Gegen die Pseudodialektiker: Zweisprachige Ausgabe 9783787335299, 9783787335282

Vives’ Schrift »Gegen die Pseudodialektiker«, die von Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam hoch gelobt wurde und stark

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Gegen die Pseudodialektiker: Zweisprachige Ausgabe
 9783787335299, 9783787335282

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JUAN LUIS VIVES

Gegen die Pseudodialektiker

Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von

Nikolaus Egel

Lateinisch –  Deutsch

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 714

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN:   9 78- 3-7873-3528-2 ISBN eBook:  9 78- 3-7873-3529-9

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I N H A LT

Einleitung. Von Nikolaus Egel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

VII

Vives’ Schrift: eine humanistische Kritik an der ­Scholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

2. Wilhelm von Ockham und der linguistic turn des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIV

3. Die scholastische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1  Zum Begriff der Scholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2  Petrus Hispanus und die Summulae logicales . . . 3. 3  Die terministische logica modernorum . . . . . . . . .

XIX XIX XXIII XXV

4. Schlussbemerkung: Vives und die Skepsis . . . . .

XXIX

5. Vives: Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXV

6. Lateinischer Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . XXXVIII

J UA N LU IS V IVE S

Gegen die Pseudodialektiker Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

EINLEITUNG

1. Vives’ Schrift: eine humanistische Kritik an der Scholastik Am 26. Mai 1520 schrieb Thomas Morus einen Brief aus Canterbury an Erasmus von Rotterdam, in dem er lobende Worte für die Jugendschriften des aus Valencia stammenden Juan Luis ­Vives (1492–1540) fand. Hier schien – folgen wir Thomas Morus – wahrlich ein neuer Stern am humanistischen Gelehrtenhimmel der Renaissance aufgegangen zu sein, den man auch in Zukunft im Blick behalten musste: »Während der Junge in diesen ersten Tagen bei mir war, zeigte er mir einige Werke von Juan Luis Vives, wobei ich noch nie etwas Eleganteres oder Gelehrteres gesehen habe. Wie oft findest Du jemanden, der in einem so jungen Alter […] den Kreis der Bildungsfächer so vollständig gemeistert hat? In der Tat beschämt es mich, mein lieber Erasmus, dass meine Kollegen und ich uns für das eine oder andere kleine läppische Büchlein loben, wenn ich Vives sehe, der – obwohl noch so jung – so viele Bücher hervorbringt, die auf solch tiefgehender Betrachtung, solch flüssiger Sprache und solch kenntnisreicher Lektüre beruhen.«1

Bereits im Alter von 28 Jahren hatte sich Vives mit Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam die Anerkennung und Bewunderung zweier der einflussreichsten und bedeutendsten Humanisten ihrer Zeit gesichert, die gerade seine antischolastische Frühschrift In pseudodialecticos mit Enthusiasmus aufge1  Brief von Thomas Morus an Erasmus von Rotterdam, in: Opus Epis-

tolarum Des. Erasmi Roterodami, hg. v. Percy S. Allen u. Helen M. Allen, 12 Bde., Oxford 1906–1947, Bd. 4, Brief Nr. 1106 (26. Mai 1520) [Übers. N. E.].

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Nikolaus Egel

nommen hatten. Der Weg für Vives schien damit vorgezeichnet: Ihn schien ein ruhmvolles und auskömmliches Leben als humanistischer Gelehrter zu erwarten. Das sollte sich nicht erfüllen, haben wir doch in Vives eine tragische und zu wenig bekannte Persönlichkeit vor uns.2 Vives wurde in einer Zeit geboren, in der sich die Auseinandersetzungen zwischen den Humanisten und den scholastischen Dialektikern auf ihrem Höhepunkt befanden, was sich auch in Vives’ Leben deutlich widerspiegelt: Er wurde im konservativen und vom Geist der Reconquista geprägten Spanien als Sohn von jüdischen conversos geboren. Sein Vater wurde später von der spanischen Inquisition verurteilt und verbrannt.3 Vives wurde im Alter von 14 Jahren am Estudio General in Valencia im­matri­ kuliert, wo er Latein bei Daniel Sisò und Jerónimo Amiguet studierte. Gerade Jerónimo Amiguet kann den späteren Erziehungs- und Bildungsidealen von Vives nicht entsprochen haben, wird er doch in Vives’ Biographie von Gregorio Mayáns y Siscar, die der ersten, noch heute maßgeblichen Gesamtausgabe der Werke Vives’ vorangestellt ist4, als »homo insigniter barbarus« beschrieben, wofür ihm eine Anekdote aus Vives’ frühen Schuljahren diente, die erstmals in Gaspar Escolanos Décadas de la Historia de Valencia aus dem Jahr 1611 berichtet wird: ­Einige Gelehrte schienen die neuen pädagogischen Ideen Antonio de

2  Was nicht für die hundert Jahre nach seinem Tod ab 1540 gilt. Neben

den Werken von Erasmus und Ramus hat man in Nordeuropa keinen anderen Renaissancehumanisten mehr gelesen als Juan Luis Vives, was an der immensen Anzahl von Editionen und Übersetzungen seiner Schriften im 16. und 17. Jahrhundert deutlich wird. – Vgl. Carlos G. Noreña, Juan Luis ­Vives, Den Haag 1970, S. 1 f. 3  Vgl. Procesos Inquisitoriales contra la Familia Judia de Juan Luis Vives, hg. v. Pinta y Llorente u. José de Palacio, Madrid  /  Barcelona 1964. 4  Vgl. Vivis Vita, in: J.  L. Vivis Valentini Opera Omnia, hg. v. Gregorio Mayáns y Siscar, Valencia 1782–1790, Bd. 1, S. 20.

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­Nebrijas5 in den Schulalltag einführen zu wollen, eine Innovation, gegen die Amiguet sich entschieden zur Wehr setzte, indem er seine fähigsten Schüler – darunter auch Vives – dazu anhielt, eine Rede gegen diese Neuerungen zu verfassen.6 ­Vives hat, wie er sich in seinem Hauptwerk De causis corruptarum artium7 erinnert, diese Rede später sehr bereut und Nebrijas Schriften in seinen eigenen Werken zur Erziehung stets gelobt. Im Jahr 1509 ging Vives zum weiterführenden Studium der Freien Künste und der Theologie an die Universität nach Paris, die seit dem 13. Jahrhundert den Ruf einer der wichtigsten Universitäten Europas hatte, wo er am Collège de Montaigu, das für seine klösterliche Strenge und scholastische Orientierung berühmt war8, unter den bekannten scholastischen Dialektikern John Dullaert und Gaspar Lax de Sariñena9 Logik studierte. Das Studium muss ihn jedoch so abgestoßen haben, dass er sich kurz darauf – spätestens seit seinem Umzug über Brügge nach Louvain im Jahr 151410 – den Humanisten anschloss und eben jene scholastisch-logizistische Ausbildung vehement kritisierte, die er seit seinem 14. Lebensjahr erhalten hatte.

5 Siehe zu Antonio de Nebrija: Carlos G. Noreña, Juan Luis Vives,

a. a. O., S. 23 ff. 6  Vgl. Vivis Vita, in: J.  L. Vivis Valentini Opera Omnia, a. a. O., S. 16–18. 7  Vgl. Vives, J.  L. Vivis Valentini Opera Omnia, a. a. O., Bd. VI, S. 325– 326. 8  Vgl. George Faludy, Erasmus of Rotterdam, London 1970, S. 49–72. 9  Siehe zu den Logikkursen von Jan Dullaert und Gaspar Lax de Sariñena die Beschreibung in: Rita Guerlac, Introduction, in: Juan Luis ­Vives, Against the Pseudodialecticians. A Humanist Attack on Medieval Logic, hg. u. übers. v. Rita Guerlac, Dordrecht  /  Boston  /  London 1979, S. 20  ff. 10  Dass Vives bereits 1514 (und nicht, wie bisher angenommen, 1517) nach Louvain ging, hat die neuere Forschung gezeigt. – Vgl. Thomas Leinkauf, Philosophie des Humanismus und der Renaissance, 2 Bde., Hamburg 2017, Bd. 1, S. 379 ff.; vgl. ausführlich zum Leben von Vives bis 1520: Enrique Gonzaléz Gonzaléz, Juan Luis Vives. Works and Days, in: A Companion to Juan Luis Vives, hg. v. Charles Fantazzi, Leiden  /  Boston 2008, S. 15–64.

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Seine Schrift Gegen die Pseudodialektiker, die von Thomas Morus und Erasmus von Rotterderam hoch gelobt wurde und die starke Einflüsse von Thomas Morus und Lorenzo Valla zeigt11, wurde von vielen seiner Zeitgenossen lebhaft rezipiert. Sie ist ein satirischer Angriff auf die vergangenen 500 Jahre Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte12, ein Angriff, in dem sämtliche Argumente der Humanisten gegen die Scholastik und deren Auffassung von Sprache noch einmal ins Feld geführt werden, die Vives zufolge doch nur »eine zwar große, aber unnütze Menge an Unkraut«13 hervorgebracht hätte. Worum es ging, war also die Rolle der Sprache und die Rangstellung, die die »artes de sermone« in der Ausbildung an der Universität einnehmen sollten: »Denn sie [die Scholastiker] träumen und erfinden für sich selbst Unsinnigkeiten und eine Art neuer Sprache, die nur sie allein verstehen.«14 Die scholastische Philosophie hatte für die Humanisten die Fähigkeit verloren, die Realität des Menschen zu erkennen und zu erklären. Für die Humanisten motivierend war ihre Abneigung gegenüber dem, was wir als scholastische Methode kennen, die hochintellektuell bis hin zu den calculatores15 der Mer­ 11  Vgl. Peter Mack, Vives’s Contributions to Rhetoric and Dialectic, in:

A Companion to Juan Luis Vives, a. a. O., S. 227–276, S. 228. – Vives’ mitunter kritischen Blick auf Lorenzo Vallas Sprachtheorie betont hingegen: Thomas Leinkauf, Philosophie des Humanismus und der Renaissance, a. a. O., Bd. 1, S. 385. 12 Siehe zur Universitätsgeschichte des Mittelalters: Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa, 2 Bde., Bd. 1: Mittelalter, München 1993; exemplarisch zu Oxford: J. I. Catto (Hrsg.), The History of the University of Oxford, 2 Bde., Bd. 1: The Early Oxford Schools, Oxford 1984; Sammlung der Statuten und sonstiger Dokumente für die Universität Paris: Emile Chatelain u. Heinrich Denifle (Hrsg.): Chartularium Universitatis Parisiensis, 4 Bde., Paris 1889–1897. 13  Vgl. unten, S. 3. 14  Ebd., S. 3. 15  Vgl. Edith Sylla, The Oxford Calculators, in: The Cambridge History of Later Medieval Philosophy: From the Rediscovery of Aristotle to the

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ton-­Schule in Oxford um Thomas Bradwardine und Richard Swines­head Fragen generierte und Antworten daraus imaginierte, die aber für die Humanisten keinen Realbezug mehr zu haben schienen. Die Philosophie an der Universität war für die Humanisten – dem Begründer dieser Bewegung, Francesco ­Petrarca, folgend – spätestens seit dem 14. Jahrhundert von einer Realwissenschaft zu einer reinen Begriffswissenschaft geworden, die, wie Petrarca sagt, nicht auf den Dingen, sondern nur noch auf Worten beruhe und sich ausschließlich im Bereich der Sprache bewege und daher, polemisch, als sinnlose Geschwätzigkeit kritisiert werden müsse: »Du wunderst Dich, weshalb ich mit dieser Anhäufung doch wahrhaft bekannter Gefahren Dich erschrecken wolle? Nun, ich möchte, all dieses Furchtbare wäre von meinem Herzen und dem meiner Freunde unendlich weit entfernt, und um das zu erreichen, unternehme ich alles Menschenmögliche und verehre dabei nichts so sehr wie die Philosophie. Aber nicht etwa jene geschwätzige und aufgeplusterte scholastische, mit der unsere Sprachlehrer in ihrem Dünkel aufs lächerlichste großtun, nein vielmehr die wahre, die nicht allein in Büchern, sondern auch in unseren Seelen wohnt, übrigens auch in den Dingen selber und nicht in blossen Worten liegt und die – wie ich meine – einen besonders schönen Teil ihres Vermächtnisses den Gesprächen von Tus­ culum übermittelt hat; es ist das, was ›die Seelen gesund macht, sie der eitlen Besorgnis enthebt, der Leidenschaften entledigt und von Ängsten erlöst‹.«16

Im Nachruf auf Francesco Petrarca durch den Florentiner Kanzler Coluccio Salutati wird dieser Anspruch akzeptiert und bis hin zu Vives, Erasmus, Thomas Morus und den weiteDisintegration of Scholasticism 1100–1600, hg. v. Norman Kretzmann u. a., Cambridge (NY) 1982, S. 540–563. 16  Francesco Petrarca, Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten, 2 Bde., hg. v. Berthe Widmer, Berlin  /  New York 2005, Bd. 1, XII, 3, 9–10, S. 629.

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ren Vertretern der Humanistengeneration des 16. Jahrhunderts durch die Zeit hindurch propagiert: »Aber in der Philosophie, mein Gott, welche Höhe hatte er [Petrarca] dort erreicht! […] Ich meine nicht die Philosophie, die die modernen Sophisten in den Schulen in großer Eitelkeit bewundern, aufgeblasen und in sinnloser Geschwätzigkeit, sondern vielmehr die Philosophie, die den Geist erbaut, die Tugend wachsen läßt, den Unrat des Lasters hinwegspült und die Wahrheit der Dinge erleuchtet, ohne sie in endlosen Disputen zu erschöpfen. Mögen jene sich an der früheren Philosophie ergötzen, wir verehren die neue Philosophie und geben uns ihr mit der ganzen Kraft unseres Geistes hin.«17

Im Selbstbild der Humanisten wurde es Zeit für eine neue, dem Leben dienende Philosophie – auch wenn dieses imaginierte Neue, wie so oft in der Geschichte, im Humanismus eine Rückkehr zu einem glorifizierten und imaginierten vorchristlichen Ideal der Antike war. Es ließe sich demnach mit Hegel18 17  Coluccio Salutati: Epistula III, 15, in: ders., Epistolario, hg. v. Francesco Novati, 4 Bde., Rom 1891–1905, Bd. 1, S. 178 f.; deutsche Übersetzung aus dem (auch ansonsten sehr informativen und empfehlenswerten) Vortrag: Eckhard Keßler, Die Kultur der Renaissance und die Philosophie des Humanismus, online abrufbar unter: http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/ EinfRenWise97.htm (Stand: 10. 02. 2018). 18  Für Hegel war die Renaissance eine Epoche, die man in der Philosophiegeschichte getrost übergehen könne, weil sie philosophisch nichts Eigen­ ständiges hervorgebracht habe: »Die Wiedererweckung der Wissenschaften und Künste, besonders des Studiums der alten Literatur in Beziehung auf Philosophie, war aber zuerst einesteils eine Wiedererweckung bloß der alten Philosophie in ihrer früheren ursprünglichen Gestalt; Neues ist noch nicht aufgekommen […]. So wurde teils die alte platonische Philosophie, teils die neuplatonische wieder in ihrer ersten Gestalt hervorgesucht, die aristotelische, epikureische, auch die ciceronianische Populärphilosophie, und mit dem Widerspruch gegen die Scholastik zunächst geltend gemacht, – Bemühungen, die jedoch mehr durch die Beförderung der Bildung als durch die Originalität der philosophischen Produktion merkwürdig sind […]. Wir lernen an diesen Bestrebungen nichts Neues kennen. Dies hängt mit der Li-

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die Frage stellen, wie viel Neues die Renaissance und vor allem der Humanismus als philosophische und literarische Bewegung eigentlich hervorgebracht haben. Jakob Burckhardt glaubte in seinem grundlegenden Buch Die Kultur der Renaissance in Italien19 diese Frage (für das Bild der Renaissance der folgenden Generationen bis zu uns prägend) mit der Entdeckung des Individuums und des Politischen als eigenen Sektors beantwortet zu haben. Wir sind mittlerweile unsicher.20 Festzuhalten bleibt jedoch: Der Humanismus war eine Gegen­bewegung zur Scholastik des Mittelalters, die aus dem Gefühl heraus entstanden war, dass die mittelalterliche Philosophie die Krisenerscheinungen des 14. und 15. Jahrhunderts nicht mehr bewältigen konnte. Es wurden neue Strategien der Krisenbewältigung und der Reaktion auf die sich verändernden politischen und ökonomischen Verhältnisse gesucht. Diese Strategien bestanden in einer Rückbesinnung auf die Zeit lange vor den Vordenkern des Mittelalters, einer Orientierung an der (insbesondere) römischen Antike und ihrer Größe. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Niccolò Macchiavelli21, der in einem Brief an Francesco Vettori schildert, wie er abends die Mühen des Alltags hinter sich lässt und feine Kleidung anziehend sich in die Lektüre der römischen Klassiker vertieft; oder an Francesco Petrarca22, der bekanntlich sowohl Briefe an Cicero teratur- und Bildungsgeschichte zusammen«. (In: G. W.  F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hg. von Eva Moldenhauer u. Karl M. Michel, Frankfurt 1971, Bd. 20, S. 12 f.) 19  Vgl. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, hg. v. Horst Günther, Frankfurt / Main u. Leipzig 1997. 20  Vgl. dazu z. B.: Bernd Roeck, Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance, München 2017, besonders S. 317 ff. und S. 569 f. 21  Vgl. Niccolò Macchiavelli, Opere II: Lettere, legazione e commissarie, hg. v. Corrado Vivanti, Turin 1999, S. 294–297, 1513 XII, 10, S. 295 f. 22 Vgl. Francesco Petrarca, Epistolae familiares XXIV. Vertrauliche Briefe, lat.-dt., übers., komm. u. hg. v. Florian Neumann, Mainz 1999, S. 52– 57, Nr. 3 (an Cicero), S. 195–201, Nr. 13 (Sokrates). – Zu diesem Habitus der Humanisten gegenüber der Antike siehe vertiefend: Harald Müller, »Speci-

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wie an Sokrates geschrieben hat, um eine Gemeinschaft mit den von ihm so verehrten Klassikern zu konstruieren. 2. Wilhelm von Ockham und der linguistic turn des Mittelalters Diese Gegenbewegung entstand aber auch aus Problemstellungen, die sich aus der scholastischen Philosophie selbst entwickelt hatten. Ich möchte dies anhand von Wilhelm von Ockham, einem Philosophen aus dem 13. Jahrhundert, der als B ­ egründer des Nominalismus bzw. Konzeptualismus bekannt ist, verdeutlichen: Zwei Ansichten Ockhams sind hier für uns von Interesse: seine nominalistische Einschätzung der (Welt-) ­Erkenntnis und seine Vorstellung von der Kontingenz der göttlichen Schöpfung. Ockham zufolge gibt es Allgemeinbegriffe und Einzeldinge, aller­dings lassen sich nur über die Einzeldinge Aus­sagen treffen, die einen Wahrheitswert haben können: »So ist beispielsweise in folgendem Satz ›die Art wird von vielen der Zahl nach verschiedenen ausgesagt‹ eine Intention Subjekt, und sie supponiert nur für Intentionen und nicht für extramentale Dinge, denn kein extramentales Ding wird von mehreren ausgesagt, sondern nur konventionelle Laute oder Schriftzeichen.«23

Über die Welt und die Wirklichkeit lassen sich demnach nur Einzelurteile fällen, da sich Allgemeinbegriffe nur vermittelt durch singuläre Termini, die individuelle Dinge bezeichnen, auf men eruditionis«. Zum Habitus der Renaissance-Humanisten und seiner sozialen Bedeutung, in: Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter, hg. v. Frank Rexroth, Ostfildern 2010, S. 117–152. 23  Wilhelm von Ockham, Prologus in expositionem super VIII libros Physicorum, in: Wilhelm von Ockham, Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft, lat.-dt., Stuttgart 1984, S. 209.

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die Realität beziehen.24 So kommt er zu der sehr radikalen Aussage: »Alle Autoritäten, die sagen, dieses oder jenes Wissen handle von diesen oder jenen Dingen, müssen folgendermaßen ausgelegt werden: Sie handeln von Termini, die für jene Dinge supponieren. Wenn gesagt wird, ein bestimmtes Wissen handle von werdenden und vergänglichen Dingen, so bedeutet dies, es handle von Termini, die in gewußten Aussagen für derartige werdende oder vergängliche Dinge sup­ ponieren.«25

Was Ockham hier schreibt, kann als linguistic turn des Mittel­ alters bezeichnet werden, der für Erschütterung sorgte. Da man nur über Termini (also Begriffe) Aussagen machen kann, schneidet der Ockham’sche Nominalismus die Frage nach dem Wesen der Dinge ab, weil sie aus dieser Betrachtung heraus sinnlos geworden ist. Dieses Sprachverständnis gründet in der Überzeugung Ockhams, nach der die Welt nicht notwendig, sondern kontingent ist. Das ist eine Annahme, die er aus der scholastischen Diskussion um die Vereinbarkeit von Notwendigkeit und Willensfreiheit gewonnen hatte. Die Probleme, die hinter dieser Diskussion stehen, lassen sich – stark vereinfacht – wie folgt formulieren: Wenn Gott von Anfang an weiß, wie zukünftige Ereignisse stattfinden werden, wo bleibt dann die Freiheit des Einzelnen, sich für oder gegen eine Handlung zu entscheiden? Und wie lässt sich die Vorsehung Gottes mit seiner Allmacht in Einklang bringen? Wenn Gott allmächtig ist, muss er zwangsläufig über einen freien Willen verfügen – wie kann er sich dann aber auf etwas festlegen, das in der Zukunft eintreten 24  Diese Darstellung des Ockham’schen Nominalismus ist sehr grob, zu

einer eingehenderen Darstellung siehe: Marilyn McCord Adams, Ockham’s Individualisms, in: Die Gegenwart Ockhams, hg. v. Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger, Weinheim 1990, S. 3–24. 25  Wilhelm von Ockham, Prologus in expositionem super VIII libros Physicorum, a. a. O., S. 209.

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muss? Ockhams Antwort auf diese Frage ist, dass Gott, wenn er eine Welt schaffen wollte, aus beliebig vielen Welten eine Welt geschaffen hat, ohne dass dafür ein Grund angegeben werden kann.26 Was in dieser Welt gilt, gilt nur für diese Welt, die auch anders sein könnte. Es gibt keine logische Notwendigkeit für die spezifische Existenz dieser Welt. Was heute jeder Student der Logik für selbstverständlich hält, war für Ockham und dessen Zeitgenossen ein wirkliches Problem. Hier kommt ein tiefgreifender Wandel des spätmittelalter­ lichen Weltverständnisses zum Ausdruck, nämlich das Problem der Individualität und der Universalisierbarkeit unserer Aussagen, das dann auch die Humanisten stark bewegen sollte: dass nur das Einzelne, das Individuum, wirklich erkennbar und für die menschliche Apperzeption zugänglich ist und dass dieses Einzelne in seiner Entstehung von völlig zufälligen Faktoren abhängig ist. Max Horkheimer hat die Konsequenzen des Nominalismus für den Humanismus und die Moderne sehr präzise ausgedrückt: »Die Struktur des Universums, welche die Menschen zu erkennen strebten, war seine wahre Struktur […]. Im Nominalismus wurde diese Auffassung erschüttert. Die aristotelische Lehre, nach der die Dinge ihr Wesen in sich haben, und wir sie nach dem erkennen, was sie wirklich sind, verlor ihre Autorität. […] Nicht durch die Harmonie von Materie und Form ist die Wirklichkeit gekennzeichnet, sondern durch den Gegensatz zwischen Materie und Form, zwischen der widrigen, zu bewältigenden Außenwelt und dem mit seinen eigenen Zwecken und Ideen gegen sich kämpfenden Individuum. Die Skepsis ist die Quintessenz des Nominalismus. […] denn die Subjektivierung

26  Vgl. Franz Schupp, Ockham und die Wissenschaft des 14. Jahrhun-

derts, in: Geschichte der Philosophie im Überblick, 3 Bde., hg. v. Franz Schupp, Hamburg 2003, Bd. 2: Christliche Antike und Mittelalter, S. 442 ff.

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der Erkenntnis, in der die widersprechendsten Systeme zusammenstimmen, ist eine skeptische Funktion.«27

Der Nominalismus hatte in den nächsten Jahrhunderten einen starken Einfluss – auch auf das Denken der Renaissance –, der nicht unterschätzt werden darf. Der Mensch kann sich in seiner Verunsicherung gegenüber der Welt nicht mehr auf eine metaphysische Idee berufen, weil der Nominalismus schon die Frage nach metaphysischen und d. h. abstrakten Prinzipien für sinnlos erklärt. Auch die Sprache, die für Aristoteles noch das Privileg des Menschen und der Ausdruck seiner Vernunftnatur war (der Mensch als zoon logon echon), verliert den Status eines Mittels der richtigen allgemeinen Erkenntniswiedergabe (eine für die Scholastik ganz zentrale Annahme) und kann die Vielheit der Weltaspekte nicht adäquat unter ein einheitliches Begriffsgefüge subsumieren. Für die Humanisten kamen die Erklärungsversuche des Aristotelismus, die für die metaphysischen Konzeptionen und terminologischen Spekulationen des mittelalterlichen Weltbildes grundlegend waren, nicht mehr in Betracht. Wie aber sollte die Therapie, die philosophische Alternative hierzu aussehen? Auch hierauf hatte schon Petrarca die Antwort formuliert, die für die nächsten Generationen der Humanisten maßgeblich sein sollte: in der aktiven Auseinandersetzung mit der Realität, ohne sich auf die scholastischen Begriffsdistinktionen, Quästionen usw. einzulassen: »Um zunächst aus vielem die Summe zu ziehen: habt ihr denn so wenig Grund zur Freude? Da ist jenes Bild und Gleichnis Gottes des Schöpfers (Dei Creatoris) im Innern der menschlichen Seele; da sind der Geist (ingenium), die Erinnerung, die Voraussicht, die Rede, so viele Erfindungen, so viele Künste, die diesem Geist und diesem Körper dienen, mit deren Hilfe alle eure Notwendigkeiten durch göttli-

27  Max Horkheimer, Montaigne und die Funktion der Skepsis, in: Über

Montaigne, Zürich 1992, S. 377.

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che Gnade umfaßt werden, auch so viele Arten von Dingen, die nicht nur euren Nöten, sondern auch euren Freuden auf wunderbare und unaussprechliche Weise dienen.«28

Zum Zweck der vita activa entwickelten die Humanisten gegenüber dem universitären Lehrprogramm der septem artes liberales29 ein eigenes System der Wissenschaften, das System der studia humanitatis oder der fünf Fächer, die der Humanist als Lehrer unterrichtete: Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und Moralphilosophie. Es sind diese fünf Fächer, in denen der Humanist sein auf das Handeln gerichtetes philosophisches Konzept operationalisiert. Dieses bewusste Bemühen um Abgrenzung hatte jedoch für die Philosophie des Mittelalters fatale Folgen, da es die bemerkenswerten Bemühungen der mittelalterlichen Philosophen um Begriffsklärung für viele Jahrhunderte diskreditierte. Dem­ entsprechend sind es zweifellos – dies sei vorweg gesagt – aus unserer Sicht ungerechte Angriffe von Vives, der, ebenso wie die übrigen Humanisten seiner Zeit, die Bemühungen seiner Vorgänger verachtete, da deren mangelnde klassische Latinität und ihr mangelnder philosophischer Lebensbezug seinen Ansprüchen nicht genügte. Die Argumente, die wir in der hier vorliegenden Schrift finden, spiegeln genau diesen neuen Geist des 28  Francesco Petrarca, Heilmittel gegen Glück und Unglück. De reme-

diis utriusque fortunae, lat.-dt., übers. v. Rudolf Schottlaender, hg. v. Eckhard Keßler, München 1988, II, 93, S. 191. 29  Die »Sieben Freien Künste« bildeten im Mittelalter quasi das Grundstudium an der Universität, bevor sich die Studenten den Fakultäten der Theologie, Rechtswissenschaft oder der Medizin zuwandten. Die septem artes liberales waren eingeteilt in den sog. »Dreiweg« (Trivium), bestehend aus: Grammatik, Rhetorik und Dialektik und dem »Vierweg« (Quadrivium), bestehend aus: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. – Siehe hierzu vertiefend: Ursula Schaefer (Hrsg.), Artes im Mittelalter, Berlin 1999; Uta Lindgren, Die Artes liberales in Antike und Mittelalter, München 1992; James A. Weisheipl, The Curriculum of the Faculty of Arts at Oxford in the Early Fourteenth Century, in: Medieval Studies 26, 1964, S. 143–185.

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Humanismus, weshalb die Schrift In pseudodialecticos Aufmerksamkeit als Zeitzeugnis einer für die Renaissance typischen Kontroverse verdient, die schon Petrarca im 14. Jahrhundert eingeleitet hatte.30 Um Vives’ Schrift in diesem Kontext besser zu verstehen, wollen wir daher im Folgenden anhand des von Vives in seiner Schrift so vehement kritisierten Petrus Hispanus einen kursorischen Einblick in die scholastische Philosophie und ihren Schwerpunkt auf die Dialektik geben, gegen die Vives und die übrigen Humanisten seit Petrarca so stark polemisiert hatten.

3. Die scholastische Philosophie 3. 1  Zum Begriff der Scholastik

Wir haben in dieser Einleitung bereits mehrfach von der »Scholastik« gesprochen, gegen die Juan Luis Vives und die Humanisten sich gewendet haben. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von »Scholastik« oder von »scholastischen Philosophen« sprechen? Versuchen wir, den Begriff zu umreißen und damit eine intellektuelle Epoche zu charakterisieren, die uns zuerst fremd erscheinen mag: »Scholastik wird vielfach im Sinne eines Titels für die Theologie und Philosophie des Mittelalters verwendet, doch handelt es sich streng genommen nicht um einen Begriff einer Denkepoche, sondern primär einer Denkform. Eine ›scholastische‹ Weise zu denken findet sich nicht bloß im Mittelalter, sondern in durchaus vergleichbarer Weise auch in der Spätantike (Proklos) oder in der Barockzeit (›Barockscholastik‹). Zudem ist Scholastik keine Methode bloß der Theologie des Mittelalters, sondern – jedenfalls im Mittelalter – jeglicher Wis-

30  Zu den Problemen dieser Auseinandersetzung vgl.: Jacques LeGoff, Die Intellektuellen im Mittelalter, Stuttgart 31991, S. 163 ff.

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senschaft. Scholastik im engeren Sinn ist die mittelalterliche Form von Wissenschaft überhaupt. Die sprachliche Verbindung mit dem griechischen Wort σχολαστικός besagt die Schulmäßigkeit des Umgangs mit Problemen; diese ist primär von einem theoretischen Inter­ esse bestimmt. Das Wort findet sich in den mittelalterlichen Texten selbst nur extrem selten. Da eher die Kritiker der mittelalterlichen Philosophie und Theologie zur Verbreitung des Terminus beigetragen haben, haften dem Begriff immer noch negative Konnotationen an: sophistisch, unhistorisch, schematisch, etc.«31

Der Begriff »Scholastik« ist eine neuzeitliche Wortschöpfung, die weniger eine Epoche als vielmehr eine Denkmethode bezeichnet. Abgeleitet von dem lateinischen Wort »scholasticus«, das seit der römischen Antike alles bezeichnet, was mit dem Schulbetrieb zu tun hatte, wird der Begriff spätestens seit Martin Grabmanns berühmtem Buch Die Geschichte der scholastischen Methode32 für die Charakterisierung mittelalterlicher Wissensvermittlung verwendet, die sich durch einige bestimmte Eigenheiten auszeichnete: Zum Ersten: der Umgang mit der Sprache. Die Intellektuellen des Mittelalters sprachen dem Wort eine große Macht zu und bemühten sich, dessen Bedeutung zu erfassen. Ihnen ging es darum, durch eine genaue Sprachanalyse die Beziehungen zwischen Worten, Begriffen und dem Sein zu bestimmen. Die Scholastik fußte auf einer genauen Analyse der Grammatik. So nannte bereits Isidor von Sevilla seine Enzyklopädie, der »Brockhaus« des Mittelalters, die sich in jeder Klosterbibliothek fand, mit gutem Grund Etymologiae sive origines33: durch 31 Rolf Schönberger, Art. ›Scholastik‹, in: Lexikon des Mittelalters,

10 Bde., Stuttgart 1977–1999, Bd. 7, Sp. 1521–1524. 32  Vgl. Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, 2 Bde., Freiburg 1909–1911. 33  Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX, hg. v. W. M. Lindsay, Oxford 1911; deutsche Übersetzung: ders., Die Enzyklopädie, übers. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008.

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den Wortursprung, die Etymologie eines Wortes, glaubte er die ­jeweils behandelte Sache erklären zu können. Zum Zweiten: die Gesetze der Beweisführung. Die scholastische Methode beruht wesentlich auf der Dialektik, einer Sammlung von Argumentations- und Beweisverfahren, die »aus dem Wissensgegenstand ein Problem machen, es gegen Angreifer verteidigen, es lösen und den Hörer oder Leser überzeugen«34. Grundlagen für die dialektische Untersuchungsmethode waren, drittens, autoritative Texte, vor allem der Bibel und der Kirchenväter, aber auch der antiken Philosophie (seit dem 12. Jahrhundert durch die Übersetzungsbemühungen vor allem aus dem Arabischen in immer größerem Maße). Johannes von Salis­ bury überliefert uns die geflügelten Worte, die Bernhard von Chartres das erste Mal um 1120 benutzt haben soll: »Bernhard von Chartres sagte, wir seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns emporhebt.«35

Diese demütige Haltung darf man jedoch nicht mit einem unkritischen Traditionalismus verwechseln. So wies bereits Ade­ lard von Bath im 12. Jahrhundert darauf hin, dass wir uns nicht zu sehr auf Autoritäten verlassen sollten, da sie »wie ein Halfter« seien36, und Roger Bacon schreibt im Jahr 1272 unter Verweis auf Seneca mit bewundernswertem Vernunftoptimismus 34  Jacques LeGoff, Die Intellektuellen im Mittelalter, a. a. O., S. 95. 35  Johannes von Salisbury, Metalogicon, hg. v. John B. Hall, Turnhout

1991, 3, 4, 46–50, S. 116. 36  »Was ist Autorität dieser Art denn anderes als ein Halfter? Denn ebenso wie die wilden Tiere durch ein Halfter geführt werden und nicht wissen, wohin oder weshalb, so werden auch einige von uns, welche durch die tierische Grausamkeit der Autorität gefangen sind, ins Verderben geführt.« (In: Adelard von Bath, Quaestiones naturales, in: Adelard of Bath, Conversations with his nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural

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hinsichtlich der Forschung der nächsten Jahrhunderte: »Es wird eine Zeit kommen, in der der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit das, was nun verborgen ist, ans Licht bringen werden.«37 Viertens ist zu bemerken, dass man diese Methodik auch auf die Theologie anwandte, wodurch dieses Fach erst zu e­ iner Wissenschaft wurde, was heißt: zu einem Fach, in dem verbindliche und rationale Argumentationsstrukturen entwickelt werden, die das Denken schulen sollten und für jeden Theologen verpflichtend waren. Hierfür spricht ganz deutlich, dass ab dem 13. Jahrhundert jeder Baccalaureus als Abschlussprüfung die Sentenzen38 des Petrus Lombardus kommentieren musste, eine Textsammlung, die selbst schon klare Strukturen in die Bibel­ auslegung und die theologische Ausbildung gebracht hatte. Und man ging an jeden Text zuerst einmal mit einer Frage, mit e­ inem Zweifel heran, für den man eine Lösung suchte. So heißt es schon in Abaelards für die scholastische Methode beispielhaftem Buch Sic et non (»Ja und Nein«): »Durch den Zweifel gelangen wir zur Befragung. Durch die Befragung erreichen wir die Wahrheit.«39 Es lässt sich mit Recht von der Scholastik als einer Methodik sprechen, die für einen starken Rationalisierungsschub an den Fakultäten der Universitäten gesorgt hat. Daher sprach Kurt Flasch sehr zu Recht von einer Aufklärung im Mittelalter40: Man trainierte das begriffliche und angemessene DenScience and On Birds, lat.-engl., hg. u. übers. v. Charles Burnett, Cambridge 1998, VI, S. 102 [Übers. N. E.].) 37  Roger Bacon, Kompendium für das Studium der Philosophie, hg. u. übers. v. Nikolaus Egel, Hamburg 2015, S. 70. – Vgl. Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. M. F.  A. Brok, Darmstadt 1995, 7, 25, 3–5. 38  Vgl. Petrus Lombardus, The Sentences, hg. u. übers. v. Giulio Silano, Toronto 2007–2010. 39  Petrus Abaelardus, Sic et non. A critical Edition, hg. v. Blanche B. Boyer u. Richard McKeon, Chicago  /  London 1977, S. 103 [Übers. N. E.]. 40  Kurt Flasch u. Udo Reinhold Jeck (Hrsg.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997.

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ken, das sich den Schülern auch klar vermitteln lassen musste. Auch hierfür entwickelte man mit der lectio, der disputatio und der quaestio eigene Vermittlungsmethoden. Die Scholastik war damit ursprünglich genau das Gegenteil von dem, was Vives ihr vorwirft, wenn er schreibt, dass die Scholastiker »träumen und für sich selbst Unsinnigkeiten und eine Art neuer Sprache [erfinden], die nur sie allein verstehen«41; die Scholastik kennzeichnet vielmehr das Bemühen um sprachliche – und damit auch gedankliche – Klarheit und Rationalität, die das abendländische Denken seitdem geprägt haben: »So entwickelt sich die Scholastik als wissenschaftlich strenge Meisterin und Anregerin originellen Denkens in strikter Einhaltung der Gesetze der Vernunft. Das abendländische Denken sollte auf ewig von ihr geprägt bleiben, es hat durch sie entscheidende Fortschritte gemacht. […] Der Geist und die Gepflogenheiten der Scholastik sind in die neuen Fortschritte des abendländischen Denkens eingegangen.«42

3. 2  Petrus Hispanus und die Summulae logicales Doch kommen wir mit der Frage, wie angesichts dieser heute allgemein geteilten Ansicht der Scholastik als geistigem Fortschritt die Kritik der Humanisten an ihr uns als Epochenschritt nahe ist, zurück zu Juan Luis Vives: Kein anderer Autor wird in Vives’ Abhandlung häufiger kritisch genannt als Petrus Hispanus, »der nicht einmal den Schatten einer Ahnung von der lateinischen Sprache hatte«43. Juan Luis Vives wendet sich mit seiner Kritik gegen den Philosophen, Mediziner und späteren Papst Johannes XXI. (1276–1277), der mit seinen Summulae logicales44 41  Siehe unten, S. 3. 42  Jacques LeGoff, Die Intellektuellen im Mittelalter, a. a. O., S. 100. 43  Siehe unten, S. 47. 44  Vgl. Petrus Hispanus, Tractatus (= Summulae logicales), hg. v. L. M.

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um 1240 das bekannteste und wirkmächtigste Handbuch der mittelalterlichen Dialektik bis ins 16. Jahrhundert hinein verfasst hatte45, in dem auf dem Organon des Aristoteles aufbauend die Formen der dialektischen Disputation vorgeführt (logica vetus und logica nova), anschließend die logica moderna entwickelt und eine semantische Analyse der aristotelischen Begriffslogik (de proprietatibus terminorum, de suppositione, de relativis, de ampliatione, de appellatione, de restrictione und de distributione) entfaltet werden. Gerade die letzten sechs Abhandlungen dieses Werkes, die die logica moderna ausmachten und die man im Allgemeinen gesondert als Parva logicalia (»kleine Logiken«) bezeichnete, bildeten die Grundlage für die Einführungskurse in Logik an den mittelalterlichen Universitäten und machten die Studenten mit jener logischen Fachterminologie vertraut, die den Humanisten so verhasst war. Der Text hatte eine solch große Autorität, dass die Erstsemester der artes-Fakultät an der Pariser Universität auch als Summulistae46, als Adepten des ­Petrus Hispanus sozusagen, bezeichnet wurden. Diese letzten sechs Abhandlungen der Summulae logicales bieten eine umfangreiche Diskussion des spezifisch mittelalterlichen Beitrags zur Logik, der unter dem Titel »Logik der Modernen« (logica modernorum) zusammengefasst wird. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts waren für die Logik nur die Übersetzungen der Kategorien und von De interpretatione (mit Kommentaren) des Aristoteles durch Boethius sowie die Isagoge des Porphyrius bekannt. Diese Schriften fasste man unter De Rijk, Assen, 1972; deutsche Übersetzung: ders., Logische Abhandlungen, übers. v. W. Degen u. B. Papst, München 2006. 45  Über 300 Handschriften der Summulae logicales sind bisher bekannt, eine ganz außergewöhnlich große Anzahl. – Vgl. B. Roberg, Art. ›Johannes XXI., Papst‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977–1999, Bd. 5, Sp. 544. 46  So berichtet uns Petrus Ramus in seinem Werk Scholae in liberales ­artes (1569), Sp. 1049, zitiert nach: Walter Ong, Ramus, Method and Decay of Dialogue, Cambridge, Mass. 1958, S. 58.

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dem Oberbegriff der »alten Logik« (logica vetus) zusammen. Im 12. und 13. Jahrhundert wurden jedoch auch die restlichen logischen Schriften des Organon von Aristoteles bekannt, die als »neue Logik« (logica nova) bezeichnet werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die Sophistischen Widerlegungen des Aristoteles gelegt wurde und damit auf eine Abhandlung, die sich mit der Widerlegung von logisch ungültigen Scheinschlüssen (sog. sophismata) auseinandersetzte. Wir können im 12. und 13. Jahrhundert demnach eine rasante Entwicklung der Logik konstatieren, die durch die logica modernorum noch entscheidend erweitert wurde. 3. 3  Die terministische logica modernorum Die »Logik der Modernen« unterscheidet sich bereits deutlich von der Logik des Aristoteles. Denn sie ist eine Logik der Termini, eine sog. terministische Logik.47 Das lateinische Wort »terminus« bedeutete ursprünglich »Grenze« und nahm dann eine übertragene Bedeutung an. Termini sind nun sprachliche Ausdrücke, für die ihre Rolle in Sätzen entscheidend ist. Sie dienen in Sätzen als Subjekt oder Prädikat und haben eine bestimmte, fixierte und abgrenzbare Bedeutung (sog. kategorematische Termini). Ausdrücke wie »jeder«, »einer«, »keiner«, »neben«, »nur«, »als« sind sog. synkategorematische Termini. Sie haben keine feste, begrenzte Bedeutung. Die Logik der Termini setzt sich mit beiden Arten, den kategorematischen und den synkategorematischen Termini, und ihrer Rolle in Aussagen auseinander. 47  Ich folge bei der Darstellung der terministischen Logik: Wilhelm Vos-

senkuhl, Wilhelm von Ockham. Logik und Sprachphilosophie, im Internet abrufbar unter: http://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/ockh1e.html. Siehe für eine ausführlichere Beschreibung: Rita Guerlac, Introduction, in: Juan Luis Vives, Against the Pseudodialecticians. A Humanist Attack on Medieval ­Logic, a. a. O., S. 3 ff.

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Daher fanden besonders die Sophistischen Widerlegungen, die sich mit Fehlschlüssen beschäftigen, die auf den falschen Gebrauch oder die Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke zurückgehen, im Mittelalter großes Interesse. Aus diesem Interesse heraus entwickelte sich als eine eigenständige Art logischer Untersuchung, als Disputationshilfe für Studenten, die Logik der Termini. Da die Grundlage und den Ausgangspunkt aller Disputationen die verwendeten Termini bilden, ging es bei der Logik der Modernen darum, die Bedeutung der Termini zu klären. Die Bedeutung der Termini hängt einmal davon ab, welche Funktion sie in Sätzen haben; zum anderen haben sie aber auch unabhängig von dieser Funktion eine Bedeutung. Es ging daher um die Entwicklung einer allgemeinen Theorie, wie Worte für Dinge, für Begriffe und für andere Worte stehen können und welche Bedeutung sie dabei haben (sog. Suppositionslehre). Etymologisch betrachtet heißt der mittelalterliche Begriff »suppositio« so viel wie »für etwas stehen« oder »für etwas eingesetzt werden«, und es ist genau diese Analyse der Möglichkeiten, wie Worte, die in einer Aussage auftreten (da die Logik sich nur mit Aussagesätzen befasst, die einen Wahrheitswert haben), für etwas stehen und die Bedeutung von anderen Worten beeinflussen können, die den Kern des Logikunterrichts an der Pariser Universität ausmachte. Die Philosophiestudenten verbrachten daher den größten Teil ihres Studiums damit, ihre Verstandesfertigkeiten an unzähligen Distinktionen und Beispielen zu erproben, anstatt sich – so die Kritik von Vives und der übrigen Humanisten – auf die eigentlichen Ziele der Philosophie, die die Humanisten in der Ethik bzw. Moralphilosophie sahen, zu konzentrieren. Lambertus Maria de Rijk hat die Entwicklung der mittelalterlichen Logik von einer mehr auf der Grammatik der lateinischen Sprache beruhenden Form der Logik seit der Spätantike bis hin zur terministischen Logik des 13. und 14. Jahrhunderts, die sich vor allem auf die Funktion von Termini innerhalb ­eines

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Satzes konzentrierte, sehr eindrucksvoll aufgezeigt.48 Seit der Mitte des 13.  Jahrhunderts hatte sich eine artifizielle und ab­ strakte Form der Logik herausgebildet, die – trotz und auch gerade wegen ihrer begriffsdefinitorischen Leistungen – mitunter nur noch schwer verständlich war. Daher ist es auch verständlich, dass die stark funktionalisierte und systematisierte Form des Lateinischen, derer sich die Scholastiker bedienten, bei den Humanisten auf Ablehnung gestoßen ist – vergleichbar damit, wie heute die analytische Philosophie nicht von allen gleichermaßen geliebt wird.49 Ein weiterer Faktor wird noch hinzugekommen sein: der Überdruss an einer institutionalisierten und verkümmerten Form der Ausbildung. Denn die Logik, die wir in den Abhandlungen und Summen der »großen Denker« des Mittel­alters kennenlernen können, war nicht die verflachte Logik, die in den Einführungskursen und Handbüchern an der Universität gelehrt worden ist. Vives’ Beispiele der unsäglichen Sophismata, über die er sich in seiner Abhandlung lustig macht, entstammen aber diesem universitären Umfeld, sind größtenteils wahrscheinlich Übungsbeispiele, die er selbst während seines Stu48  Vgl. Lambertus Maria de Rijk, Logica modernorum: A Contribution

to the History of Early Terminist Logic, 2 Bde., Assen 1962–1967. 49  So bemerkt auch Walter Ong: »One cannot but be struck by the fact that the charges leveled against medieval logic by the humanists – its aridity, its difficulty, its finicky attention to detail, its highly technical vocabulary, its concern with real or apparent possibilities (insolubilia, impossibilia, sophismata), not to mention Ramus’ celebrated charge that ›ordinary people don’t talk like that‹ – are singularly like the charges often leveled against mathematical logic today.« (In: Walter Ong, Ramus, Method and Decay of Dialogue, a. a. O., S. 53.) – Hier ist vielleicht auch der Platz, daran zu erinnern, dass sich diese Problematik natürlicherweise durch die gesamte Geschichte der Philosophie zieht: Erinnert sei für die klassische deutsche Philosophie z. B. an die Debatten zwischen Kant und Herder sowie Hamann (vgl. z. B. Josef Simon, Sprachphilosophische Aspekte der neueren Philosophiegeschichte, in: Aspekte und Probleme der Sprachphilosophie, hg. v. Josef Simon, Freiburg  /  München 1974, S. 7–68).

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diums in Paris kennengelernt hatte. Insofern mögen sich Vives und die übrigen Humanisten gegen eine allgemeine »Verflachung und Sinnentleerung des Denkens« resp. des Lehrbetriebs gewandt haben, die auch jedem heutigen Studenten vertraut sein mag, dem sich über dem Aufwand zur Bewältigung der Propädeutik die Bedeutung seines Gegenstandes nicht mehr erschließt. ­Vives und seine humanistisch gesinnten Zeitgenossen kritisierten damit eine »mittelalterliche« Logik, die nicht mehr die ihre war und die sie zudem nur noch schlecht kannten. So schreibt auch Rita Guerlac in ihrer hervorragenden Einleitung in ihre englische Übersetzung von Vives’ In pseudodialecticos: »Es ist den Historikern der mittelalterlichen Logik klar geworden, dass das 16. Jahrhundert nicht einmal ein oberflächliches Wissen über die Ursprünge des Terminismus und seinen Zweck und Wert im 13. Jahrhundert besaß, noch über die intellektuelle Leistung, die er repräsentierte. […] Das 13. Jahrhundert war dem 16. Jahrhundert verschlossen; von den drei großen logischen Summulisten des 13. Jahrhunderts werden William of Sherwood und Lambert von Auxerre niemals erwähnt, und Vives scheint Petrus Hispanus mit Peter von Mantua und Paulus Venetus zeitgleich zu setzen, da er seinen bekannten Landsmann vor allem aus einer 150-jährigen Kommentartradition kannte.«50

Doch neben der unzureichenden Kenntnis der Tradition hat auch die »Verknöcherung der Scholastik« selbst zu der Gegenreaktion geführt, wie wir sie bei Vives exemplarisch vorgeführt sehen. Jacques LeGoff fasst den Verfall der Scholastik, den er selbst sehr bedauert, zusammen:

50  Rita Guerlac, Introduction, in: Juan Luis Vives, Against the Pseudo-

dialecticians. A Humanist Attack on Medieval Logic, a. a. O., S. 41 [Übers. N. E.].

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»Trotz interessanter Erneuerungsversuche […] verkümmert die Scholastik. Sie zerfleischt sich auch weiterhin selbst. Einerseits gibt es die Alten, die jetzt atemlosen, vernünftelnden Aristotelianer und Thomisten. Auf der anderen Seite stehen die Modernen, die sich unter dem Banner des von Ockham ausgehenden Nominalismus vereinigen. Doch sie sind im Studium der formalen Logik, in endlosen Hirngespinsten über die Definition der Worte, in künstlichen Einteilungen und Untereinteilungen, im Terminismus befangen.«51

Es war diese dekadente und vergehende Scholastik, die die Humanisten vor allem ablehnten. Dennoch bleibt der mittelalterlichen Logik das von den Humanisten zu wenig zur Kenntnis genommene Verdienst, nicht nur Schwächen der traditionellen aristotelischen Logik aufgedeckt, sondern zahlreiche terminologische und formale Schlussverfahren hinzugefügt zu haben, die ein erstaunliches Maß an Komplexität aufweisen52, für das ­Vives freilich kein Verständnis gehabt hat. 4. Schlussbemerkung: Vives und die Skepsis Angesichts der hier vorgestellten Vives’schen Kritik an der Scholastik darf nicht übersehen werden, dass Juan Luis Vives vor allem ein humanistischer Pädagoge53 war, dessen Auffassung des Wertes eines von den Schlacken der scholastischen Sprachauffassung befreiten sermo communis in einem pädagogischen Rahmen gesehen werden muss. Es ging Vives nicht allein um die Kritik an der Dialektik, sondern um den Entwurf eines neuen Bildungsprogramms, in das alle Wissenschaften und Künste ein51  Jacques LeGoff, Die Intellektuellen im Mittelalter, a. a. O., S. 158. 52  Vgl. zur Leistung der mittelalterlichen Logik: Ernest A. Moody, Stu-

dies in Medieval Philosophy, Science and Logic, Berkeley 1975, S. 371–392. 53  Vgl. etwa: Karl-Otto Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 31980, S. 220  ff.

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bezogen werden sollten, das er in seinem 1531 erschienenen umfangreichen Reformentwurf der Wissenschaften, De disciplinis libri XII54, entwickeln sollte55. Neben einer grundlegenden Reform des Bildungs- und Erziehungssystems56, das bereits auf die großen Erneuerer des 17. Jahrhunderts – insbesondere Francis Bacon (1561–1626) und Johann Amos Comenius (1592–1670) – verweist, müssen wir Vives auch das Verdienst zuerkennen, mit seiner Schrift De subventione pauperum57 aus dem Jahr 1526 die erste umfassende Fürsorgetheorie zur städtischen Armenpflege der Frühen Neuzeit entwickelt zu haben58. Das eingangs zitierte Lob Thomas Morus’ für die Frühschriften von Vives, ihre spätere starke Rezeption wie ihre bleibende Bedeutung erklärt sich uns in diesem Zusammenhang: dass hier die Grundüberzeugung von Vives bereits deutlich wird – dass richtiges Denken und Handeln auf einem richtigen Gebrauch der Sprache beruht, die die Grundlage aller Wissenschaften bildet: »Denn diese drei Künste [Grammatik, Dialektik und Rhetorik] behan54  Vgl. Juan Luis Vives, De disciplinis libri XX, Antwerpen 1531; De dis-

ciplinis, in: Opera omnia, a. a. O., Bd. 6, S. 1–437; die ersten sieben Bücher von Vives’ enzyklopädischem Hauptwerk liegen in einer lateinisch-deutschen Ausgabe vor: Juan Luis Vives, Über die Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium, lat.-dt., übers. v. Wilhelm Sendner u. a., hg. v. Emilio Hidalgo-Serner, München 1990. 55  Siehe zu Funktion und Aufbau von De disciplinis vertiefend: Valerio del Nero, The De disciplinis as a Model of a Humanistic Text, in: A Companion to Juan Luis Vives, a. a. O., S. 177–226. 56  Vgl. zu Vives’ pädagogischen Schriften: Carlos G. Noreña, Juan Luis Vives, a. a. O., S. 177–199; Juan Luis Vives, Pädagogische Hauptschriften, übers. v. Theobald Edelbluth, Paderborn 1912. 57 Vgl. Juan Luis Vives, De subventione pauperum, in: ders., Opera omnia, a. a. O., Bd. 4, S. 420–494; englische Übersetzung in: Paul Spicker (Hrsg.), The Origins of Modern Welfare. Juan Luis Vives, De Subventione Pauperum and City of Ypres, Forma Subventionis Pauperum, Oxford u. a. 2010, S. 3–99. 58  Siehe hierzu: Susanne Zeller, Juan Luis Vives (1492–1540), Freiburg 2006; A. A. Travill, Juan Luis Vives: The De Subventione Pauperum, in: ­Canadian Bulletin of Medical History 4, 1987, S. 165–181.

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deln die Sprache, die vom Volk ausging und die nicht durch [die Künste] selbst entwickelt wurde.«59 Die Verwirrungen der Dialektiker an der Universität entstanden Vives zufolge, weil sie den ursprünglichen Bedeutungen der historisch gewordenen Sprache und der allgemein verständlichen Sprechweisen nicht die notwendige Beachtung beimaßen. Wenn die Wissenschaften von einer allgemeinverständlichen Sprache abstrahiert werden, verlören sie als Werkzeuge jene Offenheit und Beweglichkeit, die der Sprache als Ausdruck unseres Weltbezugs eigen sind. Sie erstarren, so Vives’ Vorwurf, in einem welt­abgewandten Formalismus, wodurch der Forschende – um ein Bild von Vives zu benutzen60 – schon im Hafen Schiffbruch erleidet, bevor seine wissenschaftliche Reise begonnen hat. Für Vives und die Humanisten seiner Generation war die Sprache ein historisch gewordener Ausdruck der Ver­änderung und der Bedeutungsvielfalt angesichts der Transformation der Welt, die die Dialektiker mit dem Vorwand: »Loquamur in rigore«61 ein­ engten und so weit abstrahierten, dass die Sprache den Bezug zu einer Wirklichkeit verlor, die sich doch stets historisch wandelt und nicht in Kategorien erfasst werden kann, sondern höchstens noch handelnd und nutzenorientiert auch von gebildeten Laien bewältigt werden sollte. Die Korporation der Universität mit ihrem Schwerpunkt auf Sprach­analyse und Logik war für die Humanisten ein veraltetes Konzept, für das sie kein Interesse aufbringen konnten: »Die Humanisten hatten kein antiquarisches Interesse an dem Ursprung und dem ursprünglichen Zweck des terministischen Systems, das sie zu zerstören im Begriff waren. Sie waren damit beschäftigt, dieses System durch eine pädagogische und utilitaristische Haltung und ein Erziehungsprogramm zu ersetzen, das auf einer Dialektik ba-

59  Siehe unten, S. 13. 60  Vgl. unten, S. 15. 61  Siehe unten, S. 40.

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siert, die auf eine sich rasch verändernde Laiengesellschaft anwendbar ist. Die terministische Dialektik hatte sich in einer Gesellschaft entwickelt, die Bildung für eine kleine und gelehrte Klasse reservierte, nämlich vor allem für klerikale und kirchliche Schichten. Im 16. Jahrhundert lag eine weltliche Erziehung als Reaktion auf eine wachsende Bevölkerung und starke soziale und wirtschaftliche Kräfte in Reichweite einer Laiengesellschaft von Kaufleuten, Berufstätigen und Diplo­ maten, von denen viele […] zu wichtigen Mäzenen der Künste und des Lernens wurden. Es war diese Klientel, die Vives im Sinn hatte, als er sein Bildungsprogramm skizzierte.«62

Hinter dieser Haltung steht neben der deutlichen Nutzenorientierung neuer gesellschaftlicher Kräfte aber zugleich auch ein tiefer erkenntnistheoretischer Pessimismus, der ein neues Verhältnis zur Welt bereits andeutet, das für die Moderne bis hin zum Existenzialismus  /  Dekonstruktivismus (in der Philosophie) prägend wurde: Der Humanist kann kein in sich abgeschlossenes rationales Gedankensystem mehr anbieten oder Bemühungen darum nachvollziehen, da das dem sprachlichen und damit auch erkenntnistheoretischen Selbstverständnis des Humanisten widerspricht. Anhand einer sich stetig wandelnden und schwankenden Welt lässt sich kein sicherer Ausgangspunkt mehr aufzeigen bzw. mit logisch-sprachlichen Mitteln analysieren, was Michel de Montaigne nur wenige Jahrzehnte nach Vives in seinen Essais für seine Generation deutlich formulierte: »Ich schildere nicht das Sein, ich schildere das Unterwegssein.«63 Dieser Denkansatz lässt sich als eine Ausformung der Skepsis deuten, wie sie für das 16. und 17. Jahrhundert typisch und prä62  Rita Guerlac, Introduction, in: Juan Luis Vives, Against the Pseudo-

dialecticians. A Humanist Attack on Medieval Logic, a. a. O., S. 42 [Übersetzung N. E.]. 63  Michel de Montaigne, Essais, hg. u. übers. v. Hans Stilett, 3. Bde., Frankfurt / Main 1998, III, 2, Bd. 3, S. 398; vgl. zu Montaigne auch: Nikolaus Egel, Montaigne. Bilder einer fließenden Welt, Würzburg 2017.

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gend war64 und wie sie auch Vives65 vertritt: Es ist sicher kein Zufall, dass Gianfrancesco Pico della Mirandola66, der Neffe des berühmten Renaissancephilosophen Giovanni Pico della Mirandola (der mit seiner berühmten Rede über die Würde des Menschen67, folgen wir Jacob Burckhardt, eines der »edelsten Vermächtnisse jener Kulturepoche«68 verfasst hatte), im Jahr 1520, nur ein Jahr nach der hier vorliegenden Schrift von Vives, mit seinem Examen vanitatis69 den ersten dezidiert skeptischen Text der Frühen Neuzeit schreiben sollte, der jeden Erkenntnisanspruch radikal negierte und nur noch für einen christlichen Fideismus Raum ließ, wie wir es im 16. Jahrhundert ähn64 Vgl. zur Skepsis im 16. und 17. Jahrhundert: Richard H. Popkin,

The History of Scepticism from Savonarola to Bayle, Oxford  /  New York 32003; José R. Maia Neto, Skepticism in Renaissance and post-Renaissance Thought: New Interpretations, Amherst N. Y 2004; Gianni Paganini, Skepsis. Le Débat des Modernes sur le Scepticisme. Montaigne – le Vayer – Campanella – Hobbes – Descartes – Bayle, Paris 2008; Gianni Paganini u. José R. Maia Neto (Hrsg.), Renaissance Scepticisms, Dordrecht 2009. 65  Siehe zur Skepsis bei Vives: Thomas Leinkauf, Philosophie des Humanismus und der Renaissance, a. a. O., Bd. 1, S. 387 f.; Lorenzo Casini, SelfKnowledge, Scepticism and the Quest for a New Method: Juan Luis Vives on Cognition and the Impossibility of Perfect Knowledge, in: Renaissance Scepticisms, hg. v. Gianni Paganini u. José R. Maia Neto, Dordrecht 2009, S. 33–60; José A. Fernandez Santamaria, The Theater of Man: J.  L. Vives on Society, Philadelphia 1998, sowie: ders., Juan Luis Vives. Escepticismo y prudencia en el renacimiento, Salamanca 1990. 66  Siehe zu Gianfrancesco Pico: Charles B. Schmitt, Gianfrancesco Pico della Mirandola (1469–1533) and his critique of Aristotle, Den Haag 1967; Ada Traldi, Gianfrancesco Pico della Mirandola »Il litteratissimo«, Nonantola 1994. 67  Vgl. Giovanni Pico della Mirandola, De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen, lat.-dt., übers. v. Norbert Baumgarten, hg. u. eingel. v. August Buck, Hamburg 1990. 68  Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, a. a. O., S. 352. 69  Vgl. Gianfrancesco Pico della Mirandola, Examen vanitatis doctrinae Gentium et veritatis Christianae disciplinae, in: Joannis Pici Opera omnia et Joannis Franc. Pici opera in volumine secundo, 2 Bde., Basel 1573, Bd. 2, fol.  710–fol. 1263.

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lich auch bei den skeptischen Philosophen Agrippa von Nettesheim70, Michel de Montaigne71 und Franziscus Sanchez72 finden. Allen diesen Autoren ist ihre kritische Sicht auf die Logik und Dialektik der Scholastik eigentümlich und gemeinsam, die – auf dem aristotelischen Organon beruhend, das ebenfalls von Vives kritisiert wird – eine starke Beweis- und Schlusstheo­ rie anbietet, die für die Humanisten epistemisch überlastend und praktisch nutzlos geworden war.73 Es war den Humanisten nicht darum zu tun, bestimmte Wahrheiten durch grammatikalisch-logische Gesetze und Axiome zu beweisen (dies die Funktion der Dialektik), sondern andere von der eigenen Position, sofern dies überhaupt als möglich angenommen wird, zu überzeugen (die Funktion der Rhetorik, für die Vives sich einsetzt): »Die in diesem Denkansatz, der bis zur späteren Scholastik letztlich gültig geblieben war, vertretene Vorstellung, dass menschliches Denken das Intelligible, Vernünftige, Ansichseiende (Wahre) zum genui-

70  Vgl. Agrippa von Nettesheim, Über die Fragwürdigkeit, ja Nichtigkeit der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, übers. v. Gerhard Güpner, hg. v. Siegfried Wollgast, Berlin 1993. 71  Vgl. Michel de Montaigne, Essais, a. a. O. 72  Vgl. Franziskus Sanchez, Quod nihil scitur. Dass nichts gewusst wird, lat.-dt., hg. u. übers. v. Kaspar Howald u. a., Hamburg 2007. 73  Diese Haltung zeigt sich auch in Vives’ kurzer Fabula de homine, die, im Jahr 1518 entstanden, den Menschen als Schauspieler vor den olympischen Göttern inszeniert, der – an Giovanni Pico della Mirandolas Bild des Menschen als wandelbaren Proteus in dessen Oratio de dignitate hominis angelehnt – jede Rolle tätig zu spielen habe: »ludus, usus, ingenium, imago, inveniri, inventa etc. Auf diesen Termini nicht-logischen Charakters ruhen die menschliche Bedeutung der Geschichte, das Wiedererkennen und die Enthüllung des Welttheaters.« (In: Einleitung, in: Juan Luis Vives, Über die Gründe des Verfalls der Künste, a. a. O., S. 45) – Die Fabula findet sich in: Juan Luis Vives, Opera Omnia, a. a. O., Bd. 4, S. 3–8; englische Übersetzung: Juan Luis Vives, A Fable about Man, übers. v. Nancy Lenkeith, in: The Renaissance Philosophy of Man, hg. v. Ernst Cassirer, Chicago 1948, S. 387–393.

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nen Gegenstandsbereich habe, wird – wie in den hellenistischen Posi­ tionen der akademischen und pyrrhonischen Skepsis – eingezogen und reduziert auf ein Vermutungswissen. […] Wie ins Denken Gottes jedoch […], so haben wir auch in das Notwendige und das ›Innere der Natur‹ keinerlei Einblick – so wird Theologie auf Fideismus reduziert, Naturtheorie auf prekäres, induktives und superficiales Erfahrungswissen, Wissen überhaupt im starken Sinne zurückgewiesen […]. Einzig die Ethik bleibt, als christliche Gewissens- und Sozial­ ethik, ein starkes Theoriefeld.«74

5. Vives: Kurzbiographie Juan Luis Vives wurde am 6. März 1493 in Valencia in Spanien geboren.75 Seine Eltern waren jüdische Tuchhändler, die unter dem Druck der Reconquista zum Katholizismus konvertiert waren. Sein Vater, Luis Vives Valeriola (1453–1524), war bereits 1477 wegen heimlicher Ausübung des Judentums verfolgt worden. Ein zweiter Prozess fand 1522 statt. Zwei Jahre später wurde er bei einem Autodafé verbrannt. Seine Mutter, Blanquina March (1473–1508), starb 1508 an der Pest. Posthum wurde ihr vorgeworfen, eine geheime Synagoge besucht zu haben. Ihre sterblichen Überreste wurden exhumiert und öffentlich verbrannt. In seiner Jugend besuchte Vives das Estudio General in Valencia. Im Jahr 1509 ging er nach Paris und schrieb sich an der Sorbonne ein, wo er am Collège de Montaigu unter den bekannten scholastischen Dialektikern John Dullaert und Gaspar Lax de Sariñena Logik studierte. Durch Nicolas Bérault (ca. 1470– ca. 1545), der ein Mitarbeiter von Guillaume Budé (1467–1540) 74 Thomas Leinkauf, Philosophie des Humanismus und der Renais-

sance (1350–1600), a. a. O., Bd. 1, S. 388. 75  Siehe für eine Biographie ausführlicher: Carlos G. Noreña, Juan Luis Vives, a. a. O., S. 1–120.

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war und an verschiedenen Pariser Hochschulen lehrte, kam ­Vives auch mit dem Pariser Humanistenkreis in Kontakt. Im Jahre 1514 verließ Vives Paris und zog in die Niederlande. Er ließ sich in Brügge nieder, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Etwa zu dieser Zeit wurde er mit Erasmus von Rotterdam bekannt gemacht und zum Tutor des flämischen Adligen Guillaume de Croy ernannt. Von 1517 bis zu Croys vorzeitigem Tod im Jahr 1521 lebte Vives in Löwen und lehrte am Collegium Trilingue, einer humanistischen Stiftung, die auf erasmischen Erziehungsprinzipien basierte. In dieser Zeit entstanden seine Frühschriften: die Fabula de homine76 (»Fabel über den Menschen«, 1518); De initiis, sectis et laudibus philosophiae77 (»Über die Ursprünge, Schulen und Verdienste der Philosophie«, 1518); In pseudodialecticos (»Gegen die Pseudodialektiker«, 1519 bzw. 152078) sowie gemeinsam mit Erasmus von Rotterdam eine kritische Ausgabe mit Kommentar von Augustinus’ De civitate Dei79 (»Vom Gottesstaat«, 1522). Von 1523 bis 1528 reiste Vives häufig zwischen England, das er sechs Mal besuchte, und Brügge, wo er 1524 Margarita Valldaura heiratete. In England hielt er sich am Hof von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon auf und war Tutor ihrer Tochter. Er erhielt auch einen Lehrauftrag am Corpus Christi College in Oxford und trat mit englischen Humanisten wie 76  Vgl. Juan Luis Vives, Opera Omnia, a. a. O., Bd. 4, S. 3–8; englische

Übersetzung: Juan Luis Vives, A Fable about Man, übers. v. Nancy Lenkeith, in: The Renaissance Philosophy of Man, hg. v. Ernst Cassirer, Chicago 1948, S. 387–393. 77  Vgl. Juan Luis Vives, De initiis, sectis et laudibus philosophiae, lat.engl., in: ders., Early Writings, Bd. 1, hg. v. Constantinus Matheeussen u. Charles Fantazzi, Leiden 1987, S. 1–57. 78  Die Ansicht, dass der Text erst 1520 entstanden sei, vertritt Charles Fantazzi in seiner Einleitung in seine Edition: Juan Luis Vives, In Pseudo­ dialecticos. A Critical Edition. Introduction, Translation and Commentary, hg. v. Charles Fantazzi, Leiden 1979, S. 1 f. 79  Vgl. Juan Luis Vives, Commentaria in XXII libros De Civitate Dei Divi Aurelii Augustini, Löwen 1521.

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Thomas Morus und Thomas Linacre in Kontakt. In dieser Zeit veröffentlichte er seine pädagogischen Schriften De institutione feminae Christianae80 (»Über die Erziehung einer christlichen Frau«, 1524) und De ratione studii puerilis81; seine Introductio ad sapientiam82 (»Einführung in die Weisheit«, 1524), ein kurzes Handbuch der Ethik, in dem Stoizismus und Christentum miteinander harmonisiert werden; und De subventione pauperum83 (»Über die Unterstützung der Armen«, 1526), ein Programm zur Organisation der öffentlichen Fürsorge, das er den Brügger Richtern widmete. Im Jahre 1528 verlor er die Gunst von Heinrich VIII., da er sich während und nach der illegitimen Scheidung zwischen Heinrich VIII. und Katharina von Aragon sehr zum Missfallen des Königs für Katharina von Aragon einsetzte. Er wurde einige Zeit unter Hausarrest gestellt, bevor er nach Brügge zurückkehren durfte. In den letzten zwölf Jahren seines Lebens veröffentlichte er mehrere der Werke, für die er heute am bekanntesten ist. Dazu gehören die Schriften De concordia et discordia in humano genere84 (»Über Eintracht und Zwietracht beim menschlichen Geschlecht«, 1529) und De pacificatione85 (»Über die Friedensstiftung«, 1529), die den Wert des Friedens und die Verderblichkeit des Krieges betonen. Weiterhin seine Hauptschrift De 80  Vgl. Juan Luis Vives, De institutione feminae Christianae, lat.-engl.,

hg. v. Charles Fantazzi, 2 Bde., Leiden 1996–1998. 81  Vgl. Juan Luis Vives, De ratione studii puerilis, in: ders., Opera omnia, a. a. O., Bd. 1, S. 256–282. 82  Vgl. Juan Luis Vives, Introduction to Wisdom: A Renaissance Textbook, hg. u. übers. v. M. Leona Tobriner, New York 1968. 83 Vgl. Juan Luis Vives, De subventione pauperum, in: ders., Opera omnia, a. a. O., Bd. 4, S. 420–494; englische Übersetzung in: Paul Spicker (Hrsg.), The Origins of Modern Welfare. Juan Luis Vives, De Subventione Pauperum and City of Ypres, Forma Subventionis Pauperum, a. a. O., S. 3–99. 84  Vgl. Juan Luis Vives, De concordia et discordia in humano genere, in: ders. Opera omnia, a. a. O., Bd. 5, S. 187–403. 85  Vgl. Juan Luis Vives, De pacificatione, in: Opera omnia, a. a. O., Bd.  5, S. 406–446.

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disciplinis86 (»Über die Lehrfächer«, 1531), eine enzyklopädische Abhandlung bestehend aus 20 Büchern, die eine umfassende Kritik an den Grundlagen der zeitgenössischen Erziehung sowie ein Programm zu ihrer Erneuerung darstellt; und De anima et vita87 (»Über die Seele und das Leben«, 1538), eine Studie über die Seele und ihre Wechselwirkung mit dem Körper, die auch eine durchdringende Analyse der Emotionen enthält und als erste dezidiert psychologische Schrift der Frühen Neuzeit gilt. Er starb am 6. Mai 1540 in Brügge. 6. Lateinischer Text und Übersetzung Der lateinische Text dieser Übersetzung der Schrift In pseudodialecticos, die Vives zwischen 1519 und 1520 verfasst hat und die 1520 in Löwen durch Thierry Martens das erste Mal gedruckt worden ist88, beruht auf der Edition von Gregorio Mayáns y Siscar, die in Band 3 der Opera omnia von Vives im Jahr 1782 erschienen ist.89 Diese Ausgabe basiert ihrerseits auf der editio princeps der vollständigen Werke von Vives, die 1555 von Nico­ laus Episcopius in Basel herausgegeben worden sind. Es gibt zwar eine aktuellere Edition der Abhandlung In pseudodialecti86  Vgl. Juan Luis Vives, De disciplinis libri XX, Antwerpen 1531; De dis-

ciplinis, in: Opera omnia, a. a. O., Bd. 6, S. 1–437; die ersten sieben Bücher von Vives’ enzyklopädischem Hauptwerk liegen in einer lateinisch-deutschen Ausgabe vor: Juan Luis Vives, Über die Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium, lat.-dt., übers. v. Wilhelm Sendner u. a., hg. v. Emilio Hidalgo-Serner, München 1990. 87  Vgl. Juan Luis Vives, De anima et vita, lat.-ital., hg. u. übers. v. Mario Sancipriano, Padua 1974. 88  Vgl. ausführlich zur Textgeschichte: Juan Luis Vives, In Pseudo­dia­lec­ ti­cos. A Critical Edition. Introduction, Translation and Commentary, a. a. O., S. 1 ff. 89  Vgl. Juan Luis Vives, In Pseudo-dialecticos, in: ders., Opera omnia, hg. v. Gregorio Mayáns y Siscar, 8 Bde., Valencia 1782–1790, Bd. 3, S. 37–68.

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cos von Charles Fantazzi90 aus dem Jahr 1979, die m. E. jedoch keine wesentliche Verbesserung gegenüber der älteren Edition darstellt, die ich aber auch für die deutsche Übersetzung berücksichtigt habe. Der Verlag und der Herausgeber haben sich zur Beigabe auch des lateinischen Textes entschlossen, weil der Text, erstens, gerade für seine dem Geist des Humanismus enstprechende elegante Latinität gerühmt worden war und, zweitens, weil der Spott von Vives über den »Barbarismus« der Dialektiker sich gerade in seinem humanistischen Latein darstellt, der im Deutschen nur schwer wiederzugeben ist, ebenso wie die sophismata, die Vives für seine Kritik an den Dialektikern heranzieht. Herzlich danken möchte ich dem Felix Meiner Verlag und Herrn Marcel Simon-Gadhof, dass sie die kleine Schrift in das Programm des Verlages aufgenommen haben. Münster, im August 2018

90  Vgl. Juan Luis Vives, In Pseudodialecticos. A Critical Edition. Intro-

duction, Translation and Commentary, a. a. O.

J UA N LU I S V I V E S

Gegen die Pseudodialektiker

Joannes Ludovicus Vives In Pseudo-dialecticos Joanni Forti suo S. D. Quum existimarem futurum brevi, mi Fortis, ut Te Parisiis viderem, quo ire quotidie constituebam, credebam etiam me haec eadem Tecum coram acturum, quae (quoniam per occupationes meas non licet mihi Lovanio egredi, neque sat scio, quando ­istuc ibo) litteris sum modo necessario commissurus; neque enim duxi diutius differendum, quo minus redderem Te certiorem, quid jampridem expostulant mecum homines doctissimi, et amantissimi mei, quibus cum familiariter dum commentor, incidimusque in mentionem renascentium litterarum, et simul cum illis, hoc est cum suo seminario disciplinarum omnium meliorum; id enim fere agimus, ut gratulemur nostro seculo maxime queri illi solent Parisiis, unde lux totius eruditionis manare deberet, mordicus homines quosdam foedam amplecti barbariem, et cum ea monstra quaedam disciplinarum, velut sophismata, ut ipsi vocant, quibus nihil neque vanius est, neque stultius; quae cum exactius homines nonnulli ingeniosi consectantur, tum sua bona ingenia perditum eunt, tum tamquam fertiles agri, sed inculti, magnam inutiliam herbarum procreant copiam, somniant et confingunt sibi ineptias ac novam quandam linguam quam ipsi soli intelligant.

Juan Luis Vives Gegen die Pseudodialektiker Juan Luis Vives grüßt seinen [Freund] Fortis1, da ich dachte, dass ich Dich, mein lieber Fortis, bald in Paris sehen würde, wohin zu gehen ich mich täglich entschließen wollte, hatte ich gehofft, diese Dinge mit Dir dort persönlich besprechen zu können. Weil ich Louvain aber aufgrund meiner Verpflichtungen hier nicht verlassen kann2 und daher auch nicht weiß, wann ich zu Dir kommen kann, muss ich meine Gedanken zwangsläufig einem Brief anvertrauen. Ich meinte nämlich, dass ich nicht noch länger damit zögern dürfte, Dich mit Beschwerden bekannt zu machen, die ich schon seit längerer Zeit von Männern gehört habe, die äußerst gelehrt und mir sehr lieb sind. Während unserer freundschaftlichen Gespräche fühlen wir uns zwar oft dazu ermuntert – wenn wir auf die Wiedergeburt der humanistischen Studien und aller besseren Bereiche der Gelehrsamkeit zu sprechen kommen, deren Ursprünge sie doch bilden –, uns zu unserem Jahrhundert zu beglückwünschen. Dennoch besteht ihre größte Beschwerde darin, dass in Paris, von wo schließlich alles Licht der Gelehrsamkeit ausstrahlen sollte, einige Männer verbissen einen scheußlichen Barbarismus und mit ihm gewisse Monstrositäten in den Lehr­ fächern unterstützen, wie etwa die von ihnen so genannten »sophismata«, die doch vollständig eitel und töricht sind. Wenn Männer von beträchtlichem Talent diese Gegenstände mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, verschwenden sie damit nicht nur ihre eigenen großen Talente, sondern bringen zudem – wie fruchtbare und doch unbestellte Äcker – eine zwar große, aber unnütze Menge an Unkraut hervor. Denn sie träumen und erfinden für sich selbst Unsinnigkeiten und eine Art neuer Sprache, die nur sie allein verstehen.

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Pars maxima doctorum hominum totam hujusce rei culpam in Hispanos, qui istic sunt rejicit, qui ut sunt homines invicti, ita fortiter tuentur arcem ignorantiae, et optima ingenia, ubi intenduntur, valent, tradunt se se his deliramentis, fiunt in illis summi, siquidem in re infima et despicatissima quisquam summus esse potest, ita eos pessime mereri ajunt de toto studio Parisiensi, ut qui illud infame apud gentes omnes reddant, quod enim est tam tritum hominum sermone pro verbium, quam illud: Parisiis doceri juventutem nihil scire, atque adeo insane et ­loquacissime delirare? Reliquis omnibus in studiis, etsi sunt vana et futilia nonnulla, esse tamen solida multa, in unis Parisiis vix esse nisi nugacissimas nugas, debere Hispanos ejusmodi simul cum aliis omnibus qui eos sectantur, aut cogi ut aliis melioribus se se dederent disciplinis, aut edicto publico expelli tamquam corruptores et morum et eruditionis, nam per Gallos non stare quominus finis aliquando tandem fiat desipiendi; ita et me quoque increpant, qui pro mea parte vos, quis istic estis, meliorum non admoneo. Parum putas, mi Fortis, me plerumque hisce verbis commotum? Non quod eos falsa dicere crederem (quis enim rem ipsam ita se habere non videt? Quam ipse tacita tua cogitatione satis agnoscis, non est opus ut quenquam nominem) sed quod ad eum modum de civibus deque conterraneis meis existimarent, de quibus omnibus patria quadam caritate nollem nisi quam optime ab omnibus et sentiri et praedicari; tum etiam quod ad me quoque partem illius vituperationis attinere existimarem, qui

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Die meisten Gelehrten machen dafür die dort [in Paris] ansässigen Spanier3 verantwortlich, die als unbesiegte Männer diese Schutzwehr der Unwissenheit eifrig verteidigen. Und weil große Talente sich immer in dem auszeichnen, worauf sie sich konzentrieren, tun sie sich auch in diesen Albernheiten hervor – sofern sich jemand in etwas hervortun kann, was niedrig und verachtenswert ist. Daher sagen [meine Freunde], dass [die Spanier] von allen Mitgliedern der Universität die geringste Achtung verdienen, weil sie [die Universität] mehr als alle anderen Nationen in Verruf bringen. Denn welche Bemerkung wird nicht regelmäßiger gehört als diese, dass »die Jugend d ­ arin unterrichtet wird, nichts zu wissen und nur wild und beredt ­Unsinn von sich zu geben«? An allen anderen Universitäten sind doch viele Lehrfächer sinnvoll, auch wenn einige eitel und wertlos sein mögen; allein in Paris gibt es kaum etwas anderes als leeres Wortgeklingel. Diese Spanier müssten sich daher mit allen ihren Anhängern entweder anderen und besseren Lehrfächern zuwenden oder durch ein öffentliches Edikt als Verderber der Sitten und der Bildung [von der Universität] ausgeschlossen werden. Denn für die [Nation der] Franzosen [an der Universität] kann dies nicht so bleiben, solchen Unsinnigkeiten muss ein Ende gesetzt werden. Meine Freunde schelten mich auch dafür, dass ich euch [­allen] nicht meinerseits, die ihr euch doch dort befindet, zu besseren Studien ermahne. Denkst Du, mein lieber Fortis, dass mich alle diese Worte unberührt ließen? Nicht deshalb, weil ich ihnen nicht glauben würde (denn wer sieht nicht, dass sich diese Sache so verhält? Denn auch Du selbst bist Dir dessen doch insgeheim bewusst und es ist nicht nötig, hier Namen zu nennen), sondern weil sie solch eine Meinung von meinen Mitbürgern und Landsleuten haben, von denen ich – aufgrund einer gewissen patriotischen Wertschätzung – nur möchte, dass von allen über sie nur das Beste gehört und gesagt wird. Zudem denke ich, dass ein Teil dieses Tadels auch mich betrifft, weil ich einst zu ihnen zählte.

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aliquando ex isto numero fui, nec sunt mihi adhuc asini omnes, et portentosa illa vocabula, tantum, alter, alius, uterque, incipit, desinit, immediate, obliterata, quae una est atque ea praecipua causa, quare de hac ista re loqui audeo; nam si haec quibus homines inepti gloriantur, nota mihi non essent, ne hiscere quidem in his auderem, novi enim quid confestim solita sua insolentia jactant: Damnat quia non intelligit. Verum Tu es ipse testis, sunt et alii condiscipuli mei, me non degustasse solum has insanias, sed etiam intima paene illarum penetrasse, modo intimum esse possit in re, quae utpote vitium, in immensum protenditur periculum si quis non credit: non haec gloriandi gratia dico, neque enim gloriae materiam ullam video. Utinam non tam in illis promovissem, quae quoniam tenero adhuc animo accepi, summoque cum studio, ideo tam tenaciter herent, ut elui nulla a me arte queant, et mihi vel invito occurrant, obversenturque praesenti in cogitatione! Sentio quanto sint plerumque impedimento, quum ad res meliores pergo, cogunt me interdum in gravissimis ludere, atque ineptire, et si quemadmodum magistri sunt qui illa docent, ita essent qui dedocerent, ut Timotheus ille musicus faciebat, ad hos ego me quam primum magna cum mercede conferrem, et sum modo in ea conditione, in qua olim princeps Graeciae Themistocles, qui Simonidi artem memoriae tradenti respondisse fertur: Malle se oblivisci quam recordari, ita et sunt mihi nonnulla quae tanti

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Denn ich habe bis zu diesem Tag alle die »Esel«4 und das damit einhergehende hochgestochende Vokabular – tantum [nur], alter [der eine oder der andere], alius [der andere], uterque [wer von beiden], incipit [er beginnt], desinit [er schließt], immediate [sogleich] – nicht vergessen, was ein – und der wesentliche – Grund ist, aus dem ich über dieses Thema zu sprechen wage. Denn wenn ich nicht mit diesen Dingen vertraut wäre, auf die törichte Menschen stolz sind, könnte ich es nicht wagen, sie auch nur zu erwähnen, weil ich doch weiß, was sie darauf mit ihrer üblichen Arroganz erwidern: »Er verurteilt es, weil er es nicht versteht.« Doch Du bist ebenso wie andere meiner Kommilitonen Zeuge, dass ich mit diesen Unsinnigkeiten nicht nur herumgespielt habe, sondern dass man von mir sagen kann, dass ich sie in ihrer Tiefe behandelt habe, wenn es überhaupt Tiefe in etwas geben kann, das – da es falsch ist – sich auf unzählige Gefahren ausdehnt, wenn man es nicht bemerkt. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, weil ich keinen Grund zum Prahlen sehe. Ich wünschte vielmehr, ich hätte niemals so große Fortschritte in diesem Unsinn gemacht, der so tiefe Wurzeln in meinem empfindlichen Geist und meinem jugendlichen Enthusiasmus geschlagen hat, dass ich mich davon nicht freimachen kann, sondern dass er sich sogar gegen meinen Willen darbietet und meine Gedanken beherrscht. Ich merke selbst oft, ein wie großes Hindernis [dieser Unsinn] ist, wenn ich zu wertvolleren Dingen voranschreite, weil er mich zwingt, in ernsthaften Angelegenheiten den Narren zu spielen. Wenn es Lehrer geben würde, die diese Dinge vergessen machen, so wie es Lehrer gibt, die solche Dinge lehren, würde ich sie mit der größten Eile aufsuchen und ihnen eine große Belohnung geben, wie es auch der berühmte Musiker Timotheus5 getan hat. Ich befinde mich daher gerade in derselben Lage wie der griechische Stratege Themistokles, von dem berichtet wird, er habe Simonides, einem Lehrer der Gedächtniskunst, geantwortet, dass er lieber vergessen würde, als sich zu erinnern.6 So gibt es auch für mich einiges,

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face­rem dediscere, quanti alia addiscere permulta. Utinam ut pecuniam, vestes, libros, merces, et alia hujusmodi, ita et haec commutare donareve liceret! Sunt qui magno emunt haec scire, ego magno emerem ut his me illi exonerarent, ut sibi acciperent; ita facerent, ut ipsis quidem videretur, triplex emolumentum, et pecunia quam daturi essent, et quam acciperent, et istius ineruditae eruditionis, quae quid habeat dignum propter quod, non dico ut amplexari debeat, sed ut ne rejici ab omnibus publice tamquam pestis aliqua et ingeniorum corruptela debeat, quaeso ipsi vos perpendite, et intra se se unusquisque ferat sententiam. Ego, et in epistola, et quae ad Te tam prudentem virum scribitur, prolixus esse non possum, ac neque debeo, solum rei summas et capita colligam; Te et alios, si qui sunt, qui haec legent, precor, ne vos perturbatione aliqua rapi sinatis, sed advocata in consilium ratione, haec omnia aequis auribus et animo accipiatis, judicium, sententiamque nec voce nec tacita cogitatione ad finem usque feratis. Hoc igitur primum docemus in dialectica puerum, esse hanc viam ad reliquas disciplinas, at qua in disciplina utitur quisquam sana mente istis tam insuavibus et fatuis ineptiis: Tantum cujuslibet hominis praeter Sortem quilibet non asinus c. Et alterum c, ipsiusmet hominis nigrum contingenter incipit esse: desinit Angelus non a quodlibet a, et b, Angelus non esse: Ne in illis quidem vocabulis quae quidam pro his substituunt: Tantum cujuslibet pres-

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für dessen Vergessen ich ebenso viel tun würde, wie dafür, vieles andere zu lernen. Wenn es nur möglich wäre, diese Dinge wegzugeben, wie man es mit Geld, Kleidung, Büchern, Gütern und anderen derartigen Sachen tut! Es gibt Leute, die einen stattlichen Preis zahlen, um solche Dinge zu lernen, ich hingegen würde genauso viel dafür bezahlen, dass sie mich davon befreien und sie für sich behalten. Auf diese Weise würden sie einen dreifachen Gewinn machen, wie sie sicher sehen würden: nämlich das gesparte Geld, das sie für die Aneignung [dieses nutzlosen Wissens] hätten zahlen müssen, das Geld, das sie von mir bekommen würden, und das Geschenk dieser ungebildeten Bildung. Ich bitte Dich, nicht die möglichen Vorteile dieser Bildung zu betrachten, sondern vielmehr das, was sie davon abhält, öffentlich als eine Art von Krankheit und Verderbnis vernünftiger Geister zurückgewiesen zu werden. Ich bitte euch alle, das zu überdenken und jeden selbst entscheiden zu lassen. Ich kann und sollte in einem Brief, der an einen so klugen Mann wie Dich gerichtet ist, nicht zu wortreich sein und daher nur das Wichtigste zusammentragen. Ich bitte Dich und alle anderen, die das lesen mögen, dass Ihr Euch nicht durch Affekte verstören lasst, sondern dass Ihr, durch den Ratschluss der Vernunft geleitet, das alles mit unvoreingenommenen Ohren und freiem Geist aufnehmen möget und dass Ihr von einem Urteil oder einer Entscheidung – sei es ausdrücklich, sei es schweigend – bis zum Ende [dieses Briefes] abseht. Das Erste, was wir einem Jungen über die Dialektik7 [d. h. hier immer: die Logik] beibringen, besteht darin, dass sie der Weg zu den anderen Lehrfächern ist8; doch in welchem Lehrfach benutzt jemand, der bei klarem Verstand ist, solche unschönen und plumpen Absurditäten wie diese: »Nur jeder beliebige nicht-Esel C eines beliebigen Menschen außer Sokrates und ein weiteres C desselben Menschen beginnt kontingent schwarz zu sein.« »Ein Engel nicht-A eines beliebigen A und B hört nicht auf, ein Engel zu sein.« Es wird auch nicht besser, wenn einige dafür gewisse Wörter einsetzen: »Solange eine Ge-

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byteri et alius alterius presbyteri quodlibet sacerdotium non curatum praeter quam canonicatus necessario non est. Tum dialecticam quis non videt scientiam esse de sermone? Quod ostendit ipsa Graeca nominis ratio, διαλεκτικὴ και λογικὴ uti est rhetorice, uti et grammatice. Jam de quo quaeso sermone est ista vestra dialectica? De Gallicone an de Hispano? an de Gothico? an de Vandalico? Nam de Latino certe non est; dialecticus enim iis uti debet verbis, iis enuntiationibus, quas nemo non intelligat qui sciat linguam illam, qua is loquitur, velut Latinam, si latine se dialecticus profitetur disserere, Graecam, si graece; at isti non dico non intelliguntur a doctissimis latine, cum se latine dicant loqui, sed interdum ne ab hominibus quidem ejusdem farinae, seu ejusdem potius furfuris. Sunt enim pleraque, quae nosse nemo potest nisi is qui confinxit, multa, quae tamquam Apollinis oracula mire contecta et convoluta, explicatore aliquo et interprete divinae mentis egent: tunc omnia fere, quae in syllogismis, in oppositionibus, in conjunctionibus, disjunctionibus, explicationibusque enuntiationum, tractantur, aliud non sunt, nisi quaestiones illae divinandi, quas sibi invicem pueri et mulierculae inter lusus proponunt: Quae res est, quae ex alto decidens non rumpitur, in aquam si ceciderit, dissolvitur? Similie prorsus est illud, quod isti semper habent in ore: Da casum. Quid enim aliud is sibi vult, nisi, dic mihi: Quae res est, quae est hominis quilibet asinus, non tamen est qui­ libet asinus hominis? Quod si tu divinaris quid illud sit, quod sub illis verborum involucris contectum latet, quid alter mutire possit non habet, ut ille, qui cum proposuisset: Quid esset terrigena, tardigrada,

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meinde nicht von irgendeinem Priester oder von irgendeinem anderen Priester kuratiert wird, ist sie notwendig nicht mehr als ein Kanonikat.« Wer sieht weiterhin nicht, dass die Dialektik die Wissenschaft von der Sprache ist, wie doch der griechische Name selbst zeigt: dialektiké kai logiké, was sich auf die Verbindung von Rhetorik und Grammatik bezieht? Doch zu welcher Sprache gehört, frage ich, eure Dialektik? Französisch oder Spanisch? Gothisch oder Vandalisch? Denn sie hat sicher nichts mit Latein zu tun. Ein Dialektiker sollte doch Wörter und Sätze benutzen, die jeder verstehen kann, der dessen gesprochene Sprache kennt, nämlich Latein, wenn der Dialektiker auf Latein zu sprechen versichert; und Griechisch, wenn er auf Griechisch spricht. Doch diese Menschen, die Latein zu sprechen vorgeben, werden nicht nur von Menschen nicht verstanden, die in der lateinischen Sprache äußerst bewandert sind, sondern sogar nicht von solchen desselben Mehls – oder vielmehr derselben Kleie.9 Denn viele ihrer Äußerungen kann keiner außer dem verstehen, der sie erfunden hat; und viele weitere sind so wunderbar versteckt und eingehüllt wie die Orakel Apollons, dass sie einen Erklärer und Interpreten von wirklich göttlicher Verstandeskraft benötigen. Daher ist fast alles, was in ihren Syllogismen, Gegensätzen, Zusammensetzungen, Disjunktionen und Erklärungen behandelt wird, nichts anderes als die Rätsel, die sich Kinder und klatschende Frauen zum Zeitvertreib ausdenken, wie zum Beispiel: »Was ist das, das von oben herunter fällt, ohne zu zerbrechen, das sich aber auflöst, wenn es ins Wasser fällt?« Das ist doch dem vollständig ähnlich, was sie immer im Munde führen: »Gib ein Beispiel an.« Inwiefern unterscheidet sich das, sag mir das bitte, denn von dem Folgenden: »Welche Sache ist eines Mannes jeder Esel, doch nicht jeder Esel, der zu einem Mann gehört?« Wenn Du dann raten würdest, welche Antwort hinter diesen Wortumhüllungen verborgen liegt, hätte Dein Gesprächspartner als Entgegnung nichts zu murmeln, wie es sich auch bei dem Mann verhielt, der als ein Rätsel vorschlug: »Was ist

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domiporta, sanguine cassa? Dictumque ei fuisset esse cochleam, obticuit, neque enim aliquid illi erat quod adjicere suae quaestioni valeret; quare praeclare agitur cum istis hominibus, quod disputant, licet corruptissime, licet pessime, aliqua tamen specie sermonis latini, nam si a vulgo tales dementiae intelligerentur, tota opificum turba illos e civitate supploderet, sibilis, clamoribus, strepituque suorum instrumentorum ejiceret tamquam stupidos quosdam homines, et carentes sensu communi, quales sunt omnes fere, qui istis in rebus versantur. An putat quispiam Aristotelem suam dialecticam ad sermonem, quem ipse sibi confinxerat, et non potius ad vulgarem illum Graecum, quem totus populus loquebatur, accommodasse? Mira profecto istorum dialectica, cujus sermonem, quem ipsi latinum esse volunt, Cicero, si nunc resurgeret, non intelligeret; quod non minus profecto vitium in dialectica est, quam si in grammatica, si in rhetorica, sermone quisquam utatur, quem ipse sit commentus, non quo ceteri homines utantur; sunt enim hae tres artes de sermone, quem a populo accipiunt, non ipsae tradunt; nam prius fuit sermo latinus, prius graecus, deinde in his formulae grammaticae, formulae rhetoricae, formulae dialectices observatae sunt, nec ad illas detortus est sermo, sed illae potius sermonem sunt secutae, et ad eum se se accommodarunt, neque enim loquimur ad hunc modum latine, quia grammatica latina ita jubet loqui, quin potius e contrario, ita jubet grammatica loqui, quoniam sic Latini loquuntur; res eodem modo se habet in rhetorice et dialectice, quarum utraque in eodem ser-

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das, das erdgeboren, langsam gehend, haustragend und blutlos ist?« Als ihm die Antwort gegeben wurde, dass es sich dabei um eine Schnecke handeln müsse, schwieg er, weil es nichts mehr gab, was seiner Frage hinzugefügt zu werden wert gewesen wäre. Daher ist es nur gut für diese Männer, dass sie – wie verdorben und schlecht auch immer – doch zumindest in einer gewissen Form von Latein disputieren, denn wenn diese Unsinnigkeiten von den normalen Menschen verstanden werden würden, würde die ganze Menge der Handwerker sie als dumme Menschen ohne gesunden Menschenverstand – was doch fast alle von ihnen sind, die sich mit solchen Torheiten abgeben – mit Gepfeife, Geschrei und dem Geklirre ihrer Handwerkszeuge aus der Stadt treiben. Denkt denn irgendjemand, dass Aristoteles seine Dialektik einer von ihm selbst erfundenen Sprache angepasst hat und nicht vielmehr der verbreiteten griechischen Sprache, die vom ganzen Volk gesprochen wurde? Die Dialektik solcher Leute, deren Sprache, von der sie sagen, dass sie Latein sein soll, nicht einmal von Cicero verstanden würde, wenn er heute wiederauferstünde, ist wirklich erstaunlich. Es ist in der Dialektik sicher ebenso falsch wie in der Grammatik oder der Rhetorik, wenn jemand anstatt der Sprache der übrigen Menschen eine Sprache benutzt, die er sich selbst ausgedacht hat. Denn diese drei Künste behandeln die Sprache10, die vom Volk ausging und die nicht durch [die Künste] selbst entwickelt wurde: Zuerst gab es nämlich die lateinische und die griechische Sprache, woraufhin in ihnen erst später grammatische, rhetorische und dialektische Vorschriften beobachtet wurden. Die Sprache wurde nicht verdreht, um zu den Vorschriften zu passen, sondern die Regeln folgten der Sprache und wurden ihr angepasst. Wir sprechen Latein schließlich nicht auf eine bestimmte Art, weil die lateinische Grammatik uns so zu sprechen vorschreibt, sondern die Grammatik empfiehlt uns im Gegenteil auf eine bestimmte Art zu sprechen, weil Latein nun einmal so gesprochen wird. Dasselbe gilt auch für die Dialektik und Rhetorik, die beide von derselben Sprache abhängig sind wie

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mone versatur, quo grammatica: unde est illud verum et falsum praesupponere congruum: dialectica itaque in hoc vulgari, et qui est omnium in ore sermo, verum, falsum, probabilitatem invenit, rhetorice vero ornatum, splendorem, gratiam, quae qui ignorat, is profecto imperitissimus est, et in portu impingit, ac velut Cantherius ille Sulpitii Galbae, longum ingressus iter, in porta cadit, quumque in exordio suae disciplinae fallatur, necesse est ab illa eo longius aberret, quo magis promoverit; quod si quisquam fuerit qui haec pertinaciter et verbis et animo pernegarit, huic ego consulo, quisquis tandem fuerit, ut ne horulam ac ne momentum quidem moretur, quo minus quamprimum ­navim conscendat, et ad cerebrum helleboro ab insania liberandum, recta naviget Anticyras. Quamvis miror aliquem esse, qui haec ignorare possit, modo paullulum cogitationi de harum artium ratione velit intendere; nam ut in grammatica, non idcirco haec est latina oratio, Homo est albus, quod illa sic praecipit, nec in rhetorica schemata illa eloquutioni nitorem et cultum afferunt, quod rhetorica jubet, sed potius quod illam orationem populus Romanus, qui vere latine loquutus est, latinam judicavit; ideo grammaticus non jubet eam esse latinam, sed docet, et quia pulchra illustriaque vide­ bantur illa schemata loquentibus, idcirco rhetorica diligentia ea observata tradidit. Ad eundem modum in dialectica usu venit, non enim quia praecipit ipsa enuntiationem eam esse veram vel falsam, quae est de indicativo, eam non esse, quae est de aliis modis, continuo ita est, nec quia vult hanc esse conjunctionem sive conjunc­

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die Grammatik. Daher setzen das Richtige und das Falsche das Übereinstimmende [mit der Grammatik einer Sprache] vor­ aus. Aus diesem Grund entdeckt die Dialektik, was wahr, was falsch oder was wahrscheinlich in der verbreiteten Sprache ist, die jeder benutzt, während die Rhetorik die Zierde, den Glanz und die Anmut des Ausdrucks auffindet. Wer das nicht weiß, ist wirklich unglaublich unfähig; er zerschlägt sein Schiff schon im Hafen oder er bricht, wie der Klepper von Sulpicius Galba11, schon an den Stadttoren zusammen, bevor er sich überhaupt auf den Weg machen kann. Ähnlich geht es auch jedem, der vom Beginn seiner Ausbildung an auf dem falschen Weg ist: Je mehr er voranschreitet, desto mehr irrt er ab. Wenn es noch immer jemanden geben sollte, der so starrköpfig ist, das in Worten oder Gedanken zu verneinen, dann rate ich ihm, unverzüglich ein Schiff nach Antikyra zu besteigen, um sich von seinem Wahnsinn mit einer Prise Nieswurz zu heilen.12 Aber ich wäre doch erstaunt, wenn es noch immer jemanden geben würde, der das nicht verstehen könnte, wenn er sich nur ein wenig Gedanken über die zugrunde liegenden Vernunftgründe dieser Künste machte. In der Grammatik zum Beispiel ist der Satz »homo est albus« [der Mensch ist weiß] nicht deshalb ein lateinischer Satz, weil die Grammatik das vorschreibt, und in der Rhetorik geben Redewendungen einer Rede nicht deshalb Glanz und Kultur, weil die Rhetorik das befiehlt, sondern vielmehr, weil das römische Volk, das wirkliches Latein sprach, diesen Satz für einen lateinischen Satz hielt. Deswegen schreibt der Grammatiker auch nicht vor, dass [dieser Satz] lateinisch ist, sondern er lehrt, dass er es ist; und da einige Redewendungen den Sprechern schön und verziert vorkamen, hat die Kunst der Rhetorik diese Beobachtungen sorgfältig überliefert. Die gleiche Rolle spielt der Gebrauch auch in der Dialektik: Denn er allein bestimmt, ob eine bestimmte Aussage im indikativen Modus wahr oder falsch ist oder ob eine andere Aussage in einem anderen Modus nicht wahr oder falsch ist. Der Satz:

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tivam: Homo est animal, et animal est corpus, aut hanc esse disjunctivam: Tu es albus, vel tu es niger, protinus et ita res habet, nam antequam ulla dialectica inveniretur, ea erant, ut dialecticus esse docet, quae idcirco docet, quoniam loquentium sive Latine sive Graece consensus approbat, quapropter praecepta dialectices non minus, quam grammatices atque rhetorices, ad usum loquendi communem aptanda sunt. Verum isti qui sophistae nominantur, quoniam ingenium eis deerat, et eruditio, qua quidvis auditori et contra disputanti verisimiliter probare possent, idque vulgaribus notisque vocabulis atque orationibus, quibus unusquisque uti debet tamquam numis quibus publica forma est, quod erat verum dialectici munus, confinxerunt ipsi sibi nescio quos vocabulorum significatus, contra omnem hominum consuetudinem et usum, et tunc vicisse videantur, cum non intelliguntur. Nam cum intelliguntur, tunc plane nihil frigidius, nihil dementius fieri posse omnes vident: ita turbato eo, quicum certant, mira et inusitata vocabulorum forma atque ratione, miris suppositionibus, miris ampliationibus, restrictionibus, appellationibus, ipsi tunc sibi ipsis nullo publico consilio atque sententia decernunt triumphum de hoste novis verborum praestigiis turbato, non victo. Etenim quis Cato, Laelius, Cicero, Caesar, Salustius, Livius, Quintilianus, Plinius, et qui primus de dialectica scripsisse latine fertur, M. Varro non haereat:

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»Der Mensch ist ein Lebewesen, und ein Lebewesen ist ein Körper« ist nicht deshalb eine konjunktive Aussage, weil die Dialektik das so vorschreibt; und der Satz: »Du bist weiß oder du bist schwarz« ist aus diesem Grund ebenso wenig zwangsläufig eine disjunktive Aussage, denn diese vom Dialektiker gelehrten Regeln existierten schon, bevor es die Dialektik überhaupt gab. Er [der Dialektiker] lehrt [diese Regeln] doch nur, weil die übereinstimmende Meinung der Sprechenden, sei es im Griechischen, sei es im Lateinischen, sie gutheißt. Daher müssen auch die Regeln der Dialektik, ebenso wie die Regeln der Grammatik und der Rhetorik, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen. Doch diese sogenannten Sophisten müssen ihren Mangel an Talent und Bildung ja irgendwie kompensieren, was sie davon abhält, gegenüber einem Hörer oder einem Gesprächspartner einen vernünftigen Erfolg in einer Debatte durch gebräuchliche und allgemeinverständliche Worte zu erringen, die alle gleichsam einer öffentlichen Prägung entstammen, was doch einst die eigentliche Aufgabe des Dialektikers war. Stattdessen haben sie für sich selbst bestimmte Bedeutungen von Wörtern gegen jeden Gebrauch und gegen jede Gewohnheit der Menschen erfunden, sodass sie nur deshalb als Sieger erscheinen können, weil sie nicht verstanden werden. Denn wenn sie verstanden werden, sehen alle, dass es nichts Trivialeres und Unsinnigeres geben kann. Wenn ihr Gesprächspartner aber erst einmal durch seltsame und ungebräuchliche Wortbedeutungen und Wortformen, durch wunderbare Suppositionen, wunderliche Verschiebungen, Restriktionen und Bezeichnungen genug verwirrt worden ist, beschließen sie für sich selbst – ohne öffentliche Entscheidung oder Urteil –, dass Sie einen Sieg über den Widersacher errungen hätten, der aber nicht besiegt, sondern durch ihre Blendwerke nur getäuscht worden ist. Würden nicht sogar Cato, Laelius, Cicero, Sallust, Livius, Quintilian, Plinius und Marcus Varro (der als der erste lateinische Schriftsteller gilt, der über die Dialektik geschrieben hat), bei den folgenden Sätzen13 steckenbleiben:

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Si quis istorum cum sit ebrius, Jovem lapideum juret, se vinum non bibisse, quia vinum quod est in India non biberit. Si cum videat regem Galliae maxima famulorum manu stipatum, alter ajat, Regem hunc famulos non habere, quia non ejus sint illi, qui Regi Hispaniae famulantur. Tum etiam si asserat, Varronem cum sit homo, hominem tamen non esse, quia Cicero non ipse sit Varro; caput nullum hominem habere, cum tamen nullus homo capite careat; plures esse non Romani quam Romani in hac aula, in qua sunt Romani mille Hispani duo; omnesque homines, qui sunt in orbe esse non videntes, quia sunt caeci nonnulli; cujusvis hominis asinum et animal non esse, et non esse animal, ne asinum quidem, quum adhuc nullus sit visus asinus, qui non sit et animal et asinus; si dicat quoque meretricem in lupanari multis prostratam annis, virginem fore, et e diverso, virginem castissimam jamdiu prostrasse, et scorteum fuisse; et, non vendi piper Parisiis et Romae, quum nec Parisiis, nec Romae piper gratis quisquam accipiat, sed bona bene numerata et bene appensa

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»Ein betrunkener Mensch kann bei einem steinernen Abbild von Jupiter schwören, keinen Wein getrunken zu haben, weil er nicht den Wein getrunken hat, der sich in Indien befindet.« »Wenn er den König von Frankreich sieht, der von einer Gruppe seiner Diener umgeben ist, hat dieser tatsächlich gar keine Diener, weil er nicht die Diener hat, die dem König von Spanien dienen.« »Obwohl Varro ein Mensch ist, ist er doch kein Mensch, weil Varro nicht Cicero ist.« »Kein Mensch hat einen Kopf, obwohl es wahr ist, dass kein Mensch keinen Kopf hat.« »Es befinden sich mehr nicht-Römer als Römer in dieser Halle, in der sich tausend Römer und zwei Spanier befinden.« »Alle Menschen der Welt sind nicht-sehend, weil es einige blinde Menschen gibt.« »Jeder Esel der Menschen ist zugleich ein Tier und kein Tier, nicht einmal ein Esel, weil bisher kein Esel gesehen worden ist, der nicht zugleich ein Tier und ein Esel ist.« »Eine Dirne, die sich viele Jahre in einem Bordell prostituiert hat, wird eine Jungfrau sein, und umgekehrt: die keuscheste Jungfrau war für eine lange Zeit eine Dirne und eine Prostituierte.« »Pfeffer wird in Paris und in Rom nicht verkauft, weil keiner  – weder in Rom noch in Paris – Pfeffer umsonst bekommt, sondern es gut abgezählt und abgewogen mit gutem Geld kauft.«

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pecunia emat; Socratem quoque in carcere clausum, unumque aliquod sidus videntem, videre omne sidus, quum non omne sidus videat; et hoc axioma, sive ut Cicero transfert pronuntiatum, esse verum: Omnis homo qui filium habet, est pater, quum hoc sit falsum: Omnis homo est pater, qui filium habet; Socratem et hunc asinum esse fratres; duas enuntiationes contradictorias, etiam in sensu contradictorio veras esse. Ita ut nemo sit tam imperterritus et confidens, qui quum videat haec monstra, non ilico Herculis illius monstrorum depulsoris opem cogatur implorare. Transeo illa, quae magis ad risum faciunt ex sua tanta fatuitate: Antichristus et Chimaera sunt fratres; nihil et nemo mordent se in sacco; Asinus Antichristi est filius Chimaerae: atque haec quidem viderent utcumque latine esse dicta, illa vero ausim dejerare in toto Latio, et antiquo et novo, neminem unquam fuisse qui latina esse putasset: Omnes duo Apostoli Dei, et alii duo Apostoli Dei sunt duodecim: Omnes omnes Apo-

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»Der im Gefängnis eingesperrte Sokrates sieht alle Sterne, wenn er einen Stern sieht, obwohl er nicht alle Sterne sehen mag.« Dieses Axiom [axioma] (oder diese Aussage [pronuntiatio], wie Cicero14 es übersetzt) ist wahr: »Jeder Mann, der einen Sohn hat, ist ein Vater«, während dieses [Axiom] falsch ist: »Jeder Mann ist ein Vater, der einen Sohn hat.« »Sokrates und dieser Esel sind Brüder.« »Zwei sich widersprechende Aussagen sind trotz ihrer sich widersprechenden Bedeutungen wahr.« Niemand kann so unerschrocken und mutig im Angesicht dieser Monstrositäten sein, dass er nicht die Hilfe von Herkules, dem legendären Monstertöter, erflehen würde. Ich übergehe weitere Beispiele, die aufgrund ihrer Albernheit noch lächerlicher sind: »Der Antichrist und die Chimäre sind Brüder.« »Nichts und Niemand beißen einander in einem Sack.« »Der Esel des Antichrist ist der Sohn der Chimäre.« Diese Aussagen scheinen zumindest in irgendeiner Form von Latein geschrieben worden zu sein. Doch ich würde tatsächlich zu schwören wagen, dass es in der gesamten lateinischsprachigen Welt, sowohl in der antiken als auch in der zeitgenössischen, niemals jemanden gab, der die folgenden Sätze als Latein betrachten würde: »Alle zwei Apostel Gottes und weitere zwei Apostel Gottes sind zwölf.«

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stoli Dei sunt in hac aula; non non homo non possibiliter non currit; negationibus aliis super alias in pronuntiatio inculcatis et infartis, tamquam in cophino caricis aut uvis passis: tum accedunt haec non minus egregia: Quodlibet qualelibet de quolibet tali scit ipsum esse tale, quale ipsum est; ipsiusmet hominis quilibet asinus, non asinus et non asinus est; ipsemet homo est quilibet homo; tantum homo et alter alius homo sunt g. ipsiusmet hominis et a. quilibet asinus hominis est; sortis et alterius f. materia ipsiusmet f. et quilibet homo sunt; quilibet homo non praeter non Sortem non currit; Sortes non inquantum non homo non est animal. Quid illa?: c. hominis quasi quilibet asinus est b. non animal, a. homo et quilibet quasislibet non Sortes uterque alter homo et d. p. necessario sunt.

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»Alle alle Apostel Gottes sind in dieser Halle.« »Kein nicht-Mensch rennt möglicherweise nicht.« Zusätzlich zu all diesen Verneinungen, die wie getrocknete Feigen und Rosinen in einem Korb zusammengespresst und gestapelt sind, fügen sie noch diese nicht weniger ungeheuerlichen Beispiele hinzu: »Jedes von jeder Art weiß von jeder Sache, dass sie so ist, wie sie ist.« »Jeder Esel von einem Menschen ist zugleich nicht ein Esel und ein nicht-Esel.« »Nur ein Mensch und ein anderer zweiter Mensch sind G.« »Jeder Esel, der zu einem Menschen gehört, gehört zu jenem Menschen und A.« »Die Materie von Sokrates und eines anderen Menschen F ist von dem gleichen Menschen F und sie sind jedermann.« »Jeder Mensch außer nicht Sokrates rennt nicht.« »Sokrates ist nicht, soweit er nicht ein Mensch ist, kein Tier.« Und was ist mit diesen [Beispielen]: »Von einem Menschen C ist jeder Esel das nicht-Tier B.« »Ein Mensch A und jeder nicht-Sokrates jeder Art sind jeweils notwendig ein anderer Mensch und D sowie P.«

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Ut a. b. c. d. faciant illas suppositiones confusas, determinatas, et ex his mistas. Adde etiam commistiones majores, quam ullus unquam pharmacopola facit, e. f. g. h. i. k. ita ut nonnulli ad decimam usque litteram secundi alphabeti jam recurrerint, mira suppositionum genera somniantes et confudentes; inviderunt scilicet isti homines mathematicis, quod illi soli litteris uti viderentur, ideo et ipsi quoque totum alphabetum suos in usus trans­tulerunt, ut nemo sit cum haec videat, qui possit negare ejusmodi homines esse litteratissimos. Verum cum ad mathematica pergunt, si hoc unquam deus illis tribuit, offenduntur nonnihil, quod quid sibi elementa illa velint, parum sciunt; audio quendam ex his, cum se se geometriae studio dedisset, putasse lineam, quae signabatur per b. positam determinate, quae vero per a. eodem modo se habere, quo ipse, videlicet, confuse tantum, nam a. et b. tantarum sunt virium, ut totum confusum et indiscretum ordinem, aut infernorum, aut illius antiqui chaos, unicum b. praepositum possit reddere discretum et determinatum, et e contrario, rectissimum coelorum ordinem solum a. possit invertere atque confundere. Verum haec ipsi quum audiunt, ilico dicunt: Ego sic mente concipio: hoc est plane, quod in reliquis quoque faciunt, lutum luto purgare; primum, quis, nisi eorum stultitia et perversitas, jubet eos ad eum modum intelligere contra omnem usum rationemque loquendi? Deinde, quamvis ita concipiant, insolenter, atque adeo parum humane agunt, si sermone sibi solis noto proferant, et non aliorum more.

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Die [Platzhalter] A, B, C und D können diese Suppositionen also entweder unbestimmt, bestimmt oder zu einer Mischung aus beidem machen. Füge zu diesen Mischungen nun noch weitere hinzu, mehr als jeder Pharmakologe jemals erdacht hat: E, F, G, H, I, K – denn einige von ihnen erreichen sogar den zehnten Buchstaben des zweites Alphabets, während sie wundersame Suppositionen jeder Art erträumen und vermischen. Es ist deutlich, dass diese Menschen die Mathematiker beneidet haben, weil nur sie Buchstaben benutzt zu haben scheinen. Daher haben diese [Dialektiker] auch das gesamte Alphabet für ihren eigenen Gebrauch übernommen, sodass es keinen geben kann, der – wenn er solches sieht – abstreiten kann, dass derartige Leute sehr gelehrt sind. Doch wenn sie dann zur Mathematik voranschreiten (wenn Gott es ihnen gewährt), stoßen sie auf Hindernisse, weil sie gar nicht wissen, was alle diese Buchstaben bedeuten sollen. Ich hörte zum Beispiel, dass einer von ihnen, der die Geometrie studiert hatte, dachte, dass eine Linie B bestimmt gesetzt war, während die Linie A – wie er selbst – verworren war. Denn für seine Art zu denken sind die Buchstaben A und B so allumfassend mächtig, dass all die verworrene und chaotische Unordnung der Hölle oder des ursprünglichen Chaos höchstpersönlich, indem man sie einfach B nennt, erklärt und definiert werden könnten, während der magische Buchstabe A den regelmäßigen Ablauf des Weltalls umzustürzen und zu verwirren im Stande sein sollte. Doch wenn sie solches hören, sagen sie einfach: »Ich fasse das in meinem Geist so auf.«15 Das entspricht genau dem, was sie auch in allen anderen Bereichen machen: nämlich Schlamm mit Schlamm zu säubern. Erstens: Was ist es denn anderes als ihre eigene Dummheit und Torheit, die sie dazu zwingt, ihre Art des Verstehens der Dinge gegen jede gewohnte und vernünftige Sprache zu setzen? Zweitens: Wie auch immer sie es »auffassen« mögen, ist ihr Verhalten doch anmaßend und unmenschlich, wenn sie darauf bestehen, Worte zu benutzen, die nur ­ihnen bekannt und für jeden anderen unverständlich sind.

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Tum etiam, quis non videt artes, quae de sermone sunt, non ea tractare, neque curare, quae unusquisque vel delirans, vel ineptiens, sibi confinxit, sed ea quibus homines omnes utuntur, qui sermonem illium loquuntur? An si ignarus aliquis, per pronuntiatum hoc, Tu es flavus, intellexerit hominem esse leonem, protinus illud falsum erit, et non potius verum, quia ex suo vero significatu ita significat quemadmodum est in ipsa re? Nam sicut praeclare in libro de Legibus primo inquit Cicero: Vera et falsa et consequentia et contraria, sua sponte, non aliena dicantur: id ni ita esset, quid superest, nisi ut sunt isti latinae linguae imperitissimi, si quis ursum intelligat per aprum, et per galerum navem, velint quoque vocabula ad eum modum significare, quo ille prave intelligit? Mihi, inquit, ita notat: tibi vero quia ignarus; at alii docto, et ex sua vera significatione, secus: quaestio est de verbis, inquiunt: et vere de verbis, quae quia non capiunt, corrumpere volunt, nos defendimus; quod si legem unusquisque de verbis feret ut apud se significant, quid attinet, non dico latinam linguam, sed ne ullam prorsus addiscere, quum illud facilius sit verba id demum significare, quod unicuilibet visum fuerit, et quot erunt mente concipientes, tam varios habebunt significatus, ita tandem, ut nemo alterum intelligat, quum unusquisque verbis suo more utatur, non communi.

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Wer sieht außerdem nicht, dass Künste, die die Sprache behandeln, nichts mit den Erdichtungen zu tun haben, die sich eine wahnwitzige oder törichte Person eigenmächtig ausgedacht hat, sondern mit Bedeutungen, die alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft benutzen? Wenn ein Unwissender diese Aussage äußern würde: »Du bist blond« und darunter verstehen würde, dass »ein Mensch ein Löwe ist«, würde man das unmittelbar als falsch und nicht als wahr beurteilen, weil die wahre Bedeutung [der Aussage] mit dem übereinstimmen muss, was sie in Wirklichkeit bezeichnet. Wie Cicero es schon sehr klar in seinen Gesetzen gesagt hat: »Wahres und Falsches, das Folgerichtige und das Widersprüchliche werden nach eigenen, nicht nach fremden Maßstäben beurteilt.«16 Wenn das nicht so wäre, was würde dann jemanden davon abhalten, zu sagen, dass »Eber« eigentlich »Bär« bedeutet oder dass »Schiff« eigentlich »Hut« heißt – wobei diese unfähigsten aller Lateinsprechenden generell darauf bestehen könnten, dass Worte Bedeutungen haben, die nur mit ihren eigenen falschen Auffassungen übereinstimmen? Sie sagen dann: »Für mich bezeichnet [das Wort] eben dieses.« Ich antworte darauf, dass [das Wort solches für Dich bezeichnet], weil Du unwissend bist; doch für eine andere gebildetere Person ist es damit anders und hat seine wahre Bedeutung. Worauf sie erwidern: »Das ist doch nur eine Frage von Worten« – in der Tat eine Frage von Worten, die sie, weil sie sie nicht verstehen können, verderben wollen, während wir sie verteidigen. Denn wenn jeder seine eigenen Regeln bei Worten aufstellen würde, die nur seiner jeweils eigenen Auffassung von Wortbedeutungen entsprechen, welchen Sinn sollte das Erlernen einer Sprache überhaupt noch haben, von Latein gar nicht zu reden? Dann wäre es doch einfacher, dass Worte bedeuten, was jeder möchte, wobei es dann so viele verschiedene Bedeutungen geben würde, wie es Geister gibt, die sie auffassen – sodass am Ende keiner den anderen verstehen würde, weil jeder Worte nur in seiner eigenen und nicht in einer allgemein verständlichen Art verwenden würde.

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Tunc quoque si quis conqueratur, de verbis erit quaestio, quam vos gravissimi philosophi, quum de dialectica disputetis, contemnere vos dicitis, perinde ac dialectica, naturalis, vel moralis esset philosophia, quae modo rem, et sensa teneat, negligit verba, et non potius sit ars, quae non de rebus aliis quam de verbis disputat, quasi vero tota vestra Sophistica illa disciplina aliud quicquam sit, quam captiones ex depravatis verborum significationibus; quod si de his vos curare negatis, non videtis totam vestram Sophismatum nebulam uno verbo discussam esse? Verum hoc ipsi non jactant quousque verborum corruptiones quas ex sua ignorantia faciunt, aliquis deprehendit. Adde quod si haec, quam ita concipiunt, volunt dialecticen docere, imponant etiam eandem legem grammaticae, et rhetoricae, ac sua stulte excogitata in has quoque artes transfundant, jubeant grammaticum more suo loqui, ut ea quae dicunt, latinitati congrua esse videantur, nam alioqui non video qui possint ea defendere dialectica, vera, vel falsa, cum hoc isti in principio suae artis affirment, verum et falsum congruum sermonem exigere, id est plane sine soloecismis, ut de barbarismis taceam. Quid? Si concipiunt eum, qui sit vino inebriatus, vinum quod est in India non bibisse, cur non proferunt simplicius, et ad hominum sensum accommodatius? Hic homo vinum quod est in India non bibit, aut sic, vinum aliquod est, quod hic homo non bibit, aut, hic homo non omne vinum bibit, sive, nonnullum vinum non bibit. Similiter cur non dicunt: Tu nonnullus homo non es, aut,

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Falls jemand noch immer einwenden sollte, dass das nur eine Frage von Worten ist – die ihr äußerst ernsthaften Philosophen doch für sehr gering veranschlagt, wenn ihr über Dialektik disputiert –, so muss man darauf erwidern: als ob die Dia­lektik eine Art von Naturphilosophie oder Moralphilosophie wäre, die nur die Sache und den Sinn behandelt und Worten gegenüber gleichgültig wäre, anstelle einer Kunst, die vollständig mit Worten zu tun hat! Denn was ist eure sophistische Wissenschaft denn anderes als ein System von Wortklaubereien, das auf der entstellten Bedeutung von Worten aufbaut? Doch wenn ihr abstreitet, euch selbst um Worte zu viele Gedanken zu machen, seht ihr nicht, dass eure ganze Wolke von Sophismen sich durch ein einziges Wort aufgelöst hat? Das geben die Dialektiker freilich nicht zu, bis einer sie bei den Wortverdrehereien ertappt, die sie aufgrund ihrer Unwissenheit äußern. Wenn sie weiterhin das, was sie als Dialektik auffassen, lehren wollen, sollten sie dieselben Regeln auch auf die Grammatik und Rhetorik anwenden; sie sollten ihre törichten Erfindungen auch auf diese Künste ausdehnen und dem Grammatiker befehlen, auf ihre Art zu sprechen, damit ihre Aussprüche zumindest mit einer richtigen Latinität übereinzustimmen scheinen. Denn ich sehe nicht, wie sie ihre Dialektik anders verteidigen könnten, sei sie wahr oder falsch, da sie schließlich ganz zu Beginn ihrer Kunst behaupten, dass das Wahre und das Falsche beide einer geeigneten Sprache bedürfen – also einer Sprache ohne Solözismen17, von Barbarismen ganz zu schweigen. Wenn sie es zum Beispiel so »auffassen«, dass ein vom Wein betrunkener Mensch keinen Wein getrunken hat, der in Indien ist, warum sagen sie das nicht einfacher und in Übereinstimmung mit dem gesunden Menschenverstand: »Dieser Mensch hat keinen Wein getrunken, der in Indien ist.« Oder: »Es gibt einen gewissen Wein, den dieser Mensch nicht getrunken hat«, oder: »Dieser Mensch hat nicht allen Wein getrunken«, oder: »Manchen Wein hat er nicht getrunken,« Warum sagen sie ähnlich nicht: »Du bist nicht ein bestimmter Mensch« oder: »Du

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non es omnis homo, potius quam, tu homo non es, per quam nemo est, qui non intelligat, eum non esse hominem, de quo id dicitur? Tum si volunt dicere esse hominem omnem animal, non tamen hoc unum animal, aut illud, sed singulos homines esse singula animalia, quid attinet litterulas exquirere, animal est omnis homo, potius quam sic rectius effere, omnis homo est animal? Quid? Quaeruntne meliorem panem quam triticeum? Scio, quid dicent: non esse in illo simplici, genuino, vero ac recto loquendi modo locum cavillo, qui ab ipsis in primis quaeritur: ita ne? Vos ergo ut cavillum inveniatis totam sermonis rationem parati estis diruere, ut illi qui ut murem unum, pressi obsidione, invenirent, magnam muri partem demoliebantur; sed attendite quam id prudenter a vobis fiat: quae nam quaeso pot­est patere occasio cavillationi in verbis, quae tu tibi arbitratu confinxisti tuo? Si enim hominem aliquem appellares, et ea vox asinum tibi significaret, putas illum injuria affectum iri? Cavilli, joci, scommata, dicteria, contumeliae, injuriae, si verbis fiant, non dico ab eo qui dicit confictis, nemini notis, nam hoc stultissimum est, sed si obscuris jactentur verbis, frigida et insulsa sunt, nihil plane valent. Daphyta, Euthydemus, Dionysodorus, et reliqui olim qui cavillabantur, vocabulis, orationibus, quibus utebantur omnes, subdola quadam et latenti ratione ludentes, fallebant versabant-

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bist nicht jeder Mensch«, anstelle von: »Du bist kein Mensch«, worunter doch jeder verstehen muss, dass der Mensch, von dem gesprochen wird, kein Mensch ist? Wenn sie weiterhin sagen wollen, dass jeder Mensch ein Lebe­ wesen ist, und zwar nicht dieses oder jenes Lebewesen, sondern, dass bestimmte Menschen generell bestimmte Lebewesen sind, was bringt es dann, sich Wortspielereien wie: »Ein Lebewesen ist jeder Mensch« auszudenken, als einfacher und richtiger zu sagen: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen«? Warum machen sie das? Verlangen sie etwa nach besserem Brot als der Weizen, aus dem es gemacht ist? Ich weiß natürlich, was sie darauf erwidern werden: dass es in dieser einfachen, natürlichen, wahren und richtigen Sprechweise keinen Raum für die Arten von Kritteleien gibt, nach denen sie doch in erster Linie suchen. Ist es nicht so? Um eine Gelegenheit zum Herumkritteln zu haben, seid ihr bereit, das ganze Gebäude der Sprache zum Einsturz zu bringen, so wie die Menschen in einer belagerten Stadt einen Großteil der Stadtmauer zerstört haben, um eine einzelne kleine Maus zu finden. Doch haltet kurz inne und überlegt, ob das klug von euch ist. Ich frage Dich: Welche Möglichkeit der Krittelei gibt es denn, wenn Du Worte benutzt, die Du Dir selbst nach Deiner Laune ausgedacht hast? Wenn Du jemanden einen »Menschen« nennst, wobei das Wort für Dich »Esel« bedeutet – glaubst Du etwa, er wird dadurch beleidigt sein? Wenn Kritteleien, Spielereien, Sticheleien, Sarkasmen, Beleidigungen und Beschimpfungen in Worten formuliert werden, die allein von einem Sprecher ausgedacht und jedem anderen unbekannt sind, ist das schon töricht genug; doch wenn ihre Bedeutungen dann auch noch dunkel sind, sind sie so vollständig witzlos und trivial, dass sie überhaupt keinen Wert haben. Daphitas18, Euthydemus19, Dionysodorus20 und andere, die einst solche subtilen Disputationen betrieben, haben ihren Gesprächspartner wenigstens durch allgemein gebräuchliche Worte und Sätze getäuscht und den Kopf verdreht, indem sie

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que respondentem; Aristoteles ipse, quum duobus elenchorum voluminibus sophisticas praestigias tractet, viamque illarum vitandarum aperiat, non earum modo quae jam antea fuerant, sed etiam quae inveniri postea poterant, ut fuit vir ille divino ingenio, indefesso, et singulari, redactis omnibus more suo in praecepta, formamque artis, nullius tamen unquam adeo ridiculi, seu pot­ ius impudentis, sophistici elenchi meminit, qui novis inusitatisque vocabulis excogitatis, aut veterum verborum significatione mutata, eludere ac fallere tentaret; et hoc loco subinde illud detortis nutibus magno cum fastidio objectant: Nomina significant ad placitum. Sane ita est: sed videndum est tamen ex quorum placito et voluntate nomina significent, non enim arbitrio Parthorum, aut Indorum, significant nomina Romana, nec e contrario pro Romanorum libito significant Parthica vel Indica, sed pro arbitrio Romanorum Romana, pro a­ rbitrio Parthorum Parthica. Si ego dialecticam Vivicam, Tu Forticam, ille Laxeam, alius Dullardiam profitemur, certe ut nobis collibitum fuerit, vocabula significabunt, sin vero latinam dialecticam pollicemur omnes, ex instituto moreque latinorum significabunt voces, non ex nostro, indignumque et stultum est in dialectica latina nominibus uti Geticis, aut Sarmaticis, ac ne iis quidem, sed verbis

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mit deren verborgenen und listigen Bedeutungen gespielt haben. Aristoteles aber zeigt – wenn er in seinen zwei Büchern der Sophistischen Widerlegungen21 die sophistischen Tricks behandelt – den Weg zur Vermeidung solcher [Blendwerke]: nicht nur solcher, die es schon gab, sondern auch solcher, die in der Zukunft vielleicht erfunden werden würden, weil er ein Mann von göttlichem, einzigartigem und unermüdlichem Verstand war, der diese ganze Angelegenheit in seiner typischen Art auf die Vorschriften und die Form einer Kunst zurückgeführt hat. Dennoch erwähnt er keine sophistischen Argumente, die so lächerlich und unverschämt sind, dass sie ihre Täuschungen durch neue und ungebräuchliche Worte erreichen müssen, die nur für diese Gelegenheit erfunden worden sind, oder dass sie sich auf veränderte Bedeutungen alter Worte stützen müssen. Hier entgegnen [die Dialektiker] natürlich immer mit Gezwinker über die Schultern und hochmütigem Getue: »Benennungen bezeichnen, wie es gefällt.« Sicher ist das richtig: doch trotzdem muss man verstehen, nach wessen Gefallen und Wunsch Benennungen bezeichnen. Römische Worte können keine Bedeutungen gemäß dem Gutdünken der Parther oder Inder ­haben, noch können parthische und indische Benennungen auf der anderen Seite Bedeutungen haben, die ihnen von römischen Worten verliehen werden; sondern römische Benennungen werden durch den Willen der Römer bestimmt und parthische durch den Willen der Parther. Wenn ich öffentlich eine Vives’sche Dialektik verkünden würde, Du eine Fortis’sche, jener wiederum eine Lax’sche22 und der nächste eine Dullaert’sche23 Dialektik, ist wohl sicher, dass Worte immer das bezeichneten, was uns gefällt. Doch wenn wir alle versprechen wollen, eine lateinische Dialektik zu benutzen, dürfen die Worte nicht nur für uns Bedeutungen haben, sondern sie müssen gemäß der Einrichtung und dem Gebrauch der lateinischen Sprache bezeichnen. Deswegen ist es in der lateinischen Dialektik schändlich und töricht, getische24 oder sarmatische25 Worte zu benutzen oder nicht einmal solche; sondern

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nullarum gentium a nobis exominiatis; nam ex istis ipse pervellem audire, si dialecticam vel hispane vel gallice essent tradituri, quod tam fieri potest, quam latine, aut graece. Num regulas suo ipsorum arbitratu, et non potius ex ipsius sermonis ratione formarent? An quemadmodum in latina lingua duae negationes unam affirmationem reddunt, ita et esse vellent in hispana, in gallica, in graeca, apud quas, uti et apud reliquas fere omnes, negatio geminata majorem habet negandi vim quam simplex? Quod si in dialectica, aliis linguis tradenda, leges accipere ab ipso usitato sermone, non ferrent, cur in lingua liberrimi populi Romani hanc volunt exercere tyrannidem, ut cogant ipsam a se hominibus infantissimis, et barbarissimis, loquendi leges accipere? Huc pertinet illud quod passim jactant, de rigore, ut quod haec enuntiatio, Tu homo non es, ad bonum quidem sensum sit falsa, ad rigorem autem vera: idcirco ab eis conceditur, quia carent bono sensu, et cum solo rigore loquuntur quavis glacie frigidiore: ac volunt quidem rigorem hunc a solis dialecticis et intelligi, et peti, et quamlibet nihil magis habeant in ore quam rigorem, moriar tamen, si ullus illorum scit quid est hic rigor, et ubi situs est; sed ut intelligant quod ipsi omnes ignorant, prudentius­que

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Worte, die zu gar keinem Volk gehören und die wir nur für uns selbst erfunden haben. Ich würde von diesen Leuten tatsächlich gerne wissen: Wenn sie Dialektik auf Spanisch oder Französisch unterrichten würden – was ebenso gut vorstellbar ist wie auf Latein oder Griechisch –, würden sie dann auch Regeln nach ihrem Wohlgefallen erfinden, anstatt die Regeln zu benutzen, die ihnen die Struktur dieser Sprachen vorgibt? Im Lateinischen ergeben zwei verneinende Aussagen zum Beispiel eine bejahende; würden sie auch wollen, dass sich das auf Spanisch, Französisch oder Griechisch so verhält, wo (wie auch in fast allen anderen Sprachen) eine doppelte Verneinung dort doch eine größere verneinende Kraft hat als eine einzelne [Verneinung]? Doch wenn sie die Regeln des Sprachgebrauchs in anderen gesprochenen Sprachen in der Dialektik beachten würden, warum wollen sie dann Tyrannei über die Sprache des freien römischen Volkes ausüben, indem sie [die Sprache] zwingen, Sprachregelungen von Menschen zu akzeptieren, die so unglaublich unkultiviert und barbarisch sind wie sie? Das erinnert einen an einen gewissen Ausdruck, mit dem sie immer um sich werfen, nämlich [an den Ausdruck] de rigore [streng genommen; genau genommen]. Zum Beispiel ­sagen sie, dass die Aussage: »Du bist kein Mensch« zwar dem gesunden Menschenverstand nach falsch, »streng genommen« aber wahr sei. Der Grund dafür, dass sie diesen Unterschied einräumen, liegt darin, dass sie selbst des gesunden Menschenverstandes entbehren und nur in rigore [im strengen Sinn] sprechen – eine Strenge [rigor], die freilich kälter ist als Eis [frigor]. Außer­dem wollen sie, dass diese Strenge nur von den Dialektikern allein verstanden und benutzt werden kann; und obwohl sie ständig nur ihre »Strenge« im Mund führen, würde ich doch mein Leben verwetten, dass niemand von ihnen weiß, was diese »Strenge« eigentlich ist oder wo sie sich befindet. Doch damit sie wissen mögen, was ihnen bis jetzt allen unbekannt ist, und damit sie jene »Strenge« zukünftig vielleicht besser und klüger

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posthac ac aptius uti possint ipso rigore, docebo eos quid sibi velit rigor hic, quem toties in ore habent. Est in unaquaque lingua sua loquendi proprietas, quod a graecis ỉδίωμα dicitur; sunt et vocibus sua significata, suae vires, quibus nonnunquam indoctior ipsa multitudo abutitur, doctiores indulgent utcunque plebi in sermonis usu, ipsi inter se se et aliter sentiunt, et loquuntur, quamvis haec non usque adeo multa, et fere in philosophicis abditisque sint rebus, quas ipse populus non ita exacte callet ut philosophis intelliguntur: dabo unum ex Cicerone exemplum, quo ipsa tota res intelligatur, qui in libro de Fato ad hunc loquitur modum: Communi igitur consuetudine sermonis abutimur, quum ita dicimus velle aliquid quempiam, aut nolle sine causa, ut dicamus sine externa et antecedente causa, non sine aliqua; ut cum vas inane dicitur, non ita loquimur ut physici, quibus inane esse nihil placet, sed ita ut, verbi causa, sine aqua, sine vino, sine oleo vas esse dicamus: haec ille, quibus ex verbis apparet in rigore, id est in vero ac germano sermonis sensu, hoc pronuntiatum falsum esse, haec amphora est vacua, similiter er hoc, tu aliquid vis sine causa, sed ad sensum vulgarem vera illa nonnunquam esse: est ergo hic rigor ipsa exacta et inflexa loquendi norma, nam tamquam res dura, infracta, et semper recta, appellatus est rigor, quam bene, illi viderint qui primi sic appellarunt: est ergo, ut apertius eloquar, ipsa proprietas, ipsa expressa, nativa, ac germana vis, ipse rectus, verusque sensus orationum latinarum.

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benutzen können, werde ich ihnen jetzt einmal beibringen, was ihre vielbesprochene »Strenge« wirklich bedeutet. Jede Sprache hat ihre eigene Eigenschaft des Sprechens, was von den Griechen als »Idiom« bezeichnet wird. Worte haben je eine eigene bestimmte Bedeutung und Kraft, die die ungebildete Menge manchmal falsch verwendet, wobei die höher Gebildeten der Menge gegenüber beim Gebrauch der Sprache gewisse Zugeständnisse machen. Unter sich denken und sprechen die Gebildeten aber auf eine andere Weise, wenn auch nicht sehr häufig und vor allem in Bezug auf sehr versteckte und philosophische Themen, von denen das Volk keinen genauen Begriff hat, wie sie von den Philosophen verstanden werden. Ich gebe ein Beispiel von Cicero an, um das zu veranschaulichen, der in Über das Schicksal sagt: »Wir drücken uns also in unserer Umgangssprache ungenau aus, wenn wir sagen, jemand wolle etwas ›ohne Grund‹ oder wolle es ›ohne Grund‹ nicht; wenn wir nämlich sagen: ›ohne Grund‹, so meinen wir eigentlich ›ohne außerhalb unseres Willens liegende, vorausgehende Ursache‹, nicht aber ›ohne jede Ursache‹. Wenn wir z. B. sagen, ein Gefäß sei ›leer‹, so meinen wir das nicht wie die Physiker, die lehren, es könne nichts leer sein, sondern wir meinen das so, daß dieses Gefäß z. B. kein Wasser, keinen Wein oder kein Öl enthalte.«26 Das sind die [Worte Ciceros], aus denen klar hervorgeht, dass die Aussage: »Dieses Gefäß ist leer« in rigore – also im wirklichen und strengen Sinn des Satzes – falsch ist, genauso wie der Satz: »Du willst etwas ohne Grund.« Doch im alltäglichen Sprachgebrauch sind [diese Sätze] manchmal trotzdem wahr. Diese Strenge ist also jenes exakte und starre Sprachmuster, das genauso ist wie die harte, unzerbrochene und immer direkte Eigen­schaft – wie sehr richtig von jenen gesehen wurde, die es so benannt haben. Um es noch klarer zu sagen: Sie ist jene Eigen­schaft, jene ausdrückliche, eingeborene und wirkliche Kraft, jene wahre und richtige Bedeutung der lateinischen ­Sprache.

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At hunc abs quibus auctoribus petunt homines ignari? Non a Cicerone, non a Quintiliano, non etiam a Boetio, hominibus latinis, quibus credi latinis in rebus oportet, sed a Petro Hispano, seu si quis fuit alius ante ipsum, nam de hoc parum video constare, qui confinxit eis suppositiones, ampliationes, restrictiones, appellationes, exponibilia, ex quibus rebus, tamquam ex equo Trojano, totius sermonis et omnium bonarum artium incendium atque ruina exorta sunt. O miserum Ciceronem, miserum Quintilianum, miserum Boetium, miserum Capellam, si vim sermonis latini melius novit Petrus Hispanus, quam ipsi omnes! Quis quaeso est iste rigor, quo haec enuntiatio est vera, Tu homo non es, haec falsa, Animal est omnis homo, haec vera, Antichristus qui fuit, erit, falsa haec, Antichristus erit, qui fuit, ista falsa, Astrum videns est omnis homo, quum sit illa vera, Omnis homo videt astrum, ut alia taceam his pejora? Quis unquam ejusmodi rigorem tradidit, qui latine scierit? An quia Petrus Hispanus, qui latine inscientissimus fuit, somniavit, idcirco et verus erit? Perinde ac posset aliquis διάλεκτον alicuius sermonis, unde dicta est διαλεκτική, docere, qui sermonem illum ignoret? Jam et de Incipit ac Desinit pudet loqui: Quis hunc tradidit tam subtilem rigorem, tam subtilia instantia, tam obtusa nugamenta? qua in lingua haec excogitata sunt? an in graeca? an in latina? an in hispana? an in gallica? Quis unquam negavit puerum una hora, posteaquam ad scholas ductus est, incipere discere? at isti negant, quia multa

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Doch bei welchen Autoritäten suchen unwissende Menschen nach dieser Eigenschaft? Nicht bei Cicero oder Quintilian, nicht einmal bei Boethius27 – die doch alle lateinische Schriftsteller waren, denen man in Sachen der lateinischen Sprache glauben müsste –, sondern bei Petrus Hispanus28 oder jemand anderem, der diesem vorausging. Denn mir scheint es sehr unklar zu sein, wer sich diese Suppositionen, Verschiebungen, Restriktionen, Bezeichnungen und Expositionen ausgedacht hat, aus denen – gleichsam wie aus einem trojanischen Pferd – die Zerstörung und der Ruin jedes Sprachausdrucks und aller guten Künste hervorgegangen sind. Oh armer Cicero, armer Quintilian, armer Boethius, armer [Martianus] Capella29, wenn Petrus Hispanus die Kraft der lateinischen Sprache besser kennen sollte als sie! Welche Art von Strenge ist das, ich frage Dich, die diesen Satz: »Du bist kein Mensch« wahr macht und diesen falsch: »Ein Lebewesen ist jeder Mensch«? Die diesen Satz: »Der Antichrist, der war, wird sein« wahr macht und diesen falsch: »Der Antichrist wird sein, wer er war«? Diesen Satz falsch: »Ein Sternesehender ist jeder Mensch«, während dieser wahr sein soll: »Jeder Mensch sieht einen Stern« – um nicht noch schlimmere Beispiele zu nennen? Wer hat jemals solch eine Art von Strenge gelehrt, wenn er Latein konnte? Oder soll das nur wahr sein, weil Petrus Hispanus, der keine Ahnung von Latein hatte, es sich so zusammengeträumt hat? Soll es ebenso möglich sein, dass jemand die Redeweise irgendeiner gegebenen Sprache lehren kann (denn das ist doch die eigentliche Bedeutung von dialektiké), der diese Sprache nicht kennt? Mittlerweile schämt man sich ja, über »incipit« [es beginnt] und »desinit« [es hört auf ] zu sprechen. Wer hat uns solch eine »Strenge« überliefert, solch subtile »Augenblicke« [instantia], solch sinnlose Nebensächlichkeiten? In welcher Sprache hat man sie sich ausgedacht? Im Griechischen oder Latei­nischen? Im Spanischen oder Französischen? Wer hat zum Beispiel jemals verneint, dass ein Kind bereits eine Stunde, nachdem es zur Schule gebracht wurde, zu

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praeterfluxerunt instantia post primum illud quo discere incoepit; tum et hanc falsam esse ajunt: Fons iste nunc incipit apparere, duabus tribusve horis posteaquam aqua primum manare coepit; neque hanc concedunt: Haec arbor desinit florere, paullo antequam finem omnino faciat flores emittendi, et fons desinit fluere, una semihorula antequam exiccetur, atque ita in angustum illorum verborum incipit et desinit significationes contraxerunt, ut jam nullus eorum possit usus esse, credamque ad istorum legem de nulla prorsum re dici posse, quod aut incipiat aut desinat quicquam vel esse, vel agere, haec omnia propter adverbium illud, Immediate, quod ex media barbarie productum, non est minus admirabilium virium, quam illa in quibus conclusum ipsum esse volunt. Nonne hoc est ex pulcherrima lingua latina facere sermonem tam alienum ab omni ratione et sensu humano, quam illi ipsi sunt, qui haec faciunt? Tantumne barbaris istis licere in alieno sermone? Et protius atque identim (si diis placet) illud objectant: Loquamur in rigore. Loquantur potius in frigore, et ipsa etiam glacie, quae una satis esset ad maximas illas thermas Neronianas frigefaciendas; quasi vel scirent ipsi quid sit rigor, vel ipsorum esset, etiam si scirent, diffinire rigorem, et veram germanamque vim illius linguae cujus sunt prorsus inscii: cedo isti universi cum suo toto ferreo et gelidissimo rigore, qui latinis hominibus praescribere volunt leges loquendi, intelligant mihi ­folium unum vel Ciceronis, vel Quintiliani, vel Plinii, vel

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lernen beginnt? Die Dialektiker haben das natürlich verneint, weil nach dem ersten Augenblick, in dem es zu lernen begonnen hat, doch viele weitere Augenblicke vergangen sind. Sie sagen auch, dass dieser Satz falsch ist: »Diese Quelle beginnt nun zu erscheinen, zwei bis drei Stunden, nachdem das Wasser zuerst zu fließen begonnen hat.« Sie räumen auch diese Aussagen nicht ein: »Dieser Baum hört auf zu blühen, kurz bevor er aufhört, Blüten hervorzubringen« und: »Eine Quelle hört ungefähr eine halbe Stunde, bevor sie austrocknet, auf, zu fließen.« Auf diese Weise haben sie die Bedeutungen der Worte »incipit« und »desinit« durch ihre Haarspaltereien so weit verengt, dass man sie nicht mehr benutzen kann. Ich denke, dass man gemäß ihrer Regeln von absolut nichts mehr sagen kann, dass es beginnt oder aufhört – weder im Sein noch im Handeln. Und alles das nur wegen jenes Adverbs »unmittelbar« [immediate], das sie mitten aus der Barbarei hervorgebracht haben und das so wunderbare Kräfte hat, dass es jede Bedeutung annehmen kann, die sie ihm beilegen wollen. Macht das alles die wunderschöne lateinische Sprache nicht zu etwas, das von jeder menschlichen Vernunft und jedem Gefühl so weit entfernt ist wie jene, die dafür verantwortlich sind? Sollte diesen Barbaren eine derartige Freiheit in einer Sprache erlaubt sein, die gar nicht die ihre ist? Sofort und unaufhörlich (wenn es den Göttern gefällt) fangen sie daraufhin wieder damit an: »Lass uns streng genommen [in rigore] sprechen.« Sollen sie meinetwegen doch in frigore sprechen, wenn sie wollen, und sogar mit genug Eis, um die warmen Bäder Neros30 selbst erkalten zu lassen. Als ob sie wüssten, was diese Strenge sein soll; als ob sie das Recht hätten, diese Strenge zu definieren, selbst wenn sie wüssten, was sie ist; ja, als ob sie das Recht hätten, die wahre und wirkliche Kraft einer Sprache zu bestimmen, die sie überhaupt nicht kennen! Bring mir alle diese Dialektiker mit ihrer ganzen eisernen und froststarrenden Strenge, die den lateinischsprachigen Menschen Sprachregeln vorschreiben wollen, und dann sehen wir, ob sie auch nur eine Seite von Cicero,

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Livii, vel cujusquam alterius Latini Scriptoris, ne suorum quidem Theologorum, Hieronymi, Ambrosii, Hilarii, Augustini, Cypriani. Verum obsecro vos omnes, quotquot estis hujus notae homines, dicat Cicero, per enuntiationem hanc, Socrates homo non est, significari Socratem nullum penitus hominem esse, dicat sive Petrus Hispanus, sive quis alius ex sophistis eo quoque indoctior, significari esse aliquem hominem qui Socrates non sit, utri potius fidem haberi par est? An est aliquis tam effrictae frontis, tam perditae impudentiae, qui dicere audeat credi magis debere Petro Hispano in vi sermonis latini, quam principi totius eloquentiae Romanae? Ergo rigor hic ab hoc petendus est, non a Petro Hispano, atque aliis sophistis. Quod si hi Ciceroni contra­ veniunt, quibus sit potius assentiendum in sensu verborum latinorum, quis non videt? Quod quum semper faciant, nusquam enim non invertunt ac depravant omnia, illi profecto frigide cum sua insania deserendi, deridendique sunt, Ciceroni vero, et aliis latinis auctoribus, parendum. Etenim si non a peritissimis latinae linguae petitur hic rigor, sed passim confingere indoctissimo cuilibet licet, nec ullus erit rigor, et quilibet suo arbitratu, atque adeo libidine, logicam nobis afferret. Quod et satis isti faciunt, quum sensa verborum diversi diverse explicant, unusquisque pro suo ignaro captu; nam hi hoc genus suppositionum asserunt, alii negant, hi sic explicant implicitas enuntiationes, quas exponibiles vocant, alii non item, sed contrario modo. Quippe cum res pro insciorum hominum libito

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Quintilian, Plinius, Livius oder von einem anderen lateinischen Schriftsteller zusammenbringen; oder sogar von einem ihrer Theologen: von Hieronymus, Ambrosius, Hilarius, Augustinus oder Cyprian. Ich beschwöre euch alle, die ihr unter diesem Banner lauft, antwortet mir darauf: Wenn Cicero sagen würde, dass der Satz: »Sokrates ist kein Mensch« bedeuten würde, dass So­ kra­tes überhaupt kein Mensch sei, und wenn Petrus Hispanus oder ein anderer der sogar noch ungelehrteren Sophisten sagen würde, es bedeute: »Es gibt einen Menschen, der nicht Sokrates ist«, wem sollten wir dann glauben? Gibt es jemanden, der so unverschämt und dummdreist sein sollte, dass er zu behaupten wagte, man müsse in Fragen der Bedeutung der lateinischen Sprache eher Petrus Hispanus glauben als dem Fürsten der gesamten römischen Beredsamkeit? Wir müssen daher bei ihm nach der [richtigen] »Strenge« suchen, nicht bei Petrus Hispanus und den anderen Sophisten. Und wenn sie Cicero widersprechen: Wer sieht dann nicht, wem man bezüglich der Bedeutungen der lateinischen Worte eher zustimmen sollte? Weil sie ihm aber immer widersprechen – da sie schließlich alles verdrehen und verunstalten –, sollten sie zusammen mit ihrem ganzen Wahnsinn eiskalt verlassen und verlacht werden, und wir sollten wirklich besser Cicero und anderen lateinischen Autoren folgen. Denn wenn diese Strenge nicht bei den Gelehrtesten der lateinischen Sprache gesucht wird, sondern vielmehr von jedem dahergelaufenen Ungebildeten bestimmt werden kann, wird es gar keine sprachliche Strenge geben, und jeder wird uns eine Logik nach seinem eigenen Gutdünken und Belieben darbieten. Schließlich ist das genau, was sie tun, wenn sie ihre verschiedenen Erklärungen der Wortsinne angeben, jeder gemäß seinem eigenen Unverstand. Denn die einen behaupten diese Gattung von Suppositionen, die anderen verneinen sie; die einen erklären implizite Aussagen – die sie als auslegungsbedürftig [exponibile] bezeichnen – auf eine bestimmte Weise, die anderen genau entgegengesetzt; denn wenn eine Sache entsprechend den

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et intemperiis jactetur, unusquisque sua vult inventa ostentare, alienisque praeferre. In quo quae ars esse potest? Quum unus quivis, quod inter potandum aut balneandum ipsi in mentem venit, extemplo asseverat, et chartis illinit artis, vultque pro lege haberi, atque pro eo digladiatur, tamquam pro aris et focis; citius hominem interficias, quam pravam opinionem ab eo avertas; et quia dixi inter potandum et balneandum, ne quis putet id a me per lusum per jocumque dici, librum ostendere possum syllogismorum (cujus auctorem Tu optime nosti) quorum secundi ordinis tertia forma, quae Festino vulgo nuncupatur, inter pocula, in thermis sancti Martini, me, Arnoldo, et Rocca praesentibus, ac de industria cantillantibus ut auctori perstreperemus, ut ex nomine rem sortiretur vere festino, foeda stribligine exarata, et intempestive, tamquam abortus foetus, postridie ante lucem ejecta est. Quid ni haec et pejora faciant celeriusque, quorum est tota ars, nulla uti arte, sed sibi unumquenque pro libito viam facere, qua ingrediatur. Ac tum demum se rem assequutum praeclaram existimare, quum ab omnibus per omnia longe discrepat, nihilque sic tradit, ut ab aliquo alio est antea traditum? Et ego nimirum, aliqua ex cogitata vanissima regula, dicam has orationes: Animal est homo, corpus est iste lapis, quamvis in bono sensu tamquam verae recipiantur, in rigore tamen falsas esse, daboque hanc regulam: Omnem enuntiationem esse falsam, in qua praedicetur inferius de suo

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Launen und Narrheiten unwissender Menschen behandelt wird, möchte jeder seine eigenen Erfindungen zeigen, die den anderen vorgezogen werden sollen. Welche Art von Kunst kann darin liegen? Was auch immer jemandem in den Sinn kommt, wenn er trinkt oder ein Bad nimmt, wird sofort zu einer unveränderlichen Aussage gemacht, mit schwarzer Tinte aufs Papier geworfen und als ein Gesetz erklärt, wobei er dafür bis zum Tode kämpft, als ob es um Haus und Herd ginge; du könntest den Kerl eher töten, als ihn um eine falsche Vorstellung zu bringen. Was ich über »trinken und baden« gesagt habe, war übrigens kein Witz: Ich kann Dir ein Buch mit Syllogismen zeigen (dessen Autor Du sehr gut kennst), in dem der dritte Modus der zweiten Figur – der gewöhnlich »Festino«31 genannt wird – abgefasst wurde, während sich der Autor im Beisein von Arnold, Rocca und mir einige Drinks in den Bädern des Heiligen Martin genehmigt hatte; wir haben währenddessen eifrig gesungen, um den Autor mit viel Lärm zu umgeben, damit er, in Über­ einstim­mung mit der Bezeichnung, die Sache wirklich festino32 lösen konnte – geschrieben in einem abscheulichen Stil und unzeitgemäß, wie ein abgetriebenes Kind, herausgepresst vor dem Morgengrauen des nächsten Tages. Warum sollten sie so etwas und noch Schlimmeres auch nicht tun, wo doch ihre ganze Kunst darin besteht, keine Kunst zu gebrauchen und auf den eigenen Wegen mit der größten Beliebigkeit enlangzuschreiten? Ihrer Einschätzung nach hat man den Gipfel der Vollkommenheit erreicht, wenn man so weit wie nur möglich von seinen Vorgängern abweicht und etwas lehrt, was von niemand anderem zuvor gelehrt worden ist. Ich könnte mir freilich auch einige vollkommen sinnlose Regeln ausdenken. Ich könnte zum Beispiel sagen, dass diese Sätze – obwohl sie der gesunde Menschenverstand als wahr akzeptiert – dennoch »streng genommen« falsch sind: »Ein Lebewesen ist ein Mensch«, »Ein Körper ist dieser Stein«, indem ich diese Regel angebe: »Jede Aussage ist falsch, in der ein untergeordneter Term von einem übergeordneten Term ausgesagt wird.« Auf die gleiche Weise

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superiore, ut illi in gymnasio Montis acuti, quo nostra importuna fugerent argumenta, formulam sibi commenti sunt: Omne pro­ nun­tiatum, in quo esset alter alius esse impossibile de forma acceptionis terminorum. Consuluerunt bene sibi, nam et impune id eis facere licebat. Quis enim rem, quae pro libidine ab unoquovis, quamlibet inscio, vulgo fingitur, refutasset? Alia etiam stultiora ego comminiscar, reprobare certe nulla ratione potuerunt, quin eadem omnia ipsorum excogitata comminuantur. Et videamus cur mihi homini, qui utcunque latine scio, minus habebitur fidei, quam conterraneo nostro Petro Hispano, qui ne umbram quidem latini sermonis viderat? At fortassis inquient: Tu non habes auctoritatem faciendi regulas, ut habebat Petrus Hispanus. Ridiculum profecto responsum, et vere hominum ineptissime delirantium, perinde quasi homini, in extrema Scythia nato et educato, auctoritas esse posset tradendarum in sermone, vel Gallico, vel Hispano, formularum, quem ille nunquam audiverit. Quis, quaeso, auctoritatem hanc dedit Petro Hispano, ut novas ferret leges in lingua, quam ne de facie quidem norat, cujus etiam si nonnulla vocabula pronuntiabat, vim tamen cujusquam verbi non magis scivit, quam ille, de modo loquebar, Scytha vim sermonis Hispani, cujus nec verbum, vel scriptum legit, vel prolatum a quoquam audivit? Quod ego sane hominis non dico fuisse vitium, sed illorum temporum; modestiam tamen ipsius, ut aliorum permultorum, requiro, qui sua placita, sua plusquam pueriliter somniata, volebant ilico pro lege esse in lingua ipsis ignotissima, ac voluissem

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haben auch jene Dialektiker auf dem Collège de Montaigu diese Regel erfunden, um unseren ungelegenen Argumenten zu entkommen: »Jede Aussage, in der alter alius33 auftaucht, ist unmöglich wegen der Form, in der die Terme verstanden werden.« Sie haben das sicher gut für sich beschlossen, was sie auch ohne Gefahr tun konnten; denn wer hätte schon eine Sache, die nach dem Gutdünken von irgendjemandem, wie unwissend auch immer er sein möge, ausgedacht worden ist, zurückgewiesen? Ich könnte mir weitere, sogar noch dümmere Regeln ausdenken, und sie könnten sie sicher mit keinem Vernunftgrund widerlegen ohne ihr ganzes ausgedachtes System zu zerbrechen. Aber lass uns doch sehen, warum man mir – der ich zumindest ein bisschen Latein kann – weniger Glauben schenken sollte als unserem Landsmann Petrus Hispanus, der nicht einmal den Schatten einer Ahnung von der lateinischen Sprache hatte? Dagegen werden sie vielleicht sagen: »Du hast keine Autorität, Regeln aufzustellen, aber Petrus Hispanus hatte sie.« Das ist mit Sicherheit eine lächerliche Antwort von wahrhaft äußerst törichten Wahnsinnigen. Als ob ein Mensch, der im fernen Skythien geboren und aufgewachsen ist, die Autorität ­haben könnte, Regeln in einer Sprache vorzuschlagen – sagen wir Französisch oder Spanisch – die er niemals gehört hat! Wer, ich frage Dich, hat Petrus Hispanus denn die Autorität gegeben, neue Regeln für eine Sprache aufzustellen, die er nicht einmal aus erster Hand kannte? Auch wenn er einige Worte auf Latein gesprochen haben mag, hat er doch deren wahre Bedeutung nicht besser verstanden, als der gerade erwähnte Skythe die Bedeutung des Spanischen kannte, von der er weder ein Wort gelesen noch gehört hat. Ich sage natürlich nicht, dass das die Schuld dieses Mannes war, sondern der Zeiten, in denen er gelebt hat. Aber ich wundere mich doch über die [mangelnde] Bescheidenheit von Petrus Hispanus und vielen anderen seiner Art, die wollten, dass ihre Meinungen, ihre mehr als kindischen Träumereien, sofort als Gesetze für eine Sprache an­ erkannt werden sollten, die sie überhaupt nicht kannten. Und

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juxta vetus praeceptum, ut se se novissent, nec pelliculam excessissent suam, ne in eos protinus jactatum esset illud ex trivio, quod jam fit passim: Ne sutor ultra crepidam. Verum ego a Petro isto Hispano, quamlibet nostrati, seu ab eo quis nobis hanc tam elegantem dialecticam peperit (nam sunt qui putent haec primum in Britannia aut Hybernia orta, deinde Parisiis alita atque aucta) ab illo igitur, quisquis tandem fuit, pervelim audire, cur cum ipse suppositiones, et expositiones illarum enuntiationum, atque horum similia, quae traduntur in parum logicalibus, nunquam a Boetio acceperit, Aristoteles ipse non praecipiat, tam impudenter illa confinxerit, et praescripserit sensus enuntiationum contra rationem omnem sermonis latini, quem nec primis, ut dicunt, labris gustarat, nec summis olfecerat naribus? Cujus profecto leges verae si sunt, in Cicerone, Varrone, Quintiliano, Plinio, Boetio, et aliis latinis, latinae orationes innumerae, in Aristotele, Platone, Theophrasto, Carneade, Chrysippo, et ceteris Graecis, graecae, non ex ipsius rei, sed ex istarum suppositionum, ampliationum, expositionum ignoratione falsae invenientur. Nec solum in Aristotelis vel morali, vel naturali philosophia, sed in ipsa quoque dialectica. Nec est aliquis, non dico doctorum hominum, sed ne istorum quidem Pseudo dialecticorum, qui ita circunspecte possit loqui, ut in suas vanissimas leges, formasque, passim non peccet; nec mirum, quippe sunt contra omnem loquendi consuetudinem et rationem ab istis somniatae: atqui Aristoteles ne minimam quidem regulam

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ich hätte mir doch gewünscht, dass sie der alten Vorschrift: »Erkenne dich selbst« gefolgt wären und nicht ihre eigenen Grenzen überschritten hätten, um nicht ständig – wie es derzeit regelmäßig der Fall ist – mit diesem Spruch verspottet zu werden: »Schuster, bleib bei deinem Leisten.« Aber ich würde nun doch gerne von meinem Landsmann ­Petrus Hispanus oder von wem auch immer, der diese elegante Dialektik für uns hervorgebracht hat (denn einige meinen, dass sie ihre Ursprünge zuerst in England oder Irland hatte34, bevor sie in Paris weiter gefördert und vermehrt wurde), von ihm würde ich also gerne wissen: Warum wurden alle ihre Suppositionen, Erklärungen und alles weitere derartige, was sie in ihren parum logicalibus35 [zu kleinen Logiken] lehren, niemals von Boethius oder Aristoteles selbst gelehrt, warum war er so unverschämt, sie zu erfinden und Bedeutungen von Aussagen vorzuschreiben, die der ganzen Natur der lateinischen Sprache widersprechen, die er niemals – wie das Sprichwort heißt – mit seiner Zungenspitze gekostet, mit seiner Nasenspitze gerochen hat? Wenn seine Regeln richtig sind, werden sich unzählige Sätze von Cicero, Varro, Quintilian, Plinius, Boethius und anderen lateinischen Schriftstellern als falsch herausstellen, ebenso wie weitere griechische Sätze von Aristoteles, Platon, Karneades, Chrysipp und anderen Griechen: nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen der Unkenntnis dieser Autoren von den Suppositionen, Verschiebungen und Erklärungen; und das wird nicht nur für Aristoteles’ Moral- und Naturphilosophie gelten, sondern auch für seine Dialektik. Nicht einmal Petrus Hispanus hat nach den Regeln gesprochen, die er selbst aufgestellt hat. Es gibt auch niemanden – ich meine nicht nur gelehrte Menschen, sondern sogar die Pseudodialektiker –, der so umsichtig sprechen kann, dass er sich nicht wiederholt gegen diese leeren Regeln und Formen versündigen würde; was nicht verwundert, wurden sie von diesen Menschen doch gegen jede Gewohnheit und Vernunft des Sprechens zusammengeträumt. Und doch hat Aristoteles nicht einmal die kleinste Regel in seiner ganzen

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diffinivit in tota sua dialectica, quae non congrueret cum ipso sermonis graeci sensu, quo docti homines, quo pueri, mulierculae, plebs denique universa utebatur. Neque enim dialecticus novam facit traditque vim linguae, sed ex vetere et usitatissima regulas observatas docet, quemadmodum antea disserui. Cuius porro philosophi logica brevibus praeceptis tota constat, dictionum videlicet natura quae docetur in libris Categoriarum, Enuntiationum viribus quae in Perihermenias, tum formulis collectionum quae in prioribus Analyticis, adjectis, et quae demonstrant in posterioribus, et quae probabili suadent ratione, quaeque ad inventionem faciunt, in topicis, et quae astute cavillantur, in elenchis. Quo instrumento adjutum juvenem mox ad reliquas artes scientiasque transmittit, nam ea quae aliarum rerum gratia discuntur, de quorum numero est dialectica, non diu occupare studia debent, sed catenus illis opera danda est, quatenus in iis egemus artibus, quarum causa reliqua comparantur; neque intricat et detinet Aristoteles suum discipulum frigidissimis et stultissimis suppositionibus, ampliationibus, restrictionibus, litterulis. Quae si ad logicum instrumentum attinere vidisset, quis credat virum et ingenio, et studio tanto, inventorem illarum formarum, syllogismorum, atque adeo totius dialecticae, fuisse praetermissurum? Verum ipse non censuit illa tradenda praeter omnem rationem artis dialecticae, utpote quibus communis hominum et sensus, et sermo non modo non utatur, sed etiam refragetur. Quod si litterulis uti voluisset eo modo quo isti, quid attinebat

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Dialektik so definiert, dass sie nicht mit dem allgemeinen griechischen Sprachgebrauch übereinstimmen würde, den Gelehrte, Kinder, Frauen und das gesamte Volk benutzt haben. Denn ein Dialektiker erfindet oder überliefert keine neue Grundlage einer Sprache, sondern lehrt bereits beobachtete Regeln, die dem alten und vielbenutzen Gebrauch entnommen sind, wie ich weiter oben bereits gesagt habe. Aristoteles’ ganze Logik beruht auf einigen kurzen Vorschriften: nämlich auf der Natur der Terme, die in den Kategorien36 gelehrt wird; der Bedeutung von Sätzen, die in seiner Lehre vom Satz37 erklärt wird; sodann auf den Prinzipien der Syllogismen in der Ersten Analytik38, den Prinzipien von demonstrativen Beweisen in der Zweiten Analytik39; den Argumenten, die durch Wahrscheinlichkeit und Erfindung überzeugen, in der Topik40; und solchen, die listig Scherz treiben, in den Sophistischen Wider­legun­gen41. Mit Hilfe dieses Werkzeugs führt er den jungen Mann dann sogleich direkt zu den anderen Künsten und Wissenschaften; denn Fächer, die um anderer Dinge willen gelernt werden, von denen die Dialektik eines ist, sollten das Studium nicht zu lange aufhalten, und wir sollten in ihnen nur so lange arbeiten, wie wir brauchen, um uns auf die anderen Künste vorzubereiten. Zudem verwickelt und fesselt Aristoteles seinen Schüler nicht mit diesen vollkommen fruchtlosen und törichten Suppositionen, Verschiebungen, Restriktionen und Wortkritteleien. Wer kann glauben, dass ein Mann von solch einem Genie und solchem ­Eifer, der Erfinder aller jener Formen und Syllogismen – ja, der Erfinder der Dialektik selbst – es unterlassen hätte, sie zu erwähnen, wenn er gedacht hätte, dass sie irgendetwas mit dem Handwerkszeug der Dialektik zu tun haben könnten? Er hielt sie nicht für unterrichtenswert, weil sie außerhalb der ganzen Natur der Kunst der Dialektik stehen, da der gesunde Menschenverstand und die normale menschliche Sprechweise sie nicht nur niemals benutzten, sondern sie sogar zurückgewiesen haben. Denn wenn er alle die Kritteleien so hätte benutzen wollen, wie es unsere Dialektiker tun, welchen Sinn hätte

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dicere universalem enuntiationem in particularem converti? ut, Omnis voluptas est bonum, sic, aliquid bonum est voluptas. Cur non sic expeditius vertebat Aristoteles? a bonum est omnis voluptas. Tum cum dicis particularem negativam in se non recurrere, quod non bene colligat quispiam, si dixerit, Aliquod animal non est homo, ergo aliquis homo non est animal, quid facis? En doctissimi istis quos Tu prius docuisti, nunc quasi ὰντιπελαρ γοῦντες vicissim Te docent sic convertere, Omnis homo b animal non est, aut etiam sine litteris in pronuntiatum ejusdem quantitatis, Aliquis homo animal non est. At multi ex istis non dissimulant futilia esse haec omnia, verum illa discenda volunt quod puerorum acuant ingenia; scilicet, est haec Arithmetica illa, qua Pythagoras et probabat, et exercebat, et excitabat suorum ingenia adolescentium? Porro si puerorum ingenia dicit rebus hisce acui, cur senes senibus in Theologia haec traditis, ut ludibrio potius habere videamini gravissimam et sanctissimam disciplinam quam docere? Et facitis quidem more vestro, nusquam non etiam in maxime seriis rebus ludentes, magnamque ubique deludentes audientium spem, ut transeam quae quidam, etiam prava consuetudine inducti, in medicam artem ex hac juvenili stultitia inferunt maximo cum dispendio valetudinis corporum humanorum. At illud non tacebo, quanta cum jactura et animarum, et totius religionis, haec a monachis discuntur docenturque, quod non pudet, homines,

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dann die Behauptung gehabt, dass sich eine allgemeine Aussage in eine besondere Aussagen umwandeln lässt, wie zum Beispiel: »Alle Lust ist ein Gut«, woraus folgt, dass »irgendein Gut die Lust ist«? Warum hat Aristoteles das nicht rasch auf diese Weise umgewandelt: »Das Gut A ist die gesamte Lust«? Wenn Du nun meinst, dass eine besondere Verneinung nicht umwandelbar ist, wenn man zum Beispiel sagt: »Irgendein Lebewesen ist nicht ein Mensch, daher ist irgendein Mensch kein Lebewesen«, was tust Du dann? Siehe da: Jene äußerst gelehrten Leute, die Du einst unterrichtet hast, zeigen Dir nun – gleichsam, um Dir den Gefallen zurückzuzahlen – wie man einen Satz nach diesem Beispiel umwandelt: »Jeder Mensch B ist nicht ein Lebewesen«; oder sogar ohne Buchstaben, aber in einer Aussage mit demselben Umfang: »Irgendein Mensch ist nicht ein Lebewesen.« Viele von [diesen Dialektikern] verbergen gar nicht, dass das alles wertlos ist, aber sie wollen es dennoch lehren, weil es den Verstand der Jungen schärfen soll. Selbstverständlich! Verhält es sich hierbei also wie mit der Arithmetik, die Pythagoras benutzt hat, um die Geisteskräfte seiner jungen Studenten anzuregen und zu ermuntern? Doch wenn, wie Pythagoras sagt, diese Dinge dafür da sind, die Geisteskräfte von Jugendlichen zu schärfen, warum gebt ihr sie dann – alte Männer, die ihr seid – an andere alte Männer in der Theologie weiter, sodass ihr diese äußerst ehrwürdige und heilige Wissenschaft eher zu verspotten scheint als sie zu lehren? Doch getreu eurem gewohnten Verhalten verspottet ihr selbst die ernsthaftesten Dinge, wobei ihr stets die hohen Erwartungen eurer Zuhörer enttäuscht. Ich sollte besser nicht erwähnen, dass einige Menschen, durch diese schlechte Erziehung verleitet, diese kindische Dummheit zum großen Nachteil der körperlichen Gesundheit der Menschen in die Kunst der Medizin hineintragen; doch ich werde nicht über den großen Schaden für die Seelen und die ganze Reli­ gion schweigen, der von den Mönchen ausgeht, die solches lernen und lehren. Denn auch wenn sie sich selbst religiöse Men-

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ut ipsi vocant, religiosos, et quibus disciplinis secularibus nonnunquam interciditur, has ingeniorum corruptelas amplecti, et arctius frequenter ipsis profanis hominibus: quin et sunt nonnulli ex istis, atque ex eorum numero qui theologi nominantur, qui nihil putant acute posse dici, nisi sit hoc amarissimo condimento conditum, horrida atque inculta barbarie concinnatum, istis sophismatum ineptissimis differtum tricis. Fuit ipsorum quidam, qui cum fama et sermone hominum accepisset Divum Augustinum magnum fuisse dialecticum, incidissetque in manus ejus libellus quidam illius, avidus legit ut aliquem inde casum, aliquam instantiam arriperet; miratum ferunt ipsum, in homine tam logico ne verbum quidem esse de asinis, et alter alius, non de instantiis, non de casibus, non de reduplicativis, de exclusivis, nec de aliqua ex iis rebus, quae traduntur in parum seu parvis logicalibus. Quin quod homo subtilissimus acerque disputator, quum de Trinitate dissereret, nullam fecerit mentionem de distributione completa et incompleta, de suppositis mediatis, et immediatis, quibus syllogismi illi divini fiunt, quis sine jam olim haeretici totam nostram de Trinitate sanctissimam fidem fuissent demoliti; ex quibus etiam manant illa nostra, non tam vera et pia, quam illa erant Stoicorum, sed certe admirabiliora Paradoxa: Filius Dei Deus non est; Spiritus sanctus Essentia divina non est; Omnis filius est pater, et omnis filius non est pater; Deus non est Pater; Essentia divina generat Filium, et Essentia divina nihil generat; Spiritus sanctus,

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schen nennen, denen säkulare Fächer manchmal sogar verboten sind, sind sie nicht beschämt darüber, diese geistigen Verderbnisse anzuerkennen – und zwar oft sogar eifriger als die Laien. Es gibt nämlich einige von ihnen (und auch Theologen befinden sich unter ihnen), die glauben, dass nichts exakt gesagt werden kann, wenn es nicht mit diesem äußerst bitteren Gewürz versetzt, durch diese rohe und unkultivierte Barbarei verformt und mit den albernen Unsinnigkeiten der sophismata ausgestopft worden ist. Einer von ihnen hat einmal durch Hörensagen vernommen, dass Augustinus ein großer Dialektiker gewesen sein soll; als dann ein kleines Büchlein von ihm in dessen Hände fiel, hat er es begierig durchgelesen, weil er darin eine Hypothese oder ein Beispiel zu finden hoffte. Es heißt, er sei erstaunt gewesen, dass es bei einem so fähigen Dialektiker nicht ein einziges Wort über »Esel« oder »alter alius« gab, nichts über Beispiele, Hypothesen, verdoppelnde oder ausschließende Sätze und nichts von den anderen Dingen, die in den »Zu-wenig-Logikbüchern« der parva logicalia [von Petrus Hispanus] gelehrt werden. Wie war es möglich, dass dieser höchst tiefsinnige Mann und scharfe Debattierer bei der Diskussion über die Trinität keine Erwähnung von vollständiger und unvollständiger Distribution, von Partikularisation, von vollständiger und unvollständiger Singularisation oder von mittelbaren und unmittelbaren Suppositionen tat, aus denen jene göttlichen Syllogismen gebildet werden, ohne die die Häretiker schon vor langer Zeit unseren heiligen Glauben an die Trinität zerstört hätten? Aus diesen [Syllogismen] gehen auch unsere Paradoxien hervor, die zwar nicht so wahr und fromm sind, wie es die der Stoiker waren, dafür aber sicher viel beeindruckender: »Der Sohn Gottes ist nicht Gott. Der Heilige Geist ist nicht das göttliche Wesen. Jeder Sohn ist der Vater und jeder Sohn ist nicht der Vater. Gott ist nicht der Vater. Das göttliche Wesen bringt den Sohn hervor, und das göttliche Wesen bringt nichts hervor. Der Heilige Geist

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Spiritus sanctus non est; Unus est Pater Deus, ille est suus Filius, et non est suus Filius.

Et quamvis symbolum Nycenum, totiusque consensus ecclesiae neget, plures esse Deos, plures increatos, omnipotentes, creatores, aeternos, immensos, isti tamen invictis suis concertationibus tres Deos, tres increatos, totidem omnipotentes, creatores, aeternos, immensos esse strenue defendunt, reclamantibus universis patribus, repugnante pietate Christiana, invitis Angelis omnibus cum ipso Deo, daemonibus etiam confidentissimam istorum mirantibus temeritatem; quin et parturiunt jam nobis eodem ex semine et satu tres Trinitates, totidem divinas usias, profecto enim quisquis admiserit, tres Deos esse, velit nolit, tres etiam Trinitates, Essentias divinas tres concedat necesse est, quomodocumque tandem vocabulorum depravationibus luserit, quodcumque in latus illa tamquam tesseras converterit. Sed ad meum Augustinianum lectorem redeo. Tum illud pariter mirabatur, quod cum de baptismo tractaret, non disputarit de illis vere theologicis enuntiationibus, et in primis necessariis fidei nostrae: Aqua requiritur ad baptizandum, et ad baptizandum requiritur aqua, an detur minima aqua quae exigitur, minima quae non exigitur, maxima quae requiritur, maxima quae non requiritur, maxima quae sufficit non requiritur, maxima quae nec sufficit nec requiritur, minima quae sufficit nec requiritur, minima quae nec sufficit nec requiritur,

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ist nicht der Heilige Geist. Gottvater ist einer: Er ist sein Sohn und Er ist nicht sein Sohn.«42

Doch auch wenn das Nizänische Glaubensbekenntnis und die ganze Kirche übereinstimmend verneint, dass es viele Götter, dass es viele ungeschaffene, allmächtige, ewige und unermessliche Schöpfer gibt, verteidigen diese Männer trotzdem in ihren unbesiegbaren Disputationen die Ansicht, dass es drei Götter, dass es drei ungeschaffene, allmächtige, ewige und unermessliche Schöpfer gibt – und das entgegen dem lautstarken Protest aller Kirchenväter und dem Widerstand der christlichen Frömmigkeit und entgegen dem Willen der Engel und Gottes höchst­ persönlich, während sich sogar die Teufel über ihre unverschämte Unbesonnenheit wundern. Aus demselben Samen und derselben Aussaat haben sie für uns auch drei Trinitäten und ebenso viele göttliche Wesen hervorgebracht, denn sobald jemand zugesteht, dass es drei Götter gibt, muss er wohl oder übel auch drei Trinitäten und drei göttliche Wesen einräumen, wie sehr auch immer er mit der verdrehten Bedeutung der Worte spielen mag und wie sehr auch immer er sie von einer Ecke zur anderen schieben mag, wie die Würfel in einem Würfelspiel. Um aber auf meinen Leser von Augustinus zurückzukommen: Er war ähnlich erstaunt, dass Augustinus bei der Behandlung der Taufe nicht die wahrhaft theologischen Aussagen diskutiert hat, die doch von so großer Wichtigkeit für unseren Glauben sind: »Wasser ist für die Taufe erforderlich, und für die Taufe ist Wasser erforderlich. Sollte die geringste erforderliche Menge an Wasser gegeben werden oder die geringste nicht erforderliche Menge? Die größte erforderliche Menge oder die größte nicht erforderliche Menge? Die größte [Menge], die ausreicht und nicht erforderlich ist, oder die größte Menge, die nicht ausreicht und nicht erforderlich ist? Die geringste [Menge], die ausreicht und nicht erforderlich ist, oder die ­geringste [Menge], die weder ausreicht noch erforderlich ist?«

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et alia ejusmodi pene divina, sine quibus nostra pietas destrui non potest, construi dicere cogitabam, semper hic erro, nam reliqua destruunt, haec, haec sola aedificant, ita ut dubium adhuc esset, cum in sacro baptisterio deest aqua, quot et quam magnis guttis aquae posset presbyter infantem baptizare, nisi illa doctores scripsissent, quae quamvis sacerdos ignoret, nihilominus tamen baptizat, idque in fide doctorum qui illa tradiderunt, et ea ut sunt super sententias scripta, fulciunt cum baptismum, tum etiam totam fidem brevi alioqui ruituram, quae a nemine nec tractari nec proferri possunt nisi sit doctor, quam doctus ad rem non facit, doctorem esse oportet. Verum ille qui ea se in Augustino haudquaquam invenisse miratus est, protinus desiit mirari, et causam cur illa Augustinus non tradidisset, bonis et admodum certis conjecturis deprehendit, quod ille latine scripserit, haec vero nisi pingui atque adeo barbaro modo tradi non possunt, nam hic sermo, barbarismis et soloecismis scatens, solus est quo res theologicae magistra­liter diffiniri possunt. Atque in hanc stultissimam et pestiferam opinionem plerique adducti sunt, ut philosophiam, ut theologiam, ut reliquas artes incorrupto sermone tradi non posse credant. Si quid paullo cultius scriptum est, quodcunque sit ejus argumentum, illud (tam inscii et stupidi sunt) non philosophiam, non theologiam, non jus, non medicinam, sed grammaticam vocant; Ciceronis vel Officia, vel Paradoxa, vel Tusculanas quaestiones, vel Academicas,

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Und weitere solche fast göttlichen [Aussagen], ohne die unsere Frömmigkeit nicht zerstört werden kann (ich wollte natürlich sagen: aufgebaut werden kann, ich mache hier immer diesen Fehler, da sie doch alles andere zerstören; dies, und nur dies, bauen sie auf ). Demzufolge gäbe es, wenn Wasser in der Taufkapelle benötigt wird, bis heute Zweifel darüber, wie viele und wie große Tropfen Wasser der Priester für eine Kindestaufe benutzen sollte, wenn gelehrte Männer das nicht alles niedergeschrieben hätten. Denn auch, wenn der Priester sie nicht kennen mag, tauft er doch im Vertrauen auf die Doktoren, die [solche Vorschriften] überliefert haben; und da sie auf den Sentenzen43 [des Petrus Lombardus] beruhen, sind sie die Stütze sowohl der Taufe als auch des gesamten Glaubens, die ohne sie bald einstürzen würden. Diese Dinge können nicht von jemanden behandelt oder auch nur genannt werden, der kein Doktor ist; wie doctus [gelehrt] ist dabei gleichgültig – er muss nur ein Doktor sein. Doch unser Mann, der so erstaunt darüber war, nichts davon bei Augustinus zu finden, hörte bald auf, sich zu wundern und verstand durch eine schlüssige und absolut sichere Vermutung, warum Augustinus das alles nicht diskutiert hatte: das lag daran, dass er auf Latein geschrieben hatte, wobei diese Dinge doch nur in einer schwerfälligen und barbarischen Weise formuliert werden können. Denn ihre Sprache, voller Barbarismen und Solözismen, ist die einzige, in der theologische Angelenheiten auf Magisterart dargelegt werden können. Viele Leute sind von dieser sinnlosen und unheilvollen Ansicht derart überzeugt worden, dass sie glauben, dass Philosophie, Theologie und die anderen Künste nicht in einer unverdorbenen Sprache gelehrt werden können. Wenn etwas in einem ein wenig kultivierteren Stil geschrieben ist, nennen diese Leute – was auch immer der Gegenstand sein mag – es in ihrer Dummheit und Unwissenheit nicht Philosophie oder Theologie oder Rechtswissenschaft oder Medizin, sondern Grammatik. So sind für sie Ciceros Von den Pflichten44, seine Stoischen Para­ doxien45, die Gespräche in Tusculum46 und die Akademischen

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grammaticam esse dicunt; solum id quod ipsi faciunt, quia regulis grammaticis subditum non est, omnibus sermonis sordibus mire redundans, grammatica non est; quod ego plane ita esse fateor; etenim illud nec grammatica, nec aliud est. Scotus, Ocham, Paulus Venetus, Hentisber, Gregorius Ariminensis, Suisethus, Adam Godam, Bockin Kam, non grammatici, sed philosophi et theologi, ab ipsis intelliguntur; Cicero, Plinius, Hierony­mus, Ambrosius, grammatici extra scholam sunt, a grammaticis intelligantur; qui enim, inquiunt, fieri potest ut terso illo atque eleganti stilo, ne latine quidem, nec ulla propria germana, et non depravata, nec immunda lingua, philosophia, theologia, ceteraeque artes perhibeantur? Quo quid potest insanius dici! Quem errorem ego, si decem annos valetudine non prorsus adversa Dei beneficio vixero, e mentibus illorum non argumentis, sed ipsa re delebo. Ceterum, ut eodem redeam unde sum egressus, re falsa, re stulta, re inepta, frivola, insana, credam ego acui ingenium cujus­ quam? Solidis verisque rebus pascitur nostra mens, et firmum alimentum sumit, inanibus vero etiam tumet, praefertque speciem quandam bonae valetudinis, ut tumentia in corpore membra, quum alioqui et haec affectissima sint, et illa insanissima; aqtue his ita credo exacui discentium ingenia, ut cum ad alia, quamlibet parva debiliaque scindenda et penetranda, accomodantur, tota ipsorum extemplo rumpatur acies, fiatque pistillo retusior. Tum etiam, tantum putant nobis isti homines superesse otii et temporis ad meliora discenda, ut jacturam nullam

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Abhandlungen47 alles Werke der Grammatik. Nur: Was sie betreiben, ist keine Grammatik, weil es den Regeln der Grammatik nicht untergeordnet ist, sondern auf wunderbare Weise von sprachlichen Verunreinigungen nur so wimmelt – was ich gerne zugebe, da es in der Tat weder Grammatik noch sonst irgendetwas ist. [ Johannes Duns] Scotus48, [Wilhelm von] Ockham49, Paulus Venetus50, [William] Heytesbury51, Gregor von Rimini52, [Richard] Swineshead53, Adam Woodham54 und [Thomas] Buckingham55 werden von ihnen verstanden, da sie schließlich nicht »Grammatiker«, sondern Philosophen und Theologen sind. Cicero, Plinius, Hieronymus und Ambrosius sind keine scholastischen [Philosophen], sondern Grammatiker; lass also die Grammatiker sie interpretieren. Denn wie – fragen sie – sollte es möglich sein, Fächer wie Philosophie, Theologie und die anderen Künste in einem prägnanten und eleganten Stil zu behandeln, also in einem Latein (oder einer anderen dem Latein nahen Sprache), das rein und unverdorben ist? Wer könnte jemals etwas Verrückteres sagen! Falls ich die nächsten zehn Jahre bei einigermaßen guter Gesundheit sein sollte, werde ich, mit Gottes Gnade, diesen Fehler aus ihrem Geist entfernen, und zwar nicht durch Argumente, sondern durch ein Beispiel.56 Doch um auf mein voriges Argument zurückzukommen: Soll ich wirklich glauben, dass etwas, das falsch, töricht, plump, nichtig und verrückt ist, den Verstand von irgendwem schärfen sollte? Unser Geist wird durch kräftige und wahre Dinge genährt und braucht feste Nahrung. Kraftlose Nahrung macht ihn geschwollen und gibt ihm nur den Anschein guter Gesundheit, wie geschwollene Körperglieder, die ein Zeichen dafür sind, dass sowohl die Glieder als auch der Körper in einem ungesunden Zustand sind. Ich denke, ähnlich wird auch der Verstand der Studenten bloß zeitweise geschärft, nur um seine scharfe Schneide sofort nach dem Kontakt mit anderen Dingen, wie gering [dieser Kontakt] auch sein mag, zu verlieren und stumpfer zu werden als ein Stößel. Denken diese Leute denn, dass wir so viel Zeit und Muße für das Erlernen besserer Dinge ­haben,

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fieri existiment ejus temporis quod hujusmodi in rebus insumitur? O stultum hominem Theophrastum, quem Graecia divinum appellavit, qui brevitatem vitae humanae querebaris, in qua tempus non suppeteret ad veras disciplinas, quae ad sapientiam, ad bene beateque vivendum perducerent, addiscendas, ita ut tum moriamur, cum sapere aliquid incipimus! En tibi homines tam redundantes tempore, ut etiam vacet eis multos bonos annos plusquam anilibus deliriis impertiri, nec solum nihil agere et feriari, sed id multo labore, molestissimo et assiduo negotio construere, quod postmodum non minore destruendum sit. Verum si veteres morbi sanari repente non possunt, nec assueta res uno impetu convelli, detur sane aliquid consuetudini, pessimae licet, discantur haec ab iis qui ea tam scire avent, pauculis tamen mensibus, ut intelligant quanta sit insania; ac videant ii qui id fecerint, ne prava loquendi consuetudine, foeda barbarie, ac inversis verborum sensis, in meliorum disciplinarum fructu capiendo impediantur, nolimque illos ita tenacis esse memoriae, ut eluere facile nequeant haec, semel si adhaeserint; illorum tamen ego in primis vices doleo, qui decem, qui sedecim, qui viginti annos, totam etiam interdum aetatem, huic impendunt rei. Misera atque sterilia ingenia, et mea sententia, ad paleam, siliquas, aristas, non ad frugem nata. Atque his tam pulchris rebus occupatis, nunquam vacat vel Theophrastum, vel Platonem, vel Plinium, vel aliquem bonorum scriptorum legere.

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dass wir es uns leisten könnten, dermaßen viel Zeit für Studien dieser Art zu verschwenden? Oh törichter Theophrast, den die Griechen »göttlich« nannten, der einst darüber geklagt hatte, dass das menschliche Leben so kurz sei, dass es nicht genug Zeit gebe, sich die wahrhaften, zu Weisheit und einem guten und glücklichen Leben führenden Lehrfächer anzueignen, sodass wir sterben, wenn wir gerade beginnen, ein wenig weise zu werden! Schau nur auf diese Männer, die so viel Zeit erübrigen können, dass sie es sich leisten können, so viele gute Jahre mit Unsinnigkeiten zu verbringen, die eher zu alten Weiblein passen. Sie haben nicht nur Zeit genug, um untätig und müßig zu sein, sondern sogar, um mit viel Arbeit, Mühe und harter Anstrengung etwas aufzubauen, was danach – mit nicht weniger Mühe – wieder zerstört werden muss. Da eine chronische Krankheit jedoch nicht sofort geheilt und eine alte Gewohnheit nicht durch einen einzelnen Angriff zerschlagen werden kann, müssen der Gewohnheit (wie schlecht sie auch immer sei) sicher einige Zugeständnisse gemacht werden: sollen diejenigen, die so begierig darauf sind, solche Dinge zu wissen, sie eben lernen; doch in einigen wenigen Monaten, nur damit sie verstehen, wie sinnlos sie sind. Sie sollten dabei außerdem darauf achten, dass sie durch ihre schlechten Sprachgewohnheiten, ihre hässlichen Barbarismen und ihre verdrehten Wortbedeutungen nicht von der Ernte der Früchte besserer Studien abgehalten werden. Ich würde nicht wollen, dass ihr Gedächtnis so beharrlich ist, dass sie diese Dinge nicht leicht wieder vergessen könnten, wenn sie sie einmal gelernt haben. Ich bemitleide vor allem das Los derjenigen, die zehn, sechzehn, zwanzig Jahre, manchmal sogar eine ganze Lebenszeit, für diese Dinge aufwenden. Das sind nach meiner Meinung arme und fruchtlose Geister, bestimmt dafür, als Stroh, Stängel und Spreu anstatt als Getreidekörner verwendet zu werden. Denn da sie immer mit diesen »schönen« Dingen beschäftigt sind, haben sie niemals Zeit, Theophrastus, Platon, Plinius oder einen anderen guten Schriftsteller zu lesen.

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Quid haec dico? Proferant mihi duas ex vii. illis artibus liberalibus, quas ipsi universas ambitiosa sui magisterii appellatione profitentur, quas ipsi didicerint; nec ipsum certe Aristotelem, non dico in naturali vel morali philosophia, sed ne in dialectica quidem, vel de facie cognitum habent, quam se se tradere inverecunde profitentur, quum eam ipsi nunquam viderint. Neque est eorum aliquis, qui difinire sciat quae pars dialectices sit de inventione, quae de judicio, et quo modo duobus his uti debeamus: quid quod tametsi in ipsa bona veraque dialectica versarentur, non tamen deberent tanto in ea tempore desidere; ars enim est dialectica, quae non sua causa addiscitur, sed ut reliquis artibus adminiculum praestet, et quasi famuletur, idcirco non est in ea plus operae insumendum, quam satis est ad ceterarum artium ministerium, quod dialectica exercet; nam qui multam diem in dialectica conterit, nec ad alias scientias se confert, non secus facit quam qui comparato cribro, quo farinam excernat, panesque conficiat, in eo aptando componendoque plus aequo immoratur; instrumentum comparari celeriter debet, et aliud in eo non curandum quam ut sit operi faciendo accommodum; inepte profecto facit quisquis in eo anxie componendo longum laborem adit, et non protinus illi operi, propter quod instrumentum paratum est, se se accingit, modo instrumentum illud operam morari atque impedire suo aliquo vitio non possit, nam alioqui curandum hoc in primis esset: itaque tanta est dialecticae artis accipienda cognitio, quantum sat est ad efficiendum ne illius ignoratio in reliquis artibus nobis officere queat. Jam eum, qui perpetuo infra fines illius se continet, ferre quis

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Warum sage ich das? Sie mögen mir zwei von den sieben Künsten nennen – die sie doch sämtlich vermöge ihrer »Meisterschaft« öffentlich zu behandeln verkünden –, die sie wirklich gelernt haben. Sie haben mit Sicherheit nicht einmal eine oberflächliche Kenntnis von Aristoteles, weder von dessen Natur- und Moralphilosophie noch von seiner Dialektik, die sie doch unverschämt zu lehren vorgeben, auch wenn sie selbst sie niemals verstanden haben. Es gibt keinen einzigen unter ihnen, der bestimmen kann, welcher Teil der Dialektik mit der Auffindung von Argumenten zu tun hat, welcher Teil mit deren Beurteilung und wie diese beiden [Teile] benutzt werden sollten. Selbst wenn sie sich mit einer wahren und guten Form von Dia­ lektik beschäftigen würden, sollten sie trotzdem nicht so viel Zeit damit verbringen. Denn die Dialektik ist keine Kunst, die um ihrer selbst willen gelernt wird, sondern um als Grundlage für die anderen Künste zu dienen – sozusagen als deren Dienerin. Daher sollte darauf nicht mehr Zeit verwandt werden, als für die Hilfestellung notwendig ist, die die Dialektik den anderen Künsten liefert. Ein Mann, der sich eine lange Zeit mit der Dialektik beschäftigt und sich nicht den anderen Künsten zuwendet, ist wie ein Mensch, der zwar ein Sieb bekommen hat, um Mehl auszusieben und Brot zu backen, der aber zu lange braucht, um das Sieb zusammenzufügen und ihm die richtige Form zu geben. Ein Werkzeug sollte aber schnell bereit gemacht werden und nur genug Sorgfalt brauchen, um es für die Arbeit geeignet zu machen. Nur ein törichter Mensch widmet dem Zusammenbau eines Werkzeugs eine lange und sorgenvolle Mühe, ohne sich sogleich an die Arbeit zu machen, für die es bestimmt ist; seine einzige Sorge sollte doch sein, dass das Werkzeug seine Arbeit durch einen ihm eigentümlichen Fehler verzögern und behindern könnte. Aus diesem Grund sollten wir uns nur so viel Kenntnis von der Kunst der Dialektik aneignen, dass wir sichergehen, dass deren Unkenntnis uns nicht auf dem Weg zu den anderen Künsten behindern kann. Wer kann jetzt noch einen Menschen aushalten, der sich immer auf

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possit? Quis ferat pictorem in componendo penicillo, in terendis coloribus, sutorem in acubus, in subulis, smiliis, ceterisque cultris acuendis, in torquendo incerandoque filo, in setis illi addendis, totam aetatem consumere? Quod si haec etiam in bona dialectica ferenda non sunt quae est equidem ars neutiquam aspernanda, quantum erunt in illa omnium artium corruptrice garrulitate ferenda? Si meum judicium requiris, ego profecto sic sentio, quemadmodum quod opus non est, emptum asse est carum, ut prudentissimus ille senex dicebat Cato, ita in hac inutili et vanissima dialectica vel unam consumtam semihoram esse nimis; quam quidem non esse artem, vel illo argumento manifestum est, quod disciplina omnis, omnisque ars in aliquem usum est inventa et comparata. Haec quidem, ut agamus, transeatque in operas eruditio, cujusmodi sunt Rhetorice, Musice, Medicina, Juris facultas, et reliquae permultae; illa vero solum ut sciamus, velut Astronomia, velut illa pars Theologiae quae contemplatione divinae illius majestatis, ut Magdalena illa, contenta est. At ista tam recondita dialectice, quid, quaeso, docet? Non profecto aliquid agere, nam nemo est tam expers omnis sensus, tam a mente omni atque judicio alienus, ut prodigiis illis enuntiationum velit ullo in sermone uti, quibus, tamquam re inauspicata et infausta, audientes omnes terreret et fugaret, nisi cum apud diobolarios suos discipulos ejusmodi monstris assuefactos, angulo quopiam pediculari, foetoris et squalloris pleno, dementit, deliratque. Quo clare quivis vel stupidissimus perspiciat, quum dialectica

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diese Grenzen einschränkt? Wer würde denn einen Maler ertragen, der sein ganzes Leben damit verbringt, seinen Pinsel vorzubereiten und seine Farbpigmente zu zermahlen; oder einen Schuster, der nichts anderes täte, als seine Nadeln, Pfrieme und verschiedenen Messer zu schärfen und seine Fäden zu drehen, zu wachsen und ihnen Pferdehaare hinzuzufügen? Doch wenn solche Dinge nicht einmal bei einer guten Form von Dialektik toleriert werden können, die ich als eine Kunst betrachte, die man nicht verachten sollte, wie lange können wir sie in dieser geschwätzigen Art ertragen, die alle Künste verdirbt? Wenn Du meine Meinung hören willst, hier ist, was ich denke: Wenn einen Heller auszugeben zu viel für etwas ist, das wir nicht brauchen – wie der weise alte Cato sagte –, dann ist sogar eine halbe Stunde zuviel, um sie auf diese nutzlose und eitle Dialektik zu verwenden. Der Beweis dafür, dass sie nicht einmal eine Kunst ist, besteht darin, dass jedes Fach und jede Kunst für einen bestimmten Zweck erfunden und erworben worden ist. So gibt es einige Künste – wie Rhetorik, Musik, Medizin, Rechtswissenschaft –, die für die Ausübung bestimmt sind, sodass die Bildung in Handlungen resultiert. Dann gibt es solche [Künste], die einfach da sind, damit wir wissen: zum Beispiel die Astronomie und der Teil der Theologie, der – nach dem Vorbild Magdalenas – mit der Betrachtung der göttlichen Herrlichkeit zufrieden ist. Doch was, frage ich, lehrt uns jene so verborgene Dialektik? Sicher nicht, etwas zu tun: Denn niemand ist doch so bar jeder Wahrnehmung, so fern von ­aller Vernunft und jedem Urteil, dass er glauben würde, diese beeindruckenden Sätze in seiner Alltagssprache benutzen zu können, denn er würde sicherlich alle seine Hörer verängstigen und in die Flucht schlagen, als ob er ein böses Omen angekündigt hätte. Die einzige Hörerschaft, die er für seinen wilden Unsinn hat, sind seine armen und wertlosen Schüler, die an solche Mon­strositäten gewöhnt sind, in ihren von Läusen verseuchten Ecken sitzend, voller Schmutz und Gestank. Daher sollte doch sogar die dümmste Person klar sehen, dass – da die Dialektik

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eo inventa sit ut ejus usus alias ad disciplinas accomodetur, haec, quam isti docent, ad reliquas disciplinas advehi, aptarique non possit, fieri ut ea neutiquam dialectica sit. At scientiam ex hac dialectica expectari, ne ipsius quidem praeceptores, quamlibet sint fastuosi, quamlibet ostentatores vani et jactabundi, jubent; satis etiam indicat nullam in istis esse scientiam, quod nec in eis habitus est ullus, neque enim haec more ceterarum artium atque scientiarum sui firmum vestigium, quem habitum nominamus, post se relinquunt, simul enim ac primum scholas exis, nisi tenacissima es memoria, totus ille fumus, minima quaque aura discussus, evanescit; atque haec ipsa est causa, cur isti, qui tota aetate ejusmodi rebus dediti fuerunt, quum senuere, scholasticasque illas umbratiles pugnas, et contentiosas altercationes sunt egressi, ubique frigidissime et stultissime tacent. Tunc, Rarus sermo illis, et magna libido tacendi. Tunc, ingenti supercilio suae ignorantiae sapientiae silentium praetexunt. Quid facerent miseri? Scholastica illa omnia simul cum scholis relicta sunt. Alia nulla habent quae loquantur; necesse est, ut qui prius a nullis picis, a nullis mulierculis garrulitate vincebantur, ipso etiam Stentore Graecorum apud Trojam praecone vocaliores, tunc silentio pisces quoque vincant, et ex nostratibus ranis fiant acanthiae. Illi quidem, etiam in ipso scholarum fervore, ubi nihil potest ipsis clamosius fieri, nihil loquacius, quos citius vita deficiat quam vox, cum ad conventum prudentiorum hominum ex scholastico tecto educuntur, ita stupent, ac si essent in silvis educati; mira ibi et insueta illis facies omnium rerum, in alium quendam orbem perductos eos esse credas; ita usum vitae et commu-

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doch für den Nutzen der anderen Fächer erfunden wurde und da die Lehren dieser Menschen nicht auf die anderen Fächer bezogen oder angewandt werden können – diese Dialektik überhaupt keine Dialektik ist. Andererseits würden selbst die Lehrer, trotz ihres Stolzes und ihrer ganzen Prahlerei, niemals behaupten, dass diese Dialektik Wissen hervorbringen könnte. Beweis genug dafür, dass es bei ihnen kein Wissen gibt, ist darin zu sehen, dass sie keine feste Haltung57 davon zeigen, da ihre Art von Dialektik nicht diese sichere Spur hinter sich lässt wie die anderen Künste und Wissenschaften, die das hervorbringen, was wir eine feste Haltung nennen. Denn sobald du die Schulen verlässt, löst sich – ­außer, du hast ein sehr beharrliches Gedächtnis – all der Rauch auf, zerstreut durch den kleinsten Hauch. Das ist der Grund, weshalb Männer, die ihr ganzes Leben derartigen Dingen gewidmet haben, überall auf äußerst leere und dumme Weise schweigen, wenn sie alt werden und die geschützten scholastischen Disputationen und Streitereien hinter sich lassen. Dann gilt: »Sparsam sind jene mit dem Reden, und groß ist ihre Begierde zu schweigen.«58 So werden sie ihre großen unwissenden ­Augen mit dem Schweigen der Weisheit verschleiern. Was anderes können die Armen auch tun? Ihre ganze Scholastik ist mit den Schulen verschwunden, und sie haben nichts anderes, worüber sie reden können. Mit Notwendigkeit übertreffen diejenigen, die einst Elstern und Frauen im Schnattern ausstachen, lautstärker sogar als Stentor, der griechische Herold vor Troja, nun sogar die Fische im Schweigen, und aus unseren ehemaligen heimischen Fröschen werden Disteln. Jene, die in der Gluthitze der Schulen die Lautesten und die Beredtesten waren, deren Lebensatem sie eher im Stich lassen würde als ihre Stimme, sind nun so sprachlos, als ob sie in den Wäldern aufgewachsen wären, wenn sie von ihrem Versteck der Scholastik zu einer Versammlung vernünftigerer Menschen gebracht werden. Denn dort ist das Angesicht aller Dinge für sie so seltsam und ungewohnt, dass Du denken würdest, sie wären

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nem sensum ignorant; ita impeditos, ita implicitos eos videas, sive quid agant, sive loquantur, ut illos non esse homines jures; adeo sicut sermo, ita et mores et actus omnes ab homine abhorrent, ut nihil illis cum ceteris hominibus commune praeter formam judices; hinc quoque fit, ut negotiis gerendis, legationibus obeundis, administrandis rebus, aut publicis aut privatis, tractandis populorum animis ineptissimi sint, non plus in ejusmodi rebus valeant, quam homines foenei; neque enim iis se se artibus tradunt, quibus haec omnia percipiuntur, quaeque et animum, et vitam humanam instituunt, cujusmodi est Philosophia moralis, quae mores mentemque ornat; Historia, quae mater est rerum cognitionis et usus, id est prudentiae; Oratoria, quae vitam sensumque communem et docet et moderatur; Politica facultas, et Oeconomica, quibus civitatum rerumque familiarum status et regimen constat; eos, non dico latine si alloquaris cum se unos vim et rigorem latini sermonis tenere jactent, sed si hispane, si gallice, si vernacula et patria quenque lingua, vix te intelligent, novitatem sermonis horrebunt, quia signis, litteris, relativis, asinis, non est refertus, nam latine nihil est tam inaffectate, tam inelaborate, tam contemptim, tam familiariter scriptum, quod isti capiant. Quam etiam causam fore suspicor, cur hanc meam epistolam, tamquam rem nimis sacram atque reconditam non multi ex ipsis attingent, cum tamen nihil a me clarius, nihil apertius scribi latine potuerit; suum vero patrium sermonem, et quem a nutrice

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in eine andere Welt eingeführt worden. Sie sind bezüglich des tätigen Lebens und des gesunden Menschenverstandes so unwissend, Du siehst sie so behindert, so verwirrt in allem, was sie tun oder sagen, dass Du schwören würdest, keine Menschen vor Dir zu haben; und sie unterscheiden sich so sehr in ihrer Sprache, ihren Gewohnheiten und in ihren Handlungen von den anderen Menschen, dass Du schließen würdest, dass sie nur die äußere Form mit dem Rest der Menschheit gemeinsam haben. Daraus folgend sind sie ebenso ungeeignet für Geschäftsführungen, als Botschafter, für die Verwaltung öffentlicher oder privater Angelegenheiten und für die Lenkung der öffentlichen Meinung wie Vogelscheuchen. Denn sie haben sich nie mit den Künsten beschäftigt, von denen alle diese Dinge gelernt werden können und die das menschliche Leben und Denken leiten, wie etwa die Moralphilosophie, die die Sitten und den Geist verziert; oder die Geschichte, die die Mutter der Lernens und der Erfahrung ist, das heißt, der Klugheit; oder die Redekunst, die das Leben und den Gemeinsinn belehrt und mäßigt; oder die Wissenschaften von der Politik und der Ökonomie, durch die öffentliche und häusliche Angelegenheiten geregelt werden. Wenn Du mit ihnen sprichst – ich meine nicht auf Latein, da sie von sich behaupten, sie allein erhielten die Kraft und Genauigkeit der lateinischen Sprache –, etwa auf Spanisch oder Französisch oder in einer anderen Umgangs- und Muttersprache, werden sie Dich kaum verstehen; sie werden sehr von der Neuheit der Sprache erschreckt sein, weil sie nicht mit Zeichen, Buchstaben, relativen Termen und Eseln vollgestopft ist. Es gibt nichts, das auf Latein so einfach und natürlich, so gering und bekannt wäre, dass sie es verstehen würden. Ich vermute, das wird auch der Grund dafür sein, dass viele von ihnen meinen Brief nicht begreifen, sondern ihn als etwas Geheimnisvolles und Verborgenes aufnehmen werden, auch wenn ich in keinem klareren und offenkundigeren Latein hätte schreiben können. Da viele von ihnen ihre Muttersprache ganz bewusst vergessen haben, die sie doch mit der Muttermilch von

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cum lacte suxerunt, cum sint ex istis plerique qui dedicerint, cui mirum est eos latinum non tenere, quem nunquam acceperunt, quem etiam si optime accepissent, nihil tamen est quod non corrupisset illa omnium bonarum rerum sophistica corruptela. Sunt enim haec, et similia, hujus artis commoda, ut tempus, operam, linguam, mores, sensum humanum, amittas dum ista sequeris; haec tam praepostera portenta, has animorum gangraenas et pestes, atque ingeniorum lues, adduci non possum ut credam diu duraturas; jam satis superque quingentos fere per annos multa mala mentibus hominum invexerunt; tempus est, ut simul cum lingua latina, id est cum suo seminario, reliquae quoque artes tam diu sopitae excitentur; Haec opinionem commenta, ut inquit Cicero, delibit dies, naturae judicia confirmabit. Non semper cum hominibus male agetur; tempus ipsum prava convellet, recta veraque secum inferet: itaque non egent haec tam inania multis magnisque oppugnatoribus ut pereant ipsa; ut sunt ficta, ut adumbrata, ut nihil habent solidi, nihil firmi, ita paullatim per se decident dissolventurque, et memoria rerum istarum simul ac in scholis homines paullo sapere melius coeperint, tota prorsus conticescet, ac interibit; neque enim fieri potest ut caeci semper mortales errent. Aperientur sensim ingenia, et humanae mentes ex tenebris in lucem profectae, rejectis tam pravis perniciosisque nugis, suas amplexabuntur veras disciplinas; neque id procul abesse crediderim, quum jam eo magnitudinis hae umbrae, caligines, insaniaeque venerint, ut mole laborent sua, sintque et aliis et sibi

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ihrer Amme aufgesogen hatten, wer kann sich da wundern, dass sie eine lateinische Sprache nicht verstehen, die sie niemals gelernt haben? Doch selbst wenn sie Latein gut gelernt hätten, gibt es nichts, was nicht durch diese sophistische Verschlechterung aller Dinge korrumpiert werden würde. Diese und ähnliche Dinge sind die Vorteile dieser Kunst, um den Verlust von Zeit, Arbeit, der Sprache, der Sitten und des Menschenverstandes gar nicht zu erwähnen. Man kann mich nicht davon überzeugen, dass diese monströsen Unsinnigkeiten, diese Geschwüre und Krankheiten des Geistes, diese Verderbnis des Verstandes noch lange andauern werden. Sie haben dem menschlichen Geist nun bereits für nahezu fünfhundert Jahre so viel Unheil zugefügt; jetzt ist es an der Zeit, dass die anderen Künste gemeinsam mit der lateinischen Sprache, die deren Nährboden ist, aus ihrem tiefen Schlummer erwachen. Wie Cicero sagt: »Die Zeit räumt auf mit Hirngespinsten, während sie Urteile, die von der Natur bestätigt werden, immer mehr festigt.«59 Die Dinge werden für die Menschen nicht immer so schlecht laufen. Die Zeit wird diese Störungen zerreißen und richtige und wahre Dinge zum Vorschein bringen. Diese Nichtigkeiten brauchen nicht viele Angreifer, weil sie von selbst verschwinden werden. Da sie nur erkünstelte und schattenhafte Umrisse ohne Gehalt oder Festigkeit sind, werden sie sich schrittweise von selbst auflösen und verschwinden, und sobald die Lehrer an den Schulen ein wenig weiser geworden sind, wird die ganze Erinnerung an diese Dinge mit Sicherheit abnehmen und verschwinden. Denn es kann nicht sein, dass die Menschen immer blind vorwärtsstolpern werden. Die Verstandeskräfte werden sich allmählich entfalten und die menschlichen Geister werden – von der Dunkelheit zum Licht aufsteigend – diesen finsteren und schädlichen Unsinn zurückweisen und die wahren Lehrfächer gerne annehmen. Ich denke, dieser Tag ist nicht mehr fern, da diese Schatten, dieser Nebel und diese Torheiten bereits jetzt solch eine Größe erreicht haben, dass sie unter ihrem eigenen Gewicht leiden und

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ipsae intolerabiles; ferebtant olim utcunque humana ingenia gerras, et deliramenta haec, sed non tam adulta, nunc graviora sunt quam ut ab animis nostris, ad meliora sua sponte tendentibus ferri possint; ita ruitura brevi, quum ad fastigium dementiae jam pervenerint, et crepitura quam primum, cum magis intumescere nequeant, simulque cum illo sonitu perituram memoraim eorum, quis non videt? Ego sane sic a parentibus, sic a prudentissimis viris accepi, sic rerum usu ac experientiis didici compluribus, pravas consuetudines non facile in melius viribus cujusquam commutari, nisi cum ipsae in tantam pravitatem pervenerint, ut omnibus fiant intolerabiles. Ita, hominum natura tam foedam rem aversante, brevi tota illa quamlibet radicata assuefactio revellitur, et antiquatur, unde est illud vulgare hominum sermone proverbium: Nasci optimum ordinem ex perversissimo, bonasque leges ex malis moribus procreari. Nam mediocriter malos mores, res mediocriter turpes nostra ingenia utcunque ferunt, at vitii vehementium nimietatem refugiunt, pati nequeunt; paratum est in latina lingua exemplum, quae quamdiu mediocriter fuit depravata, per­ stitit, neque vindicem sui habuit ullum, at tum demum restituta suo splendori est, cum offuscari, corrumpique magis non poterat. Ita et hos homines nescio an fuerit satius precari ut suas insanias, alias super alias accumulantes, ita celeriter adaugeant, ut primo quoque tempore, non modo praeclaris ingeniis, sed etiam infimis sint vilitate sua fastidio, et ab omnibus conspiretur in perniciem istius amentiae; quod jam ego quasi ex alto fieri strenue video; erigunt enim se se apud nationes omnes clara, excellentia, liberaque ingenia impatientia servitutis, et jugum hoc stultissi-

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für sich selbst und die anderen unerträglich geworden sind. Die menschlichen Geister haben derartige Sinnlosigkeiten zwar einst aufgestellt, doch damals waren sie noch nicht so weit entwickelt. Jetzt sind sie jedoch schwerer geworden, als unsere Geister es auf der Suche nach besseren Dingen aushalten können. Daher ist es klar, dass sie bald einstürzen werden, sind sie doch schon auf dem Höhepunkt des Wahnsinns; und sobald sie nicht weiter anschwellen können, werden sie zerbrechen, und mit diesem Klang zusammen werden sie aus dem Gedächtnis verschwinden. Wer sieht das nicht? Ich habe von meinen Eltern, von sehr weisen Menschen und aus zahlreichen eigenen Erfahrungen gelernt, dass schlechte Gewohnheiten nicht leicht durch die Bemühungen einer einzelnen Person zum Besseren hin verändert werden können. Es ist nötig, dass sie so schlecht werden, dass niemand es mehr aushalten kann. An diesem Punkt wird die menschliche Natur so sehr von diesem Anblick abgestoßen, dass sie sie mit der Wurzel ausreißt, wie tief verwurzelt die schlechte Gewohnheit auch sein mag. Daher gibt es das verbreitete Sprichwort: »Die beste Ordnung entsteht aus dem widernatürlichsten Zustand und gute Gesetze gehen aus schlechten Gewohnheiten hervor.« Denn unsere Geister können mäßig schlechte Sitten und mäßig schlechte Zustände zwar tolerieren, schrecken vor einem Übermaß an Sünden aber zurück. Ein schönes Beispiel dafür ist die lateinische Sprache, die auch ohne Verteidiger irgendwie überlebte, solange sie nur mäßig verdorben war, die aber erst in ihrem Glanz wiederhergestellt wurde, als sie nicht weiter herabgewürdigt und verschlechtert werden konnte. Ich neige daher zu dem Gedanken, dass es besser sein könnte, diese Menschen in der Erweiterung ihrer Unsinnigkeiten zu bestärken, sodass sie solch ein Ärgernis für Gelehrte und Ungelehrte zugleich werden, dass sich alle verschwören, um ihrem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Ich sehe das mit Abstand bereits geschehen. Denn in allen Nationen erheben sich berühmte, exzellente und freie Geister, die – der Knechtschaft müde – das Joch dieser törich-

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mae ac violentissimae tyranidis ex cervicibus suis animose depellunt, civesque suos ad libertatem vocant, vindicabuntque totam prorsus litterariam civitatem in libertatem longe suavissimam, qua tot seculis caruerunt, parebuntque non his furentibus et vio­ lentis dominis, sed benignissimis, et sanctissimis illis magistris, veris artibus atque scientiis. Ita futurum ante annos viginti spero ut opera ista, quae tam inani stolidaque loquacitate isti ad ostentationem gloriamque congesserunt, aut in obscuro aeternam noctem silentiumque agant, aut si qua forte extiterint, ad ignominiam potius, magnumque suorum auctorum dedecus videantur; atque ego quidem, mi Fortis, gratias et habeo, et ago permagnas Deo, quod aliquando e Parisiis quasi ex Cimmeriis tenebris in lucem egressus sum, vidique, quae essent illae disciplinae, quae homine dignae ac subinde humanae dicuntur, neque enim tam sum demens, tam de me ipso male meritus, ut si haec meliora magno et exacto judicio non censuissem, clareque conspexissem, fuissem vetera pro novis, adepta pro nondum adeptis, certa pro incertis commutaturus; neque enim aliquis est, qui libens resciat quae magno labore nactus est, frivola, et nugas esse meras, et tam diuturnam molestamque operam tot dierum, tot insomnium noctium, lusisse. Ita et mihi in principio id tam odiosum erat, ut saepe a melioribus rebus cogitationem ad vetera mea averterem, ne mihi persuaderi posset me Parisiis tot annis nihil egisse; nec dubito etiam, quin nuncius hic futurus sit plurimis odiosissimus, verum eos illud considerare oportet, credendum esse expertis, et qui esse nequeunt ex illo optimorum maximeque perfectorum hominum genere, per se se qui omnia norunt, sint saltem ex illo

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ten und gewaltsamen Tyrannei beherzt von ihren Nacken abwerfen und ihre Mitbürger zur Freiheit rufen. Sie werden für die gesamte Gelehrtenwelt die süßeste Freiheit beanspruchen, die sie so viele Jahrhunderte entbehren mussten, und sie werden nicht diesen tobenden und gewaltsamen Herren dienen, sondern diesen anderen sehr würdigen und heiligen Meistern, den wahren Künsten und Wissenschaften. Ich hoffe, dass die Werke, die sie mit ihrer leeren und sinnlosen Geschwätzigkeit errichtet haben, innerhalb der nächsten zwanzig Jahre entweder in ewiger Nacht in schweigender Dunkelheit versinken werden oder dass sie – falls sie durch Zufall doch überdauern sollten – zur Schmach und Schande ihrer ­Autoren beitragen werden. Ich jedenfalls, mein lieber Fortis, bin Gott sehr dankbar, dass ich letztendlich aus Paris wie von der kimmerischen Finsternis60 in das Licht entkommen bin und die Studien gesehen habe, die eines Menschen würdig sind und die daher auch »humanistisch« genannt werden. Ich bin nicht so geistesgestört oder untreu mir selbst gegenüber, dass ich nicht das Alte durch das Neue, das Geprüfte durch des Ungeprüfte oder das Sichere durch das Unsichere ersetzen wollte, wenn ich nicht nach langer und ernsthafter Überlegung überzeugt wäre, dass diese [humanistischen Studien] vorzuziehen sind. Niemand mag die Entdeckung, dass das, was er sich mit großer Arbeit angeeignet hat, wertlos und völlig unsinnig ist und dass die lange und schwierige Mühe so vieler Tage und schlafloser Nächte nur eine Spielerei war. Am Anfang war auch mir diese Vorstellung so unangenehm, dass ich meine Gedanken von besseren Dingen zu den alten Angewohnheiten zurückführte, damit ich mich vielleicht davon überzeugen könnte, nicht dermaßen viele Jahre in Paris verschwendet zu haben. Ich zweifle nicht daran, dass diese Nachricht vielen Menschen sehr unwillkommen sein wird, aber sie sollten sie dennoch sorgfältig bedenken und auf Menschen mit Erfahrung vertrauen. Diejenigen, die nicht zu der Sorte der besten und vollkommenen Menschen gehören können, die alles für

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bonorum, parent qui recta monenti, ne ex ordine pessimorum fiant, qui nec ipsi norunt, nec melius monentibus auscultant: quod si mihi credere nolunt, at senibus ipsi suisque praeceptoribus fidem habeant, quos si rogent, audient damnantes furorem illium mentis, deplorantes id tempus, quod in his gerris vanissimis inutiliter contriverunt. Dullardum ego et Gasparem Laxem praeceptores olim meos, quos honoris gratia nomino, querentes saepe summo cum dolore audivi, se tam multos annos rei tam futili, atque inani impendisse; id si ita est, quae (malum) insania est, nolle parere senibus bene monentibus? Atque illud me in hac epistola (quam non dubito juvenes imperitos, et quibusvis Citeriis loquaciores, pugnaciores quibusvis gallinaceis, vituperaturos) consolatur, quod senes bene de his, quae nunc dico, sentient, atque ea laudabunt, et quae ipsi modo juvenes temerarii insipientes contemnunt, ea cum per aetatem sapient (si Deus id eis dederit) et probabunt, et amplexabuntur, et quae ego nunc eis consulo, ipsi forte, miserti sequentium, minoribus consulent seniores. Te vero, mi carissime Fortis, per amicitiam nostram, per tuum praestantissimum animum ingeniumque precor, ut quoniam tua aetas jam Te admonet meliorum, videsque aliud illa non esse quam hominum corruptelas, quae si non optima memoria fueris, confestim excident, sin vero optima, impedimento erunt in rebus melioribus, eruntque dediscenda non minori negotio, quam fuerint parta, vides digna non esse, in quibus vel temporis insumatur punctum, quin potius ut ambabus manibus, omnibus

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sich selbst gelernt haben, können zumindest zu der Art gehören, die guten Rat beachtet hat, und nicht zu der schlechtesten Sorte, die weder selbst etwas gelernt haben noch auf den besseren Ratschlag eines anderen hören. Wenn sie mir nicht glauben wollen, sollten sie älteren Menschen und ihren Lehrern vertrauen, die diesen Wahnsinn schnell verdammen und die Zeit, die sie mit diesen eitlen Nichtigkeiten verbracht haben, bedauern werden, wenn sie nach ihrer Meinung gefragt werden. Ich habe Dullaert und Gaspar Lax, meine einstigen Lehrer, die ich aus Respekt erwähnen sollte, oft bitter darüber klagen gehört, dass sie so viele Jahre mit derartig nutzlosen und leeren Studien vergeudet haben. Wenn das so ist, wie verrückt ist es dann, nicht auf den guten Rat alter Menschen zu hören? Es bestärkt mich darin, diesen Brief zu schreiben – von dem ich ­sicher bin, dass ihn junge, unerfahrene Menschen, die geschwätziger als Citeriae61 und streitlustiger als Kampfhähne sind, ver­ unglimpfen werden –, dass alte Menschen die Dinge gutheißen und loben werden, die ich nun sage. Auch wenn die jungen Leute leicht darüber hinweggehen, während sie voreilige und törichte Jugendliche sind, werden sie es doch bestätigen und übernehmen, wenn sie mit dem Alter verstehen lernen (sofern Gott es ihnen gewährt); und sie werden das, was ich ihnen jetzt empfehle, als ältere Menschen aus Mitgefühl mit der nächsten ­Generation den Jüngeren weiterempfehlen. Ich bitte Dich aber, mein lieber Fortis, bei unserer Freundschaft und in Anbetracht Deines ausgezeichneten Geistes und Deines Talents, einzusehen, dass dieses Zeitalter Dich zu besseren Studien ermahnt. Sieh doch, dass die derzeitigen Dinge nichts weiter als verderbliche Einflüsse sind, Dinge also, die Du vergessen würdest, wenn Du nicht mit einem so hervorragenden Gedächtnis gesegnet wärst. Da Dein Gedächtnis jedoch gut ist, werden sie ein Hindernis für bessere Dinge sein; und sie werden mit der gleichen Mühe, die es gekostet hat, sie zu lernen, wieder verlernt werden müssen. Überzeuge Dich davon, dass sie keinen Augenblick Deiner Zeit wert sind, und weise sie mit aller Kraft

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machinis procul rejicantur, ne ingenio officiant, vides aetatem brevem multo satius esse veris artibus tradere, vides brevi illa qui habuerint, fore omnibus despectui atque ludibrior; hortor itaque Te et rogo, tempestive pedem ab illis dementiis ut refertas, canas receptui, conferas Te ad ea, quae sunt homine, quae sunt ingenio tuo digna. Quod, quoniam prudentiam animumque tuum ad optima quaeque propensum novi, non dubito Te facturum, satisque magnum fecero hac tam verbosa epistola fructum, si Te talem amicum adduxero quo vides a nobili atque egregia istius mentis tuae natura vocari. Scripsi quoque ad Te eam ob causam, quoniam scio me non cantaturum surdis, tum etiam quod cum in Te profecero, proficiam pariter in ista multitudine juvenum, quae Te sectatur, quos omnes cum patria quadam caritate complexurus sis, et optima quaeque instituturus, parum satisfacies muneri tuo, quin, ut aperte loquar, magnum scelus flagitiumque committes, si illos vanissimis stultissimisque imbuerit artibus; et­ enim ego hujusce rei culpam in praeceptores rejicere soleo, qui haec tradunt, nam ignari rerum omnium pueri, ad eos tamquam ad tempestatem quandam casu delati, prius circumveniuntur, primus inficiuntur, prius hoc in mari submerguntur, quam liceat eis quid rectum, quid pravum sit dijudicare; quamvis non tam culpem ipsos praeceptores, qui magna ex parte pueri sunt, et vix sciunt utra manus sit sua dextra, nunc primum ex ovo in scholas producti, qui potius ipsi praeceptore, et institutore, ac paed-

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und entschieden zurück, sodass sie Deinem Talent nicht in den Weg treten können. Du wirst sehen, dass es viel besser ist, sein Leben den wahren Künsten zu widmen, und dass diejenigen, die diese anderen Dinge behandeln, zum Gegenstand der Verachtung und des Spottes aller werden. Daher ermahne und bitte ich Dich: Ziehe Dich rechtzeitig von diesem Wahnsinn zurück, blase zum Rückzug und widme Dich solchen Studien, die eines Mannes und eines Talentes wie Dir würdig sind. Weil ich Deinen klugen Verstand und Deine natürliche Veranlagung zum Besten kenne, zweifle ich nicht, dass Du das tun wirst. Es wäre Belohnung genug für mich und für diesen wortreichen Brief, wenn er solch einen engen Freund wie Dich davon überzeugen würde, der natürlichen Tendenz Deines edlen und außergewöhnlichen Geistes zu folgen. Ich habe Dir auch geschrieben, weil ich weiß, dass ich bei Dir nicht auf taube Ohren stoßen werde und damit auch die vielen jungen Menschen beeinflussen werde, die Deine Studenten sind, wenn ich Dich überzeuge. Denn Du hast sie alle mit einer Art väterlicher Zuneigung willkommen geheißen und möchtest ihnen beibringen, was immer das Beste ist. Du wirst Deine Pflicht vernachlässigen – Du wirst sogar, um offen zu sprechen, ein schändliches Verbrechen begehen –, wenn Du sie weiter mit diesen leeren und dummen Künsten vollstopfst. Ich neige jedenfalls dazu, die Lehrer zu verachten, die diese Dinge weitergeben, weil die jungen Leute in vollkommener Unwissenheit von ihnen überwältigt und verdorben werden, wenn sie durch Zufall wie in einem Sturm dorthin getrieben werden, sodass sie in diesem Meer unter­gehen, bevor sie überhaupt eine Möglichkeit haben, für sich selbst zu entscheiden, was wahr oder falsch ist. Auf der anderen Seite sollte ich diese Lehrer aber nicht zu sehr ablehnen, da sie doch größtenteils selbst Kinder sind, die ihre rechte Hand kaum von der linken unterscheiden können. Denn dieser Tage werden sie, kaum dass sie aus dem Ei geschlüpft sind, sofort in die Schulen gebracht, und werden zu Lehrern oder Magistern, während sie doch selbst noch einen Lehrer und einen Tutor,

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agogo, ferulaque egent, quam ut boni esse queant institutores et magistri, atque isti (si diis placet) suum nomen quum ignorent, philosophi appellationem jam receperunt; non erga tam reprehenderim, quam ipsos gymnasiarchas, quos aetate, quos longo rerum usu edoctos oportuit qualia sint ista, quae suis in scholis maximo cum detrimento et damno totius juventutis tradi non sinunt modo, sed jubent quoque. Credo quod non arbitrantur alioqui se quaestum facturos, quod tamen quam possint sine magno crimine facere, viderint ipsi, homines theologi; mihi profecto ab his maxime tantae jacturae tam boni temporis et animorum juventutis, quae illorum curae tradita est, Deus postulaturus, acerbeque rationem exacturus videtur. Quis enim non credat manere graves cruciatus eum, qui innocenti, et inscio puero propter solam pecuniam imposuerit? Et hos qui puerorum tempus, qui vitam, qui animum perdunt, immunes fore? Et quo videas hanc rem ad summam suae impudentiae venisse, ut jam gravis atque intolerabilis, et Deo, et hominibus sit, quo religiosiores, quo sanctiores volunt gymnasiarchae videri, eo magis scholas suas his furoris insaniaeque clamoribus perstrepere jubent, illaque majore exercent supercilio, quam unquam Zeno fecit regidissima sua virtute tradenda. Te ipsum, mi Fortis, atque alium quemvis, neque enim recuso quenquam, judicem facio, num non tibi Parisiensis schola tamquam anus quaedam post octingentesinum suae aetatis annum cum tanto senio summe delirare videtur? Num non eam censes nisi arte aliqua, id est beneficio bonarum disciplinarum repubescat, quod Deus ipse omen avertat, horret

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e­ inen Erzieher und eine Rute bräuchten; und doch haben diese Personen (sofern es den Göttern gefällt) den Titel des Philosophen erhalten, die nicht einmal ihren Namen kennen. Daher sollte ich ihnen vielleicht nicht so viele Vorwürfe machen wie den Schulleitern, deren Alter und lange Erfahrung sie gelehrt haben sollten, welche Art von Dingen das sind, deren Lehre sie zum ernsthaften Schaden aller Schüler nicht nur erlauben, sondern sogar fördern. Ich nehme an, sie denken, dass sie anders keinen Gewinn machen können; aber als Theologen sollten sie doch Wege des Gelderwerbs finden, ohne ein Verbrechen zu begehen. Es scheint mir, dass Gott einen ernsten Bericht von ihnen allen für den Verlust so viel guter Zeit und für die schlechten Auswirkungen, die sie auf die jugendlichen Geister hatten, die ihnen anvertraut worden sind, verlangen wird. Wer glaubt nicht, dass einen Menschen, der sich selbst einem unwissenden und unschuldigen Jungen um des Geldes willen aufdrängt, schwere Strafen erwarten werden? Werden diejenigen, die Zeit, Leben und Seelen der Jungen zerstören, ungestraft davonkommen? Damit Du siehst, dass dieser Missbrauch die Höhe der Unverschämtheit erreicht hat, sodass er bereis bedrückend und für Gott und die Menschen untolerierbar ist, denke nur darüber nach, dass die Schulleiter ihre Fakultäten von diesem wilden und unsinnigen Krach je mehr widerhallen lassen, desto religiöser und frommer sie erscheinen wollen; daran arbeiten sie mit größerer Strenge als Zenon sie jemals in seinen starren Lehren der moralischen Tugend gezeigt hat. Ich bitte Dich, mein lieber Fortis, mit jedem zu urteilen, den Du willst, ich schließe niemanden aus: scheint es Dir nicht so, dass die Universität von Paris wie eine eine alte Frau ist, die ihre Achtzig bereits überschritten hat und wegen Senilität nicht mehr ganz bei Verstand ist? Glaubst Du nicht, dass sie bald zugrunde gehen wird (was Gott verhindern möge, mich erschreckt schon der bloße Gedanke), wenn sie ihre Jugend nicht durch eine bestimmte Form von Kunst, nämlich durch die Hilfe der guten Bildungsfächer,

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animus dicere, brevi interituram? Ego enim id ausim persancte dejerare, fore neminem tam hebetem et crassum hominem, qui liberos suos ad eam eruditionis gratia deduceret, si intelligeret, quae in ipsa, docentur. Cedo, quotusquisque ex doctis hominibus suos filios vel istuc, vel ad hos sophistas mittit? Nemo tam caecus est, nemo tam insanit, nemo tam filios vel negligit vel odit. Si quis ex iis istuc mittit, non ad sophistas mittit sed ad nonnullos, qui melius inter tot desipientes sapiunt. Si quis me cum stomacho loqui putat, is recte sentit. Neque enim de ea re summo sine dolore loqui possum, quae tam multas bonas horas me tam male collocare coegit. Nolo in praeceptores culpam rejicere, ne dum iusto meo indulgeo dolori, alicui parum fortassis prudenti minus esse gratus videar; nec dubito quin haec epistola si in manus istorum hominum venerit, ac poterint sibi imperare ut perlegant, fueritque ab eis intellecta, quod maxime cupio, sit plerosque ipsorum offensura; ab unoquoque tamen eorum qui offendentur, hoc me impetrare aequum est, ut credat me non esse peculiariter de se locutum, neve ipsum verba moveant, rem potius perpendat, et animum meum; quod si haec illi omnia parum probantur, ego aequi bonique facio, et, quod sit ei faustum et felix, haereat in complexu suorum perquam suavium asinorum, suaeque lepidae dialecticae. Ego neminem cogo, ac neque si vellem, possem quidem; moneo atque hortor, et ut philosophum decet, libere quae sentio, dico, quae tamen ipsi aliquando probabunt, et me bene monuisse tunc sentient, cum nihil eis ita sentire profuerit, cumque ipsi sero sapuerint, junioribus tamen consulent ut maturius sapiant.

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zurückgewinnt? Denn ich würde wagen, feierlich zu schwören, dass niemand stumpf und dumm genug wäre, seine Kinder für das Lernen zu ihr zu bringen, wenn er wüßte, was dort gelehrt wird. Sag mir, wie viele der gelehrten Menschen senden ihre Söhne dorthin oder zu diesen Sophisten? Es ist doch niemand so blind, niemand so verrückt, niemand vernachlässigt oder hasst seine Kinder so sehr. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der seine Söhne dorthin schickt, dann schickt er sie nicht zu den Sophisten, sondern zu den wenigen, die es zwischen so vielen Toren besser wissen. Falls jemand denkt, dass ich aus Ärger so spreche, hat er Recht, weil ich nicht ohne Bitterkeit von diesem Studium sprechen kann, das mich gezwungen hat, so viele Stunden auf so schlechte Weise zu verbringen. Ich möchte die Schuld aber nicht vollständig den Lehrern geben, um jemandem ohne Verstand gegenüber nicht undankbar zu erscheinen, wenn ich meiner Entrüstung freien Lauf lasse. Denn wenn dieser Brief in die Hände dieser Menschen fällt und sie sich überwinden können, ihn zu lesen, und wenn sie ihn dann noch verstehen können, wie es mein kühner Wunsch ist, dann zweifle ich nicht daran, dass er viele beleidigen wird. Ich kann billigermaßen jeden, der dadurch beleidigt ist, zu glauben bitten, dass ich nicht über ihn im Besonderen gesprochen habe, und dass er sich nicht durch meine Worte verstört fühlen sollte; er sollte die Sache und meine Absicht, durch meine Worte bewegt, lieber mit Bedacht erwägen. Wenn sie ihn nicht überzeugen sollten, schön und gut; möge er glücklich und zufrieden sein und an seinen geliebten Eseln und den Freuden seiner Dialektik festhalten. Ich zwinge keinen und könnte es nicht, selbst wenn ich wollte. Doch ich ermahne und ermuntere sie nachdrücklich und sage frei, was ich denke, wie es sich für einen Philosophen ziemt. Eines Tages werden sie billigen, was ich jetzt sage, und der Meinung sein, dass ich sie gut beraten habe – doch erst dann, wenn es ihnen nichts mehr nutzen wird, so zu denken; außer, dass sie, zu spät weise geworden, die jungen Leute dazu ermutigen können, früher weise zu werden.

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Quanquam testor conscientiam meam, et Deum Optimum Maximum, qui haec omnia videt auditque, mirari me, quenquam fore qui haec, modo intelligat, damnet; neque enim arbitror aliquem esse in toto orbe, sive doctum, sive inscium, sive ingeniosum, sive hebetem, stupidumque, cui haec non probentur, si ita dicantur ut ipse intelligat. Verum nostris hominibus parum haec modo placent; at ego non eorum judicium, quod nullius momenti est, sed doctorum illud, non numerosum quidem, ceterum amplissimum atque gravissimum, specto, illique placere studeo, neque enim numerare sententias soleo, sed appendere. Non placeo juvenibus, quibus nullum est consilium, nullum judicium, nulla mens, et senibus placebo, cum illis aetas melioris judicii nonnihil attulerit; nostros tamen Hispanos non tam moneo, et hortor, quam per quicquid est sacrorum obtestor obsecroque, ut finem jam faciant ineptiendi, ac delirandi, et pulcherrima ingenia studio dedant rerum pulcherrimarum, ut quemadmodum multis dotibus sumus ceteris gentibus superiores, ita et simus eruditione, quae si aliqua ingenia decet, nostra profecto decet. Verum hujusce rei argumentum latissimum est, idcirco prolixior opinione mea fuit epistola, et nisi me retinuissem, labebar ducente oratione multo longius; sed finem aliquando tandem epistolae fieri necesse est, nec omnia semel effundam, ut si saepius decertandum sit, quod futurum non dubito, novus semper veniam, quam facultatem magnitudo istius stultitiae, tot jam

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Ich rufe mein Gewissen und den allmächtigen Gott, der alles sieht und hört, als Zeugen an, dass ich überrascht wäre, wenn jemand diese Ansichten zurückweisen könnte, wenn er sie erst einmal verstanden hat. Denn ich denke nicht, dass es irgendeinen auf der ganzen Welt gibt, sei er gebildet oder unwissend, sei er talentiert oder stumpf und dumm, der nicht von ihnen überzeugt werden würde, wenn sie so formuliert sind, dass er sie verstehen kann. Unseren derzeitigen Mitgliedern der Universität gefallen sie freilich nicht; doch ich schaue nicht auf ihr Urteil, das keinen Bestand hat, sondern auf das Urteil von gelehrten Menschen – die sicher nicht viele, aber hochgeschätzt und ernsthaft sind – und versuche, ihnen zu gefallen. Denn es ist nicht meine Gewohnheit, Meinungen zu zählen, sondern sie zu wiegen. Ich gefalle den Jugendlichen nicht, die keine Ahnung, kein Urteil und keinen Verstand haben; doch ich werde ihnen als älteren Menschen gefallen, wenn das Alter ihnen ein besseres Urteil gebracht hat. Was unsere spanischen Gelehrten angeht, ermahne und ermuntere ich sie weniger, als dass ich sie vielmehr bei allem, was heilig ist, anflehe und beschwöre, sofort mit den Unsinnigkeiten und dem Wahnsinn aufzuhören und ihre schönsten Talente auf die schönsten Dinge zu verwenden, sodass wir, die wir den anderen Nationen in vielen Begabungen überlegen sind, es auch in der Bildung sein mögen, die – wenn sie irgendeinen Geist ziert – sicher den unseren ziert. Doch das ist ein sehr weitreichendes Thema, weshalb mein Brief länger geworden ist, als ich erwartet hatte; wenn ich mich nicht selbst aufgehalten hätte, wäre ich – durch meine eigene Rede angetrieben – noch viel länger fortgefahren. Doch ein Brief muss an einem gewissen Punkt zu einem Ende kommen, und ich sollte nicht alle meine Argumente auf einmal aussprechen, sodass ich, wenn diese Sache später weiter ausgefochten werden muss – und ich habe keinen Zweifel, dass das notwendig sein wird – frisch zum Kampf antreten kann. Es wird dank des enormen Ausmaßes dieses Wahnsinns, der nun seit Jahren

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annos molliter atque indulgenter enutritae et auctae, mihi largitur. Illud tamen antequam finiam non admonere rursus lectorem non possum, si modo quisquam erit hujus rei, praeter Te, lector, ut has ipse litteras, non a perturbatione aliqua sui animi in contrarium persuasus et raptus, legat, sed rationis examine cuncta perpendat; si ipsi bene suadere videbor, consilium sequatur meum, sin vero secus, animum prodesse cupientem laudet, verba vero consulat boni; atque ego quo animo ab aliis admonitionem hanc meam accipi vellem, eodem etiam aliorum, sive tuam, sive quis alius me admonere voluerit, capiam. Ita, si quis est, cui haec quae dico minus probantur, ejus ego perlibenter sententiam audiero, sin vero quidpiam ex iis, quae diximus, aliquis ambigit, si quo loco haeret, si quid eum remoratur, si aliquis etiam num urget scrupus, ei quoque publici commodi gratia, opera mea parata est, modo id non litigandi, sed inquirendae veritatis causa fiat, nam alioqui nunquam finis contentionum inveniretur. Quod si tantus illi fuerit pugnandi ardor, ego etiam, ut per omnia meis istis amicis obsequar, vel cum fortissimo eorum Thrace comparatus, arenam et campum non refugiam. Haec Tibi cum scripsissem, venerunt ad me Petrus Gratianus Lalous noster, et Toussanus Hocedius, Nicolausque Votonius, nunc mei, brevi quoque, ut spero, Tui; mire enim Te, etsi nunquam a se visum, diligunt, ducti iis rebus, quas illis ego de virtute retuli tua; omnes jusserunt salutem hic Tibi nomine suo adscribi, Lalous quidem, ut jam pridem communis amicus, Hocedius vero, et Votonius, ut brevi futuri. Nicolao Valdaurae

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genährt und gehegt worden ist, sicher keinen Mangel an Munition geben. Bevor ich schließe, kann ich nicht anders, als den Leser (wenn es außer Dir noch einen Leser geben sollte) noch einmal zu ermahnen, sich während der Lektüre dieses Briefes nicht durch irgendeine gegenteilige Meinung fortreißen und überzeugen zu lassen, sondern alle Argumente sorgfältig in der Ausgeglichenheit seiner Vernunft zu erwägen. Wenn er fühlt, dass ich ihn gut beraten habe, folge er meinem Ratschlag; andernfalls möge er meine Absicht loben und meine Worte im Guten aufnehmen. Ich werde ebenfalls Vorschläge von Dir oder von jedem, der mich beraten will, annehmen – in demselben Geist, von dem ich mir von anderen wünsche, dass sie meine [Vorschläge] akzeptieren mögen. Wenn es also jemanden gibt, der nicht ganz von dem überzeugt ist, was ich sage, freue ich mich, seine Meinung zu hören. Doch wenn irgendwer etwas von dem hier Gesagten anzweifelt, wenn ihn etwas zurückhält oder wenn ihn Skrupel bedrängen, steht ihm meine Zeit zu seiner und der des öffentlichen Wohls zur Verfügung, solange seine Motivation nicht nur der Disput, sondern die Suche nach der Wahrheit ist – denn andernfalls wird es niemals ein Ende der Streitigkeiten geben. Doch wenn er so kampfesmütig ist, werde auch ich – da ich meinen Freunden in allem gehorche – die Arena oder den Kampfplatz nicht fliehen, selbst wenn ich gegen den tapfersten Thraex62 antreten müsste, den sie haben. Ich hatte diesen Brief gerade beendet, als unser Freund Peter Gratian Laloo63 mich besucht hat, ebenso wie Toussaint Hosey64 und Nicholas Wotton65, die jetzt meine Freunde sind und die hoffentlich auch bald Deine sein werden. Denn sie mögen Dich, angeleitet durch das, was ich ihnen über Deinen Wert gesagt habe, unglaublich gern, auch wenn sie Dich nie getroffen haben. Sie alle bitten mich, Dich in ihrem Namen zu grüßen, Laloo als ein langjähriger gegenseitiger Freund, und Hosey und Wotton als Freunde, die sie bald sein werden. Meine Grüße auch an meinen Verwandten Nicholas Valdaura66, den ich Dir

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consanguineo meo S. quem Tibi, quod et saepe alias feci, quam possum maxime commendo, est enim mihi, ut scis, non minus carus, quam frater. Davalum quoque pro me saluta. Vale mi suavissime Fortis. Lovanii, Idibus Februariis, M. D. XIX.

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wärmstens empfehle, wie ich es auch bereits bei vielen anderen Gelegenheiten getan habe, denn er ist mir – wie Du weißt – so lieb wie ein Bruder. Grüße auch Davalus von mir. Lebe wohl, mein lieber Fortis. Louvain, den 13. Februar 1519

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A N M E R KU N G E N

1  Juan Fuertes oder Fort war ein Freund von Vives, der auch in dieser

Zeit (also nach 1509) in Paris studiert hatte. – Siehe weiterführend: Carlos G. Noreña, Juan Luis Vives, Den Haag 1970, S. 43 ff. 2  Zu der Zeit der Abfassung des Briefes musste Vives nach dem Tod seines jungen Schutzpatrons Guillaume de Croy an der Universität in Louvain für seinen Lebensunterhalt Vorlesungen halten. 3  Um die Kritik an den »Spaniern« an der Universität in Paris zu verstehen, muss man sich die Fülle an logischen Schriften von spanischen Autoren bewusst machen, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Paris gedruckt worden sind. Juan Luis Vives’ Lehrer am Collège de Montaigu, Gaspar Lax de Sarinena, war ebenfalls Spanier und einer der produktivsten Verfasser solcher logischer Texte, siehe: Ricardo Villoslada, La Universidad de Paris durante los estudios de Francisco de Vitoria O. P. (1507–1522), Rom 1938, S. 51–53, S. 405–406. – Wesentlich für die Kritik von Vives an seinen spanischen Landsmännern ist natürlich der Spanier Petrus Hispanus, der mit seinen Summulae logicales im 13. Jahrhundert die Standardeinführung in die terministische Logik bis ins 17. Jahrhundert geschrieben hatte. 4  In vielen Beispielen der Scholastik wurde der Esel als Vertreter der tierischen, unintelligenten Lebewesen angeführt. 5 Timotheus von Milet war ein Dichter und Musiker aus Milet (ca.  450 – 360 v. Chr.), dessen bekannteste Schrift die Dichtung »Die Perser« ist. Die Geschichte, auf die Vives sich hier bezieht, findet sich in Quintilians Institutio oratoria: Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners, lat.-dt., hg. u. übers. v. Helmut Rahn, Darmstadt 52011, II, 3, 3. 6  Diese Episode wird von Cicero berichtet. – Vgl. Marcus Tullius Cicero, De oratore. Über den Redner, lat.-dt., übers. u. hg. v. Harald Merklin, Stuttgart 1981, II, 299, S. 401. 7  Mit »Dialektik« ist in diesem Brief immer das Fach des Triviums der septem artes liberales gemeint, das vor allem die Logik auf der Grundlage des Organon des Aristoteles zum Gegenstand hatte. 8  So die Einführungsworte des Petrus Hispanus in seine Summulae logicales: »Die Dialektik ist eine Kunst, die den Weg zu den Grundlagen

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Anmerkungen

aller wissenschaftlichen Verfahren zeigt. Und deshalb muss die Dialektik beim Erwerb der Wissenschaften an erster Stelle stehen.« (In: Petrus Hispanus, Logische Abhandlungen, hg. u. übers. v. Wolfgang Degen u. Bernhard Pabst, München 2006, S. 3) – Das war zugleich die gängige Definition der Dialektik in der gesamten scholastischen Philosophie, siehe: Walter J. Ong, Ramus, Method, and the Decay of Dialogue, Cambridge 1958, S. 56. 9  Das Wortspiel ist schwierig wiederzugeben, weil es auf einem spätlateinischen Sprichwort beruht: »homo eiusdem farinae«, ungefähr: »Ein Mann von demselben Schrot und Korn, von derselben Gesinnung.« Vives setzt für farina das Wort furfur (Kleie) ein. 10  Die Dialektik wurde – ebenso wie die anderen beiden Fächer des Triviums (Grammtik u. Rhetorik) – als eine scientia sermocinalis betrachtet, die auf der Sprache aufbaute, doch in den Augen der Humanisten ist sie bei den Logikern zu einer Art Nicht-Sprache verkommen. 11  Diese Anekdote beruht auf der Geschichte, dass das Pferd von Sulpicius Galba zusammengebrochen sein soll, als er als Statthalter aus Rom in seine Provinz Hispania ulterior reisen wollte (vgl. Sextus Pompeius F ­ estus, De verborum significatu: quae supersunt, cum Pauli Epitome, hg. v. Wallace Martin Lindsay, Leipzig 1913 [unv. Nachdruck Hildesheim 1965], S. 356). 12  Antikyra war eine Stadt in der Gebirgslandschaft Phokis am Golf von Korinth. In der Nähe soll der Nieswurz in großer Menge gewachsen sein, der in der Antike als Mittel gegen Wahnsinn galt (vgl. Strabon, Geographika, hg. u. übers. v. Stefan Radt, 10 Bde., Göttingen 2002–2011, Bd. 7, IX, 418; Plinius der Ältere, Naturkunde. Naturalis historia, lat.-dt., hg. u. übers. v. Roderich König, Zürich 1996, XXV, 21, 47, S. 46 ff.). 13  Die meisten der nun folgenden Sophismata, die Vives als Beispiele für die bizarren Aussagen der Logiker bringt, entstammen entweder direkt den Diskussionen während der Vorlesungen oder orientieren sich nahe daran, wie anhand überlieferter Listen von derartigen Beispielen belegt werden kann. Vives hat sie sich keinesfalls ausgedacht. – Vgl. hierzu ausführlich: Juan Luis Vives, In Pseudodialecticos. A Critical Edition, hg. v. Charles Fantazzi, Leiden 1979, S. 40  ff. 14  Vgl. Marcus Tullius Cicero, Gespräche in Tusculum, lat.-dt., hg. u. übers. v. Olof Gigon, München 1970, I, 14, S. 18. 15  Hiermit sind die Nominalisten bzw. Konzeptualisten gemeint, deren bekanntester Vertreter Wilhelm von Ockham (1288–1347) war. Ihnen zufolge sind geistige Entitäten (intentiones) oder Konzepte wichtiger als

Anmerkungen

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Worte, die keine Universalien, sondern nur Einzeldinge bezeichnen. Dem Konzeptualismus zufolge werden sprachliche Zeichen durch Konvention etabliert (secundum placitum instituentis), wohingegen der geistige Inhalt seine Bedeutung von der Natur erhalte. – Vgl. Ernest A. Moody, Medieval Logic, Amsterdam 1953, S. 19 f. 16  Marcus Tullius Cicero, De legibus. Paradoxa Stoicorum. Über die Gesetze. Stoische Paradoxien, lat.-dt., hg. u. übers. v. Rainer Nickel, Darmstadt 1994, I, 15, 45, S. 50. 17  Ein Solözismus (griech. σολοικισμός soloikismós) ist ein grober sprachlicher Fehler in der Syntax, vermutlich so genannt nach der griechischen Stadt Soloi in Kilikien, deren Einwohner, wohl durch den Einfluss benachbarter Barbarenstämme, ein schwer verständliches Griechisch gesprochen haben sollen. 18  Ein Sophist, über den wenig bekannt ist. Er wird von Valerius Maximus sowie von Cicero erwähnt, siehe: Valerius Maximus, Sammlung merkwürdiger Reden und Thaten, 5 Bde., hg. u. übers. v. Friedrich Hoffmann, Stuttgart 1828–29, Bd. 1, I, 8, ext. 8, S. 75; Marcus Tullius Cicero, De fato. Über das Schicksal, lat.-dt., hg. u. übers. v. Paola Calanchini, Stuttgart 2015, 3, 5, S. 15. 19  Euthydemos von Chios war ein Sophist und älterer Zeitgenosse von Sokrates, der in Platons Dialog desselben Titels als lächerliche Figur dargestellt wird (vgl. Platon, Euthydemos, in: ders., Sämtliche Dialoge, Bd. 3, hg. u. übers. v. Otto Apelt, Hamburg 2004 [Nachdruck d. Ausg. Leipzig 1922]). 20  Der Bruder von Euthydemos, ist in demselben Dialog Platons eine ähnlich lächerliche Figur wie Euthydemos selbst (s. Anm. 19). 21  Vgl. Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, in: ders., Philosophische Schriften, 6 Bde., hg. v. Eugen Rolfes, Hamburg 1995, Bd. 2, S. 1–70. 22  Gaspar Lax (geb. 1487 in Sariñena, gest. 23. Februar 1560 in Saragossa) war ein in Paris wirkender spanischer Mathematiker, Logiker und Philosoph. Er lehrte 1507/08 am Collège de Calvi in Paris und danach am Collège de Montaigu, wo er Schüler von John Major war. Dort auch das Zusammentreffen mit Vives. Er lehrte bis 1523 in Paris und kehrte dann nach Spanien zurück. 1525 lehrte er in Saragossa Mathematik und Philosophie und blieb dort bis zu seinem Tod. Zeitweise war er Vizekanzler und Rektor der Universität. 23  Jan Dullaert (geb. 1480 in Gent – gest. 1513), Tutor von Juan Luis Vives am Collège de Montaigu in Paris; Vives hat eine Lebensbeschreibung von ihm geschrieben. – Vgl. ausführlich: Juan Luis Vives, Vita Ioan-

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Anmerkungen

nis Dullardi, in: ders., Early Writings 2, hg. u. übers. v. Jozef Ijesewijn u. a., Leiden u. a. 1991, S. 10  ff. Dort auch weiterführende Literatur. 24  Die Geten waren ein indoeuropäisches Reitervolk des frühen Altertums. 25  Die Sarmaten, ein nomadisches Reitervolk aus einer Region östlich des Don, waren eng mit den Skythen verwandt und sprachen eine ähnliche indoeuropäische Sprache. Wie das Getische ist das Sarmatische so weit vom Lateinischen entfernt, dass Vives sie als Beispiele für die Absurdität der These heranzieht. 26  Marcus Tullius Cicero, Über das Schicksal. De fato, lat.-dt., hg. u. übers. v. Karl Bayer, Düsseldorf  /  Zürich 42000, XI, 24, S. 40. 27  Anicius Manlius Severinus Boethius (um 480–526), Magister officiorum unter dem Gotenkönig Theoderich, war für die mittelalterliche Wissenschaft von großer Bedeutung. Gerade seine Übersetzungen der Categoriae und von De interpretatione des Aristoteles waren – neben seinen eigenen wissenschaftlichen Schriften – für die Logik des Mittel­ alters wichtig (vgl. J. Gruber u. a., Art. »Boethius, Anicius Manlius Severinus«, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977–1999, Bd. 2, Sp. 308–315). 28  Petrus Hispanus (1205–1277), ab 1276 Papst Johannes XXI., hat mit seinen Summulae logicales im 13. Jahrhundert die Standardeinführung in die terministische Logik bis ins 17. Jahrhundert geschrieben (siehe: B. Roberg, Art. »Joannes XXI«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd.  5, Sp. 544; eine deutsche Übersetzung der Summulae logicales liegt vor: ­Petrus Hispanus, Logische Abhandlungen, hg. u. übers. v. Wolfgang Degen u. Bernhard Pabst, München 2006). 29  Martianus Capella (5./6. Jh. n. Chr.) verfasste mit seinem Werk De nuptiis Philologiae et Mercurii einen der einflussreichsten Texte über die Sieben Freien Künste (Septem artes liberales) des Mittelalters (vgl. H. Backes, Art. »Martianus Capella«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd.  6, Sp. 338 f.; eine deutsche Übersetzung liegt vor: Martianus Capella, Die Hochzeit der Philologia mit Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii, übers. u. hg. v. Hans Günther Zekl, Würzburg 2005). 30  Der Luxus der Bäder des Nero war sprichwörtlich, siehe etwa: Martial, Epigramme, hg. u. übers. v. Rudolf Helm, Zürich  /  Stuttgart 1957, 7, 34, 5, S. 267. 31  In der Syllogistik der Scholastik bezog sich das Wort »Festino« mnemotechnisch auf den dritten Modus der zweiten Figur. Er besteht aus einem generellen verneinenden Obersatz und einem besonderen be-

Anmerkungen

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jahenden Untersatz, die zu einer besonderen verneinenden Konklusion führen. Also etwa: »Kein Tier, das mit Kiemen atmet, ist ein Säugetier. Einige Wassertiere sind Säugetiere. Einige Wassertiere atmen nicht mit Kiemen.« 32  Wortspiel zu lat. »festinus« = eilig, hastig. 33  Ungefähr: »der andere irgendein anderer« 34  Die Humanisten führten die Verschlechterungen in der Logik und der lateinischen Sprache auf die »Barbari britanni« zurück, die ihre logischen Feinheiten nach Paris und den Rest Europas gebracht hätten. – Vgl. etwa: Coluccio Salutati, De laboribus Herculis, hg. v. Berthold L. Ullman, Tours 1951, S. 3 ff. 35  Scherzwort zwischen Vives und Erasmus von Rotterdam, das sich auf die Kapitel 6–12 der Summulae logicales des Petrus Hispanus bezieht, die zusammenfassend den Namen parva logicalia trugen. – Vgl. Petrus Hispanus, Logische Abhandlungen. Summulae logicales, a. a. O., S. 95 ff. 36  Vgl. Aristoteles, Kategorien, in: ders., Philosophische Schriften, übers. u. hg. v. Eugen Rolfes, 5 Bde., Hamburg 1995, Bd. 1, S. 1–42. 37  Vgl. ders., Lehre vom Satz, in: ders., ebd., Bd. 1, S. 1–28. 38  Vgl. ders., Lehre vom Schluss oder Erste Analytik, in: ders., ebd., Bd. 1, S. 1–151. 39  Vgl. ders., Lehre vom Beweis oder Zweite Analyrik, in: ders., ebd., Bd. 1, S. 1–112. 40  Vgl. ders., Topik, in: ders., ebd., Bd. 2, S. 1–203. 41 Vgl. ders., Sophistische Widerlegungen, in: ders., ebd., Bd.  2, S. 1–70. 42  Der Konflikt zwischen der Philosophie und den Glaubenswahrheiten zeigte sich vor allem in Bezug auf die Lehre von der Trinität Gottes, die sich logisch nicht erklären lässt. Die von Vives hier angeführten Beispiele beruhen auf den Überlegungen Wilhelms von Ockham: Wilhelm von Ockham, Summa logicae, hg. v. The Franciscan Institute of St. Bonaventure University, New York 1974, III, 1, 5. 43  Die Kommentierung der Sentenzen des Petrus Lombardus – einer systematischen Darstellung der Theologie, aufbauend auf den Aussagen der Kirchenlehrer und Kirchenväter aus dem 12. Jh. – war seit dem 13. Jahrhundert fester Bestandteil des Magisterstudiums der Theologie (vgl. Petrus Lombardus, Sentences, hg. u. übers. v. Giulio Silano, Toronto 2010). 44  Vgl. Marcus Tullius Cicero, De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, lat-dt., hg. u. übers. v. Heinz Gunermann, Stuttgart 1976.

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Anmerkungen

45  Vgl. ders., De legibus. Paradoxa Stoicorum / Über die Gesetze.

­Stoische Paradoxien, a. a. O. 46 Vgl. ders., Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O. 47  Vgl. ders., Lucullus. Akademische Abhandlungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. Christoph Schäublin u. a., Hamburg 1998. 48  Vgl. H.-J. Werner, Art. »Duns Scotus, Johannes«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 5, Sp. 571–574. 49  Vgl. J. Miethke, Art. »Guillelmus de Ockham«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 9, Sp. 178–182. 50  Vgl. Alessandro Conti, Art. »Paul of Venice«, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, hg. v. Edward N. Zalta, https://plato.stanford. edu/archives/sum2017/entries/paul-venice. 51  William Heytesbury (14. Jh.), Mathematiker, 1348 als Mitglied des Merton College genannt, Gründungsmitglied des Queen’s College (1341), einer der Hauptvertreter der Mertonschule, die sich v. a. mit der quantitativen Änderung von Qualitäten beschäftigte. – Vgl. M. Folkerts, Art. »Heytesbury, William«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 4, Sp. 2206; Curtis Wilson, William Heytesbury. Medieval Logic anf the Rise of Mathematical Physics, Madison 1956. 52  Gregor von Rimini (gest. 1358), Ordensgeneral der Augustiner und Schüler von Wilhelm von Ockham. – Vgl. A. Zumkeller, Art. »Gregorio da Rimini«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 4, Sp. 1684  f. 53  Richard Swineshead (Swyneshed, Suisseth, Suicet u. a., 14. Jh.), englischer Naturphilosoph, war Mitglied des Merton College zu Oxford. Sein Hauptwerk ist der »Liber calculationum« (um 1350). Seine Texte benutzen logico-mathematische Techniken zur Berechnung von physikalischen Variablen. Swineshead antizipierte einige Konzepte der späteren Differentialrechnung, noch Leibniz nennt ihn mit Wertschätzung. – Vgl. J. D. North, Art. »Richard Swineshead«, in: Lexikon des Mittel­alters, a. a. O., Bd. 7, Sp. 826. 54  Adam Wodeham, Franziskanertheologe (um 1295–1358), ab 1340 Magister regens in Oxford. Unmittelbarer Schüler des Wilhelm von Ockham und bedeutender Nominalist. – Vgl. William J. Courtenay, Adam Wodeham: An Introduction to His Life and Writings, Leiden 1978. 55  Thomas Buckingham, Theologe (um 1300 –  ca. 1356), seit 1324 Mitglied des Merton College, Oxford. In dem um 1335 entstandenen Sentenzen-Kommentar führte er als einer der Ersten die Methode der calcula-

Anmerkungen

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tiones ein. – Vgl. Markowski, M., Art. »Thomas de Buckingham«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 8, Sp. 711. 56  Das könnte bereits eine Anspielung auf Vives’ Hauptwerk De disciplinis von 1531 sein (vgl. Juan Luis Vives, De disciplinis libri XX, Antwerpen 1531; deutsche Übersetzung der ersten sieben Bücher dieses Werkes: Über die Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium, lat.-dt., hg. v. Emilio Hidalgo-Serna, übers. v. Wilhelm Sendner, München 1990). 57  Eine »feste Haltung« ist hier die Übersetzung von lat. »habitus« im Sinne des griechischen Wortes »hexis«. Damit ist ein permanenter Zustand bzw. eine Charakterhaltung gemeint, die durch Übung ge­festigt wurde. 58  Juvenal, Satiren, lat.-dt., hg. u. übers. v. Joachim Adamietz, München 1993, 2, 14, S. 23. 59  Marcus Tullius Cicero, De natura deorum. Vom Wesen der Götter, lat.-dt., hg. u. übers. v. Wolfgang Gerlach u. Karl Bayer, Darmstadt 1990, II, 5, S. 149. 60  Die Kimmerier sind bei Homer die Bewohner des Okeanos im äußersten Westen, wo immer Dunkelheit herrscht: »Jetzo erreichten wir des tiefen Oceans Ende. / Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer. / Diese tappen beständig in Nacht und Nebel; und niemals / Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne; […] Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.« (In: Homer, Odyssee, übers. v. Heinrich Voß, Frankfurt / Main 1990, XI, Z. 14–19, S. 642.) 61  Das waren redende Puppen, die im antiken Rom auf Festumzügen mitgeführt wurden. 62  Latein für »Thraker«, einen schwerbewaffneten römischen Gladiator. 63  Peter Gratian Lalous (Laloo), war während der Abfassung von In pseudodialecticos mit Vives zusammen in Louvain. – Vgl. Juan Luis ­Vives, In pseudodialecticos. A critical Edition, hg. v. Charles Fantazzi, a. a. O., S. 99 Anm. 90. 64 Toussaint Hosey, war Student an der Universität in Louvain, Freund von Vives und wurde ab 1543 Bischof von Toul. – Vgl. Peter G. Bietenholz, Art. »Toussaint Hossey«, in: Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, hg. v. Peter G. Bietenholz, 3 Bde., Toronto u. a. 1985, Bd. 1, S. 207.

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Anmerkungen

65  Nicholas Wotton (1497–1567), Staatssekretär, Diplomat, Dean of

Canterbury, Jugendfreund von Vives. – Vgl. Juan Luis Vives, Against the Pseudodialecticians. A Humanist Attack on Medieval Logic, hg. u. übers. v. Rita Guerlac, Dodrecht u. a. 1979, S. 217 Anm. 62. 66  Nicholas Valdaura, später Vives’ Schwager, Freund und Schüler von Juan Fortis, später Arzt in Brügge. – Vgl. Juan Luis Vives, Against the Pseudodialecticians. A Humanist Attack on Medieval Logic, a. a. O., S. 217 Anm. 62.

NA M E N V E R Z E IC H N I S

Ambrosius, Bischof von Mailand und Kirchenvater  43, 61 Apollon 11 Aristoteles  13, 33, 49, 51, 53, 65 Arnold (Freund von Vives)  45 Augustinus, Bischof von Hippo ­Regius  43, 55, 57, 59 Boethius (Anicius Manlius Severinus Boethius)  39, 49 Buckingham, Thomas  61 Cato (Marcus Porcius Cato d. J.) 17, 67 Chrysippos von Soloi  49 Cicero (Marcus Tullius)  13, 17, 19, 21, 27, 37, 39, 41, 43, 49, 59, 61, 73 Cyprian (Thascius Caecilius Cyprianus), Bischof von Karthago 43 Daphitas von Telmissos  31 Davalus 91 Dullaert, Jan  33, 79 Dionysodorus von Chios  31

Gregor von Rimini  61 Herkules 21 Heytesbury, William  61 Hieronymus (Sophronius Eusebius)  43, 61 Hilarius von Poitiers, Bischof und Kirchenlehrer 43 Hosey, Toussaint  89 Johannes XXI. (Papst)  s. Petrus Hispanus Johannes Duns Scotus  61 Jupiter 19 Karneades von Kyrene  49 Laelius (Gaius Laelius Sapiens) 17 Lalous, Peter Gratian (Laloo)  89 Lax, Gaspar  33, 79 Livius, Titus (Titus Livius Patavinus)  17, 43 Magdalena (Maria Magdalena)  67 Martianus Capella (Martianus ­Mineus Felix Capella)  39

Euthydemos von Chios  31 Fortis, Juan ( Juan Fuertes)  3, 5, 33, 77, 79, 83, 91

Nero (Nero Claudius ­Caesar ­Augustus Germanicus), röm. Kaiser 41

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Namenverzeichnis

Ockham, Wilhelm von  61 Paulus Venetus  61 Petrus Hispanus  39, 43, 47, 49 Platon  49, 63 Plinius (Gaius Plinius Secundus Maior)  17, 43, 49, 61, 63 Pythagoras von Samos  53 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus)  17, 39, 43, 49

Sokrates  9, 21, 23, 43 Stentor 69 Sulpicius Galba  15 Swineshead, Richard  61 Themistokles 7 Theophrastos von Eresos  63 Timotheus von Milet  7 Valdaura, Nicholas  89 Varro, Marcus Terentius  17, 19, 49 Vives, Juan Luis  3, 33

Rocca (Freund von Vives) 45 Sallust (Gaius Sallustius ­Crispus) 17 Simonides von Keos  7

Woodham, Adam  61 Wotton, Nicholas  89 Zenon von Kition  83