Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse: Organon Band 1. Zweisprachige Ausgabe 9783787331536, 9783787315932

Die Zusammenfassung der logischen Schriften unter dem Titel Organon (Werkzeug) geht nicht unmittelbar auf Aristoteles zu

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Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse: Organon Band 1. Zweisprachige Ausgabe
 9783787331536, 9783787315932

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A R ISTOT EL E S

Organon Band 1

FEL I X M EI N ER V ER L AG H A M BU RG

A R ISTOT EL E S

Topik ***

Topik, neuntes Buch oder

Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse Herausgegeben, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Hans Günter Zekl

FEL I X M EI N ER V ER L AG H A M BU RG

PH I L O S OPH I S C H E BI BL IO T H E K BA N D 4 9 2

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INHALT

Vorwort zum Gesamtvorhaben..................................

VII

Einleitung des Herausgebers ....................................

XV

Topik...................................................................

XV

Topik, neuntes Buch

oder Über die sophisti-

schen Widerlegungsschlüsse.................................

LXXXI

Ausführliche Inhaltsübersicht...................................

CVII

Siglen ........................................................................

CXXI

Aristoteles Topik Text und Übersetzung ..........................................

I

A

Erstes Buch ....................................................

2

3

B

Zweites Buch ..................................................

58

59

r

Drittes Buch ...................................................

106

107

.1.

Viertes Buch...................................................

140

141

E

Fünftes Buch ..................................................

196

197

Z

Sechstes Buch.................................................

274

275

H

SiebentesBuch ................................................

358

359

E>

Achtes Buch ...................................................

384

385

VI

Inhalt

Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse Text und Übersetzung...................................................

449

Anmerkungen des Herausgebers...................................

591

Abkürzungen .................................................................

663

Ausgewählte Literatur ...................................................

665

WOrtverzeichnis. ............................................................

669

Index verborum ....................................... ......................

673

VORWORT ZUM GESAMTVORHABEN

Die Übersetzung des aristotelischen Organon von Eugen Rolfes, erschienen in der Philosophischen Bibliothek als Bände 8-1 3 zwischen 1 9 1 8 und 1 92 2 ( 2 1 92 2-1 925), war , trotz aller Fehler und Unvollkommenheiten , die Menschenwerk immer an sich hat , doch so zuverlässig und verwendbar, daß man sie bis in die Gegenwart, z. T. unverändert , z. T. mit neuen Ein­ leitungen versehen , nachdrucken konnte . Neben P. Gohlkes Übersetzung (Paderborn 1 95 1 ff.), und abgesehen von einigen Einzelbearbeitungen und zusammengestrichenen Auswahlen , war sie über diesen Zeitraum in deutscher Sprache die einzige greifbare vollständige Version. (Die von E. Grumach seit 1 958 herausgegebene und von H. Flashar fortgeführte Gesamtaus­ gabe der Werke des Aristoteles in deutscher Übersetzung ist noch lange nicht komplett ; vom Organon liegen bisher Kate­ gorien, Hermeneutik und Analytika Posteriora vor. Dies monu­ mentale Vorhaben wendet sich auch vor allem an Forscher und Gelehrte .) So haben ganze Studentengenerationen die Logik nach Aristoteles aus Rolfes gelernt . Es versteht sich von selbst, daß Textgrundlagen und mit­ gebrachtes damaliges Verständnis von aristotelischer Philo­ sophie längst überholt sind. Rolfes konnte sich auf die seiner­ zeit klassischen Ausgaben von I. Bekker ( 1 83 1 ) und Th . Waitz ( 1 844-46) stützen ; ihm standen die wegbereitenden Arbeiten von C. Prantl ( 1 855 ff.) und H. Maier ( 1 896-1 900) zur Ver­ fügung. (Eine Bezugnahme auf den ersten entwicklungs­ geschichtlichen Ansatz von W. Jaeger, 1 9 1 2 , sucht man bei ihm vergebens . ) Seiner wissenschaftlichen Herkunft nach hatte Rolfes einen profunden Einblick in die reiche scholasti­ sche Tradition ; das hat sein Verständnis wesentlich be­ stimmt.

VIII

Vorwort

Alles, was in Absetzung gegen diese rückwärtsgewandte Systemorientierung seither bei Aristoteles maßgeblich gewor­ den ist und gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Stand des Bewußtseins und der Forschung gelten darf, ist erst später er­ schienen, so z. B. die Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare zur aristotelischen Logik von Ross, Minio-Palu­

ello, Ackrill, Barnes, Colli, Tricot, Brunschwig, Oehler, Weide­ mann, Detel usw. - um nur sie zu nennen -, die Gesamtdarstel­ lungen und entwicklungsgeschichtlichen Interpretationsan­ sätze von ]aeger, Solmsen, Gohlke, Kapp, Cherniss, Lukasie­ wicz, Bochenski, Kneale, Patzig, Düring u. v. a. m . , sodann die Arbeiten zur Erhellung der Akademischen Lehrgegenstände und -methoden als der notwendigen Folie für Aristoteles und so fort. Durch die neuere Forschung ist der genuine Aristoteles aus der systematisch vereinheitlichenden, die ursprünglichen In­ tentionen mächtig überformenden scholastischen Traditions­ schicht erst wieder freigelegt worden, und man hat ein leben­ digeres Bild von ihm gezeichnet . Damit ist aber auch mehr Differenz gesetzt : Die Distanz der aristotelischen Philosophie des logos zu dem , was traditionelle und moderne Logik betrie­ ben haben und betreiben, ist so evident geworden , daß über­ setzerisch und interpretatorisch niemand mehr dahinter zurückbleiben darf. Als daher der Verlag an den Unterzeichneten mit dem Vor­ schlag herantrat , die Schriften des Organon neu zu bearbei­ ten , war schnell klar , daß dies eine Neukonstruktion von Grund auf bedeutete. Neben allem, was ein solches Vorhaben zur Disposition stellen darf, war auch an die Reihenfolge der Texte zu denken . Seit Generationen haben haben Studenten und ihre Lehrer den Einstieg in die aristotelische Logik über die Kategorien - und vielleicht zusätzlich die Hermeneutik zur Ersten Analytik genommen. Das ist die Andronikos-Anord­ nung. Die repräsentiert ein bestimmtes Verständnis von Auf­ gabe, Struktur und Ziel einer Logik - als "Opyavov , Werkzeug

Vorwort

IX

nämlich -, das schon aus dem Grunde nicht aristotelisch sein kann, weil Aristoteles selbst den Ausdruck »Logik« als termi­ nus technicus noch nicht kennt und seine unter diesem Titel zusammenzufassenden Arbeiten (und man müßte zentrale Teile der Metaphysik und einiges aus De partibus animalium I dazunehmen) auch nie so oder »Organon« genannt hat . Will man wissen, woraus ihm dies Unternehmen einer Philosophie des logos erwachsen ist, so muß man vielen tradierten und lieb­ gewonnenen Ansichten gegenüber umdenken ; man hat näm­ lich wohlbegründeten Anlaß zu der Annahme , daß seine »Logik und Erkenntnistheorie>wissenschaftlicher> ZU Hilfe kommen « . Unbestritten sind mit dem Einsatz dieser metaprachlichen Mittel interpretatorische Entscheidungen getroffen, die der Hg. in der Hoffnung verantwortet , so auf­ merksam in die aristotelische Sprache hineingehört zu haben, daß er sie, wenn schon vielleicht nicht in allen Fällen verstan­ den , so doch in möglichst wenigen mißverstanden habe . Die Gegenstände dieser Rede sind bekanntlich umfassend : Die Er­ streckung ihrer Sätze reicht von den Dingen an und für sich bis zu ihr selber, d. h . , einmal ist sie weit >> draußen « beim Sein des Allgemeinen , ein andermal bei sich , ihrer bloßen Form , also Morphemen , Kasus , Genera, Prosodie usw. Dazwischen muß auch die Nachgestaltung hin und her, zwischen anfangli­ chem Ur-Sprung und praktischer Erstannahme sozusagen , also konkret z. B . zwischen : Seinsherkunft des Wesens des Menschen ist es , ein zu Lande gehendes , zweifüßiges Lebewe­ sen zu sein , oder : Begriffsbestimmung von >> Mensch« ist : >> Le­ bewesen, Landgänger , zweifüßig « . Der Text ermöglicht, je nach Umgebung und Vorverständnis , beides , doch wer kann, selbst nach so viel Mühe , wissen, was hier ••Wissen« ist oder

Wissen . . . Die Anmerkungen wollen das Verständnis einzelner Stellen fördern , Bezüge herstellen, den Text gliedern ; eine fortlau­ fende Kommentierung liefern sie , schon aus Platzgründen , nicht . Wo es die großen Kommentare gibt (Kategorien, Her­ meneutik, Analytiken), bleibt ihre Benutzung - und die Aus-

Vorwort

XIII

einandersetzung mit ihnen - unerläßlich für jeden, der es ganz genau wissen will . Jedem Band ist eine Literaturübersicht beigegeben. Selbst­ verständlich kann das immer nur eine Auswahl sein. N eben Standardwerken sind vor allem neuere Veröffentlichungen nachgewiesen. Wenn jemand dies oder das vermißt , was er für wichtiger hält , als der Auswählende es getan hat , so sei um Nachsicht gebeten . Von dem Angegebenen aus kann man wei­ terkommen. Dem jeweiligen Index verbarum (neben denen der alte Index Aristotelicus von H. Bonitz immer noch unentbehrlich bleibt) ist ein deutsches Stichwortverzeichnis an die Seite gestellt , von dem aus auch der weniger griechischkundige Benutzer Zu­ gang zu den hauptsächlichen Belegstellen finden kann. Hans Günter Zekl

EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Topik

Reflexion » M . D . u. H . , ich lese Logik. Logik kommt von logos . Heraklit hat gesagt . . . eleatischen Palamedes > hat >nicht sein« können , und die » ionischen und sikulischen Musen>Thesen « , hier : extreme Behaup­ tungen, für die nur spricht, daß sie von anerkannten Leuten stammen , die in dem Fall der communis opinio widerspre­ chen . Dies können auch Sophisten sein , die die Äquivoka­ tionen von »sein« für ihre Paradoxa nutzen . Auch derartige Thesen dürfen zum Problem erhoben werden, nur erschöpft sich der Begriff des Problems darin nicht , sondern es gibt 58

Phd . , 97 d. 59 1 04 b 1 4- 1 6 : Es gibt Aufgaben •Über Gegenstände, zu denen wir nicht Rede stehen können , wo sie doch schwerwiegend sind . . . , z. B . : Ist das Welt­ all ewigdauernd oder nicht?• - Kant, KrV, A VII: · Die menschliche Ver­ nunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird , die sie nicht abweisen kann - denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben -, die sie aber auch nicht beantworten kann , denn sie übersteigen alles Vermögen der mensch­ lichen Vernunft.•

Einleitung

XXXIX

auch echte Zweifelsfragen, die nicht trivial oder extrem unsin­ nig sind. Die Kapitel 1 0-12 sind eine Palinodie zu Kapitel 4 und 8 auf höherem Niveau . Die Gegenüberstellung von Induktion und Syllogismus , Kapitel l2, greift auf die Eingangsdefinition zurück, ist luzid und in ihrer Charakteristik der Leistung bei­ der überzeugend . Danach , Kapitel lJ-1 7, nun ausdrücklich , in Absetzung von Gegenständen und ihrer Provenienz, zum Instrumentellen : Dessen Vierer-Teilung will sich anscheinend der einfachen Enumeration nicht fügen ; das »ln-die-Hand-bekommen« macht ganz allgemeinen Eindruck , das »AtLSeinandernehmen« der vielerlei Wortbedeutungen entwickelt die Dynamik einer kleinen Sonderuntersuchung, die Ermittlung von Differenzen und Analogien bildet ein antithetisches Paar. Daß die drei Letzteren gegen das Erste eine Gruppe bilden, sagt er selbst : Sie können ihrerseits auf die Seite der Inhalte hinübergera­ ten , also zur Protasis werden . (Kapitel 1 3) Nach der Vorstellung führt er sie der Reihe nach aus . Kapi­ tel 14 - die Aw;wahl von Stoffen - greift ausdrücklich bei Ka­ pitel l O ein und insistiert, nunmehr zum dritten Mal, auf dem erreichten qualifizierten Stand der Lehrmeinungen ; man muß dabei synthetische Fähigkeiten entwickeln - das » Zusammen­ sehen« wird in >anscheinend« , denn Menschen können bei der Identifikation möglicher Handlungsmotive eben irren -, ftihrt er einen polemischen Seitenhieb gegen die Ideenlehre , [36] : Die Vorstellung von einer Idee von etwas » anscheinend Gutem oder Lustbringendem« wäre ein lächer­ licher Widerspruch in sich selbst, da doch in diesem Kreise jeder weiß , daß die Idee als das reine Sein der Verwirrung des Scheins gegenüberzutreten hatte mit der Aufgabe , ihn ord­ nend aufzuhellen. Es geht aber auch thematisch , mit direktem Bezug auf Platon, [46], auch diesmal in der Absicht, die reine Veränderungslosigkeit des Ideellen aus Quellen der Empirie ins Zwielicht zu bringen . Im Kampf der Homonymien und der Synonymien um Eindeutigkeit von Sache und Wortbedeutung des in Rede stehenden Objekts darf aus einem bloß kritischen Beurteiler auch einmal ein listiger »Hereinleger« werden, [47 ] ; wenn der Kontrahent es nicht merkt, ist auch ein billiger Erfolg ein Erfolg ; hat man selber Rede und Antwort zu ste-

LXI I

Hans Günter Zekl

hen , so soll man selbstverständlich differenzieren . Im Grund­ satz soll man zwar an der geläufigen Bedeutung von Nomina festhalten , nur darf man , je nachdem , vom kurrenten Sprach­ gebrauch auch abweichen , [48]. I n die weitere Reihe ein Anordnungsprinzip hineinzubrin­ gen ist nicht leicht . Zunächst ist ein Leitgedanke der, daß das Definiendum komplexer Natur sein kann, [49 ff. ] ; für den Fall gibt es spezielle Subtraktionskriterien, und die begriffsbestim­ mende Rede muß Satzform annehmen , also auch Verbalbe­ standteile enthalten ; bloße Nominalsupposition genügt dann nicht mehr, zumal wenn sie noch in elaborierter Weise ver­ suchte, einen einfach-klaren Ausdruck durch einen poetisch oder sonstwie hochgestochen verklausulierten zu ersetzen eine banalisierte Version des obscurum per obscurius, aus heu­ tigem Experten»chinesisch« wohl bekannt. Selbstverständlich kann diese Verfremdung wieder auf allen Ebenen des Defini­ tionsverfahrens auftreten und ist je dort zu durchleuchten. Dies führt noch einmal zur spezifischen Differenz zurück , [53 f.] und liefert die implizit ja längst vorhandene Einsicht : Eine nicht spezifische Differenz ist, in Anwendung auf dies Verfahren , gar keine. Was auf der Subjekts- und was auf der Prädikatsseite der definitorischen Relation steht , muß einer Gleichung möglichst nahekommen, im Idealfall eine werden, daher kein >>Zusatz« , keine Modalität , Relation , Kategorie , Formabwandlung etc. auf der Prädikatsseite mit dem » Was es ist« des Definiendum inkompatibel sein darf; Ziel der An­ strengung war doch möglichst präzise Identifikation. Ab Topos [6 1 ] stellt er den Fokus auf scheinbar so äußer­ liche Junkturen ein wie »solches >Schreib e « . Derjenige hat in dem kakophonen Lärm der veröffentlichten Meinungsmache die »Führerschaft « , dem es gelingt , die Topoi in die Schlagzeilen und auf die Bildschirme zu bringen , über die der Disput , am Ende ritualisiert und for­ malisiert , dann geht. Wo nach den Regeln und Mechanismen dessen zu fragen ist , dürfen Politologie, ja auch Psychoanalyse nicht fehlen. so Bei alledem gilt ja wohl immer noch : » Eine ausgearbeitete Geschichte der Topik liegt nicht vor ; sie ist ein dringendes Erfordernis heutiger Forschung. Es mag ziemlich einzigartig in der Wissenschaftsgeschichte dastehen , daß eine zureichende Besinnung auf eine einst so bedeutende Form

Dazu E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1 948, 89 ff. und M . L. Baeumer (Hg.), Toposforschung (WdF 395). Darmstadt 1 973. 4 9 Th . Vieweg, Topik und Jurisprudenz. Ein Beitrag zur rechtswissen­ schaftliehen Grundlagenforschung. München 5 1 974. Ch. Perelman, Logique juridique. Paris 1 976. Ders . , Juristische Logik als Argumentationslehre . Freiburg 1 979. K. Rehbock , Topik und Recht . Eine Standortanalyse unter besonderer Berücksichtigung der aristotelischen Topik. I n : Rechtswiss. Forsch. u. Entw. München 1988. 50 W. Hennis, Topik und Politik . In: Ders . , Politik und praktische Philo­ sophie. Neuwied 1 963, 89-1 1 5 . L. Bornscheuer, Topik. Zur Struktur der ge­ sellschaftlichen Einbildungskraft . Frankfurt/M. 1 976. 48

LXXX

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des Denkens fehlt. « 5 1 Ein dringendes Desiderat wäre auch ein fortlaufender , gründlicher Kommentar zur Topik, damit die Sache endlich wieder einmal dahin käme, woher sie doch ge­ kommen war und wo sie dem Wesen nach hingehört , zur Phi­

losophie .

51 0. Pöggeler, Dichtungstheorie und Toposforschung. I n : Jahrb. f.

Aesthetik u. allg. Kunstwiss. 5 ( 1 960) , 1 64 .

Einleitung

LXXXI

Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse Im V I I I . Buch seiner » Diner-Gelehrten« zitiert Athenaios aus einer Komödie einen vorlauten Sklaven namens Xanthias : Was schwatzt du ständig von Philosophie? Akademie , Lykeion , das Odeion Sophistisches Gewäsch , nichts Gutes dran ! 5 2 Der gesunde Menschenverstand war also - mindestens seit der Zeit des Sokrates - in Athen (und ist anderswo) der gleiche geblieben : auch diesen hatte man ja satirisch so verwechselt . Also doch nur der Abgrund von Geschwätz, den gelegentlich schon Platon fürchtete?53 Müssen es so viele Worte sein , an denen man auch noch scheinbar beliebig herumdrehen kann? Und wozu diese haarfeinen Unterscheidungen , das langwie­ rige , überschlaue Hin-und-her-Wenden von Wortbedeutun­ gen , dies komplizierte Herleiten purer Banalitäten , die extre­ men Behauptungen , die so ersichtlich mit dem , was vor Augen liegt , nichts zu tun haben und die ausführliche, subtile Widerlegung gar nicht verdienen, die man ihnen zuteil wer­ den läßt? Geht das alles nicht einfacher? Nun muß man sich zwar nicht auf j ede im Leben herumlie­ gende Herausforderung einlassen , aber wenn man sich dieser Anstrengung stellen will , so kann die Antwort nur lauten : Nein, es geht offenbar nicht . Auch der Logos hat seine Ver­ hältnisse , die in dem Falle nicht so sin d . Von Anfang an hat er seinen »Affen« sich gegenüber, vielleicht auch in sich selbst (denn man kann sie nicht immer recht voneinander unter52

Aus einer angeblichen Komödie des Alexis mit dem Titel Lehrer der Verschwendung, die Athenaios selber nicht mehr kennt. sg Prm . , 1 30 d.

LXXXI I

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scheiden) : den Paralogismus , die Antilogik, die Paradoxie, den Trug. Das ist kein Wunder : Das Vollkommene , zu Ende Gedachte , Entwickelte liegt nicht so auf der Straße, dort fin­ det man Abgebrauchtes, Verschmutztes , Falsches zuerst. Es ist also ein langer Weg der Selbstprüfung, Selbstkritik und Selbstreinigung, den die Philosophie hat gehen müssen , um auf dem Gebiete der Logik mit Aristoteles ihren ersten Gipfel zu erreichen. Das kann man belegen und , wenn man das Vorhaben des IX. Buchs der Topik, das traditionellerweise den Titel >>Sophi­ stische Widerlegungen « führt , zureichend charakterisieren will , sollte man das auch.

I Aufzuschlagen ist somit das früheste Kapitel der Geschichte der Logik, in dem die Trennung von Rhetorik, Sophistik und Eristik sich erst vollzieht , 54 denn die Logik mit ihrem strengen Anspruch ist ein nur emanzipiertes , zur Vernunft gekomme­ nes Kind aus diesem Geschlechte. Heraklit also findet den LOGos an beiden Extrempunkten auf, tief drinnen in der Seele (VS22 B45) und draußen, univer­ sell als Generalprinzip des Weltganzen (B72).55 Dieser LOGOS spricht aber in überscharfen bis paradoxen Antithesen, etwa : >> Krankheit macht Gesundheit angenehm und gut , Hunger Sattheit, Mühe Ruhe« ( B l l l ) , oder über die conditio humana : »Wenn sie geboren sind , haben sie den Willen zu leben und ihr Todeslos zu haben , oder vielmehr , auszuruhen · · · '' (B20) und so weiter ; also »das wider einander Strebende zusammenI m Rahmen einer Einleitung wie dieser kann das selbstverständlich nur ganz knapp geschehen ; die Darstellung erhebt weder im Ganzen noch bei ein zelnen Autoren Anspruch auf Vollständigkeit. Es werden nur solche Punkte angeleuchtet , die auf Top . , I X zu beziehen sind. 55 Die entscheidende Formulierung mag stoisch verfremdet sein , doch daß dies gemeint ist, zeigt B l , auch B50. 54

Einleitung

LXXX I I I

bringend , aus d e m sich Entzweienden d i e schönste Fügung« (BS), das Ganze in einer »widergespannten Vereinigung wie die des Bogens und der Leier« (B5 1 ). Man versteht , wie Hegel sagen konnte : »Es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen . «56 Diese »objektive« Dialektik geht hin zur Sprache bis zum Spiel mit dem Wort (B48 ; 1 1 4) ,57 und als Beispiel des Trugs , dem die Menschen in der Erkennt­ nis der sichtbaren Dinge unterliegen, setzt er ein listiges Sophisma, wie es die Gehrüder Euthydem und Dionysodor bei Platon gebraucht haben könnten : »Was wir gesehen und ge­ griffen haben , lassen wir dahinten, was wir weder gesehen noch gegriffen , tragen wir bei uns « , sprechen Knaben , die sich gelaust hatten , zum »weisen « Homer (B56). Am Anfang der Logik , will man ihn nun hier machen oder bei Parmenides, stellt sich ihr schon das Anagramm eines ent­ nervten Adepten : LOGICA CALIGO - Heraklit hatte mit Grund den Beinamen »der Dunkle« .58 Schon Aristoteles ringt mit tri­ vialen Form- und Sinnfragen seines Ausdrucks .59 Das ist also weder »gut zu lesen« noch »gut zu artikulieren « , wenn nicht klar wird , wie man beim Iogos dieses Autors die Satz- und Sinneinheiten abteilen soll ! In hochmütiger Verachtung gegenüber den vielerlei Mei­ nungen der blöden Sterblichen sind Heraklit und der »Vater der Logik« , Parmenides - sonst ja Antipoden - vereint . 60 Bei ihm läßt man gern die Geschichte der Logik beginnen , mit einem Satz, dessen Subjekt-Stelle unbesetzt ist , dessen prädi­ kative Aussage leer : Er sagt also nicht , wovon die Rede sein , 56

Hegel , WW, XVI I , S. 344 Glockner 57 Jm ersten Fall verändert er die Betonung : ß\oc; - ßi6c;, Bogen und Leben (und das Werk des Bogens ist der Tod), im zweiten ist es eine Wort­ abtrennung : �uvc;'n (dat. zu �uv6c;, gemeinsam) - �uv vc;'n, mit Verstand). Derlei behandelt noch Aristoteles in den Soph . EI. ss Z . B . VS 22 A1a u. ö. 59 Rhet . , 1 407 b 1 1 ff. ( VS 22 A4, auch zu B 1 ). 60 VS 22 B 1 ; 2 ; 1 7 u. a . , vgl. mit VS 28 B 1 , 30; 6,4 ff. =

Hans Günter Zekl

LXXXIV

und nicht , was darüber ausgesagt sein soll. Und doch ist es nicht der bare Unsinn (wenn man positivistische Arroganz je­ denfalls fernhält), der Satz IST 6 1 sagt sich selbst, und das ist ­ streng genommen - ungeheuer : Es ist die zur Sprache gekom­ mene Ewigkeit , der immerwährende Bestand, der Vorrang des Denkens vor den Sinnen , die Identität zwischen Denken und Sein .62 Es ist die extreme Kontraposition zu allem , was Leute so meinen , aber Nachdenkliche aller Zeiten haben sich der Faszination dieser Idee nicht entziehen können . Die Ausführung dieser Lehre des Parmenides ist hier nicht zu verfolgen - es war an ihr auch so sehr viel nicht auszufüh­ ren , wie der ungleichgewichtige Bau des parmenideischen Lehrgedichts ja zeigt -, aber sie war zu verteidigen gegen die Vielen, die darüber alsbald gespottet haben. Diese Aufgabe übernahm Zenon, und dies hat , in einer methodisch nun schon verschrobenen Situation , zur Ausbildung der berüchtig­ ten eleatischen Dialektik geführt .63 Die Situation ist bei Platon klar beschrieben :64 Es ist eine Antapodidosis , also Heimzah­ lung oder Vergeltung, für erlittene Unbill. Kann dabei, we­ nigstens der Intention nach , Wahrheit sichtbar werden? Nein ,

61

VS 28 B2,3 ; 6 , 1 f. ; 8 , 1 f. Er variiert es also, der Satz kann auch in den aci treten . Die Konjunktion önw doppelzüngig, unüberwindliche Stärke, die alle und alles packen kann « .67 Es sind von ihm in der Hauptsache sechs Aporien oder Para­ doxa im Umlauf,68 eins den physischen Raum betreffend : Wenn alles in ihm ist, worin ist er selbst? Also das Problem der sich selbst bestimmenden Bestimmung, oder die M enge von Elementen, die sich selbst wieder als Element enthält . Vier problematisieren die Bewegung, also Vorgänge im Raum, nach Möglichkeit , Vergleichbarkeit , Meßbarkeit , Infinitesi­ mierung. ( 1 ) Gesetzt , der Anfang einer Bewegung sei 0, ihr Ende 1 , so kommt die Reihe 0,5 + 0,25 + 0, 1 25 etc. nie bei 1 an . (2) Zwei verschieden schnelle Bewegungen, in gleiche Richtung laufend, bei einem Geschwindigkeitsverhältnis von

65

Speziell dort 275 a-277 c ; 283 a-d . 66 Phdr . , 26 1 d : Er bringt es fertig, daß seinen Zuhörern eines und das­ selbe als ähnlich und unähnlich , eines und vieles , unbewegt und bewegt zu­ gleich erscheint. 67 Bei Diogenes Laertios , IX, 25 ( VS 29 A l ) . 68 Quelle ist i n allen Fällen Aristoteles , Phys . , � . Z, H (das Material VS 29 A24-29). =

LXXXVI

Hans Günter Zekl

(z. B . ) 10 : 1 , der langsameren anfangs ein Vorsprung ge­ währt , so soll die schnellere die langsamere nicht überholen können , wenn gilt : Bei t 0 0 < 1 0 , bei t 1 10 < 1 0 , 1 , bei t 2 1 0 , 1 < 1 0 , 1 1 , bei t 1 0 , 1 1 < 1 0 , 1 1 1 usf. ( 3 ) Eine Bewegung, gemes­ 3 sen an zwei Parametern , einem (in Bezug auf den B etrachter) ruhenden und einem zu ihr gegenläufig gleichschnell beweg­ ten , hat zwei Geschwindigkeiten , sie ist also halb (und dop­ pelt) so schnell wie sie selbst . (4) Ein bewegter Gegenstand nimmt zu einem bestimmten Zeitpunkt tmin . einen bestimmten Raumteil ein , er ist da, zu einem anderen , tmin + x• ist er woan­ ders . Wie kommt er dann von A nach B? - Manches an diesen Kunstgriffen erscheint läppisch , den Eindruck hat gelegent­ lich schon Aristoteles . Aber die von ihm selbst einschlägig verwandte Proportionsmathematik ist viel zu einfach, um Be­ wegungsvorgänge nach Beschleunigung und Abbremsung hin­ reichend beschreiben zu können , das kann erst die Infinitesi­ malrechnung . - Das sechste Paradox ist tatsächlich ein Fund, die Vorform des späteren Sorites (von wievielen Körn ern ab ist es ein >> Haufen « ?), beschreibt also den nachmals so oft be­ mühten >> Übergang von der Quantität in die Qualität« . Dabei suchte Zenon nur das Anstößige im empirischen Vielerlei, aber darin war er äußerst findig, und die Ironie der Ereignisse hat es gefUgt , daß seine Aporien selbst zum Anstoß wurden , nämlich zu genaueren , tieferdringenden Fragen . Allerdings nicht so bald : die an seine Methoden sich an­ schlossen , wurden zu Erfindern der primitivsten Trug­ schlüsse. Der Anfang sieht zunächst nicht so aus , als müßte das intellektuelle Klima entstehen , das Platon im Euthydem karikiert und Aristoteles in den Sophistikoi Elenchoi analy­ siert . Sophisma ist der kanonisch gewordene Name flir Trug­ schluß (nicht etwa Erisma) ; es geht also um Sophistik. Die negativen Konnotationen dieses »aufklärerischen « Ereignisses wurden durch die Kritik Platons geprägt ; das wird den Arche­ geten dieser Zunft nicht ganz gerecht. Protagaras und Gorgias hatten edlere Ziele , etwa die Heranbildung des tüchtigen

Einleitung

LXXXVI I

Polisbürgers ,69 des vir bonus dicendi peritus, wie Cicero dann sagen wird . Ist Eristik eine Mentalität oder ein Temperament , so war Sophistik anfangs ein Beruf, und wenn man darin gut war , konnte man auskömmlich davon leben.7o Dies muß man nicht gegen seine Vertreter wenden (Piaton tat es), wohl aber , daß sie in der Wahl ihrer , gelegentlich auch marktschreieri­ schen , Mittel, wenn es sein mußte , bedenkenlos waren. Prota­ goras z. B . trat in Athen auf mit einer Annonce , bei ihm sei zu lernen, wie man » den schwächeren Iogos zum stärkeren macht« ,7 1 denn »zu jedem Gegenstand gebe es zwei Reden , die einander entgegenstehen« ;72 ohnehin sei »der Mensch das Maß aller Dinge « ,73 und alles sei eben genau nur das , als was es ihm erschein e ; zur Demonstration seiner rhetorischen Fähigkeiten erhob er den Anspruch , über jedes beliebige Thema aus dem Stegreif profund vortragen zu können. Das mag man nun alles harmlos, ja » emanzipiert« nehmen und die forensisch praktikable M ethode des in utramque partem dicere daraus machen74 - auch die Maxime logica ancilla rhetoricae 69

Die Darstellung beider in Platons gleichnamigen Dialogen bestätigt das ja im Grunde. 70 Protagoras forderte als erster ein Honorar von I 00 Minen (Diogenes Laertios , IX, 52 = VS 80 A l ) . Die anderen Philosophen seither und auch noch über Platon herunter waren durchweg zu vornehm, sich nach dieser materiellen Seite ihrer Existenz fragen zu Jassen . 71 Bei Aristoteles , Rhe t . , 1 402 a 23 ff. (= VS 80 A 2 1 ) . 72 Bei Diogenes Laertios , I X , 5 1 (A l ) , auch A 2 0 , B6a. Ä hnlich Euripides , Antiope, Frg. 1 89 2N. Nur nebenbei sei erwähnt, daß die dtoool J.. 6 yo1 (VS 90), diese 6 oder 9 Vortragsstücke, die in antilogischer Weise Thesen und Gegenthesen einander gegenüberstellen und j e beides dann entwickeln , ge­ nau dies Programm verwirklichen . Sie stammen nach allgemeiner Ü berein­ stimmung aus protagoreischem Milieu und gehören ins 5. Jh. Dazu ist im­ mer noch lesenswert die ausführliche Darstellung bei H. Gomperz, Sophi­ stik und Rhetorik ( 1 9 1 2 , ND 1 965), S. 1 38 ff. 7! VS 80 B I . Die Schrift, an deren Anfang er diese Parole setzte, führte den bezeichnenden Titel oi Km:aßaUonESatz des Antisthenes