Mathematik und Logik in Julians Digesten: (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.] 9783428545858, 9783428145850

Die Arbeit soll einen Beitrag zur Erforschung der juristischen Methode Julians leisten. In der Literatur wird die Frage

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Mathematik und Logik in Julians Digesten: (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.]
 9783428545858, 9783428145850

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Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 73 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Mathematik und Logik in Julians Digesten Von

Markus Winkler

Duncker & Humblot · Berlin

MARKUS WINKLER

Mathematik und Logik in Julians Digesten

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 73 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Mathematik und Logik in Julians Digesten

Von

Markus Winkler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buch.bücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-14585-0 (Print) ISBN 978-3-428-54585-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84585-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Гроссмеистер смотрел на пустую доску, на шестьдесять четыре абсолютно бесстрастных поля, способных вместить не только его собственную жизнь, но бесконечное число жизнеи, и зто бесконечное чередование светлых и тёмных полеи наполнило его благоговением и тихои радостью1.

Die Idee zur vorliegenden Untersuchung entstand gegen Ende meiner juristischen Magisterarbeit über Julians liber singularis de ambiguitatibus. Sollte Julian bei seinen Überlegungen tatsächlich von der stoischen Logik beeinflusst gewesen sein, wie dies Juan Miquel in seinem 1970 erschienenen Artikel vermutete, müssten sich Spuren seiner Kenntnisse auch in seinen übrigen Schriften finden lassen, es sei denn, sein liber singularis wäre bloß eine vereinzelte Übung ohne weiteren Belang für sein juristisches Denken geblieben. Eine erste Durchsicht von Julians Digensten förderte eine größere Anzahl von Stellen zutage, welche mit der Logik in Verbindung gebracht werden können. Es stellte sich schnell heraus, dass eine Untersuchung nach rein logischen, von modernen Gesichtspunkten gesteuerten Kriterien nicht angemessen sein konnte. Obwohl die Arbeit nach der exegetischen Methode vorgeht, knüpft sie folglich auch an weitere Erkenntnisse aus der antiken Philosophie und der Rechtstheorie an. Spezialisten dieser Gebiete werden manche der einschlägigen Literatur entlehnten Positionen kritisch hinterfragen wollen. Sie mögen die oft verkürzte, durchaus opportunistisch auf die späteren exegetischen Anwendungen ausgerichtete Darstellung verzeihen, welche manche interessante Kontroverse in der Literatur ausblendet, ging es mir doch nicht darum, ein weiteres Handbuch der antiken Logik zusammenzustellen. Die romanistisch geprägten Leser dürfen einen Beitrag zur Methode eines herausragenden römischen Juristen aus besonderer Perspektive erwarten. Sie werden en passant auch einige kontroverse Positionen zur Natur des römischen Rechts wiedererkennen. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Ulrike Babusiaux, die mit ihren Vorlesungen und Seminaren mein Interesse für das römische Recht geweckt hat. Sie machte mich nicht nur auf Julians liber singularis aufmerksam, sondern begleitete den Fortgang meiner Arbeit mit stetigem Interesse und großer Offenheit. Ihre kon 1 „Der Großmeister blickte auf das leere Brett, auf die 64 absolut leidenschaftslosen Felder, in der Lage, nicht nur sein eigenes Leben, sondern eine unendliche Anzahl von Leben in sich zu fassen, und diese unendliche Abfolge von hellen und dunklen Feldern erfüllte ihn mit Ehrfurcht und stiller Freude“. – Wassilij Aksjonow, Der Sieg, Eine Erzählung mit Übertreibungen, 1965.

6

Vorwort

struktiven Kommentare zu mehreren fortlaufenden Entwürfen beförderten nicht nur das finale Zusammenwachsen der einzelnen Kapitel. Sie sorgten auch immer wieder für eine – hoffentlich – ausreichend kritische Distanz zur Logik und zur Mathematik als meinem ersten Studienfach, deren Denkweise ich wohl nicht immer entfliehen konnte. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ernst danke ich für die Übernahme des Koreferats und wertvolle kritische Anmerkungen. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Matthias Armgardt, der mich an zahlreiche interdisziplinäre Studien zur Logik im Recht heranführte und mich als Gast im interdisziplinären, deutsch-französischen Projekt JuriLog begrüßte, welches sich zum Ziel setzt, die Berührungspunkte zwischen Logik und Rechtswissenschaft zu erforschen. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kaiser gebührt Dank für seine Gastfreundschaft und die Möglichkeit, in der wunderbaren Atmosphäre der Bibliothek seines Instituts an der Universität Freiburg i. Br. an der Fertigstellung der Druckfassung zu arbeiten. Der Universität Zürich schließlich danke ich für die finanzielle Unterstützung meiner Dissertation, die es mir erlaubte, mich weitgehend unbelastet ganz ihrer Ausarbeitung zu widmen2. Zürich, im Januar 2014

2

Forschungskredit der Universität Zürich, FK-13–011.

Markus Winkler

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

15

A. Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Kasuistik und Intuition: Zur römischen Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Julians juristische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Kapitel 2

Elementare Mathematik

35

A. Fragestellung: Erst rechnen, dann teilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Mathematik im alten Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Abstraktion, Formeln und Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Auswahl der Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. Proportionalität: pro parte hereditaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Iul. Pal. 117 (D. 40,7,12 – Iul. 8 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86 – Iul. 40 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2 – Iul. 23 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 E. Gleichungen: ex eo evenit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Iul. Pal. 301 (D. 35,2,85 – Iul. 18 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

8

Inhaltsverzeichnis 2. Iul. Pal. 756.0 (D. 35,2,87 pr. – Iul. 1 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Iul. Pal. 756.1 (D. 35,2,87,1 – Iul. 61 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr. – Iul. 29 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

F. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Kapitel 3

Assertorische Logik

79

A. Fragestellung: Die Welt ist voller Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Grundlagen (erster Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Aristotelische Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Stoische Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Sprachgebrauch der Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. Logische Verknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Auswahl der Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 D. Echte und unechte Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10 – Iul. 52 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Iul. Pal. 717.0 (D. 46,3,34 pr. – Iul. 54 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 E. Bedeutungsvarianten von aut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Iul. Pal. 161 (D. 12,6,32 pr. – Iul. 10 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Iul. Pal. 478.9+11 (D. 30,84,9+11 – Iul. 33 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Iul. Pal. 465.0–1 (D. 33,5,9 pr.-1 – Iul. 32 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Iul. Pal. 71 (D. 30,79 – Iul. 5 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8 – Iul. 33 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Iul. Pal. 478.12 (D. 30,84,12 – Iul. 33 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 G. Ergebnisse (erster Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 H. Grundlagen (zweiter Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Die Doppelnatur des Konditionals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Erster Zugang: Stoische Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Zweiter Zugang: Antike Vorstellungen der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Inhaltsverzeichnis

9

I. Auswahl der Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 J. Konditional und Faktenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3 – Iul. 43 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr. – Iul. 43 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr. – Iul. 42 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 K. Ergebnisse (zweiter Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Kapitel 4 Modallogik

162

A. Fragestellung: Die römische Bedingungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Zum Stand der Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Programm für Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Die Modallogik nach Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Stoische Modallogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Die nicht-deterministische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 C. Auswahl der Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 D. Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Iul. Pal. 240 (D. 18,1,39,1 und D. 33,6,5 – Iul. 15 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Iul. Pal. 713 (D. 19,1,25 – Iul. 54 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Iul. Pal. 150.0 (D. 12,1,19 pr. – Iul. 10 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. Iul. Pal. 697.8 (D. 45,1,56,8 – Iul. 52 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 E. Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2 – Iul. 34 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6 – Iul. 32 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Iul. Pal. 520.1 (D. 30,91,1 – Iul. 36 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17 – Iul. 36 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Iul. Pal. 464 (D. 30,89,9 – Iul. 32 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6. Iul. Pal. 465.2 (D. 33,5,9,2 – Iul. 32 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

10

Inhaltsverzeichnis 7. Iul. Pal. 596 (D. 40,7,20,3 – Paul. 16 ad Plaut.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Iul. Pal. 759 (D. 28,6,28 – Iul. 62 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12 – Iul. 42 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Iul. Pal. 761.2 (D. 49,15,22,2 – Iul. 62 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3 – Iul. 62 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 G. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Kapitel 5

Axiomatisches Denken

245

A. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Aristotelische Schlussformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Stoische Schlussformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Das Enthymem als logisch unvollkommener Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Selbstreflexion bei Julian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 C. Auswahl der Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 D. Juristisches Argumentieren (Teil 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16; 34,3,11; 5,11 – Iul. 36 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41 – Iul. 30 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 E. Juristisches Argumentieren (Teil 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Iul. Pal. 821.1+2 (D. 9,2,51,1+2 – Iul. 86 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Iul. Pal. 132.0 (D. 9,4,39 pr. – Iul. 9 dig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 F. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Kapitel 6 Schlussbetrachtung 289

Inhaltsverzeichnis

11

Anhang 294 A. Übersicht der besprochenen Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Nach Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Nach Inhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Übersetzungen antiker Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Quellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Juristische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Literarische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Quicquid enim fieri potest quasi futurum sit prospiciendo malorum omnium impetus molliet.1



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Sen. Tranq.11,6.

Abkürzungsverzeichnis ADHE Anuario de historia del derecho espanol (Madrid) ANRW Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (Berlin, New York) Art. Artikel Aufl. Auflage Bd. Band Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich BGB Codex Iustinianus C. Cel. Celsus CHF Schweizer Franken Corpus inscriptionum latinarum CIL condemnato, si non paret absolvito c. s. n. p. a. D. Digesta Iustiniani declamatio Decl. dig. digesta DNP Der Neue Pauly EL Erblasser folgende Seite(n) f./ff. fdc fideicommissum Flor. Florentinus Fn. Fussnote Fr. Fragment FS Festschrift Gai. Gaii institutiones, Gaius Gatt. Gattung Herm. Hermogenian Hrsg./hrsg. v. Herausgeber/herausgegeben von Inst. Institutiones Iustiniani Iul. Julian in Verbindung mit i. V. m. J. Journal lpd legatum per damnationem lpv legatum per vindicationem Maec. Maecenatus Mar. Marcian Marcell. Marcellus N Note n. Chr. nach Christus Nr. Nummer Pal. Palingenesia (Lenel) Pap. Papinian Paul. Paulus

Abkürzungsverzeichnis

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Pomp. Pomponius pr. principium RHD Revue Historique de Droit Français et Étranger (Paris) RIDA Revue Internationale des Droits de l’Antiquité (Brüssel) Rz. Randzeichen S. Seite Studia et documenta historiae et iuris (Rom) SDHI Schweizerisches Strafgesetzbuch StGB-CH StGB-D Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland Teren. Terentius Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis = Revue d’histoire du droit = The legal TR history review (Leiden) Übers./übers. Übersetzung/übersetzt Ulp. Ulpian vor Christus v. Chr. Ven. Venuleius vgl. vergleiche Schweizerisches Zivilgesetzbuch ZGB zit. zitiert Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung (Wien) (auch ZRG ­Savigny Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung (Wien) ZRG GA 〈 〉 [ ]

im Quellentext eingefügte emendatio im Quellentext eingefügte Erläuterung

Die Abkürzungen antiker Autoren und ihrer Werke folgt den Konventionen von Blackwell.

Verzeichnis logischer Symbole ∧ Konjunktion („und“) ∨ Disjunktion („oder“) Negation („nicht“) ¬ := Definition („es sei“) : Satz („es gilt“) 〉--〈 ausschließende Disjunktion / Sheffer-Symbol → materielle Implikation („es folgt“) ⊃ philonische Implikation („es folgt“) ; ≥ größer als, größer oder gleich als ∀ All-Quantor („für alle“) Existenz-Quantor („es gibt mindestens ein“) ∃ ∈ Element von 0 Wahrheitswert „falsch“ 1 Wahrheitswert „wahr“ Wahrheitsoperator (liefert einen Wahrheitswert 0 oder 1) T[..] F[..] Falschheitsoperator (liefert einen Wahrheitswert 0 oder 1) L; £ Notwendigkeit („es ist notwendig, dass“) M; ◊ Einweg-Möglichkeit („es ist möglich, dass“) Zweiweg-Möglichkeit (Kontingenz) Q hindernde externe Faktoren H

Kapitel 1

Einführung A. Fragestellungen Neben dem monumentalen, wirkungsmächtigen Hauptwerk seiner Digesten in 90 Büchern1 verfasste der hochklassische Jurist Salvius Julianus2 auch eine kleine, mit Blick auf seine Textmasse gar verschwindend kleine Einzelschrift mit dem Titel liber singularis de ambiguitatibus3. Diese Schrift galt der Forschung lange Zeit als sonderbar und rätselhaft4, bis es Miquel gelang, mit seinem 1970 erschienenen Beitrag zum Einfluss der stoischen Logik auf die römische Juris­ prudenz etwas Licht ins Dunkel zu werfen5. Seine Schrift schloss er mit der Vermutung ab, die römischen Juristen seien fähig gewesen, „axiomatisch zu denken“, eine Beschreibung, die er im Sinne Viehwegs verstanden haben wollte6. Diese Vermutung, welche in der Folge eine neue, von der Vorstellung eines axiomatischen Aufbaus des Rechts unabhängige Konkretisierung erfahren soll, wird sich als Leitmotiv durch die ganze Arbeit ziehen. Miquels Lösungsansatz, zur Inter 1 Wieacker (2006), S. 101 sieht in Julians Digesten das Hauptwerk der hochklassischen Rechtsliteratur, das eine eigene Gattung der Fachliteratur begründete, „die Amtsrecht, Zivil­ recht und Kaiserrecht in einem sehr lockeren Gesamtrahmen zusammenfasst“. Siehe auch Schulz (1961), S. 290 f.; Bund (1976), S. 431 ff. 2 Mit vollem Namen Lucius Octavius Cornelius Publius Salvius Iulianus Aemilianus. Seine Lebensdaten und wichtigsten Stationen lassen sich aus einer Inschrift aus Papput (heutiges Tunesien) rekonstruieren (CIL 08, 24094). Für Weiteres siehe Wieacker (2006), S. 99; Schulz (1961), S.  124; Kunkel/Schermaier, 148, 156 f. Zu den Unsicherheiten der Datierung siehe Kunkel, S. 158. 3 Lenel (1889), S. 317 f. (Iul. Pal. 1–3). 4 Statt vieler siehe Voci, Bd. II, S. 688, der das Werk als Schrift „ove sono trattati casi che danno luogo a perplessità“ beschrieb und Wieacker (2006), S. 101, der von einem „Zeugnis für das theoretische und pädagogische Interesse des großen Reichsjuristen“ sprach. 5 Spekulativ bleibt weiterhin, welche Absichten oder Interessen Julian, mit seiner Monographie verfolgt haben könnte. Unklar ebenso die zeitliche Einordnung in sein Gesamtwerk: Jugendwerk bei Buhl, S.  67, spätere Entstehung bei Mayer-Maly (1967), S.  150. Zum liber singularis siehe auch die in jüngster Zeit erschienen Publikationen von Armgardt (2013) und Ziliotto sowie aus philologischer Sicht De Ligt. Die im Herbstsemester 2012 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich erstellte Magisterarbeit des Verfassers beschäftigte sich nicht nur mit dem Einfluss der Logik auf Julian, sondern stellte sein liber singu­laris in den größeren Zusammenhang der Auflösung von Mehrdeutigkeit (ambiguitas), ein Thema, das sich namentlich in den Schriften Aristoteles’, der Stoiker und Galens niederschlug. Eine geraffte Darstellung der Resultate findet sich in Winkler (2013). 6 Miquel, S.  118: „Ich verstehe Axiomatik zunächst im Sinne Viehwegs, gehe also von einer Gegenüberstellung von Topik und Axiomatik aus“.

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Kap. 1: Einführung

pretation römischer Juristenschriften Konzepte der antiken Logik heranzuziehen, ist vor dem breiteren Horizont der Frage nach dem Einfluss der griechischen Philosophie auf die römische Jurisprudenz zu sehen. Als Spezialfall kann anschließend die vertiefende Frage nach der Rolle einzelner Disziplinen wie der Rhetorik, der Logik oder der Mathematik als „Hilfsmittel“ gestellt werden. Ein Einfluss der griechischen Philosophie wird von der Forschung heute wohl mehrheitlich, wenn auch teilweise mit Einschränkungen anerkannt7. Schulz lehnte ihn dezidiert mit der prägnanten Formel ab, dass noch die klassische Periode „die Philosophie den Philosophen“ überließ8. Bereits kontroverser diskutierte die Literatur den Einfluss und die Rolle der Rhetorik. Als Initialzündung darf Stroux’ Vortrag von 1933 genannt werden9. Stroux sah in der Rhetorik neben Grammatik und Philosophie die „dritte Vermittlerin“ des griechischen Einflusses auf Auslegungstechnik und Begriffsbildung der römischen Jurisprudenz10. Die Positionen blieben seither geteilt11. Hervorgehoben sei hier die Ansicht von Schulz, der einen klaren Unterschied zwischen den iurisprudentes auf der einen und den Gerichtsrednern auf der anderen Seite ausmachte, die sich ausgiebig bei den griechischen Rhetorikern bedienten12. Ebenso kontrovers wurde die Rolle der Logik beurteilt, wozu Jan­ Joerdens Bemerkung passt, dass die Logik noch heute für viele Juristen eine ambivalente Stellung innehalte13. Dabei scheint zuweilen die Besorgnis durch, die­ Logik würde den Spielraum zur freien Entscheidung einengen. Im Rahmen seiner groß angelegten und 1953 erstmals erschienenen Studie zur Topik in der Juris­ prudenz sprach Viehweg der Logik eine maßgebliche Rolle in der römischen Juris­ prudenz ab: „Nichts scheint in der Struktur des ius civile darauf hinzuweisen, dass etwa die Logik des Stoikers Chrysipp [..] im Spiele gewesen sei. Sie lag offensichtlich auf einer ganz anderen Ebene“14. Nach Viehweg war das römische Recht nicht 7

Stein (1966), S. 36 sieht Scaevola als ersten Juristen, bei dem ein deutlicher Einfluss der griechischen Philosophie feststellbar sei; vgl. seine Charakterisierung als „founding father of legal science“ bei Tuori, S. 22; Kaser (1970), S. 194 sieht eine in römischem Geist neu interpretierte Übernahme griechischer Grundvorstellungen zum Wesen des Rechts und verweist auf die Orientierung der Schuljuristen am ius naturale bei sachlichen Vorgängen wie der Übergabe oder Ergreifung einer Sache, Sachverarbeitung, Sachvermischung oder zur Sklaverei (S. 204). Nach Jolowicz, S. 384 waren die Juristen mit den Grundzügen der griechischen Philosophie wohlbekannt, unterstützt durch den kosmopolitischen Zug des römischen Reiches (S. 419). Positiv auch Waldstein (1972), S. 239. Eher zurückhaltend Wieacker (2006), S. 44 und Kunkel/Schermaier, S. 128 ff. 8 So Schulz (1961), S. 84 f. für die hellenistische und S. 159 für die klassische Periode. 9 Vortrag auf dem Congresso internazionale di diritto romano in Rom 1933. 10 Stroux, S. 81 ff., S. 102. 11 Ablehnend Kunkel/Schermaier, S. 137. Unterstützend Wesel (1967) oder in neuerer Zeit Babusiaux (2011), S. 13 ff. mit weiteren Hinweisen. 12 Schulz (1961), S. 86. 13 Joerden, S.  1. Zu den allgemeinen Vorbehalten seitens der Fachdisziplinen gegenüber interdisziplinären Vorstellungen siehe Gabbay/Woods, S.  166 f. oder im Bezug auf Sozial­ wissenschaften und Rechtstheorie Luhmann (1999), S. 191 ff. 14 Viehweg, S. 61. „Sie“ bezieht sich wohl auf die Struktur. Mit Verweis auf Miquels Arbeit von 1970 zu Recht kritisch Waldstein (1972), S. 245.

A. Fragestellungen

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von axiomatischem Systemdenken, sondern von einem topischen Einzelfallcharakter geprägt. Die Axiomatik bestand für in im Ordnen der Begriffe nach ihren­ logischen Abhängigkeiten in einem deduktiven System15. Damit löste er die Frage der Logik von der Betrachtung der Argumentation einzelner Juristen ab, wie sie nach ihm Miquel verfolgte, und erweiterte sie zur schwierigen Frage nach der Natur des römischen Rechts. Kritisch zu beurteilen ist, dass Viehweg teilweise von Begrifflichkeiten ausging, die durch ein modernes Verständnis geprägt sind und problematisch, wenn nicht gar inhaltsleer werden, wenn sie unbesehen und ohne kritische Distanz auf die antiken Verhältnisse angewendet werden16. Angesichts der Erkenntnisse Miquels und anderer zum liber singularis erscheint seine Aussage zum Einfluss der stoischen Logik in der Schärfe ihrer Formulierung gar verfehlt. Einen Einfluss bejahten neben Miquel auch Waldstein17 und Flume18, die mit der Untersuchung des Sprachgebrauchs von „consequens“ bzw. der Rechts­figur des bedingten Rechtsgeschäfts wieder einen fokussierteren und stärker an den Quellen orientierten Blickwinkel wählten. Horak kritisierte bei beiden eine Verwendung anachronistischer Modelle19 und zeigte sich insbesondere skeptisch gegenüber Vergleichen der Denkweise und Methode der römischen Juristen mit der Mathematik, wie sie sich in Savignys Formel vom „Rechnen mit Begriffen“20 oder bei Leibniz und dem frühen Jehring zeigten21. Die Fähigkeit zum logischen Denken sei gewiss unentbehrlich, stelle für sich aber noch keine kreative Leistung dar. Vielmehr benötige ein großer Jurist heute wie zu Zeiten der Römer „ein waches Gefühl für die sozial relevanten Wertungen der Zeit“ und die Fertigkeit, Wertungen in juristische Denkformen zu verfestigen und alte Rechtsformen mit neuem Geist auszufüllen22. Nicht die Gabe, logisch zu denken, erscheint als bewundernswert, sondern die Innovationskraft. Die römische Jurisprudenz gewann ihren Ruf der Größe nicht dank logischen Denkens, sondern „weil sie den Standard möglicher Wissenschaftlichkeit schon vor zweitausend Jahren erreicht habe“23. Diese Einschätzung wird man grundsätzlich so stehen lassen können. Sie steht der Annahme eines genauer zu bestimmenden Einflusses der Logik auf die Jurisprudenz jedoch nicht im Wege. Für die anstehende Untersuchung besonders zu beachten sind aber einige seiner methodischen Anmerkungen: Dass es unmöglich sei, im einzelnen Fall zu entscheiden, ob eine Stelle „logisch“ ist oder nicht, dass es in den römischen Juristenschriften sowohl Beispiele als auch Gegenbeispiele für l­ ogische 15

Viehweg, S. 77, 82. Ebenfalls kritisch Waldstein (1972), S. 244 und Wieacker (1955), S. 369. 17 Waldstein (1975). 18 Flume (1975). 19 Horak (1976), S. 29 f. 20 Savigny, S. 28 f. 21 Horak (1969), S. 297. Zu Leibniz’ Sicht der Mathematik als Vorbild aufgrund persönlicher Präferenzen insbesondere S. 66 f. Vgl. Horak (1976), S. 35. Kritisch auch Schulz (1954), S. 24 (Fn. 71). 22 Horak (1976), S. 32 f. 23 Horak (1976), S. 29 f. und Horak (1969), S. 297. 16

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Kap. 1: Einführung

Argumente in „Hülle und Fülle“ gebe, wobei Miquels Nachweise stoischer Schullogik „Raritäten“ seien, somit nichts mehr als „Ausnahmen, die die Regel bestätigen“, darstellen24. Diese Anmerkungen legen nahe, dass es nicht genügen kann, wie zunächst angedacht einfach außerhalb des liber singularis nach weiteren Beispielen logischer Strukturen in Julians Schriften zu suchen. Obwohl es nicht das primäre Ziel sein wird, eine weitere Ansicht zur alten Diskussion über die Natur des römischen Rechts beizusteuern, wird der Funktionsweise des damaligen „Rechtsbetriebs“ und dem Schreibstil der Juristen besondere Aufmerksamkeit geschuldet sein. Diese Skizze zum Einfluss der griechischen Philosophie und insbesondere der Logik auf die römische Rechtswissenschaft eröffnet ein weites Forschungsfeld. Die vorliegende Untersuchung wird sich darauf beschränken, zwei besondere Aspekte aus diesem Feld anhand der Digesten Julians exegetisch zu behandeln. Der erste Aspekt, nämlich die Frage, ob Julian über vertiefte Kenntnisse der Logik verfügte, kann nach den genannten Ergebnissen zu seinem liber singularis grundsätzlich bejaht werden. Ergänzend soll im Sinne einer historischen Faktenfrage nach weiteren Stellen in Julians Digesten gesucht werden, die belegen könnten, dass die Logik bei ihm auch in praktisch relevanteren Fällen eine noch zu bestimmende Rolle spielt. Diese Frage nach Julians logischen Kenntnissen ist gewissermaßen eine passive, denn Kenntnisse können sehr wohl vorhanden sein, ohne dass sie aktiv zur Lösungsfindung beitragen oder in irgendeiner Form auf das juristische Denken Einfluss zu nehmen brauchen. Der zweite Aspekt betrifft somit einen möglichen aktiven Einfluss der Logik auf Julians Schaffen. Ein solcher Einfluss könnte sich einerseits in seiner Darstellung und seinem Schreibstil, andererseits in seiner Lösungsfindung bemerkbar machen. Möglicherweise lassen sich in diesem Zusammenhang erste Ansätze zu einer Verdichtung seiner Argumente im Hinblick auf eigentliche juristische „Theorien“ feststellen. Der Aspekt der Lösungsfindung wird auch mit der bereits angekündigten Behandlung von­ Miquels These des „axiomatischen“ Denkens zusammenfallen, wenn nach der Natur oder der „Mechanik“ seiner Schlüsse gefragt wird. Mit „Mechanik“ ist hier die Art und Weise gemeint, mit welcher von Prämissen auf die Konklusion gefolgert wird. Bei einem formal logischen Schließen erfolgt dieser Schritt scheinbar „automatisch“ oder – sachlich zutreffender gesprochen – mit Notwendigkeit und zwingend. In diesem Teil wird sich die Untersuchung mit der Diskussion zum Einfluss der Rhetorik kreuzen, wenn die aristotelische und stoische Syllogistik als Muster des logischen Schlusses mit dem Enthymem verglichen wird, welches häufig aber historisch nicht völlig zutreffend als unvollkommener Schluss verstanden wird25. Wenn das gleiche Programm neben der Logik auch für die Mathematik durch­ geführt wird, hat dies drei Gründe. Erstens ergänzt dieser Teil der Untersuchung die Frage nach dem Einfluss der griechischen Kultur um einen weiteren Aspekt. 24

Horak (1976), S. 31, 46. So auch bei Horak (1976), S. 31, 40.

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B. Hilfsmittel

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Er dient zweitens als methodischer Prototyp für die Beantwortung der ersten Frage zur Logik (historische Faktenfrage nach spezifischen Kenntnissen Julians). Drittens galt die Mathematik im Zeitalter der Aufklärung in der Nachfolge Descartes als eigentliche Grundlage allen Verständnisses und damit als das Mittel der Erkenntnis schlechthin26. Entspricht dies auch nicht den antiken Vorstellungen, scheint ein Einbezug der zeitgenössischen Rolle der Mathematik als Vergleich und Ausblick für die Betrachtung späterer Epochen lohnenswert. Der restliche Teil des einleitenden Kapitels 1 verfolgt zweierlei Ziele. Erstens werden Mathematik und Logik als Untersuchungsgegenstände und damit zugleich als Grundlage der historischen Faktenfrage umrissen. Zur Umgehung anachronistischer Modelle erfolgt dies aus der Perspektive der zeitgenössischen, antiken Verhältnisse der griechisch-römischen Welt. Wenn spätere vertiefte Ausführungen neben den antiken auch moderne Sichtweisen einbringen, erfüllt dies einzig den Zweck eines besseren Verständnisses und eines erleichterten Einstiegs in die jeweilige Thematik. Anschließend werden die vorherrschenden Meinungen zur Natur des römischen Rechts und – damit verbunden – zur juristischen Methode Julians zusammengetragen. Diese Vorbereitungen erlauben es, erste Erwartungen zu bilden, wie sich die gesuchte Rolle der Logik in Julians Digesten abstecken lassen könnte, sowie Kriterien für die Auswahl von Belegstellen aus der Textmasse zu entwickeln.

B. Hilfsmittel 1. Mathematik Der aus dem Griechischen stammende Begriff der Mathematik (μαθηματική τέχνη) bedeutet „Kunst des Lernens“. Dieser Begriff deutet an, dass die Mathematik ursprünglich mehr umfasst haben muss, als es das heutige Verständnis einer streng formalen, vielleicht etwas lebensfernen Wissenschaft vermuten lässt. Die Ursprünge der Mathematik reichen bis in die Frühgeschichte der Menschheit zurück27. Van der Waerden postuliert einen gemeinsamen indogermanischen Ursprung, von dem die europäischen, indischen und chinesischen Völker profitierten28. Viele Darstellungen der Mathematikgeschichte setzen bei den Babyloniern ein29. Die babylonische Mathematik beschäftigte sich nicht nur mit einfacheren 26 Vgl. Christian Wolffs Vorrede zu seinem „Auszug aus den Anfangs-Gründen aller Mathe­ matischen Wissenschaften“, Ausgabe von 1772. 27 Es gibt eine größere, kaum überschaubare Anzahl von Darstellungen zur Mathematik­ geschichte. Statt vieler seien hier jene von Cuomo (Entwicklung in der Antike) und Hodgkin genannt. Van der Waerden interssiert sich mehr für die Entwicklung mathematischer Probleme und ihrer Lösungen in verschiedenen Kulturen. 28 Van der Waerden, S. 15 und S. 33 ff. 29 Siehe etwa Hodgkin, S. 14 ff.

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Kap. 1: Einführung

Rechnungen, die sich aus praktischen Bedürfnissen des Handels ergaben, sondern kannte auch komplexere Formeln für Aufgaben der Landvermessung. Hierzu gibt es eine Vielzahl archäologischer Zeugnisse in Form von in Keilschrift verfasster Tabletts. Eine Besonderheit der babylonischen Mathematik aus heutiger Sicht liegt in der Verwendung der Zahl 60 als Basis der Darstellung von Zahlen30. Für die Zwecke dieser Untersuchung genügt es, sich ein Bild von den Teil­ gebieten der Mathematik zu machen, welche in der griechisch-römischen Kultur gelehrt und angewandt wurden. Dazu zählt zum einen die Geometrie, die sich mit den Eigenschaften und Verhältnissen von Figuren wie Dreiecken oder Kreisen beschäftigt. Die Geometrie ist in ihrem Ursprung durchaus nicht rein abstrakt, sondern eine techné, die sich von gegenständlichen Fragestellungen inspirieren ließ, was sich in ihren Anwendungen in der Architektur oder der Landvermessung zeigt. Als zweites Teilgebiet beschäftigt sich die Arithmetik mit den Zahlen. Dazu gehören nicht nur die verschiedenen Rechenoperationen, die im täglichen Leben und insbesondere bei wirtschaftlichen Tätigkeiten ihre Anwendungen finden, sondern auch die teilweise philosophisch motivierte Untersuchung der Natur und Eigenschaften der Zahlen. Geometrie und Arithmetik zählten bei den Griechen zu den sieben artes liberales31 und standen als Disziplinen somit auf gleicher Stufe wie Dialektik (Logik) und Rhetorik. Ein drittes, klassisches Teilgebiet umfasst bestimmte, in beiden erstgenannten Teilgebieten bedeutsame Techniken zur ­Lösung von Gleichungen. Diese Techniken waren teilweise bereits den Griechen und ihren Vorgängern geläufig. Die eigene Bezeichnung als Algebra stammt jedoch erst aus der nachantiken Zeit. Das Wort „Algebra“ ist vom arabischen al-jabr wa’l­ muqabala abgeleitet und bezeichnet das Erweitern oder Kürzen von Gliedern auf den beiden Seiten einer Gleichung32. Zusammen bilden diese drei Teilgebiete den Kern der elementaren Mathematik, wie sie bis in die frühe Neuzeit gelehrt wurde. Die griechische Mathematik sollte ein Verständnis der Welt unterstützen, das gänzlich ohne Mythen mit den Mitteln des menschlichen Verstandes allein zu gewinnen war33. Ein solch ambitioniertes Ziel war nicht nur den früheren Babyloniern fremd, es übersteigt auch, was die heutige Mathematik nach allgemeinem Verständnis zu leisten versprechen kann. Pythagoras34, der sich auch mit Harmonielehre und Musik beschäftigte und eine eigentliche Zahlenmystik entwickelte, sah in den Zahlen das Wesen aller Dinge und rückte so die Mathematik in die Nähe der Metaphysik. Gemeinhin wird ihm die für die damalige Zeit verstö-

30 Alle Zahlen werden als Summe von Potenzen von 60 – statt heute von 10 – dargestellt. So steht die transkribierte Form 1,15 für 1 × 60 + 15 = 75. 31 Siehe Lausberg § 13; vgl. Gericke, S. 9. 32 Der arabische Begriff geht auf Al-Khwarizmis (9. Jh. n. Chr.) zurück (siehe Van der Waerden, S. 70). 33 Gericke, S. 7. 34 Pythagoras von Samos (ungefähr 570–510 v. Chr.), zu den Vorsokratikern zählender gr. Philosoph.

B. Hilfsmittel

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rende Entdeckung der irrationalen Zahlen zugesprochen35. In den mathematischen Schriften Platons zeigten sich bereits Ansätze eines abstrakten Denkens. So beziehen sich seine Überlegungen nicht auf konkrete, in der realen Welt vorgefundene Dreiecke, sondern auf die Idee des Dreiecks als gedachtem, idealem Objekt, eine Vorstellung die auch für Aristoteles Geltung hatte, der die Mathematik als reines Vorbild der Wissenschaft sah36. Neben ihrem allgemeinen philosophischen Interesse stellen seine Erste und Zweite Analytik die logischen Instrumente für die strenge mathematische Beweisführung zusammen. Umgekehrt schmückte Aristoteles seine Darstellung gerne mit mathematischen Beispielen, vornehmlich der Geometrie, aus. Bis sich aber die Römer ungefähr ab dem 2. Jh. v. Chr. mit der griechischen Wissenschaft intensiver zu beschäftigen begannen, war der Gedanke, die Mathematik sei unentbehrlicher Bestandteil des Weltverständnisses, nur noch ein schwaches Echo vergangener Zeiten37. 2. Logik Von der Logik wurde bereits gesprochen, ohne jedoch genau zu bestimmen, womit sie sich beschäftigt. Die Aussage „Logic is concerned with the principles of valid inference“38 trifft die Sache nur prägnant, wenn bereits klar ist, was ein gültiger Schluss ist39. Wenn Toulmin schreibt, dass ab dem 20. Jh. die Frage aufkam, ob Logik wirklich etwas mit der Frage nach Schlussfolgerungen im Alltag zu tun hat, hilft auch die intuitive Vorstellung nicht weiter40. In der antiken griechischen Welt galt die Logik neben Physik und Ethik als einer von drei Teilbereichen der Philosophie41. Dabei umfasste die Logik der Stoi 35

Remmert/Ullrich, S.  45 ff. Die Überlieferungen zu den Pythagoreern müssen im Allgemeinen als unsicher gelten. So ist weder die angeführte von Aristoteles in Metaph. I, 5 (985b) berichtete Behauptung gesichert, noch dass Pythagoras der Erfinder (oder Entdecker) des gleichnamigen Satzes aus der Geometrie ist. Siehe dazu Cuomo, S. 30; immer noch unterhaltsam De Crescenzo. 36 Arist. An. post. I, 1 (71a-71b) und Metaph. II, 3 (995a): „Die genaue Schärfe der Mathematik aber darf man nicht für alle Gegenstände fordern, sondern nur für die stofflosen“ (Übers. Bonitz/Seidl, S. 40). 37 Gericke, S. 9. 38 Kneale/Kneale, S. 1. Vgl. Hoyningen-Huene, S. 27: „Logik interessiert sich zentral für das logische Folgern (und andere verwandte Begriffe und Verfahren)“. 39 Siehe Kapitel 5. 40 Toulmin S. 2 und S. 3: „Logic is concerned with the soundness of the claims we make – with the solidity of the grounds we produce to support them, the firmness of the backing we provide for them – or, to change the metaphor, with the sort of case we present in defence of our claims. [..] Logic we may say is generalised jurisprudence. Arguments can be compared with law-suits [..]“. 41 Diog. Laert. 7,39–41; Sext. Emp. Math. 7,19; Aetius I, Vorwort 2: „Physics is practiced whenever we investigate the world and its contents, ethics is our engagement with human life, and logic our engagement with discourse, which they also call dialectic“ (Übers. Long/Sedley, S.158).

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Kap. 1: Einführung

ker mehr, als ihrem heutigen Verständnis entspricht. Die „moderne“ Logik fand sich neben der Rhetorik als Teilgebiet der Dialektik wieder42. Rhetorik war die ars bene dicendi43. Logik beschäftigte sich mit gültigen Argumenten und wahren oder falschen Aussagen44. Weiter behandelte die Logik „Dinge, die etwas bedeuten“ und „Dinge, die bedeuten“45. Logik war damit alles, was sich mit rationalem Diskurs (logos) beschäftigte und was phonetische, semantische und grammatische Aspekte umfasste, also auch Stilistik, Argumentationsstruktur und Epistemologie46. Zuweilen wird auch in dieser Untersuchung das mechanische Operieren mit logischen Schlussformeln, wie es besonders die Stoiker betrieben, etwas unpräzise aber zweckmäßig als formale Logik bezeichnet (historisch wurde der Begriff der „formalen“ Logik jedoch erst von Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“47 zur Abgrenzung von der transzendentalen Logik verwendet, die sich mit dem Inhalt von Aussagen beschäftigte48). Formal ist dabei noch nicht im Sinn jenes mathematischen Formalismus zu verstehen, der gepaart mit axiomatischem und deduktivem Vorgehen mit den Arbeiten Gottlob Freges49 und George Booles50 einsetzte, in deren Folge sich die Logik von praktischen Bezügen zu lösen und sich zu einer mathematischen Teildisziplin zu entwickeln begann51: „Within formal logic, it appeared, the analytical ideal has derived its attractiveness largely from the prestige of mathematics“52. Für die anstehende Untersuchung wird ausschließlich der Stoffumfang der in der Antike bekannten Logik maßgeblich sein. Er kann in die beiden großen Teilgebiete der assertorischen oder nicht-modalen und der modalen Logik eingeteilt werden. Zum ersten Teilgebiet zählt, was heute als klassische Aussagenlogik und Prädikatenlogik bekannt ist. Hierhin gehören die zentralen logischen Verknüpfungen (Konjunktion, Disjunktion, Konditional), die von den Stoikern intensiv diskutiert wurden. Das logische Quadrat, welches konzeptionell von Aristoteles eingeführt 42 Diog. Laert. 7.41–44: „Some [the Stoics] say that the logical part [of philosophy] is divided into two sciences, rhetoric and dialectic [..]“ (Übers.Long/Sedley, S.183). 43 Diog. Laert. 7.41–44 (Fortsetzung): „[..] rhetoric, since it is the science of speaking well in regard to continuous discourses [..]“. 44 Diog. Laert. 7.41–44 (Fortsetzung): „[..] and dialectic, since it is the science of correct discussion in regard to discourses conducted by question and answer, so that they also define it as the science of what is true and false and neither [of these] [..]“. 45 Diog. Laert. 7.41–44 (Fortsetzung): „[..] Dialectic, they say, is divided into the topics of significations [things signified] and utterance [things signifying]; and that of significations into the topics of impressions and derivatively subsistent sayables – propositions, complete sayables, predicates and similar actives and passives, genera and species, along also with arguments, argument modes and syllogisms, and sophisms which depend on utterance and on states of affairs“. 46 Vgl. Kneale/Kneale, S. 139; Giaro (2007), S. 103. 47 1. Aufl. S. 131; 2. Aufl. S. 170. 48 Hoyningen-Huene, S. 127. 49 Deutscher Mathematiker und Philosoph (8. November 1848–26. Juli 1925). 50 Englischer Mathematiker und Philosoph (2. November 1815–8. Dezember 1864). 51 Vgl. Toulmin, S. 2, 136. 52 Toulmin, S. 229.

B. Hilfsmittel

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wurde und mit gewissen Vorbehalten als antike Frühform der Prädikatenlogik gelten darf, spielt in Julians Digesten keine eigenständige Rolle53. Nimmt man Aristoteles’ Organon54 als Leitlinie für den Stoffumfang der antiken Logik, dürften damit die wesentlichen Themen abgesteckt sein. Nicht im speziellen Augenmerk der Untersuchung stehen neben den bereits erwähnten prädikatenlogischen Instrumenten die Negation55, der Fehlschluss56 und die Konzepte der Unendlichkeit, die für rechtliche Fragen von geringer praktischer Relevanz sein dürften. Aristoteles und die ihm zeitlich nachfolgenden Stoiker verfolgten bei ihren logischen Studien unterschiedliche Ziele. Dies erschwert eine eindeutige Einordnung der antiken Konzepte in ein modernes Verständnis der heutigen formalen Logik. Für ein erstes Verständnis hilfreich ist der Vorschlag bei Kneale und Kneale, die aristotelische Logik mit dem Begriff „general logic“ zu beschreiben57. Die stoische Logik erscheint danach als die grundlegende Logik („primary logic“), welche der aristotelischen konzeptionell vorangeht – so, wie modern gesprochen die Prädikatenlogik eine Erweiterung der Aussagenlogik darstellt58. Solche vereinfachenden Vergleiche sind allerdings heikel59. Nicht alle Aussagen, die sich mit der modernen Aussagenlogik formulieren lassen, können in das stoische Denkmuster integriert werden. Die Stoiker akzeptierten nur Aussagen als „syllogistisch“ oder „logisch korrekt“, die sich mittels besonderer Schlussformeln, den themata, auf eine Sammlung elementarer Aussagen, den sogenannten „Unbeweisbaren“, reduzieren ließen60. Die Sichtweisen von Aristoteles und der Stoiker bilden nur die zwei Seiten derselben Medaille. Es ist jedoch nicht abwegig, im Gegensatz zwischen peripatetischer und stoischer Schule den Grund dafür zu sehen, dass es während der Antike zu keinem wesentlichen Entwicklungsschub in der Logik mehr kommen konnte61. Was als wesentlicher Entwicklungsschub gelten soll, ist natürlich eine weitgehend subjektive Einschätzung. Die dafür in Frage kommenden Beiträge Galens, der die Resultate beider Schulen studierte und sich in seinen Werken 53 Eine Andeutung an die Prädikatenlogik findet sich hingegen im liber singularis in Iul. Pal. 3.2–3 (D. 34,5,14,2–3). 54 Bestehend aus den sechs Schriften Kategorien, Lehre vom Satz („De interpretatione“), Lehre vom Schluss (An. pr. oder 1. Analytik), Lehre vom Beweis (An. post oder 2. Analytik), Topik, Sophistische Widerlegungen („De Sophisticis elenchis“). 55 Sie kann zu den logischen Verknüpfungen im weiteren Sinn gezählt werden. Sie weist ihre eigenen Besonderheiten auf (siehe Kneale/Kneale, S. 55 ff., 147, 160), erscheint aber im vorliegenden Zusammenhang als zu wenig ergiebig für eine gesonderte Betrachtung. 56 In Bezug auf die ambiguitas siehe Winkler (2013), S.  203 ff. Hamblin untersucht das Thema in allgemeiner, nicht auf rechtliche Fragen konzentrierter Weise von der Antike bis in die Neuzeit. Eine allgemeine Betrachtung des Fehlschlusses ließe sich wahrscheinlich aufgrund von D. 34,5 de rebus dubiis anstrengen. Dabei könnte Sextus’ Klassifikation der Fehlschlüsse nach vier Typen aus Outlines of Pyrrhonism, II, 146–51 als Orientierung dienen. 57 Kneale/Kneale, S. 175 f. 58 Vgl. DS-Baldassari, S. 43; Miquel, S. 88. 59 Siehe anschaulich Bobzien, S. 134, S. 139 f. und S. 189 f. 60 Mehr dazu in Kapitel 5. 61 Vgl. dazu die Darstellung bei Kneale/Kneale, S. 115.

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Kap. 1: Einführung

„De demonstratione“ und „Institutio logica“ auch freizügig der Begriffe beider Schulen bediente, werden in der einschlägigen Literatur unterschiedlich eingeschätzt62. Eine unvollständige Überlieferung kann ebenfalls immer als (spekulatives) Gegenargument angeführt werden. Es scheint jedoch, dass die Entwicklung erst mit der Wiederentdeckung der aristotelischen Schriften und dem Aufschwung der Universitäten im 11./12. Jh. erneut in Gang kam. Der Weg zur modernen Logik ging über das Interesse an den Naturwissenschaften und den Aufbau eines rationalen Verständnisses der Welt. Ein großer Entwicklungsschub erfolgte erst mit der Abstraktion, die etwa seit Descartes anzusetzen ist und die eine Befreiung von den anschaulichen aber einschränkenden Vorstellungen der antiken Geometrie mit sich brachte63. 3. Wechselwirkungen Das heute vorherrschende Verständnis der Mathematik als logisch-deduktiver Wissenschaft verstellt den Blick auf ihre empirischen Ursprünge, lässt sich aber aus einer auf die griechische Kultur eingeschränkten Sicht und einer damit einhergehenden Verabsolutierung der Bedeutung von Euklids „Elementen“ erklären, die als der glanzvolle Höhepunkt einer gedanklichen Entwicklung gelten dürfen. Hasse illustrierte den entscheidenden Schritt von konkreten Anwendungen zum abstrakten Denken anschaulich am Beispiel der alt-ägyptischen „Rechtwinkelregel“64. Um im Gelände einen rechten Winkel zu konstruieren, spannten die Ägypter ein Seil der Länge von 12 = 3 + 4 + 5 Einheiten um drei in den Boden geschlagene Pflöcke: C

3

A

5

4

B

Auf diese Weise entsteht in der Ecke A ein rechter Winkel. Der Beweis dieser Tatsache folgt aus dem bekannten Satz von Pythagoras, wonach in einem rechtwinkligen Dreieck das Quadrat der dem rechten Winkel gegenüberliegenden Seite der Summe der Quadrate der beiden anliegenden Seiten entspricht: 32 + 42 = 52. Es gibt keine Hinweise, dass die Ägypter diesen Satz gekannt hätten. Vielmehr wer 62

Kneale/Kneale, S. 182 f. Vgl. Kneale/Kneale, S. 379. 64 Dt. Mathematiker (1898–1979); siehe Hasse, S. 2 ff. 63

C. Forschungsstand

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den sie ihre „Rechtwinkelregel“ als Umkehrung des berühmten Satzes empirisch durch Probieren gefunden haben. Erst die Griechen machten den entscheidenden Schritt von der Empirie zum abstrakten Denken und suchten, auf diese Weise gefundene Resultate „formal“ zu beweisen. Als Beweismethode griffen sie zur Logik, wie sie namentlich von Aristoteles in seinem Organon beschrieben wurde. Die Logik und die Abstraktion gaben der Mathematik eine eigenständige Gestalt: „Zusammenfassend kann man sagen, dass die Mathematik der klassischen griechischen Epoche nach Inhalt und Methoden reinste Geisteswissenschaft ist“65. Erst in der spätgriechischen Epoche kam es zu einer Synthese zwischen dem reinpraktischen und dem rein-theoretischen Standpunkt. Spätestens seit Descartes wurde die Mathematik zu einer Grundlage der Naturwissenschaften und konkurrierte mit der Logik um die erste Stellung als Mittel der menschlichen Erkenntnis.

C. Forschungsstand 1. Kasuistik und Intuition: Zur römischen Jurisprudenz Die Arbeitsweise der römischen Juristen wird häufig als „kasuistische Methode“ beschrieben. Die Romanistik versteht darunter eine eng begrenzte, vom konkreten Einzelfall ausgehende Betrachtungsweise66, während im heutigen Recht mit Kasuistik eher die Illustration von Regeln67 oder die Gerichtspraxis68 gemeint ist. Präzisierend schreibt Wieacker, dass die Methode der römischen Juristen mit der Charakterisierung als kasuistisch „nicht erschöpfend“ beschrieben sei69. Für ihr Vorgehen bezeichnend sei vielmehr die „planmäßig komponierte“, oft „zyklische“ Anordnung realer oder hypothetischer Fälle, aus denen sich die maßgeblichen Elemente einer einzelnen quaestio iuris durch sukzessives Vergleichen entwickeln lassen. Wieacker fährt mit der Behauptung fort, dass die römische Jurisprudenz ihre Lösungen nicht aus Prämissen oder Begriffen ableite, dass sich also die Deduktion in der Regel auf die Auslegung von Gesetzen oder Rechtsgeschäften sowie auf die Anwendung der allgemein akzeptierten logischen Schlussfiguren beschränke, während im Allgemeinen induktive Schlüsse aus Ähnlichkeitsurteilen überwiegen70. Die Bedeutung der Ähnlichkeitsurteile hat Bund in seiner großen Studie zur Methode Julians herausgearbeitet, während Kaser gerade die fehlende Gründung auf festen Begriffen als für den Gesamtcharakter des römi-

65

Hasse, S. 4. Kaser (1962), S. 54. Zum diskutablen Verhältnis von Kasuistik oder kasuistischer Methode zum „case law“ des angelsächsischen Rechtskreises vgl. Kaser (1986), S. 53 (Fn. 40). 67 Kaser (1986), S. 55. 68 Forstmoser/Vogt, S. 431 (Rz. 140). 69 Wieacker (2006), S. 47: „Römisches Rechtswissen ist nicht schlicht Kasuistik, ein amorphes Aggregat von Fallentscheidungen“. 70 Wieacker (2006), S. 48. 66

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Kap. 1: Einführung

schen Rechts maßgebend hält71, eine Einschätzung, die von zahlreichen weiteren Stimmen geteilt wird72. Berman bringt dieses Bild prägnant auf den Punkt, indem er schreibt, die römischen Juristen hätten den Begriff des Begriffs nicht gekannt73. Weiter dient nach Wieacker die Rhetorik als Hilfsmittel der Thematisierung und des Auffindens von Entscheidungsalternativen im fachjuristischen Diskurs, in dem die Eignung eines Arguments sich danach messe, ob sich die Fachkollegen überzeugen lassen74. Die oft spärlichen Begründungen bei den Klassikern sollen schließlich zeigen, dass der eigentliche intellektuelle Entscheidungsprozess meist erst im Prozess und noch nicht in der Phase der juristischen Beratung stattfand75. Die strenge Thematisierung der Rechtsfrage mit ihrem Ausschluss rechtlich nicht relevanter Aspekte grenzt bei Wieacker die römische Jurisprudenz von der Topik ab76 und korrigiert damit das von Viehweg bekannte, auf dessen eigenwilliger Interpretation der aristotelischen Dialektik aufgebaute Bild77. Insgesamt könne selbst mit Blick auf die Anordnung des Stoffes nur in geringem Maße von einem „äußeren“ System die Rede sein78. Stattdessen zeige sich ein „inneres“ System als Innbegriff der gedanklichen Operationen, mit denen die Juristen in ihrer täglichen Arbeit Kohärenz sicherstellten und ein immer dichteres Netz von quaestiones ­iuris und rationes decidendi aber noch kein inneres Lehrgebäude schufen79. Dieses „innere System“ existierte mehr im Kopf des einzelnen Juristen als in einer allen zugänglichen Wirklichkeit80. Auch für Berman haben die römischen Juristen ihr Recht weniger als System denn als Netzwerk oder „Mosaik“ von praktischen Lösungen auf Rechtsfragen gesehen81. Um moch einem Moment bei einer bildhaften Sprache zu bleiben, ließe sich das römische Recht auch mit einem Mobile vergleichen, das mit seinen ausbalancierten Bewegungen ein Gegenmodell zu einem nicht notwendigerweise axiomatisch aufgebauten aber fest gegründeten System repräsentiert. Das Bild eines Mobiles nimmt anschaulich Adornos Forderung auf, dass bei der theoretischen Betrachtung eines Gegenstandes „nicht von den Begrif 71

Kaser (1986), S. 55, 85. Horak (1969), S. 147 ff.; Jolowicz, S. 384: „Their definitions, though often giving the gist of the matter, will generally not bear close investigation, nor are they concerned to elaborate general conceptions“; Betti, S. 136, wonach die Begriffe teilweise zu eng, teilweise zu weit seien, und mit Verweis auf D. 50,17,1; 202. 73 Berman, S. 136. 74 Wieacker (2006), S. 49, 51. 75 Wieacker (2006), S. 49. Vgl. Horak (1969), S. 147 ff. 76 Wieacker (2006), S. 52. 77 Waldstein (1972), S. 245. Vgl. Talamanca (1990), S. 35: „L’impostazione ‚topica‘ porta ad accentuare l’importanza dei dati specifici del problema, onde gli aspetti anche di carattere apparentemente generale utilizzati in questo tipo d’argomentazione non aspirano ad una validità assoluta come le categorie assunte in un ragionamento rigidamente deduttivo“. 78 Wieacker (2006), S. 51. 79 Wieacker (2006), S. 45, 51. So auch Coing, S. 41. Offenes System bei Talamanca (1990), S. 38. 80 Vgl. Kreller, S. 204: „[..] Konstruktionsfrage, die jeder Jurist nach eigenem Gutdünken beantworten mochte“. Dazu später in Kapitel 4 zur Frage einer „Pendenz-Lehre“. 81 Berman, S. 245. Marchart, S. 55 f. spricht ebenso bildlich von einem „Mobile“. 72

C. Forschungsstand

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fen im Stufengang zum allgemeinen Oberbegriff fortgeschritten wird, sondern sie in Konstellationen treten“82. Die isolierten Eingriffe des positiven Rechts durch­ leges oder senatus consulta können dieses Bild nicht wesentlich ändern: Wie es Nörr eindringlich beschreibt „[..] sind diese Stabilitätsinseln umgeben von einem Meer der juristischen Auseinandersetzung und des Kampfes entgegengesetzter Meinungen“83. Zwar lassen sich in den Lehrbüchern von Gaius, Q. Mucius Scaevola und Masurius Sabinus erste Anzeichen von Versuchen erkennen, das Recht zu systematisieren. Doch ist gerade fraglich, ob diese Autoren wirklich das ius civile innerlich systematisieren bzw. zu einer eigenständigen techné erheben wollten, wie dies von Cicero offenbar vergeblich gefordert wurde84, oder ob sie nicht einfach durch die Anforderungen des praktischen Rechtsunterrichts zu einer einprägsamen Darstellung als äußerer Systematisierung motiviert wurden85. Mehrere Gründe sprechen dafür, dass die Versuche nicht über erste Schritte der Kategorisierung nach Gattungsbegriffen hinauskamen (und das Interesse an einer weiteren Systematisierung nach Labeo und Sabinus wieder abnahm86). Dies gilt sicher für das Lehrbuch des Gaius, der sich der Methode der divisio zur Anordnung seines Stoffes bediente, diesen Ansatz aber nicht konsequent durch alle Kapitel durchzog87. Dieser Versuch, den Stoff sorgfältig zu ordnen, ist weniger Zeichen eines logischen Vorgehens, sondern erinnert an rhetorische Vorgaben88. Für Fuhrmann erinnert der Aufbau des Lehrbuchs an hellenistische Vorbilder, eine Feststellung, die auch auf römische Fachbücher aus anderen Gebieten zutreffe89. Trifft sie zu, stützte sie die Meinung, dass es bei den genannten Beispielen erst um eine äußere Systematisierung ging, deren Einfluss auf die inhaltliche Betrachtung des Rechts unklar bleibt. Wenn aber dennoch in den Quellen Ansätze zur Kohärenz erkennbar und diese nicht einfach das Resultat von Zufall sein sollen, muss es eine andere Erklärung geben. Nach Stein mochten die römischen Juristen zwar keine systematische Ordnung benötigt haben90, sie gingen jedoch davon aus, dass das ungeschriebene Recht logisch kohärent sei und konnten so nach den Grundsätzen suchen, auf denen sie ihre Regeln gründeten91. Dieser Standpunkt scheint nicht weit von der Annahme eines „inneren Systems“ entfernt, welches vielleicht nur deshalb nicht als „geschlossenes Lehrgebäude“ bezeichnet werden kann, weil es nicht explizit herausgearbeitet und in den Schriften regelmäßig offen herangezogen wurde. So erscheint Wieackers Charakterisierung als in ihren großen Linien zutreffend und 82

Ardorno, S. 163. Der Gedankengang ist entlehnt aus Marchart, S. 55 f. und S. 61 f. Nörr (1974), S. 16. 84 Berman, S. 225; Herberger, S. 46 ff. 85 Kaser (1986), S. 85, 171. 86 Schulz (1961), S.152 ff. 87 Fuhrmann, S.  121: „Das wirre Durcheinander dieser Partien ist überaus unersprießlich und bewirkt, dass die Lektüre eines der bedeutendsten Werke antiker Fachwissenschaft keinen reinen Eindruck hinterlässt“. 88 Fuhrmann, S. 123. 89 Fuhrmann, S. 122, 156. 90 Stein (2010), S. 20: „The professional jurists did not need a systematic order“. 91 Stein (2010), S. 17. 83

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Kap. 1: Einführung

auf den Punkt gebracht. Im Bezug auf die Methode der Rechtsfindung und des Erkenntnisgewinns, zu der die Quellen sich ausschweigen92, bleiben aber für die skizzierte Kombination von Deduktion und Induktion sowie die Sicherstellung von Kohärenz durch ein „inneres System“ einige entscheidende Fragen offen. Für Kaser stand die „geniale Intuition“ der römischen Juristen als Resultat ihrer Lebenserfahrung im Vordergrund der Lösungsfindung93. Er versteht die Intuition als die Gewinnung der gerechten Entscheidung durch ein unmittelbares Erfassen, welches sich auf Sachgefühl und Erfahrung abstützt, die erst durch langjährige juristische Tätigkeit erworben wurden, und ein rationales Argumentieren entbehrlich machten94. Dagegen lehnt er einen Systemcharakter rundweg ab, weil sich das römische Recht ohne grundlegende Begriffe nicht zu einem System fortbilden ließ (umgekehrt hätte eine Begriffspyramide „folgerichtig“ zu einem System geführt, wie dies später mit den Kodifikationen geschah)95. Ein eigentliches abstraktes Denken setzte seiner Meinung nach erst mit dem Systemgedanken der Pandektistik ein96. Diese Deutung scheint von einer Art Automatismus auszugehen, welcher von den Einzelheiten eines Falles zur Lösung führt, aber der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Intuition und einer Erkenntnistheorie, die möglicherweise auf bekannten rationalen Theorien beruht, ausweicht97. In der Vorstellung von Hildebrands liegt Intuition neben Deduktion und Induktion98 und sei ihnen gar überlegen99. Waldstein glaubt den Befund zur Rolle der Intuition in der römischen Rechtswissenschaft im Wesentlichen in jenem Vorgang widerspiegelt zu sehen, den Aristoteles am Ende seiner Zweiten Analytik beschreibt: „Aus der Wahrnehmung entsteht nun das Gedächtnis, wie wir das Beharren nennen, aus dem Gedächtnis, die Erfahrung [..]. Aus der Erfahrung aber oder aus jedem Allgemeinen, das in der Seele zur Ruhe gekommen ist [..] stammt das, was das Prinzip der Kunst [Können] und der Wissenschaft [Wissen] ist, der Kunst, wo es sich um das Werden, der Wissenschaft, wo es sich um das Seiende handelt100.“

Waldstein stimmt Kaser zu, dass die Intuition für die römischen Juristen sehr wichtig gewesen sei, aber dies gelte ebenso für die griechischen Philosophen selbst, sodass die Juristen diesen Impuls auch von dort erhalten haben könnten. Ohne die Intuition wäre es den Juristen selbst bei Übernahme anderer Techniken 92

Zum fehlenden Interesse an einer Selbstreflexion siehe Betti, S. 35. Kaser (1971), S. 3. So auch Betti, S. 135. 94 Kaser (1969), S. 54 und Kaser (1986), S. 86; vgl. Waldstein (1972), S. 248. 95 Kaser (1986), S. 55. 96 Kaser (1986), S.  295; Betti, S.  135. Vgl. Schulz (1961), S.  154, wonach nicht etwa die Kompilatoren abstrakte Formulierungen gestrichen hätten. 97 Waldstein (1972), S. 249. 98 Vgl. Herberger, S. 46 ff. und Lausberg § 371. Die Doppelbedeutung von syllégein umfasst sowohl die Induktion als Sammeln von Einzelbeobachtungen als auch das Schließen auf neue Erkenntnisse. 99 Von Hildebrand, S. 83. 100 Arist. An. post. II,19 (100a); Übers. Rolfes, S. 106. 93

C. Forschungsstand

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der griechischen Philosophie nicht möglich gewesen, sich aus dem Formalismus der Frühzeit zu lösen101. Gewiss liegt die gängige Vorstellung, wie Intuition praktisch funktioniert, nahe bei einem Automatismus, doch muss Intuition erst sauber von Wahrnehmung unterschieden werden. Für die Psychologen Kahneman und Twersky nehmen intuitive Entscheidungen eine Mittelstellung zwischen unmittelbarer Anschauung oder Wahrnehmung und rationaler Überlegung ein102. Ausgehend von der Wahrnehmung (perception) kann der menschliche Denkprozess vereinfacht mittels zweier Systeme modelliert werden: System 1, welches die Intuition (intuition) umfasst, funktioniert typischerweise schnell, automatisch, mühelos, implizit und häufig emotional. System 2 arbeitet langsamer, schrittweise, mühevoller und kann eher bewusst überwacht und gesteuert werden103. System 1 erzeugt Eindrücke zu Eigenschaften von wahrnehmbaren und gedachten Objekten. System 2 ist in unterschiedlichem Maße an allen Entscheidungen (judgments) beteiligt, unabhängig davon, ob sie sich auf bloßen Eindrücken oder bewusstem Nachdenken abstützen. Entscheidungen, die sich nur auf Eindrücke abstützen, die von System 1 erzeugt worden sind und ohne weiteres von System 2 akzeptiert werden, heißen intuitiv104. In anderen Fällen beginnt der Prozess mit einem von System 1 erzeugten ersten Eindruck, welcher anschließend von System 2 in ungenügendem oder ausreichendem oder übermäßigem Maße durch Hinzufügen weiterer Elemente korrigiert oder als zu einer anerkannten Regel im Widerspruch stehend abgelehnt wird. In einigen Fällen ist das Problem intuitiv überhaupt nicht zugänglich, und die Lösung wird von System 2 alleine übernommen105. Wie das Schema in der Praxis funktioniert, illustriert folgendes einfache Beispiel106: Eine Tasse Kaffee mit Croissant koste 1.10. Der Kaffee koste 1.00 mehr als der Croissant. Gefragt wird nach dem Preis des Croissants. Bei experimentellen Studien an amerikanischen Universitäten (die jeder Leser als Stichprobe leicht selbst nachvollziehen kann) zeigte sich eine Tendenz der Mehrheit, „intuitiv“ mit 0.10 zu antworten. Bei der Mehrheit akzeptiert System 2 ohne weiteres das Resultat, welches System 1 vorschlägt. Die richtige Antwort ergibt sich aus einem Gleichungssystem, welches nach Definition in den Bereich von System 2 fällt: x + y = 1.10; x = y + 1. Selbst wenn jemand die richtige Lösung durch „Probieren“ finden sollte, greift er mit dieser Korrektur dennoch auf System 2 zurück. „Probieren“ ist offensichtlich kein Automatismus. Werden die Zahlen des Beispiels an aktuell übliche Preise angepasst, wird das Experiment anders verlaufen. Bei dieser Ausgangslage dürfte jeder sogleich auf System 2 umschalten bzw. zu Papier und Bleistift greifen.

101

Waldstein (1972), S. 262. Kahneman, S. 697. 103 Das Schema geht auf Stanovich/West zurück; vgl. Kahneman, S. 698. 104 Kahneman, S. 699. 105 Kahneman, S. 717. 106 Angepasst aus Kahneman, S. 699. 102

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Kap. 1: Einführung

Diese Ausführungen legen nahe, dass Intuition und Anschauung alleine wohl nicht ausreichen, rechtliche Probleme zu lösen. Auch Sachgefühl und Erfahrung sind nicht automatisch bei jedem Juristen vorhanden und müssen erst mühevoll entwickelt werden. Tradition ergibt sich erst durch wiederholtes Anwenden des Denkprozesses und regelmäßiger Bestätigung der gefundenen Ergebnisse. Dennoch bleibt Kasers Vorstellung der Intuition ein ansprechendes Modell, an dem sich alternative Modelle messen lassen müssen. Wenn bei den Exegesen ein Erklärungsansatz vorgeschlagen wird, der sich logischer Mittel bedient, wird also immer zu fragen sein, ob Julian die Lösung auch unmittelbar durch Anschauung hätte finden können107. Ist dies nicht der Fall und erscheint ein Einsatz logischer Mittel als plausibel, muss dies noch lange nicht heißen, dass deswegen das römische Recht einen systematischen Charakter aufweisen muss, welcher gar mit dem extremen Gegenmodell der streng logisch-deduktiven euklidischen Geometrie zu vergleichen wäre, wie dies Horak zu fordern scheint108. Zwischen Intuition und „System“ liegt ein weiter Weg. 2. Julians juristische Methode Bund definiert den Begriff der juristischen Methode anschaulich als „Weg des Denkens, der zur gerechten Entscheidung führt“109. Wieacker streicht bei Julian dessen „treffsichere Analyse und Differenzierung der Tatbestände“ hervor und bemerkt eine innere Systemkonsistenz der gefundenen Lösungen110. Die Überzeugungskraft seiner Methode liege im gelungenen Zusammenspiel analytischer, synthetischer und konkret wertender Verfahren. Eine umfangreiche, wenn auch nicht umfassende Untersuchung von Julians Methode lieferte Bund. Er beschränkte sich aus praktischen Gründen auf die Analyse von Julians anknüpfenden „Begründungsverfahren“ unter Berücksichtigung logischer, psychologischer, gedanklicher und sprachlicher Aspekte111. Im Ergebnis stellte Bund die von Wieacker angemerkte Vielfalt der verwendeten Argumente fest, ein Befund, der etwas im Widerspruch zum klassischen Ideal stehe112. Dabei hätte Julian häufig zur „altertümlichen Fiktion“, aber selten zu systematischen Argumenten gegriffen, von denen höchstens einige seltene „Einsprengsel“ für sein theoretisches Interesse sprächen113, ohne dass er deswegen viel von einer „Verwissenschaft 107

Vgl. Waldstein (1972), S. 253. Vgl. Horak (1976), S. 35 f. 109 Bund (1965), S. 4. 110 Wieacker (2006), S. 100. 111 Bund (1965), S. 5 und S. 6: „Wir verwenden darunter die Verwendung eines Vorgegebenen als Ausgangspunkt des sich entwickelnden Gedankens oder auch das ‚nachschiebende‘ Argumentieren damit, und sehen dies im Gegensatz zu den korrigierenden Methoden, die das Ergebnis durch Über-es-hinaus-Denken verifizieren bzw. falsifizieren wollen“. Zum Instrument der Analogie siehe auch Reggi. 112 Bund (1965), S. 180; vgl. Bund (1976), S. 444 ff. 113 Bund (1965), S. 178, 183. 108

D. Gang der Untersuchung

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lichung der Jurisprudenz“ gehalten hätte114, wie sie – wenn die gängige Deutung zutrifft – von Cicero gefordert wurde. Die Begründungen seien nicht immer stringent115 und folgten auch nicht stets dem gleichen Muster, doch bleibe die Darstellung „eindrücklich klar“ und „ausgeglichen“116. Insgesamt seien seine Lösungen praktikabel, weder einseitig noch überspitzt117. Der Logik fiel mit Ausnahme der „Ähnlichkeitsrelation“ bei Bund keine größere Bedeutung zu118. Ebenfalls nur punktuell auf die Logik als Hilfsmittel Julians geht Scarano Ussani ein119, der in einer Monographie die Bedeutung der utilitas als wertendem Argument behandelte. Eine wirklich umfassende Studie zur Methode Julians steht noch aus. Die vorliegende Untersuchung ergänzt die bisherigen Arbeiten aus einem spezifischen, ideengeschichtlichen Blickwinkel.

D. Gang der Untersuchung 1. Methodik Horaks Warnung, dass es in den Digesten Beispiele „in Hülle und Fülle“ gebe120, welche sowohl für als gegen die These einer Beeinflussung durch die Logik vorgebracht werden können, legt nahe, sich zu Beginn genau zu überlegen, wie die Textmasse von Julians Digesten am zweckmäßigsten nach aussagekräftigen Belegen durchsucht werden soll. In seiner Palingenesia ergänzte Lenel die 396 Julian direkt zugesprochenen Fragmente um zahlreiche Zitate anderer Juristen, sodass insgesamt ein Bestand von 839 Fragmenten vorliegt, die sich auf zwei Teile mit den Büchern 1–58 („Edikts-Kommentar“) und den Büchern 59–90 (leges und senatus consulta) verteilen121. Eine erste summarische Durchsicht der 396 auf Julian angeschriebenen Fragmente führte auf eine Vorauswahl von 108 Texten (entspricht 35 % der Textmasse). Im Rahmen von Exegesen werden davon 35 Texte detailliert besprochen werden (entspricht 7 % der Textmasse). Diese engere Auswahl erfolgte auf der Grundlage sprachlicher und inhaltlicher, nicht aber rechtlicher Kriterien. Dies führt dazu, dass die Texte einen Querschnitt durch weite Teile des römischen Privatrechts abbilden. Um die Auswahl transparent und nachvollziehbar zu machen, finden sich die verwendeten Kriterien jeweils zu Beginn der einzelnen Kapitel beschrieben. Während die sprachlichen Kriterien auf einschlägigen, sich gera 114

Bund (1976), S. 446. Bund (1976), S. 446. 116 Bund (1965), S. 179. 117 Bund (1965), S. 180. 118 Bund (1965), S. 6. 119 So Scarano Ussani, S. 139 in Bezug auf das liber singularis. 120 Siehe vorne, Kap. 1 A. 121 Zur zeitlichen Entstehung (wahrscheinlich sukzessive, teilweise vor 129, schwergewichtig nach 148 aber noch vor Julians Tätigkeiten in den Provinzen ab 151) siehe Bund (1976), S. 432 ff. 115

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Kap. 1: Einführung

dezu aufdrängenden Schlüsselwörtern basieren, bedarf es für die Entwicklung der sachlichen einiger theoretischer Überlegungen, um sich nicht bloß auf anekdotische Evidenz oder persönliche Vorlieben bei der Auswahl zu verlassen. Zunächst einmal gibt neben der bereits erwähnten Kritik Horaks die oft geäußerte Ansicht, dass sich die eigentliche juristische Denkarbeit außerhalb jeglicher formalen Logik vollziehe, Anlass zur Vorsicht. Canaris zufolge liege der entscheidende Teil  der juristischen Arbeit bei der Subsumtion als StandardSchlussform im Aufstellen und Konkretisieren der Prämissen122. Die Schluss­ folgerung vollziehe sich anschließend „automatisch“. Komplizierte logische „Kettenableitungen“ kämen demzufolge in der Jurisprudenz „praktisch nicht“ vor. Für von Schlieffen stehen wie in der Rhetorik pragmatische Ansätze im Vordergrund, die möglichst rasch zu wahrscheinlichen, plausiblen Hypothesen führen, welche im Allgemeinen nicht an einer strengen wissenschaftlichen Wahrheit, sondern an ihrer Überzeugungskraft gemessen werden123. Die Kritik zielt insbesondere auf die zweite zuvor gestellte Frage nach der juristischen Argumentationstechnik. Vorbehalte gegenüber einer unbedachten Anwendung logischer Modelle auf das menschliche Denken kommen jedoch selbst aus Logik und Philosophie. Die Schwierigkeiten, in der alltäglichen Argumentation die traditionelle Logik anzuwenden, führte Toulmin auf eine Divergenz zwischen klassischer oder „formaler“ Logik und praktischen Anwendungen zurück, die schon bei Aristoteles erkennbar gewesen sei124. Derselbe Gedanke findet sich auch bei Habermas, der zu Beginn seiner „Logik der Argumentation“ eine Feststellung der Begründer der „informellen Logik“, der amerikanischen Philosophen Anthony J. Blair und Ralph H. Johnson, zitiert: Es bestehe „serious doubt whether deductive logic and the standard inductive logic approaches are sufficient to model all, or even the major, forms of legitimate argument“125. In einem rein logisch-deduktiven System wie der schon von Horak als Gegenbeispiel zum Recht angesprochenen euklidischen Geometrie ist die Interdependenz der Entscheidungen absolut, da sich jede einzelne Entscheidung als Resultat aus einer fixierten Menge von Axiomen herleiten lässt. Als einzig zulässiger Schluss gewährleistet dort die logische Implikation absolute Konsistenz. Luhmann sah aber die Interdependenz im Rechtssystem gelockert, was verschiedene Systemzustände und Kombinationen von Kontinuität und Innovation gestatte126. Der Logik setzte er enge Grenzen und erkannte ihr einzig die Rolle der Fehlerüberwachung beim juristischen Argumentieren im Vorfeld der Anwendung eines „Rechtsprogramms“ zu127. Mit diesen gewichtigen Vorbehalten vor Augen lassen sich für die Logik im – hier allein interessierenden  – römischen Recht  a priori drei mögliche Anwen 122

Canaris, S. 22 f. von Schlieffen, S. 616. 124 Toulmin, S. 9, 137 ff. 125 Blair/Johnson, S. 46; vgl. Habermas, S. 46. 126 Luhmann (1999), S. 252 ff. 127 Luhmann (1995), S. 343. 123

D. Gang der Untersuchung

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dungsbereiche ausmachen: Der erste ist die Konstruktion und Behandlung der quaestio facti. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf Julians Sachverhaltsbeschreibungen zu werfen sein. In gewissen Fällen wird eine logische Struktur schon in dem im Alltag gegründeten Problem angelegt sein, welches nach einer Beurteilung durch den Juristen ruft. Es bleibt abzuwarten, ob der Logik neben einer Funktion der sauberen Darstellung oder vielleicht auch der Konstruktion einer theoretisch zu behandelnden Rechtsfrage als zweitem Anwendungsbereich noch eine weitere, tragende Rolle bei der eigentlichen Lösung zukommt. Damit wäre auch der eigentliche Platz für ein axiomatisches juristisches Denken ausgemacht. Wenig erfolgsversprechend erscheint hingegen die Frage, wie wichtig den römischen Juristen die Kohärenz war. Für Julian bemerkte ja bereits Bund dessen Abneigung gegenüber systematischen Argumenten wie auch den Umstand, dass sich seine Argumente zuweilen auch widersprachen128. Allgemein ließe sich die vermutete Einführung des ius respondendi durch Augustus und seine Bestätigung durch Hadrian129 wohl im Sinne einer gewissen Sorge bezüglich mangelnder Konsistenz zwischen den Rechtsauskünften der Juristen deuten. Möglicherweise ging es den Kaisern aber auch nur um die Sicherstellung der Qualität der einzelnen Entscheidung oder gar primär um eine politische Einflussnahme einer als zu autonom wahrgenommenen Jurisprudenz130. Interessanter als die Frage nach der Konsistenz rechtlicher Lösungen scheint die Frage, ob die Logik die römischen Juristen dabei hätte unterstützen können, ihre Einzelfallentscheidungen in spezifischen Bereichen zu einer verallgemeinerungsfähigen „Theorie“ zu verdichten, ja, ob sie neben der Fähigkeit zu axiomatischem Denken auch über die Fähigkeit zu abstrakten Denken verfügten. Dieser Frage wird insbesondere bei den Exegesen zu den bedingten Rechtsgeschäften und der Wahlschuld nachgegangen werden können. 2. Gliederung Kapitel 2 bis 4 behandeln schwergewichtig die historische Faktenfrage, ob und wie Julian Kenntnisse aus Mathematik und Logik bei Darstellung und Lösung seiner Probleme einsetzte. Kapitel 2 widmet sich Stellen aus Julians Digesten, bei denen elementare mathematische Probleme im Sachverhalt angelegt sind oder Julian zur Lösung seiner Rechtsfälle auf mathematische Hilfsmittel zurückgreift. Zum einen kann so das Bild erweitert werden, über welche technischen Kenntnisse die römischen Juristen verfügten und wie sie diese in ihrer Arbeit einsetzten. Zum anderen und konkreter ergeben sich weitere, ergänzende Aspekte zur Methode der Sachverhaltsanalyse, zu einem Thema also, das auch bei der anschließenden Un 128

Siehe nochmals Bund (1965), S. 178 f. Pomp. D. 1,2,2,49. 130 Zu den Unsicherheiten über Inhalt und tatsächlichen Auswirkungen des ius respondendi siehe Tuori, S. 73 ff. sowie dort S. 108 zu Hadrian, der sich zur Fortentwicklung des Rechts der Konstitutionen bedient haben könnte. Zur zweifelhaften Zielerreichung des Privilegs siehe Plisecka, S. 381. 129

34

Kap. 1: Einführung

tersuchung zum Einfluss der Logik auf die juristische Arbeit Julians eine bedeutende Rolle spielt. Außerdem bietet sich ein interessanter Einblick in die Art und Weise, wie Julian seine Fälle konstruiert und aufeinander aufbaut, woraus sich Rückschlüsse auf seinen „kasuistischen Stil“ ziehen lassen. Dank der Schärfe der mathematisch geprägten Sachverhalte der ausgesuchten Stellen, lässt sich dies einfacher untersuchen, als dies später etwa bei der Suche nach Spuren modallogischer Konzepte der Fall sein wird. Kapitel 3 dreht sich um den Bereich der assertorischen Logik. Es erweitert die Erkenntnisse, die aus dem Studium von Julians liber singularis de ambiguitatibus gewonnen wurden, welche ihm Kenntnisse der Logik zusprechen131. Nach einer noch modern geprägten, technischen Einführung in die klassische Aussagenlogik und ihrer zentralen Begriffe des Wahrheitswerts und der Wahrheitsträger werden maßgebliche antike Quellen untersucht, um sich dem antiken Verständnis soweit anzunähern, dass nach Anwendungen und Parallelen in römischen Rechtstexten gesucht werden kann. Die wichtige logische Verknüpfung des Konditionals wird zeitgenössisch mit der Funktionsweise der Klageformeln im römischen Zivilprozessrecht verglichen. Aus der modalen Logik wird in Kapitel 4 nach Anwendungen ihrer Grundbegriffe der Möglichkeit, der Notwendigkeit und der Kontingenz gesucht. Naturgemäß bietet sich eine Betrachtung der römischen Pendenzlehre sowie der Bestimmungen zum ius postliminium an, wo Phasen der Unsicherheit rechtlich kontrolliert werden müssen. Die Anwendung der lex Cornelia de captivis wird die Anwendung von Gesetzen illustrieren. Dem Gedanken des „axiomatischen Denkens“ wird in Kapitel 5 nachgegangen, welches sich allgemein mit dem logischen und juristischen Schluss beschäftigt. Dazu wird sowohl die aristotelische Syllogistik mit ihren in drei Figuren eingeteilten 14 Schlussformeln als auch die stoische Variante betrachtet, die mit ihren fünf „Axiomen“ oder „Unbeweisbaren“ klar deduktive, mit ihren vier themata aber auch reduktive Elemente aufweist. Die Syllogistik liefert auch Gelegenheit, Julians Argumentationsstruktur breiter und anhand größerer, zusammenhängender Textverbände zu analysieren und zu vergleichen. Bei den Exegesen wird jeweils kritisch zu hinterfragen sein, ob Julian nicht einfach mit durchschnittlicher Wahrscheinlichkeit eine der im Sinne Kasers intuitiv erfassbaren Lösungen ausgewählt hat, oder ob es eines zusätzlichen motivierenden Elements bedurfte, welches im Einsatz des Hilfsmittels aus Mathematik oder Logik erblickt werden kann. Am Ende jedes Kapitels schließt sich eine Diskussion der aus den Exegesen gewonnenen Erkenntnisse an. Als Prüfkriterien für die Fragen nach Kenntnis und Einfluss von Mathematik oder Logik dienen die sprachliche Evidenz und die feststellbare Rolle des Hilfsmittels mit Blick auf den römischen Zivilprozess und den individuellen Stil des Fachschriftstellers Julian. Erst die Gesamtheit dieser Einzelbeobachtungen wird eine qualitative Beurteilung der eingangs aufgestellten zwei Fragen ermöglichen.

131

Siehe Fn. 5.

Kapitel 2

Elementare Mathematik A. Fragestellung: Erst rechnen, dann teilen Das zweite Kapitel untersucht Texte Julians, in denen Probleme mit mathematischen Bezügen behandelt werden. Von der Thematik als vielversprechend erscheinen Fragen der Aufteilung von Vermögenswerten bei einer societas oder im Zuge eines Erbgangs. So lässt sich das Grundprinzip der actio communi dividundo dahingehend beschreiben, dass zunächst ein Miteigentum aufzulösen ist, um anschließend nach vorgegebenem Schema – Vereinbarung oder letzter Wille – Alleineigentum an Sachen zu begründen und allfällige Abweichungen durch Ausgleichszahlungen zu korrigieren1. Für die Erbteilungsklage lautet die von Lenel rekonstruierte Formel wie folgt2: [D] Quod Lucii Titii heredes de familia erciscunda deque eo, quod in ea hereditate ab eorum quo, postea quam heres factus sit, gestum admissumve sit, iudicem sibi dari postulaverunt [A] quantum adiudicari oportet, iudex Titio adiudicato: [I] quidquid ob eam rem alterum alteri praestare oportet [ex fide bona][C] eius iudex alterum alteri c.s.n.p.a3 .

Die Klageformel suggeriert zwei mögliche Anknüpfungspunkte für den Einsatz mathematischer Hilfsmittel. Zum einen muss in der demonstratio die Erbschaft nach ihren Bestandteilen und ihrem Wert bestimmt werden. Dies ist zweifellos eine Frage der Analyse des Sachverhalts (quaestio facti)4. Gleichzeitig müssen die einschlägigen Rechtsgrundlagen beachtet werden, welche bestimmen, was alles zu der zu teilenden Erbschaft geschlagen werden soll (quaestio iuris)5. Zum anderen muss in der adiudicatio aufgrund der von den Parteien eingebrachten Informationen bestimmt und berechnet werden, wie viel einem jeden nach seinen Quoten rechtmäßig zukommt. Spätestens in diesem Schritt können Konkurrenzen zwischen verschiedenen testamentarischen Verfügungen zu rechtlich problema­ tischen Fragen führen6. Auch stellen sich möglicherweise Fragen der Vorlage von

1

Kaser (1971), S. 728. Lenel (1927), S. 206; vgl. dort die Formel für die actio communi dividundo auf S. 211. 3 Zeitgenössisch beschrieben werden die vier typischen Bestandteile von Gaius in Gai. 4,39 ff.; vgl. Kaser/Hackl, S. 310 ff., die auf eine „schulmässige Neigung zur Generalisierung“ verweisen.­ 4 Siehe Simons, S. 169: „Suchformeln zur Klärung von Tatbestandsvoraussetzungen“. 5 Siehe als Bsp. die Exegese zu Iul. Pal. 301, 375.2. 6 Siehe als Bsp. die Exegesen zu Iul. Pal. 420.0, 563, 756. 2

36

Kap. 2: Elementare Mathematik

Beweismitteln (editio)7, sollte der präsentierte Sachverhalt nicht schon alle relevanten Informationen enthalten. Erst aus diesem Zwischenresultat lassen sich die allenfalls geschuldeten Ausgleichszahlungen ableiten. An mathematischen Fertigkeiten stehen für diese Aufgaben die Darstellung von Zahlen allgemein einschließlich der Bruchzahlen sowie die Grundrechenarten im Vordergrund. Für kompliziertere Rechnungen könnte sich das Aufstellen und Lösen einfacher Gleichungen in einer oder mehreren Unbekannten von Nutzen erweisen. Im nächsten Abschnitt werden dazu die Grundlagen aus der Sicht der antiken römischen Kultur zusammengetragen. Ein Vergleich mit einem Beispiel aus der römischen Fachliteratur soll einen Eindruck vermitteln, in welchem Maße die gebildeten Römer fähig waren, ihre Aussagen zu verallgemeinern und abstrakt zu denken. An diesem Maßstab wird sich der Jurist Julian in den Exegesen messen lassen müssen.

B. Grundlagen 1. Mathematik im alten Rom Die Meinung, dass die Römer nichts Ursprüngliches zur Entwicklung der Mathematik beigetragen hätten, ist weitverbreitet. Cicero wird zu dieser zweifelhaften, wenig schmeichelhaften Auffassung beigetragen haben, indem er schrieb: Cic. Tusc. 1,5: [..] in summo apud illos [Graecos] honore geometria fuit, itaque nihil mathe­maticis inlustrius; at nos metiendi ratiocinandique utilitate huius artis terminavimus modum.

Die Römer sahen demnach den Nutzen der Mathematik in erster Linie in ihren praktischen Anwendungen. Zu erwähnen sind namentlich das öffentliche8 und private Vermessungswesen9 aber auch die technischen Bedürfnisse beim Bau von Wasserleitungen, Brücken oder Militärlagern. Anwendungsorientierung schließt jedoch ein vertieftes Verständnis und Interesse für mathematische Errungenschaften nicht aus10. Ein Werk wie Vitruvs „De architectura“ deutet auf ein bemerkenswertes Interesse für mathematische Inhalte und Anwendungen hin11. Ferner wird unter der Bezeichnung Corpus agrimensorum romanorum eine große Zahl von 7 Siehe Kaser/Hackl, S. 220 f., Bürge (1995), S. 25 ff. sowie Babusiaux (2006), S. 7 ff. für eine Übersicht zum Meinungsstand in der Literatur. Vgl. Mantovani, S 565 und 570 zu spezifischen Problemen der textlichen Überlieferung und sprachlichen Interpretation, namentlich von Ulp. D. 2,13,1,4, die eine sichere Aussage erschweren. 8 Gericke, S. 37 erwähnt eine von Cäsar angeordnete Reichsvermessung. 9 Vgl. Cato, Agr. 18 zum Bau von Hofmauern. 10 Siehe dazu Hodgkin, S.  69 ff. der diese Sicht etwas zu differenzieren sucht. Gerickes Feststellung, die abendländische Mathematik beginne im antiken Rom, scheint aber doch zu pointiert wenn nicht gar rätselhaft (Gericke, S. 9). 11 Vgl. Hodgkin, S. 69 ff.; Fuhrmann, S. 78 ff.

B. Grundlagen

37

römischen Fachschriften zu Fragen der Landvermessung und -verwaltung zusammengefasst, die Bezüge zu Euklids Elementen und zu den Arbeiten des Heron von Alexandrien enthalten12. Dass die römischen Landvermesser durchaus weiterführende Kenntnisse der Mathematik vorweisen konnten, zeigt etwa folgende Formel zur Berechnung der Summe der Kuben von 1 bis n13:

(auch wenn selbstverständlich Anwendung und Beweis dieser Formel zwei verschiedene Dinge sind). Weitere Anwendungen können in Wirtschaft und Verwaltung gesucht werden. De Martino beschreibt die antike römische Wirtschaft als zweigeteilt. Wirtschaftliches Handeln spielte sich einerseits in der Agrarwirtschaft und andererseits im Fernhandel ab14. Zur wirtschaftlichen Kontrolle dieser Tätigkeiten gab es bereits erste Formen einer Rechnungslegung in der Form des codex accepti et expensi, des Hausbuches, das jeder Hausvater zu seinen Einnahmen und Ausgaben führte15. Ein institutionell gefestigtes Kreditwesen mit Banken als eigenen Einrichtungen hat es hingegen nicht gegeben16. Zu den einschlägigen, überlieferten Textquellen zählen zahlreiche Tabellen als Rechenhilfen für die Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division17. Sie dienten unter anderem der Umrechnung zwischen den zahlreichen verschiedenen Münzsorten18. Daneben galt die Mathematik weiterhin als Teil der Allgemeinbildung der sozial höher gestellten Schichten und sei es nur zur Schärfung des Verstandes der Heranwachsenden, bevor sie sich den weiterführenden Studien der Logik und der Rhetorik zuwandten19. Die Anforderungen beschränkten sich dabei allerdings auf reine Grundkenntnisse, die jedermann in seinem täglichen Leben zur Verfügung 12

Cuomo, S. 169 ff.; Brockmeyer, S. 167. Van der Waerden, S. 96. 14 De Martino, S. 62. 15 Mehr dazu siehe unten, Fn. 146. 16 De Martino, S. 174 ff. Die argentarii tätigten ihre Geschäfte nur in beschränktem Umfang und handelten vorwiegend mit „kleinen“ Leuten. Sie waren mehr Geldwechsler als Bankiers. Die Finanzierung großer politischer Initiativen der aristokratischen Familien und ähnliche Unternehmungen war nicht ihre Sache. 17 Cuomo, S. 143 ff. 18 Cuomo, S. 146, vgl. Bürge (1982), S. 129 ff., Kaser/Knütel, S. 186 f., Kunkel/Schermaier, S.  8 f. Zur noch immer mit Unsicherheiten behafteten Entwicklung des römischen Münzwesens siehe eingehend De Martino, S. 61 ff. Die Grundeinheit war das As. Es entstand ursprünglich als aes rude (Bronzepfund) und diente wohl vorwiegend dem lokalen Handel mit landwirtschaftlichen Produkten (De Martino, S. 62 f.). Es wurde in der Folge vom aes signatum und dem aes grave abgelöst, bevor zu den leichteren, dem Fernhandel angepassten Silbermünzen übergegangen wurde (De Martino, S. 65). Der Beginn der eigentlichen Münzprägung wird nach den Quellen um das Jahr 269 v. Chr. zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges anzusetzen sein. Das genaue Verhältnis zwischen den verschiedenen Münzsorten ist nicht sicher feststellbar (De Martino, S. 66). 19 Gericke, S. 44 ff. Vgl. Quint. Inst. 1,10,34 und 1,10,39–45. 13

38

Kap. 2: Elementare Mathematik

haben musste. So musste ein Grundherr in der Lage sein, die Rechnungen seines Gutes zu prüfen20. Auch Quintilian hielt es für selbstverständlich, dass ein Gebildeter geschickt mit den Fingern rechnen konnte21. Für die eigentliche Ausführung der Rechnungsführung stand jedoch eine ganze Reihe verschiedener Berufsgattungen wie numerarii oder tabularii (eine Art Buchhalter) zur Verfügung, deren Vertreter in der Regel Sklaven oder Freigelassene waren22. Zu den Grundkenntnissen gehörten die vier Grundrechenarten und die Fertigkeit, mit Brüchen umzugehen. Die römischen Bruchzeichen präsentieren sich teilweise als Ableitungen aus den diversen Münzsorten, deren Wert ursprünglich nach Gewicht bestimmt wurde23. So bezeichnet die uncia 1⁄12 einer Einheit, des As24. Davon ausgehend waren die semuncia als 1⁄24, der sicilicus als 1⁄48 und der scripulum als 1⁄288 gebräuchlich. Häufige natürliche Brüche waren semis als 1⁄2, triens als 1⁄3 und quadrans als 1⁄4. Dazu kamen die Komplementärbrüche bessis (= binae ex tribus assis partes) als 2⁄3, dodrans (dequadrans) = 3⁄4 und deuncia (deunx) als 11⁄1225. Komplexere Rechnungen konnten mit einem Abakus durchgeführt werden26. Sein Aufbau milderte die praktischen Schwierigkeiten, die sich dem modernen Betrachter beim Rechnen mit Zahlen in der bekannten römischen Schreibweise stellen, erlaubte er doch das Abarbeiten der Zahlen im heute gebräuchlichen Dezimalsystem27.

20

Vgl. Cato, Agr. 2. Der Grundherr solle mit dem Verwalter (villicus) die Bücher durchgehen. Für die spätere Zeit haben möglicherweise Spezialisten wie die procuratores einen grossen Teil der rechnerischen Aufgaben übernommen. Doch letztlich musste ein vorsichtiger und gewissenhafter Grundherr auch diese kontrollieren (vgl. Brockmeyer, S. 158 f. und S. 165). 21 Quint. Inst. 1,10,35. 22 Cuomo, S. 149. 23 Gai. 1,122: „Ideo autem aes et libra adhibetur, quia olim aereis tantum nummis utebantur, et erant asses, dupundii, semisses, quadrantes, nec ullus aureus vel argenteus nummus in usu erat, sicut ex lege xii tabularum intellegere possumus; eorumque nummorum vis et p­ otestas non in numero erat sed in pondere — asses librales erant, et dupundii unde etiam dupundius dictus est quasi duo pondo, quod nomen adhuc in usu retinetur. Semisses quoque et quadrantes pro rata scilicet portione ad pondus examinati erant  — qui dabat olim pecuniam, non numerabat eam, sed appendebat; unde servi quibus permittitur administratio pecuniae dispensatores appellati sunt“. 24 Nach De Martino, S. 70 ist umstritten, ob das As 10 oder 12 Unzen umfasste. 25 Ein Bruch heißt natürlich, wenn sein Zähler die Eins ist. Ein Komplementärbruch ergänzt einen natürlichen Bruch zur Einheit: 3⁄4 = 1 − 1⁄4. Siehe die Tabelle im Anhang sowie Hofmann, § 113. 26 Eine Abbildung eines Abakus findet sich bei Cuomo, S. 147. Es sind mindestens drei erhaltene Exemplare bekannt. Sie bestehen aus Bronze und sind in etwa von der Größe einer Postkarte, sodass sie leicht auf Reisen mitgenommen werden konnten. 27 Ein solcher Abakus hat die Kolonnen 0 = uncia, I = unus, X = decem, C = centum, () = mille, (()) = decem milia, ((())) = centum milia, |X| = decies centena milia. Damit sind immerhin die Zahlen von 1 bis 9.999.999 sowie die Brüche mit den Nennern 1⁄12 sowie 1⁄24, 1⁄36, 1⁄48, 1⁄72 darstellbar.

B. Grundlagen

39

2. Abstraktion, Formeln und Tabellen Mathematische Inhalte finden sich in einigen römischen Fachschriften, so in Catos „De agri cultura“ oder in Vitruvs „De architectura“. Für die Zwecke dieses Kapitels sehr informativ zeigt sich Frontinus’ nach 97 n. Chr. entstandenes, schmales Werk „De aquaeductu urbis romae“28. Erstens zeigt es auf, wie die Römer über anwendungsorientierte mathematische Fragen geschrieben und wie sie Berechnungen durchgeführt haben. Zweitens lässt sich illustrieren, wie sie größere Mengen an Daten und Fakten übersichtlich darstellen konnten, ohne zu Tabellen in ihrer heute gebräuchlichen und allgegenwärtigen Form zu greifen. Drittens wird sich anhand eines Auszuges aufzeigen lassen, inwieweit Frontinus in der Lage war, abstrakt zu denken und praktische Fragestellungen mit Hilfe der Sprache der Mathematik „formelhaft“ darzustellen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden im Rahmen der Exegesen zu Julian als zeitgenössischer Vergleichsmaßstab herangezogen. Die nachstehend betrachteten Texte stammen aus dem 1. Buch, in dem Frontinus nach einer chronologisch geordneten Übersicht zu den Wasserleitungen, die in die Stadt Rom führten, sich mit Fragen zu Bemessung und Förderleistung dieser Leitungen befasste29. Vorauszuschicken ist, dass die verschiedenen Typen der gebräuchlichen Wasserleitungen ursprünglich nach ihrem Maß als uncia30, digitus31 quadratus oder digitus rotundus bezeichnet, später aber durch eine Art Nummerschema (quinaria = Nr. 5, senaria = Nr. 6 bis vicenaria = Nr. 20 sowie weitere) unterschieden wurden32.

28 Zur Biographie des Frontinus siehe Rodgers, S. 1 ff. und Fögen, S. 265 ff. Eine Übersicht zum Aufbau des Werks findet sich bei Peachin, S. 145. Wie Julian führte auch Frontinus das Leben eines vielbeschäftigten Staatsdieners. Er war Prätor, dreimal (!) Konsul, militärischer Führer, Proprätor von Britannien (als Vorgänger von Agricola), Prokonsul von Asien. Unter Kaiser Nerva wurde er 97 Bevollmächtigter für die Wasserversorung Roms (curator aquarum). Von den Aufgaben und Pflichten dieses Amtes handelt seine hier besprochene Schrift. Vgl. die Einschätzung von Hodge, der zu Frontinus schreibt, er sei: „[..] wholly innocent of any literary pretensions (he usually reads like the polished prose style of a railway timetable, a work that in content he much resembles) [..]“. 29 Das 2. Buch befasst sich in der Fortsetzung mit der Abflussleistung der Leitungen und der Verteilung des Wassers, bevor zum Abschluss politische und administrative Fragen behandelt werden. 30 Uncia steht hier für das Längenmaß (Zoll). 31 Auch der digitus ist ein Längenmaß: 1⁄16 pes = 1,85 cm (Rodgers, S.  209; Frontinus, Aq. 24,2). 32 Siehe Rodgers, S. 212 und S. 352 (Table 4). Peachin, S. 64, 140 sieht als Motiv hinter diesem sehr technischen Kapitel die Absicht Frontinus’, seine umfassende Expertise heraus­ zustreichen. Erst diese Expertise erlaubt es dem curator, persönlich die ganze Wasserversorgung zu kontrollieren. Dies war politisch bedeutsam, ging es doch um das Realisieren von Wohltaten (beneficia) des Kaisers.

40

Kap. 2: Elementare Mathematik

Frontinus, Aq. 25,4–5 Maxima probabile est quinariam dictam  a diametro quinque quadrantum; quae ratio in sequentibus quoque modulis usque ad vicenariam durat, diametro per singulos adiectione singulorum quadrantum crescente: ut in senaria quae sex quadrantes in diametro habet, et septenaria quae septem, et deinceps simili incremento usque ad vicenariam 33 34 35

Frontinus, Aq. 26,1–4 Omnis autem modulus colligitur aut diametro aut perimetro aut areae mensura, ex quibus et capacitas adparet. Differentiam unciae, digiti quadrati et digiti rotundi, it ispi〈us〉 quinariae ut facilius dinoscamus, utendum est substantia quinariae, qui modulus et certissiumus et maxime receptus est. Unciae ergo modulus habet diametri digitum unum et trientem digiti; capit plus quam quinariae octava, hoc est sescuncia quinariae et scripulis tribus et bese scripuli [..]

Frontinus, Aq. 27,1–2 Ceterum moduli qui a quinaria duobus generibus incrementum accipiunt. Est unum cum ispa〈e〉 multiplicantur, id est eodem lumine plures quinariae includentur [..] Frontinus, Aq. 28,1–3 Alterum gens est quotiens non ad quinariarum necessitatem fistula incrementum capit sed ad diametri sui mensuram, secundum quod et nomen accipit et capacitatem ampliat: ut puta quinaria, cum adiectus est ei ad diametrum quadrans, senariam facit. Nec iam in solidum capacitatem ampliat; capit enim



33

Am wahrscheinlichsten ist, dass die Nr.  5 nach ihrem Durchmesser von fünf Vierteln bezeichnet ist, welches Verhältnis auch für die folgenden Maße33 bis zur Nr.  20 fortbesteht, weil der Durchmesser jeweils durch Hinzufügen eines einzelnen Viertels wächst: so für die Nr. 6, die einen Durchmesser von sechs Vierteln hat, und die Nr.  7 mit sieben und so weiter bis zur Nr. 20. Alle Maße aber werden nach dem Durchmesser oder dem Umfang oder dem Flächenmaß gemessen, aus dem sich auch die Kapazität ergibt. Damit wir den Unterschied zwischen Zoll, quadratischem und runden Fingermaß und der Nr.  5 selbst am einfachsten erkennen, ist der Standard34 der Nr.  5 zu verwenden, dessen Maß am genauesten ist und am meisten verwendet wird. Das Zoll-Maß hat also einen Durchmesser von einem und einem Drittel Finger; es fasst mehr als 1 1⁄8 von Nr. 5, d. h. 1⁄8 von Nr. 5 plus 3 mal 1⁄288 plus 2⁄3 von 1⁄288 [mehr]35. Die anderen von Nr.  5 abgeleiteten Maße wachsen auf zwei Arten an. Die eine ist, wenn sie mit sich selbst vervielfacht werden, d. h. in demselben Öffnung werden mehrere Nr. 5 zusammengefasst [..]. Die andere Art ist, wenn der Zuwachs der Leitung nicht nach der Anzahl der nötigen Nr. 5 gemessen wird, sondern nach ihrem Durchmesser, wonach sie sowohl den Namen erhält als auch an Kapazität gewinnt: so wird Nr. 5, wenn ihr Durchmesser um einen Viertel vergrößert wird, zur Nr. 6. Jedoch nimmt

Hainzmann, S. 26 übersetzt modulus mit Kaliber. Deutungsvorschlag nach Rodgers, S. 212. 35 Eine saubere Übersetzung fällt nicht leicht. Rodgers, S. 212: „What F. wants to say is ‚its capacity is greater than a quinaria by more than one-eighth of a quinaria‘“. Dies macht auch rechnerisch Sinn. 34

B. Grundlagen quinariam unam et quincuncem sicilicum. Et deinceps eadem ratione quadrantibus diametro adiectis, ut supra dictum est, crescunt septenaria, octonaria, usque ad vicenariam.

41

ihre Kapazität nicht um eins zu, sie fasst nämlich eine Nr. 5 plus 5⁄12 plus 1⁄48. Und anschließend, nach dem gleichen Prinzip durch Hinzufügen eines Viertels zum Durchmesser, wie oben gesagt, entstehen die Nr. 7, die Nr. 8 bis hin zur Nr. 20.

Im ersten Abschnitt Aq. 25,4–5 beschreibt Frontinus, wie das Nummernschema der Wasserleitungen aufgebaut ist. Als „Standard“ dient die Nr. 5 (quinaria), die einen Durchmesser von 1 + 1⁄4 = 5⁄4 digitus aufweist. Ihr Name leitet sich aus dem Fünffachen eines Viertels ab. Analog werden die nachfolgenden Leitungen bestimmt und bezeichnet: die senaria hat einen Durchmesser von sechs, die septenaria einen von sieben Vierteln usw36. Frontinus verwendet zwar keine abstrakte Formel, aus seiner Beschreibung lassen sich die nachfolgenden Leitungen ohne Schwierigkeiten berechnen: Die Nr. n hat einen Durchmesser von n/4 digitus37. Im zweiten Abschnitt Aq. 26,1–4 geht Frontinus auf die Kapazität oder die Förderleistung der Leitungen ein, die sich nach dem Flächenmaß ihres Querschnitts bestimmen lässt, und vergleicht die Kapazität der uncia mit jener der quinaria. Hierzu muss man wissen, dass sich die Fläche F eines Kreises mit Durchmesser d mit der Kreiszahl π als

berechnet. Eine Leitung vom Typ der uncia weist einen Durchmesser von 1 + 1⁄3 digitus auf, was 384 scripula entspricht38. Ihr Querschnitt hat eine Fläche von F3 = π × 36.864 scripula quadrata. Für die quinaria mit ihrem Durchmesser von 1 + 1⁄4 digitus, das sind 360 scripula, ergibt sich eine Fläche von F5 = π × 32.400 scripula quadrata. Nun schreibt Frontinus, dass die uncia capit plus quam 〈quinaria〉 quinariae octava. Die Differenz der Fläche der Querschnitte berechnet sich zu F3 – F5 = π × 4.464 scripula quadrata. Dies ist in der Tat mehr als 1⁄8 × F5 = π × 4.050. Seine Angabe von sescuncia quinariae et scripulis tribus et bese scripuli kommt mit (1⁄8 + 3⁄288 + 2⁄3 × 1⁄288) × F5 = π × 4.462,5 schon recht nahe an das korrekte Ergebnis heran. Zu beachten ist, dass die Kreiszahl π in dieser Rechnung nur eine passive Rolle spielt. Die Abweichung ist somit nicht darauf zurückzuführen, dass Frontinus mit einer ungenauen Approximation von π arbeitete39, sie dürfte viel 36 Für die Leitungen nach Nr. 20, die bis zu Nr. 120 (centum vicenum) fortschreiten, kommt ein anderes Schema zur Anwendung. Das schöne Bild wird im Übrigen durch die Fakten der tatsächlichen Herstellung der Wasserleitungen getrübt. In Aq. 31 berichtet Frontinus von Abweichungen bei den Nr. 12, 20, 100 und 120, die er schon zu Beginn des Abschnitts in Aq. 23,2 angekündigt hat. Zu diesem Problem siehe die Bemerkungen bei Rodgers, S. 225. 37 Die Bedeutung eines methodischen Vorgehens streicht Frontinus in Aq. 23,2 selbst heraus. 38 Da 4⁄3 = 384⁄288. 39 Die Römer kannten und benutzten die bereits auf Archimedes zurückgehende Approximation von π als 22⁄7 = 3 + 1⁄7 (vgl. Van der Waerden, S. 185; Rodgers, S. 210).

42

Kap. 2: Elementare Mathematik

mehr dem starren Festhalten an den gebräuchlichen Bruchzahlen geschuldet sein. Möglicherweise wurde das angegebene Ergebnis weniger (wie eben dargestellt) durch eine Rechnung als durch „Probieren“ erziehlt. Im vierten Abschnitt Aq. 28,1–3 wendet sich Frontinus den Kapazitäten der Leitungen vom neueren Typ zu. Wie schon im ersten Abschnitt beschrieben, leitet sich die senaria aus der quinaria ab, indem der Durchmesser um 1⁄4 vergrößert wird. Dadurch wird die Kapazität jedoch nicht einfach verdoppelt: Nec iam in solidum capacitatem ampliat. Tatsächlich errechnet sich zwischen den Querschnitten von senaria und quinaria ein Verhältnis von F6 /F5 = 1,4440: ×

Die Rechnung ist elementar. Auf der rechten Seite wird für das Ergebnis die in der Antike beliebte Stammbruchzerlegung angegeben41. Von den auftretenden natürlichen Brüchen zählt nur der erste als triens zu den bei den Römern gebräuchlichen. Frontinus gibt als Verhältnis quinariam unam et quincuncem sicilicum an: 1 + 5⁄12 + 1⁄48 = 1,4375. Auch hier ergibt sich also eine kleine Abweichung zum korrekten Resultat. Für die Berechnung der weiteren Leitungen veweist Frontinus auf das allgemeine Prinzip: Et deinceps eadem ratione quadrantibus dia­metro adiectis. Folgt man dieser Anleitung, gelangt man zu folgender Tabelle der römischen Wasserleitungen42: 43

Leitung digiti

Durchmesser43

Umfang

Fläche

dezimal

D=2×r

π×D

π × r2

Kapazität

Uncia

1+1⁄3

1,33

384

1.207

36.864π

Quinaria

1+1⁄4

1,25

360

1.131

32.400π

1

Senaria

1+1⁄4+1⁄4

1,50

432

1.358

46.656π

1,44

Septenaria

1+1⁄4+1⁄4+1⁄4

1,75

504

1.584

63.504π

1,96

..

..

..

..

..

..

Etc.



Am Ende des 1.  Buches gibt Frontinus eine Übersicht zu den verschiedenen Leitungstypen und ihren wesentlichen Parametern wie Durchmesser und Ka­ pazität:

40

Das Resultat ist auf zwei Dezimalstellen exakt. Sie ist im Allgemeinen nicht eindeutig. 42 Vgl. Rodgers, S. 352 (Table 4). 43 Alle Angaben in scripula, π= 22⁄7. 41

C. Auswahl der Stellen

43

Frontinus, Aq. 39–41: Fistula quinaria: diametri digitum unum 〈= −44 , perimetri〉 digitos tres S = = − ɜ III; capit quinariam unam. Fistula 〈senaria〉: diametri digium unum semis, perimetri digitos IIII S = £ ɜ II; capit quinariam unam = = − ɜ 〈VI 〉45 . Fistula septenaria: diametri digitum I S = −, perimetri digitos V S; capit quinariam I S = = − £; in usu non est.

Frontinus bedient sich einer listenförmigen Darstellung, die sich aus einzelnen, unvollständigen Sätzen zusammensetzt, welche gleichförmig aufgebaut sind, und die damit inhaltlich einer modernen Tabelle durchaus nahe kommt, die Zeile für Zeile und von links nach rechts gelesen wird46. Zusammenfassend erscheint Frontinus als versierter Fachschriftsteller, der seine Informationen säuberlich und sehr systematisch47 präsentiert und in Ansätzen abstrakt oder formelhaft denken kann, wie seine Prinzipien zur Ableitung der verschiedenen Leitungstypen belegen. Gewisse rechnerische Ungenauigkeiten dürften den Eigentümlichkeiten des römischen Bruchrechnens geschuldet sein, wobei es nicht sicher ist, ob Frontinus die Berechnungen selbst ausgeführt hat oder sich, als hoher Staatsbeamter, dabei auf die Dienste seines technischen Dienstpersonals verlassen hat. Die Digesten sind wohl einer anderen Literaturgattung zuzurechnen und Julian konnte vor dem Hintergrund der Traditionen seines Berufsstandes kaum so frei formulieren, wie dies Frontinus möglich war. Mit Blick auf die historische Faktenfrage nach den mathematischen Kenntnissen Julians bleibt ein Vergleich der technischen Aspekte, die auch in einen juristischen Sachverhalt auftreten können, lohnenswert und informativ.

C. Auswahl der Stellen Die Suche nach einschlägigen Stellen kann sich zunächst auf die Verwendung von Zahlwörtern richten. Für die Zwecke dieser Untersuchung uninteressant sind all jene Fälle, in denen Zahlwörter der reinen Aufzählung in der Beschreibung des Sachverhalts dienen: „Cum duo servi duobus separatim denis in diem addicti sint [..]“48. Ebenfalls von geringem Interesse sind in der Regel Stellen, bei denen Zahlwörter der Illustration eines Sachverhalts dienen, ohne dass mit dieser Infor-

44 Unter Verwendung der römischen Bruchsymbole (siehe Anhang) übersetzt sich der Durchmesser der quinaria wie folgt: „unum = −“ entspricht wie in der Tabelle angegeben D = 1 + 1⁄6 + 1⁄12 = 1 + 1⁄4. 45 Für die Kapazität überträgt sich „unam = = − ɜ VI“ zu 1 + 1⁄6 + 1⁄6 + 1⁄12 + 1⁄288 × 6 = 1 + 5⁄12 + 1⁄48. 46 Vgl. Rodgers, S. 24 f., der von einem „formelhaftem“ Stil spricht, der das Verständnis des Lesers unterstützen und ihn bei der Lektüre führen soll. Einer bloßen Liste als Aufzählung ohne innere Struktur findet sich etwa in Cato, Agr. 12, wo die Ausstattung eines Ölguts beschrieben wird. 47 Vgl. die Selbstbezeichnung seines Werks als corpus in Aq. 2,2. 48 Iul. Pal. 244 (= D. 18,2,17).

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Kap. 2: Elementare Mathematik

mation weiter argumentiert oder gar gerechnet wird49. Weniger um mathematische Probleme als um sprachliche Unklarheiten geht es in einigen Stellen, in denen Julian Fragen der Auslegung behandelt50. Andere Stellen verdeutlichen mit expliziten Zahlwörtern das bekannte Prinzip des in maiore minus est51. Auch dort geht es jeweils mehr um die Auslegung von rechtserheblichen Äußerungen als um die hier gesuchten Bezüge zur Mathematik. Hervorzuheben sind hingegen die Stellen, die Bruchzahlen verwenden. In den durch die Digesten überlieferten Texten werden Bruchzahlen in Worten, nicht etwa mit besonderen Symbolen bezeichnet: etwa septuncia für 7⁄1252 oder dimidius für 1⁄253. Geben die römischen Juristen Geldsummen an, stellt sich bei der Übersetzung häufig die Frage, für welchen Betrag die Zahlwörter tatsächlich stehen oder welche Münzsorte als Einheit angenommen werden soll. Otto, Schilling und Sintenis gehen bei Beträgen in Sesterzen meistens davon aus, dass es sich um Vielfache von 1.000 handelt. Teilweise finden sich in den Quellen sowohl Angaben in 1.000er wie in 1er Schreibweise54. Ohne Angaben zu den genaueren Umständen können häufig beide Lesarten als reale Geldsummen Sinn machen, sofern es sich überhaupt um authentische Angaben und nicht bloß um ein lehrhaftes Beispiel handelt. Hinzu kommt das Problem der Geldentwertung. So nannte Cato im 3./2. Jh. v. Chr. noch einen Preis von 60 Sesterzen für das Eisen zur Herstellung eines Drehbaums sowie einen Lohn von 8 Sesterzen für seine Installation55. Ein Jahrhundert später soll der Historiker Sallust seinem Koch jährlich bereits 100.000 Sesterzen für seine Dienste gezahlt haben56. In den Übersetzungen der Quellentexte wird in der Regel die 1.000er Schreibweise verwendet. Weitere und meist aufschlussreichere Stellen lassen sich aufgrund thematischer Kriterien identifizieren. Bei der Landvermessung geht es u. a. um die Bestimmung der Größe von Grundstücken und ihre Abgrenzungen. In Iul. Pal. 109 behandelt Julian das Problem einer unzutreffenden Beschreibung der Eigenschaften eines Grundstücks durch den Verkäufer57. Doch ist nicht die eigentliche 49 Iul. Pal. 28.4, 71, 150.0, 165, 199.1, 232, 240.1, 275.1, 355, 438.1, 442, 451, 455, 460, 475, 476.0+1, 476.6+7, 515.0+1, 537.1, 599, 600.1+5, 618, 693.1, 695, 704.6, 705, 709.0, 712.6, 717.0, 747.7, 756.0, 761.2, 815.0. Zahlwörter als Altersangaben finden sich in Iul. Pal. 394, 525, 735.0, 810 und 834. Schließlich wird in Iul. Pal. 821.2. das Jahr als Zeitspanne von 365 Tagen umschrieben. 50 Iul. Pal. 244, 372, 427, 697.1+4, 792.0+1. 51 Iul. Pal. 244, 302, 372, 427, 697.1+4, 792.0+1. Die typische Zahlkombination ist 5 und 10. Zum Prinzip des in maiore minus est siehe Kaser (1971), S. 240 f. und Backhaus (1983), S. 136 ff. 52 Iul. Pal. 459.4. 53 Iul. Pal. 569.16. Weitere Stellen sind Iul. Pal. 735, 803. 54 So etwa bei Ulpian in D. 45,1,67 pr.: „Illa stipulatio: ‚decem milia salva fore promittis?‘ valet“ und in § 1: „Eum, qui ‚decem dari sibi curari‘ stipulatus sit [..]“. 55 Cato, Agr. 24,5. 56 Pseud. Acron. in Hor. Sat. I,1,101. Zur Inflation siehe De Martino, S. 196 f., 223, 401. Zur historischen Faktenfrage der Münzsorten siehe die Besprechung bei Ernst (2005). 57 Iul. Pal. 109 (D. 19,1,22): „Si in qualitate fundi venditor mentitus sit, non in modo eius, tamen tenetur emptori: pone enim dixisse eum quinquaginta iugera esse vineae et quinqua-

C. Auswahl der Stellen

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Vermessung das Problem. Die tatsächliche Fläche ist eine reine Frage des Sachverhalts und der Beweiserhebung, auf die Julian nicht weiter eingeht58. Die verwendeten Zahlen dienen bloß der einprägsamen Illustrierung und werden im überlieferten Text in Worten ausgeschrieben: quinquaginta et centum. Eigentliche geometrische Probleme finden sich in Julians Digesten nicht angedeutet59. Umfangreiche Feststellungen des Sachverhalts sind in Iul. Pal. 115.0 ebenfalls nur angerissen, ohne dass Julian diese Informationen konkret für die Herleitung seiner Lösung benötigte60. Die rechtliche Lösung ergibt sich vollständig aus prinzipiellen Überlegungen, ohne dass dabei weitere Details herangezogen werden müssten. Andernorts setzt Julian kleinere oder größere Berechnungen ein, um seine rechtliche Meinung besser illustrieren zu können61. Eine tragende Rolle haben diese Beispiele regelmäßig nicht. Die Grundrechenarten und das Rechnen mit Brüchen spielen zumindest praktisch immer eine Rolle, wenn es um die Erfüllung einer Obligation durch Auszahlung von Geld geht. Seit der späteren Republik wurden Geldsummen nicht mehr abgewogen, sondern gezählt: pecunia numerata 62. Da ohne anderweitige Abmachung jede Schuld durch beliebige Münzsorten bezahlt werden konnte, bestand ein Bedürfnis nach Umrechnungstabellen zur Erleichterung der dabei nötigen Berechnungen. Beispiele für solche Umrechnungen finden sich bei Julian allerdings keine. Aus Sicht der Mathematik stehen bei den ausgewählten Stellen wie schon angedeutet zwei Fertigkeiten im Vordergrund. Bei der ersten Gruppe von Abschnitt D tritt das Arbeiten mit Brüchen auf, wenn eine Reihe von Zahlen auf ein rechtlich oder faktisch neu bestimmtes Verhältnis proportional angepasst werden muss. Technisch ist dies wenig anspruchsvoll, und die Lösung ergibt sich meist so unmitginta prati et in prato plus inveniri, esse tamen omnia centum iugera“. Hier wird nicht die Angabe der Gesamtfläche kritisiert, sondern die Beschaffenheit des Grundstücks. Nach Cato, Agr. 1 zählt Rebland am meisten an Wert. Wiesland kommt erst an fünfter Stelle. 58 Hier im Sinne eines „inartifiziellen“ Beweises, der nicht durch die Kunst der Rhetorik, sondern durch andere Mittel, eben der kunstfertigen Vermessung festgestellt werden kann (vgl. Lausberg § 351). 59 Iul. Pal. 487 (D. 8,3,28) behandelt ein Problem zu einem Wegerecht zwischen zwei Grundstücken, ohne dass der Sachverhalt näher behandelt würde. Siehe die Bemerkungen zum Corpus agrimensorum (in Kap. 2 B. 1.) sowie die neue Arbeit von Kaiser, S. 273 ff. 60 Iul. Pal. 115.0 (D. 10,2,51 pr.): „Fundus, qui dotis nomine socero traditus fuerit, cum­ socer filium ex aliqua parte heredem instituerit, per arbitrum familiae erciscundae praecipi ita debet, ut ea causa filii sit, in qua futura esset, si dos per praeceptionem legata fuisset. Quare fructus post litem contestatam percepti ad eum redigendi sunt habita ratione impensarum: qui vero ante litem contestatam percepti fuerint, aequaliter ad omnes heredes pertinebunt. Et impensarum ratio haberi debet, quia nullus casus intervenire potest, qui hoc genus deductionis impediat“. Zu bestimmen wäre der Wert des Grundstücks, der Mitgift sowie die Kosten des Unterhalts. Weitere Beispiele in dieser Kategorie sind u. a. Iul. Pal. 240.1, 253.0 oder 476.2. 61 Iul. Pal. 28.4, 165.2, 182, 198, 199.1, 329, 367.2+3, 387, 389.2+3, 392, 425. 62 Gai. 3,90: „Re contrahitur obligatio velut mutui datione. mutui autem datio proprie in his [fere] rebus contingit quae pondere numero mensura constant, qualis est pecunia numerata vinum oleum frumentum aes argentum aurum“.

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telbar, dass im Bezug auf das „ob“, wenn nicht gar auf das „wie“ der Anpassung von reiner Anschauung gesprochen werden könnte. Etwas komplizierter präsentiert sich die zweite Gruppe von Abschnitt E, bei der einfache Gleichungen oder sogar ein Gleichungssystem auftreten. Auch wenn immer noch von einer durchaus anschaulichen Darstellung gesprochen werden kann, erfolgt dort die Lösung doch klar durch rationales Überlegen.

D. Proportionalität: pro parte hereditaria 1. Iul. Pal. 117 (D. 40,7,12 – Iul. 8 dig.) Si quis testamento libertatem acceperit sub condicione, si rationem dederit, debet pro hereditaria parte heredibus reliqua solvere, etiamsi nomina quorundam heredum sint in condicione posita.

Wenn jemand in einem Testamente die Freiheit unter der Bedingung, wenn er Rechnung abgelegt habe, erhalten hat, so muss er den Erben nach Verhältnis des Erbteils eines jeden die Rückstände zahlen, auch wenn die Namen [nur] einiger Erben in die Bedingung gesetzt sein sollten.

a) Zur quaestio Das Fragment stammt aus dem Titel „familiae erciscundae“ des 8. Buches von Julians Digesten. Aus formaler Sicht muss der Erblasser die bedingte Freilassung im Testament zusammen mit seinen anderen Verfügungen nach der Einsetzung der Erben einfügen, mit welcher die Abfassung des Texts zu beginnen hat63. Fraglich ist zunächst, welche Bedeutung dem Inhalt der Bedingung zukommt. Anders als in archaischer Zeit fallen in späterer Zeit nicht nur körperliche Sachen, sondern auch Forderungen des Erblassers in den Nachlass64. Die Vorlage von Rechnungen durch den Sklaven dient offensichtlich der Prüfung dieses Anspruchs des Nachlasses. Das Kernproblem des Fragments aber liegt im Vollzug des Anspruchs und in der Frage, ob der bedingt freigelassene Sklave allfällige Rückstände nur an die Erben ausbezahlen muss, die namentlich in der Formulierung der Bedingung genannt sind65, oder ob die Zahlung an alle zu Beginn des Testaments genannten Er-

63

Voci, Bd. II, S. 63. Zu den historischen Hintergründen siehe Korosec, S. 29 ff. und S. 124 ff., der die Vererblichkeit von Forderungen (und Schulden) u. a. mit der Entwicklung Roms vom kleinräumigen Agrarstaat zur „international“ aktiven Handelsmacht erklärt, eine Entwicklung welche das Bedürfnis auch für länger dauernde Verträge entstehen ließ, welche auch den Tod einer Partei überdauern konnten. Die Reform erfolgte auf amtsrechtlichem Weg. 65 Die Möglichkeit, dass bei der Bedingung nicht nochmals alle der eingesetzten Erben namentlich aufgeführt sind, behandelt Julian nur hypothetisch (etiamsi). 64

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

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ben erfolgen muss. Julian entscheidet, dass letzteres der Fall sei. Die Rückstände waren noch dem Erblasser geschuldet und werden nach dessen Tod zu einer Forderung der Erbengemeinschaft66. Da offenbar nichts Weiteres verfügt ist, werden sämtliche beteiligten Erben bei der Verteilung der Rückstände proportional nach ihren Erbanteilen berücksichtigt67. b) Beitrag der Mathematik Pro hereditaria parte bedeutet, dass die Summe der Rückstände R nach den Anteilen x1,..,xn der einzelnen Erben an der Erbschaft E aufgeteilt und ausbezahlt wird. Die Lösung ergibt sich unmittelbar:

Dieses Resultat in einer mathematischen Formel darzustellen, macht mehr Mühe, als es dem Problem eigentlich angemessen wäre. Damit soll auch nur das rechnerische Prinzip der Proportionalität dargestellt werden. Dieses Prinzip war allgemein schon lange bekannt, wie Catos Anleitung zur Aufbereitung von Meerwasser belegt68. Dass auch die römischen Juristen damit umgehen konnten, zeigt die Behandlung der Anwachsung im Erbrecht: D. 28,5,67  – Pomponius libro 1 ad Q. Mucium: Si ita quis heredes instituerit: „Titius heres esto: Gaius et Maevius aequis ex partibus heredes sunto“, quamvis et syllaba coniunctionem faciat, si quis tamen ex his decedat, non alteri soli pars adcrescit, sed et omnibus coheredibus pro hereditariis portionibus, quia non tam coniunxisse quam celerius dixisse videatur69.

Rechnerisch müsste dieses Prinzip auf den vorliegenden Fall angewandt werden, wenn die Verteilung auf die in der Bedingung selbst namentlich genannten Erben beschränkt werden sollte. Der jeweilige Anteil berechnete sich als

66 Bei der Erbengemeinschaft handelte es sich seit der jüngeren Republik um eine reine, als „Bruchteilsgemeinschaft“ ausgestaltete Vermögensgemeinschaft. Jeder Erbe erhält einen Anspruch auf eine Quote, die in der Erbteilung aufzufüllen ist (Kaser (1971), S. 727). 67 Zur Erbenhaftung siehe Wesener (1991), S. 114 ff. 68 Cato, Agr.115: „Si quid plus voles aquae marinae concinnare, pro portione ea omnia facitio“. 69 Vgl. Ulp. D. 28,5,13,4 sowie vereinfacht in C. 6,37,23. Zur Stelle Zimmermann, S. 242 f. sowie Lohsse, S. 55.

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Kap. 2: Elementare Mathematik

für k = 1,..,m mit m < n. Der Anwender muss mit Brüchen rechnen können, was bei Julian nicht explizit durchgeführt wird. Das Fragment dreht sich denn auch mehr um die Frage der Auslegung der testamentarischen Verfügung als um das dahinter stehende mathematische Problem. So lässt sich aus ihm noch wenig für die mathematischen Kenntnisse Julians ableiten. 2. Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86 – Iul. 40 dig.)

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[1] Titia testamento suo Titium fratrem suum ex parte tertia heredem instituit fideique eius commisit, ut hereditatem retenta quarta parte Secundae et Proculae restituat: eadem fratri quaedam praedia praelegavit:

Titia setzte in ihrem Testamente ihren Bruder Titius als Erben zu einem Drittel ein und überließ es seiner Treue, die Erbschaft, mit Zurückbehaltung des Viertels, der Secunda und Procula herauszugeben; zugleich vermachte sie dem gleichen Bruder [=Titius] einige Grundstücke zum Voraus.

[2] quaero, an Titius ea quae praelegata sunt etiam pro ea parte hereditatis, quam rogatus est ut restitueret70, restituere an integra retinere debeat.

Ich frage, ob Titius dasjenige, was ihm zum Voraus vermacht worden ist, auch zu dem Teile der Erbschaft, den er herauszugeben gebeten worden ist, [herausgeben müsse,] oder unverkürzt zurückbehalten dürfe?

[3] Respondi Titium legata integra retinere debere, sed in partem quartam imputari oportere duodecimam partem praediorum.

Ich habe geantwortet: Titius dürfe die [Voraus-] Vermächtnisse unverkürzt behalten, müsse aber auf das Viertel den zwölften Teil der Grundstücke anrechnen.

[4] Sed si non esset adiectum, ut pars quarta deduceretur, totum trientem praediorum legi Falcidiae imputari oportere, quoniam contra sententiam matris familiae lex Falcidia induceretur.

Ist aber nicht präzisiert worden, dass das Viertel abgezogen werden solle, so muss er den ganzen dritten Teil der Grundstücke nach dem Falzidischen Gesetz anrechnen, weil sonst das Falzidische Gesetz wider den Willen der Hausmutter herangezogen werden würde.

a) Zu casus und quaestio Das Fragment stammt aus dem Titel „de fideicommissis“ (2. Teil) des 40. Buches von Julians Digesten mit dem Untertitel „ad SC Trebellianum et Pegasianum“. Ihr Aufbau verdeutlicht sehr schön das vollständige, dreiteilige Schema der klassischen responsa71. Abschnitt [1] enthält die Beschreibung des zu behandeln-



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Der lateinische Text folgt Mommsen, Bd. II, S. 218. Wie von Schmidlin, S. 150 ff. beschrieben.

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

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den Sachverhalts. Als Erblasserin (mater familiae72) tritt eine Titia auf, die ihren Bruder Titius zu einem Drittel ihres Vermögens als Erben einsetzt73. Zu den restlichen Miterben äußert sich Julian nicht. Die Erblasserin legt dem Bruder fideikommissarisch74 auf, seinen Erbanteil an zwei Frauen mit Namen Secunda und Procula herauszugeben, deren Verhältnis zu den anderen Beteiligten nichts weiter erläutert wird. Eine besondere Klausel im Testament der Titia erlaubt es dem Bruder zudem, ein Viertel seines Erbanteils zurückzubehalten: retenta quarta parte. Zusätzlich vermacht Titia ihrem Bruder einige Grundstücke zum Voraus. Als quaestio wird in Abschnitt [2] gefragt, ob der Bruder diese Grundstücke unverkürzt, d. h. zu ihrem vollen Wert behalten darf, obwohl er als Miterbe durch dieses Vermächtnis teilweise selbst belastet wird. Julian stellt in Abschnitt [3] zunächst eindeutig klar, dass der Bruder die Grundstücke unverkürzt, also zu ihrem vollständigen Wert behalten darf. Er müsse sich aber 1⁄12 ihres Werts auf das Viertel anrechnen lassen: in partem quartam imputari oportere duodecimam partem. Diese Lösung stellt Julian in Abschnitt [4] einer Fallvariante gegenüber, in der die Erblasserin keine Klausel mit explizitem Hinweis auf den Einbehalt eines Viertels ins Testament eingefügt hätte. Dann hätte der Bruder das ganze Drittel des Werts der Grundstücke an die falzidische Quart anzurechnen: totum trientem praediorum legi Falcidiae imputari oportere. Mit seiner Begründung im letzten Satz gibt Julian selbst einen wichtigen Hinweis für das Verständnis der Stelle, in der es um das Zusammenspiel zwischen dem Willen der Erblasserin und der gesetzlichen Regelung der lex Falcidia gehen könnte. Die 40 v. Chr. ergangene lex besagt, dass dem mit Vermächtnissen belasteten Erben zumindest ein Viertel des ihm aus Erbrecht zufallenden Anteils am Nachlass erhalten bleiben muss, ansonsten die Vermächtnisse proportional verkürzt werden75. Die Regelung passt allerdings nicht unmittelbar auf den Fall von Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86), wo die Erblasserin ihrem Erben aufträgt, seinen Anteil an fremde Nachfolger herauszugeben76. Einschlägig ist vielmehr das SC Pegasia-

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Nach Kaser (1971), S. 59 (Fn. 11) bezeichnete mater familiae ursprünglich die Ehefrau, wenn Kinder in der Familie waren und seit dem 1./2. Jh. n. Chr. die gewaltfreie Ehefrau. Letzteres trifft offensichtlich auf den hier besprochenen Fall einer testierfähigen Frau zu. Zur Thematik siehe Wolodkiewicz, S. 103 ff. 73 Die Namensgebung illustriert sehr deutlich, dass die Namen in den Fällen reine Blankette sind, was noch nicht zu bedeuten hat, dass der vorliegende Fall hypothetisch ist. 74 Im Text durch eine Andeutung der üblichen Formulierung fidei tuae committo, vgl. Gai. 2,249: „Verba autem [utilia] fideicommissorum haec [recte] maxime in usu esse videntur peto, rogo, volo, fidei committo; quae proinde firma singula sunt, atque si omnia in unum congesta sint“. 75 Wiedergegeben z. Bsp. bei Gai. 2,227: „Lata est itaque lex Falcidia, qua cautum est, ne plus ei legare liceat quam dodrantem: itaque necesse est, ut heres quartam partem hereditatis habeat: et hoc nunc iure utimur“. Aus Sicht dieses Kapitels ist die Verwendung des Komple­ mentärbruchs (dodrans = 3⁄4) im 1. Teil des Satzes herauszustreichen. Vgl. Kaser (1971), S. 756. 76 Zur Funktion des Erbschaftsfideikommiss mit Herausgabe der Erbschaft als Ersatz für die im römischen Recht fehlende Nacherbeneinsetzung siehe Kaser (1971), S. 761.

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num aus der Zeit Vespasians, welches die Regel der lex Falcidia auf Fideikommisse erweiterte77. Dieses SC wollte verhindern, dass ein Erbe seine Erbschaft zum vornherein ausschlug, wenn ihm wie hier die Herausgabe seines Anteils aufgetragen war, und gewährte ihm deshalb das Recht einen Viertel seines Anteils zurückzubehalten. Die dabei entstehenden komplizierten Probleme mit der Haftung für die Schulden der Erbschaft regelte das SC Trebellianum aus der Zeit um 56 n. Chr.78. Fragen der Haftung spielen hier keine Rolle – die Haftung entwickelte sich jedoch parallel zu den Ansprüchen der Beteiligten. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Grundlagen macht es jedenfalls Sinn, in Bezug auf Abschnitt [4] nicht von der falzidischen, sondern von der pegasianischen Quart zu sprechen79. Für das Verständnis der Stelle ist weiter ein besonderer Typ von Vermächtnis zu betrachten. Das Vorausvermächtnis (praelegatum80) ist neben dem legatum per praeceptionem81 eine von zwei Möglichkeiten, über die ein Erblasser verfügt, einem seiner Erben ein Vermächtnis zukommen zu lassen. Das Vorwegvermächtnis ist insofern einfacher zu behandeln, als es als „Voraus“ aus dem noch ungeteilten Nachlass abzutrennen war und damit ein Sondergut vor der Teilung bildete82. Entsprechend stellt sich bei diesem Typus die Frage der Anrechnung auf die „Quart“ nicht in gleichem Maße, wie bei dem hier zu besprechenden Vorausvermächtnis. Im Grenzfall, dass nur ein Erbe vorhanden ist, scheint ein Vorausvermächtnis wegen der Belastung des eigenen Erbanteils ökonomisch wenig Sinn zu machen, sodass es möglicherweise im Ergebnis als unwirksam galt83. Differenzierter ist die Situation bei mehreren Miterben zu betrachten. Grundsätzlich gilt dort die Regel, dass das Vorausvermächtnis an einen Erben unwirksam ist, soweit nicht ein anderer (Mit-) Erbe durch dieses belastet wird: heredi a semet ipso legari non potest84. Wählt der Erblasser für das Vorausvermächtnis die Form des lpd, entsteht bei dem begünstigten Erben selbst keine Obligation, während seine Miter-

77 Kaser (1971), S. 760, 762; vgl. Manthe (1989), S. 41 f. Gai. 2,256 wendet das SC Pegasianum insbesondere auf den hier vorliegenden Fall der angeordneten Herausgabe der Erbschaft an: „At si quis plus quam dodrantem vel etiam totam hereditatem restituere rogatus sit, locus est Pegasiano senatusconsulto“. 78 Siehe Kaser (1971), S. 762. 79 Wie dies auch Wimmer, S. 152 ff. in seiner Besprechung von Iul. Pal. 563 durchgehend verfolgt. In diesem Sinne auch Mannino, S. 66 f. 80 Als Substantiv erscheint der Begriff in den römischen Quellen nicht, dazu Grosso (1962), S. 226 und recht ausführlich Wimmer, S. 31 f. Julian verwendet nur die Formen als Verb und Adjektiv. 81 Siehe Gai. 2,216. 82 Siehe dazu Wimmer, S. 1 mit weiteren Hinweisen. Zur „visuellen“ Beschreibung bei Gai. 2,217 siehe D’Orta, S. 34 ff. („praecipere enim esse praecipuum sumere“). 83 Nach Wimmer, S. 11 (Fn. 53) ist dies zweifelhaft. Einen eindeutigen Quellenbeleg gebe es nicht. 84 Nach Tit. Ulp. 24,22. Siehe Kaser (1971), S. 748; Mannino, S. 60 (Fn. 129) mit zahlreichen weiteren Hinweisen; Wimmer, S. 8.

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

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ben ihren Quoten entsprechend beschwert werden85. Analoges gilt für das lpv: Aus dem Vermächtnis wird der bedachte Erbe nur Eigentümer im Bezug auf die Quoten seiner belasteten Miterben86. In beiden Fällen erhält der Erbe jedoch zusätzlich zu dem Wertanteil, der diesen Quoten entspricht, jedenfalls den Anteil am Voraus­ vermächtnis, der ihm aus seiner Erbenstellung ohnehin zufällt (heredi  a semet ipso-Anteil87). Insgesamt führt diese differenzierte Behandlung zu einem Erwerb der vermachten Vermögenswerte aus geteiltem Rechtsgrund88. Dies erklärt Julians Antwort in Abschnitt [1], wonach der Bruder die Grundstücke unverkürzt behalten darf: legata integra retinere debere. Diese Feststellung ist ein sicherer Fixpunkt in der Stelle. Fraglich bleibt dabei, wie die prozentualen Anteile der beiden Rechtstitel ex iure hereditatis und ex iure legatis anzusetzen sind. Da der Bruder als Erbe in Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) einen Teil des ihm zufallenden Drittels der Erbschaft an Procula und Secunda herausgeben muss, kann nicht von einer dauerhaften Belastung des eigenen Erbes durch das Vorausvermächtnis gesprochen werden. Markus Wimmer spricht von einer nur „vorübergehenden Selbstbelastung“, die allein nicht ausreiche, dem Prälegatar und Erben das Vermächtnis abzusprechen89, so-

85 Iul. Pal. 888.3 (D. 30,104,3 – libro 1 ad Urseium Ferocem): „Si Attio ita legatum fuerit: ‚Quisquis mihi heres erit, damnas esto Attio heredi decem dare‘, deducta sua parte Attius decem petet“. Vgl. Grosso (1962), S. 227. 86 Grosso (1962), S. 288. Kaser (1971), S. 748 verweist dazu auf Ulp. D. 43,3,1,6: Qui vero ex causa praeceptionis, utique tenetur hoc interdicto, sed pro ea scilicet parte, quam iure legati habet, non etiam pro ea, quam quasi heres habet. Idemque erit dicendum et si alio genere legati uni ex heredibus legatum sit: nam et hic dicendum est pro ea parte, qua heres est, cessare interdictum. Das Vorausvermächtnis fällt unter die alia genera. Die Stelle kann wohl nur indirekt als Beleg gelten. 87 Wimmer, S. 8; Mannino, S. 34 (Fn. 78) und S. 63. 88 Wimmer, S.  19 f. zufolge führt diese Trennung je nach Art der Erbrechtsberufung (delatio) entweder auf einen „lucrativen concursus causarum (cc)“ oder ein Konfusionsproblem. Bei echten Vorausvermächtnissen tritt immer ein cc ein. Eine (zu?) einfache Erklärung zur Konkurrenzsituation zwischen Testament und Vermächtnissen findet sich bei Schmidlin, S. 67 f. Aus dem Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung und die Eingliederung der Vermächtnisse in das formale Testament, von deren Gültigkeit sie in der Folge abhingen, folgert er den grundsätzlichen Vorrang des letzteren. Die Erbeneinsetzung habe auch deshalb den Vorrang, da sie dem Erben die Gesamtrechtsnachfolge verleiht. Diese Grundsätze widerspiegeln sich in Flor. D. 30,116,1. Im Einzelfall kann es dennoch zu schwierigen Abgrenzungsfragen kommen, wie die einleitende Diskussion bei Wimmer, S. 1 ff. zeigt. So bildet bereits das legatum per praeceptionem, zumindest was die Durchführung der Verteilung betrifft, eine Ausnahme von diesen einfachen Grundsätzen. 89 Wimmer, S. 30. Nach der Herausgabe der Erbschaft verbleibe dem Erben nur noch das nudum nomen heredis als leerer Rechtstitel. Genauer zu untersuchen wäre ferner das Verhältnis zwischen den Zeitpunkten des Erwerbs der Erbschaft (aditio hereditatis) und des Vermächtnisses (dies cedens), wenn es sich beim Erben um einen Außenerben handelt. Die Einzelheiten dürfen als umstritten gelten (siehe eingehend Wimmer, S. 46 f. und S. 48 ff.). Anders als in Iul. Pal. 522 geht Julian hier nicht auf dieses Verhältnis ein (siehe unten, S.  209 ff.). Iul. Pal. 553 (D. 30,96,3) behandelt bedingte Vermächtnisse an Dritte, für deren Ausrichtung der Erbe eine bestimmte Summe vorwegnehmen soll. Der Erwerb eines legatum per prae-

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dass es auch auf diesem Teil als wirksam anzusehen ist90, was das Gewicht zugunsten des Rechtstitels ex iure legatis verschiebt. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, zeigen gerade Julians Antworten auf die quaestio, wie der Wert des Vermächtnisses in die (pegasianische) Quart einzurechnen ist. Die Funktionsweise der gesetzlichen Regelung lässt sich anhand Julians Lösung aus Abschnitt [4] demonstrieren. Zur Berechnung der pegasianischen Quart müssen zwei Größen bestimmt werden: der Wert des Nachlasses insgesamt91 sowie der Wert jener Gegenstände und Forderungen, die dem Erben iure hereditate zufallen92. Das SC bestimmt, dass der zweite Wert mindestens ein Viertel des ersten betragen muss. Marcian präzisiert, dass bei einer durch fdc bestellten Herausgabe der Erbschaft, alles an die (pegasianische) Quart angerechnet werden müsse, was der Erbe aus irgendeinem Berufungsgrund erhalte93, dass davon jedoch ausgenommen sei, was er aus einem Vermächtnis von einem Miterben erhalte94. Dies deckt sich mit dem zuvor beschriebenen Verständnis der Wirksamkeit des praelegatum. Nur der Anteil aus erbrechtlichem Titel (heredi a semet ipso – Anteil) ist an die (pegasianische) Quart anzurechnen. Somit muss der Bruder in der Fall­variante aus Abschnitt [2] von Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) einen Drittel des Werts der Grundstücke in die Quart einrechnen, was mit Julians Lösung übereinstimmt95. Im Ausgangsfall jedoch zeichnet sich der Sachverhalt durch die besondere Klausel der Erblasserin aus, wonach der Bruder einen Viertel zurückbehalten dürfe: retenta quarta parte. Hier wäre es missverständlich, ja inkorrekt, von der pegasianischen Quart zu sprechen. Es handelt sich um eine von der Erblasserin selbst angeordnete Quote eines Rückbehalts. Wimmer spricht von einer das Fideikommiss abändernden, erbrechtlichen Quotenverfügung („Idealquote“)96. Diese ceptionem ist Thema von Iul. Pal. 569 (D. 36,1,28,14). Das Recht zur Vorwegnahme entfällt, wenn der Prätor den Erben zur aditio zwingt. Beide hier nur ergänzend genannten Stellen passen nicht auf die besprochene Situation. 90 Biondi, S. 387, Voci, Bd. II, S. 764 (Fn. 51) und Rastätter, S. 97 sprechen von teilweiser Ungültigkeit. 91 Als Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzüglich der Schulden (Inst. 2,22,2–3). 92 Für die Regelung bei der lex Falcidia bestimmt Mar. D. 35,2,91: „In quartam hereditatis, quam per legem Falcidiam heres habere debet, imputantur res, quas iure hereditario capit, non quas iure legati vel fideicommissi vel implendae condicionis causa accipit: nam haec in quartam non imputantur [..]“. Vgl. Voci, Bd. II, S. 763. Marcian wirkte zwischen dem Ende des 1. Jh. und den ersten Jahrzehnten des 2. Jh. 93 Bei Herausgabe der Erbschaft durch fdc bestimmt Mar. D. 35,2,91 (Fortsetzung 1): „Sed in fideicommissaria hereditate restituenda sive legatum vel fideicommissum datum sit heredi sive praecipere vel deducere vel retinere iussus est, in quartam id ei imputatur [..]“. 94 Mar. D. 35,2,91 (Fortsetzung 2): „Pro ea vero parte, quam accepit  a coherede extra quartam id est, quod a coherede accipitur [..]“. Der restliche Text setzt sich mit weiteren Spezialfällen auseinander. Vgl. in diesem Sinne auch Gai. D. 35,2,74. 95 So auch Mannino, S. 67 und Wimmer, S. 154 f. 96 Wimmer, S. 152 ff. und S. 155 f. Grosso (1962), S. 229 sieht in Julians Lösung von Abschnitt [1] eine Annäherung an das legatum per praeceptionem.

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

53

Interpretation führt dazu, dass der erbrechtliche Anteil des Bruders an den Grundstücken nur noch 1⁄4 × 1⁄3 = 1⁄12 beträgt97. Dies entspricht dem Anteil, der nach Julian auf die „Quart“ angerechnet werden muss: in partem quartam imputari opportere duodecimam partem praediorum. Es wäre vorschnell, die „Quart“ in Julians Satz aus Abschnitt [3] mit der pegasianischen Quart gleichzusetzen, wie dies Vincenzo Mannino schreibt98. Nach den allgemeinen Erläuterungen und der Marcian-Stellen wäre zwar auch nur dieser erbrechtliche 1⁄12 auf die pegasianische Quart anzurechnen. Dies erfolgte jedoch nur für den Fall, dass im Rahmen eines Prozesses die pegasianische Quart berechnet werden müsste, um die Vereinbarkeit der gewillkürten mit der gesetzlichen Regelung zu prüfen. Denn gerade darum geht es im Ausgangsfall: dass die Erblasserin selbst die Regelung des SC Pegasianum vorwegnehmen und in ihrem Testament berücksichtigen kann99. Problematisch ist dabei das Zusammenspiel des tatsächlichen Willens der Erblasserin mit der Funktionsweise des Vorausvermächtnisses, namentlich mit der Begründung seiner Wirksamkeit aus geteiltem Rechtsgrund. Mannino vermutet denn auch, dass Julian von seiner Lösung nicht völlig überzeugt gewesen sei100. Aus der besprochenen Stelle sei nicht zu entnehmen, dass Julian nicht allenfalls auch die Vermögenswerte auf die Quote anrechnen wollte, die dem Erben auf individueller Basis, also ex iure legatis, zufielen101. Ob diese Interpretation und die weiteren, eben präsentierten Erläuterungen auch rechnerisch Sinn machen, wird im nächsten Abschnitt genauer zu untersuchen sein. b) Beitrag der Mathematik Julian selbst geht in seinem Text nur auf die anwendbaren Brüche ein, gibt aber keine konkreten Rechenbeispiele, die einen Vergleich zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Varianten erlauben. Zur Illustration belaufe sich der Nachlass N der Titia auf 4.500 und der Wert G der Grundstücke auf 600102. Daneben müssen sich im Nachlass noch weitere Vermögenswerte V über 3.900 befinden. Der Bruder wird a priori als Erbe zu 1⁄3 eingesetzt. Somit ergibt sich für die Situation vor Durchführung der Erbteilung:

97

So auch Mannino, S. 67 f. Mannino, S. 68. 99 Vgl. Wimmer, S. 151 zum Unterschied der Fälle aus Abschnitt [1–3] und [4] und Mannino, S. 77. 100 Mannino, S. 69, 71. 101 Mannino, S. 70 f.: „[..] a mio avviso va piuttosto sottolineato, lo ribadisco, il fatto che dal testo in esame non emerge una posizione di Giuliano decisamente negativa rispetto all’imputabilità nelle quarta (Pegasiana) anche del quid pervenuto all’erede a titolo particolare là dove il testatore avesse espresso un suo intendimento diretto a questo scopo“. 102 Die genauen Zahlen und die Rechnungseinheit spielen keine Rolle. 98

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Kap. 2: Elementare Mathematik

Nachlass

Erbanteil des Bruders

Total Nachlass

4.500

Erbquote

1⁄3

davon Grundstücke

600

Total Anteil

1.500

davon andere Werte

3.900

davon Grundstücke

200

davon andere Werte

1.300

Peg. Quart

1⁄4

Geschützter Anteil

375

Als erstes wird der Fall betrachtet, dass die Erblasserin keine besondere Klausel in ihr Testament aufgenommen hat. Das SC Pegasianum gestattet dem Erben, von der herauszugebenden Erbschaft 1⁄4 einzubehalten. Dies entspricht 375 = 1⁄4 × 1.500. Julian entschied, dass der Bruder die vermachten Grundstücke unverkürzt, also in vollem Wert von 600, behalten darf. Nach den allgemeinen Regeln ist davon nur der erbrechtlich begründete Anteil von 1⁄3, also ein Wert von 200 = 1⁄3 × 600, an die pegasianische Quart anzurechnen. Der Anteil, den der Bruder an Secunda und Procula herausgeben muss, berechnet sich demnach als 1.125 = 1.500 – 375 = 1.300 – (375 – 200). Die zweite Gleichung legt die Finanzierung der Herausgabe offen: Von den übrigen Vermögenswerten darf der Bruder die Differenz zwischen dem Wertanteil von 1⁄3 an den Grundstücken und der vollen pegasianischen Quart am Nachlass einbehalten. Er erhält also mehr als nur trientem praediorum, nämlich insgesamt 775. Umgekehrt erhalten seine Miterben weniger als 2⁄3 des Nachlasses. Sie werden zu 2⁄3 durch das Vorausvermächtnis an den Bruder belastet und bekommen nur noch 2⁄3 × 4.500 – 2⁄3 × 600 = 2.600. Diese Rechnung zeigt zweierlei auf. Erstens erhält der Bruder durch das Voraus­ vermächtnis mehr als das durch die pegasianische Quart garantierte Minimum. Erst wenn die Grundstücke wertlos sind, errechnet sich für den Bruder einen endgültigen Anteil von 375 mit weiterhin 1.125 für die beiden Frauen und unverkürzten 3.000 für die Miterben. Ob dies von der Erblasserin so beabsichtigt war, muss noch diskutiert werden. Zweitens und umgekehrt darf der Wert der Grundstücke im Verhältnis zum gesamten Nachlass nicht zu groß sein. Die vollständige (abstrakte)  Formel für den zusätzlichen Rückbehalt des Bruders mit Erbquote 1/n lautet

Dieser Wert bleibt solange positiv, als dass G ≤ 1⁄4 N bleibt. Ein negativer Rückbehalt zöge zusätzlichen Ausgleichszahlungen im Rahmen der Erbteilung nach sich. Da Julian weder „formelhaft“ noch mit einem vollständig durchgerechneten

55

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

konkreten Beispiel argumentiert, treten bei ihm beide Aspekte nicht zu Tage103. Die gleiche Rechnung lässt sich für den Ausgangsfall durchführen. Nachlass

Erbanteil des Bruders

Total Nachlass

4.500

Erbquote

1⁄3

davon Grundstücke

600

Total Anteil

1.500

davon andere Werte

3.900

davon Grundstücke

200

davon andere Werte

1.300

„test. Quart“

1⁄4

Reduzierter Anteil

375

davon Grundstücke

50

davon andere Werte

325

Hier kommt  a priori die gesetzliche Regelung des SC Pegasianum nicht zur Anwendung. Die Klausel der Erblasserin reduziert den Anteil des Bruders vom ursprünglichen 1⁄3 auf einen Viertel, den er zurückbehalten dürfe. Durch diese testamentarische Verfügung beläuft sich dessen ex iure hereditatis – Anteil am Vermächtnis auf 1⁄3 × 1⁄4 = 1⁄12, was im Beispiel einem Wert von 50 entspricht. Nur dieser Wert wird ihm auf die „Quart“ – diesmal nicht die pegasianische, sondern die testamentarische, die gewillkürte Quart der Erblasserin – angerechnet. Sein zusätzlicher Rückbehalt an den übrigen Vermögenswerten von 1.300 berechnet sich demnach neu zu 325. Am Ende der Erbteilung erhalten der Bruder insgesamt 925 = 600 + 325, die Miterben aber nur noch 2.450 = 2⁄3 × 4.500 – 11⁄12 × 600. Die zusätzliche Belastung der Miterben von 150 errechnet sich aus der von 1⁄3 auf 1⁄12 verminderten erbrechtlichen Quote des Bruders am Vermächtnis. Diese Differenz kommt dafür den beiden Frauen zugute, die wiederum 1.125 = 1.300 – 325 + 150 erhalten. Dadurch, dass in diesem Fall die Grundstücke nur zu 1⁄12 an die „Quart“ angerechnet werden müssen, erhält der Bruder sogar noch mehr als im Ausgangsfall, jedenfalls solange die Grundstücke einen streng positiven Wert haben. Es besteht also weder ein Grund für den Erben, die Erbschaft auszuschlagen, noch kann das Testament dafür kritisiert werden, die gesetzliche Regelung des SC Pegasianum zu unterlaufen. Somit hat der Erbe auch keinen Grund, sich gegen das Testament auf das SC zu berufen104. Dass der Erbe in der Fallvariante schlechter gestellt 103 In Brüchen des Nachlasses N ausgedrückt, beträgt die Herausgabe 1⁄3  – 1⁄12 = 1⁄4, wie Wimmer, S. 153 richtig schreibt. Dabei darf dieser „1⁄12“ nicht mit dem „1⁄12 praediorum“ verwechselt werden. Denn es gilt 1⁄12 × N > 1⁄12 × G (wobei V sinnvollerweise > 0 ist). Der Erbe behält mehr ein als nur 1⁄12 praediorum. 104 Wie für den Fall der lex Falcidia in Marcell. D. 35,2,75 angedeutet: „Sed si ideo legatum ei datum est, ut integra legata vel fideicommissa praestet, deneganda erit actio legati, si lege Falcidia uti mallet“. Vgl. hierzu ausführlich Mannino, S. 71 ff. und Rastätter, S. 89 f.

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Kap. 2: Elementare Mathematik

wird, erklärt Wimmer so, dass das SC Pegasianum gegen den Willen der Erblasserin angewendet werde, die ja dort die vollständige Herausgabe der Erbschaft angeordnet hat105. Wie wahrscheinlich es ist, dass die Erblasserin die Wirkungen des Vorausvermächtnisses korrekt antizipiert hat, bleibt dabei fraglich. Jürgen Rastätter vermutete, dass die Erblasserin nicht wollte, dass dem Bruder über die Grundstücke hinaus noch etwas zukomme106. Das wird bei Julians Lösung offensichtlich nicht erreicht. Dazu müsste der Wert der Grundstücke zu einer Quote m angerechnet werden, die grösser als 1⁄3 ist. Aus der Zielgleichung

folgt durch Auflösen, dass gelten müsste. Im besprochenen, illustrativen Beispiel führte dies auf m = 5⁄8. Diese letzte Rechnung wirft ein klärendes Licht auf Manninos Vermutung, Julian sei nicht abgeneigt gewesen, auch Vermögenswerte ex iure legatis an die Quart anzurechnen107. Für eine solche Anrechnung ist aber keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Julian erkannte zwar die prinzipielle Möglichkeit eines Erblassers an, mit selbst angeordneten testamentarischen Verfügungen im Rahmen des Zulässigen eine Regelung der Quart nachzubilden. Dabei berücksichtigte er jedoch weiterhin die spezifischen Regeln der erbrechtlichen Institute. Zu den von Rastätter bei Julian angemahnten „Ausreißern“ kann Julians Lösung somit nicht geschlagen werden108. Julian begnügte sich in Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) nicht mehr wie zuvor in Iul. Pal. 117 (D. 40,7,12) mit der Nennung des Prinzips einer proportionalen Anrechnung, sondern führt die Bruchrechnungen explizit aus. Bei den in seiner Rechnung auftretenden Brüchen handelt es sich um natürliche Brüche, die jedoch miteinander multipliziert oder voneinander subtrahiert werden müssen. Für heutige Begriffe scheint dies nicht der Rede wert, für die Römer mag sich diese Aufgabe etwas mühsamer präsentiert haben109. Die verlangten rechnerischen Fertigkeiten mögen nicht die größte Hürde darstellen. Ohne vertiefte Einsicht in die Funktionsweise des praelegatum lässt sich jedoch Julians Beispiel weder nachvollziehen noch auf andere Fälle mit geänderter Ausgangslage anwenden. Als praktische Handlungsanweisung taugt das Beispiel nicht ohne weiteres. Hierzu würde die allgemeingültige Formel für den dem 105

Wimmer, S. 156. Rastätter, S. 89. Ähnlich Manninos Idee, die pegasianische Quart im gewillkürten Fall durch das Prälegat zu ersetzen (siehe dort S. 77). 107 Siehe vorne, Kap. 2 D. 1. b). 108 Vgl. Rastätter, S. 166. Er sieht in Marcell. D. 35,2,75 eine konservative Korrektur von Julians Entscheidung (S. 90). Backhaus (1984), S. 382 hält diese Einschätzung allgemein für nicht gerechtfertigt. 109 Vgl. etwa die ironische Beschreibung einer Rechenstunde bei Hor. Ars. 323–332. 106

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

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Erben zugestandenen Rückbehalt benötigt, die sich mit den Werten des Nachlasses N und des Grundstücks G sowie der erbrechtlichen Quote 1/n im Ausgangsfall als [1/(4n)] * (N-G) schreiben lässt. Dies unterscheidet seine Darstellung von der des Frontinus, der zwar auch keine explizite Formeln verwendet, aber ausgehend von konkreten Beispielen doch immerhin „formelhaft“ beschreibt, wie sich die Parameter der verschiedenen Wasserleitungen berechnen lassen. Julian und Frontinus lassen sich durchaus vergleichen, wenn „De aquaeductu“ nicht nur als Rechenschaftsbericht, sondern als praktische Handlungsanweisung, was die Digesten auch waren, oder als Informationsschrift für interessierte Kreise verstanden wird110. Julians Beispiel illustriert hingegen nur das Gerüst der Lösung, ohne sich um eine tatsächliche oder nur gedachte vollständige Umsetzung der Lösung zu kümmern, die in einem anderen Fall dem als praktisch erfahren vorausgesetzten Anwender überlassen wäre. Hierzu ist eine Bemerkung bei Mannino von Interesse, wonach in einem allfälligen – vielleicht durch das Verb „oportere“ angedeuteten – Rechtsstreit der arbiter legis Falcidia als „sachverständiger Gutachter“ für die konkreten Berechnungen beigezogen würde111. Vor diesem Hintergrund konnte sich Julian in seinen Digesten allerdings auf die prinzipiellen rechtlichen Aspekte beschränken. Dass die Thematik auch von Juristen mit vertieftem Einblick in die Mechanik dargestellt werden konnte, zeigt ein Vergleich mit der Parallelstelle D. 30,116,1. c) Zum Vergleich mit Florentinus Florentinus befasst sich in seinem Lehrbuch anhand eines Beispiels, dessen Sachverhalt einige Gemeinsamkeiten mit dem von Julian in Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) besprochenen Fall aufweist, eingehend und in didaktisch aufbereiteter Weise mit der Funktionsweise eines Vorausvermächtnisses112: D. 30,116,1 – Florentinus libro 11 institutionum Heredi a semet ipso legatum dari non potest, a coherede potest. Itaque si fundus legatus sit ei qui ex parte dimidia heres institutus est et duobus extraneis, ad heredem cui legatus est sexta pars fundi pertinet, quia a se vindicare non potest, a coherede vero semissario duobus extraneis concurrentibus non amplius tertia parte: extranei autem et ab ipso herede 110

Dem Erben kann nicht zulasten seiner selbst, wohl aber zulasten eines Miterben ein Vermächtnis erteilt werden. Wenn somit jemandem [also auch ihm], der zur Hälfte als Erbe eingesetzt worden ist, und zwei Außenstehenden ein Grundstück vermacht wird, so gehört dem Erben, dem es vermacht wird, der sechste Teil dieses Grundstücks, weil er von

Zum Adressatenkreis von Frontinus’ Schrift siehe Fögen, S. 289. Mannino, S. 70 (Fn. 159) mit Verweis auf Wacke (1973), S. 222. 112 Römischer Jurist des 3. Jh. n. Chr., der wie Gaius nicht von den Klassikern zitiert wurde und wie dieser mit seinem Institutionenwerk der „Schuljurisprudenz“ zuzurechnen ist. Zu Florentinus und zum Charakter seines Werks als Anfängerlehrbuch siehe Wieacker (2006), S. 119. Schmidlin, S. 68 zitiert den ersten Satz der Stelle als Beispiel für eine regula iuris. 111

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Kap. 2: Elementare Mathematik

cui legatum est semissem et ab alio herede trientem vindicabunt.

sich selbst gar nichts, von seinem Miterben die Hälfte, von den zwei mitbegünstigten Außenstehenden aber nicht mehr als ein Drittel fordern kann; die Außenstehenden hingegen können von dem Erben, dem das Vermächtnis [mit] ausgesetzt ist, die Hälfte und von dem anderen Erben ein Drittel fordern.

Ein Grundstück wird zu gleichen Teilen an drei Personen vermacht. Einer der Begünstigten ist gleichzeitig Erbe des Erblassers zur Hälfte. Wie für den Bruder aus der Stelle bei Julian handelt es sich bei diesem Vermächtnis somit um ein praelegatum113. Florentinus zufolge steht dem Erben daraus nur 1⁄6 = 1⁄3 × 1⁄2 des Werts des Grundstücks zu. Dieser Anteil berechnet sich auf den hälftigen Erbanteil seines Miterben: a coherede vero semissario [vindicare potest]. Sein eigener hälftiger Erbanteil darf vom praelegatum nicht belastet werden: a se vindicare non potest. Unwirksam ist dieser Teil des Vermächtnisses aber nur für ihn selbst. Der restliche 1⁄6 vom Wert des Grundstücks wächst den zwei fremden Begünstigten zu je 1⁄12 an. Wie zuvor stellt sich auch hier die Frage, wie das Grundstück in der Erbteilung zu behandeln ist. Der Sachverhalt lässt sich schematisch wie folgt darstellen: Erbe 2

Erbe1

Grundstück

½



Fremder 1

½



Fremder 2



Erbe1

Das obere Rechteck repräsentiert den Nachlass des Erblassers. Grau schattiert dargestellt ist das im Voraus vermachte Grundstück. Eingezeichnet sind die Verhältnisse iure hereditatis. Erbe Nr. 1 sei der mit dem Vorausvermächtnis bedachte, Erbe Nr. 2 der „schlichte“ Erbe. Das untere Rechteck repräsentiert das Vorausvermächtnis mit den Verhältnissen iure legatis. Die beiden Fremden erhalten aus dem praelegatum a priori jeder für sich je 1⁄3 und zusammen 2⁄3. Wie sich die Verhältnisse a posteriori, d. h. nach der Teilung der Erbschaft zeigen, ergibt sich am einfachsten aus dem Schluss der Stelle, in der sich Florentinus einer aktionenrechtlichen Darstellung bedient. Vom Erben Nr. 1 können die Außenerben 1⁄2 des Werts des Grundstücks herausverlangen: ab ipso herede cui legatum est semissem [..] vindicabunt114. 113

So auch Wimmer, S. 97. Das Verb stellt gleichzeitig klar, dass es sich um ein lpv handelt.

114

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

59

Von seinem Miterben, dem Erben Nr. 2, vindizieren sie 1⁄3: ab alio herede trientem vindicabunt. Zusammen ergibt dies: 1⁄2 + 1⁄3 = 5⁄6 = 2⁄3 + 1⁄6. Im Ergebnis erhalten die Fremden also 1⁄6 mehr als ihnen das Vorausvermächtnis ex lege legatis zu versprechen scheint (im Schema ist der zusätzliche Anteil braun schattiert). Die erste Hälfte des vom Erben Nr. 2, zu vindizierenden 1⁄3, also 1⁄6, ergibt sich leicht und unstrittig als Differenz zwischen dem Anspruch auf 1⁄2 gegen Erben Nr. 1 und dem „Ziel“ von 2⁄3. Der zusätzliche 1⁄6 entspricht der Quote des Vorausvermächtnisses an Erben Nr. 1, welches auf seinem eigenen Erbanteil unwirksam bleibt. Denkbar wäre nun, dass dieser überschüssige 1⁄6 in den Nachlass zurückfällt und anschließend unter den Erben aufgeteilt wird. Zusammen mit dem letzten Satz der Stelle zeigt die Rechnung jedoch unzweifelhaft, dass dieser 1⁄6 zugunsten der beiden Fremden anwächst115. Dafür ließe sich argumentieren, das ganze Grundstück sei nun einmal vermacht116. Aufgrund dieser Rechnung scheint es auf den ersten Blick sinnvoller, wenn im Text des Florentinus die passiven Rollen der beiden Miterben vertauscht würden: ab alio herede semissem vindicabunt und ab herede cui legatum est trientem vindicabunt. Doch muss der Erbe Nr. 1 seinen Anspruch aus dem Vermächtnis genauso wie die beiden Fremden gegen die Erbschaft durchsetzen. In seinem Fall muss er seinen Anspruch an die Herausgabe von 1⁄6 des Grundstücks im Innenverhältnis gegen seinen Miterben stellen117. Mit D. 30,116,1 steht neben dem zuvor besprochenen Ausschnitt aus Frontinus’ technischer Schrift „de aquaeductu urbis romae“ ein zweiter – juristischer – Vergleichstext zur Verfügung. Florentinus gibt einen in seinen Einzelheiten gut nachvollziehbaren Einblick in die Funktionsweise des Vorausvermächtnisses, welcher deutlich macht, wie die teilweise Selbstbelastung des Erben berechnet und ausgeglichen werden muss. Sein Lösungsweg lässt sich aus dem Text selbst rekonstruieren, und die Lösung stellt er explizit in aktionenrechtlicher Form dar. Natürlich ist eine solche ausführliche Problemerörterung für ein einführendes Lehrbuch zu erwarten. Anders verhält es sich mit Julians Digesten, welche eher für eine fortgeschrittene Leserschaft gedacht waren118. Was Florentinus im Detail ausführt, setzt Julian in Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) bereits voraus. Wenn auch in beiden Fällen dem Sachverhalt das gleiche mathematische Problem zugrunde liegt, steht bei Julian die Frage der Auslegung der testamentarischen Verfügung im Vordergrund. Die rechnerische Lösung überlässt er dem Anwender, vielleicht gar der den Juris 115

Vgl. die Differenz von 150 beim Beispiel zu Julian vorne, S. 55. So Otto/Schilling/Sintenis, Bd.  3, S.  279 (Fn.  117). Anders Lübtow, S.  522 f., der die Stelle deswegen für verfälscht hält. Voci, Bd. II, S. 717 (Fn. 76) erachtet sie hingegen für echt; vgl. Wimmer, S. 98 mit weiteren Hinweisen. 117 Vgl. die in diesem Punkt sehr gedrängte Darstellung bei Wimmer, S. 98, der jedoch nicht wie hier vorgeschlagen vom letzten Satz des Florentinus-Textes aus argumentiert. Wimmer selbst weist auf Besprechungen in der Literatur hin, deren Rechnungen meist nicht aufzeigten, welcher Theorie des Vorausvermächtnisses sie folgen. 118 Zur „Polarisierung“ der Rechtsliteratur der Hochklassik in elementare Schulliteratur und Fachschriften für Fortgeschrittene siehe Wieacker (2006), S.  91. Zu Florentinus als Schul­ juristen in der Tradtion eines Gaius siehe dort, S. 119. 116

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Kap. 2: Elementare Mathematik

ten unterstützenden Hilfskraft. In Bezug auf das mathematische Problem als Faktenfrage erreichen aber weder Julian noch Florentinus das Abstraktionsniveau des Frontinus mit seiner „formelhaften“ Präsentation. 3. Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2 – Iul. 23 dig.)

119 120 121 122

[1] Iulianus. Quotiens contra tabulas bonorum possessio datur, emancipati bona sua conferre debent his solis, qui in potestate patris fuerint. Hoc quemadmodum expediri oporteat, quaeri solet:

[2] nam si bona  a patre relicta et emancipatorum in medium conferantur et ita viriles partes119 sumantur, eveniet, ut et emancipatis quoque collatio ab ipsis facta prosit.

[3] Videamus ergo, ne commodissimum120 sit emancipatos quartam partem ex bonis paternis ferre, ex suis tertiam: quod dico, exemplo manifestius fiet. [4] Ponamus patrem quadringenta reliquisse et duos in potestate filios, duos emancipatos, ex quibus alterum centum, alterum sexaginta in bonis habere: is qui centum habebit centum triginta tria et trientem feret, is vero qui sexaginta contulerit centum viginti, atque ita eveniet, ut collationis emolumentum ad solos, qui in potestate remanserint, perveniat.

[1] Julianus: Sooft der Nachlassbesitz wider das Testament erteilt wird, müssen die aus der Gewalt Entlassenen ihr Vermögen nur für jene einwerfen, welche sich [noch] in väterlicher Gewalt befunden haben121. Diesbezüglich wird gerne gefragt, auf welche Weise hier vorzugehen sei. [2] Wenn nämlich der väterliche Nachlass und das Vermögen der aus der Gewalt Entlassenen zusammengeworfen werden und dieses nach Köpfen verteilt wird, ergibt sich, dass auch die aus der Gewalt Entlassenen selbst von ihrem Einwerfen profitieren. [3] Sollte es daher nicht am angemessensten sein, dass die aus der Gewalt Entlassenen ein Viertel vom väterlichen Vermögen, und von ihrem eigenen einen Drittel erhalten? Was ich sage, wird durch ein Beispiel klarer. [4] Gehen wir von einem Vater, der 400.000 hinterlassen hat, zwei in der väterlichen Gewalt verbliebenen und zwei daraus entlassenen Söhnen aus. Von diesen [den Emanzipierten] habe der eine 100.000, der andere 60.000 an Vermögen. Der, welcher 100.000 haben wird122, wird 133.333 erhalten, der aber, der 60.000 eingeworfen haben wird deren 120.000 [erhalten]. So wird sich ergeben, dass der Vorteil des Einwerfens allein denen, die in der Gewalt verblieben waren, zufällt.

119 Vgl. Iul. Pal. 414 (D. 38,2,23,2): „Si autem ex duobus patronis alter unum filium, alter duos reliquisset, dixi viriles inter eos partes fieri“. 120 Zur Wortwahl siehe Scarano Ussani, S. 114. 121 Scott übersetzt mit: „Whenever praetorian possession is given contrary to the provisions of the will, the emancipated sons should make collation of their property only with those who remain under the control of their father“. Bei Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 857. findet sich die in sich widersprüchliche Übertragung „Sobald der Nachlassbesitz wider den Testamentsinhalt erteilt wird, müssen die aus der Gewalt Entlassenen allein ihr Vermögen einwerfen, welche sich in des Vaters Gewalt befunden haben“. Mehr Sinn macht es, „his solis“ als Dativobjekt des Satzes zu lesen. 122 „Haben wird“ zum Zeitpunkt des Einwerfens, also einen Schritt vor dem endgültigen­ Ergebnis.

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

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a) Zu casus und quaestio Die Stelle findet sich unter dem Titel „de collatione bonorum“ des 23. Buches von Julians Digesten. Sie weicht etwas vom traditionellen Schema eines responsum ab. Zu Beginn beschreibt Abschnitt [1] nicht etwa den Sachverhalt, sondern formuliert als eine Art Regel, wie bei der collatio bonorum im Normalfall zu verfahren sei123. Eine rhetorische Frage leitet zur quaestio über, deren Kern in Abschnitt [2] dargelegt wird. Anstelle einer Meinung folgt in Abschnitt [3] erst ein Vorschlag mit den genauen Angaben zu einer möglichen Lösung. Zur Verdeut­ lichung des Vorschlags reicht Julian in Abschnitt [4] ein konkretes Beispiel nach. Der Ausdruck in medium (oder in commune) conferre bezeichnete sowohl im klassischen als auch im nachklassischen Recht normalerweise das Einwerfen von Gütern in eine Vermögensmasse124. Guarino sieht in der Julian-Stelle einen Beleg dafür, dass der Begriff in klassischer Zeit noch keine gefestigte Bedeutung hatte, zeigt sie doch, dass es sich beim Einwerfen von Emanzipierten gerade nicht um ein vorbehaltloses Vergrößern der Erbmasse ging125. Für die vorliegende Untersuchung besonders interessant sind seine detaillierten Anmerkungen zu der von ihm vertretenen Genese des Textes, den er prinzipiell für klassisch hält. Demnach habe ein nachklassischer Kommentator kurz vor dem Ende des 4. Jh. drei große Randnoten hinzugefügt: in [1] hoc [..] solet, in [3] videamus [..] tertiam und in [4] atque [..] perveniat126. Augenscheinlich sei es die Absicht des Kommentators gewesen, den theoretischen Fall zu generalisieren und ihn zu einer allgemeinen Regel zu entwickeln, was durch die generalisierenden Ausdrücke quotiens und bonorum possessio datur unterstrichen werde, welche den allmählichen Übergang vom klassischen Erbschaftsdualismus zur nachklassischen wesentlichen Einheit widerspiegeln. Die Randnote „hoc [..] solet“ leite zum eigentliche Fall über, nachdem im ersten Satz „der Anschein einer Regel entdeckt“ worden sei. Die Note „videamus [..] tertiam“ gebe dem konkreten besprochenen Fall eine „generelle Prägung“ und kündigt das Ergebnis des folgenden Beispiels in kompakter Form an. In der abschließenden Wendung „atque ita [..] perveniat“ könne eine Art Rechtfertigung für die „Trennung und Verallgemeinerung des ersten Satzes“ gesehen werden. Diese Überlegungen decken sich mit der Annahme einer erst in Ansätzen erkennbaren Tendenz zur Verallgemeinerung und zur Abstraktion. Inhaltlich konzentriert sich die Stelle auf die Behandlung der juristischen Frage, wie das Prinzip der collatio auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist. Über die Motive der Beteiligten schweigt sie sich aus. Gardner weist darauf hin, dass in den wenigen überlieferten Quellen zur collatio, bei denen überhaupt ein Motiv genannt ­ ater, sondern wird, die Initiative nicht vom zu Emanzipierenden oder von dessen V 123

Nach dem gleichen Muster wie bei D. 30,116,1. Guarino (1939), S. 510 f. Gleiches gilt bei der collatio dotis. 125 Guarino (1939), S. 514, 517 f. sowie Guarino (1938), S. 521 ff. 126 Zum Ganzen Guarino (1939), S. 514 ff. 124

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Kap. 2: Elementare Mathematik

von einem Dritten ausgehe. Dabei offeriert der Dritte dem paterfamilias einen Anreiz zur Emanzipation, indem er verspricht, entweder diesen selbst oder seinen Sohn in seinem Testament zu begünstigen. Häufig handelt es sich bei dem Dritten um die Mutter des in der Gewalt stehenden Kindes, manchmal um die Großmutter. Häufig stehen verwandschaftliche Animositäten im Hintergrund127. Auf welche Weise und aus welchen Motiven auch immer die Emanzipierten bevorteilt worden sind – die collatio soll diese in der Zeit zwischen ihrer Entlassung aus der väterlichen Gewalt und dem Erbfall erlangten Vorteile gegenüber den in der patria potestas Verbliebenen ausgleichen. Ebenfalls nicht behandelt wird die Frage, in welchen Konstellationen ein Einwerfen für die Emanzipierten überhaupt vorteilhaft sein konnte128. Als Institut des prätorischen Erbrechts greift die collatio bei der bonorum possessio intestati oder contra tabulas ein129. Übergeht der Erblasser in seinem Testament einen Emanzipierten, so kann dieser beim Prätor die bonorum possessio contra tabulas beantragen. In Iul. Pal. 375.2 wurde offenbar einem solchen Antrag stattgegeben: contra tabulas bonorum possessio datur. Fraglich ist in der Folge, wie bei der Aufteilung des Nachlasses zwischen den zwei Gruppen von Nachkommen zu verfahren ist. Julian erkennt und beschreibt das Problem, dass im Falle mehrerer beteiligter Emanzipierter diese vom Einwerfen ihrer Brüder ebenfalls profitieren. Die collatio soll aber nur einen Ausgleich zwischen emanzipierten und nicht emanzipierten Nachkommen vermitteln. Darauf hat die Teilung des Nachlasses Rücksicht zu nehmen. Als Regel gilt: emancipati bona sua conferre debent his solis, qui in potestate patris fuerint130. b) Beitrag der Mathematik Wie Julian auf die Bruchzahlen in seinem Vorschlag aus Abschnitt [3] kommen konnte, erhellt das Nachvollziehen seines Beispiels aus Abschnitt [4]. Die dortige Ausgangslage stellt sich tabellarisch wie folgt dar:

127

Gardner, S. 104 ff. mit Verweis auf D. 28,7,18,1, D. 35,1,77 pr. und D. 35,1,93. Das Einwerfen ist prinzipiell vorteilhaft, solange der dem Emanzipierten zukommende Anteil an der Erbmasse sein eigenes Vermögen übersteigt. Die gleiche Frage ist noch heute von Bedeutung bei der Wahl zwischen der güterrechtlichen oder erbrechtlichen Auflösung einer Zugewinngemeinschaft nach § 1371 BGB. 129 Siehe dazu Kaser (1971), S. 731. 130 Ulpian zitiert Julians Meinung in D. 37,6,1 pr.: „Ibidem Iulianus ait, si bonorum possessione accepta decesserit is qui in potestate est, ad collationem bonorum cogendum emancipatum, ut tantum heredi eius conferat, quantum conferret ipsi, si viveret. Quod si ante acceptam bonorum possessionem decesserit suus, heredem eius praetor ita tueri debebit, inquit, pro ea parte, qua heres scriptus fuit is qui in potestate erat, non tamen ultra virilem: ad collationem autem non admittit eum in hunc casum, quia bonorum possessio admissa non est“. 128

63

D. Proportionalität: pro parte hereditaria

Erblasser

Sohn 1

Sohn 2

Sohn 3

Sohn 4

400.000

0

0

100.000

60.000

Quoten

1⁄4

1⁄4

1 ⁄4

1⁄4

Anteile

100.000

100.000

100.000

100.000

Summe

?

?

?

?

Vermögen

Sohn 3 und Sohn 4 seien dabei die zuvor vom Vater emanzipierten Söhne, die in der Zwischenzeit bis zum Erbfall zu eigenem Vermögen gelangen konnten. Werden diese Vermögen eingeworfen und gleichmäßig nach Köpfen verteilt, ergibt sich, dass alle vier Söhne von der collatio profitieren und in der Summe gleichviel bekommen: Erblasser

Sohn 1

Sohn 2

Sohn 3

Sohn 4

Nachlass

400.000

100.000

100.000

100.000

100.000

Einwerfen 3&4

160.000

40.000

40.000

40.000

40.000

140.000

140.000

140.000

140.000

Summe

Derjenige, der einwirft, soll aber nicht selbst davon profitieren, dass sein emanzipierter Bruder die Erbmasse durch sein Einwerfen vergrößert. Julians Lösung aus Abschnitt [3] versucht dies zu korrigieren: Erblasser

Sohn 1

Sohn 2

Sohn 3

Sohn 4

Nachlass

400.000

100.000

100.000

100.000

100.000

Einwerfen 3

100.000

33.333

33.333

33.333

0

Einwerfen 4

60.000

20.000

20.000

0

20.000

153.333

153.333

133.333

120.000

Summe

Die von jedem der emanzipierten Brüdern einzuwerfenden Summen werden jeweils nur zwischen diesem selbst und seinen beiden in der Gewalt verbliebenen Brüdern geteilt. So bekommt jeder der Beteiligten jeweils einen Drittel. Aus dem Nachlass des Vaters erhalten weiterhin alle ein Viertel. So erklären sich die Bruchzahlen aus Abschnitt [3]. Julian hat die Zahlen für sein Beispiel geschickt gewählt, sodass sich die Erbanteile leicht mit den gängigen natürlichen Brüchen berechnen lassen. Als allgemein anwendbare „Regel“ oder gar Formel taugt Julians zahlenmäßiger Vorschlag jedoch nicht. Die Bruchzahlen hängen offensichtlich von den Verhältnissen des

64

Kap. 2: Elementare Mathematik

Sachverhalts ab. So illustriert sein Beispiel nur die eingangs der Stelle in Worten formulierte Regel: emancipati bona sua conferre debent his solis, qui in potestate patris fuerint. Wie schon in Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) scheint Julian einer durchaus möglichen, ja naheliegenden Abstraktion des mathematischen Sachverhalts131, zu welcher sich Frontinus fähig zeigte, wenig Bedeutung beigemessen zu haben. Wenn bei ihm von Abstraktion gesprochen werden kann, dann nur auf der juristischen Ebene bei der zitierten Regel. Auch dieser Befund stützt die von Guarino vertretenen Argumente zur Redaktion des Textes in nachklassischer Zeit132.

E. Gleichungen: ex eo evenit 1. Iul. Pal. 301 (D. 35,2,85 – Iul. 18 dig.) Si dos socero data est et solus filius heres patri exstitisset, dotem confestim in computatione hereditatis et Falcidiae ratione in aere alieno deducet: aliter enim videbitur indotatam uxorem habere [..].

Wenn dem Schwiegervater die Mitgift ausgehändigt, und der Sohn alleiniger Erbe des Vaters geworden ist, wird er bei der Berechnung der Erbschaft und der Falcidia die Mitgift als Schuld sofort abziehen, sonst nämlich wird er eine Frau ohne Mitgift haben.

a) Zur quaestio Casus und quaestio sind in dieser Stelle sehr gedrängt in einem Satz zusammengefasst. Ein Erblasser hinterlässt seinen Sohn als Alleinerben. Dieser hatte zuvor geheiratet, und die Mitgift für seine Frau war noch seinem Vater ausgehändigt worden. Das Erbe könnte aber mit Vermächtnissen belastet sein. Für diesen Fall hält Julian fest, dass der Sohn die Mitgift bei der Berechnung der für die Anwendung der lex Falcidia bestimmenden Größen vorweg abziehen darf. Hier widerspiegelt sich die Sonderbehandlung der Mitgift im römischen Recht133. In den oberen Gesellschaftsschichten war die Mitgift vor allem ein Zeichen der Stellung und des Reichtums. Das Fehlen der nötigen Mittel konnte einer vorteil-

131 Die Regel ließe sich wie folgt in einer Formel ausdrücken: Bezeichne n1 die Anzahl der in der väterlichen Gewalt verbliebenen (Gruppe 1) und n2 die Anzahl der emanzipierten Söhne (Gruppe 2). Dann erhält jeder Sohn einen Anteil vom Nachlass des Vaters. Zusätzlich erhält jeder Sohn aus der Gruppe 1 aus dem Einwerfen des Vermögens eines einzelnen Sohnes aus Gruppe 2 wie dieser einen Anteil des eingeworfenen Vermögens. 132 Siehe oben, Kap. 2 D. 2. c). 133 Vgl. auch Iul. Pal. 375.4 (D. 37,6,3,4): „Quare sicut is, qui in potestate est, dotem uxoris praecipit, ita emancipatus quoque, quasi praecipiat, retinere debet“. Die Regel gilt anlog auch für emanzipierte Söhne, sodass sie die Mitgift nicht etwa bei der collatio einwerfen müssen. Dieses Vorrecht könnte in der Formel der Teilungsklage als exceptio eingefügt werden.

E. Gleichungen: ex eo evenit

65

haften Heirat entgegenstehen134. Gleichzeitig wurden auch die Gefahren einer zu reichen Mitgift gesehen, welche die Frauen zu Hochmut verleiten und die Männer in eine Art Sklaverei führen mochte135. Nach Albertario diente die Mitgift erst in justinianischer Zeit auch dem praktischen Zweck, die Kosten der Heirat selbst zu decken136. Da die Mitgiften das öffentliche Interesse an Heiraten und Nachkommen beschlugen, wurden sie schließlich rechtlich erfasst137. Stand sie nach frühem Recht im Volleigentum des Mannes, wandelte sie sich seit der jüngeren Republik zu einer Art „Sondervermögen“ des Mannes, dem zugunsten der Frau verschiedene Beschränkungen auferlegt wurden138, bevor die Reformen Justinians schließlich das Vollrecht der Frau einführen sollten139. Der favor dotis beinhaltet die Erkenntnis, dass es besser ist, dafür zu sorgen, dass die Tochter ihre Mitgift behält, damit sie sich allenfalls wieder neu verheiraten kann140. Für Stagl lässt sich die Behandlung der Mitgift nicht mit dem herkömmlichen Begriff des Eigentums vereinbaren141. Auch der Begriff des Solidareigentums passe nicht, da die Rechte und Pflichten nach einem besonderen Schema auf die Beteiligten verteilt sind. Hingegen könne man von einem funktional gespaltenen Solidareigentum sprechen. Auch diese Auffassung spricht für eine besondere Behandlung der Mitgift, wie sie Julian in der vorliegenden Stelle vertritt. Zu den genannten Beschränkungen zählte die Herausgabepflicht der dos im Falle einer Scheidung142 sowie die Haftung des Mannes auf dolus und culpa143. Die zugeordnete Klage folgt dabei den Grundsätzen der außervertraglichen Haftung für die Verletzung fremden Vermögens nach der lex Aquilia144. Vielleicht ist gerade dies der Grund, weshalb Julian hier die Mitgift als Schuld oder wörtlich „fremdes Geld“ (aes alienum) bezeichnet, während er aus rechnerischer Sicht auch einfach hätte debitum schreiben können. b) Beitrag der Mathematik Obwohl diese Stelle ohne jegliche Berechnungen auskommt, soll sie dennoch zu Anfang dieses Abschnitts stehen. Sie verdeutlicht die rechnerische Behandlung von Vermögenswerten, Forderungen und Schulden, welche in der Folge noch verschiedentlich zum Tragen kommen wird. Julian begründet den Vorabzug der Mitgift dadurch, dass der Sohn andernfalls eine Frau ohne Mitgift habe. Tatsäch 134

Fayer, S. 673. So nach Gell. 2,23,10; Sen. contr. 1,6,5 und 1,6,7; hierzu nochmals Fayer, S. 674 f. 136 Albertario, S. 296. 137 Siehe Paul. D. 23,3,2; Fayer, S. 679. 138 Kaser (1971), S. 333. 139 Stagl (2009), S. 237. 140 Paul. D. 42,5,18; Fayer, S. 680. 141 Stagl (2009), S. 292 ff. 142 Kaser (1971), S. 333. Zur actio rei uxoriae der geschiedenen Frau siehe Gai. 4,62. 143 Iav-Lab. D. 24,3,66 pr. 144 Kaser (1971), S. 340. 135

66

Kap. 2: Elementare Mathematik

lich ist es denkbar, dass die Mitgift durch die Ausrichtung allfälliger Vermächtnisse oder Fideikommisse reduziert würde, fiele sie wie alles andere in die Erbschaft. Dann könnte sie ihren beschriebenen doppelten Zweck als „Aktivum“ nicht mehr erfüllen. Wird sie eher als „Passivum“ betrachtet, also der Schuld angenähert, drängt es sich ohnehin auf, sie zusammen mit den Schulden des Erblassers von der Erbschaft zu trennen145. Diese Erklärung evoziert ein einfaches buchhalterisches Konzept, welches heute für selbstverständlich angenommen wird. In der römischen Antike mit ihrer Naturalwirtschaft war die Buchhaltung jedoch erst schwach ausgebildet, obschon wahrscheinlich Ansätze im Rechnungsbuch eines jeden Hausvaters verwirklicht waren146. 2. Iul. Pal. 756.0 (D. 35,2,87 pr. – Iul. 1 dig.) Qui fundum solum in bonis centum relinquebat, si heredem suum damnaverit, ut eum quinquaginta Titio venderet, non est existimandus amplius quam quinquaginta legasse, ideoque lex Falcidia locum non habet.

Wenn jemand, der nur ein Landgut im Wert von 100.000 Sestertien hinterließ, seinem Erben auferlegt hat, dieses für 50.000 Sestertien an Titius zu verkaufen, so ist nicht davon auszugehen, dass er [dem Titius] mehr als 50.000 vermacht habe; somit greift das Falzidische Gesetz nicht ein.

a) Zu casus und quaestio Das Fragment Iul. Pal. 756 findet sich im Titel „ad legem Falcidiam“ des 61. Buches der Digesten Julians. Im pr. ist zunächst einmal fraglich, um welche Art 145

Vgl. Kaser (1971), S. 733. Vgl. Bürge (1982), S. 134 f. und S. 157, Kaser (1971), S. 543 und De Martino, S. 175. Im codex accepti et expensi (oder tabulae)  als „Kassa-“ oder „Hausbuch“ des Hausvaters, der eine Seite für Einnahmen (acceptum) und Ausgaben (expensum) aufwies (und in einem vermuteten Zusammenhang mit dem Litteralkontrakt stand), wurden monatlich die Einträge des Tagebuches übernommen. Er sollte umfassenden Aufschluss über die Geschäfte und Vermögenslage eines Mannes geben, wie Cicero, Clu. 82 bezeugt: „confecit tabulas diligentissime Cluentius. haec autem res habet hoc certe ut nihil possit neque additum neque detractum de re familiari latere“. Es ist jedoch problematisch, diese Anlehnung zu stark zu betonen. Die Quellenlage zur römischen Buchhaltung und ihrer Terminologie muss insgesammt jedoch als ungesichert gelten. Es sind keine erhaltenen Exemplare solcher Hausbücher bekannt (Thilo, S.  2 f.). Eine einfache Gleichsetzung von acceptum und expensum mit „Soll“ und „Haben“ ist, wie Thilo, S. 39 zutreffend schreibt, zumindest anachronistisch, wenn nicht gar irreführend. Verschiedene Quellen können hingegen als Belege dafür dienen, dass die Römer eine praktische Vorstellung von Einnahmen oder Zuflüssen (acceptum), Ausgaben (expensum) sowie von Forderungen und Schulden und ihrer Handhabung hatten. Explizit genannt seien hier Cic. Or. 47,158; Plaut. Asin. 2,2,333 ff.; D. 46,3,89 pr.; D. 17,1,22,8 pr.; D. 34,3,12 für das acceptum, Cic. Verr. 1,23,61 für das expensum und Cic. P. Quinct. 4,17; Cic. Verr. 1,39 für die Verbuchung von Darlehen (siehe dazu im einzelnen Thilo, S. 79 ff.). Mehr soll hier auch nicht behauptet werden. 146

E. Gleichungen: ex eo evenit

67

von testamentarischer Verfügung es sich handelt. Die Wortwahl (damnaverit und weiter unten legasse147) lässt in erster Line an ein lpd denken. Ein Verkauf eines Grundstücks zu einem tieferen als dem tatsächlichen Preis konnte auch als Objekt eines Vermächtnisses gewählt werden: Voci führt die Stelle als Beispiel für die Berechnung des Werts eines Legats an: Eine Sache mit Wert 10 für 5 zu geben, entspricht einem Legat im Wert von 5148. Die an den Bedachten gerichtete Bestimmung „ut eum quinquaginta Titio venderet“ ist nicht etwa eine Bedingung, sondern eine Modalität (modus)149. Zwar hat sie denselben Inhalt wie eine Potestativbedingung oder eine gemischte Bedingung („si eum quinquaginta Titio venderet“), sie hebt aber die Wirksamkeit der Bestimmung nicht auf150. Da das Legat auch wirksam wird, wenn die „Bedingung“ nicht eintritt, muss der Bedachte anders als bei der echten Bedingung etwa durch eine exceptio doli zur Erfüllung angehalten werden151. Julian zitiert die testamentarische Verfügung nicht explizit, sondern zeichnet sie nur in eigenen Worten nach. Insofern kann darüber hinweggesehen werden, dass die Wortwahl nicht den üblichen Formulierungen entspricht152. Julian ist der Ansicht, dass der Erblasser Titius jedenfalls nicht mehr als die Hälfte seines Vermögens vermachen wollte. Insofern ist der letzte Satz zutreffend, dass die lex Falicida nicht greife (locum non habet). Eine kleine Rechnung, die wie in Iul. Pal. 301 neben einzelnen Positionen zusätzlich eine (einzelne) Transaktion umfasst, macht dies schnell klar. Doch fand die lex Falcidia auf modale Legate wie für Fideikommisse ohnehin keine Anwendung153. Zutreffender wäre es somit wohl, von einer Anwendung des SC Pegasianum zu sprechen154. b) Beitrag der Mathematik Der Erbe erhält eine Erbschaft im Wert von 100.000 in Form eines einzelnen Grundstücks. Die Falzidische Quart garantiert ihm daraus einen unbelasteten An 147

Legasse ist Kurzform von legavisse. Siehe Voci, Bd. II, S. 761, 764: „In caso die legato di vendere per un prezzo inferiore al normale, il beneficio del legato consiste nella differenza, questa va naturalmente imputata nella massa di legati; ma il denaro effettivamente ricevuto va imputato nella quarta, perche sostituisce il valore di una cosa ereditaria“. Siehe auch Scaev. D. 35,2,19 und Maec. D. 35,2,30,1. 149 Sub modo legatur: Gai. D. 35,1,17,4. Zur Entwicklung des Begriffs des „modus“ siehe eingehend Grosso (1955), S. 184 und DiSalvo, S. 93, 102. 150 Siehe Voci, Bd. II, S. 620 ff. Nach Ferrini (1889), S. 375 lautet die gebräuchliche Formulierung „ea condicione, ut [..]“. Zur Unterscheidung zwischen bedingtem und modalem Legat siehe Scaev. D. 35,1,80. 151 Siehe Ferrini (1889), S. 376 f. 152 „Damnas esto“ für das lpd, „fidei tuae committo“, „rogo“ oder „volo“ für das Fidei­ kommiss. 153 DiSalvo, S. 113. 154 Siehe dazu bereits vorne, Kap. 2 D. 1. b). 148

68

Kap. 2: Elementare Mathematik

teil von 25.000. Erfüllt er die Bitte aus dem Fideikommiss, muss er das Grundstück an Titius übertragen und erhält dafür 50.000. Dieser bekommt das Grundstück im Wert von 100.000 und muss dafür 50.000 an den Erben auszahlen. Im Ergebnis sind sowohl der Erbe wie auch Titius finanziell gleich gestellt, wie wenn der Erblasser Titius die Summe von 50.000 hinterlassen hätte: quasi quinquaginta legasse. Nur, dass jetzt der Erbe das Geld, Titius das Land zu eigen hat. Es gilt offensichtlich, dass 50.000 > 25.000. Somit ist die Vorschrift der lex Falcidia bzw. des SC Pegasianum nicht verletzt. Julian verwendet in seinem Beispiel Zahlen, mit denen sich sehr leicht rechnen lässt. Von einem gebildeten Römer wurde zumindest verlangt, einfache Rechnungen im Kopf oder mit den Fingern durchführen zu können, wie die folgende Bemerkung Quintilians verdeutlicht: 155 156

Quint. Inst. 1,10,35 Nam cum sit geometria divisa in numeros atque formas, numerorum quidem notitia non oratori modo, sed cuicumque [saltem] primis litteris erudito necessario est. In causis vero vel frequentissime versari solet: In quibus actor, non dico, si circa summas trepidat, sed si digitorum saltem incerto aut indecoro gestu a computatione dissensit, indicatur indoctus155.

Denn da die Geometrie156 in die beiden Bereiche der Zahlen und Formen aufgeteilt ist, muss nicht nur der Redner im Umgang mit Zahlen geschult sein, sondern jeder, der nur schon zu lesen gelernt hat. In Prozessen hat man sich darin indessen am häufigsten geschickt zu zeigen: Der Sachwalter, der – ich will gar nicht davon reden, dass er schon bei einer Rechnung zögert  – mit den Fingern unsicher rechnet oder mit einer Geste einer Rechnung widerspricht, wird als ungebildet bezeichnet.

Etwas komplizierter wird es im § 1 des Fragments, wenn Julian den einfachen Ausgangsfall aus dem pr. erweitert, sodass zwei Grundstücke gegen zwei Geldsummen ausgetauscht werden.



155 156

Lateinischer Text nach Rahn, 1. Bd., S. 141. Quintilian setzt die Geometrie der Mathematik gleich: Quint. 1,10,34.

69

E. Gleichungen: ex eo evenit

3. Iul. Pal. 756.1 (D. 35,2,87,1 – Iul. 61 dig.) Item is, qui duos fundos in bonis centum haberet, si me et Titium heredes instituisset et damnasset me, ut Titio fundum Cornelianum quinquaginta venderem et contra Titium damnasset, ut mihi fundum Seianum quinquaginta venderet: non animadverto, quemadmodum lex Falcidia locum habere possit, cum uterque heredum unius fundi partem dimidiam hereditario iure habiturus sit, in qua pars dimidia hereditatis est: nam certe qui damnatus est fundum Cornelianum vendere, Seiani fundi partem hereditario iure habet, item qui damnatus est Seianum fundum vendere, partem Corneliani fundi hereditario iure retinet.

157

Ebenso bei demjenigen, der in seinem Vermögen zwei Landgüter im Wert von [zusammen] 100.000 Sesterzen hatte, wenn er mich und den Titius zu Erben eingesetzt hat und mir auferlegt, dem Titius das Cornelianische Landgut für 50.000 und umgekehrt dem Titius auferlegt, mir das Sejanische für 50.000 zu verkaufen, so sehe ich nicht ein, wie das Falzidische Gesetz zur Anwendung kommen könne, da jeder Erbe die Hälfte des einen Landgutes nach Erbrecht besitzen wird, worin zugleich die Hälfte seines Erbanteils besteht; denn derjenige, dem der Verkauf des Cornelianischen Landgutes auferlegt worden ist, hat die Hälfte des Sejanischen Landgutes nach Erbrecht; und der, dem der Verkauf des Sejanischen Landgutes auferlegt worden, behält die Hälfte vom Cornelianischen nach Erbrecht157.

a) Zu casus und quaestio Die Bemerkungen zur Wortwahl und den verwendeten aus der Exegese des pr. behalten auch für § 1 ihre Gültigkeit. Die Erbschaft besteht hier aus zwei Grundstücken. Die beiden Erben, ego und Titius, bilden beide zusammen eine Erbengemeinschaft (consortium). Beide sind nach Bruchteilen, d. h. hier je zur Hälfte, an den beiden Grundstücken beteiligt: uterque heredum unius fundi partem dimidiam hereditario iure habiturus sit158. Es stellt sich die Frage der Erbschaftsteilung unter Berücksichtigung der lex Falcidia. Vordringliches Ziel der Auseinandersetzung ist die Aufhebung des Miteigentums und die Errichtung von Alleineigentum an einzelnen Sachen, wobei mit Ausgleichszahlungen sichergestellt wird, dass die vorgesehenen Erbquoten korrekt ausgefüllt werden159. b) Beitrag der Mathematik Auch hier kann für die Situation jedes Beteiligten nach erfolgter Erbteilung eine Art „Bilanz“ aufgestellt werden. Für den ersten Erben sieht sie wie folgt aus:

157

Zur Angabe von Geldbeträgen siehe die Bemerkungen vorne, Kap. 2 B. 1. Zur Erbengemeinschaft siehe Kaser (1971), S. 727. 159 Zur actio familiae erciscundae siehe Kaser (1971), S. 728. 158

70

Kap. 2: Elementare Mathematik

Accepti

Expensi

1⁄2

Wertanteil C

25.000

1⁄2

Wertanteil S

25.000

Eigentum an S

50.000

Übertragung C

50.000

Erlös aus Verkauf C

50.000

Kaufsumme für S

50.000

Ergebnis („Bilanzwert“)

50.000

Die Situation auf Seiten des zweiten Erben präsentiert sich spiegelbildlich. Wertmäßig erhalten beide die Hälfte der Erbschaft zu je 50.000 in Form eines der beiden Grundstücke. Die Geldflüsse aus den Verkäufen heben sich jeweils gegenseitig auf. Das Ergebnis bei jedem Erben übersteigt die Falzidische Quart, die sich für jeden auf 12.500 berechnet. Wie zuvor liegt damit keine Verletzung der lex Falcidia bzw. des SC Pegasianum vor. Mit Abschluss der Teilung erhält somit jeder der Erben eines der Grundstücke zu Alleineigentum, wobei sich die gegenseitigen Zahlungen aufheben. Die Verfügungen des Erblassers können als Teilungsvorschriften interpretiert werden160. Das Ergebnis ist das gleiche, wie wenn der Erblasser eine direkte Zuweisung der Grundstücke an seine Erben angeordnet hätte. Damit die Quote jedes Erben vollständig ausgefüllt wird, muss Julian aber stillschweigend angenommen haben, dass die beiden Grundstücke je einen Wert von 50.000 aufweisen. Dies mag er unbewusst aus dem pr. übernommen haben, wo es nur ein Grundstück zu 100.000 gab. Trifft diese Annahme aber nicht zu, was wiederum eine Frage der Informationen im Sachverhalt und der Beweise ist, die Julian ausblendet, wandeln sich die testamentarischen Verfügungen in ihrer Wirkung zu einem Vermächtnis zugunsten des einen Erben. Dann muss die Einhaltung der Quart geprüft werden. Das Sejanische Grundstück darf maximal einen Wert von 87.500 aufweisen, damit der zweite Erbe nicht weniger als 12.500 bekommt. Andernfalls lex Falcidia locum habet (in diesem Fall griffe das prätorische Recht ein, wie Ulpian in D. 35,3,1 ausführt). Julians Schlussfolgerung trifft somit nicht voraussetzungslos zu. Wie schon das pr. belegt auch § 1 Julians Grundfertig­keiten im Rechnen161. Davon abgesehen scheint er das mathematische Problem, welches 160

Auf eine solche Erbteilung wird in Pap. D. 10,2,33 Bezug genommen: „Si pater familias singulis heredibus fundos legando divisionis arbitrio fungi voluit, non aliter partem suam coheres praestare cogetur, quam si vice mutua partem nexu pignoris liberam consequatur“. Der spezielle Aspekt, dass das eine Grundstück mit einer Hypothek belastet ist, kann hier beiseitegelassen werden. Bedeutsam ist jedoch, dass eine Art Ausgleich als Bedingung für die Übertragung des unbelasteten Grundstücks gesehen wird. 161 Weitere Beispiele mit einfachen Berechnungen um die Falzidische Quart finden sich in Iul. Pal. 756.3, 4, 5 und 8.  Mathematisch sind nur einfache Kenntnisse des Bruchrechnens gefragt.

E. Gleichungen: ex eo evenit

71

in seinem Sachverhalt angelegt wurde, nicht in vollster Allgemeinheit erfasst zu haben. Der Fall lässt sich nämlich durch ungleiche Zahlungen weiter verallgemeinern. Zur Verdeutlichung sei angenommen, dass der „Erzähler“ das Cornelianische Grundstück für 50.000 an den anderen Erben und dieser das Sejanische für 5.000 an jenen verkaufen solle. Da die tatsächlichen Werte der einzelnen Grundstücke im Sachverhalt nicht gegeben sind, müsste zur Lösung dieser Variante des Falles ein Gleichungssystem mit diesen Werten als unbekannten Variablen x und y aufgestellt werden: x + y = a = 100 x – 45 = y + 45

Die zweite Gleichung ergibt sich aus den wirtschaftlichen Flüssen: Der erste Erbe erhält das Sejanische Grundstück (y) und 50.000 gegen 5.000. Beide sind Erben zur gleichen Quote. Ein solches Gleichungssystem konnten die Römer leicht lösen, allenfalls mit einem Ansatz Herons von Alexandrien. Dazu ersetzt man in der zweiten Gleichung x = 1⁄2 a + t sowie y = 1⁄2 a – t und löst nach t auf162. Es findet sich für das Cornelianische Grundstück ein Wert von 95.000 und für das Sejanische einer von 5.000. Lässt man die Voraussetzung fallen, dass beide Erben im Ergebnis ihre Quoten vollständig ausgefüllt bekommen sollen, darf das Sejanische Grundstück maximal einen Wert von 42.500 haben, damit die lex Falcidia nicht verletzt wird. Der erste Erbe bekommt dann 87.500 = 42.500 + 45.000 und der zweite 12.500 = 47.500 – 45.000 (die Berechnungen finden sich im Detail im Anhang). Ein Erblasser, der sein Testament abfasst, müsste diese Überlegungen umgekehrt ausgehend von den gegebenen Grundstückswerten anstellen, um die je nach Ziel geforderten (Ausgleichs-) Zahlungen zu bestimmen. Diese Überlegungen wären praktisch bedeutsamer als Julians Beispiel. Möglicherweise ging es Julian weniger um die Durchführung einer Erbteilung als um die Auslegung einer ungewöhnlichen testamentarischen Verfügung im Hinblick auf die lex Falcidia. Unter diesem Titel wurde seine Stelle auch in den Digesten Justinians eingeordnet163. Vielleicht fehlte ihm einfach das nötige Interesse an abstrakten mathema­ tischen Fragen. Dass es nicht grundsätzlich an seiner Fähigkeit gelegen haben kann, nicht nur einfache Rechnungen, sondern auch Gleichungssysteme in meh­ reren Unbekannten zu lösen, belegt eindrücklich die nächste Stelle.

162

Vgl. Van der Waerden, S. 62. Die Erbteilungsklage behandelt Julian nur aus formeller Sicht in Iul. Pal. 115 (D. 10,2,51).

163

72

Kap. 2: Elementare Mathematik

4. Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr. – Iul. 29 dig.)

164

Si ita scriptum sit: „Si filius mihi natus fuerit, ex besse heres esto: ex reliqua parte uxor mea heres esto. Si vero filia mihi nata fuerit, ex triente heres esto: ex reliqua parte uxor heres esto“, et filius et filia nati essent, dicendum est assem distribuendum esse in septem partes, ut ex his filius quattuor, uxor duas, filia unam partem habeat: ita enim secundum voluntatem testantis filius altero tanto amplius habebit quam uxor, item uxor altero tanto amplius quam filia: licet enim suptili iuris regulae conveniebat ruptum fieri testamentum, attamen cum ex utroque nato testator voluerit uxorem aliquid habere, ideo ad huiusmodi sententiam humanitate suggerente decursum est, quod etiam Iuventio Celso apertissime placuit.

Es sei folgendermaßen verfügt worden: „Wenn mir ein Sohn geboren wird, soll er Erbe zu zwei Dritteln meines Vermögens werden, der Rest soll meiner Ehefrau als Erbin zufallen. Wenn mir jedoch eine Tochter geboren wird, soll sie Erbin zu einem Drittel sein und meine Ehefrau als Erbin der Rest erhalten“. Wenn aber sowohl ein Sohn wie eine Tochter geboren werden, muss gesagt werden, dass das Vermögen in sieben Teile zerlegt werden soll, sodass sein Sohn vier, seine Ehefrau zwei und seine Tochter ein Teil  bekommen. So nämlich erhält der Sohn nach dem Willen des Erblassers doppelt so viel wie seine Ehefrau, während diese doppelt so viel bekommt wie die Tochter. Obwohl nämlich das Testament strenggenommen164 als zerschlagen angesehen werden müsste, wollte der Erblasser seiner Ehefrau dennoch etwas zukommen lassen, wenn eines der beiden Kinder geboren würde, so soll auf diese, von der Menschlichkeit vorgeschlagene Lösung abgestellt werden. Diese gefiel nämlich bekanntlich auch Juventius Celsus.

a) Zu casus und quaestio Die Stelle ist dem Titel „de testamentis“ aus dem 29. Buch der Digesten ­Julians entnommen. Der Hintergrund und die genauen Umstände der Ausgangslage gehen nicht direkt aus Julians Text hervor und können nur erahnt werden. Anzunehmen ist, dass der Erblasser sein Testament spätestens während der Schwangerschaft seiner Frau abgefasst hat und so nicht wissen konnte, ob er einen Sohn oder eine Tochter bekommen würde. Wäre er erst nach der Geburt seiner Kinder verstorben, hätte er sein Testament anpassen können (und auch müssen), obgleich eine solche Anpassung wegen der formalen Anforderungen umständlich war165. Nicht bedacht hat er die Möglichkeit, Zwillinge zu bekommen166. 164

So übersetzt Scott das Wort subtilis; oder (negativ gefärbt): spitzfindig? Vgl. Paulus, S. 279. Vgl. leicht variiert bei Paulus, S.  279 (Fn.  644). Zur Ungültigkeit des Testaments bei nicht in der institutio genannten posthum geborenen Nachkommen vgl. Gai. 2,131 und Voci, Bd. II, S. 634, 641, 643. 166 Mehrfachgeburten kamen natürlich auch in der Antike vor, galten aber als Anomalie, ja gar als böses Omen (vgl. DNP, S. 858 f.). Das Interesse Aristoteles’ an Mehrfachgeburten wird durch Julians Bericht aus Iul. Pal. 886 (D. 46,3,36) belegt: „Nam et Aristoteles scripsit quin 165

E. Gleichungen: ex eo evenit

73

Je für sich allein genommen, sind die zwei alternativen Erbeinsetzungen zweifellos klar: si filius mihi natus fuerit bzw. si vero filia mihi nata fuerit. Erst der Umstand, dass sie zusammen beurteilt werden müssen, führt zu einer Mehrdeutigkeit, da dann die angeordneten Quoten nicht mehr unbedingt aufgehen167. Denn in beiden Fällen wurde die Ehefrau als Erbin ex reliqua parte eingesetzt168. Ihr konkreter Erbteil definiert sich somit als Residuum. Treten nun zwei Kinder als Erben zu 2⁄3 bzw. 1⁄3 auf, reduziert sich ihr Erbteil auf null. Da der Erblasser offenbar wollte, dass auch seiner Ehefrau etwas zukommen sollte, stellt sich das Problem, die auf die unerwartete Situation anwendbaren Quoten so zu bestimmen, dass seinem vermuteten Willen am besten entsprochen wird169. Julian gibt seine Lösung explizit in Brüchen an. Den Rest der Stelle widmet er der Frage, ob nicht das Testament streng genommen wegen der unvollständigen Erbeinsetzung für ungültig erklärt werden sollte: ruptum fieri testamentum. Gegen die Anwendung dieser suptilis iuris regula bringt er das Argument der humanitas vor170. Interessant ist auch der Verweis auf seinen „Konkurrenten“ Celsus171, der sich wohl in einem ähnlichen Fall ebenfalls für die Gültigkeit des Testaments entschied. b) Beitrag der Mathematik Angesichts der zwei alternativen Erbeinsetzungen fasst Julian den Willen des Erblassers wie folgt zusammen: ita [..] filius altero tanto amplius habebit quam uxor, item uxor altero tanto amplius quam filia. Diese Verhältnisse zwischen den Quoten führen auf ein System von drei Gleichungen mit drei Unbekannten: x = 2z y = z x + y + z = 1 que nasci posse, quia vulvae mulierum totidem receptacula habere possunt“. Mehr als Fünflinge konnte es demnach nicht geben. 167 Paulus, S. 278 f. untersucht die Stelle aus der Perspektive der Versorgung nahestehender Personen und weist auf die faktische Bevorzugung der Söhne vor den Töchtern hin. Für Scarano Ussani, S. 142 (Fn. 124) zeigt die Stelle, wie sich Julian gegen zu strenge, archaische Regeln wendet. 168 Voci, Bd. II, S. 135 f. 169 Der Sachverhalt lässt sich auch aus Sicht der assertorischen Logik beleuchten. Bezeichne A die Aussage „filia nata erit“ und B die Aussage „filius natus erit“. Offenbar hatte der Erblasser nur die als ausschließliche Disjunktion (siehe unten, S. 95) A 〉--〈 B verstandene Alternative im Kopf, sodass entweder A = 1 und B = 0 oder A = 0 und B = 1 auftreten kann, nicht aber A = B = 1. Letzterer Fall ist nur bei der einschließlichen Disjunktion A ∨ B möglich. Doch war wohl die ausschließliche Variante die im Alltag gebräuchliche, von der im Zweifelsfall auszugehen ist (siehe unten, III. B.4.2). 170 Wenn Giaro (2007), S. 452 diesbezüglich schreibt, der „ausgwiesene Logikkenner Julian“ habe sich gegen die „Logik“ der regula gewandt, vermischt er verschiedene Begriffe der Logik. Die „Logik einer spitzfindigen suptilis ratio“ ist nach dem hier verwendeten Verständnis untechnisch. 171 Zur vermuteten Konkurrenz zwischen den beiden Juristen Scarano Ussani, S. 143.

74

Kap. 2: Elementare Mathematik

Dabei bezeichnen x die gesuchte Quote des Sohnes, y die der Tochter und z die der Ehefrau. Als Lösungen ergeben sich x = 4⁄7 (filius quattuor), y = 1⁄7 (filiam unam) und z = 2⁄7 (uxor duas partem habeat). Julian selbst verwendet keine Bruchzeichen, sondern beschreibt seine Lösung auf der Grundlage der von ihm vorgeschlagenen Teilung des Nachlasses in sieben gleiche Teile: assem distribuendum esse in septem partes. Solche Gleichungssysteme konnten bereits die Griechen lösen, wie schon vermerkt wurde. Es ist umgekehrt kaum wahrscheinlich, dass Julian diese Lösung auf anderem Wege – etwa durch „anschauliches“ Probieren – hätte finden können172. Zusammen mit den letzten zwei Exegesen belegt diese Stelle, dass Julian nicht nur über elementare mathematische Grundfertigkeiten verfügte, wie sie etwa Quintilian von einem gebildeten Redner, verlangte, sondern auch anspruchsvollere Aufgaben lösen konnte. Die Mathematik erfüllte jedoch ausschließlich eine dienende Funktion und und schien das Auffinden seiner Fälle kaum beeinflusst zu haben. 

F. Ergebnisse Mit der sprachlichen Evidenz ergeben sich in diesem Kapitel keine schwer­ wiegenden Probleme. Die Bezüge zu mathematischen oder  – vielleicht präziser gesagt – zu rechnerischen Problemen ergeben sich jeweils unmittelbar aus der Beschreibung des Sachverhalts. Erwähnenswert ist einzig, dass in den Texten, so wie sie überliefert worden sind, keine Zahlzeichen oder andere Symbole auftreten, wie sie sich in Catos „De agri cultura“ oder in Frontinus’ „De aquaeductu“ finden lassen. Ganze Zahlen und Brüche werden in der erhaltenen Überlieferung immer in Worten ausgeschrieben. Während für das Hilfsmittel der Logik auch ihre mögliche Funktion in der eigentlichen Argumentation zu prüfen sein wird, konnte die Untersuchung zur Rolle der Mathematik von Beginn weg auf die historische Faktenfrage, d. h. der Frage nach Julians fachlichen Kenntnissen und ihrer Anwendung konzentriert werden. Bei Iul. Pal. 117 (D. 40,7,12) und 563 (D. 35,2,86) ergibt sich die rechtliche Lösung aus der Auslegung des Testaments nach den üblichen Regeln. Eine Rechnung wird erst erforderlich, wenn diese Lösung umgesetzt werden soll, wenn etwa in konkreten Fällen die Quoten der einzelnen Erben bestimmt werden müssen. Bei Iul. Pal. 563 sind Berechnungen immerhin schon nützlich, um das eigentliche Problem hinter der rechtlichen quaestio besser zu erfassen, wie ein Vorausvermächtnis die Erbteile der Miterben belastet. Schon etwas komplizierter wird 172

Siehe ein rechnerisch ähnliches Problem bei Galen, Inst. log. 16,1: „Theon hat zweimal so viel wie Dion, aber Philon seinerseits hat zweimal so viel wie Theon. Folglich besitzt Philon viermal so viel wie Dion“. Solche relationalen Probleme liessen sich weder im aristote­ lischen noch im stoischen System der Logik erfassen. Vgl. hierzu Bobzien (1996), S. 190 f.

F. Ergebnisse 

75

die Sache bei der Durchführung der collatio im besonderen Fall von Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2). Aus dem eingangs der Stelle festgehaltenen Zweck der collatio lässt sich prinzipiell zwar auch ohne Mathematik folgern, dass ein Emanzipierter sein Vermögen nur mit den sui zu teilen hat. Wie schon Julian (oder der nachklassische Kommentar) schreibt, verdeutlicht ein Rechenbeispiel nicht nur das Problem an sich, sondern es begründet auch die vorgeschlagene Lösung. Eindeutiger liegt die Sache bei Iul. Pal. 756.0 (D. 35,2,87 pr.) und 756.1 (D. 35,2,87,1). Die Rolle der Mathematik beschränkt sich dort auf die Analyse des Sachverhalts, woraus jeweils folgt, dass die Quart respektiert wird. Wesentlich anders verhält es sich jedoch mit Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr.). Zwar spielt dort wiederum die Frage der Auslegung von Testamenten die Hauptrolle. Dennoch darf man sagen, dass sich die rechtliche Lösung, die sich in der Anrufung der humanitas erblicken lässt, entscheidend auf das aufgestellte Gleichungssystem stützt. Die Mathematik dient im wahrsten Sinn des Wortes der konstruktiven Ergründung des hypothetischen Erblasserwillens. Ohne die gefundene, sinnvolle Lösung liefe das rechtliche Argument für die Gültigkeit des Testaments ins Leere173. Im Einzelfall sind die von Julian eingesetzten mathematischen Mittel als relativ einfach zu bezeichnen174. Sie beschränken sich meist auf Anwendungen der Bruchrechnung oder auf das Lösen einfacher Gleichungen. Iul. Pal. 756.1 (D. 35,2,87,1) hätte wie gezeigt auch allgemeiner und dadurch komplexer gelöst werden können. Im Allgemeinen sind die Zahlen in den Sachverhalten so gewählt, dass sich die Rechnungen einfach gestalten und zu „schönen Lösungen“ führen. Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr.) lässt es jedoch als wahrscheinlich gelten, dass Julian in der Lage war, zumindest einfache Gleichungssysteme zu lösen oder sie zumindest nachzuvollziehen, sollte ihm ein Mitarbeiter oder Freund technische Hilfestellung geleistet haben. Dabei handelt es sich jedoch bereits um Kenntnisse, welche auch bei Gebildeten nicht zwingend vorausgesetzt werden konnten. Ergänzend lässt sich für die besprochenen Stellen untersuchen, wieweit sie als Beiträge zu den Bestandteilen der einschlägigen Prozessformel verstanden werden können. Iul. Pal. 117 (D. 40,7,12) behandelt einzig die Rechtsfrage, wie eine zum Nachlass gehörige Forderung auf die Erben verteilt werden soll. Julians Entscheidung stützt sich dabei weniger auf den konkreten Wortlaut im Testament, sondern auf grundsätzliche Prinzipien ab, wie eine Erbteilung vorzunehmen ist175. Fragen des Sachverhalts oder des Beweisrechts werden nicht angeschnitten176. Ähnlich verhält es sich mit Iul. Pal. 563 (D. 35,2,86) und 375.2 (D. 37,6,3,2), wo sich 173

Die Alternative der Intestaterbfolge wäre in diesem Sinn eine schlechtere Lösung. Verglichen etwa mit den aus dem Corpus agrimensorum bekannten Techniken. 175 Als Abbild des geltenden Rechts ist Julians Antwort vom Richter in der adiudicatio zu berücksichtigen, indem er sie auf die festgestellten Tatsachen anwendet: vgl. Kaser/Hackl, S. 371. 176 Es sei daran erinnert, dass die genaue Formulierung der Bedingung im Testament, welches im Rahmen der editio als Beweis vorzubringen wäre, in Julians Entscheidung keine Rolle spielte. 174

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Kap. 2: Elementare Mathematik

die Rechtsfrage um die Berechnung der Quart bei einem Vorausvermächtnis bzw. die Details der collatio dreht. Die beispielhaften Rechnungen dienten mehr der Illustration der Rechtsfrage und der Mechanik der Rechtsinstitute. Zu praktischen Handlungsanweisungen, etwa an den Richter, taugten sie infolge ihrer fehlenden Abstraktion nicht. Die Prinzipien müssen auf jeden Sachverhalt konkret neu angepasst werden, um die adiudicatio zu begründen. Auch bei Iul. Pal. 301 (D. 35,2,85) können kaum Bezüge zum Beweisverfahren gesehen werden. Die Anerkennung der rechtlichen Möglichkeit, die Mitgift vorweg abzuziehen, dürfte dem Erben hingegen gestatten, im Verfahren in iure eine entsprechende exceptio in die Klageformel aufnehmen zu lassen. Die Bestimmung der Vermögenswerte der Mitgift wäre wiederum eine reine Tatfrage, die Julian nicht behandelt. Weniger eindeutig verhält es sich mit Iul. Pal. 756.1 (D. 35,2,87,1). Als rechtliche Frage war zu prüfen, ob die falzidische Quart verletzt ist oder nicht. Die diesbezüglichen Regeln wurden als bekannt vorausgesetzt. Fraglich war vielmehr, wie der Sachverhalt zu erfassen und rechtlich einzuordnen war, weshalb Julian die wirtschaftlichen Wirkungen der testamentarischen Verfügungen analysierte. Diese Analyse müssten auch die am Verfahren Beteiligten durchzuführen in der Lage sein, seien es die Parteien, um ihre Anträge zu stellen, sei es der Magistrat, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Wie gezeigt wurde, hängt die Antwort jedoch maßgeblich von den tatsächlichen Werten der zwei Grundstücke ab – auch dies eine Frage der zu erbringenden Beweise. Julian hat diesen Umstand entweder nicht beachtet und hätte seinen Klienten so einem Prozessrisiko ausgesetzt, sollte es sich um die Wiedergabe eines tatsächlichen Falles handeln. Oder er hat einen fiktiven Fall bewusst so konstruiert, dass dieser Punkt in seiner Darstellung keine Rolle spielte. So oder so kann in diesem Fall eine zumindest teilweise Hinwendung Julians zur praktischen Seite der adiudicatio erblickt werden. Schließlich behandelte Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr.) das klassische Problem der Auslegung eines Testaments. Während der tatsächliche Parteiwille ein Beweisthema darstellt177, wird der hypothetische Erblasserwille zum Gegenstand der Argumentation vor Gericht178. Julian sah selbst, dass das Testament strengrechtlich wohl als zerschlagen anzusehen wäre, doch führte seine mathematisch gewonnene Lösung zu einer „besseren“ Alternative. Seine Lösung kann, sollte sie von ihm nicht nur aus rein didaktischen Zwecken in seine Digesten aufgenommen worden sein, als Plädoyer oder, was wohl wahrscheinlicher ist, als Prognose für den Prozessausgang gesehen werden, die er an seinen Klienten richtet179. Eine Gesamtschau des Aufbaus von Iul. Pal. 756 (D. 35,2,87 pr.-8) zur Anwendung der lex Falcidia erlaubt einige Rückschlüsse auf Julians Stil und Darstel-

177

Vgl. Babusiaux (2006), S. 251. Kaser/Hackl, S. 357, 362 sehen hier die Domäne der Rhetorik, die wohl auch Raum für den Einsatz logischer Instrumente bot (siehe Kapitel 5). 179 Zur Idee, juristische Gutachten als Prognose zu deuten, siehe Babusiaux (2006), S. 5. 178

F. Ergebnisse 

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lung sowie die Art und Weise, wie er seine Fälle konstruiert180. Wie angekündigt wird diesem Aspekt im Verlaufe der Untersuchung wiederholt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das pr. bringt als Einstieg einen Fall mit einer einzigen Transaktion, deren Wirkung im Vermächtnis geprüft werden muss. § 1 behandelt das gleiche Problem mit zwei Transaktionen, deren Wirkungen ausgeglichen werden müssen. § 2 behandelt mit dem Vorabzug einer Schuld einen Teilaspekt181 zur Frage, wie die Erbschaftsmaße zu bestimmen ist. Systematisch gehörte diese Stelle als Vorbereitung einer Erbteilung eher an den Anfang des Fragments. § 3 wechselt den Problemkreis und wendet sich der Behandlung bedingter Vermächtnisse und Freilassungen zu. Die §§ 4 und 5 sind Varianten mit Beifügung einer Substitution, während in § 6 nach dem Muster von § 1 die Wirkung gegenseitiger Substitutionen untersucht werden. Dieses Muster der Gegenseitigkeit tritt bei Julian wiederholt auf. Dabei könnte es sich um einen didaktischen „Kniff“ handeln, Problemfälle im Grenzbereich zu behandeln, um das scharfe Denken zu schulen, wie dies etwa auch bei Quintilians Schulübungen geschieht182. In § 7 wird eine Substitution mit einer Enterbung kombiniert. Schließlich behandelt § 8 den Fall eines Miterben als Ersatzerben eines unmündigen Sohnes, dessen Erbanteil von Vermächtnissen vollständig erschöpft wird. Das strukturierende Element des Fragments ist weniger in der Mathematik zu finden. Ein gemeinsamer Zug all dieser Stellen kann vielmehr auf der rechtlichen Ebene in der Untersuchung von Konkurrenzverhältnissen zwischen verschiedenen testamentarischen Verfügungen im Hinblick auf die Berechnung der Quart gesehen werden. Dabei steigt die Komplexität der Fälle ausgehend vom pr. bis zum letzten § 8 immer mehr an. Die Beispiele zu den §§ 4–8 nehmen dabei durchaus den Charakter eigentlicher Fälle an, während die Beispiele zuvor eher einzelne technische Teilaspekte des Themas beleuchten. Ob es in der Praxis jemals vergleichbare Fälle gegeben hat, kann bezweifelt werden. Insbesondere scheint eine gewisse Tendenz Julians durch, einzelne Rechtsinstitute aus verschiedenen Richtungen auszuleuchten, um ihre Eigenschaften „kasuistisch“ darzustellen, Konkurrenzsituationen auszuleuchten und dennoch zu einem theoretischen Gesamtbild zu gelangen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2), das in einem Stil abgefasst ist, der mit seiner rhetorischen, erläuternden Frage und seinem illustrierenden Beispiel eher an ein Lehrbuch als an ein responsum erinnert. Hier sind jedoch die Anmerkungen Guarinos zu bedenken, wonach die verallgemeinernden Randnoten nicht von Julian selbst, sondern von einem nachklassischen Bearbeiter stammen. Trifft dies zu, hätte sich Julian stärker mit dem ihm vorgelegten oder von ihm erdachten Einzelfall beschäftigt. Dass gerade dieses Beispiel mit Hilfe der Mathematik auch allgemeiner hätte gelöst werden können, zeigt nicht nur die Grenzen von Julians Interesse an 180

Bund (1965), S. 57 spricht zu Iul. Pal. 756 von einem kasuistischen Stil, bei dem Fall an Fall gereiht wird. 181 Ein weiterer Teilaspekt dazu findet sich in Iul. Pal. 301 (D. 35,2,86). 182 Ein analoges Muster findet sich im Fall von Quintilians Decl. 250.

78

Kap. 2: Elementare Mathematik

abstrakten mathematischen Problemen, vielleicht auch seiner Abstraktionsfähigkeit auf. Der Befund stützt zusätzlich auch Guarinos Vermutung zur weiteren Bearbeitung des Texts. Bei den besprochenen Stellen fällt es schwer, von eigentlichen „Fällen“ zu sprechen. Es handelt sich eher um die Behandlung von (meist) rechtlichen Teilaspekten, die teilweise anhand von Beispielen illustriert werden. Dazu berichtet Julian nur gerade jene Elemente des Sachverhalts, die unbedingt nötig sind. Vieles andere lässt er weg oder setzt es als bekannt oder problemlos voraus. Vollständige Falllösungen oder gar direkt umsetzbare Handlungsanweisungen stellen seine Beiträge nicht dar. Diese Feststellungen sprechen gegen die Position Bermans, der noch die Ansicht vertrat, die römischen Juristen hätten in ihren Schriften Fälle nicht zur Illustration rechtlicher Prinzipien eingesetzt183. Ganz im Gegenteil könnte in Julians Vorgehen immerhin als ein erster Schritt in Richtung einer von konkreten Fällen losgelöster Darstellung rechtlicher Prinzipen gesehen werden, wenn sie sich auch – vielleicht aus der Natur des ius civile und seiner Tradition begründet – von der formelhaften Abstraktion eines Frontinus klar unterscheidet184. Denn wie es sich zeigte, blieb Julian insgesamt bei technisch-mathematischen Problemen im Abstraktionsgrad deutlich hinter Frontinus zurück. Das aufgezeigte Muster von Iul. Pal. 756 (D. 35,2,87) stützt in diesem Sinn die Behauptung Bruno Schmidlins, dass das responsum der kasuistischen Entwicklung des auf actiones aufbauenden Rechts diente185. Insgesamt spricht dies einerseits für die Annahme fiktiver Fälle und andererseits für ein planvolles Vorgehen Julians, welches über eine einfache „Intuition“ bei der Rechtsfindung hinausgeht186. Als Fazit zum ersten Teil der historischen Faktenfrage ergibt sich, dass Julian die Mathematik nur vereinzelt heranzog, wenn er den Blick auf die praktische Umsetzung der von ihm gefundenen rechtlichen Lösungen oder auf einen technisch heiklen Einzelaspekt lenken wollte und sich dabei ein Problem ergab, das sich rechnerisch erfassen ließ. Tat er dies, bewegte er sich im Rahmen dessen, was zu seiner Zeit an mathematischen Fertigkeiten von einem Vertreter der gebildeten Schichten verlangt wurde. Dabei werden die Grenzen seines Interesses an abstrakten mathematischen Problemen, vielleicht auch seiner Abstraktionsfähigkeit deutlich. Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Iul. Pal. 420.0 (D. 28,2,13 pr.) spielt die Mathematik bei Julian insgesamt nur eine untergeordnete und dienende Rolle. Sie bestimmte kaum die Konstruktion seiner Fälle. Keineswegs beeinflusste sie sein juristisches Denken.

183

Berman, S. 139. Zu Frontinus siehe vorne, Kap. 2 B. 1. 185 Schmidlin, S. 155, im Wesentlichen von Nörr (1972), S. 77 ff. akzeptiert. 186 Vgl. allgemein zur Kasuistik auch Schulz (1961), S. 154: „Man erkennt hier deutlich ein theoretisches Durchdenken der Probleme in kasuistischer Form, und die ersonnen Fälle spielen daher eine grosse Rolle, gewinnen sogar vielleicht das Übergewicht gegenüber den wirklich praktischen Fällen“. 184

Kapitel 3

Assertorische Logik A. Fragestellung: Die Welt ist voller Alternativen Einen Schritt weitergehend stellt auch eine Klageformel selbst einen Gegenstand dar, der sich mit den Mitteln der sogenannten Aussagenlogik einer logischen Analyse zugänglich zeigt. Mehr noch sind zu ihrer Entwicklung, Verständnis und Anwendung grundlegende Kenntnisse der Logik unverzichtbar (auf diesen Umstand und seinen Bezug zu Julians endgültiger Redaktion des prätorianischen Edikts wird in Kapitel 5 noch vertieft eingegangen). Klageformeln stellen das Prozessprogramm mit seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen in kompakter Form zusammen. Exemplarisch seien hier die Prozessformeln der actio certae creditae pecuniae1 und der condictio certae rei2 wiedergegeben: Iudex esto. Si paret NN AA 〈rem〉 dare oportere, quanti ea res est, iudex NN AA c. s. n. p. a. Iudex esto. Si paret NN AA sestertium decem milia dare oportere, iudex NN AA sestertium decem milia c. s. n. p. a.

In diesen Formeln markiert das die intentio einleitende „si paret“ sowohl das Beweisthema3 des Prozesses als auch die (notwendige) Bedingung für eine Verurteilung. Die Alternative seiner Negation widerspiegelt den Spielraum des Richters, frei zu entscheiden4. Entscheiden heißt übersetzt, der Aussage „si paret [..]“ einen Wahrheitswert zuzuordnen. Zur Anwendung einer Klageformel müssen ihre Voraussetzungen konkretisiert werden, was nach einer Analyse der quaestio facti verlangt. In der Einleitung wurde die Hypothese aufgestellt, dass Julian die Logik zur Analyse der Sachverhalte benutzen würde. Dabei können auch logische Strukturen eine Rolle spielen und zwar als Teil der gesprochenen Sprache (je nach Umständen der Alltagssprache oder der Fachssprache) oder als Teil der Beschreibung der Lebenswelt. Letztere ist mit der Thematik der Kausalität von Ursachen und der Unsicherheit zukünftiger Ereignisse verbunden5. Einige Hinweise, wie diese Konkretisierung im Einzelnen zu bewerkstelligen war, gibt Ulpians „Editionsprogramm“ aus D. 2,13,1. So muss etwa bei einer Klage aus Stipulation die vollständige Stipulation ediert werden: „Edere non videtur qui stipulationem totam non edit“6. Die 1

Lenel (1927), S. 237. Angepasst aus der Formel der condictio triticaria bei Lenel (1927), S. 240. 3 Vgl. Babusiaux (2006), S. 10. 4 Kaser/Hackl, S. 363. 5 Siehe Teil 2. dieses Kapitels sowie Kapitel 4. 6 Ulp. D. 2,13,1,4; vgl. dazu Babusiaux (2006), S. 38 f. und S. 41 f. 2

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Kap. 3: Assertorische Logik

Bestandteile einer Stipulation können nach dem hier vertretenen und in den nächsten Abschnitten vertieft zu berschreibenden Verständnis als Aussagen logisch analysiert und bewertet werden. Damit ergibt sich ein erster direkter Anknüpfungspunkt für den Einsatz der Logik. Bei der condictio, bei der in der Formel nur eine abstrakte causa erscheint7 oder den bonae fidei iudicia, die bezüglich der Edition mehr Freiheiten gestatten8, lässt sich für die Logik sowohl eine Unterstützung in der Analyse des Sachverhalts als auch in der eigentlichen juristischen Argumentation vor Gericht denken. Ein weiterer Anknüpfungspunkt zeigt sich im Verfahren in iure. Kläger und Beklagter haben die Möglichkeit, exceptiones und replicationes in die Prozessformel aufnehmen zu lassen. Sie werden vor die condemnatio eingefügt, etwa bei der rei vindicatio9: Iudex esto. Si paret rem qua de agitur ex iure Quiritium AA esse necque ea res restituetur, quanti ea res erit, 〈exceptio〉〈replicatio〉 tantam pecuniam iudex NN AA condemnato, si non paret absolvito.

Das Prinzip verdeutlicht Julian an einem einfachen Beispiel:

10

Iul. Pal. 128 (D. 44,2,24 – Iul. 9 dig.) Si quis rem  a non domino emerit, mox petente domino absolutus sit, deinde possessionem amiserit et  a domino petierit, adversus exceptionem „si non eius sit res“ replicatione hac adiuvabitur „at si res iudicata non sit“.

Wenn jemand eine Sache vom Nicht-Eigentümer kauft, anschließend [von der Haftung] freigesprochen wird, nachdem der [wahre] Eigentümer gegen ihn einen Prozess angestrengt hat, den Besitz an der Sache verliert und gegen den Eigentümer klagt10, wird ihm gegen die Einrede „wenn die Sache nicht ihm gehört“ mit der Replik „und wenn nicht zu seinen Gunsten entschieden worden ist“ geholfen.

Der Beklagte behauptet eine Ausnahme zur verurteilenden Bedingung durch Einfügen des Ausdrucks „si non eius [=NN] sit res“. Der Ausdruck wird als Gegensatz der Behauptung des Klägers, die Sache gehöre ihm, formuliert11. Der Kläger könnte seinerseits den Ausdruck „at si res iudicata non sit“ einsetzen12. Diese Klausel führt zu einer Verurteilung des Beklagten, wenn der vorangehende Pro 7

Lenel (1927), S. 237. Vgl. Babusiaux (2006), S. 242: Die Parteien handeln den Streitgegenstand (res de qua agitur) gewissermaßen selbst aus. Mit Vorbehalten Mantovani, S. 564. Zum Einbringen der exceptio im Rahmen der postulatio siehe dort, S. 574. 9 Lenel (1927), S. 185. 10 Der mittlerweile wieder in den Besitz der Sache gelangt ist. 11 Vgl. Gai. 4,119 mit Bezug auf den Streitgegenstand: „Omnes autem exceptiones in contrarium concipiuntur, quam adfirmat is cum quo agitur [..] sed ita formulae inseritur, ut condicionalem faciat condemnationem“. 12 Vgl. Gai. 4,126: „Interdum evenit, ut exceptio, quae prima facie iusta videatur, inique noceat actori. quod cum accidat, alia adiectione opus est adiuvandi actoris gratia; quae adiectio replicatio vocatur [..]“. 8

A. Fragestellung: Die Welt ist voller Alternativen 

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zess nicht auf sein Eigentum erkannt hat, wie dies offenbar in D. 44,2,24 der Fall war13. Das Einfügen von Einreden und Gegeneinreden kann zu recht komplizierten Prozessformeln führen, was ein grundlegendes Verständnis von logischen Verknüpfungen voraussetzt. Tatsächlich sind gegensätzlich formulierte Bedingungen bei Julian ein oft wiederkehrendes Thema14. Neben Klageformeln bieten sich auch bestimmte Typen von Rechtsgeschäften einer logischen Untersuchung an. Im Rahmen dieser Untersuchung wird ein besonderes Augenmerk auf Julians Texte zur Wahlschuld sowie zu bedingten Stipulationen und Legaten geworfen werden15. Bei einer Wahlschuld16 ist der Schuldner gehalten, die eine oder die andere Leistung zu erfüllen, ohne dass dies im Rahmen der Vereinbarung zunächst einmal weiter spezifiziert worden wäre17. Die Wahlschuld wurde schon von den römischen Juristen als besonderer Typ von Obligation erkannt, wie die Klassifikation des Paulus in D. 44,7,44 pr. belegt18. Die Alternativität qualifiziert nach Paulus den modus der Obligation19. Nach dieser Definition von Paulus ist die Spezifizierung, wie das zu leistende Objekt aus der zur Verfügung stehenden Auswahl bestimmt werden soll, ein impliziter Teil der Obligation selbst20. Wird in der Vereinbarung nichts anderes gesagt, kommt das Wahlrecht dem Schuldner zu21. Nach Grosso charakterisiert sich die Wahlschuld dadurch, dass selbst wenn nichts zur Wahl gesagt wird, diese implizit, ja selbstverständlich, dem Schuldner zukommt, jedenfalls solange als beide Leistungen möglich bleiben (letzteres ergibt sich aus § 3 des Paulus-Fragments22)23. Der Untergang einer von zwei Leistungen entleert 13 Zur exceptio iusti domini und zu ihrer Gleichsetzung mit der exceptio rei venditae et traditae siehe Kaser (1961), S. 196. Zum Einbringen von Tatsachen in die verschiedenen Stufen eines Prozesses siehe auch die Arbeit von Lemosse. 14 So etwa in Iul. Pal. 520, 522, 464 und 465. 15 Bedingte Rechtsgeschäfte werden in Kapitel 4 untersucht. 16 Nach Grosso (1966), S. 163 f. sei der Begriff selbst nicht klassisch, obwohl das Wort alternatio etwa in D. 13,4,2,3 vorkomme. 17 Ziliotto (2004), S. 13, Grosso (1966), S. 163. Denkbar sind natürlich auch Situationen, in denen mehr als zwei Alternativen zur Wahl stehen. 18 Paul. D. 44,7,44 pr.: „Obligationum fere quattuor causae sunt: aut enim dies in iis est aut condicio aut modus aut accessio“. 19 Albertario (1940), S. 36 wendet sich dagegen, die Wahlschuld nach einem allgemeinen Modell der anderen Obligationen zu betrachten. Paulus habe den Begriff modus in unglücklicher, dem sonst üblichen Gebrauch nicht entsprechender Weise eingesetzt. Ziliotto (2004), S. 14 stimmt dem nur insoweit zu, als dass der Begriff „modus“ untechnisch verwendet wird, will die Wahlschuld aber wie schon Longo (1936), S. 24 als besonderen Typ einer einzigen Obligation ansehen. 20 Grosso (1966), S. 163. 21 Siehe in verschiedenen Zusammenhängen etwa bei Paul. D. 18,1,34,6, Ulp. D. 18,1,25 pr., Jul. D. 23,3,41,1 oder Ulp. D. 23,3,10,6. 22 Paul. D. 44,7,44,3: „Modus obligationis est, cum stipulamur decem aut hominem: nam alterius solutio totam obligationem interemit nec alter peti potest, utique quamdiu utrumque est“. 23 Grosso (1966), S. 166. Dieser Aspekt ist abzugrenzen von der Wahl, die einem Dritten als Teil einer aufschiebenden Bedingung eingeräumt wird (siehe Gai. D. 45,1,141,1).

82

Kap. 3: Assertorische Logik

das Wahlrecht seines Sinns und konkretisiert zugleich die Obligation im Hinblick auf eine Erfüllung. Von der Frage, ob es sich bei der Wahlschuld um einen besonderen Typ der Obligation handelt, ist die nicht unproblematische24 Frage zu unterscheiden, ob es diese Rechtsfigur ein einheitliches Geschäft darstellt oder in eine Mehrzahl einzelner Geschäfte zerfällt. Das bloße Einbauen einer Alternativität als äußeres charakterisierendes Element genügt noch nicht, ein einheitliches Geschäft anzunehmen. Grosso stellt den Vergleich mit der Solidarschuld25 an, bei der eine Mehrheit von Verpflichtungen der persönlichen Natur der Obligation besser entspreche (vinculum iuris)26. Bei der Wahlschuld treten jedoch wie üblich nur zwei Parteien auf, welche aber mehrere Objekte in obligatione fassen27. Auch die zahlreichen rö­mischen Quellen sprächen dafür, die Wahlschuld als eine einzige Obligation zu betrachten. Entscheidet man sich dafür, die Wahlschuld als ein einziges Geschäft aufzufassen, stellt sich sogleich die Anschlussfrage, was genau in obligatione liegt, solange die Wahl nicht getroffen ist28. An sich ergibt sich erst mit der getroffenen Wahl, welche Leistung zur Erfüllung geschuldet sein wird (in soluto esse). Andererseits kann bis zu diesem Zeitpunkt jede der möglichen, zur Auswahl stehenden Leistungen geschuldet sein, sodass es angebracht ist, zu sagen, alle zusammen seien in obligatione29. Solange die Wahl, welche im Normalfall beim Schuldner liegt, nicht getroffen ist, besteht eine Periode der Schwebe oder Unsicherheit30. Während dieser Periode darf der ungeduldige Gläubiger nicht 10 oder den Sklaven fordern, sondern nur „10 oder den Sklaven“ – m. a. W. darf er fordern, dass der Schuldner sein Wahlrecht ausübt. Andernfalls begeht der Gläubiger eine pluris petitio31: Er fordert mehr als ihm aus der Vereinbarung zusteht, nämlich eine der alternativ versprochenen Leistungen und das Wahlrecht, zwischen ihnen zu wählen. Dieses Konzept der Wahlschuld lässt sich, erweitert um den Aspekt der Solidarschuld und mit Blick auf die sich bietenden Anwendungen im Erb- und Schuldrecht, folgendermaßen in einer schematischen Übersicht zusammenfassen:

24

Grosso (1966), S. 169. Zur römischen Terminologie der Solidarschuld siehe Albertario (1948), S. 28 ff. 26 Grosso (1966), S. 169. 27 Vgl. den letzten Satz in Paul. D. 45,1,128. 28 Grosso (1966), S. 175 ff. mit weiteren Hinweisen auf die Diskussion in der Literatur. 29 Vgl. dazu erneut Paul. D. 45,1,128. 30 Das Konzept einer Schwebe oder Pendenz wird in Kapitel 4 bei der Bedingung vertieft behandelt. 31 Siehe dazu Gai. 4,53d. Vgl. Grosso (1966), S. 186, S. 188 ff. 25

A. Fragestellung: Die Welt ist voller Alternativen 

83

Das Schema zeigt auf, dass sich im Erbrecht Begünstigte und zu vermachende Sachen sowohl konjunktiv als auch disjunktiv miteinander verknüpfen lassen. Analoges gilt im Schuldrecht für die Empfänger einer Leistung und die Leistungsgegenstände. Daraus ergeben sich insgesamt neun verschiedene Kombinationsmöglichkeiten32. Zu ihrer Analyse wird es angezeigt sein, auf die Eigenschaften der logischen Verknuepfungen der Konjunktion und der Disjunktion einzugehen, wie sie in der stoischen Philosophie beschrieben worden sind. Problematisch sind aus logischer Sicht nur jene Fälle, bei denen zumindest auf einer Seite eine Mehrzahl auftritt. Von den übrigen Fällen sind aus rechtlicher Sicht nicht alle von Interesse. So bereiten mehrere mit „et“ verbundene Sachen meist keine Schwierigkeiten. Die Verbindung mehrerer Personen mit „et“ reibt sich im Schuldrecht am Grundsatz „alteri stipulari nemo potest“33. Die im Erbrecht ungewohnt anmutende Verbindung mehrerer Personen mit „aut“ findet sich in Quintilians Deklamation Nr. 318 dargestellt34. Das Schema mit den alternativen und kumulativen Kombinationen von Leistungsgegenständen und -empfängern suggeriert nun einen weiteren Gedanken, den es in der Folge im Rahmen der Exegesen zu verfolgen gilt. Seine Kenntnisse der Logik könnte es Julian erlaubt haben, durch vollständiges Durchspielen der Möglichkeiten, welche die logischen Strukturen vermitteln, jene Kombinationen für die Konstruktion seiner Sachverhalte (quaestiones facti) auszuwählen, die für eine juristische Erörterung lohnenswert erscheinen. In diesem Licht betrachtet, diente die Logik nicht als Hilfsmittel bei der eigentlichen Lösungsfindung, sondern unterstützte das Auffinden der Fälle. Reale Fälle sind das Resultat des Zufalls: wenn sie von Ratsuchenden an den Juristen herangetragen werden. Fiktive Fälle müssen vom Juristen erfunden bzw. vorhergesehen werden und ergänzen das besprochene Material. Gleichzeitig steht es dem Fachschriftsteller weiterhin frei, seine Stoffmasse nach den in seiner Disziplin gängigen Kriterien zu ordnen. So erklärte sich, dass die ausgewählten Stellen Julians, wenn sie wie in dieser Untersuchung nach ihren vermuteten logischen Bezügen gruppiert werden, aus verschiedenen Abschnitten seiner Digesten stammen (die von Lenel vorgeschlagene Ordnung soll hier nicht hinterfragt werden): Das Ordnungsprinzip der Digesten richtet sich nach juristischen Gesichtspunkten, und zwar in einer Weise, dass höchstens von einem „äußeren“ System gesprochen werden kann. 32

Für eine Zordnung der Stellen siehe den Anhang. Ulp. D. 45,1,38,17. Zur Stipulation eines gemeinsamen Sklaven Iul. Pal. 707.4 (D. 45,3,1,4). 34 Die Deklamation Nr. 318 mit dem Titel „Legatum inter libertos“ beginnt so: „Testamento quidam institut heredum amicum et petit ab eo ut ex duobus libertis quos relinquebat utri vellet decem milia daret. Unus ex libertis petit; iudicio contendit. Victus est. Petit alter“. Anders als dort vom Sprechenden behauptet, war ein alternativ formuliertes Vermächtnis jedoch gültig, wie sich aus Cel. D. 31,16 ergibt: „Si Titio aut Seio, utri heres vellet, legatum relictum est, heres alteri dando ab utroque liberatur: si neutri dat, uterque perinde petere potest atque si ipsi soli legatum foret: nam ut stipulando duo rei constitui possunt, ita et testamento potest id fieri“. Die Konstitution C. 6,38,4 sollte später eine allgemeine Ersetzung von „aut“ durch „et“ bei in testamentarischen Verfügungen verbundenen Personen vornehmen. 33

84

Kap. 3: Assertorische Logik

B. Grundlagen (erster Teil) 1. Aristotelische Aussagenlogik a) Zum Wahrheitsbegriff Heutige Lehrbücher zur Aussagenlogik beginnen in der Regel mit einer Definition der Aussage als Satz, der wahr oder falsch sein kann35. Einer Aussage wird der Wahrheitswert „wahr“ zugeordnet, wenn der Sachverhalt, den sie beschreibt, zutrifft. Im gegenteiligen Fall bekommt sie den Wahrheitswert „falsch“. Dafür, dass diese Zuordnung immer vorgenommen werden kann, sorgt das sogenannte Prinzip der Zweiwertigkeit oder der Bivalenz36: Jede Aussage ist immer und in eindeutiger Weise entweder wahr oder falsch. Etwas Drittes gibt es nicht. Während der formale Begriff des Wahrheitswerts erst auf Gottlob Frege zurückgeht37, war die eigentliche Idee des Wahrheitsgehalts einer Aussage schon in der Antike bekannt. Der Wahrheitsbegriff ist der wohl grundlegendste Begriff der Aussagenlogik. Es bei der Bemerkung zu belassen, schon Aristoteles habe das Konzept gekannt und damit gearbeitet, verkürzt die bei diesem Begriff auftretenden weitreichenden Probleme. Davon legen die unzähligen philosophischen Diskussionen Zeugnis ab, die sich bis in die jüngere Gegenwart hinziehen38. Wenn Platon und Aristoteles zuweilen als Begründer der Korrespondenztheorie angesehen werden, kritisiert Campbell diese Vorstellung deutlich und heftig als anachronistisch: „Any modern philosopher who calls this a theory of any sort, let alone the classical version of the correspondence theory of truth, manifests both ignorance of the language in which Aristotle was writing and extraordinarily low expectations of theorizing“39. Seine pointierte Kritik lädt in der Tat zu großer Vorsicht mit vereinfachenden Vergleichen und Erklärungen ein. Platon und Aristoteles sahen in der Wahrheit (λήθεια; veritas) ein ontologisches Konzept. Für Platon war die Wahrheit ein objektiver Zustand der Wirklichkeit, die er als Gesamtheit der unveränderlichen Ideen oder „Formen“ verstand, in denen sich die beobachtbare Welt widerspiegelte40. Vordergründig näher an einem modernen Verständnis, arbeitete Aristoteles in seinen Werken zur Logik freizügig mit dem Begriffspaar „wahr/falsch“. Eine Definition des Falschen findet sich bei den erläuternden Abschnitten in Aristoteles’ Metaphysik: 35

Hoyningen-Huene, S. 29. Vgl. Kneale/Kneale, S. 46 mit Hinweisen auf seine antike Entstehungsgeschichte. 37 Hoyningen-Huene, S. 30. 38 Für eine kurze Übersicht zur historischen Entwicklung von der Antike über den Einfluss des Christentums bis in die Neuzeit, siehe Campbell, S. 4 ff. Als Stichworte seien die Korrespondenztheorie, Wittgensteins logisch-empiristische Bildtheorie und die Kohärenztheorie des sogenannten „Wiener Kreises“ genannt. Siehe dazu Davidson, S. 279 ff. 39 Campbell, S. 192 f. Er bezieht sich auf Arist. Metaph. IV,6 (1011b26–27). 40 Campbell, S. 5. Vorbild für diese Formen waren ihm wohl die zeitlosen und neutralen Formen der Geometrie mit ihrer absoluten Geltung. 36

B. Grundlagen (erster Teil) 

85

Das Falsche wird (1.) in einer Bedeutung ein falscher Sachverhalt genannt, und dies einmal dadurch, dass (etwas) nicht zusammen besteht oder nicht zusammen bestehen kann, wie etwa, wenn man sagt, die Diagonale sei kommensurabel oder du sitzest, denn von diesen ist das eine immer, das andere zu Zeiten falsch in derselben Weise, wie es auch nicht seiend ist. [..] (2.) Eine Aussage aber ist falsch, wenn sie, insofern sie falsch, auf ein Nichtseiendes geht41.

Dieses Zitat illustriert, weshalb einige Autoren in Aristoteles den Begründer der Korrespondenztheorie sahen. Die Definition stellt in ihrer ersten Bedeutung (1.) die Wahrheit einer Aussage in Beziehung zu dem Sachverhalt, den sie beschreibt. Ob die Aussage als wahr oder falsch gelten soll, hängt davon ab, ob der betrachtete Sachverhalt wahr oder falsch ist (2.). Dies suggeriert, dass Wahrheit nach einem objektiven Maßstab bestimmt werden kann. Zumindest in der Kommunikation zwischen mehreren Personen darf ein solcher objektiver Maßstab nicht als selbstverständlich angenommen werden, wie Aristoteles selbst erkannte: Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könne denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein? Es muss also jedes Wort bekannt sein und etwas, und zwar eines und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muss man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht42.

b) Das logische Quadrat Aristoteles verwendet das Gegensatzpaar „wahr“ und „falsch“ regelmäßig in seinen Werken zur Logik. Das Subjekt einer Aussage ist dasjenige, wovon in ihr gesprochen wird43. Eine Aussage weist ihrem Subjekt eine bestimmte Eigenschaft zu. Diese Eigenschaft heisst Prädikat44. Im einfachen Beispiel Aussage: Die Sonne scheint.

ist die Sonne das Subjekt und „scheinen“ das Prädikat. Aussagen können zwar nach ihrem Sinngehalt beliebig kompliziert werden, doch ist die klassische Aussagenlogik noch nicht in der Lage, wirklich komplizierte Inhalte als selbständige Gegenstände zu erkennen und Aussagen danach unterschiedlich zu behandeln. Dies zeigt sich daran, dass es nicht möglich ist, Existenzaussagen zu formulieren, also Aussagen von quantifizierbaren Eingaben abhängig zu machen. Dazu muss die Aussagenlogik mit den sogenannten Quantoren zur Prädikatenlogik erweitert werden. Quantoren erlauben es, Aussagen in singuläre, universelle und partikuläre

41

Arist. Metaph. V,29 (1024b); Übers. Bonitz/Seidl, S. 122. Arist. Metaph. XI,5 (1062a); Übers. Bonitz/Seidl, S. 226. 43 Hoyningen-Huene, S. 167. 44 Hoyningen-Huene, S. 169; nicht deckungsgleich mit dem Begriff aus der Grammatik. 42

86

Kap. 3: Assertorische Logik

Aussagen zu unterscheiden. Eine singuläre Aussage bezieht sich auf ein einzelnes Subjekt oder Individuum S. Eine universelle Aussage bezieht sich auf alle (∀) Individuen aus einer Klasse P45. Eine partikuläre Aussage (auch als Existenzaussage bezeichnet) bezieht sich auf eine Teilmenge von Individuen aus einer Klasse, deren Existenz (∃) damit gleichzeitig postuliert wird: Singulär: Die Sonne scheint. Universell: Alle Sonnen des Universums scheinen. Partikulär: Manche Sonnen des Universums sind erloschen.

Der Schritt zur Prädikatenlogik wurde erst im 19. Jh. von Frege und Sanders Peirce46 formalisiert47, fand sich in Ansätzen aber bereits bei Aristoteles im logischen Quadrat aus seiner Ersten Analytik vorgezeichnet, welches vier Kategorien von Aussagen unterscheidet, die heute häufig mit PaS, PeS, PiS und PoS bezeichnet werden48: 49 50 51

Logisches Quadrat

Beschreibung in Worten

Moderne Notation49

(A)

PaS

P bezieht sich auf alle S50

∀ x (Sx → Px)51

(E)

PeS

P bezieht sich auf kein S

∀ x (Sx → ¬Px)

(I)

PiS

P bezieht sich auf ein S

∃ x (Sx ∧ Px)

(O)

PoS

P bezieht sich nicht auf ein S

∃ x (Sx ∧ ¬Px)

Am übersichtlichsten lassen sich die möglichen Typen von Gegensätzen zwischen Aussagen als Diagramm darstellen, wie es erstmals bei Apuleius von Madaura52 auftrat:

45

Hoyningen-Huene, S. 176. US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph und Logiker (1839–1914). 47 Kneale/Kneale, S. 111, 430 und 485 ff. Die Aussage zu den rationalen Zahlen lässt sich formalisiert wie folgt schreiben: ∀ x, y ∈ Q ∃ z ∈ Q: x < y → x < z < y. 48 Arist. An. pr. I,2 (25a); vgl. Hoyningen-Huene, S. 178 f. Zu Notation und Aufbau siehe Ebert/Nortmann, S. 97 ff. Eine Vorversion findet sich in Arist. Int. VII (17a 39–43 und 17b 8–9). In der Literatur sind zahlreiche verschiedene Schreibweisen mit unterschiedlicher Reihenfolge von Subjekt und Prädikat verbreitet. Für Näheres siehe Rini, S.  15 ff.; Patterson, S. 4. 49 Nach Rini, S. 16. 50 In der englischen Literatur: A belongs (ν̔ πάρχει) to all of B; all of B are predicated (κατηγορεῖται) by A; A applies to every B; siehe Kneale/Kneale, S. 62 die auf einen Zusammenhang mit Aristoteles’ erstmaligen Einführung von Variablen in der Ersten Analytik hinweisen. 51 Zu beachten ist Aristoteles’ Existenzannahme: Er betrachtet nur solche S, die mindestens ein Element enthalten: ∃ x: x ∈ S = Sx; vgl. Patzig, S. 37 f.; Rini, S. 27. 52 Gr. Schriftsteller („Goldener Esel“) und Philosoph (etwa 123–170 n. Chr.). 46

87

B. Grundlagen (erster Teil) 

Allgemein bejahend A

Konträr

Allgemein verneinend

Jeder Mann ist weiss

Kein Mann ist weiss

E

Kontradiktorisch I

Ein Mann ist nicht weiss

Ein Mann ist weiss

Besonders bejahend

Sub-konträr

O

Besonders verneinend

Eine Art von Quantoren, wie sie in der heutigen Prädikatenlogik auftreten, lässt sich bei Julians Beispiel der verstorbenen Kinder mit omnes impuberes decessisse in D. 34,5,14,3 und bei Proculus mit omne animal aut facit aut patitur in D. 50,16,12453 ausmachen. 2. Stoische Aussagenlogik a) Zum Wahrheitsbegriff Sextus Empiricus berichtet, dass die Stoiker zwischen der Wahrheit auf der einen Seite und dem, was wahr ist, auf der anderen Seite unterschieden haben54. Wie Sextus weiter erläutert, stützten die Stoiker ihre Unterscheidung auf die drei Gesichtspunkte der Substanz, des Aufbaus und der Bedeutung. Unter Wahrheit verstanden sie die Gesamtheit des Wissens, das den Weisen zukam55. Wohl aus diesem Grund war die Wahrheit für sie von körperlicher Natur. Wie nachfolgend dargestellt wird, waren es bei den Stoikern die ἀξίωματα (axiomata), die wahr sein konnten. Axiomata galten ihnen jedoch als unkörperlich oder, wie sich heute sagen ließe, als abstrakt56. So unterschieden sie die Wahrheit vom Wahren in der Substanz. Im Aufbau unterschied sich die Wahrheit als zusammengesetzte Vielheit des Wissens vom einfachen Wahren als etwas Einzelnes. In der Bedeutung schied sich das Wahre dadurch von der Wahrheit, dass auch schlechte Menschen etwas Wahres sagen können57. In dieser dreifachen Beschreibung der Wahrheit ist bereits die Trennung von Wahrheit und Wahrheitsträger angelegt.

53

Siehe Miquel, S. 90 ff. und Winkler, S. 212 f. Sext. Emp. Math. 7,38 ff. 55 Sext. Emp. Math. 7,42. Vgl. Arist. Cat. VII (7b), wonach das Wißbare vor aller Wissenschaft vorbestehend und damit vom menschlichen Denken unabhängig ist. 56 Kneale/Kneale, S. 156. 57 Vgl. zum Ganzen Kneale/Kneale, S. 149. 54

88

Kap. 3: Assertorische Logik

b) Stoische Sprachtheorie Bei der üblichen Definition der Aussage als Satz, der wahr oder falsch sein kann, wird oft nicht präzisiert, was unter einem „Satz“ verstanden werden soll. Es ist nicht a priori klar, ob darunter alle sprachlichen Äußerungen bejahender oder verneinender Art wie auch Befehle (Normen) und Ausrufe fallen. Nach dem ZweiWelten-Modell der modernen Sprachtheorie, wonach Sprache nicht nur Repräsentation des Denkens ist, sind der individuelle Sprechakt, das Schema der Äußerung, der dahinter stehende Urteilsakt sowie der inhaltliche Sinn säuberlich voneinander zu unterscheiden58. Für diese Vorstellung lässt sich in der stoischen Sprachtheorie ein Vorläufer in der Antike finden. Aristoteles sprach von λόγος als einer Rede, die „konventionell, d. h. auf Grund einer Übereinkunft“ etwas anzeigt59. Entscheidend ist dabei, dass nicht jede Rede etwas aussagt, „sondern nur die, in der es Wahrheit oder Irrtum gibt“60. Da auf diese Weise eine Zuordnung von Wahrheitswerten grundsätzlich möglich ist, käme als Wahrheitsträger somit jede sinnbehaftete Rede in Frage, doch ist mit dieser eher tautologisch anmutenden Erklärung nicht viel gewonnen61. Die Stoiker näherten sich dem Thema über die Frage nach dem Sinn von Äußerungen. Wie in Kapitel 1 schon erwähnt, stimmte ihre Dialektik im Wesentlichen mit der Logik im hier beschriebenen Sinn überein, behandelte daneben aber auch Aspekte der Grammatik und Linguistik. Die Stoiker entwickelten ihre Sprachtheorie zu abstrakten Höhen, die für die damalige Zeit als außergewöhnlich bezeichnet werden können. Ihre Theorie lässt sich nur ansatzweise aus den Quellen rekonstruieren, zu denen namentlich Sextus Empiricus und Diogenes Laertius zu zählen sind. Sextus berichtet von drei miteinander verknüpften Dingen62: Es gebe erstens Dinge, die Bedeutung haben und zweitens Dinge, die Bedeutung ausdrücken, während drittens das Objekt selbständig daneben stehe. Diese Unterteilung ist so zu verstehen, dass „Dinge, die Bedeutung haben“ die Rede ausmachen. Die Rede bezieht sich auf Objekte, die von sich aus existieren. Rede und Objekte stehen beide in der Wirklichkeit und sind von körperlicher Natur. Die Rede ist eine besondere Form eines Sprechaktes, die sich durch ihren Sinn auszeichnet (λόγος, logos). Dinge, die Bedeutung haben, sind hingegen als Teil der Ideenwelt unkörperlich und werden

58

Siehe Krämer, S. 9 f. mit Verweis auf de Saussure, Chomsky, Searle und Habermas als Vertreter dieser Richtung; vgl. für die Logik im Speziellen Hoyningen-Huene, S. 32 f. 59 Vgl. Arist. Metaph. XI,5 (1062a). 60 Arist. An. pr. 4 (17a); Übers. Rolfes, S. 3 f. 61 Ergänzend: Arist. Cat. 5 (4b): „Denn darum, weil das Ding ist oder nicht ist, wird auch die Rede als wahr oder falsch bezeichnet [..]“ (Übers. von Rolfes, S. 9); Cat. 10 (13b); Cat. 12 (14b): „Nun ist aber die wahre Aussage gewiss nicht der Grund, dass die Sache ist. Wohl aber erscheint die Sache gleichsam als der Grund, dass die Aussage wahr ist“ (Übers. von Rolfes, S. 36). Zum den Vorsokratikern siehe Giaro (2007), S. 99 f. 62 Sext. Emp. Math. 8,11–12 (Long/Sedley, S.  195 f.); vgl. Diog. Laert. 7,41–44 (Long/­ Sedley, S. 183).

B. Grundlagen (erster Teil) 

89

als λεκτά (lekta) bezeichnet63. Am Ende seines Berichts ergänzt Sextus Empiricus, dass lekta wahr oder falsch sein können. Somit kämen die lekta als die gesuchten Wahrheitsträger in Betracht. Die überlieferten Quellen zu ihrer Klassifikation legen jedoch den Schluss nahe, dass Sextus in seinem Bericht etwas unpräzise war. Die Klassifikation der lekta folgt in großen Zügen derjenigen der „Sprechakte“ bzw. ihrer Bestandteile64. Unvollständige lekta sind die Subjekte und die Prädikate, was heute an Searles propositionalen Akt erinnert65. Auf diese konzentrierte sich schon Aristoteles in seinen logischen Schriften. Für die Stoiker bildeten sie offenbar die Brücke zur eigentlichen Grammatik66. Für die Logik interessanter waren ihnen die vollständigen lekta. Bei ihnen handelt es sich um Ausdrücke, die für sich selbst stehend einen Sinn ergeben, was wiederum an Searles illokutionären Akt erinnert. Diogenes teilt sie ein in ἀξίωματα (axiomata), Fragen, Befehle, Eide, Gebete, Annahmen oder Vermutungen, Ansprachen und solche, „die mit axiomata zu vergleichen sind“67. Nach Sextus’ Bericht erscheinen die vollständigen lekta als wahrscheinliche Kandidaten, um im antiken Verständnis den Platz von Aussagen einzunehmen. Ein axioma darf aber keinesfalls mit dem Begriff eines Axioms gleichgesetzt werden, wie es in Euklids „Elementen“ vorkommt. Diogenes Laertius definiert ein axioma leicht rätselhaft als etwas, das wahr oder falsch ist, bzw. ein vollkommenes Etwas mit selbständiger Bedeutung68: 69

Ἀξίωμα δέ ἐστιν ὅ ἐστιν ἀληθὲς ἢ ψεῦδος: ἢ πρᾶγμα αὐτοτελὲς ἀποφαντὸν ὅσον ἐφ᾽ ἑαυτῷ.

Eine Aussage ist das, was wahr oder falsch ist, oder eine vollständiger Zustand, welcher festgehalten werden kann, soweit es ihn selbst betrifft69.

Die erste Eigenschaft identifiziert ein axioma als möglichen Wahrheitsträger. Die zweite Eigenschaft nimmt bloß seine Einordnung bei den vollständigen lekta wieder auf. Axiomata können bestimmt, unbestimmt oder unbestimmbar sein70. Weiter treten sie in bejahender, verneinender, aktiver und passiver Form auf. Neben einfachen gibt es auch zusammengesetzte axiomata, zu denen der Konditional, die Disjunktion und die Konjunktion zählen71. Damit scheint in den axiomata das Gegenstück zur heutigen Idee einer Aussage gefunden zu sein, können sie doch selbst wahr oder falsch sein und miteinander zu neuen axiomata verknüpft 63

Kneale/Kneale, S. 139. Kneale/Kneale, S. 143; Diog. Laert. 7,63–83; Sext. Emp. Math. 8,70 ff. und 93 ff. 65 Searle (1983), S. 40; vgl. Manthe (2002), S. 432, der sich jedoch an Austins Darstellung orientiert. 66 Kneale/Kneale, S. 149. 67 Diog. Laert. 7,66–68; vgl. Atherton, S. 45 f. 68 Diog. Laert. 7,65. 69 Übers. nach Long/Sedley, S. 202. 70 Sext. Emp. Math. 8,96. 71 Diog. Laert. 7,69. 64

90

Kap. 3: Assertorische Logik

werden, denen wiederum ein Wahrheitswert zukommt. Dieser Schluss liegt nahe, wäre aber leicht voreilig, denn noch bleiben einige weitere Kandidaten auszuscheiden. Die anderen lekta wie Fragen, Befehle, Eide etc. fallen schon nach aristotelischem Verständnis aus72. Neben den axiomata böten sich noch die Darstellungen und die Argumente als Teile sinnhafter Rede (logoi) an. Darstellungen (presentations) sind gedachte Bilder oder durch die Sinne bestimmte Vorstellungen. Denkbar wäre, dass sich der Wahrheitswert eines axioma nur durch eine Darstellung bestimmen ließe73. Ein weiterer Bericht von Sextus deutet aber an, dass für die Stoiker tatsächlich die axiomata die primären Wahrheitsträger waren74. Sowohl bei Darstellungen als auch bei Argumenten lässt sich die Zuordnung von Wahrheitswerten auf den grundlegenden Fall der Behandlung von axiomata zurückführen75. Die axiomata erscheinen in diesem Licht zumindest als vertretbare Approximation des modernen Aussagenbegriffs76. c) Axiomata als Aussagen Aus den Quellen lässt sich allerdings eine Reihe von Eigenschaften der axiomata zusammenstellen, die zu Zweifeln berechtigt, die axiomata ohne Kautelen mit der heutigen Vorstellung von Aussagen gleichzusetzen. Dass axiomata eher als Aussagen gesehen werden sollten, wie sie geäußert wurden denn als die Aus­sagen selbst, wie Kneale und Kneale es sehen77, scheint für die geplante Anwendung im Rahmen dieser Untersuchung noch nicht problematisch. Merkwürdiger ist die stoische Vorstellung, dass axiomata entstehen und wieder verschwinden können, also gewissermaßen einen Lebenszyklus haben78. Zur weiteren Eigenschaft, dass ihnen eine grammatische Zeit zukam, sind die überlieferten Quellen besonders spärlich79. Als Konsequenz ist es möglich, dass der Wahrheitswert von axiomata

72

Giaro (2007), S. 101 mit weiteren Hinweisen. Siehe dazu Kneale/Kneale, S. 150 f. Der Gedanke ist durchaus nicht abwegig. Er spiegelt sich bei Prinz, S. 155 ff. in seinen „Spiegelspielen“ zur Erklärung der Herausbildung des eigenen Selbst aus sozialer Kommunikation wider. 74 Sext. Emp. Math. 8,11–12: „There was another disagreement among the philosophers [concerning what is true]: some took the sphere of what is true and false to be the signification, others utterance, and others the process that constitutes thought. The Stoics defended the first opinion, saying that three things were linked together, the signification, the signifier and the name-bearer [..]. Of these, two are bodies – the utterance and the name-bearer; but one is incorporeal – the state of affairs signified and sayable, which is true or false“ (Long/Sedley, S. 195 f.). 75 Nach Diog. Laert. 7,79 ist ein Argument wahr, wenn es aus wahren Prämissen besteht. 76 In diesem Sinn auch Bobzien (1993), S. 63: „axiomata as Hellenistic versions of propositions“; ebenso Keimpe/Barnes/Mansfeld/Schofield, S. 92. 77 Kneale/Kneale, S. 153. Tatsächlich vermischen sie Aussage mit Äußerung. Die Rede ist den Stoikern aber körperlich, die axiomata als lekta sind es nicht. 78 Siehe Kneale/Kneale, S. 154; vgl. Atherton, S. 46. 79 Siehe Kneale/Kneale, S. 153 für einige wenige Hinweise. 73

B. Grundlagen (erster Teil) 

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sich ändert. Solche axiomata werden als metapiptonta bezeichnet80. Diese Eigenschaft ist zweifellos ein wesentlicher Unterschied zu heutigen Vorstellungen und spielt eine große Rolle in der modalen Logik, wie sich in Kapitel 4 zeigen wird. 3. Zwischenergebnisse Die Eigenschaft der axiomata, ihren Wahrheitswert ändern zu können, legt die Forderung nach einem Bezugssystem nahe, in dem Aussagen nach ihrem Wahrheitsgehalt untersucht werden können. Nach modernem Verständnis der Aussagenlogik stehen Aussagen zeitlich neutral im Raum. Sie sind immer entweder wahr oder falsch, und diese Zuordnung bleibt in der Zeit unverändert. Die einschlägigen Lehrbücher beschäftigen sich denn auch mit allgemein gehaltenen Beispielen wie „Alle Logiker sind ­Menschen“81. Die allgemein gehaltene aber dadurch unbestimmte Aussage „They declare that they are free and absolved from all allegiance to the British Crown“ hätte Georg III82 noch nicht sonderlich beunruhigen müssen. Anders wäre folgende Aussage zu beurteilen: The Representatives of the United States of America, in General Congress Assembled, declare that these united Colonies are free and absolved from all allegiance to the British Crown83.

Hier wird durch die ergänzten, individualisierenden Informationen hinreichend klar, worum es geht. Vor und nach dem 4. Juli 1776 muss diese Aussage genau genommen als falsch bezeichnet werden. Wird das Verb in die Vergangenheitsform gesetzt, wird die Aussage für die Zeit ab dem 4. Juli 1776 als Teil des Allgemeinwissens wahr, während sie für die Zeit davor falsch bleibt. On July 4, 1776, the Representatives of the United States of America, in General Congress assembled, declare that these united Colonies are free and absolved from all allegiance to the British Crown.

Diese Aussage ist offensichtlich ebenfalls für die Zeit ab dem 4. Juli 1776 als wahr anzuerkennen. Durch einen „Zeitstempel“, wie ihn in moderner Zeit Searle und in der Antike vermutlich Diodorus vorschlugen84, ließe sich sagen, dass sie all 80

Sext. Emp. Pyrr. Hyp. 2,234. Siehe dazu die Grundlagen von Kapitel 4. So Hoyningen-Huene, S. 14. 82 Georg III Wilhelm Friedrich (1738–1820, reg. seit 1760) war der letzte König der amerik. Kolonien. 83 Angepasst aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. 84 Vgl. hierzu den Beitrag von Wubbe, S. 495 ff., der sich anschaulich mit der Mehrdeutigkeit von Begriffen im Ablauf der Zeit beschäftigt. Für eine umfassende theoretische Behandlung des Problems kommt man heute – losgelöst vom hier interessierenden antiken Kontext – schwerlich an der Sprechakttheorie von Searle und Austin vorbei. Für Searle (1983), S. 139 ff. haben Wörter an sich keine Bedeutung, sondern erlangen sie erst im Vollzug des Sprachakts 81

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Kap. 3: Assertorische Logik

gemein für alle Zeiten als unveränderlich wahr gelten darf. Die Menschen hätten einfach nicht immer die praktische Möglichkeit gehabt, ihr ihren korrekten Wahrheitswert zuzuordnen. Diese konstruierten Beispiele sollen die beiden Extrempositionen illustrieren, welche man in Bezug auf Aussagen einnehmen kann, um Wahrheitswerte konstant halten zu können. Entweder werden Aussagen so allgemein gefasst, dass sie jederzeit auch wiederholt ausgesprochen und auf ihren Wahrheitswert geprüft werden können (type-sentence). In diesem Fall werden sie regelmäßig keine große Bedeutung für praktische Probleme haben. Oder Aussagen werden so stark individualisiert, dass unzweifelhaft klar wird, auf welche Gegenstände bzw. Personen und welche Zeitpunkte sie sich beziehen (token-sentence). Doch wird so fraglich, ob sie zu verschiedenen Zeitpunkten mehrmals geäußert werden können85 und wieweit sie sich für Analysen allgemeiner Art eignen. Das stoische Verständnis lässt sich dagegen als eine pragmatische, mittlere Position deuten: Durch den angenommenen Lebenszyklus der axiomata wird ein Hin- und Hergehen zwischen körperlicher Natur der aktuellen Rede und unkörperlicher Natur der „Aussagen“ als logischer Objekte vermittelt. Dieser Wechsel zwischen abstrakter und konkreter Welt erlaubte auch die logische Analyse konkret geäußerter Erklärungen, ohne dass deswegen angenommen werden müsste, dass ihre Geltung zeitlich unbeschränkt währt, wie dies beim typischen Lehrbuchbeispiel der Aussagenlogik implizit immer der Fall ist. Vordringlicher als dieser technische Aspekt ist die bisher umgangene Frage, ob Formulierungen mit rechtlich bedeutsamem Inhalt überhaupt einer Analyse mit logischen Werkzeugen zugänglich sind. Dass diese Frage nicht selbstverständlich bejaht werden darf, wird offenbar, wenn man ganz anschaulich die Frage nach dem Verhältnis von abstrakten Aussagen und konkreten Äußerungen stellt. Diese Problematik verdeutlichen vier Typen von Situationen, bei denen sich die Frage nach dem Geltungsanspruch von Äußerungen mit juristischem Inhalt stellt. Für diese vier Typen von Situationen soll anschließend geklärt werden, wie sich Äußerung und Wahrheitsgehalt verhalten.

in einer konkreten Situation (vgl. Manthe (2002), S. 432, wonach die Grammatik entscheide, ob ein Satz richtig ist, die Semantik, ob er verständlich ist). Searles propositionaler Akt hat keine eigenständige Existenz, sondern bleibt unselbständig und abhängig von seiner Einbettung in den illokutionären Akt, der ihm erst seine Bedeutung vermittelt (Krämer, S. 61). Ändert sich der Zusammenhang oder Hintergrund, können sich auch die maßgeblichen Wahrheitsbedingungen ändern. Searle (1982), S. 142 ff. illustriert dies ausführlich am Beispiel des Satzes „Die Katze ist auf der Matte“. Selbst dieser einfache Satz enthält „indexierende“ Elemente, die darauf verweisen, um welche Katze und welche Matte es sich genau handelt und wann und wo sich der Sachverhalt abspielt. Ein Sprechakt verwandelt demnach abstrakte Aussagen in konkrete Äußerungen, die von ihrem spezifischen Zusammenhang abhängig sind, also bewusst oder unbewusst sachlich-zeitlich indexiert werden müssen. Zu Diororus siehe unten, Kap. 3 H. 2. 85 In diesem Sinne siehe auch die analoge Überlegung bei Kneale/Kneale, S. 155.

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Zu Typ 1, den Äußerungen der an einem Rechtsgeschäft beteiligten Parteien, gehört folgendes Beispiel einer Stipulation, wie sie sich in den Digesten häufig findet: Si hominem aut fundum non dederis, centum dari spondes?86

Aus der Sicht der Logik stellen sich vorweg mehrere Fragen: Darf diese Formulierung bereits als „Aussage“ im Sinn der Aussagenlogik aufgefasst und entsprechend analysiert werden oder handelt es sich erst um die in einem Sprechakt produzierte Äußerung? Spielt es eine Rolle, dass der Satz als Frage formuliert ist? Für wen und in welchem Zeitpunkt ist er von Bedeutung? Wovon hängt seine Geltung ab? Dem Typ 2, den Äußerungen der Parteien im Prozess, ist die folgende Formulierung einer Klageformel zuzuordnen: Si paret NN AA sestertium decem mila dare oportere, iudex NN AA sestertium decem mila condemnato, si non paret, absolvito87.

Immer noch bei der Logik bleibend stellt sich auch hier die Frage der Bedeutung oder Geltung nach Personen und Zeit. Macht es einen Unterschied, dass es sich hier um keine von einem Parteiwillen getragene Formulierung geht? Welche Konsequenzen hat die Verwendung der Blankette NN und AA? Was ändert sich, wenn die Blankette im Vorfeld des Prozesses mit konkreten Namen ausgefüllt werden? Geht es hier um eine logisch ableitbare Folgerung oder handelt es sich um eine Handlungsanweisung an den Richter, wie die Formen „condemnato“ und „absolvito“ andeuten und wie es dem allgemeinen Verständnis der Klageformeln als Prozessprogramm entspricht? Die gleichen Fragen stellen sich für den Typ 3, den normativen Anordnungen der leges und senatus consulta: Quodsi ab hostibus captus fuerit parens, quamvis servus hostium fiat, tamen pendet ius ­liberorum propter ius postliminii88 .

In seiner Grundform als generell-abstrakte Regelung beansprucht ein Gesetz in der Regel allgemeine und zeitlich unbeschränkte Geltung. Entspricht ein Gesetz also eher als die beiden ersten Beispiele dem Konzept der Aussage? Kann einer Norm, die als Handlungsanweisung regelmäßig ein „sollen“ ausdrückt, überhaupt ein Wahrheitswert zugeordnet werden oder fällt dieser Typ bereits in das Gebiet der deontologischen Logik89? Fraglich ist schließlich auch, wie der Typ 4, der Fall der juristischen Argumentationen, sinnvoll einzuordnen und zu behandeln ist: [..] utrumque est faciendum, ne stipulatio committatur, id est sive alterum sive neutrum factum sit, tenebit stipulatio90 .

86

Stipulation aus Iul. Pal. 3 (D. 34,5,14,2). Prozessformel der actio certae creditae pecuniae (condictio): vgl. Gai. 4,41. 88 Anweisung aus der lex Cornelia de captivis: Gai. 1,129. 89 Vgl. Mahlmann, S. 269 f. 90 Die Meinung Julians aus D. 34,5,14,2. 87

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Kap. 3: Assertorische Logik

Der erste Teilsatz repräsentiert die Meinung Julians zur rechtlichen Bedeutung der zuvor zitierten Stipulation. Der zweite enthält eine Bedingung für diese Meinung und der Rest eine Begründung. Ist es sinnvoll, ihnen einen Wahrheitswert zuzuweisen? Die Ausführungen zur stoischen Logik erlauben eine Beantwortung dieser Fragen. Für den Typ 1 der Parteiaussagen schadet es nicht, dass eine vollständige Stipulation aus zwei Teilen besteht und ihr eigentlicher Inhalt in eine Frage gekleidet ist. Nicht die ganze Stipulation als „Sprechakt“ muss analysiert werden, sondern nur der eigentlich affirmative Satzteil, den zu versprechen der eine Vertragspartner vom anderen aufgefordert wird: Hominem aut fundum dari 〈spondes? Spondeo〉. Ebenfalls keine Rolle spielt der vermutete sakrale Ursprung der stipulatio in der sponsio91. Die vorgeschlagene Lesart kann nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil eine Stipulation eine Art Eid sei und somit kein axioma darstellen könne. „Sprechakte“ werden nur einmal vorgenommen. Die in der Frage enthaltene Aussage kann hingegen wiederholt betrachtet werden, etwa, wenn im Streitfall ihr Sinn neu interpretiert werden muss. Die manchen axiomata zugesprochene Eigenschaft, erzeugt zu werden und wieder zu vergehen, widerspiegelt sich andererseits gut in der Stipulation als nur für eine bestimmte Zeit zwischen den Beteiligten geltendes, hinreichend zu individualisierendes Rechtsgeschäft. Der Typ 2 der Prozessformeln ist eng mit dem Konditional als logischer Verknüpfung verbunden und wird in Abschnitt F noch vertieft zu betrachten sein. Da die Stoiker den Konditional zu den zusammengesetzten axiomata zählten, lassen sich seine Bestandteile nach ihrem Inhalt abstrakt wie axiomata analysieren. Der Geltungsanspruch einer Prozessformel ergibt sich aus dem institutionellen Rahmen, in dem sie auftritt. Soll sie ihre rechtliche Wirkung entfalten, muss sie erst nach den Parteien individualisiert, aufgrund des Sachverhalts konkretisiert und als Richterspruch verkündet bzw. geäußert werden. Im Unterschied zu den Typen 1 und 2 führt bei Typ 3 eine lex in der Regel auf eine universelle oder eine partikuläre Aussage. Wie Julian das Problem der Subsumtion angeht, wird sich in einigen Exegesen des Kapitels 4 zeigen. Bis dahin wird auch die noch offene Frage nach einer gesonderten Behandlung des normativen Elements und seiner Eignung zu einer Analyse durch die klassische Logik aufgeschoben. Hierzu wird ein Hilfsargument aus der Lehre zum Konditional benötigt. Auf den Typ 4 der juristischen Argumentation lässt sich die Erklärung anwenden, dass argumenta (logoi) von den Stoikern in analoger Weise wie axiomata betrachtet wurden, um ihren Wahrheitsgehalt bestimmen zu können. Tatsächlich bietet sich diese Gruppe als naheliegenden Anwendungsbereich für Techniken der Logik an, geht es hier doch um Beweis und Überzeugung. Dabei können die argumenta einen konkreten personellen und zeitlichen Bezug aufweisen, wenn sie im Rahmen eines konkreten Prozesses als Teil der Gerichtsrede eingesetzt werden. Sie können aber auch abstrakt für sich stehen, wenn sie in eine juristische Schrift Aufnahme finden. 91

Siehe dazu Buckler, S. 18 ff.

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4. Sprachgebrauch der Römer a) Literarische Quellen Cicero kann zwar nicht im eigentlichen Sinn als Logiker angesehen werden. Seine Berichte zu Fragen der Logik und zu ihren stoischen Vertretern sowie sein Bekanntheitsgrad unter den hier interessierenden römischen Juristen machen ihn aber als maßgebliche Quelle interessant. So bemerken Kneale und Kneale zu­ Cicero, dass er für sich zwar keine eigenen Leistungen in der Logik reklamieren kann, dass er aber für verschiedene technische Begriffe der Griechen lateinische Ausdrücke geschaffen habe92. Wenn dies so wäre, sollte es einfach sein, von den überlieferten Stellen der Stoiker die Brücke zum Verständnis und Sprachgebrauch der römischen Juristen zu spannen. Doch so einfach gestaltet sich die Aufgabe nicht. Seneca deutet an, wie es die Römer mit griechischen Bezeichnungen gehalten haben könnten: Sen. Tranq. 2,3: Nec enim imitari et transferre verba ad illorum formam necesse est; res ipsa de qua agitur aliquo signanda nomine est, quod appelationis Graecae vim debet habere, non faciem.

Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung sind Stellen römischer Autoren interessant, welche auf die Wahrheitsträger und die Zuordnung von Wahrheits­ werten im praktischen Diskurs eingehen. Ciceros Definition der Wahrheit passt auf eine einzige Zeile: Cic. Inv. 2,161: [..] veritas, per quam inmutata ea, quae sunt [ante] aut fuerunt aut futura sunt, dicuntur.

Die Form „dicuntur“ könnte nach Giaro andeuten, dass Cicero wie Aristoteles von einem kommunikativen Verständnis ausgeht93. Im Ausgangspunkt wohne allen Menschen ein natürliches Vermögen der Erkenntnis bei. Wahrheit könne aber dennoch nicht einfach mit Konsens gleichgesetzt werden. Vielmehr sei der Konsens eine Ursache der Wahrheit, wobei es auch auf die Personen ankomme, welche die Meinungen vertreten94. Giaro weist auf eine deutlichere Trennung zwischen Wahrheit und Konsens seit der späteren Republik und der früheren Kaiserzeit hin. Hier zeigt sich eine Verbindung zur Rhetorik, bei der es ja auch um die Beeinflussung eines Auditoriums geht. Wahrheit ist demnach, was über die Zeit als wahr angesehen wird95. Für den Sprachgebrauch um den Begriff der Aussage zeigt es sich, dass der erste Gedanke, nach Verwendungen der Wörter propositio, enuntiatio oder sententia zu 92

Kneale/Kneale, S. 177. Siehe dazu Giaro (2007), S. 105 ff. mit Verweis auf Cic. Nat. 1,44: „[..] de quo omnium natura consentit, id verum esse necesse est“. 94 Vgl. Cic. Fin. 1, 55; Off. 1,74; Nat. 3,11: opinio stultorum. 95 Vgl. Cic. Orat. 2,115. 93

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Kap. 3: Assertorische Logik

suchen, nicht direkt zum Ziel führt. Die naheliegende Bezeichnung als propositio wird bei den römischen Autoren als Vorschlag, Thema oder Beweisziel verwendet96. Als technischer Begriff der Logik festigt sich „propositio“ erst im frühen Mittelalter97. Zuweilen greifen Autoren bei unzweifelhaft logischen Anwendungen gar nicht auf eine spezielle Bezeichnung zurück, sondern behelfen sich mit Adverbialen oder Adjektiven: Cic. Inv. 2,171: Atque etiam hoc mihi videor videre, esse quasdam cum adiunctione necessitudines, quasdam simplices et absolutas. Cic. Phil. 2,32: Quid est? Num conturbo te? Non enim fortasse satis, quae diiunctius dicuntur, intellegis.

Ein konstruktiver Versuch, die griechischen lekta im Lateinischen wiederzu­ geben, findet sich bei Seneca: Sen. Ep. 117,13: Corpus est quod video, cui et oculos intendi et animum. Dico deinde: „Cato ambulat“. „Non corpus“, inquit, „est quod nunc loquor sed enuntiativum quiddam de corpore, quod alii effatum vocant, alii enuntiatum, alii dictum.

Lekta werden nach Seneca von einigen mit enuntiatum, effatum oder mit dictum wiedergegeben. Mit Diogenes Laertius’ Definition der axiomata wird in der Literatur ein weiteres Zitat von Cicero in Verbindung gebracht98: Cic. Fat. 3: Si enim aliquid in eloquendo nec verum nec falsum est, certe id verum non est; quod autem verum non est, qui potest non falsum esse? Aut, quod falsum non est, qui potest non verum esse? Tenebitur igitur id, quod a Chrysippo defenditur, omnem enuntiationem aut veram aut falsam esse [..].

Statt von axiomata spricht Cicero von enuntiationes, doch besteht bereits angesichts der Beschreibung kaum ein Zweifel, dass damit die axiomata gemeint sind. Ein allfälliger letzter Zweifel wird durch ein Zitat ausgeräumt, welches sich etwas später im Text findet: Cic. Fat. 20–21: Sed haec hactenus; alia videamus. Concludit enim Chrysippus hoc modo: „Si est motus sine causa, non omnis enuntiatio, quod ἀξίωμα dialectici appellant, aut vera aut falsa erit; causas enim efficientis quod non habebit, id nec verum nec falsum erit; omnis autem enuntiatio aut vera aut falsa est; motus ergo sine causa nullus est.

Dass Cicero an die stoische Lehre gedacht hat, belegt die explizite Nennung Chrysippus’. Interessant ist der als ausschließliche Disjunktion formulierte Zusatz in der zuerst zitierten Stelle, dass jede enuntiatio entweder wahr oder falsch sein muss, es also kein Drittes gibt. Das für die moderne Aussagenlogik fundamentale 96 Vgl. Cic. Inv. 1,59: „Cum propositio sit hoc pacto adprobata et duae partes transierint ratiocinationis [..]“). Zur propositio als Teil der Rede (Rhetorik) und insbesondere als Themastellung im Syllogismus siehe Lausberg, § 262, 371. 97 Abelard definiert die propositio als oratio verum falsumve significans (Kneale/Kneale, S. 205). 98 Vgl. Kneale/Kneale, S. 145 mit gleichzeitigem Verweis auf Sext. Emp. Pyrr. Hyp. 2,104 und Gel. 16,8.

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Prinzip der Zweiwertigkeit war in der Antike strittig, wovon das berühmte „Seeschlacht-Argument“ von Aristoteles sowie der „Meisterschluss“ von Diodorus Zeugnis ablegen. Beide verweisen letztendlich auf den Begriff der Möglichkeit aus der Modallogik. Cicero betont, dass dieses Prinzip jedenfalls von Chrysippus für richtig gehalten wurde. Die als zweite zitierte Stelle spielt auf diesen Streit an. Die im „Seeschlacht-Argument“ auftretenden grammatischen Zeiten können als Hinweis auf die Asymmetrie von Ereignissen der Vergangenheit und Zukunft gelesen werden, die sich durch das Konzept der Kontingenz kontrollieren lässt99. Die im vorigen Abschnitt als Beispiel gegebene Aussage zur amerikanischen Unabhängigkeit mit dem „Zeitstempel“ des 4. Juli 1776 ist mit dem Wissen von heute schon vor diesem Datum als wahr anzusehen. Sie bezieht sich auf ein Ereignis, das von der Vergangenheit her betrachtet in der Zukunft eintreten wird. Problematisch ist die Zuteilung des Wahrheitswerts jedoch für die Zeit vor diesem Datum, da ja die Möglichkeit bestand, dass sich dieses Ereignis nicht realisieren würde. Verschiedene römische Juristen sprachen diese Mehrdeutigkeit der grammatischen Zeiten an, am ausführlichsten tat dies Pomponius100: D. 50,16,123 (Pomponius libro 26 ad Q. Mucium): Verbum „erit“ interdum etiam praeteritum nec solum futurum tempus demonstrat [..].

Daraus zu schließen, dass für die römischen Juristen die Wahrheit in der Zeit veränderlich war, wäre jedoch voreilig. Es konnte ihnen auch nur um die korrekte Auslegung von Aussagen vor dem Hintergrund des Sprachgebrauchs gegangen sein. Als historisches Futur diente die Zukunftsform auch als Tempus der Voraussage eines zukünftigen Ereignisses von einem Standpunkt der Vergangenheit aus101. Umgekehrt konnte die Gegenwartsform als praesens pro futuro zum Ausdruck zukünftiger Vorgänge benutzt werden, um, besonders im umgangssprachlichen Gebrauch oder in Dialogen, auf ein Ereignis in unmittelbarer Zukunft zu verweisen102. Boethius verwendet in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Lehre vom Satz für λόγος das lateinische Wort „oratio“103. Der logos stand wie schon erwähnt für die Rede als Sprechakt mit Bedeutung. Damit steht oratio als allgemeiner Oberbegriff an der Spitze der hier betrachteten Begriffspyramide. Davon abgeleitet und in einem technischen Sinn bezeichnet oratio in der Rhetorik die „Gesamtrede“ als das mit den Hilfsmitteln der ars rhetorica „hergestellte“ Werk des Redners104. 99

Shain, S. 129. Siehe auch Paul. D. 50,16,8 und Iav. D. 50,16,217. 101 Hofmann, § 174 (Futur der „erlebten Rede“). 102 Hofmann, § 172. 103 Boet. In Lib. de Int. Ed. Sec. i. 407b; vgl. Kneale/Kneale, S. 194. 104 Quint. 2,14,5; siehe Lausberg § 1155. Allgemein als Rede: Lausberg § 32; je nach Phase der Rede mit unterschiedlicher Zielrichtung: § 256; elocutio als sprachliche Einkleidung eines Gedankens: § 454. Quintilians Feststellung, dass jede Rede aus Gegenstand und sprachlichen Ausdrucksmitteln besteht (Quint. 8 pr. 6), könnte als Widerspiegelung der stoische Unterscheidung zwischen „Dingen mit Bedeutung“ (λεκτά) und „Dingen, die bedeuten“ (λόγος) gelesen werden. 100

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Kap. 3: Assertorische Logik

Selbst innerhalb der Rhetorik kann oratio aber auch in einem allgemeinen, untechnischen Sinn eingesetzt werden: Cic. Inv. 1,57: Ratiocinatio est oratio ex ipsa re probabile aliquid eliciens, quod expositum et per se cognitum sua se vi et ratione confirmet105 .

Die ratiocinatio ist kein Sprechakt, sondern ein vernunftgeleiteter Gedankengang, welcher allerdings an gegebener Stelle der Rede in Worte gekleidet werden muss106, um seine Wirkung auf die Zuhörer zu entfalten. Demnach kann hier „oratio“ mit „einer Art Rede“, „Redeweise“ oder allenfalls auch mit „Äußerung“ übersetzt werden. In diesem Zitat verwischt sich die Grenze zwischen der Trennung zwischen körperlicher Rede und unkörperlicher Ideenwelt, eine konzeptionelle Grenze, welche wie zuvor angedeutet107 möglicherweise schon bei den Stoikern nicht so scharf gezogen war, wie es den Anschein macht. Weniger einschneidend kann das Zitat auch als Beleg für den in der Antike allgemein ungenauen Umgang mit Fachtermini und für ihren Bedeutungswandel gelesen werden108. Trotz dieser Bedeutungswandel und dieser Unschärfe zeigt sich eine Kontinuität der Fragestellungen und Konzepte von den griechischen Ursprüngen zu den römischen Quellen. Fraglich bleibt, ob die Römer alle Differenzierungen der Stoiker erkannt und weitergezogen haben. Vom philosophisch interessierten Cicero könnte dies noch am ehesten erwartet werden. Bei anderen, eher pragmatisch orientierten Zeit­genossen sind Vereinfachungen nicht auszuschließen109. b) Sprachgebrauch und Einsatz bei Julian Abschließend gilt es zu untersuchen, wie sich die stoische Lehre durch den Filter der römischen Kultur und Bildung auf Julians Denken ausgewirkt haben könnte. Es besteht zweifellos die Gefahr, beim Versuch, diese Frage zu beantworten, ins Spekulative abzugleiten. Diese Gefahr besteht selbst, wenn man sich ausschließlich an die vorhandenen antiken Quellen hält. Um zu wirklich sicheren Ergebnissen zu gelangen, hat sich Nörr deshalb bei seiner im Ansatz ähnlich gelagerten Untersuchung zum Einfluss Ciceros auf die römischen Juristen auf Stellen mit expliziter Nennung des großen Mannes konzentriert110. Er erkannte aber gleichwohl, dass sich eine bewusste oder gar unbewusste Beeinflussung auch nur 105 Ratiocinatio ist die Grundlage für das argumentum, welches zu den Beweisen gezählt wurde (siehe Lausberg § 366, 367). Die argumentatio stellt nach exordium, narratio und vor der peroratio den dritten Schritt in der inventio als dem ersten von fünf Teilgebieten der Rhetorik dar. 106 Siehe Cic. Orat. 1,31: „Quid enim est [..] tam iucundum cognitu atque auditu, quam sapientibus sententiis gravibusque verbis ornata oratio et polita?“; Cic. Orat.1,142: „vestire atque ornare oratione“. 107 Siehe vorne, Kap. 3 B. 2. b). 108 Vgl. Fögen, S. 44 f. 109 Vgl. die analoge Diskussion in Kapitel 5. 110 Nörr (1978b), S. 113.

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rein inhaltlich manifestiert haben, ja, dass dies gerade als Zeichen einer besonders intensiven Wirkung gewertet werden könnte. Aus der Liste der von ihm untersuchten Stellen sind hier deren drei besonders aufschlussreich111. Sowohl Celsus in D. 50,16,96 als auch Ulpian in D. 42,4,7,4 berufen sich zur Definition eines juristischen Fachbegriffs mangels passender juristischer Belege auf Cicero. Celsus, so vermutete Nörr, zog es vor, sich für eine Definition von „litus“ beim „neutralen“ Cicero zu orientieren, um sich nicht an die Definition der Sabinianer als einzig bekannter halten zu müssen112. Angesichts der Abweichungen im Wortlaut scheine Celsus nicht direkt auf eine Abschrift der Topik113 des Cicero zurückgegriffen zu haben, sondern habe die wohl allgemein im Schulunterricht besprochene Definition nur vom Hörensagen gekannt114. Andererseits dürfte sich Tryphonin in D. 48,19,39 unmittelbar des Textes der ebenfalls im Schulunterricht behandelten Rede Ciceros für Cluentius bedient haben, stimmt doch seine Beschreibung des Sachverhalts beinahe vollständig mit jener bei Cicero überein115. Tryphonin habe eine gegenüber der Abtreibung ablehnende Autorität gesucht, die sich in der zeitgenössischen juristischen Literatur offenbar nicht finden ließ, bevor – vielleicht unter Mitarbeit Tryphonins – unter den Severer-Kaisern entsprechende strafrechtliche Verbote ergingen116. Sehr schön lässt sich das Gesagte auch bei einer Stelle aus Julians liber ad Urseium ferocem illustrieren. In Iul. Pal. 886 benutzt er zur Berechnung möglicher Erbteile die „Tatsache“, dass eine Frau bei derselben Geburt maximal fünf Kinder zur Welt bringen könne117. Als Beleg nennt er explizit Aristoteles und einen Fall, der sich in Ägypten zugetragen haben soll118. Aus diesen Bemerkungen lässt sich für die Untersuchung zur Methode Julians zweierlei gewinnen: Erstens scheinen sich die römischen Juristen insbesondere dann nichtjuristischer Schriften bedient zu haben, wenn sie die nötigen Argumente bei ihren Fachkollegen nicht finden konnten. Wie oft dies tatsächlich geschah, kann hier nicht weiter vertieft werden119. Zweitens spielte ihre – im Einzelnen allerdings nicht feststellbare120 – Schulbildung eine gewisse Rolle. In den genannten Fällen 111 Nur 7 Digestenstellen enthalten einen expliziten Bezug auf Cicero oder M. Tullius: Pomp. D. 1,2,2,40, 43 und 46 aus dem Enchiridium, Ulp. D. 42,4,7,4, Pap. D. 48,4,8, Tryph. D. 48,19,39 und Cels. D. 50,16,96. 112 Nörr (1978b), S. 130. Vgl. Iav. D. 50,16,112. 113 Die einschlägige Stelle ist Cic. Top. 7,32. 114 Nörr (1978b), S. 129 f. 115 Siehe Cic. Clu. 11,32. 116 Nörr (1978b), S. 124 ff.; vgl. auch Ulp. D. 48,8,8. 117 D. 46.3.36 (Iul. libro 1 ad Urseium Ferocem): „[..] Iulianus notat: verius est me eam partem perdidisse, pro qua heres fuissem, antequam certum fuisset neminem nasci, aut quartam partem, quia tres nasci potuerunt, aut sextam, quia quinque: nam et Aristoteles scripsit quinque nasci posse, quia vulvae mulierum totidem receptacula habere possunt: et esse mulierem Romae Alexandrinam ab Aegypto, quae quinque simul peperit et tum habebat incolumes, et hoc et in Aegypto adfirmatum est mihi“. 118 Einziges Aristoteles-Zitat in den Digesten; vgl. Scarano-Ussani, S. 46 (Fn. 131), Reggi, S. 114 ff. 119 Nörr (1978b), S. 146 f. nennt als weitere literarische Quellen Homer, Vergil und X ­ enophon. 120 Nörr (1978b), S. 145.

100

Kap. 3: Assertorische Logik

mussten die Juristen nicht weit suchen, um zu ihren Argumenten zu gelangen. Wie weit und in welche Fachdisziplinen sich ihr Interesse darüber hinaus erstreckte, bleibt a priori fraglich. Bei der Frage nach Julians Kenntnissen der Logik und seinen Vorlagen muss man ohne explizite Zitate auskommen. Gewiss hätte ihm Cicero als gewissermaßen literarischer Zugang zur stoischen Logik dienen können121, denkbar sind jedoch auch einschlägige Lehrbücher oder Vorträge. Selbst wenn sich wie bei der im liber singularis ersichtlichen Klassifikation der ambiguitas Parallelen zu einem erhaltenen Werk wie Galens „De captionibus“ abzeichnen, ist ein Einfluss nicht leicht zu belegen122. Immer denkbar ist eine gemeinsame, nicht bekannte frühere Quelle. Ergiebiger scheint hingegen ein Fall wie D. 34,5,14 pr., bei dem Julian, um den Fehlschluss der Division zu illustrieren, im Sachverhalt ähnliche Zahlen verwendet, wie sie sich in Aristoteles’ Erläuterung zu demselben Typ des Fehlschlusses finden123. Hier drängt sich rein inhaltlich eine bewusste Beeinflussung zumindest durch eine spätere, die aristotelischen Ideen aufnehmende Fachschrift auf. Ohnehin belegt das liber singularis bereits ein gewisses Interesse Julians an logischen Fragestellungen. Das Fehlen von Quellenangaben muss nicht überraschen, gerade wenn es um Inhalte geht, die entweder in der schulischen Ausbildung erworben wurden oder die in Fachkreisen als wohlbekannt galten. Selbst die Juristen haben sich gegenseitig nicht immer zitiert124. Umgekehrt könnte eine explizite Nennung eines Mannes wie Cicero mehr als „Ornament“ denn als Hinweis auf die ursprüngliche Herkunft des Gedankens gesehen werden125. Zumindest eine Vertrautheit mit dem grundlegenden rhetorischen Vokabular kann bei Julian wie eben für Celsus angemerkt vorausgesetzt werden126. Konkret interessiert die Frage nach dem Verständnis Julians für die axiomata als Wahrheitsträger und Gegenstand der logischen Analyse. Die Untersuchung dieser Frage, die aus genannten Gründen vorwiegend anhand inhaltlicher Vergleiche vorgenommen werden muss, beginnt an der Spitze der Begriffspyramide beim Wort „oratio“. Julian verwendet „oratio“ in seinen Schriften nur selten. Wenn er zu diesem Wort greift, setzt auch er es offenbar nicht in seinem aus der Rhetorik bekannten technischen Sinn ein. Zunächst erscheint „oratio“ in seinem liber singularis in einem Abschnitt, der sich als eine Art „logischer Exkurs“ zu gegensätzlichen Aussagen beschreiben lässt:

121

Sextus Empiricus dürfte aufgrund von Diog. Laert. 9,116 nicht in Frage kommen. Nach diesem Bericht seien seine Werke erst um 180–200 n. Chr. entstanden. 122 Siehe Winkler, S. 230. Aufgrund der biographischen Daten Julians und Galens wäre ein Einfluss möglich, allerdings ist das entsprechende Zeitfenster sehr eng. 123 Arist. Soph. El. IV 166a 33–34 (vgl. Edlow, S. 25). 124 Vgl. Ulp. D. 50,16,177 mit Iul. Pal. 722 (D. 50,17,65) zur Definition von σόφισμα. 125 Nörr (1978b), S. 148. 126 Nach Stroux, S. 102 hatte die Rhetorik als Teil der jugendlichen Schulbildung die zukünftigen Juristen „in der Zucht gehabt“.

B. Grundlagen (erster Teil) 

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Iul. Pal. 3 (D. 34,5,13(14),3 – Iulianus libro singulari de ambiguitate) [..] Nam simul ea possunt esse vera, quamvis inter se contraria sunt, quia cum significatio non ex universo, sed ex aliquo sumitur, si veri aliquid inde sit, veram efficit totam orationem: sicut e contrario duae orationes pugnantia continentes simul falsae sunt, veluti si qui liberorum partim puberes, partim impuberes decesserint: nam et hoc falsum erit omnes impuberes decessisse et illud omnes puberes decessisse. Id accidit, quia significatio sumitur ex universo, in quo si aliquid falsum est, totam orationem falsam efficit [..].

[..] Denn diese können zugleich wahr sein, obwohl sie sich widersprechen, weil wenn als Bedeutung nicht eine allgemeine, sondern eine bestimmte gewählt wird, wenn etwas von dort wahr ist, wird die ganze Aussage wahr: Gleichwie im Gegensatz dazu zwei Aussagen, die einen Widerspruch enthalten, zugleich falsch sind, wie zum Beispiel, wenn von Kindern einige mündig, einige unmündig sterben. Denn es ist sowohl falsch, dass alle unmündig gestorben sind als auch, dass alle mündig gestorben sind. Dies folgt, weil eine allgemeine Bedeutung gewählt wird, sodass, wenn etwas falsch ist, die ganze Aussage falsch wird [..].

Der hier wiedergegebene Ausschnitt stammt aus dem § 3 des Fr. 13(14) von D. 34,5, der seinerseits zusammen mit den §§ 4 und 5 einen theoretischen Einschub zwischen den dem Vertragsrecht gewidmeten § 2 und dem erbrechtlichen § 6 darstellt. Zunächst spricht Julian davon, dass unter bestimmten, noch zu betrachtenden Bedingungen, die „ganze Rede“ wahr oder falsch werden kann: totam orationem veram vel falsam efficit. Das Objekt, auf das sich oratio bezieht, kommt somit als Wahrheitsträger in Betracht. Sein Wahrheitswert hängt dabei von einem vorgegebenen „etwas“ (aliquid, ea)  ab. Für De Ligt beziehen sich ea auf zwei zu Beginn des § 3 genannte Formulierungen, in denen er „compact versions“ von Stipulationen sieht127: Ibidem Utrum ita concipias stipulationem „si illud aut illud factum non erit“ an hoc modo „si quid eorum factum non erit, quae ut fierent comprehensa sunt“, hoc interest, quod quamvis altero facto verum sit hoc aut illud vere factum esse, non ideo tamen verum erit hoc aut illud factum non esse [..].

Ob du eine Vereinbarung so formulierst: „wenn dieses oder jenes nicht gemacht wird“ oder auf diese Weise: „wenn etwas davon nicht geschieht, wovon ausgemacht war, dass es geschehen solle“, spielt eine Rolle, weil wenn einer der beiden Gegenstände wahr sei, dieser oder jeder wahrhaftig Tatsache ist, folgt [daraus] dennoch nicht, dass dieses oder jenes nicht zutrifft [..].

Denkbar und wahrscheinlicher ist es, dass sich ea vielmehr auf die Variablen „­illud“ beziehen, die ihrerseits ganze Ausdrücke oder Aussagen wie „hominem dari“ oder „fundum dari“ aufnehmen können128. In jedem Fall zeigt sich, dass diese „einfachen“ Formulierungen für Julian wahr oder falsch sein konnten. Aus 127

De Ligt, S. 57. Winkler, S. 224. Zur Bezeichnung von Variablen bei den Stoikern siehe Kneale/Kneale, S. 160. 128

102

Kap. 3: Assertorische Logik

einzelnen solcher einfachen Formulierungen lassen sich durch logische Verknüpfungen oder Aneinanderreihen zusammengesetzte Formulierungen konstruieren, die ihrerseits wahr oder falsch sein können. An ein Zwischenergebnis dieser Art wird Julian gedacht haben, wenn er schreibt, dass veram efficit totam orationem. Denn dass er mit „oratio“ kaum eine Rede als Ganzes gemeint haben wird, zeigt schon die Verwendung des Plurals, wenn er von sich widersprechenden orationes spricht: veluti si qui liberorum partim puberes, partim impuberes decesserint. Wie sich zwei orationes widersprechen können, stellt er in der Folge im „logischen Quadrat“ dar, welches aus Aristoteles’ Lehre vom Satz und Erster Analytik bekannt ist129. Die Ecken des Quadrats nehmen nicht einzelne Begriffe (i. S. v. unvollständiger lekta wie Subjekte und Prädikate), sondern vollständige Ausdrücke, die je nach Stellung wahr oder falsch sind, auf. Sowohl die Wortwahl als auch die Konstruktion des Beispiels mit seinen Erläuterungen legen den Schluss nahe, dass Julian in dieser Stelle unter „oratio“ tatsächlich etwas wie Aussagen im Sinn der assertorischen Logik verstanden hat, ohne jedoch präzise zwischen Aussagen und ihrer Äußerung zu unterscheiden. Diese Auffassung träte noch deutlicher hervor, hätte Julian wie Seneca von dicta gesprochen. Die allenfalls etwas irritierende Wortwahl selbst mag aber durch den in der Stelle angelegten Zusammenhang mit den Stipulationen als „Sprechakten“ inspiriert worden sein. Trotz der weitgehend technischen Natur dieses Textes, welche die spezielle Stellung des liber singularis in Julians Werk als seltenes Beispiel einer Reflexion über sein Denken unterstreicht, dürfte dort sein hauptsächliches Interesse zu sehen sein, sodass die materielle Existenz von Aussagen für ihn unproblematisch blieb und vorausgesetzt werden konnte. Ganz in diesem Sinn hatte schon Proculus das Wort „oratio“ eingesetzt130. Als Ergebnis dieser vergleichenden Betrachtungen ergibt sich folgendes Bild: Mit seinem originellen Beispiel belegt der „logische Exkurs“ aus Iul. Pal. 3, dass Julian mit den theoretischen Grundlagen der Logik soweit vertraut war, dass er aktiv mit ihnen arbeiten konnte. Die konkreten Anwendungen auf die Auslegung von Stipulationen und Testamenten zeigt seine praktische Zielrichtung auf. Dies setzt das liber singularis gerade von Ciceros Texten ab, die klar theoretischer oder gar anektotischer Natur blieben. In dieser Richtung weitergedacht, sind mit Blick auf die Typen 1 und 2 die (einzigen) zwei Stellen aufschlussreich, die sich außerhalb des liber singularis finden lassen, in denen Julian das Wort „oratio“ verwendet. In Iul. Pal. 470 bezeichnet es die (schriftliche) Formulierung einer Bedingung131, in Iul. Pal. 683 den Wortlaut einer Klage oder Einrede132. Alle drei Stellen zu­sammen 129

Siehe vorne, Kapitel 3 B. 2. D. 50,16,124 (Proc. libro 2 ep.): „Haec verba ‚ille aut ille‘ non solum disiunctiva, set etiam subdisiunctivae orationis sunt“. 131 Iul. Pal. 470 (D.30,6 – Iul. 33 dig.): „‚Stichum, qui meus erit cum moriar, heres meus dato‘: magis condicionem legato iniecisse quam demonstrare voluisse patrem familias apparet eo quod, si demonstrandi causa haec oratio poneretur, ita concepta esset ‚Stichus qui meus est‘, non ‚qui meus erit‘“. 132 Iul. Pal. 683 (D. 34,5,12 – Iul. 50 dig.): „Quotiens in actionibus aut in exceptionibus ambi­ gua oratio est, commodissimum est id accipi, quo res de qua agitur magis valeat quam pereat“. 130

B. Grundlagen (erster Teil) 

103

sprechen dafür, dass für Julian Formulierungen mit juristischem Gehalt mit den Instrumenten der Logik analysiert werden konnten. Insgesamt erweist sich damit sowohl der stoische Begriff der axiomata wie auch der römische Sprachgebrauch als hinreichend flexibel und pragmatisch, um die vorgeschlagene Untersuchung als theoretisch sinnvoll erscheinen zu lassen. 5. Logische Verknüpfungen a) Einführende Bemerkungen Bilden Wahrheitsbegriff und Wahrheitsträger die Grundlage der Aussagen­ logik, so darf das Studium der logischen Verknüpfungen als ihr eigentlicher, wesentlicher Kern gelten, weshalb sie zuweilen auch als Satz- oder Junktorenlogik bezeichnet wird133. Neben dem schon angesprochenen Grundsatz der Zweiwertigkeit134 gibt es in der Aussagenlogik mit dem Extensionalitätsprinzip einen zweiten, konstruktiven Grundsatz. Dieses Prinzip besagt, dass sich der Wahrheitsgehalt einer verknüpften Aussage aus den Wahrheitsgehalten ihrer einzelnen Komponenten ableiten lässt135. Modern gesprochen wird dazu einer geordneten Menge (x1,.., xn) von n Wahrheitswerten ein neuer Wahrheitswert z zugeordnet. Die Verknüpfungen der Aussagenlogik sind die Negation (¬), die Konjunktion („und“: ∧) sowie die Disjunktion („oder“: ∨). Auf den Konditional (→) wird seiner großen Bedeutung wegen später gesondert eingegangen. Logische Verknüpfungen lassen sich in der Form von Wahrheitstabellen übersichtlich darstellen136. Dabei steht die Zahl 1 für den Wahrheitswert „wahr“ und die Zahl 0 für den Wahrheitswert „falsch“. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Logik selbst keinerlei Präferenz für einen der beiden Wahrheitswerte hat, mit denen im formalen Kalkül gleichberechtigt gerechnet werden kann. Eine Präferenz für den Wert „1“ ergibt sich erst aus einem zusätzlich unterstellten Zweck der Suche nach „Wahrheiten“ oder „wahren“ Sätzen im Rahmen einer Wissenschaft. Dieser Umstand ist zu beachten, wenn das aussagenlogische Modell Pate für den binären Code des Rechtssystems stehen und das Begriffspaar „wahr“ und „falsch“ mit „recht“ und „unrecht“ ersetzt werden soll. Mit den Variablen A und B, die als Platzhalter für konkrete Aussagen dienen137, ergibt sich folgendes Bild138: 133

Hoyningen-Huene, S. 41. Siehe dazu vorne, Kap. 3 A. 135 Hoyningen-Huene, S. 38. 136 Wie erstmals um 1921 von Ludwig Wittgenstein (1889–1951) vorgeschlagen. 137 Nach Apul. Phil. rat. 279 setzten die Stoiker als Variablen Zahlen ein: „Stoici porro pro litteris numeros usurpant“. Aristoteles arbeitete hingegen mit Buchstaben; vgl. Kneale/ Kneale, S. 160. 138 Die Anzahl Zeilen der Tabelle ergibt sich aus der Anzahl Variablen. Für die beiden Variablen A und B ergibt dies 4 = 22 , für n Variablen wären es 2 n. Die Verknüpfung ∧ ordnet somit einem Paar von geordneten Wahrheitswerten (x1, x2) einen neuen Wahrheitswert z zu. 134

104

Kap. 3: Assertorische Logik

A

B

¬A

A∧B

A∨B

1

1

0

1

1

1

0

0

0

1

0

1

1

0

1

0

0

1

0

0

So hilfreich diese Darstellung für ein schnelles, erstes Verständnis sein kann, verdeckt sie doch einen für die Diskussion wichtigen Umstand. Sie suggeriert, dass die logischen Verknüpfungen durch Wahrheitstabellen definiert und eindeutig festgelegt werden. Das ist nur aus einer streng formalen, mathematischen Sicht richtig. Wer jedoch ganz allgemein aus Aussagen durch Verknüpfung neue Aussagen konstruieren und ihren Wahrheitsgehalt aufgrund des Extensionalitätsprinzips feststellen will, erkennt, dass durch die formale Darstellung etwas verlorengegangen ist. Dies macht man sich leicht an einem einfachen Beispiel klar139. Sei A eine beliebige Aussage. Sei B die Aussage „es ist wahr, dass A gilt“. Dann führt jede Verknüpfung von A und B auf dieselben Wahrheitstabellen, denn B ist genau dann wahr, wenn auch A wahr ist. Die Abbildung in der Wahrheitstabelle lässt dabei die ursprünglichen Unterschiede in der Struktur der Aussagen verschwinden, die dennoch je nach Untersuchung von Interesse sein können. Die Abbildung von logischen Verknüpfungen in Wahrheitstabellen stellt möglicherweise nur den Schattenriss einer größeren Sache dar. Dies trifft inbesondere für den Konditional zu, wie sich bei der Behandlung der antiken Diskussion seiner Natur noch zeigen wird, geht doch in der Wahrheitstabelle ein allfälliger zeitlicher oder kausaler Zusammenhang zwischen Prämisse und Konklusion verloren140. b) Die Verknüpfungen in der stoischen Logik Eingehend beschäftigten sich die Stoiker mit den eben eingeführten logischen Verknüpfungen. Wollten sie ein axioma verneinen, stellten sie ihm einfach das Partikel οὐχί voran141. So kann „(οὐχί) ἡμέρα ἔστιν“ mit „es ist (nicht) Tag“ übertragen werden. Dies erinnert an den Operator ¬ der formalen Logik, doch ist diese Analogie nicht ganz zutreffend. Denn die Stoiker haben negative axiomata nicht zu den nicht-einfachen, sondern zu den einfachen gezählt142. Opera 139

Siehe Hoyningen-Huene, S. 56 f. Als weiteres Beispiel sei das Formkalkül von Spencer-Brown erwähnt. Dort geht die aussagenlogisch als Negation interpretierte „Markierung“ einer Variablen durch einen Beobachter über die bloße Zweiwertigkeit hinaus. In diesem Kalkül hat eine „Form“ zwei Seiten und vier Werte (vgl. Baecker, S. 29). 141 Kneale/Kneale, S. 147. 142 Kneale/Kneale, S. 160. 140

105

C. Auswahl der Stellen 

toren ver­knüpfen aber einfache Aussagen zu zusammengesetzten. Ein Satz wie „voluptas non est bonum“ wurde von den Stoikern als affirmativ klassifiziert – im Gegensatz zur Klassifikation im logischen Quadrat bei Aristoteles. Die stoische Konjunktion καί entspricht dem formalen Operator ∧ und erfordert keine weitere Diskussion143. Spannender wird es bei der Disunktion. Für die Disjunktion ἤτοι diskutierten die Stoiker drei Varianten, die sich in moderner Tabellenform wie folgt darstellen und vergleichen lassen144: A

B

A 〉--〈 B

A∨B

A/B

1

1

0

1

0

1

0

1

1

1

0

1

1

1

1

0

0

0

0

1

Die Bedeutung der Disjunktion erweist sich damit in der antiken Logik als mehrdeutig. Die Entscheidung, welche Variante im konkreten Fall zur Anwendung kommen soll, muss sich jeweils aus dem Zusammenhang ergeben. Folgt man einem Bericht von Sextus Empiricus, soll Chrysippus die ausschließliche Disjunktion 〉--〈 bevorzugt haben145. Als Beleg dafür, dass diese Diskussion auch den römischen Juristen bekannt war, findet sich eine ausführliche, mit anschaulichen Beispielen illustrierte Darstellung der drei Varianten bei Proculus in D. 50,16,124146. Die Unterscheidung zwischen den Varianten aut = ∨ und aut = 〉--〈 spielt auch in Julians liber singularis bei D. 34,5,14,2–6 eine entscheidende Rolle. Die Exegesen dieses Kapitels werden zeigen, welche Rolle dieser Unterscheidung durch Julian außerhalb des liber singularis in praktischen Rechtsfällen zukommt.

C. Auswahl der Stellen Für die Suche nach Belegstellen zur Rolle und zum Einsatz der Logik in Julians Digesten bieten sich ein inhaltlicher und ein sprachlicher Zugang an, um passende Auswahlkriterien zu identifizieren. Sprachlich fallen testamentarische Verfügungen aus dem Erbrecht unter den Typ 1 von Äußerungen der Beteiligten. Sie gestatten es, auf der einen Seite die begünstigten Personen und auf der anderen Seite die Gegenstände, über die der Erblasser verfügen will, miteinander zu ver-

143

Kneale/Kneale, S. 160: „Of conjunction the Stoics had not much to say“. Kneale/Kneale, S. 160; vgl. Miquel, S. 94 ff. 145 Sext. Emp.Math. 8,124. Die Behauptung findet sich auch bei Galen in seiner „Institutio logica“; vgl. die diesbezüglichen Bemerkungen von Kneale/Kneale, S. 160 f., die einen Bezug zum Prinzip der Bivalenz herstellen, und Bochenski, S. 90 f. 146 Vgl. Miquel, S. 90 ff. mit weiteren Hinweisen. 144

106

Kap. 3: Assertorische Logik

knüpfen147. In der Rechtsanwendung wird jeweils zu fragen sein, ob die Zuordnungen zwischen Sachen und Begünstigten eindeutig aus den Anordnungen des Erblassers hervorgehen oder ob eine Auslegung notwendig ist. Auch wenn die Juristen seit der jüngeren Republik dem subjektiven Erblasserwillen größeres Gewicht zumaßen, gingen sie bei ihrer Auslegung doch zunächst von einem typisierten Erklärungsinhalt aus148. Dieser musste verständlich und rational zugänglich sein149. Bediente sich der Erblasser logischer Verknüpfungen, blieb kein Raum für einen individuell gefärbten Sprachgebrauch150. Als Konsequenz müsste sich die gesuchte Lösung direkt aus den Regeln der Logik ergeben. Dieses einfache Rezept hilft aber möglicherweise nicht weiter, sollte nicht klar sein, welche der drei Varianten der Disjunktion der Erblasser im Kopf hatte. Die Schlüsselwörter der logischen Verknüpfungen Disjunktion und Konjunktion finden sich zahlreich in Julians Digesten: aut in 81, vel in 103, et in 394 und das verwandte cum in 199 der Textfragmente der Palingenesia. Nicht alle zeigen jedoch einen expliziten oder maßgeblich interessanten Bezug zu logischen Fragen151. Das Wort vel tritt häufig einfach in Aufzählungen verschiedener Gegenstände auf152. Das Wort aut markiert in den meisten Fällen eine unproblematische Alternative zwischen zwei Gegenständen oder Handlungen153. Die Abschnitte B, C und D treffen eine enge Auswahl pro­ blematischer Stellen aus diesen Listen154, deren Lösungen anhand illustrierender Exegesen untersucht werden.

147 Diese Ausgangslage verdeutlicht sehr schön die Konstitution C. 6,38,4: „Cum quidam sic vel institutionem vel legatum vel fideicommissum vel libertatem vel tutelam scripsisset: ‚ille vel ille heres mihi esto‘ vel ‚illi aut illi do lego‘ vel ‚dari volo‘ vel ‚illum aut illum liberum‘ vel ‚tutorem esse volo‘ vel ‚iubeo‘, dubitabitur [..]“. Siehe dazu die Besprechung bei Miquel, S. 99 f. 148 Kaser (1971), S. 235, 239. 149 Voci, Bd. II, S. 849 mit Verweis u. a. auf Q.-Scaev. D. 50,17,73,3: „Quae in testamento ita sunt scripta, ut intellegi non possint, perinde sunt, ac si scripta non essententiarum“ und Cel. D. 50,17,188 pr.: „Ubi pugnantia inter se in testamento iuberentur, neutrum ratum est“. 150 Voci, Bd. II, S. 849: Dabei ist „nessuna concessione a un eventuale linguaggio individuale“ zu machen. 151 So sind vorliegend alle Stellen, bei denen et als „auch“ zu lesen ist, unbeachtlich. 152 So in Iul. Pal. 5 (D. 1,18,8). Der unterschiedliche Einsatz von vel und aut wird z. Bsp. in Iul. Pal. 10 (D. 5,1,25) gut illustriert: „Si legationis tempore quis servum vel aliam rem emerit aut ex alia causa possidere coeperit [..]“. Vel verknüpft hier Gegenstände während aut zwei Handlungsalternativen unterscheidet. Auf weiterführende stilistische Untersuchungen wird hier verzichtet. 153 Von den 81 Stellen mit vorkommendem „aut“ lassen sich 28 dem Erbrecht und 19 dem Schuldrecht zuordnen. Unproblematische Alternativen finden sich etwa im in Kapitel 4 besprochenen Iul. Pal. 150.0 (D. 12,1,19 pr.) oder in Iul. Pal. 162.3 (D. 12,6,32,3), wo zwei Alternativen mit gleichwertiger Rechtsfolge („simile est“) verglichen werden. Iul. Pal. 721 (D. 46,4,17) wird in Kapitel 5 besprochen. 154 Die Details finden sich im Anhang A. II.

107

D. Echte und unechte Alternativen 

D. Echte und unechte Alternativen Die Exegesen beginnen mit einer Reihe von Stellen, bei denen explizite Anleihen an logische Instrumente erkennbar sind. Das Prüfprogramm erweist sich in diesem Kapitel als recht einfach und direkt. Aus den ausgewählten Stellen werden Aussagen formalisiert und nach den Wahrheitstabellen, welche die anwendbaren logischen Verknüpfungen definieren, verknüpft. Das Resultat kann in einen Vorschlag für die gesuchte Lösung der Rechts- oder Tatfrage zurück übersetzt werden. Der so gefundene Vorschlag wird anschließend mit der von Julian vorgebrachten Lösung verglichen. Allfälligen Abweichungen muss individuell nachgegangen werden. Die erste Gruppe von Exegesen betrachtet Fälle, bei denen Julian Probleme auf der Seite der Leistungsempfänger erörtert. 1. Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10 – Iul. 52 dig.)

155

Sed et si155 ita stipuletur: „Titio decem aut Maevio fundum dare spondes?“, quia incertum est, utri eorum adquisierit actionem, idcirco inutilis stipulatio existimanda est.

Falls aber auch so stipuliert würde: „Versprichst Du dem Titius zehn oder dem Maevius das Grundstück zu geben?“, ist die Stipulation deshalb als ungültig anzusehen, weil nicht klar ist, welcher von beiden eine Klage haben würde.

a) Zu casus und quaestio Diese erste Stelle ist dem Titel „de stipulatione servorum“ des 52. Buches von Julians Digesten entnommen. Jemand verspricht, Titius zehn oder Maevius ein Grundstück zu übereignen. Julian hält eine solche Stipulation für ungültig, da nicht klar ist, welche der beiden genannten Personen als Vertragsgegner auf Erfüllung klagen könnte. Offenbar soll hier die Übereignung eines Grundstückes durch eine Vertragsstrafe abgesichert werden. Problematisch wird die Formulierung der Stipulation dadurch, dass als Empfänger der beiden alternativ geschuldeten Leistungen zwei verschiedene Personen genannt werden. Über das Verhältnis zwischen Titius und Maevius wird in der Stelle selbst nichts gesagt. Die Annahme einer solutionis causa adiectus will nicht recht zu Julians Schlussfolgerung passen, kann doch der

155 Hier wird „et“ nicht als logische Verknüpfung verwendet, sondern schließt die behandelte Stelle an den vorangehenden Text an. Es handelt sich um eine rhetorische Verknüpfung. „Si“ markiert hier das Grundmuster einer sich an eine Tatbestandsvoraussetzung anschließenden Rechtsfolge (siehe Kapitel 5).

108

Kap. 3: Assertorische Logik

adiectus nicht selbst auf Leistung klagen, sodass sich das hier diskutierte Problem gar nicht erst stellte156. Der Sachverhalt scheint nicht vollständig zu sein. Tatsächlich stellt Lenel in seiner Rekonstruktion der zitierten Stelle innerhalb des Fragments Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) eine Entscheidung von Venoninus voran, die zeigt, dass es sich bei dem die Stipulationsformel Sprechenden um einen gemeinsamen Sklaven von Titius und Maevius handeln muss157. Die Situation eines gemein­ samen Sklaven, der etwas an den einen oder anderen seiner Herren versprechen lässt, findet sich auch bei Ulpian in D. 45,3,9. Bei den in D. 45,3,9 pr. beschriebenen Sonderfällen entscheidet Ulpian differenziert für die Gültigkeit der Stipulation, weil aus dem Zusammenhang bestimmt werden kann, an welchen der beiden Herren gültig geleistet werden kann. Geht die Stipulation auf einen Sklaven, der bereits dem einen Herrn gehört, kann er dem anderen vollständig übereignet werden158. Demgegenüber schließt sich Ulpian bei der Formulierung „stipulatus fuerit illi aut illi dominis suis“ der Meinung von Cassius und Julian an, wonach eine solche Stipulation grundsätzlich ungültig sei159. Für das vorliegende Fragment ist mangels weiterer, differenzierender Umstände wie bei Venoninus von einem gemeinschaftlichen Sklaven des Titius und Maevius auszugehen. b) Beitrag der Logik Eine „kasuistische“ Untersuchung, wie sich logische Verknüpfungen in den Spruchformeln einer Stipulation auswirken, liegt aus praktischen Gründen nahe. Sowohl die Leistungsempfänger wie die Leistungsgegenstände lassen sich mit der Konjunktion oder der Disjunktion verknüpfen160. Der einfache Ausgangsfall „Stichum aut decem dari promisit“ auf der Seite der Gegenstände entspricht dem

156

Paul. D. 46,2,10 und Paul. D. 46,3,10; vgl. Ankum (2007), S. 143. Ven. D. 45,3,21: „Si servus communis ita stipuletur: ‚kalendis Ianuariis decem Titio aut Maevio dominis, uter eorum tunc vivet, dare spondes?‘, inutilem esse stipulationem Iulianus scribit, quia non possit in pendenti esse stipulatio nec apparere, utri eorum sit adquisitum“. Der Sachverhalt enthält mit der Befristung ein zusätzliches hier aber nicht entscheidendes Element. 158 Im pr. werden die Namen der beiden Herren mit der Konjunktion verbunden: „Item si servus duorum Titii et Maevii hominem, qui Titii erat, stipulatus fuerit, ei soli adquirit, cuius non fuit. Sed si stipulatus sit Stichum sibi et ‚Maevio et Titio dari spondes?‘, totum eum­ Maevio adquirit: quod enim alteri ex dominis adquirere non potest, id ad eum, qui ad obligationem admittitur, pertinet“. Vgl. dazu die Wirkung von Stipulationen von gemeinschaftlichen Sklaven in Iul. Pal. 704.4 (D. 45,3,1). 159 In § 1 tritt wie in Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) die Disjunktion auf: „Si, cum duos dominos servus haberet, stipulatus fuerit illi aut illi dominis suis, quaesitum est, an consistat stipulatio. Cassius inutilem esse stipulationem scripsit et Iulianus Cassii sententiam probat eoque iure utimur“. Julians Fall aus Iul. Pal. 705 ließe sich mit dem „sed“ von Ulp. D. 45,3,9 pr. abgrenzen und mit „et“ an Ulp. D. 45,3,9,1 anschließen. 160 Siehe das Schema vorne, Kapitel 3 A. Ulpians Fall aus D. 45,3,9 pr. entspricht dem Muster A an C und D. 157

D. Echte und unechte Alternativen 

109

Muster einer Vertragsstrafe, tritt aber auch in anderen Anwendungen auf161. Die dabei auftretenden Probleme der Mehrdeutigkeit werden in Abschnitt C behandelt. Der entsprechende Ausgangsfall „sibi aut Titium fundum dari“ auf der Empfängerseite entspricht der Leistung an eine Hilfsperson (solutionis adiectus causa)162. In diesem Rahmen entspricht das Fragment einem degenerierten Fall, wie sich sogleich zeigt. Mit den formalisierten Aussagen A: „Tito decem datur“ und B: „Maevio fundus datur“ ergibt sich für diesen Fall zunächst folgendes Bild: A

B

A 〉--〈 B

A∨B

1

1

0

1

Dies macht praktisch keinen Sinn.

1

0

1

1

Titius bekommt die Zahlung von 10. Kann Maevius klagen?

0

1

1

1

Maevius bekommt das Grundstück. Kann Titius klagen?

0

0

0

0

Können Titius und Mavius klagen?

Kommentar

Die Tabelle kann mit dem Verständnis des binären Codes im Rechtssystem vor Augen gelesen werden. Ein Eintrag „1“ in der dritten oder vierten Kolonne bezeichnet ein rechtlich korrektes, ein Eintrag „0“ ein inkorrektes Ergebnis. Der Versprechende kann entweder wie primär beabsichtigt, das Grundstück an Maevius übergeben oder andernfalls die Vertragsstrafe an Titius zahlen. Die von aut angedeutete Handlungsalternative ist hier für den Vertragspartner jedoch keine in eindeutiger Weise zu entscheidende Alternative. Die beiden in der Vertragsstrafe alternativ gekoppelten Leistungen werden durch die Nennung zweier verschiedener, durch die Stipulation mit dem gemeinsamen Sklaven aber direkt berechtigter Empfänger wieder verknüpft. Ein logisch nicht geschulter Sklave könnte mit dieser Formulierung vielleicht nur ausdrücken wollen, dass die dem Maevius anstelle des Grundstücks geschuldete Vertragsstrafe gegebenenfalls an Titius auszuzahlen wäre, der für beide Herren die Geschäfte führt oder als gemeinsame Zahlstelle auftritt163. Doch würde der Sklave damit die Disjunktion falsch anwenden, was im Ergebnis zur Ungültigkeit der Stipulation führte164. Die Disjunktion wird von Julian streng nach ihrem üblichen Gebrauch ausgelegt.

161

Siehe z. Bsp. Iul. Pal. 699.1 (D. 46,3,33,1) oder Iul. Pal. 162.3 (D. 12,6,32,3). In verneinter Form behandelt Julian diesen Fall ausgiebig in seinem liber singularis de ambiguitatibus. 162 Siehe Iul. Pal. 699.0 (D. 46,3,33 pr.). Nur der Versprechensempfänger erhält die actio ex stipulatio. Die Stelle wird bei Ankum (2007), S. 150 ff. besprochen. 163 Als procurator oder im Sinne der schon mehrmals angesprochenen solutionis causa adiectus. 164 Der Konjunktiv „stipuletur“ würde zu einem hypothetischen, vielleicht aus didaktischen Gründen präsentierten Fall oder zu einer Situation passen, in der ein Sklave um juristischen Rat ersucht.

110

Kap. 3: Assertorische Logik

2. Iul. Pal. 717.0 (D. 46,3,34 pr. – Iul. 54 dig.) Qui hominem aut decem tibi aut Titio dari promisit, si Titio partem hominis tradiderit, mox tibi decem numeraverit, non Titio, sed tibi partem hominis condicet, quasi indebitum tua voluntate Titio solveret. Idemque ­iuris erit etiam, si mortuo Titio decem solverit, ut tibi potius quam heredi Titii partem hominis condicat.

Wer einen Sklaven oder zehn dir oder Titius zu geben verspricht, dem Titius einen Anteil des Sklaven übereignet, dann dir zehn ausbezahlt, wird nicht von Titius, sondern von dir den Anteil des Sklaven kondizieren, weil er sozusagen mit deinem Einverständnis eine Nichtschuld an Titius geleistet hat. Das gleiche gilt auch, wenn er, nachdem Titius verstorben ist, zehn leistet, sodass er eher von dir als vom Erben des Titius den Anteil am Sklaven kondizieren wird.

a) Zu casus und quaestio Die Stelle findet sich im 54. Buch von Julians Digesten unter dem Titel „de solutionibus et liberationibus“. Die eine Partei (X) verspricht Y (tu) oder Titius einen Sklaven zu übergeben oder eine Vertragsstrafe von 10 zu bezahlen. In der Folge zahlt X an Titius nur einen reduzierten Wertanteil am Sklaven. Durch die Teilleistung wird die vorgesehene Vertragsstrafe fällig, die X wohl an Y aus­ bezahlt. Julian hält fest, dass X den zuvor an Titius bezahlten Wertanteil direkt von Y herausverlangen kann. Bund sieht im zweiten Fall, bei dem Titius verstirbt, keine Parallele, sondern eine Variante zum ersten. Schon aus praktischen Gründen wird X in der Variante sich eher an den ihm bereits bekannten Y als an den ihm möglicherweise unbekannten Erben des Titius halten wollen165. Über das Verhältnis zwischen Y und Titius im Ausgangsfall wird nichts berichtet. Ankum sieht in Titius einen adiectus als Zahlstelle des Y166. Dazu passte, dass in Lenels Palingenesia mit Ulpians D. 46,8,12,2 eine Stelle vorangeht, die sich mit der ratihabitio beschäftigt. Nur Y tritt als Gläubiger auf, gegen den sich in der Folge auch die condictio indebiti seitens des X richtet167.

165

Bund (1965), S. 13. Ankum (2007), S. 153 mit Verweis auf Paulus, der sich in D. 46,3,59 auf die Meinung Julians abstützt. 167 Dieser Zusammenhang erhellt das quasi voluntate tua; vgl. Ankum (2007), S.  153 f.: „Comme le débiteur qui paie ce qui est du à l’adiectus paie conformément a la voluntas du créancier, ainsi on peut dire que le débiteur qui paie quelque chose d’autre que ce qui est du peut être considéré comme quelqu’un qui paie un indebitum pour ainsi dire également conformément a la volonté du créancier“. 166

D. Echte und unechte Alternativen 

111

b) Beitrag der Logik Betrachtet wird im Folgenden Julians Lösung des Hauptfalles. In seiner Beschreibung des Sachverhalts zitiert hier Julian – anders als noch bei Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) – nicht explizit die Erklärungen der am Vertrag Beteiligten, sondern umschreibt den Vertragsinhalt in seinen eigenen Worten. Casus, quaestio und solutio sind in einem einzigen Satz zusammengefasst. Im weiteren Sinn kann die Stelle kann dennoch zur ersten Fallgruppe von Parteiaussagen gezählt werden, die Bestandteil des Sachverhalts sind und im Rahmen der quaestio facti erfasst werden müssen. Da jedoch explizite Erklärungen fehlen, in denen die Disjunktion „aut“ als zunächst sprachliches Element auftritt, tritt die Logik hier nicht über die (Alltags-) Sprache ins Bild, sondern ließe sich als Mittel der Konstruktion eines möglicherweise fiktiven Falles durch den Juristen interpretieren. Qui hominem aut decem tibi aut Titio dari verknüpft zwei Gegenstände mit zwei Empfängern, entspricht also dem komplexesten der zuvor bei den Anwendungsbereichen im Recht beschriebenen Muster168. Aus zwei alternativ vorgegebenen Gegenständen, die an zwei alternativ genannte Empfänger zu leisten sind, ergeben sich kombinatorisch a priori 32 = 9 mögliche Ergebnisse, wenn die Disjunktion einschließlich und 22 = 4, wenn sie ausschließlich verstanden würde. Im Unterschied zur Situation von Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) tritt in der Stipulation nur Y alleine als Vertragspartei von X auf, und nur er könnte gegen X auf Erfüllung klagen169. Ebenfalls anders als dort geht aus der Formulierung selbst nicht hervor, wie die Zuordnung zwischen Leistung und Empfänger zu erfolgen hat. Mit den Aussagen A: „X übergibt den Sklaven“, B: „X zahlt die Vertragsstrafe“, C1: „X leistet an Y“ und C2: „X leistet an Titius“ ergibt sich dazu folgendes Bild: A

B

C1

C2

Kommentar

1

0

1

0

X leistet den Sklaven an Y

1

0

0

1

X leistet den Sklaven an Titius

0

1

1

0

X zahlt 10 an Y

0

1

0

1

X zahlt 10 an Tititus

A 〉--〈 B

C1 〉--〈 C2

Zunächst kann X als die eine Vertragspartei zwischen den zwei alternativ genannten Leistungsgegenständen wählen. Aus den Umständen – die Zahlung von 10 wird als Vertragsstrafe interpretiert – wird klar, dass hier „aut“ nur als ausschließliche Disjunktion gemeint sein kann: aut = A 〉--〈 B. Entsprechend wird die 168

Siehe vorne, Kap. 3 A. Titius tritt wie erwähnt als bloßer adiectus auf. Deshalb ist hier die Stipulation in allen Fällen gültig. 169

112

Kap. 3: Assertorische Logik

Kombination „A = 1“ ∧ „B = 1“ in der Tabelle nicht mehr aufgeführt, sodass sich noch 4 mögliche Ergebnisse ergeben. Gleichzeitig hat X die Wahl, den konkret gewählten Gegenstand entweder an Y oder an Titius zu leisten: C1 〉--〈 C2. Zum weiteren Verständnis bietet sich der Vergleich mit der Formulierung aus Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) an, die „geklammert“ zu lesen war: „(Titium decem) aut (Maevius fundum) dare“. Nach der dortigen Interpretation war eine Zahlung von 10 an­ Maevius oder eine Übertragung des Grundstücks an Titius nicht beabsichtigt. In der vorliegenden Stelle entschied sich X als erstes dafür, den Sklaven an Titius zu übereignen: B = 1. Mit der bloß anteiligen Übereignung hat er seine Verpflichtung jedoch nicht richtig erfüllt, sodass die Vertragsstrafe verfällt. Diese bezahlte er an Y: C1 = 1. Dies entspricht soweit der Situation von Iul. Pal. 717.2 (D. 46,3,34,2), bei welcher als einzig vorgesehene Alternative die Wahl zwischen Vertragsstrafe oder Übereignung des Sklaven an jeweils eindeutig bestimmte Empfänger vorgesehen war: „Stipulatus sum (decem mihi) aut (hominem Titio) dari: si homo Titio datus fuisset, promissor a me liberatur et, antequam homo daretur, ego decem petere possum“.

In der vorliegenden Stelle muss sich Julian jedoch noch mit der Frage der Rückabwicklung der fehlerhaft erbrachten Leistung beschäftigen. Weil die Empfänger der alternativen Leistungen nicht vorbestimmt sind, steht es X offen, die Teil­ leistung auch von Y herauszuverlangen, was nach Julian die wahrscheinliche Reaktion sein wird. Denn für X ist es einfacher, sich weiterhin an Y zu halten, sodass dieser mit Titius intern abrechnen muss. Da in der Variante von einem Erben des Titius die Rede ist, ist es wahrscheinlicher, dass Titius und Y gleichberechtigte Geschäftspartner sind und nicht der eine als Prokurator des anderen auftritt. Dies spricht auch für die angenommen Rolle von Titius als adiectus. Als Fazit ergibt sich die Lösung nicht etwa direkt aus der logischen Analyse, sondern benötigt eine Interpretation der Umstände. Es gilt, aus den Handlungs­ optionen, welche die logische Analyse des Sachverhalts (heute würde man eher von der Kombinatorik sprechen170) aufgezeigt hat, die auszuwählen, die den gegebenen Umständen am besten entspricht. Julian konstruiert seinen Sachverhalt logisch korrekt mit der zweifach verwendeten Disjunktion aut. Als tatsächliche Erklärung im Geschäftsverkehr erschiene sie jedoch ungeschickt, gerade wenn sie mit der eindeutigen Formulierung aus Iul. Pal. 712.2 (D. 46,3,34,2) verglichen wird. Die Disjunktion, soviel wurde bereits zu Beginn gesagt, tritt denn auch nicht als mehrdeutige logische Verknüpfung und vorgefundenes sprachliches Element auf. Vielmehr scheint sie Julian benutzt zu haben, um einen weiteren Sachverhalt zu konstruieren, welcher zu einer juristisch interessanten Diskussion führt. Hier ist es nicht so, dass die Logik die quaestio facti erhellte. Sie inspiriert diese vielmehr und leistet so einen Beitrag zur juristischen Darstellung. 170 Kombinatorik als die Kunst des Abzählens und der Konstruktion von Konstellationen entstand als eigene Disziplin erst ab dem 17. Jh. mit Blaise Pascal; vgl. Reinhard, S. 629.

E. Bedeutungsvarianten von aut

113

E. Bedeutungsvarianten von aut Die zweite Gruppe von Exegesen umfasst Texte, in denen sich Julian mit alternativ geschuldeten Leistungen im Schuld- und Erbrecht beschäftigt. Die Texte belegen die intensive Beschäftigung der römischen Juristen mit der Figur der Wahlschuld, welche beim Irrtum eines der Beteiligten oder bei unklar formulierten testamentarischen Bestimmungen zu Problemen führen konnte. 1. Iul. Pal. 161 (D. 12,6,32 pr. – Iul. 10 dig.) Cum is qui Pamphilum aut Stichum debet simul utrumque solverit, si, posteaquam utrumque solverit, aut uterque aut alter ex his desiit in rerum natura esse, nihil repetet: id enim remanebit in soluto quod superest.

Wenn jemand, der Pamphilus oder Stichus schuldet, beide gleichzeitig geleistet hat und danach entweder beide oder einer von beiden aufhört, in der Welt zu sein, kann er nichts herausverlangen. Es bleibt nämlich das als geleistet, was übrigbleibt.

a) Zur quaestio Die Stelle findet sich im 10.  Buch von Julians Digesten unter dem Titel „si­ certum petetur“. Jemand, der Pamphilum aut Stichum schuldet und beide zusammen geleistet habe, könne nichts zurückverlangen, wenn einer von ihnen oder beide versterben. Fraglich ist, wie wichtig der Umstand der gleichzeitigen Leistung für Julians Lösung war. Impallomani hält es für möglich, dass wenn die Leistungen nacheinander erfolgen, die erste noch zurückverlangt werden könnte, selbst wenn sie vernichtet worden wäre171. Der Ausdruck „in rerum natura esse“ bedeutet hier nicht viel mehr als tatsächliche Existenz172. Gegenstand von schuldrechtlichen Verpflichtungen oder Vermächtnissen konnte nur etwas sein, das „in der Welt ist“ oder zumindest zukünftig wahrscheinlich existiert173. Solvere würde zu einem lpd passen, welches auch als legatum alternativum ausgestaltet werden konnte. In diesem Fall liegt das Wahlrecht beim Erben als Schuldner174. Denkbar

171

Impallomani, S. 83. Der Begriff der Natur der Sache kann bei den römischen Juristen unterschiedliche Bedeutungen aufnehmen. Waldstein (1976), S. 32 führt Iul. Pal. 161 ohne weitere Kommentare als Beispiel für die nicht weiter schwierige Bedeutung als tatsächliche Existenz an. So auch in Pomp. D. 30,16 pr. 173 Waldstein (1976), S. 31 f. Für Vermächtnisse siehe Voci, Bd. II, S. 251. 174 Siehe Gai. 2,204; vgl. Biondi, S.  438. Für eine Interpretation als lpd spricht auch die vorangehende Stelle Ulp. D. 12,6,31 von einer nichtbestehenden Erbschaftsverpflichtung. Insgesamt behandelt das Fr. 32 Probleme der Bürgschaft (§ 1), des Familienrechts (§ 2) und des allgemeinen Schuldrechts (§ 3). Erst ein erbrechtliches Problem im pr. machte das Fr. 32 zu einem kompletten Querschnittstext. Ein sehr ähnliches Problem behandelt Ulpian in 172

114

Kap. 3: Assertorische Logik

ist jedoch auch eine Verpflichtung aus Vertrag175. Bei einer Wahlschuld lag das Wahlrecht ohne anderslautende Abmachung durch die Parteien beim Schuldner176. Die Stelle belegt, was im Grundsatz schon in Paul. D. 44,7,44,3 anklingt. Fällt eine der zur Wahl stehenden Leistungen aus – aus wessen Schuld auch immer – verbleiben die restlichen zur Auswahl stehenden in obligatione, oder die Obligation konzentriert sich auf die einzig übriggebliebene Leistung, welche auf Seiten des Schuldners zur Erfüllung ansteht177. Ein Motiv für die Vereinbarung einer Wahlschuld kann in einer Art Garantie für den Gläubiger gesehen werden, welcher gegebenenfalls auch beim Untergang einer Leistung noch zum Zug kommen kann178. Zum Schutz der Parteien müssen diesem aus der Logik folgenden Prinzip auf zwei Seiten rechtliche Grenzen gesetzt werden. Auf Seiten des Schuldners muss sein Wahlrecht eingeschränkt werden, damit er nicht absichtlich die Leistung an den Gläubiger verunmöglicht, um sich so zu befreien179. Diese Konstellation liegt bei der zu besprechenden Stelle jedoch nicht vor, hat der Schuldner irrtümlich doch mehr geleistet, als er verpflichtet gewesen wäre180. Das Prinzip hat schließlich auch eine Grenze im Verzug des Gläubigers. Ist der Gläubiger im Verzug, den ihm vom Schuldner angebotenen Sklaven anzunehmen, erlöscht die Obligation schon mit dem Tod des angebotenen Sklaven181. Für der Fall, dass der Schuldner dachte, die Schuld sei kumulativ zu leisten, erließ Justinian seine Konstitution C.4,5,10. Im dort zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem die Gleichzeitigkeit der Leistungen übrigens nicht angesprochen wurde, leistete ein Schuldner sowohl den Sklaven als die alternativ vereinbarte Geldsumme. Im Fall eines Irrtums war fraglich, wer entscheiden konnte, was zurück gegeben werden solle. Ulpian, Marcellus und Celsus sprachen sich gemäß der Angabe in der Konistitution dafür aus, die Wahl dem Leistungsempfänger zu geben. Papinian und Julian hingegen gaben die Wahl dem Schuldner, wofür sich auch Justinian entschied. Diese Regelung sah zwar von einer rechtlichen Sanktion für ein Versehen des Schuldners ab. Wie die vorliegende Stelle schön illustriert, blieb das Risiko eines Versehens jedoch weiterhin beim Schuldner182.

D. 30,46,3. Das Wahlrecht liegt beim Erben. Entweicht einer von zwei Sklaven oder gerät er in Gefangenschaft, muss der Erbe den anderen leisten. 175 Kondiktion einer Wahlschuld, vgl. Babusiaux (2012), S. 385, 387. 176 Ven. D. 45,1,138,1. Siehe dazu bereits vorne, Kapitel 2 E. 3. 177 Vgl. Grosso (1966), S. 216. 178 Impallomeni, S. 88. 179 Impallomeni, S. 82. Siehe auch Pap. D. 46,3,95 pr. 180 Ziliotto (2004), S. 27 ff.: „Natura alternativa dell’obligazione, da lui ritenuta semplice o cumulativa“. 181 Jav. D. 45,1,105. Grosso (1966), S. 218. 182 Siehe Ziliotto (2004), S. 29 (Fn. 21).

E. Bedeutungsvarianten von aut

115

b) Beitrag der Logik Auch hier zitiert Julian keine expliziten Erklärungen der Parteien. Die offenbar vorbestehende Schuld wird nicht spezifiziert. Angesichts der Kürze und der unpassenden Reaktion des Schuldners scheint es aber doch wahrscheinlicher, dass es sich hier um ein Missverständnis bei der Auslegung der Erklärung durch den Schuldner handelt. Der Erbe muss aufgrund der Umstände zwischen den drei Varianten der Disjunktion auswählen, um das vom Erblasser eingesetzte aut zutreffend zu interpretieren183. Denkbar ist, dass er Opfer einer ambiguitas geworden ist, indem er aut = ∨ verstanden hat, wo bloß ein ausschließliches aut = 〉--〈 gemeint war. Ein mit einem Vermächtnis belasteter Erbe könnte sein Wahlrecht so interpretieren, dass er die Wahl hat, beide oder nur einen der beiden Sklaven zu geben. Ein solches Vermächtnis wäre aber unüblich. Ganz im Sinne von Julians Empfehlung aus D. 34,5,14,6 hätte der Erblasser diese Variante explizit anordnen müssen184. Stirbt keiner der beiden übergebenen Sklaven, könnte der Erbe einen von ihnen mit der condictio indebiti nach D. 12,6,31 zurückverlangen. Julians Lösung geht deutlich von aut = 〉--〈 aus. Keinen Sinn macht hier die Variante aut = /. Die Logik gibt über die fehlerhafte Auslegung der Disjunktion im Sinne der einschließlichen Variante die quaestio facti vor, welche Julian juristisch konsequent und kompromisslos löst. 2. Iul. Pal. 478.9+11 (D. 30,84,9+11 – Iul. 33 dig.) 9. „Stichum aut Pamphilum, utrum heres meus volet, Titio dato“. Si dixerit heres Stichum se velle dare, Sticho mortuo liberabitur. Cum autem semel dixerit heres, utrum dare velit, mutare sententiam non poterit.

9. „Mein Erbe soll dem Titius den Stichus oder den Pamphilus, welchen von beiden er auswählt, geben“. Falls der Erbe erklärt hat, den Stichus geben zu wollen, wird er befreit, wenn dieser stirbt. Hat der Erbe aber einmal erklärt, wen er geben wolle, kann er seine Erklärung nicht mehr ändern.

11. Si Titio Stichus aut Pamphilus, utrum ­eorum malet, legatus est, deinde Pamphilum testator Titio donavit, Stichus in obligatione remanet.

11. Wenn dem Titius nach seiner Wahl Stichus oder Pamphilus vermacht wurde, daraufhin der Erblasser dem Titius den Pamphilus geschenkt hat, bleibt die Verbindlichkeit bezüglich Stichus bestehen.

183

Auf eine Formalisierung des Falles kann hier verzichtet werden. Vgl. Winkler, S. 229.

184

116

Kap. 3: Assertorische Logik

a) Zu casus und quaestio Beide Stellen stammen aus dem den lpd gewidmeten 33. Buch „de legatis“ von Julians Digesten. Julian fasst einige wesentliche Regeln zusammen, die für Vermächtnisse gelten, die mit Wahlmöglichkeiten ausgestattet sind. Dem Muster der Wahlschuld entsprechend werden bei einem legatum alternativum vom Erblasser alternativ zwei oder mehrere Gegenstände vermacht, im vorliegenden Fall zwei Sklaven: Stichus aut Pamphilus. Da die Sklaven namentlich bezeichnet werden, liegt tatsächlich ein legatum alternativum und nicht ein legatum generis vor185. Im Fr. 9 deutet utrum heres meus volet an, dass das Wahlrecht beim Erben liegt, der mit dem Vermächtnis an Titius belastet ist186. Diese Vorgabe stimmt wie zuvor schon ausgeführt mit einem legatum alternativum überein, das auch ohne genauere Bestimmung des Wahlrechts als lpd ausgestaltet wurde. Erst die erfolgte Ausübung des Wahlrechts durch den Erben konkretisiert das Vermächtnis. Entsprechend müsste der Vermächtnisnehmer vor erfolgter Wahl mit der actio incerti gegen den belasteten Erben vorgehen187. Bei der Stipulation und dem Legat ist die Unterscheidung einer Klage auf ein certum oder ein incertum heikel und hat prozessuale Bedeutung188. Ziliotto schlägt auch beim Legat eine alternative intentio vor189. Jedenfalls ist zu beachten, dass der Legatar, wählt er direkt eine Leistung aus, eine pluris petito begeht190. Das plus petere bedeutet hier, dass mit der konkretisierten Leistung auch das Wahlrecht vom belasteten Erben gefordert würde, welches dem Erben im allgemeinen eben nicht zusteht. Als einfache Willenserklärung ist die Wahl unbedingt und vor allem unabänderlich: mutare sententiam non poterit, wie Julian festhält191. Ziliotto verweist auf 185

Siehe Biondi, S. 433, 437. Vgl. den identischen Sachverhalt bei Paul. D. 31,11,1 mit Verweis auf Julian: „‚Stichum aut Pamphilum, utrum heres meus volet, Titio dato, dum, utrum velit dare, eo die, quo testamentum meum recitatum erit, dicat‘. Si non dixerit heres, Pamphilum an Stichum dare malit, perinde obligatum eum esse puto, ac si Stichum aut Pamphilum dare damnatus esset, utrum legatarius elegerit. Si dixerit se Stichum dare velle, Sticho mortuo liberari eum: si ante diem legati cedentem alter mortuus fuerit, alter qui supererit in obligatione manebit. Cum autem semel dixerit heres, utrum dare velit, mutare sententiam non poterit. Et ita et Iuliano placuit.“ 187 Siehe Kaser (1971), S. 494. 188 Bei einem Kaufvertrag ist die Sache klar: ex fide bona iudicium mit intentio incerta (quidquid dare facere oportet ex fide bona). Siehe Ulp. D. 45,1,75,8: Bei einer alternativen Stipulation ist die actio ex stipulatu auf der Grundlage eines incertum einschlägig nach der Formel bei Gai. 4,136. 189 Ziliotto (2004), S. 189. 190 Gai. 4,53. 191 So auch bei Labeo in D. 33,5,20: „Apud Aufidium libro primo rescriptum est, cum ita legatum est: ‚Vestimenta quae volet triclinaria sumito sibique habeto‘, si is dixisset quae vellet, deinde, antequam ea sumeret, alia se velle dixisset, mutare voluntatem eum non posse, ut alia sumeret, quia omne ius legati prima testatione [Willenserklärung], qua sumere se dixisset, consumpsit, quoniam res continuo eius fit, simul ac si dixerit eam sumere“. Sollte in 186

E. Bedeutungsvarianten von aut

117

die gegenteilige Entscheidung in Pomp. D. 45,1,112 pr192. Sie merkt an, dass auch bei Julian an sich eine in Pomponius’ Sinn umfassendere Formulierung zum Wahlrecht eingesetzt scheint, was eigentlich eine Änderung der Wahl zuließe193. Denn Pomponius sagt, dass bei der Frage ob es dem Schuldner zusteht, seine einmal getroffene Wahl zu ändern und mit der gegen ihn gerichteten Forderung auf die andere Leistung überzugehen, auf die in der Stipulation gewählten Worte Rücksicht zu nehmen sei. Beim Wortlaut „welchen ich werde gewollt haben“ (quem voluero), dürfe die einmal getroffene Wahl nicht mehr geändert werden. Bei der zeitlich umfassenderen Formulierung „welchen ich wollen werde“ (quem volam) stehe dem Schuldner solange, bis er förmlich Klage erhebt, das Recht zu, seine Wahl zu ändern. Ziliotto hält es für denkbar, dass der Text bei Julian nur in verkürzter Form überliefert wurde. Julian spricht denn auch nicht explizit von einer Erklärung, welche der Erbe innert einer gesetzten Frist abzugeben hätte. So greift die allgemeine Regel, dass bei einem lpd die Wahl auf den Erben fällt, wenn nichts zur Wahl gesagt worden ist. Immerhin, so Ziliotto weiter, gebe der explizite Bezug auf den Willen des Erben der Wahl ein besonderes, förmliches Gewicht und Intensität, was eine Änderung für Julian ausschließen könnte. Dass in der Variante von Fr. 11 trotz der Einordnung in den Titel der lpd ein lpv vorliegen muss, wird nicht durch das neutrale legatus est, sondern durch utrum eorum malet deutlich. Denn hier liegt das Wahlrecht beim Begünstigten Titius, der das Vermächtnis mit der rei vindicatio konkretisiert194. Daran ändert sich auch nichts, wenn der belastete Erbe einen der beiden Sklaven dem Begünstigten schenkt195. b) Beitrag der Logik Welche der drei Varianten von aut anwendbar ist und ob das Wahlrecht dem belasteten Erben oder dem Begünstigten zusteht, muss aus dem Text selbst oder aus den Umständen bestimmt werden196. Für die Fr. 9 und 11 stellt sich die Situation in einer Wahrheitstabelle wie folgt dar: Iul. Pal. 478.9 (D. 30,84,9) aber Pamphilus sterben, kann er sich nicht mehr dafür entscheiden, diesen zu leisten, nachdem er eine Erklärung für Stichus abgegeben hat. 192 Pomp. D. 45,1,112 pr: „Si quis stipulatus sit Stichum aut Pamphilum, utrum ipse vellet: quem elegerit, petet et is erit solus in obligatione. An autem mutare voluntatem possit et ad alterius petitionem transire, quaerentibus respiciendus erit sermo stipulationis, utrumne talis sit, ‚quem voluero‘ an ‚quem volam‘: nam si talis fuerit ‚quem voluero‘, cum semel elegerit, mutare voluntatem non poterit: si vero tractum habeat sermo illius et sit talis ‚quem volam‘, donec iudicium dictet, mutandi potestatem habebit“. 193 Ziliotto (2004), S. 193. 194 Siehe z. Bsp. bei Ulpian in D. 30,34,14; vgl. Biondi, S. 438, 440. 195 Vgl. Voci, Bd. II, S. 259 (Fn. 38), 536 (Fn. 25). Ziliotto (2004), S. 172 sieht die Stelle als Beleg für die Auffassung der Wahlschuld als einheitliches Geschäft. 196 Vgl. Voci, Bd. II, S. 264.

118

Kap. 3: Assertorische Logik

A

B

A 〉--〈 B

A∨B

1

1

0

1

Problematisch: Belasteter leistet zuviel; Begünstigter fordert zuviel

1

0

1

1

Stichus wird gewählt

0

1

1

1

Pamphilus wird gewählt

0

0

0

0

Problematisch: Belasteter leistet zuwenig; Begünstigter verzichtet?

Kommentar

Hat der Erbe erklärt, mit Stichus den einen der beiden Sklaven geben zu wollen, wird er auch dann befreit, wenn der als Gegenstand des Vermächtnisses konkretisierte Stichus danach sterben sollte. Dies macht neben dem Zusatz „utrum heres meus volet“ klar, dass der Erblasser nur aut = 〉--〈 gemeint haben kann. Im Fr. 11 könnte eine ambiguitas in der testamentarischen Verfügung gesehen werden, wenn ernsthaft beide Versionen aut = ∨ und aut = 〉--〈 in Frage kämen. Der Zusatz „utrum eorum malet“ deutet aber wiederum unmissverständlich auf das ausschließliche aut = 〉--〈 hin. Uter ist nicht uterque197. Während Julian in Fr. 9 das Problem eher allgemein und grundsatzartig behandelt, umschreibt er als Abwandlung in Fr. 11 den Sachverhalt in eigenen Worten sehr kompakt. Aus Sicht der Logik steht die Mehrdeutigkeit der sprachlichen Umschreibung der Disjunktion im Vordergrund. Als Teil der quaestio iuris entscheidet sich Julian für ihre Auslegung im Sinne der Alltagssprache. Die Entscheidung ist angesichts der vom Erblasser vielleicht im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit vorausschauend und geschickt eingefügten Präzisierungen, fügt sich aber auch in die allgemeinen Regeln zur Wahlschuld ein. 3. Iul. Pal. 465.0–1 (D. 33,5,9 pr.-1 – Iul. 32 dig.) pr. Cum ita legatur: „Titio Stichum do lego, si Pamphilum non elegerit: eidem Titio Pamphilum, si Stichum non elegerit“, simile est, atque si ita legatum fuisset: „Titio Stichum aut Pamphilum, utrum eorum volet, do lego“.

Pr. Wenn wie folgt vermacht wird, „dem Titius vermache ich Stichus, wenn er nicht Pamphilus auswählt und gleichermaßen Pamphilus, wenn er nicht Stichus auswählt“, ist dies gleichbedeutend wie wenn so vermacht wird: „Ich vermache Titius Stichus oder Pamphilus, wen von beiden er will“.

1. Quaesitum est, si Stichus sub condicione liber esse iussus sit et mihi optio servi data esset vel servus generaliter legatus esset,

1. Es wurde gefragt, wie die Rechtslage sei, wenn Stichus unter einer Bedingung freigelassen, mir aber die Wahl eines Sklaven

197

Vgl. auch die Formulierung bei Iul. Pal. 465.pr. (D. 33,5,9 pr.).

E. Bedeutungsvarianten von aut quid iuris esset. Dixi commodius198 constitui eum, qui sub condicione libertatem Sticho det et optionem servorum, non cogitare de Sticho, sicuti constat non cogitare eum de eo, cui praesentem libertatem dederit: secundum quod si Stichum optavero vel elegero, nihil agam et ex ceteris nihilo minus optabo.

119

oder in allgemeinen Worten ein Sklave vermacht worden würde. Ich antwortete: Richtiger werde entschieden, dass der [Erblasser], welcher dem Stichus unter einer Bedingung die Freiheit verliehen und die Auswahl eines Sklaven vermacht hat, dabei den Stichus nicht gemeint haben kann, so wie feststeht, dass er dabei an den nicht gedacht hat, dem er gleichzeitig [unbedingt] die Freiheit gegeben hat. Sollte ich demnach den Stichus auswählen, so werde ich nichts gemacht haben und aus den übrigen werde ich trotzdem wählen.

a) Zu casus und quaestio

198

Die Stelle stammt aus dem den lpv gewidmeten 32. Buch der Digesten Julians. Im pr. weist diesmal schon die Formulierung des ersten Vermächtnisses eindeutig auf ein lpv hin. Schon aus dem Schlüsselwort „elegerit“ auf ein legatum optionis zu schließen, könnte voreilig sein199. Dass tatsächlich ein legatum optionis gemeint sein muss, darf aber aus dem Zusammenhang mit den §§ 1 und 2 angenommen werden. Julian vergleicht die etwas umständliche aber eindeutige erste Formulierung mit einer zweiten Verfügung, die an Iul. Pal. 478.10 (D. 30,84,10) erinnert. Simile sind in ihrer Wortwahl die beiden verglichenen testamentarischen Verfügungen. Ihre Rechtsfolgen sind aber als gleichwertig zu sehen200. Der Begünstigte kann hier nur ein einziges Mal wählen201: Zum einen, weil nur ein Sklave aus zweien zur Wahl steht und zum anderen, weil die Wahl nicht wiederholt werden darf. Im § 1 wird die Situation verallgemeinert. Der Begünstigte erhält die Auswahl eines Sklaven aus einer Mehrzahl: mihi optio servi data esset. Die typische Wortwahl legt nahe, dass hier ein legatum optionis vorliegt202. Aus der Mitte die 198 „Commodius“ ist für Giaro (2007), S. 380 f. ein Indiz für Julians feine Differenzierung von Stufen der Wahrheit oder Glaubwürdigkeit. Vgl. etwa „non puto dubitandum“ in Iul. Pal. 389 (D. 38,2,20). 199 Ein legatum optionis ist zunächst immer ein lpv, siehe D. 33,5,2 pr.; vgl. Voci, Bd. II, S. 265. Es ist verlockend, mit Biondi, S. 428 scharf zwischen optio beim legatum optionis und electio als einfacher Willenserklärung beim legatum alternativum unterscheiden zu wollen. Doch scheint der Gebrauch von optio und electio in den Quellen nicht einheitlich. Ulpian benutzt das Verb optare in D. 33,5,2 pr. zusammen mit beiden Begriffen: „Quotiens servi electio vel optio datur, legatarius optabit quem velit“. Gleiches gilt für Pomponius in D. 33,5,8 pr. Einheitlich präsentiert sich der Sprachgebrauch bei Ulpian in D. 50,16,160. 200 Vgl. Bund (1965), S. 39. 201 Vgl. Voci, Bd. II, S. 264 (Fn. 65). 202 Hervorzuheben ist, dass Julian weiter unten die Begriffe wieder mischt: si Stichum optavero vel elegero.

120

Kap. 3: Assertorische Logik

ser n = 2, 3, .. nicht namentlich genannten Sklaven203 lässt der Erblasser den Stichus bedingt testamentarisch frei204. Diese Situation kann zu einem Konflikt zwischen den testamentarischen Verfügungen des Erblassers führen, wenn der im legatum optionis Begünstigte ausgerechnet den Stichus auswählen möchte. Julian ist der Meinung (dixi)205, dass eine solche Wahl, sei sie im Rahmen eines legatum alternativum oder optionis, als nicht erfolgt anzusehen ist: nihil agam. Als heikel erscheint die rechtliche Folge, d. h. die Frage, ob der Begünstigte wenigstens noch aus den übrigen Sklaven wählen darf206. Ulpian stellt dieselbe Frage in D. 33,5,2,2207 und beantwortet sie im § 3 positiv208. Die positive Antwort hängt jedoch wie in Iul. Pal. 465.1 (D. 33,5,9,1) von der Vorstellung des Erblassers ab, dass der gewählte Gegenstand auch vermacht werden sollte. Der Begünstigte jedenfalls darf seine Wahl nicht von sich aus ändern, etwa, wenn er nun doch lieber Wein statt Essig oder Pamphilus statt Stichus möchte209. b) Beitrag der Logik Der Vergleich (simile est) der zwei alternativen Formulierungen im pr. stützt die bisherige Interpretation der Disjunktion als ausschließliches aut = 〉--〈. Darüber hinaus kann die Konsistenz von Julians Argumentation im Zusammenhang der theoretisch denkbaren Fälle nach der Anzahl n der für den Begünstigten zur Auswahl stehenden Sklaven geprüft werden. Die Prüfung ähnelt einem „mathematischen“ Induktionsargument. Ein ähnliches Muster findet sich schon im liber singularis in Iul. Pal. 3 (D. 34,5,14) im Übergang von § 2 zu § 3210. Während das 203

Wie bei einem allgemein gefassten legatum generi. Zum Themenkreis der manumissio ex testamento siehe im Detail Kap. 4 D. 205 Scarano Ussani, S. 114 sieht darin ein Argument der Zweckmäßigkeit: commodius constitui. 206 Vgl. Talamanca, S. 24 f., der Stichus aus dem Kreis der wählbaren Sklaven ausschließen will, um das Vermächtnis zu retten. Eine Wahl des Stichus solle wie eine nicht erfolgte Wahl angesehen werden, sodass der Begünstigte noch (-mals) wählen kann. Anders Voci, Bd. II, S. 574, der Stichus nur bei einer unbedingten Freilassung aus der Liste der wählbaren Sklaven streichen möchte. Bei einer bedingten Freilassung wäre das Vermächtnis aber nur bei Ausfall der Bedingung zur Freilassung gültig. Der Fall einer bedingten Freilassung wird in Kapitel 4 behandelt. 207 Ulp. D. 33,5,2,2: „Data igitur optione si quis optaverit alienum servum vel hominem liberum, videndum est, an consumpserit optionem: et puto non consumi“. Consumi bedeutet wohl „vollzogen werden“ und nicht etwa „gültig sein“. 208 Ulp. D. 33,5,2,3: „Eum, cui centum amphorarum electio data sit, acetum eligentem non consumere optionem, si id acetum elegerit, quod vini numero pater familias non habuit“. 209 Eine andere Lesart der Stelle ist denkbar. „Nihil agam“ ließe sich auch mit „ich werde keine Klage haben“ und „et ex ceteris nihilo minus optabo“ mit „werde ich auch trotzdem aus den übrigen wählen [wollen]“ übersetzen. Diese Lesart wird von der Literatur offenbar nicht geteilt. Sie stünde auch etwas im Widerspruch zur Meinung Ulpians. 210 Zur Geschichte dieses wirkungsmächtigen Arguments (nicht nur) in der griechischen Mathematik siehe Winkler, S. 221 mit weiteren Hinweisen. 204

F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division

121

Argument der Induktion in der Antike noch nicht zu einem nach heutigem Verständnis strengen Beweis führte, zielte es doch darauf ab, über die Fälle n  ≥  1 ein konsistentes Bild zu gewinnen. Konsistenz galt den griechischen Mathematikern ab einem ausreichend großen n als Beleg für die Richtigkeit des geprüften Prinzips211. In Julians Fall kann für n = 1 schon a priori keine Wahl vorgenommen werden. Die Auflösung des Konflikts zwischen Vermächtnis und Freilassung des Sklaven bei Eintritt der Bedingung richtet sich nach dem Prinzip des favor libertatis oder der scriptura novissime. Julian entscheidet sich in Iul. Pal. 464 (D. 30,81,9–10) für den Vorrang der Freilassung. Im Fall n = 2 macht die Freilassung des Sklaven die Wahl hinfällig. Dies ist problematisch, denn die optio ist der eigentliche Gegenstand eines legatum optionis212. Will man das Vermächtnis retten, wie dies Mario Talamanca vorschlägt213, muss man es in ein einfaches lpv umwidmen. Ob sich dies mit dem hypothetischen Willen des Erblassers vereinbaren lässt, ist fraglich. Eine Umwidmung wäre bei einem legatum alternativum angebracht, nicht unbedingt aber bei einem legatum optionis. In diesem Fall schiene eine alternative Lesart von „nihil agam“ als Wegfall einer Klage und damit Vernichtung des Vermächtnisses vertretbar. Als Konsequenz wäre sie der gefährlichen Figur des legatum optionis geschuldet. Im Fall n ≥ 3 bleibt dem Begünstigten immerhin die Wahl aus den übrigen Sklaven erhalten. Das Vermächtnis muss also nicht a priori als unwirksam angesehen werden. Unwirksam könnte es jedoch durch die Wahl des Stichus werden, da sein einziger Gegenstand eben die nicht widerrufliche und nicht wiederholbare optio ist. Die Ansicht Ulpians, in diesem Fall sei die Wahl als nicht vollzogen zu betrachten, darf wohl als die allgemein vertretene stehen bleiben. Folgt man aber der vorgeschlagenen Argumentation zum Fall n = 2, führt Ulpians Lösungsansatz zu einer Bruchstelle gegenüber den Fällen n ≥ 3.

F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division 1. Iul. Pal. 71 (D. 30,79 – Iul. 5 dig.)

214

Si quis testamento suo Titio et Seio decem dari iusserit, nullam haec verba recipiunt ambiguitatem, ut dena dixisse videatur, qui decem dixit.

211

Wenn jemand in seinem Testament Titius und Seius zehn zu geben bestimmt, steckt in diesen Worten keinerlei Mehrdeutigkeit, dass je zehn als gesagt anzusehen sind [wären], wo [nur] zehn gesagt sind214.

Zur verwandten rhetorischen Figur der exempla, siehe Lausberg, §§ 419–421. Siehe Biondi, S. 428. Dies unterscheidet es vom legatum alternativum. 213 Talamanca, S. 24 f. unterscheidet jedoch nicht zwischen den Fällen n = 2 und n ≥ 3. 214 Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 256 übersetzen: „Wenn Jemand in seinem Testamente vorgeschrieben hat, dem Titius und dem Sejus Zehn zu geben, so liegt in diesen Worten keine Zweideutigkeit, so dass man je Zehn verstände, wo Zehn gesagt ist“. Diese Stelle zu übersetzen, ohne sie gleichzeitig zu interpretieren, ist kaum zu schaffen. 212

122

Kap. 3: Assertorische Logik

a) Zur quaestio Die Stelle findet sich im Titel „de iudiciis omnibus“ des 5. Buches von Julians Digesten. Eine bestimmte Geldsumme wird zwei Begünstigten vermacht: ­Titio et Seio decem dari. Für Julian besteht kein Zweifel, wie die Anordnung richtig zu verstehen ist215. b) Beitrag der Logik Die ambiguitas wird deutlich, wenn man sich die möglichen Auslegungen der Anordnung anhand der Wahrheitstabelle der Konjunktion vergegenwärtigt: A

B

A∧B

Kommentar

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Titio decem dari et Seio decem dari

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Titio decem dari

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Seio decem dari

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Keiner bekommt etwas

Die beiden Begünstigten könnten die Aussagen der zweiten und dritten Zeile verknüpfen und die Anordnung als Titio decem dari et Seio decem dari lesen, wie es die erste Zeile darstellt. Diese strenge Lesart schlösse die Alternative aus, die Anordnung als (Tito et Seio) decem dari zu verstehen, wonach jeder von beiden nur je fünf bekäme216. Den entscheidenden Schlüssel zu Julians wirklichem Verständnis liefert ein Vergleich mit Iul. Pal. 697.0 (D. 45,1,56 pr.): Eum, qui ita stipulatur: „mihi et Titio decem dare spondes?“ vero similius est semper una decem communiter sibi et Titio stipulari, sicuti qui legat Titio et Sempronio, non aliud intellegitur quam una decem communiter duobus legare.

Die Formulierung der Stipulation ist bezüglich der Positionierung von Namen der Begünstigten und vermachtem Wert in der Verknüpfung identisch mit der besprochenen testamentarischen Anordnung: mihi et Titio decem dari. Julian kombiniert hier den Sprechenden und Titius zusammen als Berechtigte aus der Stipulation: (mihi et Titio) decem dari. Für Julian sind der Wille des Erblassers wie

215 Tellegen, S. 130, 170 sieht einen Bezug zu Plin. Ep. 7,20,6: „[..] Quin etiam in testamentis debes adnotasse: nisi quis forte alterutri nostrum amicissimus, eadem legata et quidem pariter accipimus“. 216 Handelte es sich bei der vermachten Sache um einen unteilbaren Gegenstand, könnte an ein Vermächtnis zu gemeinsamem Eigentum gedacht werden. In diesem Fall wäre zweifellos die Lesart mit der Klammer die richtige. Ulpians Meinung aus D. 30,34,9 spricht für verhältnismäßige Anteile (Bruchteile).

F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division

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des Stipulators so zu interpretieren, dass die zehn beiden zusammen zu geben sind. Julians Vergleich mit einer Stipulation eröffnet allerdings das Problem, ob zugunsten eines Dritten gültig stipuliert werden konnte, denn eigentlich galt, dass alteri stipulari nemo potest217. Ulpian bringt dazu folgendes Beispiel: „Eum, qui dicat: ‚mihi decem et Titio decem‘, eadem decem, non alia decem dicere credendum est“218. Nach Ulpian sind nur einmal zehn geschuldet. Für Babusiaux ist die umgedeutete Stipulation „mihi decem et Titio“ aber wegen des erwähnten Grundsatzes teilunwirksam, sodass der Stipulator nur fünf fordern kann. Die ursprüngliche Formulierung entspricht der ersten Zeile in der Wahrheitstabelle, woraus sich schließen ließe, dass je zehn geschuldet sind219. So könnte der Stipulator auch bei einer Teilunwirksamkeit zehn fordern220. Babusiaux lässt gegen diese Lösung den Grundsatz „ambiguitas contra stipulatorem“ eingreifen, sodass nicht zweimal zehn, sondern nur einmal zehn und damit im Ergebnis nur fünf einklagbar sind221. Die ursprüngliche Formulierung bei Ulpian selbst ist aber im Gegensatz zum „mihi et Titio decem dare“ in Iul. Pal. 71 (D. 30,79) und 697.0 (D. 45,1,56 pr.) im Bezug auf die Zuordnung nicht mehrdeutig. Im Hinblick auf Iul. Pal. 697.2–3 (D. 45,1,56,2–3) könnte höchstens von einer mehrdeutigen Absicht des Stipulators gesprochen werden. Dort untersucht Julian sowohl Absicht des Stipulators wie Wirksamkeit der Stipulation für beigefügte Personen, die zum Stipulator in verschiedenen Verhältnissen stehen (etwa, ob die Person nur als Zahlstelle oder wegen der Verbindlichkeit beigefügt wurde). Im Testament stellt sich die Frage der Teilunwirksamkeit nicht, sodass eine allfällig mehrdeutige Zuordnung zu klären ist. Die Unklarheit in der Verfügung bei Iul. Pal. 71 (D. 30,79) könnte – entgegen Julians knapper Feststellung, dass kein Zweifel aufkomme  – durch den Fehlschluss der Division222 entstehen: Die Verknüpfung et wird fälschlicherweise nicht mit den Namen der Begünstigten, sondern mit den nachfolgenden Worten der Verfügung kombiniert. Dies führte zu einer Trennung der einen Anordnung in zwei verschiedene und zur ersten vorgeschlagenen Lesart gemäß der ersten Zeile in der

217

Ulp. D. 45,1,38,17. Ulp. D. 45,1,38,19. 219 Vgl. Troje, S. 147. 220 Zum Schulenstreit in dieser Frage vgl. Gai. 3,103. 221 Babusiaux (2006), S. 95. 222 Der Fehlschluss der Division (διαίρεσις) stellt die spiegelbildliche Version der Kombination (σύνθεσις) dar: In einem Argument formuliert der Sprechende eine Voraussetzung p, indem er ihre Worte in einer bestimmten Weise kombiniert. Der Antwortende verwechselt p mit einer Formulierung p', bei der er die Worte in anderer Weise trennt. Der Antwortende schliesst aufgrund von p'. In Soph. El. IV (166a 33–34) illustriert Aristoteles dies an folgendem Beispiel: (p) „5 ist 2 und 3“, (q) „5 ist gerade und ungerade“. Die Aussage p kombiniert die beiden Zahlen 2 und 3 und drückt damit nichts anderes aus, als dass 5 die Summe von 2 und 3 ist. Ein Irrtum entsteht dadurch, dass 2 und 3 getrennt betrachtet werden: Aus der fehlerhaft gebildeten Aussage p' „5 ist 2, und 3“ wird die falsche Folgerung q gezogen (vgl. Edlow, S. 24 f.). 218

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Kap. 3: Assertorische Logik

Wahrheitstabelle. Julians Vergleich aus Iul. Pal. 697.0 (D. 45,1,56, pr.) mit einem Vermächtnis stellt klar, dass er die gleiche Position sowohl im Schuldrecht wie im Erbrecht vertritt. Der letzte Teilsatz in Iul. Pal. 71 (D. 30,79) ist somit wie folgt zu lesen: „[..] keinerlei Zweifel, sodass nicht je zehn zu lesen wären, wo nur von zehn die Rede war“223. Julian wandelt nicht etwa die Regel der Konjunktion ab. Er bezieht diese nur auf die in der Anordnung bezeichneten begünstigten Personen, statt die Anordnung als solche, gewissermaßen in der ersten Zeile der Wahrheitstabelle beginnend, als verknüpfte Aussage zu interpretieren. Ein nicht logisch geschulter Rechtsanwender käme vielleicht gar nicht erst auf die erste Lesart. Ein Begünstigter könnte auch nicht den favor testamenti für sich geltend machen. Dieser Grundsatz rettet eine zweifelhafte Anordnung vor der Ungültigkeit, spricht aber nicht per se für eine günstigere Auslegung. Beide Lesarten lassen sich aus der Logik herleiten. Dass Julian tatsächlich beide im Kopf hatte, wird später die Exegese von Iul. Pal. 478.12 (D. 30,84,12) zeigen. Dass er nicht nur an logische Strukturen dachte, sondern in gewohnt kasuistischer Manier an rechtlichen Fragen interessiert blieb, zeigt zunächst aber Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8). 2. Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8 – Iul. 33 dig.) 8. Si Titio et Maevio legatus fuerit Stichus, qui Titii erat, debebitur pars Stichi Maevio: nam Titius, quamvis ad legatum non admittatur, partem faciet.

8. Wenn Titius und Maevius Stichus vermacht wird, welcher dem Titius gehörte, so wird Maevius [nur] ein Anteil an Stichus geschuldet. Denn obgleich Titius nicht zum Vermächtnis zuzulassen ist, steht ihm die eine Hälfte zu.

a) Zur quaestio Ein Erblasser vermacht den Sklaven Stichus zwei Begünstigten, Titius und­ Maevius. Stichus steht aber im Eigentum des Titius: Stichus qui Titius erat. Dies zeigt, dass es sich hier trotz der neutralen Formulierung „legatus fuerit“ um ein lpd handeln muss. Das Vindikationslegat einer fremden Sache wurde grundsätzlich als nichtig angesehen224. Nach einem SC des Kaisers Nero wurde ein Vindikationslegat in diesem Fall in ein Damnationslegat umgedeutet225. Damit konnte 223 Der Konjunktiv von videatur ist also nicht nur der Konjunktion ut geschuldet. Ut könnte auch vergleichend gelesen werden: „[..] steckt in diesen Worten kein Zweifel, wie je zehn als gesagt zu lesen, wo von zehn die Rede war“. 224 Gai. 2,196. 225 So nach Gai. 2,197: „Sed sane hoc ita est iure civilis postea vero auctore Nerone ­Caesare senatusconsultum factum est, quo cautum est, ut si eam rem quisque legaverit quae eius num-

F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division

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in jedem Fall eine vollständige Nichtigkeit des Legats verhindert werden. Julian hält es für richtig, dass Maevius Anspruch auf die Hälfte an Stichus zusteht, während für Titius das Legat in der Folge als teilnichtig anzusehen ist: non admittatur. Die Konjunktion „et“ bezieht sich hier unzweifelhaft nur auf die zwei Begünstigten, die vom Erblasser kombiniert werden. Für den Vollzug der Legate sind rechtlich jedoch weitere Unterschiede zwischen den Legatstypen zu berücksichtigen, wie Gaius in Gai. 2,205 ausführlich beschreibt: 226

Est et illa differentia huius 〈et〉 per vindicationem legati, [1] quod si eadem res duobus pluribusve per damnationem legata sit, si quidem coniunctim, plane singulis partes debentur sicut in illo 〈quod per〉 vindicationem legatum est, [2] si vero disiunctim, singulis solidum debetur. Ita fit, ut scilicet heres alteri rem, alteri aestimationem eius praestare debeat. [3] Et in coniunctis deficientis portio non ad collegatarium pertinet, sed in hereditate remanet.

Und ein Unterscheid zwischen diesem226 und dem Vindikationslegat besteht darin, [1] dass wenn dieselbe Sache zweien oder mehreren durch Damnationslegat vermacht wird, jeden­falls wenn dies gemeinsam geschieht, den einzelnen offensichtlich Teile geschuldet werden, wie bei dem, welches durch Vindikationslegat vermacht ist, [2] wenn dies aber getrennt geschieht, den einzelnen das Ganze geschuldet wird. So geschieht es, dass der Erbe dem einen die Sache, dem anderen den Schätzwert leisten muss. [3] Und im gemeinsamen Fall gehört der Anteil eines ausfallenden nicht den Mitvermächtnisnehmern, sondern verbleibt in der Erbschaft.

Gaius geht vom zu Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8) passenden Grundfall aus, bei dem derselbe Gegenstand zwei oder mehr Personen vermacht wird. Er unterscheidet dann, ob dies durch lpv oder lpd geschieht. Beim lpv, egal ob dieses coniunctim oder disiunctim formuliert wird, erhalten die Bedachten seiner Natur entsprechend Miteigentumsanteile am Gegenstand. Anders ist beim lpd vorzugehen, bei welchem weiter unterschieden werden muss: Wählt der Erblasser die Variante „coniunctim“ vermacht, so sollen die Bedachten wie beim lpv jeweils einen Mit­ eigentumsanteil erhalten. Bei der Formulierung mit „disiunctim“ hingegen soll der eine den Gegenstand insgesamt erhalten, während der andere einen Anspruch auf ihren Schätzwert bekommt227. Ein Vermächtnis mit Verknüpfung der Begünstigten „in der Klammer“ entspricht der Variante von Abschnitt [1]: si (res) quidem coniunctim (duobus legata sit). Im „ausgeklammerten“ Fall von Abschnitt [2] wird die Sache der disjunkten Natur des Verfügung entsprechend gewissermaßen verdoppelt. Schließlich ergänzt Gaius in Abschnitt [3], dass bei einem lpd mit

quam fuerit, proinde utile sit legatum, atque si optimo iure relictum esset; optimum autem ius est per damnationem legati, quo genere etiam aliena res legari potest, sicut inferius apparebit“. 226 Gemeint ist das Damnationslegat. 227 Zum Ganzen siehe Lohsse, S. 5.

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Kap. 3: Assertorische Logik

„coniunctim“-Formulierung der Anteil des ausgefallenen Bedachten dem Erben verbleiben solle228 . Der Gaius-Text erhellt den rechtlichen Hintergrund Julians auszu Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8). Für die dort besprochene Verfügung kann ein lpd angenommen werden. Verfügt wurde coniunctim. Die Variante von Abschnitt [2] käme zur Anwendung, hätte die Verfügung die Form „Stichus servum Titio dato; eundem servum Maevio dato“229. Jeder der Beteiligten bekommt bzw. behält – je aus eigenem, unterschiedlichem Rechtsgrund  – einen effektiven Anspruch auf einen Miteigentumsanteil am selben Sklaven230. Titius fällt hier nicht im Sinne von Gaius aus. So behält er zumindest die eine Hälfte am Sklaven, den er zuvor als Alleineigentümer besaß. Der belastete Erbe muss Titius den Wert der Hälfte ersetzen. b) Beitrag der Logik Das Begriffspaar „coniunctim“ und „disiunctim“ lässt an die logischen Verknüpfungen der Konjunktion und Disjunktion denken. Daraus unvermittelt auf eine Gleichsetzung zu schließen, scheint aber verfrüht. Einerseits wird das Begriffspaar in den römischen Quellen uneinheitlich verwendet231. Andererseits greift Julian selbst nur sehr selten auf dieses zurück232, sodass sich aus der Optik vorliegender Untersuchung wenig Genaues ableiten lässt. Wenn in Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8) einmal klar geworden ist, dass die Konjunktion nur die begünstigten Beteiligten verknüpft, Titio et Maevio also sauber und sicher mit einer gedanklichen Klammer versehen werden dürfen, ergeben sich aus logischer Sicht keine 228 Lohsse, S. 7 weist daraufhin, dass Gaius nichts dazu sage, wenn beim lpd disiunctim vermacht worden ist und einer der Begünstigten ausfällt. Anwachsung komme hier nicht in Betracht, da die Bedachten stets den ganzen Gegenstand oder den Schätzwert erhalten sollen und damit keine Anteile entstehen, die anwachsen könnten. 229 Siehe das Beispiel in Gai. 2,199. Das Muster der Formulierung entspricht der ersten Zeile in der Wahrheitstabelle bei Iul. Pal. 71 (vgl. auch D. 45,1,38,19). Auch diese Verfügung lässt sich rein aus einer Betrachtung ihres Wortlauts heraus schwerlich als mehrdeutig bezeichnen. 230 Vgl. Voci, Bd.  I, S.  717 (Fn.  73). Das gleiche Prinzip unterliegt dem Fall von Pomp. D. 30,16 pr.: „Si duobus res coniunctim legata sit, quamvis alter in rerum natura non fuerit, alteri solam partem deberi puto verum esse“. Der eine Bedachte bekäme aus seinem Rechtsgrund also sogar dann nur eine Hälfte, wenn der andere gar nicht existierte (siehe hierzu Lohsse, S. 98). 231 Lohsse, S. 31 (Fn. 84). 232 „Coniunctim“ erscheint in Julians Digesten nur zweimal in Iul. Pal. 389.2+3 (= D. 38,2, 20,2+3), wo die grundsätzliche Funktionsweise der Anwachsung bei der Erbschaft und den Vermächtnissen behandelt wird. „Disiunctim“ wird kein einziges Mal verwendet. „Separatim“, das zuweilen in den Quellen als Synonym auftritt (siehe z. Bsp. Lohsse, S. 38, 70) erscheint immerhin sieben Mal: Iul. Pal. 244, 387.4, 585, 600.2, 618.1 und 704.4. Die Stellen fallen in ganz unterschiedliche Rechtsbereiche. Julian verwendet „separatim“ durchwegs im Sinne von „jeder für sich“ oder „besonders“. Damit wird höchstens eine Charakteristik der ausschließlichen Disjunktion angesprochen, nicht aber ihre Funktion als logische Verknüpfung.

F. Die Konjunktion und der Fehlschluss der Division

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Schwierigkeiten mehr. Der von Gaius angesprochene Unterschied zwischen einem Vermächtnis coniunctim und einem solchen disiunctim spielt noch eine Rolle in einem der folgenden Paragraphen von Iul. Pal. 478 (D. 30,84). 3. Iul. Pal. 478.12 (D. 30,84,12 – Iul. 33 dig.) Quibus ita legatum fuerit: „Titio et Maevio singulos servos do lego“, constat eos non concursuros in eundem servum, sicuti non concurrunt, cum ita legatur: „Titio servum do lego: Maevio alterum servum do lego“.

Wem so vermacht wird: „Titius und Maevius vermache ich je einen Sklaven“, so steht fest, dass sie nicht mit Blick auf denselben Sklaven in Konkurrenz zueinanderstehen, genauso wie sie nicht in Konkurrenz zueinanderstehen, wenn so vermacht wird: „Dem Titius vermache ich einen Sklaven; dem Maevius vermache ich den anderen Sklaven“.

a) Zu casus und quaestio Weiter beim Titel der lpd untersucht Julian das Verhältnis zwischen mehreren Ansprüchen, die aus einem Vermächtnis entstehen können. Die Formulierungen beider testamentarischer Verfügungen entsprechen eigentlich einem lpv. Der Gedankengang lässt sich zwar grundsätzlich auch auf das lpd anwenden. Ein lpv erscheint jedoch passender, denn dort können die actiones rei vindicatio von Titius und Maevius tatsächlich in einen Konflikt treten, während sich der Erbe bei einem lpd zunächst selber um die Auflösung des Konflikts kümmern kann. Zwei Begünstigten werden namentlich nicht genannte Sklaven aus dem Vermögen des Erblassers vermacht. Ihre Ansprüche sind hier dinglicher Art.  Da die Sklaven aber noch nicht individualisiert sind, handelt es sich um ein Gattungsvermächtnis233. Nur der Begünstigte kann es durch die im gegen den Erben zustehende rei vindicatio konkretisieren234. Das Wahlrecht fällt aber nur aus diesem technischen Grund dem Bedachten zu. Somit ist es angebracht, seine Wahl nicht auf das Optimum, sondern nur auf mittlere Qualität gehen zu lassen. Das Wahlrecht hat hier nicht die gleiche Bedeutung wie beim legatum optionis (wo es ein wesentlicher Bestandteil ist). Somit ist das Wahlrecht im Gegensatz zu dort hier auch nicht veränderbar, falls dem Begünstigten ein Fehler unterlaufen sollte235. Dass der Erblasser an zwei verschiedene Sklaven gedacht haben muss, die jeder für sich an Titius bzw. Maevius gelangen sollten, stellt der Ausdruck „singulos servos“ hinreichend klar. Dieses Verständnis entspricht auch dem von Ulpian berichteten allgemeinen Grundsatz, dass wenn dieselbe „Quantität“ (Gattung) mehrfach vermacht ist, diese 233

Vgl. Kaser (1971), S. 495; Voci Bd. II, S. 261; so auch bei Babusiaux (2011), S. 87 f. Ferrini (1976), S.  269 und S.  271 mit Verweis auf African. D. 30,108,2 und Iul. D. 30,84,13. 235 Ferrini (1976), S. 270. 234

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Kap. 3: Assertorische Logik

auch mehrfach zu leisten ist236. Als „offensichtlichen Beweis“ für den Willen des Erblassers kann hier die Präzisierung durch das Adjektiv „singulos“ vorgebracht werden. Das „Multiplizieren“ findet einen schönen Ausdruck in Julians Vergleich mit dem zweiten Vermächtnis237. Titius und Maevius könnten aber beide denselben Sklaven herausverlangen wollen, vielleicht weil dieser besonders ausgebildet oder geschickt ist. Julian lehnt es ab, dass in diesem Fall ein gemeinschaftlicher oder anteilsmäßiger Anspruch beider (et) Begünstigter entsteht. Das erste Vermächtnis zeige vielmehr die gleiche Wirkung wie das aus zwei Sätzen zusammengesetzte zweite, dessen Formulierung keinerlei Zweifel über ihre Bedeutung aufkommen lässt. Nach Bund gibt Julian mit Umformulierungen mehrdeutigen Erklärungen wie dem ersten Vermächtnis einen eindeutigen Sinn, der „logisch nicht erschließbar“, aber durch „verständige Interpretation“ zu finden sei238. Bund ist wenigstens zuzustimmen, dass Julians Lösung nicht zwingend oder formal logisch aus der ersten Formulierung folgt. Sie ist aber mit den Mitteln der Aussagenlogik vernünftig erklärbar. b) Beitrag der Logik Auf den ersten Blick verknüpft et nicht die vermachten Gegenstände, sondern wie zuvor in Iul. Pal. 71 (D. 30,79) die vom Erblasser bezeichneten Begünstigen: (Titius et Maevio) servos do lego. Die Mehrdeutigkeit dieser Formulierung wurde gezeigt. Hier spricht sich Julian für die andere Deutungsvariante aus, bei der die Klammer „ausmultipliziert“ wird. Das aus der Algebra bekannte Distributivgesetz239 lässt sich nicht auf Aussagen anwenden. Vielmehr trifft zu, was Paulus in D. 50,16,28,1 ausführt: „Oratio240 , quae neque coniunctionem neque disiunctionem habet, ex mente pronuntiantis vel disiuncta vel coniuncta accipitur“ und in D. 50,16,29 für den betrachteten Fall passend ergänzt: „Coniunctionem enim nonnumquam pro disiunctione accipi Labeo ait: ut in illa stipulatione ‚mihi heredique meo te heredemque tuum‘“. Gedanklich trennt der Erblasser das in einem Satz formulierte Vermächtnis in zwei verschiedene (Einzel-) Vermächtnisse: Titium servum do lego [et] Maevio alterum servum do lego. Diese Lösung entspricht der ersten, aus der Wahrheitstabelle von „et“ abgeleiteten Lesart bei Iul. Pal. 71 (D. 30,79). Die abweichende Entscheidung für die erste Lesart ergibt sich aus der 236 Siehe Ulp. D. 30,34,4: „Sed si non corpus sit legatum, sed quantitas eadem in eodem testamento saepius, divus Pius rescripsit tunc saepius praestandam summam, si evidentissimis probationibus ostendatur testatorem multiplicasse legatum voluisse [..]“. Vgl. dort auch § 6. 237 Kein Problem eines mehrfachen (Gattungs-)Vermächtnisses, sondern einer ungenügend genauen Bezeichnung der vermachten Sache behandelt Ulpian in D. 30,37,1. 238 Nach Bund (1965), S. 39 (Fn. 42). 239 Das Distributivgesetz der Algebra besagt, dass das Ausmultiplizieren eines Ausdrucks zum selben Resultat führt: (a+b) · c = a · c + b · c. Das Multiplikationszeichen entspricht in Julians Fall der Zuordnung von Sache zu Person. 240 Zum römischen Sprachgebrauch von „oratio“ als „Aussage“, siehe vorne, Kapitel 3 B. 4.

G. Ergebnisse (erster Teil)

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Präzisierung des Erblassers, je einen Sklaven vermachen zu wollen: singulos servos do lego, die klarstellt, dass es sich eben nicht um eine eadem res handelt. Auf die Frage, wie im Konfliktfall der Streit zwischen Titius und Maevius zu lösen wäre, geht Julian allerdings nicht weiter ein. In dieser Stelle arbeitet Julian wieder mit einer explizit ausformulierten und aus dem Sachverhalt entnommenen Erklärung, welche er im Sinn der in den zuvor besprochenen Stellen auslegt. Wie bei Iul. Pal. 478.9+11 (D. 30,84,9+11) ist es die präzise Wortwahl des Erblassers, die ihm erlaubt, die zutreffende Deutung auszuwählen. Der Vergleich mit einer alternativen Formulierung unterstützt seine Entscheidung und belegt sein umfassendes Verständnis der logischen Verknüpfung, mit der er nach Belieben spielen und die er zur Konstruktion verschiedener juristisch relevanter Fälle einsetzen kann.

G. Ergebnisse (erster Teil) Diese ersten drei Gruppen von Stellen wurden wegen der logischen Verknüpfungen ausgewählt, welche sich in den Sachverhalten in explizit zitierten Erklärungen oder in Umschreibungen Julians finden. Für sie lassen sich Bezüge zur Aussagenlogik einfach anhand der einschlägigen Schlüsselwörter herstellen. Zusammen mit den erwähnten Stellen Pomp. D. 31,11,1 und D. 45,1,12 pr. belegen diese Texte Julians mit ihrem theoretischen Charakter hinreichend, dass sich die römischen Juristen grundsätzliche Gedanken über die Bedeutung der Konjunktion und der Disjunktion und ihren korrekten Sprachgebrauch machten241. Bei Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) diente die Logik dazu, den vorgegebenen Sach­ verhalt sauber zu erfassen, der aus einer explizit zitierten Stipulation bestand. Julian deutete den Wortlaut streng nach dem alltäglichen Verständnis der Disjunktion, d. h. in ihrer ausschließlichen Variante. Diese Deutung ließ sich rechtlich nicht mit dem aus dem Zusammenhang abzuleitenden Umstand vereinbaren, dass der Sklave ein gemeinschaftlicher Sklave zweier Herren war. Die ausschließliche Disjunktion hätte zwei voneinander unabhängige Leistungen als echte Handlungsalternativen für den Versprechenden verlangt. Auch im ähnlich gelagerten Beispiel von Iul. Pal. 717.0 (D. 46,3,34 pr.) unterstellte Julian die ausschließliche Variante der Disjunktion, um den Sachverhalt zu analysieren und die Stipulation 241

Erhalten sind dazu die folgenden Stellen aus dem Titel „de verborum significatione“ des 50. Buchs der Digesten: Paul. D. 50,16,28,1 mit Fr. 29, D. 50,16,53 pr. und § 1 sowie lehrbuchartig Proc. D. 50,16,124. Weniger allgemein, sondern bereits als spezifische Anwendung auf das Recht der Anwachsung stellt sich Paul. D. 50,16,142 dar. Paulus erklärt dort systematisch die drei Arten, wie eine Verbindung in einer testamentarischen Verfügung entstehen kann: „Triplici modo coniunctio intellegitur: aut enim re per se coniunctio contingit, aut re et verbis, aut verbis tantum [..]“. Zu dieser Stelle siehe Lohsse, S. 52 ff., der auch der Frage nachgeht, wie allgemein Paulus’ Terminologie anerkannt war. Zum Sprachgebrauch von coniunctio Konjunktion bei Cicero und den Stoikern siehe Mayet, S. 100 (Fn. 240).

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Kap. 3: Assertorische Logik

auszu­legen, die eine doppelte Verknüpfung beinhaltete. Julians rechtliche Folgerungen zu den schuldrechtlichen Verhältnissen zwischen den Parteien stützten sich maßgeblich auf die deutlich erkennbaren Handlungsalternativen der einen Vertragspartei ab. Das Gleiche gilt für die übrigen Stellen, in denen die Logik der Interpretation explizit wiedergegebener (Iul. Pal. 465.0 (D. 33,5,9 pr.), 478.9 (D. D. 30,84,9), 478.12 (D. 30,84,12)) oder im Sachverhalt dargestellter testamentarischer Verfügungen (Iul. Pal. 465.1 (D. 33,5,9,1), 478.8 (D. 30,84,8), 478.11 (30,84,11)) oder anderer Erklärungen der Parteien (Iul. Pal. 71 (D. 30,79)) dient. Insgesamt befasste sich die Logik mit den gegenständlichen Elementen der Sachverhalte und griff noch auf der Ebene der eigentlichen verba als zu analysierender „Aussagen“ ein. Auf dieser Ebene gilt, dass sich Julian entlang der Linien des von der Logik vorgezeichneten theoretischen Modells bewegte. Der Fehlschluss der Division in Iul. Pal. 71 (D. 30,79) wies eine Verbindung zu Problemen der Mehrdeutigkeit und der Fehlschlüsse auf, wie sie Julian ausführlich in seinem liber singularis de ambiguitatibus behandelte. Eine eigentliche „rechtliche“ Diskussion erfolgte in den besprochenen Stellen entweder gar nicht oder nur sehr verkürzt (so in Iul. Pal 161 (D. 12,6,32 pr.), 478.8 (D. 30,84,8), 705 (D. 45,3,10) und 717 (D. 46,3,34 pr.), wo sich wenigstens Spuren einer knappen Begründung entdecken lassen). Dies heißt jedoch keineswegs, dass die Stellen deswegen juristisch wenig problematisch sein müssen, wie die Besprechung von Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8) eindrücklich gezeigt hat. Dass Julian in Iul. Pal. 71 (D. 30,79) eine Mehrdeutigkeit so lapidar verneinen konnte, liegt auch an den oft als bekannt vorausgesetzten, ausdifferenzierten Rechtsregeln zu den Vermächtnissen. Am Ende dieser Stelle sprach denn auch nicht der logisch Geschulte, sondern der Jurist. Die Behauptung, dass die rechtliche Beurteilung erst an die aus der Logik gewonnenen Zwischenresultate anknüpft, um anschließend aus den identifzierten Möglichkeiten aus­zuwählen, erscheint in den besprochenen Beispielen glaubhaft illustriert. Die besprochenen Stellen legen nahe, dass Julian in seinen Digesten von der ausschließlichen Variante aut = 〉--〈 als dem in der Alltagssprache üblichen Standardfall für die Disjunktion ausging. Auf die Vermutung, dass Chrysippus die ausschließliche Variante der Disjunktion bevorzugte, wurde schon hingewiesen242. Sie bestätigt sich in den behandelten Stellen Iul. Pal. 161 (D. 12,6,32 pr.), 465.0–1 (D. 33,5,9 pr.-1) und 478.9+11 (D. 30,84,9+11), bei denen die ausschließliche Variante jeweils als die „richtige“, vom Erblasser vermutungsweise gewählte dar­ gestellt wird. Den Ausnahmefall, bei dem aut = ∨ gemeint war, diskutiert Julian in 242 Siehe vorne, Kap. 3 B. 4. b). Long/Sedley, S. 211 sehen darin eine Parallele zur stoischen Diskussion der Natur des Konditionals (siehe dazu den nächsten Abschnitt), in deren Verlauf sich die Stoiker von Philos „wahrheitsfunktionaler“ Definition entfernten und die pragmatischere, von Diodorus vorgeschlagene vorzuziehen begannen. Die Quellenlage ist wie bei den meisten die stoische Logik betreffenden Fragen nicht völlig eindeutig. Immerhin konzentriert sich die Darstellung der Disjunktion bei Diogenes Laertius, 7,71–74 mit dem allgegenwär­tigen Beispiel „Es ist entweder Tag oder Nacht“ auf die ausschließliche Variante, und in der Beschreibung bei Gel. 16,8,12–14 steht sie an erster Stelle.

G. Ergebnisse (erster Teil)

131

bemerkenswerter Weise nur im liber singularis de ambiguitatibus. Als Vergleich und zur Dokumentation des Gedankengangs sei an dieser Stelle auszugsweise aus D. 34,5,14,6 zitiert243: 244

[1] Item si pater familias in testamento ita scripserit: ‚si quis mihi filius aut filia genitur, heres mihi esto: si mihi filius aut filia heres non erit, Seius heres esto‘, non satis voluntatem suam declaravit, si non aliter extraneum heredem esse volet, quam si neque filius neque filia heres sit: hoc enim modo concipi oportet: ‚si mihi neque filius neque filia heres erit‘. [2] Potest autem interdum superior scriptura esse necessaria, si quis, cum filium et filiam habeat, utrumque heredem instituere velit, sed sive alter heres futurus sit, extraneum miscere, sive neuter, extraneum substituere. [3] Sed proclivior est sententia testatoris sic esse interpretanda, ut, sive filius sive filia nati ei fuerint, extraneus non admittatur, nisi specialiter hoc testator expresserit.

[1] Ebenso wenn ein Hausvater so in sein Testament schreibt: „wenn ich einen Sohn oder eine Tochter haben werde, soll er oder sie mein Erbe sein; wenn ich keinen Sohn oder keine Tochter haben werde, soll Seius mein Erbe sein“, erklärt er seinen Willen nicht ausreichend klar, wenn er nur dann einen Außenstehenden als Erben haben will, wenn weder ein Sohn noch eine Tochter Erbe wird. Er muss [dann] nämlich in dieser Weise beginnen: „Wenn ich weder einen Sohn noch eine Tochter haben werde“. [2] Bisweilen aber kann obige Formulierung nötig sein, wenn der, welcher einen Sohn und eine Tochter hat, beide als Erben einsetzen will, aber sei es, dass nur einer Erbe wird, einen Außenstehenden dazusetzen will, sei es, dass keiner Erbe wird, einen Außenstehenden als Ersatzerben einsetzen will. [3] Es ist aber einfacher244, den Satz des Erblassers so zu interpretieren, dass, wenn ihm ein Sohn oder eine Tochter geboren werden wird, der Außenstehende nicht als Erbe erkannt wird, außer der Erblasser hätte dies besonders festgehalten.

Theoretisch kann die vom Erblasser verwendete Disjunktion als aut = ∨ gelesen werden. Dann träte Seius auch als Ersatzerbe ein, wenn der Erblasser nur entweder einen Sohn oder eine Tochter als Erben haben würde245. Dies entspricht modellgemäß der formal aus der assertorischen Logik abgeleiteten Lösung. Julian hält sie in den Fällen von Abschnitt [2] für die richtige. Seine Bemerkung aus Abschnitt [3] zeigt jedoch, dass er diese Auslegung nur in Ausnahmefällen für angebracht hielt: sed proclivior est. Die Logik eröffnet zwar die Möglichkeit dieser Auslegung, sie ist in der juristischen Praxis aber wohl nicht zweckmäßig, es sei denn der Erblasser hat einen expliziten Hinweis gegeben, dass er diese Möglichkeit selbst erkannt hat: nisi specialiter hoc testator expresserit. Hier erscheint weniger die Logik als Hilfsmittel der Lösung. Vielmehr schlägt die teleologische Auslegung des Testaments gepaart mit dem favor testamenti durch. Neben ihrem theoretischen Cha 243 Für die vollständige Exegese siehe Winkler (2013), S. 227 ff. mit weiteren Hinweisen zu den verschiedenen Meinungen in der Literatur zu Interpretation und Echtheit der Stelle. 244 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Bd. V, S. 683 übersetzen mit „es näher liegt“. 245 Mit A := mihi filius non erit, B := mihi filia non erit und C := Seius heres erit wird Seius in den drei Fällen A = B =1; A = 1, B = 0 und A = 0, B = 1 als Ersatzerbe berufen.

132

Kap. 3: Assertorische Logik

rakter kann Iul. Pal. 3 (D. 34,5,13(14)) auch als praktische Begründung ge­lesen werden, welche die Präferenz für aut = 〉--〈 im Rechtsalltag untermauert. Die aus aus Proculus’ logischer Erläuterung in D. 50,16,124 bekannte Variante aut =  /, die heute auch als Sheffer-Symbol246 bekannt ist, kommt in Julians Digesten als Teil eines diskutierten Problems gar nicht erst vor247. Die bisherigen Überlegungen haben sowohl für den Bereich der erb- wie der schuldrechtlichen Themen Gültigkeit: Es ist einsichtig, dass logische Verknüpfungen bei erbrechtlichen Fragen wie der Auslegung von Testamenten nach dem wirklichen oder hypothetischen Willen des Erblassers besonders problematisch sein können. Dies erklärt vielleicht die festgestellte relative Häufung problematischer Stellen mit „aut“ aus dem Bereich des Erbrechts. Im Schuldrecht stellt sich wie in Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) nicht nachträglich die Frage, mit welcher Bedeutung eine logischeVerknüpfung verwendet wird, sondern vielmehr die Frage, wie die Verknüpfung korrekt einzusetzen ist, etwa auf Seiten der Person, welche eine Stipulation formuliert, so dass das Rechtsgeschäft gültig ist. Das soweit zur Rolle der Logik gezeichnete Bild kann aus prozessrechtlicher Sicht weiter ausgeleuchtet werden. Die Darstellung in Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) wies Züge eines hypothetischen Falles auf. Wäre die Stipulation aber so wie dargestellt abgeschlossen worden, müsste sie als ungültig angesehen werden. Ihre Ungültigkeit resultierte aus der Tatsache, dass der Sklave ein gemeinschaftlicher Sklave zweier Herren war. Sowohl diese Tatsache wie die vollständige Formu­ lierung der Stipulation wären als Beweise zu editieren248. Dies unterstreicht nochmals die Bedeutung einer exakten Analyse der Erklärung. Sie dient dazu, im Vorfeld des Prozesses die auf den Fall anwendbare Klageformel auszuwählen. Ebenfalls im Vorfeld des Prozesses stellte sich bei Iul. Pal. 717 (D. 46,3,34 pr.) die Frage, gegen wen sich eine Klage überhaupt richten sollte. Die Frage der Sach­ legitimation kann sich schon im Verfahren in iure oder erst apud iudicem stellen und beantwortet sich nach dem materiellen Recht249. Das Beispiel überspannt da 246

Benannt nach dem US-amerikanischen Logiker Henry Maurice Sheffer (1882–1964). Grundlage für diese Behauptung ist die Durchsicht der 81 Fragmente, in denen das Schlüsselwort aut enthalten ist. Das Beispiel Iul. Pal. 672.0 (= D. 43,26,19 pr.) ist nicht als Gegenbeispiel zu sehen: „Duo in solidum precario habere non magis possunt, quam duo in solidum vi possidere aut clam: nam neque iustae neque iniustae possessiones duae concurrere possunt“. Die Aussage zum (Allein-)Besitz bildet zwar das Muster der Wahrheitswerte von A/B ab: Von zwei Parteien A und B kann entweder die eine (A = 1; B = 0) oder die andere (A = 0; B = 1) oder keine von beiden (A = B = 0) Besitz an einer Sache haben (im letzten Fall läge der Besitz bei einem Dritten). Es ist aber unmöglich, dass beide gleichzeitig (Allein-)Besitz an der Sache haben (A = B = 1). Dies ist vom Konzept des Mitbesitzes (§ 866 BGB) in D. 43,17,1,7 abzugrenzen. Iul, Pal. 672.0 ist nur ein Beleg dafür, dass aut = / in der Wirklichkeit vorkommt. Explizit behandelt wird die Struktur in der Stelle jedoch nicht. Auch liegt kein Problem der ambiguitas vor. Ein Beispiel zu aut = / findet sich in Quintilians Deklamation Nr. 318. Zu Proc. D. 50,16,124 siehe Miquel, S. 90 ff. 248 Siehe Ulp. D. 2,13,1,4. 249 Kaser/Hackl, S. 251. 247

G. Ergebnisse (erster Teil)

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mit potentiell beide Verfahrensabschnitte. Julians Wahl der grammatischen Zeiten in „qui promisit – condicet“ gemahnt jedoch eher an einen Ratschlag für Kläger, die sich in der gegebenen Situation demnächst an den Prätor wenden wollen. In ähnlicher Weise erscheint das „nihil repetet“ in Iul. Pal. 161 (D. 12,6,32 pr.) weniger als Rechtsfolge denn als Prognose Julians zu einem möglichen Prozess, den sein ratsuchender Klient anzustrengen gedenkt250. Doch mehr als eine schöne Vermutung ist dies nicht. Dagegen liefert Iul. Pal. 478.8 (D. 30,84,8) die rechtlichen Grundlagen für die Berechnung des Maevius geschuldeten Anteils am Vermächtnis. Sie ließe sich daher der beim iudex stattfindenden adiudicatio im Rahmen der Teilungsklage zuordnen. Im Rahmen dieses Herantastens der Juristen an die wahrscheinlichste oder zweckmäßigste Lösung dürften sie über große Freiheiten verfügt haben und konnten sich verschiedenster Techniken und Hilfsmittel (also auch der Logik) bedienen. Auch mit Blick auf die Untersuchung der juristischen Argumentation in Kapitel 5 stellt sich die Frage, inwieweit die Logik selbst als Beweisthema angesehen werden kann oder ob ihre Rolle auf die eines Hilfsmittels in der Argumentation bzw. der Beweisführung beschränkt bleibt. Als unkünstliche Beweise werden Beweise bezeichnet, die vom Gerichtsredner vorgefunden aber mit rhetorischen Mitteln geeignet aufbereitet und ins rechte Licht gesetzt werden mussten251. Zu dieser Kategorie zählten Erklärungen der Beteiligten, wie der Wortlaut einer Stipulation, ein schriftlich abgefasstes Testament oder Zeugenaussagen. Als künstliche Beweise galten jene, die mittels der Rhetorik durch Reflexion aus dem Prozessgegenstand herausgeschält wurden252. Dazu zählten insbesondere die rational-schlussfolgernd gewonnenen argumenta253 , die sich im hier vertretenen Verständnis als „Zwischenresultate“ auffassen lassen, auf die sich die eigentliche juristische Diskussion abstützen wird254. Als Basis des argumentum dienten neben den eben angesprochenen unkünstlichen Beweisen sichere Feststellungen oder Meinungen, zu denen ein allgemeiner Konsens bestand255. Als Methode des argumentum trat die ratiocinatio mit dem Syllogismus als logisch vollkommener und dem enthymeme als logisch unvollkommener Form auf 256. Aus dieser Perspektive präsentiert sich die Logik auf ihrer Meta-Ebene als Teil der (rhetorischen) Methode und dient der Beweisführung. Auf der Ebene der Objektsprache hingegen können ein 250

Zur Deutung von Juristenmeinungen als Prognose siehe Babusiaux (2006), S. 8. Genus inartificiale probationum: Quint. 5,1,1; vgl. Lausberg § 351. 252 Genus artificiale probationum: „esse probationes [..] quas ex causa trahent ipse 〈orator〉 et quodammodo gigneret“: Quint. 5,1,1; vgl. Lausberg § 355. 253 Quint. 5,10,11: „Argumentum est ratio probationem praestans, qua colligitur aliud per aliud, et quae quod est dubium per id quod dubium non est confirmat“. Vgl. Lausberg § 366. 254 Zu den argumenta siehe auch Kapitel 5. 255 Quint. 5,10,12: „Ea in quae communi opinione consenus est“. Siehe auch Cic. inv. 1,65: „[..] hoc quia ipsum ex se perspicitur et verum esse intellegitur, nihil attinet approbari [..]“. 256 Cic. inv. 1,34,57: „Ratiocinatio est oratio ex ipsa re probabile aliquid eliciens quod expositum et per se cognitum sua se vi et ratione confirmet“. Siehe auch Arist. Rh. 1,2,13; vgl. Lausberg § 371. 251

134

Kap. 3: Assertorische Logik

zelne ­logische Instrumente wie die Verknüpfungen als Basis und Ausgangspunkt der argumenta und somit durchaus auch als unkünstliche „Beweismittel“ verstanden werden. In diesem – der stoischen Sprachtheorie entsprechenden – Sinn tritt eine vorgegebene Erklärung zunächst als gegenständlicher Beweis auf. Der Jurist beginnt sein argumentum mit einer logischen Analyse der durch die geäußerte Erklärung transportierten Aussage als propositionalem Akt. Im betrachteten Fall liegt es nicht am Juristen, der Erklärung eine logische Struktur zu unterstellen, ist sie doch bereits in der Erklärung selbst angelegt. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, ihre maßgebliche Bedeutung zu bestimmen. Dies wiederum ist eine Frage des Sprachgebrauchs der Beteiligten, deren Erklärungen interpretiert werden sollen. Wörtern der Fachsprache kann eine spezielle Bedeutung zukommen, die sich von jener der Alltagssprache unterscheidet257. Bei einem Soldaten als Erblasser, der in seinem Testament Begriffe aus der Militärsprache verwendet, wäre im Zweifelsfalle diese und nicht die Alltagssprache Richtschnur der Interpretation. Dass mit aut eine von drei verschiedenen Varianten der Disjunktion gemeint sein kann, fällt in den Bereich der Fachsprache der Logik. Chrysippus mochte die Meinung, dass aut = 〉--〈 zu lesen sei, bevorzugt haben. Wahrscheinlich entsprach aut = 〉--〈 dem alltäglichen Sprachgebrauch. Ein praktisch orientierter Jurist wird dazu neigen, einem Erblasser oder Stipulator der Alltagssprache entsprechende Variante zu unterstellen : „In obscuris inspici solere, quod verisimilius est aut quod plerumque fieri solet“258. In diesem Sinne entschied Julian jeweils in den besprochenen Stellen. Anders zu entscheiden wäre, wenn es zusätzliche, äußere Hinweise dafür gäbe, dass der Betreffende nicht von der konventionellen Meinung ausging. Dann aber hätte sich der Erblasser mit logischen Studien beschäftigen müssen oder logisch ge­bildet sein müssen. Auch bei dieser ersten Gruppe von Texten mit Bezügen zur Logik tritt das in Kapitel 2 aufgezeigte Interesse Julians an komplexen Kombinationen verschiedener Rechtsinstitute hervor. So lässt sich Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) als Sonderfall und Abwandlung des Falles eines gemeinschaftlichen Sklaven aus Iul. Pal. 704.4 (D. 45,3,1,4) einorden, der für seine Herren stipuliert. Variierende Kombinationen wie in Iul. Pal. 756 (D. 35,2,87) finden sich auch zu Beginn von Iul. Pal. 717 (D. 46,3,34), in dessen pr. ein Gläubiger mit einem adiectus und in dessen § 1 zwei Gläubiger kombiniert werden. Als nächstes behandelt § 2 eine Stipulation nach dem Muster von Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10), die in diesem Fall jedoch gültig ist. Die übrigen §§ 3–11 behandeln weitere Sonderverhältnisse bei der Stipulation (procurator, Leistung an Dritten, Verwandschaft, Bürgen, ohne jedoch logische Ana­ lysen zu Hilfe zu nehmen). Daneben führen die Konjunktion und die Disjunktion als Konstruktionsprinzip zu einer Reihe von Sachverhalten, die es Julian erlauben, die rechtliche Behandlung verschiedener alternativ oder kumulativ wirken 257

Vgl. Fögen, S. 35. Paul. D. 50,17,114. Zu den drei Graden der Glaubwürdigkeit (zwingend, wahrscheinlich, nicht unmöglich), siehe Lausberg § 356. Zur Bedeutung der Alltagssprache in der Auslegung siehe insbesondere im liber singularis bei Iul. Pal. 2 (D. 30,62). 258

H. Grundlagen (zweiter Teil)

135

der Erklärungen aus dem Schuld- und Erbrecht nach dem bekannten Muster des kasuistischen Ausleuchtens zu diskutieren. Bei einigen dieser Stellen wie etwa in Iul. Pal. 705 (D. 45,3,10) mag es sich um reale, dem Juristen vorgelegte Fälle gehandelt haben. Andere könnten rein fiktiv und eigens für die Digesten „kombinatorisch“ konstruiert worden sein, um die verschiedenen, denkbaren Varianten durchzuspielen. Unter diesem Titel ist etwa an das komplizierte Iul. Pal. 717.0 (D. 46,3,34 pr.) zu denken. Zusammenfassend liefert diese erste Gruppe von Exegesen zahlreiche Belege für Julians genaue Kenntnisse der (Aussagen-) Logik, die er mit einiger Routine in zweierlei Weise für seine jurstische Schriftstellerei nutzbar zu machen verstand: Die Logik diente ihm einerseits dazu vorgegebene Sachverhalte genau zu erfassen (Lebenswelt). In diesem Fall treten logische Strukturen zur Ermittlung des Gehalts von Parteierklärungen auf, die es als Teil der Alltags- oder Fachsprache objektivierend auszulegen gilt. Andererseits half Julian die Logik aber auch dabei, neue quaestiones iuris zu konstruieren, um zu interessanten juristischen Fragestellungen zu gelangen (kasuistischer Stil). Es zeigte sich, dass Julian sehr viel besser in der Lage war, zu diesem Zweck seine logischen Kenntnisse einzusetzen, als ihm dies bei der Mathematik gelang, für die er an die Grenzen seiner Abstraktions­fähigkeit (und vielleicht auch seines Interesses) zu stoßen schien259. In beiden Fällen spielt die Logik die Rolle eines Hilfsmittels, um die sachlich vertretbaren Lösungen aus dem Sachverhalt zu identifizieren. Wie die Exegesen im zweiten Teil dieses Kapitels zeigen werden, ist es diese Hilfsfunktion, die das Auffinden feiner, rechtlicher Differenzierungen unterstützt. Da die Logik selbst nicht einmal eine Präferenz für „wahr“ oder „falsch“ hat, kann sie allerdings keine Auswahl zwischen den vertretbaren Lösungen treffen. Hierzu bedarf es zusätzlicher sachlicher oder wertender Argumente. Deren Gehalt und Umfang ist in den folgenden Kapiteln zu untersuchen.

H. Grundlagen (zweiter Teil) Bislang wurde die wichtige logische Verknüpfung des Konditionals beiseite gelassen. Seine Komplexität, seine eigenen theoretischen Schwierigkeiten und seine praktische Bedeutung in der alltäglichen wie in der Rechtssprache rechtfertigen es, den Konditional im nun folgenden zweiten Teil von Kapitel 3 mit gebührender Tiefe zu behandeln. Der Konditional findet im Recht ein sehr weites Feld der Anwendung. Die umgangssprachliche „wenn, dann“-Struktur passt in natürlicher Weise auf jede Bedingung. Bedingungen finden sich etwa mit den Vertragsstrafen im Vertragsrecht oder mit bedingten testamentarischen Verfügungen im Erbrecht.

259

Siehe hierzu die Ergebnisse zu Kapitel 2.

136

Kap. 3: Assertorische Logik

1. Die Doppelnatur des Konditionals Die Struktur des Konditionals findet sich in der Umgangssprache typischerweise in „wenn, dann“-Sätzen wieder260. Sprachliche Gewohnheit mag verdecken, was eine nähere theoretische Betrachtung aufdeckt: dass diese anschauliche Struktur unvollständig und teilweise sprachlich missverständlich ist. Um die behauptete Doppelnatur des Konditionals sichtbar zu machen, werden zunächst die im ersten Teil dieses Kapitels als Auslegungsmittel eingeführten Wahrheitstabellen zu Hilfe gezogen. Sie dienen dazu, den Konditional als logische Verknüpfung so zu definieren, wie es in der modernen Logik üblich geworden ist. Anschließend werden die zwei in der Antike diskutierten Zugänge zum Konditional vorgestellt, die sich in sehr unterschiedlichem und für die Exegesen nicht unbedeutendem Maße vom modernen Verständnis unterscheiden. Nach modernem Verständnis müsste sich der Konditional als logische Verknüpfung wie die Konjunktion und die Disjunktion in einer Wahrheitstabelle abbilden lassen. Beim Ausfüllen der Tabelle treten jedoch rasch einige Schwierigkeiten auf: A

B

A→B

1

1

1

1

0

0

0

1

?

0

0

?

Die ersten beiden Zeilen der Wahrheitstabelle lassen sich noch einfach bestimmen, wie sich an folgendem Beispiel illustrieren lässt: A:

„Er wird zehn gegeben haben“.

B:

„Er wird frei sein“.

A → B: „Wenn er zehn gegeben haben wird, wird er frei sein“.

Als Begründung kann an das rechtliche Institut der manumissio gedacht werden, die bei Eintreten der Bedingung A zur vorgesehenen Rechtsfolge B führt. Gilt A = B = 1, wird das Rechtsinstitut „richtig“ angewendet, und der Ausdruck A → B erhält in der ersten Zeile der Tabelle den Wahrheitswert „1“. Wird aber B = 0 festgestellt, muss das Ergebnis als „falsch“ qualifiziert werden, was zu einem Wahrheitswert „0“ in der zweiten Zeile führt261. Diese intuitive Interpretation unterstellt einen inhaltlichen, kausalen Zusammenhang zwischen den Aussagen A und B, doch wäre 260 Die Ursprünge des Konditionals als Spruchformel mit religiösem Hintergrund lassen sich bis in die Zeit Mesopotamiens und der Erfindung der Schrift zurückverfolgen. Siehe dazu Bottéro, S. 409 ff. 261 Diese Interpretion stützt sich auf die Idee des „binären Codes“ im Rechtssystem, welche sich bei Luhmann (1995), S. 165, 178 findet.

H. Grundlagen (zweiter Teil)

137

bei anderer Ausgangslage wohl auch ein temporaler Zusammenhang denkbar. Besonders deutlich tritt die kausale Interpretation bei naturwissenschaftlichen Sachverhalten im Verhältnis von Ursache und Wirkung hervor: „Wenn sich der Apfel vom Baum löst, fällt er hinunter“. Dieser Konditional scheint vergleichsweise unproblematisch und in reiner Form vorzuliegen. Fraglich ist, ob ein solcher kausaler oder temporaler Sinn-Zusammenhang aus Sicht der Logik nötig ist, oder ob er nicht eher den Blick auf die wahre Natur des Konditionals verdunkelt. Was damit gemeint ist, wird beim Ausfüllen der unteren beiden Zeilen in der Tabelle deutlicher. Die zweite Hälfte der Aufgabe gestaltet sich schwieriger. Im genannten Beispiel ist die Erfüllung der Bedingung A im Rahmen einer manumissio testamento eine für die Freilassung des Sklaven hinreichende Bedingung. Der Sklave könnte aber auch auf anderem Wege zur Freilassung gelangen: A = 0, B = 1. Zu denken ist an die Figur der „überholenden Kausalität“, welche die ursprünglich gesetzte Kausalität unterbricht. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob in diesem Fall A → B als wahr oder doch eher als falsch klassiert werden soll. Oder einfacher und ohne juristischen Hintergrund äußere ein Journalist die Vorhersage „Wenn es regnet, wird Oxford das Bootsrennen gewinnen“262. Wie ist diese Vorhersage zu bewerten, wenn am Tag des Rennens die Sonne scheint und Oxford gewinnt? Mit diesem Dilemma konfrontiert könnte man sich dafür entscheiden, die beiden unteren Zeilen wie in der Tabelle angedeutet unbestimmt zu lassen. Der Preis, den man aus der Sicht der heutigen Logik dafür bezahlen müsste, ist die Aufgabe der Vorstellung, der Konditional sei eine Wahrheitsfunktion. Denn eine korrekte Wahrheitsfunktion lässt sich ja nach modernem Verständnis immer vollständig und eindeutig durch ihre Wahrheitstabelle definieren. Erst, wenn man bereit ist, von den Inhalten der Sätze zu abstrahieren, steht ein Ausweg zur Verfügung, der sich mit dem Extensionalitätsprinzip der Ausssagenlogik als Randbedingung verträgt, wonach sich der Wahrheitswert der Verknüpfung zweier Aussagen aus den Wahrheitswerten dieser Aussagen und nur aus diesen ergibt. In erster Linie wird man verhindern wollen, dass A wahr und gleichzeitig B falsch ist. Dies widerspräche schon der umgangssprachlichen Vorstellung der „wenn, dann“-Konstruktion. Um dies zu verhindern, sei A → B formal als ¬(A ∧ ¬B) definiert. Diese abstrakte Definition entspricht dem modernen Verständnis des Konditionals263: A

B

A→B

A↔B

1

1

1

1

1

0

0

0

0

1

1

0

0

0

1

1

262 Inspiriert von Kneale/Kneale, S.  135. Kneale/Kneale, S.  138 verwenden für die erste Hälfte der Wahrheitstabelle den wenig glücklichen Begriff einer „necessary connexion“. 263 Vgl. Hoyningen-Huene, S. 50 f.

138

Kap. 3: Assertorische Logik

Als Spezialfall des Konditionals steht rechts die Tabelle des Bi-Konditionals264. In der Alltagssprache entspricht er einer „nur wenn, dann“-Struktur. In diesem Fall ist A nicht nur hinreichende, sondern auch notwendige Bedingung für B. Die untere Hälfte der Wahrheitstabelle des Konditionals konnte durch eine Abstraktion ausgefüllt werden, welche vollkommen unabhängig von temporalen oder kausalen Interpretationen bleibt. Es ist nach den bisherigen, vorsichtigen Bemerkungen zur Abstraktionsfähigkeit der antiken Denker bemerkenswert, dass diese Hürde schon in der Antike genommen wurde. 2. Erster Zugang: Stoische Logik Während sich Aristoteles’ Interesse am Konditional auf seine Verwandtschaft zum Grundmuster des logischen Schlusses beschränkte265, diskutierten die Stoiker die Natur des Konditionals so intensiv und heftig, dass die Frage wohl auch in einem breiteren Kreis von Gebildeten als bekannt vorausgesetzt werden darf 266. Sextus Empiricus fasst die Diskussion in einer Liste von vier verschiedenen Ansätzen zusammen. Die erste Definition schreibt er Philo267 zu: Philo sagt, dass ein gueltiger Konditional einer ist, der nicht mit etwas Wahrem beinnt und mit etwas Falschem endet, zum Beispiel wenn es Tag ist und ich im Gespräch bin die Aussage „Wenn es Tag ist, bin ich im Gespräch“268.

Diese Definition entspricht der zuvor formal entwickelten Variante, den Konditional über die Formel ¬(A ∧ ¬B) zu definieren269. Kneale und Kneale sehen ein Motiv für Philos Definition des Konditionals im stoischen Interesse an logischen Schlussformeln der Form „Wenn A, dann B; sei A; dann B“270. Philos Definition ist jene der vier Varianten aus der Liste bei Sextus, welche mit der geringsten Anzahl Voraussetzungen auskommt und dabei diese logische Schlussformel noch korrekt und vollständig abbildet. Dies wird an Philos merkwürdigem Beispiel deutlich, bei dem es zwischen den beiden verknüpften Aussagen keinerlei in 264

Vgl. Hoyningen-Huene, S. 53 f. Arist. An. pr. II,2 (53b): „Die Prämissen, durch die der Schluss zustande kommt, können nun wahr und können falsch sein. Der Schlusssatz aber ist notwendig entweder wahr oder falsch“ (Übers. Rolfes, S. 94). 266 Nach Sext. Emp. Math. 1,309 lässt Kallimachos von Kyrene sogar die Krähen auf den Dächern über die Natur des Konditionals streiten. 267 Philo von Megara, vermutlich 4./3. Jh. v. Chr. 268 Sext. Emp. Pyrr. Hyp. 2,110–113 (2); deutsche Übertragung der engl. Übers. von Long/ Sedley, S. 209. 269 In der Literatur wird diese Variante des Konditionals oft als philonische Implikation A ⊃ B bezeichnet; siehe z. Bsp. Bochenski, S. 89. 270 Kneale/Kneale, S. 130, 158 f. Die Kurzformel ist wie folgt zu verstehen: Sei A → B als Regel gegeben. Sei weiter A = 1. Dann folgt logisch bzw. kann logisch geschlossen werden, dass B = 1 gilt. Cicero umschreibt sie als erstes „Unbeweisbares“ in Cic. top. 13,54 wie folgt: „[..] cum primum adsumpseris, consequitur id quod adnexum est primum conclusionis modum; [..]“. 265

H. Grundlagen (zweiter Teil)

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haltlichen Zusammenhang mehr gibt. Philos Definition ist auch die abstrakteste aller vier von Sextus berichteten Definitionen. Bevor auf die übrigen drei eingegangen wird, ist im Bezug auf die schriftliche Wiedergabe des Konditionals noch eine zweite Stelle bei Sextus erwähnenswert, welche den philonischen Konditional im Detail beschreibt: Z. B. sagte Philon, das Konditional erweise sich als wahr, wenn es nicht mit Wahrem anfange und mit Falschem ende, so dass sich ein Konditional nach ihm dreifach als wahr erweist, auf nur eine Art aber falsch. Denn wenn es mit Wahrem anfängt und mit Wahrem aufhört, ist es wahr, wie „Wenn es Tag ist, ist es Licht“. Und wenn es mit Falschem anfängt und mit Falschem aufhört, ist es ebenfalls wahr, z. B. „Wenn die Erde fliegt, hat die Erde Flügel“. Ebenso ist es auch wahr, wenn es mit Falschem anfängt, aber mit Wahrem aufhört, wie „Wenn die Erde fliegt, gibt es die Erde“. Es erweist sich nur dann als falsch, wenn es mit Wahrem anfängt und mit Falschem aufhört, z. B. „Wenn es Tag ist, ist es Nacht“ [..]271.

Diese Beschreibung folgt dem tabellenartigen Muster, welches schon bei Frontinus’ Übersicht zu den römischen Wasserleitungen festgestellt wurde272, und kommt der Darstellung in Form einer modernen Wahrheitstabelle sehr nahe. Wahrheitstabellen im Rahmen von Exegesen römischer Texte zu verwenden, zeigt sich somit als vertretbarer Kompromiss. Als Urheber der zweiten Variante des Konditionals nennt Sextus in der Fort­ setzung seines Berichts den Philosophen Diodorus Cronus273: Aber Diodorus sagt, sie sei eine, die weder mit etwas Wahrem beginnen und mit etwas Falschem enden kann noch könne. Ihm zufolge scheint die eben zitierte konditionale Aussage falsch zu sein, denn wenn es Tag ist und ich in Schweigen verfallen bin, wird sie mit etwas Wahrem beginnen und mit etwas Falschem enden [..]274.

Diese zweite Variante liest sich wie eine Kritik an Philos Definition und als Versuch, sie zu verbessern. Doch ist keineswegs sicher, dass Sextus seine Liste in chronologischer Abfolge angeordnet hat275. Diodorus führt als zusätzliche Voraussetzung eine Gültigkeit der Aussagen in der Zeit ein. Wie dies im Einzelnen gedacht war, bleibt aber im Dunkeln. Es scheint unpraktisch, für den Konditional nur allgemeingültige Aussagen als Eingaben zuzulassen. Mit Blick auf das illustrierende Beispiel ist immerhin denkbar, dass für Diodorus die beiden zu verknüpfenden Aussagen mit einer Zeitangabe zu versehen sind276. Simplicius277 beschreibt dazu eine nicht weiter spezifizierte stoische Meinung wie folgt: 271

Sext. Emp. Math. 2,112–114; Übers. Flueckiger, S. 102 f. Siehe vorne, Kap. 2 B. 2. 273 Diodoros Kronos, 4./3. Jh. v. Chr. 274 Sext. Emp. Pyrr. Hyp. 2,110–113 (3); deutsche Übertragung der engl. Übers. von Long/ Sedley, S. 209. 275 Kneale/Kneale, S. 129. 276 Vgl. die nicht ganz einfache zu folgende Diskussion bei Kneale/Kneale, S. 132 f., die auf eine mögliche Verbindung zu Diodorus’ Modallogik hinweisen. Ohne Kommentar bei Mayet, S. 87. 277 Platonischer Philosoph und Kommentator von Aristoteles’ Werken des 6. Jh. n. Chr. 272

140

Kap. 3: Assertorische Logik

Ausgehend von diesen Argumenten ist es möglich zu zeigen, dass die stoischen Aussagen, welche manchmal Aussagen genannt werden, die sich unbestimmt ändern, nichts von dieser Art sind. Ein Beispiel ist: „Wenn Dion lebt, wird Dion am Leben sein“. Denn obwohl diese Aussage jetzt wahr ist, da sie die wahre Voraussetzung „Dion lebt“ und die wahre Folge „er wird am Leben sein“ aufweist, wird die Zeit kommen, wenn die zusätzliche Voraussetzung „aber Dion lebt“ wahr sein wird, der Konditional aber dennoch falsch sein wird. Dies liegt daran, weil es einen Zeitpunkt geben wird, wenn obgleich „Dion lebt“ immer noch wahr sein wird, die Aussage „er wird auch am Leben sein“ nicht wahr sein wird. Und wenn letzteres nicht wahr wahr sein wird, muss der ganze Konditional sich ändern und falsch werden. Denn „er wird am Leben sein“ kann nicht zu allen Zeiten wahr sein, zu denen „er lebt“ wahr ist: Dies würde Dion unsterblich machen. Andererseits ist es nicht möglich, genau zu sagen, wann es sein wird, dass er am Leben ist, aber „er wird am Leben sein“ nicht wahr ist278.

Diese (spätantike) Quelle unterstützt die Idee, Aussagen zur Prüfung auf ihren Wahrheitsgehalt mit einem „Zeitstempel“ zu versehen, die sich auch gut mit der bereits zuvor angesprochenen Eigenschaft der axiomata vereinbaren lässt, nämlich entstehen und wieder vergehen zu können279. Aus einer formalen Perspektive der Logik muss die Frage nach dem Zeitpunkt nicht a priori geklärt werden. Es ist einzig nötig, gegebenen Aussagen einen von zwei möglichen „Wahrheitswerte“ zuzuordnen. Anschließend können die Verknüpfungen dieser Aussagen nach den Regeln der Aussagenlogik analysiert und die Wahrheitswerte der zusammengesetzten Aussagen bestimmt werden, wie dies in Philos Definition geschieht. Doch selbst wenn Wahrheit etwas rein Objektives wäre, bliebe immer noch das Problem, wie sie im Einzelfall bestimmt werden kann. Wie die Zuordnung genau zu erfolgen hat, kann als Problem nicht einfach beiseite gelassen werden. Dieses Problem tritt auch bei subjektiv gefärbten Aussagen auf. Man vergleiche die Äußerung „Der Schnee ist weiß“ mit der Äußerung „Ich glaube, der Schnee ist weiß“. Hier muss man die Wahrheitsbedingungen für beide Äußerungen kennen, die aber nicht für beide Beispiele dieselben sind. Die Zuordnung verlangt nach einem geeignet zu bestimmenden Bezugssystem. Ein solches Bezugssystem könnte nach den Dimensionen von Ort und Zeit oder von subjektiver oder objektiver Meinung eingerichtet werden280. Bei Diodorus ist diese als Interpretation hinter dem Konditional stehende Verknüpfung nicht kausal, sondern temporal. Im Unterschied zu

278 In Ar. Phys. 1299,36–1300,10; deutsche Übertragung der engl. Übers. von Long/Sedley, S. 226 f. 279 Siehe vorne, Kap. 2 B. 2. a). Vgl. kritisch Sext. Emp. Math. 8,103. 280 Dieser Gedanke findet sich bei Aristoteles angedeutet; zu denken ist etwa an folgende Stelle aus Arist. Int. I (16a): „Wie aber die Gedanken in der Seele bald auftreten, ohne wahr oder falsch zu sein, bald so, dass sie notwendig eins von beiden sind, so geschieht es auch in der Rede. Denn Wahrheit und Falschheit ist an Verbindung und Trennung der Vorstellungen geknüpft. Die Nomina und Verba für sich allein gleichen nun dem Gedanken ohne Verbindung und Trennung [..]. [..] es bedeutet zwar etwas, aber doch nichts Wahres oder Falsches, solange man nicht hinzusetzt, dass das Ding ist oder nicht ist, schlechthin oder zu einer bestimmten Zeit“ (Übers. Rolfes, S. 1).

H. Grundlagen (zweiter Teil)

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Philos abstrakter, aber vergleichsweise anspruchsloser Definition wird damit wieder etwas Zusätzliches, allenfalls den Inhalt der Aussagen betreffendes unterstellt. Schließlich präsentiert Sextus die dritte und vierte Variante des Konditionals, ohne dabei ihre Urheber namentlich zu nennen281: Und jene, die den Begriff des Zusammenhangs einführen, sagen, dass ein Konditional gültig sei, wenn das Gegenteil seiner Folge mit der Voraussetzung inkompatibel ist. Nach ihnen sind die zuvor erwähnten Konditionale ungültig, aber das folgende ist wahr: „Wenn es Tag ist, ist es Tag“. Und jene, die mittels Implikation urteilen, sagen, dass ein wahrer Konditional einer sei, dessen Folge in seiner Voraussatzung angelegt ist. Nach ihnen ist die Aussage „wenn es Tag ist, ist es Tag“ und in ähnlicher Weise jeder Konditional, welcher etwas wiederholt, offenbar falsch; denn es ist unmöglich, dass etwas in sich selbst angelegt ist282.

Die dritte Variante bringt den Konditional in die Nähe der notwendigen Verknüpfung283. Damit kann aber wie zuvor aufgezeigt, nur die erste Hälfte der Wahrheitstabelle abgedeckt werden, in der die Aussage B auch als notwendige Voraussetzung für A gesehen werden kann. Zudem vermischen die beiden letzten Varianten mit der Einführung der Kontraposition Aspekte des Konditionals mit der logischen Folgerung. Betrachtet man die schon erwähnte stoische Schlussformel „Wenn A, dann B; sei A; dann B“ als Definition der logischen Folgerung284, erkennt man, dass sie den Konditional als Bestandteil enthält, also nicht mit ihm zusammenfällt. Seine Funktion erschöpft sich in der Verknüpfung zweier Aussagen zu einer dritten. Als logische Verknüpfung gehört er wie Konjunktion und Disjunktion der Objektsprache der assertorischen Logik an. Der logische Schluss hingegen steht strukturell auf einer höheren Ebene. Er ist als Relation zwischen Elementen dieser Objektsprache Teil der Metasprache der Logik 285. Diese Unterscheidung scheint in den letzten beiden Definitionen nicht nachvollzogen. Aus heutiger Sicht sind sie Philos abstrakter Definition klar unterlegen. 3. Zweiter Zugang: Antike Vorstellungen der Kausalität Philos Definition des Konditionals kommt ohne jeglichen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Prämisse und Konklusion aus  – sie ist im eigentlichen Sinn abstrakt. Die Zuordnung des Wahrheitswerts der verknüpften Aussage erfolgt dem Extensionalitätsprinzip entsprechend „automatisch“, d. h. einzig auf der 281 Kneale/Kneale, S.  129 ziehen aus einem Vergleich mit Cic. fat. 12 den Schluss, dass Chrysippus Urheber der dritten Variante sei; zustimmend Mayet, S. 87 ff. und S. 90 mit weiteren Hinweisen. 282 Sext. Emp. Pyrr. Hyp. 2,110–113 (4+5); dt. Übertragung der engl. Übers. von Long/Sedley, S. 226 f. 283 Kneale/Kneale, S. 134. 284 Siehe Cic. Top 13,54. 285 Hoyningen-Huene, S. 112. Die logische Folgerung wird in Kapitel 5 eingehend untersucht.

142

Kap. 3: Assertorische Logik

Grundlage der Wahrheitswerte von Prämisse und Konklusion. Wird der Konditional nicht abstrakt definiert, fällt dieser Automatismus weg und muss durch einen äußeren Begründungszusammenhang ersetzt werden, welcher die Unbestimmtheit der dritten und vierten Zeile in der Wahrheitstabelle auflöst. Diodorus und die späteren Stoiker vertraten vermutungsweise einen zeitlichen Zusammenhang, der sich an die eigentümliche stoische Charakterisierung der axiomata anschließt. Jedenfalls legt dies der zitierte Bericht zu Diodorus’ Definition des Konditionals bei Sextus nahe. Als weiterer Begründungszusammenhang kommt die kausale Beziehung von Ursache und Wirkung in Betracht. In der Alltagssprache tritt der kausale Zusammenhang als Deutung der „wenn-dann“-Struktur häufig auf. In das Konzept der Kausalität286 spielt in eine Frage hinein, die einen bestimmenden Einfluss auf die zeitgenössische Pilosophie ausübte: Ob es ein fatum als ursprüngliche Ursache allen Geschehens gibt. Chrysippus definierte das fatum als eine „Art naturgebundene Ordung aller Dinge, die in ewiger Abfolge aneinander gereiht sind, wobei diese so geartete Verflechtung unabänderlich ist“287. Er leitete die Existenz des fatum bzw. seine Behauptung, dass es keine Bewegung ohne Ursache gebe, aus dem logischen Prinzip der Zweiwertigkeit ab288. Ciceros springendes Argument belegt gleichzeitig nochmals den römischen Sprachgebrauch zu den Aussagen: Cic. Fat. 20–21: Concludit enim Chrysippus hoc modo: „Si est motus sine causa, non ­omnis enuntiatio, quod ἀξίωμα dialectici appellant, aut vera aut falsa erit.

Umgekehrt bedeutet diese Feststellung, dass bei jeder Aussage ein Grund oder eine Ursache zu finden sein muss, sodass sie als wahr oder falsch bewertet werden kann289. Dies muss insbesondere für den Konditional als zusammengesetztem axioma gelten. Es ist nicht überraschend, dass im Rahmen der fatum-Kontroverse auch der postulierten Ursachenkette besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bei Aristoteles gab es „innere“ oder „essentielle“ (principales) Ursachen, die im Wesen des handelnden Subjekts oder in der Qualität des behandelten Objekts selbst liegen290. 286

Nörr (1978), S. 134 f. Zur stoischen Kausaltheorie siehe etwa Schürenbergs Dissertation von 1921. 287 Mayet, S. 175. Cicero widmete seine Schrift „de fato“ ganz dieser Frage. Sein Ansatz, die Existenz des fatum logisch-argumentierend widerlegen zu wollen, gab ihm Motiv und Gelegenheit, die Logik des Chrysippus darzustellen und macht seine Schrift zu einer wichtigen Quelle zur stoischen Logik. Der stoische Determinismus wurde von verschiedenen konkurrierenden Schulen, etwa den Epikuräern abgelehnt. 288 Der genaue Gedankengang ist bei Mayet, S.  166 ff. übersichtlich dargestellt und kommentiert. 289 Vgl. Mayet, S. 172. 290 Nörr (1978), S. 135; Mayet, S. 185–189. Neben der Anzahl verschiedener Typen sind sich die Autoren auch über ihre Bedeutung uneins. Wiedergegeben wird hier die Interpretation von Mayet. Interessant klingt der Erklärungsversuch von Bobzien (1999), S. 204 ff., die nur zwischen Ursachen mit notwendiger und nicht-notwendiger Wirkung unterscheiden möchte.

H. Grundlagen (zweiter Teil)

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Chrysippus verfeinerte die Theorie und unterschied offenbar zwei weitere Typen von Ursachen291: Cic. Fat. 41: Chrysippus autem cum et necessitatem inprobaret et nihil vellet sine prae­ positis causis evenire, causarum genera distinguit, ut et necessitatem effugiat et retineat fatum. „Causarum enim“, inquit, „aliae sunt perfectae et principales, aliae adiuvantes et proximae. Quam ob rem, cum dicimus omnia fato fieri causis antecedentibus, non hoc intellegi volumus: causis perfectis et principalibus, sed causis adiuvantibus antecedentibus et proximis“.

Ein tatsächliches Ereignis benötigt demnach mindestens noch eine oder mehrere „mithelfende“ (adiuvans)292 und schließlich am Ende der Kausalkette eine „auslösende“ (efficiens) Ursache. Chrysippus’ Beispiel bei Cic. fat. 42 ist das eines Zylinders, der von jemandem angestoßen zu rollen beginnt. Seine runde Gestalt gibt ihm die Fähigkeit zu rollen. Dass er zu rollen beginnt, hat seine Ursache in einem äußeren Ereignis, dem sprichwörtlichen Anstoß293. Folgt man der Ansicht, dass antecedens im stoischen Sprachgebrauch als allgemeiner Begriff für eine Ursache angewandt wurde294, bieten sich Kausalität und Konditional als parallele oder verwandte Konzepte verschiedener „Fachbereiche“ an. Da die Abfolge von Ursachen, die schließlich zum betrachteten Ereignis führen, gleichzeitig eine zeitliche Ordnung begründet, erscheint auch die Zeitabhängigkeit von Prämissen, die bei Diodorus’ Definition des Konditionals durchscheint, als naheliegende Annahme. Erwartungen, auf theoretische Abhandlungen zur Kausalität oder zumindest Spuren davon in konkreten Fallbesprechungen römischer Juristen zu diesem Thema zu stoßen, die vielleicht für die vorliegende Untersuchung zur Logik aufschlussreiche Vergleiche geben könnten, müssen enttäuscht werden. Untersuchungen zum Deliktsrecht295 bestätigen, dass die römischen Juristen im Anwendungsbereich der lex Aquilia durchaus scharfsinnig nach verschiedenen Typen von Ursachen unterschieden und ihre Fälle entsprechend entschieden, sich aber – vielleicht mit Ausnahme Labeos – nicht mit dem Kausalzusammenhang als theore­ 291

Siehe Mayet, S. 184 f. (Fn. 399) und Long/Sedley, S. 342. Vgl. Clemens (von Alexandrien), Misc. 8,9,30,1–3 (abgedruckt bei Long/Sedley, S. 334). Die Stelle geht nicht soweit, diese Ursachen weiter in „kumulative“ und „alternative“ zu unterscheiden, wie dies in der modernen Strafrechtsdogmatik geschieht. 293 Vgl. Nörr (1978), S. 136. 294 Long/Sedley, S. 342; so mit einiger Zurückhaltung auch Nörr (1978), S. 136 im Bezug auf die causae adiuvantes et proximae. 295 Ankum (1980); Nörr (1978); Schindler (mit Übersicht zur einschlägigen Literatur vor 1957). Als zentrale Stellen dieser Untersuchungen zeigen sich Ulp. D. 9,2,15,1 und Iul. Pal. 821 (D. 9,2,51 pr.) mit ihrem scheinbaren Widerspruch, den Ankum (1980), S. 352 mit einer leicht geänderten Interpunktion in Ulpians Text aufzulösen vorschlägt. Julians Text befasst sich mit einer Form der „alternativen Kausalität“. Beinart, S. 75 erkennt die Begründung von Julians Entscheidung, beide „alternativen“ Täter zur Verantwortung zu ziehen, in einem sonst nicht zu lösenden Beweisproblem. 292

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Kap. 3: Assertorische Logik

tischer Figur beschäftigten296. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, die Kausalität sei für die Juristen vor allem eine „Faktenfrage“ und somit ein Aspekt des von ihnen wenig behandelten Beweisverfahrens gewesen297. Zum Versuch Labeos298, eine Haftungsfrage mit einer Figur zu lösen, die heute als „überholende Kausalität“ bezeichnet würde, stellt Nörr fest: „[..] dass der kausalitätstheoretische Ansatz Labeos bescheiden ist, dass er folgenlos blieb und dass die hinter ihm stehenden philosophischen Überlegungen nur in Umrissen fassbar sind“299. Dass die Kausalität den römischen Juristen als Faktenfrage galt, weckt die Erwartung, dass bei Julian auch der Konditional eine Rolle bei der Erfassung oder Konstruktion der quaestio facti spielt. Anders als die Konjunktion und Disjunktion könnte der Konditional aber bereits als Vorstufe für die Modellierung der quaestio iuris herangezogen werden, indem er wie eine Prozessformel die Vorarbeit für den juristischen Schluss auf sich nimmt und die Bedingungen, die eine Entscheidung über Recht und Unrecht erlauben, zusammenstellt. Die Konkretisierung dieser „Formel“ hängt dabei von den im Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Informationen ab: Kausalität ist typischerweise eine Frage des Zusammenwirkens vergangener Ereignisse als Ursachen.

I. Auswahl der Stellen Aus den Digesten Julians ergibt sich für einige vielversprechende Schlüsselwörter die folgende Statistik: igitur (6), ergo (12), ideo (42), itaque (5), quare (19) und si (400). Ob diese Schlüsselwörter tatsächlich auf den Konditional als logische Verknüpfung verweisen, muss natürlich im Einzelfall nachgeprüft werden. Die Durchsicht der Stellen ergab, dass für den Konditional als logischer Verknüpfung bei Julian stets das Schlüsselwort „si“ auftritt. Die restlichen Konjunktionen dienen der üblichen grammatikalischen Strukturierung der Argumente. Aus den zahlreichen Stellen, in denen die Konjunktion „si“ den Konditional anzeigt, war nach jenen Beispielen zu suchen, welche eine möglichst durch die Texte selbst abgestützte Diskussion von Julians Verständnis der logischen Verknüpfung erlauben. In Ermangelung eines methodischen Textes in der Art des liber singularis de ambiguitatibus müssen es Texte sein, welche immerhin anhand der von Julian beschriebenen Rechtsfolgen Rückschlüsse zu seinen Einsichten in die Mechanik und zu den Erklärungsinhalten des Konditionals erlauben. Als Vergleichs 296

Ankum (1980), S. 326. Nörr (1978), S. 115. 298 Lab. D. 14,2,10,1: „Si ea condicione navem conduxisti, ut ea merces tuae portarentur easque merces nulla nauta necessitate coactus in navem deteriorem, cum id sciret te fieri nolle, transtulit et merces tuae cum ea nave perierunt, in qua novissime vectae sunt, habes ex conducto locato cum priore nauta actionem. Paulus: immo contra, si modo ea navigatione utraque navis periit, cum id sine dolo et culpa nautarum factum esset [..]“. 299 Nörr (1978), S. 116. 297

J. Konditional und Faktenfrage

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maßstab sollen die vier bei Sextus berichteten Definitionen des Konditionals mit ihren abstrakten, temporalen oder kausalen Zusammenhängen zwischen den verknüpften Aussagen herangezogen werden. Im Rahmen der Exegesen aus Sicht der Logik wird erneut die Darstellungsform der Wahrheitstabellen gewählt, um die Gedankengänge in kompakter Form anzuknüpfen. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass Wahrheitstabellen als graphische Darstellungsform zwar erst aus dem 19. Jh. stammen. Nachdem zuvor aber gezeigt worden ist, dass logische Verknüpfungen bereits in der Antike wenn nicht in graphisch-tabellarischer so doch in tabellarischer Reihenfolge beschrieben werden konnten300, erscheint dieses Hilfsmittel auch für die Untersuchung antiker Texte vertretbar.

J. Konditional und Faktenfrage Die drei ausgewählten Julian-Texte erheben nicht den Anspruch, eine repräsentative Auswahl darzustellen. Alle drei Stellen zeigen eine schöne Verschränkung juristischer und logischer Inhalte. Inhaltlich ist ihnen gemeinsam, dass Julian Möglichkeiten diskutiert, welche es dem Erblasser erlauben, seinen Willen für die Zeit nach seinem Tod abzusichern. In der ersten Stelle sind diese Möglichkeiten noch sehr beschränkt, da dort einem Sklaven, der sich ja rechtlich nicht verpflichten konnte, eine Bedingung auferlegt wird. Mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet die Situation der zweiten Stelle, bei welcher verschiedene Handlungsalternativen des Erben zu berücksichtigen sind. Die dritte Stelle ergänzt die Diskussion um einen technischen Aspekt der Zeitbestimmung bei Bedingungen. 1. Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3 – Iul. 43 dig.) Qui ita liber iussus est „si iuraverit se capitolium ascensurum“, confestim ut iuraverit, quamvis Capitolium non ascenderit, liber erit.

Wer so freigelassen wird: „Wenn er geschworen haben wird, auf das Kapitol zu steigen“, wird, sobald er geschworen haben wird, frei sein, auch wenn er nicht auf das Kapitol steigen wird.

a) Zur quaestio Die Stelle stammt aus dem zweiten Teil des Titels „de statuliberis“ im 43. Buch von Julians Digesten. Der Sklave soll schon zur Freiheit gelangen, sobald er ge 300 Siehe vorne in Kapitel 3 H. 3. den Bericht von Sext. Emp. Math. 2,112–114 auf S. 141 sowie zum Vergleich bei Frontinus, Aq. 39–41 in Kapitel 2 B. 2.

146

Kap. 3: Assertorische Logik

schworen habe, die ihm gesetzte Bedingung zu erfüllen. Der Ausdruck „qui ita liber iussus est“ spricht eher für eine manumissio testamento statt einer Freilassung durch fdc, sodass es sich hier möglicherweise nicht um eine reale Prozesssituation, sondern eher um eine Erläuterung theoretischer Natur handelt. Julian scheint sich bei seiner Entscheidung streng am engen Wortlaut der formulierten Bedingung zu orientieren, indem er die bloße Tatsache des Schwures von seinem Inhalt trennt301. Diese Erklärung verkennte jedoch den juristischen Hintergrund der Situation. Dass Problem liegt darin, dass sich ein Sklave rechtlich gar nicht verpflichten konnte zu schwören, solange er gar noch nicht freigelassen worden war302. Erst eine erfolgte Freilassung versetzte den Sklaven in die Lage, sich durch einen zweiten Schwur zu verpflichten303. Dies war natürlich unpraktisch, weshalb die Herren auf das archaische Element des Schwurs mit seiner religiösen Färbung abstellten304. Nachdem die späte Republik und das Prinzipat dem Schwur wegen seines Missbrauchspotentials misstrauten, suchte das von Julian selbst ausgearbeitete Edikt „de condicione iusiurandi“ bei Erbeinsetzungen, Legaten und fdc die Anwendung des Schwurs zu unterbinden305. Der Prätor verhalf daher dem Erblasserwillen durch andere Mittel zur Verwirklichung bzw. strich seit Ulpian die condicio iurisiurandi bei den genannten testamentarischen Verfügungen und behandelte sie als nicht vorhanden306. Da das prätorische Recht aber keine Freilassung kannte, welche gleich wirksam war wie die zivilrechtliche, blieb der Schwur nach Astolfi das notwendigerweise einzige Instrument des Sklaven, sich zu verpflichten307. An diesem Umstand fand sogar der favor libertatis eine Grenze seiner Anwendung308. b) Beitrag der Logik Aus logischer Perspektive liegt das Besondere an diesem Fall darin, dass die Bedingung der Freilassung aus zwei geschachtelten Aussagen besteht. A' stehe für die in den Digesten oft als Beispiel verwendete Aussage „Ich werde auf das Kapitol steigen“. A stehe für die Aussage „Der Sklave wird A' geschworen haben“. B bezeichne als Rechtsfolge die Freilassung des Sklaven: liber erit. Es ist nicht si 301

So auch Calore, S. 1 (Fn. 1) mit Verweis auf Paul. D. 40,4,36. Ulp. D. 50,17,22 pr. 303 Marcell. D. 40,7,24; Ulp. D. 38,1,7 pr.. 304 Zum Ganzen siehe Starace (2006), S. 360 f. und S. 363, Stiegler, S. 579 nennt den Eid „eine recht merkwürdige Erscheinung des römischen Rechtslebens“. 305 Astolfi (1989), S. 390. Nach Calore, S. 160 ff. sei die Ehrfurcht vor dem Eid seit archaischer Zeit stetig zurückgegangen. Kritisch dazu Hackl, S. 748 und Wieling (1990), S. 167, der zu Recht darauf hinweist, dass ein Meineid nur bei „assertorischen Schwüren“ möglich ist. 306 Wieling (1990), S. 165. 307 Astolfi (1989), S. 378; so auch Hackl, S. 748. 308 Der Schwur des Sklaven galt nicht als condicio impossibilis oder turpis. Siehe Starace (2006), S. 368 und Astolfi (1989), S. 389. Zu Julians Ausarbeitung des Edikts siehe Calore, S. 74 f. mit kritischen Bemerkungen bei Astolfi (1989), S. 374. 302

J. Konditional und Faktenfrage

147

cher, aus welcher zeitlichen Perspektive Julian mit der anstehenden Rechtsfrage konfrontiert war. Denkbar war, dass der Sklave als Freigelassener seinen ersten Schwur verbindlich wiederholte, was aber auf die Freilassung keinen Einfluss mehr haben konnte309. Sei somit noch vor der Freilassung nach dem Verhältnis der Bestimmungen in einer zukünftigen Gegenwart gefragt. Dieses Verhältnis beschreibt folgender Konditional: A

B

A→B

1

1

1

Sklave wird frei

1

0

0

Sklave wird nicht frei

Kommentar

Der Sachverhalt spielt sich nur in der ersten Hälfte der Wahrheitstabelle ab, die den „natürlichen“ Teil des Konditionals als Spruchformel abbildet. Wenn der Sklave schwört, auf das Kapitol zu steigen (A = 1), erfüllt er die Bedingung seiner testamentarischen Freilassung. Nur wenn ihn der Erbe in diesem Fall tatsächlich freilässt (B = 1), wird der Wille des Erblassers respektiert und die testamentarische Verfügung „richtig“ umgesetzt. Formalisiert bedeutet dies, dass der zusammen­ gesetzten Aussage „A → B“ in der ersten Zeile der Tabelle der Wahrheitswert „1“ zukommt. Widersetzt sich der Erbe und lässt er den Sklaven nicht frei, wird die Verfügung nicht richtig umgesetzt: „A → B“ = 0, wie in der zweiten Zeile. Die beiden letzten Zeilen aus der vollständigen Wahrheitstabelle des Konditionals werden im Sachverhalt nicht thematisiert. Die Pointe der Stelle liegt nun darin, dass der Sklave nur A' beschwören muss, um freizukommen. Ob er die von A' ausgedrückte Handlung, dass er zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt tatsächlich auf das Kapitol steige, je ausführt, ist unerheblich. Der Vollzug der Handlung ist nicht ausreichend, um der Bedingung zu genügen und der Eid kann nicht weggelassen werden. Umgekehrt genügt jedoch der Eid310. Der Wortlaut der zu verknüpfenden Aussagen wird streng ausgelegt und der Konditional mechanisch – heute ließe sich sagen, rein formallogisch – auf sie angewandt. Die Bedingung im Testament ist als Erklärung des Erblassers funktional genau gleich zu lesen und zu bewerten wie eine übliche Klageformel des Musters „si paret“. Die Logik führt zu der Einsicht, dass bereits das Beschwören von A' hinreichende Bedingung für die Freilassung des Sklaven ist311. 309

Vgl. bei Starace (2006), S. 364 und Astolfi (1989), S. 378. Stiegler, S. 579. 311 Vgl. die analoge Rolle des Eides in Iul. Pal. 154 (D. 12,2,39), dessen Beschwörung schon ausreicht, dem Schuldner zu einer schützenden Einrede gegen seinen Gläubiger zu verhelfen: „Si quis cum debitore suo pepigerit, ne ab eo pecunia peteretur, si iurasset se capitolium non ascendisse vel aliud quodlibet fecisse vel non fecisse, isque iuraverit, et exceptio iurisiurandi dari debebit et solutum repeti poterit: est enim iusta conventio, si quaelibet causa in con­ dicione iurisiurandi deducta fuerit“. Diese Entscheidung passt mit ihrem Bezug auf das Zugestehen einer exceptio zum ersten Verfahrensabschnitt in iure, in dem zwischen den Parteien die Klageformel ausgehandelt wird. 310

148

Kap. 3: Assertorische Logik

2. Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr. – Iul. 43 dig.)

312

Si quis ita libertatem dedisset „Stichus, si eum heres meus testamento suo non manumiserit, liber esto“, secundum voluntatem defuncti hoc significari videtur „si testamento suo heres non adscripserit ei libertatem“. Quare si quidem heres libertatem servo testamento suo dederit, defectus condicione videtur: si non dederit, impleta condicione ultimo vitae tempore heredis ad libertatem perveniet.

Wenn jemand so die Freiheit erteilt hat: „Stichus soll, wenn mein Erbe ihn in seinem Testament nicht freigelassen haben wird, frei sein“, soll dies nach dem Willen des Erblassers wie folgt angesehen werden: „Wenn der Erbe ihm nicht in seinem Testament die Freiheit zugeschrieben haben wird“. Daher wird, wenn der Erbe dem Sklaven wirklich in seinem Testament die Freiheit erteilt, die Bedingung als ausgefallen angesehen; erteilt er sie nicht, gelangt er zur Freiheit, indem die Bedingung im letzten Lebenszeitpunkt des Erben eintritt312.

a) Zu casus und quaestio Der Erblasser will den Sklaven Stichus freilassen, falls sein Erbe dessen Frei­ lassung nicht selbst in seinem Testament anordnen sollte. Julian befindet, dass in diesem Fall die vom Erblasser angeordnete Freilassung mit dem Ableben des Erben wirksam werde. Im Ergebnis verschiebt der Erblasser die von ihm beabsichtigte Freilassung des Sklaven Stichus um bis zu einer Generation, indem er sie seinem Erben aufträgt. Vielleicht wollte der Erblasser die Dienste des Sklaven, der über besonders wertvolle Fertigkeiten verfügte, erst noch für eine gewisse Zeit seinem Erben zugute kommen lassen. Was die Umsetzung betrifft, ist hier an eine fideikommissarische Freilassung zu denken, wie sie in Gai. 2,263 erwähnt wird313). Die Angabe „testamento suo“ in der ersten Formulierung deutet an, dass der Erblasser dabei spezifisch an eine testamentarische Freilassung im Testament des Erben dachte. Eine Bedingung wird dem Erben selbst nicht auferlegt, sodass sich die Frage nach der Absicherung seines Willens stellt, wollte sich der Erblasser nicht einzig auf die Einhaltung der fides durch den Erben verlassen. Klingenberg weist darauf hin, dass für eine solche aufgeschobene Freilassung sowohl eingliedrige als auch zweigliedrige Formulare gebräuchlich waren314. Ein zweigliedriges Formular findet sich in:

312 Zum Vergleich Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 4, S. 194: „Wenn Jemand die Freiheit so erteilt hat: Stichus soll frei sein, wenn ihn mein Erbe in seinem Testamente nicht freigelassen haben wird, so scheint dem Willen des Verstorbenen gemäß das bezeichnet zu werden, wenn der Erbe in seinem Testament demselben nicht die Freiheit ausgesetzt haben sollte“. 313 Gai. 2,263: „Libertas quoque servo per fideicommissum dari potest, ut vel heres rogetur manumittere vel legatarius“. 314 Klingenberg, S.  258. Ein Beispiel für ein eingliedriges Formular findet sich in Paul. D. 40,7,20,6: „Si ita quis acceperit libertatem ‚Stichus, si heres eum non manumiserit, liber esto‘, poterit ab herede manumitti: non contra voluntatem testatoris adimitur ei libertus [..]“.

J. Konditional und Faktenfrage

149

Iul. Pal. 908 (D. 40,4,19 – lib. 3 ad Urseium Ferocem): Quidam heredem suum rogaverat, ut servum manumitteret: deinde, si heres eum non manumiserit, liberum eum esse iusserat eique legaverat: heres eum manumisit. Plerique existimant hunc ex testamento libertatem consequi: secundum hoc legatum quoque ei debetur.

Dort sicherte der Erblasser die beabsichtigte Freilassung durch die Anordnung eines Vermächtnisses poenae nomine ab. Der Erbe hatte damit einen finanziellen Anreiz, die Freilassung wie vom Erblasser gewünscht anzuordnen. Einige („plerique“) Juristen sprachen sich dafür aus, dass der Sklave aber aus dem Testament selbst freigelassen würde und dem Erben somit auch das Vermächtnis zustände315. Klingenberg zufolge fasste schon die ältere Lehre den zweiten Teil des Formulars nicht poenal, sondern konditional auf 316. Auf diese Weise lässt sich von vornherein ein Widerspruch mit der bei Gaius überlieferten Vorgabe (Gai. 2,236) vermeiden: „Nec libertas quidem poenae nomine dari potest, quamvis de ea re fuerit quaesitum“. Ein Blick zurück auf Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) zeigt, dass auch dort ein zweigliedriges Formular verwendet wird. Im Vergleich zu den zitierten Parallelstellen Iul. Pal. 908 (D. 40,4,19) und Paul. D. 40,7,20,6 werden jedoch einige Besonderheiten offenbar. In beiden wird nur der allgemeine Begriff „manumittere“ verwendet, während Julian hier in seiner alternativen Formulierung der Freilassung das speziellere Verb „adscribere“ verwendet317. Ob und wie dies einen Unterschied macht, muss im nächsten Abschnitt genauer untersucht werden. Auch setzt Julian keine explizite Frist, innert welcher der Erbe der Bitte oder Anordnung des Erblassers nachkommen soll. Eine solche Frist für die Einlösung der Bedingung wird dem Erben in Iul. Pal. 458 (D. 40,4,15) auferlegt318. Dort gelangt der Sklave nach dem Willen des Erblassers spätestens nach Ablauf der Frist eines Jahres ohne weiteres zur Freiheit. Die römischen Juristen vertraten andernorts die Meinung, dass die Freilassung beim Fehlen einer Frist sofort mit der Wirksamkeit des Testaments in Kraft tritt319: Pomp. D. 40,5,34,2 (lib. 3 fideicom.): Servus legatus erat Calpurnio Flacco isque rogatus erat eum manumittere et, si non manumisisset, idem servus Titio legatus erat et is aeque rogatus erat, ut eum manumitteret: si non manumisisset, liber esse iussus erat. Sabinus dicit inutiliter legatum fore et ex testamento eum continuo liberum futurum. 315

Nach Astolfi (1959), S. 132 im Widerspruch zur klaren Absicht des Erblassers. Klingenberg, S. 259. 317 In ähnlichem Sinn sonst nur noch in Iul. Pal. 806 (D. 34,8,1) verwendet: „Si quis heredita­ tem vel legatum sibi adscripserit, quaeritur, an hereditas vel legatum pro non scripto habeatur“. 318 Iul. Pal. 458 (D. 40,4,15): „Stichum Sempronio do lego. Si Sempronius Stichum intra annum non manumiserit, idem Stichus liber esto. Quaesitum est, quid iuris sit. Respondit hoc modo libertate data ‚si Sempronius non manumiserit, Stichus liber esto‘ Sempronium, nisi manumiserit, nihil iuris in Stichum habiturum, sed liberum eum futurum“. 319 Außerdem Ulp. D. 40,4,9 pr.: „Si quis ita legatus sit, ut manumittatur, si manumissus non fuerit, liber esse iussus est eique legetur: et libertatem competere et legatum deberi saepe responsum est“. Noch deutlicher ist die Situation in Gai. D. 40,7,37, die ohne zusätzliche Komplexität auskommt: „Si ita scriptum sit: ‚Stichum Titio do, ut eum manumittat: si non manumiserit, liber esto‘, statim Stichum liberum esse“. 316

150

Kap. 3: Assertorische Logik

Sabinus schiebt also in Pomponius’ Bericht das alternativ angeordnete Vermächtnis beiseite und lässt den Sklaven sofort freikommen. Diese Rechtsfolge zeigt sich bei Julian nicht. In der vorliegenden Stelle gibt es kein Vermächtnis des Sklaven an einen Dritten. Der Sklave gelangt an den Erben selbst und bleibt solange unfrei, bis ihn der Erbe wie gebeten in seinem Testament freilässt oder er kraft Testament des Erblassers im letzten Lebenszeitpunkt des Erben freikommt: ultimo vitae tempore heredis ad libertatem perveniet. Die Sicherung greift hier ziemlich spät ein, und sie gibt dem Erben gewiss keinen Anreiz für eine früh­ zeitige Freilassung. Im nächsten Abschnitt soll der genaue Ablauf der Ereignisse, die als Auslöser für die Freilassung in Frage kommen, anhand der antiken Vorstellungen zur Funktionsweise des Konditionals genauer ausgeleuchtet werden. Gleichzeitig kann so nach Hinweisen gesucht werden, die belegen können, welchen Zugang zum Konditional Julian im Kopf haben konnte. b) Zum Beitrag der Logik aa) Die vier Handlungsalternativen des Erben Thema der Stelle ist die Auslegung einer in besonderer Weise angeordneten bedingten testamentarischen Freilassung. Damit diese effektiv in der Zukunft abgesichert werden kann, muss sich der Erblasser über die Handlungsalternativen klar werden, die seinem Erben offen stehen, und in seinem Testament entsprechend Vorsorge treffen. Dies geschieht mit einer Bestimmung in der Form des Konditionals: Stichus, si eum heres meus testamento suo non manumiserit, liber esto. Sei A die Aussage, dass der Erbe für den Sklaven Stichus in seinem Testament die Freiheit anordnet: testamento suo heres manumiserit eum. Bezeichne A' die zweite Aussage „testamento suo heres non manumiserit eum“. Offensichtlich handelt es sich dabei um entgegengesetzte Bedingungen: A' = ¬A. Bezeichne B die vom Erblasser beabsichtigte Wirkung der Freilassung des Sklaven: liber erit. Mit diesen Bezeichnungen lassen sich die manumissio testamento und ihre Umsetzung durch den Erben mit folgendem Konditional abbilden, der Philos vollständig ausgefüllter Tabelle mit vier Kombinationen von Aussagen entspricht320: A'

A

B

A→B

0

1

1

1

Sklave wird frei (direkt)

0

1

0

0

Darf nicht geschehen!

1

0

1

1

Sklave wird auf andere Weise frei (A ist keine notwendige Bedingung)

1

0

0

1

Soll nach dem Willen des EL nicht geschehen!

320

Siehe vorne, Kap. 3 G.

Kommentar

J. Konditional und Faktenfrage

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Die obere Hälfte der Tabelle beschreibt die vom Erblasser gewünschte testamentarische Freilassung des Sklaven durch den Erben321. Darin widerspricht die zweite Zeile der Funktionsweise der Freilassung und wäre ein Unrecht. Der Fall A' = 1 (A = 0) führt in die untere Hälfte der Tabelle, welche die faktisch bestehende Möglichkeit des Erben beschreibt, in seinem eigenen Testament entgegen dem Willen des Erblassers keine Freilassung zu verfügen. Die dritte Zeile repräsentiert die Variante, dass der Erbe den Sklaven Stichus schon zu seinen Lebzeiten etwa durch eine manumissio vindicta oder censu freilassen könnte322. Die vierte Zeile steht schließlich für den Fall, dass er ihn genausogut überhaupt nicht freilassen könnte. In beiden dieser Fälle wäre das Rechtsinstitut der testamentarischen Freilassung zwar immer noch korrekt angewendet, was den Eintrag „1“ in der dritten und vierten Zeile rechtfertigte. Diese Handlung des Erben entspricht zumindest im letzten Fall nicht dem Willen des Erblassers und bedeutete einen klaren Verstoß gegen die fides. Diese Möglichkeit gilt es seitens des Erblassers geeignet abzusichern. Wie der Sicherungsmechanismus funktioniert erläutert Julian im zweiten Teil der Stelle anhand des Eintritts oder Ausfalls der Bedingung: Defectus condicione gilt, wenn der Erbe wie beabsichtigt in seinem Testament dem Sklaven die Freiheit erteilt: heres libertatem servo testamento suo dederit. Der Ausfall der gesetzten Bedingung entspricht der ersten Zeile in der Tabelle: A' = 0. Die zweite Zeile, die ebenfalls noch unter den Fall A' = 0 fällt, repräsentiert nur eine theoretische Möglichkeit, denn selbstverständlich wird angenommen, dass sich alle Beteiligten wenn nicht sittlich, doch wenigstens rechtlich korrekt verhalten. Umgekehrt gilt impleta condicione im Fall A' = 1, bei dem der Erbe die Freilassung nicht anordnet: si non dederit. Julian schreibt, dass in diesem Fall die Freilassung des Sklaven im buchstäblich letzten Moment bewirkt werde: ultimo vitae tempore heredis323. Diese Wirkung macht sicher im Fall der vierten Zeile Sinn, wenn der Erbe überhaupt nichts unternommen hat, dem Sklaven die Freiheit zu verschaffen. Fraglich ist die Einordnung der dritten Zeile, bei welcher der Sklave aus einem vom Eintritt der Bedingung A verschiedenen Grund freikommt. Dies wäre der Fall, in dem der Erbe den Sklaven schon zu seinen Lebzeiten freiließe. Diesen Fall scheint Julian jedoch nicht explizit vorgesehen zu haben, es sein denn, das offene „si non dederit [libertatem]“ muss nicht mehr testamento suo erfolgen und umfasste damit auch diesen Fall. Die Freilassung zu Lebzeiten des Erben stellt eine „überholende“ Ursache dar, welche die sichernde Verfügung des Erblassers gegenstandslos machte. Die Bedingung A würde strenggenommen immer noch ausfallen, da der Erbe für 321

Siehe das entsprechende Schema bei Iul. Pal. 600.3 in Kapitel 3 J. 1. Siehe Kaser (1971), S. 116 f. 323 Diese Formulierung findet sich auch in Iul. Pal. 425 (D. 28,5,5): „Si eiusmodi sit con­ dicio, sub qua filius heres institutus sit, ut ultimo vitae eius tempore certum sit eam existere non posse et pendente ea decedat, intestato patri heres erit, veluti ‚si Alexandriam pervenerit, heres esto‘: quod si etiam novissimo tempore impleri potest, veluti ‚si decem Titio de­derit, heres esto‘, contra puto“. 322

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Kap. 3: Assertorische Logik

den Sklaven Stichus ja keine testamentarische Freilassung mehr vorzunehmen brauchte und konnte. So wäre Stichus im Zeitpunkt des Todes des Erben schon frei, wenn der Eintritt von A' im letzten Moment festgestellt würde. Diese Unstimmigkeit lässt sich vermeiden, wenn die Anordnung des Erblassers so verstanden würde, dass sie nur zur Anwendung gelangen sollte, wenn der Erbe den Sklaven nicht spätestens testamentarisch auf seinen Tod hin freilässt. Eine eindeutige Beurteilung des Sachverhalts ist nicht möglich, da die genaue Formulierung der Bitte des Erblassers an seinen Erben, den Sklaven Stichus freizulassen, fehlt. Der Gedanke einer „überholenden“ Ursache war Julian jedenfalls nicht fremd, wie folgendes kurze Fragment zeigt: Iul. Pal. 434 (D. 28,5,7 – 30 dig.): Si servus 〈communis〉 sub condicione heres institutus vivo testatore libertatem consecutus sit, etiam pendente condicione testamentariae libertatis adire hereditatem potest.

Eine einmal gesetzte Bedingung kann im Ablauf der Zeit auch ihre Bedeutung verlieren. Eine Erklärung könnte in der Verwendung des seltenen „adscripserit“324 in der zweiten Formulierung der Freilassung zu finden sein: si testamento suo heres non adscripserit ei libertatem. Im zitierten Iul. Pal. 458 (D. 40,4,15)325 verwendete Julian das übliche Verb „manumittere“. Schon aus der dort gesetzten Jahresfrist für die Freilassung wird klar, dass damit insbesondere die Freilassung zu Lebzeiten des Erben gemeint sein muss. Auffallend ist gerade im Vergleich zu dieser Stelle die Betonung der wirksamen Freilassung in den letzten Augenblicken des Lebens des Erben am Schluss von Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.). Der gesuchte Unterschied zwischen „adscripserit“ und „manumiserit“ könnte darin erblickt werden, dass der Erblasser seinem Erben mit „adscribere“ die größtmögliche zeitliche Freiheit einräumen wollte, um in der Zwischenzeit von den Fertigkeiten des Sklaven zu profitieren, über welche im ersten Teil der Exegese als Motivation für die aufgeschobene Freilassung spekuliert wurde. Dies erklärte nicht nur das Fehlen einer festen Frist, sondern auch, dass Julian die Variante der dritten Zeile in der Tabelle nicht speziell thematisierte. Zwischen schlussendlichem Nichteintritt von A und dem Tod des Erben bleibt noch eine infinitesimale Zeitspanne (ultimo vitae heredis tempore), in der die Anordnung des Erblassers den Sklaven gerade noch zur Freiheit gelangen lässt. Auf diese Weise bewirkt seine Lösung die Freilassung des Sklaven auf der Grundlage des Testaments des Erblassers noch ehe jener ins Eigentum des Erben übergehen kann.

324

In ähnlichem Sinn sonst nur noch in Iul. Pal. 806 (D. 34,8,1) verwendet: „Si quis here­ ditatem vel legatum sibi adscripserit, quaeritur, an hereditas vel legatum pro non scripto­ habeatur“. 325 Siehe zuvor, Kap. 3 I.

J. Konditional und Faktenfrage

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bb) Abstrakte oder kausale Erklärung Im Unterschied zu Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3) füllt Julians Argumentation hier auch die untere Hälfte der Tabelle des Konditionals aus, um die Wirkung der Erklärungen über das Durchspielen – mit Vorbehalt – aller Möglichkeiten vollständig zu erfassen. Es erscheint verlockend, darin eine Annäherung Julians an die abstrakte Definition des Konditionals nach Philo zu sehen. Deren wesentliches Charakteristikum liegt aber weniger in der vollständigen Berücksichtigung aller vier Kombinationen, wie sie besonders anschaulich in Sextus’ tabellenartiger Beschreibung des Konditionals auftreten326. Vielmehr zeichnet sich Philos De­ finition durch ihre abstrakte Zusammenführung von Aussagen unterschiedlicher Wahrheitswerte aus, die in der Loslösung von jedem inhaltlichen Begründungszusammenhang liegt. Dass Julian diesem Muster gefolgt wäre, ist kaum anzunehmen, nicht zuletzt, da sich bereits im vorhergehenden Kapitel Grenzen von Julians Abstraktionsfähigkeit abgezeichnet haben. Ebensowenig lag sein Interesse wohl darin, allgemeine Fragen der Kausalität zu erörtern327. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass Julian konkret entlang der Linien der rechtlichen Problematik gedacht hat. Im Zentrum steht dann der Wille des Erblassers, wie er sich aus dem Testament oder anderen Quellen ergibt, und der seiner Verwirklichung zugeführt werden soll. Doch zu diesem Zweck müssen die testamentarischen Verfügungen des Erblassers und des Erben als auslösende Ursachen identifiziert und ihr Zusamenwirken beschrieben werden. Dieses Augenmerk kommt bei Julians Vergleich zwischen der ursprünglich aus dem Testament vorgegebenen und der von ihm selbst vorgeschlagenen zweiten Formulierung sehr deutlich zum Ausdruck. Die logische Analyse des Konditionals hat gezeigt, dass dieses Zusammenwirken seinen Zweck erfüllt, wenn der Zeithorizont vom Tode des Erblassers bis zum Tode des Erben ausgedehnt wird. Diodorus unterlegte seiner Definition des Konditionals einen temporalen Sinnzusammenhang328. Der Bericht des Simplicius verdeutlicht das Prinzip am Beispiel der konditionalen Aussage „wenn Dion lebt, wird Dion am Leben sein“. Der Bericht unterstreicht die Bedeutung des Zeitpunkts für die Bestimmung der Wahrheitswerte ihrer Teilaussagen329. Dieses Motiv zeigt sich auch in der nächsten Stelle, in der Julian kritisch testamentarische Verfügungen betrachtet, welche erst auf einen letztmöglichen Zeitpunkt wirksam werden sollen.

326

Sext. Emp. Math. 2,112–114. Siehe dazu oben, Kap. 3 G. Siehe die kritischen Bemerkungen bei Noerr (1986), S. 183 zu vermuteten Kausalitätslehren. 328 Zu Diodorus siehe oben, Kap. 3 G. 329 Zur Idee des „Zeitstempels“ siehe Kap. 3 B. 3. 327

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Kap. 3: Assertorische Logik

3. Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr. – Iul. 42 dig.) [1] Libertas, quae in ultimum vitae tempus confertur, veluti „Stichus cum morietur, liber esto“, nullius momenti existimanda est. [2] Haec autem scriptura „Stichus si Capitolium non ascenderit, liber esto“ ita accipienda est „si cum primum potuerit, Capitolium non ascenderit“: isto enim modo perveniet Stichus ad libertatem, si facultate data ascendendi Capitolium abstinuerit.

[1] Die Freiheit, welche für die letzten Momente des Lebens erteilt wird, etwa „Stichus soll, wenn er stirbt, frei sein“, hat keinerlei Gültigkeit. [2] Diese Anordnung jedoch „Stichus, wenn er nicht auf das Kapitol gestiegen sein wird, soll frei sein“ ist als „wenn er nicht auf das Kapitol steigt, wenn er es erstmals kann“ zu verstehen. Auf diese Weise nämlich wird Stichus zur Freiheit gelangen, wenn er bei gegebener Möglichkeit davon abgesehen hat, auf das Kapitol zu steigen.

a) Zur quaestio Die Stelle stammt aus dem ersten Teil des Titels „de statuliberis“ im 42. Buch von Julians Digesten. In Abschnitt [1] stellt Julian kommentarlos fest, dass eine auf den letzten Lebenszeitpunkt des Sklaven angeordnete Freilassung keinerlei Gültigkeit habe: Stichus cum morietur, liber est. In Abschnitt [2] wird ein Sklave testamentarisch freigelassen, wenn er nicht auf das Kapitol steigen sollte: Stichus si Capitolium non ascenderit, liber esto. Dies sei so zu verstehen, dass die negative Bedingung der zu unterlassenden Handlumg im ersten Zeitpunkt geprüft werden solle, zu dem Stichus die Handlung vorzunehmen in der Lage ist. Bei der Bedingung in Abschnitt [2] handelt es sich um ein typisches Schul­ beispiel, was für den Charakter einer theoretischen Erörterung spricht330. Nach Knütel veranschaulichen diese häufig wiederkehrenden und vielfältig variierten Schulbeispiele bestimmte Bedingungstypen. Sie seien Bilder, die die Funktion der noch unvollkommen entwickelten Begriffe wahrnehmen sollen331. Das „cum morietur“ in Abschnitt [1] erscheint als Anwendungsfall des dies incertus332: Der Tod als Ereignis ist gewiss, doch der Zeitpunkt seines Eintretens ist unsicher. Es 330

Iul. D. 12,2,39, D. 30,91,1, D. 40,4,17,3, D. 40,7,13,3; vgl. Pomp. D. 40,4,61 pr. in Pap. D. 45,1,115,1. 331 Knütel (1976b), S. 94 f. 332 Siehe Pomp. D. 35,1,1,2: „Dies autem incertus est, cum ita scribitur ‚heres meus cum morietur, decem dato‘: nam diem incertum mors habet eius. Et ideo si legatarius ante decesserit, ad heredem eius legatum non transit, quia non cessit dies vivo eo [ea], quamvis certum fuerit moriturum heredem“. Vgl. Bustelo und Eisenring, S. 737 ff. sowie Finkenauer, S. 18 f. für das Legat. Für die Stipulation siehe Gai. 3,100: „Denique inutilis est talis stipulatio, si quis ita dari stipuletur post mortem meam dari spondes; vel ita 〈post mortem tuam dari spondes? Valet autem, si quis ita dari stipuletur cum moriar dari spondes? Vel ita〉 cum morieris dari spondes? Id est ut in novissimum vitae tempus stipulatoris aut promissoris obligatio conferatur[..]“. Nach Backhaus (1981), S. 84 f. galt es zu verhindern, dass der Erben als Partei in die Stipulation aufgenommen wurde. Zum allgemeinen Unterschied von Bedingung und Befristung siehe Kaser (1971), S. 253 und 259.

J. Konditional und Faktenfrage

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fragt sich, ob diese Klausel eher als Bedingung oder als Befristung interpretiert werden soll. Für die weitere Diskussion zeigt sich ein Blick auf eine Parallelstelle bei Pomponius hilfreich: 333

D. 40,4,61 pr. – Pomponius libro 11 epistularum [1] Scio quosdam efficere volentes, ne servi sui umquam ad libertatem perveniant, hactenus scribere solitos333: „Stichus cum moreretur, liber esto“. Sed et Iulianus ait libertatem, quae in ultimum vitae tempus conferatur, nullius momenti esse, cum testator impediendae magis quam dandae libertatis gratia ita scripsisse intellegitur. [2] Et ideo etiam si ita sit scriptum: „Stichus si in Capitolium non ascenderit, liber esto“, nullius momenti hoc esse, si apparet in ultimum vitae tempus conferri libertatem testatorem voluisse, nec Mucianae cautioni locum esse.

[1] Ich weiß, dass einige, die bewirken wollen, dass ihre Sklaven niemals zur Freiheit gelangen sollen, gerne so schreiben: „Stichus, wenn er sterben wird, soll frei sein“. Aber auch Julian sagt, dass die Freiheit, die auf den letzten Moment des Lebens hin gewährt wird, ungültig sei, weil dies so verstanden würde, dass der Erblasser eher die Freiheit zu verhindern als zu erteilen so geschrieben habe. [2] Und folglich gilt auch, wenn so geschrieben wurde: „Stichus, wenn er nicht auf das Kapital gestiegen sein wird, soll frei sein“, dass dies ungültig sei, wenn es klar wird, dass der Erblasser die Freiheit für den letzten Moment des Lebens erteilen wollte, und auch, dass die Mucianische Sicherstellung nicht gefordert ist.

Die Formulierung der testamentarischen Verfügung aus Abschnitt [1] stimmt bis auf die verwendete grammatikalische Zeit mit der bei Julian überein334. Für die Entscheidung, was gelten soll, verweist Pomponius explizit auf Julian: Diese Art der Freilassung auf den letzten Lebensmoment des Sklaven ist ungültig. Bei Pomponius findet sich aber nun mit dem Motiv des Erblassers eine Begründung für Julians Meinung. Manche Erblasser wollten tatsächlich nicht, dass ihre Sklaven jemals zur Freiheit gelangten. So griffen sie zu Formulierungen, die nur scheinbar die Freilassung anordneten. Für diese Fälle schlage Julian vor, diese Formulierungen auch so zu interpretieren, dass sie eher die Freiheit verhindern denn gewähren sollen. Die Rechtsfolge ist die Nichtigkeit der Anordnung. Nichtig ist für Pom­ponius auch die bedingte Freilassung in Abschnitt [2], wenn sich beim Erblasser das gleiche Motiv feststellen lässt. Die Bedingung stimmt mit der aus Abschnitt [2] bei Iul. Pal. 594.0 (D.40,4,17 pr.) überein. ­ adrians Für Masiello stehen beide Stellen stellvertretend für eine seit der Zeit H humanere Haltung der kaiserlichen Juristen gegenüber Sklaven335. Vor diesem Hintergrund könnten die besprochenen Entscheidungen ethisch-sozialen Wertungen entsprungen bzw. durch „moralistische Zweckerwägungen“ motiviert sein336. Nach Wieling handelt es sich bei Freilassungen dieser Art weniger um eine „Ver

333

Für Giaro (2007), S. 246 f. eine „empirische Faktenfeststellung“ zum Sprachgebrauch. Futur 1 bei Julian, Konjunktiv Imperfekt bei Pomponius. 335 Masiello, S. 2347. 336 Wieacker (1977), S. 1. 334

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Kap. 3: Assertorische Logik

höhnung“ als – noch schlimmer – um eine faktische Erschwerung der Freilassung des Sklaven durch den (gesetzlichen) Erben des Erblassers337. Wieling fasst die Klausel „cum moreretur“ aus Abschnitt [1] wie jene aus Abschnitt [2] als Bedingung auf338. In diesem Fall führte die regula Sabiniana, die, sollte sie allgemein auf unmögliche Bedingungen angewendet worden sein, durch Streichen der Klausel zur Wirksamkeit der Freilassung339. Dies widerspricht jedoch der sowohl von Julian als auch Pomponius vertretenen Nichtigkeit in den Abschnitten [1] ihrer zitierten Texte. Den Vorschlag Cosentinis, testamentarische Freilassungen vom Anwendungsbereich der regula Sabiniana auszunehmen340, lehnt Wieling als „wenig überzeugend“ ab. Eine solche Ausnahme von der Regel, die ohnehin kein „festes Dogma“ gewesen sei, sei eine „ganz willkürliche“ und stehe im Gegensatz zum Grundsatz des favor libertatis341. Die römischen Juristen hätten sich vielmehr auf die allgemeinen Grundsätze der Auslegung abgestützt und sich in ihrer Entscheidungsfreiheit von Regeln so wenig eingeschränkt gefühlt, dass sie diese wie selbstverständlich nicht einmal mehr erwähnten, selbst wenn ihr Anwendungsbereich nach dem Wortlaut eigentlich eröffnet gewesen wäre342. Wieling spricht zwar die Frage an, wann es sich um unmögliche Bedingungen handelt, bezieht sich dabei aber nur auf das Beispiel des Sklaven, der für seine Freilassung eine Summe bezahlen müsste, die er praktisch unmöglich beschaffen konnte343. b) Beitrag der Logik Julian spricht sich in seinem Abschnitt [2] dafür aus, den Eintritt der Bedingung zum frühstmöglichen Zeitpunkt zu überprüfen, in dem sie der Sklave zu erfüllen imstande wäre. Die verbundenen Aussagen A: „si Capitolium non ascenderit“ und B: „liber erit“ lassen sich wiederum als Konditional darstellen:

337

A

B

A→B

1

1

1

Sklave wird frei

1

0

0

Unrecht

0

1

1

Spielt hier keine Rolle

0

0

1

Sklave wird nicht frei

Kommentar

Wieling (1970), S. 221. Wieling (1970), S. 220. 339 Lab.-Jav. D. 28,7,20 pr.; vgl. Iul. D. 30,104,1; Pomp. D. 35,1,6,1 und namentlich Pomp. D. 28,3,16: „[..] si vero impossibiles sunt, veluti ‚Titius si digito caelum tetigerit, heres esto‘, placet perinde esse, quasi condicio adscripta non sit, quae est impossibilis’. Vgl. Wieling (1970), S. 197, 212. 340 Cosentini, S. 191 ff. 341 Wieling (1970), S. 226 f., S. 228. 342 Wieling (1970), S. 227, 243. 343 Wieling (1970), S. 220 (Fn. 54). 338

J. Konditional und Faktenfrage

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Das Fehlen einer Frist, innert welcher der Sklave die Bedingung zu erfüllen hat, spannt einen Zeitraum auf, der vom Tod des Erblassers in einem Zeitpunkt t1 bis zum Tod des Sklaven in einem Zeitpunkt t2 reicht344. Dies führt auf das ganz praktische Problem, wie der Eintritt oder der Ausfall der Bedingung überprüft werden soll. In der Sprache der Logik geht es darum, zu welchem Zeitpunkt der Wahrheitsgehalt der im Konditional verknüpften Aussagen bestimmt werden soll. Die Feststellung Julians aus Abschnitt [1] bedeutet, dass mit der Prüfung nicht bis zum Todestag des Sklaven zugewartet werden darf. Ist aber der Endpunkt t2 des Intervalls [t1, t2] ausgenommen, macht auch eine Betrachtung über das offene Intervall [t1, t2) keinen praktischen Sinn345. Ohne eine vom Erblasser gesetzte Frist kann die Prüfung auch nicht über ein kleineres Teilintervall [t1, t3] mit t3 < t2 vorgenommen werden. Damit bleibt nur die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt von A (und damit den von B) zu t1 oder – zweckmäßig gedacht – zum ersten Zeitpunkt s ∈ [t1, t2) zu prüfen, zu dem Stichus physisch in der Lage ist, auf das Kapitol zu steigen. Beispielsweise müsste ihn sein Herr erst nach Rom gebracht haben346. Diese theoretischen Überlegungen unterstreichen den Unterschied zwischen einer aussagenlogischen Untersuchung allgemeingültiger Aussagen, deren Wahrheitsgehalt wie in einem Lehrbuch jederzeit und für alle Zeit festgestellt werden kann und einer Analyse von Aussagen, die dazu erst ausreichend im Hinblick auf Subjekt und Zeit individualisiert werden müssen. Diese Anforderung aber deckt sich mit der Natur der axiomata als antikem Gegenstück zum modernen Begriff der Aussage, welche nach der Vorstellung der Stoiker je nach den Umständen entstehen aber auch wieder vergehen konnten, also einen „Lebenszyklus“ durchlaufen347. Genau eine solche Individualisierung von antecedens und consequens nimmt Julian in der vorliegenden Stelle vor, wenn er den Zeitpunkt seiner Prüfung des Bedingungseintritts so bestimmt, dass dem Sklaven geholfen werden kann. c) Fazit für den logischen Hintergrund Trifft diese Erklärung zu, deutet sie an, dass Julian mit stoischen Kommentaren zur Definition des Konditionals, wie sie Diodorus vorschlug, bekannt und in der Lage war, das technische Konzept der axiomata auf einen juristischen Sach 344 Zur Abgrenzung zum Fall von Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) ist zu bemerken, dass dort nicht von einem fehlenden Freilassungswillen des Erblassers gesprochen werden kann. Die Wirkung der dortigen direkten Freilassung bezieht sich auch nicht auf die letzten Lebens­ momente des Sklaven, sondern auf die des Erben. 345 Ein Intervall [t, s) umfasst den Endpunkt s nicht, aber alle Punkte u < s, die s beliebig nahe kommen. 346 Die Lösung entspricht Jav. D. 50,16,217 pr.: „Inter illam condicionem ‚cum fari potuerit‘ et ‚postquam fari potuerit‘ multum interest: nam posteriorem scripturam uberiorem esse constat, ‚cum fari potuerit‘ artiorem et id tantummodo tempus significari, quo primum fari possit“. 347 Vgl. Long/Sedley, S. 206 f. sowie vorne, Kap. 3 B. 2. a).

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Kap. 3: Assertorische Logik

verhalt anzuwenden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Julian die Freilassung mit der Befristung „cum morietur“ als nichtig, die Freilassung unter der Bedingung, den Besuch auf dem Kapitol zu unterlassen, jedoch als gültig ansehen konnte. Als Motiv für die erste Entscheidung kann das Argument des Missbrauchs gelten, auf welches Pomponius Bezug nahm. Anders als Julian sieht Pomponius auch für die negative Bedingung, nicht auf das Kapitol zu steigen, die Position, dass die Verfügung des Erblassers ungültig sei. Dies zeigt sich auch dadurch, dass er beide Abschnitte durch das folgernde „et ideo etiam“ verknüpft. Streng genommen bezieht er sich nur bei der Klausel „cum moreretur“ explizit auf Julian. Die nicht weiter ausgeführte Folgerung, dass der zweite Fall genau gleich zu behandeln sei, kann auch von ihm allein stammen. Denn bei Julian leitet ein „haec autem“ vom ersten auf den zweiten Fall über und kündigt die dortige gegensätzliche Entscheidung an. Masiello spricht von „Kriterien der logisch-interpretativen Auslegung“ Julians und streicht das Argument Julians heraus, dass die kritisierte Klausel der Freiheit keinen zeitlichen Raum lasse348. Er kontrastiert dieses technische Argument mit der sozial-ethischen Wertung des Pomponius. In seinem Text verlässt sich Pomponius vorwiegend auf das Argument der Autorität des großen Juristen, den er kaum nur der Ausschmückung wegen zitiert349. Unterstellt man Julian wie vorgeschlagen gewisse technische Kenntnisse der stoischen Logik, die er auf die Interpretation der Klauseln und zum Verfolgen des zeitlichen Ablaufs von Ereignissen anwandte, ergibt sich eine Begründung für die unterschiedlichen Entscheidungen der beiden Juristen.

K. Ergebnisse (zweiter Teil) Die besprochenen Stellen bilden eine beispielhafte Auswahl aus Julians Digesten, in denen er explizite Erklärungen, die eine konditionale Konstruktion enthalten, auf ihren Sinngehalt und ihre rechtliche Wirkung hin untersucht. Der Bezug zur logischen Verknüpfung des Konditionals ergibt sich nicht primär aus dem Schlüsselwort „si“, sondern insbesondere aus seinen Erläuterungen (Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.)) oder Vergleichen (Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.)). Direkte sprachliche Anleihen an antike Texte logischen Inhalts sind daneben nicht leicht festzustellen. Dies wäre im Bezug auf den Text zum Konditional bei Sextus aus zeitlichen Gründen ohnehin problematisch350. Ansonsten geben die Überlieferung der stoischen Schriften sowie der bekannte knappe Stil Julians zu wenig her, um eine diesbezügliche Aussage zu machen. Die Schulbeispiele aus den stoischen Quellen zur Logik unterscheiden sich jedenfalls mit der Ausnahme von D. 50,16,124351 348 Masiello, S.  2355: „[..] operano criteri interni alla ricerca logico-interpretativa del­ giurista adrianeo“. 349 Kunkel/Schermaier, S. 158 vermuten Pomponius als jüngeren Zeitgenossen Julians. 350 Siehe Sext. Emp. Math. 2,112–114. Sextus wirkte Ende des 2. Jh. 351 Zu diesem Punkt siehe Miquel, S. 90 ff.

K. Ergebnisse (zweiter Teil)

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deutlich von jenen der Juristen. Die Feststellung entspricht dem Ergebnis bei Nörr, der zwei einschlägige Deklamationen Quintilians zum Deliktsrecht auf ihre Anleihen an antike Lehren der Kausalität untersucht hat352. Zwar vermied der antike Verfasser der Deklamationen jedes technische Vokabular, doch angesichts der vorgenommenen scharfen Unterscheidungen vermutete Nörr, dass ihm die theoretischen Konzepte geläufig gewesen sein mussten. Bei Julian kann ein Einfluss der Logik nur anhand inhaltlicher Aspekte vermutet werden. Ein Einfluss darf dann freilich als umso wahrscheinlicher gelten, wenn sich im Zusammenhang der Stellen ein besseres und konsistenteres Verständnis einstellt. Insgesamt bewegt sich Julian beim Konditional innerhalb des vorgegebenen Fächers von logisch schlüssigen Möglichkeiten, an die er seine juristische Argumentation anknüpft. In Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3) wird der Konditional, wie dies bereits zuvor für die Konjunktion und die Disjunktion zutraf, noch gänzlich als gegenständliches Element des vorgegebenen Sachverhalts analysiert (quaestio facti). Als Zwischenresultat liefert die Logik die Auslegung der Formel als zusammengesetzter Aussage: „X beschwöre A'“. Julians Lösung erscheint ziemlich formalistisch  – gerade, wenn sie mit seiner lebensnahen Einstellung in § 6 von Iul. Pal. 3 (D. 34,5,13(14)) verglichen wird353. Als Motiv mag eine nicht nur bei Julian vorherrschende ablehnende Haltung gegenüber Eidesleistungen als Bedingungen und der Wunsch, ihr Missbrauchspotential zu verhindern, gelten354. In Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) hingegen legt Julian die vom Erblasser aufgesetzte Formel konkret aus und berücksichtigt dessen hypothetischen Willen. Auch bei Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.) nimmt Julian eine konkrete Auslegung vor. Ging es bei der vorherigen Stelle um die Identifikation verschiedener, das gewünschte Ereignis auslösender Ereignisse, steht hier ihre Anordnung im Zeitablauf im Vordergrund. Hat man sich erst den zeitlichen Ablauf der Handlungen der Beteiligten klargemacht, kann sinnvoll entschieden werden, wann die maßgebliche Bedingung geprüft werden muss. Julians Lösung harmoniert sehr schön mit der stoischen Vorstellung eines Lebenszyklus der axiomata. Nach diesen Feststellungen zeigt Julian ein zumeist konkretes und nur in Ausnahmefällen abstraktes Verständnis des Konditionals, ohne sich aber Philos Konzept355 vollständig zu Eigen zu machen. Als gewichtiger Einwand bleibt die Frage, ob und wie bewusst Julian diese Konzepte tatsächlich einsetzte oder ob es sich bloß um einen nachträglichen Erklärungsversuch ohne historische Relevanz han 352

Nörr (1978), S. 140 f. Gemeint sind die Deklamationen Nr. 270 und 289. Siehe Miquel, S. 118; Winkler (2013), S. 227 ff. 354 Siehe dazu auch Teren. D. 40,9,31: „Quaesitum est, si libertam patronus iureiurando adegisset, ne ea liberos impuberes habens nuberet, quid iuris esset. Iulianus dicit non videri contra legem Aeliam Sentiam fecisse eum, qui non perpetuam viduitatem libertae iniunxisset“. Die angesprochene lex behandelt Julian einigermaßen ausführlich in den Büchern 48 und 49 seiner Digesten. 355 Siehe Sext. Emp. Math. 2,112–114 vorne, Kap. 3 H. 1. 353

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Kap. 3: Assertorische Logik

delt. Sicher lag sein Interesse weniger darin, allgemeine Fragen der Kausalität oder der Logik zu erörtern. Vielmehr dachte Julian beim Verfassen der besprochenen Texte konkret entlang der Linien der rechtlichen Problematik, musste sich dazu jedoch ein klares Bild zu den verschiedenen zukünftig möglichen Ereignissen und zu ihrem Zusammenspiel verschaffen. Ohne ihm ein Mindestmaß an Verständnis der Funktionsweise des Konditionals zuzugestehen, lässt sich kaum erklären, dass ihm dies so gut gelang. Dieses Verständnis setzt Julian in den Stand, die rechtlichen Wirkungen der beiden testamentarischen Verfügungen sauber zu trennen, eine Entscheidung, die sich wie gezeigt in den sehr viel breiter diskutierten Themenkreis der Konflikte zwischen mehreren testamentarischen Verfügungen einfügt. Wie diverse Parallelstellen zeigten, interessierten sich mehrere bekannte Juristen für das Zusammenspiel verschiedener testamentarischer Verfügungen356 und für Konflikte zwischen voluntas testatoris und favor libertatis. Julians Unterscheidung der zwei Fälle bei Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.) zeigt, dass er aufmerksamer und schärfer gedacht hat als Pomponius, der in der Parallelstelle von D. 40,4,61 pr. die Ungültigkeit undifferenziert für beide dort behandelten Fälle übernahm. Julians erwiesene Fähigkeit zu feinen Differenzierungen mag durch seine größere Erfahrung erklärbar sein, was aber etwas unverbindlich bleibt. Konkreter könnte ihm die Logik als Denkschule behilflich gewesen sein, verschiedene Ursachen für ein Ereignis auszumachen und sie zeitlich zu staffeln. Die vorgeschlagene Interpretation von Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.) und D. 40,4,61 pr. führt jedenfalls auf eine konsistente, im Gegensatz zu Wielings Sicht widerspruchsfreie Einordnung der dort behandelten Fälle zwischen direkter Anwendung der regula Sabiniana auf unmögliche Bedingungen und inhaltlicher Auslegung befristeter Verfügungen. Auch an anderer Stelle bevorzugte Pomponius bei Konflikten zwischen mehreren angeordneten Freilassungen einfachere, vielleicht anschaulichere Lösungen über den favor libertatis oder die scriptura novissima, die weniger anspruchsvoll waren und ohne tiefere, philosophische Überlegungen auskamen357. Später wurde jeder Konflikt dieser Art einfach dadurch ausgeräumt, dass dem Sklaven das Recht zugestanden wurde, selbst zwischen den Varianten zu wählen358. Ohne selbstreflexive Texte Julians zu seiner Methode bleibt eine gewisse Unsicherheit zum Einfluss der logischen Quellen auf seine Arbeit. Die Logik ist eine hinreichende, nicht aber eine notwendige Voraussetzung für seine Leistungen.

356

Astolfi, S. 129 f. nennt als möglichen realen Hintergrund einen Erblasser, der bei einer Ergänzung seines Testaments vergisst, was er zuvor schon verfügt hat. Angesichts der Möglichkeit der Erstellung von Kodizillen ist dies durchaus denkbar. 357 Pomp. D. 40,4,5: „In libertatibus levissima scriptura spectanda est, ut, si plures sint, quae manumisso facilior sit, ea levissima intellegatur: sed in fideicommissariis libertatibus novissima scriptura spectatur“. 358 Paul. D. 40,4,56: „Si quis servo testamento dederit libertatem et directo et per fidei­ commissum, in potestate servi est, utrum velit ex directo an ex fideicommisso ad libertatem pervenire: et ita Marcus imperator rescripsit“. Vgl. Talamanca (1994), S. 120.

K. Ergebnisse (zweiter Teil)

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Die Feststellungen zum Konditional ergänzen das Bild aus dem ersten Teil dieses Kapitels und vermögen seinen Kern zum Teil  zu bestätigen. Die Logik hilft einerseits erneut bei der Auslegung expliziter Erklärungen (Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3)) und bereitet anderseits die juristische Entscheidung vor, indem sie den Juristen bei der Analyse des Sachverhalts unterstützt (Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.)) und 600.0 (D. 40,7,13 pr.)). Neben der Logik erscheint ein Einfluss alternativer philosophischer Überlegungen zur Kausalität jedoch mindestens ebenso wahrscheinlich. Schließlich ist denkbar, dass ein Nachdenken über die Struktur des Konditionals Julian bei der Konstruktion seiner quaestiones iuris unterstützt hat. Die könnte besonders auf das Fragment Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) zutreffen, welches beim ersten Lesen einen reichlich konstruierten Eindruck macht. Auch die beiden anderen Fragmente Iul. Pal. 600.3 (D. 40,7,13,3) und 594.0 (D. 40,4,17 pr.) werden durch typische Schulbeispiele illustriert, was auf einen päda­gogischen Hintergrund deuten könnte359. Julians Interesse für Kombinationen verschiedener Rechtsinstitute hat sich schon im ersten Teil von Kapitel 3 gezeigt und wird sich in Kapitel 4 bestätigen. Dieses Interesse spricht dafür, dass es dem Juristen weniger um die konkrete Fallösung als um die richtige Konstruktion der Lösung geht.

359 Zur in der Literatur teilweise geäußerten Kritik an Julians liber singularis de ambiguitatibus als juristischer Spielerei ohne praktischen Bezug vgl. Mayer-Maly (1967); Voci, Bd. II, S. 688.

Kapitel 4

Modallogik A. Fragestellung: Die römische Bedingungslehre 1. Ausgangspunkt Kein Verkehr, und wäre er noch so wenig entwickelt, vermag sich ausschließlich auf die Verhältnisse der Gegenwart zu beschränken; schon die einfachsten Bedürfnisse treiben den Menschen in die Zukunft, und das Recht muss ihm die Möglichkeit gewähren, die Zukunft zu sichern. [..] Die Dispositionen für die Zukunft hängen in ihrer Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit oft noch von zukünftigen ungewissen Tatsachen ab; [..] Darauf beruht das Verkehrsbedürfnis der Bedingung. Erst sie verleiht der Idee der rechtlichen Beherrschung der Zukunft ihren vollständigen praktischen Abschluss, indem sie das Mittel gewährt, Kombinationen, Berechnungen, Erwartungen, kurz das bloß Mögliche mit derselben Sicherheit, als wäre es bereits wirklich, in den Kreis der geschäftlichen Operationen zu ziehen – sie befreit den Verkehr von der Schranke der Gegenwart, indem sie es der Partei ermöglicht, die Zukunft von sich, ohne sich von ihr abhängig zu machen1.

Im vorhergehenden Kapitel wurde der Konditional neben Konjunktion und Disjunktion als logische Verknüpfung von Teilaussagen eingeführt. Diese Einordnung folgte dem Aufbau der Logik, wie sie in den gängigen Lehrbüchern zu finden ist. Die drei letzten Exegesen zu bedingten Freilassungen zeigten jedoch bereits, dass die Betrachtungsweise des Konditionals als logische Verknüpfung etwas eindimensional ist und nur in den einfachsten Fällen allein zur Lösung führt. Dies liegt daran, dass in den praktisch relevanten Anwendungen regelmäßig Aussagen auftreten, welche nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit oder die Zukunft umspannen. Mit Blick auf die Bedingungen als Rechtsfigur mit sehr breitem Anwendungsbereich und großer praktischer Bedeutung kommt dies in Jherings Zitat sehr schön zum Ausdruck. Um die von Jhering angesprochenen Herausforderungen zu meistern, genügt die klassische Aussagenlogik nicht mehr. Die dafür geeigneten Instrumente finden sich in einem Teilbereich der Logik, der heute Modallogik genannt wird, dessen Wurzeln aber bis in die griechische Antike zurückreichen. Bot sich als aussichtsreiches juristisches Anwendungsgebiet für die Aussagen­ logik in Kapitel 3 die Wahl- und Solidarschuld an, ist es für die Modallogik die Bedingung. Armgardt gelang es bereits, Konzepte der stoischen Modallogik für die

1

Jhering, S. 166 f.

A. Fragestellung: Die römische Bedingungslehre

163

Analyse der umstrittenen „Denkfigur“ der Rückwirkung in der römischen Bedingungslehre fruchtbar zu machen2. In diesem Kapitel soll der Versuch unternommen werden, anhand ausgewählter Stellen aus Julians Digesten der Frage nach der Entwicklung einer römischen „Pendenz-Lehre“ nachzugehen. Als „Pendenz“ wird dabei der Schwebezustand zwischen Abschluss eines bedingten Rechtsgeschäfts und Eintritt oder Ausfall der Bedingung verstanden. Für diesen Schwebzustand gilt die Anforderung an das Recht, eine alltägliche zukünftige Unsicherheit als „vorläufige Unentschiedenheit“ kontrollierbar zu machen. Untersucht werden soll, wie „greifbar“ diese Vorstellung den römischen Juristen – oder jedenfalls Julian als einzelnem Repräsentanten – war und inwieweit in diesem Zusammenhang bereits von einer „Theorie“ oder einem Konzept gesprochen werden kann. 2. Zum Stand der Meinungen in der Literatur Angesichts des Titels von D. 35,1 – de condicionibus et demonstrationibus et causis et modis eorum quae in testamento scribuntur – spricht Légier en passant von einer allgemeinen Theorie der Bedingung3. Für Schiemann kannten die römischen Juristen keine einheitliche Doktrin der Bedingung, was sich schon in einer schwankenden Terminologie ausdrücke4, vielmehr fanden sie ihre Lösungen durch Anschauung und bloße Beschreibung der Sachverhalte5. Für Knütel haben die römischen Juristen die Bedingung überaus flexibel gehandhabt und sie dem jeweiligen Geschäftszweck angepasst. Dabei haben sie die Wirkungsweise der Bedingung nicht aus einer allgemeinen Theorie abgeleitet, sondern aus dem beabsichtigten Zweck des Rechtsgeschäfts6. Nach Wlassak und Wesener habe sich vor allem Julian beim Thema der Bedingung hervorgetan7. Solange die Bedingung schwebt (condicio pendet), es also noch unentschieden ist, ob sie eintreten (existere) oder ausfallen (deficere) wird, ist auch das bedingte Rechtsverhältnis im ungewissen. Die Wirkungen des bedingten Geschäfts treten noch nicht ein, doch zeigt das bedingte Geschäft nach Schiemann bereits gewisse vorläufige Wirkungen. Fasse man diese als Anwartschaft8 zusammen, müsse man bedenken, dass den Römern ein solcher „Systembegriff“ noch fremd gewesen sei. Insgesamt sei „Pendenz“ keine juristische Konstruktion, sondern nur eine Veranschaulichung9. Möglicherweise diente den römischen Juristen dabei die Behandlung des statuliber als Prototyp10,

2

Siehe Armgardt (2010), S. 346 zu D. 18,6,8,1 und S. 347 ff. Légier, S. 353. 4 Schiemann, S. 8. 5 Schiemann, S. 14. 6 Knütel (1976b), S. 30. 7 Armgardt (2010), S. 344 mit Verweis auf Wlassak, S. 246 ff. und Wesener (1972), S. 273. 8 Vgl. dazu auch Wesener (1972), S. 271, 291. 9 Siehe dazu auch Knütel (1976b), S. 94 f. 10 Schiemann, S. 6; vgl. Gai. 2,200. 3

164

Kap. 4: Modallogik

vielleicht entwickelte sich eine „Pendenz-Lehre“ schon in vorklassischer Zeit aus dem ius postliminium11. Einen Versuch, eine solche „Pendenz-Lehre“ der römischen Juristen „dogmatisch“ zu erfassen, unternahm Ratti in seiner Monographie zum ius postliminium von 1926, dem allerdings kein Erfolg beschieden war und der seither in Vergessenheit geriet. Namentlich Solazzi kritisierte den Vorschlag heftig, was wohl vorwiegend auf einige unglückliche Formulierungen Rattis und beiderseitigem Festhalten an unfruchtbaren Begrifflichkeiten zurückzuführen ist12. Bei aller, teilweise berechtigter Kritik setzte sich Amirante konstruktiv mit Rattis Arbeit ausein­ander. Seine eigenen Anstrengungen blieben dabei näher an den traditionellen Vorstellungen zu Kasuistik und Anschauung13. Unbestreitbar ist jedenfalls, dass die römischen Juristen der Idee der Pendenz in mehr als einem Rechtsgebiet nachgingen. Dies lässt vermuten, dass sie zumindest in Umrissen über eine abstrakte Vorstellung der Pendenz verfügt haben könnten. Möglicherweise äußerte sich diese abstrakte Vorstellung weniger in der eigentlichen juristischen Lösungsfindung mit ihren noch nicht gefestigten Begriffen als im Vorfeld der juristischen Ausein­ andersetzung, also noch auf der materiellen Ebene des Sachverhalts. Nach Flumes Ansicht zeigt sich die Bedingungslehre des klassischen römischen Rechts „einheitlich und in sich geschlossen“14. Er untersuchte die römische Bedingungslehre aus der Perspektive des Rechtsgeschäfts. Seiner These zufolge haben die klassischen römischen Juristen die Bedingung auf den Rechtsakt als solchen und nicht wie heute allgemein üblich auf das Rechtsverhältnis mit seinen Rechtsfolgen bezogen15. Dieses Grundverständnis hat verschiedene unmittelbare Konsequenzen. Zum einen konnten die Juristen die Bedingungsfeindlichkeit der altzivilen Geschäfte nicht umgehen, da diese mit dem Geschäft als solchem verbunden war und sich aus seiner Formel ergab16. Zum anderen folge daraus die Unmöglichkeit der auflösenden Bedingung, denn es sei nicht vorstellbar, „dass ein Rechtsakt als solcher besteht und kraft resolutiver Bedingung als bestehend aufhört“. Eine resolutive Bedingung könnte nur auf die Rechtsfolgen und nicht auf 11

Ratti, II, S. 50 f. (im Neudruck S. 116 f.); Amirante (1962), S. 1; Solazzi (1963). Etwa die folgende, bei Ratti, IV, S. 36 (S. 190 im Neudruck) abgedruckte: „Lo stato di pendenza [-] che si verifica durante la prigionia in ordine ai diritti del captivo [-] va inteso generalmente, se si eccettua il diritto di patria potestà, come un’incertezza riguardante solo il mutamento di una situazione attualmente certa“. Fakt ist, dass in der konkret feststell­baren Gegenwart („certa“) verschiedene mögliche, zukünftige Kausalverläufe angelegt sind, die sich in der Zukunft aktualisieren werden („mutamento“). Vgl. dazu die Bemerkungen Amirantes auf S. vi: „[..] è soprattutto debolissima, e quindi giustamente oggetto delle critiche che le sono state rivolte, la costruzione dommatica che il Ratti ha tentato a conclusione dei suoi Studi. Una costruzione generalizzante, astratta, che si sovrappone agli stessi risultati esegetici“. 13 U. a. Amirante (1962), Amirante (1969). 14 Flume (1975), S. 124. 15 Flume (1975), S. 70 mit Hinweis auf den Theorienstreit des 19. Jh. anlässlich der Vor­ arbeiten zum BGB. 16 Siehe Pap. D. 50,17,77. 12

A. Fragestellung: Die römische Bedingungslehre

165

den Rechtsakt selbst bezogen werden. Als „Denkfigur“ gibt es bei Flume damit nur die Aufhebungsabrede17. Parallel dazu wird bei ihm das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft erst mit dem Eintritt der Bedingung als vollendet betrachtet. Nichts anderes bedeute die in den Digesten häufig anzutreffende Verbindung von condicio mit debere, credere, obligatio oder stipulatio18. Dieser Bezug der Bedingung auf den Rechtsakt habe jedoch nur für Rechtsgeschäfte unter Lebenden gegolten19. Es entspricht der Natur des Manzipationstestaments als Urform des Testaments, dass dieses selbst immer als unbedingt errichtet betrachtet wurde. Dennoch belegen Digestenstellen in großer Zahl, dass die testamentarischen Anordnungen wie Erbeinsetzung, Legat oder Freilassung nebeneinander bedingt oder unbedingt abgefasst werden konnten. Einen entscheidenden Grund für die unterschiedliche Argumentation bei der Stipulation als Geschäft unter Lebenden und dem Legat als erbrechtlichem Institut sieht Flume in der zeitlichen „Distanz der Rechtsfolge“ beim Testament20. Unterhalb der Ebene dieser dogmatischen Ansätze wurden in der Literatur zwei Einzelaspekte wiederholt diskutiert. Der erste betrifft die Frage einer Rück­ wirkung von aufschiebenden Bedingungen. Effer-Uhe spricht sich zwar dafür aus, dass bedingte Rechtsgeschäfte pendente condicione bereits rechtlich berücksichtigt wurden21. Hingegen sei die Annahme einer Rückwirkung problematisch, wenn der Bedingungseintritt erst dafür sorgt, dass der Rechtsakt als solcher überhaupt existiert22. Von der Rückwirkung zu unterscheiden ist die Vorwirkung. Diese beschreibe die Situation, in der die Rechtsfolgen des bedingten Geschäfts für die Vergangenheit zwar noch nicht gegolten haben, das bedingte Geschäft aber schon zur Folge hat, dass die Rechtsfolgen anderer Rechtsgeschäfte nicht oder nicht vollumfänglich eintreten können23. Légier und Flume schließen die Annahme der Rückwirkung durch die römischen Juristen in der Zeit vor Justinian grundsätzlich aus24. Wird die Rückwirkung als Rechtsprinzip aufgefasst, welches schematisch auf alle Fälle angewendet worden wäre, entspricht ihre Ablehnung für das Römische Recht mit Armgardt heute der herrschenden Ansicht25. Auf einem tieferen Niveau gebe es aber Beispiele, welche belegen, dass den römischen Juristen die Rückwirkung als „Denkform“ nicht unbekannt war, um einzelne Rechts­ 17

Flume (1975), S. 73. Flume (1975), S. 72. Wie etwa in wie in Pomp. D. 46,4,12: „Quod in diem vel sub con­ dicione debetur, acceptilatione tolli potest: sed ita id factum apparebit, si condicio stipulationis extiterit vel dies venerit“. 19 Flume (1975), S. 70 f. 20 Flume (1975), S. 83. 21 Effer-Uhe, S. 139. 22 Vollendung bei Flume wie eben berichtet. 23 Zur Unterscheidung von Rückwirkung und Vorwirkung siehe bereits Fitting, S. 77. 24 Légier, S. 383 (Fn. 197); Flume (1976), S. 72. 25 Armgardt (2010), S.  341 mit Verweis auf Wesener (1972), S.  265 ff. und Schiemann, S. 6 ff. und S. 15 ff., wonach die Rückwirkung als allgemeines Rechtsprinzip erst im Mittel­ alter von Bartolus entwickelt wurde. 18

166

Kap. 4: Modallogik

probleme zu lösen26. Nach Wesener lässt sich diese „Denkform“ insbesondere bei Julian, ­Ulpian und Marcian regelmäßig in Verbindung mit der „Pendenzlehre“ entdecken27. Der zweite besondere Aspekt betrifft die beiden Typen der aufschiebenden und auflösenden Bedingung. Nach Kaser dachten die Römer bei der condicio im technischen Sinne zumeist an die aufschiebende Bedingung, doch reiche auch die auflösende Bedingung bei den ex fide bona klagbaren Obligationen „weit zurück“28. Hierzu weist Günther auf die unterschiedlichen Positionen zwischen den ersten zwei Auflagen von Kasers Handbuch hin29. Er selbst zeichnet ein insgesamt differenziertes Bild30: Demnach wurden auflösende Bedingungen oder Befristungen bei der Stipulation, dem Damnationslegat und dem Kauf ersetzt durch die praktisch äquivalente Denkform „unbefristete oder unbedingte Begründung einer Schuld, verbunden mit einer aufschiebend befristeten oder bedingten Aufhebungsabrede“. Den Typus einer auflösenden Befristung im modernen Sinne macht er beim Abschluss von Dauerschuldverhältnissen und bei der Bestellung eines Nießbrauchs auf Zeit aus. Zwar hat der Nießbrauch mit dem Tod des Nießbrauchers bereits eine seinem Typus entsprechende innere Befristung. Mit dem Ablauf der Zeit kann daneben jedoch ein weiterer auflösender Tatbestand gesetzt werden31. 3. Programm für Kapitel 4 Flume sah in der Aufgabe, die römische Bedingungslehre zu untersuchen, auch eine Frage nach dem methodischen Vorgehen der Juristen32. Resümierend hält er fest, dass die Klassiker ihre Lösungen mit großer Sicherheit stringent aus der Vorstellung abgeleitet haben, dass der Rechtsakt selbst bedingt sei und erst mit dem Eintritt der Bedingung vollendet werde: „Es mag dahinstehen, ob die Logik dieser Folgerung als mathematische Logik zu bezeichnen ist; es genügt von juristischer Logik zu sprechen“33. Unter dem Titel der vorliegenden Untersuchung stellt sich sehr wohl die Frage, ob Kenntnisse der griechischen Modallogik zur genannten Sicherheit in der Lösungsfindung der römischen Juristen beigetragen haben könnten. Im Besonderen interessiert Julians faktische Beschreibung und rechtliche Erfassung des Schwebezustandes beim bedingten Geschäft, sei es bei der Stipulation, sei es im Erbrecht. Die dafür in Frage kommenden logischen Instrumente werden 26

Armgardt (2010), S. 342 nennt als Beispiel Gai. D. 20,4,11,1 mit seiner Rückwirkungsfiktion. 27 Wesener (1972), S. 279. 28 Kaser (1971), S. 253. Ablehnend: Mitteis, S. 172 ff. 29 Günther, S. 28 mit Verweis auf Flume (1967), S. 309 ff. und Kunkel/Honsell, S. 92. 30 Günther, S. 39 f. 31 Günther, S, 38. 32 Flume (1975), S. 70. 33 Flume (1975), S. 128.

167

B. Grundlagen

im nächsten Abschnitt aus Sicht der antiken Logik vorgestellt. Wie schon bei der Aussagenlogik finden sich die Ursprünge bei Aristoteles, während die ihm nachfolgenden Stoiker nicht nur um Verfeinerungen bemüht waren, sondern mit ihrem auf ihrer Sprachtheorie gegründeten flexibleren Denkschema auch das starre Raster der aristotelischen Figuren durchbrachen. Die Grundzüge der stoischen Modallogik konnten Julian und seinen Zeitgenossen namentlich durch Ciceros Behandlung der Lehre des Chrysippus in De fato bekannt gewesen sein34.

B. Grundlagen In der bisher betrachteten assertorischen oder nicht-modalen Logik wird unterstellt, dass jeweils, wie dies in der Geometrie der Fall ist, sicher und eindeutig entschieden werden kann, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. In der Modallogik wird der Wahrheitsgehalt von Aussagen A durch sogenannte „Modi“ oder Modalitäten nach Aspekten wie der Zeit oder den anwendbaren Umständen qualifiziert35. Ausgangspunkt der logischen Betrachtung bleiben die Aussagen, denen als als antikes Pendant die axiomata entsprechen. Deren eigentümliche Eigenschaft, in der Zeit nicht invariant zu sein, wurde bereits bemerkt36. Zusammen mit den Wahrheitswerten „wahr“ oder „falsch“ ergibt sich für die Qualifizierung von Aussagen folgendes Bild37: Axiomata (Aussagen) Wahr

Falsch Möglich

Notwendig

Unmöglich Nicht-notwendig Kontingent

In der Tabelle werden die Modalitäten nicht als Operatoren gelesen, sondern dem antiken Sprachgebrauch entsprechend als Bewertung. Eine Aussage A ist möglich, heisst übersetzt, dass es möglich ist, dass A wahr ist. A kann also auch falsch sein. Eine unmögliche Aussage A kann demnach nur falsch sein. Dies erklärt den Trennungsstrich zwischen „möglich“ und „unmöglich“ in der zweiten Zeile.

34

Vgl. Armgardt (2010), S. 347. Goldblatt, S. 3. 36 Siehe dazu vorne, Kap. 3 B. 2. c). 37 Die Tabelle wurde aus Bobzien (1993), S. 64 übernommen. 35

168

Kap. 4: Modallogik

1. Die Modallogik nach Aristoteles Während Aristoteles’ Arbeiten zur Frühform der klassischen Aussagenlogik über Jahrhunderte bewundert und studiert wurden, gelten seine Beiträge zur Modallogik allgemein als unklar, dunkel oder gar konfus38. Die teilweise vernichtende Kritik moderner Kommentatoren gründet sich hauptsächlich auf die Ansicht, dass es nicht möglich sei, Aristoteles’ Resultate als konsistentes System im axiomatischen Sinn zu interpretieren39. Kneale und Kneale weisen darauf hin, dass Aristoteles keine „formalisierende“ Version einer klas-sischen Aussagenlogik zur Verfügung hatte, wie sie später die Stoiker in Ansätzen entwickeln sollten. Somit zeigten seine Arbeiten eine schwerfällige, teilweise mehrdeutige und das Verständnis erschwerende Notation40. Zunächst gilt es die Modalitäten als Grundbegriffe einzuführen, nach denen später in Julians Texten gesucht werden soll. In der klassischen Aussagenlogik verhindert schon das Prinzip der Zweiwertigkeit eine Qualifizierung von Aussagen, denn jede Aussage muss ja zwingend entweder wahr oder falsch sein41. Dieses Prinzip hinterfragte Aristoteles in seinem noch heute kontrovers diskutierten Seeschlacht-Argument aus Kapitel 9 seiner Lehre vom Satz42. Sein Argument geht wie folgt: Angenommen es sei heute wahr, dass morgen keine Seeschlacht stattfindet. Dann ist diese Aussage über ein Ereignis des morgigen Tages auch für alle Tage in der Vergangenheit wahr. Aber jede wahre Aussage der Vergangenheit ist, weil sie unabänderlich ist, notwendig wahr. Daraus folgt, dass es unmöglich ist, dass morgen eine Seeschlacht stattfindet. Diese fatalistische Folgerung kollidiert mit der Vorstellung eines freien Willens. Aristoteles folgerte daraus, dass das Prinzip der Zweiwertigkeit für Aussagen über die Zukunft im Allgemeinen nicht anwendbar ist. Für solche Aussagen muss es ein „Drittes“ geben. Den ersten Versuch der Antike, zu diesem Problem einen soliden logischen Unterbau zu entwickeln, leistete Aristoteles in der Lehre vom Satz und in der Ersten Analytik43. Seine Bemühungen können als Ursprung der Modallogik betrachtet werden. Aristoteles interessierte sich im Rahmen seiner logischen Untersuchungen im engeren Sinn primär für die Kategorisierung von Begriffen und für stringente Beweismethoden im Rahmen des von ihm entwickelten kategorischen Syllogismus mit seinen drei Figuren44. Die aristotelische Modallogik knüpft an die Beziehung zwischen Prädikat (A) und Subjekt (B) an, die im logischen Quadrat dargestellt

38

Zu den verschiedenen Meinungen siehe Patterson, S. 1 ff. Die erste Formalisierung der Modallogik geht auf Arbeiten von Hugh MacColl aus den 80er Jahren des 19. Jh. zurück. Siehe dazu Goldblatt, S. 3 f. und Schmidt, S. 17 ff. 40 Kneale/Kneale, S. 83, 86. 41 Siehe oben, Kap. 3 B. 1. a). 42 Für eine kurze Darstellung siehe Schmidt, S. 20 f. oder Kneale/Kneale, S. 47 f. 43 Arist. Int. 12, 13; An. pr. I,8–22. 44 Vgl. Rini, S. 13. 39

B. Grundlagen

169

werden kann45. Aristoteles’ Modifikationen der das Prädikat und das Subjekt verbindenden Kopula46 sind die Notwendigkeit, die Möglichkeit und die Kontingenz. Als Notwendigkeit sieht er die Eigenschaft an, sich nicht anders verhalten zu können: „Ferner sagen wir von dem, was sich nicht anders verhalten kann, es sei notwendig, dass es sich so verhalte“47. Die Notwendigkeit steht in enger Nähe zur Beweisbarkeit von Aussagen. Eine notwendige modallogische Aussage entspricht parallel einer Aussage aus der klassischen Aussagenlogik48. Entsprechend übertragen sich seine 14 auf den drei Figuren aufgebauten Schlussregeln ohne größere Schwierigkeiten in ihre modallogischen, „notwendigen“ Gegenstücke49. Die Notwendigkeit eines aussagenlogisch konstruierten Ausdrucks φ soll im Folgenden als L φ bezeichnet werden. Die zweite Modifikation wird in der Literatur als Einweg-Möglichkeit50 oder M-Möglichkeit bezeichnet. Sie wird definiert als M φ = ¬L¬φ51. Aristoteles weist dieser ersten, intuitiven Variante der Möglichkeit in seinen logischen Schriften keine zentrale Stellung zu52. Offenbar fand Aristoteles eine Abwandlung zur Führung wissenschaftlicher Beweise geeigneter. Sie wird in der Literatur als ZweiwegMöglichkeit53 oder als Q-Kontingenz54 bezeichnet. Formal wird die sie als Q φ := ¬L φ ∧ ¬L (¬φ) definiert55. Aristoteles setzt diese Kontingenz in ihr Verhältnis zur Notwendigkeit: Unter kontingent sein und kontingent verstehe ich das, was nicht notwendig ist, wegen dessen aber, wenn es als vorhanden gesetzt wird nichts Unmögliches sich ergibt 56. Denn vom dem Notwendigen sagen wir nur homonymisch, dass es kontingent (möglich) ist 57.

Aristotles weist selbst darauf hin, dass es sich bei der Kontingenz um ein mehrdeutiges Konzept handelt58. So kann die Kontingenz in einer ersten Bedeutung 45

Siehe vorne, Kap. 3 B. 1. b). Patterson, S. 4 und S. 15 ff.; Rini, S. 32 ff. und S. 119 ff. 47 Arist. Metaph. V,5 (1015a), Übers. Seidl, S. 96. Vgl. auch Arist. An. pr. I,8 (29b49–30a6). Siehe dazu Ebert/Nortmann, S. 373 f. 48 Rini, S. 64; Patterson, S. 225; vgl. Aristoteles’ Definition von notwendig als universell und wesentlich in Arist. An. post. I,4 (73b25–28). 49 Kneale/Keale, S. 86 weisen korrekt darauf hin, dass alle drei modalen Qualifikationen zu insgesamt nicht weniger als 23 ⋅ 14 = 112 modallogischen Schlussformeln führen. Diese ohne formale Notation zu meistern, verlangt dem modernen Leser einige Anstrengung ab und wird wohl einiges zur Kritik an der aristotelischen Modallogik beigetragen haben. 50 Patterson, S. 3. 51 Rini, S. 119. 52 Sowohl Patterson, S. 225 f. als auch Kneale/Kneale, S. 85 vermuten dafür metaphysische Gründe. 53 Patterson, S. 5. 54 Rini, S. 119. 55 Kneale/Kneale, S. 85 sprechen zutreffend von „a disguised conjunctive statement“. 56 Unmöglich ist hier definiert via die Einweg-Möglichkeit: Patterson, S. 124. 57 Arist. An. pr. I,13 (32a19–22); Übers. Rolfes, S. 25; vgl. dort 33a24–25 und 33b25–33. Zu Naturgeschehnissen und zufälligen Ereignissen vgl. Ebert/Nortmann, S. 491. 58 Arist. An. pr. I,13 (32b4–5); Übers. Rolfes, S. 26. 46

170

Kap. 4: Modallogik

Veränderungen beschreiben, die zwar nicht zwingend, aber sowohl möglich als auch wahrscheinlich sind. Diese Veränderungen betreffen nicht die Substanz oder das Wesen eines Gegenstandes, sondern bloß Änderungen seiner nebensächlichen Eigenschaften59. Die Anlage zu solchen Veränderungen gehört gewissermaßen zur Natur des Gegenstandes. Obgleich sie mit Ablauf der Zeit wahrscheinlich eintreten, müssen sie nicht zwingend realisiert werden. So wie die meisten aber eben nicht alle Menschen mit zunehmendem Alter graue Haare bekommen60. Das Gegenstück zu einer akzidentellen Veränderung ist eine substantielle Veränderung, welche die Natur des Gegenstandes selbst betrifft. Als Beispiel nennt er den Samen, der zum Getreide heranwächst61. In diesen Erläuterungen zeigt sich deutlich der Bezug zu Aristoteles’ metaphysischer Theorie der Potentialität62. Die zweite Bedeutung der Zweiweg-Möglichkeit oder Kontingenz bleibt näher bei den akzidentellen Veränderungen. Sie umfasst Veränderungen, welche in dem Sinn unbestimmt sind, dass sie zufällig geschehen oder nicht geschehen können. So kann ein Lebewesen nach Lust und Laune spazieren oder liegen. Diese Veränderung seiner Bewegung wird regelmäßig realisiert werden. Sie verändert seine Substanz keineswegs. Ein weiteres Beispiel sind zwar mögliche aber unwahrscheinliche, seltene Ereignisse wie ein Erdbeben63. Zum Abschluss dieser Einführung in die aristotelischen Grundbegriffe der Modallogik sei ein Satz zitiert, mit dem Aristoteles die Darstellung der Modalitäten in seiner Lehre vom Satz abschließt: Und so ist es vielleicht das Notwendige und nicht Notwendige für alle modalen affirma­ tiven oder negativen Sätze das Prinzip und muss man das andere (möglich, kontingent, unmöglich) als solches betrachten, was auf dieses (notwendig und nicht notwendig) folgt 64.

In ihm widerspiegelt sich die zum Einstieg in die Modallogik präsentierte­ Tabelle. 2. Stoische Modallogik Zeitlich näher als Aristoteles standen einem römischen Juristen der Hochklassik die Schriften der Stoa65. Die Umrisse der stoischen Modallogik lassen sich aus den Arbeiten Philos, Diodorus’ und Chrysippus’ ziehen, welche aber nur indirekt

59

Die Unterscheidungen werden in der Metaphysik deutlicher herausgearbeitet: siehe insbesondere Metaph. V,29 (1025a), Metaph. IV, 2 (1004b), Metaph. XI,11(1067b). 60 Arist. An. pr. I,13 (32b5–10); Übers. Rolfes, S. 26 f. 61 Arist. Metaph. IX,8 (1049b19–21); Übers. Bonitz/Seidl, S. 191 f. 62 Zur Anwendung von „wahr“ und „falsch“ auf Sein und Nicht-sein siehe Arist. Metaph. IX,10 (1051b). 63 Arist. An. pr. I,13 (32b10–13); Übers. Rolfes, S. 27. 64 Arist. Int. 14 (23a), Übers. Rolfes, S. 23. 65 Siehe dazu statt vieler Miquel, S. 1 ff.

B. Grundlagen

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in Kommentaren und philosophischen Schriften späterer Zeiten überliefert sind66. Den Anfang soll die einfache, Philo zugesprochene Definition machen: Philo enim dicit possibile esse, quod natura propria enuntiationis suscipiat veritatem. Eadem autem modo idem ipse Philo necessarium esse definit, quod cum verum sit, quantum in se est, numquam possit susceptivum esse mendacii. Non necessarium autem idem ipse determinat, quod quantum in se est possit suscipere falsitatem. Impossibile vero, quod secundum propriam naturam numquam possit suscipere veritatem 67.

Philos Definition von Möglichkeit und Notwendigkeit erinnert an die Beschreibung wesentlicher Eigenschaften eines Gegenstandes bei Aristoteles. Bobzien interpretiert die Definition so, dass eine Aussage möglich ist, wenn sie aus innerer Konsistenz heraus zu einem bestimmten Zeitpunkt wahr sein kann68. Äußere Umstände spielen dabei keine Rolle. So ist es nach einem bekannten Beispiel möglich, dass ein auf dem Meeresboden liegendes Stück Holz brennt69. Das Potenzial von Holz zu brennen liegt in seiner Natur. Auch gerade vorliegende widrige Umstände vermögen dieses natürliche Potenzial nicht zu negieren. Das in dieser Bemerkung angedeutete Zeitelement erscheint explizit in den grammatischen Zeiten aus Diodorus’ Definition der Möglichkeit (im Folgenden als D-Möglichkeit bezeichnet): Diodorus possibile esse determinat, quod aut est aut erit; impossibile, quod cum falsum sit non erit verum; necessarium quod cum verum sit non erit falsum; non necessarium, quod aut iam est aut erit falsum70.

Eine Aussage ist D-möglich, wenn sie zu mindestens einem zukünftigen Zeitpunkt wahr sein wird. Ist sie mindestens zu einem Zeitpunkt falsch, ist sie D-nicht-notwendig71. Die Definition setzt voraus, dass Aussagen sowohl ihren Wahrheitswert als auch ihren Modus ändern können72, was mittlerweile keine neue Erkenntnis mehr ist. Doch kann diese Erkenntnis im Bezug auf die Moda­ lität präzisiert werden. Ist eine Aussage einmal D-notwendig oder D-unmöglich geworden, bleibt ihre Bewertung fixiert. Praktisch ist dies in der Regel für wesentliche aber auch für manche nebensächliche Eigenschaften, etwa dem Ergrauen der Haare, der Fall. Ihre Werte mehrmals ändern können hingegen die D-kontingenten Aussagen. Nach der allgemeinen Definition muss eine kontingente Aussage A

66

Bobzien (1993), S. 67 mit Hinweisen; Keimpe/Barnes/Mansfeld/Schofield, S. 83. Boethius, Int. 234,10–21. 68 Bobzien (1993), S.  67 f. spricht von „intrinsic consistency of the proposition“. Übereinstimmend sprechen Kneale/Kneale, S.  122 von „self-consistency“; vgl. Keimpe/Barnes/ Mansfeld/Schofield, S. 86. 69 Alex. Aphr. in APr. 184; vgl. Bobzien (1993), S. 69. 70 Boethius, Int. 234,22–26. Vgl. in offenbar ähnlichem Sinn schon Arist. Metaph. IX, 4 (1047b). 71 Vgl. Bobzien (1993), S. 69. 72 Vgl. Kneale/Kneale, S. 118; Keimpe/Barnes/Mansfeld/Schofield, S. 86. 67

172

Kap. 4: Modallogik

zugleich möglich und nicht-notwendig sein. Bei Diodorus trifft dies seiner Definition von Möglichkeit und Notwendigkeit zufolge genau dann zu, wenn –– (D/C) Cn[A] = (∃ t: t ≥ n ∧ Tt[A]) ∧ ((∃ t': t' ≥ n ∧ Ft'[A])

zutrifft73. Kontingente Aussagen werden damit gerade als Aussagen charakte­ risiert, welche über die Zeit ihren Wahrheitswert ändern. Dies trifft namentlich auf die sogenannten μεταπίπτοντα zu74. Diese Charakteristik passt gut zu veranlassten oder zufälligen Änderungen nebensächlicher Eigenschaften. Die Unterschiede in den Ansätzen von Philo und Diodorus werden bei der Kontingenz besonders deutlich: Bei Philo kann eine kontingente Aussage zwar intern konsistent und damit möglich aber tatsächlich zu allen Zeiten falsch sein75. Die unterschiedliche Betrachtungsweise hat Konsequenzen, die auch im Hinblick auf die Anwendung auf juristische Fragestellungen bedeutsam sind. So können bei Diodorus Aussagen, die sich auf individuelle, auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Ereignisse beziehen, nur entweder nicht-notwendig und damit unmöglich oder möglich und damit notwendig, nicht aber beides gleichzeitig und damit kontingent sein76. Die Definition bei Diodorus zeigt damit Ansätze eines deterministischen Systems, wie es von Aristoteles abgelehnt wurde77. Auch Chrysippus lehnte den universellen Determinismus aus philosophischen Gründen ab: At hoc, Chrysippe, minime vis, maximeque tibi de hoc ipso cum Diodoro certamen est. Ille enim id solum fieri posse dicit, quod aut sit verum aut futurum sit verum, et, quicquid futurum sit, id dicit fieri necesse esse et, quicquid non sit futurum, id negat fieri posse78.

Für Chrysippus war eine Untergruppe falscher Aussagen besonders problematisch, die sich auf Ereignisse beziehen, welche nur einmal geschehen und sich anders als die metapiptonta nicht wiederholen79. Ein solches Beispiel ist die Aussage A „Fabius stirbt an Land“80. Sollte Fabius dereinst auf See sterben, muss A als D-unmöglich klassifiziert werden. Mit anderen Worten ist bei Diodorus alles, was nicht geschieht, unmöglich. Dies erscheint auch aus heutiger Sicht störend. Mit 73

Bobzien (1993), S. 73. Kneale/Kneale, S. 118 weisen darauf hin, dass nur die Definition der Möglichkeit ohne Verweis auf Wahrheit und Falschheit auskommt. Cic. Fat. 13 gibt diese Definition aber wieder als „Placet igitur Diodoro id solum fieri posse quod aut verum sit aut verum futurum sit“. 74 Vgl. Kneale/Kneale, S. 153 f. 75 Vgl. Bobzien (1993), S. 68. 76 Bobzien (1993), S. 73. 77 Bobzien (1993), S. 73 f. Kneale/Kneale, S. 119 zitieren dazu einen Kommentar von Epiktet zur sogenannten Aporie („Master Argument“; κυριεύω λόγος). Aus dem praktisch einsichtigen Umstand, dass die Vergangenheit nicht veränderbar ist, wird geschlossen, dass alles in der Vergangenheit liegende Wahre notwendig sein muss. Dieser Schritt spielte schon im Seeschlacht-Argument bei Aristoteles eine Rolle. 78 Cic. Fat. 13 f. 79 Die englische Literatur nennt solche Ereignisse „counterfactual events“. Vgl. Bobzien (1993), S. 74. 80 Vgl. Cic. Fat. 12, 14.

B. Grundlagen

173

Blick auf die letzte Zeile der Tabelle mit den Modalitäten erweist sich bei Philo die Gruppe kontingenter Aussagen als zu groß, bei Diodorus als zu klein81. In der Folge entwickelte Chrysippus seine eigene Version von Möglichkeit und Notwendigkeit, die eher mit seinen moralischen Vorstellungen in Einklang zu bringen war82 und welche einem geglückten Mittelweg zwischen den Ansätzen von Philo und Diodorus gleichkommt. Nach Chrysippus ist eine Aussage möglich (C-möglich), wenn sie wahr sein kann und es keine externen Umstände gibt, die sie daran hindern, wahr zu sein: „Ferner sind einige Aussagen möglich, andere sind unmöglich und einige notwendig, andere nicht-notwendig. Möglich ist, was zulässt, wahr zu sein und nicht durch äußere Faktoren daran gehindert wird, wahr zu sein, so wie „Diocles ist am Leben“. Unmöglich ist, was nicht zulässt, wahr zu sein, 〈oder es zu lässt, wahr zu sein, aber durch äußere Faktoren daran gehindert wird, wahr zu sein〉, so wie „die Erde fliegt“. Notwendig ist, was wahr ist und nicht zulässt, dass es falsch ist, oder das zulässt, dass es falsch ist, aber durch ­äußere Faktoren daran gehindert wird, falsch zu sein, so wie „Tugend ist gut“. Nicht-notwendig ist, was sowohl wahr als auch fähig ist, falsch zu sein, und das nicht durch äußere Faktoren daran gehindert wird, falsch zu sein, so wie „Dion geht“83.

Was mit externen Umständen oder Faktoren gemeint war, geht aus den Über­ lieferungen der stoischen Schriften nicht direkt hervor84. Es musste sich jedenfalls um eine andere Vorstellung handeln, als sie Aristoteles bei seinem Beispiel zur Diagonale im Quadrat im Kopf gehabt haben wird: „Ich meine z. Bsp., wenn jemand sagte, es sei zwar möglich, dass die Diagonale [eines Quadrats] gemessen werde, doch werde sie niemals gemessen werden, ohne zu bedenken, wie es unmöglich ist, das etwas als möglich durch nichts gehindert sein soll zu sein oder zu werden [..]“85.

Aristoteles bezieht sich hier weniger auf externe Umstände als auf das Kriterium der absoluten Unmöglichkeit. Denn die Diagonale eines Quadrats mit Seitenlänge a hat eine Länge von √2⋅a. Da die griechischen Mathematiker die Existenz irrationaler Zahlen wie √2 verneinten, war für sie das Berechnen oder „Messen“ der Diagonale im Quadrat „absolut“ unmöglich86. Der stoische Begriff könnte einen äußeren Zusammenhang mit anderen Aussagen andeuten und somit auf eine Spielart einer relativen Notwendigkeit verweisen87. Dieses „äußere“ Hindernis findet sich bei Aristoteles, wenn er davon spricht, dass eine unheilbare Krankheit 81

Bobzien (1993), S. 76. Long/Sedley, S. 234 f. 83 Diog. Laert. 7.75 (dt. aus Übers. Long/Sedley, S. 231 f.); vgl. Boeth. Int. II 234–5, 393. Cic. Fat. 12–15: „Tu, et quae non sint futura, posse fieri dicis, ut frangi hanc gemmam,­ etiamsi id numquam futurum sit [..]“. Kneale/Kneale, S. 123 vermuten ein nicht mehr erhaltenes stoisches Handbuch zur Logik als gemeinsame Grundlage für Boethius und Cicero. 84 Bobzien (1993), S. 76. 85 Arist. Metaph. IX,4 (1047b); Übers. Bonitz/Seidl, S. 185. 86 Vgl. Van der Waerden, S. 72 f. 87 Kneale/Kneale, S. 124 mit Verweis auf Cic. Fat. 30. 82

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Kap. 4: Modallogik

einen Samen daran hindern könnte, sich schließlich in einen Menschen zu wandeln88. Um dies kompakt zusammenzufassen, sei mit dem Ausdruck H Tt[A] die Aussage „Es gibt externe Faktoren, die A daran hindern, im Zeitpunkt t wahr zu sein“ bezeichnet89. Dann lassen sich die Modalitäten nach Chrysippus für einen beliebigen Betrachtungszeitpunkt t0 = n wie folgt definieren90: –– (C/M) Mn[p] := OK ∃ t: Tt[p] ∧ (∃ t ≥ n: ¬H Tt[p]), –– (C/¬M) ¬Mn[p] := ¬OK ∃ t: Tt[p] ∨ (∀ t ≥ n: H Tt[p]), –– (C/L) L n[p] := ¬OK ∃ t: Ft[p] ∨ (∀ t ≥ n: H Ft[p]), –– (C/¬L) ¬L n[p] := OK ∃ t: Ft[p] ∧ (∃ t ≥ n: ¬H Ft[p]).

Dabei bezeichne „OK“ das Konzept der internen Konsistenz einer Aussage aus der Definition bei Philo. Dann kann Kontingenz wie üblich definiert werden: Eine Aussage sei kontingent nach Chrysippus (C-kontigent), wenn sie kontingent nach Philo ist (P-kontingent) und es sowohl einen Zeitpunkt gibt, zu dem sie nicht daran gehindert wird, wahr zu sein, als auch einen Zeitpunkt, zu dem sie nicht daran gehindert wird, falsch zu sein. Mit diesen neuen Erkenntnissen lässt sich die eingangs präsentierte Tabelle der Modalitäten zu einem übersichtlichen Gesamtbild zur stoischen Modallogik erweitern91: 1 Immer wahr Wahr aus Natur heraus

2

3

Immer wahr ≥t H Fs[p] s≥t

Einfach wahr

4

4'

Teils wahr Teils falsch ≥t Metapiptonta

3'

Immer falsch ≥t Einfach falsch

Wahr P-notwendig

P-kontingent (möglich aber nicht notwendig) C-kontingent

D-notwendig

88

2

Immer falsch Falsch aus Natur heraus

3

4

4'

P-unmöglich C-unmöglich

D-kontingent

Arist. Metaph. IX,7 (1048b35–1049a16). Bobzien (1993), S. 77. 90 Bobzien (1993), S. 80. 91 Bobzien (1993), S. 83. 89

H Ts[p] s≥t

1'

Falsch

C-notwendig

1

2'

D-unmöglich 3'

2'

1'

B. Grundlagen

175

Die Spalten 1 und 1' erinnern an das Verständnis bei Aristoteles zu den wesentlichen Eigenschaften von Gegenständen. Die Spalten 2 und 2' zeigen die von Chrysippus eingeführten externen Faktoren. Einfach wahre oder falsche Aussagen aus Spalte 3 und Spalte 3' sind Aussagen, die für alle s ≥ t wahr sind, aber nicht durch externe Faktoren daran gehindert werden, falsch zu sein. Sie begrenzen die C-Kontingenz auf ein zweckmäßiges, verträgliches. Die Spalten 4 und 4' enthalten schließlich die Aussagen, welche ihren Wahrheitsgehalt über die Zeit mehrmals ändern. In die Gruppe dieser metapiptonta passen insbesondere die Änderungen nebensächlicher Eigenschaften eines Gegenstandes. 3. Die nicht-deterministische Welt Jherings Feststellung, dass zukünftige unsichere Ereignisse risikobehaftet und allgemein besonders schwierig zu kontrollieren sind, stand als Motto zu Beginn dieses Kapitels92. Seine Feststellung kann zweifellos zeitlose Geltung beanspruchen. Die Unsicherheit zukünftiger Ereignisse wurde schon in der Antike problematisiert, wie das bekannte Seeschlacht-Argument bei Aristoteles belegt93. Zentrales Element des Arguments ist die zeitliche Dimension, in der die Ereignisse angeordnet werden müssen. Bezeichne A(T) die Aussage, dass am morgigen Tag T keine Seeschlacht stattfindet. Nach dem Prinzip der Zweiwertigkeit muss entweder A(T) = 1 oder A(T) = 0 gelten: L(A(T) ∨ ¬A(T)). Das Argument beginnt mit der Annahme, dass A(T) heute wahr ist. Formal mit zeitlicher Indexierung: A(T)T-1 = 1 (i). Dann gilt ∀ t ≤ T −1, dass A(T)t = 1 (ii). Wahre Aussagen zu Ereignissen in der Vergangenheit sind unabänderlich. Deshalb gilt ∀ t ≤ ∞, dass A(T)t = L A(T)t (iii). Daraus folgt jedoch unmittelbar A(T)T = L A(T)T = ¬M¬A(T)T (iv). Es ist also mit der Annahme (i) nicht möglich, dass morgen oder überhaupt irgendwann in der Zukunft eine Seeschlacht stattfindet. Lehnt man den Determinismus ab, so scheint es, dass mit Aristoteles das Prinzip der Zweiwertigkeit für Aussagen über zukünftige Ereignisse abgelehnt werden muss94. Doch ist es praktisch bereits nicht möglich, den Schritt (i) zu vollziehen. Zum Zeitpunkt t = T −1 ist schlicht nicht ausreichend Information verfügbar, um der zeitlich indexierten Aussage A(T)t einen Wahrheitswert zuzuordnen. Sie bleibt bis zur Realisierung im Zeitpunkt t = T unbestimmt bzw. in der Sprache der aristotelischen Modallogik kontingent. Es besteht eine Asymmetrie zwischen Aussagen über vergangene und 92

Siehe vorne, Kap. 3 J. 3. a). In Kapitel 9 der Lehre vom Satz. Für eine Einführung siehe Schmidt, S. 20 f.; Kneale/ Kneale, S. 47 f. 94 Aus heutiger Optik lässt sich einwenden, dass der Schritt (iii) nicht korrekt ist. Damit die bei Aristoteles entscheidende Implikation A → L A gälte, müsste die klassische durch die normale Modallogik ersetzt werden, die sich von der klassischen Variante durch zwei charakteristische Regeln wie in Schmidt, S. 18 beschrieben unterscheidet. Inwiefern die normale Modallogik bei Aristoteles in seiner Metaphysik und in seiner Lehre vom Satz rekonstruiert werden kann, untersucht van Rijen, S. 19 ff. 93

176

Kap. 4: Modallogik

zukünftige Ereignisse95, die dazu zwingt, alle diesbezüglichen Aussagen mit einer zeitlichen Indexierung zu versehen. Diese Anforderung nach einer ausreichenden Individualisierung von Aus­sagen trat schon bei der Besprechung der stoischen Lehre zu den axiomata mit ihrem „Lebenszyklus“ und zum Konditional nach den Vorstellungen des Stoikers Diodorus hervor96. Für Ereignisse der Vergangenheit gestattet diese Individualisierung, Ketten natürlicher Kausalverläufe zu identifizieren. Bei zukünftigen und unsicheren (nicht-notwendigen) Ereignissen richtet sich das Augenmerk wie im Seeschlacht-Argument auf mögliche Ereignisketten, die sich erst später zu Kausalverläufen aktualisieren. In der modernen philosophischen Literatur wurde der Versuch unternommen, die dabei entstehenden Probleme anhand von „Entscheidungsbäumen“ darzustellen und zu analysieren97. Beliebtes Lehrbuchbeispiel ist ein „zufälliger Prozess“ X(n), der die Anzahl Nachkommen der n-ten Generation einer Population modelliert98:

Jeder Knoten im Baum markiert eine mögliche Aktualisierung von X in der nten Generation, wobei die Anzahl der abzweigenden Äste flexibel ist und an das zu lösende Problem angepasst werden kann. Die Übergänge von der (n-1)-ten zur n-ten Generation erfolgen jeweils mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit pk. Alle verfügbare Information, welche bei Geburt der n-ten Generation verfügbar ist, wird in einer „Geschichte“ Fn zusammengefasst. Will man in einem bestimmten Zeitpunkt n abschätzen, wie die nächstfolgende Generation aussieht, steht für diese Schätzung nur die Information zur Verfügung, die sich in Fn verbirgt. Graphisch wiedergegebene Entscheidungsbäume dieser Art finden sich in den antiken Schriften freilich nicht. In den Exegesen dieses Kapitels sollen sie einzig dabei unterstützen, die Lösungen Julians in geraffter Form zu erfassen. 95

Shain, S. 129. Zu dieser Idee eines „Zeitstempels“ siehe vorne, Kap. 3 B. 3. 97 An erster Stelle zu nennen ist Prior, der sich auf einen Vorschlag von Samuel Kripke (geb. 1940), einem Pionier der modernen Modallogik abstützte. Vgl. auch Thomason. 98 Siehe Williams, S. 1 ff. 96

C. Auswahl der Stellen

177

C. Auswahl der Stellen Da die zur stoischen Modallogik überlieferten antiken Schriften spärlich aus­ fallen, muss man sich selbst Gedanken machen, wie diese Techniken in der Rechtswissenschaft hätten dienen können99. Entsprechend gestaltet sich die Suche nach Spuren modallogischer Konzepte in den Schriften Julians ungleich schwieriger als es für die in den früheren Kapiteln besprochenen Teilgebiete der Fall war. Dies liegt einerseits daran, dass nicht mehr einfach nach Schlüsselwörtern gesucht werden kann, wie dies bei den logischen Verknüpfungen rasch zum Ziel führte. Die Verwendung von Wörtern wie necesse est oder posse wird meist bloße Alltagssprache sein und kann als glaubhafter Beleg nicht ausreichen. Anders wäre eine Stelle wie D. 28,7,20 pr. zu beurteilen, in der Labeo für „unmöglich“ statt des lateinischen „impossibilis“ das griechische ἀδύνατοζ verwendet100. Backhaus plädierte für eine bewusste Verwendung des griechischen Begriffs seitens Labeos, der sonst einfach „condicio existere non potest“ hätte schreiben können101. Hierzu müsse es aber sachliche Gründe geben, die er in einem Bezug auf die Modal­logik des Chrysippus und seiner Definition der Unmöglichkeit sah102. Griechische Fachtermini zur Modallogik finden sich bei Julian nicht, der im Übrigen auch nirgends „impossibilis“ einsetzt. Andererseits ist es denkbar wenn nicht sogar zu erwarten, dass modallogische Konzepte nicht mehr nur Teil der Faktenlage im Sachverhalt sein werden, sondern bereits methodisch unterstützend bei der eigentlichen Lösungsfindung zum Einsatz kommen. Dies wiederum wäre ein sehr wertvoller Beleg für ihren Einfluss auf die Methoden der römischen Juristen. Dies bedingt eine genauere Durchsicht der einzelnen Stellen, ja bereits eine erste Interpretation, um entscheiden zu können, ob sie für die vorliegende Untersuchung als Beleg in Frage kommen. Dies erhöht nicht nur den Aufwand (was noch kein gültiger Vorwand wäre, die Untersuchung nicht an die Hand zu nehmen). Es gestaltet sich auch schwieriger, behauptete Anklänge an die modale Logik anhand des überlieferten Textes nachvollziehbar und plausibel darzustellen, solange der antike Autor nicht über sein eigenes Vorgehen reflektierte. Gerade davon sahen die römischen Juristen aber ab, worauf schon mehrmals hingewiesen wurde. In anderem Zusammenhang mahnte schon Nörr an, zwischen der tatsächlichen Übernahme von Techniken und Konzeptionen in die juristische Vorgehensweise und einer bloßen Anregung zu unterscheiden103. Ein vermuteter Einfluss der Modallogik gewänne 99

Als Hilfsmittel für den philosophischen Diskurs: siehe Cic. Fat. Lab. D. 28,7,20 pr.: „Mulier, quae viro suo ex dote promissam pecuniam debebat, virum heredem ita instituerat, si eam pecuniam, quam doti promisisset, neque petisset neque exegisset. Puto, si vir denuntiasset ceteris heredibus per se non stare, quo minus acceptum faceret id quod ex dote sibi deberetur, statim eum heredem futurum. Quod si solus heres institutus esset in tali condicione, nihilo minus puto statim eum heredem futurum, quia adunatos condicio pro non scripta accipienda est“. 101 Backhaus (1981), S. 163. 102 Backhaus (1981), S. 164 mit Hinweis auf Miquel in Fn. 27. 103 Nörr (1972), S. 28. 100

178

Kap. 4: Modallogik

aber dann an Überzeugungskraft, wenn sich bislang dunkle Stellen erhellen und Kontroversen auflösen lassen104. Zu diesem Zweck wurden die Exegesen für Kapitel 4 entlang der Linien des eingangs skizzierten Programms ausgewählt. Unterstützend konnte dabei die Suche nach einer Verwendung der Begriffe „pendere“, „in pendenti esse“ oder „in suspenso esse“ bei Julian an die Hand genommen werden. Für die justinianischen Digesten insgesamt kam Gioffredi zum Schluss, dass „pendere“ generische Bedeutung im materiellen Sinn habe und sich auf instabile, noch unklare Situationen beziehe, die sich erst mit einem zukünftigen Ereignis klären würden105. Diese Beschreibung ist recht allgemein und vermag den ersten Bemerkungen nichts Neues hinzuzufügen. Viel wertvoller ist seine Feststellung, dass „pendere“ bei der Beschreibung rechtlich neutraler Elemente des Sachverhalts106, von Rechtsakten107 aber auch von abstrakten Konzepten108 auftreten kann. In Julians Digesten lassen sich über diese Begriffe 23 Fragmente finden, von denen sich 18 um schwebende Bedingungen109, drei um den Status einer Person110 und zwei um eine hängende Wein- bzw. Olivenernte111 drehen. Bei den letzten zwei Fragmenten ist auf den ersten Blick zweifelhaft, ob sie von Interesse sein werden. Von den restlichen, die thematisch in die als modallogisch affin identifizierten Bereiche fallen, werden einige in diesem Kapitel exegetisch näher untersucht. Die Texte decken sowohl den Bereich der Rechtsgeschäfte unter Lebenden als auch Anwendungen aus dem Erbrecht ab. Bei den Rechtsgeschäften unter Lebenden wird sowohl das allgemeine Problem der rechtlichen Kontrolle zukünftiger Ereignisse behandelt als auch der Aspekt des Schwebezustandes ausgeleuchtet. Bei den ausgewählten erbrechtlichen Anwendungen erlaubt ihre Kombination mehrerer Rechtsinstitute  – namentlich Legate und Freilassungen  – die Analyse ihres Zusammenwirkens während und am Ende des Schwebezustandes. Der Vermutung aus der älteren italienischen Literatur folgend, dass sich die römische „Pendenz-Lehre“ aus dem ius postliminium entwickelt haben könnte112, bilden drei Exegesen aus diesem besonderen Rechts­ gebiet den Abschluss des Kapitels.

104

Die Feststellung gilt auch umgekehrt, wie Gioffredi, S. 114 anmerkt: „Troppo sovente, è certo, il romanista non fa alcun sforzo per rendere i risultati della propria ricerca utilizzabili dal giurista, limitandosi ad un’analisi esegetica nei cui intricati meandri è arduo addentrarsi per il profano“. 105 Gioffredi, S. 147. 106 Gioffredi, S. 121 ff.: Ulp.-Iul. D. 7,1,25,1; Ulp. D. 14,6,1,1. 107 Gioffredi, S. 124 ff.: Paul. D. 8,4,18; Pomp. D. 12,1,8. 108 Gioffredi, S. 132 ff.: Iav. D. 5,1,35; Paul. D. 12,6,60,1. 109 Iul. Pal. 150, 275, 348, 389, 425, 434, 438.2+4, 456, 462.7, 464.9+10, 500.0, 512, 537.0, 697.8, 708, 712.5, 741, 756.3. 110 Iul. Pal. 489.2, 761.2, 762.3. 111 Iul. Pal. 240, 713. 112 Siehe Kap. 4 F.

D. Schuldrecht

179

D. Schuldrecht Eine erste Annäherung an Julians Vorstellung zu einer „Pendenz“ erfolgt durch die Exegesen von vier Stellen aus dem weiteren Bereich des Schuldrechts. Untersucht wird, inwiefern Julian mit Ausdrücken wie „pendere“ oder „in pendenti esse“ auf bloße Tatsachen oder auf rechtliche Verhältnisse oder Begriffe Bezug nimmt. In den Fällen, in denen ein Schwebezustand auszumachen ist, soll ferner der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieser bei der rechtlichen Begutachtung berücksichtigt wird. 1. Iul. Pal. 240 (D. 18,1,39,1 und D. 33,6,5 – Iul. 15 dig.) Verisimile est eum, qui fructum olivae pendentis vendidisset et stipulatus est decem pondo olei quod natum esset, pretium constituisse ex eo quod natum esset usque ad decem pondo olei: idcirco solis quinque collectis non amplius emptor petere potest quam quinque pondo olei, quae collecta essent, a plerisque responsum est.

Es ist wahrscheinlich, dass derjenige, welcher die noch hängenden Früchte eines Olivenbaums verkauft hat und sich dafür 10 Pfund Öl, das aus ihnen gewonnen würde, hat versprechen lassen, den Preis als das festgesetzt hat, was gewonnen werden würde bis zu 10 Pfund Öl. Deshalb, nachdem nur 5 gesammelt worden sind, kann er vom Käufer nicht mehr fordern als die 5 Pfund Öl, die gesammelt worden sind, wie von den meisten begutachtet wurde.

Cum certus numerus amphorarum vini legatus esset ex eo, quod in fundo Semproniano natum esset, et minus natum esset, non amplius deberi placuit et quasi taxationis vicem optinere haec verba „quod natum erit“.

Wenn eine bestimmte Anzahl Amphoren mit Wein vermacht worden sind, von dem, was auf dem Sempronischen Grundstück wachsen würde, und weniger gewachsen ist, gefiehl, dass nicht mehr geschuldet wird und dass die Worte „was wachsen würde“ als Maßbestimmung gelten sollen.

a) Zu casus und quaestio Der Text findet sich im 15. Kapitel von Julians Digesten unter dem Titel „empti venditi“. Jemand, wohl ein Grundbesitzer, hat noch nicht gepflückte Oliven zu einem Preis von 10 Pfund Öl verkauft. Julian hält es für wahrscheinlich, dass die genannten 10 Pfund113 Öl den maximalen Preis bezeichnen, den der Käufer vereinbarungsgemäß nach der Ernte zu entrichten hat. Sollte der Käufer aber nur soviele Oliven ernten, dass daraus weniger als 10 Pfund Öl gepresst werden können, habe er nur soviel zu bezahlen, als er auch wirklich Öl aus ihnen gewinnen konnte. 113

Pondus als Äquivalent des Liters: Nörr (2000), S. 191.

180

Kap. 4: Modallogik

Als erstes gilt es festzustellen, worum es in dieser Stelle nicht geht. Julian fragt nicht, was genau verkauft worden und ob der Kauf als gültig anzusehen ist. Der Kauf einer zukünftigen Sache, deren Entstehung noch ungewiss war, wurde als bedingter Kauf angesehen114. Als unbedingt abgeschlossen galt hingegen der Kauf einer bloßen Gewinnaussicht, etwa, wenn jemand das Recht kaufte, Fische oder Vögel zu fangen115. Im vorliegenden Fall hängen die Oliven beim Abschluss der Vereinbarung bereits an den Bäumen. Sie sind primärer Gegenstand des Verkaufs: qui fructum olivae pendentis vendidisset. Dies genügt für die Gültigkeit des Kaufs116. Tatsächlich schlossen die Römer solche Vereinbarungen regelmässig ab, wie sich bei Cato nachlesen lässt. Nicht außergewöhnlich ist auch, dass der Käufer die Früchte selber ernten musste117, was bedingte, dass dem Käufer das Recht zugestanden werden musste, das Grundstück des Verkäufers zu betreten und die Erntearbeiten samt Abtransport durchzuführen118. Cato stellt in „De agri cultura“ ein ausführliches Formular für den Verkauf einer Olivenernte vor, bei dem allerdings ein fester Preis ausgemacht wird, zu dem einige zusätzliche Gebühren für die Versteigerung kommen119. So steht im vorliegenden Fall nicht der Kauf als Rechtsgeschäft an sich, sondern die separat abgeschlossene Stipulation über den Preis120 im Zentrum der Fragestellung: stipulatus est decem pondo olei. Der Preis bezieht sich nicht auf die vom Verkäufer geschuldete Leistung. Er bestimmt sich auch nicht durch Wägen der gelesenen Oliven. Vielmehr soll er durch den vom Käufer zu gewinnenden Ertrag bestimmt werden, weshalb seine Höhe als bedingt angesehen werden kann121. Die allgemeinen Regeln, wonach ein Kauf erst dann als perfekt anzusehen ist, wenn die verkaufte Sache abgemessen ist122, stehen dieser Ab­machung nicht entgegen. Für Giaro handelt es sich bei der Bestimmung der zukünftigen Höhe des Preises um eine einfache Faktenfrage, die sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses offensichtlich nur in Wahrscheinlichkeit beantwor 114

Emptio rei speratae; vgl. Kaser (1971), S. 549. Emptio spei; vgl. Kaser (1971), S. 549 mit Verweis auf Pomp. D. 18,1,8,1: „Aliquando tamen et sine re venditio intellegitur, veluti cum quasi alea emitur. Quod fit, cum captum piscium vel avium vel missilium emitur: emptio enim contrahitur etiam si nihil inciderit, quia spei emptio est: et quod missilium nomine eo casu captum est si evictum fuerit, nulla eo ­nomine ex empto obligatio contrahitur, quia id actum intellegitur“. Zu dieser Stelle siehe­ Babusiaux (2006), S. 214 f. 116 Vgl. Thomas, S. 122. Es genügte sogar, dass das Herkunftsobjekt, aus dem die zukünftige Sache entstehen wird, bestimmbar ist, was schon „ziemlich früh“ der Fall sein kann. 117 Haymann, S. 344. 118 Vgl. analog für die Weinernte Frier, S. 289. 119 Cato, Agr. 155: „Oleam pendentem hac lege venire oportet: Olea pendens in fundo­ Venafro venibit. Qui oleam emerit, amplius quam quanti emerit omnis pecuniae centesima accedet [..]. Recte haec dari fierique satisque dari domino aut cui iusserit, promittito satisque dato arbitratu domino“. 120 Pringsheim (1924), S, 431 (Fn. 7). 121 Haymann, S. 379 (Fn. 2). 122 Siehe Gai. D. 18,1,35,5: „[..] non tamen aliter videatur perfecta venditio, quam si admensa adpensa adnumeratave sint [..]“. Julians Entscheidung sei demnach für einen Sabinianer überraschend. 115

D. Schuldrecht

181

ten lässt: verisimile est123. Diese Konstruktion unterscheidet Julians Entscheidung von einfach gehandhabten Fällen wie dem Fischfang in der Pomponius-Stelle124 oder Catos Formular. Die Interpretation der Preisbestimmung über den zukünftigen Ertrag des Käufers wird gestützt durch den zweiten Teil  des Fragments. Die Zusätze „quod natum esset“ und „quod natum erit“ verweisen auf die zukünftige Realisierung eines faktischen Ereignisses. Der Unterschied zum ersten Teil  liegt darin, dass der Blick von der Gegenwart auf eine vergangene Zukunft geht, um den hypothe­ tischen Willen des Erblassers zu ergründen. b) Beitrag der Logik Unsicher war, wieviel Öl der Käufer aus den Oliven pressen können würde. Diese Unsicherheit erstreckt sich vom Zeitpunkt t0 des Abschlusses des Kaufs über die Ernte zum Zeitpunkt t1 bis zum erfolgten Pressen und Abmessen des Öls zum Zeitpunkt t2. Wie lange die Periode [t0, t2] der Unsicherheit dauern würde, wird im Sachverhalt nicht thematisiert. Jedenfalls hingen die Oliven bereits an den Bäumen: olivae pendentis, sodass die Periode eher kurz ausgefallen sein dürfte. Der Kauf der Oliven ist als Rechtsgeschäft nicht in der Schwebe. Die endgültige Bestimmung des Preises hängt im Wesentlichen von zwei möglichen zukünftigen Ereignissen oder Kausalverläufen ab:

Es ist möglich, dass der Käufer mindestens 10 Pfund Öl gewinnt (A). In diesem Fall erhielte der Verkäufer 10 Pfund als Erlös aus seinem Verkauf, und der Käufer behielte die Differenz zur Gesamtmenge als Profit. Er kann aus den verschiedensten Gründen auch weniger erzielen (¬A). In diesem Fall erhielte der Verkäufer die geringere Gesamtmenge an Öl, während der Käufer selbst leer ausginge. Die Formel für die Preisberechnung steht schon beim Abschluss des unbedingten Kaufs fest. Es gilt, dass notwendig A oder ¬A eintritt: L(A ∨ ¬A). Diese Formel ist also so wenig kontingent wie ein zum voraus vereinbarter Fixpreis. Wie dort hat der Käufer auch hier jedes Interesse möglichst sorgfältig zu pressen. Der bemerkenswerte Unterschied zu den üblichen Formularen liegt in der Verteilung des Risikos auf 123 124

Giaro (2007), S. 305. Siehe die Fn. 115.

182

Kap. 4: Modallogik

beide Beteiligte. Gewinnt der Käufer nur 5 Pfund, „verlieren“ beide je 5 Pfund an Gewinnaussichten, der Käufer unmittelbar durch Abgabe seiner Produktion, der Verkäufer mittelbar als Differenz zum maximal vereinbarten Erlös von 10 Pfund. Vielleicht wurde der Zeitpunkt t0 zeitlich früher angesetzt, als es sonst üblich war, sodass sich eine verlässliche Schätzung der Ernte als schwierig herausstellte. Mit der innovativen Vereinbarung wird diese Unsicherheit durch eine beidseitige Risikoverteilung ab initio kontrolliert. Genau genommen liegt der Käufer erst dann im Gewinnbereich, wenn er soviel Öl presst, dass er davon nicht nur 10 Pfund abgeben, sondern auch seine Gewinnungskosten decken kann. Wie „fair“ die Vereinbarung tatsächlich ist, hängt auch von den Wahrscheinlichkeiten der alternativen Ereignisse A und ¬A ab125. Die Frage eines bedingten Rechtsverhältnisses stellt sich hier nicht. Die Schwebe hat wie in Gai. D. 35,2,73,1126 keinen rechtlichen, sondern einen rein faktischen Sinngehalt, der Gegenstand der Auslegung ist. 2. Iul. Pal. 713 (D. 19,1,25 – Iul. 54 dig.)

127

Qui pendentem vindemiam emit, si uvam legere prohibeatur  a venditore, adversus eum 〈 [eum] argentarium127〉 petentem pretium exceptione uti poterit „si ea pecunia, qua de agitur, non pro ea re petitur, quae venit neque tradita est.“ Ceterum post traditionem sive lectam uvam calcare sive mustum evehere prohibeatur, ad exhibendum vel iniuriarum agere poterit, quemadmodum si aliam quamlibet rem suam tollere prohibeatur.

Dem, der eine hängende Weinernte kauft, ist, wenn er vom Lesen der Trauben durch den Verkäufer abgehalten, und nachdem von ihm der Kaufpreis verlangt worden ist, die Einrede „Wenn dieses Geld, um das es geht, nicht für die Sache gefordert wird, welche nicht verkauft und nicht übergeben worden ist“ von Nutzen. Nach der Übergabe, im Übrigen, wenn er entweder am Lesen der Trauben oder am pressen des Mostes gehindert wird, wird er auf Auslieferung oder auf Verletzung klagen können, auf die ganz gleiche Weise, wie wenn er an der Wegnahme seiner Sache gehindert würde.

Die Stelle ist die zweite aus Julians Digesten, in der von hängenden Früchten die Rede ist. Im Vordergrund steht hier keine Auslegungsfrage, sondern die Frage nach einer Einrede des Käufers, sollte ihn der Verkäufer an der Ernte und Verarbeitung der verkauften Früchte hindern128. Die vom Kauf getrennte Stellung der Stipulation über den Kaufpreis wird durch die Annahme eines Dreipersonenverhältnisses noch betont, wonach die Stipulation zwischen dem Käufer und einem 125

Im Diagramm durch p 0 und p1 angedeutet. Zu dieser Stelle siehe Flume (1975), S. 100. 127 Siehe den Vorschlag bei Ernst (1998), S. 20 mit Verweis auf justinianische Eingriffe zur Löschung der Anwendung der exceptio mercis non traditae. 128 Nach Seckel/Levy, S. 139 dient die Einrede der Sicherung der Gegenleistung. Sie richtet sich nach Haymann (1920), S. 55 gegen die abstrakte Stipulationsklage. Dilatorische Klage bei Kipp, S. 331. Die Stelle galt nach Ernst (1998), S. 7 lange Zeit als „Kardinalbeleg“ für eine käuferseitige Einrede des nichterfüllten Vertrags. 126

D. Schuldrecht

183

Bankier abgeschlossen wurde und dadurch vom Stand der Sachlieferung durch den Verkäufer unabhängig wird129. Sowohl Kauf wie Preisabsprache sind unbedingt. Julian hat folglich keinen Anlass, von einem Schwebezustand zu sprechen, sondern behandelt feststehende rechtliche Regelungen, welche an das Vorliegen bestimmter äußerer Ereignisse geknüpft werden und die nicht verhandelbar sind. 3. Iul. Pal. 150.0 (D. 12,1,19 pr. – Iul. 10 dig.) [1] Non omnis numeratio eum qui accepit obligat, sed quotiens id ipsum agitur, ut confestim obligaretur. Nam et is, qui mortis causa pecuniam donat, numerat pecuniam, sed non aliter obligabit accipientem, quam si exstitisset casus, in quem obligatio collata fuisset, veluti si donator convaluisset aut is qui accipiebat prior decessisset. Et cum pecu­ nia daretur, ut aliquid fieret, quamdiu in pendenti esset, an id futurum esset, cessabit obligatio: cum vero certum esse coepisset futurum id non esse, obligabitur qui accepisset: [2] veluti si Titio decem dedero, ut Stichum intra calendas manumitteret, ante kalendas nullam actionem habebo, post kalendas ita demum agere potero, si manumissus non fuerit.

[1] Nicht jede Zahlung bindet den, der sie entgegennimmt, sondern nur sooft als es gerade darum gehen soll, dass er unmittelbar gebunden werde. Denn auch wer von Todes wegen Geld schenkt, zahlt es aus, doch bindet er den Empfänger nur, wenn die Bedingung erfüllt wird, also wenn etwa der Schenkende wieder gesund wird oder der Empfänger zuerst verstirbt. Und wenn Geld gegeben wird, damit etwas geschehe, besteht, solange es in der Schwebe bleibt, ob es geschehen werde, keine Verbindlichkeit. Sobald tatsächlich feststeht, dass es nicht geschieht, wird der Empfänger verpflichtet. [2] So werde ich, wenn ich Titius zehn gegeben habe, damit er Stichus bis zum Ersten des Monats freilasse, bis dahin keine Klage haben. Erst danach werde ich klagen können, falls er nicht freigelassen werden sollte.

a) Zur quaestio Die Stelle findet sich im 10. Buch von Julians Digesten unter dem Titel si certum petetur130. Unter Julians Anwendungen der verschiedenen Kondiktions­formeln reiht Lenel als erstes Fragment Iul. Pal. 147 (D. 12,1,8) einen Bericht des Pomponius zu einem sich in der Schwebe befindlichen bedingten Darlehen ein131. Der vorliegende Text folgt nach zwei weiteren Fragmenten zu Rückforderungen beim Darlehen132. Der Empfänger einer Zahlung werde nur dann verpflichtet, wenn Teil  der Abmachung sei, dass er (sofort) verpflichtet werde. Dies könne durch 129

Ernst (1998), S. 5, 9; Ernst (2000). S. 20 f. Vgl. die analoge Aussage in Ulp. D. 12,1,9 pr. 131 Pomp. D. 12,1,8: „Proinde mutui datio interdum pendet, ut ex post facto confirmetur: veluti si dem tibi mutuos nummos, ut, si condicio aliqua exstiterit, tui fiant sisque mihi obli­ gatus [..]“. 132 Iul. Pal. 148 (Ulp. D. 12,1,9,8) und Iul. Pal. 149 (Pomp. 12,1,12). 130

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Kap. 4: Modallogik

einen besonderen, von den Beteiligten beabsichtigten Zweck oder eine Bedingung bewerkstelligt werden. Bei einer Bedingung trete die Verpflichtung aber erst ein, wenn ihr Eintritt feststehe. Beispielsweise könne der, welcher einem anderen gegen Zahlung die Freilassung eines Sklaven auf einen Termin auftrage, erst klagen, wenn dieser nicht freigelassen worden sei. Die Stelle teilt sich ein in einen Abschnitt [1] mit einer theoretischen Erörterung und in einen Abschnitt [2], in dem zur Illustration ein einfaches Fallbeispiel gegeben wird, wie es sich in seiner Art bereits in den drei ersten Fragmenten des Titels findet133. Im ersten Teil behandelt Julian die Voraussetzungen für eine allfällige Kondiktion nach erfolgter Zahlung. Die Kondiktion ist einerseits begründet, wenn zwischen den Parteien ein sofortiger Verpflichtungswillen besteht, welcher aus der Zweckbestimmung des Geschäfts hervorgehen kann134. Gegenbeispiel ist die donatio mortis causa, bei der eine sofortige Rückgabepflicht trotz erfolgter Zahlung nicht vorliegt135. Anders liegt die Sache bei einem Geschäft mit einer „schwebenden Bedingung“: in pendenti esset. Hier nennt Julian Beispiele, bei denen vom Empfänger ein bestimmtes Verhalten verlangt wird: si donator convaluisset, decessisset136. Die Verbindlichkeit entsteht erst dann, wenn klar geworden ist, ob die ausgemachte Bedingung eintritt oder ausfällt137. Erst danach kann die Kondiktion angebracht werden138. Das Beispiel aus Abschnitt [2] stellt dies anschaulich klar139. b) Beitrag der Logik In dieser Stelle spricht Julian explizit von einem „Schwebezustand“ bei bedingten Rechtsgeschäften: ut aliquid fieret, quamdiu in pendenti esset, an id futurum esset. Was genau damit gemeint ist, ist in der Literatur wie in der Einleitung angedeutet umstritten: Nörr hält eine Übersetzung von „in pendenti esse“ mit „Ruhen des Anspruchs“ für riskant140. Aus der bildhaften Ausdrucksweise dürfe nicht leicht auf die Verwendung dogmatischer Konzepte durch die römischen Juristen geschlossen werden141. So erkennt Nörr in der Stelle Metaphern, „die auf dem Weg zu präzisen juristischen Begriffen steckengeblieben sind“142. Bund spricht 133 Bund (1965), S. 10 (Fn. 22) und S. 57 (Fn. 50) spricht von einer anknüpfenden Interpretation: Der Lehrsatz aus Abschnitt [1] werde durch ein Beispiel erläutert. 134 Babusiaux (2012), S. 380; Babusiaux (2006), S. 59: notwendig ist eine klagebegründende Zweckbestimmung; Haymann (1928), S. 361. 135 Babusiaux (2006), S. 60 weist darauf hin, dass die datio allein mehrdeutig ist; Pringsheim (1961), S. 81. 136 Vgl. Haymann (1920), S. 165. 137 Vgl. Kaser/Knütel, S. 71 (Rz. 10). 138 Vgl. die Parallelstelle bei Celsus in D. 50,17,186. 139 Zur Bedeutung von intra kalendas als einschließlich oder nicht siehe Gradenwitz, S. 122. 140 Nörr (2009), S. 6, der „in pendenti“ in Fn. 10 als „wenig technisch“ beschreibt. 141 Vgl. analog Ratti, S. vi zur erwähnten Kontroverse zwischen Ratti und Solazzi. 142 Nörr (1974), S. 5 (Fn. 7).

D. Schuldrecht

185

von einzelnen „systematisierenden Einsprengeln“143. Julians Erläuterungen implizieren, dass nicht bereits von einem Anspruch gesprochen werden kann, bevor er überhaupt entstanden ist. Die Erkenntnis fügt sich in Flumes These ein, wonach die römischen Juristen die Bedingung auf den Rechtsakt an sich und nicht auf das Rechtsverhältnis bezogen hätten144. Julian spricht für die Zeit der vor Eintritt oder Ausfall der Bedingung aufgespannten Schwebe weder von einer „schwebenden Verbindlichkeit“ noch von einer „stipulatio nondum perfecta“145. Zwar mag es auf die Terminologie nicht ankommen. Eine abstrakte Vorstellung von Rechtsgeschäft, Rechtsakt oder Vertrag war den römischen Juristen jedoch ebenfalls unbekannt146. Julian spricht von einer Schenkung und einer Zahlung. Pendere bezieht sich nicht auf die Verpflichtung, sondern auf aliquid, also das in der Zukunft liegende Ereignis, welches mit der Bedingung verknüpft wurde147. Erst die Realisierung der zukünftigen unsicheren Ereignisse wird eine verbindliche und verlässliche Entscheidung ermöglichen. Seine Schwebe hat hier ebenso wie in Iul. Pal. 240 (D. 18,1,39,1) keinen rechtlichen, sondern einen faktischen Sinngehalt148. Damit geraten die von den Beteiligten beabsichtigten Handlungen oder vorhergesehenen Ereignisse ins Blickfeld. Während der Schwebe ist fraglich, an aliquid futurum esset. Diese Formulierung erinnert an Boethius’ Bericht zur einfachen, grammatikalischen Definition von etwas Möglichem als quod aut est aut erit durch den Stoiker Diodorus149. Die sprachliche Evidenz dieses Berichts ist jedoch schwach, stammt der Bericht doch aus der Spätantike150. Eine schöne Zusammenstellung zur rechtlichen Behandlung möglicher und unmöglicher Bedingungen findet sich in Justinians Institutionen. Dort findet sich auch eine theoretische Beschreibung der Unmöglichkeit, die durch typisch stoische Beispiele veranschaulicht wird: Inst. 3,19,11: Si impossibilis condicio obligationibus adiciatur, nihil valet stipulatio. Impossibilis autem condicio habetur, cui natura impedimento est quo minus existat, veluti si quis ita dixerit: „si digito caelum attigero, dare spondes?“ at si ita stipuletur, „si digito caelum non attigero, dare spondes?“ pure facta obligatio intellegitur ideoque statim petere potest.

143

Bund (1965), S. 57 (Fn. 50). Flume (1975), S. 70. Iul. Pal. 150 (D. 12,1,19 pr.) wird dort nicht besprochen. Siehe dazu vorne, S. 177. 145 Der Begriff stammt von Flume (1975), S.  81. Zu den sprachlichen Stolperfallen von „nondum“ siehe Wubbe, S. 497 ff.: „Il semble donc que les notions de ‚avant‘ et ‚pas encore‘ peuvent prendre leur vrai sens seulement quand on les emploie ou bien pour une suite d’événements réels dans le passé (p. ex. il était préfet avant d’être marié), ou bien quand on vise un moment ou un événement futur certain et pas trop éloigné [..]“. 146 Kaser (1971), S. 229. 147 Vgl. Paul. D. 50,17,169,1: „Quod pendet, non est pro eo, quasi sit“. 148 Zur Frage der Beweislast siehe Schubert, S. 213. 149 Boeth. Int. 234, 22–16 (Kommentar zu Aristoteles). 150 Anicius Manlius Severinus Boethius (geb. um 480/485, gest. zwischen 524 und 526). 144

186

Kap. 4: Modallogik

Demnach muss eine zulässige Bedingung zumindest möglich sein, sie sei vom Willen eines Beteiligten oder vom Zufall abhängig151. Eine unmögliche Bedingung führt in der Regel zur ab initio Nichtigkeit des Geschäfts. Eine notwendig eintretende Bedingung macht das Geschäft unmittelbar verbindlich152. Der Institutionentext nennt eine Bedingung unmöglich, wenn sie natura impedimento nicht eintreten kann. Dies könnte auf eine fehlende „innere Konsistenz“ hindeuten, wie sie Philos Definition eigen ist153. In der Parallelstelle Gai. 3,98 spricht Gaius einfacher von einer Bedingung, quae existere non potest154 . Diese Definitionen oder Beschreibungen lassen sich in das Raster der stoischen Modalitäten eingliedern, welches hier nochmals wiedergegeben sei155: 1 Immer wahr Wahr aus Natur heraus

2

3

Immer wahr ≥t H Fs[p] s≥t

Einfach wahr

4

4'

Teils wahr Teils falsch ≥t Metapiptonta

3'

Immer falsch ≥t Einfach falsch

Wahr P-notwendig

H Ts[p] s≥t

P-kontingent (möglich aber nicht notwendig) C-kontingent

D-notwendig 2

1' Immer falsch Falsch aus Natur heraus

Falsch

C-notwendig

1

2'

C-unmöglich

D-kontingent 3

4

4'

P-un­ möglich

D-unmöglich 3'

2'

1'

Die Kolonnen 1, 3, 3’ und 1’ sind gut erkennbar. Von externen Faktoren oder Ereignissen, wie sie bei den Chrysippus zugesprochenen Modi vorkommen, ist nicht die Rede. Zur Lösung alltäglicher Fragen genügt jedoch ein Verständnis, 151

Vgl. C. 6,51,1,7: „Sin autem aliquid sub condicione relinquatur vel casuali vel potestativa vel mixta, quarum eventus ex fortuna vel ex honoratae personae voluntate vel ex utroque pendeat, vel sub incerta die, expectare oportet condicionis eventum, sub qua fuerit derelictum, vel diem, ut tunc cedat, cum vel condicio impleatur vel dies incertus extiterit“. 152 Vgl. dazu Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.). Die konditional als „si morietur“ aufgefasste Klausel „cum morietur“ führte zur unmittelbaren Wirksamkeit der Freilassung. 153 Zu Philo siehe vorne, Kap. 3 H. 1. 154 Bei Gai. 3,98 findet sich nur die erste Hälfte des Institutionentexts: „Item si quis sub ea condicione stipuletur quae existere non potest, ueluti si digito caelum tetigerit, inutilis est stipulatio. sed legatum sub inpossibili condicione relictum nostri praeceptores proinde deberi putant, ac si sine condicione relictum esset; diuersae scholae auctores nihilo minus legatum inutile existimant quam stipulationem. et sane uix idonea diuersitatis ratio reddi potest“. Vgl. ohne Beispiele Cel. D. 50,17,185 und Ulp. D. 50,17,31. 155 Siehe vorne, Kap. 4 B. 2.

D. Schuldrecht

187

wie es in den Institutionen und bei Gaius zum Ausdruck kommt. Eine Bedingung wird zweckmäßig für den Zeitraum ab Abschluss des Geschäfts betrachtet (t0 = n). Ihre Erfüllung darf einerseits nicht unmöglich sein. Die geforderte Handlung als Ereignis darf somit nicht in den Spalten 1' bis 3' der Übersicht klassifiziert werden können. Ist andererseits die Bedingung notwendig, gilt die Verpflichtung bereits ab t0 = n. Schwebende Bedingungen müssen demnach mit kontingenten Ereignissen verknüpft sein. Eine Rechtsfolge kann erst individuell angeordnet, ein Anspruch erst eingeklagt werden, wenn sich die Möglichkeit aktualisiert hat und zur Notwendigkeit geworden ist. Mit Nörr steht „pendenti“ als Wortfeld für den Übergang von der Möglichkeit zur Unmöglichkeit der Leistung156. Wie Julian diesen Übergang rechtlich berücksichtigt und damit die Brücke vom faktischen Sinngehalt der Schwebe zur rechtlichen Konsequenz schlägt, deutet sich in der nächsten Stelle an. 4. Iul. Pal. 697.8 (D. 45,1,56,8 – Iul. 52 dig.) Si hominem, quem a Titio pure stipulatus fueram, Seius mihi sub condicione promiserit et is pendente condicione post moram Titii decesserit, confestim cum Titio agere potero, nec Seius existente condicione obligetur: at si Titio acceptum fecissem, Seius existente condicione obligari potest. Idcirco haec tam varie, quod homine mortuo desinit esse res, in quam Seius obligaretur: acceptilatione interposita superest homo, quem Seius promiserat.

Wenn Seius mir den Sklaven, den ich mir von Titius unbedingt versprechen lassen hatte, unter einer Bedingung versprochen hat und er, während die Bedingung schwebte, nachdem Titius in Verzug geraten war, starb, werde ich sofort gegen Titius klagen können, Seius wird nach dem Eintritt der Bedingung aber nicht verpflichtet sein. Aber wenn ich Titius befreite, kann Seius nach Eintritt der Bedingung verpflichtet werden. Diese gilt deshalb verschieden, weil nach dem Tod des Sklaven, die Sache untergegangen ist, auf die Seius verpflichtet würde, bei einer zwischenzeitlichen Befreiung aber der Sklave übrigbleibt, den Seius versprochen hat.

a) Zur quaestio Diese Stelle stammt aus dem insgesamt längsten der direkt überlieferten Fragmente aus Julians Digesten157. Ego hat sich im ersten Teil der Stelle zu einem Zeit 156

Nörr (2009), S. 5. Aus dem 52. Buch mit dem Titel „de stipulationibus / de verborum obligatione“ („De verborum obligationibus“ in Justinians Digesten). Bund, S.  57 spricht von einem kasuistischen Aneinanderreihen von Fall an Fall und zum pr. und § 1 im Besonderen von einer Anknüpfung an ein „Argument ohne überlegene Evidenz“. Alle acht Paragraphen drehen sich um Fragen der Auslegung und der Wirkung von Stipulationen, die sich jeweils aus spezifischen Einzelaspekten ergeben. Die Auswahl dieser Aspekte stellt eine zusammenfassende 157

188

Kap. 4: Modallogik

punkt t1 von Titius unbedingt einen Sklaven versprechen lassen. Zu einem späteren Zeitpunkt t2 hat sich Ego aber denselben Sklaven bedingt von Seius versprechen lassen. Die Bedingung wird in einem zukünftigen Zeitpunkt t5 eintreten oder ausfallen. Noch während sie schwebt, gerät Titius ab einem Zeitpunkt t3 mit seiner Leistung in Verzug, worauf der Sklave zu t4 verstirbt. In dieser Situation kann Ego sofort gegen Titius aber niemals gegen Seius Klage erheben. Sollte aber Ego Titius von seiner unbedingt eingegangenen Verpflichtung befreit haben, kann er nach Eintritt der Bedingung gegen Seius klagen. Auf den ersten Blick befasst sich die Stelle mit Fragen der Gefahrtragung und Bedingung im Zusammenhang mit der Novation einer Stipulation158. Klar ist, dass für die Reihenfolge der abgeschlossenen Stipulationen t1 < t2 gilt. Nach dem Wortlaut muss aber ebenso t3 < t4 und t4 < t5 zutreffen: pendente condicione post moram Titii decesserit. Nicht unmittelbar klar ist, wann genau die zweite Stipulation zwischen Ego und Seius abgeschlossen wird. Mit Bezug auf Hägerström spricht sich Sturm dafür aus, dass sie noch vor Eintritt des Verzugs von Titius abgeschlossen werde159: t2 < t3. Kaden und Apathy sprechen sich für die gegenteilige Annahme aus160: t3 < t2 . Für die erste Auffassung spricht, dass Ego Zweifel an der Leistungsfähigkeit von Titius aufgekommen sein könnten, die sich in der Folge durch seinen Verzug als berechtigt herausstellten, und er deshalb zu einem Schuldnerwechsel bereit war oder die Leistung des Sklaven über Seius absichern wollte. Für die zweite Auffassung spricht der Umstand, dass in einschlägigen Parallelstellen zu dieser Frage jeweils t3 < t2 angenommen wird161. Aus der Reihenfolge der bei Julian beschriebenen Ereignisse lässt sich immerhin direkt t2 < t4 ableiten: Die erste Stipulation war beim Abschluss der zweiten noch nicht durch den Tod des Sklaven perpetuiert162. Erst ein Verzug lässt den Versprechenden einer unbedingten Stipulation auch für den zufälligen Untergang der geschuldeten Sache Übersicht zu den in den Kapiteln 2 bis 4 behandelten Themen dar. Das pr. und die §§ 1–3 behandeln Probleme der Auslegung logischer Verknüpfungen im Wortlaut einer Stipulation. Die §§ 4–5 behandeln Aspekte der Zeitangaben bzw. von Fristen. In §§ 6–7 bespricht Julian in allgemeiner Form die zu beachtenden Besonderheiten beim Aufnehmen bestimmter Gegenstände in eine Stipulation. In § 6 unterscheidet Julian zwischen dem umfassenden Eigentum als Ganzem und dem Nießbrauch als Teil der Rechtsverhältnisse bei einem Grundstück. Die angedeutete Aufteilung in proprietas und usus fructus wird in § 7 dazu verwendet, die Wirkung zweier sich zeitlich nachfolgender Stipulationen zu bestimmen. 158 Für Apathy, S. 152 liegt das Schwergewicht der Stelle auf den Folgen des Untergangs des Leistungsgegenstandes und der Aufhebung der ersten Verpflichtung durch acceptilatio.­ Kaden, S. 182 sieht den Schwerpunkt des zweiten. Teils in der Frage der Haftung von Seius. 159 Sturm, S. 82 f. 160 Apathy, S. 165 (Fn. 1). 161 Marcell. D. 46,3,72,1, Ven. D. 46,2,31 pr., Ulp. D. 46,2,8, Ulp. D. 46,2,14 pr., Paul. D. 45,1,83,7. Anders als Julian in vorliegender Stelle behandeln diese Parallelstellen alle eine Konstellation mit nur zwei Parteien. 162 Die umgekehrte Situation findet sich in Paul. D. 45,1,91,6. Die Parteien können sich demnach auch auf die Erneuerung einer perpetuierten Obligation einigen, wenn dies ihrer Absicht entspricht.

D. Schuldrecht

189

haften163. In dieser Situation entscheidet Julian, dass Ego sofort (confestim) gegen Titius klagen kann. Kaden hielt „confestim“ für interpoliert, da nicht klar sei, weshalb Ego nicht schon vorher hätte klagen können164. Apathy erklärt dies überzeugend dadurch, dass Ego vor dem Tod des Sklaven (t4) zwar zivilrechtlich gegen Titius hätte vorgehen können, da die Bedingung der zweiten Stipulation zu diesem Zeitpunkt aber noch schwebte, ihm vom Prätor aber die exceptio pacti entgegengehalten worden wäre165. Nach Apathy ist Gai. D. 2,14,30,2 die einzige Stelle in den Digesten, welche die Hemmung der Klage während der schwebenden Bedingung explizit so festhält166. Julian hält es in dieser Situation für richtig, dass Seius bei Eintritt der Bedingung keine Haftung treffen wird: nec Seius existente condicione obligetur. Bei Untergang des Leistungsgegenstandes (t4) vor Bedingungseintritt (t5) entfaltet die bedingte Stipulation demnach keine Wirkung. Flume interpretiert dies so, dass das bedingte Novationsversprechen im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung die Existenz des Leistungsgegenstands voraussetzt, um vollendet werden zu können und sieht dies als weiteren Beleg für seine These, dass die römischen Juristen die Bedingung auf den Rechtsakt als solchen bezogen haben167. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die zweite Stipulation als Novationsversprechen gewissermaßen als „Vorwirkung“ den Verzug der ersten Stipulation aufheben kann. Sind an Stipulationen immer nur dieselben zwei Parteien beteiligt, findet also kein Schuldnerwechsel statt, fällt nach Marcellus der Verzug der ersten Stipulation und mit ihm die Haftung für Zufall weg – obwohl auch hier die zweite Stipulation wegen des Untergangs des Leistungsgegenstandes nicht perfekt werden kann168. Flume verweist dabei auf Ven. D. 46,2,31 pr169. Bei Venuleius handelt 163

Zur perpetuatio obligationis siehe Kaser (1971), S. 516. Die Haftung für Zufall bei Verzug findet sich etwa in Ulp. D. 30,47,6: „Item si fundus chasmate perierit, Labeo ait utique aestimationem non deberi: quod ita verum est, si non post moram factam id evenerit: potuit enim eum acceptum legatarius vendere“. 164 Kaden, S. 181. 165 Apathy, S. 151, 153. Vgl. § 4 des Fragments. 166 Apathy, S. 148. In Gai. D. 2,14,30,2 fällt die Bedingung der zweiten Stipulation aus: „Si sub condicione stipulatus fuerim a te quod Titius mihi pure deberet: an deficiente condicione si a Titio petam, exceptione pacti conventi et possim et debeam summoveri? Et magis est exceptionem non esse opponendam“. 167 Flume (1975), S. 97, 100; Kaser (1971), S. 648 (mit Fn. 18). 168 Siehe dazu Flume (1975), S. 98 mit Verweis auf die Hauptstelle Marcell. D. 46,3,72,1: „Cum Stichum mihi deberes et in solvendo moram fecisses, sub condicione eum promisisti [t3 < t2]: pendente ea Stichus decessit [t4 < t5]: videamus, an, quia novari prior obligatio non potest [keine Novation], petitio servi competat ea, quae competeret, si non intercessisset stipulatio. Sed in promptu contradictio est debitorem, cum stipulanti creditori sub condicione promisit, non videri in solutione hominis cessasse [bed. Stip. hebt den Verzug auf]: nam verum est eum, qui interpellatus dare noluit, offerentem postea periculo liberari“. Die in Fn. 840 genannten Parallelstellen nehmen mit Ausnahme von Ulp. D. 46,2,14 pr. namentlich Bezug auf Marcellus. 169 Ven. D. 46,2,31 pr.: „Si rem aliquam dari stipulatus sum, deinde eandem sub condicione novandi animo ab eodem stipuler, manere oportet rem in rebus humanis, ut novationi locus sit, nisi si per promissorem steterit, quo minus daret. Ideoque si hominem mihi dare te opor-

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Kap. 4: Modallogik

es sich aber wieder um ein Zweiparteienverhältnis und die perpetuierte erste Stipulation wird bei Eintritt der Bedingung durch die zweite noviert. Apathy spricht sich dafür aus, die Interessenlage im Einzelfall zu berücksichtigen. Für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Novation einer perpetuierten Obligation auf die Situation von nur zwei Parteien „besteht kein Anlass“170. In Paul. D. 45,1,91,6 wird denn auch explizit gesagt, dass sich Julian für die Möglichkeit der Novation einer perpetuierten Obligation ausgesprochen habe171. Die Formulierung „inter partes“ scheint offen genug, auch ein Dreiparteienverhältnis zu umfassen. Für das Dreiparteienverhältnis der vorliegenden Stelle verneint Julian aber einen Einfluss der noch nicht perfekt gewordenen zweiten Stipulation auf den Verzug des ersten Schuldners, was nach Flume gegen eine „Vorwirkung“ spreche172. Auf weitere Aspekte der von den Klassikern ausführlich und teilweise kontrovers diskutierten Materie geht Julian nicht ein173. Stattdessen führt er im zweiten Teil der vorliegenden Stelle eine Variante ein, bei der Ego Titius von seiner Verpflichtung aus der ersten Stipulation befreit hat: si Titio acceptum fecissem“. Beabsichtigte Ego zuvor, den Sklaven primär von Titius zu erlangen, verlagert er jetzt seine Hoffnungen durch acceptilatio des Titius auf Seius. Ob dies erfolgreich sein wird, bleibt offen, was in der vorsichtigen Formu­lierung „Seius obligari potest“ zum Ausdruck kommt. Auf diese Offenheit der Lage, die augenscheinlich mit dem „nec Seius obligetur“ aus der ersten Hälfte kontrastiert, weist Apathy hin. Mit dieser Offenheit wolle Julian die beiden Fälle abdecken, dass die acceptilatio das Zustandekommen der Stipulation mit Seius nicht berühre (kumulative Wirkung) oder aber verhindere (novierende Wirkung)174. Tritt nun die Bedingung der zweiten Stipulation ein, kann Seius haftbar gemacht werden: Seius obligari potest. Mit Apathy ist zu bemerken, dass die Prämisse „Tod des Sklaven“ für die Variante außer Betracht fällt175. Seius befindet sich nicht im Verzug und haftet so auch nicht für den zufälligen Untergang

teat et in mora fueris, quo minus dares, etiam defuncto eo teneris [Tu in der Situation von Titius: Verzug führt zur Haftung]: et si, priusquam decederet, cum iam mora facta sit [t3 < t2 < t4], eundem a te sub condicione stipulatus fuero et servus postea decesserit, deinde condicio exstiterit [t4 < t5], cum iam ex stipulatu obligatus es mihi, novatio quoque fiet“. 170 Apathy, S. 235. 171 Paul. D. 45,1,91,6: „Effectus huius 〈huis〉 constitutionis ille est, ut adhuc homo peti possit: sed et acceptum ei posse ferri creditur et fideiussorem accipi eius obligationis nomine. Novari autem an possit haec obligatio, dubitationis est, quia neque hominem qui non est­ neque pecuniam quae non debetur stipulari possumus. Ego puto novationem fieri posse, si hoc actum inter partes sit, quod et Iuliano placet“. Dies wird so auch von Flume (1975), S.  100 bemerkt. Vgl. die anders gelagerte Stelle Paul. D. 45,1,91,4 zur Haftung von Hilfs­ personen („accessiones“). 172 Flume (1975), S. 100: „Die mora des Altschuldners ging nach Julian die bedingte Novationsstipulation nichts an“. 173 Siehe die vorhergehenden Fußnoten. 174 Apathy, S. 152. 175 Apathy, S. 152.

D. Schuldrecht

191

des Leistungsgegenstandes. Julians Entscheid zeigt, dass die Stipulation des Seius nicht bloß akzessorisch sein kann, denn dann würde sie mit der acceptilatio von Titius ebenfalls wegfallen176. Doch auch wenn die zweite Stipulation nicht akzessorisch ist, heißt dies noch nicht, dass sie wie für den ersten Teil der Stelle als Möglichkeit diskutiert novierend wirkt. Wahrscheinlich und einfacher liegen im zweiten Teil zwei verschiedene Hauptverpflichtungen vor177. b) Beitrag der Logik Julian spricht nur allgemein von einer Bedingung, führt aber zu ihrem Inhalt nichts aus. Die Abfolge der Ereignisse, zeigt immerhin, dass die Bedingung weder auf den Verzug Titius’ noch den Tod des Sklaven gestellt sein kann: pendente condicione post moram Titii decesserit. Bezeichne A diese Bedingung, A' ihr Gegenteil und B die Rechtsfolge „Seius obligetur“178. Dann lässt sich die Konstellation des Ausgangsfalls durch folgenden Konditional darstellen: A'

A

B

A→B

0

1

1

1

2. Stipulation wird perfekt

0

1

0

0

Darf nicht geschehen!

1

0

1

1

Seius wird aus einem anderen Grund verpflichtet

1

0

0

1

2. Stipulation wird nicht perfekt

Kommentar

Die erste und zweite Zeile beschreiben gleichzeitig die Konstellation der Variante mit der acceptilatio. Aus dem Ausgangsfall wird klar, dass die Bedingung A implizit die Voraussetzung mit umfassen muss, dass der Sklave Stichus im Zeitpunkt des Bedingungseintritts noch am Leben sein muss: nec Seius existente condicione obligetur. Es gilt A = A1 ∧ ¬A2 für A2: „Tod des Sklaven“. Die erste Hälfte der Wahrheitstabelle macht so wie in den Exegesen aus Kapitel 3 keine Probleme. Die zweite Hälfte der Tabelle erhellt den Zusammenhang der vorliegenden Stelle mit den angesprochenen Parallelstellen. In der Exegese von Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) bereitete die dritte Zeile einige Mühe und beschrieb den pathologischen Fall eines „überholenden“ Ereignisses179. Hier übernimmt der animus novandi die Rolle des „überholenden“ Ereignisses. Stirbt der Sklave, gilt also A2 = 1, folgt A = 0. Nach dem Bericht des Paulus in D. 45,1,91,6 hat sich auch Julian dafür ausgesprochen, dass – zumindest beim Zweipersonenverhältnis – eine perpe 176

Kaden, S. 181. Apathy, S. 150 mit Verweis auf § 7 des Fragments. 178 Bzw. die 2. Stipulation: „Wenn A eintritt, versprichst Du, mir Stichus zu geben?“ – „Ich verspreche es“. 179 Siehe vorne, Kap. 3 H. 3. 177

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Kap. 4: Modallogik

tuierte Stipulation noviert werden kann, wenn dies von den Parteien so beabsichtigt wurde (es wird dann meistens t4 < t2 gelten)180. Die vierte Zeile ist auf den Fall gemünzt, dass die Bedingung A nicht wegen des Todes des Sklaven (A2 = 1), sondern wegen der expliziten Bedingung A1 ausfällt, sodass im Ergebnis die zweite Stipulation auf jeden Fall nicht perfekt wird. In diesem Fall wird die Vollendung der zweiten Stipulation auch nicht nötig sein, dürfte A1 doch nicht völlig unabhängig, sondern so gewählt worden sein, dass Ego gegen eine Nicht-Lieferung des Titius abgesichert wird (A1: „Titius hominem non dederit“). Der Versuch, die innere Struktur und Verknüpfung der Stelle mit den Fällen aus mehreren Parallelstellen über das Muster des Konditionals freizulegen, zeigt einen Aufbau, der sich weitgehend mit jenem von Iul. Pal. 600.0 (D. 40,7,13 pr.) deckt. In beiden wird für die Möglichkeit, dass eine bevorzugte zukünftige Situation nicht eintritt, eine Sicherungsmaßnahme getroffen. In beiden tritt die Möglichkeit eines „überholenden“ Ereignisses zutage, welches von Julian allerdings in den betreffenden Stellen nicht vertieft wird. Das Verb „pendere“ bezieht sich in dieser Stelle auf eine Bedingung, welche mit der später abgeschlossenen Stipulation verknüpft worden ist. Die erste Stipulation ist unbedingt. Nur für die zweite Stipulation könnte überhaupt von einem „schwebenden Rechtsverhältnis“ gesprochen werden. Für den Ausgangsfall der ersten Hälfte der Stelle verneint Julian einen Einfluss der zweiten Stipulation auf den Verzug der ersten, sodass dort Titius auf Zufall haftet. Dies führte Flume dazu, eine „Vorwirkung“ der zweiten Stipulation zu verneinen181. Allerdings stand gerade diese vor Eintritt der Bedingung nicht perfekt gewordene zweite Stipulation einer Klage von Ego gegen Titius während des vor dem Tod des Sklaven gelegenen Abschnitts [t2, t4] der Schwebe entgegen182. Mag die „Pendenz“ der Bedingung auch nur einen rein faktischen, sich auf zukünftige Ereignisse beziehenden Sinngehalt haben, so wird sie von Julian doch bei der Beurteilung der zwischenzeitlichen rechtlichen Situation beachtet183. Die Möglichkeit, dass die zweite Stipulation perfekt wird, besteht. Das genügt für eine „Vorwirkung“.

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So auch in Ven. D. 46,2,31 pr. Dazu Flume (1975), S. 101: „Wie sollte auch eine solche ‚Vorwirkung‘ der bedingten Novation eintreten, wenn es gar nicht zur Novation kommt [..]“. 182 Zur exceptio pacti siehe vorne Kapitel 4 D. 3. 183 Im Übrigen steht eine Verschiebung der Gefahrtragung durch den Berechtigten auf den Zeitpunkt des Eintritts einer suspensiven Bedingung nicht im Widerspruch mit der Vorstellung, dass ein bedingtes Rechtsgeschäft sofort bei Abschluss als perfekt gilt, wie die Sonderregel von Art. 185 Abs. 3 OR beim Kauf im Verhältnis zur allgemeinen Regel von Art. 153 OR zeigt. 181

D. Schuldrecht

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5. Zwischenergebnisse Flumes Generalthese besagt, dass die römischen Juristen die Bedingung auf den Rechtsakt als solchen und nicht auf seine Wirkungen bezogen haben184. Vor Eintritt der Bedingung sei die bedingte Stipulation eine „stipulatio nondum perfecta“185. In der Tat spricht Julian in Iul. Pal. 150 (D. 12,1,19 pr.) für die Zeit der vor Eintritt oder Ausfall der Bedingung aufgespannten Schwebe explizit nicht von einer „schwebenden Verbindlichkeit“: quamdiu in pendenti esset, an id futurum esset, cessabit obligatio. Julians Schwebe bezieht sich auf die zukünftigen unsicheren Ereignisse, welche mit ihrer Realisierung erst eine verbindliche und verlässliche Entscheidung ermöglichen werden. Zwar mag es auf die Terminologie nicht ankommen. Eine abstrakte Vorstellung von Rechtsgeschäft, Rechtsakt oder Vertrag war den römischen Juristen jedoch ebenfalls unbekannt186. So muss es dabei bleiben, dass für die Frage nach Sinngehalt und Konsequenzen eines Schwebezustandes einzelne Fallgruppen betrachtet werden müssen. In den bisher betrachteten Texten hat sich gezeigt, dass Julian dort, wenn er von einem Schwebezustand spricht, diesen auf noch unsichere zukünftige Fakten bezieht. Dies deutet an, dass „Pendenz“ bei Julian keinen rechtlichen, sondern einen rein faktischen Sinngehalt hat. In den betrachteten Beispielen diente sie Julian bei der Analyse des Sachverhalts und der mit ihm verbundenen möglichen zukünftigen Kausalverläufen. In einzelnen Fällen wie bei der von einem zukünftig erzielten Ertrag einer Olivenernte in Iul. Pal. 240 (D. 18,1,39,1) mochte die Menge der Möglichkeiten verhältnismäßig einfach in den Griff zu bekommen sein. Die Zukunft wird zeigen, wie viel Öl der Käufer wird produzieren können. Anschließend bestimmt sich der geschuldete Preis nach einer zum Voraus vereinbarten Formel. Das Verständnis dieser Fakten erlaubt eine zweckmäßige Auslegung der Erklärungen der Parteien. Entscheidend ist einzig, dass es sich um Möglichkeiten handelt, um Ereignisse also, die sich in der Zukunft – von äußeren oder „überholenden“ Ereignissen abgesehen  – ungehindert realisieren können. Verhindert jemand absichtlich den Eintritt einer Bedingung oder behindert seinen Vertragspartner bei der Wahrnehmung seiner Rechte betrifft dies nicht die Vorstellung von Möglichkeit oder Kontingenz, sondern die Frage, ob der benachteiligten Partei mit Instrumenten des Rechts, etwa mit einer Fiktion oder wie in Iul. Pal. 713 (D. 19,1,25) mit einer exceptio geholfen werden kann. Besteht aber a priori ein möglicher alternativer zukünftiger Kausalverlauf kann dies bereits während der Schwebe rechtlich berücksichtigt werden, selbst wenn die Bedingung auf das betreffende Rechtsgeschäft an sich bezogen wird187. Die Hemmung der Klage gegen Titius in Iul. Pal. 697.8 (D. 45,1,56,8) durch eine exceptio pacti während der Schwebe der Bedingung der 184

Flume (1975), S. 70. Flume (1975), S. 81. Auf die Terminologie komme es jedoch nicht an. Von einer „stipulatio non existens“ etwa haben die römischen Juristen nicht gesprochen. 186 Kaser (1971), S. 229. 187 Vgl. Effer-Uhe, S. 139. 185

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Kap. 4: Modallogik

zweiten Stipulation machte deutlich, dass Julian die „Denkfigur“ einer Vorwirkung nicht völlig fremd gewesen sein konnte. Die betrachteten Probleme, die sehr wohl einen realen, alltäglichen Hintergrund haben konnten, ließen sich ohne fortgeschrittene Kenntnisse der antiken Modal­ logik lösen. Ein Grundverständnis der Möglichkeit genügte vollkommen. Dies gilt auch für die in Anlage und rechtlicher Komplexität anspruchsvollen Stelle Iul. Pal. 697.8 (D. 45,1,56,8). Die Annäherung an eine vorstellbare „Pendenz-Lehre“ Julians muss fortgesetzt werden.

E. Erbrecht Julians Vorstellungen und Sprachgebrauch zur „Pendenz“ wurden bislang erst anhand vereinzelter Exegesen untersucht. Ein eigentliches Konzept ist erst in Umrissen erkennbar, ebenso die Anleihen an stoische Lehren der Modalität. Für die weitere Untersuchung bieten sich die vier Texte Iul. Pal. 520.1 (D. 20,91,1), 522 (D. 36,2,17), 464 (D. 30,89,9) und 465.2 (D. 33,5,9,2) an, die allesamt die Problematik der Wirkungen von bedingten und unbedingten Freilassungen sowie von bedingten und unbedingten Vermächtnissen beleuchten. Voci konnte sich diese Texte als Teile eines längeren, ursprünglich zusammenhängenden Fragments vorstellen188. Voci vermutete, dass Julian ursprünglich drei189 verschiedene Fälle behandelt habe: Ein Sklave des Erblassers erhält ein Vermächtnis und wird ent­weder 1) selbst vermacht oder 2) testamentarisch freigelassen. Als Variante wird 3) ein vermachter Sklave nachträglich freigelassen190. Die genannten Stellen befassen sich primär mit dem Auslöser der Pendenz. Als Vergleich und Ergänzung wird Paulus’ Bericht aus Iul. Pal. 596 (D. 40,7,20,3) hinzugenommen, der sich präzisierend zu ihrem Ende äußert. Bevor der Komplex dieser Texte genauer untersucht wird, erweitern Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6) und 489.2 (D. 30,86,2) die Erkenntnisse zur Begrifflichkeit der „Pendenz“ anhand erbrechtlicher Sachverhalte ohne expliziten Bezug zu Bedingungen.

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Voci, Bd. II, S. 573 (Fn. 29). Stein (1966), S. 68 sieht einen vierten Fall. Rein kombinatorisch sind je nach Ausgestaltung bis zu 12 Fälle denkbar. Diese Möglichkeiten der Kombination einer Freilassung mit Vermächtnissen werden im Anhang tabellarisch mit den relevanten Stellen aus Julians Digesten dargestellt. 190 Schmidlin, S. 31 (Fn. 26) lehnt diesen schematischen Vorschlag als „schulmeisterliche Schematik“ ab. Diese stilistische Kritik erscheint aber schon deshalb nicht sehr überzeugend, weil sich ähnliche Darstellungen auch an anderen Orten feststellen lassen. So sehr schön in Iul. Pal. 391 (D. 18,4,19) mit einer Unterscheidung zwischen bedingtem Kauf einer Verpflichtung und unbedingtem Kauf einer bedingten Verpflichtung. 189

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E. Erbrecht

1. Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2 – Iul. 34 dig.)

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Cum servus legatur, et ipsius servi status et omnium, quae personam eius attingunt, in suspenso est. Nam si legatarius reppulerit  a se legatum, numquam eius fuisse videbitur: si non reppulerit, ex die aditae hereditatis eius intellegetur. Secundum hanc regulam191 et de iure eorum, quae per traditionem servus acceperit aut stipulatus fuerit, deque his, quae legata ei vel donata fuerunt, statuetur, ut vel heredis vel legatarii servus singula gessisse existimetur.

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Wenn ein Sklave vermacht wird, ist sowohl der Status [das Verhältnis] des Sklaven selbst wie alles, was seine Person betrifft, in der Schwebe192. Wenn nämlich der Vermächtnis­ empfänger das Vermächtnis ausschlägt, wird es als nie ihm gehörig gewesen angesehen. Wenn er es nicht ausschlägt, wird es ab dem Tag des Erbschaftsantritts als ihm gehörig verstanden. Nach dieser Regel wird auch das Recht auf die Dinge, die der Sklave durch Übergabe erhält oder ihm versprochen werden, und die ihm vermacht oder geschenkt worden sind, beurteilt, sodass es als entweder je vom Sklaven des Erben oder des Vermächtnisnehmers getan angesehen wird.

a) Zur quaestio Die Stelle ist dem Titel „de legatis“ aus dem 34. Buch von Julians Digesten entnommen. Julian behandelt die Situation eines Sklaven, der Gegenstand eines Vermächtnisses ist. Sowohl der „Status“ des Sklaven wie „alles“, was an seiner Person hängt, sei in der Schwebe. Schlägt der Bedachte das Vermächtnis aus, werde es so angesehen, als habe ihm niemals etwas daraus gehört. Nimmt er es an, kommen ihm die Rechte daraus ab dem Tag des Erbschaftsantritts zu. Entsprechend werde auch das Recht auf die Dinge beurteilt, welche der Sklave während der Schwebezeit erhält oder die ihm versprochen werden. Julian diskutiert am Fall eines vermachten Sklaven die Frage nach dem Erwerb des Eigentums aus einem Vindikationslegat193. Bereits in D. 30,86,1 ist von einem Vindikationslegat die Rede, sodass auch im vorliegenden § 2 die neutrale Formulierung „legatur“ in diesem Sinn zu lesen ist. Die Frage, wie es sich mit dem Eigentum während der Phase der Unsicherheit bis zum Entscheid des Bedachten, sein Vermächtnis anzunehmen oder abzulehnen, verhält, war Gegenstand einer Kontroverse zwischen der prokulianischen und der sabinianischen Rechtsschule, 191 Hier im Sinn einer allgemeinen Rechtsregel; vgl. Nörr (1972), S. 40, 41. 192 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Bd.  5, S.  310: „[..] ist sowohl die Rechtsstellung dieses Sklaven als auch die von allem, was seine Person angeht, in der Schwebe“. Neutraler bei Otto/ Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 262: „[..] so ist das Verhältnis des Sklaven selbst und alles dessen, was ihn angeht, in Ungewissheit“. 193 Siehe die Definition des lpv in Gai. 2,194: „Ideo autem per vindicationem legatum appellatur, quia post aditam hereditatem statim ex iure Quiritium res legatarii fit; et si eam rem legatarius vel ab herede vel ab alio quocumque qui eam possidet petat, vindicare debet, id est intendere suam rem ex iure Quiritium esse“.

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Kap. 4: Modallogik

von der Gaius in G. 2,195 berichtet194. Die Sabinianer hielten es für richtig, dass der Bedachte sofort mit der aditio seitens des belasteten Erben das Eigentum am vermachten Gegenstand erwerbe. Nur falls es der Bedachte auschlägt, falle das Eigentum mit dem Vermächtnis dahin. Für Wlassak hat der Bedachte somit die Option, das ihm mit der aditio zustehende Recht „nach rückwärts wie für die Zukunft“ wieder aufzuheben195. Hingegen nahmen die Prokulianer ein Eigentum des Bedachten nur dann an, wenn dieser sich aktiv für eine Annahme des Vermächtnisses entschied. In der Zwischenzeit musste der vermachte Gegenstand als res nullius angesehen werden196. Beide Meinungen zeigen offensichtliche Schwächen. Wlassak sieht in Julians Entscheidung einen Mittelweg, der für die Zeit vor der Entscheidung des Bedachten auf Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses eine „bloß einstweilige Regelung“ vermeide197. Kernpunkt dieses Mittelwegs sei die Annahme eines Schwebzustandes: in supsenso est. Dieser beginne mit der aditio durch den Erben und ende mit dem Entscheid durch den Bedachten. Dabei scheint für Julian bereits ein Unterlassen, also eine nicht-Abwehr des Erwerbs zu genügen: non repudiare198. Nicht angesprochen wird die Frage, ob dem Bedachten für seine aktive oder konkludente Entscheidung eine Frist gesetzt werden sollte und wie diese anzusetzen wäre. Wlassak verweist dazu auf eine Meinung Julians aus anderem Zusammenhang, wo sich dieser für eine „vernünftig“ oder „angemessen“ anzusetzende Frist für eine Entscheidung ausspricht199. b) Beitrag der Logik In dieser Stelle verwendet Julian mit „in suspenso esse“ eine neue Bezeichnung, um auf eine Phase der Unsicherheit zu verweisen. Für Wlassak kommt hier das „Prinzip der Pendenz“ so klar zum Ausdruck, dass „jedes Missverständnis un 194 Gai. 2,195: „In eo solo dissentiunt prudentes, quod Sabinus quidem et Cassius ceterique nostri praeceptores quod ita legatum sit statim post aditam hereditatem putant fieri legatarii, etiamsi ignoret sibi legatum esse [dimissum], sed posteaquam scierit et – legatum, proinde esse atque si legatum non esset; Nerva vero et Proculus ceterique illius scholae auctores non aliter putant rem legatarii fieri, quam si voluerit eam ad se pertinere. Sed hodie ex divi Pii Antonini constitutione hoc magis iure uti videmur quod Proculo placuit; nam cum legatus fuisset Latinus per vindicationem coloniae, deliberent, inquit, decuriones an ad se velint pertinere, proinde ac si uni legatus esset“. Siehe dazu Leesen, S. 108 ff. 195 Wlassak, S. 246. 196 Gioffredi, S. 135; Wlassak, S. 252. 197 Wlassak, S.  246. Für Voci, Bd.  II, S.  373 besteht hingegen kein Zweifel, dass Julian schlicht der sabinianischen Meinung folgte. 198 Wlassak, S. 252, 257. Zustimmend hier auch Voci, Bd. II, S. 384. 199 Iul. Pal. 716 (D. 46,3,13): „Ratum autem habere dominus debet, cum primum certior factus est. Sed hoc en platei [id est: laxe] et cum quodam spatio temporis accipi debet, sicut in legato, cum de repellendo quaereretur, spatium quoddam temporis adsumitur nec minimum nec maximum et quod magis intellectu percipi quam ex locutione exprimi possit“. Vgl. zu diesem Punkt Daube (1959), S. 236 f., wonach Ulpian diese „liberale“ Regelung über­ nommen hat.

E. Erbrecht

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möglich und daher jede Beweisführung unnötig“ sei200. In der Schwebe befindet sich hier nicht mehr ein zukünftiges Ereignis bzw. dessen Realisierung, sondern der Status eines Sklaven: servi status et omnium, quae personam eius attingunt, in suspenso est. In der Schwebe ist also als erstes eine Eigenschaft des Sklaven. Bei Gaius bezeichnet der status hominis die allgemeine Rechtsstellung eines Menschen201. In einem streng technischen Sinn erscheint der Begriff des status nur bei der capitis deminutio minima202, während er bei der capitis deminutio maxima, dem gleichzeitigen Verlust von Freiheit und Bürgerrecht, nicht erscheint203. Mit der capitis deminutio verliert ein Freier seine Stellung als Bürger im Staat oder in seiner Familie204. Insofern scheint der Begriff des „status“, so es sich überhaupt um einen etablierten juristischen Begriff handelte, auf einen Sklaven nicht anwendbar205. In Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) verwendet Julian zur Bezeichnung der Zugehörigkeit zum Sklavenstand das allgemeinere Wort „condicio“206. In der vorliegenden Stelle ist diese Zugehörigkeit zu einer Schicht aber nicht fraglich, da ja von einer Freilassung keine Rede ist. Ungewiss ist nur, wem der Sklave gehört und damit die Zugehörigkeit zu einem Haushalt und Machtbereich. Insofern könnten mit „status“ auch sehr untechnisch bloß die familiären Verhältnisse des Sklaven gemeint sein207. Dann bezöge sich auch hier die Schwebe auf Fakten, die erst nach einer Phase der Unsicherheit festgestellt werden können. In der Schwebe befindet sich neben dem „Status“ ferner alles, was die Person des Sklaven angeht: omnium quae personam eius attingunt. Diese Formulierung ist sehr allgemein gehalten und lässt sich breit interpretieren. Einen Hinweis, wie dies gemeint sein könnte, gibt Julian in seiner Erläuterung im zweiten Teil der Stelle: Gefragt wird nach der rechtlichen Behandlung eorum, quae per traditionem servus acceperit aut stipulatus fuerit. Es geht also um Gegenstände, welche dem Sklaven während der Schwebezeit von Dritten übertragen werden oder

200 Wlassak, S.  245. Zurückhaltend Gioffredi, S.  134 f.; deutlich ablehnend Voci, Bd.  II, S. 384 f. 201 So Levy (1961), S. 170 mit Verweis auf Gai. 1,159: „Est autem capitis deminutio prioris status permutatio. Eaque tribus modis accidit: nam aut maxima est capitis deminutio, aut minor quam quidam mediam vocant, aut minima“. Vgl. auch die Aufzählung in Gai. 1,9–11 nach liberi, servi sowie ingenui und libertini. 202 Gai. 1,162: „Minima est capitis deminutio, cum et civitas et libertas retinetur, sed status hominis commutatur; quod accidit in his qui adoptantur, item in his quae coemptionem faciunt, et in his qui mancipio dantur quique ex mancipatione manumittuntur; adeo quidem, ut quotiens quisque mancipetur aut manumittatur, totiens capite deminuatur“. 203 Gai. 1,160: „Maxima est capitis deminutio, cum aliquis simul et civitatem et libertatem amittit; quae accidit incensis, qui ex forma censuali venire iubentur [..]“. 204 Kaser (1971), S.  271 f., der die Dreiteilung in maxima, media, minima als praxisferne Schöpfung der Schule bezeichnet; vgl. Cic. Top. 4,18; 6,29. 205 So auch bei Melillo, S. 100. 206 Siehe unten, S.  272 ff. Nach Melillo, S.  100 bezog sich condicio nur auf Sklaven und liberti. 207 Siehe die Varianten der Übersetzung vorne, Fn. 192.

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Kap. 4: Modallogik

über die er im Namen seines (ungewissen) Herrn Geschäfte abschließt. Die Zugehörigkeit dieser Gegenstände allein befindet sich in der Schwebe. Julian schreibt insbesondere nicht, dass vom Sklaven vermittelte Verpflichtungen, Besitz oder Eigentum an Sachen oder das Vermächtnis als Ganzes in der Schwebe seien208. Insgesamt deuten diese Überlegungen daraufhin, dass Julian nicht etwa an eine Form ruhender subjektiver Rechte gedacht hat209, sondern mit der Schwebe eine noch ungewisse objektive Situation beschrieben hat, deren rechtliche Beurteilung erst später vorgenommen werden kann, wenn die mit ihr verknüpfte Faktenfrage geklärt ist210. Die Klärung hängt hier nur von der Entscheidung des mit dem Vermächtnis Bedachten ab. Soweit entspricht das Schema der Schwebe bei einem bedingten Rechtsgeschäft. Erklärt der Bedachte dem Erben nach dessen Erbschaftsantritt (t' > t2), dass er das Vermächtnis annehmen wolle, gilt die Unsicherheit zum „Status“ des Sklaven bereits ab dem Zeitpunkt der aditio (t2) als beseitigt. Bei Ablehnung hat die Unsicherheit nie bestanden. Entfaltet das Vermächtnis seine Wirksamkeit nicht bereits mit der aditio des belasteten Erben, sondern erst mit der Entscheidung des Begünstigten, widerspiegelt Julians „Regel“ die „Denkfigur“ einer Rückwirkung. Welche Konsequenzen die Annahme einer Schwebe auch beim unbedingten Vindikationslegat noch haben kann, zeigt in eindrücklicher Weise das nächste Fragment. 2. Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6 – Iul. 32 dig.) Si Titius, cui Stichus legatus fuerat, antequam sciret ad se legatum pertinere, decesserit et eundem Seio legaverit et heres Titii legatum non repudiaverit, Stichum Seius vindicabit.

Wenn Titius, dem Stichus vermacht worden ist, bevor er wusste, dass das Vermächtnis ihm zukäme, gestorben ist und [er] denselben [Sklaven] dem Seius vermacht hat, und der Erbe des Titius das Vermächtnis nicht ausschlägt, wird Seius den Stichus herausverlangen [können].

208 Vgl. Gioffredi, S. 135: „Giuliano non dice, né potrebbe dire, date le concezioni romane, che è in suspenso il diritto del legatario, ma che si trova in suspenso la situazione dell’oggetto del legato“. 209 Für das römische Recht ein umstrittener Begriff; vgl. Kaser (1971), S. 195, 225, wonach die Klassiker hierzu noch keine eigentliche Theorie entwickelt hatten. Voci, Bd.  II, S.  384 sieht andernorts Anklänge an die Idee des subjektiven Rechts, so etwa in Ulp. D. 7,1,12,5: in pendenti esse dominium („[..] è certamente esatto osservare che la pendenza allude a una momentanea assenza di titolarità di un diritto soggetivo“). 210 Vgl. Gioffredi, S. 135 und auch Voci, Bd. II, S. 384, für den Iul. Pal. 489.2 zu den Fällen zu zählen ist, bei denen „si allude [..] alla semplice non-sicurezza, non definità di una situazione“.

E. Erbrecht

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a) Zur quaestio Diese Stelle findet sich im Titel „de legatis“ des 32. Buches von Julians Digesten, der insgesamt den Vindikationslegaten gewidmet ist. Titius wird der Sklave Stichus vermacht, doch verstirbt er, ohne davon Kenntnis zu bekommen. In seinem eigenen Testament hat er denselben Sklaven Stichus dem Seius vermacht. Schlägt sein Erbe das ursprünglich an ihn gerichtete Vermächtnis nicht aus, könne Seius auf Herausgabe des Stichus klagen. Der Sachverhalt zeigt sich einigermaßen konstruiert211. Um die Lösung Julians nachzeichnen zu können, muss wie in Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) die Frage nach dem „Status“ des Sklaven bzw. nach dem Übergang des Eigentums am Sklaven gestellt werden, wobei der zeitliche Ablauf der Ereignisse und die Stellung der zahlreichen Beteiligten sauber zu beachten sind. Es bezeichnen A den in der Stelle selbst nicht genannten Erblasser, A1 einen Erben des A, B den Titius, B1 seinen Erben und C den Seius212. A richtet B das Vermächtnis Nr. 1 mit Stichus als Gegenstand aus. Derselbe Stichus ist auch Gegenstand des Vermächtnisses Nr. 2, welches B zugunsten von C anordnet. Es werde angenommen, dass B1 das Vermächtnis Nr. 1 nicht ausschlägt. Dann ist C Julian zufolge berechtigt, Stichus zu vindizieren. Dass B von seinem Vermächtnis nichts weiß, ist nach sabinianischer Ansicht unerheblich, wie aus Gai. 2,195 hervorgeht. Sobald A's Erbe A1 sein Erbe antritt, erwirbt B sofort das Eigentum an Stichus. Damit ist das Vermächtnis Nr. 2 als Vindikationslegat unmittelbar gültig, und C erwirbt seinerseits das Eigentum an Stichus, ganz unabhängig vom Verhalten des B1 bezüglich des Vermächtnisses Nr. 1213. Soweit nach Gaius. Aus Julians regula von Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) folgt hingegen, dass sich mit der aditio durch A1 eine erste Schwebe aufspannt und B durch das Vermächtnis Nr. 1 erst die Möglichkeit erhält, durch seine Annahme den Sklaven zu erwerben. Offenbar betrachtet Julian diese Möglichkeit als bereits ausreichend konkret, dass sie noch während der durch das Vermächtnis Nr. 1 ausgelösten Schwebe wie jedes andere Vermögensrecht auf B1 vererbt werden kann214. Nach Julians regula löst auch das Vermächtnis Nr. 2 eine Schwebe aus. Da sich beide Vermächtnisse auf denselben Sklaven beziehen, überlagern sich ihre Schwebezustände. Nach dem Tod von B kann nur noch B1 die erste Periode der Unsicherheit durch Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses Nr.  1 beenden. Schlägt B1 es aus, ent­ 211

Wlassak, S. 251 sieht in ihm ein vorwiegend theoretisches Interesse. Die Bezeichnungen sind von Wlassak, S. 247 ff. übernommen. 213 Wlassak, S. 238 bezeichnet diese Lösung der „Altmeister“ als „das gesunde, einleuchtende Urteil“. 214 So Wlassak, S. 249. Voci, Bd. II, S. 370 (Fn. 7) spricht von einer „sicura prospettiva“ auf das Vermächtnis. Er verneint jedoch die Idee eines klagbaren Anspruchs. Kaser/Knütel, S. 388 (Rz. 13) sprechen immerhin von einer vererbbaren Anwartschaft. Klagbar werde diese jedoch erst mit dem Eintritt der Testamentserbfolge (beim lpd durch die actio ex testamento, beim lpv durch die Vindikation). 212

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Kap. 4: Modallogik

faltet es keinerlei Wirkung: numquam eius fuisse videbitur. Stichus geht an den Erben A1 des nicht genannten Erblassers. Nimmt B1 es an, ginge das Eigentum an Stichus – zurückbezogen auf den Zeitpunkt der aditio durch A1 – eigentlich auf ihn über. Der „Status“ von Stichus bleibt aber wegen des Vermächtnisses Nr. 2 weiter in der Schwebe. Nun erhält C seinerseits die Möglichkeit, durch Annahme des Vermächtnisses Nr.  2 die zweite Schwebe zu beenden, und Stichus geht schließlich in sein Eigentum über. Im Unterschied zur sabinianischen Lösung fällt B1 bei Julian die entscheidende Rolle zu. Bei Wlassak löst diese Entscheidung Julians nicht nur wegen der Gefahr eines denkbaren Missbrauchs durch B1 Befremden aus. Für ihn ist die Entscheidung „nur zu begreifen als Ergebnis konstruktiver Rechtskunst, als üble Frucht einer juristischen Tätigkeit, welche die natürlichen Grenzen missachtet, die ihr gezogen sind“215. b) Beitrag der Logik Die Stelle gibt keine neuen Hinweise auf Julians Sprachgebrauch zur Pendenz. Sie illustriert die rechtlichen Folgen, die sich durch ein konsequentes Ableiten aus der Annahme eines Schwebezustandes beim unbedingten Vindikationslegat ergeben, wie er der regula aus Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) zugrunde liegt. Auf die Interpretation und das Zusammenspiel der beiden Schwebezustände muss nicht mehr weiter eingegangen werden. Der Text stärkt jedoch die Statur der bisherigen Erkenntnisse zu Julians Vorstellung einer „Pendenz“. Seine Argumentationskette baut darauf auf, dass B durch das Vermächtnis Nr. 1 eine ausreichend konkrete Möglichkeit erhält, das Eigentum an Stichus durch Annahme des Vermächtnisses zu erwerben. Nichtwissen ist für Julian in der Nachfolge der Sabinianer kein (äußeres) Hindernis. Dies spricht einerseits erneut für ein breites Verständnis der Möglichkeit bzw. der Kontingenz, wie sie Philo vertrat. Andererseits erhält die „Pendenz“ auch einen zunehmend greifbaren Charakter. Die „Pendenz“ kann rechtlich nicht nur wie in Iul. Pal. 697.8 (D. 45,1,56,8) durch eine Vorwirkung bedeutsam werden, sie kann auch zur Vererblichkeit einer Möglichkeit als einer Art „Anwartschaft“ führen216.

215

Wlassak, S. 251. Da hier nur von unbedingten Legaten die Rede ist, widerspricht dies nicht Flume (1975), S. 103, wonach das bedingte Legant nicht vererblich sei. 216

E. Erbrecht

201

3. Iul. Pal. 520.1 (D. 30,91,1 – Iul. 36 dig.) Praesenti quidem die data libertate servo legari vel pure vel sub condicione poterit: cum vero libertas sub condicione data fuerit, alias utiliter, alias inutiliter pure legabitur. Nam si ea condicio libertatis fuerit, ut patre familias statim mortuo possit ante aditam hereditatem exsistere condicio, veluti: „Stichus si decem Titio dederit“ (vel „Capitolium ascenderit“), „liber esto“, utile legatum est: huiusmodi autem condiciones: „Si heredi decem dederit“, „si post aditam hereditatem Capitolium ascenderit“, inutile legatum efficient. Necessario autem ex asse herede scripto etiam hae condiciones, quae ante aditam hereditatem impleri possunt, inutile legatum efficient.

Einem zum gleichen Tag freigelassenen Sklaven kann jedenfalls bedingt oder unbedingt etwas vermacht werden. Wurde ihm die Freiheit tatsächlich unter einer Bedingung gegeben, kann ihm unbedingt sowohl gültig als auch ungültig etwas vermacht werden. Wenn nämlich diese Bedingung der Freilassung so lautet, dass die Bedingung sofort beim Tode des Hausvaters [und noch] vor dem Erbschaftsantritt eintreten kann, also beispielsweise: „wenn Stichus dem Titius zehn gibt“ oder „wenn er auf das Kapitol steigt“, „sei er frei“, ist das Vermächtnis gültig. Bedingungen in der Art wie „wenn er dem Erben zehn gibt“, „wenn er nach Erbschaftsantritt auf das Kapitol steigt“, machen jedoch das Vermächtnis ungültig. Notwendigerweise machen bei eingesetztem Alleinerben jedoch auch die Bedingungen, die vor Erbschaftsantritt erfüllt werden können, das Vermächtnis ungültig.

a) Zu casus und quaestio Die Stelle findet sich unter dem Titel „de legatis“ im 36. Buch der Digesten Julians eingeordnet. Julian bestätigt, dass einem bedingt freigelassenen Sklaven ein Vermächtnis ausgerichtet werden könne. Als gültig anzusehen sei es, wenn die Bedingung der Freilassung sofort mit dem Tod des Erblassers und jedenfalls noch vor dem Erbschaftsantritt eintreten kann. Kann die Bedingung erst nach dem Erbschaftsantritt eintreten, sei das Vermächtnis als ungültig anzusehen. Im Fall eines einzigen Außenerben würden jedoch Bedingungen, die vor der aditio eintreten können, das Vermächtnis ungültig machen. Julian diskutiert die Voraussetzungen, damit eine mit der Freilassung verknüpfte Bedingung ein gleichzeitig angeordnetes Vermächtnis an den bedingt freigelassenen Sklaven gültig belässt. Eine unbedingte Freilassung wird mit der aditio durch mindestens einen Erben unmittelbar wirksam217. Bei einer bedingt angeordneten Freilassung beginnt mit der aditio die statulibertas218, sodass der Sklave frühestens ab diesem Zeitpunkt mit Eintritt der verknüpften Bedingung 217 Siehe Pomp. D. 40,4,11,2: „Cum testamento servus liber esse iussus est, vel uno ex pluribus heredibus institutis adeunte hereditatem statim liber est“. 218 Ulp. D. 40,7,2 pr.: „[..] Sed statuliberi causam non prius servus nanciscitur nisi adita vel ab uno ex institutis hereditate: ceterum ante aditionem sive tradetur sive usucapietur sive manumittetur, spes statutae libertatis intercidit“.

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Kap. 4: Modallogik

zur Freiheit gelangen kann. Bei Iul. Pal. 150 (D. 12,1,19 pr.) wurde deutlich, dass die Erfüllung der Bedingung zumindest möglich sein muss. Julian führt vorliegend zwei Beispiele für Bedingungen an, die das Vermächtnis gültig behalten, sowie zwei Gegenbeispiele, die zu seiner Ungültigkeit führen: utiliter/inutiliter legari. Bei den Beispielen handelt es sich um typische Schulbeispiele, wie sie schon zuvor besprochen worden sind219. Kritisch sind dabei nicht die vom Sklaven geforderten Handlungen, die a priori durchführbar erscheinen, sondern die Zeitpunkte, zu denen dieser tätig werden muss. Von einer unbedingten Freilassung wird nur im ersten Satz gesprochen. Innerhalb der Fallgruppe der bedingten Freilassung betrachtet Julian sodann nach „nam si ea condicio“ die Kombination mit einem unbedingten und einem bedingten Legat. Flume sieht in der Formulierung „patre familias statim mortuo“ eine Bezugnahme auf die regula Catoniana220, deren Anwendung nur bei unbedingten Legaten unbestritten ist221. Julians Darstellung wirkte vollständig, wenn der letzte Satz sich auf die Kombination einer bedingten Freilassung mit einem bedingten Legat bezieht. Dann verweisen hae condiciones wie von Voci so gesehen nicht mehr auf die Freilassung, sondern auf das Vermächtnis222. Der Satz bedeutet demnach, dass der Verfallstag des Vermächtnisses nicht vor der aditio eintreten darf. Der Verfallstag oder dies cedens des Vermächtnisses markiert den Zeitpunkt, in dem der Begünstigte eine Art Anwartschaft auf das Vermächtnis erwirbt223. Im Normalfall fällt der dies cedens mit dem Todestag t1 des Erblassers zusammen224. Eine Bedingung verschiebt den Verfallstag nach hinten auf den Tag ihres Eintritts225. Ein klagbarer Anspruch auf das Vermächtnis entsteht erst am dies veniens226. Dieser fällt im Normalfall mit dem Erbschaftsantritt im Zeitpunkt t2 durch den belasteten Erben zusammen. Handelt es sich beim belasteten Erben um einen Hauserben, so gilt t1 = t2, da ihm die Erbschaft ipso iure zufällt. Bei einem eingesetzten Außenerben, der seine Erbschaft aktiv antreten muss, gilt jedoch t1 ≤ t2227.

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Siehe vorne Kap. 3 J. 1. Cel. D. 34,7,1 pr.: Catoniana regula sic definit, quod, si testamenti facti tempore decessisset testator, inutile foret, id legatum quandocumque decesserit, non valere. Quae definitio in quibusdam falsa est“. 221 Flume (1990), S. 19, 22. 222 Voci, Bd. II, S. 371. 223 Siehe zuvor bei Iul. Pal. 461. 224 Ulp. D. 36,2,5,1: „Itaque si purum legatum sit, ex die mortis dies eius cedit [..]“. Vgl. den Hinweis auf die lex Papia Poppaea bei Kaser (1971), S. 752, welche den Verfallstag auf den Tag der Testamentseröffnung verschob; ebenso Voci, Bd. II II, S. 369. 225 Ulp. D. 36,2,5,1: „Sed si sub condicione sit legatum relictum, non prius dies legati cedit quam condicio fuerit impleta, ne quidem si ea sit condicio, quae in potestate sit legatarii“. 226 Kaser (1971), S. 752 (Fn. 10): Dies veniens beziehe sich sowohl auf lpd wie lpv. 227 Siehe Gai. 2,16 f.; vgl. Voci, Bd. I, S. 339. Auf das lpv bezieht sich das bereits zitierte Gai. 2,195. 220

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a) Beitrag der Logik Als Beginn t0 = n der Zeitachse werde der Zeitpunkt der Testamentserrichtung gesetzt. Julian verwendet direkt keinen der zuvor mit dem vermuteten Konzept der Pendenz verbundenen Begriffe, doch ist diese in der Konstruktion der Bedingung B1 der Freilassung angelegt. Die Bedingung B1 schwebe während einer mit [s1, s2] bezeichneten Periode. Nach Julians eigenen Erläuterungen muss der Sklave die geforderte Handlung im Zeitabschnitt [t1, t2] zwischen dem Tode des Erblassers t1 und dem Zeitpunkt des Erbschaftsantritts t2 durch den Außenerben vornehmen können, zu dessen Erbanteil er gehört, damit das Vermächtnis an ihn als gültig anzusehen ist. In den ersten beiden von Julian genannten Beispielen wird der Sklave wohl in der Lage sein, die Bedingung B1 kurzfristig zu erfüllen. Hat er sie bis zum Zeitpunkt t2 noch nicht erfüllt, fällt er als statuliber in das Vermögen des Außenerben. In diesem Fall knüpft sich das dem Sklaven zugedachte Vermächtnis an den Außenerben, ohne dass ein späterer Wechsel im „Status“ des Sklaven daran etwas ändern könnte228. Anders als bei Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) ist sein „Status“ nicht in der Schwebe. Der Sklave kann das Vermächtnis auch als Freigelassener nicht mehr zu seinen eigenen Gunsten erwerben, wie es wohl der Absicht des Erblassers entsprach. Beim dritten und vierten Beispiel für eine Bedingung B1 ist es dem Sklaven sogar von Beginn weg unmöglich, sie vor t2 zu erfüllen, gehen diese Formulierungen doch begriffsnotwendig davon aus, dass der Außenerbe sein Erbe bereits angetreten hat. Aus Sicht der stoischen Logik handelt es sich um eine für den Erblasser seit t0 ersichtliche P-Unmöglichkeit. Es ist für Julian zweckmäßig, diese Ausgestaltungen eines unbedingten Vermächtnisses an den Sklaven in Übereinstimmung mit der regula Catoniana von Beginn weg als ungültig anzusehen. Gibt es neben dem Außenerben keinen weiteren Erben, hängt der Beginn der statulibertas des Sklaven zwangsläufig von dessen aditio im Zeitpunkt t2 ab. Die Bedingung B1 kann wie zuvor sowohl vor als auch nach t2 eintreten, sodass der Sklave frühestens mit t2 frei wird. Hae condiciones im letzten Satz können sich sinnvollerweise nicht auf die Bedingung B1 der Freilassung beziehen. Sind damit hingegen Bedingungen des Vermächtnisses gemeint, die vor t2 eintreten können oder gar müssen, würde das Anrecht auf das Vermächtnis zu einem Zeitpunkt entstehen, zu dem der Sklave noch nicht statuliber ist. Das Anrecht fiele mit der aditio an den Alleinerben, der damit sowohl berechtigt als auch belastet würde. Das Vermächtnis ist deshalb als ungültig zu betrachten. Die Stelle liest sich als Beurteilung der ab initio Gültigkeit oder Ungültigkeit von unbedingten oder unbedingten Vermächtnissen in Kombination mit einer Freilassung. Darauf bezieht sich die Wortwahl utile/inutile229. 228 Siehe Gai. 2,200 : „Illud quaeritur, quod sub condicione per vindicationem legatum est, pendente condicione cuius sit. Nostri praeceptores heredis esse putant exemplo statuliberi, id est eius servi qui testamento sub aliqua condicione liber esse iussus est; quem constat interea heredis servum esse“. Vgl. Voci, Bd. II, S. 370. 229 Vgl. Flume (1991), S. 23.

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Kap. 4: Modallogik

4. Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17 – Iul. 36 dig.)

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[1] Cum legato servo aliquid legatur, dies eius legati quod servo datur non mortis tempore, sed aditae hereditatis cedit: et ideo impedimento non est regula iuris, quo minus manumisso legatum debeatur, quia etsi confestim pater familias moreretur, non in eiusdem personam et emolumentum legati et obligatio iuris concurreret. [2] Perinde igitur est hoc, de quo quaeritur, ac si filio herede instituto patri legatum esset: quod consistere intellegitur eo, quod, quamvis statim pater familias moriatur, potest emancipatus adire hereditatem, ut patri legatum debeat.

[1] Wenn einem vermachten Sklaven selbst etwas vermacht wird, tritt der Verfallstag [des Vermächtnisses an den Sklaven] nicht [schon] mit dem Tod des Erblassers, sondern [erst] mit dem Erbschaftsantritt ein. Deshalb verhindert nicht die Rechtsregel, dass dem nicht [gleichzeitig] freigelassenen Sklaven das Vermächtnis geschuldet würde, weil, auch wenn der Hausvater unmittelbar gestorben wäre, der Vorteil aus dem Vermächtnis und die Verpflichtung nicht in einer Person zusammenfielen230. [2] Und somit gilt für die vorliegende Frage das gleiche wie beim Vater eines als Erben eingesetzten Sohnes, dem etwas vermacht würde. Denn dies wird so verstanden, dass auch wenn der Erblasser unmittelbar verstürbe, der Emanzipierte die Erbschaft antreten kann, sodass dem Vater das Vermächtnis zusteht.

a) Zur quaestio In Abschnitt [1] sagt Julian, dass der Verfallstag eines Vermächtnisses an einen Sklaven, der seinerseits vermacht worden ist, nicht auf den Todestag des Erblassers, sondern auf den Tag des Erbschaftsantritts falle. Folglich liege es nicht an der „Rechtsregel“, dass das Vermächtnis nicht an den Sklaven gelangen könne. Selbst wenn der Erblasser unmittelbar nach Errichtung seines Testaments gestorben wäre, fielen Vorteil und Last des Vermächtnisses an den Sklaven doch nicht bei derselben Person an. Gleich verhalte es sich, so fährt Julian in Abschnitt [2] fort, mit einem zum Erben eingesetzten Sohn, dessen Vater vom Erblasser mit einem Vermächtnis bedacht wird. Denn der emanzipierte Sohn könne die Erbschaft für sich selbst antreten, sodass er seinem Vater das Vermächtnis schuldet.

230 Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 787: „[..] daher steht auch die [Catonianische] Rechtsregel nicht im Wege, so dass ihm, wenn er [unterdessen] freigelassen worden, das Vermächtnis nicht verschuldet würde, weil, wenn der Hausvater auch gleich mit dem Tode abgegangen wäre, der Vorteil aus dem Vermächtnis und die Verbindlichkeit des Rechts nicht in einer Person [des Erben] zu treffen sein würde [eben weil hierzu erst der Erbschaftsantritt notwendig sein würde]“. Scott übersetzt dies abweichend und rechtlich unzutreffend mit: „[..] and hence the rule of law under which a legacy is not permitted to be given to a slave, even if he is manumitted, cannot be cited in opposition [..]“. Watson: „[..] and thus the rule [regula catoniana] is no reason why the legacy should not be due to him after manumission“.

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In Abschnitt [1] ist von einer Freilassung des Sklaven erst einmal nicht die Rede. Im Gegenteil wird der Sklave mit einem Vermächtnis Nr.  1 einem Dritten vermacht. Gleichzeitig wird demselben Sklaven ein Vermächtnis Nr. 2 ausgerichtet. Nach Julians Verständnis, wie es bereits in Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) zum Ausdruck gekommen ist, befinden sich die Gegenstände beider Vermächtnisse frühestens ab dem Zeitpunkt t1 des Todes des Erblassers solange in der Schwebe, bis diese von den Bedachten angenommen oder ausgeschlagen worden sind. Julian führt nun aus, dass der Verfallstag des Vermächtnisses Nr. 2 erst zum Zeitpunkt t2 der aditio durch den Erben eintritt: dies eius legati quod servus datur [..] sed aditae hereditatis cedit. Mit der im Text erwähnten regula iuris ist wohl die regula Catoniana gemeint231. Schmidlin zufolge rief die Starrheit juristischer Regeln den Widerspruch kasuistisch denkender Juristen hervor, die ihr Schema mit Ausnahmen zu durchbrechen suchten232, was sich gerade am Beispiel der regula Catoniana gut illustrieren lasse233. Hausmaninger zufolge verwendet Julian die dogmatische Konstruktion des dies cedens, um mit der Regel nicht in Konflikt zu geraten234. Darauf, dass diese nicht immer anwendbar sei bzw. Ausnahmen zulasse, wies schon Celsus warnend hin235. Flume zieht die Unterscheidung beim Bezug der Errichtung des Vermächtnisses auf den Rechtsakt als solchen236. Die regula Catoniania beziehe sich nur auf Vermächtnisse, welche unmittelbar mit dem Tod des Erblassers wirksam werden können. Somit ist es nur folgerichtig, die Regel nicht auf bedingte Vermächtnisse anzuwenden, die erst mit dem Eintritt der Bedingung wirksam werden. Der Anfang des Fragments könnte in der Tat so gelesen werden, dass die Verschiebung des Verfallstags die Anwendung der regula ausschließe: et ideo impedimento non est regula iuris237. Diese Deutung entspricht der Meinung Schmidlins und im Ergebnis mit anderer Begründung jener Flumes, wonach Julian die regula streng auslege und nur auf Vermächtnisse angewandt sehen wolle, die keinerlei Besonderheiten (insbesondere keine Kombination mit einer Freilassung) aufweisen und bei denen der dies cedens mit dem dies mortis des Erblassers zusammenfällt238. Die eigentliche Begründung Julians und gleichzeitig der Kern 231 So Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 787 und Schmidlin, S. 31 („kein Zweifel“). Zur Bezeichnung als regula siehe Schmidlin, S. 9 sowie differenziert Nörr (1972), S. 21. 232 Schmidlin, S. 11. Dafür spricht prägnant Paul. D. 50,17,1: „non ex regula iuris ius sumatur, sed ex iure quod est regula fiat“. 233 So auch Nörr (1972), S. 71. Scarano Ussani, S. 136 sieht die Stelle als Beleg für eine grundsätzliche Gültigkeit einer strengen Rechtsregel, deren Anwendung auf analoge Fälle jedoch beschränkt bleibt. 234 Hausmaninger, S. 486. Kritisch zu diesen Ansichten Flume (1991), S. 17 f. 235 Siehe Cel. D. 34,7,1 pr. 236 Flume (1991), S. 26. 237 Impedimentum kann bei Julian sowohl wie in Iul. Pal. 215 (D. 41,2,36) und Iul. Pal. 222 (D. 41,1,36) ein rechtliches als auch wie in Iul. Pal. 75 (D. 42,1,60) ein faktisches Hindernis bezeichnen. 238 Vgl. Pap. D. 34,7,3: „Catoniana regula non pertinet ad hereditates neque ad ea legata, quorum dies non mortis tempore, sed post aditam cedit hereditatem“. Siehe auch den Kom-

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Kap. 4: Modallogik

des Fragments verbirgt sich für Schmidlin in dem mit quia eingeleiteten Satz239. Schmidlin geht davon aus, dass der Sklave nachträglich240 aber noch zu Lebzeiten des Erblassers freigelassen wurde, wodurch das Vermächtnis Nr. 1 wegfiel. Dann sei fraglich, ob der Verfallstag des zugunsten des Sklaven gedachten Vermächtnisses Nr. 2 immer noch mit der aditio oder aber wie im Normalfall eines Vermächtnisses an einen Freien mit dem Todestag des Erblassers zusammenfalle. Gälte das letztere, ginge das Vermächtnis Nr. 2 durch confusio unter. Dies ergibt sich nach sabinianischer Auffassung, da die Freilassung erst mit der aditio wirksam wird und der Sklave erst danach das Vermächtnis erwerben könnte241. Nach der regula Catoniana könne aber der nachträgliche Wegfall des ersten Vermächtnisses nichts am einmal als gültig anerkannten zweiten ändern242. Diese Deutung zeigt drei Schwachpunkte. Erstens erscheint das Argument als Zirkelschluss, wurde doch zuvor die Anwendung der regula gerade wegen der Verschiebung des Verfallstags auf den Tag des Erbschaftsantritts ausgeschlossen. Zweitens unterstellt das Argument der confusio die sabinianische Vorstellung des unmittelbaren Übergangs des Eigentums. Das Beispiel von Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) zeigte zuvor, dass Julian darin nicht stets der sabinianischen Tradition folgte243. Drittens ist nicht unbedingt klar, dass „quo minus manumisso“ nicht auch nur hypothetisch gemeint sein könnte. Dem testamentarisch freigelassenen Sklaven fällt das Vermächtnis somit erst mit der aditio, dem zu Lebzeiten freigelassenen bereits mit dem Todestag des Erblassers an244. Abschnitt [2] der Stelle ist nicht als Folgerung aus Abschnitt [1], sondern als argumentative Unterstützung zu lesen. Die Konjunktion igitur ist weniger ein „folglich“ als ein „deshalb weil“. Julian beschreibt einen parallelen Fall, bei dem ein Vater die Rolle des Herrn und Vermächtnisnehmers und ein Sohn die des Sklaven und Begünstigten einnimmt. Beiden Fällen ist somit ein Gewaltverhältnis gemein. Der Erblasser setzt einen fremden Sohn als Erben ein. Als noch in der väterlichen Gewalt Stehender würde der Sohn die Erbschaft für seinen Vater erwerben245. Dieser erhielte somit ein mit einem Vermächtnis belastetes Vermögen, welches ihm selbst zugedacht ist und somit durch confusio unterginge. Erst eine zwischen­

mentar der Glosse (ed. 1627, S. 1796): „regula non pertinet at legata quorum dies cedit ab adita hereditate“. Die regula war naturgemäß nicht auf bedingte Vermächtnisse anwendbar (condicio facti), wie es auch Flume (1991), S. 26 feststellt. Voci Bd. II, S. 999 sieht die Ausnahme beim Zusammenfallen von dies cedens mit der aditio als Ausdehnung dieses Motivs auf eine condicio iuris. 239 Schmidlin, S. 32. 240 Vgl. die Übersetzung bei Otto/Schilling/Sintenis (Fn. 908). 241 Siehe die entsprechende Bemerkung zu Iul. Pal. 520.1. 242 Zu diesem Grundsatz siehe Kaser (1971), S. 754 f. und Biondi, S. 412 f. Insbesondere für die Freilassung Voci, Bd. II, S. 989. 243 Siehe vorne die Besprechung von Iul. Pal. 489.2. 244 Vgl. Wimmer, S. 284. 245 Gai. 2,189 f.

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zeitlich angeordnete Emanzipation des Sohnes eröffnet einen rettenden Ausweg. Die traditionelle Lesart der regula Catoniana würde solche nachträglichen Ereignisse jedoch wie in Schmidlins Argument als unbeachtlich zur Seite schieben. Sie vermöchten die ab initio Ungültigkeit des Vermächtnisses nicht nachträglich zu heilen. b) Beitrag der Logik In Abschnitt [1] deuten „confestim pater familias moreretur“ wie auch „quamvis statim pater familias moriatur“ in Abschnitt [2] auf eine fiktive Betrachtungsweise hin, wie sie als „Denkform“ auch der regula Catoniana zugrunde liegt. Zudem ließe sich die Verwendung von intellegitur als Hinweis auf eine breite inhaltliche Auslegung der Regel lesen246. Potest emancipatus adire hereditatem, ut patri legatum debeat, heißt es in Abschnitt [2]. Für den Erblasser war beim Errichten seines Testaments denkbar, dass der Vater seinen Sohn emanzipieren, dieser sein Erbe antreten und so das Vermächtnis seinem Vater ausbezahlen könnte. So kommt es zu keiner confusio. Diese denkbare Kette zukünftiger Ereignisse musste ihm als möglich aber nicht notwendig erscheinen (Kontingenz). Diese Erklärung müsste, wenn das Beispiel aus Abschnitt [2] als stützende Erläuterung Sinn machen soll, auch der Interpretation des Ausgangsfalls aus Abschnitt  [1] dienlich sein. Dort führen nach Julians Ideen aus Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) sowohl das Vermächtnis Nr. 1, das mit dem Sklaven als Gegenstand zugunsten eines Dritten angeordnet wurde, als auch das Vermächtnis Nr. 2 zugunsten des nämlichen Sklaven zu zwei überlagerten Schwebezuständen. Der Schwebezustand Nr. 1 beginnt allgemein mit t1, jener von Nr. 2 wird nach Julians einleitender Bemerkung nach hinten auf den Zeitpunkt t2 der aditio des Erben verschoben. Gemeint ist der Erbe, welchem der Sklave zufiele, schlüge der Dritte das Vermächtnis Nr. 1 innert einer „vernünftigen“ Frist aus. Eine Freilassung des Sklaven werde zunächst nicht angenommen. In der Zeit [t1, t2] kann es zu keiner confusio kommen, da sowohl der „Status“ des Sklaven als auch der Gegenstand des Vermächtnisses Nr.  2 nach­ Julians Verständnis in der Schwebe sind. „Status“ ist hier wiederum nicht in einem juristischen, sondern im breiteren Sinn der sozialen oder wirtschaftlichen Umstände gemeint. Unsicher ist nicht die Zugehörigkeit des Vermachten zum Sklavenstand. Unsicher ist, welchem Herrn er gehört. Erst wenn der Dritte sein Vermächtnis zu einem Zeitpunkt t* ≥ t1 ausschlägt, fallen Belastung und Vorteil aus dem Vermächtnis Nr. 2 beim Erben frühestens ab dem Zeitpunkt t2 in einer Person zusammen. Nimmt der Dritte es aber an, so fällt ihm mit dem Eigentum am Sklaven auch der Vorteil aus dem Sklavenvermächtnis zu, wenn der Sklave die-

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Vgl. Wesel (1967), S. 45.

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Kap. 4: Modallogik

ses seinerseits für seinen neuen Herrn annimmt. Die Schwebe des Vermächtnisses Nr. 1 verhindert nach dieser Lesart eine unmittelbare confusio des Vermächtnisses Nr. 2. So gesehen nimmt die Annahme des Vermächtnisses Nr. 1 durch den Dritten die Funktion der Emanzipierung des Sohnes im Fall des Abschnitts [2] als „überholendes“ Ereignis ein. Diese Möglichkeit besteht grundsätzlich ab dem Zeitpunkt t0 der Testamentserrichtung, zu dem natürlich nicht sicher entschieden werden kann, ob sie sich in der Zukunft aktualisieren wird oder nicht. Die Phase der Unsicherheit zieht sich folglich bis auf t0 zurück. Werden Möglichkeiten eine Art faktischer Existenz zugesprochen – in Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6) wurden sie als konkret genug angesehen, dass sie sich auf den Erben übertrugen – können und müssen sie rechtlich berücksichtigt werden. Diese Überlegung erlaubt es dem Juristen, der wegen ihrer Nichtanwendbarkeit im vorliegendn Fall nicht zur regula Catoniana greifen konnte, das Vermächtnis Nr. 2 als ab initio gültig angeordnet zu erklären247. Hat der Erblasser den Sklaven nachträglich (etwa in einem Kodizill) testamentarisch freigelassen, ist dieser statuliber, bis er im Zeitpunkt t2 der aditio frei wird. Erst mit diesem Zeitpunkt, auf den der dies cedens verschoben wurde, beginnt die Schwebe Nr. 2. Nimmt der Sklave das Vermächtnis an, erwirbt er es für sich selbst. Schlägt er es aus, fällt es rückwirkend an den Erben (Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2). In keinem Fall kommt es zu einer confusio. Somit stellen zwei mögliche aber nicht notwendig eintretende, zukünftige Ereignisse – eine nachträgliche Freilassung sowie die Annahme des Vermächtnisses Nr. 1 durch den Dritten – losgelöst von der regula Catoniana die ab initio Gültigkeit des Vermächtnisses Nr. 2 sicher. Ob es im Zeitablauf wirksam werden kann, hängt von den tatsächlichen Entscheidungen der Beteiligten zu den maßgeblichen Zeitpunkten ab. Auch dabei handelt es sich um äußere Faktenfragen.

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Passend zu dieser Interpretation Biondi, S. 416: „[..] tutto ciò non significa che nei casi in cui la regola non ha applicazione valga principio opposto, ma che si considera un momento posteriore [!] alle confezione dell’atto. E un processo di interpretazione nell’ambito dello spirito della regola“.

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5. Iul. Pal. 464 (D. 30,89,9 – Iul. 32 dig.) Cum statuliber sub condicione legatus est et pendente condicione legati condicio statutae libertatis deficit, legatum utile fit: nam sicut statuta libertas tunc peremit legatum, cum vires accipit, ita legatum quoque non ante peremi potest, quam dies cesserit eius.

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Wenn ein bedingt freigelassener Sklave unter einer [zweiten] Bedingung vermacht wird und, während diese schwebt, die Bedingung der Freilassung ausfällt, ist das Vermächtnis gültig248. Denn sowie die vorgesehene Freilassung das Vermächtnis zu dem Zeitpunkt vernichtet, als sie wirksam wird, so kann auch das Vermächtnis nicht vorher vernichtet249 werden, als der Verfallstag eingetreten ist.

a) Zur quaestio Wie Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6) finden sich die beiden nächsten Texte im Titel „de legatis“ des 32. Buches von Julians Digesten zu den Vindikationslegaten. Im § 9 des Fragments Iul. Pal. 464 wird ein vom Erblasser in seinem Testament bedingt freigelassener Sklave unter einer zweiten Bedingung an einen Dritten vermacht. Fällt die Bedingung der Freilassung während der Schwebe der mit dem Vermächtnis verknüpften Bedingung aus, werde das Vermächtnis „utile“. Wird hingegen die Freilassung wirksam, vernichte sie das Vermächtnis an den Dritten. Das Vermächtnis könne aber nicht vor seinem Verfallstag vernichtet werden. Für Voci ist diese Stelle wahrscheinlich nur stark verkürzt überliefert250. Julian löst den Konflikt zwischen den testamentarischen Anordnungen des Erb­lassers, indem er das Vermächtnis als utile erklärt, falls die Bedingung B1 der Freilassung ausfällt. Nicht ganz leicht fällt es, „utile fit“ geeignet zu übersetzen. Dies mit „gültig werden“ zu übertragen, implizierte, dass das Vermächtnis zuvor ungültig gewesen wäre. Eher dürfte gemeint sein, dass das gültig angeordnete Vermächtnis durch den Ausfall von B1 nicht nachträglich unwirksam wird251. Denn im noch genauer zu beschreibenden anderen Fall, dass B1 eintritt, wird das Vermächtnis vernichtet oder aufgehoben: tunc peremit legatum. Voci interpretiert dies so, dass sowohl die Freilassung als auch die „Gültigkeit“ des Vermächtnisses als be-

248 Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 258 übersetzen dies so: „[..] und vor Eintritt dieser Bedingung des Vermächtnisses es gewiss wird, dass die Bedingung der vorherbestimmten Freilassung nicht zur Erfüllung kommt, so wird das Vermächtnis wirksam“. Scott übersetzt letzteres mit „the legacy is valid“. 249 Vernichten von perimere; Otto/Schilling/Sintenis, Bd.  3, S.  258 übersetzen mit „auf­ heben“. 250 Fall a bei Voci, Bd. II, S. 573 (Fn. 30): „Dunque per Giuliano solo una duplice situazione di pendenza può salvare il legato dall’ invalidità; [..] doveva dirlo più chiaramente“. 251 Siehe hierzu die besprochene Konstellation von Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17) sowie die Bemerkungen bei Flume (1991), S. 23 zu den Begriffen der Gültigkeit und der Wirksamkeit.

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Kap. 4: Modallogik

dingt zu betrachten seien252. Diese zweite – implizite – Bedingung des Vermächtnisses werde als die logische Negation von B1 bestimmt, ein Vorgehen, welches sich deutlich bei Gaius wiederfindet253. Nach dieser Ansicht wird das Vermächtnis wirksam, wenn sowohl seine ihm vom Erblasser explizit beigegebene Bedingung B2 als auch ¬B1 erfüllt sind. Talamanca und vor ihm Sommer verneinen, dass Julian dieser „teoria della contraria condicio“ gefolgt sei254. Kritisch ist in der Tat, dass Julian für den umgekehrten Fall nicht sagt, dass der Eintritt von B1 das Vermächtnis vernichte. Dies geschehe vielmehr, wenn die angeordnete Freilassung in Kraft tritt: statuta libertas peremit legatum cum vires accipit. Diese Formulierung sei im folgenden als Aussage A1 bezeichnet. Der Begriff der statuta libertas für die testamentarisch angeordnete Freilassung findet sich bei Julian neben Iul. Pal. 464.9 (D. 30,89,9) und 465.2 (D. 33,5,9,2) nur noch in Iul. Pal. 351 (D. 9,4,16)255. Der betreffende Sklave wird zum statuliber 256, sobald ein einziger Erbe das Erbe antritt257. Talamanca sieht nun das Vermächtnis bereits durch den Beginn der statulibertas des Sklaven vernichtet258. Ob die Bedingung B1 der Freilassung später noch eintritt oder ausfällt, spielt für ihn im Gegensatz zu Voci keine Rolle259. Diese Ansicht erscheint auf den ersten Blick etwas überraschend. Talamanca führt für sie zwei verschiedene Argumente ins Feld. Zum einen verweist er auf eine Erläuterung aus der Stelle, welche gleich im Anschluss besprochen werden wird260: Iul. Pal. 465.2 (D. 33,5,9,2 – Iul. 32 dig.): [..] nam sicut pura libertas, ita statuta libertas aditae hereditatis tempore vires accipit.

252 Voci, Bd. II, S. 572 sieht diese Theorie als „fine estensione“ der zitierten Meinung von Q. Mucius Scaevola aus Jav. D. 40,7,39 pr.; für diese Theorie auch Donatuti (1940), S. 63 ff. Vgl. dazu vorne, Iul. Pal. 600.0. 253 Vgl. Gai. D. 30,68,2: „Si pure legatus servus sub condicione liber esse iussus fuerit, sub contraria condicione valet legatum: et ideo exsistente condicione legatum peremitur, deficiente ad legatarium pertinebit“. 254 Talamanca (1961), S. 20 ff; Sommer, S. 398. 255 Iul. Pal. 351 (D. 9,4,16): „Si heres dolo malo fecerit, ne statuliberum in potestate haberet, et propter hoc iudicium sine noxae deditione acceperit: et impleta condicione statutae libertatis condemnari debebit, sicuti mortuo servo condemnaretur“. Der Begriff der „statu­ libertas“ findet sich bei Julian nirgends. 256 Paul. D. 40,7,1 pr: „Statuliber est, qui statutam et destinatam in tempus vel condicionem libertatem habet“. 257 Ulp. 40,7,2: „[..] Sed statuliberi causam non prius servus nanciscitur nisi adita vel ab uno ex institutis hereditate: ceterum ante aditionem sive tradetur sive usucapietur sive manumittetur, spes statutae libertatis intercidit“. 258 Talamanca (1961), S. 21 mit Verweis auf Iul. Pal. 465.1+2. 259 Voci, Bd. II, S. 572 hingegen bezieht das vires accipere auf die Freilassung bei Eintritt von B1: „L’efficacia di una è l’immediata invalidità dell’altra; cosi non si preclude a initio la validità di una disposizione, e nello stesso tempo si rispettano tutte le regole relative alla statu libertà. Resta che nel periodo della pendenza il vantaggio non e ni dello schiavo, ni del legatario. Si tratta di una situazione passeggera“. 260 In diesem Sinne vgl. Iul. Pal. 199 (D. 35,2,83): „Si creditor filii tui heredem te instituerit et legis Falcidiae rationem ponas, peculii quantitas, quod aditae hereditatis tempore fuisset, in quadrantem tibi imputabitur“.

E. Erbrecht

211

Demnach tritt die „angeordnete Freiheit“ mit der aditio eines Erbens in Kraft261. Nach Julians Aussage A1 zeigt dieses in Kraft treten, welches auf den Beginn der statu libertas des Sklaven fällt, eine Vorwirkung, indem es das Vermächtnis vernichtet. Zum anderen versucht Talamanca dasselbe Resultat aus dem vorliegenden Text selbst herzuleiten, gerät dabei aber unbewusst in einen Widerspruch, wie sogleich gezeigt wird. Zudem passt seine Deutung nicht mit dem ersten Satz der Stelle zusammen. Julian spricht dort von einem Sklaven, der bereits statuliber ist. Anschließend fällt die Bedingung der Freiheit aus: legatum utile fit. Dieses Resultat macht aber keinen Sinn, sollte bereits der Beginn der statu libertas dieses Vermächtnis vernichten. Im nächsten Unterabschnitt wird deshalb der Ablauf der möglichen Ereignisse anhand des zuvor entwickelten modallogischen Erklärungsansatzes kritisch geprüft und mit den einzelnen Aussagen in Julians Text verglichen. b) Beitrag der Logik Genauer zu analysieren ist vordringlich das zeitliche Verhältnis zwischen den Bedingungen B1 und B2. Die Bedingung B1 der Freilassung schwebt während der Zeit [t1, s1] vom Tod des Erblassers bis zur Entscheidung über ihren Eintritt oder Ausfall zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt s1, der vor oder nach t2 als dem Tag der aditio durch einen Erben zu liegen kommen darf. Ab t2 ≥ t1 ist der Sklave statuliber und tritt in ein neues Rechtsverhältnis ein. Die Bedingung B2 der vom Erblasser gesetzten, expliziten Bedingung des Vermächtnisses an den Dritten schwebt in der Zeitperiode [t1, s2] vom Tod des Erblassers bis zum dies cedens, der in diesem Fall mit dem Eintritt oder Ausfall der Bedingung zusammenfällt262. Da der dies cedens somit typischerweise nicht auf den dies mortis fallen wird, konnten die Klassiker die regula Catoniana nicht auf das bedingte Vermächtnis, wie es hier vorliegt, anwenden263. Analog zum zuvor vorgeschlagenen Verständnis bei Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17) kann das Vermächtnis dennoch ab initio als gültig angesehen werden. Denn aus dem zeitlichen Blickwinkel von t0 ist es ohne weiteres möglich aber nicht notwendig, dass B1 ausfallen wird. Demnach betrachtet Julian im vorliegenden Text nicht die Frage der Gültigkeit, sondern untersucht die Wirksamkeit der potentiell miteinander konkurrierenden Verfügungen des Erblassers. Der Sklave gelangt aufgrund des Testaments frühestens mit der aditio zu t2 zur Freiheit, falls B1 bis dahin bereits eingetreten sein sollte. Zur Unterstützung der folgenden Überlegungen lässt sich die soweit beschriebene Situation mit Hilfe eines Entscheidungsbaums übersichtlich festhalten:

261

Vgl. Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Bd. 5, S. 538: „[..] so erhält auch die [Anwartschaft auf die] bedingt angeordnete Freiheit im Zeitpunkt des Erbantritts Wirksamkeit“. 262 So auch bei Voci, Bd. II, S. 572; zum dies cedens siehe Kaser (1971), S. 752. 263 Kaser (1971), S. 755; Flume (1991), S. 26.

212

Kap. 4: Modallogik B1 = 1

EL Testament

t0

Tod

t1

Sklave wird frei

statuliber aditio

t2

B1 = 0 s1

Sklave fällt an Erben

Es gilt nun das Verhalten des Vermächtnisses in dieses Bild zu integrieren. Julian stellt am Ende von § 9 fest, dass das Vermächtnis erst nach seinem dies­ cedens durch das in Kraft treten der statuta libertas unwirksam werden kann: legatum quoque non ante peremi potest, quam dies cesserit eius264. Diese Formulierung werde im Folgenden als Aussage A 2 bezeichnet. Für den Zeitpunkt t* dieses in Kraft Tretens (vires accipere) gilt somit t* ≥ s2. Falls Julian der „teoria della contraria condicio“ gefolgt ist, kann der Verfallstag des Vermächtnisses nicht vor Klärung des Eintritts oder Ausfalls von B1 eintreten. Somit gilt auch s2 ≥ s1. Talamanca folgert daraus, dass mit vires accipere nicht der tatsächliche Gewinn der Freiheit durch den Sklaven bei Eintritt von B1 gemeint sein könne265. Diese Folgerung ist nicht schlüssig, denn t* = s2 = s1 ist nach Julians Text sehr wohl möglich. In diesem Fall präsentierte sich die Situation sogar sehr einfach und einsichtig. Weiter kann nach Talamanca „offensichtlich“ einerseits t* < s2 und andererseits s2 < s1 gelten. Zusammen mit Julians Aussage A1266 steht t* < s2 jedoch im Widerspruch zu seiner Aussage A2267. Die Aussage A2 könnte wie folgt verstanden werden. Nach der „teoria della contraria condicio“ tritt die Wirksamkeit des Vermächtnisses nur ein, wenn B2 ∧ ¬B1 = 1 gilt. Dies lässt sich bereits verneinen, sobald entweder B2 = 0 oder ¬B1 = 0 feststeht. Ersteres kann während der ganzen Zeit [t1, s2] geschehen, unabhängig davon, was auf der Seite des Sklaven geschieht. Mit B2 = 0 wird das Vermächtnis zweifellos hinfällig. Mit B1 = 1 gelangt aber der Sklave im Zeitpunkt s1 endgültig zur Freiheit und fällt somit als Gegenstand des Vermächtnisses aus. Wäre das Vermächtnis zu t = s1 noch wirksam, konkurrierte es mit der Freiheit. Die Situation wird vermieden, wenn Julians Aussage A1 schon vorher oder genau zu t = s1 eintritt. Dies führt zurück auf die Frage, worauf sich vires accipere genau bezieht: t* ≤ s1. Wird A1 so interpretiert, dass der Sklave mit dem Eintritt von B1 tatsächlich die vom Erblasser im Testament angeordnete Freiheit erlangen muss, gilt schlicht t* = s1. Dann bliebe fraglich, wie die zitierte Definition Julians von vires accipere aus Iul. Pal. 465.2 (D. 33,5,9,2) zu verstehen ist, wonach im Allgemeinen als t* = t2 264

Soweit Talamanca (1961), S. 21. Talamanca (1961), S. 21: „ciò che escluderebbe il vires accipere della statuta libertas, se questo dovesse intendersi come l’acquisto della liberta al momento dell’avverarsi della condicio“. 266 statuta libertas peremit legatum cum vires accipit. 267 legatum quoque non ante peremi potest, quam dies cesserit eius. 265

E. Erbrecht

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zu lesen ist. Allenfalls ließe sich tempore aditae hereditatis mit „ab dem Zeitpunkt des Erbschaftsantritts“ übertragen268. Dies passt wiederum nicht mit dem eindeutigen Sinn dieses Ausdrucks aus Iul. Pal. 199 (D. 35,2,83) zusammen269. Auch hätte Julian, wenn diese Interpretation zutreffen sollte, präziser schreiben können, dass legatum tunc peremit 〈si condicio statutae libertatis existit〉. Dies könnte dann so verstanden werden, dass das Vermächtnis mit dem Eintritt von B1 im Zeitpunkt s1 rückwirkend auf den Zeitpunkt t2 der aditio vernichtet würde. Würde umgekehrt B1 nach t2 ausfallen, könnte das Vermächtnis noch gerettet werden, dessen dies cedens dann ja noch nicht eingetreten wäre. In Aussage A1 fällt immerhin noch die Kombination des Präsens „vires accipit“ mit dem Perfekt „tunc peremit“ auf. Bleibt „vires accipit“ auf den Beginn der statu­libertas bezogen, kann dies einfach so gedeutet werden, dass das Vermächtnis dadurch gewissermaßen vor einer „logischen Sekunde“ vernichtet worden ist, damit es zu keiner Konkurrenz kommt. Das bisher Erreichte ist schließlich noch mit der Aussage A2 in Einklang zu bringen: legatum non ante peremi potest, quam dies cesserit eius. Dass die Wirksamkeit der Freilassung nicht vor s2 eintreten können soll, ist unpraktisch, da der Zeitpunkt s2 nicht zwingend durch eine gesetzte Frist bestimmt sein muss und a priori unabhängig von der angeordneten Freilassung ist. Außerdem macht es keinen Sinn, den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Freilassung vom Tag des Eintritts oder Ausfalls der Bedingung eines Vermächtnisses abhängig zu machen, welches von ebendieser Freilassung aufgehoben wird. Folglich muss der Verfallstag des Vermächtnisses auf den Zeitpunkt t2 der aditio vorgezogen werden können. Bezeichne dazu B3 die Aussage, dass die statuta libertas wirksam wird. Damit lässt sich die Wirksamkeit des Vermächtnisses von der Kombination aus der expliziten Bedingung B2 und der impliziten Bedingung B3 abhängig darstellen: B2 ∧ ¬B3. Im Zeitpunkt t* = t2 gilt B2 ∧ ¬B3 = 0. In diesem Sinn fällt der Verfallstag des bedingten Vermächtnisses wie gewohnt auf den Zeitpunkt der Prüfung des Bedingungseintritts und hier auf t* = t2. So erklärte sich nicht nur Julians letzter Satz aus § 9. Auch sein erster Satz bekäme eine neue Tonalität. Er wäre nur noch als rhetorischer Einstieg zu verstehen, welcher den Rückzug des Verfallstags auf t* = t2 motiviert. Da mit dem Verfallstag die Schwebe einer Bedingung beendet wird, ist vorliegend B2 bereits nicht mehr schwebend, wenn der Sklave zum statuliber wird270. 268 Vgl. Iul. Pal. 10 (D. 5,1,25): „Si legationis tempore quis servum vel aliam rem emerit [..]“. Hier handelt es sich jedoch klar um einen Zeitraum und nicht um einen bloßen Zeitpunkt. 269 Siehe Fn. 260. 270 Vgl. die ähnliche Situation des § 10 aus Iul. Pal. 464: „A filio impubere legatus et  a­ substituto liber esse iussus, si quidem pupillus ad pubertatem pervenerit, ab eo cui legatus fuerat vindicabitur: mortuo vero pupillo libertas competit. Longe magis hoc servari conveniet, si idem servus sub condicione ab impubere legatus fuerit et pendente condicione filius intra pubertatem decesserit“. Hier sieht selbst Talamanca (1961), S. 35, die Anwendbarkeit der für § 9 kritisierten „teoria della contraria condicio“ gegeben („appare inubbiamente piu giustificata“).

214

Kap. 4: Modallogik

Nach dem hier vorgestellten Verständnis hebt also bereits eine im Zeitpunkt des Antritts eines Erben mit dem Eintritt in die selbst unbedingte statulibertas entstehende „Anwartschaft“ des Sklaven auf den Gewinn der Freiheit ein konkurrierendes Vermächtnis auf. Wenn auch der Begriff der „Anwartschaft“ strittig ist, zeitigt diese faktische Möglichkeit des Sklaven, durch eigenes Zutun frei zu kommen, durchaus rechtliche Auswirkungen, gewissermaßen als „Vorwirkung“ der möglicherweise tatsächlich eintretenden libertas. 6. Iul. Pal. 465.2 (D. 33,5,9,2 – Iul. 32 dig.) In eodem casu quaesitum est, si optione servorum data, antequam optarem, condicio statutae libertatis defecisset, an Stichum optare possim. Puto Mucianae sententiae adsentiendum, qua placet ipsa libertate legatum peremi, non datione statutae libertatis: quare sive vivo testatore sive post mortem eius et ante aditam hereditatem condicio statutae libertatis defecerit, legatum erit utile: nam sicut pura libertas, ita statuta libertas aditae hereditatis tempore vires accipit. Ideoque Stichum optare possum.

In demselben Fall wurde gefragt, ob ich beim Wahlvermächtnis eines Sklaven den Stichus wählen kann, wenn die Bedingung der angeordneten Freilassung ausfällt, bevor ich gewählt habe. Ich denke, man muss der Meinung des Mucius beitreten, die sich dafür ausspricht, dass [allein] die Freiheit selbst das Vermächtnis vernichte, nicht [schon] ihre [bloße] Anordnung. Wenn deshalb, sei es zu Lebzeiten des Erblassers, sei es nach dessen Tod und vor dem Erbschaftsantritt, die Bedingung, unter der die Freiheit angeordnet wurde, ausfällt, wird das Vermächtnis gültig sein. Denn so wie die unbedingte Freiheit erhält auch die bedingt angeordnete Freilassung ihre Wirksamkeit erst vom Zeitpunkt des Erbschaftsantritts an. Und daher kann ich den Stichus wählen.

a) Zur quaestio Die Stelle vervollständigt die erste Hälfte des Fragments Iul. Pal. 465 (D. 33,5,9), welche in Kapitel 3 bereits besprochen wurde: in eodem casu. Hintergrund ist ein Wahlvermächtnis über merhere Sklaven, unter denen sich ein bedingt freigelassener Stichus befindet. Gefragt wird, ob der Bedachte den Stichus wählen dürfe, wenn die Bedingung seiner Freilassung zuvor ausgefallen ist. Julian schließt sich einer zitierten Meinung Scaevolas an, wonach nicht schon die Anordnung der Freilassung, sondern erst die Freiheit selbst ein Vermächtnis aufhebe. Die Stelle erlaubt es, das in der Exegese zu Iul. Pal. 464.9 (D. 30,89,9) gesagte nochmals kritisch zu prüfen. Die Besonderheit liegt hier darin, dass kein bestimmter Sklave vermacht wurde, sondern dem Vermächtnisnehmer im Rahmen eines legatum optionis das Recht eingeräumt wurde, einen einzelnen aus einer Mehrheit von Sklaven auszuwählen. Richtet der Vermächtnisnehmer seinen Blick ausge-

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rechnet auf den bestimmten, bedingt freizulassenden Sklaven, kann es wie vorhin zu einer Konkurrenzsituation zwischen den testamentarischen Verfügungen kommen, die es aufzulösen gilt271. Julian zitiert eine Meinung von Mucius Scaevola: ipsa libertate legatum peremi, non datione statutae libertatis. Dies scheint nicht mit dem zuvor entwickelten Verständnis übereinzustimmen. Talamanca lehnt den Gedanken ab, dass „libertas“ fälschlicherweise aus „statu libertas“ verkürzt worden wäre272. Seiner Meinung nach würde Julian Scaevolas Regel nur mittelbar als Parallele zwischen libertas und statu libertas auf den vorliegenden Fall anwenden. Voci sieht im letzten Satz eine Vermischung der divergierenden Argumente Scaevolas und Julians273. b) Beitrag der Logik Die Bedingung B1 der Freilassung ist im Testament explizit gegeben. Fällt B1 post mortem [testatoris] et ante aditam hereditatem, also im Zeitraum [t1, t2) oder auch vivo testatore bereits vor t1 aus274, so bleibt das Vermächtnis nach Julian „gültig“: legatum utile erit. Passiert bis dahin noch nichts, wird der Sklave im Zeitpunkt t2 der aditio eines Erben zum statuliber. Zur Möglichkeit, dass das Vermächtnis auch nach der aditio gültig oder wirksam sein könnte, sagt Julian nichts explizit. Nur vor der aditio verhindere die bloße Anordnung der Freilassung (datio statutae libertatis) im Testament nicht, dass der Sklave vermacht werden könnte. Danach steht diesem Ergebnis bei der unbedingten die tatsächlich erlangte Freiheit, bei der bedingten die „Anwartschaft“ auf die Freiheit entgegen275. Soweit stimmt dies mit dem für Iul. Pal. 464.9 (D. 30,89,9) entwickelten Verständnis überein. Im vorliegenden Fall wird jedoch gar nicht nach der Gültigkeit oder der Wirksamkeit des Wahlvermächtnisses gefragt, welches sich naturgemäß nicht nur auf den bedingt freigelassenen Stichus allein, sondern auf eine Mehrheit von Sklaven bezieht. Untersucht wird die Ausführung der optio, sollte sie sich gerade auf ihn konkretisieren: condicio statutae libertatis defecisset, an Stichum optare possim [..] possum. Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass, falls B1 = 0 zum Zeitpunkt t = s1 eintritt, Stichus ausgewählt und vermacht werden kann. Julian sagt nirgends, dass die Wahl von Stichus vor t2 erfolgen müsse. Gleichzeitig ist wie zuvor s1 ≥ t2 möglich. Die „Anwartschaft“ des statuliber auf die Freiheit vermag somit 271

Für Details zum legatum optionis siehe die Exegese vorne, Kap. 3 E. 3. Talamanca (1961), S. 29. Dieser Begriff findet sich bei Julian ohnehin nicht. 273 Voci, Bd. II, S. 575: „Ma questo non può essere il pensiero di Giuliano, che in caso di sostituzione pupillare, lascia valido il legato anche dopo l’acquisto dell’eredità da parte del pupillo, cioè dopo il momento a partire del quale, secondo il brano ora riferito, il legato stesso sarebbe invalido“. 274 Dies würde auch schon in Iul. Pal. 464.9 (D. 30,89,9) gelten, konnte dort aber vernachlässigt werden. 275 Vgl. den letzten Satz in Ulp. 40,7,2 pr. zitiert in Kap. 4 E. 5. 272

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Kap. 4: Modallogik

ein breit gefasstes Wahlvermächtnis nicht wie ein gewöhnliches, nur auf den einen Sklaven gerichtetes Vermächtnis zu vernichten. Der Sklave Stichus fällt bei Ausfall der Bedingung seiner Freiheit in diesem Fall nicht definitiv an den Erben, sondern zunächst in die Mehrheit der zur Wahl stehenden Sklaven zurück und gelangt anschließend allenfalls an den Vermächtnisnehmer276. Das Zitat von Scaevola erscheint so nicht als Vorbehalt zur Idee einer Vorwirkung der „Anwartschaft“ des statuliber auf die Freiheit. Julians Lösung wendet sich nicht gegen die Interessen des Sklaven, der bei Ausfall der Bedingung B1 nicht freikommt, sondern gegen die des Erben. Wenn die in der vorgeschlagenen Konstruktion inhärente Bevorzugung des Sklaven während der Schwebe der Bedingungen auf den favor libertatis zurückgeht, gibt es keinen Grund, auch den Erben selbst zu bevorzugen. 7. Iul. Pal. 596 (D. 40,7,20,3 – Paul. 16 ad Plaut.)

277

Is, cui servus pecuniam dare iussus est ut liber esset, decessit. Sabinus, si decem habuisset parata, liberum fore, quia non staret per eum, quo minus daret. Iulianus autem ait favore libertatis constituto iure hunc ad libertatem perventurum, etiamsi postea habere coeperit decem. Adeo autem constituto potius iure quam ex testamento ad libertatem pervenit, ut, si eidem et legatum sit, mortuo eo cui dare iussus est ad libertatem quidem perveniet, non autem et legatum habiturus est: idque et Iulianus putat, ut in hoc ceteris legatariis similis sit. Diversa causa est eius, quem heres prohibet condicioni parere: hic enim ex testamento ad libertatem pervenit.

276

Derjenige, dem der Sklave Geld zu geben aufgetragen wurde, um freigelassen zu werden, ist gestorben. Sabinus [sagt], wenn er die zehn beisammen gehabt hätte, würde er frei werden, weil es nicht an ihm liegt, dass er sie nicht gibt. Julianus jedoch sagt, dieser werde wegen der aus dem Recht entwickelten Begünstigung der Freiheit zur Freiheit gelangen, auch wenn er [erst] später begann, die zehn beisammen zu haben277. So sehr gelangt er mehr durch das entwickelte Recht als durch das Testament zur Freiheit, dass, wenn demselben auch etwas vermacht worden wäre, er, nachdem der gestorben ist, dem er etwas hätte geben sollen, zwar zur Freiheit gelangt, das Vermächtnis aber nicht auch erhält. Dies meint auch Julian, sodass er in diesem [Punkt] den übrigen Vermächtnisnehmern gleich ist. Ein anderer Fall liegt bei dem vor, der vom Erben gehindert wird, die Bedingung zu erfüllen. Denn hier gelangt er durch das Testament zur Freiheit.

Dies wird bei Talamanca (1961), S. 26 ff. nicht deutlich. Die Übersetzung ist heikel und geht mit der Interpretation einher. Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 4, S. 197: „[..] auch wenn er erst nachher die zehn erhalten habe“; Scott: „[..] even if the money was paid after his death“. 277

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a) Zur quaestio Die Stelle stammt aus Paulus’ Kommentar zu Plautus und wurde unter Justinian in den Titel D. 40,7 „de statuliberis“ aufgenommen. Lenel ordnet die Stelle als Iul. Pal. 596 kurz nach dem in Kapitel 3 besprochenen Fragment Iul. Pal. 594 ein, in dessen pr. es um die Auslegung von testamentarischen Verfügungen ging. Ein Erblasser hat einem Sklaven aufgetragen, dem Erben oder einem Dritten die Summe von 10 zu zahlen, damit er zur Freiheit gelangt. Bevor es jedoch zur Auszahlung kommen konnte, ist diese Person verstorben, sodass dem Sklaven die Erfüllung der Bedingung unmöglich geworden ist. Sabinus war der Ansicht, dass der Sklave trotzdem frei werden würde, sofern er aktuell die geforderte Summe verfügbar hat und auszahlen kann. Julian hingegen spricht sich dafür aus, dem Sklaven die Freiheit auch dann zu gewähren, wenn er erst später die nötige Summe beisammen hat. Dies begründe sich nicht aus dem vermuteten Willen des Erblassers, sondern allein aus den vom Recht entwickelten Grundsätzen. Wird der Sklave jedoch vom Erben an der Erfüllung der Bedingung gehindert, gelange er Kraft des Testaments zur Freiheit. Nach Starace stützt sich die Argumentation von Sabinus auf die vermutete Absicht des Erblassers und bewegt sich damit auf der Ebene des Testaments als Rechtsgeschäft278. Der Umstand, dass der Sklave im Zeitpunkt des Todes des vorgesehenen Empfängers über die geforderte Summe verfügte, ließe sich im Prozess als konkrete Tatsache sicherstellen. Julian ruft den favor libertatis an und lässt auch einen späteren Zeitpunkt genügen: etiamsi postea habere coeperit decem. Diese Voraussetzung ist in der Literatur kritisch beurteilt und teilweise als „unlogisch“ verworfen worden. Grosso will sie als unnötig und unlogisch streichen279. Bund beschränkt sich darauf, Julians vorsichtige Anwendung des favor libertatis auf einen Einzelfall herauszustreichen280. Für Liebs stimmt sie nicht mit den übrigen zeitgenössischen Quellen zu diesem Thema überein. Es handle sich vielmehr um eine erst von den Kompilatoren eingefügte Neuerung. Kern der Stelle sei einzig der letzte, allgemein gehaltene Teil, wonach der Sklave freikomme, sofern es nicht an ihm gelegen hat, dass die Bedingung nicht eintreten konnte281. Starace spricht sich für die Echtheit der Stelle insgesamt aus, wie es scheint, ohne auf Julians spezifische Voraussetzung weiter im Detail einzugehen282. Ihr Augemerk galt dem labilen Gleichgewicht zwischen Wirkung des zivilrechtlichen Testaments und dem in der Rechtsfortbildung im steten Diskurs von den Juristen entwickelten ­favor libertatis zur Korrektur eines strengen Zivil-

278

Starace, S. 226. Grosso (1930), S. 7 ff. 280 Bund (1965), S. 60 f. 281 Liebs (1964), S. 69. 282 Starace, S. 221. Siehe die Fn. 27 bei Pennitz S. 259, wonach dieser Beleg auch nicht von Julian, sondern von Paulus stammen könnte, welcher die Kontroverse zusammenfasse. 279

218

Kap. 4: Modallogik

rechts283. Anders als Sabinus habe Julian die Verknüpfung von Bedingung und voluntas des Erblassers aufgelöst. Der favor libertatis reiche ihm als Grundsatz über den Einzelfall eines Testaments hinaus. Diese Korrektur sei aber immer noch konservativ genug, um die Struktur des herkömmlichen Rechts nicht zu sprengen. Die als Ergebnis iure constituto verfestigte Regel284 zum fiktiven Bedingungseintritt im allgemeinen Fall finde sich bei Hermogenian wieder285. Auffallend ist, dass die von Paulus angesprochene Voraussetzung Julians bei Hermogenian nicht mehr vorkommt. Der bedingt freigelassene Sklave wird frei, wenn er zum gegebenen Tag vollständig über die geforderte Summe verfügt: „Si cum cesserit dies pecuniam condicioni comprehensam statuliber habuerit“. Relativ summarisch und ohne weitere Feinheiten entscheiden sich alle an der Diskussion beteiligten Juristen dafür, dem Sklaven für den besonderen Fall, dass ein Erbe den Bedingungseintritt durch eigenes Handeln verhindert, die Freiheit aus dem Testament selbst, also zivilrechtlich, zuzusprechen286. Nicht betrachtet werden allgemeine, unvorhersehbare Ereignisse, die den Sklaven an der Erfüllung hindern. Starace sieht den allgemeinen Fall schon in Iul. Pal. 596 enthalten, was nicht ganz eindeutig erscheint287. Sicher zutreffend ist hingegen ihr Hinweis auf eine generisch gehaltene Stelle von Julians Zeitgenossen Maecenatus288. Aus methodischer Sicht zumindest bedenkenswert ist der Einwand Donatutis, dass eine so abstrakt formulierte Aussage für das 2. Jh. n. Chr. ungewöhnlich gewesen wäre289.

283 Starace, S.  221 f. Nach Pennitz, S.  253 f. wird der favor libertatis in klassischer Zeit häufig als Begründung für innovative Entscheidungen angerufen (mit Verweis auf Tryph. D. 49,15,12,7–9), er stelle in bestimmten Kontexten aber bereits ein etabliertes Rechtsprinzip dar. 284 Starace, S. 236, 239. Zum Begriff des ius constitutum und seiner Bedeutung als Rechtsfortbildung siehe Starace, S. 67 ff. und Giaro (1994), S. 70. 285 Herm. D. 35,1,94 pr.: „Cum ita datur libertas: ‚Si Titio‘ (qui non est heres) ‚decem dederit‘, certa persona demonstratur ac propterea in personam eius tantum condicio impleri potest. Sane si cum cesserit dies pecuniam condicioni comprehensam statuliber habuerit, iure constituto nulli dando consequitur libertatem. Diversa causa est legatarii, in cuius persona placuit condicionem deficere, si, antequam dederit legatarius pecuniam, Titius­ moriatur“. 286 Letzter Satz in Iul. Pal. 596; vgl. vereinfacht Iul. D. 35,1,24 und parallel Ulp. D. 50,17,161. 287 Starace, S. 230. 288 Maec. D. 40,4,55 pr.: „Libertate sub condicione data huc iam decursum est, ut, si per statuliberum non stet, quominus condicioni pareat, quamvis ne per heredem quidem stet, tamen ad libertatem perveniat. Quod credo responderi oportere et si per fideicommissum­ utique hereditariis servis libertas data fuerit“. 289 Donatuti (1937), S. 95 mit Verweis auf die Konstitution C. 6,46,6, welche die Frage umfassend regelte.

E. Erbrecht

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b) Beitrag der Logik Es werde angenommen, der Sklave habe einer bestimmten Person X die Summe von 10 zu geben. Stirbt X zu einem Zeitpunkt t*, gilt für alle Zeiten s ≥ t*, dass sein Tod als externer Faktor den Eintritt der geforderten Bedingung unmöglich macht. Da der Zeitpunkt des Todes zum Zeitpunkt t0 der Errichtung des Testaments noch nicht sicher feststand, bleibt die Verfügung nach den bisherigen Überlegungen gültig. Nur eine von Beginn weg aus ihrer Natur heraus unmöglich zu erfüllende Bedingung müsste zur Ungültigkeit bzw. zu ihrer Streichung führen290. Hier wird die Bedingung erst nachträglich unmöglich. Unter den geänderten Umständen bleibt also nur zu prüfen, ob der Sklave bereits Anstalten gemacht hat, dafür zu sorgen, dass der Eintritt der Bedingung nicht als „einfach falsch“ zu bewerten ist291. Gelingt es ihm noch nach t*, das Geld zu beschaffen ([si] postea habere coeperit decem), will ihm Julian die Bedingung als erfüllt anrechnen. Obwohl in der Stelle nicht angesprochen, ist das Geld wohl in der Folge den Erben des X auszubezahlen292. Das „überholende“ Ereignis des Todes von X kann nicht dem Sklaven zu­ gerechnet werden, sodass keine Veranlassung besteht, seine „Anwartschaft“ auf die Freiheit frühzeitig zu beenden. Diese Unterscheidungen, die großzügiger sind als bei der von Sabinus vorgeschlagenen Lösung, fallen sehr schön in die Abgrenzungen der Definition der Unmöglichkeit nach Chrysippus und schöpfen ihren Spielraum vollständig aus. 8. Zwischenergebnisse Im Testament konnten nach klassischem Recht bedingte und unbedingte Anordnungen miteinander kombiniert werden293. Daraus erklärt sich nach Flume, dass bei der Anordnung eines bedingten Legats  – anders als bei der bedingten Stipulation – Rechtswirkungen bereits vor Eintritt der Bedingung eintreten konnten294. Die zuletzt besprochenen Texte können diese Sicht nur bestätigen. Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden: erstens die Frage nach der Gültigkeit ab initio bedingter oder unbedingter Anordnungen im Testament, zweitens die Frage nach der Wirksamkeit solcher Anordnungen. Bei der Frage nach der Gültigkeit unbedingter, auf den dies mortis bezogener und mit ihm wirksam werdender Legate konnte die regula Catoniana zu Rate gezogen werden295. Bei bedingten Anord-

290

Kolonne 1' der Tabelle in Kap. 4 B. 2. Kolonne 3' der Tabelle in Kap. 4 B. 2. 292 Siehe den Hinweis von § 4 auf ein Reskript Hadrians: „Heredi autem iussum dare etiam heredis heredi dare posse divus Hadrianus rescripsit: et si hoc sensit testator, etiam in legatario idem dicendum est“. 293 Flume (1975), S. 70 f.; anders das byzantinische Recht: Legier, S. 354 f. 294 Flume (1975), S. 103. 295 Hierzu nochmals Flume (1991), S. 26. 291

220

Kap. 4: Modallogik

nungen passt diese Regel nicht. Die Bedingung führt wie schon im schuldrechtlichen Fall zu einer Periode der Unsicherheit betreffend zukünftige Ereignisse, zu einer Schwebe. Für die Gültigkeit war hier entscheidend, dass die mit der Bedingung verknüpften Ereignisse tatsächlich möglich waren (Iul. Pal. 520.1 (D. 30,91,1)). Um zu einer Entscheidung zu gelangen, mussten die möglichen zukünftigen Kausalverläufe gedanklich durchgespielt werden. Für die Wirksamkeit war wichtig, dass während der Periode der Unsicherheit keine vorläufigen Entscheidungen getroffen wurden, welche später möglicherweise nicht oder nur mehr schwer korrigiert werden konnten (Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17) und Iul. Pal. 464 (D. 30,89,9)). Die Schwebe hatte in allen besprochenen Texten wiederum nur einen faktischen Sinngehalt. In Iul. Pal. 489. 2 (D. 30,86,2) befand sich mit dem „Status“ des Sklaven nicht etwa ein rechtlicher Begriff, sondern als Zugehörigkeit zu einem bestimmten Haushalt eine wirtschaftliche oder soziale Zustandsbeschreibung in der Schwebe. Um die wirtschaftliche Zugehörigkeit ging es am gleichen Ort auch bei den Gegenständen, die in die Hände des Sklaven kamen. Dennoch konnte sich die Schwebe rechtlich auswirken, indem sie die Wirksamkeit eines anderen mit der bedingten Anordnung konkurrierenden Rechts hemmte oder die Eigentumsverhältnisse sogar rückwirkend geregelt wurden (Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17). Die mit einer Schwebe verbundenen Möglichkeiten konnten im Fall von Vindikations­ legaten so greifbar sein, dass sie als eine Art „Anwartschaft“ vererbt werden konnten (Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6)). Wenn die mit einem Schwebezustand verbundene „Anwartschaft“ aktiv oder passiv vererbt werden kann296, liegt eine besonders starke Form der rechtlichen Berücksichtigung vor. Für die klassische Zeit wird ganz allgemein angenommen, dass das bedingte Legat nicht vererbbar war297. Flume zufolge folge dies „mit Selbstverständlichkeit“, wenn die Bedingung auf den Rechtsakt als solchem statt auf das Rechtsverhältnis bezogen wird298. An dem Testament ist der Legatar nicht beteiligt299. Stirbt der Begünstigte eines bedingten Vermächtnisses vor Eintritt der Bedingung, so habe er „in der Tat nichts, was auf seinen Erben übergehen könnte“. Dies unterscheide die Sachlage beim bedingten Vermächtnis von jener der bedingten Stipulation, bei welcher der Erbe der verstorbenen Partei an deren Stelle treten und mit dem zusammen der Eintritt der Bedingung das bedingte Ge-

296 Die aktive Vererblichkeit betrifft die Seite des Gläubigers oder Berechtigten, die passive die Seite des Schuldners oder Verpflichteten. 297 Flume (1975), S.  103 f. Dies entspricht der Situation im aktuellen Recht nach § 2074 BGB. Auch im Schweizer Recht sind suspensiv bedingte Legate nicht vererbbar, was analog aus der entsprechenden Bestimmung von Art. 492 Abs. 2 ZGB für die Nacherbschaft abgeleitet wird. 298 Flume (1975), S. 104. Vgl. schon vorne, Kap. 4 A. 1. 299 So auch Legier, S. 360 ff. mit Verweis auf Ulp. D. 44,7,42 pr.

E. Erbrecht

221

schäft perfekt machen könne300. An der Vererblichkeit der bedingten Stipulation könne kein Zweifel bestehen, wie sich im Fall des legatum liberationis bei Julian in D. 36,2,19,3 und 4 ersehe301. D. 36,2,19,3 spricht die – in diesem Fall aktive – Vererblichkeit der bedingten Schuld des Vermächtnisnehmers zwar nicht direkt an302, doch findet sich die passive Vererblichkeit einer bedingten Stipulation allgemein in D. 45,1,57 belegt303. Die Begründung der Vererblichkeit der bedingten Stipulation über einen Parteiwechsel greift aber doch wohl gleichermaßen, wenn die Bedingung wie heute allgemein üblich auf das Rechtsverhältnis bezogen wird. Umgekehrt ist offen, in welche Stellung der Erbe eintreten sollte, wenn es vor Bedingungseintritt noch gar kein Rechtsverhältnis gibt. Setzt man den Beginn der vererbbaren „Anwartschaft“ aus einem Vermächtnis wie gewohnt auf den dies cedens, folgt aus dessen Verschiebung auf den Zeitpunkt der Entscheidung zum Bedingungseintritt unmittelbar, dass das bedingte Vermächtnis nicht vererbbar sein konnte304. Iul. Pal. 461 (D. 30,81,6) steht dazu nicht im Widerspruch, geht es dort doch ausschließlich um unbedingte Vindikationslegate. Julian konstruiert dort die Schwebe nicht um eine vom Erblasser gesetzte Bedingung, sondern um die Annahme oder Ablehnung des Vermächtnisses durch den Bedachten nach dem dies cedens. Das Argument der Schwebe ließe sich theoretisch auch auf bedingte (Vindikations-) Legate anpassen. Offenbar war Julian die bloße Möglichkeit, dass ein Vermächtnis wirksam werden könnte, außerhalb der Frage nach der ab initio Gültigkeit doch zu wenig konkret, um sie bereits vor dem dies cedens im Sinne einer Vererblichkeit rechtlich zu berücksichtigen. Eine besondere Behandlung erfuhr in Iul. Pal. 464 (D. 30,89,9) die statulibertas als „besonders fragile, intermediäre Stellung“ eines Menschen305. Von diesem Rechtsbegriff sagt Julian nirgends, dass er in der Schwebe sei. Es ist zwar richtig, dass die mit der Freilassung verknüpfte Bedingung in der Schwebe ist, die Stellung des bedingt Freigelassenen als solcher ist es jedoch nicht. Diese „fragile“ Stellung war immerhin so mächtig, dass sie ein mit ihr konkurrierendes Vermächtnis ab

300

Flume (1975), S. 104 weist darauf hin, dass Vassalli das Resultat für das Legat zwar direkt aus seiner These folgern konnte, dass bei bedingten Rechtsgeschäften vor Eintritt der Bedingung kein materielles Rechtsverhältnis bestehe, er damit aber nicht die unterschiedliche Behandlung der Stipulation erklären könne. 301 Flume (1975), S. 107 f. So auch Effer-Uhe, S. 86 ff. 302 Iul. D. 36,2,19,3: „Si debitori (quod sub condicione debet) legatum est, praesens legatum est agique ex testamento statim potest, ut liberatio praestetur, et, si post mortem testatoris decesserit, ad heredem transmittit actionem“. Nach Flume setzte Julian die Vererblichkeit als selbstverständlich voraus. 303 Iul. Pal. 45,1,57: „Si quis ‚si Titius consul factus erit, decem dari‘ spoponderit, quamvis pendente condicione promissor moriatur, relinquet heredem obligatum“. 304 Vgl. in diesem Sinn für die aktive Vererblichkeit Effer-Uhe, S. 85. Flume (1975), S. 104 schiebt diese Begründung beiseite, da sie nichts zur Stipulation aussagen könne. 305 Melillo, S. 99.

222

Kap. 4: Modallogik

dem Zeitpunkt der aditio zu vernichten vermochte, sofern sich dieses nicht wie in Iul. Pal. 465.2 (D. 33,5,9,2) auf alternativ zur Auswahl stehende Sklaven kon­ kretisieren konnte.

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium In der italienischen Literatur findet sich die Vermutung, wonach sich eine „Pendenz-Lehre“ schon in vorklassischer Zeit aus dem ius postliminium entwickelt haben könnte306. Das ius postliminium hatte den Zweck, dem glücklich aus der Kriegsgefangenschaft Zurückgekehrten grundsätzlich wieder seine alten Rechte (in statum pristinum restituere)  zu verschaffen307. Er sollte nicht nur seinen ursprünglichen Status308 wieder erhalten, sondern so weit möglich auch in seine alten Vermögensverhältnisse eingesetzt werden. Doch war es natürlich praktisch nicht möglich, während einer länger dauernden Abwesenheit Veränderungen im Vermögen des Betreffenden – auch in seinem eigenen Interesse – zu vermeiden. Das ius postliminium musste sich folglich mit den Fragen beschäftigen, wie diese faktischen Veränderungen rechtlich zu kontrollieren waren. Ohne die für das römische Recht weitgehend abgelehnte Annahme von „subjektiven Rechten“ ist dafür eine einheitliche Doktrin undenkbar309. Dies gab dem einzelnen Juristen die Gelegenheit, eigenständige und mehr oder weniger innovative Lösungen zu ent­wickeln, um die zwangsweise entstehende Unsicherheit rechtlich zu meistern. In diesem Abschnitt wird anhand einiger ausgewählter Stellen aus dem 62. Buch seiner Digesten untersucht, wie sich Julian dieser „Konstruktionsfrage“310 gestellt hat.

306

Ratti, II, S. 50 f. (im Neudruck S. 116 f.); Amirante (1962), S. 1; Solazzi (1963). Zum ius postliminium siehe die neueren Darstellungen von D’Amati, Cursi und Maffi. 308 Siehe Gai. 1,159 ff. 309 Vgl. Amirante (1962), S. 1 f. mit weiteren Hinweisen sowie Kaser (1971), S. 195, 225. Zu den Versuchen Rattis siehe vorne. 310 Vgl. dazu Kreller, S. 204: „[..] eine Konstruktionsfrage, die jeder Jurist nach seinem eigenen Gutdünken beantworten mochte“. 307

223

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

1. Iul. Pal. 759 (D. 28,6,28 – Iul. 62 dig.)

311 312

[0] Lex Cornelia, quae testamenta eorum qui in hostium potestate decesserunt confirmat311, non solum ad hereditatem ipsorum qui testamenta fecerunt pertinet, sed ad omnes hereditates, quae ad quemque ex eorum testamento pertinere potuissent, si in hostium potestatem non pervenissent

[0] Das Cornelische Gesetz, welches die Testamente derer, die in feindlicher Gewalt starben, bestätigt, betrifft nicht nur die Erbschaft derer, die Testamente machten, sondern alle Erbschaften, welche nur immer an jemanden aus ihrem Testamente hätten gelangen können, wenn sie [die Erblasser] nicht in feindliche Gewalt geraten wären.

[1a] quapropter cum pater in hostium potestate decessit filio impubere relicto in civitate et is intra tempus pubertatis decesserit, hereditas ad substitutum pertinet, perinde ac si pater in hostium potestatem non pervenisset. [1b] Sed si pater in civitate decessit, filius impubes apud hostes, si quidem mortuo patre filius in hostium potestatem pervenerit, non incommode dicitur hereditatem eius ex ea lege ad substitutos pertinere: [2] si vero vivo patre filius in hostium potestatem pervenerit, non existimo legi Corneliae locum esse, quia non efficitur per eam, ut is, qui nulla bona in civitate reliquit, heredes habeat. Quare etiam si pubes filius vivo patre captus fuerit, deinde mortuo in civitate patre in hostium potestate decesserit, patris hereditas ex lege duodecim tabularum, non filii ex lege Cornelia ad adgnatum proximum pertinet.

[1a] Nachdem deshalb der Vater in feindlicher Gefangenschaft einen unmündigen Sohn im Staat hinterlassend starb, und dieser vor Erreichen der Mündigkeit stirbt, so gelangt die Erbschaft an den Ersatzerben, so, als ob der Vater nicht in feindliche Gewalt geraten wäre. [1b] Wenn aber der Vater im Staat, der unmündige Sohn bei den Feinden starb, so wird nicht unpassend312 gesagt, dass, wenn der Sohn erst nach dem Tode des Vaters in feindliche Gewalt gekommen war, seine Erbschaft nach diesem Gesetz an die Ersatzerben falle. [2] Kam aber der Sohn bei Lebzeiten seines Vaters in feindliche Gewalt, meine ich nicht, dass dies ein Fall für das Cornelische Gesetz ist, weil dasselbe nicht bewirkt, dass jemand, der im Staat kein Vermögen hinterließ [nun] Erben habe. Deswegen wird dann, wenn ein mündiger Sohn bei Lebzeiten seines Vaters in Gefangenschaft geriet, und in feindlicher Gewalt starb, die väterliche Erbschaft nach dem Zwölftafelgesetze und nicht die des Sohnes nach dem Cornelischen Gesetze auf den nächsten Agnaten kommen.

a) Zu casus und quaestio Das Fragment stammt aus dem Titel „ad legem Corneliam: de captivis et postliminio“ des zweiten Teils von Julians Digesten, welcher den leges und SC gewidmet ist. In Lenels Palingenesia besteht dieses Buch aus den acht Fragmenten Iul. Pal. 757–764, welche einen kompakten Einblick in Julians Behandlung dieses besonderen Rechtsgebiets gestatten und deshalb kurz skizziert werden. 311 Vgl. Pauli Sententiae III 4a: „[..] hereditatesque firmantur“. 312 Scarano Ussani, S. 114 (Fn. 27) sieht in der Verwendung des „non incommode“ einen Hinweis auf das von ihm untersuchte Prinzip der utilitas communis.

224

Kap. 4: Modallogik

Iul. Pal. 757 (D. 23,2,11) behandelt die Frage, ob Söhne und Töchter von Kriegsgefangenen heiraten dürfen. Julian gibt dazu eine positive Antwort, insoweit sich Söhne und Töchter nach dem Verstreichen einer Wartefrist von drei Jahren313 verheiraten dürfen, falls angesichts des Charakters des Ehepartners das Einverständnis des Vaters als wahrscheinlich erscheint. Eine Begründung gibt Julian nicht, doch käme die gegenteilige Meinung einem Heiratsverbot gleich, was sowohl individuell als auch gesellschaftlich betrachtet unzweckmäßig gewesen wäre. Iul. Pal. 758 (D. 24,2,6) behandelt die gleiche Frage für die zurückgebliebenen Ehefrau. Hier sieht Julian eine vorsichtig auf fünf Jahre verlängerte Frist sowie die Erfordernis vor, dass es unsicher sein muss, ob der Mann noch am Leben ist. In diesem Fall sei die alte Ehe als „im Guten“ aufgelöst zu betrachten, sodass dem Mann, sollte er dennoch zurückkehren, zumindest seine Vermögensrechte erhalten bleiben. Auch hier zeigt sich ein vorsichtiges aber dennoch praktisch orientiertes Vorgehen Julians. Mit dem gleich zu besprechenden Iul. Pal. 759 (D. 28,6,28) geht Julian zu erbrechtlichen Fragen über. In Iul. Pal. 760 (D. 30,98) gestattet Julian, einen gefangenen Sklaven zu vermachen, da ein solcher ja sogar zum Erben eingesetzt werden dürfe314. In den drei Fragmenten Iul. Pal. 761–762 (D. 49,15,22 pr. – 4) behandelt Julian Veränderungen im Vermögen eines Kriegsgefangenen. In § 2 des ersten Fragments spricht Julian davon, dass der Status derjenigen, deren Väter in Kriegsgefangenschaft sind, in der Schwebe sei: status hominem, quorum patres in hostium potestate sunt, in pendenti est. In Iul. Pal. 763 (D. 49,15,22,4) geht es um die Stellung des posthum geborenen Kindes eines Kriegsgefangenen. Iul. Pal. 764 (D. 40,5,48) schließlich scheint nicht recht zum Thema des 62. Buches zu passen, behandelt das Fragment doch eine prozessuale Frage zum Recht der Freilassungen315. Für Lenel ist ein Fehler in der Inskription denkbar, sodass das Fragment tatsächlich ins 67. Buch gehörte316. Julians 62. Buch behandelt damit eine Reihe familien-, erb- und schuldrechtlicher Aspekte des ius postliminium. Damit wird der wesentliche, praktisch wohl bedeutsamste Kern des Themas angesprochen, eine umfassende Darstellung stellt das Buch hingegen nicht dar. So wird die komplexe Frage des Anwendungsbereichs auf einige Bemerkungen zur lex Cornelia in Iul. Pal. 759 (D. 28,6,28) beschränkt317.

313

Vgl. die „angemessene“ Frist in Iul. Pal. 716 (D. 46,3,13), abgedruckt in Fn. 879. Zur Behandlung des gefangenen Sklaven als res extra commercium siehe Harke (2006), S. 105. Nach Pomp. D. 19,1,55 unterliegt der gefangene Sklave dem Rechtsverkehr zumindest teilweise. In der Kriegsgefangenschaft erkennt Pomponius eine difficultas in praestando, die anders als eine difficultas in natura nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts, sondern zur Aufschiebung der Verurteilung des Schuldners führt. 315 Behandlung einer Auflage als Bedingung bei Kaser (1971), S. 259. 316 Siehe Lenel (1927), S. 471: „Videntur haec iniecta esse, eum Iulianus de lege aliqua ad manumissiones pertinente ageret. In inscriptione pro sexagensimo secundo (LXII) fortasse legendum est sexagensimo septimo (LXVII), quo libro legem Fufiam Caniniam tractasse“. 317 Zu dieser Frage, insbesondere zur Unterscheidung zwischen ius postliminium in bello/ in pace (vgl. dazu Pomp. D. 49,15,5.) siehe ausführlich die Monographie von Cursi. 314

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

225

Die um 80 v. Chr. vom Diktator Sulla318 erlassene lex Cornelia de captivis deutet den besonderen rechtlichen Schutz an, den die Römer der Freiheit ihrer Bürger zukommen ließen319. Während die Stossrichtung des allgemein gefassten ius postliminium dahin ging, einen aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Bürger grundsätzlich wieder in seine alten Rechte einzusetzen320, regelte die lex Cornelia als Spezialgesetz den besonderen Bereich des Testamentsrechts. Julian stellt seiner Besprechung in Abschnitt [0] die zentrale Bestimmung der lex Cornelia de captivis voran321. Sterben römische Bürger in Kriegsgefangenschaft, so werden ihre zuvor erstellten Testamente dennoch als gültig angesehen. Das Gesetz erstreckt sich jedoch auch auf sämtliche Erbschaften, die durch ein unter solch widrigen Umständen entstandenes Testament begründet werden. Als erste Anwendung dieser Folgerung entfaltet in Abschnitt [1a] eine von einem Vater angeordnete Ersatz­erbschaft ihre gewohnten Wirkungen, wenn der Vater in Gefangenschaft und der unmündige Sohn in Freiheit sterben. Dies gilt auch im umgekehrten Fall von Abschnitt [1b], solange der unmündig gestorbene Sohn erst nach dem Tod in Freiheit seines Vaters in Gefangenschaft fällt. Gerät er aber, wie in Abschnitt [2] erläutert, noch zu Lebzeiten seines Vaters in Gefangenschaft, so ist sein Fall nicht nach der lex Cornelia, sondern nach den üblichen zivilrechtlichen Regeln zu beurteilen. Die in Abschnitt [0] als Ausgangspunkt von Julian zitierte Bestimmung der lex arbeitet mit der Fiktion, dass der Erblasser schon im Zeitpunkt seiner Gefangenschaft gestorben sei (fictio legis Corneliae). Bund zufolge griff der Gesetzgeber zu einer Fiktion, um den zivilrechtlichen Grundsatz, dass Testamente nur dann gültig seien, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes über das römische Bürgerrecht verfügte, nicht zu durchbrechen322. Das Gesetz findet aber nicht nur Anwendung auf Testamente, die von in Gefangenschaft geratenen Erblassern errichtet worden sind, sondern es strahlt Julian zufolge in den beiden Fällen von Abschnitt [1] auch auf Ansprüche von Erben aus. Wesel nennt deshalb die Stelle als Beispiel für eine extensive Gesetzesauslegung323. Hingegen zeigt der Fall von 318

Lucius Cornelius Sulla Felix (138–78 v. Chr.; römischer Diktator 81/82 v. Chr.). Hermann-Otto, S. 178. 320 Kaser/Knütel, S. 93 (Rz. 17); Maffi, S. 17. Paulus definiert den wesenntlichen Kern des ius postliminium in D. 49,15,19 pr wie folgt: „postliminium est ius amissae rei recipiendae ab extraneo et in statum pristinum restituendae inter nos ac liberos populos regesque moribus legibus constitutum“. 321 Lex Cornelia de captivis; vgl. Pauli Sententiae III, 4a, Jav. D. 28,3,15; 35,2,1,1; 38,2,4,1; 38,16,1 pr. und Gai. 1,129: „Quodsi ab hostibus captus fuerit parens, quamuis servus hostium fiat, tamen pendet ius liberorum propter ius postliminii [..]“. Nach Bund (1965), S. 130 hält sich Julian hier wohl eng an den Wortlaut der lex. Voci, Bd. I, S. 568 (Fn. 157) schlägt als Wortlaut vor: „Eorum qui ab hostibus capti t. factionem amiserunt, testamenta firma sunt ac si in civitate decesserint“. Hinweise auf weitere Rekonstruktionen finden sich bei Wesel (1967), S. 55. Vgl. auch Ulp. D. 49,15,18: „In omnibus partibus iuris is, qui reversus non est ab hostibus, quasi tunc decessisse videtur, cum captus est“. 322 Bund (1965), S. 130. 323 Wesel (1967), S. 55 f. Vgl. auch Bund (1965), S. 131. 319

226

Kap. 4: Modallogik

Abschnitt [2], dass Julian darauf bedacht war, dieser breiten Auslegung Grenzen zu setzen. Einen erklärenden Hinweis gibt Julians Zusatz „qui nulla bona in civitate reliquit“, der sich auf den Sohn bezieht. Die lex schützt ihrem Sinn nach die Kombination aus Freiheit und Vermögen. Als noch in der potestas seines Haus­ vaters stehender Freigeborener konnte der Sohn kein Vermögen erwerben und kein eigenes Testament errichten. Ohne die Korrektur des Spezialgesetzes verliert der Sohn nach Zivilrecht sein Anrecht auf die Erbschaft seines Vaters324. Der rechtliche Schutz des hohen Guts der Freiheit gilt nicht schrankenlos. Dies, obwohl der Verlust der Freiheit für den Sohn als ingenuus eine wesentliche Veränderung darstellt, durch die er in den Sklavenstand eintritt325. b) Beitrag der Logik Die Regelung der lex Cornelia richtet sich – wie Julian zeigt – nach den verschiedenen möglichen, zukünftigen Abläufen der Ereignisse. Dies lässt sich anschaulich mit Hilfe von Entscheidungsbäumen darstellen326. Im ersten Fall des Abschnitts [1a] ergibt sich folgendes Bild: frei: † Sohn zu t2+ frei X unfrei

unfrei frei Unfrei: † Vater

t0

t1

t2

Der Vater stirbt in Gefangenschaft (t2). Erst später (t2+) stirbt sein Sohn un­ mündig aber in Freiheit. Die lex knüpft am unteren Ast des Entscheidungsbaums bei den Ereignissen an, die den Vater betreffen. Durch die gesetzliche Fiktion wird mit der Gefangenschaft des Vaters der untere Ast ignoriert. Die vom Vater an­geordnete substitutio wird entsprechend von t0 ausgehend entlang der Ereignisse des oberen Astes betrachtet. Entsprechend behält sie wie gewohnt ihre Gültigkeit. Der zweite Fall aus Abschnitt [1b] stellt das Gegenstück zum ersten dar. Hier ist nicht der Erblasser in Gefangenschaft geraten, sondern sein Sohn und Erbe:

324

Vgl. Iul. Pal. 76 (D. 50,17,62). Siehe die Definition in Inst. 1,3,3: „Servi ex eo appellati sunt, quod imperatores captivos vendere ac per hoc servare nec occidere solent“. 326 Siehe dazu vorne, Kap. 4 B. 3. 325

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

227

frei: † Vater X

frei

unfrei

unfrei: † Sohn t0

t1

t2

Entscheidend für die Anwendung der lex Cornelia ist der Umstand, dass der Sohn erst nach dem Tod seines Vaters in Gefangenschaft geriet (t1+). Mit der Fiktion, dass der Sohn als zweiter Erblasser schon zu diesem Zeitpunkt gestorben ist, kann die substitutio erneut ihre vorgesehene, zeitlich gestaffelte Wirkung entfalten, und die Erbschaft gelangt nach dem Tod des Sohnes an den Ersatzerben (t2). Dass die Fiktion nicht auf den Vater, sondern auf den Sohn angewandt wird, kann, wie von Wesel vorgeschlagen327, als Ausdehnung des Anwendungsbereichs der lex interpretiert werden. Im dritten Fall aus Abschnitt [2] verliert der Sohn noch zu Lebzeiten des Vaters seine Freiheit (t1), verstirbt aber erst nach seinem Vater (t2+): frei: † Vater frei X unfrei

unfrei frei unfrei: † Sohn zu t2+

t0

t1

t2

Hier kann der Tod des Sohnes die Anwendung der lex nicht auslösen, war der Sohn doch schon vor seiner Gefangennahme nicht testier- und vermögensfähig. Auch kann der Tod des Vaters nicht mehr wie zuvor als Anknüpfungspunkt dienen, liegt er doch zeitlich nach dem Tod seines Sohnes. Die Fiktion, werde sie nun auf den Sohn oder den Vater angewandt, kann nicht weiter zurück angesetzt werden als bis zum Tod des Erblassers. So greift anstelle der besonderen lex das Zivilrecht: patris hereditas ex lege duodecim tabulorum [..] ad adgnatum proximum pertinet. Julians Fallunterscheidung in Abschnitt [1] spielt anhand der substitutio die Fälle sauber durch, welche in der Realität auftreten können. Die Fallunterschei 327

Wesel (1967), S. 55 f. Vgl. auch Bund (1965), S. 131.

228

Kap. 4: Modallogik

dung mit ihrer zeitlichen Staffelung der denkbaren Ereignisse erlaubt in Abschnitt [2] eine Abgrenzung des Anwendungsbereichs der lex unter Festhalten des in Abschnitt [0] angedeuteten Anknüpfungspunktes am Vater als Erblasser. Inwieweit Julian von logisch-philosophischen Vorstellungen zu möglichen Ereignissen beeinflusst wurde, lässt sich anhand des bloßen Wortlauts des Fragments schwer feststellen. Das Fragment illustriert dafür, wie Julian ein Gesetz auf einzelne Fälle oder Fallgruppen hin individualisiert. Da ein Gesetz nicht alle denkbaren Fälle berücksichtigen kann328, gilt es, eine Brücke von der abstrakten Ebene der Norm auf den konkreten Fall zu schlagen329. Der Logik kann dabei die Rolle zukommen, zunächst die abstrakte Norm vollständig zu erfassen. Dieser erste Schritt folgt einem dem Konditional ähnlichen Muster, indem von den gegebenen, allenfalls auszulegenden Tatbestandsvoraussetzungen auf die vorgesehene Rechtsfolge geschlossen wird. Die Logik dient in einem zweiten Schritt dazu, die angesprochene Brücke zu schlagen und für den konkreten Fall, der nicht präzis auf das Konditionalprogramm der lex passt, eine vertretbare Lösung zu finden. Dieses Problem stellt sich auch im nächsten Fragment. 2. Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12 – Iul. 42 dig.) Lege Cornelia testamenta eorum, qui in hostium potestate decesserint, perinde confirmantur, ac si hi qui ea fecissent in hostium potestatem non pervenissent, et hereditas ex his eodem modo ad unumquemque pertinet. Quare servus heres scriptus ab eo, qui in hostium potestate decesserit, liber et heres erit seu velit seu nolit, licet minus proprie necessarius heres dicatur: nam et filius eius, qui in hostium potestate decessit, invitus hereditati obligatur, quamvis suus heres dici non possit, qui in potestate morientis non fuit.

Nach dem Cornelischen Gesetz werden die Testamente derer, die in feindlicher Gefangenschaft sterben, gleichermaßen bestätigt, als wenn die Erblasser nicht in feindliche Gefangenschaft gekommen wären; und ebenso gelangt ihre Erbschaft an einen jeden, der dazu gerufen ist. Dadurch, dass jemand, der in feindlicher Gewalt starb, einen Sklave zum Erben eingesetzt hatte, gelangt dieser zur Freiheit und wird Erbe werden, er mag wollen oder nicht, obgleich er nicht im eigentlichen Sinne ein notwendiger Erbe heißen kann. Denn es wird ja auch der Sohn des in feindlicher Gefangenschaft Gestorbenen wider seinen Willen zu dessen Erbschaft gerufen, wenn gleich der, welcher sich beim Ableben seines Vaters nicht in dessen Gewalt befand, nicht Hauserbe genannt werden kann.

328 Iul. Pal. 740 (D. 1,3,10): „Neque leges neque senatus consulta ita scribi possunt, ut omnes casus qui quandoque inciderint comprehendantur, sed sufficit ea quae plerumque accidunt contineri“. 329 Iul. Pal. 842 (D. 1,3,11): „Et ideo de his, quae primo constituuntur, aut interpretatione aut constitutione optimi principis certius statuendum est“.

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

229

a) Zur quaestio Dieses Fragment findet sich in den Digesten Justinians im Titel „qui testamenta facere possunt“ und bei Julian im 42. Buch, in dem er die verschiedenen Formen der Freilassung von Sklaven zusammenstellt. Es steht dort als einziges unter dem Titel „de manumissis testamento“. Testamente von in Kriegsgefangenschaft gestorbenen römischen Bürgern würden so auf ihre Gültigkeit geprüft, als seien ihre Verfasser nicht gefangen genommen worden. Folglich erwürben die eingesetzten Erben die Erbschaft, sofern das Testament formell wirksam errichtet ist. Auch ein vom Erblasser zum Erben eingesetzter Sklave gelange zur Freiheit, ohne dass es auf seinen Willen ankomme und obgleich er im strengen Sinn nicht als notwendiger Erbe bezeichnet werden kann. Denn gleiches gelte auch für einen Sohn. Im Normalfall setzt die lex Cornelia zu ihrer Anwendung einen bereits rechtsfähigen Begünstigten voraus330. Im vorliegenden Fall hat der Erblasser vor seiner Gefangenschaft mit einem Sklaven einen Unfreien als Erben eingesetzt: servus heres scriptus. Ein Sklave, der mit gleichzeitiger Freilassung zum Erben eingesetzt wird, gilt als Hauserbe (sui heres) und damit als Zwangserbe (heres necessarius), wie aus einer Definition bei Gaius klar hervorgeht331: Gai. 2,153: Necessarius heres est servus cum libertate heres institutus, ideo sic appellatus, quia sive velit sive nolit, omni modo post mortem testatoris protinus liber et heres est.

Die teilweise Übereinstimmung im Wortlaut der hier betrachteten Texte ist auffallend. Von einer gleichzeitigen bedingten oder unbedingten Freilassung ist bei Julian jedoch nicht die Rede. Es fehlt das „cum libertate“. Später schien man in gewissen Fällen von diesem Erfordernis abgesehen zu haben332 bzw. betrachtete die Verfügung als einheitliche, aus Einsetzung und Freilassung bestehende333. Das Problem der nicht angeordneten Freilassung lässt sich jedenfalls nicht direkt über das unter Kaiser Hadrian erlassene SC Dasumianum lösen334. Dieses SC greift ein, wenn jemand, der durch ein fdc um die Freilassung eines Sklaven gebeten worden ist, ohne eigene Erben verstirbt335. Von den überlieferten Stellen zur lex Cornelia wird dieser Fall nicht behandelt. Gaius hält nur fest, dass erunt quidem liberi sui

330

Vgl. Abschnitt [2] von Iul. Pal. 759 (D. 28,6,28). Zur Erbeinsetzung von eigenen und fremden Sklaven siehe Gai 2, 185 ff. Vgl. Kaser (1971), S. 684 und Voci, Bd. I, S. 340. 332 Vgl. Inst. 2,14 pr.: „[..] hodie vero etiam sine libertate ex nostra constitutione heredes eos instituere permissum est quod non per innovationem induximus, sed quoniam et aequius erat et Atilicino placuisse Paulus suis libris quos tam ad Masurium Sabinum quam ad Plautium scripsit refert [..]“. 333 Biondi, S. 105. 334 Siehe Ulp. D. 40,5,30,9: „Sed et si quis sine herede vel alio successore decesserit qui fideicommissam libertatem praestare debebat, adito praetore libertatem praestandam esse censuit senatus“. 335 Siehe Marcell. D. 40,5,51,4; vgl. Voci, Bd. II, S. 416. 331

230

Kap. 4: Modallogik

iuris, wenn der Hausvater in Gefangenschaft verstirbt336. Wesel sieht Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12) als Beleg dafür, dass sich die lex Cornelia streng genommen nur auf die Frage der Gültigkeit von Testamenten bezog337. Julian wendet die allgemeine Regel bei Gaius analog auf einen als Erben eingesetzten eigenen Sklaven an und fingiert eine ausgelassene Freilassung als notwendige Prämisse. Sein Vorgehen erscheint als argumentatives Gegenstück zum Grundsatz des pro non scripto habetur. Wie dort muss sich für den Eingriff eine besondere Begründung finden lassen. In der Literatur findet sich etliche Kritik zur Echtheit der Stelle angesichts angemahnter terminologischer Unklarheiten und sprachlicher Unebenheiten338. So will Solazzi in „licet minus“ und „quamvis“ Skrupel Julians zu seiner eigenen Lösung erkennen339. Zu dieser Meinung nicht unpassend handelt es sich für Bund um ein Beispiel einer Argumentation mit „Fällen ohne überlegene Evidenz“340. Ein Streichen von „liber et“ vor „heres erit“ würde jedenfalls den hier vermuteten Kernpunkt der Stelle ausschalten. Anders hält Mayer-Maly die Stelle für echt341. Aus einer anderen Richtung kommend stellt er eine Beziehung zu D. 44,7,52 pr. und § 7 her, wo Modestinus die necessitas als eine der möglichen Verpflichtungsgründe einer Obligation aufzählt342. b) Beitrag der Logik Nach Julian gilt die Erbeinsetzung des eigenen Sklaven als Freilassung. Sein Wortspiel mit dem rechtlichen Begriff des heres necessarius könnte als rhetorischer Kniff gesehen werden343. Denkbar ist jedoch auch eine Orientierung an stoischen Modalitäten, um eine Lösung für einen Fall zu entwickeln auf den die lex Cornelia nicht direkt anwendbar war. Eine befriedigende Erklärung spräche im Zusammenhang mit Julians Auseinandersetzung mit logischen Konzepten für die Authentizität des Fragments. Zur Beschreibung des Falles könnte ein einfaches, von der hereditas petitio inspiriertes Konditionalprogramm betrachtet werden: „Wenn er Erbe ist, ist ihm die Erbschaft auszuliefern“344. Der eigene Sklave wurde vom Erblasser in seinem Tes 336

Gai. 1,129. Wesel (1967), S. 56, 92; vgl. Mayer-Maly (1966), S. 56. 338 Mayer-Maly (1966), S. 58 mit weiteren Hinweisen S. 57 (Fn. 37). 339 Solazzi (1952), S. 25 f. 340 Bund (1965), S. 129 f. und S. 195 (Kategorie „Fiktion“). 341 Mayer-Maly (1966), S. 58. 342 Mod. D. 44,7,52 pr: „Obligamur aut re aut verbis aut simul utroque aut consensu aut lege aut iure honorario aut necessitate aut ex peccato“. Der notwendige Erbe erscheint als Beispiel für diesen Grundsatz in § 7: „Necessitate obligantur, quibus non licet aliud facere quam quod praeceptum est: quod evenit in necessario herede“. 343 Als genus artificiale probationum im Sinne einer logisch folgerichtigen oder zwingenden Darstellung (siehe Lausberg, § 355). 344 Lenel (1927), S. 177. 337

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

231

tament zwar als Erbe eingesetzt. Mangels eigener Rechtsfähigkeit kann er die Erbschaft jedoch nicht selbst fordern345. Aristoteles unterschied in der Zweiten Ana­ lytik zwischen zwei Arten der Notwendigkeit: Denn ein Naturding wirkt des Zwecks wegen, ein anderes aus Notwendigkeit. Die Notwendigkeit ist aber zweifach: die eine gemäß der Natur und dem Triebe, die andere gewaltsam, die gegen den Trieb geht, wie z. Bsp. ein Stein aus Notwendigkeit sowohl nach oben wie nach unten bewegt wird, aber nicht durch dieselbe Notwendigkeit 346.

Die erste Bedeutung der so beschriebenen Notwendigkeit entspricht der Definition bei Philo347. Aus den besonderen Umständen könnte angenommen werden, dass der Erblasser die Freilassung nachträglich angeordnet hätte, wäre er nicht in Kriegsgefangenschaft geraten. Eine Freilassung entspräche so dem vermuteten Willen des Erblassers. Ein ähnliches Argument findet sich bei Julians Entscheidung zur Heirat von Söhnen und Töchtern kriegsgefangener Väter348. Diese Lesart erscheint mit den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung von Testamenten verträglicher als die ebenfalls denkbare Alternative, wonach die nicht vom Erblasser selbst angeordnete Freilassung „gewaltsam“ aus Notwendigkeit fingiert würde: „non voluntate sed necessitate fecisse“349. Damit wird jedoch noch nichts gesagt, weshalb zu einer solchen Fiktion gegriffen werden sollte. Cicero, der wegen seiner philosophischen Interessen über ausgezeichnete Kenntnisse der stoischen Logik verfügte350, unterschied zwischen einer absoluten Notwendigkeit, die sich ohne große Worte von alleine erklärt, und einer relativen Notwendigkeit, die von einer zusätzlichen Bedingung abhängt351. Die absolute Notwendigkeit passte zur Vorstellung einer einheitlichen Verfügung, die sich zwingend aus Erbeinsetzung und Freilassung zusammensetzt. Bei letzterer müsse auf den beabsichtigten Zweck oder Vorteil eingegangen werden. Im vorliegenden Fall ergibt sich der Zweck aus dem Wunsch, die Erbschaft jemandem zukommen zu lassen, der dem Erblasser möglichst nahe gestanden hat. Dieser Wunsch beruht seinerseits auf einer sozialen Wertung, die hier im favor testamentis gesehen werden kann. Die Notwen 345 Ein fremder Sklave könnte sie für seinen Herrn erwerben: Voci, Bd.  I, S.  407; Kaser (1971), S. 684. Für eine Erbfolge ab intestato müsste das Testament als ungültig beiseite geschoben werden. Da über andere Erben nichts gesagt wird, käme neben dem Sklaven letztlich wohl einzig die Gemeinschaft als Erbe in Frage. 346 Arist. An. post. II,11 (94b37–95a4); Übers. Rolfes, S. 87 f. 347 Siehe vorne, Kap. 4 B. 2. 348 Siehe Iul. Pal. 757. 349 Vgl. Fortunatianus, I,16 p. 94,7; Lausberg § 190. 350 Zu Cicero und zum Streit über den Determinismus siehe vorne, Kap. 4 B. 2. 351 Cic. Inv. 2,170–172: „Puto igitur esse hanc necessitudinem, cui nulla vi resisti potest, quo ea setius id, quod facere potest, perficiat, quae neque mutari neque leniri potest. [..] Atque etiam hoc mihi videor videre, esse quasdam cum adiunctione necessitudines, quasdam simplices et absolutas. [..] Quid igitur haec perficere potest necessitudinis distributio? Prope dicam plurimum, cum locus necessitudinis videbitur incurrere. Nam cum simplex erit necessitudo, nihil erit quod multa dicamus, cum eam nulla ratione lenire possimus; cum autem ita necesse erit, si aliquid effugere aut adipisci elimus, tum adiunctio illa quid habeat utilitatis aut quid honestatis, erit considerandum“.

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Kap. 4: Modallogik

digkeit einer fingierten Freilassung ergibt sich logisch als notwendige Prämisse, wenn dieser Zweck erreicht werden soll. Dadurch wird die, da in der Vergangenheit liegend, notwendig wahre Tatsache korrigiert, dass der Erblasser keine Freiheit angeordnet hat. 3. Iul. Pal. 761.2 (D. 49,15,22,2 – Iul. 62 dig.) Quod si filius eius, qui in hostium potestate est, accipit aut stipulatur, id patre priusquam postliminio rediret mortuo ipsi adquisitum intellegitur, etsi vivo patre decesserit, ad heredem patris pertinebit. Nam status hominum, quorum patres in hostium potestate sunt, in pendenti est, et reverso quidem patre existimatur nunquam suae potestatis fuisse, mortuo tunc pater familias fuisse, cum pater eius in hostium potestate perveniret.

Denn wenn der Sohn dessen, der sich in der Gewalt der Feinde befindet, etwas akzeptiert oder verspricht, gilt es ihm selbst erworben, wenn der Vater, bevor er heimkehren konnte, verstorben ist; wenn er [selbst] aber zu Lebzeiten des Vaters stirbt, wird die Sache dem Erben des Vaters gehören. Der Status derjenigen, deren Väter in der Gewalt der Feinde sind, bleibt nämlich in der Schwebe. Kehrt der Vater zurück, ist man jedenfalls der Ansicht, dass sie niemals selbständig gewesen seien. Stirbt er, sind sie Hausvater seit der Zeit, als der Vater in die Gewalt der Feinde gekommen ist.

a) Zur quaestio Der Sohn eines Kriegsgefangenen erwerbe für sich selbst, wenn sein Vater bei den Feinden verstirbt. Stirbt hingegen der Sohn, werde das Erworbene an die Erben des Vaters gelangen. Während der Kriegsgefangenschaft des Vaters befinde sich der Status der Söhne in der Schwebe. Stirbt der Vater in Gefangenschaft, gelten die Söhne rückwirkend seit dem Zeitpunkt der Gefangenschaft als rechtsfähig. Diese Stelle befasst sich mit der Frage der Beurteilung rechtsgeschäftlicher Handlungen von Söhnen, deren Väter in Kriegsgefangenschaft geraten sind. Julian hält fest, dass der Status der im Staat zurückgebliebenen Söhne in der Schwebe sei: Nam status hominum [..] in pendenti est. Bechmann sah zwei alternative Zustände, von denen keiner während der Phase der Unsicherheit wirksam sei352. Für D’Amati bleiben die rechtlichen Verhältnisse in der Schwebe bis klar wird, ob der Gefangen zurückkehrt oder nicht353. Mit dem status hominis scheint sich hier anders als zuvor nicht (nur) eine unsichere Faktenlage, sondern ein bestimmter, rechtlicher Begriff in der Schwebe zu befinden354. Dies wird noch zu diskutieren sein. Die Aus-

352

Bechmann: D’Amati, S. 16. D’Amati, S. 32 (Fn. 105). 354 Siehe die Bemerkungen vorne, Kap. 4 D. 4. zu Gai. 1,159 ff. 353

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium

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drucksweise findet sich nicht nur bei Julian, sondern in diesem Zusammenhang auch bei weiteren Juristen355. Hingegen sagt Julian nicht, dass die erworbenen Gegenstände, ihr Besitz oder ihr Erwerb in der Schwebe seien356. Ebenso wenig befindet sich der Status des Vaters in der Schwebe, steht doch mit Bestimmtheit fest, dass er servus hostium ist357. Klärt sich die ungewisse Situation durch eine Rückkehr oder den Tod in Gefangenschaft des pater familias, werden die Rechtsfolgen auf den Zeitpunkt seiner Gefangennahme zurückbezogen358. Ob dieses fiktive Rückziehen des Todeszeitpunkts auf die Gefangennahme expliziter Teil der Bestimmungen zum ius postliminium war, ist in der Literatur umstritten359. b) Beitrag der Logik Im Unterschied zu den bisher betrachteten Schwebezuständen entsteht die Periode der Unsicherheit hier nicht aus gewollten Handlungen der Beteiligten, sondern infolge widriger äußerer Umstände. Diese Periode der Unsicherheit beginnt mit dem Zeitpunkt t1 der Gefangennahme eines römischen Bürgers und endet entweder mit der Kenntnis von seinem Tod oder seiner Rückkehr zu einem späteren Zeitpunkt t2. Während der Periode [t1, t2] bleibt in Julians Worten der Status des in der Heimat zurückgebliebenen Sohnes in der Schwebe. In dieser Zeit ist der Vater von äußeren Umständen an einer Rückkehr gehindert. Klärt sich die Situation in einem Zeitpunkt t2, kommt es zu einem von zwei möglichen Ergebnissen. Kehrt der Vater zurück, hinterlässt die Schwebe keine rechtlichen Wirkungen und kann ignoriert werden. Wird sein Tod bekannt, wird in Bezug auf den schwebenden Status des Sohnes gewissermaßen die Vergangenheit neu geordnet. Die Schwebe [t1, t2] wird nicht nur beendet, sondern rückwirkend beseitigt, indem fingiert wird, der Vater sei schon im Zeitpunkt t1 gestorben. Außerhalb eines rechts­ geschäftlichen Zusammenhangs zeigt sich hier sehr deutlich die „Denkform“ der Rückwirkung.

355

Vgl. Gai. 1,129: „Quodsi ab hostibus captus fuerit parens, quamvis servus hostium fiat, tamen pendet ius liberorum“ sowie Ulp. D. 38,17,1,1: „Si ea sit mater, de cuius statu dubitatur, utrum mater familias sit an filia familias, ut puta quoniam pater eius ab hostibus captus sit: si certum esse coeperit matrem familias esse, liberi admittentur. Unde tractari potest, an medio tempore, dum status pendet, succurri eis per praetorem debeat [..]“. Leicht anders formuliert aber im gleichen Sinn Tryph. D. 49,15,12,1: „Si quis capiatur ab hostibus, hi, quos in potestate habuit, in incerto sunt [..]“. 356 Vgl. Amirante (1962), S. 7. 357 Nach Gai. 1,129. 358 Zum Sklaven, der aus der Gefangenschaft zurückkehrt und rückwirkend wieder verkehrsfähig wird siehe Harke (2006), S. 110. 359 Bund (1965), S. 130 (Fn. 21) mit weiteren Hinweisen.

234

Kap. 4: Modallogik

4. Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3 – Iul. 62 dig.)

360

Quae peculiari nomine servi captivorum possident, in suspenso sunt: nam si domini postliminio redierint, eorum facta intelleguntur360, si ibi decesserint, per legem Corneliam ad heredes eorum pertinebunt.

Was die Sklaven der Gefangenen im Sondergut besitzen, ist in der Schwebe. Denn wenn die Herren durch das Heimkehrrecht zurückgekehrt sein werden, wird es als für sie ausgeführt verstanden, wenn sie dort verstorben sein werden, wird es nach der Lex Cornelia ihren Erben gehören.

a) Zur quaestio Gegenstände, welche Sklaven als Teil ihres Sonderguts besitzen, befänden sich während der Kriegsgefangenschaft ihres Herrn in der Schwebe. Kehrt der Herr zurück, gälten sie als ihm erworben, kehrt er nicht zurück, fielen sie nach der lex Cornelia an seine Erben. In diesem Fragment wendet sich Julian den in der Heimat zurückgebliebenen Sklaven als handelnden Personen zu. Betrachtet werden Gegenstände, welche ein Sklave in seinem Sondergut (peculium) hält361. Von diesen Gegenständen und nicht etwa von ihrem Besitz oder dem Eigentum sagt Julian, dass sie sich in der Schwebe befänden: in suspenso sunt. Die Betrachtung bleibt hier wiederum auf der faktischen Seite. Dass Julian dabei an das Problem der Ersitzung denkt, ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel mit weiteren Berichten362. Eine erste Parallelstelle findet sich in den libri ad Plautium von Paulus: Paul. D. 41,3,15 pr. (lib. 15 ad Plaut.) [1] Si is, qui pro emptore possidebat, ante usucapionem ab hostibus captus sit, videndum est, an heredi eius procedat usucapio: nam interrumpitur usucapio, et si ipsi reverso non prodest, quemadmodum heredi eius proderit? Sed verum est eum in sua vita desisse possidere, ideoque nec postliminium ei prodest, ut videatur usucepisse. [2] Quod si servus eius, qui in hostium potestate est, emerit, in pendenti esse usucapionem Iulianus ait: nam si dominus reversus fuerit, intellegi usu



360

[1] Wenn der, welcher etwas als Käufer besaß, vor Ersitzung von den Feinden gefangen genommen wird, ist zu untersuchen, ob die Ersitzung für seinen Erben weiterläuft. Denn die Ersitzung wird unterbrochen und wenn sie selbst dem Zurückgekehrten nichts nützt, wie kann sie dann seinem Erben nützen? Richtig aber ist, dass er [schon] zu Lebzeiten aufgehört hat zu besitzen, und folglich nützt ihm auch das Heimkehrrecht nicht, dass es so anzusehen wäre, dass er ersessen hätte. [2] Im

Für Wesel (1967), S. 45 ist „intellegeri“ ein Schlüsselwort für die extensive Auslegung. Zum peculium als ausgesondertem Teil  des Herrenvermögens und seiner wirtschaftlichen Bedeutung siehe Kaser (1971), S. 287 f. 362 Vgl. Wolff, S. 162. 361

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium captum: si ibi decesserit, dubitari, an per legem Corneliam ad successores eius pertineat. [3] Marcellus posse plenius fictionem legis accipi, quemadmodum enim postliminio reversus plus iuris habere potest in his, quae servi egerunt, quam his, quae per se vel per servum possidebat, cum ad hostes pervenit. Nam hereditatem in quibusdam vice personae fungi receptum est. Ideoque in successoribus locum non habere usucapionem.

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Fall, dass der Sklave dessen, der in feindlicher Gewalt ist, etwas kauft, ist die Ersitzung in der Schwebe, sagt Julian. Wenn nämlich der Herr zurückkehrt, wird es als ersessen verstanden. Wenn er dort stirbt, ist zweifelhaft, ob es wegen der lex Cornelia seinen Erben gehört. [3] Für Marcellus kann die Fiktion der lex Cornelia breiter interpretiert werden. Auf welche Weise kann nämlich der durch das Heimkehrrecht Zurückgekehrte mehr Rechte haben an dem, was die Sklaven verwalten, als der, welcher durch sich oder durch seine Sklaven besitzt, wie er unter die Feinde geriet. Denn [auch] die Erbschaft tritt [nur] in gewissen Fällen an die Stelle von Personen. Folglich setzt sich die Ersitzung nicht fort.

Im Fall des Abschnitts [1] nahm jemand einen Gegenstand als Käufer in Besitz und geriet danach in Kriegsgefangenschaft, bevor er ihn ersitzen konnte. Die Frage ist, ob die Ersitzung zugunsten seines Erben weiterläuft. Paulus stellt fest, dass die Ersitzung unterbrochen worden ist, sodass sich der aus der Gefangenschaft heimgekehrte Käufer nicht auf sie berufen könne. Folglich könne sein Erbe erst recht keine Ersitzung für sich behaupten. In Abschnitt [2] behandelt Paulus den Fall eines Sklaven, der etwas gekauft hat, nachdem sein Herr in feindliche Gewalt geraten war. Nach Julian sei in diesem Fall die Ersitzung in der Schwebe. Kehrt der Herr zurück, gilt die Sache als ihm ersessen. Stirbt er in Gefangenschaft, sei es jedoch zweifelhaft, ob die Ersitzung seinen Erben zugutekomme. In Abschnitt [3] zitiert Paulus die Meinung von Marcellus, für den die Fiktion der lex Cornelia breiter betrachtet werden könne363. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Zurückgekehrter mehr Rechte an Sachen erhalten solle, welche seine Sklaven für ihn verwalten, als an Sachen, die er selbst oder über seine Sklaven indirekt besaß, als er gefangengenommen wurde. Paulus endet seinen Bericht mit der Bemerkung, dass die Ersitzung nicht weiterlaufe. Mit dem Fall aus Abschnitt [1] verhält es sich noch relativ einfach. Hier geht es nicht um das Eigentum an einer erworbenen Sache, sondern erst um ihren Besitz (possessio). In der possessio als tatsächlicher Sachherrschaft sahen die römischen Juristen kein Recht, sondern ein bloßes Faktum364. So erscheint es nur folgerichtig, wenn sie den Besitz nicht zu den vom ius postliminium geschützten Rechtsverhältnissen zählten365. Das Heimkehrrecht vermochte die sichere Tatsache, dass der

363

Wolff, S. 158 hält den ersten Satz für einen Einschub der Kompilatoren. Vgl. Paul. D. 41,2,1,3: „[..] Ofilius quidem et Nerva filius etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum aiunt: eam enim rem facti, non iuris esse [..]“. 365 Vgl. Rastätter, S. 234. 364

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Kap. 4: Modallogik

Käufer durch seine Gefangennahme den unmittelbaren Besitz an seinen Sachen verlor, durch keine Fiktion ungeschehen zu machen366. Komplizierter werden die Verhältnisse, wenn es sich um Gegenstände im mittelbaren Besitz des Gefangenen handelt. Dies ist insbesondere beim Sklaven mit Sondergut der Fall. Nach Julians Meinung läuft die vom Sklaven begonnene Periode der Ersitzung im Sondergut sowohl für den Rückkehrer wie auch für seinen Erben weiter367. Dies stimmt mit der von Paulus in Abschnitt [2] von D. 41,3,15 pr. berichteten ersten Hälfte von Julians Meinung überein: in pendenti esse usucapionem Iulianus ait. Bei der Ersitzung handelt es sich um einen Tatbestand des Eigentumserwerbs durch einen ein oder zwei Jahre andauernden Besitz368. Von einem Sondergut ist in Abschnitt [2] jedoch nicht mehr die Rede: si servus emerit. Rastätter sieht in dieser Divergenz kein Problem und bezieht die positive Antwort Julians einzig auf Gegenstände im Sondergut des Sklaven369. Nur Marcellus behandle in Abschnitt [3] den allgemeinen Fall. Marcellus folge einer „extensiven Auslegung“ der Fiktion der lex Cornelia und lasse die Ersitzung auch für Sachen zu, welche der Sklave nicht in seinem Sondergut (quae servi egerunt) hält, sondern im Rahmen der Verwaltung des Vermögens seines Herrn für diesen direkt erwirbt (per se vel per servum)370. Rastätter sieht im Satz nach „quemadmodum“ ein argumentum ad absurdum Marcells, um die Sinnlosigkeit der dort enthaltenen Fallunterscheidung zu demonstrieren. Entspräche dies der Schlussfolgerung Marcells, passte sie jedoch nicht zum letzten Satz in Abschnitt [3], wonach die Ersitzung für die Rechtsnachfolger nicht weiterlaufe371. Mommsen schlug zur Klärung unmittelbar vor dem letzten Satz folgenden Einschub vor: „Sed verior est Iuliani sententia exceptis rebus peculiaribus possessionem semper interrumpi captivitate“372. Dann beschriebe der letzte Satz das Grundprinzip, zu dem bei einem Sondergut eine Ausnahme gemacht wird. Eine zweite Parallelstelle könnte ein klärendes Licht auf die Kontroverse werfen: Tryph. D. 49,15,12,2 (lib. 4 disput.) [1] Facti autem causae infectae nulla constitutione fieri possunt. Ideo eorum, quae usucapiebat per semet ipsum possidens qui postea

366

[1] Tatsachen kann keine Konstitution ungeschehen machen. Folglich wird die Ersitzung dessen, was ein Besitzer, der später gefangen-

Siehe sogleich eindrücklich Tryph. D. 49,15,12,2. Vgl. für die allgemeine Regel Paul. D. 41,3,8 pr.: „Labeo Neratius responderunt ea, quae servi peculiariter nancti sunt, usucapi posse, quia haec etiam ignorantes domini usucapiunt: idem Iulianus scribit“. Einschränkend gleich jedoch der dortige § 1: „Sed eum, qui suo nomine nihil usucapere potest, ne per servum quidem posse Pedius scribit“. Vgl. Benöhr, S. 110 ff. 368 Kaser (1971), S. 419. 369 Rastätter, S. 236. 370 So auch Benöhr, S. 119. 371 Von Rastätter wird dieser Widerspruch nicht angesprochen. Amirante (1962), S. 8 gibt die Stelle nur bis zu „legis accipi“ wieder. 372 Mommsen, S. 520. 367

F. Szenenwechsel: Das ius postliminium captus est, interrumpitur usucapio, quia certum est eum possidere desisse. [2] Eorum vero, quae per subiectas iuri suo personas possidebat usuque capiebat, vel si qua postea373 peculiari nomine comprehenduntur, Iulianus scribit credi suo tempore impleri usucapionem remanentibus isdem personis in possessione. Marcellus nihil interesse, ipse possedisset an subiecta ei persona374. Sed Iuliani sententiam sequendum est.

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genommen wurde, für sich selbst am Ersitzen war, unterbrochen, weil es sicher ist, dass dieser aufhörte zu besitzen. [2] Zu dem jedoch, was er durch ihm rechtlich unterworfene Personen besaß und ersaß, oder was später in ihr Sondergut gelangte, schrieb Julian, dass es zu gegebener Zeit ersessen würde, wenn es im Besitz derselben Personen verbleibe. Für Marcellus macht es keinen Unterschied, ob er selbst besitzt oder eine ihm unterworfene Person. Doch ist Julians Meinung zu folgen.

Abschnitt [1] widerspiegelt in konsistenter Weise die Rechtslage der Situation aus dem Beginn von Paul. D. 41,3,15 pr. Abschnitt [2] formuliert Julians frühere Meinung um. Die Fortsetzung der Ersitzung zugunsten des Heimkehrers oder seiner Erben hängt nun vom andauernden Besitz im Sondergut375 derselben gewaltunterworfenen Person ab: impleri usucapionem remanentibus isdem personis in possessione. Marcellus hingegen mache keinen Unterschied zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitz. Tryphonin selbst bevorzugt Julians Ansicht376. 373374

Rastätter deutet Marcells Meinung gleich wie zuvor für Paul. D. 41,3,15 pr. als Ausfluss einer extensiven Auslegung der fictio legis Corneliae377. Es stellt sich aber die Frage, ob diese scheinbar konsistente Deutung der drei Stellen die einzig vertretbare ist. Auffallend ist, dass Tryphonin nur festhält, Marcellus habe keinen Unterschied zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitz gemacht, ohne jedoch die entsprechende Rechtsfolge zu nennen. Dass die beiden Tatbestände gleich zu behandeln sind, folgt aus seinem von Paulus berichteten und hier nochmals wiedergegebenen Argument: [..] quemadmodum enim postliminio reversus plus iuris habere potest in his, quae servi egerunt, quam his, quae per se vel per servum possidebat, cum ad hostes pervenit.

Der erste Tatbestand betrifft quae servi egerunt378. Agere verweist auf die relative wirtschaftliche Autonomie des Sklaven, der mit einem Sondergut ausgestattet wurde. Diesen Fall behandelt Julian im Ausgangstext von Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3). Der zweite Tatbestand betrifft quae per se vel per servum possidebat. Damit sind eigentlich zwei Fälle abgedeckt. Einerseits der, bei dem der­ dominus unmittelbar etwas besitzt: per se possidere. Andererseits der, bei dem der Sklave im Namen seines dominus besitzt: per servum possidere. Damit wird die

373

D. h. nach der Gefangennahme; so auch Rastätter, S. 237. Lenel fügt diesen einzelnen Satz am Ende von Iul. Pal. 762 ein. 375 Vgl. Rastätter, S. 237. 376 Fildhaut, S. 18 sieht in der Gerundivkonstruktion „sequendum est“ einen Hinweis auf eine eigene Meinung Tryphonins. 377 Rastätter, S. 238; ebenso Amirante (1962), S. 8 f. 378 Siehe vorne. 374

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Kap. 4: Modallogik

direkte Vermögensverwaltung durch den Sklaven gemeint sein379. Für den ersten Fall verneint Paulus in Abschnitt [1] ohne Zögern, dass die Ersitzung sowohl für den Heimkehrer wie für seinen Erben weiterläuft. Dann lässt sich Marcells Vergleich so interpretieren, dass das gleiche auch für den ersten Tatbestand gelten soll. Mit anderen Worten verneinte Marcellus ein Weiterlaufen der Ersitzung in allen Fällen380. Dies würde zum letzten Satz bei Paulus passen: Ideoque in successoribus locum non habere usucapionem. Der erste Satz aus Abschnitt [3] erhielte dabei den Sinn, dass Marcellus die fictio legis Corneliae aus einer breiteren Perspektive, mit mehr Abstand betrachtet, dabei aber auf ein Resultat gelangt, welches er nicht akzeptieren kann. b) Beitrag der Logik Bezeichnen wiederum t1 den Zeitpunkt der Gefangennahme eines römischen Bürgers und t2 den Zeitpunkt seines Todes oder seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft. Zunächst ist zu klären, was sich während der Periode [t1, t2] in der Schwebe befindet. In Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3) sind es die Gegenstände im Sondergut des Sklaven. In Paul. D. 41,3,15 pr. ist es die Ersitzung von Gegenständen. Da es sich bei der Ersitzung um einen Tatbestand des Eigentumserwerbs durch einen ein oder zwei Jahre andauernden Besitz handelt381, weist die Schwebe auch hier einen faktischen Sinngehalt auf. Der „Status“ des Sklaven ist in den Fällen, bei denen weder eine Freilassung vorgesehen noch wie in Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12) als notwendig fingiert wird, nicht in der Schwebe. Ebenso wenig schwebt der Status des kriegsgefangenen dominus als servus hostium. Hingegen schwebt dessen patrias potestas über die liberi382, die vor seiner Gefangennahme in seiner Gewalt standen. Die hier vertretene Ansicht ist, dass Julian die Anwendung der fictio legis Corneliae an das Vorhandensein einer Schwebe knüpft. In der Situation, bei welcher der dominus selbst vor seiner Gefangennahme zum Zeitpunkt t1 eine Sache kaufte, ist kein maßgebliches Element des Sachverhalts unsicher. Der dominus verliert die tatsächliche Sachherrschaft, und die Ersitzung wird unterbrochen. Entsprechend ist der Anwendungsbereich der Fiktion nicht eröffnet. Das gleiche gilt nach diesem Argument für die Situation, in welcher der Sklave etwas nomine domini erwirbt. Bei einem Sohn verhielte es sich anders, da nach Julians Auffassung dessen Status in der Schwebe steht. Stirbt der Vater bei den Feinden, greift die Fiktion. Die Sache gilt als dem Sohn erworben, der rückwirkend seit t1 für sui iuris gehalten wird. In Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3) beschreibt Julian ohne weitere Motivierung alle Gegenstände, die sich im Sondergut des Sklaven befinden, als in der Schwebe liegend. 379

So auch Rastätter, S. 236. So Fuenteseca, S. 569. 381 Kaser (1971), S. 419. 382 Iul. Pal. 761.2; Gai. 1,129; Ulp. D. 38,17,1,1; Ulp. D. 38,7,2,3; Tryph. D. 49,15,12,1. 380

G. Ergebnisse

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Damit greift die Fiktion auch in dieser Situation. Der Sklave samt Sondergut gelangt rückwirkend auf t1 an die Erben. Eine Ersitzung setzt sich demnach auf natürliche Weise für diese fort. Zur Erklärung der besprochenen Situationen schlug Amirante etwas umständlich eine getrennte Argumentationslinie für den Erwerb durch einen Sohn oder einen Sklaven vor383. Seiner Ansicht nach stützten sich die römischen Juristen beim Sohn auf die Pendenz seines Status, beim Sklaven bedienten sie sich der schwierigen Figur des servus hereditarius384, welcher unter bestimmten Voraussetzungen gültig für die Erbschaft handeln konnte385. Die Notwendigkeit eines solchen Umwegs entfiele, wenn sich die von Julian behauptete Schwebe der Sachen im Sondergut aus der Pendenz des Status des Sohnes oder der patria potestas erklären ließe. Wenn die römischen Juristen von der Pendenz der patria potestas sprechen, scheinen sie primär die liberi und nicht auch die servi im Blick gehabt zu haben386. Dass das Sondergut mit dem Tod des Vaters an die Erben gelangt, teilt es mit den übrigen Gegenständen aus seinem Vermögen, welches der Sklave direkt verwaltet. Dies allein rechtfertigte die unterschiedliche Behandlung nicht, wie es Marcellus in der Paulus-Stelle sinngemäß auch feststellt. Nach Labeo und Neratius konnte der in Freiheit lebende dominus eine Sache im Sondergut seines Sklaven auch ersitzen, wenn er von ihr nichts wusste387. Dieses Verhältnis überträgt sich auf den Sohn, wenn dieser rückwirkend auf den Todestag seines Vaters per t1 für sui iuris erklärt wird und damit die Schwebe seines Status endet. Dieses Argument lässt sich für den Fall, dass der Sklave in einem Zeitpunkt t* zwischen t1 und t2 etwas nomine domini erworben hat, nicht wiederholen. Denn selbst wenn der Sohn fiktiv zum Zeitpunkt t* bereits als sui iuris betrachtet wird, hätte der Sklave doch nicht für ihn, sondern für eine bereits für verstorben geltende Person erworben. Wie Tryphonin prägnant bestätigt, betrifft die Fiktion nur die rechtliche Beurteilung von Tatsachen, nicht die Tatsachen selbst388. Dieses Verständnis erlaubt es, Julians Argumentation in allen behandelten Fällen konsistent aus dem Vor­liegen einer Schwebe herzuleiten.

G. Ergebnisse Die Wirklichkeit ist in der Vergangenheit verankert, während die Möglich­keiten der Gegenwart auf die Zukunft verweisen. Führt ein dabei auftretender Gegensatz zwischen gegenwärtiger Zukunft und zukünftiger Gegenwart zu Konflikten, 383

Amirante (1962), S. 13 f. Siehe Voci, Bd. II, S. 518 ff. 385 Nur schwach und indirekt angedeutet in Paul. 41,3,15 pr. und Pap. D. 45,3,18,2. 386 Vgl. die Kritik bei Amirante (1962), S. 12 f. an einem entsprechenden Argument ohne Grundlage bei Solazzi (1963), S. 293. 387 Paul. D. 41,3,8 pr. 388 Erster Satz in Tryph. D. 49,15,12,2. 384

240

Kap. 4: Modallogik

müssen sie rechtlich behandelt und nach Möglichkeit kontrolliert werden. Solche „Schwebezustände“ als Umschreibung von Perioden der Unsicherheit fanden sich prominent und mit den Ausdrücken „in suspenso sunt“ und „in pendenti esse“ auch sprachlich explizit in Julians Texten mit Bezügen zur Bedingungslehre und zum ius postliminium389. Schwieriger ist es, über den Begriff der „Pendenz“ und die natürliche Affinität der alltäglichen Möglichkeiten zu modallogischen Konzepten hinaus, allein von sprachlichen Parallelen auf tatsächliche Anwendungen logischer Konzepte in den Lösungen Julians oder anderer römischer Juristen zu schließen. Diese Schwierigkeit zeigte sich mit Iul. Pal. 150 (D. 12,1,19 pr.) selbst bei einem Fragment, welches thematisch sehr enge Bezüge zu modallogischen Konzepten aufweist. Griechische Fachtermini aus der Modallogik finden sich bei Julian anders als bei Labeo nicht390. Die große Frage, wie bewusst Julian modallogische Konzepte, sollte er von ihnen Kenntnis gehabt haben, bei seiner juristischen Arbeit bedacht hat, lässt sich allein aus der sprachlichen Analyse nicht zweifelsfrei beantworten. Somit ist man auf eine inhaltliche Analyse der Texte zurückgeworfen, wobei die Frage zu beantworten ist, ob ein allfälliger Einfluss der Logik ein besseres Verständnis der untersuchten Stellen erlaubt oder bislang verborgene Verbindungen aufzeigen könnte. Die Fragmente Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12), 240 (D. 18,1,39,1) und 759 (D. 28,6,28) illustrieren die modallogischen Grundbegriffe der Notwendigkeit bzw. der einfachen, in die Zukunft gerichteten Möglichkeit. Aus juristischer Sicht bot sich jedoch das Gebiet der römischen Bedingungslehre für eine nähere, inhaltliche Untersuchung an. Natürlich wäre es vermessen, nur anhand einer kleinen Auswahl von Texten eines einzelnen Juristen die Grundlagen der römischen Bedingungslehre neu aufarbeiten zu wollen. Immerhin sah Wlassak in Iul. Pal. 489.2 (D. 30,86,2) den überzeugendsten Beweis für eine „Pendenz-Lehre“ Julians. Julians einschlägige Lösungen scheinen konsistent, was für einen konsequenten Ansatz in seinem Denken, ja vielleicht, um die Ausdrucksweise Flumes aufzugreifen, für eine gewisse „Sachlogik“ oder gar „mathematische Logik“ spricht391. Dieses Kapitel setzte sich folglich zum Ziel nachzuforschen, wieweit sich Julian bei der Ausarbeitung dieser Fälle auf ein dahinterstehendes gemeinsames Konzept abgestützt hat und ob allenfalls bereits von einer „Dogmatik der Pendenz“ gesprochen werden kann, wie dies Ratti ohne bleibenden Nachhall vorschlug.

389

Siehe die Statistik zu Julians Wortgebrauch vorne, Kap. 4 C. Vgl. zur Rhetorik Wesel (1967), S. 138 f., der als bemerkenswerte Ausnahme Ulpians expliziten Hinweis auf einen rhetorischen Status in D. 1,3,30 anführt: „Fraus enim legi fit, ubi quod fieri noluit, fieri autem non vetuit, id fit: et quod distat ῥητόν ἀπό διανοίας, hoc distat fraus ab eo, quod contra legem fit“. Wesel sieht in der Verwendung des griechischen Begriffs den Beleg, dass die rhetorische Terminologie zu Ulpians Zeiten offenbar noch nicht in die Rechtswissenschaft eingegangen war, da Ulpian sonst einen lateinischen Begriff hätte wählen können. Vgl. die Verwendung von σόφισμα/σωρίτην bei Julian in Iul. Pal. 722 (D. 50,17,65). Immerhin gab es in diesen Bereichen eigentliche Fachbegriffe. 391 Flume (1975), S. 128 f. 390

G. Ergebnisse

241

Nach Wlassak bediente sich Julian der Schwebe oder Pendenz, um eine nur einstweilige Regelung zu vermeiden, wenn er mehrere Möglichkeiten für eine Entscheidung identifizierte, von denen keine ein Übergewicht für sich beanspruchen konnte392. Die Schwierigkeiten, diesen Zustand mittels der juristischen Fachsprache zu beschreiben, widerspiegeln sich in den Kontroversen zur Frage, ob die betreffenden Rechte als vorübergehend nichtbestehend oder erloschen gelten sollen, um später wieder aufzuleben oder ob sie besser als zeitweilig ruhend zu beschreiben sind393. Eine moderne Dogmatik muss diese Frage zweifellos diskutieren und beantworten. Doch setzt sie im Mindesten den Wunsch nach gesicherten juristischen Begrifflichkeiten, vielleicht gar nach der Ausbildung eines Systems des Rechts voraus – eine Voraussetzung, welche für das römische Recht traditionell ja gerade abgelehnt wird394. Eine modern inspirierte dogmatische Diskussion begänne bei der vermuteten Pendenz-Lehre der römischen Juristen somit am falschen Ende. Schon Gioffredi war der Ansicht, Julian habe sich bei seiner Behandlung der bedingten Vermächtnisse nicht um eine rigorose juristische Konstruktion bemüht395. Hier wird die Ansicht vertreten, dass Julian sehr wohl ein Konzept der Pendenz kannte, es aber nicht in einem juristischen Sinn verstand, sondern als Teil der Welt der Tatsachen und als Hilfsmittel zu ihrer Beschreibung sah. Zur Rekapitulation muss nochmals der Sprachgebrauch der römischen Juristen zur Pendenz betrachtet werden, an dem keine Theorie vorbeikommt. Für ­Gioffredi hatte das Wort „pendere“ bloß eine generische, materielle Bedeutung und bezog sich auf instabile, noch unklare Situationen, welche sich durch zukünftige Er­ eignisse klären ließen396. Der Gedanke von Unsicherheit, der von einer Schwebe angezeigt wird, findet sich bei mehreren Juristen397. Die Bezüge zur philosophischen Diskussion, ob die Welt deterministisch oder nicht-deterministisch strukturiert ist, sind offensichtlich. Die Vorstellung einer nicht-deterministischen Welt stellt den unverzichtbaren Hintergrund einer vermuteten Pendenz-Lehre dar. Ungewiss sind zukünftige mögliche aber nicht notwendige Ereignisse, die erst mit ihrer Aktualisierung in einer zukünftigen Gegenwart zu feststellbaren Tatsachen werden. Aus dieser Sicht sind es Ereignisse oder, um es etwas ungenau aber alltagssprachlich zu formulieren, einzelne Tatsachen, die in der Schwebe sein können. Diese Skizze ist mit Julians Sprachgebrauch zu vergleichen. Bei Julian können ganz unterschiedliche „Objekte“ schweben. Zum einen sind dies regelmäßig die Bedingungen398. Diese sind mit zukünftigen Ereignissen oder der Kenntnis eines vergangenen Ereignisses verknüpft, können also trotz ihrer rechtlichen Be 392

Wlassak, S. 246. Siehe Kaser (1971), S. 290 im Zusammenhang des ius postliminium. Zu Rattis Vorschlägen und ihrer Kritik in der Literatur siehe nochmals Amirante in Ratti, S. vi und Ratti IV, S. 36 (S. 190 im Neudruck). 394 Zur Frage des Systems siehe jetzt Stagl (2014) über das „System“ bei Gaius. 395 Gioffredi, S. 134. 396 Gioffredi, S. 147. 397 Tryph. D. 49,15,12,1 und Paul. D. 50,17,169,1: „Quod pendet, non est pro eo, quasi sit“. 398 Siehe die Statistik im Anhang A.2. 393

242

Kap. 4: Modallogik

deutung der Welt der Tatsachen zugerechnet werden. Zu ihr zählen auch „schwebende“ Sachen, die sich in einem Sondergut befinden (Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3)) und natürlich die an Bäumen hängenden Früchte (Iul. Pal. 240 (D. 18,1,39,1)). Zum anderen kann auch der Status eines Sohnes (Iul. Pal. 761.2 (D. 49,15,22,2) oder die Ersitzung (Paul. D. 41,3,15 pr.) schweben. Hier handelt es sich offenbar um rechtliche Institute. Doch muss deswegen nicht gefolgert werden, dass Julian an „schwebende Rechte“ gedacht hat399. Zweifellos sind an den Status des Sohnes rechtliche Wirkungen geknüpft, er beschreibt jedoch prmär seine faktische Stellung in Familie und Gesellschaft. Im Mittelpunkt der Ersitzung steht der Begriff des Besitzes, welcher mehr faktische als rechtliche Bedeutung hat und erst durch seine Dauer zum Eigentumserwerb als rechtlicher Folge führt. Überdies ist die zitierte Stelle bei Paulus nur ein indirekter Beleg für Julians Sprachgebrauch. Nach diesem Verständnis legt Julians Sprachgebrauch den Schluss nahe, dass er Schwebezustände auf objektiv beschreibbare, faktische Umstände bezog. Diese Sicht entspricht den punktuell von Gioffredi400 und Amirante geäußerten Meinungen. Amirante sieht jedoch nicht eine ganze Sachlage in der Schwebe, sondern einzig die zukünftigen, die Unsicherheit beendenden Ereignisse, welche die römischen Juristen nicht immer sauber von ihren rechtlichen Wirkungen unterschieden401. Dies scheint vorwiegend eine sprachliche Differenz zu sein. Sie überdeckt jedoch die einzelnen Schritte, die der Jurist in seiner Arbeit vollbringen muss. In einem ersten Schritt muss er die Phase der Unsicherheit erkennen und die möglichen zukünftigen Kausalverläufe identifizieren. In einem zweiten Schritt muss er eruieren, wann, wenn überhaupt, die für eine endgültige Entscheidung notwendige Information verfügbar sein wird. Bei bedingten Rechtsgeschäften können diese Zeitpunkte vom Willen der Parteien abhängig oder zufällig sein. Zufällig oder zumindest von den Beteiligten nur schwer beeinflussbar sind sie beim ius postliminium. Diese Zeitpunkte spannen die eigentliche Schwebe auf. In einem dritten Schritt muss die Unsicherheit zweckmäßig überbrückt werden. Bei bedingten Vermächtnissen konnte eine Entscheidung kurzfristig aufgeschoben werden (Iul. Pal. 520.1 (D. 30,91,1) und Iul. Pal. 522 (D. 36,2,17)). Dies war bei den heimatlichen Verhältnissen des Kriegsgefangenen nicht immer möglich (Iul. Pal. 761.2 (D. 49,15,22,2) und Iul. Pal. 762 (D. 49,15,22,3)). Endgültig beurteilt werden die offenen Fragen immer erst im Zeitpunkt der Aktualisierung der Kausalverläufe.

399

Vgl. Gioffredi, S. 135: „Giuliano non dice, né potrebbe dire, date le concezioni romane, che è in suspenso il diritto del legatario, ma che si trova in suspenso la situazione dell’oggetto del legato“. In diesem Sinn auch Amirante (1962), S.  12, wonach weder Rechte noch Verpflichtungen schwebten. 400 Vgl. Gioffredi, S. 135: „In conclusione perciò l’in suspenso esse di Giuliano è come altrove, uno stato di attesa riferito a una situazione obbiettiva – e non a una posizione subiettiva di potere – soggetto a venir meno“. 401 Amirante (1962), S. 11: „[..] evitano si soffermarsi a descrivere il rapporto nella sua statica oggettività ed appuntano lo sguardo sul momento finale della situazione“.

G. Ergebnisse

243

Erst in diesem vierten Schritt knüpft der Jurist die jeweils spezifischen Rechtsfolgen der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte an die nun feststellbaren Tatsachen402. Dieses abstrakte Konzept in vier Schritten zieht sich bei Julian durch alle drei betrachteten Rechtsgebiete, Schuldrecht, Erbrecht und ius postliminium. Dies legt nahe, dass sich Julian eines gemeinsamen Konzepts bedient hat, um die nichtdeterministische Welt als Treiber des Sachverhalts zu erfassen und zu beschreiben. Die je nach Rechtsgebiet unterschiedliche rechtliche Behandlung schließt sich erst im vierten Schritt an. Kasuistik und rechtliche Erfahrung stehen der hier vorgeschlagenen Erklärung nicht im Wege. Diese Pendenz-Lehre ist nicht dogmatisch zu verstehen, sondern als logisches oder metaphysisches Hilfsmittel zur Beschreibung der Welt der Tatsachen. Dieses Konzept kommt ganz ohne die Annahme eines Begriffs von schwebenden Rechtsverhältnissen aus. Die Ergebnisse aus den Exegesen dieses Kapitels deuten auch nicht darauf hin, dass Julian einer solchen Vorstellung gefolgt wäre. Schwierig zu beantworten ist die Frage nach der möglichen zeitlichen Entwicklung eines solchen Konzepts und seiner Anwendung auf rechtliche Probleme. Amirante sah den Beginn der Entwicklung im ius postliminium mit dem Erlass der lex Cornelia 403. Erst die lex Cornelia habe die Schwebezeit eingeführt, um die Wirkungen des Testaments zu retten404. Schiemann sah in der statulibertas einen Prototyp für die Pendenz405, doch verunmöglicht die unsichere Quellenlage auch hier eine genauere zeitliche Bestimmung406. Neben Julian haben sich wie gezeigt nach ihm auch Marcellus, Tryphonin und Paulus intensiv mit dem Thema der Schwebe im ius postliminium auseinandergesetzt407. Nur von Marcellus ist für das Fortlaufen der Ersitzung eine von Julian unterschiedliche Meinung über­liefert. Das dabei entscheidende, auf einem Vergleich basierende rhetorische 402 Vgl. Jhering, S. 167 (F. 208): „Die im Text entwickelte Bedeutung der Bedingung ist von den römischen Juristen mit gewohntem Takt vollkommen richtig erfasst, indem sie das Moment des Zukünftigen in die Definition der Bedingung aufnehmen und als Kriterium der echten Bedingung den Zustand der objektiven Unentschiedenheit oder Pendenz, d. h. des Werdens bezeichnen; ein bedingtes Geschäft ist ihnen ein werdendes, aber ein solches, welches die gesetzlichen Bedingungen seines Werdens bereits vollständig in sich trägt und nur noch ein seinem abstrakten Tatbestand fremdes, aber für den konkreten Entschluss wesentliches Moment zu überwinden hat“. 403 Amirante (1961), S. 1 und Ratti II, S. 50 f. (Neudruck S. 116 f.). Vgl. die Hinweise auf ein politisches Interesse, die Soldaten in ihren Rechten zu schützen und auf spätere christliche Einflüsse bei Ratti, S. xiii und Ratti IV, S. 30 f. (Neudruck S. 184 f.). 404 Amirante (1969), S.  127: „[..] ha invitato cosi la giurisprudenza  a superare in via di interpretazione la vecchia disciplina, sospendendo gli effetti della prigionia che avrebbero compromesso la successione testamentaria e collegando appunto questo effetto sospensivo, che in tema di status delle persone assume l’aspetto della pendenza, al postliminium“. So im Ergebnis auch D’Amati, S. 168, Fn (468). Vgl. Wesel (1967), S. 55 ff. zu Julians extensiver Auslegung. 405 Schiemann, S. 6. 406 Pennitz, S. 256, Starace (2006), S. 119. 407 Julian als Innovator bei Fuenteseca, S. 570.

244

Kap. 4: Modallogik

Argument, welches Paulus zitierte408, bedurfte in seiner Einfachheit weder eines Konzepts noch einer Dogmatik. Julian war es, der seine Fallunterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem Besitz eingehend hätte begründen müssen. Das Konzept der Pendenz erlaubte es, eine solche Begründung zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der im ius postliminium verwirklichten „Denkformen“ der Fiktion und der Rückwirkung erscheint eine modallogische Durchdringung der Pendenz und ihre Anwendung in anderen Rechtsgebieten weniger außerordentlich, als es auf den ersten Blick den Anschein machen könnte. Ist man bereit, in den drei angesprochenen Rechtsgebieten eine gemeinsame Vorstellung der Pendenz zu sehen, lässt sich dieses mit der Modallogik umfassend beschreiben und motivieren. Unabhängig von einem logischen Hintergrund wäre ein solches Konzept ein starker Beleg für die Fähigkeit und die Bereitschaft Julians, abstrakt und losgelöst von unmittelbar anstehenden Fällen zu denken. Dabei soll nicht etwa einem Versuch Julians, das Recht zu systematisieren, das Wort geredet werden. Denn das vorgeschlagene Konzept der Pendenz betrifft gerade nicht unmittelbar das Recht. Vielmehr gestattet es, komplexe Ketten von Ereignissen und Ursachen in den Sachverhalten zu analysieren und zu ordnen. Die Logik als Hilfsmittel ordnet die Welt der Fakten mehr als die Welt des Rechts. Ein so gewonnenes, objektiv abgestütztes Bild der Sachlage könnte es Julian erlaubt haben, schärfere Unterscheidungen zu treffen und dadurch immer wieder differenziertere Entscheidungen als seine Kollegen zu finden.

408

In Paul. D. 41,3,15 pr.

Kapitel 5

Axiomatisches Denken A. Fragestellung Dieses abschließende Kapitel wendet sich dem Versuch zu, Miquels These, die römischen Juristen seien des „axiomatischen Denkens“ fähig gewesen, am gewählten Beispiel Julians genauer auszuleuchten und soll damit den Kreis des in der Einleitung skizzierten Programms schließen. Zunächst muss bei den Grundlagen dargelegt werden, was im Zusammenhang der antiken Vorstellungen über die Logik unter „axiomatischem Denken“ verstanden wird. Repräsentativ steht dazu die Frage, ob sich die römischen Juristen wie von Cicero in seiner Topik empfohlen der fünf Schlussregeln bedient haben, die sich aus den Unbeweisbaren ergeben, um ihre zur konkreten Entscheidung führenden Argumente „schlüssig“ miteinander zu verbinden. Ein solches Vorgehen spräche in der Tat für Miquels These, dass die römischen Juristen „axiomatisch“ denken konnten1. Jede Argumentationstechnik muss sich darum bemühen, als problematisch erkannte Geltungsansprüche durch „gute Gründe“ zu stützen bzw. Argumente so zu strukturieren, dass ihre Geltung objektiv nachgeprüft werden kann. Die klassische Logik hält hierfür den logischen Schluss bereit, den Aristoteles in seinen Werken als „Syllogismus“ eingeführt und beschrieben hat. Ohne hier schon eine saubere Definition geben zu wollen, bezeichnet der logische Schluss heute wie schon in der Antike den „logisch korrekten“ Übergang von einer oder mehreren Prämissen auf eine Folgerung. In dieser Beschreibung spiegelt sich das anschauliche Verständnis der Logik als „Kunst des folgerichtigen Denkens“ wieder. Was als „logisch korrekt“ gelten darf, muss als Regel gesondert definiert werden: Während die in den Kapiteln 3 und 4 behandelten logischen Konzepte allesamt zur „Objektebene“ der Logik gehören, ist der logische Schluss einer „Metaebene“ zuzurechnen, auf der aus theoretischer oder philosophischer Sicht „über die Logik“ nachgedacht und gesprochen werden kann2.

1

Siehe Miquel, S. 119 ff. zu Proc. D. 50,16,124, Scaev. D. 45,1,129 und Jul. D. 34,5,14,2–6. Vgl. Hoyningen-Huene, S. 159 ff.

2

246

Kap. 5: Axiomatisches Denken

B. Grundlagen 1. Aristotelische Schlussformeln Die Wurzeln des Konzepts des logischen Schlusses reichen bis auf die Vorarbeiten der antiken Philosophen zurück, die sich mit der Dialektik beschäftigt haben. An erster Stelle zu nennen ist Aristoteles, der der Frage nach dem korrekten Schließen seine Erste Analytik widmete3. Bei ihm ist der Schluss (συλλογισμόζ) der allgemeine, der Beweis (ἀπόδειξις) der spezielle Begriff: Jeder Beweis ist ein Schluss, aber nicht jeder Schluss ist ein Beweis4. Ein Beweis ist ein wissenschaftlicher Schluss, wobei hier wissenschaftlich bedeutet, dass durch den Beweis Wissen vermittelt wird5. Bei den einführenden Begriffsbestimmungen der Ersten Analytik findet sich folgende Definition des Syllogismus: Ein Schluss ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt wird, etwas von dem Gesetzten Verschiedenes notwendig dadurch folgt, dass dieses ist6.

Der syllogismos ist demnach ein gültiger Schluss7, der als Teil des logos ausgewiesen wird (wobei Aristoteles keine Unterscheidung zwischen abstrakter Metaebene und konkreter Objektsprache trifft8). Die Beschreibung enthält jedoch genau die Idee, dass sich die Konklusion zwingend oder „notwendig“ aus den Prämissen ergibt9. Diese Mechanik eines Schlusses beschreibt Aristoteles noch etwas genauer: Wenn sich also drei Begriffe zueinander so verhalten, dass der letzte (der Unterbegriff) in dem mittleren als Ganzem ist, und der mittlere in dem ersten (dem Oberbegriff) als Ganzem entweder ist oder nicht ist, so ergibt sich notwendig für die Außenbegriffe ein vollkommener Schluss10.

Diese Beschreibung stellt klar, dass in einem gültigen Schluss bestimmte (Teil-) Aussagen mehrfach vorkommen müssen. Diese sind der Ober-, Mittel- und Unterbegriff, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen müssen11. Die Beschreibung setzt sich mit der Einführung der berühmten drei syllogistischen Figu 3

Erste Analytik = „Lehre vom Schluss“, Zweite Analytik = „Lehre vom Beweis“. Arist. An. pr. I,4 (25b). 5 Arist. An. post. I,2 (71b). 6 Arist. An. pr. I,1 (24b18–20): συλλογισμὸς δέ ἐστι λόγος ἐν ὧι τεθέντων τινῶν ἕτερόν τι τῶν κειμένων ἐξ ἀνάγκης συμβαίνει τῶι ταῦτα εἶναι. Siehe auch Arist. Top. 1,1 (100a25). Zu den Unterschieden zwischen dem wissenschaftlichen Syllogismus der Analytiken und dem „dialektischen“ Syllogismus des Dialogs aus der Topik siehe Primavesi, S. 59 ff. und S. 82. 7 Ebert/Nortmann, S. 226. 8 Zu den unterschiedlichen Ansichten der Literatur, wonach der Syllogismus als Schluss (ausgefüllt mit konkreten Ausdrücken) oder Schlussregel (abstrakt dargestellt mit Buchstaben) zu sehen ist, siehe Ebert/Nortmann, S. 220 ff. 9 Dabei ist „notwendig“ (vgl. engl. „apodictic“) im Sinne der Modallogik zu verstehen. 10 Arist. An. pr. I,4 (25b); Übers. Rolfes, S. 6; vgl. Rapp (2011), S. 391. 11 Die Bezeichnungen Ober- und Unterbegriff in ihrer Bedeutung aus der zitierten Stelle bei Aristoteles lassen sich nicht unverändert auf alle drei Figuren anwenden. Ihre Bedeutung ergibt sich jeweils gesondert aus ihrer relativen Stellung zum Mittelbegriff M; vgl. Kneale/ 4

247

B. Grundlagen

ren der aristotelischen Logik fort, in welche sich Argumente aus zwei Prämissen und einer Konklusion einteilen lassen. Wenn wie im logischen Quadrat S das Subjekt und P das Prädikat der Konklusion sowie M den hier neu eingeführten Mittelbegriff bezeichnen, lassen sich S, P und M wie folgt auf die zwei Prämissen und die Konklusion verteilen12: Erste Figur

Zweite Figur

Dritte Figur

P1

M-P

P-M

M-P

P2

S-M

S-M

M-S

K

S-P

S-P

S-P

Aristoteles bezeichnet die Schlüsse der 1. Figur als vollkommen, jene der 2. und 3. Figur aber als unvollkommen, da sie auf die 1. Figur zurückgeführt werden können13. Die Schlüsse der 1. Figur bilden die Grundlage für seine Behandlung des Beweises in der Zweiten Analytik. Beide Prämissen und die Konklusion lassen sich als Aussagen einem der Typen A, E, I oder O zuordnen, die durch die vier Ecken des logischen Quadrats bestimmt werden14. Rein kombinatorisch ergeben sich aus diesem Schema 3 × 43 = 192 Möglichkeiten, von denen Aristoteles jedoch nur 14 als „syllogistisch“ ausweist15. In dieser Auswahl widerspiegeln sich die Voraussetzungen, die ein Schluss erfüllen muss, um als logisch korrekt oder gültig zu gelten. Im Mittelalter wurden diese Schlussformeln mit Namen bezeichnet, welche die Typenzuteilung mnemotechnisch aufnehmen16. Die in der nächsten Tabelle fett gedruckten Vokale der Namen geben in der Reihenfolge ihres Auftretens jeweils an, zu welchem Typ A, E, I oder O die beiden Prämissen und die Konklusion gehören: Erste Figur

Zweite Figur

Dritte Figur

Barbara

Cesare

Datisi

Celarent

Camestres

Disamis

Darii

Festino

Ferison

Ferio

Baroco

Bocardo

Barbari

Cesaro

Felapton

Celaront

Camestros

Darapti

Kneale, S. 69 und abschließend S. 71: „The whole question, however, is of merely antiquarian interest“. Vgl. Ebert/Nortmann, S. 495. 12 Siehe Kneale/Kneale, S. 68. Zur umstrittenen 4. Figur P-M/M-S siehe Kneale/Kneale, S. 183 f. 13 Rapp (2011), S. 392. Vgl. Arist. An. pr. I,5 (28a); I,6 (29a); I,7 (29a); allgemein I,1 (24b). 14 A = allgemein bejahend, E = allgemein verneinend, I = besonders bejahend, O = besonders verneinend. 15 Zur Anzahl Syllogismen vgl. Ebert/Nortmann, S. 289. 16 Erstmals in Versform (!) in den Introductiones in logicam des Engländers William of Shyreswood (erste Hälfte des 13. Jh.); siehe Kneaele/Kneale, S. 231 ff.

248

Kap. 5: Axiomatisches Denken

Die vier hell schraffierten Schlussformeln, die Aristoteles entgingen, wurden erst im Mittelalter hinzugefügt17. Als verdeutlichendes Beispiel sei hier nur die dunkel schraffierte Schlussformel „Datisi“ genauer erklärt, die später noch gebraucht wird. Bei ihr ist die erste Prämisse vom Typ A, während die zweite Prämisse und die Konklusion vom Typ I sind. Die Formel lautet demnach in Worten bzw. in der formalen Notation aus Kapitel 3: Wenn alle M zu P gehören und einige S zu M gehören, dann gehören einige S zu P.

Das eingangs vorgestellte Beispiel mit den Dreiecken, Rechtecken und Kreisen folgt dem Muster von „Datisi“. Analog lassen sich auch die restlichen Formeln aus der Tabelle ableiten und erklären, worauf hier verzichtet wird18. Neben ihrer Grundstruktur bestehend aus zwei Prämissen und einer Konklusion zeichnen sich Aristoteles’ Schlussformeln durch die durchgängige Verwendung von Prädikatoren aus. Dies mag durch sein immer wieder betontes Interesse an wissenschaftlichen Beweisen erklärbar sein, bei denen oft vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird. Für eine freie, in den verschiedensten Feldern einsetzbare Argumentation scheint das Raster der drei Figuren etwas beengend19. Diese Einschätzung beruht allerdings auf der engen Lesart von Aristoteles’ Darstellung, wie sie sich seit der Rezeption der aristotelischen Lehre im Mittelalter in der Gleichsetzung des Syllogismus mit einer der 14 Schlussformeln manifestierte20. Bevor diese Lesart kritisch hinterfragt wird, soll sich der Blick auf die Entsprechung des logischen Schlusses bei den Stoikern richten, die einen freieren Zugang gewählt haben. 2. Stoische Schlussformeln Auch bei den Stoikern lag das Ziel der „Syllogistik“ in der Prüfung, ob ein vorgegebenes Argument als „logisch korrekt“ („syllogistisch“) einzuschätzen war oder nicht. Als Argumente akzeptierten sie zusammengesetzte Aussagen, die aus zwei oder mehr Prämissen und einer Konklusion bestehen konnten21. Stoische Argumente wiesen somit die „Form“ A1, .. , A n ˫ C,

für n ≥ 2 auf, wobei für die Variablen22 A1, .. , An einfache oder zusammen­gesetzte Aussagen einzusetzen sind. Der logische Schluss wird hier mit „˫“ bezeichnet.

17

Kneale/Kneale, S. 74. Eine vollständige Liste findet sich bei Kneale/Kneale, S. 72 f. oder sehr übersichtlich bei Rini, S. 18. 19 Vgl. auch Rapp (2011), S. 415. 20 Rapp (2011), S. 393. 21 Diog. Laert. 7,45+78; vgl. Bobzien (1996), S. 171, 190; Kneale/Kneale, S. 159. 22 Vgl. Apul. De phil. rat. 279: „Stoici porro pro literis numeros usurpant“. 18

B. Grundlagen

249

Somit war insbesondere die einfache Struktur A ˫ B für die Stoiker keine zulässige Form eines Arguments. Dies zeigt, dass die stoische Logik nicht einfach mit der modernen, klassischen Aussagenlogik gleichgesetzt werden darf 23. Der hier zur Beschreibung der Struktur oder des Musters einer Argumentation verwendete moderne Begriff der „Form“ ist als Element der Metasprache von der eines Arguments oder einer Aussage strikt zu trennen. Weshalb die Stoiker diese Einschränkung der Form als notwendig oder zweckmäßig ansahen, ist nicht ganz klar. Möglicherweise entsprach diese Anforderung ihrer Vorstellung des natürlichen Denkens und Argumentierens24. Durch Einsetzen von einfachen und zusammengesetzten Aussagen in die Form konnten Argumente von beinah beliebiger Komplexität konstruiert werden. Es spricht für Chrysippus’ Gründlichkeit, dass er sich auch mit der kombinatorischen Frage beschäftigte, wie viele Aus­sagen sich aus endlich vielen einfachen Aussagen konstruieren ließen25. Ist man einmal diesem Gedankengang gefolgt, drängt sich die Frage nach der „logischen Korrektheit“ von komplizierten Argumenten geradezu auf, die, wenn sie nicht zufällig einer der drei aristotelischen Figuren entsprechen, in einer ersten Durchsicht nicht ohne Mühe zu erfassen sind. Als erstes ist dabei zu eruieren, wie die Stoiker „logisch korrekt“ oder eben „syllo­gistisch“ definiert haben könnten. Die eine in der Literatur vertretene Deutung könnte das moderne Verständnis aus dem vorangehenden Abschnitt vorwegnehmen und Argumente dann als syllogistisch bezeichnen, wenn der zugehörige Konditional wahr ist26. Die andere Deutung schlägt vor, Argumente als syllogistisch zu bezeichnen, wenn sie sich mit Hilfe einer Reihe formaler Umformungen, den sogenannten themata (θέματα) auf eine Kombination aus prinzipiell als gültig angesehenen Argumenten reduzieren lassen. Der Gedanke ist nicht wirklich neu, denn bereits Aristoteles war der Ansicht, dass sich alle gültigen Schlüsse auf eine seiner 14 Schlussformeln zurückführen ließen27. Diese Argumente sind als „Unbeweisbare“ (αναπόδεικτος λόγος) bekannt geworden, eine Bezeichnung, die treffend mit „selbsterklärend“ übertragen werden kann28. Bobzien hat auf Grundlage der verfügbaren Quellen eine Rekonstruktion des stoischen Vorgehens der Reduktion auf die „Unbeweisbaren“ vorgeschlagen,

23

Siehe die Bemerkungen vorne, Kap. 3 A. So Kneale/Kneale, S. 163. 25 Vgl. knapp bei Kneale/Kneale, S. 162; detailliert in Bobzien (2011). Cicero spielt in Top. 57 summarisch aber in der Sache unpräzise auf diese Frage an: „Ex eis modis conclusiones innumerabiles nascuntur, in quo est tota fere διαλεκτική“. 26 So die Erklärung von Kneale/Kneale, S. 159 mit Verweis auf zahlreiche Stellen bei Sextus Empiricus. 27 Arist. An. pr. I,22 (40b); vgl. Rapp (2011), S. 395. 28 Diog. Laert. 7,78. Nach Kneale/Kneale, S.  164 weise Sext. Emp. Math. 8,223 und 8,228+229 dem griechischen ἀναπόδεικτος in den Schriften Chrysippus’ die Bedeutung von „selbsterklärend“ zu. Bei Apul. de phil. rat. 277 ist das Wort mit „indemonstrabilis“ wiedergegeben. 24

250

Kap. 5: Axiomatisches Denken

die im Folgenden skizziert werden soll29. In den Quellen gut dokumentiert ist der Teil mit den Unbeweisbaren, auf die Cicero in seinen „Topica“ zu sprechen kommt30. In moderner formaler Notation lassen sich die „Unbeweisbaren“, von denen kanonisch deren fünf gezählt werden31, wie folgt schreiben32: (A1) A → B, A ˫ B (A2) A → B, ¬B ˫ ¬A (A3) ¬(A ∧ B), A ˫ ¬B (A4) A ∨ B; A ˫ ¬B (A5) A ∨ B; ¬A ˫ B

Die angegebenen Formeln lesen sich dabei so: Sei A → B als Programm wahr. Sei A als wahr angenommen: A stehe abgekürzt für „A = 1“. Dann folgt („˫“), dass auch B wahr ist. Formel (A2) beschreibt die zweite Zeile der Wahrheitstabelle des Konditionals. Formeln (A4) und (A5) charakterisieren zusammen die ausschließliche Disjunktion 〉--〈33. Schwieriger präsentiert sich die Überlieferung zur Reduktion der zu prüfenden Argumente mittels der vier themata (T1) – (T4), von denen in den Quellen nur das erste und das dritte thema erhalten sind34. Dass es insgesamt vier sind, lässt sich 29

Bobzien (1996), S. 133 ff. Cic. Top. 54–57. Die Wortwahl Ciceros bei der Beschreibung der Unbeweisbaren lohnt ein ausführliches Zitat: „[zu (A1)] Appellant autem dialectici eam conclusionem argumenti, in qua, cum primum adsumpseris, consequitur id quod adnexum est primum conclusionis modum; [zu (A2)] cum id quod adnexum est negaris, ut id quoque cui fuerit adnexum negandum sit, secundus is appellatur concludendi modus; [zu (A3)] cum autem aliqua coniuncta negaris et ex eis unum aut plura sumpseris, ut quod relinquitur tollendum sit, is tertius appellatur conclusionis modus [..]. Reliqui dialecticorum modi plures sunt, qui ex disiunctionibus constant: [zu (A4)] Aut hoc aut illud; hoc autem; non igitur illud. [zu (A 5)] Itemque: Aut hoc aut illud; non autem hoc; illud igitur. [..] atque ex eis conclusionibus quas supra scripsi prior quartus posterior quintus a dialecticis modus appellatur.“ Das knappe „hoc aut illud“ findet sich auch in Iul. Pal. 3, während Ciceros Sprache bei den ersten drei Unbeweisbaren sehr technisch und spezifisch erscheint. 31 Cicero fährt in seinem Text mit der Nennung zweier weiterer Unbeweisbarer fort, die analog aus der Konjunktion gebildet werden: „Deinde addunt coniunctionum negantiam sic: Non et hoc et illud; hoc autem; non igitur illud. Hic modus est sextus“. Doch diese Formel sagt nicht mehr aus als (A3) und ist logisch überflüssig. „Septimus autem: Non et hoc et illud; non autem hoc; illud igitur“. Diese Formel ist sogar falsch, denn wenn A ∧ B = 0 mit A = 0 ist, kann auch B = 0 sein. Kneale/Kneale, S. 180 f. vermuten aufgrund spätantiker Texte, dass schon vor Ciceros Zeiten ein Anhänger der Stoiker eine Liste mit 7 Unbeweisbaren entwickelte. Die 7. Formel könnte korrekt ¬(¬A ∧ ¬B), ¬A ˫ B lauten, die sich nur durch das Hinzufügen zweier Negationen von der bei Cicero unterscheidet. Miquel, S. 120 nahm diese Negationen als „unentbehrliche Ergänzungen“ in Ciceros Text auf. Als mögliche Quelle Ciceros für die sieben Unbeweisbaren nennt er den griechischen Philosophen Poseidonios (2./1. Jh. v. Chr.). 32 Vgl. Bobzien (1996), S. 141. Zu den Formeln siehe Diog. Laert. 7, 80–81 und Sext. Emp. Math. 8,224 f. 33 Vgl. beinah wortgetreu Proc. D. 50,16,124. Siehe dazu Miquel, S. 94 ff. 34 Bobzien (1996), S. 143. 30

B. Grundlagen

251

hingegen aus den erhaltenen Quellen erschließen, die auch Informationen zu den Eigenschaften aller vier themata liefern35. Für die Exegese bei Julian wird nur (T3) benötigt, welches das allgemeine Prinzip jedoch bereits ausreichend zu illustrieren imstande ist: Wenn aus zwei Aussagen eine dritte folgt, und aus der, welcher sich ergibt, zusammen mit einer anderen, äußeren Annahme eine weitere folgt, dann folgt diese andere aus der ersten und der äußeren Annahme36.

In moderner, formaler Notation schreibt sich dies wie folgt: A1, A2 A3 A3, E C A1, A2, E C

Der „Bruchstrich“ markiert hier den rekursiven Übergang von den Zwischen­ resultaten in der oberen Zeile zur Aussage in der unteren Zeile, von welcher der Reduktionsschritt seinen Ausgang nimmt. Die beiden Zwischenresultate können bei Bedarf mittels (T1) bis (T4) weiter umgeformt werden, bis schließlich auf der obersten Zeile nur noch Kombinationen stehen, die der Form von (A1) bis (A5) entsprechen37. Gelingt dies, ist die Aussage auf der untersten Zeile am Anfang der Kette als logisch korrekt erwiesen. Das Eigentümliche an dieser Methode liegt in der gegenüber einem deduktiven Vorgehen traditioneller Art umkehrten Denkweise, die vom zu prüfenden „Resultat“ auf die als korrekt angenommenen „Axiome“ zurückführt38. Dabei stellt sich die interessante Frage, ob dieses logische „System“ vollständig ist. Sie ist nur zu bejahen, wenn sich die skizzierte Reduktion für alle „logisch korrekten“ Aussagen durchführen lässt. Sie wird trivial, wenn „logisch korrekt“ oder „syllogistisch“ gerade so definiert wird, dass eine solche Reduktion möglich ist39. Bobzien vermutet jedoch, dass die Stoiker eine unabhängige Definition von „logisch korrekt“ kannten40. Diese könnte in einer „Konditionalisierung“ gesehen werden, wie sie die moderne, im ersten Abschnitt vorgestellte Definition beinhaltet. Kneale und Kneale scheinen eher der deduktiven Denkrichtung anzuhängen, leiten sie doch aus den Unbeweisbaren eine Reihe von „Theoremen“ ab, die sich teilweise in den Quellen zu den Stoikern wiederfin 35

Das Thema (T1) ist die Regel der Kontraposition von Argumenten (Apul. Int. 209,12–14; Galen, Inst. Log. 6,5). Das nicht erhaltene (T2) diente nach Bobzien (1996), S. 143 wohl der Reduktion von überflüssigen bzw. duplizierten Argumenten. (T3) diente der Vereinfachung komplexer Argumente und ist in zwei unterschiedlichen Versionen erhalten (Alex. In. An. Pr. 278,12–14; Simpl. In Cael. 237,2–4). Das verlorenen (T4) könnte nach Bobzien (1996), S. 157 eine Kombination aus (T2) und (T3) gewesen sein. 36 Simpl. In Cael. 237,2–4; Übers. Bobzien (1996), S. 145. 37 Bobzien (1996), S. 158 erläutert dazu ein Beispiel aus Sext. Emp. Math. 8,230–238. Ausgangspunkt ist ein Argument mit drei Prämissen: (p ∧ q) → r, ¬r, p ˫ ¬q. Durch Anwendung von (T3) ergeben sich „über dem Strich“ die beiden Argumente mit nur je zwei Prämissen (p ∧ q) → r, ¬r ˫ ¬(p ∧ q) vom Typ (A2) und ¬(p ∧ q), p ˫ ¬q vom Typ (A3). 38 Bobzien (1996), S. 133 spricht von einem „argumental reductive system of deduction“. 39 Angedeutet in Diog. Laert. 7,78. 40 Bobzien (1996), S. 189.

252

Kap. 5: Axiomatisches Denken

den. Auch stellen sie die themata, die sie als „second-order rules“ bezeichnen, zuweilen auf die gleiche Stufe wie die „Unbeweisbaren“41. Betrachtet man jedoch die sophistischen Dialoge, erscheint das reduktive Vorgehen durchaus plausibel, geht es doch dort jeweils darum, seinen Gegner ausgehend von einer gegebenen Aussage durch Umformulierungen in Widersprüche zu verwickeln42. Eine Entscheidung für die eine oder andere Deutung ist nicht nur deshalb schwierig, weil die Quellen offenbar nicht eindeutig zu interpretieren sind, sondern weil sich die themata sehr wohl dazu eignen, in beide Richtungen zu denken. Als Zwischenergebnis der bisherigen Ausführungen lässt sich „axiomatisches“ Denken interpretieren als direkte Anwendung der deduktiven aristotelischen Schlussformeln oder als Denken im stoischen deduktiv-reduktiven Schema. 3. Das Enthymem als logisch unvollkommener Schluss Noch heute stehen im Alltag und in der Jurisprudenz pragmatische Begründungsmuster im Vordergrund, die möglichst rasch zu wahrscheinlichen, plausiblen Aussagen führen, welche im Allgemeinen nicht an einer strengen wissenschaftlichen Wahrheit sodern an ihrer Überzeugungskraft gewessen werden43. In der Antike verhielt es sich damit nicht anders. Nachdem Cicero die ersten drei Unbeweisbaren vorgestellt und mit einem Beispiel erläutert hat, streicht er die Nützlichkeit des Schließens aus gegensätzlichen Aussagen hervor, das den Rhetorikern als enthymema44 bekannt sei: Hoc disserendi genus attingit omnino vestras quoque in respondendo disputationes, sed philosophorum magis, quibus est cum oratoribus illa ex repugnantibus sententiis communis conclusio quae a dialecticis tertius modus, a rhetoribus ἐνθύμημα dicitur45.

Wegen seiner Nähe zum dialektischen Syllogismus, wie er anhand von Aristoteles’ Erster Analytik beschrieben wurde, spricht Rapp vom Enthymem als einer rhetorischen Deduktion46. Denn auch wenn das Enthymem ein Werkzeug der Rhetorik ist, es nicht etwas streng beweisen, sondern durch plausible Argumente überzeugen will47, folgt es oft einem deduktiven Muster48: Da (anerkannt/in der Regel P), also (wahrscheinlich/in der Regel) K49. 41

Siehe Kneale/Kneale, S. 169 f. Siehe zum Beispiel Platons Euthydemus. Vgl. Primavesi, S. 58. 43 So auch von Schlieffen, S. 616. 44 Wortbedeutung als „sich in den Sinn bringen“, „bedenken“, „erwägen“. 45 Cic. Top. 56. 46 Rapp (2002), S.  454; vgl. Rapp (2011), S.  408. „Abgekürzter Syllogismus“ bei von Schlieffen, S. 601. 47 Quint. 5,14,24: „Enthymema ab aliis oratorius syllogismus, ab aliis pars dicitur syllogismi, propterea quod syllogismus utique conclusionem et propositionem habet et per omnes partes efficit, quod proposuit, ethymema tantum intellegi contentum sit“. 48 Rapp (2011), S. 414. 49 Von Schlieffen, S. 605; Kraus, S. 424. 42

B. Grundlagen

253

Tatsächlich unterscheidet Aristoteles fünf Typen des Enthymems50, die deduktiv, nicht-deduktiv oder induktiver Natur sein können. Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse sind das „Wahrscheinlichkeits-Enthymem“ (eikos) und das „zwingende Zeichen-Enthymem“ (tekmerion), die beide deduktiv sind. Beim eikos gründet sich die Schlussfolgerung K in einer „meinungsmäßigen bzw. regelhaften“ Prämisse P51. Auch beim tekmerion wird aufgrund einer „Regelhaftigkeit“ geschlossen, wobei der Schluss jedoch bereits als notwendig oder zwingend verstanden wird. Die Funktionsweise illustriert folgendes Beispiel eines tekmerion aus der „Rhetorik“ von Aristoteles: Er ist krank, denn er hat Fieber (und alle, die Fieber haben, sind krank)52.

Dieses Argument folgt dem Muster der 1. Figur, denn die Begründung stützt sich auf die universelle Aussage, dass alle, die Fieber haben, krank sind53. Die in der Klammer nachgestellte Begründung stellt gewissermaßen einen syllogistischen Zusatz dar, welcher das Argument vervollständigt bzw. seine Plausibilität sicherstellt. Dabei dürfen überzeugende Argumente nicht zu kompliziert aufgebaut sein, um die Zuhörer noch erreichen zu können54. Dies heißt aber nicht, dass man deswegen Prämissen auslassen sollte, vielmehr sind „einfachere“ auszuwählen55. Der Unterschied zum Syllogismus im eigentlichen Sinn liegt darin, dass auch singuläre Aussagen verwendet werden56. Dies ist unvermeidlich, da sich der Redner wie in praktischen Fällen üblich auf einen Einzelfall bezieht. Wenn das Enthymem heute gerne und einprägsam als logisch unvollkommener Schluss beschrieben wird57, entspricht dies nicht seiner ursprünglichen Bedeutung bei Aristoteles58. Der Schlüssel zu einem zutreffenderen Verständnis liegt in folgender Definition: „[..] wenn sich aber, falls etwas der Fall ist, etwas davon Verschiedenes neben diesem ergibt, dadurch dass dies entweder allgemein oder in der Regel der Fall ist, wird es dort [in der Topik] eine Deduktion, hier aber [in der Rhetorik] ein Enthymem genannt“59.

50

Arist. Rh. I,2 (1357a). Siehe die Tabelle bei von Schlieffen, S. 607. Arist. An. pr. II,27 (70a): „Wahrscheinliches und Zeichen ist nicht dasselbe, sondern das Wahrscheinliche ist ein glaubhafter Satz. [..] Ein Zeichen aber will ein beweisender Satz sein, ein notwendiger oder ein glaubhafter. [..] Ein Enthymema (Gemeinschluss) nun ist ein Schluss aus Wahrscheinlichem oder aus Zeichen (Indizien)“. Übers. Rolfes, S.  145; von Schlieffen, S.  607. Nach Kraus, S.  423 hat das Wahrscheinlichkeits-Enthymem bei Aristoteles keine große Bedeutung. 52 Arist. Rh. I,2 (1357b); vgl. die ähnlichen Beispiele bei Arist. An. pr. II,27 (70a). 53 Vgl. von Schlieffen, S. 608. 54 Arist. Rh. I,2 (1356a 7–13) und II,22 (1395b 24–26). 55 Rapp (2011), S. 411. 56 Kraus, S. 424. 57 Siehe Lausberg, § 371. 58 Rapp (2011), S. 385. 59 Arist. Rh. I,2 (1356b15–17); Übers. Rapp, S. 405. 51

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Kap. 5: Axiomatisches Denken

Aristoteles bietet damit eine gemeinsame Definition von Syllogismus und Enthymem an, die er beide in ihrem Aufbau als deduktiv beschreibt, dabei aber nach ihrem Verwendungszweck differenziert60. Der Unterschied zur speziellen Definition des Syllogismus aus der Ersten Analytik liegt darin, dass hier etwas „im Allgemeinen“ oder „in der Regel“ der Fall ist, während es dort „notwendigerweise“ der Fall war61. Anders als bei der Modallogik, bei welcher die Konklusion qualifiziert wird, erfolgt hier eine Qualifikation des Sinns der Prämissen. Die Funktion dieser allgemeinen Definition als Scharnier wird deutlich, wenn man mit Rapp von einer Arbeitsteilung bei Aristoteles’ Schriften ausgeht62. Danach betrachtet Aristoteles in seiner Analytik wahre Prämissen als Teil einer allgemeinen Syllogistik (Erste Analytik) und als Eingaben zu Beweisen (Zweite Analytik, 1. Figur)63. Die Topik bezieht sich zwar ihrem traditionellen Bild entsprechend auf die dialektische Debatte im Rahmen eines Spiels von Angriff und Verteidigung64, behandelt bei Aristoteles aber primär das Problem des Auffindens geeigneter, anerkannter oder auch bloß plausibler oder wahrscheinlicher Prämissen für das Niederringen des Gegners durch idealerweise logisch zwingende Argumente65. Als Sonderfall treten in den „Sophistischen Widerlegungen“ die sophistischen als degenierte Schlüsse auf. Seine Rhetorik schließlich behandelt das Wesen der Überzeugung. Zuhörer sind dann von einer Behauptung überzeugt, wenn sie sie als bewiesen erachten66. Die Kunst der Rhetorik verlässt sich aber nicht nur auf den Beweis (logos), sondern versucht, gewissermaßen um das Gerüst des Schlüssigen herum, den Zuhörer durch die Mittel von Pathos und Ethos zu steuern67. Rapp lässt Aristoteles zu diesem Zweck den Begriff des Enthymems, der zu seiner Zeit bereits rhetorisch belegt war, neu definieren und seiner Definition des Syllogismus annähern – ein entscheidender Schritt, welcher die Affinität von Dialektik und Rhetorik zu einem kennzeichnenden Merkmal seiner Rhetorik macht68. Die aristotelische Rhetorik gewann in der römischen Kaiserzeit wieder an Bedeutung, nachdem sich Cicero wohl eher an der Lehre der Stoiker orientiert hatte69. Da für die Stoiker Mangel an logischer Stringenz selbst in der Rhetorik nicht zulässig war, brauchte man ein neues Instrument, welches in einem entsprechend umdefinierten Enthymem gefunden wurde. Wenn Quintilian das Enthymem nacheinander als Gedanke, als Gedanke mit Begründung und als Schlussform nach 60

Rapp (2011), S. 406 f. Siehe vorne, Kap. 5 B. 1. 62 Rapp (2011), S. 396. 63 Rapp (2011), S. 387. 64 Rapp (2011), S. 386. 65 Rapp (2011), S. 387, 398, 414. 66 Arist. Rh. I,1 (1355a). 67 Rapp (2011), S. 388, 404. 68 Rapp (2011), S. 387 f. 69 Cic. Top. 54–55; vgl. Kraus, S. 432 f. 61

B. Grundlagen

255

Konsequenz oder Widerspruch beschreibt, die je nachdem als unvollständiger oder rhetorischer Schluss beschrieben wird70, zeigt sich eine ziemliche verwirrende Vermischung von Begriffen und Konzepten71. Dies könnte als Grund gesehen werden, welcher zur späteren Auffassung führte, dass es sich beim Enthymem um einen verkürzten, unvollkommenen Syllogismus handelte. Kraus fasst die Entwicklung mit dem Fazit zusammen, dass die ursprünglich deduktiv angelegte aristotelische Theorie des Enthymems in der Antike nicht die Standard­ theorie gewesen sei, sondern als sehr innovativer Ansatz gelten dürfe, der später in Vergessenheit geriet72. 4. Selbstreflexion bei Julian Bei den Untersuchungen dieses letzten Kapitels stellt sich ein besonderes Problem mit der sprachlichen Evidenz. Ein Text mag zwar ausreichend belegen, dass ein bestimmter Jurist logische Kenntnisse hatte, doch wird er häufig keine sicheren Hinweise geben, ob der Jurist „axiomatisch“ in Schlussregeln dachte. Häufig finden sich nur die nötigen (Zwischen-) Ergebnisse, nicht jedoch der vollständige Lösungsweg. Beispiele von Selbstreflexionen römischer Juristen, in denen sie methodische Grundüberlegungen äußerten, finden sich in der Tat nur sehr wenige. Als Ausnahme kann der Mittelteil aus Julians liber singularis de ambiguita­tibus angeführt werden, der in der Art eines Exkurses ausschließlich aus reflektierendtechnischen Erläuterungen Julians besteht. Diesem Exkurs ist folgender Abschnitt entnommen: Iul. Pal. 3 (D. 34,5,13(14),3 – lib. sing. de ambig.) [..] sicut e contrario duae orationes pugnantia continentes simul falsae sunt, veluti si qui liberorum partim puberes, partim impuberes decesserint, nam et hoc falsum erit omnes impuberes decessisse et illud omnes puberes decessisse. Id accidit, quia significatio sumitur ex universo, in quo si aliquid falsum est, totam orationem falsam efficit [..].

[..] Gleichwie im Gegensatz dazu zwei Aussagen, die einen Widerspruch enthalten, zugleich falsch sind, wie etwa, wenn von Kindern einige mündig, einige unmündig sterben. Denn es ist sowohl falsch, dass alle unmündig gestorben sind als auch, dass alle mündig gestorben sind. Dies folgt, weil eine allgemeine Bedeutung gewählt wird, sodass, wenn etwas falsch ist, die ganze Aussage falsch wird [..].

Der Ausschnitt ist die Fortsetzung des zuvor bei der Untersuchung von Julians Sprachgebrauch zum Wort „oratio“ zitierten Abschnitts, in dem er sich Gedanken zum Wahrheitsgehalt gegensätzlicher Aussagen macht73. Er enthält vier expli-

70

Quint. 5,10,1–3. Kraus, S. 433. 72 Kraus, S. 435. 73 Siehe vorne, Kap. 3 B. 4. b). 71

256

Kap. 5: Axiomatisches Denken

zite Aussagen, die sich wie folgt auf die vier Typen des logischen Quadrats verteilen lassen74: Aussage

Typ

Formal

Q1

Omnes liberos puberes decessisse

A

∀ x (Px → Sx)

Q2

Omnes liberos impuberes decessisse

E

∀ x (Px → ¬Sx)

Q3

Partim liberos puberes decessisse

I

∃ x (Px ∧ Sx)

Q4

Partim liberos impuberes decessisse

O

∃ x (Px ∧ ¬Sx)

Subjekt (S) sind die liberi, Prädikat (P) ist puberem decedere. Streng genommen gibt es hier das Problem, dass das Prädikat der zweiten und vierten Aussage an jenes der ersten und dritten angeglichen werden sollte, um im vorgegebenen Raster des logischen Quadrats zu bleiben. Also: „non puberem decedere“ statt „impuberem decedere“75. Julian geht von der Voraussetzung aus, dass qui liberorum partim puberes, partim impuberes decesserint. Sie kann als die zwei Prämissen P1 = Q3 und P2 = Q4 vom Typ I bzw. O in einem formalen Schluss interpretiert werden: P1:partim puberes decesserint P2:partim impuberes decesserint K:?

Um den formalen Anforderungen der aristotelischen Syllogistik gerecht zu werden, muss nach einer wahren Konklusion K vom Typ A oder E gefragt werden, die dann logisch zwingend aus den Prämissen P1 und P2 folgt. Die Tabelle der aristotelischen Schlussformeln zeigt aber schnell, dass es keinen logisch korrekten Schluss vom Typ I-O-? oder O-I-? gibt76. Julians Argumentation baut stattdessen folgendermaßen auf zwei Prämissen auf: Einerseits sei für die gesuchten Aussagen (d. h. für Q1 und Q2) eine universelle Bedeutung gewählt worden: significatio sumitur ex universo (P1'). Andererseits sei sowohl Q3 als auch Q4 wahr (d. h. Q3 = Q4 = 1): partim puberes, partim impuberes decesserint (P2'). Aus dem logischen Quadrat ergibt sich, dass das Besondere aus dem Allgemeinen folgt, weshalb die Konditionale Q1 → Q3 und Q2 → Q4 beide wahr sind. Zusammen führen diese Zwischenschritte auf folgende, nach stoischem Verständnis zulässige Argumente: P1', Q1 → Q3, P2' ˫ ¬Q1, P1', Q2 → Q4, P2' ˫ ¬Q2.

Denn P2' bedeutet nichts anderes, als dass für einige Kinder die Aussage, sie seien mündig gestorben, falsch ist (erstes Argument), während für andere die Aus 74

Miquel, S. 115; vgl. Winkler (2013), S. 225. Zu diesem eher technischen Punkt siehe schon Winkler (2013), S. 225 (Fn. 102). 76 Dies gilt auch, sollte man die dort fehlende vierte Figur ergänzen. 75

C. Auswahl der Stellen

257

sage, sie seien unmündig gestorben, falsch ist (zweites Argument). Somit folgt in Anwendung der Unbeweisbaren (A2), dass Q1 = Q2 = 0: in quo si aliquid falsum est, totam orationem falsam efficit. Die in dieser Herleitung verwendeten Zwischenschritte finden sich mit Ausnahme der als bekannt voraussetzbaren Regel, dass das Besondere aus dem Allgemeinen folgt, alle explizit als Erläuterungen in Julians Text. Julians Argumentation bleibt dabei immer noch ziemlich knapp und zeigt deutlich ein deduktives Vorgehen auf. Ein expliziter Bezug auf aristotelische Schlussformeln findet sich bis auf das in der Alltagssprache gebräuchliche Schlüsselwort „omnes“ nicht (sie werden wie gezeigt ja auch nicht angewendet). Julians Wortwahl wirkt allerdings um einiges technischer als dies sonst bei ihm der Fall ist. Insbesondere erinnert seine Formulierung „quia significatio sumitur ex universo“ an die Bedeutung der Wortwahl aus Ciceros Beschreibung der Unbeweisbaren (A3): „et ex eis unum aut plura sumpseris“77. Diese Stelle allein mag genügen, um Julians Fähigkeit, in logischen Strukturen zu denken, zu belegen. In Abschnitt C werden zur weiteren Stärkung dieses Befundes zwei vergleichbare Stellen besprochen. Iul. Pal. 821.2 enthält sogar ein zweites Beispiel einer Selbstreflexion zur Rolle der Logik in der Jurisprudenz. Weitere, auf die Logik bezogene Kommentare dieser Art, soviel sei hier bereits verraten, lassen sich in seinen Digesten jedoch nicht feststellen. Hält man sich an die durch umfangreiche Untersuchungen abgestützte Vorstellung, dass nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Textmasse der Juristenschriften in die justinianischen Digesten Eingang gefunden hat78, ist dieses Ergebnis kaum über­ raschend.

C. Auswahl der Stellen Einen „axiomatischen“ Lösungsweg in Julians Digesten zu finden, ist die letzte Aufgabe, die in dieser Untersuchung an die Hand genommen werden soll. Hinweise auf entsprechende Texte, die genauer untersucht werden können, ergeben sich auf zweierlei Weise. Da Aristoteles seine Schlussformeln häufig in die Form des Konditionals kleidete, bietet sich ein erneuter Blick auf die Verwendung dieser Struktur bei Julian an, wobei diesmal weniger explizite Erklärungen von Parteien von Interesse sein werden, sondern Julians eigene Erläuterungen zu den von 77 Cic. Top. 54. Das Verb „sumere“ findet sich in Julians Digesten selten: „Adsumitur“ in Iul. Pal. 716 (D. 46,3,13), „sumptus“ in Iul. Pal. 831 (D. 14,2,6), „sumantur“ in Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2). 78 Siehe C. Tanta 1: Von den 3.000.000 Zeilen aus 2.000 Büchern wurden 150.000 Zeilen ausgewählt (entspricht 5 %). Aus der umfangreichen Literatur siehe allgemein Kunkel/Schermaier, S.  215 ff. und im besonderen Honoré (1978), Furlong. Zu letzterem kritisch Honoré (2010). Die Rechnung wird bei Wallinga, S. 86 f. vertieft, wobei gezeigt wird, dass die Länge von Justinians Werk sich nicht wesentlich von der des alten Ausbildungsprogramms bestehend aus den Schriften Gaius, den Responsen des Paulus und des Papinian sowie weiterer Werke unterschied.

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Kap. 5: Axiomatisches Denken

ihm gestellten Fragen79. Für die stoischen Schlussregeln kann dabei wiederum nach Stellen mit den einschlägigen Schlüsselwörtern der logischen Verknüpfungen gesucht werden. Aristotelische Schlussformeln müssen ihrerseits je nach Figur die Prädikatoren „alle“, „keine“ und „einige“ enthalten80. Die einzigen zwei Fragmente, welche gegenüber den bisherigen Resultaten neue Erkenntnisse zu liefern vermögen, werden in Abschnitt C besprochen. Daneben dürften längere Stücke oder mehrere, in einem Zusammenhang stehende Stellen größere Aussicht auf das Erkennen der gesuchten Argumentationsstrukturen versprechen. Die für den Abschnitt D ausgewählte Gruppe Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) steht für einzelne Fragmente, die nach Lenels Rekonstruktion einen größeren, inhaltlich zusammenhängenden Ausschnitt aus Julians Darstellung vermitteln. Ein weiterer möglicher Ansatz läge in der Untersuchung längerer Stellen innerhalb der in den justinianischen Digesten überlieferten Fragmente. Hierzu gibt es 16 einzelne Stellen, die länger als 800 Zeichen sind und somit als Kandidaten für eine genauere Untersuchung in Frage kommen. Mit insgesamt 2.789 Zeichen ist Iul. Pal. 697 (D. 45,1,56) das längste dieser Fragmente. Es folgt dem bereits zuvor festgestellten Muster eines kasuistischen Ausleuchtens verwandter Rechtsfragen nach verschiedenen Gesichtspunkten. Iul. Pal. 92 (D. 22,1,25), 115 (D. 10,2,51), 559 (D. 36,1,26), 569 (D. 36,1,28), 614 (D. 41,3,33) und 803 (D. 28,6,30) beinhalten alle eine längere Beschreibung des Sachverhalts und behandeln anschließend mehrere, teils unterschiedliche rechtliche Fragen. Die Begründungen bleiben dabei nach wie vor ziemlich recht knapp, sodass sich insgesamt erneut das eben angesprochene kasuistische Bild ergibt. Iul. Pal. 182 (D. 14,4,12) behandelt die Konkurrenz zwischen der actio de peculio und der actio tributoria anhand einer allgemein formulierten Regel und eines konkreten Rechenbeispiels. Der Aufbau der Stelle folgt dem klassischen, dreigliedrigen Schema der responsa. Einen ähnlichen Stil wandte Julian in Iul. Pal. 372 (D. 37,5,6) an. Die Stelle beginnt mit einer Anrede und scheint in Briefform gehalten. Bei Iul. Pal. 389 (D. 38,2,20), 614 (D. 41,3,33) und 735 (D. 46,8,22) handelt es sich um weitere Beispiele der anhand der Gruppe von Iul. Pal. 525–527 (D. 34,5,11, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) genauer zu besprechenden „Konditional-Form“, die sich durch längere und etwas komplexere Prämissen auszeichnen. Iul. Pal. 375 (D. 37,6,3), 756 (D. 35,2,87) und 759 (D. 28,6,28) schließlich wurden bereits anderswo diskutiert oder angesprochen. Für eine zweite Exegese in Abschnitt D wurde schließlich das Fragment Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) ausgewählt, das sich durch eine parallele Argumentation auszeichnet und dessen Problem einen logischen Hintergrund aufweist, das sich aber nicht allein aus der Logik heraus lösen lässt. Im Ergebnis kann die beschränkte Auswahl dieses Kapitels als ausreichend repräsentativ bezeichnet werden.

79

Als Aussagen vom Typ 4. Hierzu ergibt sich folgendes Bild: omnis (17), nonnullus (1), aliquot (0), aliquis (5), aliquid (19) und complures (4). Die detaillierte Liste der Stellen findet sich im Anhang. 80

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D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1) Einen ersten Einblick in Julians Technik der Präsentation mehrerer, in einem weiteren Zusammenhang stehender rechtlicher Fragestellungen und ihrer Behandlung bieten die drei folgenden Fragmente, welche bei Lenel unmittelbar aufein­ ander folgen. 1. Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16; 34,3,11; 5,11 – Iul. 36 dig.) Si ita scriptum fuerit: „Cum Titius annorum triginta erit, Stichus liber esto eique heres meus fundum dato“ et Titius, antequam ad annum trigensimum perveniret, decesserit, Sticho libertas competet, sed legatum non debebitur. Nam favore libertatis receptum est, ut mortuo Titio tempus superesse videretur, quo impleto libertas contingeret: circa legatum defecisse condicio visa est.

Si debitor fideiussorem suum ab herede suo liberari iusserit, an fideiussor liberari debeat? Respondit debere. Item quaesitum est, an, quia mandati actione heredes tenerentur, inutile legatum esset, quemadmodum inutile legatum est quod debitor creditori suo legat. Respondit 〈respondi〉81, quotiens debitor creditori suo legaret, ita inutile esse legatum, si nihil interesset creditoris ex testamento potius agere quam ex pristina obligatione. Nam et si Titius mandaverit Maevio, ut pecuniam promitteret, deinde liberari eum iusserit a stipulatore, manifestum est, quantum intersit promissoris liberari potius quam praestare ex stipulatu, deinde mandati agere.

81 82

[525] Wenn so geschrieben wurde: „Wenn Titius 30 Jahre alt wird, soll Stichus frei sein, und mein Erbe soll ihm ein Grundstück geben“ und Titius, bevor er 30 Jahre alt geworden ist, stirbt, steht Stichus die Freiheit zu doch das Vermächtnis wird ihm nicht geschuldet sein. Denn wegen der Begünstigung der Freiheit ist anerkannt, dass, nachdem Titius gestorben ist, ein zusätzlicher Zeitabschnitt angenommen wird, nachdem er zur Freiheit gelangt. Für das Vermächtnis wird die Bedingung als ausgefallen angesehen. [526–1] Wenn der Schuldner seinem Erben aufträgt, seinen Bürgen zu befreien, ob der Bürge befreit werden müsse? Man hat geantwortet, er müsse. Ebenso wurde gefragt, ob, da die Erben durch die Auftragsklage in Haftung genommen werden, das Vermächtnis ungültig sei, welches der Schuldner seinem Gläubiger hinterließ. Man hat 〈ich habe〉 geantwortet, dass jedesmal, wenn der Schuldner seinem Gläubiger etwas vermache, sei das Vermächtnis ungültig [unwirksam], wenn der Gläubiger aus dem Testament nicht mehr verlangen kann als aus der ursprünglichen Verbindlichkeit82. [526–2] Denn auch wenn Titius den Maevius beauftragt hat, eine Geldsumme zu versprechen, ihm danach aufgetragen hat, ihn vom Versprechen zu befreien, ist klar, wieweit

81 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, S.  645 entscheiden sich, in beiden Fällen dafür, „respondi“ statt „respondit“ zu lesen, und damit die Meinung eindeutig Julian selbst zuzuordnen. 82 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, S. 645: „[..] sei das Vermächtnis immer dann unwirksam, wenn der Gläubiger kein Interesse daran hat, aus dem Testament statt aus der bisherigen Verbindlichkeit zu klagen“. Zur Bedeutung von „utile“ siehe die Exegesen zu Iul. Pal. 464, 520.1 und 522.

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Kap. 5: Axiomatisches Denken

Quotiens libertis usus fructus legatur et ei, qui novissimus supervixerit, proprietas, utile est legatum: existimo enim omnibus libertis proprietatem sub hac condicione „si novissimus supervixerit“ dari.

es für den Versprecher vorteilhafter ist, sich zu befreien als das Versprechen zu erfüllen, um danach aus dem Auftrag zu klagen.83 [527] Wenn Freigelassenen der Nießbrauch vermacht wird und dem, der die anderen überlebt, das Eigentum, ist das Vermächtnis gültig: ich nehme nämlich an, dass allen Freigelassenen das Eigentum unter der Bedingung „wenn er alle überlebt“ gegeben wird.

a) Zur quaestio

83

Die drei Stellen finden sich hintereinander im 36. Buch „de legatis, quae servis vel filiis familiae relinquuntur“ von Julians Digesten. Bei Iul. Pal. 525 (D. 40,4,16) geht es um ein bedingtes Vermächtnis an einen Sklaven, der gleichzeitig testamentarisch freigelassen wird. In Justininans Digesten ist das Fragment im Titel „de manumissis testamento“ eingereiht. Der Erblasser hat beide Verfügungen, Vermächtnis und Freilassung, mit dem Zusatz versehen, dass sie wirksam werden sollen, wenn Titius, der a priori nicht mit dem „heres meus“ zusammenfallen muss, das 30. Altersjahr erreicht. Entspricht Lenels Einreihung unter besagtem Titel tatsächlich Julians eigenem Aufbau, steht wohl das Vermächtnis und weniger die Freilassung im Zentrum der Rechtsfrage. Die Verwendung von „cum“ erweckt zwar den Anschein einer Befristung, doch ist der Zusatz in Wirklichkeit als Bedingung zu sehen, da es im Zeitpunkt der Abfassung des Testaments angesichts kriegerischer Ereignisse und der allgemeinen Lebenserwartung tatsächlich noch unsicher war, ob Titius 30 Jahre alt werden würde84. Folglich handelt es sich hier um ein allgemeines unsicheres Ereignis, das weder dem Sklaven noch der arglistigen Handlung eines Dritten zugerechnet werden kann85. Sollte Titius früher versterben, muss die Bedingung für beide Anordnungen streng genommen als ausgefallen gelten. Julian will mit bloßem Verweis auf den von der Jurisprudenz entwickelten favor libertatis zumindest die Freilassung retten: Nam favore libertatis receptum est86. Für das Vermächtnis jedoch gelten die allgemeinen, von ihm an dieser Stelle nicht mehr weiter zu begründenden Regeln, und es wird unwirksam: circa legatum defecisse condicio visa est. Starace sieht das Fragment als weitere Anwendung der Idee des fiktiven Bedingungseintritts87, während Voci umgekehrt von einer Umwandlung der Bedingung in eine Frist spricht88. 83 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, S. 646: „[..] ist offensichtlich, wie groß das Interesse des Versprechenden ist, befreit zu werden, statt aufgrund der Stipulation zu leisten und dann aus dem Auftrag zu klagen“. 84 Starace, S. 243. Vgl. vorne zu Iul. Pal. 594.0, wo der Tod als sicheres Ereignis auftrat. 85 Vgl. vorne zu Iul. Pal. 520.1. 86 Zum Begriff des ius receptum siehe Starace, S. 67 ff. und Giaro (1994), S. 70. 87 Starace, S. 243 (Fn. 45). 88 Voci, Bd. II, S. 602 (Fn. 75).

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

261

Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) spricht mehrere ähnliche, aber doch unterschiedliche Fälle an. Bei Justininan ist das Fragment im Titel „de liberatione legata“ eingereiht. Der besprochene Fall stellt eigentlich das Gegenteil eines „Befreiungsvermächtnisses“ dar, bei dem ein Gläubiger seinem Schuldner ein Vermächtnis zum Erlass seiner Schuld hinterlässt89. Zunächst trägt ein Erblasser seinem Erben auf, einen Dritten (fideiussor) zu befreien, der sich zuvor zu seinen Gunsten für eine bereits bestehende Schuld verbürgt hat90. Julian bestätigt, dass der Erbe den Bürgen befreien müsse. Seine Wortwahl weist auf eine fideiussio hin. Die allgemein bejahte Pflicht des Erben, den fideiussor zu befreien, wie ihm vom Erblasser aufgetragen wurde, ergibt sich schon aus der Vererblichkeit der Haftung aus der fideiussio91. Ein neutrales „respondit“ würde noch unterstreichen, dass es sich hierbei um eine allgemein anerkannte Ansicht handelte, die sich aus allgemeinen Regeln ergab. Erst im zweiten Fall tritt – wie nach dem Titel zu erwarten – ein Vermächtnis auf, das ein Schuldner seinem Gläubiger hinterlassen hat. In Zweifel gezogen wird hier die Gültigkeit des Vermächtnisses, da der Gläubiger die Erben bereits mit der Auftragsklage (actio mandati) belangen könne, um seinem Anspruch durchzusetzen. Julian entscheidet, dass das Vermächtnis nur dann wirksam wird, wenn es dem Bedachten einen größeren Vorteil bietet, als ihm aus der ursprünglichen Verpflichtung zustünde92. Julian geht es hier weniger um einen Widerspruch zwischen zwei Rechtsgeschäften, sondern um die Frage, ob der Bedachte einen Anspruch auf die Sache und ihren Wert oder auf die doppelte Geldsumme hat. Antonius Pius entschied in einem Reskript, dass im Zweifelsfall, also wenn der Erblasser nicht seinen gegenteiligen Willen explizit zum Ausdruck gebracht hatte, nur von einer einmaligen Begünstigung auszugehen ist93. Ist das Vermächtnis nach der „Regel“ von Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) gültig, richtet sich die Wirkung des Erwerbs durch den Bedachten nach der Meinung von Schulz nicht nach den Regeln zum concursus causarum, sondern es sei ein „weiter reichender Gesichtspunkt maßgebend“94. Die Leistung aus dem einen Erwerbsgrund wirke auch für 89

Vgl. Kaser (1971), S. 751. Zu den drei Bürgschaftstypen der sponsio, fidepromissio und fideiussio siehe Kaser (1971), S. 661. 91 Gai: 3,120: „Praeterea sponsoris et fidepromissoris heres non tenetur, nisi si de peregrino fidepromissore quaeramus, et alio iure ciuitas eius utatur. fideiussoris autem etiam heres tenetur“. 92 Nicht weiter kommentiert bei Voci, Bd. II, S. 324 (Fn.288). 93 Siehe Pap. D. 31,66 pr. Beim von den römischen Juristen breit diskutierten concursum causarum treffen bezüglich derselben Sache zwei Erwerbsgründe zusammen. Siehe Kaser (1971), S. 643 mit S. 751 (Fn. 84) zum legatum debiti. Seit Julian galt wohl, dass die Schuld bestehen bleibt, wenn sich eine entgeltliche causa mit einer unentgeltlichen traf: Iul. Pal. 794 (D. 44,7,19), während sie bei zwei unentgeltlichen causae erlosch: Iul. Pal. 475.0 (D. 30,82 pr.). Gleiches galt nach Pomp. D. 21,2,29 pr. bei zwei entgeltlichen Erwerbsgründen. Vgl. auch Ulp. D. 30,28 pr., Paul. D. 31,82 pr. und Pap. D. 35,2,5. Die Ausgangslage in Pap. D. 31,66 pr. ist von der in Iul. Pal. 525 verschieden, obwohl Papinian zum Einstieg Julians Grundsatz zitiert: „Debitor autem non semper quod debet iure legat, sed ita, si plus sit in specie legati“; zum Vergleich der Ausführungen Julians und Papinians siehe Babusiaux (2011), S. 83 ff. 94 Schulz (1917), S. 152. 90

262

Kap. 5: Axiomatisches Denken

die andere Verpflichtung befreiend, einfach, weil es der Erblasser so gewollt hatte. Diese Deutung ist nach den einleitenden Bemerkungen zu einem legatum debitii überzeugend. Offenbar baut der zweite Fall auf dem Sachverhalt des ersten auf, um die Auftragsklage auf die dort vorbestehende Verpflichtung abzustützen. Bei der fideiussio kam schließlich jede Verbindlichkeit als Hauptschuld in Frage95. Das Vermächtnis an den Gläubiger (nicht etwa an den Bürgen) sollte als legatum debiti der Erfüllung dieser Schuld dienen. Zur Begründung oder Veranschaulichung96 liefert Julian ein rein schuldrechtliches Beispiel nach: Titius hat Maevius beauftragt, einem Dritten durch Stipulation die Zahlung eines Geldbetrages zu versprechen. Möglich, dass es für Titius praktischer war, die ganze Geschäftsbeziehung zum Dritten von Maevius verwalten zu lassen und später nur mit diesem gesamthaft abzurechnen, als selbst mit dem Dritten in Kontakt zu treten – sonst hätte er sich gar nicht erst des Umwegs über einen Auftrag bedienen müssen. An den Dritten zu zahlen und gegen Maevius zu klagen bedeutete für Titius ebenso mehr Aufwand wie es für den Gläubiger aus dem zweiten Fall zweckmäßiger ist, sich auf sein tendenziell leichter mit Beweisen zu belegende Schuldverhältnis mit dem Verstorbenen zu berufen, als aus dem Testament zu klagen. Als drittes und abschließendes Fragment behandelt Iul. Pal. 527 (D. 34,5,11) ein Vermächtnis, das einer Gruppe von Freigelassenen den Nießbrauch und dem letzten Überlebenden aus dieser Gruppe das Eigentum einer Sache hinterlässt. Ein solches Vermächtnis sei gültig. Freigelassene verblieben zu ihrem ehemaligen Herrn in einem Patronatsverhältnis, sodass ihnen eine Art Zwischenstellung zwischen servi und filii zukam, was die Behandlung dieses Falles unter dem genannten Titel rechtfertigt97. In Justininans Digesten ist das Fragment im Titel „de rebus dubiis“ eingereiht. Diese Einordnung betont den Aspekt der Auslegung des Testaments. Hier wird die Frage nach der Gültigkeit eines Vermächtnisses gestellt, welches sich nach Gegenstand und Kreis der Begünstigten über die Zeit wandelt. Julian interpretiert die Verfügung als zwei Vermächtnisse: Ein erstes, unbedingtes vermacht den Nießbrauch der nicht näher bezeichneten Sache einer Gruppe von Freigelassenen. Ein zweites bedingtes Vermächtnis vermacht denselben Freigelassenen das Eigentum an derselben Sache. Die Formulierung der angenommenen Bedingung stellt klar, dass nur einer das Eigentum erhalten wird. Das die Bedingung erfüllende Ereignis ist hier nicht der Tod als individuell sicheres Ereignis. Es ist das Ereignis, dass ein im Voraus nicht bestimmter Einzelner alle anderen Mitbedachten überlebt. Der angedeutete zukünftige Kausalverlauf dient als Interpretation des vermuteten Erblasserwillens.

95

Kaser (1971), S. 663. Fallgruppe der Anknüpfung mit „Argumentation durch Veranschaulichung“ bei Bund (1965), S. 193. 97 Kaser (1971), S. 118, 298. Vgl. Waldstein (1986), S. 42 ff. 96

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

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b) Beitrag der Logik Aus Sicht der antiken Logik ist das Problem der drei Fragmente wie folgt zu umreißen: Iul. Pal. 525 (D. 40,4,16) enthält eine explizite Aussage, die mit den in Kapitel 3 besprochenen Methoden aussagenlogisch analysiert werden kann. Der Ablauf der Ursachen, die zum Ausfall der Bedingung führen, kann wie in Kapitel 4 modallogisch oder kausal erfasst werden. Der schuldrechtliche Vergleich aus Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) gleicht den „bilanziellen“ Überlegungen aus Kapitel 2: Sollte Titius zuerst dem Versprechensempfänger die versprochene Geldsumme S zahlen und dann klageweise mit Kosten K von Maevius eine Entschädigung E verlangen, berechnet sich sein zu erwartender Geldfluss als E – K – S. Kann Maevius ihn jedoch gegen eine Entschädigung (evtl. in Form einer Vertragsstrafe) von S – E' von seiner Verbindlichkeit befreien, dürfte dies für ihn günstiger ausgehen. Denn wahrscheinlich gilt für Titius’ Auslagen die Ungleichung S – E' < S + K – E mit der Aussicht, dass E' gegen S und dem (Prozess-) Risiko, dass E gegen 0 tendieren. Explizite Rechnungen finden sich in der Stelle keine. Die Behandlung der Gültigkeit des Vermächtnisses in Iul. Pal. 527 (D. 34,5,11) entspricht weitgehend dem Muster der Gruppe um Iul. Pal. 520.1 (D. 30,91,1) aus Kapitel 4, enthält aber keinerlei explizite Bezüge zur Logik. Um sich der quaestio iuris zu nähern, ist es zweckmäßig, zunächst einen Blick auf den Aufbau der Argumentation zu werfen. Die Abfolge der Argumente in den drei Stellen folgt mit einer Variation in Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) jeweils einem dreigliedrigen Schema aus Komponenten „a-b-c“. Eine eigentliche, vom Rest abgesetzte Beschreibung der Sachverhalte ist dabei nicht vorhanden. Die Sachverhalte sind vielmehr in die wie üblich kompakte Argumentation hineingewoben. Einen ersten Teil  der Beschreibung, worum es jeweils geht, ergibt sich aus den Kom­ ponenten a, die gleichzeitig die Tatbestandsvoraussetzungen beinhalten: [525a] Si ita scriptum fuerit [..]et Titius [..] decesserit. [526a] Quotiens debitor creditori suo legaret [..]si nihil interesset [..]ex pristina obligatione. [527a] Quotiens libertis usus fructus legatur et ei [..] proprietas.

Bei Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) stellt Julian dem Kern der Frage als eine Vorgeschichte den ersten, einfachen Fall der fideiussio voran, welcher dem gleichen Muster folgt: [526aa] Si debitor fideiussorem suum ab herede suo liberari iusserit.

Zusätzlich wird der Kern der Frage mit einer Klammer quaesitum est  – respondi hervorgehoben, die eine Art von Dialog andeutet. Julians Beurteilungen der rechtlichen Situation schließen sich unmittelbar mit den Komponenten b an: [525b] Sticho libertas competet, sed legatum non debebitur.

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Kap. 5: Axiomatisches Denken

[526b] Ita inutile esse legatum. [526bb] Debere. [527b] Utile est legatum.

Die Komponenten a können nun als zusammengesetzte Prämissen, die Kom­ ponenten b als Konklusionen aufgefasst werden, sodass Julians Argumentation auf der Struktur a → b aufbaut. So zeigt sich, dass Julian der Struktur des Konditionals folgt, um die Ausgangslage mit ihren Tatbestandsvoraussetzungen in geraffter Form darzulegen und sogleich die rechtliche Situation klarzustellen, auch wenn er nicht immer das Schlüsselwort „si“ verwendet. Fraglich ist, ob es sich hier tatsächlich um einen logischen Konditional handelt, der notwendig oder gewissermaßen „automatisch“ von den Prämissen auf die Konklusion führt. In den meisten Fällen liefert Julian mit den Komponenten c eine kurze Begründung nach: [525c] Nam favore libertatis [..] contingeret. [526c] Nam et si Titius mandaverit [..] mandati agere. [527c] Existimo enim [..] dari.

Bei Iul. Pal. 525 (D. 40,4,16) kommt als in der Begründung implizit angenommene Prämisse hinzu, dass die testamentarische Verfügung als bedingt und nicht als befristet anzusehen ist. Dass die Freilassung trotz Ausfall der Bedingung „Titius wird 30 Jahre alt“ wirksam wird, begründet Julian aus dem explizit genannten favor libertatis. Wirklich zwingend ist dieser „Schluss“ nicht, doch erscheint er vor dem Hintergrund des favor libertatis und seiner traditionellen Behandlung als plausibel und angemessen. Bei Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) wird der erste Fall als „Vorgeschichte“ eingesetzt, um eine bereits bestehende Verpflichtung in den Sachverhalt einzubringen und gleichzeitig zu betonen, dass die Schulden des Erblassers grundsätzlich zu begleichen sind. Die Unwirksamkeit des Vermächtnisses im Hauptfall kann so vom Vorliegen einer Bedingung abhängig gemacht werden: si nihil interesset creditoris. Anstelle einer expliziten Begründung begnügt sich Julian mit einem in seiner Bedeutung angeblich offensichtlichen Beispiel: nam et si Titius mandaverit [..] manifestum est. Auch hier erscheint die Lösung plausibel, wenn man sich die Folgen des Beispiels vergegenwärtigt und sie mit der Situation im Hauptfall vergleicht. Bei Iul. Pal. 527 (D. 34,5,11) hingegen interpretiert Julian in seiner Begründung die testamentarische Bestimmung explizit, woraus sich die von ihm vertretene Rechtsfolge leicht erklärt: Die Begünstigten werden, wie es so geht, nacheinander sterben und der Überlebende erhält schließlich das Eigentum. Hier erscheint Julians Lösung durchaus „logisch“, unterstellt man seine Interpretation des Testaments und sieht man von dem seltenen, eher unwahrscheinlichen Ereignis ab, dass alle Begünstigten gleichzeitig auf natürliche Weise sterben oder bei einem Unglück den Tod finden. Dass sich die Folgerungen a → b mit Notwendigkeit aufdrängen, kann in keinem der drei Fälle gesagt werden. Weder stützt sich Julian auf eine Begriffspyra­mide

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

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ab, wie dies Aristoteles in seinen Beispielen zur Syllogistik tat98, noch auf ein axiomatisches System, wie es die euklidische Geometrie darstellt99, die beide eine solche Notwendigkeit begründen könnten. Die „Schlüsse“ bedürfen in jedem Fall einer zusätzlichen, im Text nachgestellten äußeren Begründung c. Mit ihrer deduktiven Anordnung erwecken sie zwar einen logisch korrekten Eindruck, tatsächlich sind sie aber „nur“ Enthymeme und zwar weniger des Zeichens als der Wahrscheinlichkeit, die sich auf eine anerkannte „Regel“ oder eine Regelmäßigkeit abstützen. Das erste Muster trifft auf den Fall von Iul. Pal. 525 (D. 40,4,16) mit seinem Anrufen des favor libertatis zu. Das zweite zeigt sich in Iul. Pal. 527 (D. 34,5,11) mit seiner lebensnahen Vorstellung, dass die Begünstigten nacheinander versterben werden, bis ein einzelner als letzter übrigbleibt, um Eigentümer zu werden. Die Argumentation von Iul. Pal. 526 (D. 34,3,11) weist mit seinem Beispiel aus dem Auftragsrecht eher induktive Züge100 auf. Die logische Korrektheit des „Schlusses“ zeigt sich immerhin darin, dass Julian mit diesem Beispiel seine Argumentation zum Hauptfall konsistent untermauert, also keinen Widerspruch zwischen Parallelfällen erzeugt, ohne zu erläutern, weshalb sie unterschiedlich zu entscheiden wären. Ebenfalls sehr deutlich illustrieren die drei Fragmente die angesprochene charakteristische Kompaktheit des Enthymems. Dieses am Beispiel der drei Fragmente Iul. Pal. 525–527 herausgearbeitete und besprochene Argumentationsmuster, welches mehr rhetorisch als logisch dem Konditional folgt, lässt sich in Julians Digesten zahlreich feststellen101. Mit Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) behandelt die nächste Exegese ein Fragment, welches dieses Muster stilistisch variiert. Es zeichnet sich durch eine Gegenüberstellung zweier Problemfälle, die sich als Varianten erweisen. Julians parallele Argumentationslinien weisen verschiedene Bezüge zu den in den Kapiteln 3 und 4 besprochenen Konzepten auf, die das gestellte Problem jedoch nicht rein aus der Logik heraus zu lösen vermögen.

98 Siehe etwa Arist. An. pr. I,4 (26a)  mit Mensch, Pferd, Stein und Sinnenwesen als Begriffen. 99 Vgl. namentlich Arist. An. post. I, 14 (79a)  zum wissenschaftlichen Beweis in der 1. Figur. 100 Vgl. von Schlieffen, S. 607. 101 So namentlich in seinem längsten Fragment Iul. Pal. 697.

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Kap. 5: Axiomatisches Denken

2. Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41 – Iul. 30 dig.) [1] Si pater familias Titium, quem ingenuum esse credebat, heredem scripserit eique, si heres non esset, Sempronium substituerit, deinde Titius, quia servus fuerat, iussu domini adierit hereditatem: potest dici Sempronium in partem hereditatis admitti. Nam qui scit aliquem servum esse et eum heredem scribit et ita substituit: ‚Si Stichus heres non erit, Semprionius heres esto‘, intellegitur tale quod dicere: ‚Si Stichus neque ipse heres erit neque alium fecerit‘.

[1] Wenn der Familienvater Titius, von dem er glaubte, dass er freigeboren sei, zum Erben einsetzte, und ihm, sollte er nicht Erbe werden, Sempronius substituierte, und darauf Titius, weil er ein Sklave war, auf Anordnung des Herrn das Erbe antrat, kann gesagt werden, dass Sempronius einen Teil der Erbschaft erhalten sollte. Denn wer von jemandem weiß, dass er ein Sklave ist und ihn als Erben einsetzt und ihm so substituiert: „wenn Stichus nicht Erbe sein wird, soll Sempronius Erbe sein“, wird so verstanden, als sagte er: „wenn weder Stichus selbst Erbe wird, noch einen anderen zum Erben macht“.

[2] At qui eum, quem liberum putat esse, heredem scripserit, hoc sermone ‚si heres non erit‘ nihil aliud intellegitur significare, quam si hereditatem vel sibi non adquisierit vel mutata condicione alium heredem non fecerit, quae adiectio ad eos pertinet, qui patres familias heredes scripti postea in servitutem deducti fuerint. Igitur in hoc casu semisses fient ita, ut alter semis inter eum, qui dominus instituti heredis fuerit, et substitutum aequis portionibus dividatur.

[2] Auch wenn jemand einen anderen, von dem er vermutet, dass er frei sei, als Erben einsetzt, kann die Wendung „wenn er nicht Erbe sein wird“, nichts anderes bedeuten, als dass dieser entweder das Erbe nicht sich selbst erwirbt oder, nachdem er seinen Status geändert hat, er das Erbe nicht einem anderen verschafft102. Dieser Zusatz bezieht sich auf jene, die als eingesetzte Erben des Familienvaters nachträglich in Unfreiheit fallen. Folglich wird in diesem Fall das Erbe hälftig auf den Herrn des eingesetzten Erben und den Ersatzerben aufgeteilt.

a) Zu casus und quaestio

102

Die Stelle stammt aus dem Titel „de testamentis“ des 30. Buchs von Julians Digesten. In Abschnitt [1] setzt ein Erblasser einen Titius zum Erben ein, von dem er glaubt, er sei frei geboren. Für den Fall, dass Titius nicht Erbe wird, setzt er Sempronius als Ersatzerben ein. Titius stellte sich jedoch als Sklave heraus und trat auf Anordnung seines Herrn das Erbe an. Julian hält es für vertretbar, dass auch Sempronius ein Anteil am Erbe zusteht. In Abschnitt [2] verliert ein eingesetzter Erbe nachträglich seine Freiheit. Auch in diesem Fall soll das Erbe je zur Hälfte dem unfrei gewordenen Erben und dem Ersatzerben zukommen.

102 Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 3, S. 63 übersetzen „[..] nichts anderes sagen als, wenn dieser die Erbschaft weder sich selbst erwarb, noch unter verändertem Verhältnis einen anderen zum Erben machte“.

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

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Beide Fälle waren im antiken Rom wohl weniger theoretisch, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Vordergründig kann die antike römische Gesellschaft durch die horizontalen Schichten der juristisch definierten Statusgruppen aus römischen Bürgern, Nichtbürgern und Bürgern niedrigen Rechts charakterisiert werden103. Diese traditionelle Sicht scheint eine soziale Mobilität eher auszuschließen. Doch schätzen manche Autoren die Wahrscheinlichkeit als sehr hoch ein, dass ein Sklave aus besseren Verhältnissen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren mit seiner Freilassung rechnen konnte104. Für Hermann-Otto war die römische Gesellschaft eine offene, in der der juristische Status und die sozialen, wirtschaftlichen Umstände einer Person auseinanderfallen konnten105. Als Beispiel nennt er die Finanzberufe (actores), welche teilweise so attraktiv erschienen, dass wirtschaftlich schwächere Freie sogar zum Selbstverkauf bereit waren, um als Verwalter in den Dienst eines Herrn zu treten. Zu denken ist auch an die Lebensgemeinschaften zwischen höhergestellten Sklaven des kaiserlichen Haushalts (servi Caesari) und freigeborenen Frauen106. Diese Ambivalenz der libertas konnte je nach wirtschaftlichen Umständen dazu führen, dass sowohl Freigeborene (ingenuii) als auch Sklaven es vorziehen konnten, nicht als der zu erscheinen, der sie tatsächlich waren und aus diesem Grund einen anderen „Status“ vortäuschen wollten107. In Abschnitt [1] könnte es um eine solche Manipulation oder aber auch um einen bloßen Irrtum des Erblassers gehen. Beides erscheint jedenfalls wahrscheinlicher, als dass Titius erst nachträglich seine Freiheit verloren hätte. Julian hätte den Fall von Abschnitt [1] wohl nicht so knapp als quia servus fuerat beschrieben. Um einen nachträglichen Statusverlust geht es hingegen in Abschnitt [2], wie Julian selbst klarstellt. Am oberen Rand der Gesellschaft konnte jeder Freigeborene seine Freiheit verlieren (capitis diminutio), etwa durch Kriegsgefangenschaft108 oder durch den eben angesprochenen Selbstverkauf, der meist durch widrige wirtschaftliche Umstände motiviert war109. Während die Freilassung eines Sklaven rituell als eine Art von Neugeburt ausgestaltet war110, wurde der Verlust der Freiheit mit dem Tod verglichen: servitutem mortalitati fere comparamus111. Voci stellt die Stelle unter das Thema des Irrtums im Testamentsrecht (falsa causa). Irrtümer über den Status eines Erben seien bei der Testamentserrichtung recht häufig gewesen112. Galt ein Motivirrtum im Testamentsrecht ursprünglich als unbeachtlich („falsa causa non nocet“), wurde später nach dem wirklichen Wil 103

Siehe Gai. 1,9–11. Siehe Scheidel, S. 650. 105 Hermann-Otto, S. 171, 181. 106 Vgl. Weaver, S. 176; nach Scheidel, S. 648 kamen diese contubernia häufig vor. 107 Hermann-Otto, S. 175. 108 Zur Kriegsgefangenschaft als eine der Hauptquellen für den Sklavenhandel siehe ­Welwei, S. 81. 109 Hermann-Otto, S. 178. 110 Bellen, S. 20; Levy, S. 145: „fundamentalste Metamorphose, die sich denken lässt“. 111 Ulp. D. 50,17,209. Vgl. das alte Konzept des „Klostertodes“. 112 Voci, Bd. II, S. 857 ff. 104

268

Kap. 5: Axiomatisches Denken

len des Erblassers gesucht113. Wieling hält es in der Tat für unwahrscheinlich, dass die römischen Juristen in dieser Frage allzu starren Schemata gefolgt seien, statt sich mit den konkreten Umständen des Einzelfalls auseinanderzusetzen114. Julians Versuch, für beide Fälle eine befriedigende Lösung zu finden, kann in diese Entwicklungslinie eingeordnet werden115. Wie schon mehrmals vermerkt, konnten Sklaven durchaus als Erben eingesetzt werden, wofür verschiedenste Motive in Frage kamen116. In der vorliegenden Stelle tritt als Besonderheit die Klausel „si heres non erit“ mit einer substitutio hinzu. Die jüngste Untersuchung von Buchwitz weist auf eine folgenreiche sprachliche Doppelbedeutung von „heres“ hin117: Erbe ist zum einen derjenige, der im Testament als Erbe genannt wird118, zum anderen derjenige, der das Erbschaftsvermögen schließlich zu Eigentum erhält119. Ein fremder Sklave tritt die Erbschaft auf Anweisung seines Herrn zu dessen Gunsten an, sofern dieser die passive testamenti factio aufweist120: iussum domini adhieret hereditatem bei Julian. Nach der ersten Bedeutung von heres tritt die Bedingung „si heres non esset“ der substitutio in diesem Fall nicht ein, sodass die ganze Erbschaft an den Herrn des unfreien Titus gelangte, während Sempronius als Ersatzerbe leer ausginge121. Nach der zweiten Bedeutung fiele der ganze Erbanteil an den Ersatzerben. Julian hält es aber für vertretbar (potest dici), dass neben dem Herrn des Sklaven auch der vom Erblasser vorgesehene Ersatzerbe Sempronius einen Anteil am Erbe erhalten solle. Mit „in partem“ kann wie üblich ein bestimmter prozentualer Anteil oder aber die Hälfte gemeint sein, wenn wie hier nichts weiter präzisiert wird122. Eine erste Erklärung für diese überraschende Lösung findet sich bei Lenel am Ende des besprochenen Fragments: ut refert Sextus Pomponius. Pomponius berichtet von einer Entscheidung des Kaisers Tiberius123: Pomp. D. 28,5,42 (lib. 12 ex variis lectionibus): Et hoc Tiberius Caesar constituit in persona Parthenii, qui tamquam ingenuus heres scriptus adierat hereditatem, cum esset ­Caesaris servus: nam divisa hereditas est inter Tiberium et eum qui Parthenio substitutus erat, ut refert Sextus Pomponius. 113

Kaser/Knütel, S. 61 (Rz. 25). Wieling (1970), S. 197. Die Praxis werde illustriert an D. 28,2,14,2. Julian halte sich keineswegs an die Regel, jede falsa causa sei unbeachtlich, wie Gaius in D. 35,1,17,2 etwas zu umfassend, und möglicherweise aus Unwissenheit als allgemeine Regel aufstellte (S. 205–207). 115 Vgl. Buchwitz, S. 147; so auch Wieling, S. 138. 116 Zu den Motiven siehe spezifisch Watson, S. 111 und Scheidel, S. 648 ff. 117 Buchwitz, S. 12. 118 Als heres scriptus wie in Gai. 2,187. 119 Siehe Gai. 2,188. 120 Vgl. Voci, Bd. I, S. 407. 121 Vgl. in diesem Sinn auch Voci, Bd. II, S. 858. 122 Vgl. Ulp. D. 50,16,164,1. Siehe dazu Kapitel 2. 123 Tiberius Iulius Caesar Augustus (42 v. Chr. – 37 n. Chr., regiert ab 14 n. Chr.). Paulus, S. 53 verweist auf einen ähnlichen Fall bei Plin. Ep. 10,75,76. Siehe auch Voci, Bd. II, S. 859 (Fn. 4). 114

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

269

Tiberius spricht sich für eine Teilung des Erbes zwischen dem vom Erblasser für frei gehaltenen kaiserlichen Sklaven Parthenus und seinem Ersatzerben aus. Wieling spricht von einer Art „salomonischem Urteil“ des Tiberius124. Tiberius hätte sich auf die erste Bedeutung von heres berufen und die ganze Erbschaft für sich als Herrn des bedachten Sklaven fordern können. Nach Wieling erschien dem Kaiser diese Entscheidung aber als „zu kühn“, ja habgierig125. Die kaiserliche Entscheidung sei ein Kompromiss zwischen strengrechtlicher Überlegung und Billigkeit. Bei einem Streit zwischen anderen Parteien hätte er womöglich als neutraler Richter anders entscheiden. So sah dies zuvor auch schon Zilotti, der die Stelle jedoch für interpoliert hielt. Im zufolge belegt die Entscheidung gerade nicht die Berücksichtigung des Irrtums (er lehnte den Grundsatz der Nichtbeachtlichkeit des Irrtums ab). Es handle sich vielmehr um eine Entscheidung im Einzelfall, also um eine Ausnahme, welche sich jedoch durchaus auf weitere Fälle ausdehnen ließe126. Voci zufolge haben die Kompilatoren Julians Text nur in die Digesten aufgenommen, um ihn als Einleitung für die nachfolgende Entscheidung des Tiberius zu verwenden127. Dies bedeute jedoch nicht, dass sie dadurch eine rational überzeugende Begründung für die kaiserliche Entscheidung erreichten. Dies gelte desto mehr, als Kaiser Alexander Severus128 ihr später nicht folgen sollte129. Dieses Argument ist nicht schlüssig. Auch Alexander Severus wandte sich, indem er den Irrtum des Erblassers berücksichtigte, gegen die herkömmlichen Regeln des ius civile. Er sprach die ganze Erbschaft dem Ersatzerben zu. Dabei spielten wohl Gründe der utilitas bzw. das Motiv einer Privilegierung von Militärpersonen mit (es ging dort um ein Soldatentestament), die anderen Überlegungen, so überzeugend sie auch hätten sein können, vorgingen130. In Abschnitt [2] variiert Julian die Situation. Der Erblasser vermutet (putat) zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, dass sein eingesetzter Erbe zum Zeitpunkt des Erbfalls noch frei sein wird. So umfasst die Bedingung „si heres non erit“ auch den Fall, dass der Erbe zwischenzeitlich seine Freiheit verloren hat131. Parallel zum ersten Fall entscheidet sich Julian für die Zwischenlösung einer hälftigen Aufteilung der Erbschaft auf den unfrei gewordenen Erben und den Ersatz­ erben. Voci hält Julians eigenständige Lösung für logisch unhaltbar132. Allein diese Kritik ist Motivation genug, dieses Fragment einer genaueren Untersuchung aus

124

Wieling, S. 139. Wieling, S. 139 (Fn. 38). Umgekehrt sah Solazzi (1955), S. 315 darin ein Zeichen seiner Gier. 126 Zilotti (1961), S. 145 f. 127 Voci, Bd. II, S. 859. 128 Marcus Aurelius Severus Alexander (208–235, regiert ab 222). 129 Siehe C. 6,24,3. 130 Siehe Voci, S. 860 (Fn. 7); siehe auch Buchwitz, S. 147 (Fn. 373) mit weiteren Hinweisen. 131 Zweiter Standardfall bei Voci, Bd. II, S. 858. 132 Voci, Bd. II, S. 859: „non può seguire ragionevolmente che l’eredità debba essere divisa“. 125

270

Kap. 5: Axiomatisches Denken

dem Blickwinkel der Logik und der Argumentation zu unterziehen. Für Wieling interpretiert Julian die Klausel „si heres non erit“ unterschiedlich, je nachdem, ob der Erblasser den Begünstigten als frei oder unfrei sieht133. Die Lösung sei insofern unbefriedigend, als der Erblasser keineswegs an eine Teilung der Erbschaft gedacht habe. Julian berücksichtige den Willen des Erblassers nur bei der ersten Frage, ob der Ersatzerbe überhaupt Erbe sein soll134. Dass Julian dieselbe Klausel je nach Szenario unterschiedlich interpretieren haben sollte, hielt Solazzi für so ungeheuerlich, dass er davon sprach, Julian habe – es blieb ungesagt, ob es gesah, um dem Kaiser zu gefallen – den Kopf verloren135. Es gebe jeweils nur zwei sich ausschließende Alternativen und keinen Raum für eine mittlere Lösung, so salomonisch sie sich auch präsentiere. Solazzi vermutete, dass es im Text ursprünglich gar nicht um die aditio, sondern um die cretio ging. Tatsächlich ähnelt Julians Lösung „Sempronium in partem hereditatis admitti“ dem „substitutus in partem admittitur“ in Gai. 2,177136. Die cretio konnte entweder als förmliche Erklärung oder als Einmischung erfolgen137. Fraglich ist, ob die cretio iussu domini wirksam war, wenn der Testator diese wie im Gaius-Text vom eingesetzten Erben selbst erwartete. Möglich, dass im Falle von Partenius es sein Herr, Tiberius, aus Gründen des decorum nicht wagte, die Erklärung selber abzugeben. In diesem Fall aber war es durchaus denkbar, so Solazzi, dass Partenius einen Teil des zum Nachlass gehörigen Vermögens weiter verwaltete und somit die cretio pro herede gestio verwirklicht wurde. Ist der zuerst als Erbe Eingesetzte ein Freier, so sagt Gai. 2,177, dass sowohl der eingesetzte Erbe als auch der Substitut jeweils zur Hälfte zur Erbschaft berufen sind. Solazzi vermutet, Die Nachklassiker hätten alle Bezüge auf die cretio gelöscht. Er hält diese Vermutung eines späteren redaktionellen Eingriffs für die wahrscheinlichere Erklärung, da es ansonsten unklar bleibe, woher die „Zwischenlösung“ einer hälftigen Aufteilung der Erbschaft kommen solle. So sei aus der Entscheidung ein Beispiel für eine salomonische Entscheidung im Einzelfall geworden.

133

Wieling, S. 140. Wieling, S. 139 scheint aber das Gegenteil für möglich zu halten. 135 Solazzi (1955), S. 315: „L’onore di Tiberio non m’interessa, ma la fama dei giuristi romani mi è cara. Sono persuaso che essi non avrebbero elevato a regola generale l’arbitrio più o meno scandaloso di un imperatore“. 136 Gai. 2,177: „Sed si cretio sine exheredatione sit data, id est in haec verba: si non creveris tum Publius Maevius heres esto, illud diversum invenitur, quia si prior omissa cretione pro herede gerat, subsitutus in partem admittitur, et fiunt ambo aequis partibus heredes, quod si neque cernat neque pro herede gerat, sane in universum summovetur, et substitutus in totam hereditatem succedit“. 137 Kaser (1971), S. 716 f. 134

D. Juristisches Argumentieren (Teil 1)

271

b) Beitrag der Logik Die erste Bedeutung von „heres“ als „heres scriptus“ führte nach klassischem Recht für die Verteilung der Erbschaftsanteile (ATitius, ASempronius) in Abschnitt [1] zu einer Lösung (1,0). Die zweite, engere Bedeutung von „heres“ führte stattdessen zu einer Lösung (0,1), für die sich auch Alexander Severus entschied. Julian bringt die überraschende, zuvor von Tiberius vertretene Zwischenlösung (1⁄2, 1⁄2) ins Spiel und wendet sich damit gegen die beiden Ecklösungen (1, 0) und (0, 1). Der nam-Satz in Abschnitt [1] scheint die Begründung für Julians Entscheidung zu liefern. Weiß der Erblasser, dass sein ausgewählter Erbe tatsächlich Sklave ist, deckt die Bedingung „si heres non erit“ in der substitutio konsequenterweise eine aditio mit ein, die sowohl durch einen zwischenzeitlich freigelassenen Sklaven selbst oder auf Geheiß seines Herrn zu dessen Gunsten erfolgt. Dieses Wissen des Erblassers führte eigentlich direkt zur Lösung (1, 0). Noch fehlt eine besondere Begründung für die Zwischenlösung (1⁄2, 1⁄2), die tatsächlich zwei separate Entscheidungen beinhaltet. Zum einen, wie schon von Wieling erkannt, die Entscheidung Nr. 1, dass sowohl Titius als Erbe als auch Sempronius als Ersatzerbe je ihren eigenen Anteil erhalten sollen. Dies lässt sich aus keiner der beiden vorgestellten Bedeutungen von „heres“ unmittelbar ableiten. Zum anderen die Entscheidung Nr. 2, dass diese Anteile hälftig anzusetzen sind. Die Fälle aus den Abschnitten [1] und [2] sind unterschiedlich einzuordnen. In Abschnitt [1] begeht der Erblasser im Zeitpunkt t0 der Erstellung seines Testaments einen Irrtum, welcher sich spätestens bei der aditio des Sklaven im Zeitpunkt t2 herausstellt. An den Tatsachen selbst ändert sich in dieser Zeit nichts138. In Abschnitt [2] geht der Erblasser wohl korrekt davon aus, dass sein Erbe im Zeitpunkt t0 frei ist. Diese Tatsache ändert sich während der Periode [t0, t2]. Die Möglichkeit dieser Änderung hätte der Erblasser vorhersehen können, so unwahrscheinlich sie unter den konkreten Umständen auch gewesen sein mag. In einem Entscheidungsbaum stellt sich diese Situation wie folgt dar: frei

Erwerb für sich selbst (1, 0)

Si heres erit unfrei

frei

Erwerb für dominus (½, ½) Substitution greift (0,1)

Si heres non erit t0 138

t1

t2

Wie schon von Solazzi (1955), S. 315 festgestellt.

272

Kap. 5: Axiomatisches Denken

Tatsächlich sah der Erblasser zumindest die beiden Möglichkeiten voraus, welche durch die ersten beiden Äste repräsentiert werden. Der Bedachte wird entweder Erbe, oder er wird es nicht: si heres (non) erit. Im Normalfall wird der freie Bedachte im Zeitpunkt t2 die Erbschaft antreten und sie vollständig erhalten. Denkbar ist, dass er im Zeitpunkt t1 bereits selbst verstorben ist oder dass er die Erbschaft ausschlägt. So käme der Ersatzerbe zum Zug. Dass der Bedachte im Zeitpunkt t2 seine Freiheit verloren hat, mag die unwahrscheinliche Ausnahme sein, bleibt aber als dritte Möglichkeit im Raum stehen. Dass in dieser Konstellation sowohl die Erben- wie auch die Ersatzerbeneinsetzung greifen sollen, ergibt sich allein daraus noch nicht zwingend. Der Entscheidungsbaum liefert einzig die Grundlage, die Möglichkeit dreier Ereignisse zu erkennen, die sich im Laufe der Zeit aktualisieren können. Julians Entscheidung Nr. 1 folgt nicht aus der (Modal-) Logik139, sondern bedarf einer separaten Begründung. Möglicherweise erkannte Julian die schematische Ähnlichkeit der beiden Fälle aus den Abschnitten [1] und [2] und entschied sich, die Entscheidung des Tiberius Fall anzuwenden und für richtig zu erkennen. Dafür spricht die vorsichtige Wendung „postest dici“, welche die Entscheidung in Abschnitt [1] einleitet. Wurde die Entscheidung Nr.1 einmal in positivem Sinn getroffen, bleibt die Frage nach der Aufteilung der Erbanteile zwischen dem Erben und dem Ersatzerben. Sie könnte einfach die Idee widerspiegeln, dass ein Sklave nur ein halber Mensch sei. So nimmt Zeus dem Menschen am Tage seiner Versklavung die Hälfte seiner Tüchtigkeit oder seiner Vernunft140, und die XII Tafeln bestraften die Verletzung eines Sklaven nur mit der halben Busse141. Doch erscheint dieser Gedanke etwas plakativ und schematisch142. Mangels weiterer Hinweise und Umstände, wie sie etwa im Fall von Iul. Pal. 420.0 zu einem Gleichungssystem führten143, konnte sich Julian einfach an ein Prinzip „pro rata habetur“ gehalten haben. Dieses Prinzip aber findet sich in der von Solazzi vorgebrachten Stelle Gai. 2,177 zur cretio konkretisiert144. Gewiss ist es denkbar, dass Solazzis Vermutung zu einer nachträglichen Korrumpierung des Textes zutrifft. Ebenso denkbar aber scheint es, dass Julian entschied, auf Fälle mit gleicher Konstellation der Möglichkeiten im Zeitablauf die gleiche Lösung anzuwenden und so zu einer hälftigen Aufteilung der Erbschaft zu gelangen. So führte die Logik zwar nicht unmittelbar zur Lösung, half aber bei der Orientierung in der Menge der kasuistischen Entscheidungen.

139 Zum Irrtum in der 1. Figur des Schlusses siehe Arist. An. Post. I,16 (79b22–80b16). Eine unmittelbare Lösung für das Problem lässt sich daraus nicht ableiten. 140 Hom. Od. 17,322–323; Plat. Nom. 6,19. 141 Lex XII tab. 8,3. 142 Ablehnend Voci, Bd. II, S. 860. Bei Gaius ist auch der Sklave eine persona: Gai. 1,121; 2,187; 3,189. 143 Siehe vorne, Kap. 2 E. 4. 144 Siehe vorne, Kap. 5 D. 2.

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

273

Dass sich Julians Lösung nicht direkt aus der Logik ableiten lässt, widerspiegelt sich auch in der Argumentationsstruktur. Die Argumentation von Abschnitt [1] folgt mit den Komponenten [1a]

Si pater familias [..] adierit hereditatem.

[1b]

Potest dici [..] in partem [..] admitti.

[1c]

Nam qui scit [..] intellegitur tale quod dicere [..].

zwar noch dem aus der ersten Gruppe von Iul. Pal. 525–527 bekannten Muster „a-b-c“ mit seinem „Konditionalstil“, wie das einleitende „si“ andeutet. Wie oben ausgeführt, spricht die Begründung in  c jedoch nur die Mehrdeutigkeit von ­„heres“ an, ohne weiter auf die Zwischenlösung (1⁄2, 1⁄2) einzugehen. In Abschnitt [2] folgen die Komponenten [2a]

At qui eum [..] scripserit.

[2b]

Igitur [..] aequis portionibus dividatur.

[2c]

Nihil aliud intellegitur [..] heredem non fecerit.

[2c']

Quae adiecto ad eos pertinet [..] deducti fuerint.

hingegen einem Muster „a-c-c'-b“. Die Komponente c' stellt klar, dass es in diesem Parallelfall um einen Statusverlust geht, während die Komponente c eine Verbindung mit dem Ausgangsfall herstellt. Über diese Verbindung postuliert Julian, dass beide Fälle gleich zu behandeln sind. Die hälftige Aufteilung erklärt sich auch hier nicht direkt. Erst der in der Julian-Stelle selbst nicht enthaltene Bezug zur Entscheidung des Tiberius als autoritativem Argument vermag diese Lücke zu füllen. Von einem Syllogismus im engeren Sinn kann hier also keine Rede sein. Das Argumentationsmuster entspricht eher der Vorstellung eines verkürzten, unvollkommenen Enthymems, welches seine Überzeugungskraft aus der Parallelität der betrachteten Fälle, der einfachen Zweckmäßigkeit der Entscheidung und allenfalls aus der Autorität der kaiserlichen Entscheidung schöpft. Die Rolle der Logik ist wie in den Fällen der Kapitel 3 und 4 auf die vorbereitende Analyse des Sachverhalts und die Identifizierung der Möglichkeiten zurückgeworfen, aus denen ausgewählt werden kann.

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2) Die erste Gruppe von Texten vermochte noch keine eindeutigen Belege für ein „axiomatisches Denken“ zu liefern. Julians Argumentation folgte vielmehr dem für Juristenschriften verbreiteten Muster des flexibleren unvollkommenen Syllogismus, wobei dem Konditional eine mehr stilistische Funktion zukam. Die nächsten zwei Exegesen behandeln jene Texte, welche in ihrer Argumentation und wegen ihrer Anklänge an eine methodische Selbstreflexion wieder näher bei Julians Monographie des liber singularis de ambiguitatibus zu liegen kommen.

274

Kap. 5: Axiomatisches Denken

1. Iul. Pal. 821.1+2 (D. 9,2,51,1+2 – Iul. 86 dig.) § 1. Idque est consequens auctoritati veterum, qui, cum a pluribus idem servus ita vulneratus esset, ut non appareret cuius ictu perisset, omnes lege Aquilia teneri iudicaverunt. § 2. [..] Cum plures trabem alienam furandi causa sustulerint, quam singuli ferre non possent, furti actione omnes teneri existimantur, quamvis subtili ratione dici possit neminem eorum teneri, quia neminem verum sit eam sustulisse.

§ 1. Und dies folgt auch aus der Meinung der Älteren, die, wenn ein Sklave von mehreren verletzt wurde, sodass nicht feststand, durch wen er ums Leben kam, alle aus der lex Aquilia als verantwortlich verurteilten. § 2. [..] Wenn mehrere einen fremden Balken weggetragen haben, um ihn zu stehlen, den ein Einzelner nicht tragen kann, wird angenommen, dass alle aus der Diebstahlsklage haften, obgleich man aus einem spitzfindigen Argument sagen könnte, dass keiner von ihnen hafte, weil niemand ihn tatsächlich [allein] weggetragen habe.

a) Zur quaestio Die beiden Stellen stammen aus dem 86. Buch von Julians Digesten mit dem Titel „ad legem Aquiliam“. § 1 formuliert die Regel, dass wenn mehrere Täter einen Sklaven verletzen, dabei aber nicht festgestellt werden kann, welcher der Beteiligten seinen Tod letztlich verursachte, alle zusammen nach der lex Aquilia haften sollen. Im letzten Teil145 von § 2 wird ein von Mehreren gemeinsam begangener Diebstahl eines Balkens behandelt, den ein einzelner allein nicht hätte wegtragen können. Auch hier sollen alle Beteiligten haften. Allerdings, so fügt Julian hinzu, könnte man eine Haftung streng genommen auch ablehnen, da ja offensichtlich und individuell betrachtet keiner von ihnen den Diebstahl allein hätte begehen können. Julians Ausführungen illustrieren die Anwendung der auf das frühe 3. Jh. v. Chr. zurückgehenden lex Aquilia, die ältere deliktsrechtliche Bestimmungen seit der Zeit der XII Tafeln ersetzte146. Die lex bestand aus drei Kapiteln, wovon sich das erste mit der Tötung von Sklaven und „vierfüßigen Herdentieren“, das zweite mit widerrechtlichen Vermögensschäden und das dritte mit Sachbeschädigung beschäftigte147. Im hier nicht wiedergegebenen pr. bespricht Julian den Fall eines Sklaven, der nacheinander von zwei verschiedenen Personen verletzt wird. 145 Für eine Übersicht zum ganzen Fragment, welches in der Literatur sehr breit diskutiert wurde, siehe Nörr (1986), S. 181 ff. Siehe dort, S. 183, auch die kritischen Bemerkungen zur Annahme eines Konzeptes der „überholenden Kausalität“ im römischen Recht. 146 Zur Datierung der lex Aquilia auf das frühe 3. Jh. v. Chr. (289–286 v. Chr.) siehe ­Kaser (1971), S.  161 und ausführlich Lübtow, S.  15 ff. Zu ihrem historischen Ursprung Ulp. D. 9,2,1,1. Weiter Cursi (2002), S. 85–143 und S. 147 ff. Zur strafrechtlichen Natur von Iul. Pal. 821 siehe dort, S. 214 (Fn. 149). Ferner Sirks, S. 303 ff. 147 Siehe Lübtow, S. 19 ff.

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

275

Obwohl beide Verletzungen so gravierend sind, dass sie je für sich mit Gewissheit zum Tod des Sklaven führen würden, stirbt dieser erst nach der zweiten (ansonsten stellte sich der Fall offensichtlich nicht)148. Julian hält es für richtig, dass beide Täter nach dem 1. Kapitel des Gesetzes zur Verantwortung gezogen werden149. In der Literatur viel diskutiert wurde der scheinbare Widerspruch zwischen dieser Entscheidung Julians und der Meinung Ulpians in D. 9,2,15,1150. Ankum schlug schließlich vor, den Widerspruch durch eine geänderte Interpunktion in der Ulpian-Stelle zu bereinigen, wodurch die behandelten Fallgruppen sauberer getrennt werden151. Das idque zu Beginn von § 1 scheint als zusätzliche Begründung für die Entscheidung aus dem pr. eine Regel vorzustellen. Für Lübtow, der schon die Schlussfolgerung des pr. als „logisch nicht haltbar“ bezeichnete und den Entscheid Ulpians aus D. 9,2,15,1 bevorzugte, fügte sich § 1 überhaupt nicht in den Zusammenhang des Fragments ein152. Zudem passe „statuendum est“ nicht zum üblichen Gutachterstil, weshalb die Echtheit der Stelle insgesamt in Zweifel zu ziehen sei153. Letztlich beruhe die Analogie zwischen dem pr. und § 1 auf einem Trugschluss. In der Tat geht es im pr. um zwei Handlungen, deren Urheber und Zeitpunkte sich objektiv feststellen lassen, während sich § 1 mit Beweisschwierigkeiten bei gleichzeitigem, kollektivem Handeln beschäftigt. Eine Motivation für Julians strenge Regel könnte im öffentlichen Interesse liegen, das in der Beherrschung der Gefahrenquelle krimineller Sklaven durch ihre Gewalthaber erblickt werden könnte154. Als Gegenbeispiel mag die Regelung aus Paul. D. 9,2,45,3 dienen, wo zwei Sklaven in ein Feuer fallen und einer dabei umkommt155. Hier ist unklar, ob es sich um

148 Iul. Pal. 821.0: „Ita vulneratus est servus, ut eo ictu certum esset moriturum: medio deinde tempore heres institutus est et postea ab alio ictus decessit [..]“. 149 Siehe Rastätter, S. 116 ff. mit zahlreichen Verweisen auf die „fast unübersehbare“ Literatur. 150 Siehe dazu schon vorne, Kap. 3 H. 3 sowie Rastätter, S. 119. 151 Ankum (1980), S.  352. Eine detaillierte Darstellung der Fallgruppen findet sich bei Schindler, S. 232 f. 152 Lübtow, S. 61 f. „Unhappy insertion“ bei Pugsley, S. 167. 153 Zur Behauptung der Interpolation ausführlich Gerkens, S. 167 ff. Für die Echtheit Rastätter, S. 120, „fast völlig unecht“ Below (1953), S. 19; zweifelnd bis unentschieden Balzarini, S. 39; nachklassische Einfügung bei Schwarz, 203. Für die Unechtheit Pugsley, S. 169 f.: „it needs not to detain us here“. 154 Vgl. Honsell, S. 124; Willvonseder, S. 161. Teleologische Konstruktion bei Ankum (1968), S. 30. Allgemein kritisch zur utilitas Rastätter, S. 256. Dass die historische Regel dem heutigen Recht nicht völlig fremd ist, zeigen die Beispiele von Art. 133 und Art. 260 StGB-CH zu Rauferei und Landfriedensbruch, bei denen der Verletzungserfolg als objektive Strafbarkeitsbedingung nicht von jedem einzelnen Täter verwirklicht zu werden braucht. Die entsprechende Regelung zum Landfriedensbruch im deutschen Strafrecht bei § 125 StGB-D wurde vor einigen Jahren mit Rücksicht auf grundrechtliche Überlegungen (Demonstrationsfreiheit) korrigiert, sodass der Erfolg für jeden Täter individuell zu beweisen ist. 155 D. 9,2,45,3 (Paulus): „Cum stramenta ardentia transilirent duo, concurrerunt amboque ceciderunt et alter flamma consumptus est: nihil eo nomine potest agi, si non intellegitur, uter ab utro eversus sit“.

276

Kap. 5: Axiomatisches Denken

Zufall handelt oder ein Verschulden vorliegt156. Ein öffentliches Interesse an einer Bestrafung des Überlebenden fehlt wohl. Julians Bezug auf die auctoritas veterum könnte auch auf ein Verständnis von kollektiver Haftung hindeuten, dessen Ursprünge auf die Zeit vor der lex Aquilia zurückgehen157. § 2 setzt die Behandlung des Falles aus dem pr. mit einer Betrachtung zur Schadensberechnung fort, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll158. Der hier wiedergegebene Ausschnitt folgt den eigentlichen Ausführungen Julians zu diesem Thema und soll nach seiner eigenen Aussage der Illustration dienen, dass die ratio disputandi zuweilen hinter Überlegungen der utilitas zurücktreten müsse159. Dies mag auch erklären, weshalb sich das zitierte Beispiel160 auf die actio furti bezieht, die selbst nicht Gegenstand der lex Aquilia war. Von Lübtow bezeichnet diese Schlusssätze als „Paraphrastenarbeit“161. Die von Julian postulierte gemeinsame Haftung aller am Diebstahl Beteiligten entspricht der heutigen Figur der Mittäterschaft im Strafrecht162. Die Frage der Beweisschwierigkeiten ist an sich vom Problem der Zurechnung individueller Beiträge zu trennen. Insofern passt § 2 nur bedingt zu § 1163. b) Beitrag der Logik Die Darstellung von § 1 greift wie in der Gruppe von Iul. Pal. 525–527 das Stilmittel des Konditionals auf. Einer Komponente a mit der Ausgangslage folgt eine Komponente b mit der Rechtsfolge: [a]

Cum a pluribus idem servus ita vulneratus esset [..]

[b]

Omnes lege Aquilia teneri iudicaverunt.

Wie bei den Beispielen aus Abschnitt B stellt sich die Frage, wie „automatisch“ dieser Schluss zustande kommt. Anders gesagt, gilt es zu prüfen, ob es sich bei Julians Formulierung a → b auch strukturell um einen logischen Konditional han 156

Corbino (2008), S. 151. Vgl. Kaser (1971), S. 163 zur Idee der „Kollektivhaftung des Täterverbundes“. Zur Seltenheit des Wortes „auctoritas“ und zur Rechtsfortbildung Giaro (2007), S. 208, 227. 158 Iul. Pal. 821.2: „Aestimatio autem perempti non eadem in utriusque persona fiet [..]“. Für Details siehe Rastätter, S. 120 ff.; zum lucrum cessans bei Below (1964), S. 8. 159 Iul. Pal. 821.2: „[..] Multa autem iure civili contra rationem disputandi pro utilitate communi recepta esse innumerabilibus rebus probari potest: unum interim posuisse contentus ero [..]“. 160 Vgl. den ähnlichen Fall bei Ulp. D. 9,2,11,4: „Si plures trabem deiecerint et hominem oppresserint, aeque veteribus placet omnes lege Aquilia teneri“. 161 Lübtow, S. 62 f. 162 Vgl. Ulp. D. 9,2,11,2: „Sed si plures servum percusserint, utrum omnes quasi occiderint teneantur, videamus. Et si quidem apparet cuius ictu perierit, ille quasi occiderit tenetur: quod si non apparet, omnes quasi occiderint teneri Iulianus ait [hierhin passt Julians § 1], et si cum uno agatur, ceteri non liberantur“. 163 Ähnlich Rastätter, S. 120. 157

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

277

delt. Der bereits kritisch beleuchtete Auftakt von § 1 fällt als Begründung c wohl aus, stellt er doch nur die Verknüpfung zum vorangehenden Fall her: [c]

Idque est consequens auctoritati veterum qui [..]

Deshalb soll untersucht werden, ob die Regel aus § 1 nicht aus sich selbst heraus überzeugend begründet werden kann. Der folgende Versuch knüpft an den Umstand an, dass die Formulierung der Regel die Schlüsselwörter „omnes“ und „plures“ enthält, die an die aristotelischen Schlussformeln denken lassen. Mit „Barbara“ (AAA-1) gibt es nur eine einzige Schlussformel mit dem Prädikator „omnes“ in der Konklusion, mit welcher eine Haftung aller Beteiligten abgeleitet werden könnte. Diese Formel passt hier nicht, müsste derselbe Prädikator doch auch in beiden Prämissen vorkommen. In der Komponente a als zusammengesetzter Prämisse findet sich aber nur der Prädikator „plures“ (Typ I) und der singuläre Sklave. Die gemeinsame Haftung lässt sich logisch also nicht ohne weiteres, d. h. gewissermaßen automatisch aus der vorgegebenen Prämisse ableiten. Strukturell handelt es sich bei der Regel von § 1 nicht um einen Syllogismus in der Form des logischen Konditionals, sondern am ehesten um ein Zeichen-Enthymem, welches in der Autorität der veteres eine äußere Stütze findet164. Als Zeichen diente der negative Umstand, dass sich der verantwortliche einzelne Täter nicht mit Sicherheit eruieren lässt. Auch die Rechtsfolge des Beispiels am Ende von § 2 lässt sich mit den Aus­ sagen „Einige (mehrere) stehlen einen Balken“ (Typ I oder allenfalls A), „Keiner kann ihn alleine tragen“ (Typ E) und „Alle haften“ (Typ A) unmittelbar in keine der 14 aristotelischen Schlussformeln gießen. Für ein längeres Argument, welches sich durch Umformung auf eine der 14 Grundformen reduzieren ließe, gibt es angesichts der relativen Einfachheit des Falles keine Anhaltspunkte. Interessanter ist Julians abschließende Bemerkung: [..] quamvis subtili ratione dici possit neminem eorum teneri, quia neminem verum sit eam sustulisse.

Als Prädikatoren kommen „mehrere“ oder „alle“ (plures) sowie „keiner“ (nemo) in Betracht165. Die Rechtsfolge „neminem eorum teneri“ verlangt, dass die Konklusion vom Typ E sein muss. Somit kommen als Kandidaten die Schlussformeln „Celarent“ (EAE-1), „Camestres“ (AEE-2) und „Cesare“ (EAE-2) in die nähe­re Auswahl. „Camestres“ lässt sich schematisch wie folgt darstellen (die erste Spalte zeigt den Typ der Aussage an):

164

A E

Alle Kein

P S

sind sind

M M

E

Kein

S

sind

P

Balzarini, S. 38: „consolidata autorità dei veteres“. „Einige“ wären eine Untergruppe aus der Gruppe der mehreren. Davon ist bei Julian nicht die Rede. 165

278

Kap. 5: Axiomatisches Denken

Als Subjekt S sind die beschuldigten Sklaven166, als Prädikat P ist „teneri“ einzusetzen167: A E

Alle Kein

P = Haftend S = Sklaven

sind sind

M M

E

Kein

S = Sklaven

sind

P = Haftend

Somit fehlt noch eine Interpretation für den Mittelbegriff M. Aus Julians eigenem Text bleibt nur noch „neminem verum sit eam sustulisse“ als Quelle übrig, aus der M geeignet herausgelöst werden kann. Mit M = „den Balken (alleine) tragen (können)“ ergibt sich sprachlich ausformuliert und bereinigt folgender, nach Konstruktion logisch korrekter Schluss: Alle, die haften [P], können den Balken (alleine) tragen [M] Kein Sklave [S] kann den Balken (alleine) tragen [M] Kein Sklave [S] haftet [P]

Ganz im Gegensatz zur Regel von § 1 betont dieses Argument sinngemäß den Nachweis einer individuellen Verantwortlichkeit als Voraussetzung einer Haftung. Aus praktischer Sicht ist natürlich die erste Prämisse der Hauptkritikpunkt, die im Endeffekt dazu führte, dass nur Handlungen strafbar wären, die jemand alleine ausführen kann168. Einer solchen Lösung konnte Julian unmöglich folgen, schon weil er weiter oben im Hauptfall von § 2 es als absurd bezeichnete, dass niemand haften solle, nur weil der Beweis schwierig zu erbringen sei. Immerhin vermag dieses Argument Julians Verweis auf die ratio subtilis weiter zu erhellen. Anders als Iul. Pal. 420.0, wo er sich sowohl auf die humanitas wie auf eine gleichlautende Meinung seines Kollegen Celsus abstützte, um die streng-rechtliche Lösung zu verwerfen, muss die ratio nicht mehr als rechtslogische Konsequenz interpretiert werden, die im Gegensatz zur utilitas communis steht (ein Gegensatz dem gegenüber sich Julian Wieacker zufolge gelassen zeigte169). Vielmehr erscheint hier die ratio spezifischer als die streng logische Konsequenz des Arguments als Syllogismus170. Auch einem pragmatischen Juristen dürfte es leichter gefallen sein, wie hier ein abstraktes, theoretisches Argument als für praktische juristische Fra-

166

Aus „cum plures trabem alienam furandi causa sustulerint“. Aus „neminem eorum teneri“. 168 Iul. Pal. 821.2: „[..] Quod si quis absurde a nobis haec constitui putaverit, cogitet longe absurdius constitui neutrum lege Aquilia teneri aut alterum potius, cum neque impunita maleficia esse oporteat nec facile constitui possit, uter potius lege teneatur [..]“. 169 So Wieacker (1977), S. 3 (Fn. 7) und S. 30. 170 So auch bei Ankum (1968), S. 23. Seidl, S. 105 f. und Schwarz, S. 203 sehen hier sogar einen die Epochen überspringenden Gegensatz zwischen Begriffs- und Interessenjurisprudenz angedeutet. Nach Giaro (2007), S. 452, 613 wendet sich Julian gegen die Prinzipienreiterei des Celsus. 167

279

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

gestellungen untauglich abzulehnen, als wie dort ohne sorgfältige Wertung eine streng-rechtlich fragwürdige Lösung zu akzeptieren. 2. Iul. Pal. 132.0 (D. 9,4,39 pr. – Iul. 9 dig.)

171

Si plurium servus furtum fecerit et omnes dolo fecerint, quo minus eum in potestate haberent, subsequi debet praetor iuris civilis actionem et iudicium honorarium, quod ex hac causa pollicetur, in eum dare, quem actor elegerit: neque enim amplius praestare actori debet, quam ut detracta noxae deditione agere possit cum eo, cum quo noxali iudicio experiri potuisset, si servus exhiberetur.

Wenn ein mehreren gemeinsamer Sklave einen Diebstahl begannen hat und alle arglistig dafür gesorgt haben, dass sie ihn nicht mehr in ihrer Gewalt hatten, muss der Prätor die zivilrechtliche Klage nachbilden und einem amtsrechtlichem Antrag, welchen er für Angelegenheiten dieser Art verspricht, gegen den stattgeben, den der Kläger auswählt171. Und er soll dem Kläger nicht mehr zugestehen, als dass er ohne Möglichkeit der Auslieferung des Schädigers gegen den klagen könnte, gegen den er die Noxalklage erheben könnte, würde der Sklave vorgeführt.

a) Zur quaestio Die Stelle ist im 9. Buch von Julians Digesten unter dem Titel „de noxalibus actionibus“ zu finden. Ein Sklave, der mehreren Herren gemeinsam gehörte, beging einen Diebstahl. Arglistig bewirkten seine Herren, dass sie ihn aus ihrer Gewalt verloren. Julian erklärt, dass der Prätor in diesem Fall dem Geschädigten mit einer amtsrechtlichen Klage zu Hilfe kommt. Diese ist in ihren Wirkungen der Noxalklage nachgebildet, wobei dem Beklagten die Wahl der Auslieferung des Schädigers nicht zuzustehen ist. Mit den actiones noxales konnte jemand, der von einem Hauskind oder Sklaven verletzt worden war, gegen den Gewalthaber vorgehen, dessen Hausgewalt einer unmittelbaren Durchsetzung seines Ausgleichsanspruchs gegen den eigentlichen Täter entgegenstand172. Wird der Gewalthaber verurteilt, konnte er nach seiner Wahl die Bußzahlung leisten oder den Täter an den Verletzten ausliefern. Die Auslieferung (noxae deditio173) des verantwortlichen Täters geschah via man

171

Levy (1964), S. 43 interpretiert „eligere“ im Sinn von „belangen“. Kaser (1971), S. 163 und S. 631. Noxa bedeutet Schaden, Schuld, Vergehen. Zum Begriff der Noxalklage siehe Gai. D. 9,4,1: „Noxales actiones appellantur, quae non ex contractu, sed ex noxa atque maleficio servorum adversus nos instituuntur: quarum actionum vis et potestas haec est, ut, si damnati fuerimus, liceat nobis deditione ipsius corporis quod deli querit evitare litis aestimationem“. Zum Wortlaut der Klageformel siehe vorne, Kap. 5 C. und Lenel (1927), S. 159. 173 Ulp. D. 9,4,2 pr.: „ut noxae eum dedat“. 172

280

Kap. 5: Axiomatisches Denken

cipatio oder – nur beim Sklaven – durch in iure cessio und befreite den Gewalthaber von einer zivilrechtlichen Verfolgung in eigener Person. Dazu erfolgte im Prozess die Berechnung des Schadens (litis aestimatio), wobei der Schadensausgleich im Wert des Sklaven seine Obergrenze fand174. Für das Verständnis von Iul. Pal. 132.0 bedeutsam ist, dass die Haftung an die Person des Täters gebunden ist. Gelangt der Täter nach seiner Tat in die Gewalt eines anderen, richtet sich die Klage des Verletzten gegen diesen, ist er aber emanzipiert oder freigelassen worden, kann er direkt belangt werden175. Die XII Tafeln berücksichtigten nur die objektive Seite der Handlung eines Gewaltunterworfenen176. Nicht gesichert ist, wieweit die Bestimmungen der lex Aquilia oder die Rechtsfortbildung die weiteren Details der Sklavenhaftung regelten177. Subjektive Elemente mussten über das Amtsrecht hinzugefügt werden. Auf der subjektiven Seite ergeben sich fein differenzierte Unterscheidungen für den Fall eines mitwissenden Gewalthabers. Gab dieser selbst den Auftrag zur Tat (dominus iubens), haftete er direkt; der Sklave war in diesem Fall nur „willensloses Werkzeug“ seines Herrn178. Heute würde man von mittelbarer Täterschaft sprechen. Lag nur der Fall eines bloßen Wissens (dominus sciens)179 vor, konnte er weiterhin mit der Noxalklage belangt werden, in deren Wortlaut jedoch gewissermaßen als Sanktion das Wahlrecht der noxae deditio gestrichen wurde180. In Iul. Pal. 132.0 ist der Täter gemeinschaftlicher Sklave mehrerer Herren. Entsprechend muss die 174 Gai. 4,75: „Ex maleficiis filiorum familias servorumque, veluti si furtum fecerint aut iniuriam commiserint, noxales actiones proditae sunt, uti liceret patri dominove aut litis aesti­mationem sufferre aut noxae dedere erat enim iniquum nequitiam eorum ultra ipsorum corpora parentibus dominisve damnosam esse“. 175 Gai. 4,77: „Omnes autem noxales actiones caput secuntur. Nam si filius tuus servusve noxam commiserit, quamdiu in tua potestate est, tecum est actio; si in alterius potestatem pervenerit, cum illo incipit actio esse; si sui iuris coeperit esse, directa actio cum ipso est, et noxae deditio extinguitur. Ex diverso quoque directa actio noxalis esse incipit [..]“. Ebenso Ulp. D. 9,4,7 pr.: „Noxalis autem non alias datur, nisi apud me sit servus: et si apud me sit, licet eo tempore non fuit, quo delinquebat, teneor, et heres meus tenetur, si noxius vivat“. 176 Lübtow, S. 43. Zu beachten ist, dass Iul. Pal. 132 im Titel D. 9,4 bei den Noxalklagen und nicht schon im Titel D. 9,2 bei der lex Aquilia eingereiht ist. 177 Gai. 4,76 deutet immerhin Bestimmungen zur Noxalklage bei Diebstahl an: „Constitutae sunt autem noxales actiones aut legibus aut edicto praetoris: legibus, velut furti lege xii tabularum, damni iniuriae lege Aquilia; edicto praetoris, velut iniuriarum et vi bonorum raptorum“. 178 Vgl. Lübtow, S. 45. 179 Zur Definition von sciens siehe Paul. D. 9,2,45 pr.: „Scientiam hic pro patientia accipimus, ut qui prohibere potuit teneatur, si non fecerit“. Zur nicht immer scharfen und gleichwertigen Abgrenzung zwischen sciens und dolus siehe Corbino (2008), S. 149. 180 Ulp. D. 9,4,2 pr.: „Si servus sciente domino occidit, in solidum dominum obligat 〈detracta noxae deditione〉, ipse enim videtur dominus occidisse: si autem insciente, noxalis est, nec enim debuit ex maleficio servi in plus teneri, quam ut noxae eum dedat“. Zu einer Kontroverse zwischen Julian und Celsus siehe Lübtow, S. 44 ff. Celsus machte keinen Unterschied zwischen dem dominus iubens und dem dominus sciens und schloss die Noxalklage für beide aus. Heute könnte man von einer Art strafrechtlicher Geschäftsherrenhaftung sprechen. Vgl. auch Corbino (2008), S. 156 f.

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

281

subjektive Seite für jeden gesondert untersucht und über die Erteilung der Noxalklage mit oder ohne noxae deditio entschieden werden181. Ob im Fall von Iul. Pal. 132.0 alle Gewalthaber als mitwissend gelten können, ist unklar. Sicher ist nur, dass von einem vorgängigen Auftrag an den Sklaven nicht die Rede ist. Nach erfolgter Tat – die actio furti ist hier bloß ein Beispiel182 – haben alle Herren arglistig dafür gesorgt, den Täter nicht mehr in ihrer tatsächlichen Gewalt zu haben: omnes dolo fecerint, quo minus eum in potestate haberent. Das Leugnen der tatsächlichen Gewalt über den Schädiger war aber gerade die erste Voraussetzung der prätorischen Klageformel: Si is in cuius potestate esse dicetur negabit se in sua potestate servum habere. Die Passivlegitimation der Noxalklage hatte – ähnlich wie die rei vindicatio oder die actio ad exhibendum – zwei Seiten, eine tatsächliche (in potestate esse) und eine rechtliche (an eius sit), die Gegenstand der interrogatio de facto bzw. de iure waren183. Nur der tatsächlich besitzende Gewalthaber konnte demnach mit der Noxalklage verfolgt werden und musste den Sklaven entweder vor Gericht stellen (exhibere) oder ihn in seiner Absenz verteidigen und das Verfahren auf sich selbst nehmen184. Der Fall der Absenz konnte ordentlich ohne Arglist vorliegen, wenn der Sklave etwa im Auftrag seines Herrn auf Reisen war und es unpraktisch schien, ihn für die Verhandlung an den Gerichtsort zurückzurufen185. Eine Flucht, ob arglistig begünstigt oder nicht, reichte hingegen bereits aus, das tatsächliche Tatbestandsmerkmal und damit die Passivlegitimation wegfallen zu lassen. Leugnete der Gewalthaber, den abwesenden Sklaven in seinem Besitz zu haben, griff die alternative Verurteilungsvoraussetzung der Formel ein186: vel deierare iubebo in potestate sua non esse neque se dolo malo fecisse, quo minus esset, vel iudicium dabo sine noxae deditione. Im Lichte dieser Verhältnisse muss Julians Lösung in Iul. Pal. 132.0 analysiert werden. Der Kläger kann sich aussuchen, gegen welchen Miteigentümer des Täters er vorgehen will187. Julian erklärt, der Prätor müsse dem Muster einer zivilrechtlichen Klage folgen (subsequi iuris civilis actionem) und dem Verletzten eine amtsrechtliche Klage gewähren, die er für solche Fälle verspricht (iudicium ho 181

Die drei möglichen Fallkonstellationen sind in Ulp. D. 9,4,5 pr. behandelt: „Si plurium servus deliquerit omnibus ignorantibus, noxale iudicium in quemvis dabitur: sed si omnibus scientibus, quivis eorum tenebitur detracta noxae deditione, quemadmodum si plures deliquissent, nec altero convento alter liberabitur: sed si alter scit, alter ignoravit, qui scit detracta noxae deditione convenitur, qui nescit, cum noxae deditione“. Levy (1964), S. 319 spricht von einfacher Personenkonkurrenz. 182 Levy (1964), S. 321. 183 Lenel (1927), S. 160; Kaser/Hackl, S. 254 f. 184 Paul. D. 9,4,22,3: „Dominus, qui servum in sua potestate esse confitetur, aut exhibere eum debet aut absentem defendere: quod nisi faciat, punitur atque si praesentem non noxae dederit“. 185 Siehe Lenel (1927), S. 163. 186 Dritter bei Lenel (1927), S. 167 besprochener Fall in absentia servi. 187 Vgl. Paul. D. 9,4,26 pr.-2; Spengler, S. 125.

282

Kap. 5: Axiomatisches Denken

norarium, quod ex hac causa pollicetur, in eum dare). Die Formel der zivilrechtlichen Klage, an die Julian gedacht hat, ist nicht ohne weiteres festzustellen. Sie könnte sich auf die lex Aquilia oder auf das ius receptum abgestützt haben188. Für die amtsrechtliche Klage könnte die erst später von Ulpian in D. 9,4,21,2 zitierte Formel oder eine Abwandlung eingesetzt werden189. Die von Ulpian berichtete Klageformel zeigt zumindest wesentliche Übereinstimmungen mit Julians Wortwahl in Iul. Pal. 132.0190. b) Beitrag der Logik Zunächst fällt auf, dass Julians Argumentation ein weiteres Mal dem Muster eines Konditionals mit nachgestellter Erläuterung folgt (necque-Satz). Julians Schlussfolgerung lautet, dass dem Verletzten eine amtsrechtliche Klage gegen den Beklagten seiner Wahl gewährt werden solle: iudicium honorarium, quod ex hac causa pollicetur, in eum dare, quem actor elegerit (C). Als Prämissen treten drei Voraussetzungen auf: Erstens muss der Sklave einen Diebstahl begangen haben: servus furtum fecerit (V1). Zweitens darf ihn keiner seiner Herren mehr in seiner tatsächlichen Gewalt haben: minus eum in potestate haberent (V2). Drittens müssen die Herren alle arglistig bewirkt haben, ihn nicht mehr in der Gewalt zu haben: omnes dolo fecerint (E). Drei Prämissen sind für die stoische „Argumentationslogik“ problemlos zu handhaben: V1, V2 , E → C

An diesem Punkt lassen sich zwei mögliche Fragen anknüpfen. Die erste betrifft die juristische Herleitung der Lösung C. Soll sie ein mit den Grundlagen des römischen Deliktsrechts vertrauter Jurist einfach schnell aus seinem Sachgefühl heraus finden können191 oder muss sie sich sauber und konsequent aus den zuvor erläuterten Grundlagen herleiten lassen? Die zweite Frage richtet sich auf die Natur 188

Siehe vorne, Kap. 5 E. 2. das Zitat von Gai. 4,76. Allerdings wurde bekanntlich das Edikt durch die von Julian im Auftrag Kaiser Hadrians besorgte Neufassung um 130 n. Chr. fixiert; Kaser/Knütel, S. 24 (Rz. 24). Julians Lösung aus Iul. Pal. 132.0 vergleicht sich mit Ulp. D. 9,4,21, pr.: „Quotiens dominus ex noxali causa convenitur, si nolit suscipere iudicium, in ea causa res est, ut debeat noxae dedere eum, cuius nomine iudicium non suscipitur: aut si id non faciat, iudicium suscipiet omnimodo, sed non alias condemnabitur, quam si in potestate habeat dolove malo fecerit, quo minus haberet“ und Paul. D. 9,4,24: „De illo videndum, utrum adversus eum tantum, qui dolo fecit, quo minus in potestate haberet, actio locum habeat noxalis, si ex dolo eius acciderit, ut cesset noxalis actio (forte si servo suo fugam mandavit) an et si possit nihilo minus cum alio agi (quod accidit, cum alienatus manumissusve est). Quod est verius: in quo casu electio est actoris, cum quo velit agere. Iulianus autem ait de eo qui manumisit, si paratus sit defendere se manumissus, exceptionem dandam ei qui manumisit. Hoc et Labeo“. Paulus behandelt zusätzlich den Fall einer nachträglichen Freilassung des Täters, der direkt belangt werden kann. 190 Vgl. dazu „omnes dolo fecerint, quo minus eum in potestate haberent“ bei Julian mit „neque se dolo malo fecisse, quo minus esset“ bei Ulpian. 191 So offenbar Kaser (1962), S. 54 f. 189

E. Juristisches Argumentieren (Teil 2)

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des Schlusses. Erfolgt er zwingend oder erscheint er nur plausibel? Nach stoischem Verständnis muss sich ein zwingender Schluss als Syllogismus auf eine Kombination der fünf „Unbeweisbaren“ reduzieren lassen. Die Anwendung des stoischen Themas (T3) zerlegt Julians Argument in zwei einzelne Argumente: V3, E C V1, V2 V3 V1, V2, E C

Liegen nur die Voraussetzungen V1 und V2 vor, kann nach den allgemeinen (zivil­rechtlichen) Regeln nicht gegen die früheren Herren des Sklaven geklagt werden192. Dieses Ergebnis entspricht der mit V3 bezeichneten Folgerung auf der linken Seite oberhalb des „Schluss-Strichs“. Wird jedoch zusätzlich – gewissermaßen als externe Prämisse – berücksichtigt, dass die Herren den Täter nur durch Arglist aus ihrer tatsächlichen Gewalt verloren haben (E), besteht für den Prätor ausreichend Anlass zu einer amtsrechtlichen Klage. Arglistiges Ausweichen soll sich nicht lohnen, was die Streichung der Möglichkeit einer noxae deditio in der Klageformel als gerechtfertigte Sanktion ausweist193. In der von Julian beschriebenen Form gewährt C dem Kläger auch nicht mehr als ihm nach den allgemeinen Regeln zustehen würde: neque enim amplius praestare actori debet194. Die hier vorgeschlagene Übersetzung deutet diesen Zusatz mehr als „Randbedingung“ für die Formulierung der amtsrechtlichen Klage195. Mit dieser Randbedingung erscheint auch die rechte Seite oberhalb des Strichs als vertretbar. Eine einmalige Umformung mit T3 führte somit auf zwei resultierenden Terme, welche sich harmonisch in das Gefüge der allgemeinen Regeln zum Deliktsrecht einordnen lassen. Folglich ist Julians Argument aus der besonderen Sicht der Stoiker logisch korrekt oder „syllogistisch“ aufgebaut. Die juristische Prüfung der Entscheidung entwickelt sich parallel zur logischen Prüfung des Arguments. Gewiss führt Julian die Umformung nicht explizit aus, sowenig dies Scaevola in D. 45,1,129 tat. Doch finden sich zumindest alle in der vorgeschlagenen Reduktion verwendeten Terme im Wortlaut von Julians Text wieder. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass sich Julian an anderer Stelle nicht an die stoischen Anforderungen an die Form eines Arguments hält. Das Gegenbeispiel findet sich in Iul. Pal. 3.2, wo er die Wirkung folgender Stipulationen (Vertragsstrafen) analysiert: Si hominem aut fundum non dederis, centum dari spondes? Si Stichum et Damam et Erotem non sisteris, decem dari spondes? 192

Gai. 4,77; Ulp. D. 9,4,7 pr. Vgl. Lenel (1927), S. 164. 194 Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Bd. 2, S. 795 übersetzen den Beginn des letzten Satzes mit „Er soll nämlich dem Kläger nicht mehr gewähren [..]“. Dies lässt den letzten Satz als Begründung der Rechtsfolge erscheinen. 195 In diesem Sinn dürfte „neque enim“ auch in Cic. Fam. 5,12,6 verwendet sein: „[..] quom hoc demonstrem, me a te potissimum ornari celebrarique velle. Neque enim tu is es qui, quid sis, nescias et qui non eos magis, qui te non admirentur, invidos quam eos, qui laudent, adsentatores arbitrere [..]“. 193

284

Kap. 5: Axiomatisches Denken

Argumente dieser Form können nach Bobziens Rekonstruktion der stoischen themata nicht auf die „Unbeweisbaren“ reduziert werden. Die zweite Stipulation hat nämlich die Form ¬(A ∧ B) → C, ¬A ˫ C196.

In einem ersten Schritt kann nur das Thema (T1) angewendet werden. Anschließend erlaubt das Thema (T2) nur die Abgrenzung einer Unbeweisbaren (A2), während für das zweite sich ergebende Argument keine weitere Reduktion mehr möglich ist197. Bobzien erklärt, in den Quellen keine stoischen Beispiele gefunden zu haben, die der Form der beiden zitierten Stipulationen entsprechen198. Die mit ihnen verknüpften Aussagen können somit nicht im stoischen Sinn als „syllogistisch“ gelten. Nach heutigem Verständnis der Aussagenlogik sind sie jedoch vollkommen zulässig und unproblematisch. Praktisch sind sie zweifellos für das römische Recht bedeutsam, wie ihre Interpretation als Vertragsstrafen zeigt199. Diese Feststellungen unterstreichen den Ausnahmecharakter von Iul. Pal. 132.0, was nach einer entsprechenden Erklärung ruft. Die in Iul. Pal. 132.0 vermutete Anwendung eines stoischen thema passt ausgezeichnet auf die Prüfung einer vorgeschlagenen amtsrechtlichen Formel, die ja selbst ein aussagenlogisch strukturiertes Objekt darstellt. Dies könnte plausibel erklären, weshalb sich ein Beispiel zum Einsatz stoischer Schlussformeln gerade in diesem Bereich fand. Die Notwendigkeit, die Grundlagen der Aussagenlogik zu kennen, galt für jeden römischen Juristen, der mit Prozessformeln arbeiten musste. In besonderem Maße traf dies aber auf Julian zu, dem Hadrian die Redaktion des edictum perpetuum anvertraute200. Auch wenn nach wie vor nicht gesichert ist, ob es sich dabei um eine Art „systematischer Kodifikation“ oder bloß um eine Kompilation handelte201, könnte Julians Interesse an der Logik durch diese Arbeit weiter befeuert worden sein, zu der er einige neue Formeln beisteuerte202. Zugegebenermaßen nur spekulativ ist der Gedanke, dass es sich bei seinem liber singularis um eine Art Arbeitsskizze zu logischen Instrumenten gehandelt habe, die in dieser Zeit entstanden wäre. Als denkbare Fortsetzung dieses Gedanken könnte die in Iul. Pal. 821.2 geäußerte Vorsicht

196

Siehe Winkler (2013), S. 218 ff. Für die genaue Herleitung siehe Bobzien (1996), S. 174, 184. 198 Bobzien (1996), S. 184. 199 Vgl. hierzu Ulp. D. 2,11,9,1 sowie Knütel (1976b), S. 78 f., 168, 198. 200 C. Tanta 18; Kaser (1971), S. 181, 207. Zum nicht sicher belegten Zeitpunkt seiner Abfassung zwischen 131 und den letzten Lebensjahren Hadrians, der bis 138 gelebt hat, siehe Nörr (1974b), S. 243. Zur Motivation des Edikts als Ausfluss der wachsenden kaiserlichen Macht gegenüber den alten republikanischen Funktionen siehe Jolowicz, S. 366. 201 Siehe Tuori, S.  136 ff. und S.  144 ff. Zur mageren Quellenlage bei den Römern dort, S. 141. Guarino vertrat gar die dritte Ansicht, dass das Edikt nie existiert habe. Vgl. hierzu Tuori, S. 143. 202 Jolowicz, S. 367. 197

F. Ergebnisse

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als spätere Frucht langjähriger praktischer Erfahrung und Auseinandersetzung mit den Meinungen rivalisierender Juristen wie Celsus interpretiert werden203.

F. Ergebnisse Die vorliegende Untersuchung hatte nicht das Ziel, sich umfassend um die Argumentationsstrukturen Julians zu kümmern, eine Problemstellung, die weitgehend in das Feld der Rhetorik fiele. Die Gruppe um Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) und Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) steht somit stellvertretend für zahlreiche weitere Texte204, die mit ihrem „Konditionalstil“ ein in Julians Digesten häufiges Muster illustrieren. Die Suche nach Beispielen, bei denen sich Julian einer logischen Struktur als Begründungsschema mit der höchsten Überzeugungskraft bediente, zeigte sich mühsam und endete mit dem quantitativ wenig ergiebigen Fund zweier einzelner Stellen. Für die sprachliche Evidenz bemerkenswert ist als erste die Stelle Iul. Pal. 821.2 (D. 9,2,51,2) mit ihrer längeren Erläuterung zum Gegensatz zwischen zweckmäßiger und streng-rechtlicher oder formal-logischer Lösung. Die dort vorgeschlagene rekonstruierte Anwendung der Schlussformel „Camestres“ konnte vollständig auf Elemente aufgebaut werden, die sich explizit in Julians Text wiederfinden. Eine namentliche Erwähnung Aristoteles’ als Quelle für logische Schlüsse war dabei sicherlich nicht zu erwarten. Sie wäre es wohl auch nicht in einem angewandten Text der Gegenwart, wird die Fertigkeit zu logisch korrektem Argumentieren doch meist als selbstverständlich vorausgesetzt. Nicht besonders motivierte methodische Hinweise hinterlassen schnell einen schulmeisterlichen, der bezweckten Absicht einer Schrift abträglichen Eindruck. Ganz anders verhielt es sich mit Ciceros Topik, wollte der Neuerer Cicero doch gerade den Nutzen des logischen Schließens für verschiedene Anwendungen thematisieren. Auf den Umstand, dass die römischen Juristen ohnehin selten auf außerjuristische Quellen wie Cicero oder andere „literarische“ Autoren verwiesen, wurde bereits hingewiesen205. Die Erläuterung ist immerhin ein deutlicher Hinweis auf eine Reflexion Julians zur Rolle der Logik in der Jurisprudenz, wie sie sich sonst nur noch in seinem liber singularis belegen lässt. Was die Verwendung der aristotelischen Schlussformeln betrifft, kann mit einiger Sicherheit verneint werden, dass sich neben Iul. Pal. 821.2 (D. 9,2,51,2) noch weitere Beispiele finden, deren Elemente sich vollständig aus dem Text ermitteln lassen206. In der zweiten Stelle Iul. Pal. 132.0 (D. 9,4,39 pr.) fehlte jeglicher die Methode reflektierender Hinweis. Das für die Entwicklung der Klageformel vorgeschlagene 203

Zur Rivalität siehe Jolowicz, S. 395, Bund (1976), S. 442 und Scarano Ussani, S. 143. Siehe die Bemerkungen zu den längeren Fragmenten bei Julian auf S. 260 f. 205 Vgl. vorne, Kap. 3 B. 4. b). 206 Siehe hierzu die Statistik zu den Prädikatoren im Anhang. 204

286

Kap. 5: Axiomatisches Denken

reduktive Vorgehen konnte zum Mindesten unmittelbar und vollständig aus vorhandenen Textbausteinen Julians rekonstruiert werden, die in seinem Text in die Formulierung des Konditionals eingekleidet waren. Bei der vorgeschlagenen Rekonstruktion konnte so dem stoischen Schema der themata eng gefolgt werden. Ansonsten macht bei den stoischen Schlussformeln ihre Nähe zum Enthymem und zu rhetorischen Topoi eine Aussage zu weiteren Anwendungen schwierig. Die Antwort hängt davon ab, wie eng man sich an das formalisierende Korsett der stoischen Logik halten und sich gleichzeitig von den zahlreichen rhetorischen Mustern fernhalten oder abgrenzen will. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass den stoischen themata eine praktisch nachvollziehbare, rhetorische Funktion beigemessen werden kann: Das Thema (T1) liegt nahe bei der rhetorischen Figur des argumentum ad repugnantibus. Das Thema (T2) kann dazu verwendet werden, überflüssige Prämissen eines Arguments zu entfernen207. Aus Sicht der Logik ist auffällig, wie der Konditional in der Gruppe von Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) gleich mehrfach, aber in anderer Funktion als in den Texten von Kapitel III auftritt, wo er als Bestandteil von Parteiaussagen untersucht wurde. Hier strukturiert er in kompakter Form den Gedankengang des Juristen, der von Prämissen zur Schlussfolgerung führt und unterstützt dadurch die bekannte Knappheit im Ausdruck. Damit spielt er mehr die passive Rolle eines Stilelements in der juristischen Argumentation, als dass mit seiner Rolle als logischer Verknüpfung aktiv gearbeitet würde, etwa, um aus ihm ein weiteres Resultat abzuleiten. Ein genuin deduktiver Eindruck wird auch dadurch gestört, dass Julian seine Begründungen jeweils seiner Entscheidung nachstellt. Diese in den Exegesen mit den Buchstaben „a-b-c“ beschriebene Argumentationsstruktur darf neben dem traditionellen Schema der responsa als für Julians Digesten weitverbreitet, wenn auch nicht als durchgängig bezeichnet werden. Das Schlüsselwort „si“ findet sich in Julians Digesten immerhin stolze 535 Mal, davon in 33 Fällen als vorgegebene Aussage oder Erklärung, wie sie in Kapitel 3 betrachtet wurden. So entsteht der für seine Digesten typische Eindruck einer verschachtelten Argumentation, die teils im Ansatz deduktiv aufgebaut, teils durch Beispiele induktiv gestützt wird. Dabei handelt es sich bei den Argumentationsstrukturen der Gruppe von Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) und des Fragments Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) weniger um eine Form axiomatischen Denkens in deduktiven oder reduktiven Schemata, also weniger um die Anwendung logischer Schlussformeln im strengen Sinn, wie sie Cicero von den Stoikern berichtet, als um rhetorische Argumentationsmuster, die gleichzeitig und gleichermaßen überzeugend wie abwechslungsreich wirken. Es geht immer nur darum, die Wahrheit einer einzelnen, nur formal als Konditional a → b aufgestellten Behauptung empirisch zu prüfen. Zuweilen arbeitet Julian induktiv mit veranschaulichenden exempla208, die beim Leser Glaubwürdigkeit schaffen sollen. Von 207

Vgl. Bobzien (1996), S. 144 ff. Lausberg, § 394 (locus a simili), § 419 (inductio versus ratiocinatio), § 420 (exemplum a contrarium). 208

F. Ergebnisse

287

einem „Automatismus“, der von den Prämissen auf die Konklusion führt, kann nicht die Rede sein. Nur ausnahmsweise gilt für seine Schlüsse tatsächlich manifeste, ­palam est209. Im Gegenteil muss Julian wie ein rhetorisch geschickter Redner seine Bemühungen darauf ausrichten, seine Behauptungen erst glaubwürdig, nachvollziehbar oder einsichtig zu machen. Als Fazit kann gelten, dass sich seine Argumentation nicht im Rahmen des wissenschaftlichen Beweises, sondern traditioneller rhetorischer Muster – namentlich dem Enthymem – bewegt. Auch nach dieser Überlegung kann die tiefe Zahl gefundener Stellen, in denen die Logik eine aktive Rolle bei der juristischen Argumentation Julians spielt, nicht überraschen. Vor dem Hintergrund des Gesamtbildes, welches sich aus dieser Untersuchung ergibt, genügen sie, um Julians Fähigkeit zu belegen, im eingangs beschriebenen Sinn „axiomatisch“ zu denken. Dass er diese Fähigkeit nicht oft demonstriert hat, ja, dass er ihr gegenüber gewisse Vorbehalte hatte, wie Iul. Pal. 821.2 (D. 9,2,51,2) zeigt, liegt wohl in der Natur des römischen Rechts begründet, welche eben keine im engen Sinn axiomatische war. Die Deutung von Iul. Pal. 132.0 (D. 9,4,39 pr.) reiht sich schön in die Vorstellung eines Prätors ein, der sich bei der Formulierung von actiones in factum oder von actiones utiles von Juristen beraten ließ210. Als mit der Neufassung des Edikts beauftragter Jurist wird Julian über unübertreffliche Erfahrung verfügt und ein besonderes Interesse an diesem Thema gehabt und punktuelle Verwendung für die Logik gefunden haben. Die Gruppe von Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) illustriert das bekannte Muster eines sich sukzessive an die einzelnen Aspekte eines Rechtsinstituts herantastenden Juristen, der seine Darstellung „zyklisch“211 wieder an den Anfangspunkt zurückkehren lässt. Im hier nicht besprochenen Fragment Iul. Pal. 697 (D. 45,1,56) kommt diese Struktur mit induktiver Unterstützung durch veranschaulichende Beispiele sehr schön zum Ausdruck. Julian erweitert dort die Grundstruktur „a-b-c“ durch Anfügen weiterer Sachverhaltsvarianten und nachgelagerter Folgerungen, wodurch in einzelnen Stellen eigentliche „Ketten“ von Argumenten entstanden. Teilweise verstärken sich die Begründungen innerhalb der Abschnitte212 auch gegenseitig durch ihre komplementäre Sicht der Dinge. Diese Beobachtung wiederholt sich auf der höheren Ebene der Fallauswahl für die Gruppe von Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11): In Iul. Pal. 525 (D. 40,4,16) ist das Vermächtnis unwirksam, da es keinen Grundsatz des ius receptum gibt, der es retten könnte, während es in Iul. Pal. 527 (D. 34,3,11) jedenfalls gültig ist, da es zweckmäßig ausgelegt werden kann. Das Fragment von Iul. Pal. 821 (D. 9,2,51) illustriert die Verbindung von klassischer, kasuistischer Falldarstellung und Besprechung mit einem allgemeinen Grundsatz 209

Siehe Iul. Pal. 697.2+4 (D. 45,1,56,2+4). Kaser/Knütel, S. 24 (Rz. 16). 211 So Wieacker (2006), S. 45 allgemein zur Methode der klassischen Juristen. 212 Konkret pr.-§ 3, §§ 4–5 und §§ 6–8. 210

288

Kap. 5: Axiomatisches Denken

(in § 1), wie sie Bund als zum „Bild von der Arbeit eines römischen Juristen“ gehörig ausmachte213. Die Echtheit dieses Einschubs kann in diesem Fall mit einiger Berechtigung kritisch hinterfragt werden. In Julians Digesten gibt es allerdings eine Anzahl ähnlicher Verbindungen, wie etwa bei Iul. Pal. 420 (D 28,2,13 pr), wo Lenel dem Fall der unerwarteten Geburt von Zwillingen Julians Ausspruch aus D. 50,17,64 folgen lässt, wonach seltene Ereignisse bei Rechtsgeschäften nicht leicht berücksichtigt werden214. Im Ergebnis ergänzen die in diesem Kapitel besprochenen Stellen die bisher gesammelten Erkenntnisse zu Julians Stil. Unter dieser Rubrik ist hervorzuheben, dass mit Iul. Pal. 821 (D. 9,2,51) neben dem ­liber singularis ein weiteres Fragment vorliegt, in dem Julian ausführlich und aufschlussreich über die technische Seite seiner Rechtsfindung reflektiert. Das Fragment Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) zeigt dagegen in seinen Erläuterungen einen durchwegs freien Stil, der sich nicht mehr ohne weiteres in die häufig verwendeten typischen Schemata der Juristenschriften einreihen lässt. Der ganze Aufbau des Fragments mit den zwei parallel präsentierten Fällen erscheint als Beispiel einer technisch hochstehenden, fein austarierten Argumentation, deren Komplexität einen Vergleich mit literarisch überlieferten Gerichtsreden nicht zu scheuen braucht. Einer Vermutung von Schulz folgend, kann das Paar quaesitum est – dixi als Hinweis auf einen Vortrag im kaiserlichen consilium gelesen werden215. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Beispiele, in denen Julian logische Schlussformeln aktiv im Rahmen seiner juristischen Argumentation nutzt, selten sind, gerade auch im Vergleich zu den nicht so seltenen Fällen, bei denen er die Logik als Hilfsmittel zur Untersuchung der quaestio facti einsetzt. Vielmehr scheint das jeweils gewählte juristische Thema und seine kombinatorischen Variationen die (meist enge) Struktur der Darstellung zu bestimmen, sodass längere Ketten von Argumenten, bei denen die Logik stützend eingreifen könnte, in den überlieferten Texten Julians tatsächlich die Ausnahme bilden. Der für die Akzeptanz der geäußerten Meinung oder Entscheidung kritische Übergang von Prämisse zu Konklusion wird meist durch Hinzuziehen von allgemeinen Grundsätzen, Gesetzen oder Prozessformeln oder – was ebenfalls häufig vorkommt – durch Induktion über für sich selbst sprechende Vergleiche und Beispiele vermittelt. So legt Julian bei seiner Überzeugungsarbeit das Gewicht stärker auf die Wahrscheinlichkeit als auf die logische Wahrheit. Üblicherweise ist es das Enthymem und nicht der Syllogismus, welches in Julians Arbeit die Funktion des juristischen Schlusses wahrnimmt.

213

Bund (1965), S. 57: Auch „systematische Einsprengsel“ gehörten zur Arbeit eines Juristen. Insgesamt gibt es 10 Zitate aus den Titeln D. 50,16, D. 50,17 und D. 34,5, wovon zumindest 7 einen vordergründigen Zusammenhang mit benachbarten Stellen andeuten. 215 Schulz (1961), S. 296. 214

Kapitel 6

Schlussbetrachtung Die Untersuchung setzte sich zum erklärten Ziel, in den Digesten des hochklassischen römischen Juristen Salvius Iulianus nach Kenntnissen der Logik zu forschen und Spuren seiner Fähigkeit nachzugehen, in einem genau definierten Sinn „axiomatisch“ denken zu können. Dabei sollte unbedingt vermieden werden, moderne Vorstellungen unbesehen auf die antiken Verhältnisse zu übertragen. Es sollte vor allem nicht darum gehen, die Natur des römischen Rechts durch die Brille des modernen Logikers zu analysieren oder das römische Rechtswissen bloß didaktisch neu aufzubereiten. Das Zusammenspiel von Logik und Recht wurde, nachdem es im Zeitalter der Begriffsjurisprudenz des 19. Jh. zumindest in Deutschland eine vielleicht zu wichtige Rolle gespielt hatte, seit der Mitte des 20. Jh. denn auch zunehmend kritischer betrachtet. Es sollte darum gehen, einen aktiven oder passiven Einfluss der Logik als eigenständiger Disziplin auf das Denken eines einzelnen römischen Juristen zu bestimmen. Ausgangspunkt musste somit der Stand der Logik als wissenschaftlicher Disziplin sein, welcher Julian (und seinen Zeitgenossen) aus Schulbildung und persönlichen Studien bekannt gewesen sein konnte. Mit dem Organon des Aristoteles als Richtschnur ließen sich in einem ersten Schritt drei relevante Bereiche der antiken Logik identifizieren: die Frühformen der klassischen Aussagen- und Prädikatenlogik, die Modallogik als Erweiterung dieser klassischen Logik sowie das Konzept des logischen Schlusses als Element einer „Metalogik“. Die Analysen der Kapitel 3 bis 5 konnten in der Folge entlang dieses überschaubaren Katalogs entwickelt werden. Dabei war die Logik einerseits von der Mathematik, andererseits von der Rhetorik abzugrenzen. Der Mathematik wurde mit Kapitel 2 zum Einstieg eine nahezu eigenständige, kleine Untersuchung gewidmet. Die Rhetorik lieferte im größeren methodischen Zusammenhang, den Bund in seiner Untersuchung zur Methode Julians eingehend untersucht hatte, den allgemeinen Hintergrund zum letzten Kapitel 5. Schließlich führte das Leitmotto des „axiomatischen“ Denkens im Verlauf der Durchsicht des Quellenmaterials auf die zusätzliche Frage, zu welchen abstrakten Darstellungen die römischen Juristen (Julian) vordringen konnten, denen traditionell ein betont kasuistisches, am konkreten Einzelfall angeknüpftes Arbeiten nachgesagt wird. Ein besonderes Augenmerk wurde der Auswahl der Stellen gewidmet, die im Rahmen der Exegesen genauer analysiert werden sollten. Die Auswahl sollte möglichst objektiv, zumindest aber nachvollziehbar erfolgen. Ein erstes, sprachliches Auswahlkriterium lieferte die Logik unmittelbar mit den einschlägigen Schlüsselwörtern, welche die logischen Verknüpfungen bezeichnen. Ein zweites, inhalt-

290

Kap. 6: Schlussbetrachtung

liches Kriterium ergab sich aus elementaren rechtstheoretischen Überlegungen und führte zur Betrachtung der Hilfsmittel bei der Analyse des Sachverhalts und der Begründung juristischer Entscheidungen. Eine erste Durchsicht der Digesten Julians anhand dieser Kriterien führte von den insgesamt 842 Fragmenten, von denen 396 Julian direkt zugesprochen werden können, auf eine Vorauswahl von 108 Fragmenten (welche auf Basis der 396 Fragmente 35 % der Textmasse entsprechen). Für eine detaillierte Analyse wurden schließlich 33 Fragmente (7 % der Textmasse) aus dieser Vorauswahl ausgesucht. Für die These der logischen Kenntnisse Julians sprachen bereits die Erkenntnisse zu seinem liber singularis de ambiguitatibus. Zur Frage nach dem aktiven Einfluss dieser Kenntnisse auf sein juristisches Schaffen sprachen die Exegesen der Kapitel 3 und 4 dafür, dass die Logik bei Julian insbesondere eine Hilfestellung beim Erfassen der tatsächlichen Lebenswelt leistete. Die Logik diente ihm sowohl zur Konstruktion fiktiver als auch zur Beantwortung möglicherweise realer quaestiones facti, bevor er mit seiner Argumentation zur eigentlichen rechtlichen Lösung fortschritt. Dies zeigte sich besonders deutlich im thematisch der „klassischen“ Aussagenlogik gewidmeten Kapitel 3. Einige der dort besprochenen Stellen zeichneten sich dadurch aus, dass logische Verknüpfungen bereits in den Parteierklärungen angelegt und somit selbst Teil des Sachverhalts waren. Bei Iul. Pal. 71 (D. 30,79) und 478.8+12 (D. 30,84,8+12) drangen zusätzlich Probleme der ambiguitas durch, ein Thema, dem Julian seine mehrfach zitierte Sonderschrift widmete. Die Logik diente ihm als Hilfsmittel, um die sachlich vertretbaren Lösungen aus dem Sachverhalt zu identifizieren. Da die Logik selbst nicht einmal eine Präferenz für „wahr“ oder „falsch“ hat, kann sie allerdings keine Auswahl zwischen vertretbaren Lösungen treffen. Dies illustrierte eindrucksvoll Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) mit seiner ausgeklügelten, zwischen zwei Parallelfällen ausbalancierten Argumentation, die dennoch nicht ohne eine dort nicht wiedergegebene, äußere Wertung zur Entscheidung gelangte. In Iul. Pal. 594.0 (D. 40,4,17 pr.) und Iul. Pal. 596 (D. 40,7,20,3) kam Julian bei der Anwendung des Prinzips „pro non scripto habetur“ und bei der Beurteilung einer bedingt angeordneten testamentarischen Freilassung zu differenzierteren Lösungen als seine Kollegen. Durchgesetzt haben sich aber letztlich oft Entscheidungen, die sich leicht in der Anschauung oder durch einfach zu handhabende Prinzipien begründen lassen. Verschiedene Schlüsse, welche dieses Bild ergänzen, ließen sich aus seinem Vorgehen bei der Auslegung bedingter testamentarischer Verfügungen in Iul. Pal. 600.0+3 (D. 40,7,13 pr.+3) ziehen. Einerseits gab es kaum Hinweise, die auf eine Verwendung der abstrakten, philonischen Definition des Konditionals hindeuteten, so bekannt ihm die zeitgenössische stoische Diskussion zur Natur des Konditionals auch gewesen sein mochte, welche dem modernen Verständnis dieser wichtigen logischen Verknüpfung entspricht. Gut denkbar war hingegen, dass sich Julian bei seiner Analyse und Darstellung des Sachverhalts an zeitgenössischen Vorstellungen der Kausalität als alternativen Erklärungsansätzen orientierte. Kann dieser Befund nichts Zusätzliches über die Rolle der Logik bei Julian

Kap. 6: Schlussbetrachtung

291

beitragen, spricht er doch für sein ausgeprägtes Interesse an tragfähigen Konzepten zur Erfassung der Lebenswelt. Im Ergebnis zeigte sich Julian eklektisch bei der Auswahl der Hilfsmittel, welche ihn im Rahmen der Behandlung der quaestio facti unterstützen konnten – ein Befund, der mit der von Bund festgestellten Vielfalt der Argumente übereinstimmt1. Als weiteres Hilfsmittel dieser Art wurde in Kapitel 2 die Mathematik betrachtet, zu der sich ein mit den bisherigen Ergebnissen konsistentes Bild ergab. Julian zog die Mathematik nur vereinzelt heran, wenn er den Blick auf die praktische Umsetzung der von ihm gefundenen rechtlichen Lösungen oder auf einen technisch heiklen Einzelaspekt lenken wollte und sich dabei ein Problem ergab, das sich rechnerisch erfassen ließ. Tat er dies, bewegte er sich im Rahmen dessen, was zu seiner Zeit an mathematischen Fertigkeiten von einem Vertreter der gebildeten Schichten verlangt wurde. Das Beispiel von Iul. Pal. 375.2 (D. 37,6,3,2), dessen Problemstellung auch allgemeiner hätte gelöst werden können, zeigte jedoch die Grenzen (nicht nur) seiner Abstraktionsfähigkeit auf. Von einer eigentlichen „mathematischen Methode“ kann bei Julian jedenfalls nicht gesprochen werden. Bestätigt wurde das gezeichnete Bild der Logik als Werkzeug zur Konstruktion und Behandlung der quaestio facti im der Modallogik gewidmeten Kapitel 4. Wenn sich, wie etwa die Exegesen von Iul. Pal. 150.0 (D. 12,1,19 pr.) und Iul. Pal. 588 (D. 28,1,12) aufzeigten, explizite sprachliche Anleihen an die Modallogik mangels spezieller antiker Fachbegriffe nur schwer identifizieren ließen, kamen ihre Konzepte in den drei unterschiedlichen Rechtsgebieten des Schuldrechts, des Erbrechts und des ius postliminium zum Tragen. Allen behandelten Stellen war gemein, dass sie Phasen der Unsicherheit mit Schwebezuständen behandelten. Die Exegesen von Iul. Pal. 520 (D. 30,91), 522 (D. 36,2,17), 464 (D. 30,81,9–10), 596 (D. 40,7,20,3), 761 (D. 49,15,22,0–2) und 762 (D. 49,15,22,3) ergaben, dass diese Schwebezustände primär auf Verhältnisse des Sachverhalts, also auf die tatsächliche Welt und nicht auf Rechtsinstitute bezogen wurden. Ist man bereit, hinter diesen Schwebezuständen ein gemeinsames Konzept der Pendenz zu sehen, lässt sich dieses mit der Modallogik umfassend beschreiben und motivieren. Unabhängig von einem logischen Hintergrund wäre ein solches Konzept ein starker Beleg für die Fähigkeit und die Bereitschaft Julians, zumindest im Ansatz abstrakt und losgelöst von unmittelbar anstehenden Fällen zu denken. Diese Fähigkeit und Bereitschaft könnten ihn bei der Auswahl und Konstruktion der Fallkonstellationen für sein Digestenlehrwerk unterstützt haben, dessen „äußere Systematik“ jedoch nach wie vor von juristischen Kriterien und Traditionen geprägt blieb. Letztlich erlauben Julians wie meistens knappe Begründungen zwar nur selten einen unangreifbaren Nachweis eines Einflusses der Logik, doch ließen sich seine

1

Bund (1965), S. 180; vgl. Bund (1976), S. 444 ff.

292

Kap. 6: Schlussbetrachtung

Entscheidungen logisch schlüssig nachvollziehen, was für die Wahrscheinlichkeit der These spricht. Zur Thematik der ersten Funktion lässt sich als abschließendes Fazit festhalten, dass bei Julian die Logik als Hilfsmittel die Welt der Fakten mehr als die Welt des Rechts ordnet. Ein durch die Logik gewonnenes, objektiv abgestütztes Bild der Sachlage könnte es Julian erlaubt haben, schärfere Unterscheidungen vorzunehmen, als es anderen Juristen wie etwa Marcellus gelang, und dadurch immer wieder differenziertere Entscheidungen zu treffen. Mit dem letzten Kapitel 5 verschob sich die Diskussion auf die „Metaebene“ der Logik und berührte Fragestellungen der Rhetorik. Vor allen Dingen sollte dort eine Antwort auf Miquels These des „axiomatischen“ Denkens bei Julian vorgeschlagen werden. Der Begriff des „axiomatischen“ Denkens wurde im Sinne einer konkreten Anwendung aristotelischer oder stoischer Schlussformeln interpretiert. Beispiele, in denen Julian in diesem Sinn logische Schlussformeln aktiv im Rahmen seiner juristischen Argumentation nutzt, sind in seinen Digesten nur sehr wenige zu finden. Mit Iul. Pal. 821.2 (D. 9,2,51,2) fand sich vielmehr eine seltene methodische Selbstreflexion Julians zu den Grenzen der Logik in der Jurisprudenz. Dort lehnte er zugunsten einer praktischen Nutzenüberlegung die Lösung ab, welche sich auf der Grundlage seines Textes mittels der aristotelischen Schlussformel „Datisi“ herleiten ließ. Bei Iul. Pal. 132.0 (D. 9,4,39 pr.) als zweiter diskutierter Stelle ließ sich die juristische Herleitung exakt parallel zur Prüfung der logischen Korrektheit der amtsrechtlichen Prozessformel nach stoischen Gesichtspunkten entwickeln. Das Ergebnis legt jedoch den Gedanken nahe, dass eine verbreiterte Anwendung logischer Schlussformeln von einer stärker durchgebildeten Begrifflichkeit abhängig gewesen wäre, wie sie sich ansatzweise etwa im römischen Deliktsrecht manifestierte. Auf dieser Linie zeigte sich anhand der längeren Texte von Iul. Pal. 525–527 (D. 40,4,16, D. 34,3,11 und D. 34,5,11) und Iul. Pal. 440 (D. 28,5,41) in Kapitel 5 ein für Julians Digesten typischer Argumentationsstil, welcher den Konditional mehr als „Stilmittel“ denn als logische Verknüpfung im formalen Sinn einsetzt. Dabei zeigte sich, dass es das jeweils gewählte juristische Thema und seine kombinatorischen Variationen waren, welche die meist enge, geraffte Struktur der Darstellung bestimmten, sodass längere Ketten von Argumenten, bei denen die Logik stützend eingreifen könnte, in den überlieferten Texten Julians die Ausnahme bilden. Als abschließendes Fazit zur zweiten Funktion ergab sich, dass der juristischen Schluss bei Julian nicht durch den Syllogismus erzeugt, sondern üblicherweise in ein Enthymem eingekleidet wurde. Julians Argumente finden sich regelmäßig bei den plausiblen oder wahrscheinlichen und nur ausnahmsweise bei den notwendigen und zwingenden, wie sie der Syllogismus als Eingabe verlangte. Die hier vorgeschlagenen Ergebnisse ergänzen die methodisch breiter angelegte Untersuchung Bunds zur Methode Julians um spezifisch mit der Logik verknüpfte Aspekte. Sie bestätigen das von Bund gezeichnete Bild einer vielfältigen, teilweise von theoretischen Interessen getragenen juristischen Methode, welche aber den Schritt zu einer eigentlichen „Verwissenschaftlichung“ noch nicht um-

Kap. 6: Schlussbetrachtung

293

fasste2. Mit althergebrachten Traditionen ging Julian auf seiner steten Suche nach der „richtigen“ Lösung trotz aller ihm nachgesagter und hier erneut festgestellter intellektuellen Innovationskraft sehr behutsam um.

2

Bund (1976), S. 446.

Anhang A. Übersicht der besprochenen Stellen 1. Nach Methodik Die nachstehende Tabelle listet die in einer eigenen Exegese besprochenen (fettgedruckten) oder im Text oder den Fußnoten ergänzend erwähnten Stellen mit logischen Bezügen aus den Digesta Iuliani auf. Der Buchstabe Q markiert Stellen theoretischer Natur, das Zeichen C1 Stellen mit konkreten Fällen sowie C1A mit zusätzlicher Abstützung auf die Meinung eines anderen Juristen oder der auctoritas veterum. Zum Abgleich wird wo vorhanden die methodische Einteilung von Bund angegeben. Iul. Pal.

Dig. Iust.

Gatt.

Kapitel

Bund

Seite

71 117 132 150

D. 30,79 D. 40,7,12 D. 9,4,39 pr. D. 12,1,19 pr.

Q Q Q Q

3 2 5 4

– – – Anknüpfung

121 46 279 183

154 161 240 301 321 375 404

D. 12,2,39 D. 12,6,32 pr. D. 18,1,39,1 D. 35,2,85 D. 26,8,12 D. 37,6,3,2 D. 29,1,20

C1 Q C1 Q C1A C1 Q

3 3 4 2 – 2 4

– – – – – Analogie –

113 179 64 60

409

D. 38,7,1

Q

4



412

D. 38,8,3

Q

4



420 438

D. 28,2,13 pr. D. 28,5,41

C1A C1

2 –

– –

72

440 461

D. 28,5,41 D. 30,81,6

C1 C1

5 4

– –

266 198

464

D. 30,81,9–10

Q

4

Anlehnung

209

465 465 478 485 489 492 520

D. 33,5,9,0–1 D. 33,5,9,2 D. 30,84,8–13 D. 40,4,15 D. 30,86,2 D. 33,5,10 D. 30,91,1

C1 C1A C1 C1 C1 C1 C1

2 4 3 3 4 3 4

Veranschaulichung Veranschaulichung Veranschaulichung – – – Anlehnung

118 214 127 195 201

A. Übersicht der besprochenen Stellen

295

522

D. 36,2,17

Q

4



204

525 526 527 563 585

D. 40,4,16 D. 34,3,11 D. 34,5,11 D. 35,2,86 D. 40,2,4

C1 C1 Q C1 C1

5 5 5 2 4

– Anknüpfung

259 259 259 48

588 594

D. 28,1,12 D. 40,4,17 pr.

Q C1

4 3

Ohne Evidenz Ähnlichkeit

228 154

596 600 600

D. 40,7,20,3 D. 40,7,13 pr. D. 40,7,13,3

C1A C1 Q

4 3 3

Fiktion – –

216 148 145

603

D. 22,3,20

Q





608 697 705 708 713 715 717

D. 41,1,37 D. 45,1,56,8 D. 45,3,10 D. 45,1,57 D. 19,1,25 D. 45,1,58 D. 46,3,34,0

Q Q C1 Q Q Q Q

– 3 3 3 – 3 3

Anlehnung Anküpfung – –

720

D. 34,4,11

Q





756 756 759

D. 35,2,87 pr. D. 35,2,87,1 D. 28,6,28

C1 C1 Q

2 2 4

– Anlehnung Fiktion

– Anlehnung

187 107 182

– Anlehnung

760

D. 30,98

Q

4



761 762

D. 49,15,22,0–2 D. 49,15,22,3

Q Q

4 4

Fiktion –

782

D. 49,15,23

Q

4

Fiktion

791 805 821 821

D. 30,99 D. 33,2,10 D. 9,5,51,1 D. 9,5,51,2

C1 Q Q C1

– 3 5 5

– Ähnlichkeit – –

110 66 69 223 232 234

274 274

2. Nach Inhalten a) Zur Mathematik Zahlwörter zur Beschreibung eines Sachverhalts ohne Teil einer Rechnung zu sein, finden sich in den 36 Stellen Iul. Pal. 28.4, 71, 150.0, 165, 199.1, 232, 240.1, 275.1, 355, 438.1, 442, 451, 455, 460, 475, 476.0+1, 476.6+7, 515.0+1, 537.1, 599, 600.1+5, 618, 693.1, 695, 704.6, 705, 709.0, 712.6, 717.0, 747.7, 761.2, 815.0. Zahlwörter als Altersangaben finden sich in Iul. Pal. 394, 525, 735.0, 810 und 834. Schließlich wird in Iul. Pal. 821.2. das Jahr als Zeitspanne von 365 Tagen umschrieben. Probleme der Auslegung von Zahlwörtern werden in Iul. Pal. 244, 372,

296

Anhang

427, 697.1+4, 792.0+1 behandelt. Das Prinzip des in maiore minus est wird in Iul. Pal. 244, 302, 372, 427, 697.1+4, 792.0+1 mittels Zahlen ausgedrückt. b) Zur Logik Von insgesamt 81 Stellen, die explizit das Schlüsselwort „aut“ enthalten, zeigen deren 28 einen grundsätzlichen Bezug zur Logik (die fett gedruckten Stellen sind in der Untersuchung mit einer Exegese unter dem jeweiligen Titel vertreten): Iul. Pal. 161, 199.2, 291.0, 336.1–2, 367.1, 370, 372, 385.5, 465.0–1, 475.6, 478.9+11, 488, 509.0, 529, 589, 600.2, 618.2, 697.2, 699.0, 699.1, 705, 709.0, 717.0, 720, 766.2 und 815.0. Die restlichen 53 Stellen verwenden die Disjunktion in einer bloß aufzählenden Funktion: Iul. Pal. 10, 24, 28, 68, 75, 110, 123, 150.0–1, 162.3, 239.0, 274.1, 275.4, 320, 329, 343.0, 358.0, 361.1, 378.1, 438.4, 442, 459.3, 475.3, 489.2, 495, 515.0, 523.4, 546.1, 553.3, 569.1–2, 592.0+4, 599, 620.0–1, 633, 645, 653, 666, 672.0, 683, 704.5, 728.1, 734.8, 748.1, 756.7, 761.2, 794, 816.1, 821 und 842. Bei folgenden 26 von insgesamt 394 Stellen, die explizit das Schlüsselwort „et“ enthalten, lässt sich ohne Mühe eine Konjunktion erkennen: Iul. Pal. 28.2–3, 68.0, 71, 105, 159, 198, 232, 321, 361.0, 367.0, 385.3, 389.2–3, 435, 463.8, 478.8, 478.10, 478.12, 492, 500.0, 507, 512, 553.0, 592.4, 599, 697.0–1, 709.0, 766.2 und 805. Die folgenden 22 Stellen enthalten ausformulierte Konditionalsätze: Iul. Pal. 128, 336.1, 389.4, 425, 440, 442, 448, 458.2, 478.7, 517, 518, 520.1, 527, 569.15, 594.0, 600.0+1+3, 708, 712.6, 713, 766.1, 792.1 und 815.0. Die Schlüsselwörter der aristotelischen Schlussformeln finden sich mit unterschiedlicher grammatikalischer Funktion in folgenden Stellen, wobei die „Kandidaten“ einer genaueren Untersuchung nach ihrer Argumentationsstruktur unterworfen wurden: –– Omnes (14): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 115.0, 259, 32, 357, 549.0, 553.0, 614.0, 740, 747.3, 759, 819, 821.1 –– Kandidaten: Iul. Pal. 132.0, 821 –– Omnis (3): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 92.0, 150.0, 500.2 –– Nonnullus (1): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 372 –– Aliquot (0)

297

B. Ergänzungen

–– Aliquis (5): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 24, 404.1, 523.6, 756.7 –– Kandidat: Iul. Pal. 291.0 –– Aliquid (19): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 24, 150.0, 291.1, 343.1, 349.2, 404.1, 420.0, 509.0, 522, 523.4, 543.0, 553.2, 633, 734.4, 815 –– Kandidaten: Iul. Pal. 291.0, 551, 589 –– Complures (4): –– Gewöhnliches Pronomen: Iul. Pal. 332, 592.4, 803 –– Kandidat: Iul. Pal. 291.0

B. Ergänzungen 1. Zu Kapitel 2 Folgende Brüche waren bei den Römern gebräuchlich1: Bezeichnung

1

Wert

Anzahl scripula

Uncia

1⁄12

24



Sextans

1⁄6

48

=

Quadrans

1⁄4

72

=−

Triens

1⁄3

96

==

Quincunx

5⁄12

120

==−

Semis

1⁄2

144

S

Septunx

7⁄12

168

S−

Bes

2⁄3

192

S=

Dodrans

3⁄4

216

S=−

Dextans

10⁄12

240

S==

Deunx

11⁄12

264

S==−

Semuncia

1⁄24

12

£

Scripulum

1⁄288

1

ɜ

Sescuncia

1⁄8

36

Duella

1⁄36

8

Sicilicus

1⁄48

6

Sextula

1⁄72

4

Vgl. Rodgers, S. 351 (Table 2).

Symbol

298

Anhang

Die in Anmerkung X als Erweiterung zu Iul. Pal. 756.1 angeführte Berechnung kann mit den Informationen aus dem Sachverhalt wie folgt ausgeführt werden:

Netto Szenarien:

Wert der Grundstücke Sej. Corn. 100.000 0 97.500 2.500 95.000 5.000 92.500 7.500 90.000 10.000 87.500 12.500 85.000 15.000 82.500 17.500 80.000 20.000 77.500 22.500 75.000 25.000 72.500 27.500 70.000 30.000 67.500 32.500 65.000 35.500 62.500 37.500 60.000 40.000 57.500 42.500 55.000 45.000 52.500 47.500 50.000 50.000 47.500 52.500 45.000 55.000 42.500 57.500 40.000 60.000 37.500 62.500 35.000 65.000 32.500 67.500 30.000 70.000 27.500 72.500 25.000 75.000 22.500 77.500 20.000 80.000 17.500 82.500 15.000 85.000 12.500 87.500 10.000 90.000 7.500 92.500 5.000 95.000 2.500 97.500 0 100.000

Erbe 1 50 % 50.000 12.500 50.000 -5.000 45.000

Erbe 2 50 % 50.000 12.500 -50.000 5.000 -45.000 Ergebnisse der Erbteilung Erbe 1 Erbe 2 145.000 142.500 140.000 137.500 135.000 132.500 130.000 127.500 125.000 122.500 120.000 117.500 115.000 112.500 110.000 107.500 105.000 102.500 100.000 97.500 95.000 92.500 90.000 87.500 12.500 85.000 15.000 82.500 17.500 80.000 20.000 77.500 22.500 75.000 25.000 72.500 27.500 70.000 30.000 67.500 32.500 65.000 35.000 62.500 37.500 60.000 40.000 57.500 42.500 55.000 45.000 52.500 47.500 50.000 50.000 47.500 52.500 45.000 55.000 Hier greift die lex Falcidia

Quoten Wertanteil Quart Ausgleich

299

B. Ergänzungen

2. Zu Kapitel 3 Die Kombinationen von Beteiligten und Leistungen, die als allgemeines Muster den in Abschnitten B – D behandelten Stellen gemein sind, lassen sich schematisch wie folgt zusammenstellen: Die Tabelle ordnet die besprochenen Stellen den drei Aspekten des Schemas zu:

Personen

Schuldrecht

Erbrecht

Sachen

Sachen

Einfach

Mehrfach

Einfach

Mehrfach

Einfach

trivial

161 (aut)

trivial

465.0+1 (aut) 478.9+11 (aut)

Mehrfach

705 (aut)

717 (aut)

71 (et) 478.8 (et)

478.12 (et)

Fälle ohne Mehrheiten sind aus logischer Sicht trivial. 3. Zu Kapitel 4 Der Themenkomplex der Kombinationen aus Freilassungen und Vermächtnissen lässt sich in insgesamt 12 unterschiedliche Fälle unterteilen. Die meisten von ihnen werden von Julian in seinen Digesten behandelt: legatum servo

Freilassung

servus legatus

bedingt

unbedingt

unbedingt

bedingt

bedingt

(520.1)

520.1

464.10 465.1–2

464.10 464.9

unbedingt

(520.1)

(520.1)

B

C

A

522

522

D

keine

Die Fälle A und D stellen keine besonderen Probleme. Die Fälle B und C führen mit der aditio auf einen offensichtlichen Widerspruch zwischen den testamentarischen Verfügungen. Der favor testamenti spräche für den Vorrang der Freilassung. Ist das Vermächtnis des Sklaven in einem nachträglich erstellten Kondizill enthalten, könnte auch der Meinung der scriptura novissime gefolgt werden.

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Sach- und Personenregister Abakus 38 Abstraktion 24, 25, 39, 61, 64, 76, 78, 138 actio communi dividundo 35 Algebra 20 ambiguitas 15, 23, 100, 115, 118, 122, 123, 132, 290 Anwachsung 47 Aristoteles 15, 21, 22, 23, 25, 28, 32, 72, 84, 85, 86, 88, 89, 95, 97, 99, 100, 102, 103, 105, 123, 138, 139, 140, 142, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 175, 185, 231, 245, 246, 247, 248, 249, 252, 253, 254, 257, 265, 285, 289, 309, 314, 329 Arithmetik 20 Aussage 17, 21, 36, 73, 79, 84, 85, 86, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 95, 97, 101, 103, 104, 123, 124, 128, 132, 134, 138, 139, 140, 141, 142, 146, 147, 150, 153, 157, 158, 159, 167, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 175, 183, 210, 211, 212, 213, 218, 249, 251, 253, 255, 256, 263, 276, 277, 286 Aussagenlogik 22, 23, 34, 79, 84, 85, 87, 91, 92, 93, 96, 103, 128, 129, 140, 162, 167, 168, 169, 249, 284, 290 axiomata 87, 89, 90, 94, 104, 142, 167 axiomatisch 15, 26, 245, 255, 287, 289 Bedingung 46, 47, 67, 70, 75, 79, 80, 81, 82, 94, 102, 118, 120, 121, 135, 136, 137, 138, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 162, 163, 164, 166, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 201, 202, 203, 205, 209, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 219, 220, 221, 224, 231, 243, 259, 260, 262, 263, 264, 268, 269, 271, 300, 306, 309, 312 Brüche 38, 48 Bruchzahlen 62 Buchhaltung 66

Cato 39, 47, 74, 181 Chrysippus 96, 105, 130, 134, 141, 142, 143, 167, 170, 172, 173, 174, 175, 177, 186, 219, 249, 301 Cicero 27, 31, 36, 66, 95, 96, 98, 99, 100, 129, 138, 142, 173, 231, 245, 249, 250, 252, 254, 285, 286, 307, 308, 314, 332 codex accepti et expensi 37 collatio bonorum 61 consortium 69 Corpus agrimensorum romanorum 36 Deduktion 28, 252, 253, 306 Dialektik 20, 22 Diodorus 91, 97, 130, 139, 140, 142, 143, 153, 157, 170, 171, 172, 173, 176, 185, 301 Diogenes Laertius  88, 89, 96, 130, 314 Disjunktion 14, 22, 73, 83, 89, 96, 103, 105, 106, 108, 109, 111, 112, 115, 118, 120, 126, 129, 130, 131, 134, 136, 141, 144, 159, 162, 250, 296 Einweg-Möglichkeit 14, 169 Enthymem 18, 252, 253, 254, 277, 286, 287, 288, 292, 309 enthymema 252 Entscheidungsbaum 176, 226 Erbteilung 47, 53, 54, 55, 58, 69, 70, 71, 75, 77 Erbteilungsklage 35 Euklid 24, 37, 89 Extensionalitätsprinzip 103, 137, 141 fatum 142, 143 favor dotis 65 favor libertatis 121, 146, 156, 160, 216, 217, 218, 260, 264, 265, 308, 310 favor testamenti 124, 131, 299 Freilassung 46, 120, 121, 137, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 155, 156, 157,

316

Sach- und Personenregister

158, 165, 184, 186, 194, 197, 201, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 214, 215, 221, 229, 230, 231, 238, 260, 264, 267, 282, 290, 299 Frontinus 39, 40, 41, 42, 43, 57, 59, 64, 74, 78, 139, 145, 308, 309, 314, 334, 337 Geometrie 20 Idealquote 52 Induktion 28, 121, 288 Intuition 28, 30 ius postliminium 34, 164, 178, 222, 224, 225, 233, 235, 240, 241, 242, 243, 291 ius respondendi 33 Julian 5, 12, 15, 18, 19, 23, 25, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 39, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 83, 87, 93, 94, 98, 99, 100, 101, 102, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 128, 129, 130, 132, 133, 134, 135, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 163, 166, 168, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 187, 188, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 251, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 299, 300, 302, 307, 309, 312 kasuistische Methode  25 Kausalität 79, 137, 141, 142, 143, 153, 159, 160, 161, 274, 290, 300, 309 Klageformel 35 Kohärenz 26, 27

Konditional 22, 89, 94, 103, 104, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 150, 156, 157, 158, 159, 161, 162, 176, 191, 228, 249, 258, 264, 265, 273, 276, 286, 292 Konjunktion 14, 22, 83, 89, 103, 105, 106, 108, 121, 122, 124, 125, 126, 129, 134, 136, 141, 144, 159, 162, 206, 250, 296 Kontingenz 14, 34, 97, 169, 172, 174, 175, 193, 200, 207 Kreditwesen 37 legatum alternativum 113, 116, 119, 120, 121 legatum optionis 119, 121, 127, 214, 215 legatum per praeceptionem 50 lekta 89, 90, 96, 102 lex Aquilia 65 lex Falcidia 49, 64, 76 lex Falicida 67 Logik 5, 6, 15, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 31, 32, 33, 34, 37, 73, 74, 79, 83, 84, 85, 88, 89, 91, 93, 94, 95, 96, 100, 102, 103, 104, 105, 108, 111, 112, 114, 115, 117, 118, 120, 122, 124, 126, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 141, 142, 143, 145, 146, 147, 150, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 166, 167, 173, 177, 181, 184, 191, 196, 200, 203, 207, 211, 215, 219, 226, 228, 230, 231, 233, 238, 240, 244, 245, 247, 249, 257, 258, 263, 265, 270, 271, 272, 273, 276, 282, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 296, 300, 303, 305, 308, 312 logisches Quadrat  22 Mathematik 6, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 24, 25, 33, 34, 35, 36, 37, 39, 44, 45, 47, 53, 62, 65, 67, 68, 69, 73, 74, 75, 77, 78, 120, 135, 289, 291, 295, 304, 305 –– babylonische Mathematik  19 Methode 30 Mitgift 64 Modallogik 97, 139, 162, 166, 167, 168, 169, 170, 174, 175, 176, 177, 194, 240, 244, 246, 254, 289, 291 Münzen 45

Sach- und Personenregister Notwendigkeit 14, 18, 34, 162, 169, 171, 172, 173, 187, 231, 239, 240, 264, 284 oratio 96, 97, 98, 100, 101, 102, 128, 133, 255 Pendenz 26, 82, 163, 164, 178, 179, 193, 194, 196, 200, 203, 222, 239, 241, 243, 244, 291, 309, 312 Philo 130, 138, 139, 140, 141, 150, 159, 170, 171, 172, 173, 174, 186, 231, 301 Platon 84 Prädikatenlogik 22, 23, 85, 86, 87, 289 praelegatum 50, 52, 56, 58 Pro hereditaria parte 47

192, 240, 153, 200,

quaestio facti 33, 35 quaestio iuris 35 Quantoren 85, 87 ratiocinatio 98, 133, 286 Rechtsakt 164, 165, 166, 185, 189, 193, 205, 220, 303 Rede 26, 56, 88, 90, 92, 96, 97, 98, 99, 101, 102, 112, 124, 140, 182, 186, 195, 197, 200, 205, 229, 236, 246, 273, 277, 281, 287, 302, 310 Rhetorik 16, 18, 20, 22, 26, 32, 37, 45, 76, 95, 96, 97, 98, 100, 133, 240, 252, 253, 254, 285, 289, 292, 306, 310 Rückwirkung 163, 165, 198, 233, 244, 300, 309 Schwebezustand 163, 179, 183, 184, 193, 207, 220 Schwur 146, 147 SC Pegasianum 53, 55 SC Trebellianum 50 Seeschlacht-Argument 97, 168, 172, 175, 176 Seneca 95, 96, 102, 336

317

Sextus Empiricus  87, 88, 100, 105, 138, 249, 336 societas 35 solutionis causa adiectus 107, 109, 300 Sprachtheorie 88, 134, 167 Sprechakt 88 Status 178, 195, 197, 199, 200, 203, 207, 220, 222, 224, 232, 233, 238, 239, 240, 242, 266, 267 Stoiker 15, 22, 23, 87, 88, 89, 90, 94, 95, 98, 103, 104, 130, 138, 142, 157, 167, 168, 185, 249, 250, 251, 254, 283, 301, 303, 309 Subsumtion 32 Syllogismus 96, 133, 168, 245, 246, 248, 252, 253, 254, 255, 273, 277, 278, 283, 288, 292 System 17, 26, 28, 29, 30, 32, 73, 74, 83, 168, 241, 251, 265, 310 themata 23, 34, 249, 250, 252, 284, 286 Topik 26 Unbeweisbare 23, 34, 245, 249, 250, 251, 252, 257, 283, 284 Wahlschuld 33, 81, 82, 113, 114, 116, 117, 118 Wahrheit 32, 84, 85, 87, 88, 95, 97, 119, 140, 172, 252, 286, 288 Wahrheitstabelle 104, 117, 122, 123, 124, 126, 128, 136, 137, 138, 139, 141, 142, 147, 191, 250 Wahrheitsträger 34, 87, 88, 89, 95, 100, 101, 103 Wahrheitswert 14, 79, 84, 90, 91, 92, 93, 94, 101, 103, 136, 137, 147, 171, 172, 175 Zahlwörter 43 Zweiwertigkeit 84, 97, 103, 104, 142, 168, 175

Quellenregister Juristische Quellen Gai. Institutiones 1,9–11  197, 267 1,121 272 1,122 38 1,129  93, 225, 230, 233, 238 1,159  197, 222 1,160 197 1,162 197 2,131 72 2,16 202 2,177  270, 272 2,187  268, 272 2,188 268 2,189 206 2,194 195 2,195  196, 199, 202 2,196 124 2,197 124 2,199 126 2,200  163, 203 2,205 125 2,216 50 2,227  49, 50 2,249 49 2,256 50 2,263 148 3,90 45 3,98 186 3,100 154 3,103 123 3,120 261 3,189 272 4,41 93 4,53 116 4,62 65 4,75 280 4,76  280, 282 4,77  280, 283 4,119 80

4,126 80 4,136 116 Corpus Iuris Civilis Codex Iustinianus Tanta 1  257 Tanta 18  284 4,5,10 114 6,24,3 269 6,37,23 47 6,38,4  83, 106 6,46,6 218 6,51,1,7 186 Institutiones Iustiniani 1,3,3 226 2,14 pr.  229 2,22,2–3 52 3,19,11 185 Digesta 1,2,2,40 99 1,2,2,43 99 1,2,2,46 99 1,2,2,49 33 1,3,10 228 1,3,11 228 1,3,30 240 1,18,8 106 2,11,9,1 284 2,13,1,4  36, 79 f., 132 2,14,30,2 189 5,1,25  106, 213 5,1,35 178 7,1,12,5 198 7,1,25,1 178 8,3,28 45 8,4,18 178 9,2,1,1 274

Quellenregister 9,2,11,2 276 9,2,11,4 276 9,2,15,1  143, 275 9,2,45 pr.  280 9,2,45,3 275 9,2,51 pr.  143, 275 9,2,51,1  274 ff. 9,2,51,2  274 ff., 285, 287, 292 9,4,1 279 9,4,2 pr.  279 9,4,5 pr.  281 9,4,7 pr.  280, 283 9,4,16 210 9,4,21 pr.  282 9,4,21,2 282 9,4,22,3 281 9,4,24 282 9,4,26 pr.-2  281 9,4,39 pr.  279 ff., 285, 287, 292 10,2,33 70 10,2,51 pr.  45, 71 10,2,51,1 71 12,1,8  178, 183 12,1,9 pr.  183 12,1,9,8 183 12,1,12 183 12,1,19 pr.  106, 183 ff., 185, 193, 202, 240, 291 12,2,39  147, 154 12,6,31 115 12,6,32 pr.  113 ff., 130, 133 12,6,32,3  106, 109 12,6,60,1 178 13,4,2,3 81 14,2,6 257 14,2,10,1 144 14,6,1,1 178 17,1,22,8 pr.  66 18,1,8,1 180 18,1,25 pr.  81 18,1,34,6 81 18,1,35,5 180 18,1,39,1  179 ff., 185, 193, 240, 242 18,2,17 43 18,4,19 194 18,6,8,1 163 19,1,22 44 19,1,25  182 f., 193 19,1,55 224

319

20,4,11,1 166 20,91,1 194 21,2,29 pr.  261 22,1,25 258 23,2,11 224 23,3,41,1 81 23,30,10,6 81 24,2,6 224 24,3,66 pr.  64 28,1,12  228 ff., 238, 240, 291 28,1,13 pr.  72 ff. 28,2,13 pr.  75 f., 78, 288 28,2,14,2 268 28,3,15 225 28,3,16 156 28,5,5 151 28,5,7 152 28,5,13,4 47 28,5,41  197, 265, 266 ff., 285 ff., 292 28,5,42 268 28,5,67 47 28,6,28  223 ff., 229, 240 28,7,20 pr.  156, 177 30,6 102 30,16 pr.  113, 126 30,28 pr.  261 30,34,4 128 30,34,9 122 30,34,14 117 30,37,1 128 30,46,3 114 30,47,6 189 30,62 134 30,68,2 210 30,71,1 128 30,79  121 ff., 128, 130, 290 30,81,6  194, 198 ff., 208, 209, 220 30,81,9 121 30,81,10 121 30,82 pr.  261 30,84,8  124 ff., 130, 133, 290 30,84,9  115 ff., 129 f. 30,84,10 119 30,84,11  115 ff., 129 f. 30,84,12  124, 127 ff., 130, 290 30,84,13 127 30,86,1  195, 221 30,86,2  194 ff., 199 f., 203, 205 ff., 220, 240

320

Quellenregister

30,89,9  194, 209 ff., 214 f., 220, 221 30,91,1  154, 201 ff., 220, 242, 263, 291 30,96,3 51 30,98 224 30,104,1 156 30,104,3 51 30,108,2 127 30,116,1  51, 57, 61 31,11,1  116, 129 31,16 83 31,66 pr.  261 31,82 pr.  261 33,5,2 pr.  119 33,5,2,2 120 33,5,2,3 120 33,5,8 pr.  119 33,5,9 pr.  118 ff., 130, 214 33,5,9,1  118 ff., 120, 130, 214 33,5,9,2  194, 210, 212, 214 ff., 222 33,5,20 116 33,6,5  179 ff. 34,3,11  258 ff., 285 ff., 292 34,3,12 66 34,5,11  258 ff., 286 f., 292 34,5,12 102 34,5,13(14) pr.  100 34,5,13(14),2  93, 105, 120, 245 34,5,13(14),3  87, 101, 105, 120, 245, 255 34,5,13(14),4  105, 245 34,5,13(14),5  105, 245 34,5,13(14),6  105, 115, 131, 159, 245 34,7,1 pr.  202, 205 34,7,3 205 34,8,1  149, 152 35,1,6,1 156 35,1,17,2 268 35,1,17,4 67 35,1,24 218 35,1,77. 62 35,1,80 67 35,1,93 62 35,1,94 pr.  218 35,2,1,1 225 35,2,5 261 35,2,19 67 35,2,30,1 67 35,2,73,1 182 35,2,74 52

35,2,75  55 f. 35,2,83  210, 213 35,2,85  64 ff., 76 35,2,86  48 ff., 57, 59, 64, 74 f., 77 35,2,87 pr.  66 ff., 75 f., 78, 134 35,2,87,1  69 ff., 75 f., 78, 134 35,2,91 52 35,3,1 70 36,1,28,14 52 36,2,5,1 202 36,2,17  194, 204 ff., 209 ff., 211, 220, 242, 291 36,2,19,3–4 221 37,6,1 pr.  62 37,6,3,2  60 ff., 75, 77, 257, 291 37,6,3,4 64 38,1,7 pr.  146 38,2,4,1 225 38,2,20  119, 126 38,2,23,2 60 38,7,2,3 238 38,16,1 pr.  225 38,17,1,1  233, 238 40,4,5 160 40,4,9 pr.  149 40,4,11,2 201 40,4,17 pr.  154 ff., 159 ff., 186, 290 40,4,17,3  154, 161, 290 40,4,19 149 40,4,15  149, 152 40,4,16  258 ff., 285 ff. 40,4,36 146 40,4,55 pr.  218 40,4,56 160 40,4,61 pr.  154 f., 160 40,5,30,9 229 40,5,34,2 149 40,5,48 224 40,5,51,4 229 40,7,1 pr.  210 40,7,2 pr.  201, 210, 215 40,7,12  46 ff., 56, 74 f. 40,7,13 pr.  148 ff., 157 f., 161, 191 f. 40,7,13,3  145 ff., 153, 159, 161 40,7,20,3  194, 216 ff., 290 f. 40,7,20,6 148 40,7,24 146 40,7,37 149

Quellenregister 40,7,39 pr.  210 40,9,31 159 41,1,36 205 41,2,1,3 235 41,2,36 205 41,3,8 pr.  236, 239 41,3,15 pr.  234 f., 237 ff., 242, 244 42,1,60 205 42,4,7,4 99 42,5,18 65 43,3,1,6 51 43,17,1,7 132 43,26,19 pr.  132 44,2,24  80 f. 44,7,19 261 44,7,42 pr.  220 44,7,44 pr.  81, 114 44,7,44,3 81 44,7,52 pr.  230 45,1,12 pr.  129 45,1,38,17 83 45,1,38,19 126 45,1,56 pr.  122 ff., 287 45,1,56,2+4 123 45,1,56,8  187 ff., 193 f., 200 45,1,67 pr.  44 45,1,78,8 116 45,1,83,7  188 f. 45,1,91,4 190 45,1,91,6  188 f. 45,1,112 pr.  117 45,1,115,1 154 45,1,128 81 45,1,129 245 45,1,138,1 114 45,1,141,1 81 45,3,1,4  83, 134 45,3,9 pr.  108 45,3,9,1 108 45,3,10  107 ff., 129 f., 132, 134 f. 45,3,18,2 239 45,3,21 108 46,2,8  188 f. 46,2,10 108 46,2,14 pr.  188 f. 46,2,31 pr.  188 f. 46,3,10 108 46,3,13  196, 224, 257

321

46,3,33 pr.  109 46,3,33,1 109 46,3,34 pr.  110 ff., 129 f., 132, 134 f. 46,3,34,2 112 46,3,36  72, 99 46,3,59 110 46,3,72,1  188 f. 46,3,89 pr.  66 46,3,95 pr.  114 46,4,12 165 46,4,17 106 46,8,12,2 110 48,4,8 99 48,8,8 99 48,19,39 99 49,15,5 224 49,15,12,1  233, 238, 241 49,15,12,2  236, 239 49,15,12,7–9 218 49,15,18 225 49,15,19 pr.  225 49,15,22,2  224, 232, 236 f., 242 49,15,22,3  224, 234 ff., 237 f., 242 49,15,22,4 224 50,16,8 97 50,16,28,1  128 f. 50,16,29 128 50,16,53 pr.  129 50,16,53,1 129 50,16,96 99 50,16,112 99 50,16,123 97 50,16,124  87, 102, 105, 129, 132, 158, 245, 250 50,16,142 129 50,16,160 119 50,16,164,1 268 50,16,177 100 50,16,217 pr.  97, 157 50,17,1 205 50,17,22 pr.   146 50,17,31 186 50,17,62 226 50,17,64 288 50,17,65  100, 240 50,17,73,3 106 50,17,77 164 50,17,114 134

322 50,17,161 218 50,17,169,1  185, 241 50,17,185 186

Quellenregister 50,17,186 184 50,17,188 pr.  106 50,17,209 267

Literarische Quellen Aristoteles Analytica priora I,1 (24b 18–20)  246 f. I,2 (25a)  86 I,4 (25b)  246 I,4 (26a)  265 I,4 (73b 25–28)  169 I,5 (28a)  247 I,6 (29a)  247 I,7 (29a)  247 I,8–22 168 I,8 (29b 49–30a 6)  169 I,13 (32a 19–22)  169 I,13 (33a 24–25)  169 I,13 (32b 4–10)  169 f. I,13 (32b 10–13)  170 I,13 (32b 25–33)  169 I,22 (40b)  249 II,2 (53b)  138 II,27 (70a)  253 IV (17a)  88 Analytica posteriora I,1 (71a-71b)  21 I,2 (71b)  246 I,4 (73b 25–28)  169 I,14 (79a)  265 I,16 (79b 22–80b 16)  272 II,11 (94b 37–95 a 4)  231 II,19 (100a)  28 Kategorien 5 (4b)  88 7 (7b)  87 10 (13b)  88 12 (14b)  88 De interpretatione I (16a)  140 VII (17a 39–43)  86 VII (17b 8–9)  86

Metaphysica I,5 (985b)  21 II,3 (995a)  21 IV,2 (1004b)  170 IV,6 (1011b 26–27)  84 V,29 (1024b)  85 IX,4 (1047b)  171, 173 IX,7 (1048b 35–1049a 16)  174 IX,8 (1049b 19–21)  170 XI,5 (1062a)  85, 88 XI,11 (1067b)  170 Rhetorica I,1 (1355a)  254 I,2 (1356a 7–13)  253 I,2 (1356b 15–17)  253 I,2 (1357a)  253 I,2 (1357b)  253 I,2,13 133 II,22 (1395b 24–26)  253 De sophisticis elenchis 4 (166a 33–34)  100, 123 Topica I,1 (100a 25)  246 Boethius Librum Aristotelis de interpretatione 234,10–21 171 234,22–26 171 Cato De agri cultura 2 38 12 43 18 36 24,5 44 115 47 155 180

Quellenregister Cicero Ad familiares 5,12,6 283 De inventione 1,57 98 1,59 96 1,65 133 2,161 95 2,171  96, 231 De fato 3 96 12  141, 172 f. 13  172 f. 14  172 f. 20–21  96, 142 30 173 41 143 42 143 De finibus 1,55 95 De natura deorum 1,44 95 3,11 95 De officiis 1,74 95 De oratore 1,31 98 1,142 98 2,115 98 47,158 66 In Verrem 1,23,61 66 1,39 66 Philippica 2,32 96 Pro Cluentio 11,32 99 11,82 66

Pro Quinctio 4,17 66 Topica 4,18 197 6,29 197 7,32 99 13,54  138, 141 54–57  250, 252, 254, 257 Diogenes Laertia 7,39–41 21 7,41–44  22, 88 7,45 248 7,63–83 89 7,71–74 130 7,75 173 7,78  248 f., 251 7,79 90 7,80–81 250 Frontinus De aquaductus urbis romae 2,2 43 23,2 39 24,2 41 25,4–5  40 f. 26,1–4  40 f. 27,1–2 40 28,1–3  40, 42 39–41 43 Galen Institutio logica 6,5 251 16,1 74 Gellius Nottae atticae 2,23,10 65 16,8 96 16,8,12–14 130 Horaz Ars poetica 323–332 56

323

324

Quellenregister

Plautus Asin. 2,2,333 66

Seneca De tranquilitate animae 2,3 95

Plinius minor Epistulae 7,20,6 121

Epistulae 117,13 96

Quintilian Declamationes minores 250 77 270 159 289 159 318  83, 132 Institutio oratoria 1,10,34  37, 68 1,10,35  38, 68 1,10,39–45 37 2,14,5 97 5,1,1 133 5,10,1–3 255 5,10,11 133 5,10,12 133 5,14,24 252 8 pr. 6  97

Sextus Empiricus Adversus mathematicos 1,309 138 7,19 21 7,38 87 7,42 87 8,11–12  88, 90 8,70 89 8,93 89 8,96 89 8,103 140 8,223 249 8,224 250 8,228–229 249 8,230–238 251 Grundzüge der pyrrhonischen Skepsis 2,104 96 2,110–114  138 f., 141, 145, 153, 158 f. 2,234 91