Gesellschaftsstruktur wieder. Die Erziehung diente dazu, den Kindern Werte und Normen nahezubringen, sodass sie diese internalisierten. Das Ziel war die Reproduktion der Gesellschaftsstruktur. Dies erodierte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Nach der Öffnung der Landesgrenzen im Jahr 1876 wurde in Busan 1897 der erste Kindergarten auf koreanischen Boden eröffnet. Er war allerdings nur für die Japaner gedacht.678 Es gab danach auch Bemühungen, koreanischen Kindern den Besuch von Kindergärten zu ermöglichen. Überliefert ist z.B. die Eröffnung des ‚Na-Nam Kindergartens‘, der aber anfangs wenig Erfolg hatte. 679 Weitaus größere Wirkungen hatten die amerikanischen, christlichen Missionare, die mehrere Missionsschulen für koreanische Kinder eröffneten. Aus diesen Missionsschultypen entwickelte sich die sogenannte ‚day school‘, in denen auf Koreanisch unterrichtet wurde, die von der Form her zunächst nicht von den Seodang680 zu unterscheiden war. Daraus wiederum entwickelte sich der spätere koreanische Kindergarten. Diese Schulen nahmen anfangs tagsüber auch Vorschulkinder auf, wobei sie vermutlich nach dem Fröbelkonzept arbeiteten, wie es damals über die USA und Japan nach Korea gekommen war.681 Diese ursprünglich außerkoreanischen Ideen nutzten koreanische Bildungsinteressierte. Der 1913 eröffnete Kindergarten Gyeong Seong (ἓ㎇) in Seoul war

678 Die Wirkung dieses ersten Kindergartens beschreibt Kwon: „The Japanese influence is reflected in the use of structured play, whole class teaching and an expectation of uniformity in the children’s behaviour.“ (Kwon, Young-Ihm [2002], S. 153) 679 „Kindergarten for Korean children began in 1909. The Na-Nam kindergarten was established by Koreans but the teacher was Japanese. A Japanese teacher was required because at that time Korea did not have a Kindergarten teacher training program. Koreans believed strongly in the necessity of appropriate teacher training, then and now, and refused to educate their children with people who were not trained to do so.“ (Bailey, Becky; Lee, Gi-Hyoun [1992], S. 2) 680 Die Seodang (㍲╏, ᴨา) waren örtliche Privatschulen, die vor der Öffnung Koreas für die Bildung des einfachen Volkes und die Aufklärung der ländlichen Bevölkerung von Privatpersonen oder Dorfeinwohnern zusammen errichtet wurden, Seodang hielten sich in leicht modernisierter Form bis zur Zeit der japanischen Annexion. Sie waren bis zur Entstehung der Republik Korea Grundlage zur Bildung der allgemeinen Bevölkerung. Der Unterricht hatte keinen Lehrkanon und wurde nach Ermessen der Lehrer oder ihrer Auftraggeber eingerichtet. 681 Nach Lee, S-G (1987), S. 59.

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von japanfreundlich gesinnten Koreaner(inne)n eröffnet worden und nach 1916 wurde von Koreanern der Universitäts-Kindergarten Jung Ang (㭧㞯) gegründet, der als eine Art koreanischer Kindergartenvorläufer bezeichnet werden kann. „In 1916, Chung Ang kindergarten was established utilizing only Korean teachers for Korean children. The purpose of the kindergarten was to improve the Korean identity and esteem of the children. The goal was to instill in the children a knowledge and love of their Korean heritage. Kindergarten in Korea has three cultural roots: Korean, Japanese, and the United States. The Japanese influence is for large group instruction and uniformity from the children. The United States contributed a more individual approach to education considering the child's interest. The Korean's contributed the focus on self esteem, Korean culture, and strong Korean Identity.“682

Ein anderes Beispiel hat seinen Ursprung in den Aktivitäten des in Japan ausgebildeten Schriftstellers Park Chong Hwan (⹿㩫䢮)683, der 1922 mit einigen Kollegen einen Alumniclub gründete. Maßgeblich auf deren Betreiben hin entstand ein ‚Kindertag‘, der bis heute jedes Jahr begangen wird. Park Chong Hwan förderte auch die Entwicklung der Vorschulerziehung. 684 Die Entwicklung von Kindergärten hängt eng mit den Reformen der Frauenerziehung in Korea zusammen. Nachdem es bereits 1907 bezüglich der Frauenausbildung zwischen den einzelnen chinesischen und koreanischen Missionen eine Einigung erzielt worden war, wurde nach der Gründung der Frauenuniversität Ewha die Einrichtung eines Kindergartens ab 1914 maßgeblich von Charlotte Brownville vorangetrieben. Er kann als die erste Institution in Korea bezeichnet werden, die nach heutigen Maßstäben als Kindergarten gelten könnte. Brownville

682 Bailey, Becky; Lee, Gi-Hyoun [1992], S. 3f. 683 Park Chong Hwan (⹿㩫䢮) (1899-1831) studierte an der privaten Toyo-Universität in Tokio Literatur und Psychologie für Kinder. In Korea gründete er die Literaturzeitschrift Eorini (㠊Ⰶ㧊), übersetzte diverse Stücke ind Koreanische, schrieb Romane, Lieder, Märchen, ein Theaterstück und gab Essays heraus. 684 Eine Randnotiz wert ist die Tatsache, dass zur Zeit der japanischen Besatzung die Inhalte in den Kindergärten weniger rigide von Japanern kontrolliert wurden als in Schulen. Manchen Erzieher(inne)n war es so möglich, einige koreanische Lieder und Texte weiter zu unterrichten. „This was due to the belief that children were the only hope in keeping the Korean language alive (Lee, 1987a). This belief resulted in the concentration of singing and storytelling in the kindergarten curriculum.“ (Lee, KiSook [1996], S. 172)

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baute den Kindergarten nach ihrem Verständnis der Ideen von Fröbel685 auf. Im Kindergarten sollten erste Erfahrungen in Lesen, Rechnen und Schreiben ermöglicht und das Verständnis für die natürlichen Vorgänge gefördert werden. Aber auch das soziale Lernen (Regeln, Normen) war Inhalt der Vorschulerziehung. So wurde ein ursprünglich in Europa entwickeltes Kindergartenkonzept als amerikanisches Konzept unter japanischer Herrschaft auf Korea übertragen. Die Grundideen dieser Rezeptionen von Fröbel durch Brownville und ihre Nachfolger(innen) blieben die gesamte Zeit der japanischen Annexion hindurch weitgehend in Kraft.686 „On the other hand, the early kindergarten education introduced by the Christian missionaries was progressive education. It was based on the theory and practice of concentrating on the child-centered education, allowing free play and activities for the children. To the Korean parents who have always believed that school should be a place where adults teach academic contents to the children, this type of kindergarten education that appeared to be nothing more than playing was difficult to understand at first.“687

Vorschulerziehung wurde bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg fast ausschließlich von sozialen, privaten und vor allem religiösen Organisationen oder Einzelpersonen getragen. Geschätzte Dreiviertel aller in den 1930er Jahren gebauten Kindergärten wurden von Vertreter(inne)n kirchlicher Einrichtungen eröffnet.688 Nach dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft war im Schulgesetz von 1949 zwar vorgesehen, öffentliche Kindergärten zu eröffnen, jedoch verhinderten der Koreakrieg und seine Folgen eine Durchführung der Pläne. So boten in Südkorea zunächst fast nur die privaten und die kirchlich unterstützten oder geführten

685 Charlotte Brownlee übersetzte die ‚Mutter- und Koselieder‘ aus dem Englischen, dort als ‚Mother and Play songs‘ publiziert, ins Koreanische, ebenso das ‚Education of Man”. 1930 kam dann das bereits 1923 publizierte „A Conduct Curriculum for the Kindergarten and First Grade‘ von Patty Smith Hill nach Korea. Brownville übersetzte es 1932 ins Koreanische. 686 Da die Ideen Fröbels von amerikanischen Missionaren tradiert wurden, wurde unter den Ideen Fröbels damals oft die Adaption seiner Gottesidee verstanden. Diese Pädagogik wurde nicht von allen angewandt. 687 Lee, Ki-Sook (1996), S. 171. 688 A.a.O., S. 7. Das erste offizielle Kindergartengesetz wurde 1922 unter japanischer Herrschaft erlassen und war in Variationen bis Ende der 1960er Jahre gültig.

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Einrichtungen Vorschulerziehung an. In den 1960er Jahren gab es ganze zwei Kindergärten, die Unterstützung von der Regierung erhielten.689 Da die Vorschulerziehung Geld kostete, konnten sich nur Kinder einkommensstarker Eltern einen Besuch von Kindergärten leisten, sodass bis in die 1970er Jahre hinein nur wenige Kinder Kindergärten besuchten. Während die Anweisungen des Kindergartens zur japanischen Zeit im Wesentlichen entweder auf dem Fröbel-Konzept oder auf dem einiger Missionarsschulen basierten, wurden diese nach 1945 teilweise durch US-amerikanische Konzepte ergänzt oder abgeändert. Nachdem ab 1960 Zug um Zug vom Erziehungsministerium Kriterien für die Einrichtung von Kindergärten und gleichzeitig auch Kriterien für die Einschulung in private Grundschulen herauskamen, wurden ab 1962 Ausbildungskurse für Erzieher(innen) eingeführt.690 Es gab in Südkorea nach 1945 keine Verpflichtung, dass Kinder in einen Kindergarten zu gehen hatten. Diese Einstellung zu Kindergärten änderte sich allerdings vor allem durch die wirtschaftlichen Veränderungen. Nun sollten (oder mussten) Frauen arbeiten und die Menschen sollten mobiler einsetzbar sein. 1978 arbeiteten bereits 33% aller Frauen mit einem Arbeitsvertrag; 1988 waren 45% alle Frauen berufstätig. 691 Dadurch wurde es für die (Groß-)Familien immer schwerer, lokal beieinander wohnen. Die klassischen, koreanischen Familienstrukturen wurden durch die modernen wirtschaftlichen Anforderungen geschwächt692 und konnten vor allem in den Städten nicht mehr alles auffangen. Die Kinder benötigten einen Verwahrungs- oder im besseren Fall einen Kindergartenplatz. In der Einrichtung von Instituten für Vorschulerziehung wurde die Möglichkeit gesehen, Arbeit und Erziehung unter einen Hut zu bringen. Staatliche Stellen förderten den Ausbau der Kindergärten. 1961 wurde ein Gesetz erlassen, das sich mit dem Aufbau von Betreuungseinrichtungen beschäftigte. Weil es inzwischen wieder große soziale und regionale Unterschiede gab, wurden ab 1980 staatliche Kindergärten besonders in den verschiedenen ärmeren Provinzen Südkoreas eröffnet. Ziel dieser Aktionen war auch, dass Wohlfahrts-, Gesundheits- und Erziehungsprobleme Teil des öffentlichen gesellschaftlichen Interesses wurden und nicht im Verborgenen blieben. Die Ideen von Piaget, Hunt oder Bloom sollten in die Vorschulerziehung implantiert werden. Das galt vor allem für finanziell und

689 Lee, Ki Sook (1993), S. 6. 690 Doch erst 1969 wurden Richtlinien für die Erzieher(innen)ausbildung in Vorschuleinrichtungen erlassen, obwohl das dazu benötigte Gesetz bereits 1960 verabschiedet worden war (Lee, Ki Sook [1993], S. 6) 691 A.a.O., S. 8. 692 A.a.O., S. 9.

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sozial benachteiligte Kinder. So wuchs die Anzahl der Kindergärten ab 1980 beständig.693 Doch dem quantitativen Ausbau von Kindertagesstätten und Kindergärten folgte in den Anfangsjahren der institutionalisierten Vorschulerziehung nicht im gleichen Tempo der Aufbau qualitativer Konzeptionen wie es z.B. ein den Lebensumständen angepasstes Curriculum und seine Evaluation gewesen wäre. Bis Ende der 1970er Jahre behalfen sich die Verantwortlichen damit, Methoden und Theorien aus Ländern außerhalb Koreas, besonders den USA, ggf. auch Europa und Japan zu importieren.694 Nur langsam entstanden ab dieser Zeit diverse Forschungen zum Thema der Vorschulerziehung.695 Gleich zwei Regierungsorganisationen wurden mit dem strukturellen Aufbau der Vorschulerziehung beauftragt: das Korean Institute for Research in the Behavioral Sciences [KIRBS] Hangug Haengdonggwahag yeonguso (䞲ῃ䟟☯ὒ 䞯㡆ῂ㏢) und das Korean Education Development Institute [KEDI] Hangug Gyoyug Gaebalweon (䞲ῃᾦ㥷Ṳ⹲㤦). Gleichzeitig waren für lange Zeit zwei Ministerien für die Vorschulerziehung zuständig: das MEST (Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Technologie) und das Gesundheitsministerium (MOHW) Bogeon Bogjibu (⽊Ị⽋㰖⿖). Die Programme beider Ministerien waren nicht immer kompatibel und es entstand zeitweise eine Art Wettbewerbssituation, welche Institution und welches Programm mit welchem Ziel (Erziehung oder Betreuung) das bessere Ergebnis vorweisen konnte. 1969 gab es das erste südkoreanische Curriculum für Kindergärten, das dann immer wieder überarbeitet oder ganz neu gefasst wurde (1979, 1981, 1987, 1992, 2007, 2012). Diese Curricula entsprachen in vielerlei Weise den japanischen und amerikanischen Curricula. Das Curriculum von 1969 wollte die Charakterbildung fördern, den Umgang mit Gesundheit und Hygiene erklären und vermitteln, sowie

693 So wurden mit Hilfe der UNICEF ab 1978 in Südkorea zahlreiche Kindergärten eröffnet. 694 Nach Lee, J-K. (1992). 695 Aber laut Kim Jeong-Eim gab es dabei erhebliche Mängel. Zwar seien die Arbeiten der Vorschulerziehung im Zusammenhang mit der Erziehung innerhalb der Familie und den psychologischen Aspekten gesehen worden, aber die philosophischen Grundlagen Koreas wie die Pädagogik, die sich aus dem Konfuzianismus speise oder die psychologischen Grundlagen, die aus dem Schamanismus herrührten, sowie die aktuelle Lebenssituation der Kinder seien dabei zu wenig erforscht und berücksichtigt worden (Kim, Jeong-Eim (1997), S. 35, 44, 73ff.)

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die körperliche Entwicklungen unterstützen. Ebenso sollten Gesellschaftsverständnis, Natur, Sprache und Kunst gefördert werden.696 Doch das wurde schwierig, da die Lehrer(innen) mehrheitlich in einem eher das Repetieren von Lernessenzen bevorzugten System ausgebildet wurden. Dadurch war ein Curriculum, das teilweise Eigenständigkeit und eine Reflexion der Inhalte forderte, für manche Erzieher(innen) schwer verständlich. Nicht selten kam es dadurch zu einem Nachmachen der vorgeschlagenen Wege ohne wirkliches Begreifen von Seiten der Lehrer(innen). „However, the educational contents of cognitive development such as logico-mathematical knowledge, representation, etc. were too abstract and difficult for the teachers to understand enough to teach the children. Therefore, die practical application in the classroom consisted of simply presenting conservation experiments used in Piaget's research, or directly teaching abstract ideas of cognitive development lessons.“697

Grundsätzlich aber erhielt die Vorschulerziehung durch das Curriculum einen höheren Stellenwert.698 Das Kindergarten Curriculum wurde 1979 revidiert. Dabei wurden die vier Entwicklungsbereiche ‚emotional‘, ‚sprachlich‘, ‚körperlich‘ und ‚kognitiv‘ hervorgehoben, wobei das kognitive Element betont wurde, weil die Kognitionswissenschaft in den USA und Europa gerade groß in Mode war. „Inhaltlich waren die kognitiven Bereiche (im Sinne der Kognitionswissenschaft) in der Praxis offenbar zu unzugänglich, und abstrakt für die koreanische Art des Denkens, um sie innerhalb einer ganzheitlichen gedanklichen Einheit erfassen und begreiflich machen zu können (d.h. die Erzieher waren nicht hinreichend qualifiziert).“699

Spätestens gegen Ende der 1970er Jahre begannen die Bemühungen, sich mit den jeweiligen, nicht ursprünglich koreanischen, sondern eher japanischen oder über Japan vermittelten deutschen (z.B. Fröbel) oder US-amerikanischen (z.B. Dewey) Erziehungssystemen auch auseinander zu setzen und sich der koreanischen (Erziehungs-)Traditionen bewusster zu werden, um sie in Erziehungskonzepte zu integrieren. Diese Besinnung auf eine koreanische Identität auf dem Weg zur Demokratisierung Südkoreas floss in die Revision des Curriculums 1981 ein. Das Curriculum von 1981 war in fünf Abschnitte körperliche, geistige, sprachliche, soziale und emotionale Kenntnisse eingeteilt. Darin wurden z.B. im Bereich der 696 Das entsprach in etwa dem ‚development of child‘, der Erforschung des Kindes, die als Idee zu der Zeit in den USA modern war. 697 Lee, Ki-Sook (1996), S. 172. 698 1975 wurde auch die ‚Koreanische Gesellschaft für frühkindliche Erziehung‘ Hangug Yua Gyoyug Haghoe (䞲ῃ 㥶㞚 ᾦ㥷 䞯䣢) gegründet. 699 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 51.

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geistigen Kenntnisse neben Erdkunde u.a. auch die in Korea gebräuchlichen Gewohnheiten oder im Abschnitt über das Sozialverhalten die Wertschätzung koreanischer Symbole, kultureller Güter, und traditionelle Gebräuche behandelt. In Letzterem wurden im Wesentlichen die althergebrachten Verhaltensweisen als ‚koreanisch‘ bezeichnet. Sie sollten tradiert werden.700 Diese Idee, die im Kindergarten vermittelten Inhalte mehr zu ‚koreanisieren‘, hielt sich auch in den Revisionen der folgenden Curricula. Diesem ‚Koreanisieren‘ aber standen komplexe Gesellschaftsbedingungen gegenüber. Die tradierten Verhaltensweisen waren auf das Zusammenleben von Familien oder Clanverbänden vor Ort abgestellt und dienten dem Wohlergehen der Gruppe. Mit der zunehmenden Mobilität und Zersplitterung der Familien waren diese Traditionen jedoch Erosionsprozessen ausgesetzt. Dazu kam, dass die starke Wettbewerbsgesellschaft in Südkorea auch in der Erziehung ihren Widerhall fand. Für viele Eltern, die selbst durch diese Erziehung gegangen waren, war es wichtig, dass ihre Kinder auch zum Wohle der eigenen Familie erfolgreich wurden, was sich vor allem in vorzeigbaren Abschlüssen niederschlagen sollte. Die Konzentration auf diesen einer Kleingruppe zugeordneten Erfolg arbeitete aber gegen ein gesamtkoreanisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Kinder lernten, dass der vorzeigbare Erfolg das einzige Ziel war, dem sich alles unterzuordnen hat. Eine Erziehung zur eigenen Verantwortung im Sinne des ‚Ich lerne das Vorgeschriebene‘ war erwünscht, ein Hinterfragen dieser Tätigkeit war weniger erwünscht und so blieb es faktisch bei zu lernenden essentialisierten Stoffsammlungen. Eine ethische Erziehung im Sinne eines ‚Ich entscheide und verantworte selbst‘ stand dahinter zurück. 701 Hinter allen Verhaltensnormen war der Konkurrenzkampf groß und diente bereits die Vorschule dazu, Kindern die besten Startchancen im Sinne eines ökonomisch anzuhäufenden Wissenserwerbs zu geben. „Furthermore, family centered values are now shifting the focus to individuals and their achievements, and the traditional society which valued cooperation and interdependency is losing ground to a materialistic and competitive society.“702

700 „Detailed contents included observing basic manners, respecting elders, knowing the national holidays, and knowing Korea's famous historical personalities. In learning Korean customs, traditional Korean clothes, food, and houses were presented, while such activities as deep bows to adults, traditional games, oriental painting using black ink on rice paper, and Korean traditional music playing were highly encouraged and listed in the kindergarten curriculum manual.“ (Lee, Ki-Sook [1996], S. 173) 701 Vgl. dazu auch Engl-Schlinkert, Stephanie (2009), S. 19. 702 Lee, Ki-Sook (1996), S. 181.

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Solche aus der Geschichte Koreas tradierten Vorstellungen, wie z.B. dass Erfolge wie Misserfolge immer auch auf die Familie zurückfallen, sind auch in der mobilen Gesellschaft Südkoreas virulent aktiv, was zu diversen Veränderungen führt.703 Aber gerade diese faktischen Änderungen der südkoreanischen Gesellschaft wie Industrialisierung, Urbanisierung, Geburtenrückgang, Zuwachs an Kleinfamilien, wenig Zeit für die Kinder wegen der Arbeit beider Elternteile, größere Mobilität und die zunehmende Durchsetzung demokratischer Prinzipien konterkarieren die Vorstellung eines (Miss-)Erfolges des einzelnen Menschen für die ganze Familie. „This change required some adjustment in people's thinking. Within the process of this change, the aspects that continues to draw the public's attention is the growing lack of morality and unrestrained living habits as well as the extreme level of selfishness within the family unit that threatens the peaceful coexistence of the society's members.“ 704

Die Reproduktion einer Familienstruktur in ihren Pflichten und Zuständigkeiten, die es in Korea über viele Jahrhunderte gegeben hatte, konnte in der äußeren Form

703 Als Beispiel dafür seien die Aussagen in der von Jeong, Bum-Mo herausgegebenen Schrift über die Erziehungsreform für das 21. Jahrhundert angeführt. Die Verfasser(innen) beschäftigen sich darin mit vier Bereichen, auf die bei der Weiterentwicklung der südkoreanischen Erziehung geachtet werden solle: 1. Familie und Eltern (Ṗ㩫ὒ ⿖⳾); 2. Schule und Lehrer (䞯ᾦ㢖 ᾦ㌂); 3. Gesellschaft und Medien (㌂䣢㢖 ⰺ㓺䅊) und 4. den Erziehungsanleitungen (Curricula) (ᾦ㥷 㰖☚㧦). Nicht umsonst beginnen die Autor(innen) mit der Rolle der Eltern. Dabei bemängelt z.B. Lee, Shi-Hyung, dass eine autoritäre Erziehung und die damit verbundenen auf Wissenserwerb gerichteten Bemühungen der Eltern, vor allem der Mütter, die sich massiv in das Lernen der Kinder einmischten und Erfolge der Kinder auch in Konkurrenz zu anderen Kindern bewerten, zu Problemen führt. (Lee, Shi-Hyung [1999], S.43ff.) Ein genauerer Blick zeigt, dass sich daran kaum etwas geändert hat. Die Familienproblematik findet sich sogar in der Sprache wieder. Früher wurden koreanische Väter auch als (weit über der Praxis) schwebende Wächter über die Erziehung als ‚Adlerväter‘ Doksuggi appa (☛㑮Ⰲ㞚ザ) beschrieben. Seit geraumer Zeit gibt es den geläufigen Ausdruck des ‚Gänsevaters‘ Gireogi appa (₆⩂₆㞚ザ). Er schickt seine Kinder für Jahre ins Ausland, damit sie dort besser ausgebildet werden und bleibt alleine in Südkorea zurück um das Geld zu verdienen. Gar nicht so selten gehen die Mütter mit und das führt in diversen Fällen zu extremen Beziehungsstörungen. Auch das könnte ein Baustein für die hohe Scheidungsrate in Südkorea ein (die allerdings seit 2003 leicht rückläufig ist). 704 Lee, Ki-Sook (1996), S. 174.

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nicht mehr beibehalten werden. Die erlernte Lebensart, die in ihren Werten und Normen von Kindheit internalisiert worden war, rieb sich mit den äußeren Verhältnissen in Folge der Unterordnung unter die ökonomischen Bedingungen. Bezüglich der Erziehung konnte so zunehmend weniger auf das, was die Eltern vorgelebt hatten, zurückgegriffen werden. Die Eltern hatten in einer anderen Umwelt gelebt, lebten z.T. nicht mehr am gleichen Ort und hatten zudem zumindest teilweise selbst keine oder nur bedingt gute Erfahrungen mit der Erziehung gemacht, denn sie waren ja teilweise selbst Kriegskinder gewesen. Da es anfangs auch nicht ausgebildete Erzieher(innen) und Institutionen in ausreichender Anzahl gab, wurde bis Ende der 1970 darauf von offizieller Seite kaum ein Augenmerk gelegt. So bestand eine Gleichzeitigkeit von tradierten Normen und Werten, die mit den realen Lebensumständen nicht kompatibel waren. Beides lief nebeneinander her. Erst ab den 1980er Jahren wurden Curricula auf wissenschaftlicher Basis geschaffen, nach denen Erzieher(innen) ausgebildet und der Bau von Kindergärten und Kindertagesstätten gefördert wurde und zwar „auf dem Lande, um Hausfrauen als mögliche Arbeitskräfte zu entlasten; in den Städten, um unterprivilegierten Kindern eine kompensatorische Erziehung zu ermöglichen. […] Kinder von geringer sozialer Herkunft sollten unbedingt frühzeitig die Chance einer kompensatorischen Erziehung erhalten. Denn kulturell benachteiligte Kinder, deren Umgebung (Armut, Orientierung an der Gegenwärtigkeit, Mangel an Gelegenheit von Empfindungen und Reizen im Elternhaus) sich negativ auf die Entwicklung ihrer Fähigkeiten auswirkt, werden, sofern sie die Möglichkeiten des Versuchs einer rechtzeitigen Kompensation nicht wahrnehmen konnten, später in der Schule mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert.“705

Kindergärten waren (und sind) auch als Erziehungsinstitutionen im Sinne von Wert- und Normvermittlung zu sehen. Welche Normen und Werte das sind, wird zwar in Curricula vorgeschrieben und darin gibt es auch diverse soziale Ideen. Dem steht jedoch faktisch entgegen, dass koreanischen Kindern implizit oder explizit die Norm des ‚Erster-sein-müssen‘ gelehrt wird. Dies wurde immer stärker ausgebaut. Weil die Eltern ihren Kindern immer mehr Bildung möglichst früh zukommen lassen wollen,706 werben Kindergärten heute damit, dass der frühe Erziehungsbeginn Kindern eine bessere Karrierechance ermögliche. Besonders der

705 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 74f. 706 Lee formuliert diese Lage: „There are an increasing number of institutions teaching 3R's, music, dance, swimming, and English conversation to young children and even preschoolers are overwhelmed with academic activities such as workbooks and work-

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letzte Grund führte dazu, dass in einzelnen Kindergärten bereits Zeremonien mit Graduation- und Diplomvergabe durchgeführt werden. Spätestens ab dem fünften Curriculum (1992) wurde auf die großen Veränderungen in der südkoreanischen Gesellschaft eingegangen.707 Der Ganztagskindergarten wurde eingeführt. Die Lebenserfahrungen des Kindes sollten bei der Erziehung berücksichtigt werden. Es wird die Möglichkeit eingeräumt, dass je nach Ort und Umständen inhaltlich unterschiedliche Auslegungen möglich sind. Dem Lernen des Miteinanders, also dem Sozialverhalten wurde wieder ein hoher Wert beigemessen, auch weil die realen Umgangserscheinungen in der südkoreanischen Gesellschaft das Erlangen materieller Werte bevorzugen. Dem sollte durch das Erlernen vorgeschriebener Höflichkeitsformen entgegen getreten werden. Die sozialen Beziehungen wurden stärker eingeübt, „um zu erwerbendes Wissen, Technik und innere Haltung in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu sehen.“708 Im Vorwort des Curriculums709 schreibt der Erziehungsminister: „[…] has noted that it is trying to nurture healthy, independent, creative and morally correct individuals through its curriculum. Of these, the Ministry's primary objective is to foster a

sheets due to the 'superbaby syndrome'. As a result, the children are increasingly pressured to learn 'something' and such trends are reflected in the fact that 92.3% of the children in kindergarten are attending classes after school.“ (Lee, Ki-Sook [1996], S. 180) 707 1987 hatte die dritte Revision des Curriculums stattgefunden, weil kurz davor auch das schulische Curriculum revidiert worden war und jetzt das Kindergartencurriculum dem angepasst werden sollte. Dies Curriculum beinhaltete aber keine didaktischen Anweisungen für Erzieher, was zu einer qualitativ recht unterschiedlichen Ausbildung der einzelnen Kindergärtner(innen) führte. 708 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 52. 709 Das Curriculum gibt Möglichkeiten vor, wie die Kinder neben dem Erlernen von Wissen durch Erfahrung auch grundsätzliche Verhaltensweisen erlernen können. „The most effective teaching method to achieve such goals is to maximally allow for individual differences in children, provide a variety of educational experiences, and give them as many opportunities to make personal choices as possible. Individualized education must be the basic concept for the children but the curriculum should also provide a balanced opportunity for group activities. […] The curriculum sought to provide an education that emphasized the whole child by reflecting children's interests and play without using workbooks and worksheets.“ (Lee, Ki-Sook [1996], S. 175f.)

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sense of morality and community awareness in people as well as their responsibilities as citizens. This reflects many faces of today's Korean society.“ 710

Ferner wurden Richtlinien zur Verbesserung von Didaktik und Methodik herausgegeben, weil es offensichtlich große qualitative Unterschiede in den verschiedenen Ausbildungsgängen für Erzieher(innen) gab. Ab 1994 findet sich in den Curricula Zielangaben für den Musikunterricht wie z.B. die ‚schöpferische Ausdrucksfähigkeit‘, ‚Fähigkeit zum Musikhören‘, ‚Verstehen der grundlegenden musikalischen Elemente‘ und das ‚Erlernen der Begrifflichkeiten‘. Grundsätzlich änderte auch das Erziehungsministerium seine curricularen Anweisungen im Zuge der Demokratisierung Südkoreas und der ökonomischen Globalisierung und gab der individuellen Entwicklung auch in den Kindergärten mehr Raum. „Bis zum fünften Curriculum war die moralische Bildung das grundlegende Ziel der südkoreanischen Musikerziehung. Dementsprechend versuchten die Autoren der Musik-Schulbücher mit dem Gedanken, dass sanfte, zarte und stimmungsvolle Lieder das menschliche Herz erfreuen und leichtsinnige sowie laute Lieder es betrüben, in ihren Musik-Schulbüchern die Kunstlieder und die klassische Musik zu fördern. Endlich wird nun im sechsten Curriculum das Bildungsideal der ‚Vervollkommnung der guten Persönlichkeit‘ gestrichen und die ‚Verwirklichung des individuellen Werts‘ als grundlegendes Bildungsziel stark hervorgehoben.“711

2005 wird das koreanische Institut für die Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern Yua Jeongchaeg Yeonguso (KICCE, 㥶㞚㩫㺛㡆ῂ㏢) gegründet, das der wissenschaftlichen Begleitung der frühkindlichen Bildung dient. Seit 2009 gibt das KICCE einen Jahresbericht heraus, der den Stand der frühkindlichen Bildung in den einzelnen Gebieten Südkoreas dokumentiert, was im Einzelnen die Entwicklungsprozesse betrifft, die Veränderungen in den Wertvorstellungen und Erziehungsmethoden bei den Eltern. Das ‚Nationale Kindergartencurriculum‘ Bulog 2.2007nyeon Gaejeong Yuchiweon Gyoyuggwajeong Yeongmun Beonyeogbon (⿖⪳ 2.2007 ⎚ Ṳ㩫 㥶䂮㤦 ᾦ㥷ὒ㩫 㡗ⶎ ⻞㡃⽎) kam 2007/2009 heraus und in etwa parallel damit wurde das ‚Standardcurriculum für Kinderkrippen‘ (‚Standardized Childcare Curriculum‘) für Null- bis Vierjährige712 publiziert.

710 A.a.O., S. 174. 711 Min, Kyung-Hoon (1997), S. 238f. 712 Das ‚Standardized Childcare Curriculum‘ wurde „im Jahr 2007 erstmals implementiert und im Jahr 2010 mit dem Ziel überarbeitet, die Qualität der Kinderkrippen zu verbessern, die Öffnungszeiten der Einrichtungen an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familien anzupassen und die Arbeit der Kindertagesstätten enger mit der

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2012 wurde erstmals ein gemeinsames Programm für die Vorschulerziehung von beiden Ministerien zusammen herausgegeben. 713 Darin wird das Zusammenwirken von Betreuung und Bildung behandelt. Wie in anderen Curricula vorher werden Ziele, Rahmenbedingungen, Zeitrahmen, Methoden, Lehrinhalte und die Evaluationswege vorgegeben. Allerdings werden auch Möglichkeiten zu Modifikationen und Räume für individuelle Konzeptionen gelassen. Jede Provinzial- und Stadtregierung hat die Möglichkeit, die Anforderungen des Curriculums gemäß den örtlichen Umständen zu variieren. Für die Überprüfung dieser Schritte sind die örtlichen Bildungsämter zuständig. Den Kindergärten wurden somit Freiheiten eingeräumt, wodurch sich auch die Verantwortung der Erzieher(innen) erhöhte. Kim Jeong-Eim relativierte schon 1997 die Wirkkraft der vorgeschriebenen Curricula und bemängelt eine fehlende Zusammenarbeit von Kindergartenpraxis und vorgeschrieben curricularen Vorgaben: „Die vom Staat vorgegebenen Inhalte der Erziehung können nur objektivierend und allgemein sein; sie dienen als Grundlage für die Aufnahme neuer Informationen, Erkenntnisse oder für die Orientierung an der Erziehungspraxis; umgekehrt finden erzieherische Erfahrungen der Praxis eher selten ihren Weg in das Curriculum, es sei denn, das Erziehungsministerium vergäbe entsprechende Forschungsaufträge.“714

Die Inhalte sind in die Bereiche ‚Gesundheit‘, ‚Kommunikation‘, ‚Soziale Beziehung‘, ‚Künstlerische Erfahrung‘ und ‚Die Erforschung der Natur‘ unterteilt. Musikalische Inhalte finden sich im Bereich ‚Künstlerische Erfahrung‘. Danach sollen die Kinder durch das Singen traditioneller Kinderlieder Freude empfinden und ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken können. Neben dem Singen sollen sie dafür Bewegung, Tanz und einfache Rhythmen, die auf Rhythmusinstrumenten oder auf ihrem Körper gespielt werden, nutzen. An anderer Stelle wird z.B. gesagt, bei 3-4-jährigen Kindern solle Interesse an „unterschiedlichen Geräuschen, musikalischem Tempo, Rhythmus usw.“ und an „Bewegung und Tanzbewegung, Kraft, Tempo usw.“ 715 geweckt werden. Ein Erzieher soll, so bemerkt Kil Young-Ok, „offen sein und die Kinder motivieren, Dinge frei zu erforschen und Gedanken und Gefühle kreativ zu äußern. Im einzelnen sollte er versuchen, die Umgebung frei zu organisieren,

Arbeit der Grundschulen zu verknüpfen. Bei den Überarbeitungen wurde den neuesten Untersuchungsergebnissen der Erziehungswissenschaften Rechnung getragen, um die sich verändernden Bedürfnisse der Familien und der Gesellschaft zu befriedigen.“ (OECD [2013], S. 140) 713 Kindergarten Curriculum (2013). 714 Kim, Jeong-Eim (1997), S. 54. 715 Kindergarten Curriculum (2013), S.114f.

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unter Berücksichtigung von reichen Angeboten für Aktivitäten in Kunst und Musik, so dass die Kinder Aktivitäten frei wählen können, die ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten entsprechen.“716

Dies ist ein methodischer Vorschlag, der sich mit der südkoreanischen Erziehungsrealiät reibt. Kwon Young-Ihm kommentiert diese Situation im Resümee ihres Artikels: „This study reveals that despite a child centred Korean National Curriculum and the teachers’ beliefs, the actual practices in the pre-school settings are significantly different from child-centred philosophies. Even though a child-centred National Kindergarten Curriculum emphasizes individuality and creativity, in reality, lessons are mainly teacher directed rather than children being encouraged to explore their own personal interests. […] Lessons are mainly teacher directed, rather than offering children encouragement to explore their own personal interests. This study shows how traditional Korean values affect the practice of Korean early years education, being contradictory to a child-centred approach in many ways.“717

Die Schwierigkeit besteht dabei weniger darin, dass in der Ausbildung der Erzieher(innen) zu wenige Inhalte und Methoden gelernt würden. Es gibt diesbezüglich viele exzellent ausgebildete Erzieher(innen). Es besteht eher das Problem, wie die Ideen realpädagogisch geplant und umgesetzt werden können. Die realen Bedingungen der Kindergärten erschweren die Umsetzung der Inhalte. Denn es gibt multiple Erwartungshorizonte. Eltern und teilweise auch Erzieher(innen) und Lehrer(innen) kennen aus ihrer eigenen schulischen Sozialisation Schwerpunkte und Ziele, die eine Einordnung der Kinder in vorgeschriebene soziale Bezüge fordern und darin ein Miteinander sehen und zugleich darauf abzielen, dass die Kinder klare repräsentable Inhalte in möglichst kurzer Zeit erlernen und wiedergeben können. Die Berücksichtigung der Interessen und Potenziale der Kinder wird von vielen Erzieher(innen) zwar inzwischen theoretisch angestrebt, aber das wird unterminiert durch ihre eigenen Erfahrungen, die sie dann reproduzieren, die realen ökonomischen Bedingungen und die oftmals nur schwer im Alltag zu reflektierenden Erwartungen und Vorstellungen der Beteiligten. Die Erzieher(innen) können auf nur wenige reale Vorerfahrungen, wie ggf. multiple Interessen der Kinder wahrzunehmen sind, zurückgreifen, um sie danach kindzentriert zu reflektieren, in methodischen Schritten aufzugreifen und diese dann in reale Unterrichtswege umzusetzen. Auch die dahinter stehende Idee der Freiheit zu eigenem Ausdruck ist in vielen Fällen kaum oder nur rudimentär Teil ihrer in Schule und Ausbildung 716 Kil, Young-Ok (2012), S. 85. 717 Kwon, Young-Ihm (2004), S. 310f.

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erlernten Inhalte gewesen. Stellt man daneben die Tendenzen und Ideen, die den Curricula des Erziehungsministeriums ab Mitte der 1990er Jahren zunehmend innewohnen, unterrichten die Erzieher(innen) in einer widersprüchlichen Verschichtung unterschiedlicher Anforderungen. So lässt sich die Entstehung der Kindergärten in Südkorea nach 1945 teilweise durchaus mit den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 vergleichen, insofern der Aufbau der Kindergärten stark von den ökonomischen Bedürfnissen geleitet wurde. Ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland war in Südkorea die Vorschulbildung bis in die 1970er Jahre ein Anliegen von geringer Wichtigkeit. Sie rückte erst danach in Deutschland und in den 1980/90-iger Jahren in Südkorea in den Fokus des Interesses. Anders verlief der Umgang mit den geistesgeschichtlichen Ideen, die die Pädagogik beeinflussten. Obwohl vergleichbare Konzepte in beiden Ländern vorlagen, die teilweise auch die gleichen Urheber hatten (Fröbel, Dewey), sind deren Auslegungen unterschiedlich. Die Deutungen der Erziehungsstile geschahen unter den – nicht immer reflektierten – Rückgriffen auf tradierte geistesgeschichtliche Vorstellungen in Verbindung mit den in Südkorea in relativ kurzer Zeit importierten europäisch/US-amerikanischen Vorstellungen. Heute reicht die Anzahl staatlicher Kindergärten nach wie vor nicht aus, um Plätze für alle Vorschulkinder zu bieten. Deshalb gibt es eine Fülle privater Kindergärten, die diesen Bedarf zu decken versuchen. Diese werden von den Gebühren der Eltern mit zum Teil erheblichem finanziellem Aufwand getragen. Es gibt sogar regelrechte Kindergarten-Ketten. Sie müssen sich selbst finanzieren und so geht es darum, Eltern als Kunden zu halten, wodurch sie darauf angewiesen sind, den Wünschen der Eltern und/oder deren Kinder zu entsprechen. Kurz gesagt: In den privaten Kindergärten hat das, was die Eltern wünschen, einen hohen Stellenwert, wenn die Kindergärten ökonomisch überleben wollen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Erziehungsprogramme werden angenommen, doch wenn es in der Umsetzung gilt, sich zwischen der Umsetzung pädagogischer Erkenntnissen und den Wünschen der Eltern zu entscheiden, werden aus ökonomischen Gründen öfters die Wünsche der zahlenden Eltern bevorzugt behandelt. Das bedeutet aber nicht, dass die in der Vorschulpädagogik verantwortlichen Personen sich dieses Dilemmas nicht bewusst wären. Im Jahr 2012 gab es in Südkorea 8.388 Kindergärten, die 538.587 Kinder besuchten und an denen 36.461 Erzieher(innen) beschäftigt waren. Davon waren 3 nationale (mit 236 Kindern und 19 Erzieher[innen]), 4.498 öffentliche (mit 236.341 Kindern und 8.808 Erzieher[innen]) und 3.887 private Institutionen (mit

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412.010 Kindern und 27.634 Erzieher[innen]). 718 Kindergärten arbeiten unterschiedlich, doch ist der Alltag in der Regel schulisch strukturiert. Es gibt nach Alter getrennte Klassen und Unterricht (z.B. Werkstattarbeit, gemeinsame Gruppenaktivitäten). Es gibt auch Freispielzeit, allerdings kommt es je nach dem auf die Leitung des Kindergartens an, wie viel davon zugelassen wird. Mit vier bis fünf Jahren beginnen die meisten Kinder mit dem Erlernen von Schreiben, Lesen, Rechnen und teilweise auch mit Englisch, wenn sie es nicht schon privat an Hagweons gelernt haben. Es gibt private Kindergärten, die nur auf Englisch unterrichten. Die Erzieher(innen) (98,3% sind Frauen719) müssen während ihrer Arbeit ein Gruppenbuch führen. Und sie müssen schriftliche Arbeitsberichte anfertigen, die sie abzugeben haben. Die Kindergärten werden ein- bis zweimal jährlich geprüft und ihr Unterricht evaluiert. Eine solche Evaluation wird von Vertreter(inne)n einer staatlichen Behörde übernommen. Diese Chang Hagsa (㧻 䞯㌂) müssen früher selbst Erzieher(in) und Leiter(in) eines staatlichen Kindergartens gewesen sein. Für eine Evaluation gibt es Richtlinien. Das Gruppenbuch und die Arbeitsberichte werden dabei ebenso herangezogen wie auch neben der Kontrolle der äußeren Umstände das methodische Vorgehen begutachtet wird. Die Inhalte sind ohnehin vielfach vorgegeben. Die Kinder können nach Standardüberprüfung (nach den fünf Gebieten körperliche Entwicklung, Sprachentwicklung, Entwicklung und Förderung der kognitiven Fähigkeiten, emotionale Entwicklung, soziale Entwicklung) beurteilt werden. Die Chang Hagsa sollen dabei nicht nur als Prüfer(innen) arbeiten, sondern auch als Ratgeber, was die Erzieher(innen) besser machen können. Da die Prüfer(innen) selbst aus der Praxis kommen, geschieht dies in vielen Fällen auch. Dieses Verfahren ist somit Prüfung wie Supervision. So können beispielsweise die Erzieherinnen den gesamten Tag von einer/m Chang Hagsa begleitet werden und gemeinsam nach Verbesserungen vor Ort suchen. Es gibt Bestrebungen, Eltern finanzielle Erleichterungen zukommen zu lassen. Seit 1999 werden Kindergartenplätze für Kinder aus einkommensschwachen Familien vom Staat bezuschusst. Ab 2002 konnten etwa 20% der fünfjährigen Kindergartenkinder von den Gebühren befreit werden. Ebenso wird die Einrichtung von Ganztageskindergärten gefördert. Beides, der gebührenfreie Kindergarten und der Ganztageskindergarten stehen aber bisher oftmals unter dem Vorbehalt finan-

718 Statistik des Erziehungsministeriums in: http://english.moe.go.kr/web/1722/site/con tents/en/en_0219.jsp (download vom 23.08.2014). Statistisch gesehen kommt derzeit in Südkorea bei Vierjährigen ein(e) Erzieher(in) auf 25 Kinder. (OECD [2013], S. 57). 719 Nach den Statistiken des Erziehungsministeriums auf: http://english.moe.go.kr/web /1721/site/contents/en/en_0222.jsp (download vom 23.08.2014).

254 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

zieller Möglichkeiten nur in der Planung. Die Gebühren für die staatlichen Kindergärten sind derzeit (2014) je nach Land und Bezirk unterschiedlich, jedoch nicht hoch. Unter bestimmten Voraussetzungen wird zum Beispiel in der Provinz Cholla-do eine Gebührenfreiheit gewährt.720 In den staatlichen Kindergärten von Seoul beträgt die Gebühr 294 Euro pro Jahr. 721 Aber es gibt eben nicht genug Plätze in staatlichen Kindergärten. Daher gibt es die privaten Kindergärten. Diese nehmen erheblich höhere Gebühren, die für etliche koreanische Eltern unbezahlbar sind. 2014 versucht daher in Seouler Schulbezirksbehörde Seoul Teugbyeolsi Gyoyugcheong (㍲㤎䔏⼚㔲ᾦ㥷㼃) eine einheitliche Gebührentabelle auch für private Kindergärten zu erstellen, aber das ist bisher noch nicht gelungen.722 Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Kindergärten gibt es bis heute zwei unterschiedliche Kindergartenansätze, die des Yuchiweon (㥶䂮㤦) und die eines Eorini Jib (㠊Ⰶ㧊 㰧). Das Yuchiweon untersteht dem Erziehungsministerium, ist für 3–6-jährige Kinder gedacht und zielt vor allem auf pädagogische Belange ab Das Eorini Jib untersteht dem Gesundheitsministerium, ist für 0 bis 6-jährige Kinder gedacht und bezweckte zunächst eine gute Betreuung. Die Ausbildung zur/m Erzieher(in) in diesen Institutionen ist geringfügig unterschiedlich. Sie finden an einer Hochschule723 statt. Wer sich als Erzieher(in) für das Yuchiweon (㥶䂮㤦 ᾦ㌂) ausbilden lässt, studiert Pädagogik für Kinder (Yua gyoyuk kwa 㥶㞚ᾦ㥷ὒ) und erhält am Ende der Ausbildung, die Unterrichtslizenz für das Yuchiweon 2.Grades (Yuchiweon 2geub Jeonggyosa Jagyeogjeung 㥶䂮㤦 2   㩫ᾦ㌂ 㧦ỿ㯳). Wer sich als Betreuerin mit Erzieher(innen)aufgaben (Eorini Jib Boyug Gyosa (㠊Ⰶ㧊 㰧⽊㥷 ᾦ㌂) ausbilden lässt, studiert soziale Wohlfahrt Sahoe Bogji Haggwa (㌂䣢⽋㰖䞯ὒ)724 und erhält am Ende der

720 Edunews vom 14.02.2014, in: http://www.edunews.co.kr/news/articleView.html? idxno=15616 (download vom 24.08.2014). 721 In den staatlichen (!) Yuchiwon Seouls wurden 396.000 Won für das Jahr 2014 verlangt. Beim Kurs vom 24.08.2014 sind das 294 Euro pro Jahr. Dazu kommen noch Kosten für Essen, Ausflüge (http://preview.sen.go.kr/viewer/mainphp?site=1& menuno=1&previewno=151463&iframe=0&dlbt= [download vom 24.08.2014]) 722 Nach: http://www.sen.go.kr/web/services/bbs/bbsView.action?bbsBean.bbsCd=72& bbsBe-an.bbsSeq=3123 (download am 24.08.2014). 723 Die Ausbildungen finden entweder an einer Erzieherhochschule Chonmun Daehag (㩚ⶎ╖䞯), die in Teilen einer Berufsschule in Deutschland vergleichbar ist, oder an einer Universität statt. 724 Die Inhalte sind zum Teil mit den sozialpädagogischen Inhalten für Erzieher(innen) in Deutschland vergleichbar; insgesamt aber sind sie mehr auf Betreuung denn auf Erziehung hin ausgelegt.

E INFLUSSGRÖSSEN

AUF

G ESELLSCHAFT , B ILDUNG UND ERZIEHUNG

IN

SÜDKOREA | 255

Ausbildung die Unterrichtslizenz für das Eorini Zip 2.Grades (Boyug Gyosa 2geub Jagyeogjeung ⽊㥷 ᾦ㌂ 2   㧦ỿ㯳). Die besten Absolvent(inn)en der Ausbildung für ein Eorinizip können noch weitere Inhalte studieren und danach auch die Prüfung zur/m Yuchiweon Erzieher(in) ablegen. Will jemand in einem staatlichen Kindergarten arbeiten, so muss er an einem Auswahlverfahren (Imyong Gosa 㧚㣿ἶ㌂) beim Schulamt (Gyoyugcheong ᾦ㥷㼃) teilnehmen. Wenn Bedarf an Erzieher(innen) herrscht, wird dieses Auswahlverfahren einmal im Jahr zu einem festgelegten Zeitpunkt nach einem zentralen Fragenkatalog durchgeführt. Die Prüfung erfolgt in einem Aussiebverfahren. Sie besteht aus einer theoretischen Prüfung, deren Inhalt mit denen der Universitätsausbildung identisch ist. Wird sie bestanden, müssen in einem zweiten Teil die Erzieher(innen) einen Unterrichtsentwurf vorlegen und ihn unterrichten. Wird dieser Prüfungsteil bestanden, müssen sie eine künstlerische Arbeit vorlegen und ein musikalisches Vorspiel abliefern. Wird das bestanden, folgt ein Interview. Der Sinn dieses Verfahren ist es, eine Rangfolge der Notenabschlüsse zu erreichen, sodass sich nur die Besten im Sinne des Fragenkataloges durchsetzen. Das führt wie im gesamten Ausbildungssystem Südkoreas in der Regel zu fleißigem Lernen und zu großer Konkurrenz. Daneben besteht die Möglichkeit, mit einer Kindergartenleitung ein Interview zu führen und als Teilzeitarbeiter(in) z.B. über Einjahresverträge an Kindergärten zu arbeiten. 3.2.4 Zusammenfassung Die südkoreanische Erziehungsgeschichte nach 1876 ist von zum Teil widersprüchlichen Ideen durchzogen. Gegenüber der Erziehung im traditionellen Korea vor 1876 wurde formal ein System etabliert, das nicht aus den Traditionen des Landes stammte, sondern ein ursprünglich europäisches/US-amerikanisches System war, das in Korea vielfach aus tradierten Mustern gedeutet immer wieder politisch instrumentalisiert wurde. Wissensinhalte wechselten, aber der Aspekt des auf abprüfbaren Wissenserwerb ausgerichteten Lernens nach vorgegebenen Inhalten blieb erhalten, obgleich der geistesgeschichtliche Hintergrund, in dem das vor 1876 geschah, erodierte. Daneben setzten sich zunehmend infolge der politischen und in deren Folge auch gesellschaftlichen Veränderungen ökonomisch und politisch motivierte Inhalte und Ideen durch, sodass ein Nebeneinander zum Teil widersprüchlicher Anforderungen entstand. Die Zeit des japanischen Protektorats in Korea ist aus bildungspolitischer Sicht ambivalent. Die Einrichtung staatlicher Allgemeinschulen und einer Lehrerausbildungsanstalt sowie die Anpassung von Lerninhalten an eine moderne Zeit und die zumindest theoretische Möglichkeit, dass alle Menschen die Chance bekamen,

256 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

durch Bildung aufzusteigen, geschahen in dieser Zeit. Andererseits wurde in der Zeit die Schule für Koreaner(innen) nur soweit gefördert wie sie für die Interessen Japans nützlich war; letztlich wurde die Schulzeit verkürzt und die Inhalte mit zunehmender Dauer immer stärker mit teilweise rigorosen Maßnahmen zur Brechung koreanischer Traditionen japanischen Vorstellungen angepasst. Weil Unterrichtskonzepte gemäß den japanischen Interessen formuliert und durchgeführt wurden und eine Mitgestaltung pädagogischer Durchführungen von Seiten der koreanischen Bevölkerung nur marginal stattfinden konnte, empfanden viele Koreaner(innen) die Schule als fremdbestimmt. Die öffentliche Tradierung eines als ‚koreanisch‘ konnotierten Habitus konnte nur in privaten Bildungsinstituten geschehen. Auch dadurch setzte sich in der Musikpädagogik die europäisch/USamerikanische Musik, die anfangs vor allem durch die Missionsschulen gefördert wurde, immer mehr durch. Nach 1945 wurde in Südkorea die Erziehungspolitik vorübergehend von der US-Politik bestimmt und ging danach an südkoreanische Regierungsbehörden über. Doch der Entwicklung eigenständiger pädagogischer Gestaltungen standen politische Interessen der herrschenden Gruppen und der sich dann 1950 im Krieg entflammende Konflikt politischer Interessensgruppen gegenüber. Nach dem Koreakrieg fand eine antikommunistische Indoktrinierung in den Schulcurricula Einlass. Die Militärregierungen und die Vorfahrt für die Wirtschaft besonders in der Zeit unter Präsident Park Chung Hee machten es zum Ziel der Schule, qualifizierte Arbeitskräfte hervor zu bringen und letztlich auch Bürger, die sich einpassten in die Gesellschaft, wie sie die Oligarchie aus Wirtschaft und Militär bevorzugte. Die aus Europa und den USA nach Korea geflossenen Erziehungskonzepte wurden in diese Anforderungen eingepasst und veränderten dadurch ihren Charakter, indem sie z.B. ihr kritisches Potential einbüßten, weil das Reflektieren oder gar Kritisieren in der Schule wenig erwünscht war. Die zentrale Steuerung der Erziehungsmaßnahmen blieb zunächst auch nach der Demokratisierung Südkoreas 1987 erhalten. Die Behörden erließen Curricula und gaben weiterhin Inhalte und Strukturen vor. Das änderte sich aber langsam. Inzwischen werden Verantwortlichkeiten auch in regionale Zuständigkeiten delegiert und mehr Menschen zu Veränderungen in Bildungsfragen gehört. Doch Bildung in Südkorea bleibt ambivalent. Auf hohem, technischem Niveau geschulte Schüler(innen) erleben einen ergebnisorientierten Unterricht. Bleiben sie im Sinne der (von außen an sie herangetragenen) Ergebnisparameter erfolgreich, bekommen sie Aufstiegschancen in der südkoreanischen Konkurrenzgesellschaft. Zugleich aber erschwert diese teleologisch zentrierte Schulrealität das Lernen aus Prozessen, das Einüben flexiblerer Lösungsstrategien und letztlich die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit im Sinne einer Möglichkeit, nach eigenen Wünschen

E INFLUSSGRÖSSEN

AUF

G ESELLSCHAFT , B ILDUNG UND ERZIEHUNG

IN

SÜDKOREA | 257

und Ideen zu fragen, sie umzusetzen und im Sinne sozialer und individueller Interessen zu nutzen. Dies ist zwar inzwischen eher möglich als noch vor der Demokratisierung, jedoch gestaltet sich deren Durchführung schwer, da es wenige Vorbilder gibt und eine unter Umständen von Konventionen gelöste und öffentlich sichtbare Vita nach wie vor nicht den üblichen Lebensweg darstellt. Die erzielten Lernerfolge und die Persönlichkeit werden auch heute oft noch analog gedeutet (wer viel weiß, ist gut). Obwohl eine Kritik daran mittlerweile möglich ist, gestaltet es sich schwer, jenseits der auf gute Prüfungsabschlüsse gerichteten Anstrengungen der Eltern und Kinder die Entwicklung einer Persönlichkeit, die Konventionen nicht über, sondern neben die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten stellt, zuzulassen. Diverse curriculare Verlautbarungen der letzten Jahre ermöglichen es zwar, Bestrebungen in dieser Richtung zuzulassen, aber in der Realität besuchen viele Kinder Hagweons, um die hohen Prüfungsanforderungen für Eingangsprüfungen zu bestehen.725 Diese inzwischen auch in curricularen Veröffentlichungen vorgeschlagenen Möglichkeiten für eine Erziehungsrealität, die die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit in ihre Überlegungen mit einbezieht, also auch individuelle Lernwege zulässt oder die Potentiale der Schüler(innen) berücksichtigt, stehen in einem Widerspruch zur derzeitigen Erziehungsrealität.

725 Lee, Jung-In geht in seiner Kritik noch sehr viel weiter und folgert aus den Umständen: „Das Wissen, das in der Schule vermittelt und für wichtig gehalten wird, ist lediglich dadurch legitimiert, dass es in der Universitätsaufnahmeprüfung für wichtig gehalten wurde. Andernfalls brauchten die Schüler es nicht zu erwerben.“ (Lee, JungIn [2014], S. 136f.)

Korea vor 1876

in den USA

Abbildung 2: Entwicklung der modernen Pädagogik in Südkorea

Pädagogik in

Bildungsvorstellungen

Interessen der japanischen Macht (wirtschaftlich und politisch)

koreanischer Identität als Reaktion auf die politischen Umstände)

Korea nach 1876

Japan nach der Meji-

Revolution

Interessen der koreanischen Traditionalisten (Die Frage nach

Interessen des politischen Verhaltens (Antikommunismus)

Interessen der ökonomischen Entwicklung

Pädagogik in

korea nach 1945

Pädagogik in Süd-

korea nach 1960

Interessen des ökonomischen Erfolges

Interessen der demokratischen Entwicklung

Interessen der individuellen Entwicklung

Bildungsvorstellung in

in den USA

Bildungsvorstellungen

in Dt. / Österreich

Bildungsvorstellungen

korea nach 1987

Pädagogik in Südkorea

Pädagogik in Süd-

Pädagogik in Süd-

Entwicklung der modernen

258 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

4. Quantitative Datenerhebung: Fragebögen

Nachdem in den bisherigen Kapiteln der Kontext des untersuchten Prozesses beleuchtet wurde, geht es in den folgenden zwei Kapiteln um die Untersuchung des stattfindenden Transfers der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff von Deutschland/Österreich nach Südkorea. Dies geschieht durch eine quantitative und eine qualitative Datenerhebung und -auswertung. In diesem Kapitel wird zunächst die Umfrage mit 52 südkoreanischen Lehrer(inne)n der musikalischen Früherziehung in Südkorea behandelt.

4.1 D ATENERHEBUNG 4.1.1 Soziographische Anmerkungen zur Zielgruppe Die hier befragten Musiklehrer(innen) unterrichten musikalische Früherziehung entweder in einen Kindergarten oder in einer Musikschule. In die Musikschulen kommen Kinder, die von den Eltern direkt dort angemeldet wurden. In Kindergärten sind es zumeist ganze Kohorten, da der Unterricht direkt über die Kindergärten abgewickelt wurde. Kindergärten stehen in Südkorea im Wettkampf miteinander. Das bedeutet: Welcher Kindergarten ist besser, welcher bietet am meisten für die Kinder? Daher werden mitunter ganze Unterrichtsmodelle von Institutionen, die diese entwickeln und anbieten, als besonderes Merkmal des jeweiligen Kindergartens eingekauft. Zu solch einem Modell zählt auch die musikalische Früherziehung. Die Lehrer(innen) stehen dadurch unter dem Druck, den Erwartungen der Kinder, der Eltern, der Kindergartenleiter(in) und der diese überprüfenden Be-

260 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

hörde sowie der eigenen Schulleitung entsprechen zu müssen. Diese ggf. unterschiedlichen Erwartungshaltungen gilt es miteinander in Einklang zu bringen. Die Leitlinie dafür ist in der Regel zunächst ein Lehrplan oder ein Curriculum. 726 Neben der eigentlichen Unterrichtstätigkeit haben die in den jeweiligen Institutionen tätigen Mitarbeiter auch dafür zu sorgen, dass die Eltern, Kindergartenleiter(innen) und andere in der südkoreanischen Pädagogik maßgebliche Personen von der musikalischen Früherziehung überzeugt werden. Denn die Verbreitung der musikalischen Früherziehung in Südkorea geschieht durch Werbung, was ebenfalls zur Aufgabe der Lehrer(innen) gehört. Der Umgang mit den Vorgesetzten der Musikschule ist in aller Regel hierarchisch angeordnet. Die Lehrer(innen) können sich einerseits Hilfe bei den Vorgesetzten holen und bekommen sie nach Möglichkeit auch. Andererseits sind sie ihnen gegenüber weisungsgebunden. Der Umgang mit den Eltern wird unterschiedlich gehandhabt. In manchen Fällen bekommen die Eltern vor dem Unterricht via Internet die wichtigsten Informationen zugesandt, was die Inhalte des jeweiligen Unterrichtsabschnitts in den nächsten Wochen oder Monaten betrifft. Dazu zählen Angaben zu Liedern, aber auch Themen, (z.B. eine im Unterricht durchgenommene Geschichte) und teilweise das musikalische und z.T. das soziale Ziel. Dort, wo die Kinder außerhalb von Kindergärten in eine Musikschule kommen, ist teilweise ein Elternnachgespräch möglich, in dem den Eltern direkt nach dem Unterricht mitgeteilt wird, welche Inhalte im Unterricht behandelt worden waren und ggf., was darüber hinaus passiert war. Die Eltern können das Gespräch auch zu Nachfragen nutzen. Dieser Kontakt mit den Eltern ist in Südkorea durchaus üblich und wird nicht nur in Hagweons, sondern auch in Kindergärten angewandt. Die Lehrer(innen) können sich vor dem Unterricht die benötigten Materialien, wenn sie nicht am Unterrichtsort schon vorhanden sind, sowie Stundenverlaufspläne, Instrumente, Musikvorlagen (als Noten, CD usw.) aus einem regionalen Stützpunkt abholen und bringen sie nach dem Unterricht dahin wieder zurück. Wie die überwiegende Zahl der koreanischen Lehrer(innen) unterrichten sie nach einem vorgegebenen Curriculum727 und insofern scheinen zunächst Fragen wie

726 Diese multiplen Erwartungshorizonte sind nicht ein Spezifikum der hier befragten Lehrer(innen), sondern bestehen in den meisten Institutionen Südkoreas. 727 Solch ein Curriculum kann in einzelne Stundenverlaufspläne oder in größere Zusammenhänge wie Monatsthemen o.ä. unterteilt sein. Es kommt darauf an, von wem es herausgegeben wird. Manche Kindergärten lassen die eigenen, musisch geschulten Lehrkräfte jeweils auf den eigenen Kindergarten zugeschnittene Lehrpläne oder Curricula erstellen, die sie bei der Supervision auch den staatlichen Behörden vorzeigen

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 261

die, ob sie nach einem vorgegebenen Lehrplan unterrichten (Frage 1.3.) oder ob sie innerhalb ihrer Stunde den Unterrichtsablauf improvisieren (in Fragekatalog 5), überflüssig zu sein. Doch da jeder Unterricht einen dynamischen Prozess in Gang setzt, kann ein Beharren auf im Curriculum vorformulierte Inhalte und Abläufe Lehr- und Lernprozesse auch behindern. Daher sind die Lehrer(innen) gezwungen, auf abweichende Verläufe zu reagieren. 4.1.2 Zielsetzung Die Fragebögen entstammen den Reflexionen aus realen, zum Zeitpunkt der Umfrage seit acht Jahren durchgeführten Unterrichten und Supervisionen in Südkorea. Durch sie sollte zunächst nur erhoben werden, was an Methoden und Inhalten des Fortbildungsunterrichtes von den südkoreanischen Lehrer(inne)n verstanden worden war, ob die vonseiten der deutsch-österreichischen Dozent(innen) angestrebten Ziele erreicht wurden und wo ggf. Änderungen stattfinden sollten. Dazu erschien es notwendig, mehr über die Umstände der musikalischen Früherziehung und die praktischen Unterrichtsverläufe in Südkorea zu erfahren. Mit der Umfrage sollte die Erkenntnislücke zwischen den Eindrücken und Erkenntnissen aus den Schulungen und dem, was in der Realität außerhalb der protokollierten Fortbildungen und Supervisionen stattfand, verkleinert werden. Die Umfrage besteht einerseits aus quantitativen Fragen. Sie beziehen sich auf die wöchentliche Durchführung bestimmter Inhalte und Methoden. Andererseits werden qualitative Fragen gestellt, aus deren Antworten zu ersehen sein sollte, wie bestimmte Sachverhalte der musikalischen Früherziehung interpretiert und gewertet werden. Aus beidem zusammen werden dann Schlussfolgerungen für die Deutung der musikalischen Früherziehung durch die südkoreanischen Lehrer(innen) abgeleitet. 4.1.3 Generierung der Items Diese Fragen hatten anfangs das melioristische Interesse eines verbesserten Unterrichtes. Sie sind in den meisten Fällen aus Sichtweise der deutsch/österreichischen Dozent(inn)en gebildet und dadurch zum größeren Teil etischer Natur. Der

können. Andere lassen sich extern ein Curriculum schreiben. Kommen diese Curricula aus nicht-koreanischen Ländern, werden sie übersetzt und ggf. den jeweiligen Umständen angepasst. Ein Unterricht ohne curriculare Vorgaben kommt in Südkorea selten vor und wurde vom Autor in den untersuchten Gebieten auch nicht angetroffen.

262 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Lehrauftrag für die deutsch/österreichischen Dozent(inn)en bestand darin, südkoreanische Lehrer(innen) dazu zu befähigen, in Südkorea das Fach ‚Musikalische Früherziehung‘ unterrichten zu können. Dabei wurde das Was und Wie den Dozent(inne)en überlassen. Da allein schon diese Aufgabenstellung viele Fragen offen ließ und die Dozent(inne)en nicht abschätzen konnten, welche Prozesse sie in Gang setzen würden, wurden alle Schritte dieser Fortbildung von Anfang an dokumentiert. Aus den Dokumentationen der Unterrichte und Supervisionen ergaben sich wiederum Fragestellungen. Diese flossen in die Gestaltung der Fragebögen mit ein: Auf vom Curriculum abweichende Verläufe fiel es vielen, wenn auch nicht allen Lehrer(inne)n schwer, selbständig pädagogisch verantwortet zu reagieren. Sie warteten oft auf Anweisungen der Dozent(inn)en. Wie gestaltete sich dann der reale Unterricht in Südkorea? Im repetierenden Wiederholen und im Lernen von Stoff erwiesen sich die Lehrer(innen), solange sie es auf Anforderung der Dozent(inn)en zu tun hatten, als gut. Ging es um entdeckend-kreative Tätigkeiten, galt es, erst eine Befremdung oder eine Scheu zu überwinden. Danach allerdings ging der überwiegende Teil der Lehrer(innen) mit Enthusiasmus an die Aufgaben heran. Es zeigte sich dann aber, dass sich deren Eigenkreationen stets in Schemata bewegten, die ihnen bekannt waren. Nur ganz wenige Lehrer(innen) konstruierten etwas darüber hinausgehendes Eigenes. Die Lehrer(innen) gingen am Anfang von einem lehrerzentrierten Unterricht 728 aus. Eigene Aktionen oder Impulse der Lehrer(innen) kamen zunächst kaum vor. Formen eines sozialintegrativen oder eines schülerzentrierten Unterrichtschienen schienen ihnen weitgehend fremd zu sein. Aktiv wurden sie oft nur auf Anweisung. So war es für die Dozent(inn)en in der Fortbildung nicht leicht, in Erfahrung zu bringen, mit welchen Fragen und Interessen die Lehrer(innen) an den Prozess heran gingen. Bei den Reflexionen über das eigene Tun konnte immer wieder beobachtet werden, dass die Lehrer(innen) zumeist von richtigen und falschen Lösungen ausgingen und Zwischenlösungen ausschlossen. Das eigenstän-

728 Die hier verwendeten Begriffe ‚lehrerzentrierter Unterricht‘, ‚sozialintegrativer Unterricht‘ und ‚schülerzentrierter Unterricht‘ werden nach den Begriffsdefinitionen von Tausch, Reinhard und Tausch, Anne-Marie (1998) verwendet. Es sind Begriffe aus einem deutschen Forschungsstandort. Sie dienen hier als Ansatzpunkte zur Beschreibung südkoreanischer Pädagogik und stehen somit unter dem Vorbehalt der an dieser Stelle nicht zu beantwortenden Frage, ob diese etischen Begriffe der Deskription südkoreanischer Erziehungsrealität angemessen sind.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 263

dige Entwickeln von Lösungen und das selbständige Weiterentwickeln von Unterricht nahmen sie erst nach Vorschlägen und Hinweisen der Dozent(inn)en, dann aber durchaus zielstrebig, in Angriff. Tätigkeiten, die mit dem Sachbereich ‚Bewegung‘ zusammenhingen, hatten bei den meisten, allerdings nicht bei allen Lehrer(inne)n zunächst Befremden ausgelöst. Das Umsetzen von Bewegungen in Musik gestaltete sich ebenso wie das Umsetzen von Musik in Bewegung zaudernd. Den Zusammenhang von Bewegung mit der Musik zu begreifen bedeutete einiges an Arbeit für sie, zumal der Zugang zur Musik über aktive Bewegung bei manchen an die Überwindung von Scham gekoppelt war. Andererseits wurden Bewegungsaufgaben von der Mehrheit der Lehrer(innen) auch als befreiend empfunden. Eigene Tanzchoreographien im Unterricht waren in der Regel Wiederholungen von gelernten Schemata. Nur selten kamen Kombinationen von gebundenen und freien Formen vor oder Konstruktionen, die eine eigene Wirkung erzeugten und mögliche Rückschlüsse auf persönliche Ausdruckspotentiale der Lehrer(innen) auch jenseits angelernter Formen eröffneten. Neben dem melioristischen Interesse, das in einem konkret pädagogisch-operativen Nutzen bestand, den die ausgewerteten Antworten für die Unterrichte und Supervisionen ergeben sollten, gab es ein darüber hinaus gehendes wissenschaftliches Interesse. Das erforderte, die Fragehorizonte zu erweitern und durch die Fragen über die realen Verläufe hinaus auch die Wünsche, Ziele und Deutungen der Lehrer(innen) zu erheben. 4.1.4 Die Entwicklung kategorialer Fragen Diese erweiterten Fragehorizonte wurden bei der Entwicklung kategorialer Fragen berücksichtigt. Bei der Konzeption der Fragen nach den verwendeten Unterrichtsinhalten und Unterrichtsaktivitäten wurden Kategorien gewählt, die sich aus den Reflexionen der Unterrichte und Supervisionen ergaben und als wichtig erwiesen hatten. Die Kategorien bestanden aus den Sachbereichen der musikalischen Früherziehung, der Art des Lehrens und Lernens und der Führungsrolle von Lehrer(in) und Schüler(in). Es ging darum, x die Anwendungsdichte der musikalischen Sachbereiche zu erheben. x die in den Inhalten und Aktionen implizierte vorherrschende Lehr- und Lernart vonseiten der Lehrer(innen) zu ermitteln, also wie oft Aktivitäten, die einen vorgegebenen Stoff vermitteln wollen, und Aktivitäten, die

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selbst entdeckendes Lernen beinhalten, vorkommen; wieviel Raum künstlerisches, exploratives Tun und wieviel das Lernen vorgegebener Inhalte einnahm. x zu erkennen, wie oft der/die Lehrer(in) führte und wie oft der/die Schüler(in) entdeckend selbst lernen konnte. Weil der überwiegende Teil der Lehrer(innen) eine künstlerische, jedoch keine pädagogische Ausbildung aufwiesen und sich bei den Supervisionen ergab, dass das Verständnis methodischer Probleme zeitweise schwierig war, kamen dazu noch Fragen, die den Wunsch nach methodischen Kenntnissen ermittelten. Da es sich zudem um einen Transfer von einem kulturellen Umfeld in ein anderes handelt, floss auch die Frage mit ein, bis zu welchem Grad das Tradieren kultureller Inhalte den Wünschen der Lehrer(inn)en entsprach. Als Nebenkategorien wird zudem nach der Häufigkeit von tradierter Musikausübung gefragt und darüber hinaus wird das in den Unterrichten und Supervisionen sehr auffällige Nutzen von elektronischen Tonträger (CD, mp3 usw.) erfragt. Nicht alle Fragen konnten auf die Kategorien hin konzipiert werden. Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung wurden die Antworten auf diese Fragen dazu genutzt, die interpretativen Aneignungsprozesse der musikalischen Früherziehung durch die Lehrer(innen) zu erschließen und die Überlagerungen von Sinnzusammenhängen beim interpretierenden Verstehen der Lehrer(innen) nachzuvollziehen. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass in einem musikalischen Transferprozess nur dann das vom Sender Gemeinte auch vom Empfänger gleich gedeutet und umgesetzt werden kann (was das Ziel des Lehrauftrages im vorliegenden Transferprozess sein sollte), wenn die Methoden und Inhalte auch in den vorherrschenden Sinnzusammenhänge und Deutungen des Senders verstanden und in die des Empfängers überführt werden können. Das Gelernte wird von den Dozent(inn)en und den Lehrer(inne)n mithilfe ihrer jeweils eigenen Muster und gewohnten Techniken gedeutet. Es geht zwar äußerlich sichtbar um Methoden und Inhalte pädagogischen Handelns. Entscheidend aber ist deren Deutung und unterschiedliche Kodierung.729 Es geht hier darum, mithilfe der Antworten diese Prozesse aufzuzeigen.

729 Dazu sagt Kim, Jin-Ah: „Musikalische Transferprozesse gründen in ihrem dynamisch offenen explorativen Potential. Dieses Potential, das auch die Basis für die Entstehung musikalischer Kreativität bildet, ist nicht bloß als originelle Schöpfung durch mentale Übersetzung einzelner Künstler zu sehen, sondern geht auf interpretative Aneignungs-

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 265

4.1.5 Der Aufbau der Fragebögen Die Fragebögen sind in fünf Abschnitte eingeteilt. Im ersten Abschnitt geht es um Fragen an die Lehrer(innen), ihre Ausbildung(en), wie sie zur musikalischen Früherziehung gekommen sind, sowie die formalen Umstände ihrer Arbeit (die Größe der Gruppen, Arbeit nach Curriculum etc.) Im zweiten Abschnitt geht es um den Wünsche der Lehrer(innen) für sich selbst. Diese beziehen sich auf ihr Können bezüglich der Sachbereiche ‚Stimme und Gesang‘, ‚Instrumentalspiel‘, ‚Bewegung und Tanz‘, ‚Musik hören‘, aber auch auf methodisches Können. Im dritten Abschnitt geht es um die Quantität der verwendeten Unterrichtsinhalte, die wiederum nach Sachbereichen aufgeteilt sind. Im vierten Abschnitt geht es um die Charakterisierung von europäischer bzw. US-amerikanischer Musik und koreanischer Musik und um die Frage, ob und warum es wichtig sei, diese zu lehren. Im fünften Abschnitt geht es um Methodik, also welche Wege die befragten Musiklehrer(innen) in der musikalischen Früherziehung beschreiten. Im ersten Abschnitt, der eine reine Informationsabfrage beinhaltet, ist der Fragebogen nach ‚Ja‘ und ‚Nein‘ unterteilt. Pro Person können hier auch mehrere Antworten gegeben werden. Der Fragebogen ist im zweiten, dritten und fünften Abschnitt, wo es sich um quantifizierende Aussagen handelt, in vorgefertigte Ratingskalen im Sinne einer Lickert-Skala geordnet. Jedem Item wurde eine Gewichtung in acht (Abschnitt 2 und 3) bzw. 4 Stufen (Abschnitt 5) zugrunde gelegt. Sie reichen bei der Frage nach Wünschen an sich selbst als Lehrer(in) und den Inhalten des Unterrichtes von ‚wichtig‘ (8) bis ‚unwichtig‘(1), bei der Frage nach dem Einsatz von Methoden von ‚wichtig‘ (4) bis ‚ganz unwichtig‘ (1). Der vierte Abschnitt, der nach der Wichtigkeit und Deutung koreanischer und europäischer/US-amerikanischer Musik und Musikpädagogik für den Unterricht fragt, ist bezüglich der Wichtigkeit ebenfalls numerisch von ‚wichtig‘ nach ‚unwichtig‘ gegliedert. Da die Musiklehrer(innen) ihre Einordnung auf einer Skala begründen sollten, wurden daraus wiederum Kategorien extrahiert und die Antworten danach diesen Kategorien zugeordnet.

prozesse zurück, in denen die transferierten musikalischen beziehungsweise kulturellen Elemente nicht einfach unverändert übernommen, sondern in je spezifischer Weise immer wieder mehrfach kodiert angeeignet werden.“ (Kim, Jin-Ah [2012])

266 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

4.2 D ATENAUSWERTUNG Bei den quantitativen Ergebnissen der Umfrage (Frageblock 1, 2, 3 und 5) ist zu bedenken, dass die Skalen in der Absicht erfasst wurden, die Menge bestimmter Inhalte, Methoden und Aktivitäten abzufragen. Die Bestimmung der Inhalte, Methoden und Aktivitäten richtet sich nach den Charakteristika der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff, wie sie oben dargelegt wurden. Die Absicht war, zu erfahren, ob sich diese Charakteristika auch im südkoreanischen Umfeld wiederfinden. Der quantitative Teil der Fragebögen wird daher vor allem deskriptiv ausgewertet. Bei den Ergebnissen der Umfrage handelt es sich in deren qualitativen Teil (Frageblock 4) um Aussagen der Teilnehmer(innen) über ihre eigene Rezeption der Theorie, der Anwendung und des Inhaltes der musikalischen Früherziehung, wie sie diese in der Fortbildung verstanden und dann in Südkorea real umgesetzt haben. 4.2.1 Fragen zu den Umständen der musikalischen Früherziehung 92,3% aller Lehrer(innen) haben eine musikalische Ausbildung. Lediglich 4 Personen [7,7%] haben keine und es handelt sich dabei ausschließlich um Lehrer(innen) aus den ersten Jahrgängen der Fortbildung.730 Bei der pädagogischen Ausbildung sieht es fast umgekehrt aus. 75,5% haben keine pädagogische Vorbildung. Bei dem verbleibenden Viertel ist die Qualität der pädagogischen Vorbildung nicht benannt worden. Auf die Frage, wie die Lehrer(innen) Informationen über die musikalische Früherziehung bekommen haben, waren Mehrfachnennungen möglich. Dabei ergab sich, dass die meisten Lehrer(innen) Informationen über Freunde oder Kolleg(inn)en [30,6%], durch die Empfehlung anderer Lehrer(innen) [22,6%] oder durch das Studium von Lektüre [19,4%] bekommen haben. Bei den restlichen

730 Dieser auffällige Wert rührt daher, dass bei den ersten beiden Jahrgängen erhebliche Defizite im musikalischen Können diagnostiziert wurden und die Dozent(inn)en diese Defizite in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht kompensieren oder gar verbessern konnten ohne dabei die verlangten Vermittlung der Ausbildungsinhalte zu vernachlässigen. Dieser Zeitmangel führte dazu, dass in Absprache mit dem südkoreanischen Hagweon bei der Auswahl der Lehrer(innen) der folgenden Jahrgänge auf musikalisch besser ausgebildete Teilnehmer(innen) Wert gelegt wurde. Danach kehrte sich die Problematik um: statt musikalischen gab es mehr (musik-)pädagogische Defizite.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 267

27,4% heben sich besonders die Reaktion auf Zeitungsanzeigen [8,1%] und das eigene Suchen von Konzepten [9,7%] ab. Ich unterrichte musikalische Früherziehung seit … Jahren Die Größe meiner Früherziehungsgruppen beträgt zwischen … und … Kindern ja

nein

Ich habe eine musikalische Ausbildung

48

4

Ich habe eine pädagogische Ausbildung

13

40

24

25

Ich wurde … Monate/ Jahre in musikalischer Früherziehung ausgebildet Ich unterrichte nach einem Lehrwerk (wenn ja, welches) Ich bin zur musikalischen Früherziehung gekommen durch *

Eltern

1

* Freunde oder Kolleg(inn)en

19

* Empfehlung durch Lehrer(in) in Schule oder Berufsausbildung

14

* Informationen in der Kirche

2

* Informationen im Tempel

0

* Anzeigen in Zeitungen, (Fach-)Zeitschriften

5

* Eigenes Suchen nach Konzepten

6

* Lesen von Literatur

12

* Anderes:

3

Tabelle 3: Fragen zu den Umständen der musikalischen Früherziehung 4.2.2 Wünsche der Lehrer(innen), was sie erlernen wollen Bevor nachgeforscht wurde, was die Lehrer(innen) tatsächlich im Unterricht taten, erschien es sinnvoll zu erfahren, was sie tun wollten. 4.2.2.1 Wünsche bezüglich der musikalischen Sachbereiche Da Inhalte der musikalischen Früherziehung Sachbereichen zugeordnet werden können, war es interessant zu erfahren, ob es bei den südkoreanischen Lehrer(inne)n besonders bevorzugte oder abgelehnte Sachbereiche gibt. Wichtig findet es der Großteil der Befragten, eine physiologisch lange haltbare Stimme [Ø 6,6] entwickeln zu können. Nicht auf das Erlernen einer Vorgabe von Musik, sondern auf ein Erlernen mit Eigenkreation zielte die Frage nach dem Wunsch, beim Singen improvisieren zu können. Dies wird zwar bejaht [Ø 5,5], jedoch mit Einschränkungen. Dieser Wunsch liegt nicht in den primären Bedürfnissen der Lehrer(innen). Die weitere Frage, ob das Entwickeln einer möglichst lauten Stimme wichtig sei, rührte daher, dass zum einen die Lautstärke vor allem in städtischen Gebieten Südkoreas um etliches höher ist als in Deutschland. Zum anderen wurde während der Fortbildungen auch mehr als einmal die Frage gestellt, wie lauter musiziert werden könne, da die Musik mit Xylophonen so leise sei, dass

268 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

man gar nicht durchkäme.731 Der Wunsch danach wird zwar eher bejaht [Ø 5,2], doch verteilen sich die Antworten.732 Bei den Wünschen, die vor allem den Sachbereich ‚Instrumentalspiel‘ betreffen, rangiert der Wunsch, klare Rhythmen spielen können [Ø 6,5] ganz oben. Die Anforderung des Singens und sich dabei gleichzeitig mit Orffinstrumenten begleiten zu können [Ø 6,1] wird mehrheitlich gewünscht. Eher zweitrangig ist der Wunsch auf vielen Instrumenten vorgegebene Musik spielen zu können [Ø 5,8]. Inhalte, die vor allem den Sachbereich ‚Bewegung‘, betreffen, werden insgesamt als nicht so wichtig eingestuft. Allerdings gibt es eine Ausnahme. Die Anforderung, sich frei und nach eigenem Wunsch zur Musik bewegen zu können [Ø 6,2] wird durchaus bejaht. Im Gegensatz dazu steht der wesentlich seltener genannte Wunsch, feste Tanzformen ausführen zu können [Ø 5,3]. Eine eigene Tanzformen entwickeln zu können [Ø 4,4], also eine Anforderung, die sich nicht mit der Vorgabe von Musik, sondern mit Eigenkreation befasst, fällt sogar unter die eher unwichtige Rubrik. Auch Inhalte, die den Sachbereich ‚Musiklehre‘ betreffen, werden gewünscht. Über Musik sprechen zu können wird als eher wichtig [Ø 6,0] bewertet. Dagegen ist der Wunsch, Kinder zur Notation hinführen zu wollen, zweitrangig [Ø 5,4]. Bei den Fragen, die vor allem den Sachbereich ‚Instrumenteninformation‘ betreffen, sticht die Beantwortung der Frage nach der Wichtigkeit Instrumente hören und zuordnen können hervor. Sie wird als eher wichtiger [Ø 6,2] beurteilt. Der Wunsch, im Rahmen der musikalischen Früherziehung Instrumente selbst herstellen zu können, fällt dahinter zurück [Ø 5,5]. Eine Bevorzugung von Inhalten eines bestimmten Sachbereiches konnte so nicht festgestellt werden. Allerdings gibt es beim Einbezug des Sachbereiches ‚Bewegung‘ das markante Ungleichgewicht, dass zwar freier Tanz gewünscht, alle anderen tanztechnischen Knowhows aber als eher nicht wichtig eingestuft wurden. Reflexionsbezüge von (musikalischem) Ausdruck und Tanz(technik) waren somit entweder nicht im Gedankenhorizont der Lehrer(innen) angekommen

731 Werbung für Produkte in Südkorea ist schrill, bunt und laut. Und auch Aufführungen wie Konzerte, Kinos usw. sind zumeist mit erheblicher Lautstärke verbunden. Dagegen müssen sich die Lehrer(innen) und Schüler(innen) durchsetzen. 732 Zwar wünschen sich immerhin 21,2% eine möglichst lautstarke Stimme, aber 59,6% finden das weniger wichtig, 15,4% finden es eher unwichtig und immerhin 3,8% halten es für unwichtig. Die an späterer Stelle gestellte Frage, ob denn das Singen in verschiedenen Dynamiken wichtig sei, wird ebenfalls als ‚nicht so wichtig‘ beantwortet [Ø 5,3].

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 269

oder nicht erwünscht. Insgesamt wird musiktechnisches Rüstzeug (z.B. eine haltbare Stimme, Rhythmen sicher spielen können usw.) und das Erlernen kreativer Momente (z.B. Improvisation, freie Bewegung) gewünscht. 4.2.2.2 Wünsche bezüglich pädagogischer Vorstellungen Bei den Fragen nach Wünschen, die vor allem die pädagogischen Vorstellungen der Lehrer(innen) untersuchen, stehen an erster Stelle die eher unkonkreten Aussagen Musik kreativ nutzen zu können und Spaß und Freude zu haben [Ø 6,2 bzw. 6,0]. Überraschend ist, dass aus Musik szenisches Spiel entwickeln zu können, was in den Supervisionen nicht oft zu sehen war, häufiger gewünscht wird [Ø 5,8]. Als ‚manchmal wichtig‘ wird die Anforderung an die Kinder, dass sie die Lehrer(in)vorgaben richtig nachmachen können, eingeordnet [Ø 5,5]. Dies ist ein erstaunlich geringer Wert, weil in Südkorea das Wiedergeben von eindeutigen Antworten in der Schule in aller Regel gefordert wird. Auch die Befähigung Kinder zum freiwilligen Musizieren mit Freude motivieren zu können [Ø 5,4] ist für die Lehrer(innen) nur manchmal wichtig. Dies ist ein Indiz dafür, dass das Motivieren zum eigenständigen Entwickeln – eine zentrale Forderung der musikalischen Früherziehung in Deutschland – nach Meinung der befragten südkoreanischen Lehrer(innen) nicht zentral ist. Interessant ist, dass die Lehrer(innen) zwei im südkoreanischen Schulalltag oft eingesetzte Mittel eher als unwichtig einstufen. Die Frage, ob bei der musikalischen Früherziehung auch öffentliche Vorführungen stattfinden können, wurde bei den Fortbildungen öfters von den Lehrer(inne)n gestellt. Öffentliche Vorführungen als Nachweis von Können finden in Südkorea sehr oft statt. Daher war es interessant, wie wichtig für die Lehrer(innen) eine Vorbereitung auf Vorführungen ist. Sie werden als eher unwichtig eingestuft [Ø 4,5]. Das kann daran liegen, dass die Lehrer(innen) als musikalisches Ziel etwas anderes suchen als den Schüler(inne)n einen öffentlichen Nachweis ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen. Es kann aber auch sein, dass sie eher resignierend dieses in vielen Musikschulen oft verfolgte Ziel aufgegeben haben, weil sie allein schon von der Lautstärke her mit größeren Orchestern oder gar elektronisch verstärkter Musik nicht mithalten können. Ebenfalls als eher unwichtig wird der Wunsch musikalisches Wissen und Können der Kinder überprüfen zu können eingestuft [Ø 4,1]. Genau dieses findet aber im südkoreanischen Schulalltag statt. Das bedeutet, dass die Lehrer(innen) sich hiermit gegen eine Schulrealität stellen. Das kann daher rühren, dass sie andere Wege suchen und den Sinn dieser Prüfungen nicht mehr einsehen. Oder sie verstehen musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff als ein Gegenmodell des Spielens gegen prüfungszentriertes Lernen. Daraus ließe sich die relative hohe Bewertung von Musik kreativ nutzen können und Spaß und Freude erklären.

270 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Bei einer solchen Interpretation stellt sich die Frage, ob den Lehrer(inne)n die Verbindung von überprüfbaren Lernen und eigenständigem Lernen aus dem Menschen heraus inklusive der darin immanenten anthropologischen Orffschen Sichtweise, dass ein Mensch aus sich heraus das Können entwickelt, klar ist. Während bei den Fragen zu den Inhalten bestimmter Sachbereiche (4.2.2.1) noch das Erlernen eines technischen Könnens (Knowhows) und das des kreativen Umsetzens fast gleichrangig waren, gewichten die Lehrer(innen) bezüglich der pädagogischer Inhalte die Wünsche nach kreativem Können deutlich höher als die nach repetierend zu erlernendem Können. Hier zeigt sich eine Motivation, dass sie im Erlernen der musikalischen Früherziehung andere Wege des Zuganges und Umganges mit Musik suchen. Dass sie dabei das musikalische Können nicht hintanstellen wollen, zeigen die Ergebnisse in 4.2.2.1. Es stellt sich dann die Frage, welche Inhalte sie dann in der musikalischen Früherziehung einsetzen und ob die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff von den befragten Lehrer(innen) als Befreiung (frei von) akzeptiert wird und zu welchem Ziel (frei zu) sie hinführen soll. 4.2.2.3 Wünsche bezüglich (inter-)kultureller Vorstellungen Fragen, die vor allem aus interkulturellen Fragestellungen berühren, wurden eingesetzt, weil es sich hier um den Übertrag eines pädagogischen Systems aus einem kulturellen Feld in ein anderes handelt und zum anderen, weil sich ein Mensch auch immer gegenüber beiden kulturellen Repräsentationen positionieren muss, sprich: sie mit Deutungen versehen und sich selbst dadurch definieren und charakterisieren muss. Für die Lehrer(innen) ist das Kennen festgelegter Musik (Tradieren von Kultur) nur manchmal wichtig [Ø 5,78] und der Wunsch, als gutes Vorbild meiner Kultur unterrichten zu können (z.B. gut sprechen, gut kleiden, gut verhalten usw.), eher unwichtig [Ø 4,9]. Die Vorbildfunktion wird gering eingeschätzt. Wenn das Kennen festgelegter Musik sowie das Vorbild-Sein der eigenen Kultur nicht an erster Stelle steht, so gilt das auch für das Unterrichten globaler Musik [Ø 4,9]. Auch dieses wird nur als ‚manchmal wichtig‘ anerkannt. Insgesamt bekommen Verbindungen zu (inter-)kulturellen Vorstellungen einen relativ geringen Wert zugesprochen. Hingewiesen sei auf einen Querstand, der sich aus diesen Daten ergibt. Das Tradieren von kulturellen Inhalten ist für die Musiklehrer(innen) nach den hier gegebenen Antworten eher unwichtig. Das steht im Widerspruch zu den Ergebnissen bei der Umfrage nach der kulturellen Wichtigkeit (in 4.2.4).

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 271

Ich möchte als Orff- bzw. Früherziehung-Lehrer(in)…

8

eine physiologisch lange haltbare Stimme entwickeln können

48,1

11,5 13,5

klare Rhythmen spielen können Instrumente hören und zuordnen können Musik kreativ nutzen können mich frei und nach eigenem Wunsch zur Musik bewegen können

30,8

13,5 32,7

25 50

4

3

2

15,4

7,7

1,9

1,9

0

0

6,64

17,3

5,8

0

0

0

0

6,47

13,5 32,7

19,2

5,8

3,8

0

0

0

6,21

17,3 21,2

9,6

1,9

0

0

0

0

6,2

25

17,3 25

19,2

11,5

1,9

0

0

0

6,19

singen und mich dabei mit Orffinstrumenten begleiten

32,7

9,6

23,1

21,2

5,8

3,8

1,9

0

1,9 6,12

Spaß und Freude haben

19,2

17,3 30,8

15,4

15,4

1,9

0

0

0

6,04

über Musik sprechen können

32,7

11,5 11,5

23,1

9,6

9,6

0

1,9

0

5,96

festgelegte Musik (Tradieren von Kultur) kennen

25

13,5 15,4

17,3

21,2

5,8

0

1,9

0

5,78

aus Musik szenisches Spiel entwickeln können

25

15,4 9,6

30,8

7,7

7,7

0

3,8

0

5,77

auf vielen Instrumenten vorgegebene Musik spielen können

25

11,5 13,5

28,8

13,5

3,8

1,9

0

1,9 5,75

Instrumente basteln können

15,4

13,5 28,8

21,2

11,5

1,9

1,9

1,9

3,8 5,54

globale Musik unterrichten

34,6

19,2 21,2

15,4

5,8

0

3,8

0

0

5,5

beim Singen improvisieren können

13,5

15,4 23,1

23,1

11,5

5,8

7,7

0

0

5,49

unterrichten, dass die Kinder meine Vorgaben richtig nachmachen

13,5

7,7

36,5

21,2

13,5

1,9

5,8

0

0

5,48

Freund der Kinder sein

28,8

19,2 26,9

15,4

5,8

1,9

0

1,9

0

5,38

Kinder zum freiwilligen Musizieren mit Freude motivieren können

40,4

25

17,3

11,5

1,9

1,9

0

0

1,9 5,38

15,4

9,6

21,2

28,8

11,5

3,8

7,7

1,9

0

5,36

21,2

11,5 13,5

23,1

11,5

7,7

7,7

3,8

0

5,35

Führungsperson für die Kinder sein

36,5

21,2 17,3

9,6

7,7

3,8

1,9

0

1,9 5,33

in verschiedenen Dynamiken singen können eine möglichst laute Stimme entwickeln als gutes Vorbild meiner Kultur unterrichten (z.B. gut sprechen, gut kleiden, gut verhalten usw.)

34,6

25

19,2

15,4

5,8

0

0

0

0

15,4

5,8

28,8

17,3

13,5

7,7

7,7

1,9

1,9 5,18

23,1

25

26,9

11,5

11,5

0

0

1,9

0

Kinder auf Musikvorführungen vorbereiten können

13,5

5,8

15,4

17,3

21,2

5,8

5,8

9,6

5,8 4,49

eigene Tanzformen entwickeln können

11,5

3,8

15,4

23,1

13,5

9,6

13,5 3,8

5,8 4,4

musikalisches Wissen und Können der Kinder überprüfen können

9,6

15,4 15,4

21,2

13,5

9,6

5,8

5,8 4,11

Kinder zur Notation hinführen können feste Tanzformen ausführen können

7

6

5

1

3,8

0

Ø

5,3

4,89

Tabelle 4: Lehrerwunsch an sich selbst in der musikalischen Früherziehung

272 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

4.2.3 Unterrichtsinhalte und -aktivitäten, die pro Woche angewandt werden Ging es bisher um die Untersuchung der Wünsche der befragten Musiklehrer(innen), so wird im Folgenden der reale Unterrichtsprozess untersucht. 4.2.3.1 Anwendungen bezüglich der musikalischen Sachbereiche Bei der Anwendung der musikalischen Sachbereiche gibt es keine markante Häufigkeit. Entgegen den Eindrücken aus Unterrichten und Supervisionen scheinen die drei Sachbereiche ‚Singen und Sprechen‘, ‚Elementares Instrumentalspiel‘ und ‚Musik und Bewegung‘ gleichmäßig verteilt zu sein. Das stimmt allerdings nur insofern, als die Frage, ob sie sich mit den Kindern frei zur Musik bewegen, von über der Hälfte der Befragten dahingehend beantwortet wird, dass diese Aktivität in jeder Stunde durchgeführt wird. Ohne diese Frage würden Tätigkeiten, die dem Sachbereich ‚Bewegung‘ zugeordnet werden, weitaus seltener in Erscheinung treten. Aktivitäten, die dem Sachbereich ‚Singen und Sprechen‘ zugehörig sind, kommen recht häufig vor. An erster Stelle steht für viele Lehrer(innen) das gemeinsame Singen [Ø 6,9]. 65,4% aller Befragten singen jede Stunde gemeinsam. Dahinter fällt das Singen mit Instrumentalbegleitung [Ø 5,6] und das a capella Singen von Liedern733 [Ø 5,2] zurück. Das solistische Singen der Kinder wird sogar markant seltener verwendet [Ø 3,3]. Zur CD Begleitung singen bekommt ebenfalls nur eine geringe Bedeutung von den Lehrer(innen) zugewiesen734 [Ø 3,8]. Bei der Improvisation mit der Stimme sind die Antworten vielschichtig [Ø 4,9]. 19,2% nutzen diese Möglichkeit annähernd jede Woche, jedoch auch 17,3% fast nie. 63,4% verwenden Stimmimprovisation manchmal. Das gemeinsame Singen ist eine normale Erscheinungsform als gemeinsame Aktivität in Schule und Betrieben, das zumeist in einer Gruppe durchgeführt wird. Solistisch oder improvisatorisch wird in der Schule in der Regel weniger gesungen. Die Vermutung liegt nahe, dass der gemeinschaftsbildende Gedanke der Musik mehr betont wird als

733 Immerhin 9,8% aller Befragten gaben an, nie oder fast nie a capella zu singen. 734 Auffällig ist dabei, dass 3.8% vermerkten, dass sie jede Stunde zur CD Begleitung sängen wie dies auch 5,7% beim solistischen Singen der Kinder angaben. In Südkorea ist das Singen zur Instrumentalmusik auf Tonträgern Norebang (⏎⧮⹿) recht beliebt. Doch es steht zu vermuten, dass das Singen und Musizieren mit elektronischen Hilfsmitteln von den befragten Musikpädagog(inn)en als eher zweitrangige Art des Musizierens gesehen wird und das ‚wahre Musizieren‘ nur etwas sei, was mit ‚echten Instrumenten‘ gespielt werden kann.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 273

der individuelle, solistische Gedanke. Diese sehr unterschiedliche Gewichtung der Improvisation deckt sich mit den Wünschen der Lehrer(innen) bezüglich der Improvisation in den Fragen unter 4.2.2.2. Es schwankt zwischen dem Wunsch, Improvisation zu lernen und der Vorstellung oder Erfahrung, dies nicht zu können. Große Unterschiede gibt es bei der Einführung von Instrumenten. 2/3 der Befragten stellen in jeder Stunde Instrumente vor [Ø 6,0]. Die Herstellung von eigens gebastelten Instrumenten innerhalb der Möglichkeiten der musikalischen Früherziehung hingegen wird selten angewandt [Ø 3,8]. Obwohl beides zu gleichen Teilen in der Fortbildung der musikalischen Früherziehung gelehrt wurde, sind dies deutliche Unterschiede. Da über 90% der Lehrer(innen) eine musikalische Ausbildung absolviert haben, kann das daran liegen, dass nur der Umgang mit Instrumenten aus dem Orchester oder Kammermusik im Studium gelernt wurde. Die Lehrer(innen) mussten den Bau von einfachen Klangkörpern, bei dem aus Gegenständen ein Generator und Resonator erstellt wurde (Halmoboe, Brummbass usw.), ganz neu erlernen. Die Klangmöglichkeiten von Instrumenten außerhalb der ihnen bekannten Orchesterinstrumente zu erkennen, anpassen und entwickeln zu können fiel ihnen bereits in der Fortbildung schwer. Dazu bedarf es eines Mindestmaßes an Geschick und vor allem auch viel Zeit. Dass die Verknüpfung von Gegenständen und Klangeigenschaften selten Gegenstand des Unterrichtes ist, kann daher an mangelnder Übung liegen. Es kann aber auch an einer Einstellung liegen, dass nur die Orchesterinstrumente als Instrumente anerkannt werden und andere Klangkörper als Spielerei, nicht aber als relevanter Inhalt musikalischer Erziehung angesehen werden. Deutlich ist hierbei, dass das Darstellen bekannter Instrumente von den Lehrer(inne)n öfter angewandt wird als der kreative Akt, neue Verknüpfungen zwischen Gegenständen und den daraus zu entwickelnden Klängen zu schaffen. Manchmal finden das eigene Spielen auf einem Instrument [Ø 5,2] und geringfügig öfter das gemeinsame Improvisieren auf Instrumenten [Ø 5,3] statt. Ein Blick in die Fortbildungsprotokolle ergab, dass Improvisation auf Instrumenten genauso viel Raum beim Instrumentalspiel wie beim Singen und Tanzen einnahm. Das Kennenlernen des Orff-Instrumentariums innerhalb der Fortbildung erfolgte fast immer in improvisatorischer Weise und dieses als pädagogisches Verfahren gelernte Procedere findet sich auch im Curriculum wieder. Die Nutzung der Improvisation besonders beim Instrumentalspiel dürfte darauf zurück zu führen sein. Tätigkeiten, die dem Sachbereich ‚Bewegung‘ zugeordnet werden, werden seltener durchgeführt. Allerdings hebt sich davon die bereits o.e. Aussage der freien Bewegung zur Musik deutlich ab [Ø 6,3]. 53% der Befragten geben an, dies jede Stunde und immerhin 44%, es manchmal durchzuführen. Dagegen wird das Tanzen nach festen Formen [Ø 4,8] oder das Entwickeln eigener Tanzformen [Ø

274 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

4,1] deutlich weniger genutzt. Dies bestätigt diverse Beobachtungen der Dozent(inn)en, dass Bewegung von den Lehrer(inne)n zwar als befreiend empfunden wurde, gebundene Tanzchoreographien im Unterricht und deren Nutzen zum Erwerb musikalischen Könnens aber eher befremdlich erschienen. Das Sprechen über Musik [Ø 5,6] findet hin und wieder statt, allerdings im oberen Bereich. Dagegen wird das Malen graphischer Notation [Ø 4,0] und das Malen von Musik in Noten [Ø 3,6] recht selten angewandt. Ähnlich wie bei den Fragen, die vor allem die pädagogischen Wünsche der Lehrer(innen) erfragen, werden hier die Inhalte, die sich an sichtbaren Ergebnissen der Musik (Klangausdruck von Musik durch Notation) befassen, eher vernachlässigt. Dies entspricht dem Ergebnis in 4.2.2.2, nach dem das Erzielen nachprüfbaren, bewertbaren Wissens, das im Ausbildungssystem Südkoreas eine herausragende Rolle spielt, auch hier eher zweitrangig beurteilt wird. Offensichtlich grenzen sich die Lehrer(innen) von Unterrichtsformen zum Erlernen nachprüfbaren Wissens ab oder finden es für Kinder im Vorschulalter unangemessen. 4.2.3.2 Anwendungen bezüglich der methodisch-didaktischen Vorstellungen Die Fragestellung, inwiefern Kommunikation mit Gesten und Mimik angewandt wird, bekommt eine recht große Wichtigkeit zugesprochen [Ø 6,0]. Eine Rhythmussprache wird hin und wieder genutzt [Ø 5,5]. Dieses lernten die Lehrer(innen) in der Fortbildung und scheinen es jetzt an ihre Schüler(innen) im Unterrichtsprozess weiter zu geben. Ganz selten wird solmisiert [Ø 3,0].735 Diese Methode findet in südkoreanischen Schulen ohnehin erst seit einiger Zeit statt. In der Fortbildung der musikalischen Früherziehung wurde die Solmisation zwar vorgestellt, aber nur teilweise eingesetzt. Höraufgaben werden nur hin und wieder gestellt [Ø 4,4], gleichzeitig aber geben die Lehrer(innen) an, Tonträger (CD, mp3 usw.) annähernd jede Woche zu nutzen [Ø 7,0]. Das aktive Hören ist nur für einem Teil der Befragten wichtig und Tonträger werden in der Regel als rein akustischer Anreiz zur Motorik z.B. beim freien Bewegen oder zur reinen Beschallung genutzt. Dies deckt sich auch mit Eintragungen aus den Fortbildungsprotokollen, wonach ein (zeitaufwendiges) aktives Zuhören als oft recht ungewöhnliches Tun eingeschätzt wurde. Nicht klangliche Möglichkeiten zum Erlernen von Musik wie Bilder und andere Materialien werden nur hin und wieder genutzt [Ø 4,5]. Das Malen zur Musik

735 Interessanterweise gibt es aber Personen, die jede Woche die Solmisation anwenden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die entsprechenden Lehrer(innen) schon vor ihrer Aus- und Fortbildung mit dem Solmisieren vertraut waren.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 275

bekommt einen sogar noch etwas niedrigeren Wert zugesprochen [Ø 4,3]. Die szenische Darstellung von Musik kommt zwar vor, wird aber eher selten durchgeführt [Ø 4,0]. Gleichzeitig aber wird von den Lehrer(innen) gewünscht, ein szenisches Spiel zur Musik gestalten zu können (siehe 4.2.2.2). Alles, was genuin dem Musikalischen zugeordnet ist, weil es klingt, also Musik durch Singen und Instrumentalspiel, finden eher einen Zuspruch, während die Wege der Musikpädagogik, die nicht-klangliche Mittel verwenden, eher befremdlich erscheinen und selten bis nie vorkommen. Die gehäufte Anwendung von Methoden hängt dadurch von ihrer direkten Hörbarkeit ab. Bezüglich der angewandten Lehr- und Lernart werden Aktivitäten, die einen vorgegebenen Stoff vermitteln wollen, wesentlich öfter eingesetzt als Aktivitäten, die selbst entdeckendes Lernen beinhalten. Gemeinsames, in der Regel inhaltlich vorgegebenes Singen, eine vorgegebene Instrumentalbegleitung oder Rhythmussprache werden nahezu jede Woche genutzt. Bis auf die Ausnahme der in jeder Stunde genutzten freien Bewegung zur Musik werden Aktivitäten, die selbst entdeckendes Lernen beinhalten, selten angewandt. Improvisation, das Entwickeln eigener Tanzformen736, szenische Umsetzungen oder der Einbezug von Malen und graphischer Notation werden nur manchmal, bei einigen sogar nie ausgeführt. Ausgehend von den Beobachtungen in Unterrichten und Supervisionen sollten die Fragen nach Unterrichtsstilen in Erfahrung bringen, ob die Lehrer(innen) in ihrem Unterricht in Südkorea stärker einem lehrerzentrierten, einem sozialintegrativen oder einem schülerorientierten Ansatz folgten. Die sozialintegrativen Handlungen (z.B. gemeinsames Singen oder das Sprechen über Musik) nehmen dabei einen nicht unbeträchtlichen Anteil im Unterrichtsgeschehen ein. Zum Inhalt ihres Musikunterrichtes gehört danach nicht nur die Vermittlung von Fähigkeiten, sondern damit mindestens gleichgestellt dienen musikalische Aktivitäten ebenso dazu, eine Gruppenvorstellung stärken. Musik wird also auch als ein soziales Mittel eingesetzt.737 Aktionen aber, die einem schülerorientierten Unterricht zuzurechnen sind (wie z.B. Improvisationen, Malen zur Musik, solistisches Singen), sind bis auf die Sonderstellung des freien Bewegens zur Musik seltener anzutreffen als Aktionen, die dem lehrerzentrierten Unterricht zuzuzählen ist (wie z.B. Instrumentenvorstellung, eigenes Instrumentalspiel oder alle direkten Stoffvermittlungen wie die Anwendung einer Rhythmussprache u.ä.). 736 Hier gibt es die o.e. markante Ausnahme, dass 12,2% der Befragten angeben, in jeder Stunde eigene Tanzformen selbst zu entwickeln. 737 Dieses Ergebnis bestätigt Cho Sunis Aussage, dass der Sinn der Musikerziehung sich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Wesen der Musik und dem individuellen Leben, sondern eher auf die sozialen Faktoren bezöge (Cho, Suni [1999], S. 69).

276 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN Welche Unterrichtsinhalte / -aktivitäten betreiben Sie pro Wochenstunde? Wir nutzen Tonträger (CD, mp3 usw.) CD, mp3 Wir singen gemeinsam

8

7

6

5

4

3

2

1

67,3

7,7

9,6

7,7

5,8

1,9

0

0

0

6,96

Ø

25

17,3

15,4

1,9

0

0

0

0

6,87

25

28,8 17,3

19,2

5,8

1,9

1,9

0

0

6,35

Ich stelle Instrumente vor

57,7

23,1 13,5

5,8

0

0

0

0

0

5,99

Kommunikation mit Gesten und Mimik

19,2

26,9 23,1

11,5

5,8

7,7

5,8

0

0

5,96

Wir sprechen über Musik.

15,4

13,5 28,8

19,2

12

9,6

0

1,9

0

5,63

Wir singen mit Instrumentalbegleitung

13,2

15,1 20,8

28,3

11

11

0

0

0

5,57

Wir verwenden eine Rhythmussprache

7,7

19,2

21,2

17

7,7

1,9

0

0

5,48

Wir improvisieren auf Instrumenten

5,8

13,5 23,1

30,8

17

7,7

1,9

0

0

5,29

Wir singen Lieder a capella

11,8

5,9

17,6

43,1

7,8

3,9

5,9

3,9

0

5,16

Ich spiele auf einem Instrument.

11,8

7,8

15,7

35,3

18

5,9

2

3,9

0

5,16

Wir tanzen nach festen Tanzformen

7,7

13,5 15,4

21,2

15

15

9,6

1,9

0

4,83

Wir verwenden europäische und US Musik Wir improvisieren mit der Stimme

13,5

5,8

15,4

30,8

9,6

9,6

5,8

3,8 5,8 4,67

15,4

3,8

11,5

21,2

12

19

7,7

9,6

17,3

15,4 17,3

17,3

19

5,8

3,8

1,9 1,9 4,48

Es gibt Höraufgaben

5,8

11,5 13,5

17,3

15

23

5,8

5,8 1,9 4,42

Wir malen zur Musik

11,5

15,4 23,1

23,1

7,7

3,8

5,8

5,8 3,8 4,31

Wir entwickeln eigene Tanzformen

Wir bewegen uns frei zur Musik

Wir nutzen Bilder und andere Materialien

40,4

0

25

0

4,54

3,8

9,6

5,8

28,8

14

19

7,7

7,7 3,8 4,12

Wir malen graphische Notation

0

1,9

13,5

32,7

17

15

3,8

7,7 7,7 4,04

Wir spielen szenisch zur Musik

0

9,6

9,6

30,8

31

12

0

Wir basteln Instrumente

1,9

3,8

5,8

17,3

25

29

7,7

5,8 3,8 3,84

Wir singen zur CD Begleitung

1,9

1,9

17,3

25

9,6

23

3,8

9,6 7,7 3,83

Wir malen Musik in Noten auf

3,8 3,8

4

0

1,9

7,7

21,2

19

25

7,7

5,8

12

Die Kinder singen solistisch

3,8

1,9

3,8

18,9

15

21

15

13

7,5 3,26

3,56

Wir verwenden traditionelle koreanische Musik Wir solmisieren

0

1,9

1,9

15,4

21

25

9,6

5,8

19

3,01

3,9

0

7,8

13,7

12

20

16

14

14

2,98

Wir verwenden (Korean) Pop music

0

1,9

1,9

13,5

1,9

15

14

12

40

2,13

Tabelle 5: Unterrichtsinhalte / -aktivitäten pro Wochenstunde Im Unterrichtsvollzug werden somit repetierende und dadurch klar messbare Inhalte bevorzugt unterrichtet. Doch interessant ist, dass dies neben dem gleichzeitigen Wunsch der Lehrer(innen) besteht, viel kreativer und freier von curricularen Vorgaben unterrichten zu können. Erstaunlich ist, was bei der Frage nach den Inhalten bzw. der inhaltlichen Zuordnung der Musik zu einzelnen kulturellen Vorstellungen zutage tritt. Die befragten Lehrer(innen) verwenden ein ins Koreanische übersetztes Curriculum, das aus den Vorstellungen der in deutschen Curricula verbreiteten Inhalte und Methoden

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 277

entwickelt wurde. Daher wäre zu erwarten, dass die Frage nach der Anwendung europäischer und US Musik mindestens mit ‚oft‘ beantwortet wird. Sie wird aber nach der Auffassung der Lehrer(innen) nur ‚hin und wieder‘ angewandt [Ø 4,7]. Die Lehrer(innen) haben also entweder eine andere Auffassung von europäischer und US-Musik oder aber sie wenden die curricularen Inhalten nicht an. Bei den durchgeführten Supervisionen konnte kein offensichtliches Widersetzen gegenüber dem Curriculum und dem damit einhergehenden Austausch von Musikinhalten festgestellt werden und auch auf anderen Wegen wurde kein Dissens bekannt. Naheliegend wäre es, zu denken, sie würden Musik aus der koreanischen Tradition oder ggf. Mainstream Musik wie den K-Pop einsetzen. Aber auch diese Vermutung wird nicht bestätigt. Die Lehrer(innen) geben an, nur äußerst selten (Korean) Pop music zu nutzen [Ø 2,1] und die Verwendung traditioneller koreanische Musik geschieht nur geringfügig öfter und ist als ‚recht selten‘ einzustufen. [Ø 3,0]. Daher ist zu fragen, was für eine Auffassung die Lehrer(innen) von europäischer und US Musik haben oder welche Musik sie gegebenenfalls anstatt dessen einsetzen. Deshalb wurden die Lehrer(innen) in einem nächsten Frageblock danach gefragt, wie sie europäische/US Musik und koreanische Musik verstehen und werten. 4.2.4 Deutungen der koreanischen und europäischen/US Musik Um die Einstellungen der Lehrer(innen) zur europäischen/US Musik und zur koreanischen Musik besser verstehen zu können, wurde ein qualitativer Frageblock eingefügt. Die Lehrer(innen) wurden gefragt, ob sie es wichtig oder unwichtig fänden, europäische und/oder US Musik und Musikpädagogik zu lehren und wie sie diese definierten. Die gleiche Fragestellung wurde ihnen bezüglich der koreanischen Musik und Musikpädagogik vorgelegt. Ihre Aussagen sollten sie begründen. 4.2.4.1 Begründungen für das Lernen koreanischer und/oder europäischer/US Musik Zur Auswertung der Aussagen wurden aus den Antworten Kategorien extrahiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Gründe für Zustimmung oder Ablehnung in musikexterne und musikinterne Bereiche eingeteilt werden konnten. Musikexterne Gründe beziehen sich auf die Deutung und Nutzung der Musik. Die häufigste genannte Begründungen für das Lernen der jeweiligen Musik besteht darin, dass durch sie die Charakteristika der Kultur des jeweiligen Landes

278 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

gelernt werden kann, in ihrer de facto Existenz in der jeweiligen Gesellschaft, sowie durch die Existenz interkultureller Familien in Südkorea, durch die unterschiedliche Musiken aufeinander träfen. Als musikinterne Gründe werden Strukturen der Musik, musikalische Zielvorstellungen, das Lernen methodischer Wege, die Ansicht, dass Musik generell durch ihre Struktur gut gelernt werden kann und dass es gut sei, verschiedene Musik zu lernen, benannt. Bei den musikexternen Gründen, die im Bereich des kulturellen Lernens liegen, sagen 30 Befragte, dass das Erlernen koreanischer Musik wichtig sei und das wiederum begründen 29 der Befragten damit, dass koreanische Musik die Charakteristika der Kultur Südkoreas beinhalte. Jedoch begründet keine der befragten Personen dies mit der Auffassung, dass die koreanische Musik in der südkoreanischen Gesellschaft auch vorliege. Nur etwas mehr als halb so viele Lehrer(innen) (17) finden das Erlernen europäischer/US Musik wichtig. Und darin sehen nur 8 der 52 Befragten, dass diese Musik Charakteristika der Kultur eines europäischen Landes oder der USA repräsentiere. 9 Befragte benennen als Grund für das Lehren von europäischer/US Musik in Südkorea, dass sie Teil des realen südkoreanischen Alltags sei. Eine Person führt an, dass die Lehre der europäischen/US Musik wegen der interkulturellen Familien in Südkorea richtig sei. Bei den musikinternen Gründen, also für das Erlernen und Nutzen musikalischen Wissens und musikpädagogischer Fertigkeiten sehen 8 der 52 befragten Personen die koreanische Musik als sinnvollen Inhalt an. Dabei werden musikpädagogische Methoden und Ziele nur jeweils einmal genannt. Umgekehrt wird die Lehre europäischer und/oder US Musik und Musikpädagogik dreieinhalb Mal so oft (28) wie bei der koreanischen Musik musikintern begründet. Mit ihr könnten musikalische Zielvorstellungen (10) und methodische Wege (6) gut erlernt werden. Ausserdem sei sie gut, weil dadurch unterschiedlicher Musik (8) gelernt werden könne. Bei beiden Musikrichtungen wird jeweils viermal genannt, dass durch das Lernen der jeweiligen Musikrichtung Musik an sich gut gelernt werden kann. Das Nutzen oder Erlernen von europäischer/US Musik fanden drei, das der koreanischen Musik vier Personen unwichtig, wobei hier drei der befragten Musiklehrer(innen) als Begründung nannten, dass sie es wegen ihrer Unkenntnis der jeweiligen Musik unwichtig fanden. Es tritt das Phänomen auf, dass sehr viele der befragten südkoreanischen Musiklehrer(innen) die Lehre koreanischer Musik und Musikpädagogik einerseits damit begründen, dass dadurch Charakteristika der Kultur des Landes gelernt werden können, sie aber gleichzeitig das Vorliegen dieser Musik in der südkoreani-

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 279

schen Gesellschaft nicht anführen was einige bezüglich der europäischen/US Musik tun. Auf der anderen Seite werden beim Lehren mit koreanischer Musik erheblich seltener musikpädagogische und musiktheoretische Ziele genannt als bei der Lehre europäischer und/oder US Musik und Musikpädagogik. Für das Lernen und den Einsatz koreanischer Musik werden damit von den Lehrer(inne)n mehrheitlich andere Gründe als bei europäischer/US Musik angegeben. Daher erschien es sinnvoll, nach der Definition der jeweiligen Musik zu suchen. 4.2.4.2 Definition der koreanischen und der europäischen/US Musik Es galt nachzuforschen, mit welchen Parametern sie die jeweilige Musik charakterisieren. Um dies zu eruieren, wurden die südkoreanischen Musiklehrer(innen) gebeten, zu beschreiben, was sie unter ‚koreanischer Musik‘ und ‚europäischer/ US Musik‘ verstehen. Für die Auswertung der Aussagen wurden ebenfalls Kategorien aus den Antworten extrahiert. Wie bei der Frage nach der Wichtigkeit lassen sich hier musikexterne wie musikinterne Definitionen unterscheiden. Diese Definitionen lassen sich in die Antworten einer ‚vorgestellten kulturelle Zuordnung‘, ‚Wirkung, die die Musik auf die südkoreanischen Menschen hat‘ und ‚formale Strukturen in Musik und Sprache‘ unterteilen. 27 der 52 befragten südkoreanischen Musiklehrer(innen) verstehen koreanische Musik als Ausdruck einer gedachten kulturellen Zuordnung. Darunter verstehen sie eine Musik, die die Emotion einer kulturell, national, geographisch oder historisch verstandenen Einheit zum Ausdruck bringt, die als ‚koreanisch‘ gedacht oder empfunden wird. In den Antworten wird zwischen Kultur, Nation und Geschichte in den meisten Fällen nicht differenziert oder sie werden gleichgesetzt. 15 Befragte, also der grösste Teil dieser Antworten beinhaltet die Ansicht, koreanische Musik sei Ausdruck des koreanischen Charakters. Innerhalb dieser Charakterisierung der koreanischen Musik gibt es gegensätzliche Antworten. Die Meinung, die koreanische Musik sei eine den „periodischen Wechsel unseres Landes und die Idee [der Zeit] gut reflektierende [darstellende] Musik“738 besagt, dass die Musik aktuell ist. Hingegen besagt „[…] aber sie ist später nicht weiter [neu] entwickelt worden, jetzt [hat sie], glaube ich, westliche Musik eingesaugt [und] jetzt ist ihre eigentliche Gestalt weggegangen. Zurzeit ist die koreanische Musik die Musik, in die die Koreaner unsere Emotion gefüllt haben.“739, dass die eigent-

738 Teilnehmer(in) D 44. 739 Teilnehmer(in) D 27.

280 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

liche Musik Koreas vergangen ist und von anderer Musik adaptiert wurde. Daneben wird von 10 Befragten eine Wirkung der koreanischen Musik auf die südkoreanischen Menschen postuliert, da sie die Eigenart des Landes widerspiegeln würde. Durch formale Strukturen in Musik definieren nur 12 Befragte koreanische Musik. Dabei ist für 6 Befragte die Verwendung der Instrumentation, für 3 Befragte der Rhythmus, die Melodie und die Harmonie und für weitere 3 Befragte Gattungen und Formen ein Kriterium. Koreanisch als Sprache in Liedern wird von niemandem benannt. Europäische/US Musik wird in markant geringerem Umfang als Ausdruck einer kulturellen Zuordnung charakterisiert. Während 15 Personen koreanische Musik als Ausdruck des koreanischen Charakters beschrieben, wird die europäische/US Musik in den Ohren der Musiklehrer(innen) nur in einem Fall als „die Eigenart jedes einzelnen Landes“740 charakterisiert. Europäische/US Musik wird als Ausdruck einer gedachten nationalen Zuordnung (3 Befragte) und als Ausdruck einer bestimmten Historie (3 Befragte) gekennzeichnet. In allen anderen Fällen wird damit Improvisation und Experiment gemeint, in mehreren Antworten wird „westliche Musik“ mit Freiheit assoziiert und dies teilweise auch in der formalen Struktur der Musik begründet.741 Auffällig ist, dass europäische/US Musik in 5 Antworten als „Vorreiter (Urquell) der Musik“ 742 bezeichnet wird. Dies wird von niemandem bei der koreanischen Musik genannt. Charakteristisch sei die Wirkung der europäischen/US Musik auf südkoreanische Menschen, meinen 8 Befragte, was nur unwesentlich weniger sind als bei den Antworten bezüglich der koreanischen Musik. Insgesamt wird europäische/US Musik von den Musiklehrer(innen) wesentlich formaler durch Rhythmus, Melodie, Harmonie, Gattungen

740 Teilnehmer(in) D 50. 741 Beispiele für die Antworten: „Europäische Musik ist ruhig, still, hat ein undynamisches Gefühl […]. Amerikanische Musik hat ein dynamisches Gefühl“ (D 6); „Freier Ausdruck“ (D 29); „Man kann [in der westlichen Musik] mit natürlichem [ungekünstelten] Spaß improvisieren. Obwohl die Musik gegen die Form verstoßen kann, sollte man verschiedene Formen wissen und kann gegen die einheitliche Form verstoßen“ (D 32) „Ich glaube, dass [durch die] Kindermusik Europas die Kinder frei denken und sich ausdrücken können“ (D 40); „Immer neu experimentierende Musik“ (D 44). 742 Beispiele für Antworten sind, dass die europäische/US Musik „Urquelle der Musik, heutzutage fortschrittliche Musik“ (D 36) sei; „Die westliche Musik (klassische Musik) ist die Basis aller Musik“ (D 37); „Anfang und Entwicklung der Musik ist [westliche] Musik“ (D 49); „Ich denke, die Musik Europas ist der Grundlage des Musiklernens“ (D 51).

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 281

und Formen definiert (23 Befragte). Wo ein Vergleich mit klassischer westlicher Musik angestellt wird, wird die koreanische Musik als schwerer dargestellt; als Begründung dafür wird Unkenntnis oder Unerfahrenheit angeführt. Zusammenfassend gesagt definieren die südkoreanischen Musiklehrer(innen) zum größeren Teil koreanische Musik als Ausdruck einer als ‚koreanisch‘ gedachten Einheit und führen als weiteren Maßstab deren Wirkung auf die koreanischen Menschen an. Die europäische/US Musik wird durch formalere, musiktheoretische Maßstäbe charakterisiert. Darüber hinaus beinhaltet sie aber auch externe Charakteristika und gilt als Träger von Improvisation, Experiment und Freiheit. Dass diese teilweise auch in der (klassischen) koreanischen Musik anzutreffen sind, wird von keiner/m der Befragten aufgegriffen. Immerhin 4 Befragte sprachen auch von der Unkenntnis der koreanischen Musik. Damit messen sie die Musikrichtungen in wesentlichen Teilen mit unterschiedlichen Maßstäben. Eine Anwendung beider Musikrichtungen wird im Unterricht deshalb dadurch erschwert, dass ihnen von Anfang an unterschiedliche Deutungen zugemessen werden.743 Zugespitzt liegt die Tendenz vor, dass in den Deutungen der befragten Musiklehrer(innen) die koreanische Musik für eine ideelle kulturelle Charakteristik zuständig ist, die europäische/US Musik für die Praxis musikpädagogischer Anwendung. Dem entspricht der Umstand, dass von ein paar Kinderliedern und Ausnahmen abgesehen das Spielen und Erklingen traditionell koreanischer Musik nicht mehr Teil des alltäglichen Lebens in Südkorea ist, sondern als Aushängeschild Koreas gedeutet und als ideeller Ausdruck einer koreanischen Identität nach innen den Schüler(innen) vermittelt wird. Da dem, wenn auch mit einigen Ausnahmen, oft keine real erklingende Praxis im Lebensvollzug entspricht, bleibt es eine Vorstellung, die mit den bestehenden Kenntnissen der Menschen in Südkorea kaum verbunden ist.744 Dadurch lässt sich auch der auffällige Querstand erklären, dass

743 Dass die Deutung der Musik die Inhalte bestimmt und sie nicht aus einem essentiellen Zustand verstanden werden können, zeigen auch Choi, Jung Bong und Roald Maliangkay in ihren Studien zu dem Erfolg von K-Pop in Ländern auch außerhalb von Südkorea: „Even though K-Pop is inextricably tied to the culture, economy, and politics of South Korea, the primary site of concern for international fans is their own locality and its cultural milieus. The site-specificity of K-Pop culture compels us to shift the focus away from K-Pop to what K-Pop means to local fans and how they use.“ (Choi, Jung Bong; Maliangkay, Roald [2015], S. 7). 744 Hierzu passt ein Erlebnis aus dem Ausbildungsunterricht in Südkorea: Eine Musiklehrerin, die das Spielen Gayageum (eine Wölbbrettzither), gelernt hatte, brachte diese in den Unterricht mit. Mit allen Beteiligten wurde dann unter Einbezug der Gayageum ein Musikstück entwickelt. Schon die beteiligten südkoreanischen Musiklehrer(innen)

282 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

die befragten Lehrer(innen) einerseits koreanische Musik als Ausdruck eines koreanischen Charakters deuten, andererseits aber ein Vorliegen der koreanischen Musik nicht benennen. Anders gesagt: Es werden kulturelle Gründe für das Erlernen koreanischer Musik angeführt, aber diese scheint gar nicht real wirksam zu sein. Interessant ist daher die Frage, ob diese Deutung der Begriffe einer koreanischen und einer europäisch/US Musik mit zweierlei Vorstellungen (öfters formalmusikintern gegen charakterisierend-musikextern) denen der Dozent(inn)en im Transfergeschehen entspricht oder different ist. Dies ist umso wichtiger, als Carl Orff immer forderte, „die jeweils einheimischen Kinderlieder und -reime“745 aufzugreifen, also das ‚einheimische Material‘ zu nutzen, statt etwas zu importieren. Ich finde es wichtig/unwichtig…. zu lehren,… Anzahl der Antworten: 1 Gründe des kulturellen Lernens (musikextern) 1.1 um Charakteristika der Kultur des Landes zu lernen 1.2 weil die Musik in der Gesellschaft vorliegt 1.3 wegen der interkulturellen Familien 2 Pädagogische und musikinterne Gründe 2.1 musikalische Zielvorstellungen 2.2 methodische Wege 2.3 weil Musik dadurch gut gelernt werden kann 2.4 um verschiedene Musik zu lernen 3.Es ist nicht wichtig 3.1 wegen Unkenntnis 4.1 Ohne Begründung oder unklar 4.2 Keine Aussage

europäische / US Musik n = 56

koreanische Musik n = 55

17 8 9 0

30 29 0 1

28 10 6 4 8

8 1 1 4 2

3

3

3 5

3 5

1 3 6 7

4 6 7

Tabelle 6: Stellenwert und Ziele der koreanischen und US/europäischen Musik

waren von diesem ihnen weitgehend fremde Instrument und dessen differenzierte Klangmöglichkeiten angetan. In einer später stattfindenden Aufführung waren nicht weniger südkoreanische Zuschauer(innen) erstaunt, dass ein solches Instrument in einer dem europäischen Lernsystem entspringenden Aufführung so nahtlos erklingen konnte. 745 Orff, Carl (1963), S. 18. Diese Idee wurde von vielen Autor(inn)en, die sich mit dem Orff-Schulwerk beschäftigten, aufgegriffen. Als Beispiel dafür sei hier die Aussage von Michael Kugler angeführt: „Die interkulturelle Dynamik des OSWs führt zunächst einmal zu einer intensiven Suche der OSW-Lehrer nach authentischen Traditionen in den Bereichen Musik, Tanz und Spiel. Sie führt weiterhin zu ethnomusikologischen Kontakten und Aktivitäten, um noch mehr zu entdecken und um die Adaptierbarkeit des entdeckten Materials zu prüfen.“ (Kugler, Michael [2008], S. 33)

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 283

Definition der koreanischen und der europäischen/US Musik Anzahl der Antworten: 1 Nach einer gedachten kulturellen Zuordnung 1.1 Ausdruck des koreanischen / westlichen Charakters 1.2 Nach einer gedachten nationalen Zuordnung 1.3 Nach geographischen Gesichtspunkten 1.4 Nach historischen Gesichtspunkten 1.5 Vorreiter (Urquell) der Musik 2 Nach Wirkung, die die Musik auf die südkoreanischen Menschen 3. Nach formalen Strukturen in Musik und Sprache 3.1 Rhythmus, Melodie, Harmonie 3.2 Gattungen und Formen 3.3 Verwendung von Instrumenten 3.4 Sprachliche Charakteristika 3.5 Sich entwickelnde Musik 4 Im Vergleich mit westl./kor Musik 5. Als Gleichsetzung mit kor./europäischen, klassischer Musik Ohne Anmerkung Unklar oder am Thema vorbei

europäische/ US Musik n = 62 12 1 3 0 3 5 8 8 1 4 13 3 1 1 2

23

4 9 4

koreanische Musik n = 61 27 15 4 2 6 0 10 10 13

2

3 3 6 0 1 1

1

4

1

1

9 4

7 2

7 2

Tabelle 7: Definition der koreanischen und/oder US/europäischen Musik 4.2.5 Methodische Fragen nach den Aktivitätsformen der Kinder und Lehrer(innen) Den Fragen nach den Aktivitätsformen der Kinder und Lehrer(innen) liegen ebenfalls Beobachtungen der Dozent(inn)en aus dem Unterricht und den Supervisionen zugrunde. Die Dozent(inn)en hatten immer wieder berichtet, dass die Lehrer(innen) in Gesprächen zwar die kreative Seite beim Musikunterricht benannten, im realen Unterricht jedoch selten anwandten. Da die Dozent(inn)en außerhalb der Supervisionen kaum Möglichkeiten hatten, Einblicke in die realen Unterrichtsabläufe zu nehmen, sollte in Erfahrung gebracht werden, wie die Lehrer(innen) steuernd und kreativ-experimentell im Unterricht verfahren wollten (4.2.5.1) und wie oft sie es im Unterricht auch real taten (4.2.5.2). 4.2.5.1 Fragen nach den gewünschten Aktivitätsformen Gefragt wurde auf einer vierstufigen Skala von sehr wichtig [4] bis unwichtig [1] nach den gewünschten Aktivitätsformen im Unterricht. Über 60% aller befragten Lehrer(innen) setzten die Anforderungen durch Imitieren Anderer Musik lernen [Ø 3,6] an erste Stelle ihrer methodischen Ideen. Imitationslernen ist in Südkorea

284 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

weit verbreitet und insofern erscheint dieses Ergebnis wenig überraschend. Ebenfalls wichtig, doch dahinter zurück bleiben für die Lehrer(innen) die Anforderungen von sich aus zu musizieren und Musik entwickeln zu können [Ø 3,39] und durch Ausprobieren und Experimentieren Musik zu lernen [Ø 3,39], also zwei dem entdeckend-kreativen Bereich zuzuordnende Tätigkeiten. Die Zweitrangigkeit dieser Methode entspricht in etwa auch ihrem eigenen Wunsch (siehe 4.2.2.2). Auch durch Eigenaktivitäten musikalische Zusammenhänge erkennen [Ø 3,16] und sich musikalische Zusammenhänge zusammen erschließen zu können [Ø 3,20] werden als wichtig eingestuft, bleiben aber hinter den Erstgenannten zurück. Methodisch ist so imitierendes Tun führend. Daraus zu schließen, dass für die befragten Lehrer(innen) dieses auch zu vorgefertigten Zielen führen solle, erweist sich als falsch. Denn als eher unwichtig werden methodische Hinweise und Zielkategorien wie ein vorgegebenes musikalisches Ziel erreichen [Ø 3,16], beim Improvisieren möglichst keine Fehler zu machen746 [Ø 2,41] und klare Formen üben [Ø 2,75] eingestuft. Damit bestätigt sich die Zweitrangigkeit von vorgegeben, überprüfbaren Zielen. Die Zweitrangigkeit dieser Zielvorstellung für die befragten Lehrer(innen) ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich von einer sichtbar vorgegebenen ergebnisorientierte Schulung zu mehr Offenheit in Zielvorgaben und Freiheit im Unterrichtsgeschehen bewegen wollen. Die Implikation, dass dazu auch andere methodische Wege vonnöten wären, wird weitaus seltener aufgegriffen. Parallel zu den Fragen nach den gewünschten steuernden oder kreativ-experimentellen Aktivitätsformen ging es darum, nach Unterrichtsaktionen zu fragen, deren Einbezug von den Dozent(inn)en in der Fortbildung zwar gefordert wurde, aber der Eindruck entstanden war, dass die Lehrer(inne)n deren Sinn nur teilweise verstanden zu haben schienen. Dazu gehörte das freie Gewähren Lassen der Kinder beim Musizieren (durch Spielen Musik lernen), der Einbezug des Sachbereiches ‚Bewegung‘ (sich körperorientiert musikalische Zusammenhänge erschließen) und das Nutzen musikfremder Mittel. Ganz oben auf der Liste steht das Musiklernen durch Spielen [Ø 3,65] und sich körperorientiert musikalische Zusammenhänge erschließen zu können [Ø 3,61], was 64,7% bzw. 60,8% aller Befragten als sehr wichtig einstufen. Das Nutzen musikfremder Mittel (z.B. Malen etc.) [Ø 3,29] hingegen steht in der Wichtigkeit zurück. Nur 43,1% empfinden dessen Einsatz als wichtig. Spielen als Methode wird seit dem Einzug der modernen Pädagogik in Südkorea (Dewey usw.) immer wie-

746 Dabei finden es immerhin 40,2% sehr wichtig bis wichtig, beim Improvisieren keinen Fehler zu machen (15,7% sehr wichtig, 25,5% wichtig). Gefragt werden konnte leider nicht mehr, was sie unter Fehlern beim Improvisieren verstanden.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 285

der zumindest theoretisch gefordert. Die Aufforderung zu körperorientiertem Erschließen musikalischer Zusammenhänge überrascht, haben die Lehrer(innen) doch mit Ausnahme der freien Bewegung747 alle mit Bewegung und Tanz im Zusammenhang stehenden Aktionen eher als nachrangig beurteilt. Auffallend ist weiter, dass es bei der Frage nach den gewünschten Aktivitätsformen ein Gefälle zwischen dem bevorzugten entdeckend-kreativen Erschließen und dem deutlich unwichtiger genommenem Repetieren vorgegebener musikalischer Inhalte gibt. Der Wunsch, dass die Schüler(innen) selbsttätig agieren wird also durchaus anerkannt, kollidiert aber mit den Aussagen der Befragten, die nach einem festgelegten Lehrplan unterrichten (müssen) und dass das zu einer Einschränkung der Eigenaktivitäten der Kinder führt. Die Lehrer(innen) zeigen, dass sie in einem Dilemma zwischen Lehrplan und Freiheit der Eigengestaltung stehen.

Die Kinder und die Lehrer(in) sollen…

sehr wichtig

wichtig

4

3

unwichtig

ganz unwichtig

2

Ø

1

durch Spielen Musik lernen

64,7 35,3

0

0

3,65

sich körperorientiert musikalische Zusammenhänge erschließen

60,8 39,2

0

0

3,61

durch Imitieren anderer Musik lernen

62,7 35,3

2

0

3,61

43,1 52,9

3,9

0

3,39

51 37,3

11,8

0

3,39

43,1 43,1

13,7

0

3,29

33,3 52,9

13,7

0

3,2

35,3 45,1

19,6

0

3,16

ein vorgegebenes musikalisches Ziel erreichen

21,6 72,5

5,9

0

3,16

klare Formen üben

11,8 51

37,3

0

2,75

beim Improvisieren möglichst keine Fehler machen

15,7 25,5

43,1

16

2,41

durch Ausprobieren und Experimentieren Musik lernen von sich aus musizieren wollen und Musik entwickeln können intermedial lernen, also auch nichtmusikalische Materialien verwenden sich musikalische Zusammenhänge zusammen erschließen durch Eigenaktivitäten musikalische Zusammenhänge erkennen

Tabelle 8: Frage nach Aktivitätsformen der Kinder

747 Allerdings müssen diesen Aussagen Beobachtungen aus den Supervisionen an die Seite gestellt werden, wonach den Kindern zwar diverse Male Freiheit gelassen wurde. Dieses geschah aber in der den meisten Fällen unstrukturiert, sodass es zwar ein ‚frei von‘ aber kein ‚frei zu‘ gab. Auch Fragen im Unterrichtsnachgespräch förderten oftmals nur zutage, dass den Lehrer(inne)n die Problematik eines unstrukturierten, nicht auf die Musik bezogenen Umganges mit der Bewegung nicht immer klar war.

286 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

4.2.5.2 Fragen nach den realen Aktivitätsformen der Kinder im Unterricht In einem zweiten Frageblock wurde nach den tatsächlichen Aktivitätsformen der Lehrer(innen) gefragt. Diese Fragen sollten klären, wie oft im realen Unterricht steuernd von den Lehrer(innen) eingegriffen und wie oft kreativ-experimentelle Aktionen im Unterricht zugelassen werden. Gefragt wurde auch hier auf einer Skala von immer [4] bis nie [1] nach den real durchgeführten Aktivitätsformen der Kinder und der Lehrer(in). 74,5% aller Lehrer(innen) ließen die Kinder immer im Kreis sitzen oder stehen [Ø 3,7]. Dies ist nachvollziehbar, da eine Gruppenbildung in Südkorea wichtig ist und auch in der Schulung der musikalischen Früherziehung die Kreisform regelmäßig angewandt wird. Das Unterrichten nach einem festgelegten Lehrplan [Ø 3,4] bekommt ebenfalls einen hohen Stellenwert zugesprochen. Da den befragten Lehrer(innen) ein Curriculum vorliegt, nach dem sie unterrichten und das Unterrichten nach vorgefertigten Plänen täglicher Usus in südkoreanischen Schulen ist, erstaunt es kaum, dass 60,8% aller befragten Lehrer(innen) mit ‚immer‘ antworten. Viel erstaunlicher ist, dass immerhin 23,5% nur ‚manchmal‘ oder ‚nie‘ antworten. Von diesen 23,5% unterrichtet der überwiegende Teil erst ein Jahr in der Musikschule. Das könnte bedeuten, dass entweder, je länger sie unterrichten, desto mehr lehrplankonform unterrichten oder dass hier der Wunsch nach eigener Gestaltung zum Tragen kommt, der im Laufe der Unterrichtspraxis immer mehr hintangestellt wird. Das Musizieren mit der ganzen Gruppe [Ø 3,0] ist normaler Alltag in südkoreanischen Schulen und von daher ist es eher verwunderlich, dass diese Tätigkeit nicht noch mehr Zuspruch erhalten hat, denn immerhin 25,5% aller befragten Lehrer(innen) beantworten die Frage nur mit ‚manchmal‘. Diese 25,5% verteilen sich unabhängig von ihrer Lehrerfahrung auf alle Fortbildungsjahrgänge. Stichprobenartige Nachfragen innerhalb der Supervision ergaben, dass es sich in vielen Fällen um im Solospiel ausgebildete Instrumentalmusiker(innen) handelte, denen der Sinn des gemeinsamen Musizierens (Gruppenbildung, voneinander lernen, aufeinander hören) außerhalb der tradierten Form nicht so wichtig war oder die darüber weniger nachgedacht hatten. Die Verwendung des Frontalunterrichts [Ø 2,6] wird sehr unterschiedlich gehandhabt. 24% nutzen den Frontalunterricht manchmal und 30% oft, aber eben auch 28% nur manchmal und 18% geben an, ihn nie zu nutzen. Ein großer Teil der Lehrer(innen) führt zwar einen Gruppenunterricht durch, der das Gemeinsame betont. Eine methodisch eindeutige Arbeitsform lässt sich daraus aber nicht ableiten. In diversen Nachgesprächen nach den Supervisionen traten auch immer wieder die Aussagen auf, dass die Lehrer(innen) mit ungeplanten Situationen schwer

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 287

zurechtkommen könnten.748 Eine Methodenvielfalt, die auch nicht im Curriculum vorausgesehene Wege zuließ, war für einige der Lehrer(innen) unüblich, für manche sogar, wie in Einzelgesprächen gesagt wurde, geradezu schwer vorstellbar. Andere Lehrer(innen) versuchten, sich mit unvorhergesehenen Situationen zu arrangieren und wichen auch von Vorgaben ab. Die hier gegebenen Antworten der Lehrer(innen) bestätigen diese Supervisionseindrücke. Unterstützt wird dies noch dadurch, dass am Ende der Skala das dem eher kreativen Bereich zuzuordnende Improvisieren eines Unterrichtablaufes steht. 23,5% sagen, dass sie es immer oder oft täten, jedoch 76,5% setzen es nur manchmal oder nie ein. Jenseits des Gruppenunterrichts erhalten der Unterricht in Kleingruppen oder Paaren [Ø 2,8] oder der Übertrag solistischer Aufgaben an die Kinder [Ø 2,5] geringere Wertschätzungen. Dass Lehrer(innen) Kinder Musik improvisieren lassen [Ø 2,98] kommt häufiger vor. 58,8% tun dies oft und immerhin 19,6% immer. 21,6% lassen dies manchmal zu. Das Improvisieren wird also durchaus im Unterricht angewandt. Es geschieht offensichtlich vor allem im instrumentalen Bereich. Im Singen und in der Bewegung wird es weniger angewandt. In Gesprächen im Unterricht kam dabei immer wieder heraus, dass das experimentelle Vorstellen von Klängen bei der Instrumenteninformation oder in solo-tutti Spielen auf Instrumenten geübt wurde. In anderen Sachbereichen hingegen erschien es den Musiklehrer(inne)n wesentlich weniger plausibel. Dass sie den Unterricht steuern [Ø 2,92] sagen 17,6% und dass sie es oft täten 56,9%. Dass sie nur manchmal den Unterricht steuern sagen 25,5%. Eine besondere Häufung von Aussagen in bestimmten Fortbildungsjahrgängen oder abhängig von der Lehrerfahrung der Teilnehmer(innen) findet dabei nicht statt. Es ist zu bedenken, dass auf dem Hintergrund des Vorliegens eines Unterrichtplanes, den Erwartungen der Eltern und der Erfahrung des eigenen Schul- und Hagweonunterrichtes, in dem das Steuern des Unterrichts weit verbreitet und üblich ist, die 25,5%, die manchmal den Unterricht steuern, ein erstaunlich niedriger Wert sind. Es zeigt, dass auch das Zulassen von Eigenaktivitäten der Kinder von etwa einem Viertel der Lehrer(innen) gewünscht und tatsächlich auch zugelassen wird. 49% erklären, dass sie oft und 33,3%, dass sie manchmal Stunden neu entwickeln [Ø 2,84]. Ein stetes neues Entwickeln von Stunden in Eigenverantwortung

748 Jürgen Wiechmann, der über den Begriff des ‚Frontalunterrichtes‘ forschte, schreibt passend dazu: „…der Frontalunterricht betont ein planvoll vorbereitetes, lehrergelenktes Erarbeiten der Unterrichtsinhalte, während das gelenkt-entdeckende Lernen trotz aller notwendigen Vorbereitungen nur gelingen kann, wenn besondere situative Momente aufgegriffen werden.“ (Wiechmann, Jürgen [2006]), S. 22)

288 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

widerspricht der südkoreanischen Erziehungsrealität. Andererseits ist ein statisches Festhalten auch nicht erwünscht. Bei einer in Südkorea nach wie vor relativ neuen Idee wie der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff existiert etwas Bewährtes, Überprüfbares nicht. Daher ist ein Rückgriff auf bekannte Modelle aus der eigenen Lernbiographie naheliegend. Mehrere Lehrer(innen) äußerten im Unterricht, dass sie als Schüler(innen) selbst im Musikunterricht fast ausschließlich üben und repetieren mussten. Doch diese Methode wird von den Lehrer(innen) nur teilweise weitergeführt. Nur 9,8% der Befragten lassen die Kinder eine vorgestellte Musik imitieren, 41,2% oft, aber mehr als etwa die Hälfte tut dies nur manchmal oder nie. Ähnliches gilt für das Üben. Nur 5,9% der Befragten lassen die Kinder immer üben, 39,2% oft, aber mehr als die Hälfte tut dies nur manchmal oder nie. Beide Punkte finden sich dadurch im unteren Bereich der Skala wieder. Es ist ersichtlich, dass mindestens die Hälfte der Lehrer(innen) Wege suchen, die mehr als das rein repetierend Übende beinhalten. Der Sachbereich ‚Bewegung‘ wird im Unterricht aufgenommen. 37,2% unterrichten immer durch körperliche Bewegung 49% oft und nur 13,7% manchmal. Keine Person verneint den Einbezug der Bewegung. Auf den Bewegungsdrang der Kinder Rücksicht zu nehmen und ihn zum Lernen in der musikalischen Früherziehung zu nutzen, ist den Lehrer(inne)n in der Fortbildung immer wieder vermittelt worden. Allerdings sagt diese quantitative Aussage noch nichts über die qualitativen Inhalte der Bewegung. Die beiden Punkte Ich lasse musikalische Selbsttätigkeit der Kinder zu [Ø 3,2] und Ich rege die Kinder zu Eigenaktivitäten an [Ø 3,1] werden ebenfalls recht häufig durchgeführt. Wie aber schon bei der Aussage, dass durch Eigenaktivitäten musikalische Zusammenhänge erkannt werden sollen, kollidiert auch diese Tätigkeit mit den Eigenaussagen der Lehrer(innen), nach einem festgelegten Lehrplan unterrichten zu müssen. Der bereits angesprochene Verdacht, dass die Lehrer(innen) hier in einem Dilemma zwischen Lehrplan und Freiheit der Eigengestaltung (Müssen gegen Wollen) eingeengt sind, verhärtet sich dadurch. Bei den angewandten realen Aktivitätsformen der Lehrer(innen) im Unterricht zeigt sich zwar ein Überwiegen der steuernden Eingriffe. Ein Lehrplan wird befolgt und improvisatorische Aktionen innerhalb einer Stunde müssen dahinter zurückstehen. Andererseits werden Bewegung, musikalische Selbsttätigkeit der Kinder und eine Motivation der Eigenaktivitäten durchaus geschätzt. Improvisationen und ein eigenes Entwickeln von Stunden werden aber von den Lehrer(innen) seltener durchgeführt. Es scheint hier eine methodische Schwierigkeit zu bestehen, die vorliegenden Modelle in Eigeninitiative weiterentwickeln zu können.

Q UANTITATIVE D ATENERHEBUNG: FRAGEBÖGEN | 289

immer Ich als Lehrer(in)

manchmal

oft

nie

Ø

4

3

2

1

Ich lasse die Kinder im Kreis sitzen oder stehen

74,5

23,5

2

0

4,24

Ich unterrichte nach einem festgelegten Lehrplan

60,8

23,5

13,7

2

3,43

Ich lasse die Kinder sich viel bewegen

37,3

49

13,7

0

3,24

Ich lasse musikalische Selbsttätigkeit der Kinder zu

37,3

47,1

15,7

0

3,22

Ich rege die Kinder zu Eigenaktivitäten an

32

44

24

0

3,08

Ich musiziere mit der ganzen Gruppe

27,5

47,1

25,5

0

3,02

Ich lasse die Kinder Musik improvisieren

19,6

58,8

21,6

0

2,98

Ich steuere den Unterricht

17,6

56,9

25,5

0

2,92

Ich entwickle Stunden neu

17,6

49

33,3

0

2,84

Ich unterrichte in Kleingruppen oder Paaren

15,7

51

31,4

2

2,8

Ich unterrichte frontal

24

30

28

18

2,6

Ich lasse die Kinder vorgestellte Musik imitieren

9,8

41,2

47,1

2

2,59

Ich übertrage solistischer Aufgaben

9,8

31,4

52,9

5,9

2,45

Ich lasse die Kinder Musik üben

5,9

39,2

47,1

7,8

2,43

Ich improvisiere innerhalb meiner Stunde meinen Unterrichtsablauf

3,9

19,6

70,6

5,9

2,22

Tabelle 9: Frage nach realen Aktivitätsformen der Lehrer(innen)

5. Qualitative Datenerhebung: Interviews mit Dozent(innen)

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden nach der Erhebung mit Fragebögen sechs qualitative Interviews mit Dozent(inn)en aus Deutschland, Österreich und Südkorea durchgeführt. Sie arbeiten seit vielen Jahren aktiv im Transfer der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff von Deutschland und Österreich nach Südkorea und sind darin entweder im Rahmen der Zusammenarbeit über die Orff-Schulwerk Gesellschaften oder zwischen einem Hagweon und einer deutschen Akademie tätig. In den folgenden Ausführungen werden die einzelnen Aussagen zusammengefasst. Der Fokus liegt dabei auf der Darstellung und Analyse von Deutungen und Vermittlungsstrategien der musikalischen Früherziehung im Hinblick auf die Forschungsfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens.

5.1 D ATENERHEBUNG 5.1.1 Die Umstände, unter denen die Interviews geführt und ausgewertet wurden Die sechs Interviews wurden zwischen September 2012 und Juni 2013 in Hamburg, München, Seoul und Daegu geführt. Bis auf ein Interview, das in einem Restaurant aufgenommen werden musste, konnten alle anderen Gespräche in geschützten Räumen wie Konservatorium, Musikschule, Büro oder Wohnung geführt werden. Sie dauerten zwischen 24 und 40 Minuten, allerdings kamen, als der Rekorder schon längst abgeschaltet war, noch zum Teil sehr lange Nachgespräche hinzu.

292 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Die Gespräche wurden mit einem digitalen voice Rekorder Olympus DM-550 aufgezeichnet. Unmittelbar nach den Interviews wurden die Umstände der jeweiligen Interviews dokumentiert. 749 Danach wurde das gesammelte Material auf Festplatten gezogen. Die daran anschließende Transkription erfolgte mithilfe der f4 Software. Im Laufe der Auswertung des Datenmaterials erwies es sich als sinnvoll, auf die Auswertungssoftware maxqda 11.0.2 zurückzugreifen. Bei der Übersetzung der Interviews, die in Südkorea auch auf Koreanisch geführt wurden, bestand eine Problematik im Umgang mit Fachwörtern und Dialekten, mithin also, welche Bedeutung ihnen von den interviewenden und den interviewten Personen aus ihrem jeweiligen Kontext heraus gegeben wurde. Die Interviews wurden koreanischen Muttersprachlern vorgelegt, mit ihnen besprochen und diskutiert, damit eine in Deutschland nachvollziehbare Übersetzung vorgelegt werden konnte. 5.1.2 Die Interviewpartner(innen) Bei der Auswahl der Interviewpartner erschien es sinnvoll, Dozent(inn)en zu finden, die in unterschiedlichen Zusammenhängen und Zeiten den Transfer der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff von Deutschland bzw. Österreich nach Südkorea gestaltet haben. Ebenso war es wichtig, dass diese aus beiden Gebieten kamen und mit der jeweils dortigen Geschichte, Kultur und Musik aufgewachsen waren. Daraus leiteten sich für die Auswahl der Interviewteilnehmer(innen) folgende Kriterien ab: x Die Dozent(inn)en sollten eine entweder europäische oder südkoreanische Sozialisation aufweisen oder beides kennengelernt haben. x Die Dozent(inn)en sollten unterschiedlichen Alters sein, also einmal Personen, die noch zu Orffs Lebzeiten von ihm gelernt haben (1970/80er Jahre) und andere, die nach Orffs Lebzeiten im Transfer unterrichteten und unterrichten. (1990/2000er Jahre). x Die Dozent(inn)en sollten jahrelang im Transfer der musikalischen Früherziehung zwischen Deutschland/Österreich und Südkorea sowohl in der Fortbildung der Lehrer(innen) als auch mit Kindern gearbeitet haben. x Die Dozent(inn)en sollten alle eine formale Qualifikation, also einen Abschluss in ‚Elementarer Musikpädagogik‘, ‚Allgemeine Musikerziehung‘ oder gleichwertiges im musikpädagogischen Bereich erreicht haben.

749 Die Dokumentation erfolgte in Rückgriff auf die Systematik von Froschauer, Ulrike; Lueger, Manfred (2003), S. 74f.

Q UALITATIVE D ATENERHEBUNG: I NTERVIEWS | 293

Nach längerer Recherche in Literatur und Medien, sowie durch Gespräche kristallisierten sich dann interessante Interviewpartner(innen) heraus. Diese Interviewpartner(innen) wurden zunächst angeschrieben. Sie waren der Forschung und dem Thema gegenüber aufgeschlossen, sodass drei deutsch-österreichische und drei südkoreamische Dozent(inn)en interviewt werden konnten. Alle Interviewpartner(innen) arbeiten oder arbeiteten in der Fortbildung von Musiklehrer(inne)n für elementare Musikerziehung sowohl in Deutschland als auch in Südkorea. Sie entstammen zwar ihrem jeweiligen Gebiet (Deutschland/Österreich und Südkorea), waren aber im Laufe ihrer Fortbildungstätigkeit in beiden Gebieten vor Ort aktiv. Die Namen der interviewten Dozent(inn)en [DOZ] werden anonymisiert wieder gegeben; lediglich die Daten, die ihre Zuordnung zum Forschungsthema transparent werden lassen, werden den Interviews kurz voran gestellt. Obwohl sowohl männliche wie weibliche Interviewpartner(inne)n befragt wurden, wird der einfachen Lesbarkeit halber im Folgenden bei der konkreten Zuordnung des Begriffes ‚Dozent(in)‘ zu einer Person stets die weibliche Form ‚Dozentin‘ verwendet. Interviewpartner(innen) in Deutschland und Österreich DOZ A lebt in Deutschland, hat aber auch in Südkorea gelebt, kannte Carl Orff noch persönlich und hat bei ihm studiert. DOZ A schildert, dass sich Südkorea in den letzten Jahren gegenüber den 1960er Jahren, als das Land noch ‚Dritte Welt‘ gewesen sei, vollkommen verändert habe. Die Generation, die heute in Südkorea lebe, könne sich die Umstände gar nicht mehr vorstellen. Heute lehrt DOZ A an einer Hochschule. DOZ B lebt in Deutschland und Österreich. Im Rahmen des Transfers gibt sie seit etwa zwei Jahrzehnten weltweit Kurse über das Orff-Schulwerk. So lehrte sie zeitweilig unter anderem in China und auch in Südkorea. Sie ist Dozentin an einer Hochschule. DOZ C lebt in Deutschland und stellte auf Anfrage eines Hagweons in Südkorea hin ein Curriculum für musikalischen Früherziehung für den Unterricht in Südkorea zusammen und unterrichtete über mehrere Jahre hinweg südkoreanische Musiklehrer(innen) in Deutschland und Südkorea. DOZ C lehrt heute an einem Konservatorium. Interviewpartner(innen) in Südkorea DOZ D kam auf Empfehlung eines Professors nach Deutschland und studierte bei Carl Orff. Zurück in Südkorea fing sie an, nach dessen Musikpädagogik in Süd-

294 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

korea zu unterrichten. Sie publizierte Schriften, unterrichtete in Aus- und Fortbildungen und wirkte bei der Ausgestaltung des Orff Schulwerks in Südkorea entscheidend mit. DOZ D leitet heute einen Kindergarten. DOZ E beschäftigte sich mit dem Thema ‚Carl Orff‘ in ihrem Studium in Deutschland und publizierte darüber. Koreaner(innen) in Südkorea studieren bei ihr elementare Musikerziehung und wenden diese in ihrer späteren Arbeit, die sich vorwiegend im schulischen Rahmen abspielt, an. 750 Daneben war sie zeitweilig an der Ausgestaltung des Orff Schulwerks in Südkorea tätig. DOZ E ist heute Professorin für Musik an einer Universität. DOZ F hate im Bereich ‚Musical‘ gearbeitet und studierte in Deutschland ‚elementare Musikpädagogik‘. Diesen Musikunterricht empfand sie als ihrer Art entsprechend, weil sie darin ebenfalls musizieren, singen, und tanzen konnte. Nach Südkorea zurückgekehrt arbeitete sie drei Jahre lang im Kindergarten.751 Heute leitet sie eine Musikschule und ist daneben an der aktuellen Ausgestaltung des Orff-Schulwerks in Südkorea maßgeblich beteiligt. 5.1.3 Inhalte der Interviewfragen Um einer Beantwortung der Forschungsfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens in einem Transfer musikpädagogischer Systeme näher zu kommen, mussten die Interviewgespräche unterteilt und konkretisiert werden. Eine solche Konkretisierung besteht in Fragen nach inhaltlichen, kulturellen, sozialen und historischen Bedeutungen der musikalischen Früherziehung, wie sie die Dozentinnen in Deutschland/Österreich und in Südkorea aus ihrem Blickwinkel und aus ihrem eigenen pädagogischen und kulturellen Umfeld heraus begreifen. Die Leitfadenfragen sind eingeteilt in Fragen nach ihren Definitionen von Begriffen, dem geistesgeschichtlichem Hintergrund, Fragen nach den Zielen, nach den Inhalten und nach den Umständen des Unterrichtes. 5.1.4 Kategorien Bei der Auswertung der Interviews wird auf die Konzepte der qualitativen Inhaltsanalyse zurück gegriffen, wie sie von Mayring752 und Kuckartz753 dargestellt wur-

750 DOZ E 40ff. 751 DOZ F 97. 752 Mayring, Philipp (2010). 753 Kuckartz, Udo (2012).

Q UALITATIVE D ATENERHEBUNG: I NTERVIEWS | 295

den. Genau genommen handelt es sich um eine Kombination aus einer strukturierenden Inhaltsanalyse754 und einer evaluierende Analyse.755 Zunächst wurden im Sinne einer strukturierenden Inhaltsanalyse Kategorien gebildet. Dabei sind dann für einzelne, besonders interessante Bereiche evaluativ Kategorien definiert und mit Kategorien aus der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse in Verbindung gesetzt worden. Die Interviews haben sich weitgehend am Interviewleitfaden entlang bewegt. Dadurch waren die Transkriptionen der Interviews in Themenkreise vorgegliedert, sodass sie zum Ausgangspunkt der Hermeneutik wurden. Insofern ist diese Arbeit zunächst deduktiv angelegt. Bei der Auswertung konnten dadurch die jeweiligen Teile der Transkriptionen einzelnen Themenkreisen zugeordnet werden. Allerdings sind diese Kategorien aus nur einem Blickwinkel geschaffen. Denn im „komparativen Forschungsprozess ist der Forschende in besonders starker Weise versucht, das Gesehene in der einen oder anderen Weise direkt zu bewerten. Der auf musikpädagogische Sachverhalte fokussierte Blick evoziert – das zeigt u.a. die Lehrbuchanalyse – unmittelbar einen Vergleich mit gewohnten Arrangements und wird im guten Fall die Unterschiede feststellen und fortsetzen diese zu untersuchen, im schlechten das Repertoire, die Unterrichtsmethodik und ggf. die Illustration der Lehrwerke nach dem Augenschein mit entsprechenden Begriffen sogleich bewerten oder gar kritisieren. Wird die forschende Haltung nicht reflektiert oder das Gesehene mit nahe liegenden Kontexten […] verknüpft, entstehen Fehleinschätzungen.“756

Daher wurden diese Kategorien weiter entwickelt, denn induktiv aus dem Datenmaterial mussten manche Kategorien und Subkategorien neu gewichtet werden oder es kamen andere hinzu, zum Beispiel die Definition vom ‚Wert der Kunst‘, die ‚Rolle der Dolmetscher(innen)‘ oder auch die Spezifizierung von Differenzerfahrungen durch unterschiedlicher Ziele, Sprache usw. Die Interviews geben die Positionen der einzelnen Dozentinnen wieder. Entscheidend sind dabei nicht objektivierende Darstellungen, sondern die Blickwinkel der interviewten Personen aus ihrem Arbeitsfeld und ihrer eigenen kulturellen

754 In der strukturierenden Inhaltsanalyse geht es um die „Identifizierung von Themen und Subthemen, deren Systematisierung und Analyse der wechselseitigen Relationen.“ (Kuckartz, Udo [2012], S. 98) 755 In der evaluierende Analyse geht es um die „Einschätzung, Klassifizierung und Bewertung von Inhalten durch die Forschenden (Codierenden): Das qualitative Material wird – in der Regel fallbezogen – eingeschätzt und es werden Kategorien gebildet, deren Ausprägungen meist ordinaler Art sind.“ (Kuckartz, Udo [2012], S. 98) 756 Clausen, Bernd (2009), S. 219.

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(Vor-)Einstellung heraus. Aus den Antworten der Befragten, dort, wo sie ähnliche Ansichten und Deutungen und wo sich Differenzen ergeben, lassen sich Möglichkeiten und Grenzen besser darstellen. Da das Forschungsinteresse auf die Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens abzielt, schien es logisch, aus den Kategorien tertia comparationes zu machen, anhand derer die gleichen und die unterschiedlichen Sichtweisen dargestellt werden können. Diese Kategorien aber sind auf ihren Bedeutungsgehalt zu hinterfragen. Denn bei den Antworten ist zu bedenken, dass sie innerhalb der Sprachbedeutung nicht zwingend von demselben reden müssen. Begriffe wie ‚Improvisation‘ oder ‚Kreativität‘ können je nach Voreinstellung und Erfahrung ganz unterschiedliche Inhalte, Bedeutungen oder auch Wertungen beinhalten. Es ging bei der Bildung von Kategorien auch immer darum, die jeweilige Bedeutung der Worte zu verstehen, und daraus abzuleiten, ob sie überhaupt als tertia comparationis eingesetzt werden können.

5.2 D ATENAUSWERTUNG Der Gegenstand dieses Abschnittes ist eine zusammenfassende Darstellung der Interviewaussagen. Die Aussagen werden nach Kategorien gegliedert wiedergegeben. Originalzitate aus den Interviews sind in Anführungszeichen gesetzt. Im Folgenden werden die Ausbilderinnen und Ausbilder mit dem Begriff ‚Dozentin‘ benannt und die Teilnehmer(innen) an den Aus- und Fortbildungen mit dem Begriff ‚Lehrer(in)‘, da der Großteil der Teilnehmer(innen) diesem Berufsfeld entstammt. Mit ‚Schüler(in)‘ werden entweder die Kinder in der musikalischen Früherziehung oder schulpflichtige Kinder benannt oder der Begriff bezieht sich auf die Teilnehmer(innen) an den Aus- und Fortbildungen, wenn sie in Zitaten als ‚Schüler‘ bezeichnet wurden. 5.2.1 Zum Thema ‚Organisation und Umstände des Transfers‘ Die Organisation des aktuellen Transfers verläuft in der Regel so, dass eine Anfrage nach Unterricht oder ein ganzes Unterrichtsprogramm von südkoreanischen Vereinigungen oder Schulen an die Dozentinnen oder die mit ihnen verbundenen Institutionen gestellt werden. Unter Umständen werden auch Schüler(innen) an deutsche oder österreichische Hochschulen oder Konservatorien entsandt oder kommen von sich aus. DOZ C berichtet, dass einer deutschen Akademie über einen Makler das Interesse eines südkoreanischen Hagweons an musikalischer Früherziehung mitgeteilt

Q UALITATIVE D ATENERHEBUNG: I NTERVIEWS | 297

wurde. Die Akademie beauftragte sie daraufhin mit der Durchführung. Mit der Institution selber hatte sie erst Kontakt, als die Fortbildung anlief.757 Da sie anfangs nicht viel über asiatische Kulturen wusste, war es für sie zunächst ein Abenteuer und eine Herausforderung.758 Sie hatte innerhalb weniger Wochen sowohl ein Konzept als auch Unterrichtsstunden zu erstellen. Für eine Beschäftigung mit kulturellen und pädagogischen Umständen in Südkorea blieb ihr keine Zeit.759 Dabei gab es unterschiedliche Vorstellungen über das Projekt. Das Hagweon wollte ursprünglich ein schriftliches Unterrichtsprogramm kaufen760, während DOZ C das Unterrichten praktisch zeigen wollte. Erst im Laufe der Gespräche kam ein Kompromiss zustande, dass DOZ C sowohl ein Programm schreiben als auch das Unterrichten lehren solle.761 Daraufhin lief ein zunächst sechswöchiges Pilotprojekt in Deutschland an, das im Laufe der folgenden Durchführungen auf fünf Wochen mit sechs Unterrichtstagen, noch später auf vier Wochen gekürzt wurde. Im Laufe der nächsten Jahre waren bis zu sechs Dozentinnen daran beteiligt. Dem Unterricht in Deutschland folgte etwa ein halbes Jahr später eine zwei- bis dreiwöchige Supervisions- und Fortbildungsphase in Südkorea.762 Bei den Kursen derG koreanischen Orff-Schulwerk Gesellschaft (KOSA) wurden die Fortbildungen von Anfang an ausschließlich in Südkorea gegeben. Die Interviewpartner(innen) berichten, dass die Räumlichkeiten den in Deutschland/Österreich gängigen Größen entsprechen. Es sind größere Räume, z.B. Mehrzweckräume mit in der Regel hinreichendem Material (Instrumente, Tonwiedergabegeräte usw.).763 Werden die Fortbildungen in Universitäten oder Ausbildungscentern durchgeführt, findet die Unterbringung der Dozentinnen auf dem Campus statt, sodass sie kurze Wege haben. Finden die Fortbildungen oder Supervisionen im Land verstreut in Schulen oder anderen Ausbildungscentern statt, so wohnen die Dozentinnen in Hotels. Da die Dozentinnen aus nicht-koreanischen Ländern bis auf wenige Ausnahmen kein Koreanisch sprechen oder verstehen können, stehen ihnen südkoreanische Dolmetscher(innen) zur Seite, die in aller Regel selbst eine musikalische

757 DOZ C 73. 758 DOZ C 57. 759 DOZ C 58ff. 760 Der Arbeitsauftrag von DOZ C lautete zunächst, dass sie schriftlich fassen sollte, wie und was in einer deutschen Musikschule unterrichtet wurde. (DOZ C 63). 761 DOZ C 47. 762 DOZ C 51ff. Wie weiter oben berichtet, wird inzwischen wie bei der KOSA die Fortbildung nur noch in Südkorea durchgeführt. 763 DOZ B 93, 155ff.

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Ausbildung in Deutschland absolviert haben, Deutsch verstehen und sprechen können. Professionelle Dolmetscher(innen) sind sie nicht. Sie übersetzen auch die schriftlichen Ausarbeitungen und fungieren darüber hinaus in Südkorea teilweise als Betreuer(innen) der nicht-südkoreanischen Dozentinnen. Die gegenwärtige Verbreitung der elementaren Musikerziehung innerhalb von Südkorea und speziell die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff wird von interessierten Einzelpersonen, Vereinigungen wie der Orff-Schulwerk Gesellschaft und von Hagweons betrieben. Dies hat Auswirkungen auf die Wertigkeit der Inhalte, Methoden und Ziele: Sollen oder müssen sie bei Bedarf ganz oder in Teilen den ökonomisch gewinnorientierten Interessen untergeordnet werden? Und handelt es sich dann noch um elementare Musikerziehung im Sinne von Carl Orff? Innerhalb derjenigen Verantwortlichen, die sich in Südkorea mit der elementaren Musikpädagogik im Sinne von Carl Orff beschäftigen, gibt es diesbezüglich unterschiedliche Ansichten. Dieser Dissens findet sowohl bei den Handelnden der KOSA als auch denen des Hagweons statt. Er drückt sich in unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des methodischen Weges, z.T. auch in der Wahl der damit verbundenen Inhalte aus. Auf der einen Seite stehen Vertreter(innen) eines eher curricular nicht festgelegten Modelles des entdeckenden, sich entwickelnden Lernens. Dieser Weg wird von Personen bevorzugt, die eher in Deutschland und Österreich studierten und die im Unterricht mehr Freiheit haben wollen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich an den Manuals amerikanischer Art orientieren und alles in übersichtliche, aber auch vereinheitlichende Abschnitte mit klaren Inhaltsvorgaben einteilen. Der Weg über Manuals wird eher von Personen bevorzugt, die entweder in den USA studiert haben oder die einen, dem System der südkoreanischen Schulrealität näher stehenden Weg beschreiten wollen. Letzteres kommt den südkoreanischen Lehrer(inne)n entgegen, da es gut mit dem im südkoreanischen Schulalltag praktizierten Unterricht kompatibel ist, den Schulverantwortlichen, Lehrer(innen), Schüler(innen) und Eltern bekannt ist und oft erwartet wird. Daher, so berichtet DOZ E, mögen die Schüler(innen) diese Bücher und CDs auch, sie aber möge dies nicht, weil es dem System Orffscher Musikpädagogik widerspräche.764 Heute, beklagt sich DOZ D, sei die Idee der elementaren Musikerziehung im Sinne von Orff untergraben. Überall stehe der Wunsch im Vordergrund, aus dem Konzept vor allem ein Geschäft zu machen. Das sei aber alles chaotisch, nach

764 DOZ E 114ff.

Q UALITATIVE D ATENERHEBUNG: I NTERVIEWS | 299

außen gerichtet, eben eine "Pseudo-Orff Musik".765 Dahinter trete dann die eigentliche Idee der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs in den Hintergrund. Daher habe sie sich auch von manchen Leitungsaufgaben zurückgezogen.766 Und bezüglich der in Südkorea veröffentlichten Bücher sagt sie: „Das ist alles Schund. Es tut mir leid, das ist alles Schund. Deshalb ist es mein Wunsch vor meinem Tod alles zu ordnen und dann ein Buch zu schreiben.“767 Zusammenfassung: Die Anfrage nach musikalischer Früherziehung kam in allen untersuchten Fällen aus Südkorea und geschah nicht auf Initiative deutsch-österreichischer Dozentinnen. Ausgelöst wurde die Zusammenarbeit durch die Studien einzelner Personen in Deutschland/Österreich oder durch das wirtschaftliche Interesse von Hagweons. Beide Interessen kamen auch zusammen vor. Die Umstände (Räume, Instrumente etc.) waren mit denen in Deutschland/Österreich im Großen und Ganzen vergleichbar. Die nicht professionellen Dolmetscher(innen) waren alle Südkoreaner(innen). Sie übersetzten und betreuten z.T. auch die Dozentinnen. Der ökonomische Druck, unter denen alle Schulen und Institutionen in Südkorea stehen, wirft die Frage nach der Wertigkeit von Inhalten, Methoden und Zielen auf, ob sie der Ökonomie untergeordnet, dabei unter Umständen umgedeutet und dann neu definiert werden sollen oder müssen. Eine Umdeutung aus diesen Gründen wäre für manche Dozentinnen eine Fehldeutung. Es handelt sich ihrer Meinung nach dadurch nicht mehr um eine elementare Musikerziehung im Sinne von Carl Orff. Deshalb haben sich inzwischen drei der interviewten Person aus dem institutionalisierten Transfer über die KOSA oder das Hagweon zurückgezogen. Dabei zeigt sich unter den Dozentinnen ein Dissens im Unterrichtsstil zwischen curricular vorgeschriebenem (und so schneller zu vermarktendem) und entdeckenden (und so individuell diversifizierten) Lernwegen. 5.2.2 Zum Thema ‚Definition der elementaren Musikerziehung im Sinne von Carl Orff‘ Diese Aussagen führen zu der Frage nach der Definition der elementaren Musikerziehung im Sinne von Carl Orff, die den Rahmen der untersuchten musikalischen Früherziehung bildet. Fragen nach einer Vorstellung oder Definition der

765 DOZ D 103. 766 DOZ D 28f. 767 DOZ D 146f.

300 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

elementaren Musikerziehung im Sinne von Carl Orff wurden nicht von allen Interviewpartner(inne)n direkt beantwortet. Stattdessen wurde eine Denkrichtung angedeutet. So geht DOZ A von einem individuellen Blickwinkel aus. Danach gilt „die Idee des Schulwerks ist eh der Mensch ist im Zentrum“.768 Es sollte ausgehend von der eigenen Körperlichkeit musiziert werden, also Klänge gesucht und in Musik umgesetzt werden. Darin bestehe auch das Universelle der Idee Orffs, denn dieses Prinzip sei kulturunabhängig anwendbar769 und somit ein Ansatzpunkt in beiden Kulturen. Für DOZ D ist die elementare Musikerziehung im Sinne von Carl Orff in erster Linie eine Methode.770 Sie setzt bei der Erfahrung des Musizierens im Sinne von Carl Orff an und meint, dass man die Art des Unterrichtens empfinden müsse, um sie zu verbreiten. DOZ D will ihre Musikerziehung ganz grundsätzlich als Bildung auch im Sinne einer Menschenbildung durch Musik771 sehen: „Die Erziehung läuft so, dann wird er ein vollendetes Werk [GEMEINT: GUTER MENSCH RK]. Das ist immer mein Ziel. Deshalb müssen wir alle Menschen Orffmusik machen.“ 772 DOZ F geht von einer ebenfalls individuellen Vorstellung des Menschen aus und definiert die elementare Musikerziehung als „natürlich“773, weil sie eben vom einzelnen Menschen ausginge. DOZ B erwähnt die humanistische Grundeinstellung und ein demokratisches Grundverständnis, was sie im weiteren Verlauf des Interviews methodisch konkretisiert.774 Für DOZ C ist die eigenständige Verantwortung des eigenen Tuns ein Merkmal für eine(n) gute(n) Lehrer(in).775 Zusammenfassung: Bei der Vorstellung der elementaren Musikerziehung im Sinne von Carl Orff, aus denen die Interviewpartner(innen) ihre Arbeit ableiten, ist auffällig, dass alle Dozentinnen unabhängig von ihrem Herkommen an einer individuellen Sichtweise des Menschen ansetzen und suchen, was sie daraus ableiten können. Sie gehen also nicht von einem zu erlernenden Inhalt aus, das ‚Was‘ erscheint zunächst zweitrangig. Danach definiert sich eine Musikpädagogik im

768 DOZ A 174. 769 DOZ A 108. 770 DOZ D 183. 771 DOZ D 153. 772 DOZ D 159. 773 DOZ F 37. 774 DOZ B 233 u.ö. 775 DOZ C 157.

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Sinne von Carl Orff in erster Linie durch ihre Methodik. Ausgehend von der körperlichen Empfindung und Erfahrung wird musiziert. Eine Dozentin sagt sogar, dass diese Methode der Menschenbildung dienen solle. Das bedeutet, dass es in erster Linie nicht um von außen zu erlernende Inhalte geht, sondern dass in jedem Menschen das Auszubildende bereits angelegt ist und durch Musik nur hervorgeholt wird. 5.2.3 Zum Thema ‚Anthropologische Standpunkte‘ Die Frage nach den anthropologischen Standpunkten der Dozentinnen rückte somit in den Fokus, also wie die Dozentinnen einen Menschen charakterisieren. DOZ A meint, dass in Südkorea die anthropologischen Grundfragen nicht wirklich auf der Tagesordnung pädagogischen Handelns stehen. Dies sei den Sachzwängen geschuldet: DOZ A: „[...] und diese ganz ganz schreckliche ehm Sachzwänge, die machen es ehm so, dass die Leute gar nicht mal Augen aufmachen: ‚Was will ich denn eigentlich wirklich?‘ “ RK: „Ist das ‘ne Frage in Korea: ‚Was will ich?‘ “ DOZ A: „Nein, die gibt's nicht. Wenn man fragt, dann: ‚Weiß ich nicht.‘ “ 776

Unter den Sachzwängen ist hier die starke Konkurrenzsituation gemeint, bei der jeder nur zusieht, soweit wie möglich zu kommen. Dabei ginge die Wahrnehmung unter, wer welche Fähigkeiten habe. Danach würde nicht gefragt. DOZ A: „und dann rennen sie nur noch, wer weit kommt, ist gut. Und aber…“ RK: „Mmh.“ DOZ A: „… aber was einer nicht weiß, weiß keiner und es will auch einer, der wissen könnte, nicht wissen, weil es, weil er denkt, das ist nicht gefragt. Und dieses, des find ich so schade und dieses Nicht-Gefragte ist manchmal: was will ich?“777

DOZ A erklärt, dass es wichtig sei, Inhalte zu lernen, aber als reiner Selbstzweck zu wenig. Daher sei es ebenso wichtig, dass die südkoreanischen Lehrer(innen) Erfahrungen des Musizierens im Sinne einer elementaren Musikpädagogik machen, weil sie erst dadurch ihre Einstellung verändern könnten: DOZ A: „Sicherlich, ehm, wir denken bei Pädagogik und Methodik immer ans Machen.“ RK: „Mmh, mmh“ DOZ A: „Aber, gut, man muss auch was machen. Aber man kann nicht direkt, direkt etwas machen. Man kann etwas machen, damit etwas entsteht und genau wenn man diesen Weg

776 DOZ A 114ff. 777 DOZ A 150ff.

302 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN geht und aber ich glaube schon, dass die, wenn die [BETONT] Pädagoginnen und Pädagogen, die in Korea genau dieses an sich erfahren erfahren haben, erlebt haben, andere Haltung einnehmen. Und diese Haltung, das Sein…“ [SCHMUNZELND] RK: „Mmh“ DOZ A: „…nicht das Tun...“ RK: „Mmh“ DOZ A: „...eh eh wird bewirken, nehme ich an und ich bin ziemlich sicher, das wird eine sehr Wohltat sein, eine große Wohltat sein.“778

DOZ B sieht eine Öffnung im südkoreanischen Erziehungssektor, der sich mehr „zu unseren Vorstellungen hin“ 779 verändert habe, womit sie demokratisches Verständnis und die Vorstellung von Humanität meint. Obwohl die Lehrer(innen) in Südkorea durchaus damit vertraut seien, etwas Eigenes, Individuelles zum Unterricht beitragen zu können, wird das von ihnen nicht unbedingt auch eingesetzt.780 Denn es herrsche ein noch recht autoritatives Lehrer-Schüler Verhältnis und ein kollektives, repetierendes Lernen mit dem Ziel der Reproduktion vor. 781 Sie möchte aber durch ihren Unterricht die Grundeinstellungen zum Kind, zur Sache, zu sich selbst und seiner Rolle zur Diskussion stellen.782 DOZ C sieht die Frage nach der Entwicklung der in einem Menschen liegenden Möglichkeiten unter einem gesellschaftlichen Vorbehalt: „[...] ich glaube, dass es in diesem Ausmaß, wie wir hier unsere Individualität ausleben können, das in Korea nicht unbedingt erwünscht, wünschenswert sein kann, weil ich glaube, dann wird man in Seoul wahnsinnig.“783

DOZ D denkt, dass die Musikerziehung in der von ihr vertretenen Form die Haltung der Lehrer(innen) im Sinne einer Eigentätigkeit fördert: „Aber das ist nicht das in einem Jahr Gelernte, sondern wir denken, dass ist das in vier Jahren, in vier Jahren von den Kindern in vier Jahren Gelernte. [...] Wie kann man jetzt sagen: Die innere Bemühung wird mehr, die innere Bemühung wird mehr.“784

778 DOZ A 200ff. 779 DOZ B 233. 780 DOZ B 49-51. 781 DOZ B 233. 782 DOZ B 159. 783 DOZ C 103. 784 DOZ D 133-135.

Q UALITATIVE D ATENERHEBUNG: I NTERVIEWS | 303

Zusammenfassung: Aus den Antworten der Dozentinnen ergibt sich eine unterschiedliche Sichtweise des Menschen und daraus auch des pädagogischen Handelns. In Südkorea wird nach Aussage der interviewten Dozentinnen ein genormtes, zielorientiertes Lernen von inhaltlichen Vorgaben konstatiert. DOZ A meint, Lernen als reiner Selbstzweck wie als Bedingung für gesellschaftliches ‚Weiterkommen‘ sei zu wenig, nicht: es sei grundsätzlich falsch! Daher stellen einige der interviewten Dozentinnen die Forderung nach einer individuellen Reflexionsebene („was will ich?"), die in Südkorea kaum gegeben sei, nicht gestellt werden kann oder zumindest nicht angewendet werde. Damit aber werde die Wesenheit des Menschen nicht angesprochen, eine Besinnung auf ihr Sein und eine daraus abzuleitende Haltung könne nicht erreicht werden. Und es wird dazu von einer Dozentin die Frage aufgeworfen, ob solch ein individueller Ansatz in Südkorea überhaupt gewünscht werde. Die Dozentinnen werfen fast einhellig die Frage auf, ob eine am Individuellen ansetzende Lernmethode in Südkorea möglich ist, beantworten sie aber zumindest unter dem Gesichtspunkt der Kategorie ‚anthropologische Standpunkte‘ noch nicht. Ob es ein gemeinsames anthropologisches Verständnis aller am Transfer Beteiligten gibt, ist aus der vorliegenden Datenlage nicht vollkommen darzulegen. So muss z.B. offen bleiben, ob die Vorstellung von ‚Humanität‘, deren Vorhandensein DOZ B auch in Südkorea konstatiert, von allen Teilnehmer(inne)n am Prozess gleich dechiffriert wird. 5.2.4 Zum Thema ‚Inhalte des Transfers‘ Es werden den europäischen Dozentinnen von den südkoreanischen Partnern nur selten thematische Vorgaben gemacht, was sie unterrichten sollen. Daher mussten Inhalte und Methoden vor einer Fortbildung bei allen hier untersuchten Transfers intern zwischen den Dozentinnen und weniger mit den südkoreanischen Partnern abgesprochen werden. Die Dozentinnen teilten unter sich den Unterricht in den einzelnen Fächern auf. So wurde zum Beispiel von einer ‚Bewegung und Tanz‘ übernommen, eine andere unterrichtete das rhythmisch-musikalische Element z.B. mit Bodypercussion und Bhoomwacker und wieder eine andere Dozentin ‚elementares Musiktheater‘785 usw. Erst nach dem Kennenlernen der Inhalte und Methoden seien hin und wieder Anfragen gekommen, wie z.B., dass die Lehrer(innen) etwas zu Themen, die sich mit freierer Gestaltung oder auch mit ‚Improvisation‘786 beschäftigen, lernen wollten. Wenn eine thematische Anfrage kam, wurde

785 DOZ B 41. 786 DOZ B 127, 129.

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das von den Dozentinnen in einem Unterrichtsverlauf gestaltet und „in etwa jetzt so genannt: ‚Vom Experiment über die Improvisation zur Gestaltung‘.“787 DOZ B nimmt für ihren Unterricht Geschichten, die nach ihrer Meinung eine allgemeine Gültigkeit haben (z.B. Tiergeschichte, Märchengeschichte), die „jetzt nicht so kulturell so verankert ist.“788 Dazu sollen die Lehrer(innen) dann zum Beispiel ein Lied oder eine Bewegungsabfolge schaffen. Durch dieses Vorgehen erspare sie sich auch kulturelle Differenzerfahrungen, „weil eigentlich mein da meine Vorbereitung schon so ist, dass ich mir überlege, das, was ich da anbiete, ist individuell von den Leuten selbst deutbar.“ 789 DOZ A kritisiert den Blickwinkel vieler südkoreanischer Pädagog(inn)en, die den Wert der Kunst auf das besser vorzeigbare Habituelle und nicht auf das Prozesshafte hin gewichteten: DOZ A: „Also ich glaube eher, dass Korea schon alles hat.“ RK/ DOZ A: [BEIDE LACHEN] DOZ A: „Ehm, und aber nur die meisten Musikpädagogen leider denken, es müsste die Pädagogik, die vom Westen kommt, sein.“ 790

Denn „wenn man jetzt richtig machen wollte müsste man auch an die alte koreanische traditionelle Musik und Tanz und Gesamtkultur orientieren und nicht DurMoll System hinbringen.“791 Darin sei schon alles vorhanden, die koreanische traditionelle Musik sei schon Ganzheit: 792 „[...] was der Orff jetzt hier auch so als ganz wesentlichen Teil ehm wiederbelebt hat oder wieder integriert, ist dort eigentlich traditionell noch weiter erhalten.“793

Leider aber wüssten die Eltern dies nicht und so gelte das Koreanische als nicht so werthaltig. In der traditionellen koreanischen Musik seien Bewegung und Musik vereint. Daher müssten es Musiker und Tänzer unterrichten, die Gugak im Körper und im Ohr haben und von da aus unterrichten könnten. Der Wert der Musik liege weiterhin in seiner gesellschaftlichen Unmittelbarkeit, in seiner Einbeziehung in den Alltag als Ausdruck, Begleitung und Ritus der Menschen. Musik und Tanz seien früher im südkoreanischen Alltag existentielle, alltägliche Praxis

787 DOZ B 39. 788 DOZ B 175. 789 DOZ B 179. 790 DOZ A 94. 791 DOZ A 86. 792 DOZ A 110. 793 DOZ A 102.

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gewesen. Heute aber sei die Kunst getrennt vom Alltag und dadurch ein Schmuckstück geworden, „eine Kunst ist zur Zierde verkommen.“794 Orffs Grundidee aber sei das Universelle, die Verankerung von Musik und Tanz im alltäglichen Tun. 795 Die elementare Musikerziehung sei ein Weg, um diese Unmittelbarkeit wieder herzustellen. Bei der Benennung der verwendeten Inhalte sind besonders die Vorstellungen der südkoreanischen bzw. mit der südkoreanischen Kultur vertrauten Dozentinnen interessant. Dabei kommt die Verwendung der traditionellen koreanischen Musik (Gugak) zur Sprache. Diese kennen die meisten deutsch/österreichischen Dozentinnen in der Regel kaum oder gar nicht. Doch auch die Gugak-Kenntnisse ihrer südkoreanischen Kolleginnen sind nicht sehr ausgeprägt. Gleichwohl halten alle Dozentinnen eine Einbeziehung von Gugak für außerordentlich sinnvoll, verweisen dabei aber alle auch auf die Probleme im Umgang damit.796 DOZ D beruft sich bei der inhaltlichen Auswahl auf ihre Gespräche mit Carl Orff, der sie aufforderte koreanische Orffmusik zu machen: „Carl Orff sagte mir, […] ‚Mache koreanischen Orff.‘ Denn es gibt es in Deutschland die die fünf Schulwerkbände. Wenn ich diese übersetze, dann ist das nutzlos. Er sagte: ‚Entwickelt eure Sache.‘ Deshalb mache ich jetzt etwas. Damals mmh damals aber aber mmh habe ich die Erlaubnis bekommen: ‚Du darfst die fünf benötigte Dinge aus dem [SCHULWERKBAND RK] aussuchen und benutzen.‘

“797

Und im Weiteren folgerte sie daraus: „Deshalb mache ich möglichst keine amerikanische [ORFFMUSIK RK], möglichst keine deutsche [ORFFMUSIK RK]; ich versuche koreanische [ORFFMUSIK RK] zu machen, ich benutze meistens koreanische Sprichworte, Lehrsprüche, koreanische Kinderlieder [...] Deshalb komponiere ich nur so Kindertheater, auch Musiktheater aus koreanischen mmh mmh Märchen, selbst Kindertheater ein paar Stücke jetzt.“798

Wichtig sind ihr die nur aus drei Tönen799 bestehenden traditionellen koreanischen Volkslieder und Kinderlieder. 800 Sie macht Musiktheater mit den Kindern, bei denen sie auch von den Kindern selbst entwickelte Musik zur Aufführung bringt.801 794 DOZ A 108. 795 DOZ A 108. 796 DOZ D 180ff., DOZ A 86, DOZ E 53f. 797 DOZ D 157. 798 DOZ D 60f.; s.a. DOZ D 54. 799 DOZ D 86. 800 DOZ D 79ff. 801 DOZ D 133-135.

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Instrumentalspiel setzt sie ein, weil sie immer wieder beobachtet, dass die Kinder das Orff-Instrumentarium gerne spielen, wodurch sie hinreichende Spielfähigkeiten entwickeln könnten. Gleichzeitig seien die Kinder „stolz darauf, das Instrument selber zu spielen. Deshalb habe ich meistens alle Instrumente. Da ich alle habe, biete ich ihnen jederzeit an, ein Instrument zu spielen.“802

Allerdings sei Gugak für heute in Südkorea lebende Menschen eher ungewohnt. Es sei nicht mehr die alltägliche Musik. Gugak sei schwer, vor allem des Rhythmus wegen. 803 War vor der Öffnung die außerhalb Koreas erklingende Musik fremd, so sei es für heute in Südkorea lebende Menschen schwer, mit Gugak in Beziehung zu treten: „[...] jetzt ist umgekehrt für uns Gugak schwer. Er ist fremd. Er ist schwer. Wir sind jetzt mehr an den 4/4 Takt, 2/4 Takt gewöhnt. Wir haben ihn auch körperlich aufgenommen.“804

Doch in den traditionellen koreanischen Kinderliedern und -spielen lägen eben die Rhythmen der koreanischen Sprache. Daher benutze sie diese oft. Darunter fallen Sprachspiele wie „Reiskuchen“ für das Neujahrsfest Seolnal. Dies nimmt sie auf und macht damit pantomimische Händespiele, durch die die Kinder den Takt lernen sollen Insgesamt aber falle es ihr schwer, Gugak zu unterrichten, da sie nicht in der Musik groß geworden sei und auch die Kinder nicht in täglichen Kontakt mit dieser Musik träten. Aber Gugak gehöre in den Unterricht hinein.

Abbildung 3: Reiskuchenlied Für DOZ E muss die elementare Musikerziehung im Sinne von Carl Orff in Südkorea weiterentwickelt werden und es sollten nicht nur deutsch-österreichische Inhalte wiederholt werden, wie es in Abschnitten der südkoreanischen Schulcurricula geschieht, bei denen vor allem Orff-Instrumente vorgestellt würden.805 Zur Weiterentwicklung des Inhaltes zählt auch sie die Verwendung von Gugak und die Nutzung koreanischer Materialien. Sie zieht dabei einen Vergleich mit dem Fach ‚Das fröhliche Leben‘ in der Schule, denn dieses beinhalte ab der dritten Klasse, soweit es sich mit Musik beschäftigt, je zur Hälfte traditionell koreanische 802 DOZ D 170. 803 DOZ D 76ff. 804 DOZ D 181. 805 DOZ E 52.

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und europäische Musik.806 Koreanische Musik ist für sie Gugak, weil er schon im Klang der Instrumente und durch die Tonskalen807 ganz anders sei. DOZ F setzt bei der Schulung der Motorik der Kinder für etwa ein Jahr lang an und sucht dafür rhythmische und melodische Inhalte. Dabei ist ihr das Bewegen und Musizieren wesentlich wichtiger als abfragbare, messbare Inhalte, weil sie diesen Weg als die bessere Vorbereitung für musikalisches Erleben einschätzt.808 Lieder, die sie in Deutschland kennengelernt hat, bewertet sie positiv, weil sie von der Melodie und dem Text her mit weniger Lern- und Moralinhalten überfrachtet seien als koreanischer Kinderlieder. Deutsche Lieder textet sie auf Koreanisch um und findet dazu ggf. auch neue Inhalte.809 Darüber hinaus nutze sie in ihrem Unterricht jedoch auch traditionelle koreanische Kinderlieder. Da in Südkorea das schulische Lernen über einzuhaltende curriculare Vorgaben, also allgemein gültige Standards, geregelt ist, die befragten Dozentinnen aber eher von individuellen Gesichtspunkten ausgehen, sind auch ihre Äußerungen zu Curricula von Belang. DOZ B legt innerhalb der elementaren Musikpädagogik keine Lernziele in einem Curriculum fest810, sondern es werden von ihr, wie oben bereits erwähnt, individuell deutbare Modelle angeboten, wobei es in der konkreten Ausgestaltung den in Südkorea Lehrenden überlassen bleibt, das darin Gelernte in die in Südkorea verwendeten Curricula einzupassen.811 Auch DOZ D überträgt den Lehrer(innen) die Aufgabe, die Methode in den jeweiligen Bereich ihres Arbeitsfeldes zu übertragen. Sie unterrichtete eine Gruppe von Lehrer(innen), die Gugak studiert hatten, ein Jahr lang in musikalischer Früherziehung. Dabei habe sie ihnen eine Methode beigebracht. Der Übertrag dieser Methode auf Gugak „ist ihre Aufgabe, wie sie das jetzt machen können.“812 DOZ C wollte zunächst gar kein Curriculum schreiben, sondern nur unterrichten, weil sie einerseits nur ihre eigenen Lern- und Unterrichterfahrungen weitergeben könne und andererseits „[…] damit die einzelnen Lehrer oder auch die Koreaner weiterhin genötigt sind nachzudenken, was sie tun.“813 Auch sie überlässt es den südkoreanischen Lehrer(inne)n, das Verhältnis von individueller Sicht und

806 DOZ E 78-80; 52. 807 DOZ E 53ff. 808 DOZ F 125. 809 DOZ F 57, 73ff. 810 DOZ B 191. 811 DOZ B 159. 812 DOZ D 183. 813 DOZ C 57.

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curricularen Vorgaben zu lösen, also den Einbau der Methode in die südkoreanische Unterrichtsrealität zu bewerkstelligen. DOZ E berichtet über Grundschullehrer(innen), dass diese über die Methode schon einigermaßen Bescheid wüssten814, denn in jeder Schulklasse gäbe es auch ein paar Stunden zum Thema, weil dies in den Lehrplänen so vorgesehen sei. Zusammenfassung: Bei den konkreten zu vermittelnden Inhalten berufen sich alle Dozentinnen auf das, was sie in ihrer Aus- und Fortbildung gelernt haben. Dies waren in den meisten Fällen Musikstücke und Lernmaterialien, die aus dem Umkreis der gängigen, auf dem deutschen Markt erhältlichen Unterrichtswerke stammten oder von ihnen auf der jeweiligen besuchten Hochschule erlernt wurden oder was sie selbst an musikalischen Methoden und Inhalten entwickelt bzw. komponiert hatten. Die Inhalte sind alle den Sachbereichen ‚Stimme und Sprechen‘, ‚elementares Instrumentalspiel‘, ‚Bewegung und Tanz‘, ‚Hören‘ usw. zuzuordnen. Es zeigte sich, dass ein Nachdenken über das Methodische allen Dozentinnen wichtiger war als über einen konkret genutzten Inhalt. In der Regel überlassen die Dozentinnen danach den Lehrer(innen), die Inhalte und Methoden elementarer Musik im Sinne von Carl Orff auf ihre Verhältnisse zu übertragen. Sofern die Rede auf die Verwendung ‚koreanischer Musik‘ in der musikalischen Früherziehung kam, denken alle Dozentinnen an Gugak und koreanische (Kinder-)Lieder. DOZ A weist darauf hin, dass das körperliche Musizieren im Gugak vorhanden sei. Da gäbe es Entsprechungen mit Orffs Ansatz des Musizierens im körperlichen Erfahren der Musik. Nur stünde Gugak in Südkorea eben nicht mehr im Zentrum der Alltagsmusik. Auch hier überlassen es die Dozentinnen, denen Gugak in der Regel relativ fremd ist, den Lehrer(innen), die Verwendung von Gugak mit den methodischen Überlegungen von Carl Orff zu verknüpfen. Interessant sind im Rahmen dieser Untersuchung die Äußerungen von DOZ B zu den Inhalten, die sie dann auch in Südkorea hofft so vermitteln zu sollen. Sie sucht kulturell nicht zu stark verankerte Geschichten, die individuell deutbar sind. Ausgehend von einer konstruktivistischen Sicht wird jeder Inhalt in der Erfahrung des Empfängers in der eigenen Weltsicht neu gedeutet. Doch wenn die Weltsicht unterschiedlich ist, kann sie auch die Deutung das von der Dozentin gewünschte Ziel verfehlen. Daher muss der Kommunikation über die Deutung der gelernten Inhalte und Methoden viel Aufmerksamkeit geschenkt werden.

814 DOZ E 90ff.

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5.2.5 Zum Thema ‚Methodik des Transfers‘ Bei der Frage, welche Methoden angewandt werden sollen, geht DOZ A vom Umfeld der Lehrer(innen) und ihrer Sozialisation im südkoreanischen Schulalltag aus. In ihm herrsche der Sachzwang vor, dass ein(e) Lehrer(in) bestimme und die Schüler zu folgen haben. Dies müssten sie auch, weil sie nur über beste Noten die bessere Schule besuchen könnten und so gesellschaftliche Anerkennung bekommen könnten. Wettbewerb sei zwar nicht grundsätzlich abzulehnen, aber der dürfe eben nicht nur gegenüber anderen Menschen gelten. DOZ A plädiert für einen Wettbewerb in sich selbst, also das Beste aus sich zu machen, wozu es allerdings der Frage bedürfe, was jeder einzelne Mensch eigentlich wolle. „Und wenn man das mit einschließt, ist es positivste Sache von diesem Wettbewerb.“ 815 Daher meint DOZ A, dass ein(e) Lehrer(in) erst einmal die Personen individuell anschauen müsse und heraus bekommen müsse, welche Verfahren sinnvoll seien. „So sollte auch der Lehrer Schüler kennen. [...] und dessen Umgebung und dessen Umfeld und eventuell sogar die Kultur und Herkunft und vielleicht sogar gemeinsam herausfinden, was er eigentlich will.“ 816

Für DOZ B führt die Rolle als Lehrer(in) in Südkorea zu methodischen Schwierigkeiten. Ihr sei als Dozentin ein sehr hoher Stellenwert zugesprochen worden und dadurch würde die Kommunikation stark behindert werden. Eine kritische Diskussion darüber habe nie stattgefunden. „Es sind mehr so Frage-Antwort-Spiele, die ich in Asien immer so erlebt habe.“ 817 „Also diese uneingeschränkte Autorität bringt für natürlich insofern Probleme mit, als sie den Dialog eigentlich verhindert und dadurch dieses Gehorsam-Sein, dieses ‚Ich tue, was du sagst, ich versuche mein Bestes, um das zu erfüllen, was du (‚DU‘ BETONT) möchtest, nicht was ich möchte' und das ist in so kurzer Zeit kaum zu erschüttern. Natürlich bemühe ich mich immer wieder bei diesen Gruppenaufgaben, wenn jemand kommt und sagt: ‚Und ist das gut so? Ist das richtig so?‘ sag ich: ‚Darum geht's mir nicht. Wenn ihr das anders definiert, dann tut es und begründet es mir nachher.‘ Aber das genau ist ganz schwer. Und dadurch ist das Lernen so sehr gebunden an dem, was an Input kommt und deswegen muss man so vorsichtig sein, weil das, was man sagt, ist die Wahrheit für sie und nicht etwas, was zur Diskussion steht.“ 818

815 DOZ A 216. 816 DOZ A 160ff. 817 DOZ B 143. 818 DOZ B 213.

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DOZ B wünscht sich, in ein dialogisches Prinzip der kritischen Auseinandersetzung eintreten zu können819, d.h. auch die Gelegenheit zu erhalten, ein Fachgespräch zu führen.820 Aber sie habe Unterrichtsgespräche, die eine kritische Auseinandersetzung vor den Ohren der Dozentinnen oder gar eine Kritik an den Dozentinnen beinhalteten, nicht erlebt. Sie zu führen bräuchte noch Zeit. 821 Eine Kritik könnten Dozentinnen manchmal darin sehen, dass die Schüler(innen) „ein bisschen stiller und inaktiver werden, aber die würden niemals aktiv Kritik üben am Lehrenden.“ 822 Es ist daher für DOZ B eine „didaktische Herausforderung, die Aufgaben so zu stellen, dass man vielleicht durch die Reaktion besser erkennt: Ist das verstanden worden?“ 823 Um einen kritischen Dialog in Gang zu bringen, bräuchte es Vertrauen, das sich aber aufgrund der Rangordnung schwer entwickeln könne. Dem könne methodisch durch die Arbeit in Kleingruppen abgeholfen werden, da „man wirklich in einer Art Arbeitsgruppe lernt miteinander anders zu kommunizieren über Themen.“ 824 Sinnvoll seien Themen, die „sachorientiert“825 sind, weil dadurch eher Kritik an der Sache und nicht an den Lehrenden geübt werden würde. Die Lehrer(innen) hätten so weniger Scheu zu reden. 826 In die Gruppen gäbe sie daher Impulse in Form eines Textes, eines Liedes, einer Geschichte oder von einem Bild mit der Aufgabe, dass die Lehrer(innen) daraus in ähnlichen Sinn etwas Eigenes entstehen lassen sollten.827 Um trotz der repetierenden und autoritativ angelegten Unterrichtserfahrung der Lehrer(innen) elementare Musik unterrichten zu können, zielt die Methode von DOZ B darauf ab, innerhalb des Unterrichtes in genau geplanten Zeitabschnitten kleine Modelle elementarer Musik- und Tanz- und Bewegungspädagogik durchzuführen, in denen Möglichkeiten zu kreativem Tun gefordert werden.828 An ihnen könnte einerseits die Methode gelehrt und gelernt werden und andererseits könnten sie in größere Konzepte bis hin zu Curricula eingebunden werden.829 In diesen Konzepten seien dann Grundprinzipien zu lernen wie die Möglichkeit, dass

819 DOZ B 165. 820 DOZ B 145ff. 821 DOZ B 151. 822 DOZ B 213. 823 DOZ B 227. 824 DOZ B 217. 825 DOZ B 217. 826 DOZ B 217. 827 DOZ B 43ff. Dies weist Ähnlichkeiten mit Merkts ‚Schnittstellen-Ansatz‘ auf. 828 DOZ B 61. 829 DOZ B 159.

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im Unterrichtsgeschehen auch in Südkorea die Lehrkräfte nicht alles vorgeben müssten und auch die Schüler(innen) von sich aus aktiv werden könnten. Lehrer(innen) wie Schüler(innen) könnten so sowohl verschiedene Lernformen als auch mehr als eine Lösung finden: „Das heißt ganz schlicht: Nicht ein Lied nur singen, sondern zum Lied sich bewegen, das Lied in den Liedinhalt nachher zeichnen, eine kleine Szene daraus entwickeln, eine zweite Strophe dichten, eine neue Melodie dazu improvisieren, mit einem methodischen Hinweis wie heute geht der Lehrer in den Unterricht und sagt zu den Kindern: ‚Könnt ihr euch an das Lied Soundso erinnern? Haaa (PLÖTZLICHES EINATMEN), ich hab die Melodie vergessen, wer kann sich erinnern? Ah, die letzte Zeile wissen wir nicht mehr genau? Machen wir uns eine Neue.‘ Also das sind eigentlich die Impulse, die interessant sind und die weltweit integrierbar sind.“830

Der Unterricht sei dadurch nicht zu offen, schaffe aber Modelle als Input. Diese Modelle will sie so gestalten, dass die Lehrer(innen) darin Ansatzpunkte finden und erkennen können, was sie aus den Modellen konkret übernehmen könnten und was nicht.831 Um so etwas zu vertiefen, bedürfe es aber einer Supervision832, denn die Dozentinnen müssten sich den Unterricht der Lehrer(innen) anschauen, um konkreter lehren zu können. Für DOZ B bringen die südkoreanischen Lehrer(innen) zwar Humor und auch Originalität mit, aber sie beschränkt diese Sichtweise auf die Teilnehmer(innen) von Fortbildungskursen, die durch mehrfache Teilnahme für eine Originalität schon „geöffnet“833 worden seien. Denn zumeist seien die Lehrer(innen) zu unsicher und glaubten, dass sie einen solchen Unterricht selbst nicht geben könnten. Damit sie das lernen, müsse eine Fortbildung in kleinen Schritten und mit Supervision einhergehen.834 Mit Student(inn)en ihrer Universitätskurse, berichtet hingegen DOZ E, verliefen die Gespräche durchaus auch ergebnisoffen. Auch DOZ C würde gerne von den einzelnen Teilnehmer(inne)n ausgehen. Aber dafür gibt es für sie als Grenzen vor allem Zeitprobleme. Es sei schwer möglich, innerhalb der relativ kurzen Dauer einer Fortbildung auf jede(n) einzelne(n) Lehrer(in) einzugehen. Eine Dozentin stoße da auch an „Grenzen und schafft es

830 DOZ B 161. 831 DOZ B 233. 832 DOZ B 217. 833 DOZ B 75. 834 DOZ B 169.

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nicht, bei jedem Einzelnen irgendwie in an jeder Baustelle zu arbeiten [...]“835 Innerhalb der Fortbildung wie auch innerhalb des Unterrichtes mit Kindern müsse zunächst eine Gruppensituation geschaffen werden, wozu eine Gruppengröße von mindestens sechs bis acht Personen notwendig sei. Darin sollen dann möglichst Methoden des aktiven Musizierens angewandt werden wie Bewegung, Singen, Instrumentalspiel und nicht nur ein Lehrervortrag. Die Kinder müssten Raum bekommen, sich wieder selbst kreativ einzubringen. Sie nennt das eine Methodik „im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung.“836 DOZ C empfindet bei den von ihr betreuten Lehrer(inne)n einen Bedarf und „Hunger"837 nach solch einer Musikvermittlung, die neben einer inhaltlichen Zielorientierung auch eine Erfahrungsorientierung besäße. Allerdings müsse man die Methode dann auf südkoreanische Verhältnisse umschreiben. Wie das genau vonstattengehen soll, lässt sie offen. Da für DOZ D die elementare Musikerziehung im Sinne Orffs in erster Linie eine Methode838 ist, setzt sie ihren Unterricht der der eigenen Erfahrung und Empfinden des Musizierens an. Dieser Prozess bedürfe vor allem der Geduld.839 Sie übt mit den Lehrer(innen)en zusammen, lässt sie danach den Unterricht selbst planen und durchführen. Nach dem Unterricht kämen sie zur Kontrolle zu ihr. Dann schlägt sie einzelne Schritte vor, wie sie zum Beispiel das Instrumentalspiel besser einbauen könnten usw.840 Dabei ist es für sie methodisch falsch, einen Weg vorzuschreiben. Es geht ihr um das Wecken des eigenen Tuns: „Darin fördert man das kreative Tun: ‚Ich mache das so unterrichten, wie möchtest du das machen?“ Wir müssen es so unterrichten [...] Auf jeden Fall gibt es keine falsche Antwort in Orff, ja‘. “841

Auch für DOZ F steht die musikalische Erfahrung im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Es käme darauf an, dass das Musizieren im Gegensatz zum rein repetierenden Lernen auch erfahren wird. Dieses Verfahren könne aber nur die Hälfte der südkoreanischen Eltern verstehen. 842 Gerade wegen ihrer Art, in der sie dieses erfahrungsbezogene Lehren verkörpere und dass sie als „natürlich“ 843 bezeichnet,

835 DOZ C 83. 836 DOZ C 127. 837 DOZ C 117. 838 DOZ D 183. 839 DOZ D 120. 840 DOZ D 122, 139ff. 841 DOZ D 162. 842 DOZ F 127. 843 DOZ F 65.

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schickten manche Eltern die Kinder in ihre Musikschule und andere eben gerade deshalb nicht.844 Zusammenfassung: Im Methodischen treten Differenzerfahrungen hervor. Dass die Lehrer(innen) aus sich selbst frei heraus schöpferisch lernen wollen, wird von den Dozentinnen attestiert; dass sie es auch können, wird generell als schwierig angesehen. Von allen wird diesbezüglich eine Änderung gewünscht. Grundsätzlich sei die Form der Fortbildung in Kurssystemen zeitlich zu kurz, um Rollenbilder und Lernvorstellungen zu verändern. Die Methodik aller Dozentinnen geht von der Suche nach der postulierten, in jedem Menschen innewohnenden Frage aus, was der einzelne Mensch will. Die südkoreanischen Lehrer(innen) aber würden diese Frage nicht kennen, sie widerspräche ganz oder in Teilen den Erfahrungen, die sie seit ihrer Zeit als Schüler(innen) in ihrem Schulalltag, der auf das Ziel einer Kenntnis normierter Inhalte abziele, gemacht hätten. Daher rühre auch die Suche nach äußerer Richtungsvorgabe, die, wenn es zur ausschließlichen Form des Lernens wird, der Orffschen Idee aber widerspräche. Eine Suche nach dem eigenen Wollen würde aber auch nicht im direkten Dialog mit den Lehrenden gefunden werden können, da eine Dozentin zu hoch über den Lehrer(inne)n stehe und von daher kritische Auseinandersetzungen kaum möglich seien. DOZ A schlägt vor, an den vorhandenen Wettbewerb im Erziehungswesen anzudocken und ihn als ‚Wettbewerb, was jeder in sich selbst erreichen kann‘ umzudeuten, also den Ausgangs- und Zielpunkt eines Wettbewerbes zu ändern. Um der Rollenproblematik, die eine Kommunikation erschwert, zu entgegnen, bietet DOZ B Kleingruppenarbeit an, in denen kleine Modelle mit Sachthemen behandelt würden, die zu Dialogen auffordern. Sie denkt dabei an Modelle, die nach ihrer Meinung eine allgemeine Gültigkeit haben und an die die Lehrer(innen) andocken können. Hier tritt dann das im vorigen Abschnitt bereits angesprochene Problem auf, ob Dozentin und Lehrer(in) gleiche Deutungsmuster haben oder diese zumindest aushandeln können. DOZ D lässt ein ‚learning by doing‘ durchführen, indem die Lehrer(innen) Unterrichte halten und diese in einer Reflexion besprochen werden. Sie wertet dieses Verfahren aber als sehr schwer für alle Beteiligten.

844 DOZ F 127ff.

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5.2.6 Zum Thema ‚Ziele des Transfers‘ Ziele sind bei DOZ A nicht durch das Erreichen eines Endpunktes, sondern durch eine Richtungsangabe definiert. Eine Richtungsangabe ist danach das Wahrnehmen und Erfahren musikalischen Geschehens mit der Möglichkeit eines offenen Ausgangs: „Die ist durchaus selbst erfahren, selbst wahrgenommen, gespürt, und der Weg ist durch die Sinne: Sehen, Hören, und genau das ist in Korea etwas schwer, weil die Schüler, Studenten eine Biographie hinter sich haben, die auf Effektivität hin und die Augen sehen nicht, sondern die selektieren schon.“845

Eine solch eigene Erfahrung mit offenem Ziel würde vor allem die Haltung ändern. Denn dadurch würden die Lehrer(innen) bei Pädagogik und Methodik nicht nur ans Machen, sondern auch ans Sein denken, sich also auch auf sich selbst besinnen können. 846 Um dahin zu kommen, was DOZ A für möglich hält, müsste bei den Lehrer(innen) eine Reflexionsfähigkeit über ihr musikalisches Tun geschult werden. Die Reflexionsfähigkeit sei auch ein Kriterium für den Erfolg einer Aus- oder Fortbildung: DOZ A: „Die haben wir für als ganz besonders entwicklungsfähig best... eingestuft, weil wir dachten, ehm, dass man nicht die ganze Zeit eine schnelle Antwort sucht und nicht alle Fragen müssen sofort beantwortet werden, aber die Frage richtig zu stellen aus der Beobachtung heraus und auch aus dem Empfinden heraus.“ 847

DOZ A hält das für ein sinnvolles und erreichbares Ziel. RK: „[...] dann ist natürlich die Frage gerade so in dieser Stunde die Reflexionsebene für die Studentinnen ja unglaublich schwer.“ DOZ A : „Ja. Aber ... die Koreaner lernen schnell [BEIDE LACHEN].“ 848

Das Ziel von DOZ B ist nicht ein vollständiges Verstehen-Können der Lehrer(innen), sondern einen „Türöffner“849 für die elementare Musikpädagogik bereit zu stellen. Da methodisch wie inhaltlich selten Vorgaben von den südkoreanischen Partnern kämen, will DOZ B den Lehrer(inne)n Impulse geben, denkt aber, dass,

845 DOZ A 134. 846 DOZ A 193ff. 847 DOZ A 126. 848 DOZ A 119f. 849 DOZ B 153.

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um die elementare Musikpädagogik wirklich verstehen zu können, ein Vollstudium nötig sei. 850 Unter Impulsen versteht DOZ B kleine, die Ideen des einzelnen Menschen einbeziehende Schritte.851 Das Ziel einer zeitlich begrenzten Fortbildung ist daher, die musikalische Selbsterfahrung zur Entwicklung der eigenen Fähigkeiten zu fördern.852 Entsprechend dieser Zielvorgabe ist für DOZ B der Unterricht gelungen, wenn die von ihr gegebenen Impulse von den Lehrer(inne)n aufgenommen und ihnen dadurch die Möglichkeiten gegeben wird, an diese Impulse anzudocken, um selbst erkennen können, was sie übernehmen können und was nicht.853 Genauer will DOZ B die Ziele nicht umreißen, denn in Europa gingen die Menschen individuellere Wege und die Menschen in Südkorea müssten die Modelle selbst in ihr Umfeld einbauen. 854 Für DOZ C ist es ein Ziel, dass die Lehrer(innen) eine eigenverantwortliche Stundenvorbereitung leisten können. Denn auf der praktischen Seite erlebte DOZ C immer wieder große Schwierigkeiten der südkoreanischen Lehrer(innen), eigenverantwortlich zu handeln, was die Förderung der eigenen elementaren Musikalität sehr verlangsamte. Dies brauche enorm viel Zeit und dadurch sei auch ein Zeitproblem innerhalb einer Fortbildung entstanden. 855 Anfangs wollte DOZ C gar kein Programm aufschreiben, damit die Lehrer(innen) diese Stunden nicht einfach reproduzierten, sondern sie wollte ihnen Wege zum eigenständigen Aufbau der musikalischen Früherziehung aufzeigen. Ihr ging es um das Prozesshafte des Geschehens, die südkoreanische Seite lege aber mehr Wert auf festgelegte Formen und Inhalte.856 Bei den Inhalten fände DOZ C es besser, wenn „sie versuchen, auf ihre [BETONT] Traditionen zurück zu greifen, auf ihr traditionelles Liedgut, auf ihre Instrumente, auf ihre Tänze, auf ihre kulturelle Basis und nicht auf die deutsche. Weil das ist nun mal eine andere Kultur. Und bei uns gehört der Walzer, gehörte zumindest mal mit zur Kultur und in Korea nicht.“ 857

Ganz grundsätzlich geht es DOZ C zwar darum, auch Inhalte und Formen (Lieder, Bewegungsformen) zu erlernen858, der Fokus aber liegt auf dem Methodischen.

850 DOZ B 153. 851 DOZ B 165. 852 DOZ B 135. 853 DOZ B 233. 854 DOZ B 189-199. 855 DOZ C 157. 856 DOZ C 55, 149. 857 DOZ C 171. 858 DOZ C 130f.

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Dass eine Lehrkraft es schafft, auch mal aus der Rolle des Führenden in die des Mitspielenden zu wechseln, ist für DOZ C ein wesentliches Merkmal eines guten Unterrichtes. Der Unterricht ist für sie dann gelungen, wenn die/der Lehrer(in) es schafft, einerseits ein Unterrichtskonzept zu haben, andererseits aber damit auch frei umgehen kann, „dass sie die Impulse der Kinder aufgreifen kann und die kreativ in die Unterrichtsgestaltungen aufnehmen zu können, um genau eben diesen Dialog hin zu bekommen.“ 859

DOZ C denkt, dass ein Unterricht in elementarer Musikpädagogik wie in Deutschland auch in Südkorea möglich sei. Aber es müsse das Prinzip stimmen, dass „man sozusagen der künstlerischen, pädagogischen Entwicklung freien Lauf lässt.“ 860 In den gegebenen Kursen hätten die Lehrer(innen) gelernt, dass Musik nicht ein statisch normiertes Reproduzieren der auf Notenpapier tradierten Stücke sei. Sie hätten neue Ideen mitgenommen und einen anderen Zugang zur Musik austesten können. Sie hätten gelernt, dass Musik auch durch andere Zusammengänge (wie zum Beispiel Bewegung, Malen usw.) gelernt werden kann und wie sie mit musikalischen Parametern freier umgehen und sie in der Lehre selbst gestalten könnten.861 Sie haben „vielleicht Dinge ausleben können und zulassen können, die sie in ihrem Leben bisher noch nicht zulassen durften [BETONT].“862 Letztlich aber sei es wichtig, die Frage nach den Zielen von südkoreanischer Seite aus zu beantworten: „[...] und für mich stellt sich dann eher die Frage, ob denn überhaupt das Ziel, was nämlich erreicht wird mit dieser Form von – bleiben wir ruhig bei dem Beispiel – Bewegung, ich bewege mich frei im Raum ich drücke meine Emotionalität, meine Gefühle mit großen Gesten laut im Raum aus, ist das überhaupt in einer Kultur wie in Korea erwünscht? Will Korea [...] oder wer auch immer überhaupt, dass die Kinder das lernen? Diese Frage wurde ja nie beantwortet. Diese Frage hab ich mir irgendwann gestellt, als ich dann in Korea war, ob das überhaupt so sinnvoll ist, dass die das lernen wollen.“863

DOZ D beruft sich bei der Definition ihrer Ziele auf ihre Gespräche mit Carl Orff: „Orff besonders hat mir auf die Schulter geklopft und du solltest koreanisches Orff machen und [LACHT] daran erinnere ich mich.“ 864 Inhaltlich will sie, dass die Leh-

859 DOZ C 129. 860 DOZ C 167. 861 DOZ C 113-119. 862 DOZ C 113. 863 DOZ C 99. 864 DOZ D 70.

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rer(innen) bis ins Alter mit den Kindern zusammen in pädagogischer Schöpferkraft musizieren können und dass sie nicht einfach etwas reproduzieren, sondern dass sie selbst etwas schaffen. 865 Die Lehrer(innen) sollen zu sich selbst und ihrer innewohnenden Musikalität gelangen. 866 Durch diesen Zugang würden bei den Lehrer(inne)n die Motivation und die innere Einstellung zum Musizieren wie zu sich selbst gestärkt. 867 DOZ E möchte, dass ihre Lehrer(innen) das Musizieren durch Bewegung, Instrumentalspiel, Singen und Sprechen usw. reflektieren können. Das sei wesentlich, benötige aber eine lange Zeit. DOZ E spricht dabei von zehn Jahren oder mehr.868 Das Ziel von DOZ F ist, mittels unterschiedlicher Zugänge wie Bewegung, Instrumentalspiel, Gesang usw. eine Grundlage für die musikalische Arbeit zu bieten. Sie möchte die Kreativität und Ausdrucksfähigkeit bei den Kindern fördern.869 Besonders die südkoreanischen Dozentinnen berichten über die differierenden Zielvorstellungen von Eltern und Dozentinnen. Die Eltern wissen nach der Erfahrung von DOZ D nichts über die Absichten von Carl Orff870 und wünschten eher, dass ihr Kind ein gutes Bild abgeben soll. 871 Sie seien sehr der traditionellen Erziehung verhaftet. Es sei wichtig, die Eltern zu gewinnen, meint DOZ E. Die Eltern wollten repräsentable Ergebnisse sehen. Deshalb müsse man ihren Vorstellungen zumindest teilweise entsprechen. Eine „Konzertshow“872 gehöre dazu, sodass sie regelmäßig ein Mal pro Semester eine öffentliche Aufführung mache, in denen sie Resultate und Ergebnisse des Unterrichtes zeige. Da Eltern mit offenen curricularen Vorstellungen Schwierigkeiten haben, schreibt DOZ F in monatlichen Inhaltsüberschriften vorab, was sie mit den Kindern erarbeitet.873 Allerdings ist ihr wichtiger, dass die Kinder durch die Inhalte musikalische Erfahrungen machen als dass sie die Inhalte wiederholen können. So gibt es auch keine Prüfungen bei ihr. Das allerdings verstehe nur die Hälfte der Eltern, die zu ihr kommen.

865 DOZ D 151. 866 DOZ D 159. 867 DOZ D 135. 868 DOZ E 128-140. 869 DOZ F 125. 870 DOZ D 103. 871 DOZ D 111ff. 872 DOZ E 130. Mit „Konzertshow“ meint sie, dass von Seiten der Eltern Vorführungen zur öffentlichen Darstellung der Fortschritte der Kinder erwartet würden. 873 DOZ F 158f.

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Zusammenfassung: Ein Ziel für die Dozentinnen ist, dass die Lehrer(innen) die Fähigkeit erlangen ihre musikalischen Erfahrungen zu reflektieren. Da sie als südkoreanische Schüler(innen) nur gelernt hätten, das wahrzunehmen, was dem Erreichen eines von außen vorgegebenen Zieles nutzt, seien sie nicht darin geübt, sich auf musikalische Erfahrungen mit offenem Ausgang einzulassen. Daher müssten sie erlernen, ihr musikalisches Handeln auch reflektieren zu können. Weiterhin sollen die Lehrer(innen) erlernen, die Ideen der Schüler(innen) in ihren Unterricht einbauen zu können. Als konkretes Ziel wird genannt, dass die Lehrer(innen) erlernen sollen, eine eigenverantwortliche Stundenvorbereitung durchzuführen. Dazu sollen sie sich zuweilen aus der Rolle des Führenden in die des Mitspielenden begeben können. Die Lehrer(innen) sollen darüber hinaus selbsttätig schöpferisch musizieren (also nicht nur reproduzieren) können und infolgedessen mehr Ausdrucksfähigkeit erlangen. Solche Ziele decken sich nach den Erfahrungen der südkoreanischen Dozentinnen aber nur zum geringen Teil mit den Wünschen der Eltern. Diese wollten lieber repräsentable Ergebnisse sehen, dass also ihre Kinder ein gutes Bild abgeben. Offene curriculare Vorstellungen oder zieloffene Erfahrungen seien in den Gedanken der Eltern selten anzutreffen. Ein Eingehen auf die Elternwünsche z.B. durch die Gestaltung von Vorführungen sei aber aus Werbe- und ökonomischen Gründen notwendig. Die Dozentinnen wünschen darüber hinaus, dass Ziele auch von südkoreanischer Seite aus konkreter beantwortet werden sollten. 5.2.7 Zum Thema ‚Differenzerfahrungen‘ Differenzerfahrungen gab es bezüglich der sprachlichen Barrieren, der Rollenvorstellungen, der Inhalte, Methoden, z.T. auch der Zielvorstellungen bis hin zu den Rahmenbedingungen. Allerdings hatten manche Dozentinnen auch Ideen, wie Differenzen überwunden oder zumindest in ihren Auswirkungen gelindert werden könnten. Bei der sprachlichen Umsetzung durch die Dolmetscher(innen) stellte DOZ B im Unterrichtsgeschehen fest, dass im Deutschen abstrakte Ausdrucksformen wie z.B. ‚Kreativität‘ gar nicht richtig übersetzt würden.874 DOZ D bemerkt, dass sich sowohl der Rhythmus der deutschen Sprache als auch der bayerische Dialekt im Orff Schulwerk nicht übersetzen lasse. Dagegen könnten idiomatische viersilbige chinesische Lehrsprüche oder Sprichworte in den Unterricht eingebaut werden.875

874 DOZ B 218f. Für die Dozentinnen war es oft schwierig, herauszubekommen, was genau übersetzt und verstanden war (DOZ B 219 u.a.). 875 DOZ D 70ff.

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Darüber hinaus bestimmten die Dolmetscher(innen) teilweise aus ihrer gelernten Sozialisation heraus das Geschehen: „[...] dass die doch Einfluss genommen haben auch auf die Kinder und sagen: ‚So jetzt kommt und geht‘.“ 876 Als DOZ B das bemerkte, wurde ihr zur Begründung mitgeteilt, dass die Kinder diese Art von Unterricht nicht gewohnt seien und die räumlichen Möglichkeiten, die Klassengröße und fehlendes Instrumentarium nicht immer zur Verfügung stünden. 877 Es sei wichtig, dass die Schüler(innen) eine gute Außendarstellung böten. Daher hätten einige Dolmetscher(innen) darauf gedrungen, dass die Kinder sich den vermuteten Erwartungen der Dozentinnen gemäß verhielten. Alles, was darüber hinaus geschah, z.B. eine Erklärung zum Verständnis von Beziehungsgeflechten der Koreaner(innen) untereinander oder kulturelle (Vor) Verständnisse wurde DOZ B von den Dolmetscher(innen) nicht878, DOZ C aber schon zu erklären versucht.879 DOZ B berichtet über formale Muster, in denen Menschen, die chinesische und südkoreanische Schulsysteme durchlaufen hätten, lernen würden. Die Vorstellungen in asiatischen Ländern seien oft recht „schablonenhaft“880 gewesen. Allerdings sei das bei Lehrer(inne)n, die bereits öfters an Orff-Kursen teilgenommen hätten, „also schon im Ausland waren“ 881, weniger zu beobachten gewesen. Dies sei allerdings kaum die Norm im Alltag der südkoreanischen Lehrer(innen): „Also ich glaube, dass das nicht so ganz vergleichbar sein wird, wenn ich jetzt in eine normale Lehrerbildungssituation käme.“882 Bei aller wahrgenommenen Differenz empfindet DOZ B aber auch eine Ambivalenz, ein mehrdeutiges Urteil über ihrem Unterricht von Seiten der südkoreanischen Lehrer(innen). Einerseits glaubten sie, diese Form der Musikpädagogik in Südkorea nicht durchführen zu können. Andererseits seien sie aber auch fasziniert davon.883 DOZ C nennt als Grenze eines pädagogischen Transfers ihre Erfahrung, dass die Lehrer(innen) nicht in der Lage gewesen wären, selbstverantwortlich zu handeln und zu reagieren, sondern sich immer rückversicherten.884 Soweit die Fort-

876 DOZ B 59. 877 DOZ B 61. 878 DOZ B 149. 879 DOZ C 87. 880 DOZ B 71. 881 DOZ B 77. 882 DOZ B 79. 883 DOZ B 57. Das entspricht in etwa dem Begriff „Hunger“ der Lehrer(innen) nach anderen Musikerfahrungen, von dem DOZ C berichtet. (DOZ C 117). 884 DOZ C 157.

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bildung im Rahmen eines institutionellen Abkommens stattfindet, käme noch größerer ökonomischer Druck hinzu. Dieser habe eine freien Entwicklung und einem gemeinsamen Lernen entgegengestanden. Differenzen gibt es auch in der Vorstellung alltäglicher Bilder wie z.B. die Vorannahme von Eigenschaften, die Menschen oder Gegenständen zugeschrieben werden. DOZ B schildert ihre Überraschung, als in Südkorea eine alte Frau dargestellt wurde, indem sich jemand auf seine Muskeln klopft. Dies sei anders als die Vorstellung einer alten Frau in Europa. DOZ B berichtet, dass es bei den Lehrer(inne)n ein größeres Bedürfnis nach gemeinsamem Tun gab, also gemeinsam zu singen und zu tanzen. Die Dozentinnen hätten diesen Wunsch unterschätzt. 885 Inhaltlich haben mehrere Dozentinnen über Schwierigkeiten bei der Einbeziehung von Bewegung und Tanz in der musikalische Erziehung berichtet. 886 Die Lehrer(inn)en schämten sich, hätten Hemmungen und trauten sich daher nicht.887 Aber wenn der Unterricht spielerischer würde, könne sich das Problem auch lösen, berichtet DOZ A. DOZ A: „Zunächst war die Bewegung unbeliebt, weil des anstrengend ist.“ RK: [LACHT] DOZ A: „Ganz einfach. Und auch hier findet man immer wieder Leute, die nicht kr..., die energiescheu sind.“ RK: „Ja, ja.“ DOZ A: „Aber Musik und ohne Energie geht ja gar nicht und Tanz auch gar nicht. Also letztlich ist es das das das Leben, das Feuer darstellt, ist Energie und in Korea auch. Es, wir haben interessante eh Erfahrungen gemacht. Und die Kollegin, die eine sehr gute Tanzpädagogin, die dort war und mit jenen gearbeitet hat, ehm, am ersten Tag haben sie alle mitgemacht, am zweiten Tag haben sie auch noch mitgemacht, am dritten Tag waren sie alle, hatten sie alle Muskelkater. Und haben gejammert und sind jede Pause gelegen, haben sich gegenseitig massiert. Am vierten Tag hat kein [betont] einziger [betont] nur ein einziges Wort gesagt. Die haben getanzt.“ RK: „Ja, schön.“ DOZ A: „Durchgetanzt. Und die haben Spaß gefunden [PAUSE] Es ist also möglich.“ 888

Für DOZ C war neben dem Bewegungsbereich alles, was mit Improvisation zu tun hatte, schwierig zu vermitteln, „wenn es um wirklich kreatives, ganzheitliches Arbeiten ging, womöglich mit Klängen und eh ja so kreativen Prozessen in der

885 DOZ B 131, DOZ B 138. 886 DOZ F 45; DOZ C 81f., 85. 887 DOZ F 52ff. 888 DOZ A 180-186.

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Gruppe war das, finde ich, die größte Baustelle immer.“ 889 So etwas habe sich sogar im freien Malen zur Musik ausgedrückt, das immer figürlich und bildlich und so gut wie nie eine abstrakte, freie Gestaltung war. DOZ C führt das auf die Form und Umstände, in denen die Südkoreaner(innen) aufwachsen, zurück. Dennoch sieht DOZ C die Chancen eines Transfers dann gegeben, wenn die Rahmenbedingungen in Südkorea geschaffen werden. DOZ C kritisiert, dass das Interesse der südkoreanischen Schulen vor allem war, Geld zu verdienen und das mindestens für sie gleichrangige Ziel, dass die Lehrer(innen) „in Rahmenbedingungen arbeiten konnten, wo sie 'ne gute Atmosphäre schaffen konnten, da bestimmt Kindern auch diese kleinen Fenster öffnen konnten“890, nicht annähernd im Fokus des Interesses stünden. DOZ C sieht die Grenzen eines Transfers zumindest dann gegeben, wenn für die Durchführung der Aus- und Fortbildung zu wenig Zeit bleibt. Vier- bis sechswöchige Kurse seien zu kurz. Und weil sie das nicht akzeptieren wolle, habe sie sich aus dem Prozess zurückgezogen. Ein weiterer Grund für ihren Rückzug war eine fehlende Evaluation auf die Frage hin, was an kulturellen Inhalten übertragbar sei und wo gegebenenfalls andere Wege gegangen werden müssten. So eine Evaluation aber hätte Geld, Zeit und Initiative vor allem bei den südkoreanischen Stellen bedeutet und sei daher nicht erfolgt.891 Von Seiten der südkoreanischen Dozentinnen, die sowohl den in Deutschland/Österreich wie den in Südkorea gepflegten Umgang von Lehrern und Schülern kennengelernt hatten, verschob sich die Wichtigkeit der Probleme. DOZ E erwähnt die relative Unkenntnis der Orff-Methode auch in akademischen Kreisen. Des Weiteren sind für sie die Erwartungen der südkoreanischen Lehrer(innen), nach denen der Sinn des Unterrichtes möglichst schon am Beginn klar ersichtlich sein sollte, problematisch. Koreanische Schüler(innen) bevorzugten es, vor Unterrichtsbeginn Regeln, Inhalte, Lernverlaufswege und Ziele zu kennen, da sie ihnen Sicherheit geben.892 Auf offenere Formen wie zum Beispiel das entdeckende Lernen ließen sie sich ungern ein, weil sie damit kaum Erfahrung hätten. Es sei für koreanische Schüler(innen) unerwartet, dass zuerst etwas ausprobiert wird und erst nachher darüber gesprochen wird, was sie gemacht haben und was daraus für Schlüsse zu ziehen sind. Ein Sich-Einlassen auf experimentelle musikpädagogische Wege sei für sie schlicht ungewohnt.893 DOZ D berichtet von ihren eigenen Erfahrungen, die aus den differierenden Vorstellungen von Erziehung herrühren

889 DOZ C 81. 890 DOZ C 117. 891 DOZ C 93. 892 DOZ E 154. 893 DOZ E 110, 156.

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und geht dabei auf das bereits im Abschnitt über die ‚Ziele des Transfers‘ behandelte Thema zur Reflexion musikalischen Tuns in der Fortbildung ein, als sie von ihren Lehrerfahrungen bei Orff berichtet: „Ich habe wie unsere Generation dieses niemals gelernt. Mir ist es sehr schwer gefallen wie es dort gemacht wurde. Es war schwer. Du musst immer zusammen arbeiten. Auch selbst produzieren und die Leute fragen ‚Wie denkst du?‘ Das war für mich sehr schwer. Aber das ist sicher nötig, weil das unbedingt benötigt wird, deshalb muss man Orffmusik machen.“ 894

Auch die Möglichkeit einer freien Entscheidung, die Übung zur Entwicklung eigener Ideen, die Möglichkeit, dass man etwas auch unterschiedlich machen könne, hätten weder die Eltern noch die Schüler(innen) noch die Lehrer(innen) erfahren. Weil sie aber diesen Unterrichtsstil nicht erfahren haben, seien sie oft ängstlich und schüchtern. DOZ D müsse ihnen daher immer wieder Mut zusprechen: „Ich erkläre den Müttern den Unterricht. Diese Diese Diese Erziehung ist so so so. Die Mütter finden das gut. Sie finden es gut und ‚Oh, muss man es so machen, oder?‘ Trotzdem ist es mühsam, weil es eine Form gibt, dass wir immer alle eine sehr traditionelle Erziehung machen. Deshalb oh wecken wir zumindest in unserem Haus die Kinder, auch die Erzieherinnen darin [ZU DIESER TRADITIONELLEN UNTERRICHTSFORM RK] Dann ist es nicht, gebt bitte den Kindern Freiheit. Ich unterrichte sie [die Erzieherinnen RK], sie führen es jetzt mit ‚Oh ich mache so (DOZ D KLATSCHT), du kannst es auch auf diese Art machen (DOZ D KLATSCHT ANDERS).‘

Aber oh das dauert länger. Aber es braucht ein bisschen Zeit. Unsere

Erzieherinnen verstehen das auch manchmal nicht. Sie sagen: ‚Das ist schwer‘. Wenn wir am Anfang Orffmusik machen: ‚[…] das kann ich nicht machen, das kann ich nicht machen.‘ Die Schüchternheit frisst sie auf. Deshalb: ‚Nein nein. Hab‘ keine Sorge Sorge, du machst es richtig.‘ Ich gebe ihnen den Mut, dass es richtig ist. So mache ich es, aber das ist schwer schwer. Dies dies wirklich schwer, Ha ha ha große Problem [LACHT] is'se.“895

Zusammenfassung: Differierende Vorstellungen gibt es laut der interviewten Dozentinnen bei der Zuschreibung von Rollenerwartungen an die Dozentin wie auch seitens der Dozentinnen an die Lehrer(innen). Schwierig erwiesen sich in dem Zusammenhang das Kritisieren und der Umgang damit. Unterschätzt hätten Dozentinnen bisweilen den Wunsch der Lehrer(innen), etwas gemeinsam zu tun, dass der soziale Aspekt der Gemeinsamkeit also eine große Rolle spiele. Auch wurde die unterschiedliche Sprache als Differenz wahrgenommen. Die Übersetzung war zum Teil schwierig. Die Einflussnahme der Dolmetscher(innen) auf die Kinder sei

894 DOZ D 157. 895 DOZ D 166.

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aus Normierungssicht zwar nachvollziehbar, würde aber einen freien Unterrichtsfluss stark beeinflussen. Die Gewichtung der Differenzerfahrungen war darüber hinaus unterschiedlich je nach dem, woher die Dozentinnen kamen. Von Seiten der deutsch-österreichischen Dozentinnen wurden über die an anderer Stelle behandelten Kommunikations- und Rollenprobleme und über schablonenhafte Vorstellungen der Lehrer(innen) berichtet. Auch schwankten die südkoreanischen Lehrer(innen) zwischen Ablehnung und Faszination. Problematisch sei, dass es den Lehrer(innen) schwerfiel, selbstverantwortlich zu handeln und Stunden zu entwerfen. Von allen Dozentinnen wurden Schwierigkeiten beim Sachbereich ‚Bewegung und Tanz‘ eingeräumt, aber auch von der Erfahrung berichtet, dass ein spielerischer Umgang damit dieses Problem löse. Als Problem wurde im Umgang mit improvisatorischen und kreativen Elementen konstatiert, dass ein Ausdruck außerhalb vorgefertigter Normen in Südkorea ungewohnt sei. Eine Unterordnung der Fortbildungen unter ökonomische Interessen wurde konstatiert und kritisiert. Auch auf Seiten der südkoreanischen Dozentinnen wird auf die relative Unkenntnis der Orff-Methode in akademischen Kreisen hingewiesen. Als schwierig erweise es sich zudem, den Lehrer(innen) die Notwendigkeit der Reflexion in der Fortbildung beizubringen. Die südkoreanischen Dozentinnen benennen die Erwartungen der südkoreanischen Lehrer(innen) nach klaren Plänen, was aber den methodischen Interessen nach offeneren Formen und einem Sich-Einlassen auf experimentelle musikalische Spiele widerspreche. Darin bestehe eine grundsätzlich differierende Vorstellung von Erziehung. Der Vorstellung einer klaren Lernzielvorgabe, wie sie in Südkorea üblich sei, stünden in der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs die Nutzung der Freiheit und die Möglichkeit einer freien Entscheidung gegenüber.

6. Schlussbetrachtung

Im Folgenden wird eine Zusammenfassung der Untersuchung anhand von Items, die sich als zentral im Sinne der Fragestellung dieser Untersuchung erwiesen haben, dargelegt.

6.1 S ICHTBARES

UND

UNSICHTBARES

Kern dieser Studie ist die Untersuchung des Transfers einer musikpädagogischen Konzeption von einer kulturellen Umgebung in eine andere. Es geht bildlich gesprochen um die Untersuchung einer in realen Prozessen gebauten Brücke zwischen zwei kulturell spezifisch determinierten Umgebungen. Die meisten der heute gebauten Brücken bestehen aus einem Unterbau (Pfeiler und Fundamente) und einem Überbau (das Tragwerk aus Fahrbahn und Hauptträger), wobei der Unterbau zumindest teilweise unsichtbar und der Überbau sichtbar ist. Übertragen auf die hier durchgeführte Untersuchung ist das Thema die Erforschung der konkreten Bauweise der Brücke. Es geht darum, auf welchem Fundament die konkreten Erscheinungsbilder aufbauen, wie die einzelnen Schichten und Beläge der Brücke ineinander greifen und welche zunächst unsichtbaren Anschauungen, Denkweisen und Auslegungen der Handelnden die Phänomene des Geschehens mitprägen. Diese unsichtbaren Elemente sichtbar zu machen und sie mit dem realen Transfergeschehen zu verknüpfen hat sich diese Abhandlung ebenso zur Aufgabe gemacht wie die Sichtbarmachung der darin auftretenden Chancen und Probleme. Es stellt sich die Frage, welche Deutungsmuster den Transfer auch unterhalb der augenfälligen Phänomene und der darin verbauten Wissensstände charakterisieren. Das sichtbare Tragwerk ist zunächst einfacher zu beschreiben. Und es kann, falls es Teile gibt, die das Überqueren unmöglich machen, erschweren oder zumindest unbequem machen, beim Vorliegen der richtigen Ersatzteile, Zeit, handwerklichem Geschick und ökonomischer Potenz ausgebessert werden

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ohne dass das ganze Bauwerk zusammenbricht. Schwieriger gestalten sich dagegen derartige Arbeiten am Fundament. Doch gerade ob dieses hält und ob das Tragwerk mit dem Unterbau zusammenpasst oder nicht, entscheidet nicht nur über die Nutzbarkeit, sondern auch über den Bestand der gesamten Brücke. So steht nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Prozesses, also das, was sichtbar im Unterrichtsgeschehen passiert, im Fokus der Untersuchung, sondern auch die dem Prozess zugrunde liegenden ‚fundamentalen‘ Ideen und Deutungen. Die übertragenen Inhalte, Methoden, Materialien, die Inszenierungen im Unterricht und deren Deutungen auf der Ausgangs- wie auf der Zielebene dienen als Modelle einer Aussage. Aus ihnen können Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Lernens abgelesen werden. Realer Transferprozess (SICHTBAR)

Deutungen durch die Dozentinnen

Deutungen durch die Lehrer(innen)

(Nicht sichtbar)

(Nicht sichtbar)

Geistesgeschichtlicher Hinter-

Geistesgeschichtlicher Hinter-

grund, den Orff und Nachfol-

grund im (süd-)koreanischen

ger(innen) rezipieren

Umfeld

Abbildung 4: Realer Transferprozess Es zeigte sich bereits anhand der Datenlage, dass die Absichten der Dozentinnen und die Rezeptionen der Lehrer(innen) nicht einfach deckungsgleich sind. Daraus ergibt sich eine erste Schlussfolgerung. Dass die transferierten Inhalte an allen Orten gleich gedeutet werden, ist kaum möglich. Der Grund dafür liegt darin, dass jede Betrachtung eines Inhaltes auf einer – im Sinne von Wimmer gesprochen – „verinnerlichten Kultur“, also einem Habitus fußt, der auf einen anderen Habitus trifft. Insofern ist es wichtig zu untersuchen, wo Spannungen stattfinden und wie mit diesen umgegangen werden kann. Ob also im Brückenbild gesprochen unterschiedliche Fundamente oder Fahrbahnbeläge dem zu Transferierenden überhaupt ermöglichen, ganz, teilweise oder gar nicht auf die andere Seite zu gelangen. Mit anderen Worten: ob das, was als Transfer gestartet wurde, als Akkulturieren, als Transkulturieren oder letztlich als Nicht-Gelingen bezeichnet werden kann. Es geht also darum, anhand der zuvor unternommenen Analyse die Verläufe inklusive der Differenzen sicht- und kommunizierbar zu machen.

S CHLUSSBETRACHTUNG | 327

6.2 M ÖGLICHKEITEN UND G RENZEN Der Vergleich der Absichten, die die Dozentinnen verfolgen, mit den Wünschen und den realen Unterrichtsabläufen der Lehrer(innen) zeigt Übereinstimmungen wie Differenzen auf. Diese Unterschiede in den Konturen der Deutungen werden im Folgenden konkretisiert. Dabei sind die Motive der am Prozess Beteiligten zu berücksichtigen, insofern sie die Grundlage der zu eruierenden Fragen an den Prozess bilden. 6.2.1 Methoden am Beispiel der Lehrertätigkeiten Die Dozentinnen bieten ausgehend von einer in jedem Menschen vorhandenen musikalischen Potenz Methoden an, die zum Aufbau einer Persönlichkeit genutzt werden können. Sie bieten diese Methoden als Beispielformen an und wollen sie nicht als Essenz eines abzuprüfenden Könnens verstanden wissen wollen. Die Lehrer(innen) sollen diese Modelle selbst weiter entwickeln.

Tabelle 10: Entdeckend-kreative Tätigkeiten der Lehrkräfte

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Tabelle 11: Steuernde Tätigkeiten der Lehrkräfte Die Lehrer(innen) nutzen zwar im realen Früherziehungsunterricht steuernde wie entdeckend kreative Tätigkeiten und lassen auch entdeckend kreative Tätigkeiten und Selbsttätigkeit der Kinder zu. Doch im Vergleich der realen Tätigkeiten der Lehrer(innen) mit den zehn wichtigsten Wünschen, was sie erlernen wollen, ergeben sich lediglich zwei Wünsche, die sich auf das entdeckend-kreative Lernen beziehen: sie wollen Musik entdeckend-kreativ nutzen können und sich frei und nach eigenem Wunsch zur Musik bewegen können. Die anderen Wünsche sind eher dem technischen oder repetitiven Lernen zuzurechnen. Wird dieser Sachverhalt mit der Aussage von DOZ D in Verbindung gesetzt, nach der in Südkorea weder sie noch die Eltern noch die von ihr ausgebildeten Lehrer(innen) je erfahren hätten, dass ein Unterricht auch abweichend vom Lehrplan in Eigeninitiative gestaltet werden könne, so zeigt sich, dass die Lehrer(innen) von den Dozentinnen aufgrund von mangelnden Kenntnissen der jeweils lokalen Deutungsmuster und Sprachschwierigkeiten bei den Umdeutungen des Gelernten in ihren jeweiligen kulturellen Habitus weitgehend alleine gelassen werden. Ein Modell empfohlen zu bekommen und es dann auf die eigene Situation hin umzuschreiben ist nur möglich, wenn dazu auch Verfahren, die im kulturellen Habitus wirkmächtig sind, gelernt worden sind. Wenn aber die eigene Lern- wie Lehrerfahrung vornehmlich ein essentielles Lernen beinhaltet, in dem vorgegebene Inhalte angeeignet werden sollen, dann kann eine Forderung nach Umdeutung ohne Hilfe eine Überforderung darstellen. So ist es kein Zufall, dass nur zwei entdeckend-kreative Inhalte unter den ersten zehn Wünschen der Lehrer(innen) auftauchen. Dass dabei zugleich der Wunsch nach anderen Wegen existiert, wurde bereits im 4. Kapitel dargelegt. So ist auch die Transkription von ‚Musik und Tanz für Kinder‘ ins Koreanische ein

S CHLUSSBETRACHTUNG | 329

Baustein, diesem Wunsch nachzukommen. Die Übersetzerin In-Hye Rosensteiner begleitet dies mit der Hoffnung, „dass viele koreanische PädagogInnen aus diesem Werk Inspiration und Anregung schöpfen können.“ 896 Dies ist sicherlich möglich, doch kann eine Übersetzung des aus dem geistigen Deutungsraum einer deutschösterreichischen Musikpädagogik stammenden Werkes nicht die grundlegende Einstellungen und die daraus abzuleitenden Verfahren zur Nutzung eines eigenen und eigenverantwortlichen, kreativen und entdeckenden Musikunterrichtes bei den Lehrer(innen) bewerkstelligen. Denn schnell werden dann aus Ideen und Anregungen statt Inspirationen feststehende Inhalte. Aufgrund einer wirkmächtigen Tradition essentiellen Lernens aus Büchern 897 ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die angebotenen Möglichkeiten eher als vorgeschriebenes Modell umgesetzt werden. So fragen die Lehrer(innen) zwar nach Methoden, mit deren Anwendung sie den Kindern einen von Vorgaben freieren Zugang zu musikalischem Ausdruck ermöglichen wollen. Allerdings fragen sie dabei zugleich nach Systemen, die Freiheit ermöglichen, ohne diese zunächst aus eigenem Interesse heraus in verstärktem Maße einzuüben und reflektieren zu wollen oder zu können. 6.2.2 Zielvorstellungen zwischen Wollen und Tun Diese Vorerfahrungen der Lehrer(innen) erschweren auch das Erlernen wesentlicher Lehrinhalte der elementaren Musikpädagogik im Sinne von Carl Orff. Von Seiten der Dozentinnen werden an die Lehrer(innen) spezifische Sollens- und Wollensvorstellungen herangetragen: x sie sollen die Fähigkeit erlangen, eigenverantwortlich Stunden vorzubereiten, also selbsttätig schöpferisch zu sein und ihren Unterricht reflektieren zu können. x sie sollen im Unterricht Modelle anbieten, die die Ideen der Schüler(innen) mit einbeziehen, denen sie das für sie Sinnvolle entnehmen und in ihr eigenes Handeln einbauen können.

896 Rosensteiner, In-Hye (2014), S. 49. 897 Das Lernen aus Büchern hat bis heute eine große Bedeutung. Die Äußerungen von Hwa Cha Yun aus dem Jahr 1984 sind z.T. noch gültig: „Meiner Meinung nach hat das Curriculum in Korea keine so große Bedeutung, aber das Musiklehrbuch wird wie ein heiliges Buch geachtet, das dem Schüler im Unterricht unentbehrlich ist. Es ist die wichtigste Richtlinie des Musikunterrichtes und seine Inhalte werden als ‚Absolutum‘ angesehen.“ (Hwa, Cha Yun [1984], S. 40)

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x sie wollen, dass die von ihnen vorgestellten Inhalte nicht einfach übernommen werden, sondern an die südkoreanischen Verhältnisse angepasst werden. x sie wollen den Lehrer(inne)n beibringen, Musik zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit nutzen und die darin gewonnenen Verfahrensschritte im Unterricht anzuwenden zu können. Die tatsächlichen Aktivitäten der Lehrer(innen) zeigen aber im Vergleich mit den Absichten der Dozentinnen z.T. Gegensätzliches. Die Lehrer(innen) nehmen an sich ein überwiegend steuerndes Verhalten in ihrem Unterricht wahr, ihr Unterricht verläuft nach einem festgelegten Lehrplan ab und sie verändern ihn nur gelegentlich. Aber die Analyse präpariert darüber hinaus eine weitere Schicht heraus. Ein Blick auf die Rangliste der Lehrer(innen) bezüglich der gewünschten Aktivitätsformen der Kinder zeigt auch die dahinter stehende Seite: ihr Wollen. Auf der Rangliste ihrer Wünsche rangieren an erster bis fünfter Stelle dass die Kinder durch Spielen Musik lernen, sich körperorientiert musikalische Zusammenhänge erschließen, durch Imitieren anderer Musik lernen, durch Ausprobieren und Experimentieren Musik einüben und von sich aus musizieren wollen. Dass das kreative Nutzen von Musik, Spaß und Freude im Unterrichtsgeschehen so oft gewünscht werden, kann nicht allein aus einem hedonistischen Grundgefühl heraus erklärt werden, sondern ist vor dem Hintergrund des südkoreanischen Schulalltags zu verstehen, wonach in der Regel bestimmte Normen in möglichst kurzer Zeit erfüllt werden müssen. Über den Qualität und Menge des Inhaltes sagt das aber noch nichts aus. Wie bereits oben angesprochen besteht eine wesentliche Motivation der südkoreanischen Lehrer(innen) darin, im Erlernen der musikalischen Früherziehung andere Wege des Zuganges und Umganges mit Musik zu finden. Dies kommt auch in Gesprächen mit Vertretern der Institutionen und der Eltern zum Ausdruck. Die Lehrkräfte wollen durchaus anders als sie zumindest in Teilen handeln. Für die Lehrer(innen) besteht dabei die methodische oder institutionalisierte Schwierigkeit, vorliegende Modelle als solche zu erkennen, diese in Eigeninitiative weiter zu entwickeln und dann ausführen zu können. Da die Lehrer(innen) für die Nutzung entdeckend-kreativer Wege der Musikerziehung relativ wenige Anknüpfungspunkte aus ihrer Lern- wie Lehrerfahrung haben, greifen sie auf ihre eingeübten Schemata zurück und fassen die Musikerziehung jenseits des Unterrichts mit den Dozentinnen eher als Modelle feststehender Essenzen denn als individuell reflektierende und wandelbare musikalische Ausdrücke auf. Da sie zudem in Institutionen arbeiten, besteht zuweilen die institutionell verankerte Schwierigkeit eigenverantwortliches Handeln und Reflexion außerhalb der Vorgaben zu üben. Dass hier eine Verknüpfung mit dem Feld, in dem sie arbeiten,

S CHLUSSBETRACHTUNG | 331

stattfinden muss, ahnen oder wissen sie, reflektieren es aber kaum. Ein Motiv für die Einführung der musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff ist seitens der Institutionen, den handelnden Dozentinnen und den interessierten Lehrer(inne)n, dass eine Änderung der Musikerziehung in Südkorea stattfinden soll. Doch in vielen Fällen wird die musikalische Früherziehung in Südkorea den Erziehungsmethoden und -erwartungen, die den zahlenden Eltern bekannt sind, angepasst. Unterrichtsinhalte, Ziele und Methoden werden dazu allgemeingültig und für alle gleich festgelegt. Im Fokus steht dadurch eine allgemeingültige und nicht eine individuelle Deutung des musikalischen Lernens und Ausdrucks.

Was Lehrer(innen) können wollen Physiologisch haltbare Stimme entwickeln Klare Rhythmen spielen Instrumente hören und zuordnen Musik kreativ nutzen Mich frei zur Musik bewegen Zugleich singen und instrumental begleiten Spaß und Freude haben Über Musik sprechen Festgelegte Musik (Kultur tradieren) kennen Aus Musik szenisches Spiel entwickeln

5

5,5

6

6,5

7

Tabelle 12: Was Lehrer(innen) können wollen 6.2.3 Deutungen musikalischer Inhalte Die Orffsche Forderung, sich der kulturellen Ausdrucksformen des Landes zu bedienen und sie zum Werkzeug des musikalischen Ausdrucks zu machen, hat zur Folge, dass die Musik in Theorie und Praxis und die darin zum Ausdruck kommenden Handlungs- und Denkschemata, also der Habitus im deutsch-österreichischen wie südkoreanischen Feld erforscht und beschrieben werden müssen. Erst daraus lässt sich charakterisieren, wie die einzelnen handelnden Personen die vermittelten Inhalte deuten und was unter den kulturellen Ausdrucksformen des jeweiligen Landes verstanden wird. Die Notwendigkeit der Darstellung kommt paradigmatisch in der unterschiedlichen Deutung von traditioneller koreanischer Musik und Musik, die auf europäischen / US Wurzeln fußt, zum Ausdruck.

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Wird vom südkoreanischen musikalischen Lebensumfeld gesprochen, kommt die Sprache schnell auf Gugak. Die meisten Dozentinnen sehen sie als ‚koreanische Musik‘ an. Sie ist ihnen aber mit Ausnahmen nur wenig bis gar nicht bekannt. Daher fragen sie kaum danach, glauben aber, dass ihr Einbezug sinnvoll sei. DOZ A sieht im Musizieren von Gugak eine gute Möglichkeit, da diese Musik Elemente einer Musikpädagogik im Sinne Orffs, vor allem die Zusammengehörigkeit von Bewegung und Musik bereits miteinander vereine. Sie sei den Eltern aber weitgehend unbekannt. Um die Potentiale der traditionellen koreanischen Musik zu nutzen, sei daher ein Unterricht durch praktizierende Musiker und Tänzer sinnvoll.898 Denn sie hätten Gugak im Ohr und im Körper. Die koreanischen Dozentinnen nutzen gelegentlich traditionelle koreanische Kinderlieder und -spiele, soweit sie ihnen bekannt sind, um damit z.B. auf die Sprachentwicklung einzugehen. Auch der überwiegende Teil der befragten Lehrer(innen) hält es für sinnvoll, Gugak zu lehren. Bei der Anwendung im Unterricht und ihren Wünschen, was sie lernen wollen, taucht diese Musik jedoch kaum auf. Ein Grund dafür ist, dass auch ihnen Gugak weitgehend unbekannt ist. Gugak ist für sie häufig Ausdruck eines als ‚koreanisch‘ konnotierten Habitus, der auf koreanische Menschen wirkt. Die europäische/US Musik wird hingegen viel öfter formal als Inhalt für musikalische Lerninhalte definiert. Die Lehrer(innen) können daher Gugak nicht in einer Unterrichtspraxis nutzen, obwohl sie deren Lehre sogar noch wichtiger als die der europäischen/US Musik einschätzen. Orffs Forderung, sich der musikalischen Elemente des Landes zu bedienen, greift daher bei Gugak zu kurz. Denn die laut Orff zu nutzende „einheimische“, also die Menschen umgebende alltägliche und gebräuchliche Musik besteht heute nur noch rudimentär aus Elementen der tradierten, in Korea vor 1876 alltäglichen Musik. Andererseits bleibt zu bedenken, dass im Ansinnen der Lehrer(innen) die traditionelle Musik Südkoreas nach wie vor die Rolle einer – wenn auch weitgehend theoretisch postulierten – koreanischen kulturellen Identität besitzt. Die Lehrer(innen) leiten daraus ihre aktuelle Gültigkeit ab. So ist es zwar nicht ausgeschlossen, Gugak neu zu entdecken und im Orffschen Sinne zu nutzen899, jedoch steht dem die ideele Deutung dieser Musik als Repräsentation eines koreanischen Habitus und weniger bis gar nicht als aktiv in ihrem Unterricht zu nutzenden Inhalt entgegen.

898 Diese Sichtweise auf Gugak unterstreicht auch Keith Howard: Die „sino-koreanische Silbe, die viele mit Musik assoziieren, ‚ak‘ [㞛], hat tatsächlich eine viel umfassendere Bedeutung und wird seit den konfuzianistischen Klassikern verwendet, um Musik, Tanz und Dichtung einzuschließen.“ (Howard, Keith [2013], S. 5) 899 Bereits in der traditionellen Musik Koreas (Gugak) wurde der persönlichen Interpretation ein hoher Stellenwert eingeräumt. Im Kern ist Gugak außerhalb der Hofmusik

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Warum eine bestimmte Musik oder ein musikpädagogischer Inhalt eine Bedeutung in einem kulturell definierten Ort erhält, ist nur im Zusammenhang eines gesellschaftlichen Ausdrucks begreifbar zu machen. Musikalische Inhalte wurden in Korea in relativ kurzer Zeit zwar ausgewechselt, ihre Deutungsstruktur blieb aber weitgehend erhalten. Statt Gugak wurde Musik, die sich an europäisch / USamerikanischen Formen anlehnte, zum Hauptinhalt musikalischen Ausdrucks. Gugak wird heute außer von Liebhabern weitgehend instrumentalisiert für politische, museale oder touristische Zwecke musiziert. Erhalten aber blieb die Vorstellung, dass Musik der Einordnung in gesellschaftliche Strukturen und erst in zweiter Linie dem persönlichen Selbstausdruck dient. Musik als Ausdruck einer Person ist in Korea im öffentlichen Raum oftmals nur insoweit Selbstausdruck, als dieser die Relationen zu anderen Individuen zum Ausdruck bringt. Diese haben sich inzwischen verschoben. Bildung im traditionellen Korea hatte von der Idee her eine zunächst sittliche Aufgabe, deren Erfüllung sich in ökonomischen und sozialen Funktionen niederschlug: „Die konfuzianische Tradition im engeren Sinn, nämlich Lernen mit dem Ziel zu verbinden, ein tugendhafter Mensch zu werden, Bildung ökonomisch zweckfrei zu halten und nur auf Sittlichkeit hin zu orientieren, ist der eine Aspekt. Durch die chinesisch-koreanische Eigenheit, diese Bildung als Zugang zu hohen Ämtern, Ehren und Einkünften vor auszusetzen, ergibt sich der andere Aspekt der Tradition: Bildung ist der Schlüssel zum beruflichen Erfolg.“900

Heute erhält der berufliche Erfolg eine positive Kontierung. Daher ist die Erwartung an Bildung auch weniger die Herausbildung einer inneren Haltung, als vielmehr die Erwartung, eine relativ hohe soziale Position zu ermöglichen, die sich in repräsentablen Positionen und finanziellen Erfolgen wiederspiegelt. Das gilt auch für die Musikerziehung. Es geht beim Musikunterricht weniger um das Erlernen

nicht als eine feststehende Musik charakterisiert. Es ist „in der traditionellen Musik Koreas nie um die Imitation eines Modells gegangen, sondern persönliche Kreativität in der Interpretation/Komposition sei entscheidend für die Wertschätzung eines Musikers gewesen.“ (Utz, Christian [2002], S. 218). In der musikalischen Form und im Zusammenspiel gibt es in Gugak differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Persönlichkeit. Hier wäre eine ausgezeichnete Ausgangsmöglichkeit, diese Musik wieder zu nutzen. Dafür bedürfte es genügend Musiker(innen), die gleichzeitig Pädagog(inn)en sind. 900 Schoenfeldt, Eberhardt (1996), S. 139.

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einer wie auch immer und oft eurozentristisch gedachten Authentizität von Musik901, in der Musik entweder im Sinne einer ‚Werktreue‘ oder als individueller Ausdruck, wie dies in der Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs der Fall ist, gedeutet wird. Das Zeigen musikalischen Könnens 902 dient der Repräsentation eines gesellschaftlichen Ranges. Die Erwartung, dass darin auch eine persönliche Freude, mithin ein glückliches Leben aus individueller Sicht existieren soll, steht dahinter zurück. Allerdings kommt sie hin und wieder zum Ausdruck, jedoch nicht als Antipode zum Lernsystem, sondern als dessen subalterne Ergänzung. Manche Eltern sind sich dieser Problematik des südkoreanischen Schulsystems bewusst, wollen oder können ihr aber nicht entgehen. So ist zum Beispiel im Bericht einer Supervision über Vorträge und Gespräche mit den Eltern aus dem Oktober 2005 dokumentiert: „[…] einige [Eltern] erwarten vom ‚Orff-Programm‘ eigentlich Wunderdinge wie die Erschaffung von Genies aber ohne Disziplin oder Hilfe für überforderte Erziehung.“903 Viele Eltern können oder wollen sich nicht gegen die Konkurrenz im südkoreanischen Bildungssystem stellen. Sie wünschen aber, dass innerhalb des Systems mehr Freude am Lernen stattfinden soll. Ein Musikunterricht im Sinne Orffs soll dann nicht das System verändern, sondern dient als systemimmanente Erleichterung oder Kompensation von Belastungen. Diese Sichtweisen finden sich in dem hier untersuchten Prozess wieder. Orffs pädagogische Prämisse, Musik wertfrei als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu nutzen, geht von einem anthropologischen Ausgangspunkt aus, der zunächst

901 Vergleiche dazu auch die Kritik von Praetorius, Olaf (2012). 902 Cho Eun beschreibt in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 2013, dass Eltern mit höherem sozioökonomischem Status oftmals aus der Angst, gegenüber anderen zurückzufallen, ihre Kinder einen möglichst hoch angesehenen musikalischen außerschulischen Unterricht besuchen lassen. Doch auch unabhängig vom Einkommen wird ein grundsätzlich positives Konnotieren außerschulischen Musikunterrichtes von Eltern aller Einkommensschichten vorgenommen: “Despite the different perspectives, it should be noted that mothers in both studies shared common beliefs regarding the value and significance of musical experiences in childhood, and these perceptions were not strongly affected by their SES.“ (Cho, Eun [2014], S. 176. Mit ‚SES‘ ist der ‚socio-economic status‘ gemeint.). Die Autorin bezieht sich dabei auch auf die Ideen Bourdieus: „This idea is aligned with the concept of ‚cultural capital‘ described by Pierre Bourdieu (1984), which refers to a series of strategies to manifest and reinforce one’s position in a stratified social system through non-financial social assets.“ (a.a.O., S. 162; Bourdieu, Pierre [1984], S. 1) 903 Aus einem Supervisionbericht mit anschließendem Elterngespräch in Südkorea im Oktober 2005.

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unabhängig von seinem kulturellen Umfeld betrachtet wird. Zwar wurde von Orffs Nachfolger(inne)n diese Meinung mit einer kulturellen Relativierung versehen, wonach ein Selbstausdruck immer auch durch den Kontext vermittelt wird. Doch nehmen im hier untersuchten Transfergeschehen die Dozentinnen die Arbeit vor allem am individuellen, musikalischen Selbstausdruck zum Ausgangspunkt ihres Handelns. Hier scheint zunächst eine Schnittmenge der Deutungen von Dozentinnen und Lehrer(inne)n vorzuliegen. Denn in den Aussagen der Lehrer(innen) zeigen sich ebenfalls der Wunsch und die Motivation, individuelle Zugänge zur Musik stärker zu berücksichtigen. Jedoch werten die Lehrer(innen) Musik eben nicht nur aus einer individuellen Sichtweise, sondern auch aus ihrer internalisierten gesellschaftlichen Deutung, durch die sie ihr bestimmte Symbolgehalte zuweisen. Ausgehend von diesen symbolischen Deutungen finden sie es dann wichtig, Musik zu lehren. Die südkoreanischen Lehrer(innen) leben in multiplen Wertigkeiten. Der Vergleich europäischer Gesellschaften mit Japan durch Claude Lévi-Strauss: „hier sei das Subjekt zentrifugal, stets Bindungen abschüttelnd, dort zentripetal, gebunden in überpersönliche Ordnungen“ 904 auf südkoreanische Verhältnisse angewandt, würde diese nur in Teilen beschreiben. Denn Zentrifugales und Zentripetales bestehen gleichzeitig nebeneinander. In dem hier untersuchten Prozess manifestieren sich die überpersönlichen Ordnungen für die Lehrer(innen) in Gugak, das als musikalischer Träger einer gemeinschaftlich gedachten Einheit gedeutet, jedoch nur noch rudimentär gelebt wird. Auf der anderen Seite sehen sie einerseits europäische/US Musik als Träger musikalischen Lernens und deuten sie u.a. als Symbol der Freiheit, also im Sinne des Zitates von Lévi-Strauss als etwas, was sie eher individuell außerhalb von Bindungen betrifft. Die Suche der Lehrer(innen) geht hierbei in die zentripetale Richtung. Andererseits wird gesellschaftlich europäische/US Musik auch wiederum zentripetal gewertet: wer im Rahmen der vorherrschenden Deutung gut musiziert und über Musik Bescheid weiß, wird auch gesellschaftlich höher geachtet. Einerseits wird die europäische/US Musik mit Freiheit assoziiert und ihr eine musikalische Vorreiterrolle eingeräumt. Andererseits aber wird diese ‚freier‘ verstandene Musik methodisch gebunden und essentiell unterrichtet, sodass in ihrer Anwendung im Unterricht zwischen ideeller Konnotation und realer Umsetzung ein Widerspruch besteht.

904 Lévi-Strauss, Claude (2012), S. 47.

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Wichtigkeit von koreanisch und europäisch/US konnotierter Musik 8 = sehr wichtig bis 1 = sehr unwichtig 35

Ich finde es wichtig/unwichtig europäische/US Musik und Musikpädagogik zu lehren, weil…

30 25 20 15

Ich finde es wichtig/unwichtig koreanische Musik und Musikpädagogik zu lehren, weil…

10 5 0 8

7

6

5

4

3

2

1

0

Tabelle 13: Wichtigkeit von koreanisch und europäisch/US konnotierter Musik

Inhaltshäufigkeit nach gedachter kulturelle Zuordnung 35 30 25 20 15 10 5 0 8

7

jede Woche

6

5

4

3

manchmal

2

1 nie

Wir verwenden europäische und US Musik Wir verwenden traditionelle koreanische Musik

Tabelle 14: Inhaltshäufigkeit von koreanisch und europäisch/US konnotierter Musik

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6.2.4 Präferenzen des Gemeinsamen und Individuellen Im Folgenden soll die unterschiedliche Gewichtung einer gemeinschaftlichen und individuellen Deutung von Prozessen näher beleuchtet werden. Dazu sei auf Aussagen von Winfried Böhm zurück gegriffen. Nach Böhm bewegt sich pädagogisches Handeln im Spannungsfeld der Trias von Natur, Gesellschaft und Person.905 Die Ansicht, dass jedem Mensch eine Entelechie innewohnt, ist danach eine als ‚naturalistisch‘ zu bezeichnende Sicht. Danach liegen im Menschen die Form und die Kraft, diese zu entwickeln, bereits vor.906 Diese Ansicht wurde in der Rezeption durch die Reformpädagog(inn)en dahingehend gedeutet, dass erzieherisches Tun letztlich Hilfe und Beistand zur Entfaltung des bereits vorliegenden Ganzen sein müssen. Sie wenden sich gegen die Ansicht, dass ein Mensch im Sinne gesellschaftlicher Vorgaben zu erziehen sei, egal ob diese als historisch gewachsen, national, ethisch, lokal usw. betrachtet werden. 907 Darin muss sich ein Mensch aus seiner sozialen Rolle heraus definieren und eine darin verortete Erziehung muss darauf abzielen, wie ein Mensch in diese Rolle durch die Annahme der darin geltenden Werte, Verhaltensnormen und Einstellungen hineinwachsen kann. 908 Ausgehend von diesen Modellen lassen sich die unterschiedlichen Ausgangspunkte der jeweiligen Deutung Orffscher Musikpädagogik verstehen. Die Dozentinnen wollen erreichen, dass die einzelnen Menschen ihre musikalischen Potenzen entdecken, ausgestalten, reflektieren, um davon ausgehend sich musikalisch immer besser ausdrücken zu können. Gemeinsames Tun entsteht in der Orffschen Musikpädagogik aus dem Zusammenkommen von Einzelpersonen, die aus den ihnen innewohnenden musikalischen Potenzen heraus im Musizieren etwas Gemeinsames ausloten, darüber reflektieren und dadurch ihre eigenen musikalischen Möglichkeiten erweitern, was wieder in neues Musizieren überführt wird. Das Gemeinsame ist eine Folge des Zusammentreffens der im einzelnen Menschen definierten Charakteristika. Die südkoreanischen Lehrer(innen) wollen Gemeinsamkeiten erstellen und dabei Rollenvorgaben erfüllen. So kommt in ihren Äußerungen, die durch die Ausführungen einzelner Dozentinnen unterstützt werden, das Bedürfnis nach gemeinsamem Tun zum Ausdruck. Anhand der scheinbar widersprüchlichen Aussa-

905 Böhm, Winfried (2014), S. 107-124. 906 Als Vertreter dieser Ansicht führt Böhm u.a. Leibniz, Rousseau oder Diesterweg an. 907 Für diese Ansicht führt Böhm u.a. Fichte, Durkheim oder marxistische Denker an. 908 Es kann mit dieser Vorstellung eines Erziehungsauftrags auch eine Reaktion auf die jeweiligen gesellschaftlichen Anforderungen gemeint sein.

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gen zum Themakomplex ‚Bewegung und Tanz‘ lassen dabei nebeneinander liegende Schichten darstellen. Die Dozentinnen berichten, dass die Lehrer(innen) anfangs tanzscheu und energiearm waren und Scham sie vom Bewegungsausdruck abhielt. Sie hätten jedoch nach einiger Übung mit großer Ausdauer getanzt. Tanz gehört nicht zum eingeübten sozialen Ausdruck der Lehrer(innen). So wurde jede(r) einzelne Lehrer(in) individuell durch die Dozentinnen gefordert, weil sie nicht auf gemeinsame Ausdrucksmuster zurückgreifen konnte. Die damit einher gehende Unsicherheit verursachte Angst oder Scham. Hatten die Lehrer(innen) das Tanzen geübt und wurde es zu einem gemeinsamen Tun, konnte es als Gemeinsames wieder funktionalisiert zum Ausgangspunkt der eigenen Identität gewonnen werden. Die Wichtigkeit gemeinsamen Tuns liegt für die Lehrer(innen) darin, dass erst durch die Einordnung in ein gemeinsames Tun als Akzeptanz, Adaption oder Ablehnung die Charakteristika der einzelnen Menschen entstehen. Das Individuum ist darin eine Folge seiner Existenz im Gemeinsamen. Aber zugleich suchen die Lehrer(innen) einen Selbstausdruck auch außerhalb sozialisierter Vorgaben. So wünschen sie sich z.B. mehr Fertigkeiten in Kreativität und Improvisation. Auch hieraus lässt sich die ambivalente Antwort auf Fragen bezüglich des Sachbereiches ‚Bewegung und Tanz‘ erklären. So wollen sie selbst lernen, sich frei und nach eigenem Wunsch zur Musik zu bewegen und lassen dies oft auch die Kinder in ihrem Unterricht tun. Das Erlernen fester Tanzformen und das Entwickeln eigener Tanzformen, also das sozial Verbindlichere der Bewegung, stehen weiter hinten auf ihrer Agenda. Doch in der Praxis deuten und nutzen sie auch mangels Vermittlung durch die Dozentinnen ihr Tun als Repräsentation eines gemeinsam zu erstellenden oder bereits bestehenden Habitus. Einen Menschen aus Individualität oder Gesellschaft zu definieren, ist somit nicht als Gegensatz, sondern als unterschiedliche Gewichtung des Ausgangspunktes aus Individualität und Gesellschaft zu sehen. Während in den Gedanken der Orffschen Musikpädagogik vom Individuellen ausgehend kollektiv musiziert wird, begreifen sich die südkoreanischen Lehrer(innen) zwar anfänglich aus dem Kollektiven heraus, wünschen aber einen individuellen Zugang zur Musik, die sie wiederum im Lichte des Kollektiven interpretieren. Dazu kommt, dass im Kollektiven immer auch eine individuelle Konstante mitschwingt. Dazu schreibt wiederum Böhm: „Interaktionistisch kann diese Rollenauffassung deshalb genannt werden, weil die Antizipation des Anderen (TAKING ROLE OF THE OTHER) in die eigenen Handlungsgestaltung mit eingeht. Damit aber wird reflexives Handeln und intentionale Gerichtetheit ausdrücklich in das Rollenverhalten einbezogen. Auf diese Weise ist für den symbolischen Interaktionismus

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und die ihm verwandten Denker nicht Rollenkonformität, sondern gerade umgekehrt Rollendistanz zu einem zentralen und auch pädagogischen Thema geworden.“ 909

Solch eine Antizipation des Anderen führt dazu, das eigene Handeln, wozu auch das Musizieren gehört, immer im Bezug zum Anderen zu deuten. Erst wenn dieser Bezug stimmig ist, ist überhaupt Platz, über das eigene Wollen nachzudenken und – wenn dafür überhaupt noch Raum ist – auch durchzuführen. Böhm ist zuzustimmen, wenn er herausstellt, dass im gemeinsamen Handeln auch das Unterschiedliche, was im hier besprochenen Zusammenhang auch als das Individuelle ausgelegt werden kann, eine unterschwellige Konstante bleibt. Eine Betrachtung des untersuchten Prozesses als Dualität einer individuellen gegenüber einer aus gesellschaftlichen Vorgaben gewerteten Deutung wird daher der Realität nicht gerecht.910 Denn ebenso wie beide Ansatzpunkte in den Aussagen der Lehrer(innen) zum Ausdruck kommen, so bietet die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs beide Ansatzpunkte an. Relationen zu anderen Menschen spielen auch in der musikalischen Früherziehung eine gewichtige Rolle. Der Unterricht findet stets in Gruppen statt und der eigene Ausdruck eines Menschen steht immer in Verbindung mit der Vermittelbarkeit musikalischen Ausdrucks gegenüber andere Menschen. Das individuelle und das soziale Moment stehen in einer Wechselwirkung, wobei bei Orff der Ausgangspunkt eben das individuelle Moment ist. 911 Wird der Ansatzpunkt auf das soziale Element verschoben, wäre hier zumindest ein Anknüpfungspunkt gegeben, in denen aushandelbare Verhaltens- und Musiziermöglichkeiten eingeübt werden könnten, was dann Rückwirkungen auf die Ausgestaltung der eigenen Persönlichkeit hätte.

909 Böhm schreibt weiter: „Jürgen Habermas (geb.1929) hat dabei den Begriff der Rollendistanz nicht im Sinne eines Sozialisationsdefizits als mangelnde Identifikation mit der Rolle verstanden, sondern gerade umgekehrt als Ausdruck einer kritisch-reflexiven Haltung zur Rolle gewertet. Auf diese Weise hat er dazu beigetragen, die pädagogische Idee im Sinne von menschlicher Emanzipation und personaler Selbstbestimmung zurückzugewinnen.“ (Böhm, Winfried [2014], S. 120). Diese Ansicht kann für die Entwicklungen in Westeuropa gelten, für die Entwicklungen in Südkorea ist sie aus den vorliegenden Daten heraus allenfalls in Anfängen zu erahnen. 910 Dazu kommt, dass sich das Feld der Meinungen auch in Südkorea aus der Summe der Deutungen einzelner Menschen zusammensetzt. Eine bestimmte Anzahl anderer Meinungen wird sehr wahrscheinlich auch in Südkorea Rückwirkungen auf das Feld haben. Dafür bedarf es nur einer kritischen Masse und einer öffentlichen Beachtung. 911 Hierauf ging auch Nykrin mit seiner Weiterentwicklung der Orffschen Ideen ein, wonach eine individuelle musikalische Erfahrung kulturrelativ vermittelt wird.

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6.2.5 Rolle der Interessengruppen Welche der am hier beschriebenen Prozess beteiligten Personen und Interessengruppen sich bei dem Aushandeln der Bedeutungen durchsetzen und wer die Deutungen der Lernprozesse diktiert, ließ sich durch den Blick der am Transfer beteiligten Personen erheben. Personen sind die Dozentinnen, die Lehrer(innen), die Eltern und die Kinder, die in Südkorea einen Unterricht in musikalischer Früherziehung besuchen. Interessensgruppen sind die Orff-Gesellschaften, Akademien und Hagweons, aber auch die staatlichen Stellen wie Behörden oder ein paar in akademischen Kreisen sich mit der Musikerziehung beschäftigende Institutionen. Viele der Interessenten sehen eine Notwendigkeit, ‚ausländische Musikpädagogik‘ zu importieren. Doch das Gedankengut, das diese Pädagogik erschuf, wird nicht wirksam mit importiert. Der Ausgangspunkt der Transferprozesse waren Probleme auf Seiten der transfersuchenden Interessenten in Südkorea. Sie bestanden im Wesentlichen darin, Schwierigkeiten beim Erlernen von Musik in Südkorea zu beheben, nach denen das reine Erlernen musiktechnischer Qualifikationen zu wenig sei. Unausgesprochene Fragedifferenzen führten bereits zu Beginn Zusammenarbeit zu Problemen. Im einen Fall wurden Kursunterrichte gegeben, denen erst später, als sich Weiterführungen als schwierig erwiesen, inhaltliche Ausführungen (Bücher, Curricula) zur Seite gestellt. Im anderen Fall wurde über die anfangs lediglich gewünschten Curricula hinaus, die später als Lehrverlaufspläne spezifiziert wurden, erst auf Anregung einer deutschen Dozentin eine Fortbildung an die Seite gestellt. Da die Weitergabe des in diesem Zusammenhang transferierten Wissens in Südkorea größtenteils über privatwirtschaftliche Unternehmen vonstattengeht, sind die südkoreanischen Interessenten dazu gezwungen, das Transferierte an ökonomische Zielsetzungen anzupassen. In den hier untersuchten Prozessen führte das zu einer Veränderung der Charakteristik der musikalischen Früherziehung zugunsten einer besseren Verkäuflichkeit und Verständlichkeit: Die Früherziehung wird im Bezug zu pädagogischen Vorstellungen in Südkorea umgedeutet. Diese Veränderung bewirkte, dass sich einige Dozentinnen aus dem Transfer über Institutionen zurückzogen, weil sie die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs fehlgedeutet sahen. Auf Seiten der Lehrer(innen) zeigte sich, dass sie in dem Konflikt stehen, einen Lehrplan befolgen zu sollen, in dem gleichzeitig auch eine Freiheit der Eigengestaltung und Eigenverantwortung gefordert wird. Dieses Verhältnis von Freiheit und Eingebundenheit ist zu klären. Der Vermittlung klar zu bestimmender Inhalte ist die Freiheit zur Entdeckung eigener

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Möglichkeiten an die Seite gestellt. Deren Beschreibung ist vorab nicht klar festzulegen, da sie selbst entwickelt, erhoben und durchgeführt werden muss. Wo dem Lehrplan gefolgt werden soll und wo Abweichungen stattfinden sollen, bleibt im realen Vollzug ungeklärt. In der Realität arbeiten die Lehrer(innen) in ihrem Unterricht oft – jedoch nicht immer – Vorgaben als zu leistende Verlaufspläne ab. Täten sie es nicht, würden sie nach Meinung der Dozentinnen912 und mancher Entscheidungsträger im Hagweon 913 in ökonomische Schwierigkeiten geraten, was im privatwirtschaftlichen Rahmen ihren ökonomischen Untergang bedeuten würde. Dies berichtet Doz F, wonach nur ein Teil der Eltern einen Unterricht ohne Prüfungen und Leistungsnachweise verstehe, was zu geringen Schülerzahlen führe. Daher sei ein Eingehen auf Elternwünsche notwendig, die sich wiederum oft an den Leistungsbewertungen in Südkorea ausrichten (müssen), weil ein erfolgreicher Schulweg außerhalb von prüfbaren Leistungsnormen in Südkorea kaum möglich sei. So gerät ein in einer individuell begründeten Anthropologie stehendes musikpädagogisches System in einen Dissens, wenn es in eine Umwelt kommt, in der sich Individuen primär aus ihren Relationen zu anderen Menschen zu definieren haben. Sind diese Relationen auch noch relativ klar strukturiert vorgefertigt, werden die Ausdrücke der eigenen Potenzen zweitrangig, insofern sie sich gemeinschaftlichen Vorgaben zu unterstellen haben. Die Bestimmungen der Relationen, in denen ein Mensch steht, entstammen historisch gewachsenen Verhältnissen, die im Laufe der Zeit für die Bedürfnisse der jeweils sich durchsetzenden Interessensgruppe instrumentalisiert wurden. Bezüglich der Musik sind dies ökonomische und pädagogische Interessen. Musikpädagogische Interessen, die Musizieren nicht nur als öffentliche Leistungsschau, sondern auch als Ausdruck einer eigenen Persönlichkeit, die auch different zu Vorgaben sein kann, begreifen, kollidieren hier mit der Notwendigkeit, sich im wirtschaftlichen Wettbewerb behaupten zu müssen und Inhalte verkäuflich zu machen. Verkäuflich wird ein musikpädagogisches System erst, wenn es Erfolge aufweist. Erfolge auch im Wachsen einer eigenständigen Persönlichkeit zu sehen, wird zwar in Südkorea von Personen wie

912 Dies entspricht auch den Erfahrungen aus Supervisionsgesprächen. Darin kam über die Jahre hinweg immer wieder zum Ausdruck, dass viele Lehrer(innen) den Ansatz einer musikalischen Früherziehung im Sinne von Carl Orff gut fanden, er aber „zu früh“ käme. 913 Es wurde auch Dozentinnen immer wieder zu verstehen gegeben, dass bei allen pädagogischen Verbesserungsvorschlägen vonseiten der Dozentinnen stets der finanzielle Erfolg der Unternehmung vorrangig zu behandeln sei.

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von staatlichen Stellen protegiert. Aber in der Realität eines beruflichen Erfolgstrebens im Sinne von in Südkorea weitgehend geltenden Wertigkeiten wird diese Ansicht nicht aktiv umgesetzt. Das ‚Außergewöhnliche‘ ist nur innerhalb vorgegebener Parameter, die die gesellschaftliche Idealstruktur nicht in Frage stellt, gut. Um die Erhaltung dieses pädagogischen Umfeldes herum haben sich die Hagweons angesiedelt. Ihr ökonomischer Überlebenskampf ist einer von vielen Bausteinen, die das System, pädagogischen Erfolg vor allem im Erfüllen von außen genormter Vorgaben zu sehen, erhalten. Eltern und Schüler(innen) haben sich dem anzupassen, wollen sie innerhalb des Systems erfolgreich sein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs aus diesem Umfeld heraus für die eigenen Zwecke modifiziert wird. In Südkorea als defizitär erlebte Phänomene (z.B. Lernen ohne Freude) sollen damit behoben werden. Eine Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs beinhaltet aber mehr als eine Art Fundus von Methoden und Inhalten zu pädagogischen Reparaturzwecken. Durch den persönlichkeitszentrierten Ansatz und die Idee, Erziehung durch Kunst (und nicht zur Kunst) durchzuführen, bietet Musikpädagogik im Sinne Carl Orff den Interessent(inn)en Erfahrungen, die sie im Ausbildungsrahmen in Südkorea seltener werden machen können und die sie auch zu eigenständigen Reflexionen und Stellungnahmen herausfordern können. Diese sind aber ohne Begleitung einer Lehrkraft, die beide Deutungshorizonte mit einbeziehen kann, kaum möglich. Die Dozentinnen sind dazu aufgefordert, im Unterricht bei gemeinsamen und persönlichen Erfahrungen anzusetzen und zu darin neue Erfahrungen zu ermöglichen und zu Leistungen herauszufordern. 6.2.6 Können und Sein Bei der Beantwortung der pädagogischen Grundfrage, in welcher Relation Sein und Können eines Menschen pädagogisch behandelt werden, ist der Ausgangspunkt entscheidend. Aufbauend auf der These, dass im Menschen musikalische Potenzen angelegt sind, will eine Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs den Kindern Möglichkeiten zu Eigenaktivität und Selbstgestaltung einräumen und Bildung nicht darauf beschränkt wissen, musikbezogene Fertigkeiten anzuhäufen. Dadurch wird ein ‚mehr‘ nicht automatisch als ‚besser‘ eingeschätzt. Andererseits können musikalische Erlebnisse und Erfahrungen nicht Lernen und Leistung ersetzten.914 Es kommt somit darauf an, die Leistung mit den Ausdrücken der im

914 Diese Idee einer doppelten Ausrichtung pädagogischen Handelns folgt den Ausführungen von Böhm, Winfried (2012).

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einzelnen Menschen angelegten Potenzen in Relationen zu bringen 915 und nicht grundsätzlich das Eine dem Anderen vorzuziehen. Bestimmt maßgeblich oder sogar alleine ein in einem Umfeld geltender (musikalischer) Leistungsnachweis über die Wertigkeit eines Menschen, dann wird ein Mensch an diesem Parameter gemessen. Das führt dazu, dass zunehmend das Können das Sein bestimmt. Ein Mensch ist, was er leistet. Wenn umgekehrt ein Mensch sein Sein völlig unabhängig vom Können deutet, so würde er zwar auch unabhängig von seinem Können anerkannt werden. Doch das kann dazu führen, dass er sein Tun nicht mehr in sozialen Zusammenhängen erkennt, schlechter kommunizieren kann und mittelfristig verlernen kann, einen Beitrag zum sozialen Miteinander einzubringen. Beide Extreme führen zu einer neuen Problematik. Bestimmt das Können das Sein, führt das zu einer Ökonomisierung916 menschlicher Interaktionen. Bestimmt das Sein das Können, führt dies im Extremfall durch die egozentrische Weltsicht ohne soziale Verantwortung zu sozialen Verwerfungen. Daher brauchen sich beide Wege als Regulativ. Wenn in einer offenen Gesellschaft das Ansammeln anerkannter Nachweise eines Könnens überwiegt, wie es in Südkorea ausgeprägt ist, so führt das zu einer Entkoppelung von individuellen und kollektiven Zielen, da das Streben nach repräsentativen Ergebnissen die eigenen Potenzen nur in den Parametern berücksichtigt, soweit sie in kollektiven Zielevorstellungen subsumiert werden können, davon unabhängige Ideen aber negiert.917 Wenn in einer offenen Gesellschaft das Insistieren auf individuelle Ausdrücke überwiegt, so gibt

915 Das macht die Vergleichbarkeit von Leistungen schwer. Daher ist es auch verständlich, dass die die Dozentinnen in den Interviews nur sehr umschreibend die Frage beantworteten, was einen gelungenen Unterricht ausmache. Lehrer(innen), die nach einer Vorgabe unterrichten, haben es da, zumindest vordergründig betrachtet, leichter. 916 Es gibt inzwischen zahlreiche Autor(inn)en, die diese Problematik auch in aktuellen pädagogischen Entwicklungen Europas konstatieren. Als Beispiel sei hier Konrad Paul Liessmann angeführt, der in seiner polemischen Streitschrift davon spricht: „Unbildung heute ist weder ein individuelles Versagen noch Resultat einer verfehlten Bildungspolitik: Sie ist unser aller Schicksal, weil sie die notwendige Konsequenz der Kapitalisierung des Geistes ist.“ (Liessmann, Konrad Paul [2006], S. 10) 917 Was in Südkorea vorliegt, ist auch Deutschland nicht fremd. Im Rückblick hat Theodor Wilhelm die Schule der wilhelminischen Ära eine „Stoffschule“ (Wilhelm, Theodor (1967), S. 1 ff.) genannt und sie als kinderfeindliche Institution beschrieben, da sie keine individualisierte Pädagogik sondern eine Art Massenprodukt herstellen würde. Beobachter aus dem Ausland fanden das damalige deutsche Erziehungssystem insofern beachtenswert, als es viel Wissen vermittele. In Wellenform setzten danach

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es das Primat der Freiheit von Bindungen (Lévi-Strauss‘ „zentrifugal“) und die Freiheit zu gemeinsamen Entscheidungen (Lévi-Strauss‘ „zentripetal“) wird vernachlässigt. Das Aushandeln von Bedeutungen käme so zu keinem temporären Abschluss und eine Verständigung auf gemeinsame Erziehungsziele würde unmöglich. Den vorliegenden Daten ist zu entnehmen, dass sich die Dozentinnen der Lage durchaus bewusst sind. Als Beispiel dafür sei Auffassung von Doz A angeführt, Musik diene einer Menschenbildung. Zugleich führt Doz A aus, ein Wettbewerb dürfe nicht nur dem Vergleich mit anderen Menschen gelten, sondern der Wettbewerb mit sich selbst, das Beste aus sich zu machen, sei ebenso wichtig. Dem steht allerdings entgegen, dass in Südkorea im realen Schulunterricht die Frage, was jeder einzelne Mensch eigentlich wolle, sehr selten gestellt wird. Der Ansatz, Wettbewerb nicht zu verdammen, sondern in seiner Deutung zu erweitern, ist sicherlich ein Ansatzpunkt, der eine Brücke zwischen Können und Sein schlagen könnte. Die Schwierigkeit wird dabei sein, wie das in Gesellschaften, die von wirkmächtigen idealisierten Kollektivvorstellungen ausgehen, durchzuführen ist. Wettbewerb herrscht in Südkorea und insofern ist dieser Ansatzpunkt existent. Doch Wettbewerb sucht immer nach Parametern, an denen gemessen wird. Eine

Schwerpunktänderungen zwischen der eher vom Individuum ausgehenden Pädagogik (z.B. in reformpädagogischen Ansätzen oder pädagogische Überlegungen ab den 1960er Jahren) und dem Schwerpunkt auf Stoff- und Qualifikationsvermittlung ein. Inzwischen wird die internationale Vergleichbarkeit von schulischem Handeln als wichtig erachtet. Das führte zu einer schleichenden Veränderung in der Deutung von Zweck und Sinn von Bildung und Erziehung. Bemühungen zur Verbesserung einer als Reaktion auf die diversen Studien (PISA etc.) als defizitär beschriebenen Lage in Deutschland sind auch als Reaktion auf die Ergebnisse der die Vergleichstest ‚führenden Nationen‘, zu denen Südkorea gehört, zu verstehen. Aus dem Vergleich kann aber de facto eine Veränderung der in Deutschland verorteten pädagogischen Traditionen, die z.B. in den Schriften Wilhelm von Humboldts immer wieder zum Ausdruck kommen, nach denen Bildung eine zunächst auf den Menschen und nicht auf Abschlüsse und Qualifikationen (Kompetenzen) abzielende Tätigkeit ist, hervorgehen. Denn durch die Formen und Inhalte der derzeitig vorgenommenen Vergleiche werden Ergebnisse ökonomisiert und im Sinne einer Leistungsschau medial präsentiert. Bleibt es alleine dabei, bestimmt schließlich zunehmend das Können das Sein auch in Deutschland. Es muss aber darum gehen, Können nicht nur durch reinen Wissenserwerb zu definieren, sondern das Erlernte dazu auch in einen Bezug zum individuellen Sein zu setzen.

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eher geschlossene Gesellschaft wird Menschen viel eher an den in ihrem Umfeld geltenden Leistungsnachweisen messen als eine offene Gesellschaft, die an stets neuen Lösungen interessiert ist. Sie muss die Parameter von Leistungsnachweisen verändern. Sollte sich die Idee von Doz A durchsetzen, ist ein Aushandeln von Parametern unumgänglich. 6.2.7 Kommunikation, Rollenzuweisung und Reflexionskultur Die hier aufscheinende Problematik spielt sich in vielen kulturell determinierten Umgebungen ab. Dualistisch zugespitzt formuliert gibt es Deutungen aus einer essentialistischen Sichtweise und aus einer Sichtweise, nach der ein Mensch aus differenten Mustern auswählen kann. Ersteres richtet sich an Gruppengrenzen aus. Wimmers ‚kulturelle Distinktion‘ wird dann als dauerhaft angesehen, ein Wandel erschwert oder verhindert. Sich daran auszurichten bringt Sicherheit, hindert aber Entwicklungen. In einer Welt mit differenten Deutungen leben zu können bedeutet Muster erkennen und auswählen und diese Auswahl in einer Gemeinschaft verantworten zu können. Der Fokus liegt hier mehr auf Wimmers ‚kollektiver Repräsentation‘. Der ‚Habitus‘ und die ‚kulturelle Distinktion‘ also die Festlegungen sind nur vorübergehend und veränderbar. Das bringt Freiheit, aber auch die Mühe steten Sich-Verständigen-Müssens. Um aus differenten Mustern auswählen zu können, ist es wichtig, einerseits seinen Standpunkt zu kennen, ihn benennen und selbst verantworten und in die Muster der Umwelt einzuweben zu können. Dies zu lernen ist eine Aufgabe der Pädagogik. Darüber hinaus bedarf es der Fähigkeit, die jeweiligen Deutungsmuster und ihre Parameter grundlegend reflektieren zu können, weil daraus die Fragen zum Verständnis entstehen können. Andernfalls macht eine unreflektierte pädagogische Umsetzung alle im pädagogischen Rahmen tätigen Personen zum rein ausführenden Objekt unhinterfragter Deutungsvorgaben. Das wiederum setzt eine gelingende Kommunikation voraus. So sind auch die Formen der Kommunikationsmöglichkeiten zu untersuchen. Die Lehrer(innen) gehen in der Fortbildung häufig von klaren Unterrichtsplänen und vom Vorhandensein eindeutig richtiger und falscher Lösungen aus. Sie fragen nach Anweisungen und Handlungsorientierungen und nicht nach Verfahrensmöglichkeiten, die sie selbst weiter auf konkrete Situationen hin entwickeln und dann mit den Kindern in ihrem Feld erproben und aushandeln können. Dies steht einer methodischen Zielsetzung nach Anwendung von offenen Formen und dem Sich-Einlassen auf experimentelle musikalische Spielformen entgegen. Zwar änderten manche innerhalb der Fortbildung ihr Handeln und machten dabei mitunter neue und durchaus auch von ihnen positiv gewertete Erfahrungen. Bei der Umsetzung in

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ihrem eigenen Unterricht jedoch blieb ein solches selbst verantwortetes Tun oftmals ungewohnt, sodass sie in Konfliktfällen eher an Stundenentwürfen festhielten und eine Abweichung davon scheuten. Manche Dozentinnen beklagen, dass in ihrem Unterricht die Lehrer(innen) mehr reagierten als agierten. Es käme nur schwer zu einer Diskussionen, was das Lehren erschwere. Kritik an Dozentinnen sei eher durch Verhaltensänderungen wie Stille und innere Emigration zu erkennen. Eine direkte Ansage durch die Lehrer(innen) sei undenkbar. Der Auseinandersetzung und dem Aushandeln von Deutungen musikalischer Inhalte und musikalischen Ausdrucks stünden vorgedeutete Rollenzuweisungen mit Verhaltensnormen entgegen. 918 Doz A berichtet, dass die Frage, was jemand will, kaum Bedeutung zugemessen würde und entsprechend fielen Antworten auf solche Fragen nichtssagend aus. Die Dozentinnen zielen also nicht nur auf die Vermittlung musikalischer Inhalte und Methoden, sondern auch die einer dafür notwendigen Reflexionskultur. Reflexion meint hier, sich des eigenen Deutungsmusters klar zu werden und sie in ein Verhältnis mit anderen, auch abweichenden Deutungsmustern zu stellen. Ist ein Deutungsmuster von außen vorgegeben, muss es nur erlernt werden. Ist es aber – wie bei Orff impliziert – von einem Menschen selbst zu entdecken, gilt es, sich mit unterschiedlichen Denkweisen und Parametern auseinanderzusetzen, also statt konvergentem auch divergentes Denken zuzulassen und einzuüben.919 Das setzt

918 Hier hinein gehört auch die Rolle der Dolmetscher(innen), von denen einige den Dozentinnen die habituellen Verhältnisse Südkoreas aus ihrer Sichtweise zu vermitteln versuchten. Andere hingegen bewältigten ihre Aufgabe ganz aus ihrem kulturellen Habitus heraus. So bemühten sie sich aus diesen Vorstellungen heraus darum, dass die Lehrer(innen) und Kinder den vermuteten Vorstellungen der Dozentinnen entsprachen, wodurch sie Dissenssituationen zu vermeiden suchten. 919 Dazu Christoph Richter: „Heideggers Begriff der ἀλήεϑεια (aletheia, was wörtlich das ‚Unverborgene‘ bedeutet) beschreibt eine ‚Wirklichkeitsentdeckung‘. Damit ist gemeint, dass jede und jeder auf seine Weise und in seiner eigenen hermeneutischen Situation stehend potenziell ein anderes Stück Wirklichkeit ans Licht holt (entdeckt, aus dem bisher Verborgenen holt, in eine Beziehung zu ihm tritt). Die WirklichkeitsEntdeckung ist stets ein subjektiver Vorgang, der aus früheren Erfahrungen, aus Charakter, aus individuellen Lebensbedingungen gespeist wird. Sie kann mehr oder weniger überzeugend sein, andere ‚anstecken‘ und so allgemeine Gültigkeit bekommen. […] Hier gilt nicht nur, dass jeder einen anderen Zipfel der Wirklichkeit lüftet: vielmehr tut es jede und jeder auf andere Weise (aus anderen Voraussetzungen), z.B. mehr oder weniger intensiv, genau, großzügig, an Früheres anknüpfend, zu anderen Zeiten

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voraus, dass relativ direkte Kommunikation und Kritik zum Aushandeln von Deutungsmustern zugelassen werden können. Die Dozentinnen fragen danach, wie sich die Lehrer(innen) im Singen, Instrumentalspiel und Bewegung musikalisch ausdrücken und dieses Musizieren in Reflexion als Schaffung ihrer eigenen Persönlichkeit nutzen können, weil dies ein Kernpunkt Orffscher Musikpädagogik ist. Was die Dozentinnen damit verfolgen, ist, die Deutungsstrukturen der Lehrer(innen) auf das Zulassen divergenter Anschauungen hin zu erweitern, sodass sie dieses Procedere dann an ihre Schüler(innen) weitergeben können. Musikalisches Tun als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist in Südkorea anders konnotiert und geschieht aus einer anderen Sichtweise als von Orff impliziert. Die eigene Persönlichkeit wird aus den Relationen zu anderen Menschen heraus charakterisiert und musikalischer Ausdruck ist damit eher Ausdruck einer Einordnung in eine Gruppenbefindlichkeit oder dient dazu, diese zu stützen und erst daraus sich selbst zu definieren. Damit ist der Sachverhalt aber nur teilweise und vornehmlich aus einer öffentlichen Wertigkeit heraus, die sich auch im institutionellen Handeln manifestiert, umschrieben. Daneben steht unverbunden auch der Wunsch der Lehrer(innen) aus zweckfreiem, individuellem Wollen heraus zu musizieren. Wo beides aufeinander trifft, entstehen erhebliche Reibungspunkte. Diese treten beispielsweise in Supervisionen auf, wenn die Lehrer(innen) den Kindern freie musikalische Äußerungen ermöglichen und dies in chaotischem Tun mündet, weil Lehrer(in) wie Schüler(innen) Handlungsmuster für einen veränderten Ablauf oder offenen Ausgang in einem Unterrichtsgeschehen zu wenig kennen. 920 Zudem unterliegen die Lehrkräfte multiplen Rollenverständnissen. Es gibt die Erwartung der Kinder und Eltern an eine Lehrkraft, dass sie die (womöglich einzig richtige) Lösung kennt. Das hat zur Folge, dass die Lehrer(innen) geschlossene Aufgabenstellungen bevorzugen, auch wenn sie diese mitunter in offenen Formen

und unter anderen Bedingungen verschieden und sich verändernd.“ (Richter, Christoph [2012]), S. 45f.) 920 Eine der wenigen Wünsche von südkoreanischer Seite bezog sich darauf, in den Supervisionen Hinweise auf den Umgang mit Unterrichtsstörungen zu geben. Beim Gespräch vor Ort stellte sich dann heraus, dass die Lehrer(innen) wie die Vertreter der Institution am liebsten Handlungsanweisungen bekommen wollten, durch die auf abweichendes Verhalten im Lehrbetrieb allgemeingültig reagiert werden konnte. Zu dieser Problematik sich verfestigender Rollenerwartung und gleichzeitiger Fortentwicklung gesellschaftlicher Werte wurde bereits in Kapitel 3. eingegangen.

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verpacken.921 Darüber hinaus bestehen die o.e. Schwierigkeiten im Aushandeln und Diskutieren, da Lehrer(innen) zu den Respektspersonen gehören und ihnen zu widersprechen oder eine andere Meinung zu äußern sprachlich zwar nicht unmöglich, jedoch weitaus schwieriger zu gestalten ist als im Deutschen. Da Eltern und Kinder Kunden der Kindergärten und Musikschulen sind, führt das zudem dazu, dass die Lehrer(innen) gleichzeitig im Ansehen hoch angesehene Lehrkräfte wie subalterne Bedienungen sind. Ein Aushandeln von Wertigkeiten des Musizierens kann aber nur innerhalb von Erwartungen und Rollenmustern922 erfolgen. Nur im Rahmen dieser Muster können Aushandlungen, bei denen auch individuelle Ansichten Wert erhalten, gelingen. Daher sind (emische) Kenntnisse darüber und ein Sich-darin-bewegen-können von zentraler Bedeutung. Schwierigkeiten bestehen folglich auch im Bereich der Reflektierens. Ein eigenverantwortlicher Umgang mit musikalischem Handeln setzt voraus, dass Menschen lernen oder schon gelernt haben, sich über Musik auszutauschen und musikalischen Ausdruck auch als Suche betrachten und nicht nur als (feststehende) Verfahrenstechnik. Die Lehrer(innen) und die Kinder haben aber weder genug tägliche Übung noch Fertigkeiten darin, über ihre musikalische Ausdrucksmöglichkeiten direkt mit den Dozentinnen zu reflektieren. Einen eigenen musikalischen Ausdruck zu suchen, Alternativen zu Vorgaben zuzulassen und dann eigenverantwortliche Entscheidungen zu fällen, muss erst geübt werden. Da dies in relativ kurzen Fortbildungszeiten nur schwer zu bewerkstelligen ist, finden sich im musikalischen Früherziehungsunterricht dann die bereits o.e. Strategien wieder, die vornehmlich auf die Vermittlung äußerer inhaltlicher musikalischer und Verhaltensvorgaben abzielen. Die Lehrer(innen) unterwerfen ihr Tun mehrheitlich der Vermittlung eines definierten Unterrichtsstoffes unter Vermeidung offener Deutungssituationen. Dadurch werden dann musikalische Ausdrucksformen

921 Dies zeigt sich beispielhaft anhand einer Beobachtung aus der Supervision. Eine Lehrerin ließ die Kinder Ideen äußern, wie sie ein Musikstück begleiten wollten. Dabei gab sie den Kindern so lange Hinweise, bis sie die von der Lehrerin vorgegebene Art des Musizierens gefunden hatten. Die Kinder äußerten zwar scheinbar frei ihre Ideen, konnten sie aber nur selten ausprobieren. Die Lehrerin sah das, wie sie im Nachgespräch sagte, als Form eines freien Unterrichtes an. 922 Um überhaupt eine Lehrer(in)-Schüler(in) Relation vorteilhaft zu gestalten, sodass Diskussionen und Reflexionen außerhalb formaler Abläufe möglich werden, ist es unumgänglich, zunächst die Beziehungsebene zu pflegen und Vertrauensverhältnisse wachsen zu lassen. Dafür ist viel Zeit aufzubringen, auch wenn das einer effektiven Zeitnutzung im Sinne einer Sachtransfers zu widersprechen scheint. Gleiches gilt für Eltern-Lehrer(in) Gespräche. Siehe dazu auch Choi, Young-Don (2008), S. 172ff.

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genormt vermittelt statt sie in den Dienst der individuellen Entwicklung der Kinder durch Musik zu stellen. Hier tritt der Unterschied zwischen den Vorstellungen der Dozentinnen und denen des Umfeldes der Lehrer(innen) wieder stärker ins Rampenlicht: Formt der Inhalt den Menschen oder formt der Mensch den Inhalt? Gemeinsam ist beiden, dass eine Verbindung besteht. Unterschiedlich ist, wer die formende Macht und im weiteren Sinne die Deutungshoheit hat. Dabei sei darauf hingewiesen sei, dass dies beileibe kein reiner ‚West-Ost‘ Unterschied ist, sondern sich auch innerhalb Europas wiederfindet. 923 Es ist das Grundproblem der Machtrelation zwischen Einzelmensch und (kulturellem) Habitus, deren Einfluss unterschiedlich gewichtet wird. 924 Reflexionen darüber sind unumgänglich. Personen, die mithilfe der in Südkorea praktizierten Vorstellungen sozialisiert wurden, reflektieren ihr Tun stets. Doch geschieht das Reflektieren anders als von den europäischen und amerikanischen Dozentinnen gefordert. Jedes Tun, also auch musikpädagogisches Handeln

923 Bezüglich der Kommunikation gibt es dazu Untersuchungen aus dem Bereich der Psychologie, die, auch wenn sie einem Ost-West Dualismus das Wort sprechen und in der Gefahr ein ethnisierenden Deutung stehen, hier angeführt seien. Norenzayan und Nisbett schließen auf einen Ost-West-Unterschied, den sie anhand von in einer Untersuchung erhobenen Präferenzen nachweisen. Eher ‚östlich‘ sei die Denkweise, Dinge durch ihre Relationen zu dem sie umgebenden Feld zu deuten. Das Feld wird zur Erklärung eines Ereignisses genutzt. Eher ‚westlich‘ sei hingegen das Vorgehen, Eigenschaften der Dinge in Kategorien unabhängig vom Feld zu fassen und sie dann dadurch zu erklären. (Norenzayan, Ara; Nisbett, Richard E. [2000]). Peng und Nisbett vertreten die Ansicht, dass ‚westliche‘ Strukturen bei Widersprüchen eher die Thesen so lange mit Informationen anreichern würden, bis sich eines als richtig herausstellt, ‚östliches‘ Denken hingegen in jeder These Elemente der Wahrheit postuliere und ihr Handeln nur darauf ausgerichtet sei, Widersprüche entweder auszuhalten, indem sie die Anwendungsbedingungen verändern, oder die Widersprüche einfach hinzunehmen. (Peng, Kaiping, Nisbett, Richard E. (1999); siehe auch Strohschneider, Stefan [2007]) 924 In der deutschen Musikpädagogik tauchte der Konflikt im Zusammenhang mit der Kritik an Rudolf Nykrins Konzept auf. Dies wurde bereits in Kapitel 2.2.3.1 thematisiert. Dabei geht es auch um die Frage, ob ein Mensch bestimmte Inhalte lernen und beherrschen soll und dann als gebildet gilt. Oder ob es darüber hinaus gehen muss, insofern auch eine Vernetzung dieser Inhalte mit der Persönlichkeit eines Menschen gleichrangig behandelt werden muss, sodass einem Menschen auch Möglichkeiten und Zeit eingeräumt wird, Inhalte aus individueller Sichtweise zu reflektieren und sie gegebenenfalls anders als in einer vorgegebenen Wertigkeit zu deuten.

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muss nach den (auch pädagogisch vermittelten und in entsprechendem Maße internalisierten) Vorstellungen, die in Südkorea vorherrschen, auf Standards hin hinterfragt werden. Doch dieses Reflektieren geschieht oft vor den Handlungen im Stillen in jedem Menschen, selten in öffentlichen Aushandlungen. Und es geschieht zudem selektierend in konvergenten Strukturen, d.h. es ist stets mit dem Ziel verbunden, Gruppenprozesse nach gemeinschaftlichen Maßstäben zu ermöglichen. Divergente Deutungen sind darin nur akzeptabel, solange sie sich diesem Ziel unterordnen. Diese negative Wertung divergenter Auffassungen vermeidet aber aus der Perspektive eines in der europäischen Traditionslinie und speziell in der Orffschen Tradition verorteten Menschen den Bezug auf sich selbst und somit das Aushandeln von Deutungen musikalischen Ausdrucks. Die Offenlegung der unterschiedlichen Muster, der Parameter, auf denen Reflexionen stattfinden und ein Erkennen der Ziele, auf die das Reflektieren hinauslaufen soll, ist somit eine Voraussetzung, um Differenzen in Deutungsvollzügen verstehen zu können. Nun stellt die Begegnung mit Differenz für Pädagog(inn)en grundsätzlich eine Herausforderung dar, da Pädagogik zunächst eine bewahrende Struktur innewohnt. Eine ihrer Aufgaben besteht darin, in einer Gesellschaft anerkanntes Wissen und Fähigkeiten und die darin mitschwingenden Werte und daraus abgeleiteten Normen für die Schüler(innen) zur Vermittlung aufzubereiten und deren Übermittlung und Weitergabe so effizient wie möglich zu organisieren und durchzuführen. Jede Differenz stellt diese Aufgabenbeschreibung in Frage. Differenzen werden dadurch oftmals von den Gebenden (Lehrkräften, Eltern usw.) negativ konnotiert.925 So hat jede neue Generation eigene Ideen, die von den Gebenden häufig als unwichtig oder gar falsch im Bezug zum Vermittelten konnotiert werden, da sie den Erfahrungen und Deutungen der Lehrkräfte (Eltern, Vertreter der Institutionen usw.) widersprechen. Aber Differenzen – wenn sie denn wahrgenommen und angesprochen werden können – sind auch eine Herausforderung, die eigene Position klar zu charakterisieren und sie in einen Wettbewerb mit anderen Deutungen und einem daraus abgeleitetem Handeln zu stellen. Differenzen erfordern eine Reflexion. Pädagogisch gesehen entsteht folglich für Lehrkräfte die Aufgabe, in Differenzen auch Ansätze zu Entwicklungsschritten aufzufinden und das Unterrichtsgeschehen dazu zu nutzen, Transformationsprozesse zu begleiten. Reflexionsfähigkeit setzt Freiheit und Verantwortung der eigenen Entscheidung voraus. Freie Kommunikation bedarf eines bestimmten Maßes an Autonomie. Die Möglichkeit der freien Kommunikation ist in Südkorea vorhanden, aber es gibt sie parallel mit den Wertigkeiten einer Einordnung in eine Gruppenhierar-

925 Vgl. dazu auch Fichtner, Bernd (2007).

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chie. Das Aushandeln darüber, welche dieser Werte wann gelten, ist an Machthierarchien in der jeweiligen Gruppe gebunden. Eine Aussprache in gleichgestelltem Dialog gehört in der Regel nicht zum tradierten Habitus der Lehrer(innen), wohl aber zu ihren Wünschen. In dieser Gemengelage eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen und darüber nachzudenken, bedarf komplexer Rücksichtsnahmen. Der Umgang mit Differenz und Reflektieren muss somit im Unterricht offengelegt und bearbeitet werden. 6.2.8 Dauerhaftes Transkulturieren Kulturen und Grenzen sind auf Zeit geschaffen und müssen stets neu ausgehandelt werden. Bei Ortiz wurde der Begriff ‚Transkulturation‘ anhand des Umgangs mit Tabak und Zucker erklärt, also an konkreten Objekten. Im hier untersuchten Prozess handelt es sich um die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs. Deren Charakteristik kann nicht nicht materiell wie Tabak und Zucker beschrieben werden, sondern muss aus den Orffschen Grundlagen exzerpiert werden. Danach müssen die Veränderungen in den Deutungen und Anwendungen der durchgeführten Inhalte und Methoden herausgearbeitet werden. Dass hier ein Transkulturieren geschieht, lässt sich aus den Deutungsverschiebungen herleiten. Zuvor sei hier der Begriff ‚Transkulturieren‘ nochmals definiert: ‚Transkulturieren‘ beschreibt die Handlungsweise, die durch Begegnungen von mindestens zwei in dauerhaft prozessualen Gemengelagen sich verortenden Menschen initiiert wird. Mit der Interaktion in der Begegnung gehen Verlust und Neuschaffung dieser Gemengelagen durch die Deutungen der in ihr handelnden Menschen einher. Dabei können sich die gedeuteten Inhalte auch verändern, müssen es aber nicht. (Materielle) Änderungen sind eine Reaktion auf Umdeutungen. Transkulturieren vollzieht sich nicht als Subtraktion und Addition einzelner Ausdrucksformen, sondern schafft etwas Neues. Als ein Beispiel dafür kann die Funktion von Musik und Musikpädagogik in Korea gelten. Wie o.e. wurde nach der Aufspaltung der in Korea erklingenden Musik in traditionelle Musik Gugak und Eumak (㦢㞛), unter der in der Regel gleichermaßen klassische wie populäre Musik im Gefolge europäisch-US/amerikanischer Musikeinflüsse verstanden wurde, Gugak im Sinne nationaler Identitätsfragen zum Repräsentant nationaler Identität und Eumak vor allem in seiner europäischklassischen Musikrichtung zum pädagogisch richtigen Lerninhalt instrumentalisiert. Gugak gab es in ritualisierter Form (z.B. Jongmyo Jeryeak), aber auch als

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Musik, die Improvisationsmöglichkeiten beinhaltete (z.B. Pansori). Die Musik spiegelte dabei die jeweilige Befindlichkeit in der entsprechenden Gesellschaftsschicht wieder. Diese Ausrichtung auf eine gesellschaftliche Funktionalität wurde bei Eumak beibehalten. Oder wie an der Historie der Musikpädagogik in Korea aufgezeigt: Inhalte wurde ausgetauscht, die Funktionalität des Musizierens aber beibehalten. 926 Musik im traditionellen Korea war an gesellschaftlichen Ausdruck gebunden und konnte weitgehend relativ authentisch diesen auch widerspiegeln. Es gab eine relative Authentizität von musikalischem Ausdruck und gesellschaftlicher Zuweisung, weil die Gesellschaft eine geschlossene und sich nur langsam verändernde Struktur aufwies. Mit der Öffnung Koreas aber änderte sich das, weil die gesellschaftliche Struktur erodierte und mit ihr auch die Zuweisung der Musik. Die Tatsache, dass im südkoreanischen Umfeld aufgewachsene Menschen heute nach einem anderen musikpädagogischen Zugang und Umgang mit Musik nachfragen und dazu musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs angefragt wird, zeigt das Interesse nach einem Musizieren, in dem sich eine Authentizität von Mensch, Musik und ihrer gesellschaftlichen Umwelt widerspiegelt. Oder anders gesagt: dass hierin ein Defizit in Südkorea von den anfragenden Personen gesehen wird. Doch in Südkorea kann der Ansatz am Individuum, der der Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs zugrunde liegt, ohne Hilfe nicht angewandt werden. Denn im realen Unterricht wird diese Musikpädagogik in den o.e. gesellschaftspolitischen Konnotationen ausgelegt und hat darin Funktionen zu erfüllen. Die musikalische Früherziehung in Südkorea übernimmt zwar die von den Dozentinnen aus Deutschland und Österreich vermittelten Inhalte, versieht sie aber mit Deutungen aus dem in Südkorea vorherrschenden Umfeld. Die Widersprüche in der anthropologischen Grundhaltung bestehen dabei nebeneinander weiter. Dadurch wird die musikalische Früherziehung in Südkorea nicht eine Synthese, sondern etwas Neues. Sie wurde und wird ständig transkulturiert.

926 Dieses Beibehalten der Funktionalität eines Systems, indem die Inhalte gelernt und reproduziert werden, durchläuft das gesamte Erziehungssystem. So wurde im Laufe der Öffnung (Süd-)Koreas das Erlernen der chinesischen Klassiker von moderneren Inhalten wie z.B. von naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern abgelöst, nicht aber das darin tradierte pädagogische Denken.

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6.2.9 Handlungsoptionen Die Probleme, vor die sich die Personen in der operativen Durchführung der musikalischen Früherziehung in Südkorea gestellt sehen, haben gewisse Ähnlichkeiten mit den Problemen, denen sich reformpädagogische Pädagogiksysteme in Deutschland gegenüber sahen und sehen. Das ist insofern nicht verwunderlich, da die elementare Musikpädagogik im Sinne Carl Orffs im weiteren Umfeld reformpädagogischer Bemühungen entstanden ist. Die Auflistung Hein Retters, der essentiale gegen reformpädagogische Schulsysteme als „Wissenschaftsorientierung versus Kindorientierung“927 darstellt, lässt sich etwas paraphrasiert mit den Prozessen, in denen sich die in der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs aktiven Personen in Südkorea befinden, vergleichen. Wenn, wie in dem untersuchten Fall, Wissensnehmer etwas erlernen wollen, so steht dahinter der Wunsch nach einer Verbesserung der eigenen Position, im untersuchten Fall nach Änderung der vorhandenen musikalischen Vorschulmusikerziehung. Darin aber verbergen sich weitere ausgesprochene wie unausgesprochene Zielvorgaben eines gewünschten Transfers. Die Zielrichtung ergibt sich wiederum aus den Fragen an den untersuchten Prozess. Deshalb sollen in diesem Abschnitt noch einmal die Fragen der am Prozess beteiligten Personen bezüglich des untersuchten Gegenstandes zusammengefasst werden, um daraus Handlungsoptionen für die jeweilige Sichtweise abzuleiten. Handlungsoptionen sind auf Erfolge hin ausgerichtet. Bei handelnden Akteuren mit unterschiedlichen Motivationen ist es schwierig, zu bestimmen, was unter ‚Erfolg‘ verstanden wird, mithin also, was ‚richtig‘ ist. 928

927 Laut Hein Retter geht bei einem ‚wissenschaftsorientierter‘ Ansatz die Methodik der Stoffvermittlung von der Wissenschaft (Theorie) aus. Es wird vor allem kognitiv rational gelernt. Der Unterricht ist ein Fachunterricht mit traditionellem Fächerkanon und geschlossenem Curriculum. Die Schüler sind eher fremdbestimmte Objekte des Unterrichts, die Lehrer(innen) Organisatoren von Übungs- und Lernprozessen bei direkter pädagogischer Führung. Die Schule ist die Lernstätte für Kinder. Dagegen geht ein kindorientierter Ansatz vom Leben/Ganzheit der Person aus, bei der Gefühle und ‚Irrationalität‘ beachtet werden. Der Unterricht ist handlungs- und erlebnisorientiert mit offenem Unterricht, fachübergreifendem Lernen, Projekten und freier Arbeit. Die Schüler sind eher selbstbestimmte Subjekte des Unterrichts, die Lehrer(innen) Organisatoren von ‚Lebenssituationen‘ mit Bildungswert bei indirekter pädagogische Führung und die Schule ist die Lebensstätte für Kinder (Retter, Hein [1998]). 928 Es gibt keine übergeordnete Instanz, die sagt, was richtig ist. In anderen Zusammenhängen wird für die Richtigkeit einer Entscheidung ein Rückbezug auf ein Gesetz

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Um die Fragen der Beteiligten nachvollziehen zu können, sind zunächst die Vorannahmen der am Prozess beteiligten Personen zu bedenken: x Die Dozentinnen vertreten eine anthropologische Position, nach der im Menschen individuelle musikalische Potenzen liegen und daher die Lehrer(innen) und Schüler(innen) zu dieser jeweils innewohnenden Musikalität gelangen müssten. Erfolg ist daher für die Dozentinnen, wenn die Lehrer(innen) ihre eigene Musikalität zum Ausdruck bringen können, eigenverantwortlich lehren und ihr Tun reflektieren können. x Die Lehrer(innen) fragen nach pädagogischen Methoden kreativen Vermittelns musikalischer Ausdrücke, die sie zusätzlich zum Aneignen abprüfbaren Wissens erlernen wollen. Erfolg bedeutet für die Lehrer(innen), wenn sie Musik kreativ nutzen und dabei Spaß und Freude haben können ohne dabei das technische musikalische Können hintanstellen zu wollen. Sie suchen dabei eher nach eindeutigen Anweisungen von außen und nicht nach selbst zu erschließenden Verfahrensmöglichkeiten und Handlungsorientierungen für ihren Unterricht, die sie mit den Kindern in ihrem Feld erproben und aushandeln können. Gleichzeitig aber fragen die Lehrer(innen) auch nach individuellen Zugängen zur Musik, die sie dann im Rahmen und als Repräsentation ihres gemeinsam zu erstellenden oder bereits existierenden Habitus deuten und nutzen. Die südkoreanischen Lehrer(innen) stehen daher in einem Dilemma. Sie haben den Wunsch nach mehr

(juristisch), eine metaphysische (Fundamente, Voraussetzungen von Strukturen, Naturvorstellungen) oder religiöse (Buch, Vorschrift) Vorstellung genommen. Mit anderen Worten: Entscheidungen werden auf Thesen gegründet, aus denen Parameter abgeleitet werden. Instanzen früherer Tage, die in machtpolitischen Konstrukten diese Thesen lieferten, wie sie z.B. aus konfuzianischen Ideen heraus entwickelt wurden, sind in Südkorea durchaus noch wirkmächtig. Sie unterliegen jedoch zunehmender Kritik und Dekonstruktionen (z.B. Lee-Linke, Sung-Hee [1991]). In diesem in sich z.T. differenten Feld von Deutungsauseinandersetzungen müssen sich die darin lebenden Menschen verorten. So sagt Ram Adhar Mall: „Im Gegensatz zu einer Entscheidungsinstanz auf den Gebieten der juristischen und theologischen Hermeneutik fehlt eine letztverbindliche Instanz auf dem Gebiete der philosophischen Hermeneutik.“ (Mall, Ram Adhar [2005], S. 21). Die Parameter für Entscheidungen selbst sind infrage zu stellen, da sie immer im Kontext mit kulturellen Deutungen zu sehen sind und diese wiederum beeinflussen. Doch ein Hinterfragen der Parameter ist für Menschen, die in relativ geschlossenen Systemen vorwiegend essentialistisch gelernt haben, schwer.

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Freiheit im Musizieren und Unterrichten, worunter auch die Freiheit, sich selbst innerhalb der Gesellschaft anerkannt ausdrücken zu können, steckt. Aufgrund ihrer Lern- und Lehrsozialisaton und auch um ökonomisch überleben zu können, sehen sie sich aber gezwungen, ihre individuellen Auffassungen in kollektiv verstandenen Mustern zu deuten. x Die für die Ökonomie zuständigen Personen vertreten eine anthropologische Position, nach der Menschen bestimmte Inhalte zu lernen haben. Ob deren Vermittlung erfolgreich ist, wird unter marktökonomischen Parametern beurteilt. Erfolg besteht daher in einer ökonomisch erfolgreichen Durchsetzung (Gewinn) und von da ausgehend in gesellschaftlichem Renommee. x Dem entspricht die Ansicht vieler Eltern, wonach Erfolg bedeutet, dass ihre Kinder ein gutes Bild abgeben, das in öffentlichen Darstellungen und Prüfungsergebnissen dargestellt wird, was wiederum auf das familiäre Ansehen zurückwirkt. Repräsentabel sind Ergebnisse im Sinne eines gesellschaftlichen Mainstreams, der sich aus tradierten Werten und ökonomisch aufgefassten Parametern inhaltlicher Leistungen ableitet. Dafür werden die Dienste der Schulen und Hagweons angeboten, sodass der Kreislauf eines sich selbst erhaltenden Systems besteht. Daraus ergeben sich Fragekomplexe: a) Fragen, denen ökonomische Überlegungen zugrunde liegen: x wie können die für eine Vermarktung Verantwortlichen das Curriculum am besten verkaufen? x wie können die für eine Vermarktung Verantwortlichen eine musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs am besten charakterisieren, damit sie im Wettbewerb der Ausbildungsmöglichkeiten am meisten Aufmerksamkeit gewinnt und angewandt wird? Dahinter steht die Frage nach einer ‚corporate idenity‘. b) Fragen, denen Verknüpfungen mit gesellschaftlichen Deutungen der Prozesse in Südkorea zugrunde liegen: x Die Dozentinnen fragen, wie die Lehrer(innen) in Südkorea lernen können, einen Unterricht zunächst ‚vom Kind aus‘ durchzuführen und welche methodischen Wege in Südkorea dafür möglich sind. Die Frage nach Inhalten ist für sie zweitrangig. Sie legen viel Wert auf das methodische Lernen und fragen, wie die Lehrer(innen) eigenverantwortlich lehren und ihr Tun reflektieren können. Dabei fragen die Dozentinnen und Lehrer(innen), wie

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ein Unterricht, der an den Erfahrungen ansetzt, mit einem durch vorgeschriebene Inhalte definierten Unterricht in Südkorea zusammengebracht werden kann. x Oft erst auf Nachfrage machen sich die Dozentinnen Gedanken über die Inhalte, welche Musik in Südkorea im unmittelbaren Ausdruck eines Menschen in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Bezug wirken kann und wie dies in einer Musikpädagogik aufgenommen werden kann. Orffs Postulat, an die Musikerfahrung der Kinder anzudocken, kann nur aufgenommen werden, wenn erhoben werden kann, auf welche Musik die Kinder zurückgreifen und wie diese genutzt werden kann. Anders gefragt: was ist „einheimische“ Musik und im Gefolge dieser Frage auch: was ist ‚koreanische Musik‘? c) Fragen, denen konkrete Wünsche nach pädagogisch-operativen Handwerksfähigkeiten zugrunde liegen: x Die Dozentinnen fragen, wie sich die Lehrer(innen) im Singen, Instrumentalspiel und Bewegung musikalisch ausdrücken und wie sie dieses Musizieren in Reflexion als Schaffung ihrer eigenen Persönlichkeit nutzen können. Sie fragen, wie die Lehrer(innen) mit geringerer Selektion wahrnehmen und Reflektieren einüben können (Erfüllung gedachter ökonomischgesellschaftlicher Vorstellungen versus eigener Blicke in sich). x Die Dozentinnen fragen, wie die Lehrer(innen) und Schüler(innen) in Südkorea dazu gebracht werden können, selbst zu fragen, was sie wollen und was in ihnen an Möglichkeiten ausgehend von ihrem Wollen steckt. Den Wunsch danach attestieren sie den Lehrer(inne)n und Schüler(innen). x Die Dozentinnen fragen, wie die Lehrer(innen) eigenverantwortlich lehren und ihren Unterricht reflektieren können. x Die Lehrer(innen), die sich darüber bewusst sind, dass sie frei von Vorgaben unterrichten können (frei von), wenn es dem Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder entspricht, suchen aber auch nach einer Ordnung (frei zu) und fragen danach, auf welche inhaltliche und methodische Art und Weise sie in ihrem soziokulturellen und ökonomischen Umfeld auch neue Wege erkunden und verantworten können. x Die Lehrer(innen) fragen, wie sie ein präsentables, abprüfbares musiktechnisches Rüstzeug und gleichzeitig kreatives und entdeckendes Lernen mit den Kindern durchführen können. Sie fragen, wie sie darin Musik als Schaffung ihrer eigenen Persönlichkeit nutzen können. x Die Lehrer(innen) fragen, wie sie konkrete pädagogisch-operative Handwerksfähigkeiten im Sinne einer an Orff angelegten Pädagogik lernen, mit

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denen sie in Südkorea unterrichten können, wobei sie dies oftmals als essentielles Handwerk im Sinne von anzuwendenden Methoden kreativen Vermittelns von den Dozentinnen vorgeschrieben bekommen wollen. Ausgehend von diesen Fragen lassen sich jetzt Handlungsoptionen ableiten: a) Handeln in ökonomisierten Lernvorstellungen: Die befragten südkoreanischen Lehrer(innen) erwarten, dass ihnen pädagogisch-operative Handwerksfähigkeiten beigebracht wurden. Um darauf verständlich zu antworten, müssen die Prozesse auch aus dem Deutungshorizonten der Lehrer(innen) und ökonomisch Verantwortlichen heraus dargelegt werden können. Im pädagogischen Rahmen geht es aber über das Aufnehmen der jeweils ‚einheimischen Musik‘ hinaus auch um das Aufnehmen der soziokulturellen Deutungsmuster also um das x Untersuchen, welche Deutungsmuster die verantwortlichen Personen haben. x Herausarbeiten und Offenlegen, welche Fragen und Differenzerfahrungen sich daraus ergeben. x Antworten finden, die eine musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff darauf geben kann. Die Lehrer(innen) suchen essentielle Anleitungen für nicht-essentielles Unterrichten. Es kann aber bei einer Pädagogik im Sinne von Carl Orff nicht darum gehen vorgeschriebene Inhalte durch nicht vorgeschriebene Wege zu erreichen, also klare inhaltliche Zielvorgaben durch freie Wege zu erreichen. 929 Ein Merkmal der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs ist die Anpassung von Inhalten an die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten der Menschen. In den Erfahrungen der in Südkorea schulisch sozialisierten Lehrer(innen) sind aber klare Zielvorgaben als kollektiv maßgebliche Inhalte, deren Wiedergabe dann auch als Leistungsnachweise genutzt wird, erwünscht. Um sich im derzeitigen in Südkorea bestehenden Schulumfeld bewähren zu können, ist es notwendig, dass die Lehrer(innen) Zielvorgaben bekommen.

929 In dieses Dilemma sind diverse reformpädagogische Ansätze in Südkorea ebenfalls hinein geraten. Siehe dazu auch die Ausführungen von Lee, Jung-In z.B. bezüglich der ‚open education‘ (Lee, Jung-In [2014], S. 154ff.).

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b) Positionieren: Herausarbeitung einer ‚corporate identity‘ für eine musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orffs und eine Bereitschaft zum Aushandeln: Schulen, insbesondere Privatschulen (Hagweons) stehen in hartem ökonomischen Kampf miteinander und müssen das Besondere ihrer beworbenen Dienstleistung gegenüber Konkurrenzangeboten hervorheben. Dabei ist die Verständlichkeit ihres Werbens wichtig. Die musikalische Früherziehung im Sinne von Carl Orff steht mit anderen musikpädagogischen Konzeptionen im Wettbewerb. Daher ist eine klare Abgrenzung zur Durchsetzung dieser Idee notwendig. Die Optionen von Schulen bestehen deshalb darin, sich entweder den am bestehenden Schulsystem orientierenden Kriterien zu unterstellen oder aber besondere Eigenschaften der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs herauszustellen und somit neue Trends zu setzen. Dass es bezüglich der zweiten Handlungsoption vergleichbare Ideen bei den Publikationen der MEST und auch aus manchen Äußerungen der befragten Lehrer(innen) gibt, ist bereits weiter oben in Kapitel 3.2 dargelegt worden. Doch da viele Eltern eher konservativ ein essentialistisch-ökonomisches Inhaltslernen innerhalb umrissener Vorgaben bevorzugen, wird die musikalische Früherziehung im Sinne Carl Orff als untergeordnete kompensatorische Ergänzung im bestehenden Erziehungssystem gedeutet, wodurch vorgegebene Inhalte nur mit mehr Freude und mit dem Effekt, emotionale Stabilität zu stützen930, gelernt werden können. Das widerspricht dem Ausgangspunkt der Dozentinnen, nach dem vorgegebene musikalische Inhalte nicht übertragen, sondern nur angewendet werden sollen, wenn sie den musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten eines Kindes dienlich sind.

930 Im Musikunterricht sind diese Erwartungen u.a. als Stärkung des sozialen Status durch das Spielen von vornehmlich klassischer europäischer und US-amerikanischer Musik charakterisiert oder auch dem Nutzen von Musik als kompensierender Faktor zur Aufrechterhaltung der seelischen Gesundheit der Kinder. Cho, Eun beschreibt dies folgendermaßen: „[…] many mothers appeared to expect that their children’s musical experiences would help them to establish a sense of emotional stability. […] In general, most mothers perceived musical engagement as elevating the quality of their children’s lives, by fostering intrinsic enjoyment and invigorating them. […] Some mothers also mentioned that they expected their children to gain a deeper musical understanding and broaden their musical perspectives, so they would be able to appreciate music, particularly classical music. Beneath this expectation was the notion that music learning experiences would make their children musically intelligent and bring opportunities for them to come closer to a more ‚artistic‘ music.“ (Cho, Eun [2014], S. 11f.)

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Von außen schnell einsehbare, eindeutige Charakteristika im Sinne einer ‚corporate identity‘ mit klaren Grenzziehungen bestehen in Südkorea neben der Schaffung eines äußerlich repräsentablen Rahmens in der Formulierung bestimmter Lerninhalte, die als Konzeptionen mit Handlungsanweisungen formuliert sind. Die darin wirkende anthropologische Anschauung wird kaum hinterfragt. Dies gerät zum Problem, weil genau darin ein Kernunterschied zur musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs besteht. Daher wird in südkoreanischen Publikationen und Äußerungen die Musikpädagogik im Sinne von Orff selten mit den dahinter liegenden geistesgeschichtlichen Ideen und anthropologischen Vorstellungen, sondern mit konkret sichtbaren und hörbaren Phänomenen in Verbindung gebracht.931 Eine Charakterisierung durch sicht- und hörbare Phänomene ist nicht falsch, aber eben auch nicht treffend. Wo nur sicht- und hörbare Musikausdrücke im Vordergrund stehen und zum Charakteristikum Orffscher Musikpädagogik erhoben werden, verdecken sie den Kernpunkt seiner Sichtweise. Es ist für die im Prozess arbeitenden Teilnehmer(innen) daher nicht einfach zu sagen, was denn nun pädagogisch gesehen ‚Orff-Musik‘ sei, weil ihr die phänomenologische Eindeutigkeit fehlt. Anders gesagt: Da die Musikpädagogik von Carl Orff sich keiner essentialistischen Inhalte bedient, sondern differente Ausdrucksmöglichkeiten und Methoden beinhaltet, die inhaltlichen Wandel ermöglichen oder gar offene Ausgänge propagieren, besteht die Schwierigkeit eine in Südkorea verständliche ‚corporate identity‘ und damit eine Definition zu bilden, die auf in Südkorea gängige Verständnisbilder zurückgreift. Solch eine Herausbildung einer ‚corporate identity‘ ist als Abschließungsprozess auf Zeit932 aber notwendig, um überhaupt eine musikalische Früherziehung

931 Die Vermarktung von ‚Orffinstrumenten‘ setzt hier an. Schon der Begriff ‚Orffinstrumente‘ ist an sich nicht stringent zu begründen. ‚Orffinstrumente‘ werden so genannt, weil Orff sie genutzt hat und weil sie sich heute unter dem Namen gut vermarkten lassen. Sie sind aber genauso wenig auf Musik im Sinne von Orff beschränkt wie sie in der Regel von ihm erfunden wurden, wenngleich sie für die Musikpädagogik sicherlich eine große Neuerung bedeuteten. Letztlich aber dienen sie als Werkzeuge zur Entwicklung der musischen Potenzen und sind stetig erweiterbar und austauschbar, wenn dies dem Ziel dient. 932 Diese Deutungen müssen eine temporäre Mindesthaltbarkeit aufweisen. Denn wenn Unbestimmtheit zum Dauerzustand wird, dann wird nur eine Identität, die sich selbst als fluide oder hybrid zeigt, darin existieren können. Die Möglichkeit des Wandels kann dabei im Sinne einer dynamischen Normativität nachvollziehbar gestaltet werden. Normativ, damit Menschen wissen, wo sie sich verorten können und ein zu Hause haben und dynamisch in dem Sinne, das ein Wandel möglichst im persönlichen

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im Sinne Carl Orffs zu begreifen. Denn ein Mensch kann nur reflektieren, was er erkennen kann und das bedeutet auch, etwas abgrenzen zu können. Dabei ist es wichtig, die dadurch auftretenden Differenzen zu erkennen, zu kommunizieren, zu reflektieren und zu deuten. Umgesetzt in die konkrete Fortbildungspraxis scheint es daher im pädagogischen Rahmen sinnvoll, den Lehrer(innen) über die Inhalte und Methoden hinaus auch Wertvorstellungen und Bedeutungen Orffscher Musikpädagogik zu eröffnen. Dazu müssen sich auch die Vertreter(innen) einer Musikpädagogik im Sinne Orffs befragen. Die Vorstellung, durch Eigenaktivität und Selbstgestaltung das Schöpferische und die kreativen Anteile eines Kindes im Unterrichten durch Erfahrung statt Belehrung zur Geltung kommen zu lassen, ist nachvollziehbar. Doch darüber darf nicht vergessen werden, dass Lernen auch bedeutet Kenntnisse zu erwerben, Fähigkeiten zu entwickeln und Vorstellungen zu ordnen, die im gesellschaftlichen Kontext verstanden und zugeordnet werden können. Es geht auch darum, sich habituelle Qualifikationen und Kompetenzen933 anzueignen. So werden im hier untersuchten Prozess die Vertreter der musikalischen Früherziehung im Sinne Orffs wieder in den ‚formal-materialen Antagonismus‘, der der in 2.2.3.1 behandelten Kritik Janks zugrunde liegt, zurück geworfen und müssen darauf antworten. Denn eine Unterordnung der materialen Gesichtspunkte unter die formalen Forderungen findet im heutigen Südkorea nur wenige Anknüpfungspunkte und bleibt ohne eine Erläuterung im Kern zumeist unverständlich.934

Tempo und nach dem persönlichen Bedürfnis und Willen stattfinden kann (Freiheit), soweit das die Umstände zulassen. Ein Eingehen auf verbindliche Zusammengehörigkeit (Sicherheit) wird immer die Möglichkeit des Wandelns einschränken. Beides, (möglichst freier) Wandel und (möglichst stabile) Sicherheit müssten in ein für jeden Menschen ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. 933 Der Begriff ‚Kompetenz‘ beschreibt heute zumeist messbare Befähigungen, deren Ziel die Anpassungsfähigkeit eines Menschen an die ihn umgebende Welt ist. Welcher Art die zu erwerbenden Inhalte sind, richtet sich nach wandelbaren gesellschaftlichen und/oder politischen und/oder wissenschaftlichen Vorgaben; dabei spielen kulturelle Vorstellungen eine Rolle. Mit ‚Qualifikation‘ werden Fähigkeiten in Hinsicht auf eine beruflich aufgefasste Nützlichkeit umschrieben. Diese Definitionen werden in behördlichen Äußerungen angewandt, z.B. in HIBB (2006), S. 6 oder OECD (2005), S. 9. 934 Kemmelmeyers Anmerkung zur Relativierung des formal-materialen Antagonismus greift im pädagogischen Umfeld Südkoreas bedeutend weniger als im deutschen Umfeld. Denn in Südkorea wird eine „schülerorientierten Position“ in der Regel aus einer

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Andererseits ist es für jede Gesellschaft problematisch, wenn vorgegebene Fähigkeiten nur deshalb erworben werden, um einen zukünftigen Existenzkampf zu bestehen, also eine Bildungsmehrung aus Angst vor zukünftigen Mangelleistungen zu initiieren oder, positiv ausgedrückt, wenn Bildung nur darauf abzielt, dass sich Menschen in soziokulturelle Kontexte einfügen können und diese Einfügung als zentrale Möglichkeit zum Leben in einer zukünftigen Realität auffassen. Dies wäre, wenn es ausschließlich so aufgefasst würde, eine Bildung aus Unfreiheit, weil ein Mensch dadurch lernt, nur ein Objekt seiner Lebensumstände zu sein. Bezüglich des hier untersuchten Prozesses bliebe es eine Unfreiheit, wenn die Zusammenhänge zwischen habituellen Deutungsrahmungen, ökonomischen Denkweisen und Kommunikationsdifferenzen unerforscht blieben und Veränderungen weitgehend nur auf einer inhaltlichen Ebene vorgenommen würden. Die grundlegenden Differenzen blieben so intransparent. Bewusste Entscheidungen könnten so nur auf einer oberflächlichen Ebene getroffen und grundlegende, wirkmächtige Parameter blieben den am Prozess beteiligten Personen verborgen. Ein Mensch bliebe Objekt unausgehandelter Umstände. Zur Bildung gehört Freiheit. Es gehört dazu die Freiheit, Inhalte und deren Deutungen überdenken zu können, angeeignetes Wissen und Können mit den gesellschaftlich vorgegebenen und den eigenen Deutungsmustern in Verbindung zu bringen und daraus eigenverantwortliche Entscheidungen in Kontexten zu fällen. Bildung kann nicht nur eine Weitergabe (ideeller) Deutungen sein, sondern sollte auch das Handwerkszeug vermitteln, dass Menschen sich mit Deutungen auseinandersetzen und agieren können. Ein Mensch muss auf Vorfindliches reagieren und ist ein Funktionsteil der Welt. Aber er ist auch aktiv gestaltendes Wesen. Beides ist zu berücksichtigen, das Einfügen und Anpassen in eine Welt wie die aktive, eigene und freie und selbst zu verantwortende Gestaltung der Welt. Bildung muss Menschen befähigen und ermutigen, sich in einer vorfindlichen Welt zu verorten

„objektorientierten musikdidaktischen Position“ abgeleitet. (Zitate aus: Kemmelmeyer, Karl-Jürgen [1986], S. 455). Der Mensch wird mehr aus dem abgeleitet, was er gesamtgesellschaftlich darstellt. Diese Vorstellung ist im traditionellen Konfuzianismus verankert. Fong, Tsao-Lin weist nach, wie bereits früher die Vorstellung, das Individuelle entwickele sich am Gemeinsamen, bei Menzius zur leitenden Vorstellung wurde. Danach ist Sittlichkeit „für den klassischen Konfuzianismus als die Beteiligung des Individuums am großen schöpferischen Prozeß des ganzen Universums zu betrachten. Die Selbstvollendung der Menschennatur (jinxing) und damit das Vermögen, bei der Vollendung der anderen (chengwu) zu helfen, heißt dann, an dem schöpferischen Prozeß teilzunehmen (canzan huayu). Das ist der Mittelpunkt der konfuzianischen Lebensphilosophie (shen sheng zhi de).“ (Fong, Tsao-Lin [1992], S. 164).

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und sie selbstverantwortlich innerhalb gesellschaftlicher Bezüge mit zu gestalten. Hartmut von Hentig ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die Pädagogik besteht nicht aus der Bewältigung von Hindernissen und Vermeidung von Hinterhalten. Sie hat einen ordentlichen, bleibenden, sich immer wieder geltend machenden Auftrag: dem Kind und dem Jugendlichen das Hineinwachsen in die vorfindliche, weitgehend vom Menschen geschaffenen Lebensverhältnisse zu ermöglichen (nicht nur zu erleichtern) und – es sei wiederholt – sie zugleich zu befähigen, die Verhältnisse ihrerseits zu gestalten, sie also ‚die Welt erfahren zu lassen, wie sie ist, ohne sie der Welt zu unterwerfen, wie sie ist‘ “935

Es geht um die Herstellung von Bezügen. Die Eigenaktivität und die Selbstgestaltung müssen mit der in der jeweiligen Gesellschaft vorhandenen Bildungsinhalten in eine Beziehung gesetzt und ihr Verhältnis zueinander ausgehandelt werden. Dies geschieht in einer Reflexion, die auch divergente Deutungen nutzt, um Profile zu schärfen und Deutungen klar zu charakterisieren und den daraus von den Handelnden abgeleiteten Entscheidungen darüber, welche Inhalte, Methoden, Theorien pädagogisch für die jeweilige Zeit und den jeweiligen Ort sinnvoll sind.936 c) Möglichkeiten und Grenzen aufzeigen: Ein zentrales Problem im untersuchten Prozess liegt somit in dessen Reflexion. Zur Reflexion gehört nicht nur die Definition von externen Zielvorgaben und deren Überprüfung, sondern auch, dass ein Mensch den transferierten Gegenstand und dessen Wege der Aneignung mittels seiner eigenen Wahrnehmungen und Gedanken einer prüfenden Betrachtung unterzieht. Die Bedingungsmuster des eigenen wie des gemeinsamen Verstehens müssen erforscht werden, da die individuellen Lernaktionen in Wechselwirkung mit äußeren Bedingungen wie Deutungsvorgaben stehen. Dies muss Teil des Unterrichtes sein. Die in einem Transfer handelnden Personen und ihre Deutungen der Inhalte sind ständigen Wandlungsprozessen unterworfen.937 Eine Wissensweitergabe ist

935 Hentig, Hartmut von (2006), S. 91f. 936 Hierbei spielt die Frage der Entscheidungsmacht und -strukturen natürlich eine große Rolle. Diese im südkoreanischen, aber auch im deutschen, bzw. im Kontext der EU exakt zu untersuchen, wäre ein lohnendes Forschungsdesiderat. Wieweit z.B. beherrscht ein ökonomisches Denken die Bildungs- und Erziehungsfragen und wo bleibt noch die Freiheit, die Welt selbst mit zu gestalten? 937 Diesen Prozess als hybrid zu bezeichnen, ist möglich, führt aber im pädagogisch zu verantwortenden Prozess zu der Problematik, dass sich dadurch kaum Reflexions- und

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daher ein Prozess, der im Zirkel, ggf. in Spiralform verläuft. Denn in der operativen Realität müssen normative Übereinkünfte erzielt werden, um sich überhaupt verständlich zu machen. Dies bedarf transparenter Maßstäbe, die nur durch ständige Reflexion der sich hinter den im operativen Handeln verborgenen Differenzen, die aus den Vorannahmen und Deutungsrahmungen erwachsen, erzielt werden können. Sind diese transparent, lassen sich Differenzerfahrungen erklären und Übereinkünfte über den Umgang mit ihnen erzielen, was Möglichkeiten und Grenzen von Handlungsoptionen im Lehren und Lernen offenlegen kann. Solche Handlungsoptionen können nur dynamisch-normativ auf Zeit sein. Im hier untersuchten Fall wollen Wissensnehmer durch das Erlernen einer musikalischen Früherziehung eine pädagogisch als defizitär erlebte Situation verbessern. Haben sie die gewünschten Inhalte erlangt, nutzen sie diese zur Veränderung. Umgekehrt machen die Wissensgeber auch Differenzerfahrungen, die sie zu Überlegungen veranlassen und somit ihre Deutungen des Geschehens verändern können. Dadurch verändert sich die Ausgangslage permanent, was zu weiteren Reflexionen mit operativen Schlussfolgerungen führen kann. Um in diesem ständigen Wandel miteinander zu kommunizieren, zu lehren und zu lernen, bedarf es der ständigen Reflexion und der Kommunikation darüber. In der Erforschung von Grundlagen und den Folgerungen daraus bestehen die Möglichkeiten. Die Grenzen bestehen darin, wenn Differenzerfahrungen – wie in 6.2.7 dargelegt – ausschliesslich als Grenzen, die Kommunikation erschweren, und nicht als Anlass zum Reflektieren wahrgenommen werden können.

Entscheidungsparameter herausbilden lassen, weil sich in einer hybriden Anschauung nur schwer fassbare Parameter der Beschreibung bereitstellen lassen. Denn wenn etwas beschrieben ist, hat es sich auch schon wieder verändert. Es gibt das Kinderspiel ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ und das ist blau [oder eine andere Farbe oder Form]. Ein Kind spielte das in einem fahrenden Schnellzug, schaute heraus und sagte: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist vorbei.“ So ähnlich würde es gehen, wenn die Vorstellung einer Hybridität – auch wenn sie als reale Beschreibung durchaus sinnvoll sein kann – die Grundlage für Entscheidungsprozesse in pädagogischen Prozessen sein müsste. Es gäbe keine Möglichkeit der Mitteilung, denn in dem Moment, wo etwas kommuniziert wird, hätte es sich schön verändert und wäre nicht mehr erkennbar.

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6.3 W ANDELBARE V ERORTUNGEN B RÜCKENNUTZUNG

DURCH

Am Anfang dieses Kapitels wurde das Bild einer Brücke eingeführt, das in Anlehnung an das Bild aus Martin Heideggers Vortrag ‚Bauen, Wohnen, Denken‘ entnommen ist.938 In dieser Illustration ist der Heideggerschen Deutung entsprechend in erster Linie nicht das Bauwerk an sich gemeint, sondern ihr Wesen der Verbindung zwischen kulturell spezifisch determinierende Umgebungen. Der Prozess dieser Verbindung bewirkt, dass Orte entstehen. „Der Ort ist nicht schon vor der Brücke vorhanden. Zwar gibt es, bevor die Brücke steht, den Strom entlang viele Stellen, die durch etwas besetzt werden können. Eine unter ihnen ergibt sich als ein Ort und zwar durch die Brücke. So kommt denn die Brücke nicht erst an einen Ort hin zu stehen, sondern von der Brücke selbst her entsteht erst ein Ort.“939

Mit dem Begriff ‚Ort‘ wird in den folgenden Ausführungen nicht ein geographisches oder politisches Gebiet, sondern die Gruppierung von Menschen mit gleichem Habitus, also Deutungsmustern und daraus resultierenden Lebensvorstellungen und Handlungen charakterisiert. Die Nutzung einer Brücke ermöglicht es Personen aus den an den Brückenköpfen liegenden Orten Handlungen und Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven sichtbar werden zu lassen und bietet Möglichkeiten, die darin lebenden Vorstellungen zu erforschen.940 Die Begegnung eröffnet andere Deutungsmöglichkeiten von Geschehen und Phänomenen, da die Vorstellungen der jeweils am anderen Ort lebenden Personen unterschiedlich sein können. Daher sind Vorstellungen als Aushandlungsergebnisse auf und neben Brücken aufzufassen. Sie sind auch aus ihren Verhältnissen zueinander zu begreifen. Andererseits sind Standpunkte und Lebensvorstellungen ebenso durch Abgrenzung charakterisiert, alleine schon, um durch Konturen charakterisierbar zu bleiben. Aber diese Grenzen müssen eine Permeabilität beibehalten, wodurch Veränderungen möglich bleiben. Konturen müssen aushandelbar bleiben, um nicht in Xenologie zu verfallen. Andernfalls würde ein Ort Unfreiheit und Stillstand beherbergen. Eine Brücke zwischen solchen Orten böte keinen Austausch, sondern

938 Heidegger, Martin (1954), S. 148ff. 939 Heidegger, Martin (1954), S. 148. 940 Die Motivation zum Nachfragen, Reflektieren und Verstehen von Kultur ist in den meisten Fällen durch Differenzerfahrungen angeregt. Dirk Baecker beschreibt das: „Was immer an andersartigen Lebensformen und Gepflogenheiten der Geselligkeit auf dem Globus existiert, zur ‚Kultur‘ wird es erst, wenn es auf eine andere ‚Kultur‘ stößt, für die dasselbe gilt.“ (Baecker, Dirk [2001], S. 17)

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stände funktionslos da. Orte entstehen durch die Deutung von Prozessen, die in temporär ähnlichen Deutungen zu Lebensvorstellungen führen, die sich jedoch stets wandeln können.941 Die Vorstellungen von Standpunkten und Lebensvorstellungen bleiben auf Zeit normativ und dynamisch. Um in einem Bildungstransfer Deutungswege nachzuvollziehen, bedarf es der Charakterisierung des Ortes, also des Ausgangspunktes. Dabei ist solch ein Ausgangspunkt kein klar umrissener Punkt, sondern eher eine Gemengelage, ein Wollknäuel mit vielen Enden zu verschiedenen Seiten hin. Das bedeutet: Aushandlungsprozesse gibt es innerhalb der Orte und zwischen den Orten. In der hier vorliegenden Untersuchung wurden die Orte zwar oft national (deutsch/österreichisch versus koreanisch) beschrieben, jedoch ist damit keinesfalls eine Eindeutigkeit gegeben.942 In dieser Untersuchung war der Ausgangsort die Deutung der musikalischen Früherziehung, wie sie auf dem Hintergrund des deutsch-österreichischen Umfeldes entstanden ist und am Zielort ihre Deutung und Verwirklichung auf dem Hintergrund des südkoreanischen Umfeldes. Solch eine Brücke ist nicht die erste und steht neben vielen anderen Brücken.943 Anders als in Heideggers Text bestanden in diesem Fall schon Orte. Dem Heideggerschen Bild entsprechend aber wurde untersucht, wie von der Brücke selbst her Orte und die darin wirkenden Deutungen mit den Transfergeschehen in Wirkungszusammenhängen standen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass als Reaktion der Deutungswandlung der transferierte Gegenstand im Sinne der Deutung angepasst wird und sich wandelt. Entscheidend bleibt aber nicht der Blick auf einen gleichbleibenden oder gewandelten transferierten

941 Einen vergleichbaren Bezug bevorzugt Kitaro, Nishida, wenn er Ort als ein „Kraftfeld“ definiert. (Kitaro, Nishida [1999], S. 80) 942 Typisierungen wie ‚koreanisch‘, ‚deutsch‘ sind ein Konstrukt. Damit können geographische, sprachliche, politische, kulturelle u.a. Zusammenhänge gemeint sein. Ohne Erläuterung bleiben die Begriffe unscharf. Dennoch werden diese Konstrukte öfters genutzt und sind Teile einer ethnisierenden Nutzung von Musik. Trotz aller Unschärfe wird manche Musik zu musikalischen Repräsentationen bestimmter z.B. ‚koreanischer‘ und ‚deutscher‘ Musik (z.B. Gugak als ‚koreanische‘ Musik). Diese Musik wird dann wiederum zur Stiftung von Identitäten pädagogisch gebraucht. Solch eine eindeutige Zuweisung kann es aber nur als Ideal geben. Real ist sie nur in geschlossenen Gesellschaften möglich. Denn es stellte sich ja heraus, dass Deutungen von Musik schon an einem Ort durchaus mehrschichtig, z.T. auch widersprüchlich sind. 943 Schon vorher sind Ideen von Ort zu Ort getragen worden und haben Orte mitgeprägt, z.B. Einflüsse von Fröbels Ideen aus Sichtweisen der Missionare, Deweys Einflüsse, reformpädagogische Ansätze wie Waldorfpädagogik, Montessoris Ausführungen usw.

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Gegenstand, sondern auf dessen Deutung. Um das zu verstehen, müssen einige Schritte durchgeführt werden. Dafür muss das „Unsichtbare“, also die Vorstellungen und Deutungsmuster gegenüber den Gegenständen und Handlungen vor, in und nach den Prozessen mit einbezogen werden. Zunächst muss der Ausgangsort, also die Ausgangslage charakterisiert werden. Es geht für alle am Prozess beteiligten Personen darum, die eigene Position innerhalb der Deutung aus der jeweiligen kulturell determinierten Umgebung, den politischen Bedingungen, den persönlichen Umständen und den strukturellen Bedingungen (z.B. Universität, Hagweon, Akademie usw.) zu bestimmen und nachvollziehbar kommunizieren zu können. Diese gilt es auch zu vertreten, weil erst durch Abgrenzungsprozesse eine möglichst klare Konturierung stattfinden kann. Erst wenn Grenzen klar sind, kann Erkenntnis kommen. Denn es kann nur etwas verändert werden, wenn es für die Handelnden bestimmbar ist. Solch eine Konturierung geschieht in der Regel in den Mustern der eigenen Umwelt. Im Prozess der Begegnung können diese scheinbar klar gedeuteten Phänomene des transferierten Gegenstandes in anderen Mustern ausgelegt werden. Das kann zu Differenzerfahrungen führen. Um diese zu verstehen, ist es nötig, hinter die reinen Phänomene zu schauen. Dies kann auf einer gegenwärtigen und einer historischen Ebene geschehen. Gegenwärtig bedeutet, die Auffassung der jeweils Handelnden aus den aktuellen politisch-ökonomischen Umstände des jeweiligen Gebietes heraus zu begreifen. Dies wird aber nicht reichen, weil die Umstände immer auch in tradierte Muster eingewebt sind, die wiederum soziokulturell wie individuell beleuchtet werden können. Das größte Problem ist dabei, dass diese Muster aus den Vorstellungen der jeweils Handelnden heraus unterschiedlich konnotiert sein können, dies jedoch vor der Herausforderung zur Reflexion durch Differenzerfahrungen vielen Personen gar nicht klar ist. Sehr deutlich kommt das in der Auffassung von Bildung im untersuchten Prozess zur Geltung. Der Transfer der musikalischen Früherziehung nach Südkorea hat nicht zur Folge, dass ein System reproduziert wird, sondern es wird anders gedeutet und funktionalisiert. Parallel stehen dabei Deutungsmuster aus koreanischer und europäischer/US Tradition nebeneinander. Sie werden dann z.B. als ein verbesserter Zugang innerhalb eines bereits bestehenden ökonomisch funktionalisierten Bildungssystems, nicht als dessen Infragestellung angesehen.944

944 In Südkorea gibt es dazu parallele Erscheinungen wie z.B. die Funktionalisierung reformpädagogischen Schulen als Auffanglager für Schulabbrecher (Lee, Jung-In [2014], S. 277.) Der Einbezug reformpädagogischer Ideen in den realen Schulalltag Südkoreas ist aufgrund der unterschiedlichen Zielvorstellungen schwierig. Siehe dazu Kim, Moon-Sook (2007), S. 161 u.ö.

Realer Transferprozess: musikalische Inhalte, Methoden, Ziele (sichtbar)

Modernisierung der Bildungssysteme

Geistesgeschichtlicher und politischer Hintergrund, aus dem Deutungsmuster abgeleitet werden (Traditionelle) Bildungsvorstellungen in (Süd)Korea

Europäische und US-amerikanische Bildungssysteme

Geistesgeschichtlicher Hintergrund, den Orff rezipierte

Bildungsvorstellungen in Dt. / Österreich

Soziokultureller und politischer Hintergrund zur Zeit der Modernisierung

Deutungsmuster aus koreanischen und europäischen / US Traditionen

Deutungsmuster aus europäischer und US-Tradition

Abbildung 5: Transfer als Transkulturatio n

Soziokultureller und politischer Hintergrund zur Zeit Orffs incl. Reformpädagogik

Soziokultureller Hintergrund zur Zeit ihrer Sozialisierung

Soziokultureller Hintergrund zur Zeit ihrer Sozialisierung

alisierten Dozentinnen

Aktuelle politisch-ökonoAktuelle politischmische Umstände in ökonomische UmDeutungen durch Deutungen durch (sichtbar) _ _ _ _ _ _ _Deutschland/Österreich _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _die _ _Dozentinnen _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _die _ _Lehrer(innen) _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _stände _ _ _ in _ _Südkorea _________ Kontextualisierung Auffassungen der Handelnden im südkoreaniAuffassungen der Handelnden Auffassungen der im süd(nicht sichtbar) im dt./österr. Umfeld schen Umfeld koreanischen Umfeld sozi-

Transfer als Transkulturation

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Mit der musikalischen Früherziehung im Sinne Carl Orffs aber fließen Ideen mit einem latent differenten Muster ein. Die Überlegung, das, was ein Mensch individuell will, als Inhalt des Bildungssystems zu berücksichtigen, ist in Südkorea nicht neu und durchaus aktuell, was sich allein schon aus dem Interesse der Lehrer(innen), einen anderen Zugang zur Musik zu erhalten, ablesen lässt. Es ist aber ungewohnt, diesen Gedanken umzusetzen. Einer Umsetzung steht eine sich selbst erhaltene Vorstellung von Pädagogik entgegen. Dadurch hat sie nur wenige Entsprechungen in den pädagogischen Alltagserfahrungen und den darin wirkenden aktuellen Idealen, Vorstellungen und institutionellen Strukturen. Das übliche und zugängliche pädagogische Handwerkszeug reicht zur Umsetzung nicht aus. Ein reines Transferieren von Inhalten bleibt daher für alle Beteiligten defizitär, denn dann werden die jeweils vorherrschenden Deutungsmuster die handelnden Personen gefangen halten und die Führung übernehmen. Die Sichtweise innerhalb der Forschung über Transfers sollte daher geändert werden. Wie gesehen nehmen Teilnehmer(innen) an Transferprozessen Grenzen oft unhinterfragt hin. Obwohl sie konstruiert sind, werden sie als essentielle Eindeutigkeiten unreflektiert genutzt. Differente Erscheinungen darin werden häufig ausgeblendet oder unter Begriffe wie etwa ‚Einfluss‘ oder ‚Anleihe‘ subsumiert.945 Es wäre daher sinnvoll, x einerseits die Vorstellungen eines essentiellen, normativen Charakters, die Stabilität und Homogenität suggerieren, offenzulegen und letztlich dann auch zu dekonstruieren. x Und stattdessen die Verflechtungsgeschichte zwischen normativen Vorstellungen, Deutungsmustern und musikalischem Ausdruck aufzuzeigen. Konkret bedeutet das x den Umgang mit Diversität offenzulegen: Wie ist sie zu umschreiben und was sind die Maßstäbe der jeweiligen Deutung? Von welchen Interessengruppen ist es erwünscht oder gerade nicht erwünscht, sie anzusprechen und auf ihre Parameter sowie die Inhalte und Ziele ihrer Repräsentationen hin zu erforschen? x Ist es möglich, Begrifflichkeiten zu finden, aufgrund derer gemeinsame Aushandlungen durchführbar werden können? x Ist es durchführbar, ein gemeinsames Verfahren und Vorgehen beim Reflektieren zu finden?

945 Hier bestehen Schnittmengen mit den Gedanken zur Kultur von Juneja, Monica (2012) im Zusammenhang mit der Kunsthistorie.

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Die Reflexion, die Deutung des Transferierten aus dem jeweils eigenen Umfeld heraus muss dazu gehören. Das bedeutet, dass neben der Beschreibung der pädagogischen Phänomene auch die dahinter stehenden Deutungen, (Wert-)Vorstellungen und die daraus abgeleiteten Zielvorstellungen im Unterricht thematisiert werden müssen. Es gehört dazu, sich mit anderen Phänomenen und Deutungen auseinanderzusetzen – und zwar an beiden Orten. Auf dieser Ebene zu arbeiten ist notwendiger Inhalt des Geschehens, um es zu verstehen. Ein Brückenbau ermöglicht es, in die Betrachtung der Phänomene von der anderen Seite einzutauchen. Im besten Fall treffen dann etische und emische Deutungen eines betrachteten Gegenstandes aufeinander, verunsichern, wenn sie befremden, und lassen Fragen entstehen. Die dadurch offen gelegten multipolaren Sichten können Auseinandersetzungen und das Aushandeln von Deutungen ermöglichen. Zum Aushandeln ist dann eine umfängliche Charakterisierung und Reflexion dessen, was geschieht, notwendig. Dazu gehört auch die Befragung der jeweils eigenen Positionsebene, ihre geschichtlichen Verflechtungen und prozesshaften Entwicklungen. Das Verstehen dieser Prozesse erst ermöglicht es, ein Transkulturieren aktiv mit zu gestalten. Die im Prozess handelnden Personen bleiben dadurch Subjekt des Handelns und müssen nicht nur zum passiv getriebenen Objekt von unhinterfragten Vorstellungen werden. In diesem Reflektieren und dem Ableiten von operativen Entscheidungen daraus besteht eine Aufgabe wissenschaftlich fundierten wie auch praktisch operativen Handelns.

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946 Wimmer, Andreas (2005) 947 ゚ᾦ: Heidegger, Martin (1954)

372 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

㠊⟶䞲 ゚Ṗ㔲㩗 ㌂ἶ⹿㔳ὒ 䟊㍳㧊 䡚㌗㩗 䁷Ⳋ㠦 㡗䟻㦚 㭒ἶ 㧞⓪㰖㦮 ⶎ㩲㧊┺. 㠊⟶䞲 䟊㍳㦮 䔖ὒ ㌂䣢㔋ὖ㩗 ὖ⎦㧊 Ṗ㔲㩗 䡚㌗ὒ ⁎ 㞞㠦 㑮Ⱃ♲ 㰖㔳㌗䌲 㧊Ⳋ㦮 ☚㧛 䁷Ⳋ㦚 䡫㎇䞮⓪ 㰖㦮 ⶎ㩲Ṗ 㩲₆♲┺.

Abbildung 6: Ṗ⓻䞲 ☚㧛 ὒ㩫✺

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㽞⪳ | 373

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948 Ortiz, Fernando (1963) 949 '䟊㍳㦚 䐋䞲 ⶎ䢪䡚㌗ ⼖䢪䞮₆'⓪ 䟟㥚㧦㦮 䟊㍳㦚 ⁒Ệ⪲ 㠊⠑Ợ ⌊㣿㧊 ⼖䞶 㑮 㧞⓪㰖⯒ ㍺ⳛ䞮⓪ Ṳ⎦㧊┺. ⼖䢪⓪ 㨂䟊㍳㠦 ╖䞲 ⹮㦧㧊┺. ‘䟊㍳㦚 䐋䞲 ⶎ䢪䡚㌗ ⼖䢪䞮₆’⓪ ㌞⪲㤊 ộ㦚 㺓㿲䞮⓪ ộ㦚 㦮⹎䞲┺. 950 ⌊㣿㦚 䞯㔋䞮ἶ 㨂㌳㌆䞮⓪ 㔲㓺䎲㦮 ₆⓻ 㥶㰖⓪ 䞲ῃ㦮 㩚㼊㩗㧎 ᾦ㥷 㼊㩲㦮 䔏㰫㧊┺. ⁎⧮㍲ 䞲ῃ㧊 Ṳ⹿♶ ╏㔲㠦☚ 㭧ῃ ἶ㩚㦚 ⺆㤆⓪ ╖㔶 䡚╖䢪♲ ⌊㣿㦮 㑮㠛㧊 ☚㧛♮㠞㰖Ⱒ, 㩚㔏♮㠊 㡾 ₆㫊㦮 ᾦ㥷㩗 ㌂ἶ⓪ 㥶㰖♮㠞┺.G

374 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Ⱖ䟊㭖┺. 䢏㦖 ㌂⧢✺㧊 㧊⩂䞲 㦢㞛㧊 ἆ䞣♮㠞┺ἶ ⓦ⋖┺⓪ ộ㦚 Ⱖ䟊㭖┺. Ⱔ㦖 ㌂⧢✺㧊 '㣎ῃ'㦮 㦢㞛ᾦ㥷㦚 ⹱㞚✺㧒 䞚㣪㎇㧊 㧞┺ἶ ⽎┺. 䞮㰖Ⱒ 㦢㞛ᾦ㥷㦚 ⹱㞚✺㧚㠦 㧞㠊 㦢㞛ᾦ㥷㦮 ⁒Ṛ㧊 ♮⓪ ㌂ἶ⹿㔳㦚 ⹱㞚✺㧊⓪ 㧒㦖 㧊⬾㠊㰖㰖 㞠ἶ 㧞┺. ➆⧒㍲ ☚㧛♲ 㣎ῃ㦮 㦢㞛ᾦ㥷㦖 㨂䟊㍳♲┺. 㧊⪲ 㧎䞮㡂 㧎⮮䞯㩗 ₆⽎ 䌲☚㢖 ⳿䚲 ὖ⎦ ⌊㠦 ⳾㑲㧊 㫊㨂䞲┺. 㯟, 㧊䟊㦮 ⶎ㩲⓪ 㑮㠛㦮 ⌊㣿ὒ ⹿⻫㦮 ㍶䌳 ⹥ 㑮㣿㧊 㞚┢ ⁎ 䟊㍳㠦㍲ ₆㧎䞲┺. ➆⧒㍲ ṗ 䟊㍳㦮 䔖㠦 ╖䞲 ἶ㺆㧊 㭧㣪䞮┺. ゚ἶ㺆㩗 ᾦ㥷㦮 㔺䟟㦖 ᾦ㌂✺㦚 ㍲⪲ 㧊䟊⿞Ṗ䞲 ㌂䣢㔋ὖ㩗 㩚㩲✺㦚 ┾㑲䧞 㔺䟟䞮⓪ 䟟㥚㧦⪲ Ⱒ✺ἶ Ⱒ┺. Ṗ䂮㦮 䡧㩫㦖 ἶ㺆㩗 ₆╖㢖 㡃䞶㦮 䔖 ⌊㠦㍲Ⱒ Ṗ⓻䞮┺. ṗ ⰻ⧓㦚 㧎㰖䞮ἶ 㧊⩂䞲 ⰻ⧓㦮 㧎㰖 ㏣㠦㍲ 䟟䞶 㑮 㧞⓪ ⓻⩻㧊 Ṗ㧻 㭧㣪䞮┺. 䞮㰖Ⱒ ἶ㺆 ὒ㩫㦖 ┺㟧䞶 㑮 㧞㦢㠦 㭒㦮䟊㟒 䞲┺. ἶ㺆⩻㦖 㧦㥾㎇ὒ 㧦₆ ἆ㩫㠦 ╖䞲 㺛㧚㦚 㩚㩲⪲ 䞲┺. 䞲ῃ㠦㍲⓪ 㧦㥶⪲㤊 㦮㌂㏢䐋㦮 Ṗ⓻㎇㧊 㫊㨂䞮㰖Ⱒ 㰧┾㦮 㥚Ἒ Ṗ䂮㢖 ⼧䟟䞮㡂 㫊㨂䞲┺.951 㧊 㭧 㠊⟶䞲 Ṗ䂮Ṗ 㠎㩲 㥶䣾䞲㰖㠦 ὖ䞲 䡧㩫㦖 ṗ 㰧┾㦮 ⽋䞿㩗 ㌂䣢㩗 ὒ㩫ὒ 㡆ὖ♲┺. ◆㧊䎆 㫆㌂ ἆὒ ☯ỿ䢪♲ ╖䢪㦮 䡧㩫㦖 㩚㔏♲ ㌂䣢㩗 㔋ὖ㧊 㞚┢ ᾦ㌂✺㧊 㤦䞮⓪ ⹪⪲ ⋮䌖⌂┺. 㧊⩂䞲 ㌗䢿㠦㍲ 㧦₆㺛㧚㩗 ᾦ㥷㩗 ἆ㩫㦚 ⌊Ⰲ⩺Ⳋ Ⱔ㦖 ⿖⿚㧊 ⽋䞿㩗㦒⪲ ἶ⩺♮㠊㟒 䞲┺. ⁎⩝₆ ➢ⶎ㠦 㑮㠛㦮 㔺䟟 䡚㌗✺ὒ ▪⿞㠊 㧊✺㦮 ⁒Ṛ㧊 ♮⓪ ┺㟧䞲 䟊㍳㧊 㦢㞛ᾦ㥷 ☚㧛ὒ㩫 ⌊ 㑮㠛㦮 㧒⿖Ṗ ♮㠊㟒 䞲┺. ┺㟧䞲 䟊㍳㦚 㺔㞚⌊ἶ, ἶ㺆䞮ἶ, Ỗ䏶䞮⓪ 㧧㠛㧊 䞚㣪䞮┺. ┺㟧䞲 䟊㍳㦖 㡺⯊䝚㔳 㦢㞛ᾦ㥷㈦ 㞚┞⧒ ⳾✶ 㦢㞛ᾦ㥷㦮 䟋㕂㦚 㧊⭂┺. 䟊㍳㦮 㔺䟟 䡚㌗㠦㍲ ⋮䌖⋮⓪ ┺㟧㎇㦚 㧊䟊䞮₆ 㥚䟊㍲⓪ ἶ㺆㦮 ₆⹮㧊 ♮⓪ ┺㟧䞲 䔖ὒ ₆㭖㦚 㺔㞚⌊ἶ ἶ㺆㦮 ⳿䚲⯒

951 䞲ῃ㠦㍲ 䐋㣿♮⓪ ㌂ἶ⪲ ㌂䣢䢪♲ ㌂⧢✺㦖 㧦㔶㦮 䟟㥚⯒ Ἒ㏣䟊㍲ ἶ㺆䞮㰖Ⱒ 㡺⯊䝚 ṫ㌂✺㦮 㣪ῂ㢖⓪ ┺⯊Ợ ἶ㺆䞲┺. 㦢㞛㑮㠛 䟟㥚⯒ ゚⫅䞲 ⳾✶ 䟟㥚✺㦮 㧊Ⳋ㠦 䞲ῃ㩗 ㌂ἶṖ ₪⩺ 㧞㰖⓪ 㞠㦖㰖 䢫㧎䟊㟒 䞲┺. 䞮㰖Ⱒ 㧊⩂䞲 ἶ㺆㦖 ὋṲ㩗㧎 䡧㩫㦒⪲ 㧊⬾㠊㰖㰖 㞠ἶ, 䟟㥚㦮 㔺䟟 ☚㧛㠦 㫆㣿䞲 Ṗ㤊◆ Ṳ⼚㩗㦒⪲ 㧊⬾㠊㰚┺. ⡦䞲 ㍶⼚㩗㦒⪲ 㑮⪊㩗 ῂ㫆⪲ ⋮䌖⋲┺. ┺㔲 Ⱖ䞮Ⳋ, ㌂䣢㩗 ₆㭖㠦 ➆⯎ 㰧┾㩗 ὒ㩫㦚 䡫㎇䞮ἶ㧦 䞮⓪ ⳿䚲㢖 ⊠㧚㠜㧊 㡆ὖ♲┺. ㍲⪲ ┺⯎ 䟊㍳✺㦖 㧊⩂䞲 ⳿䚲㠦 ⿖䞿䞶 ➢Ⱒ ⹱㞚✺㡂㰚┺. 㥶⩓㦮 㩚䐋⏎㍶ὒ 䔏䧞 㡺⯊䝚㔳 㩚䐋㦚 ➆⯊⓪ ㌂⧢✺㦮 ὖ㩦㠦㍲ ⽊Ⳋ, ┺㟧䞲 㧊䟊㠦 ╖䞲 㧊⩂䞲 ⿖㩫㩗㧎 䘟Ṗ⓪ 㧦㔶ὒ㦮 㡆Ἒ㩦㦚 ㏢Ⳏ㔲䋺ἶ 㦢㞛㩗 䚲䡚㠦 ╖䞲 䟊㍳㦮 䡧㩫㦚 㩖䟊䞲┺.

㽞⪳ | 375

₾╁⓪ ộ㧊 㩚㩲♮㠊㟒 䞲┺. 㧊⩂䞲 㩚㩲⯒ ₆⹮㦒⪲ 㔺㩲 㦢㞛ᾦ㥷 ὒ㩫㠦 ὖ䞲 ἆ㩫㧊 ☚㿲♶ 㑮 㧞⓪ ộ㧊㰖, 㡃㦒⪲⓪ ⿞Ṗ⓻䞮┺. 㧊⩂䞲 䐋㺆⪲⿖䎆 ┺㦢ὒ ṯ㦖 4 ┾Ἒ㦮 䟟㥚ὒ㩫㦚 ☚㿲䟊 ⌒ 㑮 㧞┺. x 䞯㔋㡞㔲G 㩲㔲䞮₆aG 䃊⯒G 㡺⯊䝚㔳G 㫆₆㦢㞛ᾦ㥷㦮G ⹿㔳㦚G

㡞㔲⯒G 䐋䞮㡂G 㩲㔲䞲┺UG 㧊⓪G 㡺⯊䝚G ṫ㌂✺㧊G 㔲䟟䞮ἶG 㧞⓪G⹿㔳㧊₆☚G䞲┺U x ₆⪳䞮₆aGᾦ㌂✺ὒG㡺⯊䝚Gṫ㌂✺㧊GṗG㩞㹾㦮G⌊㣿㦚G䞾℮G ₆⪳䞲┺UG ₆⪳㦚G 䐋䞮㡂G Ṳ⼚㩗G 䟊㍳㧊G Ṗ㔲䢪♶G 㑮G 㧞₆G ➢ⶎ㠦G ᾦ㌂✺㦮G ₆⪳G 㺎㡂ṖG 㭧㣪䞮┺UG 㡺⯊䝚G ṫ㌂✺㦖G 㧊⩝ỢGṖ㔲䢪♲GṲ⼚㩗G䟊㍳㦚G䕢㞛䞮ἶG┺⭆G㑮G㧞┺U x ἶ㺆䞮₆aG ₆⪳㦚G 䐋䞮㡂G ⋮䌖⋮⓪G 㧒䂮㎇ὒG ㌗㧊㎇㦚G ㏦⽊Ệ⋮G㥶㰖㔲䋾┺UG㧊G➢G⌅㍶G⿖⿚SG㧊䟊䞮㰖Gⴑ䞲G⿖⿚㦚G 䚲䡚䞮⓪Gộ㧊G㭧㣪䞮┺U x 䟊㍳䞮₆aG 㧒䂮㎇ὒG ㌗㧊㎇㧊G ⋮䌖⋮⓪G 㧊㥶⯒G 㺔㞚⌊ἶSG 㧊⯒G 䐋䞮㡂G 㠊⟶䞲G ╖㦧⹿㔳㧊G 㩗㣿G Ṗ⓻䞲㰖SG ⁎ⰂἶG 㠊⟶䞲G䟟㥚ὒ㩫㦚G⿞⩂G㧒㦒䋺⓪㰖G⿚㍳䞲┺U G 㡂₆㍲ Ṗ㧻 ⽋䞿㩗㧎 ὒ㩫㦖 ₆⪳䞮₆㠦㍲ ἶ㺆䞮₆⪲ ⍮㠊Ṗ⓪ ὒ㩫㧊┺. ₆⪳䞮₆Ṗ 㔺㩲 㔺䟟♲ 䞯㔋 ┾Ἒ㦮 ㌂ἶ㩗 㨂䡚㦚 ⹪䌫㦒⪲ 㧊⬾㠊㰖⓪ 䞲, 㧒⹮㩗㦒⪲⓪ ㌗㧊㎇㧊 ⼚⪲ ⋮䌖⋮㰖 㞠⓪┺. ἶ㺆䞮₆㦮 ┾Ἒ⪲ ▪ ⋮㞚Ṟ ἓ㤆, 㤆㍶ 'ἶ㺆䞮₆'㦮 㧊䟊㠦 ╖䞲 䡧㩫㧊 㧊⬾㠊㪎㟒 䞲┺. 㧊⯒ 㥚䟊㍲⓪ 䟟㥚㧦㦮 Ṗ㔲㩗 䚲䡚 㧊Ⳋ 䂋㥚㦮 Ṳ⎦✺, ㍶㧊䟊, ㌂䣢㔋ὖ㩗 ₆⹮㦚 㺔㞚⌊ἶ 㧊⯒ 䡧㩫㦮 ὒ㩫㠦 䙂䞾㔲䅲㟒 䞲┺. 㧊ộ㧊 㧊䟊⯒ ╂㎇䞮₆ 㥚䞲 㩧⁒ ⹿⻫㧊 ♶ ộ㧊┺. ➆⧒㍲ 㦢㞛ᾦ㥷㦮 ☚㧛㠦 ὖ䞲 㡆ῂ㦮 ὖ㩦㧊 ⹪≢㠊㟒 䞲┺. ⶎ䢪㩗 㩚䡫䢪⯒ ⿞⩂ 㧒㦒䋺⓪952 䟊ἆ ⿞Ṗ⓻䞲 Ṟ❇✺㦚 㟒₆䞮⓪ ☚㧛 ὒ㩫㦮 䞲Ἒ⯒ ⹱㞚✺㧊⓪ ╖㔶, ἆ䞿 ⹥ ῂ㎇㦮 㡃㌂㩗 ὒ㩫ὒ ┺㤦㎇㦮 ⁒⽎㩗 䣾⩻㦚 Ṛὒ䞮⓪ ἓ㤆Ṗ Ⱔ┺. 953 㞞㩫㎇ὒ ☯㰞㎇㦚 㔲㌂䞮⓪ ⽎㰞㩗㧊ἶ ′⻪㩗㧎 䔏㎇㦮 ὖ⎦✺㦚 㺔㞚⌊㠊 䟊㼊㔲䋺ἶ, ┺⯎ 䞲䘎㦒⪲ ′⻪㩗㧎 ὖ⎦ὒ 㦢㞛㩗 䚲䡚㦮 䟊㍳ ㌂㧊㦮 ἆ䞿 ὖἚ⯒ ⹳䧞⓪ ộ㧊 㥶㦮⹎䞶 ộ㧊┺.

952 '䞲ῃ㩗', '☛㧒㩗' ❇ὒ ṯ㦖 ⽎㰞䢪㩗 㩚䡫䢪⓪ 㦢㞛㩗 ╖䚲㎇㦚 㧊⬾⓪ ῂ㎇ 㣪㏢⪲ ㌂㣿♮㠊㍲⓪ 㞞 ♲┺. 㩫㼊㎇(‫┟ڌ‬ᙗ)㦖 ὒ㩫㩗 㩞㹾⯒ ⋮䌖⌊⓪ ◆ 㩗䞿䞮㰖 㞠┺. 953 ゚ᾦ: Juneja, Monica (2012).

376 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

ῂ㼊㩗㧎 㑮㠛 ἆὒ⓪ 㑮㠛 ⌊㠦 ┺㟧㎇㦚 ┺⬾ἶ, 㠊⟶䞲 㰧┾㧊 㤦䞮✶ 㤦䞮㰖 㞠✶ ㌗㧊㎇㦚 Ệ⪶䞮ἶ ⁎ ₆㭖 ⹥ ╖䚲㎇㦮 ⌊㣿ὒ ⳿䚲⯒ 䌦ῂ䞮ἶ, Ὃ☯㦮 䡧㩫㦚 Ṗ⓻䞮Ợ Ⱒ✲⓪ Ṳ⎦㎇㦚 㺔ἶ, 㑮㠛 ὒ㩫㦚 ☚㿲䟊 ⌊₆ 㥚䟊 㦮㌂㏢䐋ὒ ἶ㺆㦚 㥚䞲 Ὃ☯㦮 㩞㹾㢖 ⹿⻫㦚 䌦ῂ䞮⸖⪲㖾 Ṗ㪎㢂 ộ㧊┺.

Anhang

Fragebögen 1. 㥶㞚㦢㞛ᾦ㥷 ᾦ㌂⯒ 㥚䞲 㰞ⶎ Frage an die Lehrer(innen) ṗ 䟃⳿㠦 ₆㧛㦚 䞮Ệ⋮, 㡞/㞚┞㡺㠦 䚲㔲⯒ 䟊 㭒㔲₆ ⹪⧣┞┺. Füllen Sie bitte jede Frage aus oder markieren sie dazu ja/nein. ⋮⓪ 㡺⯊䝚 㥶㞚 㦢㞛㦚…… ⎚⿖䎆 Ṗ⯊䂮ἶ 㧞┺ Ich unterrichte musikalische Früherziehung seit … Jahren ⌊ 㡺⯊䝚 㥶㞚㦢㞛 㑮㠛⁎⭏㦖... ⳛ⿖䎆… ⳛ ₢㰖 㧞┺. Die Größe meiner musikalische Früherziehung Gruppen beträgt zwischen … und … Kindern ⍺ Ja ⋮⓪ 㦢㞛㦚 㩚Ὃ䟞┺. Ich habe eine musikalische Ausbildung. ⋮⓪ ᾦ㥷䞯㠦 ὖ⩾♲ ộ㦚 㩚Ὃ䟞┺. Ich habe eine pädagogische Ausbildung. ⋮⓪ …… Ṳ㤪/⎚ ☯㞞 㥶㞚㦢㞛ᾦ㥷㦚 ᾦ㥷 ⹱㞮┺. Ich bin … Monate/ Jahre in musikalischer Früherziehung ausgebildet worden. ⋮⓪ 㑮㠛㠦 ᾦ㨂(㺛, ᾦ㥷ὒ㩫)⯒ ㌂㣿䞲┺. Ich unterrichte nach einem Lehrwerk. (ᾦ㨂⯒ ㌂㣿䞮ἶ 㧞┺Ⳋ ⶊ㓾 ᾦ㨂?) (wenn ja, welches) ⋮⓪……⯒ 䐋䟊 㥶㞚㦢㞛ᾦ㥷㠦 ὖ㕂㦚 ṬỢ ♮㠞┺. Ich bin zur musikalischen Früherziehung gekommen durch ⿖⳾ Eltern. 䂲ῂ ⡦⓪ ☯⬢ Freunde oder Kolleg(inn)en. 䞯ᾦ ⡦⓪ 㰗㠛ᾦ㥷㦮 ᾦ㌂㦮 㿪㻲㦒⪲

㞚┞㡺 Nein

378 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Empfehlung durch Lehrer(in) in der Schule oder der Berufsausbildung. ᾦ䣢㦮 㞞⌊ Informationen in der Kirche. 㩞㦮 㞞⌊ Informationen im Tempel. 㔶ⶎὧἶ, (㦢㞛/ᾦ㥷)㩫₆ Ṛ䟟ⶒ. Anzeigen in Zeitungen, (Fach-)Zeitschriften. ㌞ 㦢㞛/ᾦ㥷 㽞㞞㦚 㓺㓺⪲ 㺔㞮┺ Eigenes Suchen nach Konzepten. 㺛㠦㍲ 㥶㞚㦢㞛㠦 ╖䟊 㧓㠞┺ Lesen von Literatur. ┺⯎ Anderes:

2. 㥶㞚㦢㞛ᾦ㥷㠦㍲ 㧦㔶㧊 䧂ⰳ䞮⓪ ᾦ㌂㌗ Lehrerwunsch an sich selbst in der musikalischen Früherziehung ṗ 䟃⳿㠦 䟊╏䞮⓪ ⻞䢎㠦 䚲㔲⯒ 䟊 㭧㣪䞮┺ 㭧㣪䞮㰖㞠 ┺ Unwichtig 㭒㔲₆ ⹪⧣┞┺. Kennzeichnen Sie bitte zu Wichtig jeder Frage das Zutreffende 8 7 6 5 4 3 2 1 ⋮⓪ 㡺⯊䝚 㥶㞚㦢㞛ᾦ㌂⪲㍲ ... (䞮ἶ㕌┺) Ich möchte als Lehrer(in) der musikalischen Früherziehung im Sinne von Orff… 㫡㦖 ⳿㏢Ⰲ⯒ 㡺⨁☯㞞 㥶㰖䞶 㑮 㧞☚⪳ ⹲㩚㔲䋺ἶ 㕌┺. Eine physiologisch lange haltbare Stimme entwickeln können. Ṗ⓻䞲 䋆 ⳿㏢Ⰲ⪲ ⹲㩚㔲䋺ἶ 㕌┺. Eine möglichst laute Stimme entwickeln. 㯟䦻 ⏎⧮⯒ 䞮ἶ 㕌┺. Beim Singen improvisieren können. 㯦ỗἶ ₆㊮ἶ 㕌┺. Spaß und Freude haben. ⏎⧮ ⿖⯊Ⳇ 㡺⯊䝚㞛₆⪲ ⹮㭒䞮ἶ 㕌┺. Singen und sich dabei mit Orffinstrumenten begleiten. Ⱔ㦖 㞛₆⪲ 㧧ἷ♲ 㦢㞛㦚 㡆㭒䞮ἶ 㕌┺. Auf vielen Instrumenten vorgegebene Musik spielen können.

A NHANG | 379

㩫䢫䞲 Ⰲ❂㦚 㡆㭒䞮ἶ 㕌┺. Klare Rhythmen spielen können. 㧦㔶㦮 䧂ⰳ㠦 ➆⧒ 㧦㥶⫃Ợ 㦢㞛㠦 ⰴ䀆 㥾☯䞮ἶ 㕌┺. Mich frei und nach eigenem Wunsch zur Musik bewegen können. 㞞ⶊ♲ ⶊ㣿㦚 㿺㿪ἶ 㕌┺. Feste Tanzformen ausführen können. ⶊ㣿㦚 㞞ⶊ䞮ἶ 㕌┺. Eigene Tanzformen entwickeln können. 㧧ἷ♲ 㦢㞛㠦 ╖䟊 㞢ἶ 㕌┺(㩚䐋ⶎ䢪). Festgelegte Musik (Tradieren von Kultur) kennen. 㦢㞛㠦 ╖䟊 Ⱖ䞮ἶ 㕌┺. Über Musik sprechen können. 㠊Ⰶ㧊Ṗ 㞛⽊⯒ ⁎Ⰺ 㑮 㧞☚⪳ 㧎☚䞮ἶ 㕌┺. Kinder zur Notation hinführen können. 㞛₆⯒ Ⱒ✺ἶ 㕌┺. Instrumente basteln können. 㞛₆㏢Ⰲ⯒ ✹ἶ ⶊ㓾 㞛₆㧎㰖 㞢☚⪳ 䞮ἶ 㕌┺. Instrumente hören und zuordnen können. 㦢㞛㦒⪲⿖䎆 ⏖㧊 ⁏㦒⪲ ⹲㩚㔲䋺ἶ 㕌┺. Aus Musik szenisches Spiel entwickeln können. 㠊Ⰶ㧊㦮 䂲ῂ㧊ἶ 㕌┺. Freund der Kinder sein. 㠊Ⰶ㧊✺㧊 㩲㔲䞲 㦢㞛㦚 㩲╖⪲ ⳾⹿䞶 㑮 㧞☚⪳ Ṗ⯊䂮ἶ 㕌┺. Unterrichten, dass die Kinder meine Vorgaben richtig nachmachen. 㠊Ⰶ㧊Ṗ ₆㊮Ợ 㧦㥶㦮㰖㠦 㦮䟊 㦢㞛㦚 㡆㭒䞶 㑮 㧞☚⪳ ☯₆㥶⹲㦚 㔲䋺ἶ 㕌┺. Kinder zum freiwilligen Musizieren mit Freude motivieren können. 㦢㞛㦚 㺓㦮㩗㦒⪲ ㌂㣿䞮ἶ 㕌┺. Musik kreativ nutzen können. ㎎Ἒ㦢㞛㦚 Ṗ⯊䂮ἶ 㕌┺. Globale Musik unterrichten.

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┺㟧䞲 ┺㧊⋮⹏(ṫ㟓)㦒⪲ ⏎⧮䞮ἶ 㕌┺. In verschiedenen Dynamiken singen können. 㠊Ⰶ㧊㦮 ᾦ㥷㰖☚㧦㧊ἶ 㕌┺. Führungsperson für die Kinder sein. 㠊Ⰶ㧊✺㧊 㦢㞛Ὃ㡆㦚 㭖゚䞮Ợ 䞮ἶ 㕌┺. Kinder auf Musikvorführungen vorbereiten können. ᾦ㟧㦮 ⽎⽊₆⯒ Ṗ⯊䂮ἶ 㕌┺(㡞: 㠎㠊, 㦮㌗, 䌲☚ ❇❇). Als gutes Vorbild meiner Kultur unterrichten (z.B. gut sprechen, gut kleiden, gut verhalten usw.). 㦢㞛㩗㧎 㰖㔳ὒ ⓻⩻㦚 㔲䠮䞶 㑮 㧞☚⪳ 䞮ἶ 㕌┺(㡞: 䆿䋊❇). Musikalisches Wissen und Können überprüfen können.

3. 㠊⟺ 㑮㠛⌊㣿ὒ 䢲☯㦒⪲ ⰺ㭒 㑮㠛㦚 Ṗ⯊䂿┞₢? Welche Unterrichtsinhalte /-aktivitäten betreiben Sie pro Wochenstunde? ⰺ㭒 ➢➢⪲ 䞲⻞☚ ṗ 䟃⳿㠦 䟊╏䞮⓪ ⻞䢎㠦 䚲㔲⯒ 䟊 Jede Hin 㭒㔲₆ ⹪⧣┞┺. 䞮㰖 Wound Kennzeichnen Sie bitte zu jeder Frage das Zu㞠⓪┺ che wieder treffende Nie 8 7 6 5 4 3 2 1 䞾℮ ⏎⧮䞲┺. Wir singen gemeinsam. 㠊Ⰶ㧊Ⱒ ⏎⧮䞲┺. Die Kinder singen solistisch. ⶊ⹮㭒⪲ 䞾℮ ⏎⧮䞲┺. Wir singen Lieder a capella. 㞛₆⪲ ⹮㭒䞮Ⳇ 䞾℮ ⏎⧮䞲┺. Wir singen mit Instrumentalbegleitung. ⹮㭒 CD 㠦 ⰴ䀆 䞾℮ ⏎⧮䞲┺ (⏎⧮⹿). Wir singen zur CD Begleitung (Norebang). ⳿㏢Ⰲ⪲ 㯟䦻㡆㭒⯒ 䞾℮ 䞲┺. Wir improvisieren mit der Stimme. Ἒⳛ㦒⪲ 䞾℮ ⏎⧮䞲┺. Wir solmisieren. ⋮⓪ 㞛₆⯒ 㡆㭒䞲┺. Ich spiele auf einem Instrument.

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㞛₆⪲ 㯟䦻㡆㭒⯒ 䞾℮ 䞲┺. Wir improvisieren auf Instrumenten. Ⱖ Ⰲ❂㦚 䞾℮ ㌂㣿䞲┺. Wir verwenden eine Rhythmussprache. 䚲㩫ὒ ㏦㰩 ⴎ㰩㦒⪲ ╖䢪䞮₆. Kommunikation mit Gesten und Mimik. 㦢㞛㠦 ⰴ䀆 㧦㥶⫃Ợ 䞾℮ 㥾☯䞲┺. Wir bewegen uns frei zur Musik. 䞾℮ 㞞ⶊ䞲 䤚 㿺㦚 㿮┺. Wir tanzen nach festen Tanzformen. 䞾℮ 㿺㦚 㞞ⶊ䞲┺. Wir entwickeln eigene Tanzformen. ✹₆ὒ㩲⯒ 㭖┺. Es gibt Höraufgaben. 㦢㞛㠦 ╖䟊 䞾℮ 㧊㟒₆䞲┺. Wir sprechen über Musik. ⁎⧮䝚㦮 㞛⽊⯒ ⁎Ⰶ┺. Wir malen graphische Notation. 㦢䚲⯒ 䞾℮ ⁎Ⰶ┺. Wir malen Musik in Noten auf. 㞛₆⯒ 䞾℮ Ⱒ✶┺. Wir basteln Instrumente. 㞛₆⯒ ㏢Ṳ䞲┺. Ich stelle Instrumente vor. 㦢㞛㦚 ⁎Ⱂ㦒⪲ 䞾℮ ⁎Ⰶ┺. Wir malen zur Musik. 㦢㞛㦒⪲ ⁏⏖㧊⯒ 䞲┺. Wir spielen szenisch zur Musik. (䞲ῃ)╖㭧Ṗ㣪⯒ ㌂㣿䞲┺. Wir verwenden (Korean) Pop music. 㥶⩓ὒ ⹎ῃ㦢㞛㦚 ㌂㣿䞲┺. Wir verwenden europ./ und US Musik. ῃ㞛㦚 ㌂㣿䞲┺. Wir verwenden traditionelle koreanische Musik. ⁎Ⱂὒ ┺⯎ ☚ῂ✺㦚 ㌂㣿䞲┺. Wir nutzen Bilder und andere Materialien. 㦢㞛㑮⪳ ⽊㫊䞮⓪ ⰺ㼊⯒ 㣿 䞲┺(CD, mp3 ❇❇). Wir nutzen Tonträger (CD, mp3 usw.).

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4. Ṳ㧎㩗㧎 Ṳ⎦㦮 㩫㦮⯒ ⌊⩺ 㭒㕃㔲㡺… Bitte definieren sie Ihre Vorstellungen zu den Begriffen… ┺㦢 㰞ⶎ㠦 Ṳ㧎㩗㧎 ㏢ἂ㦚 㩗㠊㭒㔲₆ ⹪⧣┞┺. Schreiben Sie bitte auf die nächsten Fragen ihre eigene Meinung ╏㔶㧊 ㌳ṗ䞮⓪ 㥶⩓ὒ/⡦⓪ ⹎ῃ 㦢㞛㧊⧖ ⶊ㠝㧎㰖 ㍺ⳛ䟊 㭒㎎㣪. Beschreiben sie was europäische und/oder US Musik für sie ist ⋮⓪ 㥶⩓ὒ/⡦⓪ ⹎ῃ 㦢㞛㦚 Ṗ⯊䂮⓪ ộ㧊 㭧㣪䞮┺/㭧㣪䞮㰖 㞠┺954 ⧒ἶ ㌳ṗ䞲┺. 㢲⌦䞮Ⳋ…… Ich finde es wichtig/unwichtig 955 europäische und/oder US Musik und Musikpädagogik zu lehren, weil… 8 㭧㣪䞮┺ 7 6 5 4 3 2 1 0 㭧㣪 Wichtig 䞮㰖 㞞㦖 Unwichtig ╏㔶㧊 ㌳ṗ䞮⓪ 䞲ῃ 㦢㞛㧊⧖ ⶊ㠝㧎㰖 ㍺ⳛ䟊 㭒㎎㣪. Beschreiben sie was koreanische Musik für sie ist ⋮⓪ 䞲ῃ 㦢㞛ὒ 䞲ῃ㦢㞛ᾦ㥷㦚 Ṗ⯊䂮⓪ ộ㧊 㭧㣪䞮┺/㭧㣪䞮㰖 㞠┺956 ⧒ἶ ㌳ṗ䞲┺. 㢲⌦䞮Ⳋ Ich finde es wichtig/unwichtig 957 koreanische Musik und Musikpädagogik zu lehren, weil… 8 㭧㣪䞮┺ 7 6 5 4 3 2 1 0 㭧㣪 Wichtig 䞮㰖 㞞㦖 Unwichtig 5. 㠊⟺ ⹿⻫㧊 㥶㞚㦢㞛ᾦ㥷 㑮㠛 㭧 㭧㣪䞮┺ἶ ㌳ṗ䞮㕃┞₢? Welche Methoden sind Ihnen beim Unterricht der musikalischen Früherziehung wichtig? ṗ 䟃⳿㠦 䟊╏䞮⓪ ㌂䟃㠦 䚲㔲䟊 㭒㔲₆ ⹪⧣┞┺. Markieren Sie bitte zu jeder Frage zutreffendes kennzeichnen 㠊Ⰶ㧊㢖 ᾦ㌂⓪... 䞶 㑮 㧞┺ 㭧㣪 㫆⁞ 㭧㣪 㩚䡖 Die Kinder und die Lehrer(in) sollen… 㭧㣪 䞮┺ 㭧㣪 䞮㰖 Wich

䞮┺

㞠┺

䞮㰖

tig

Etwas

Un-

㞠┺

wichtig

wich

Ganz un-

tig

wichtig

㡆㭒⯒ 䐋䟊 㦢㞛㦚 ⺆㤎 㑮 㧞┺. durch Spielen Musik lernen.

954 䚲㔲 䟊㭒㕃㔲㡺. Zutreffendes kennzeichnen 955 䚲㔲 䟊㭒㕃㔲㡺. Zutreffendes kennzeichnen 956 䚲㔲 䟊㭒㕃㔲㡺. Zutreffendes kennzeichnen 957 䚲㔲 䟊㭒㕃㔲㡺. Zutreffendes kennzeichnen

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㔲☚㢖 㔲䠮(㔺䠮)㦚 䐋䟊 㦢㞛㦚 ⺆㤎 㑮 㧞┺. durch Ausprobieren und Experimentieren Musik lernen. 㧦₆Ⱒ㦮 ἶ㥶䞲 䢲☯㦚 䐋䟊 㦢㞛㩗 㡆Ἒ(ὖἚ, ὖ⩾, 㡆ὖ)⯒ 㧎㔳䞶 㑮 㧞┺. durch Eigenaktivitäten musikalische Zusammenhänge erkennen. 㦢㞛㩗 㡆Ἒ⯒ 㧊䟊䞶 㑮 㧞┺. sich musikalische Zusammenhänge zusammen erschließen. ゚㦢㞛㩗㧎 ☚ῂ⯒ ㌂㣿䟊 㡆Ἒ䞮⓪ ộ㦚 ⺆㤎 㑮 㧞┺. intermedial lernen, also auch nichtmusikalische Materialien verwenden. 㔶㼊⯒ 㧎㔳㔲䅲 㦢㞛㩗 㡆Ἒ⯒ 㧊䟊䞶 㑮 㧞┺. sich körperorientiert musikalische Zusammenhänge erschließen. ⳾⹿㦚 䐋䟊 ┺⯎ 㦢㞛㦚 ⺆㤎 㑮 㧞┺. durch Imitieren anderer Musik lernen. 㯟䦻㡆㭒⯒ 䞶 ➢ Ṗ⓻䞲 䞲 㔺㑮⯒ 䞮㰖 㞠㦚 㑮 㧞┺. beim Improvisieren möglichst keine Fehler machen. 㩫䢫䞲 䡫㔳㦚 㡆㔋䞶 㑮 㧞┺. klare Formen üben. 㩲㔲䞲 㦢㞛㩗 ⳿䚲㠦 ☚╂ 䞶 㑮 㧞┺. ein vorgegebenes musikalisches Ziel erreichen. 㓺㓺⪲ 㦢㞛㦚 䞮⩺⓪ 㦮㰖⯒ Ṗ㰖⸖⪲ 㦢㞛㦚 ⹲㩚㔲䌂 㑮 㧞┺. von sich aus mit musizieren wollen und Musik entwickeln können. ⋮⓪ ᾦ㌂⪲㍲... Ich als Lehrer(in)…



㧦㭒

➢➢

㩚䡖

Im-

Öfter



䞮㰖

Mit-

㞠┺

unter

Nie

mer

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㑮㠛Ἒ䣣㍲⯒ 㧧㎇䞲 䤚 㑮㠛㦚 䞲┺. unterrichte nach einem festgelegten Lehrplan. 㑮㠛㔲Ṛ㦚 ㌞⫃Ợ ⹲㩚㔲䋾┺. entwickle Stunden neu. 㑮㠛㔲Ṛ ⌊㠦 㑮㠛㦚 㯟䦻㦒⪲ 㰚䟟䞲┺. improvisiere innerhalb meiner Stunde. meinen Unterrichtsablauf. ⌊Ṗ 㑮㠛㦚 㥶☚䞲┺. steuere den Unterricht. 㩚㼊⁎⭏㦒⪲ 㦢㞛㦚 㡆㭒䞲┺. musiziere mit der ganzen Gruppe ㏢⁎⭏㧊⋮ 㰳㦚 㰖㠊 㑮㠛㦚 䞲┺. unterrichte in Kleingruppen oder Paaren. 㠊Ⰶ㧊Ṗ ἶ㥶䞲 䢲☯㦚 䞮☚⪳ ỿ⩺䞲┺. rege die Kinder zu Eigenaktivitäten an 㠊Ⰶ㧊Ṗ 㦢㞛㩗 㧦⹲㎇㦚 䠞⧓䞲┺. lasse musikalische Selbsttätigkeit der Kinder zu. ☛㭒㦮 ὒ㩲⯒ ⿖㡂䞲┺. übertrage solistischer Aufgaben. 㠊Ⰶ㧊✺㧊 ㍶⽊㧎 㦢㞛㦚 ⳾⹿䞮Ợ 䞲┺. lasse die Kinder vorgestellte Musik imitieren. 㠊Ⰶ㧊Ṗ 㦢㞛㦚 㡆㔋䞮Ợ 䞲┺. lasse die Kinder Musik üben. 㠊Ⰶ㧊Ṗ 㯟䦻 㡆㭒䞮Ợ 䞲┺. lasse die Kinder Musik improvisieren. 㩫Ⳋ㦚 ⹪⧒⽊Ⳇ 㑮㠛㦚 䞲┺. unterrichte frontal. 㠊Ⰶ㧊Ṗ 㤦䡫㦒⪲ 㞟Ệ⋮ ㍲Ợ 䞲┺. lasse die Kinder im Kreis sitzen oder stehen. 㠊Ⰶ㧊Ṗ Ⱔ㦖 㥾☯㦚 䞮Ợ 䞲┺. lasse die Kinder sich viel bewegen.

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416 | T RANSFERIEREN , TRANSKULTURIEREN UND VERSTEHEN

Tabelle 4: Lehrerwunsch an sich selbst in der musikalischen Früherziehung | 271 Tabelle 5: Unterrichtsinhalte / -aktivitäten pro Wochenstunde | 276 Tabelle 6: Stellenwert und Ziele der koreanischen und US/europäischen Musik | 282 Tabelle 7: Definition der koreanischen und/oder US/europäischen Musik | 283 Tabelle 8: Frage nach Aktivitätsformen der Kinder | 285 Tabelle 9: Frage nach realen Aktivitätsformen der Lehrer(innen) | 289 Tabelle 10: Entdeckend-kreative Tätigkeiten der Lehrkräfte | 327 Tabelle 11: Steuernde Tätigkeiten der Lehrkräfte | 328 Tabelle 12: Was Lehrer(innen) können wollen | 331 Tabelle 13: Wichtigkeit von koreanisch und europäisch / US konnotierter Musik | 336 Tabelle 14: Inhaltshäufigkeit von koreanisch und europäisch / US konnotierter Musik | 336

Pädagogik Anselm Böhmer Bildung als Integrationstechnologie? Neue Konzepte für die Bildungsarbeit mit Geflüchteten September 2016, 120 S., kart., 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3450-1 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3450-5 EPUB: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3450-1

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